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nringer Sagenbuch. Von Ludwig Bechstein. ^ «rfter Band. Wien und Leipzig. C. A. Hortlebens Verlags-Erpedition. 1858. > Vorwort Die Liebe für Thüringens mannichfaltige und reizende Sagen hat mir, wie ich auch bereits im Vor worte zu meinem Deutschen Sagenbuche ausge sprochen, schon den Jugendmorgen rosig verklärt und ich bin ihr treu geblieben bis in die reiferen Jahre, nicht minder blieb ich den Grundsätzen treu, die mich schon früher beim Sagensammeln leiteten. Aber fort gesetztes Sagenstudmm leitete noch einer höheren Rich tung zu, als jener der bloßen Sammellust und Sammelfreude. Mehr und mehr wurde mir die Wahr heit von Jarob Grimm' s Ausspruch klar, daß fast aller Sage Grund Mythus ist. Nur die aufmerk same Berücksichtigung der deutsch-mythischen Elemente IV in den vaterländischen Volkssagen erhebt Sagensamm- lungen unbeschadet ihrer sonstigen ethischen, Pädagogik schen und belletristischen Verdienstlichkeit in die Reihen wissenschaftlicher Werke, durch sie werden Sagenkunde und Sagenforschung zu einer Wissenschaft, welche durch die Fülle ihrer poetischen Stoffe ungemein anziehend und lohnend, nicht minder aber auch von'' kulturgeschichtlicher Wichtigkeit und Bedeutung ist. Dieser Richtung folgt in der Gegenwart die rege Strebsamkeit vieler Forscher, von denen manche völlig vom gelehrten Standpunkte ausgehen, andere auch das volksthümliche Element in diesen Sagen, die ja doch alle nur aus dem Volke unmittelbar erblüht sind, die man dem Volke dankt, berücksichtigen. Letzteres ist der von mir eingeschlagene Weg, indem ich in einfacher und natürlicher Weise, ohne Zuthat und Ausschmückung der eigenen Phantasie, welche die neuere Sagenfor schung mit Recht verwirft, die Sagen, die ich sammelte, erzähle, — von denen auch die Mehrzahl der Aus schmückung gar nicht bedarf, indem viele Sagen schon an und für sich durch und durch poetisch sind — dann aber überall wichtige Fingerzeige für das Vorhanden sein mythischer Stoffe und Elemente jeder Gegend Thüringens für die zukünftige Forschung gebe. In dem vorliegenden Buche habe ich bezüglich der Anordnung und Aufeinanderfolge ganz in der Weise, V ' wie in meinem Deutschen Sagenbuche, den Gang einer großen Wanderung durch alle Gebiete Thüringens mit Hinzuziehung des Voigtlandes genommen, und zwar theils nach den Flußthälern, theils nach Höhenzügen. Dieses System erweis't sich praktisch-zweckmäßig, und für die vergleichende Sagen- 'forschung sind überall im Buche Hinweisungen auf Oertlichkeiten gegeben, wo verwandte Sagen sich wie derholen, wo ebenfalls verwandte oder ganz dieselben mythischen Wesen wieder begegnen. Die Wanderung beginnt mit den Werra quellen, schweift etwas südlich in das coburger Gebiet ab, das zwar schon fränkischer Boden ist, aber doch einem thüringischen Regentenhause angehörig, und folgt dann dem Laufe der Werra mit Berücksichtigung aller die sem Flusse nachbarlich gelegenen Sagenpunkte bis Mihla. Dort wendet die Wanderung, um aber mals, wie gleich beim Beginn geschehen, in den mythischen Sagenkreis der Frau Holle einzutreten, dann ritterromantisches Gebiet mit Eisen ach und der Wartburg zu beschreiten. An diesem Punkte beginnt der Höhenzug des Thüringerwaldes, dessen Berge und Thäler nun besucht werden, wobei wiederum keine wichtige Sagenörtlichkeit unberücksichtigt gelassen wird, und dieser sagenforschende Pilgerzug setzt sich über das ganze Gebirge bis zum Frankenwalde fort, hinter VI dem nun voigtländisches Gebiet beschritten wird, um die äußerst sagenreichen Flußthäler der Elster und der Saale zu durchwandern. Naturgemäß sind kleine Abschweife nach links in die Waldgegenden von Lobenstein und Leutenberg, nach rechts in den alten Orlagau geboten, wie nicht minder von Saalfeld aus das Thal der Schwarza zu berücksichtigen war. Dann erstreckt sich die Wanderung im Saalgebiete bis nach Halle. Manches in diesem Gebiete habe ich, um ein gebotenes räumliches Maaß dieses Buches nicht zu überschreiten, hinweggelassen, z. B. mehrere derjenigen Sagen von Saalfeld, die bereits in der Grimm'fchen Sammlung gedruckt stehen, anderes, was ich nur be reits romantistrt auffand, und dem ich nicht recht traute, auch historisches von sehr zweifelhafter Färbung, z. B. den Blankenburger Eselskrieg, das Rudolstädter Frühmahl, und ähnliches. Auch beiden, an sich zwar nicht unanziehenden, aber doch anderswo häufig sich wiederholenden Sagen vom Sing er berge glaubte ich, es werde Andeutung der Ausführung vorzuziehen sein. Dasselbe gilt, da sich von Halle aus die Wan derung vom Saalgebiete weg in das Helme-Gebiet und in die güldene Aue erstrecken mußte, von den all bekannten Kiffhäufersagen, wie denn der Raum durchaus verbot, die sämmtlichen Sagen des ganzen Vorderharzes zu berücksichtigen. Indem aber dann VII die Unstrut an ihrem Ursprung aufgesucht wird, findet sich wieder mancher wichtige Ort berührt, zumal im Verfolge ihres Laufes abwärts bis zu dem Knoten punkte, wo Saale, Ilm und Unstrut unfern von ein ander sich' vereinigen. Dem poesiereichen Flusse Ilm wird entgegengezogen, die Wanderung lenkt sich noch einmal bis zu den Höhen des Thüringerwaldes hinan, bis zu der hohen Wasserscheide zwischen Ilm und Gera, welchem durch Valerius Neubeck's Muse gefeierten Flilsse nun nachgegangen wird, wo dann nach ein»m Abstecher in das romantische Sagengebiet der drei Gleichen die Wanderung im Schooße der uralten Metropolis des Thüringerlandes, Erfurt, ihr Endziel findet. Diese thüringische Sagensammlung ist mit dem, was früher auf gleichem Gebiete von mir veröffentlicht wurde, nicht zu verwechseln und nicht zu vergleichen. Sie ist eine durchweg neue und selbstständige Arbeit; sie ist nicht nur ein thüringisches Sagenbuch, sondern auch ein thüringisches Mythen buch; manche Nummer enthält nicht blos eine einzige Sage, sondern mehrere, die zusammen gehören. Auf Wiederholungen thüringischer Sagen im übrigen Deutschland habe ich auf mein Deutsches Sagenbuch durch die Chiffer D. S. B. mit der Nummerzahl in Randnoten bis weilen hingewiesen und aufmerksam gemacht. VIII Ist auch Thüringen nur ein Theil des großen deutschen Vaterlandes, so liegt es doch in Deutschlands Herzen und hat guten deutschen Kern. Seine Muthen- und Sagenwelt ist poesievoll und bedeutsam, klangvoll und unsterblich. Möge sie stets gute , Gönner und treue Pfleger finden! Meiningen am 18. Oktober 1857. Ludwig sechstem. 1. Frau Holle in Eisfeld. Mythischer Zauber umfließt, wie so viele Stromquellen, auch die Quellen der Werra. Aus frühen Vorzeittagen haftet noch gar mancher Nachhall an Oertlichkeiten, an Gebräuchen, an alten Namen, und dauernd und unaus tilgbar erhalten sich die überkommenen Kunden, wenn auch die vorgeschrittene Kultur der Waldbewohner sie nicht mehr glaubt. Es handelt sich ja bei sagenhaften Ueberlieferungen im Volksmunde überhaupt gar nicht darum , daß das Volk an deren wirkliches Geschehensein glaube, und wird ihm dieß von niemand angesonnen werden können, sondern darum, daß es sich dieselben als etwas, was die Urväter und Urmütter einander erzählten, wieder und immer wieder sagt. Das ist das einfache Wesen der Sage. Götter und Dämonen haben einzig nur in Sagen der Nachwelt ihre Spuren und die Erinnerung an ihren Kult hinterlassen. Die Stadt Eisfeld, in deren Nähe die Werraquellen aus dem Schooße thüringischer Berge zu Tage rinnen, soll uralten Ursprunges sein. „ As - Feld " wird sie noch immer im Volksmunde geheißen, und alte urkundliche Über lieferungen legen des Ortsnamens früheste Rechtschreibung als Asifeld offen dar. Wenn sich nun auch nicht mit unumstößlicher Gewißheit eine Verwandtschaft dieses Orts- Bechitein, Thür. Sagenbuch, I 2 Namens mit den Äsen, den Gottheiten der heidnischger- manischen Frühe, — behaupten läßt, so erinnert doch der Name an dieselben. As hieß Gott, und vorzugsweise wurde Thorr, oder Donar mit diesem Namen bezeichnet; so konnte gar wohl eine den Vätern heilige Stätte , an der sich all- mählig Ansiedler niederließen, ein Gott es seld heißen, wie ja ein zweites Gottesfeld, nur wenige Wegstunden von Eisfeld entfernt, noch bis heute diesen Namen führt. Es ist dasselbe Gottesfeld (auch Gothes- und Godesfeld geschrieben) über den Thälern der Finster -Erlau und der Weser, auf dem der Sage nach eine ob ihres gottlosen Wesens verwünschte und versunkene große Stadt gestanden haben soll. Alle diese Sagen von Verwünschung und vom Versunkensein verschiedener Städte, Dörfer, Burgen, Kirchen und Klöster deuten weit hinauf in die mythische Frühzeit. Thorr ist der Donnergott der altnordischen Mythe, ein wunderbarer Hammer ward ihm zugetheilt, mit dem er nach den ihm feindlichen Riesen wirft. Aber gerade die Riesensage mit ihrem Hammerwerfen ist in der Eisfelder Gegend völlig heimisch. Als bedeutendste Erscheinung weib licher mythischen Wesen tritt unbedingt in ganz Thüringen und Hessen die Holda, Hulda, Frau Holle (im Voigtland Frau Berthe oder Perchta), auf, und ein eigen- thümlicher Brauch, der auf dieselbe Bezug hat, hat in Eisseld ihren Namen verewigt. Am heiligen Dreikönigs tage, demselben, an welchem die Perchta mit ihrem Heim- chenheere, dem Hulde volle der nordischen Mythe, und die Perchtl in Tirol mit dem Seelenheere der ungetauft gestorbenen Kinder zieht, ward alljährlich zu Eisfeld die Frau Holle verbrannt. Die Sage vom Ursprunge dieses jedenfalls altheidnischen Feuerkults am Zulfefte wurde aber 3 fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Ein Nonnenkloster habe in Eisfeld gestanden, dessen Aebtissin, Juliane ge nannt, habe sich fleischlich vergangen und zwar mit dem bösen Feinde selbst, sei zweier Kindlein auf einmal genesen, und darauf zur Strafe solcher Teufelsbuhlschaft sammt den beiden