Kultur

SPIEGEL-GESPRÄCH Der große Gatsby des Rock’n’Roll Der Show-Unternehmer Ahmet Ertegun über das 50. Jubiläum seiner Plattenfirma , sein Glück mit den Stars im Rock-Zirkus und seinen Versuch, die Amerikaner mit für Fußball zu begeistern

Ertegun, 1923 in geboren, gilt als le- SPIEGEL: Sie sind einer der wenigen Bosse Künstler genau eine Seite lang. Heute sind gendärer Strippenzieher der Musikbranche. in der Plattenindustrie, von dem nicht nur es 50. Ich habe keine Lust, so etwas zu le- Der Sohn des türkischen Botschafters in die Buchhalter und die Vorstandsmitglieder sen. Wozu habe ich meine Anwälte? Washington studierte Philosophie und sagen, er sei in Ordnung, sondern auch SPIEGEL: Der Hollywood-Mogul David Gef- gründete 1948 die Firma Atlantic Records, Künstler wie Charles, die Rolling fen, der Sie als seinen Mentor sieht, hat für die er Künstler wie und Stones, oder . vor kurzem gesagt: „Ahmet Erteguns größ- Aretha Franklin entdeckte. Bei der Auf- Was lieben die an Ihnen? tes Kapital ist sein Charme. Er ist so char- nahme des Rock’n’Roll-Klassikers „Shake, Ertegun: Ich weiß es nicht.Vielleicht liegt es mant, daß es Leuten manchmal gar nicht Rattle and Roll“ sang er die Background- daran, daß ich Menschen, denen ich einen auffällt, wie sie über den Tisch gezogen Stimme. Ertegun kaufte 1971 den Fuß- Vertrag gebe, von Anfang an, auch wenn sie werden.“ ballclub Cosmos und betreibt noch völlig unbekannt sind, für Stars hal- Ertegun: Wenn ein Mann mit dem Charme seit 1985 die „Rock’n’Roll Hall of Fame“. te und sie auch so behandle. Und ich wer- von das sagt! Aber im Ernst de ihr Fan. Menschen, die ich für nicht so – wenn er gemeint hat, einen über den SPIEGEL: Mr. Ertegun, Sie werden bald 75 gut halte – na ja, mit denen unterhalte ich Tisch ziehen heißt, das Beste aus ihm her- Jahre alt, trotzdem sind Sie noch jede Nacht mich gar nicht erst. auszuholen und manchmal trotzdem ziem- unterwegs. Gefällt es Ihnen zu Hause nicht? SPIEGEL: Haben Sie viele Freunde unter lich viel Geld zu verlieren, dann bin ich Da- Ertegun: Solange meine Frau und ich eine den anderen Plattenbossen? vid Geffens Meinung. Party geben, ist alles in Ordnung. Ertegun: Ein paar sehr gute – aber das sind SPIEGEL: Er hat wohl gemeint, daß Sie Ihren SPIEGEL: Und ohne Party? dann auch nicht irgendwelche Kaufleute, Künstlern selten mehr als fünf Prozent vom Ertegun: Dann bleiben noch zwei bis drei die sich den ganzen Abend über Verkaufs- Verkaufspreis der Platte gezahlt haben. Abende im Jahr, an denen wir viel Freude zahlen oder Verträge unterhalten wollen. Ertegun: Fünf Prozent war lange Zeit die haben und allein im Wohnzimmer sitzen. Als ich anfing, war ein Vertrag mit einem Norm. Die Sache war nur: Wir haben die

Musik-Tycoon Ertegun, Star Tina Turner (1991): „Wir bieten dir 25 Prozent, und wir zahlen so pünktlich wie die anderen – nämlich gar nicht“

256 der spiegel 13/1998 Kultur fünf Prozent nicht nur versprochen, wir nengelernt hatte, veranstalteten wir Kon- haben sie auch bezahlt. Wenn also ein zerte für Schwarze und Weiße in der Bot- Künstler sagte: „Aber die Konkurrenz bie- schaft. Es herrschte damals Apartheid, und tet mir 15 Prozent“, dann war meine Ant- deshalb war es kein Wunder, daß ein paar wort: „Wir bieten dir 25 Prozent, und wir Senatoren aus den Südstaaten sich darüber zahlen genauso pünktlich wie die anderen beschwerten, was in unserer Botschaft so – nämlich gar nicht. Du hast die Wahl.“ getrieben wurde.Vor allem ärgerte sie, daß SPIEGEL: Hat es geholfen, daß Sie mit vie- die Schwarzen den Vordereingang benut- len Ihrer Künstler erst mal einen tranken? zen durften. Mein Vater antwortete nur: Ertegun: Nicht nur mit den Künstlern – vor „In der Türkei dürfen sogar Bettler vorne allem mit den wichtigen Diskjockeys, die rein“, und wir machten weiter. die Radioprogramme bestückten. Einer SPIEGEL: Wurden Ihnen die ersten Platten von ihnen hieß Bill Drake, und ich muß- auch in die Botschaft gebracht? te mit ihm immer erst mal vier Wasser- Ertegun: Die besorgten wir uns schon selbst. gläser voll Jack Daniels leeren, bevor Oft ging ich in einen Plattenladen in ei- wir über meine Platten reden konnten. nem der schwarzen Viertel der Stadt. Und SPIEGEL: Es gibt das Gerücht, daß da kamen diese Vertretertypen Sie eine spezielle chinesische herein, die sagten: „Wollt ihr Kräutermischung hatten, die die „Der Kerl noch mehr von der Nummer Wirkung des Alkohols dämpfte. konnte nicht 6237?“ Und ich sagte: „6237 – Ertegun: Das war eine Pille, singen, die das ist doch diese -Num- die der Leibarzt von General Texte holperten, mer, auf der Charlie Parker Tschiang Kai-schek entwickelt und seine spielt.“ Musik war für diese Leu- hatte, ein Bekannter aus Taiwan te nur eine Nummer. Also sagte brachte mir die immer hierher Gitarre war ich dem Besitzer, welche Platten mit. Angeblich hilft sie gegen nicht gestimmt“ er bestellen sollte und welche Schnupfen genauso wie gegen besser nicht. Zum Dank hat er Schmerzen bei Amputationen im Krieg – ge- mir dann ein Abendessen geschenkt – und gen alles eben. Ich habe damals in den wilden ich begann zu ahnen: Aus meinem Ge- Zeiten einfach jeden Tag eine genommen. schmack kann man Geld machen. Zur Vorbeugung gegen was auch immer. SPIEGEL: Akzeptieren die Künstler Ihren SPIEGEL: Auch wenn Sie mit manchen Leu- Geschmack? ten gern einen trinken – formal haben Sie Ertegun: Nicht immer. Einer meiner erfolg- stets Distanz gewahrt. Selbst auf Fotos aus reichsten, ich möchte seinen Namen nicht den sechziger Jahren sieht man Sie unter nennen, kam einmal mit vier Stücken in lauter bekifften Hippies im Maßanzug her- mein Büro und sagte völlig begeistert: umstehen. Fühlten Sie sich nie komisch? „Das sind die vier Hits zu meinem neuen Ertegun: Nein, angezogen „out of place“ – Album. Ich habe sie meinen Freunden vor- das stört gar nicht.Aber „out of character“ gespielt, und sie finden’s toll.“ Ich sagte: – das ist eine Katastrophe. „Auf Freunde sollte man sich in solchen SPIEGEL: Können Sie sich als Chef von At- Fragen nie verlassen – das werden niemals lantic Records so etwas wie Charakter auf Hits.“ Am selben Tag war eine Platte in der die Dauer leisten? Sie behaupten ja selbst, Post gewesen, die mir meine Mitarbeiter über zwei Arten des Hörens zu verfügen. zum Amüsieren hochgeschickt hatten, weil Die eine sagt Ihnen, was sie lieben. Die an- sie so unfaßbar schlecht war. Der Kerl dere, was sich verkaufen läßt. konnte nicht singen, die Texte holperten, Ertegun: Atlantic ist ein Laden, den es seit und seine Gitarre war nicht einmal ge- über 50 Jahren gibt – weil er immer viel stimmt. Ich lege also dieses Stück Dreck mehr Geld verdiente, als er verloren hat. auf den Plattenteller und hole zwei SPIEGEL: Das lag auch daran, daß Sie an- Mädchen vom Gang, irgendwelche Se- fangs selbst Hits komponierten, allerdings kretärinnen, und sage: „Das ist die neue gern anonym. War Ihnen das peinlich? Platte von unserem sehr berühmten Künst- Ertegun: Ich kann keine Musik schreiben, ler hier. Wie findet ihr die?“ Und die Se- und spielen kann ich sie auch nicht. Aber kretärinnen sagen: „Toll, wunderbar, Gra- manchmal steckt eine Melodie plötzlich tulation.“ Als sie wieder draußen waren, drin in meinem Kopf. Früher bin ich dann sagte ich zu unserem sehr berühmten Star: immer zum Times Square hinuntergegan- „Verstehst du jetzt, was passiert, wenn ei- gen. Dort stand neben dem Glücksspiel- ner wie du Leute fragt, wie sie deine Plat- automaten eine Plattenmaschine. Ich warf ten finden? Du bekommst alles – nur eine einen Vierteldollar hinein und sang. Nach ehrliche Antwort bekommst du nie.“ ein paar Minuten warf der Automat eine SPIEGEL: Dieser sehr erfolgreiche Künstler kleine Platte heraus. Im Büro haben sie – das muß gewesen sein. dann die Melodie auf Papier geschrieben. Ertegun: Nein, der war es nicht, aber er SPIEGEL: Wie haben Sie die erste Art des hätte es sein können. Hörens gelernt? SPIEGEL: Funktioniert Ihr zweites Ohr auch Ertegun: Mein Vater war der türkische Bot- noch, außer bei sehr erfolgreichen Künst- schafter in Washington. Zusammen mit lern mit sehr berühmten Lippen, wenn es meinem Bruder Nesuhi, der in Paris stu- um moderne Musikstile wie HipHop oder diert und dort viele schwarze Jazzer ken- Techno geht?

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Ertegun: Mit HipHop ein wenig, aber bei Angeles, und hier saßen ein paar völlig Ertegun: Frank benimmt sich manchmal un- Techno, da bin ich komplett im dunkeln. Es versnobte Jazzer herum, die sich Konzer- gezogen. Einmal sah ich den deutschen ist schwer zu erraten, welche Sorte Geräu- te von Debussy anhörten.Also mußten wir Komponisten Bert Kaempfert vor einem sche den Leuten besser gefällt. Aber das denen unsere Musik aufdiktieren, da kam Konzert Schlange stehen. Ich wußte, daß brauche ich auch nicht: Ich bin fast 75 Jah- dann eine komische Melange heraus, ganz Frank oben in seiner Garderobe Fernsehen re alt und habe einen Chef des Musik-De- nett, nur wirklichen Soul hatte das alles schaute, weil dort ein Mädchen, auf das er partments, der ist 30 und hat noch nie von nicht. Bis Ray Charles kam. Ich hörte eine scharf war, auftrat. Ich schleppte Kaempfert, Charles Aznavour gehört. Platte von ihm, und es haute mich um. der Sinatras Hit „Strangers In The Night“ SPIEGEL: Nach einer Krise steht Atlantic SPIEGEL: Sie kauften seinen Vertrag für 3000 geschrieben und Sinatra noch nie getroffen jetzt wieder glänzend da. Mit 750 Millionen Dollar. Hielten Sie das damals für ein hatte, nach oben und stellte ihn vor. Sina- Dollar Umsatz ist das Unternehmen eine großes Risiko? tra starrte weiter auf den Bildschirm und der erfolgreichsten Plattenfirmen der Welt. Ertegun: Wenn man jemanden hört, der so sagte: „Nice to meet you – ich habe gerade Was sind die Gründe für das Comeback? gut ist, dann ist es völlig egal, was andere zu tun.“ Aber Kaempfert hat das gefallen. Ertegun: Glück. Leute sagen. Jemand, der so gut ist, gehört SPIEGEL: Wie konnten Sie sich, auch mit SPIEGEL: Nach 50 Jahren im Geschäft sagen unter Vertrag. Sonst hat man in diesem Ge- wenig Geld, schon damals im Rolls-Royce Sie, daß Glück der wichtigste Faktor ist? schäft nichts verloren. vorfahren lassen? Ertegun: Glück spielt die größte SPIEGEL: Gibt es Leute, die Sie Ertegun: Meine damalige Freundin, ein Top- Rolle überhaupt. Jahrelang ha- sich nicht leisten konnten? model aus Kalifornien, hatte in meinem ben wir unseren Laden inner- „Wären die Ertegun: Elvis hätten wir damals, Aston Martin bei 90 Meilen pro Stunde den halb des Hauses nur „Lucky Re- Beatles zu uns in den fünfziger Jahren, gern ge- Rückwärtsgang eingelegt, und da die Aston- cords“ genannt. gekommen – habt, und wir boten ihm 25000 Martin-Händler gute Freunde von mir wa- SPIEGEL: War auch Glück dabei, ich glaube, Dollar, aber sein Manager Colo- ren, konnte ich sie überreden, mir anstatt als Sie es schafften, Ende der Vier- sie wären nel Parker wollte 45000. Soviel des ruinierten Aston einen vier Jahre alten ziger als erster mit schwarzer Mu- hatten wir nicht. Anfang der Rolls-Royce zu überlassen. Als Chauffeur sik ein größeres weißes Publikum heute noch Sechziger suchten die Beatles nahm ich einen 78jährigen Ex-Polizisten zu erobern und so die Grundlage zusammen“ jemanden, der sie in Amerika namens Frank – er bekam eine schwarze für den Rock’n’Roll zu legen? vertreten sollte, und mein An- Mütze, 75 Cents pro Stunde –, der hatte Ertegun: Es war eine Art Unfall. Ich weiß walt, der damals die Verhandlungen führ- vier Söhne, die auch alle Polizisten waren, nur noch, daß wir in New York saßen und te, kann mir bis heute nicht erklären, war- und so konnten wir ab sofort auf New Yorks kein Geld hatten, um Platten woanders um es damals nichts wurde.Wären die Be- Straßen tun und lassen, was wir wollten. aufzunehmen. Die schwarzen Blues-Sän- atles zu uns gekommen – ich glaube, sie SPIEGEL: Ihr Haarausfall setzte schon sehr ger aus den Südstaaten waren nach Chica- wären heute noch zusammen. früh ein.Woher hatten Sie trotzdem nie ver- go gezogen. Die aus Texas waren in Los SPIEGEL: Frank Sinatra wollten Sie nie? siegenden Nachschub an schönen Models? im Limousinenverleih auch einen Bus hät- ten. „Ja“, hieß es, „für drei Dollar pro Stunde.“ Ich ließ mich mit diesem Bus ins Büro und auf Cocktail-Partys fahren, und es war Platz für alle.Auf einer Party las ich ein paar traurige Vögel auf, einer spielte Akkordeon und war Italiener; einer spiel- te Geige und war Grieche; und woher der dritte kam, habe ich vergessen, er spielte Gitarre. Ich kaufte jedem einen Smoking und stellte sie fest an, für den Bus. Ich rich- tete eine Bar ein, Champagner, freie Drinks – ein großer Irrsinn. SPIEGEL: Mitte der sechziger Jahre be- gannen Sie, neben Ihren Soul- und Rhythm’n’Blues-Stars große weiße Rock- bands wie die Rolling Stones zu umwer- ben. Ahnten Sie, daß das solche Bands waren, die bald Fußballstadien füllen konnten und aus einem hübschen, kleinen Plattenlabel ein Milliardenunternehmen

M. A. NORCIA / GLOBE PHOTOS M. A. NORCIA / GLOBE machen würden? Freunde Beckenbauer, Ertegun (1978): „Ich wußte, wie man mit schwierigen Typen umgeht“ Ertegun: Die Rhythm’n’Blues-Szene war einfach zu gefährlich geworden, die Disk- Ertegun: Es gibt drei Dinge, die jedes SPIEGEL: Irgendwann fuhren Sie mit Ihren jockeys wurden von der Mafia bestochen. Mädchen gern hat. Nummer eins: Macht Mädchen nur noch in einem Greyhound- Und auf einmal kamen diese dünnen und Geld. Die hatte ich nicht wirklich. Bus durch Manhattan. weißen Jungs aus England daher, die Nummer zwei: Gut aussehen – das war Ertegun: Wieder ein Unfall.Wir hatten eine Beatles, die Who, die Rolling Stones. Wir auch nicht meine Sache. Nummer drei: kleine Party im Hotel Algonquin, und ein engagierten also einen Talentsucher in Spaß. Wenn es einem gelingt, ein Mäd- Model mußte zum Flughafen, zurück nach London, der hieß Robert Stigwood, wurde chen zum Lachen zu bringen, then you Kalifornien. Auf einmal wollten alle zum später mit dem Film „Saturday Night Fe- have her. Mädchen wollen nicht wei- Flughafen, und als ich ein paar Limousinen ver“ selbst ein kleiner Hollywood-Tycoon nen. bestellte, fragte ich im Scherz, ob sie dort – nur damals schleppte er nur Mist an. Kultur

SPIEGEL: Warum feuerten Sie ihn nicht? Ertegun: Franz Beckenbauer war bereits Ertegun: Er hatte Glück. Ich gab in London ein vollendeter Gentleman auf dem Spiel- eine Party für unseren Soul-Star Wilson feld. Ob einer ein Gentleman ist, das hat Pickett in einer Bar namens „The Scotch of mit Geld überhaupt nichts zu tun. Ich kann St. James“. Ich nahm mit Wilson einen Ihnen jede Menge reiche, rohe Kerle zei- Drink an der Bar, und da höre ich diese un- gen. Ein Gentleman wird einer nicht, weil glaubliche Gitarrenmusik, so, als spiele da sein Vater ein König ist, sondern weil er Gott persönlich. Ich sage zu Wilson: „Jun- echten Respekt hat vor anderen Leuten ge, eins steht fest. Dein Gitarrist kann den und eine unauffällige Art der Demut dazu. Blues spielen.“ Und Wilson schaut mich SPIEGEL: Wie ist Beckenbauer mit Amerika an und sagt: „Mein Gitarrist trinkt gerade zurechtgekommen? einen an der Bar.“ Ich drehe mich also um Ertegun: Oh, am Anfang war es nicht leicht. und sehe auf der Bühne einen Jungen mit Ich lieh ihn gleich nach seiner Ankunft für geschlossenen Augen und einem Gesicht einen Zehn-Minuten-Einsatz nach Fort Lau- rein wie ein Engel. Ich rufe Stiggie zu, so derdale, Florida, aus, weil deren Manager hieß Stigwood damals: „Das ist die Art mich anbettelte und meinte, dann kämen Musik, die wir brauchen, gib ihm dreimal soviel Zuschauer. Ich sit- einen Vertrag.“ Der Junge war ze also zu Hause in meinem 18 Jahre alt und hieß Eric „Mick und Fernsehsessel und schaue mir das Clapton. Keith sprechen Spiel an, als Beckenbauer mit SPIEGEL: Sie hatten Riesenerfolg. wegen irgend- dem Ball aufs Tor zurennt und Warum haben Sie dann Ihre Fir- eines Blödsinns auf einmal stehenbleibt und ma Ende der sechziger Jahre an manchmal nicht mehr weiterläuft. Ich dach- Warner verkauft? Jahre nicht te: „O Gott, jetzt hat er einen Ertegun: Mein Bruder und Jerry Herzinfarkt.“ Als er wieder in Wexler, denen der Laden mit miteinander“ New York war, fragte ich Franz, gehörte, wollten Sicherheit. Wir was los war. Er sagte: „Wissen nannten uns immer noch „Lucky Re- Sie, Ahmet, ich lief mit dem Ball aufs Tor cords“, und wir hatten Angst, daß sich das zu, und das ganze Spiel über hatte der Sta- Glück einmal ändern könnte. Außerdem dionsprecher die Regeln laut erklärt, und es bot man uns Konditionen, zu denen wir hatte mir nichts ausgemacht.Aber jetzt hör- nicht nein sagen konnten. Niemand mach- te ich auf einmal: ,Da läuft Franz Becken- te uns Vorschriften, es blieb alles beim al- bauer. Und vergessen Sie nicht, der einzi- ten, nur daß wir jetzt auch noch einen Fir- ge, der den Ball mit der Hand berühren menjet hatten. Wir kamen gerade zurück darf, ist der Torwart.‘ Wissen Sie, Ahmet, von der Fußballweltmeisterschaft 1970 in das war der Augenblick, wo ich stehenblieb Mexiko, und da fragte er, was er noch Gu- und nachdachte, ob es richtig war, nach tes für uns tun könne. Mein Bruder Nesu- Amerika zu kommen.“ hi sagte, er hätte gern eine Fußballmann- SPIEGEL: Warum ist Beckenbauer geblie- schaft, und so kamen wir zu Cosmos New ben? York. Nur Gott weiß, wieviel Warner damit Ertegun: Wir saßen wenig später in einem verloren hat, aber Nesuhi und ich, wir hat- Restaurant in . Herein kam ten eine großartige Zeit. Woody Allen. Und noch ehe ich Franz vor- SPIEGEL: Woher kam diese Obsession für stellen konnte, schrie Woody strahlend Fußball? durchs Lokal: „Franz Beckenbauer!“ Da Ertegun: Oh, aus Bern. Bevor mein Vater wußte Franz, daß er angekommen war. nach Washington berufen wurde, waren SPIEGEL: Als Sie Anfang der Siebziger die wir in Bern, London und Paris. In Bern Rolling Stones unter Vertrag nahmen, war spielten mein Bruder und ich im Garten Mick Jagger sehr von Ihnen beeindruckt. der Botschaft gegen die zwei Söhne des Besonders muß ihm gefallen haben, daß Schweizer Bundespräsidenten Jean-Marie Sie während der Verhandlungen in einem Musy – Türkei gegen die Schweiz –, und da- Rockclub in nach Unmengen nach lasen wir zusammen den „Kicker“. von Bourbon am Tisch eingeschlafen sind. SPIEGEL: Zu Cosmos lockten Sie die al- Ertegun: Mick mag eben keine Leute, die ternde Elite des damaligen Weltfußballs: Druck machen. Außerdem wollte er da- Pelé, Beckenbauer und Cruyff. War das mals auf ein hippes Label, am liebsten auf schwierig? ein kleines Funk-Label namens „Excello“. Ertegun: Nein, ich war ja Rock’n’Roll-Stars Wir waren dann das, was am nächsten lag, gewohnt. Ich wußte, wie man mit schwie- und konnten ihm trotzdem noch fünf Mil- rigen Typen umgeht. Cruyff spielte zweimal lionen Dollar zahlen. für uns, dann stellten wir fest: Wir werden SPIEGEL: Bald darauf hatte er die Nase voll zu gut. Es macht keinen Spaß mehr. Laßt vom wilden Rock’n’Roll-Leben. Er wollte ihn uns nach Los Angeles schicken. ein Gentleman des Jet-set sein – so wie Sie. SPIEGEL: Wieviel haben Sie für Becken- Ertegun: Mick und ich – wir waren wie Brü- bauer bezahlt? der. Er kannte schon vor mir viele Maler Ertegun: Sieben oder acht Millionen Dollar und Geldmenschen, die absolut nichts mit für die Ablöse und zwei Jahre Gehalt. Musik zu tun hatten. Er ist sehr sophisti- SPIEGEL: Brachten Sie dem Jungen aus Gie- cated, er liest Bücher und spricht sogar sing die Manieren der Großstadt bei? Französisch.Wir waren zusammen bei vie-

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Jet-set-Trio Bianca Jagger, Ehemann Mick, Ertegun (Anfang der siebziger Jahre): „Er ist sehr sophisticated“ len Olympischen Spielen und Fußballwelt- Art zu singen und die Art zu spielen. Seine mir Atlantic zwar nicht mehr, aber es ist im- meisterschaften. ersten Platten mit dem King Oliver Orche- mer noch mein Laden. SPIEGEL: Lernte er nicht durch Ihren Ein- stra beweisen es, man muß es sich immer SPIEGEL: Als ein Mann, der noch fast jede fluß, seinen drogensüchtigen Rebellen- wieder anhören. Das King Oliver Orchestra Nacht unterwegs ist, fällt Ihnen das Älter- freund Keith Richards abzulehnen? war eines der besten Orchester in New Or- werden leicht? Ertegun: Mick und Keith sind seit ihrer leans, aber der Rhythmus plätscherte so vor Ertegun: Natürlich bin ich heute nicht mehr Schulzeit Freunde. Niemand kann zwi- sich hin, bis kommt: Er so oft auf wilden Partys, wo sich die Mäd- schen ihnen stehen. Das erlauben sie nicht. spielt nur ein paar Phrasen – aber das ganze chen ausziehen. Es gibt ohnehin nur zwei Aber wie bei vielen alten Freunden spre- Ding hebt ab wie eine 747. Das ist lange Möglichkeiten: Älterwerden oder sich er- chen sie wegen irgendeines Blödsinns her. Aber es gibt zwei Genies, die noch le- schießen.Aber Älterwerden heißt nicht Re- manchmal jahrelang nicht miteinander. ben: Ray Charles und Aretha Franklin. signieren. Vor zehn Jahren war ich auf ei- SPIEGEL: Sie haben über die Jahre sicher SPIEGEL: Tut es Ihnen manchmal leid, daß nem Klassentreffen in Washington, und sie- mehr als genug Konzerte der Band gese- Sie Ihre Firma Ende der sechziger Jahre he da, alle anderen lebten schon als Rent- hen. Schauen Sie heute noch vorbei, wenn verkauft haben? ner. Sie waren alt, alt, alt, verheiratet mit die Stones auf Tournee gehen? Ertegun: Nein, ich habe etwas gegen Reue sehr alten Frauen, die wie Großmütter aus- Ertegun: Natürlich. Vor ein paar Jahren als solche. Was immer passiert ist, man sahen. Man redete nur noch über die Ver- habe ich den Ballett-Superstar Baryschni- kann es nicht mehr ändern. Nichts lang- gangenheit: „Oh, ich war einmal ein Dok- kow mitgenommen, und er war nach der weilt mich mehr, als Leuten zuzuhören, tor, habe aber vor zehn Jahren aufgehört Show ganz still, bis er gesagt hat: „Auf die- die mir erzählen: „Oh, wenn mein Vater zu arbeiten. Wir leben jetzt in Florida.“ ser Welt können nur zwei Menschen so damals beim Börsencrash nicht soviel Geld SPIEGEL: Und da waren Sie stolz auf sich tanzen. Der eine ist Baryschnikow, und der verloren hätte, dann könnte ich …“ Das ist und Ihre schöne Frau Mica … andere ist Mick Jagger.“ nicht interessant.Wenn wir den Laden da- Ertegun: … nein, die anderen taten mir ein SPIEGEL: Nach 50 Jahren im Geschäft sind mals nicht verkauft hätten, wer weiß? Viel- wenig leid. Wissen Sie, die sind immer in Sie zu der Erkenntnis gekommen, daß Sie leicht wären wir jetzt bankrott. So gehört Washington geblieben. Sie gingen auf teu- viele große Künstler herausge- re Schulen, ihre Eltern hatten Geld, sie bracht haben, aber kein Genie. machten Karriere als Ärzte oder Anwälte, Genies, haben Sie gesagt, gab es aber große Abenteuer haben sie nicht er- in diesem Jahrhundert nur zwei: lebt. Die sind alle in ihrer Welt geblieben. Picasso und Louis Armstrong. SPIEGEL: Und Sie? Ertegun: Picasso hat uns die Mo- Ertegun: Ich wollte raus. Das war schon da- derne geschenkt, er hat das ge- mals klar, als wir alle 15 oder 16 Jahre alt samte Konzept der Kunst ver- waren und die mir dauernd erzählten, wie ändert. Und Louis Armstrong unglaublich toll Glenn Miller sei. Ich hab’ brachte der Welt das Konzept schon damals den Kopf geschüttelt und ge- des Swing. Er veränderte die sagt: „Freunde, alles schön und gut, aber please, darf ich jetzt endlich richtige Musik für euch spielen?“ * Mit Redakteur Thomas Hüetlin und Mit- arbeiter Christoph Dallach in seinem New A. SAHIHI SPIEGEL: Mr. Ertegun, wir danken Ihnen für Yorker Büro. Ertegun beim SPIEGEL-Gespräch*: „Ich wollte raus“ dieses Gespräch.

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