Quelle Birgit Dalbajewa: «Für die soziale Idee begeistert». Junge Dresdner Künstler in der zeitgenössischen Rezeption um 1925 in: Neue Sachlichkeit in . Malerei der Zwanziger Jahre von Dix bis Querner, Ausst.-Kat. Dresden, Dresden: Sand- stein-Verlag, 2011, S. 88–97, ISBN 978-3-942422-57-4.

Wir danken der Autorin sowie dem Sandstein-Verlag (Dresden) für die freundliche Unterstützung und die Erlaubnis, diesen Text hier veröffentlichen zu können.

Birgit Dalbajewa Nachdem Ende 1922 Dresden verlas­ Ein in Dresden wirksames weiteres Resultat des sen hatte, kamen zum Kreis seiner vormaligen Kongresses war die Gründung der »Roten Grup­ »Für die soziale Idee Kommilitonen um und Eugen Hoff­ pe«, einer Vereinigung von in der KPD organi­ mann, die sich in den Ateliers der Kunstakade­ sierten Künstlern und Mitarbeitern der satirischen begeistert«. Junge mie am Antonsplatz getroffen hatten und seit Zeitschrift »Der Knüppel«, zumeist vormalige Mit­ Dresdner Künstler in 1919/20 gemeinsam aktiv waren, jüngere Künst­ glieder der »Novembergruppe«.5 Sie waren in ler hinzu. Meist stammten sie aus proletarischem Opposition zu letzterer gegangen, da diese sich der zeitgenössischen Milieu und hatten eine gebrauchskünstlerische ihrer Meinung nach weg vom »radikalen Künst­ Rezeption um 1925 Lehre durchlaufen. So hatte zum Beispiel der ler« – »auf dem fruchtbaren Boden der Revoluti­ 1899 geborene keinen Kriegs­ on« – »in die bessere Klasse der Bourgeoiskünst­ dienst mehr leisten müssen, sondern während ler« zu erheben suchte. 6 Vorsitzender der neu des Krieges eine Lehre absolviert und war auf­ gegründeten »Roten Gruppe« war , grund einer im Zuge der Nachkriegsreformen John Heartfield fungierte als Schriftführer, zu den eingerichteten Förderung 1921 sehr schnell in Dresdner Mitgliedern gehörten Griebel, Hoff­ eine Meisterklasse aufgenommen worden. Fried­ mann, Johansson und Lachnit, Max Busyn, Con­ rich (Fritz) Skade, der in den letzten beiden Kriegs­ rad Felixmüller, Wilhelm Rudolph und Oskar jahren noch Soldat war, kam 1922 an die Aka­ Trepte. Weitere Mitglieder oder unter dem Dach demie. , der 1923 folgte, hatte der »Roten Gruppe« ausstellende Künstler wa­ bereits während seiner Zeit an der Kunstgewer­ ren unter anderen Dix, Hein­rich Maria Davring­ beakademie Dix’ Ausstellungen intensiv wahr­ hausen, Otto Nagel, Rudolf Schlichter, Franz genommen.1 Wilhelm Seiwert und Karl Völker.7 Die Aufzählung Die im Vergleich zu Dix etwa zehn Jahre jün­ zeigt, welche Kontakte und Querverbindungen geren Künstler bewegten sich im Kreis der links­ zwischen den verschiedenen deutschen Zent­ orientierten Kollegen der »Dresdner Sezession ren des Verismus bzw. der Neuen Sachlichkeit – Gruppe 1919«, verfolgten ähnliche politische bestanden haben. Das in der »Roten Fahne« Interessen und wuchsen »in den sich soeben 1924 veröffentlichte Manifest der Gruppe be­ entwickelten Verismus hinein.« 2 Von 1923 an schrieb die Maler als »durchdrungen von dem benutzten Griebel, Hoffmann und Lachnit zudem Bewußtsein, daß ein guter Kommunist in erster ein Gemeinschaftsatelier in der Zirkusstraße in Linie Kommunist und dann erst Facharbeiter, Dresden. Da Grundig, Lachnit und Skade be­ Künstler usw. ist; daß alle Kenntnisse und Fähig­ reits als Studenten bzw. Absolventen ausstell­ keiten ihm nur Werkzeuge sind im Dienste des ten, wurde dieser weltanschaulich, künstlerisch Klassenkampfes« – ein Motto, das für Leben und freundschaftlich verbundene Künstlerkreis und Werk der Künstler spätestens dann galt, als solcher ab 1925 auch von der Öffentlichkeit wenn sie Mitglieder der KPD geworden waren: wahrgenommen. Griebel 1919, Hoffmann 1923, Lachnit 1925 und Grundig 1926. Das »Arbeitsprogramm zur ver­ stärkten Wirksammachung der kommunistischen Die Dresdner Mitglieder Propaganda« der »Roten Gruppe« umfasste un­ der »Roten Gruppe« ter anderem ideologische und praktische Erzie­ hungsarbeit mit Zielen wie »Zersetzungs- bezie­ Im November 1923, die Inflation in Deutschland hungsweise Neutralisierungs­arbeit unter den war mit der Ausgabe der Rentenmark gerade bürgerlichen Künstlern« oder »Ausnützung bür­ gestoppt worden, fand in Weimar ein Kongress gerlicher Kunstausstellungen für Propaganda­ der – infolge der Hungersnöte an der Wolga zwecke«. gegründeten – Internationalen Arbeiterhilfe statt. Diese aktive politische Tätigkeit hatte für die Aus Dresden nahmen Otto Griebel und der eben­ öffentliche Aufnahme der Künstler zur Zeit ihres falls an der Dresdner Akademie ausgebildete, Bekanntwerdens von 1925 an offenbar keine aktive Kommunist Eric Johansson (Abb. 1) teil.3 vordergründig negativen Auswirkungen. In den Infolge dieses Kongresses wurde 1924 unter Kunstzeitschriften und der Ausstellungsbericht­ anderem der Beschluss zur Organisation der erstattung in der Tagespresse wurde zwar von »1. Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung« »kommunistischer Tendenzkunst« oder »Arme­ in Moskau, Berlin und Saratow gefasst, an der aus leutemalerei« gesprochen, allerdings entstand 13 deutschen Künstlervereinigungen 126 Künst­ dazu keine vertiefende Debatte. Erörtert wurden ler beteiligt waren, darunter auch Dix, Grundig, neben Fragen der sozialen Verhältnisse für jun­ Johansson, Lachnit, Edmund Kesting und Chris­ ge Künstler und deren Herkunft vorrangig künst­ toph Voll. Eine sowjetrussische Rezension be­ lerische Qualitätsmaßstäbe, die Funktion von schrieb die gezeigten Werke des Verismus kri­ erzählerischen und illustrativen Elementen, das tisch als eine »möchte-gern-satirische Grimasse«, Verhältnis zur Wirklichkeit oder die handwerkli­ in der sich »revolutionäre Pathetik und formale che Qualität. Vorrangig wurden Griebels Werke Verfeinerung« vereinten. 4 – und auch das nicht durchgängig – als provo­ kativ empfunden. Wenn sich zwischen Duldung

88 Abb. 1 Eric Johansson Heldentat | 1920 | Aquarell auf Karton | 36,5 × 26,5 cm | Privatbesitz

1 Im Folgenden wird zugunsten einer übersichtlichen Dar­ stellung bevorzugt auf Lachnit, Grundig und Skade einge­ gangen, ergänzende Informationen zu Griebel, Böhme, Heck­ rott, Hoffmann, Kretzschmar, Trepte u. a. bieten die Künst­ lertexte ab S. 172. 2 Schmidt 1976, S. 219. 3 Vgl. ebd., S. 220. 4 A. A. Sidorov, Die Bildenden Künste 1924 – 25. 9 und Interesse an Neuem auch recht unterschied­ Malerei und 1928 für dekorative Malerei. Ma­ UdSSR und Deutschland, in: Bulletin der staatlichen Aka­ liche Wertungen in den liberalen oder konser­ teriell unterschieden sich die Arbeitsbedingun­ demie der Kunstwissenschaften, Nr. 1, 1925; zit. nach »Wem gehört die Welt«. Kunst und Gesellschaft der Weima­ vativen Tageszeitungen und Kunstzeitschriften gen für die noch studierenden bzw. am Beginn rer Republik, 3. überarb. Aufl., Berlin 1977, S. 245 (freund­ ablesen lassen, so kannten die Kunstkritik und ihres Schaffens stehenden Künstler, die aus licher Hinweis von Matthias Müller). 5 Die Novembergrup­ der Kunstbetrieb der zweiten Hälfte der 1920er einfachen Verhältnissen stammten, allerdings pe war eine 1918 in Berlin gegründete Künstlervereinigung mit mindestens 120 bis 170 Mitgliedern, die laut Manifest Jahre demnach kaum politisch motivierte Sank­ sehr von jenen, die auf elterliche Unterstützung »Revolutionäre des Geistes – Expressionisten, Kubisten und tionen oder Ausgrenzungen. 8 Eine Kommunis­ zurückgreifen konnten. Nicht wenige Künstler Fu­turisten« zusammenführte (bis 1935). 6 Offener Brief tenfeindlichkeit der Kunstkritik, wie sie ab 1930 mussten, wie Grundig, ihr Studium unterbre­ an die Novembergruppe, in: Die Gegner II/8 – 9, 1920/21; zit. nach Schneede 1986, S. 103 f. 7 Zit. nach ebd., S. 114; oder in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts chen, um einem Broterwerb nachzugehen, oder vgl. auch AK Berlin 1978/79, S. 154; Manfred Scholze, in anderen Bereichen immer stärker spürbar lebten nach Studienabschluss von der Fürsor­ Zeittafel, in: AK Dresden 1980/81, S. 344. Eine fundierte wurde, ist nicht nachweisbar. ge. 10 Im Kunstbetrieb zwischen Hyperinflation Untersuchung zur »Roten Gruppe« steht noch aus. 8 Aus­ gangsthese für diesen Aufsatz war die Vermutung, dass Ausstellungsbeteiligungen in renommierten und Weltwirtschaftskrise gab es zahlreiche Zu­ Ausstellungen junger bekennender Kommunisten – ähnlich Dresdner Vereinigungen und Galerien für zeit­ sammenschlüsse und öffentliche Förderungen wie Hartlaub u. a. in Reaktion auf den Kunsthändler Goltz den Anteil kritischer Kunst für die Mannheimer Ausstellung genössische Kunst bedeuteten frühe Erfolge der sowie Stiftungen oder Suppenküchen etc. zur 1925 reduzierte – vor allem an den »Rändern« in Zwickau Künstler. Daneben erhielt beispielsweise Lach­­nit Unterstützung Not leidender Künstler. 1926 oder im Ausland, so in Moskau 1924 und 1929 in 1923 zum erfolgreichen Studienabschluss eine 1924 stellten Mitglieder der Dresdner Abteilung Amsterdam, möglich waren, was sich als falsch erwies. Zu den Ursachen vgl. S. 96 f. 9 AK Berlin 1978/79, S. 84. Geldprämie, Grundig 1928 den Hermann-Ilgen- der »Roten Gruppe« gemeinsam mit der Künstler­ 10 Hans Grundig, Autograph, in: Weber/Frommhold 2001, Preis, Skade 1927 den Staatspreis für figürliche gruppe »Die Schaffenden« (auch »Schaffende«) S. 136.

89 Abb. 2 Friedrich Skade Mädchenbildnis | um 1925 | Bleistift | 59 × 45,5 cm | Städtische Sammlungen Freital, Inv.-Nr. V/87/583/K in den Schauräumen des Sächsischen Kunst­ vereins aus. 11 »Das Kunstblatt« meldete: »Auf der Brühlschen Terrasse stellt eine aus wirt­ schaftlicher Not gebildete Gemeinschaft von jungen Künstlern ›Wir schaffen für Euch‹ aus: Eugen Hoffmann, der Plastiker der großen fetten Weiber, Otto Meister, der sich um religiöse The­ men etwa in der Art Meidners bemüht, Oskar Treph [sic! = Trepte], ein sehr stiller Maler. Er geht zärtlich um mit jedem bunten Fleck, jeder kleinen Furche in der grauen Welt der Hinterhö­ fe, die er darstellt, nach, Otto Griebel und Wil­ helm Lachnit, zwei Maler aus der Richtung Dix, Erich Johannson [sic!], der in kommunistischen Tendenzbildern sein Talent unwirksam verwen­ det, Erich Fenap [= wohl Fraaß], Georg Kind und andere.« 12 Die Gruppe »Schaffende« (darunter Fraaß, Kind, Meister, Rudolph und Karl Kröner) konnte in den »geheiligten Hallen« 13 des Sächsi­ schen Kunstvereins bereits seit 1920 ihre Wer­ ke zeigen, die »Dresdner Sezession – Gruppe 1919«, zu deren jüngsten Mitgliedern nach Lach­ nit auch Franz Lenk und Fritz Tröger zählten, hin­ gegen erst ab 1924. Von Otto Dix wurde trotz seiner Austrittserklä­ Abb. 3 Frühe Ausstellungsmöglichkeiten hatte 1924 rung aus der Gruppe das Familienbild des Rechts­ Friedrich Skade Schüler und Mädchen (Vor der Stadt) | unter anderem für Lachnit und Skade in Berlin anwalts Fritz Glaser (Abb. S. 196) gezeigt, der 1925/26 | Technik, Maße und Standort unbekannt | die »Juryfreie Kunstschau« im Landesausstel­ wichtigste unter den wenigen Dresdner Samm­ Repro aus: Das Kunstblatt 10:1926, S. 261 lungsgebäude am Lehrter Bahnhof geboten. Die lern, die ab 1922 explizit sozialkritische Kunst Zeichnungen des gerade einmal 25-jährigen erwarben. 15 In Dix’ Werk markiert dieses Gemäl­ Skade fanden im selben Jahr bereits Beachtung de eine Zäsur in der Entwicklung der Neuen in einer Ausstellung im Dresdner »Graphischen Sachlichkeit: Es steht für den Beginn einer ver­ Kabinett« von . Ein besonders leb­ feinerten Maltechnik nach dem Vorbild der Alten haftes Interesse für die jungen Kunststudenten, Meister. Otto Griebel war mit dem weniger pro­ die Dix’ Verismus folgten, sollte ab 1925 einset­ vokativen »Zirkusbild« (Abb. S. 215) und sechs zen. Bereits Dix hatte unter viel Beachtung als Aquarellen vertreten, Fritz Skade mit fünf Ge­ Student ausgestellt; nun wurden von dem auf mälden. Die Katalogabbildung von Skades Ge­ Neues begierigen Kunstbetrieb noch jüngere mälde »Mädchen im Hemd« (Abb. S. 301) ist Studenten zu den Protagonisten der Neuen Sach­ eines der wenigen Zeugnisse, die einen Ein­ lichkeit erhoben. Ein Phänomen, das in Dresden druck von seiner karikaturistisch zugespitzten, bis Anfang der 1930er Jahre aktuell blieb. in der Modellierung mit harten Schatten ange­ 11 In der Sekundärliteratur, zum Beispiel AK Dresden 1980/81, S. 344, wird diese Ausstellung auch als reine legten Malerei vermitteln. Es steht zugleich für Präsentation der Roten Gruppe unter diesem Titel ausge­ die thematische und stilistische Verarbeitung wiesen, genauere Angaben hierzu fehlen bislang noch. von Dix’ Werk vor allem der Jahre von 1920 bis 12 H. G - - tt. (höchstwahrscheinlich ), Ausstellungen. Dresden, in: Das Kunstblatt 8:1924, S. 61. Sächsischer Kunstverein 1925: 1922. Im Jahr zuvor waren Skades kaum über­ – Ein herzlicher Dank gilt Kati Renner für die Auswertung die »Dixisten« lieferte Gemälde wie folgt beschrieben worden: ausgewählter zeitgenössischer Kunstzeitschriften und Ta­ geszeitungen, die sie für ihre im Rahmen des Forschungs­ »Alles Dingliche ist gemalte Zeichnung. Die projekts zur »Neuen Sachlichkeit in Dresden« angesiedelte Nachdem zuvor einzelne Werke des Verismus Men­schen dazwischen sind verwischt, von der Magisterarbeit (TU Dresden) unternahm und zur Verfügung bzw. der Neuen Sachlichkeit in den Räumen des Palette aus entstanden, nicht zwingend.« 16 Die stellte. 13 Brunhilde Köhler, Geschichte des Sächsischen Kunstvereins. 1828 – 1946, Dresden 1994, S. 95. 14 Unter Kunstvereins – der Dresdens kunstinteressier­ Zeichnungen von Skade hingegen fanden ein­ dem Dach der Kunstgenossenschaft stellten neben den tes Bürgertum repräsentierte – zu sehen waren, deutig positive Aufnahme. In der Rubrik »Neue älteren u. a. Künstler aus, die stärker von spätimpressionis­ folgte im Sommer 1925 auf der Brühlschen Ter­ Künstler«, in der die »noch nicht arrivierte Jugend« tisch und expressionistisch geprägten Positionen ausgingen – wie Eric Johansson, Hans Jüchser, Irena Rüther-Rabinowicz rasse eine wichtige Präsentation: Die Kunstge­ zu Worte kommen sollte, beschrieb Grohmann –, oder von spätimpressionistisch-akademisch bis natura­ nossenschaft stellte gemeinsam mit der von ihr den Facettenreichtum dieser Arbeiten: »von der listisch orientierten Spielarten, wie Karl Hahn oder Walter abgespaltenen »Dresdner Sezession – Gruppe silberstiftzarten Umrisslinie eines Mädchenkör­ Gasch. In der »Neuen Gruppe« waren Künstler vereint, die dem Vorbild der Alten Meister, der Heimatkunst bzw. des 1919« sowie der »Neuen Gruppe 1925« aus. Zu pers bis zur brutal wahren, den Tastsinn reizen­ Naturalismus des 19. Jahrhunderts verpflichtet waren, wie allen drei Vereinigungen gehörten Künstler, die den Vollzeichnung mit Kohle und Fettkreide.« 17 Karl Hanusch, Hermann Lange, Erich Ockert, Georg Siebert, Wolfgang Willrich sowie die Lehrergeneration mit Richard von der Neuen Sachlichkeit nicht ganz unbe­ Vorbildlich für einen Zeichenstil, der neben Guhr, Georg Lührig und Richard Müller. 15 Vgl. dazu AK 14 eindruckt waren oder bleiben sollten. Die ei­ Skade eine ganze Gruppe von Künstlern nach­ Dresden 2006/07. 16 Will Grohmann, Ausstellungen. gentliche Manifestation des kritischen, jungen haltig prägte, waren vor allem Dix’ um 1921 ent­ Dresdner Ausstellungen. Erfurth: Skade und Heuer, in: Der Cicerone 16:1924, S. 1029 f., hier S. 1029. 17 Will Groh­ Dresdner Verismus aber fand in den Reihen der standene Zeichnungen (Abb. 2, 4). Neben Hans mann, Fritz Skade, in: Der Cicerone 17:1925, S. 96 f., hier »Dresdner Sezession – Gruppe 1919« statt. und etwas später , Lachnit und Ska­ S. 97.

91 Lachnit sind hier ausgenommen) umgreifen, ist ungefähr der eines stumpfen (es gibt aber auch sehr viele andre) Fabrikarbeiters: Wochentags Klassenhaß und Sonntags die sogenannte Lie­ be (soweit man grobe Sexualität als Liebe be­ zeichnen kann).« 19 »Das Grüppchen-Unwesen«, das die Ausstel­ lung des Kunstvereins von 1925 kennzeichnete, wurde von der in Leipzig ansässigen »Kunst­ chronik« mit der Bemerkung kommentiert: »Von den beiden Polen des Neuen, dem Verismus und dem Klassizismus, ist, weil der Sachse stets mehr zum Kritischen als zum Heroischen neigt, nur der erstere in Dresden vertreten, hat hier aber bereits auffallend viele begabte Anhänger, in Griebel, Lachnit, Skade, Tröger und Grundig.« 20 Busyn, Lenk und Hoffmann, Moritz Gross­ mann, Wilhelm Heckrott, Constantin von Mit­ schke-Collande, , Tröger und Voll gehörten mit wesentlichen Beiträgen auf dieser Ausstellung gleichermaßen zu jenen Künstlern, die das Bild einer von der Zeitströmung der Neuen Sachlichkeit erfassten, »begabten jungen Generation« bestimmten. 21 Während sich Dix und Felixmüller nach 1924 stärker privaten Themen widmeten und Fragen der technischen Brillanz große Aufmerksamkeit schenkten, bildete Sozialkritik namentlich für Grun­dig und Lachnit gerade um 1925/26 den zentralen Beweggrund ihres Schaffens. Hans Grundig beklagte das Schwinden dieser Thema­ tik aus Dix’ Bildern. 22 1926, als Dix’ Berufung zum Professor im Gange war, formulierte er, seinen Akademieabschluss reflektierend: »Selbst wenn Dix da ist, was brauch ich ihn. Ich weiß, was ich will und komme immer mehr zu der Erkenntnis,

Abb. 4 daß die Akademie im günstigsten Fall nur zur Otto Dix de gilt dies auch für Gerhard Böhme (Abb. 5). Erzeugung von mittelmäßigen Talenten dient.« 23 Schwangere | 1921 | Bleistift | 60 × 46,4 cm | Charakteristisch sind die noch aus dem Primi­ti­ Die allgemeine Beruhigung in der Schärfe veris­ Privatbesitz vismus der Expressionisten gespeisten Ver­kürzun­ tischer Ansätze und eine Verstärkung neuroman­ gen der Figuren ebenso wie eine konturbetonte­ tischer Tendenzen zum Ende der 1920er Jahre Zeichnung mit feinen Wischungen zur Andeu­ sollten sich in der Folge allerdings auch in der tung von Volumen. Skade und Böhme griffen Stilistik von Lachnit und Skade abzeichnen. – in jeweils eigener Auslegung – zudem zurück Die Arbeiten dieser Jungen weckten – anders auf einen für Dix’ Werke typischen, auf körperli­ als die provozierenden, zynisch-kritischen Wer­ che Präsenz des elementar Weiblichen reduzier­ ke von Dix oder Griebel, derentwegen der Di­ ten, zuweilen dumpf-primitiven Frauentypus. rektor der Mannheimer Kunsthalle Gustav F. 18 »Der Sommer I«, 1922, Leihgabe aus Privatbesitz, SKD, Von Grundig wurde in der Ausstellung, die Hartlaub »Missverständnisse« beim Publikum Galerie Neue Meister. Das Gemälde war im Sommer 1924 in Dresden ausgestellt. »Die Heiden«, 1919, heute Museum 1925 im Kunstverein stattfand, das frühe »Lie­ befürchtete – bei Ausstellungsorganisatoren in Ludwig Köln, befand sich bis 1933 im Stadtmuseum Dres­ bespaar« auf der Elbwiese (Nationalgalerie Ber­ Dresden aber offenbar keine größere Sorge. den. 19 Hans Weigert, Kunstausstellung auf der Brühlschen lin) gezeigt. Das großformatige Bild ist der Ver­ Hartlaubs Ausstellung »Neue Sachlichkeit« wur­ Terrasse, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 12. 8. 1925. 20 W., Dresdner Kunstausstellungen, in: Kunstmarkt und such der Synthese: Eine gefühlsbetonte Sicht, wie de in der sächsischen Hauptstadt etwa drei Kunstchronik 59:1925/26, S. 428 f., hier S. 428. 21 1926 sie in Oskar Kokoschkas Bildern »Sommer I« Wochen nach der ersten größeren Vorstellung erfolgte der Austritt zahlreicher Künstler aus der »Dresdner oder »Die Heiden« vorformuliert ist, 18 trifft auf von Grundig, Lachnit und Skade im Kunstverein Sezession – Gruppe 1919«. Neben Grohmann verblieben nur Lange, Heckrott und Mitschke-Collande sowie der Bild­ altmeisterlich-volkstümliche Genauigkeit, zeitkri­ eröffnet. Dass sie daran nicht beteiligt waren, hauer Rudolf Born; Brief von Otto Griebel an Otto Dix vom tisch forcierte Dix’­sche Provokation und primiti­ musste nicht zwingend inhaltlich begründet sein, 28. 6. 1926; zit. nach Fischer 1987, S. 92. 22 Grundig ve Formelemente, wie Felixmüller sie bis 1922 wie etwa die Streichung der Werke von Griebels 1957, S. 195. 23 Brief an Lea Grundig, 28. 12. 1926; Grundig 1966, S. 42. 24 Hille 1994, S. 105;. vgl. dazu im verfolgte. Dieser Versuch war anlässlich der Aus­ Werken aus der Ausstellungsliste für Mannheim vorliegenden Katalog den Beitrag von Stephan Dahme und stellung im Kunst­­verein diskutiert und von der 1923, 24 sondern konnte auch aus dem geringen Kati Renner, S. 98 – 100. 25 Das Fehlen der jungen Dresd­ ner in der Mannheimer Aus­stellung wurde allerdings nicht Kritik gründlich miss­­verstanden worden: »Der Bekanntheitsgrad der Noch-Studenten außer­ nur in Dresden angemerkt; vgl. Anm. 22. geistige Bezirk, den die Dixisten (Tröger und halb Dresdens resultieren. 25

92 Abb. 5 Gerhard Böhme Zurückgelehnt liegende Frau, im Unterrock | um 1925 | Bleistift | 49,9 × 38,1 cm | SKD, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. C 1983-611

»Junge Dresdner Veristen« – ging. Am Beispiel von Dix, Grosz, Schlichter, Das Vierblatt Scholz und Griebel – neben Dix nun ein weiterer Dresdner Künstler – arbeitete er die Merkmale Beinahe zeitgleich zur Ausstellung der »Dresd­ jener »Kunstart« heraus: »die resolute Strenge ner Sezession – Gruppe 1919« im Kunstverein des Bildaufbaus und die Erfassung der wirkli­ fand im August/September 1925 26 in Dresden chen Erscheinung im Raum; überkorrekte und eine zweite wesentliche Ausstellung unter dem darum peinlich nüchterne, ja verzerrte Darstel­ Titel »Junge Dresdner Veristen« im »Graphischen lung des Perspektivischen und Modellierten der Kabinett« von Hugo Erfurth statt, das der Foto­ Körper; eine penetrante Genauigkeit der Detail­ graf und Sammler seit 1922 im Palais Lüttichau bildung, die beständig an Ironie streift, und nicht in der Zinzendorfstraße 11 betrieb. Der Begriff zuletzt die kalte Leidenschaft für die Exaktheit »Veristen« hatte seit 1920 Anwendung und seit des Klischees«. 27 1923/24 stärkere Verbreitung gefunden, unter Von der Ausstellung in Erfurths Kabinett, die anderem durch den im »Kunstblatt« erschiene­ sich den aktuellen Begriff zunutze machte, 28 nen Aufsatz »Die deutschen Veristen« von Paul zeugen die Reaktionen der regionalen Presse 26 Nach Stephan Weber, Hans Grundig. Ausstellungs­ verzeichnis, in: Weber/Frommhold 2001, S. 165. 27 Schmidt Ferdinand Schmidt. Dieser war im Januar 1924 und überregionalen Kunstzeitschriften. Dort wur­ 1924; vgl. dazu auch den Beitrag von Mathias Wagner, als Direktor der Kunstsammlung des Dresdner den die vier ausstellenden jungen Dresdner – S. 76 – 87. 28 Zu Erfurths Tätigkeit als Galerist vgl. Hans- Stadtmuseums entlassen worden, was auch auf Griebel, Grundig, Lachnit und Skade – zum Ulrich Lehmann, Das »Graphische Kabinett Hugo Erfurth« in Dresden, in: Hugo Erfurth. Photograph zwischen Traditi­ seinen Einsatz für die sozialkritische Kunst der ersten Mal als Gruppe wahrgenommen. »So ist on und Moderne, AK Köln u. a., hg. v. Bodo von Dewitz, »Dresdner Sezession – Gruppe 1919« zurück­ wohl auch die Meinung entstanden, daß wir eine Karin Schuller-Procopovici, Köln 1992, S. 489 – 510.

93 Gruppe seien, die ein bewußtes, linksgerich­ Jahre nach der Mannheimer Ausstellung be­ tetes Kunstprogramm verträte«, erinnerte sich klagt, dass die Neue Sachlichkeit für die »Gale­ Hans Grundig. 29 Unter der Überschrift »Ein Ma­ rie der Lebenden« im Kronprinzenpalais in Berlin lerquartett« nahm der Kritiker der sozialdemo­ »schon das gegebene Ausstellungsthema ge­ kratischen »Volkszeitung« die genannten Künst­ wesen« wäre. 36 ler als »ein Vierblatt vollkommen verschiedener Doch nicht die »Richtung Dix« diente Gurlitt Persönlichkeiten« wahr. 30 Der »Dresdner Anzei­ als gemeinsamer Nenner. Dessen Nachfolge zu ger« betonte hingegen: »Man möchte beinahe betonen, hätte innerhalb eines Kunstbetriebs, von einer Ausstellung der Uniformierten spre­ der Neuerungen und Originalität schätzte, Epi­ chen. Im optisch Faßbaren, Formalen, dem ei­ gonentum bedeutet. Gurlitt fand oder benutzte gentlichen Gebiete des bildenden Künstlers, mit dem Titel »Das junge Dresden« einen immer­ sind die Unterschiede denkbar gering.« 31 hin bis 1931 wirksamen Markennamen zur Be­ In den Rezensionen wird spürbar, dass Grie­ zeichnung einer »für die soziale Idee begeister­ bels Werke besonders zum Widerspruch reizten. ten Jugend«, 37 wie Dresdens Galeriedirektor Der Kritiker Hans Weigert empfand die »Wider­ Hans Posse die um 1900 geborenen Dresdner wärtigkeiten«, die »bloße Lust am Ueblen und Künstler 1928 zusammenfasste. Gemeinen« im Werk von Griebel als nicht hin­ Mit Griebel, Grundig, Hoffmann, Kretzschmar, nehmbar, suchte aber nach Erklärungen: Ob der Lachnit, Skade, Trepte und zum Teil auch Kröner wirtschaftlich schweren, »vom harten Daseins­ stehen acht der elf Künstler, die Gurlitt einlud, kampf« beherrschten Verhältnisse, aus denen im weiteren Zusammenhang mit der Neuen Sach­ die Künstler stammten, sei eine »Erscheinung, lichkeit. Kretzschmars Sonderstellung innerhalb wie die Kunst Griebels, eine geschichtliche Not­ des Verismus wurde von den Rezensenten der wendigkeit«. 32 Bemerkt wurde allerdings auch, Ausstellung thematisiert und Trepte mit der dass es ihm »nicht an einer Geschmeidigkeit »Aus­druckstiefe dunkel verhaltener Töne und und turnerischen Sicherheit« fehle, die seinen schlichte[r] Anordnung« 38 von den Veristen ab­ »bitter-humoristischen Absichten vortrefflich zu­ gesetzt. Paul Westheim bemerkte, nachdem er statten kommt«. 33 Unterschiede zu früheren ve­ die Ausstellung in der Galerie Fritz Gurlitt 39 in ristischen Arbeiten wurden von den Zeitgenos­ Berlin gesehen hatte, dass er die ebenfalls be­ sen demnach durchaus registriert. teiligten Wilhelm Rudolph, Walter Jakob und Friedrich Karl Gotsch für deplatziert halte. Den­ noch wolle er die Ausstellung »Das junge Dres­ 40 29 Grundig 1957, S. 136. 30 Georg Paech, Leben. Wissen. Berlin/Zwickau 1926: den« gern im »Kunstblatt« vorstellen. West­ Kunst. Ein Malerquartett, in: Dresdner Volkszeitung, 18. 9. 1925. »Das junge Dresden« heim bekundete damit sein vorrangiges Interes­ 31 Dresdner Anzeiger, 4. 9. 1925.32 Hans Weigert, Dresd­ se für die Künstler der Neuen Sachlichkeit bzw. ner Kunstausstellungen. Erfurth – Richter – Kupferstichka­ binett, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 19. 9. 1925. 33 Vgl. Anfang November 1925, drei Wochen nach der des Verismus und sprach sich gegen die Einbe­ Schmidt 1924, S. 372. 34 Vgl. Petra Lewey, Zur Ge­ Eröffnung der von Hartlaub konzipierten und viel ziehung derer aus, die zumindest in den Jahren schichte der Zwickauer Gemäldesammlung, in: Die Zwi­ besprochenen Ausstellung »Die neue Sachlich­ zuvor einem farbstarken, symbolbeladenen Ex­ ckauer Gemäldesammlung, hg. v. Petra Lewey und Wilfried Stoye, Bielefeld/Leipzig 2007, S. 25 – 39, hier S. 29. Hilde­ keit. Deutsche Malerei seit dem Expressionis­ pressionismus verschrieben waren. Die Kritik brand Gurlitt war wohl auch Autor der Meldung zur Ausstel­ mus« auf der Brühlschen Terrasse in Dresden, fasste als Eindruck von der vorausgegangenen lung von Mitgliedern der »Roten Gruppe« vom Jahre 1924; wandte sich Hildebrand Gurlitt an eine Reihe Berliner Station zusammen: »Die Neue Sach­ vgl. Anm. 12. 35 Hildebrand Gurlitt an Pol Cassel, Friedrich Karl Gotsch, Otto Griebel, Eugen Hoffmann, Walter Jacob, der bereits genannten Künstler mit dem Wunsch, lichkeit herrscht vor. Sie wird vertreten durch die Bernhard Kret­zschmar, Wilhelm Lachnit, Wilhelm Rudolph eine Wanderausstellung zu organisieren. Gurlitt, Namen Friedrich Skade, Wilhelm Lachnit und und Oskar Trepte, 3. 11.1925; Archiv Städtische Museen Zwickau. Ein herzlicher Dank gilt Petra Lewey (Leiterin der der seit Juni jenes Jahres Direktor des König- Otto Griebel. […] Der Zwang, zur Form zurück Kunstsammlungen der Städtischen Museen Zwickau) für Albert-Museums in Zwickau war, 34 bat darum, zu kehren, ist außerordentlich heilsam. Gemein­ die freundliche Überlassung des kompletten Materials zur »wirklich die entscheidenden Arbeiten zu sen­ sam ist der Verismus, gemildert durch das Be­ Auswertung. 36 P. W. [= Paul Westheim], Ausstellungen, in: Das Kunstblatt 11:1927, S. 202 f., hier S. 202. 37 Pos­ den, damit die Ausstellung berechtigtermaßen streben nach Formsteigerung ins Monumen­ se 1928, S. 28: »Mit seiner bis zur Übertreibung unerbittli­ durch die großen Städte gehen kann.« 35 tale.« 41 Auch ein Vortrag unter dem Titel »Die chen Wahrheitsliebe ist er [Dix] der eindringlichste Sprecher Damit sollte er der von ihm so genannten Neue Sachlichkeit und Dresden«, den ein Mu­ einer für die soziale Idee begeisterten Jugend.« 38 Willi Wolfradt, Ausstellungen. Berliner Ausstellungen. Das junge »Richtung Dix« als erster und einziger Zeitge­ seumsassistent Hildebrand Gurlitts im April in Dresden, in: Der Cicerone 18:1926, S. 140. 39 In der nosse museale Würden verleihen. In Dresden Zwickau hielt, zeigt, dass genau diese Richtung Galerie führte seit 1918 Wolfgang Gurlitt, ein Vetter des kam dafür kein Museum in Frage: Die traditions­ gemeint war. Gurlitt hatte somit zwar einen deut­ Zwickauer Museumsdirektors, die Geschäfte. 40 Brief von Paul Westheim, Herausgeber der Zeitschrift »Das Kunst­ reiche Gemäldegalerie zeigte kaum Sonderaus­ lichen Schwerpunkt auf die kritischen Realisten blatt«, an Hildebrand Gurlitt, 11.2.1926; Archiv Städtische stellungen, und das 1926 angekaufte Gemälde bzw. Künstler gesetzt, sich aber – anders als Museen Zwickau. 41 Alfred Kuhn, Berliner Ausstellungen. von Lachnit (Abb. S. 261) war eines der sehr Hartlaub in Mannheim für sein Vorhaben 42 – Die Jungen, in: Kunstchronik und Kunstmarkt 59:1925/26, S. 686 f., hier S. 686. 42 Vgl. S. 98 in diesem Kata­ wenigen vor 1933 erworbenen Bilder eines so­ keine Begründungen erfordernde stilistische log. 43 Brief von Hildebrand Gurlitt, 15. 1. 1926; Archiv zialkritischen Künstlers; das Stadtmuseum Dres­ Beschränkungen im Titel auferlegt. Städtische Museen Zwickau. 44 H. M., Das junge Dres­ den. Ausstellung im König Albert-Museum, in: Zwickauer den hingegen war nach der Entlassung seines Ein Anliegen des Zwickauer Museumsdirek­ Zeitung, 20. 3. 1926. 45 Ebd. 46 Brief an Wolfgang Direktors Paul F. Schmidt auf Betreiben konser­ tors war, »den Künstlern durch diese Ausstel­ Gurlitt, 6. 1. 1926, in dem Hildebrand Gurlitt »unbedingt« vativer Kreise der treibenden Kraft in Sachen lung zu helfen.« 43 Mit dieser Begründung bat er darauf bestand, dass die Ausstellung als Wanderausstellung des König-Albert-Museums Zwickau bezeichnet wird; Archiv Gegenwartskunst beraubt. Diese Situation be­ im Januar 1926 Publizisten und Kritiker, von der Städtische Museen Zwickau. traf auch andere Städte; so wurde noch einige Ausstellung zu berichten. Die »schlimmsten wirt­

94 schaftlichen Verhältnisse«, unter denen die jun­ rein als Wanderausstellung gedacht; Gurlitt gab Abb. 6 gen Künstler lebten, machten – so ein Kritiker – an, bereits Kontakte nach Berlin, Köln, München Wilhelm Lachnit An der Maschine (Kommunist Frölich) | 1924/28 | 46 verständlich, warum das, was der Künstler »sieht, zu haben. Jedoch fanden nach dem Auftakt in Öl auf Holz | 50 × 52,4 cm | Staatliche Museen nicht durchweg die Lichtseiten dieser Welt sind, Berlin und der Durchführung in Zwickau die im zu Berlin, Nationalgalerie, Inv.-Nr. A IV 27 und daß es so, wie er es in seinem Drang nach »Kunstblatt« angekündigten weiteren Stationen ›Sachlichkeit‹ darstellt, oft zur Anklage gegen nicht statt. Die Auflösung der Ausstellung hatte seine Zeit wird.« 44 Im Zentrum der Berichter­ wohl in der Hauptsache damit zu tun, dass Wer­ stattung stand jedoch wiederum die Beurteilung ke wie »Réunion« von Kretzschmar und »Kna­ der künstlerischen Leistungen. Gurlitt habe »mit benbildnis« von Grundig zurückgezogen wur­ Geschick herausgestellt, was die Künstler tat­ den, um sie auf der Internationalen Kunstaus­ sächlich können oder was bei ihnen zu Hoffnun­ stellung Dresden 1926 zu zeigen. Dort wurden gen berechtigt«, 45 hieß es in einem Bericht über Kretzschmars »Réunion« für die Dresdner Ge­ die Vorbesichtigung der Ausstellung. mäldegalerie und Lachnits »Lesender Knabe« Ein nicht zu unterschätzender Beweggrund vom Sächsischen Staat erworben und, wie auch für die Organisation einer solchen Ausstellung Griebels »Zirkusbild« sowie eine Stadtlandschaft war zudem der Wunsch, das Zwickauer Muse­ von Trepte, anschließend in der Dauerausstel­ um bekannter zu machen. Die offenbar Aufmerk­ lung des Zwickauer Museums gezeigt. samkeit versprechende Schau war von vornhe­

95 Die Ankäufe veranschaulichen, dass die neues­ Grosz auf der Ausstellung »Neue Sachlichkeit« te Produktion von Künstlern dieser Richtung im Dresdner Kunstvereinsgebäude 1925 be­ durchaus gefragt war. »Junge Kunst« diente all­ schrieb: »Gemeinsam ist beiden die innere Lee­ gemein als Aushängeschild, so auch für Gale­ re, die Unfähigkeit, etwas menschlich Positives rienamen. »Das junge Dresden« fand als Aus­ auszusagen. Sie können nur wirken, indem sie stellungstitel abgewandelt seine Fortsetzung verzerren.« 52 Carl Einstein hatte Dix’ von 1920 in Verkaufsausstellungen wie »Junge Dresdner bis 1922 entstandene Werke, die für die Jünge­ Kunst« (mit Aquarellen und Zeichnungen von ren vorbildlich waren, 1923 beschrieben: »Die Hans Grundig und Hans Theo Richter) in der Pole heutiger Kunst liegen bis zum Reißen ge­ Kunstausstellung Kühl und Kühn in Dresden im spannt. Konstrukteure, Gegenstandslose errich­ April 1926, »Junge Dresdener Künstler« präsen­ teten die Diktatur der Form; andere wie Grosz, tierte die Galerie »Neue Kunst Fides« 1927. In Dix und Schlichter zertrümmern das Wirkliche Magdeburg folgte eine »Sonderausstellung jün­ durch prägnante Sachlichkeit, decouvrieren die­ gerer Dresdner Künstler«, 1929 und 1930 »Junge se Zeit und zwingen sie zur Selbstironie. Malerei Dresdner Kunst« in der Galerie Wertheim in Ber­ als Mittel kühler Hinrichtung; Beobachtung als lin. 47 Man versuchte, die Dresdner Künstler, die Moment harten Angriffs. Solch revoltierte Ein­ nach Dix auf den Plan getreten waren, solange stellung hat mit leutseliger Sozialmalerei nichts unter einem solchen Markenzeichen auszustel­ zu schaffen; hier verhält sie sich wie revolutio­ len, bis die Kritik anmerkte, dass sie bereits gar näre Vorarbeit zu wilhelminischer Rentenversi­ nicht mehr so unbekannt wären.48 cherung.« 53 Ohne das ironische Element, das aus dem Nihilismus der aus dem Kriegsdienst Entlassenen heraus entstanden war, ist diese »die Weichheit des Proletariers, Kunst und Richtungswende ab 1920 – auch der jenseits des Hasses steht« heute – nicht zu verstehen. Vor Parodie oder ver­nichtende Übertreibung konnte sich nichts In seiner ausführlichen Rezension der Ausstel­ sicher sein, weder Vaterlandsliebe noch die Sehn­ lung in Erfurths »Graphischem Kabinett« war der süchte des kleinen Mannes, weder Gutmenschen­ Kritiker Hans Weigert zu dem Schluss gekom­ tum noch politisch-missionarische Ambitionen men, dass man vor der Wahrheit in Bildern von des Avantgardekünstlers. Otto Griebel, der »von den Eindrücken einer Nun aber waren, von den Zeitgenossen be­ proletarischen Umgebung vollkommen erfüllt« merkt und sogar erhofft, ab 1925 – gemeinsam sei, nicht die Augen verschließen könne. »Diese mit vormaligen Mitstreitern von Dix wie Griebel Untergangsvisionen sind Ausdruck eines Teiles und Hoffmann – mit Lachnit und Grundig Jün­ vom Schicksal unsrer abendländischen Welt«, gere hinzugekommen, die stringent ein politi­ von »Spengler wissenschaftlich und von Döblin sches Ziel bzw. eine Vision verfolgten, welche in ›Berge, Meere und Giganten‹ zum Roman sich in ihren Werken in verschiedenster Weise 47 Diese Ausstellung wurde, in Zusammenarbeit mit gestaltet.« 49 Weigert forderte aber ein, es nicht spiegelten. Die »revoltierte Einstellung« von Dix Hildebrand Gurlitt, organisiert von Josef Sandel (»Gale­ rie für junge Kunst«, Dresden), der 1931 erneut »Unbe­ bei den »Widerwärtigkeiten« von Griebel zu be­ hatte sie stark beeindruckt. Das war der Punkt, kannte junge Dresdner Künstler« ausstellte; vgl. Stephan lassen, sondern die Kunst »über diese Stufe an dem Grundig und Lachnit ansetzten, eigene Weber, Hans Grundig. Ausstellungsverzeichnis, in: We­ wieder hinauszuführen«. Als »nicht nur materiell, Wege der künstlerischen Umsetzung zu entwi­ ber/Frommhold 2001, S. 165 f., sowie die zitierten Aus­ stellungsrezensionen. 48 Der marktstrategische Vor­ sondern auch geistig arm« bewertete er die Wer­ ckeln – ohne den Zynismus der von jeder Sinn­ teil, als Gruppe schneller und intensiver wahrgenommen ke von Grundig und Skade. In Lachnits Werken suche scheinbar geläuterten Teilnehmer jenes zu werden, hatte innerhalb eines auf neue und junge Produktion angewiesenen Kunsthandelssystems schon fand der Rezensent, zwar warnend vor der Ge­ Krieges, den sie nicht an der Front erlebt hatten. vor dem Ersten Weltkrieg, zum Beispiel bei der Organi­ fahr, »einer billigen Hübschheit zu verfallen«, Welche Wege standen ihnen dafür offen? Die sation der Künstlergruppe »Brücke«, eine wesentliche dennoch, was er suchte: »In einem von Grund Gefahr, sich in beschreibender »Sozialmalerei«, Rolle gespielt. Dix hatte am Beginn seiner Karriere in Dresden Ausstellungsmöglichkeiten im Rahmen der auf andern Verhältnis zum Leben ist Lachnit im Illustrativen und Biederen zu verlieren, war »Dresdner Sezession – Gruppe 1919« selbst für die gekommen. Er ist begnadet mit der Gabe, die Kritikern wie Künstlern allgegenwärtig. Wilhelm provokativsten Werke, musste aber mit Blick auf eine Dinge lieben zu können.« In weiteren Rezensio­ Lachnit suchte seinen Ausgangspunkt im Bild Einzelausstellung 1920 resigniert konstatieren, dass »Richter [= die Kunsthandlung Emil Richter] Scheiße in nen wurde Lachnit mit gleichlautender Begrün­ eines neuen Menschen, edel in Geist und Ge­ den Hosen hat und mich nicht ausstellen will und über­ dung hervorgehoben: »mit viel Liebe ohne Sen­ stalt, wie er es in der Kunst der Re­naissance haupt kein Kunsthändler in Dresden Mut hat, mich aus­ sation und Programme gemalt, wirkt er ebenso fand, Hans Grundig versuchte zunächst eine zustellen«; Otto Dix an Kurt Günther; zit. nach Strobl 50 1996, S. 50. Dort ist der Brief auf Frühjahr/Sommer stark wie alle Erlebniskunst.« Hildebrand Gur­ bewusst naive Brechung zur Vermeidung von 1920 datiert. 49 Wie Anm. 32. 50 Georg Paech, litt beschloss einen Beitrag im »Kunstblatt« zu akademischer Glätte, wie das Aquarell »Paar Die Weihnachtsausstellung auf der Brühlschen Terrasse, der von ihm organisierten Ausstellung: »Das ist auf der Bank (Dresdner Heide)« von 1925 in: Dresdner Neueste Nachrichten, 3.12.1926. 51 Hil­ debrand Gurlitt, Von jungen Dresdner Künstlern, in: Das ja überhaupt das wunderbare dieser jungen Ge­ (Abb. 7) eindrücklich zeigt. Dix’ Bildern von un­ Kunstblatt 10:1926, S. 260. 52 Hans Weigert, Die neration […], daß sie sich nicht unterkriegen gleichen Paaren – Allegorien voller Umkehrun­ neue Sachlichkeit. Ausstellung im Kunstverein. II, in: Dresdner Neueste Nachrichten, 18.11.1925. 53 Carl lassen, daß sie mit starkem Gefühl ›trotzdem‹ ja gen, Negativspiegelungen und Abwehrmotive Ein­stein, Otto Dix, in: Das Kunstblatt 7:1923, S. 96 – 107, zu diesem Leben sagen.« 51 – standen bei Grundig durch nächtli­che Straßen hier S. 97. 54 Will Grohmann, Dresdner Ausstellun­ Das Argument, dass eine bejahende Kunst und Landschaften wandelnde Paare mit einem gen, in: Der Cicerone 17:1925, S. 1007 f. 55 H., Die Dresdner Jahresausstellungen, in: Die Kunst für Alle vorzuziehen sei, lässt sich auch aus einer Kritik autobiografischen, zukunftsorientiert-visionären 44:1929, Heft 12, S. 2 – 4, hier S. 4. von Weigert herauslesen, die Werke von Dix und Hintergrund gegenüber. Sein erklärtes Anliegen

96 Abb. 7 Hans Grundig Paar auf der Bank (Dresdner Heide) | 1925 | Aquarell | 42,6 × 32,1 cm | Privatbesitz

war, eine Lebenswahrheit im ganz direkten Sinne würde Kretzschmar am ehesten den Veristen zu schildern, für die eine mimetisch begriffene zurechnen können, aber innerhalb dieser Gruppe Genauigkeit in der Darstellung zweitrangig war. ist er eine Persönlichkeit für sich. Er ist weniger Die Werke der jüngeren Künstlergeneration der brutal als sachlich und nicht ohne die Weichheit Neuen Sachlichkeit in Dresden sind, nachdem des Proletariers, der jenseits des Hasses steht.« 54 1920 Emphase und Verklärung noch eine Ab­ 1928 schließlich, als in der Malklasse von Dix sage erteilt worden war oder diese nur in der mit Curt Querner, Rudolf Bergander und ande­ ironischen Brechung vorkamen, nicht ohne das ren wiederum eine nächste Gruppe von Malern Pathos der Ideen von Menschenwürde und Zu­ heranwuchs, glaubte man, die »Widerwärtigkei­ kunftsglauben denkbar. Den distanziert zyni­ ten« des Verismus wären überwunden. Es hieß schen Beobachtern und ungläubigen Warnern von Otto Griebels »Internationale« (Abb. S. 131) folgten Aktivisten, deren Willen zu gesellschaft­ nur noch lapidar: »ein Stück Armeleutemalerei licher Veränderung nicht in allen Fällen gleich im Stil der heute schon überholten Neuen Sach­ 1933, 1937 aber endgültig die Stimme genom­ lichkeit.« 55 Gerade in Dresden aber blieb ein men wurde und die nach dem Zweiten Weltkrieg kritischer Realismus, nunmehr stärker geprägt ab 1945 den Neubeginn in Dresden mitbestim­ von altmeisterlicher Präzision, bis 1933 nicht men sollten. nur weiterhin präsent, sondern gewann gerade Von nihilistischen, die Gesellschaft untergraben­ auch in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise den Tendenzen wurden auch die Werke von mit den Schülern des Malsaals von Dix noch Bernhard Kretzschmar deutlich abgegrenzt: »Man einmal neue Kraft.

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