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SPORT

Fußball Otto und die Regenwürmer Ist die Verbindung zwischen dem erfolgreichsten Klub der und dem erfolgreichsten Bundesliga-Trainer nur ein großes Mißverständnis? Der FC Bayern München und harmonieren nicht. Der Versuch des Trainers, die Bremer Verhältnisse auch auf das Bayern-Starensemble zu übertragen, droht zu scheitern. HORIZONT Fußballehrer Rehhagel: „Ja, habt’s ihr denn einen anderen?“

er gerade arg gedemütigte Meister- rem Mann um einen fatalen Irrtum han- scheint sich als ein einziges, großes Miß- trainer fand nicht einmal mehr deln könnte, hatte sie nach Spielende al- verständnis zu entpuppen. Vom Präsi- DHalt in der Familie. Zwar stand lein auf der Ehrentribüne ausgeharrt. denten als „bester Beate Rehhagel auch nach dem 1:2 der Die Szene, festgehalten von den Trainer für den besten Verein“ begrüßt, Bayern gegen Borussia Mönchenglad- Sat-1-Kameras, wurde live in den Gast- sollte Rehhagel den FC Bayern auf eine bach an ihrem angestammten Platz, vor- raum des Stadions überspielt, wo die Stufe hieven mit dem AC Milan oder ne rechts am Eingang zu den Gesell- Fans nach der Heimpleite ihren Kum- dem FC Barcelona. Doch die als Elefan- schaftsräumen; wie immer hatte sie das mer ertränkten. An den Biertischen tenhochzeit gefeierte Verbindung zwi- Moschino-Täschlein energisch unter den provozierten die TV-Bilder deftige schen dem mit Stars gespickten, schein- Arm geklemmt, die Szene fest im Blick. bayerische Kommentare: „Scheiß Oide, bar übermächtigen „Dream Team“ und Wie hilfesuchend griff der Fußballeh- hau ab, und nimm dein Oiden glei mit.“ dem in Bremen jahrelang als Erfolgs- rer Otto Rehhagel mit der rechten Hand Die Fans teilen die Befürchtung, die menschen gefeierten Fußballehrer er- an den Oberarm seiner von ihm schon ein angestammter Nationalspieler des weist sich als brüchig. mal als Kultusministerin für Bayern vor- FC Bayern aus Angst vor Racheakten Obwohl die Mannschaft weiterhin als geschlagenen Ehefrau. Doch die schau- des Trainers öffentlich nicht äußert: Favorit für den nationalen Titel gilt, te nur kühl an ihm vorbei und begrüßte „Mit diesem Trainer werden wir nicht nach dem 2:0-Hinspiel beim schotti- Borussentrainer . Irritiert Meister.“ schen Vertreter Raith Rovers die dritte schlich Rehhagel weiter. Nur vier Monate nach Rehhagels Runde im Uefa-Cup so gut wie sicher Als habe Beate Rehhagel die stille Amtsantritt vollzieht sich in München erreicht hat und der Verein Zuschauer- Ahnung ereilt, daß es sich bei der Liai- ein bühnenreifes Drama: Die Attrak- rekord und Merchandising-Hausse fei- son zwischen Bayern München und ih- tion des Jahres, der Knüller der Saison ert, türmen sich die Schwierigkeiten des

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Trainers zu beachtlichen Hürden: Das ster zum Meistermaler“) und Medien Team ist zerstritten, einig nur in der Op- über den gelernten Anstreicher auskü- position zu Rehhagel. belten, als bekannt wurde, daß „Ru- Die ständigen Querelen haben auch bens“ statt „Rehhagel“ am Klingelschild seine Vorgesetzten, die das Trainerpro- seiner Schwabinger „Casa Schellissima“ blem der Bayern langfristig gelöst glaub- steht, war noch zu verkraften. Weit gra- ten, erkennbar auf Distanz gebracht. vierender wirkte sich der Verlust an fuß- Angesichts der vielen Fehler des selbst- ball-fachlicher Autorität aus. ernannten Doyen der Gilde hob sogar Erstaunt registrierte ein Bayern-Spie- Beckenbauer in kleiner Runde schon ler, daß der vermeintlich allwissende leicht resignierend die Schultern: „Ja, Fußballtheoretiker Rehhagel „taktisch habt’s ihr denn einen anderen?“ keine Leuchte ist“. Der frühere Münch- Es sind genau die Schwierigkeiten, ner Stefan Effenberg, inzwischen Glad- die Rehhagels Freunde vorm Welten- bacher, höhnte, den teuren Bayern- Wechsel prophezeiten. In Bremen hatte Stars sei „eigentlich nicht viel eingefal- er sich die Stars selbst gemacht, Profis len“. Den Vorwurf leiteten die Profis ei- wie oder waren lig an ihren Trainer weiter. „Uns fehlen ihm angesichts der Karriereförderung die Konzepte“, erklärte treu und loyal ergeben – in München – und mußte zur Wahrung eines Schein- stellte ihm der reichste Klub der Liga friedens widerrufen. die Elitekicker wie Dutzendware auf den Trainingsplatz, jeder einzelne mehr seinem eigenem Marktwert als dem Er- folg Rehhagels verpflichtet. In Bremen war dem Vereinspräsidenten Franz Böhmert der gepflegte Plausch unter der Woche mit Rehhagel, der gern mit literarischer Bildung und feingeistigem Gedankengut hausieren ging, zumindest ebenso wichtig wie die richtige Taktik am Samstag – in München wollen die Fußball-Weisen Beckenbauer, Vizeprä- sident Karl-Heinz Rummenigge und Manager Uli Hoeneß nur eins: Siege. Selbst die in der Bremer Enklave be- wunderte Nähe des Fußballehrers zu Dichtern und Denkern imponiert in München keinem. Erstes Gelächter erntete Rehhagel, als er im Trainingslager aus einem Goethebändchen die Faustzeilen „Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt/ und froh ist, wenn er Regenwürmer findet“ zitierte und gleich darauf die Interpreta- tionsfrage stellte: „Was will uns Goethe damit sagen?“ Den sprachlosen Zuhö- rern wurde umgehend die Deutung zu- teil: „Graben Sie nie nach Schätzen.“ Bayern-Spieler Scholl Der Spott, den Profis („Vom Malermei- „Jederzeit verfügbares Material“

Tatsächlich liegen die tech- nischen und kreativen Fertig- keiten des mit 12 National- spielern aus fünf Ländern be- stückten, rund 75 Millionen Mark teuren Kaders brach. Den Spielern fehlt der Mut zu überraschenden Aktionen – bei Fehlern lauert draußen auf der Bank der nächste Kandidat. Doch Rehhagel hat das Rotationsprinzip zum Pro- gramm erhoben. Zum Opfer fiel ihm zuletzt der Schweizer Nationalspieler Alain Sutter, BONGARTS der, vom Trainer mißachtet,

FOTOS: nach Freiburg flüchtete. Der Nationalspieler Helmer Franzose Jean-Pierre Papin „Lernen Sie erst mal Fußballspielen“ ist der andauernden Rocha-

DER SPIEGEL 43/1995 203 SPORT den ebenso überdrüssig wie Scholl leichter Blessuren das Pensum nicht zur („Diese ständigen Wechsel sind nicht Zufriedenheit des Trainers ausführen meine Zukunft“). Auch Reservespieler konnte, wurde Rehhagel laut: „Herr wie Dieter Frey, Oliver Kreuzer und Helmer, führen Sie sich nicht auf wie ein Marcel Witeczek denken laut über neue Weltmeister. Lernen Sie erst mal Fuß- Arbeitgeber nach. ballspielen.“ Verständnis für solche Nöte zeigt Alain Sutter wurde nach seiner Pla- Rehhagel nicht. „Wer beim FC Bayern kat-Demo („Stop it, Chirac“) mit der unterschreibt, weiß was er tut“, lautet Schweizer Nationalmannschaft gegen sein Standardsatz. Natürlich, das haben die französischen Atomversuche be- die Erfahrungen italienischer Millionen- lehrt: „Wenn Sie Politik machen wollen, Klubs zur Genüge gezeigt, besteht eine hätten Sie Politiker werden müssen.“ zwingende Kausalität zwischen dem An- Die Aufforderung zum Berufswechsel kauf eines Starensembles und internen brachte den einstigen CSU-Wahlhelfer Streitigkeiten. Doch ebenso richtig ist auch, daß zum dauerhaften Erfolg dann mehr gehört als ein Trainer, der sein „Im Vergleich zum Team nur mit Pfiffen dirigiert. Trainer könnte ich Und deshalb sind Rehhagels Proble- me auch die Probleme eines Klubs, der Juso-Vorsitzender sein“ sich so gern des versammelten Fußball- sachverstands in der Chefetage rühmt. Uli Hoeneß zu einer überraschenden Vor einem Jahr sollte es noch der ele- Erkenntnis: „Im Vergleich zu Rehhagel gante Italiener könnte ich Juso-Vorsitzender sein.“ richten, obwohl der kaum Deutsch „Jederzeit verfügbares Material“ sprach. Als der gewiefte Taktiker end- nennt der Trainer seine Spieler gern. lich erste Erfolge hatte, war der wankel- Und nie läßt er einen Zweifel an den mütige Präsidiale Beckenbauer inzwi- hierarchischen Strukturen zu: „Ich bin schen in einem Nostalgieanfall zur der Chef, ich fälle alle Entscheidungen Überzeugung gelangt, nur ein deutscher im Alleingang.“ Fußballehrer alten kernigen Typs könne Die Wahrheit sieht anders aus. Vor den Bayern helfen – und hatte Rehhagel dem Spiel gegen Mönchengladbach ver- zum Wechsel überredet. mochte sich Beckenbauer im VIP-Be- Rehhagel und Bayern, das mußte, wie reich des Olympiastadions kaum ein- Wasser auf einem heißen Stein, Dampf kriegen. „Wißt’s, was der Wahnwitzige erzeugen. Doch Beckenbauer, der in wollte?“ zischte er Vertrauten so laut seinen Trainerjobs intuitiv fast alles zu, daß viele mithörten, „der wollte den richtig machte, mochte sich nicht der Scholl auf die Tribüne setzen. Das hab’ i Mühe unterziehen, die zu erwartenden verhindert.“ Der forsche Mittelfeldspie- Schwierigkeiten theoretisch durchzu- ler, den Rehhagel aus dem Kader strei- spielen. Die Folge dieses Versäumnisses chen wollte, spielte von Beginn an. brachte Co-Trainer Augenthaler auf Getrieben auch vom eigenen schlech- den Punkt: „Jetzt habt’s ihr den Vogel.“ ten Gewissen, bemüht sich die Exper- Als in der vergangenen Woche der tenriege des Klubs nun, als handele es Präsident des Ligakonkurrenten Borus- sich bei Rehhagel um einen gesamt- sia seinen Trainer Ottmar bayerischen Pflegefall, um Schadensbe- Hitzfeld lobte, las sich das Urteil wie die grenzung. „Irgendwie müssen wir den Beschreibung dessen, was Rehhagel in hinkriegen“, sagt Beckenbauer. Aber München fehlt. Er schätze Hitzfelds Be- auch: „Unser Trainer muß umlernen.“ gabung, erklärte Gerd Niebaum, „den Auf keinen Fall jedoch werden die Konkurrenzkampf in einem mit hochka- Ansprüche an Rehhagel reduziert. rätigen Fußballern zusammengestellten „Wird er Meister, kann er noch sieben Kader zu fördern und die daraus resul- Jahre bei uns bleiben“, sagt Hoeneß. tierenden internen Konflikte zu beherr- Die Bremer Idylle wird Rehhagel al- schen“. Hitzfeld habe großen Respekt lerdings kaum wiederfinden. Standen im vor den Menschen und Sportlern, mit Stadtstaat einst die Zuschauer auf und denen er täglich zu tun habe. applaudierten, wenn er zusammen mit Rehhagel, der öffentlich nahezu täg- Frau Beate das Theater betrat und galt lich von seinen „erwachsenen Männern, er dort als heimlicher Kaffeehaus-Philo- die alle drei mal sieben Jahre alt sind“ soph, weil er bei Quarkstrudel und Me- spricht, kontert dagegen Fragen der lange Zeitungen studierte, muß er in Spieler nach dem Sinn taktischer Maß- Deutschlands Fußball- und Gesell- nahmen mit Hochmut. Als National- schaftshauptstadt erkennen, daß der spieler in einer Mann- Held der Provinz in seinem neuen schaftssitzung nähere Erläuterungen Stammcafe´ Altschwabing niemandem wünschte, fuhr ihn der Trainer an: „Was auffällt. Die höfische Attitüde der Reh- kann ich dafür, wenn Sie keine Ahnung hagels sorgt allenfalls noch für Spott. Ei- vom Fußball haben.“ ne private Radiostation sendet täglich Als , Stammspieler eine Minute lang „die schönsten Rehha- der DFB-Auswahl, unlängst wegen gel-Worte“. Y