ROUTE III

Die Andalusier Ahmed Saadaoui

1. Tag

III.1 GHAR EL-MELH III.1.a Alter Hafen III.1.b Waffenkammer III.1.c Östliches Fort III.1.d Zentralfort III.1.e Westliches Fort

III.2 III.2.a Alter Hafen III.2.b Kasba III.2.c Ksiba (Option) III.2.d Andalusierfort

Große Moschee, Innenhof, .

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Die Andalusier sind nach ihrem Tunesier unter Uthman Dey (998- Land benannt: Vandalusien, Land 1018 h./ 1590-1610) und Jussuf der Vandalen. Die dort lebenden Dey (1018-1046 h./ 1610-1637) Araber machten daraus al-Andalus, die Neuankömmlinge dazu, sich im Andalusien. Ende des 5. Jh. h./ 11. Nordosten des Landes anzusiedeln. Jh. begann die Reconquista und ver- Nicht wenige richteten sich auch in trieb die Muslime aus dem Land. , in der Andalusierstraße ein, Das hafsidische Ifriqiya nahm nachei- die bereits seit dem 9. Jh. h./ 15. nander mehrere Einwandererwellen Jh. von ihren Landsleuten be­wohnt auf. Mit dem ersten Strom, der im wurde. Die meisten jedoch bezogen 7. Jh. h./ 13. Jh. seinen Höhepunkt ein neues Viertel um die Subhan- erreichte, kamen viele Flüchtlinge Allah-Moschee zwischen Bab nach Tunis und seine Umgebung. Suwaika, Bab al-Khadra und dem Der Fall Valencias, Jaens, Jativas und Kar ­thago-Tor und sicherten sich schließlich Sevillas hatte diese ersten das Monopol bei der Terrakotta- Auswanderungen zur Folge. Sie wur- Produk ­tion. In Bizerte siedelten sie den gefördert durch Abu Zakariyya sich in einer ausgedehnten Vorstadt al-Hafsi (633-646 h./ 1236-1249), im Norden der Medina außerhalb dem ehemaligen Statthalter von der Stadtmauer direkt neben der Sevilla. Die solidarische Gemeinschaft spanischen Festung an. Mit ihren der Andalusier brachte geschickte eigenen Techniken und Methoden Gartenbauer, Handwerker und gaben sie dem tunesischen Handel Kaufleute hervor. Am meisten beein- und Handwerk neue Impulse und druckten die Einwanderer jedoch errichteten in ihren Städten Chechia- durch ihre künstlerischen und litera- Walkereien, Keramikwerkstätten rischen Fähigkeiten. „Die einen sind und Seidenwebereien. hervorragende Dichter“, schreibt Ibn Der Hauptbeitrag, den die Mauren Khaldun, „die anderen redegewandte nach Meinung vieler Reisender lei- Schriftsteller, berühmte Gelehrte, steten, bestand indes in der Anlage großherzige­ Fürsten, unerschrockene städtischer Ansiedlungen. In der Tat Krieger.“ Von den Hafsiden hoch- gründeten sie etwa zwanzig zum Teil geschätzt, konnten sie sich mühelos völlig neue Ortschaften in vier ver- mit den Almohaden-Scheichs messen. schiedenen Regionen des nordöst- Gegen Ende des 9. Jh. h./ 15. Jh. lichen Tunesien: im Sahel von Bizerta folgte nach dem Fall von Granada eine die Orte Kalaat el-Andalous, , zweite Einwandererwelle. Ghar el-Melh, Raf-Raf, , el- Die nach der Reconquista in Spanien Alia, Ras Djebel und Menzel Djemil, verbliebenen Mauren waren im Medjerda-Tal Jedeïda, Tébourba, gezwungen worden, den christlichen Grich el-Oued, Medjez el-Bab, Glauben anzunehmen. Diese soge- Slouguia und Testour, am Cap Bon nannten Moris­cos wurden allerdings Soliman, , Turki, Belli, unter Phillip III. im Jahre 1017 h./ Nianou und Jedida und schließlich 1609 endgültig vertrieben. Dadurch noch die kleineren Marktflecken kam es in Tunesien zu einem neu- in der Umgebung von Tunis, wie erlichen Ansturm von Andalusiern, , Ariana, Hammam-Lif der bis heute nicht in Vergessenheit und etwas südlicher , das geraten ist. Dem Beispiel der an derselben Stelle wie die einstige Hafsiden folgend, ermunterten die Römerstadt gebaut wurde.

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Im 11. Jh. h./ 17. Jh. schreibt Ibn Abi Dinar, der vierzehn Städte und Dörfer auf die andalusischen Einwanderer zurückführt: „Sie bauen Wein und Oliven an, erwei- tern die Gärten, legen Straßen an.“ Nach einer langen Periode des urbanen Rückgangs gelang es den Andalusiern, in den fruchtbaren Ebenen des Nordostens in einer Periode der relativen Sicherheit, die den osmanischen Deys zu verdanken war, erneut städtische Zentren ent- stehen zu lassen. 1724 beschreibt Peysonnel ihre Rolle folgender- In der Architektur des 11. Jh. h./ Hauptstraße in maßen: „Die meisten der heutigen 17. Jh. kommt der andalusische Testour, Stich aus Städte verdanken ihnen ihre Existenz Beitrag am besten zum Vorschein. dem 19. Jh. oder zumindest ihr Wieder­erstehen.“ Die Zentren, die entweder zahl- Die europäischen Reisenden des 17. reiche Mauren aufgenommen und 18. Jh. schätzten die Ortschaften hatten oder die von ihnen selbst der Andalusier, die „so hübsch ange- gegründet worden waren, bringen legt sind wie die Orte in Europa“ eine zum Teil spanisch, zum Teil und wo „es so viele schöne Häuser lokal geprägte Architektur hervor. gibt“. Im Vergleich zu ihrem noma- Von Anbeginn entsteht ein dichtes dischen Umland florierten diese Netz sakraler und profaner Bauten. Städte wirklich. Überdies verlie- Sogar kleine Marktflecken, wie hen ihnen ihre aus Spa­nien stam- Slouguia oder Grich-el-Oued im menden Bewohner ein besonderes tief eingeschnittenen Medjerda- Gepräge. Laut Peysonnel „kamen Tal, die im 11. Jh. h./ 17. Jh. nicht die Einwohner aus Granada und mehr als einige hundert Einwohner gaben den Straßen und Plätzen in zählen, können stolz sein auf ihre ihren Städten und Dörfern dieselben schönen Moscheen, wie es ihres- Namen wie in ihren Heimatstädten.“ gleichen in anderen Dörfern nicht Bedeutende maurische Städte, wie gibt und die nach Aussagen von Testour, Soliman, Tébourba, Medjez Zeitgenossen durchaus einem el-Bab und Ghar el-Melh, wurden Vergleich mit den „Heiligtümern nach einem regelmäßigen Muster der Großstädte“ standhalten. Die errichtet. Einige Elemente in der Bauwerke jener Ortschaften offen- Anlage der Städte finden sich auch in baren nur einen Teil der architekto- kleineren Ortschaften oder Dörfern nischen Leistungen der Andalusier, wieder, wie die gepflasterten Wege, die spanische Techniken mit ein- die Regenrinnen und die quadra- heimischen Bauformen verban- tischen Plätze, die vielleicht der den. Dennoch fand die spanisch berühmten „Plaza mayor“ nachemp- geprägte Bauweise der ersten funden sind. Stierkämpfe trugen dazu Einwanderergeneration keine bei, daß die andalusische Lebensart weitere Verbreitung. Besonders auch in Tunesien weiter gepflegt die andalusisch geprägten Giebel­ wurde. drei ­ecke, Obelisken, Pinakeln,

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Hafen- und Ortsansicht, Ghar el-Melh.

Turmuhren, Schluß­steine in Kalaat el-Andalus Gewölben und Spitz­bogen sowie die phantasievollen, ornamentalen Das Dorf Kalaat el-Andalus liegt Darstellungen biblischer Themen, auf dem linken Medjerda-Ufer in wie man sie in Testour und Soliman der Nähe des Meeres. Nach sei- findet, haben keine Nachahmer ner Gründung durch die Mauren gefunden. Die folgenden nahm es noch verschiedene eth- Generationen, die Spanien aus nische Gruppen auf, die sich alle eigener Anschauung nicht kannten, in eigenen Vierteln an­siedelten. griffen nur die einfachsten Sachen So entstanden das Viertel der auf, die sich leicht in die lokale Anda ­lu­sier, das der Türken – auch Bauweise einfügen ließen, wie zum Hanefitenviertel genannt – und das Beispiel die Hohlziegeldächer. Die der Kairouaner. aus Spanien importierten Elemente Das Dorf wurde im 13. Jh. h./ wurden sehr bald mit lokalen 19. Jh. verlassen, und die öffent- Techniken und Formen kombiniert. lichen Bauten verfielen. Deshalb ist hier heute nichts mehr aus der Gründerzeit erhalten. Die Große Brücke von Bizerte Moschee aus dem 11. Jh. h./ 17. Jh. wurde vor nicht allzu langer Zeit Die Andalusier legten Straßen vollständig rekonstruiert. an, um ihre Waren besser trans- portieren zu können. Außerdem bauten sie im 11. Jh. h./ 17. Jh. vier Brücken über die Medjerda. III.1 GHAR EL-MELH Diejenige, die sich auf der Straße von Tunis nach Bizerte befindet, die „Brücke von Bizerte“, entstand unter der Herrschaft von Uthman Von Tunis nach Norden Richtung Dey (gest. 1018 h./ 1610). Die Bizerte. Man erreicht Ghar el-Melh aus Haustein errichtete Brücke hat über die Landstraße nach Bizerte (GP sieben Bogen; sechs Öffnungen in 8). Dann fährt man nach rechts der den Pfeilern waren bei Hochwasser Beschilderung nach oder noch vorher wichtig für den Durchfluß. nach rechts Richtung Utika. Am Dorf

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Aousja vorbei, dann die Straße rechts Die Medina von Ghar el-Melh, in der nach Ghar el-Melh. es relativ wenige neue Bauten gibt, besitzt mehrere architektonisch und historisch wertvolle Gebäude, wie Bevor man das Dorf erreicht, fährt alte Wohn- häuser, zwei Hammams, man durch eine landwirtschaftlich das Hafengebiet, Befestigungsanlagen genutzte Ebene, vorbei an hübschen und Sakralbauten (Moscheen, Obstplantagen nach andalusischem Madrassen, Zawiyas). Vorbild. Die aus dem 11. Jh. h./ 17. Jh. stammende Madrassa von Ghar Ghar el-Melh ist ein abseits gelegenes el-Melh ist heute allgemein unter Städtchen auf halber Strecke zwi- dem Namen Madrassa-Moschee schen Tunis und Bizerte. Es wurde bekannt. Der Bau von mittle- 1047 h./ 1638 auf Befehl von Dey ren Ausmaßen besteht aus einem Usta Murad gegründet. Der strate- Betsaal, einem offenen Hof, einem gisch günstig gelegene­ Ort, der sich Raum für die rituelle Waschung, um einen Hafen- und Militärkomplex einem unlängst rekonstruier- entwickelte, wurde von mehrheitlich ten Minarett und acht Zimmern. aus Tunis kommenden Andalusiern Ursprünglich war das Bauwerk besiedelt. Die natürlichen dazu bestimmt, junge Leute, die Bedingungen zwischen Bergen und für einige Jahre zum Studium hier- Lagune erwiesen sich als besonders her kamen, zu unterrichten und zu günstig. Ghar el-Melh wird von zwei beherbergen. Hauptstraßen durchquert, die zen- Die Moschee von Rahba aus dem trale verläuft über den Hauptplatz, 11. Jh. h./ 17. Jh. befindet sich am die andere führt an einem kleinen Hauptplatz in der Mitte des Ortes. überdachten Suq vorbei. Diese bei- Ihr kleines quadratisches Minarett den Hauptverkehrsadern sind durch im Hof vor dem Betsaal ist der kürzere Querstraßen miteinander Blickfang des Platzes und seiner verbunden. Umgebung.

Brücke von Bizerte, Gesamtansicht, Landstraße nach Bizerte.

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Alter Hafen, Blick auf den Hafen und die Waffenkammer, Ghar el-Melh.

Hafen- und Der Hafen wurde zur selben Zeit Befestigungsanlagen wie der Ort angelegt. Der aus Granada stammende Baumeister Die Bedeutung Ghar el-Melhs grün- des Hafens, Usta Mussa al-A­ ndalusi det sich in erster Linie auf seinen al-Gharnati, war vom Dey von Hafen und seine Befestigungsbauten. Tunis, Usta Murad (1047-1049 Mit seinem künstlichen h./ 1638-1640), eigens aus Algier Hafenbecken, der dazugehörigen herbei ­gerufen worden, wo er bei Waffenkammer und den drei Forts der Instandsetzung des Hafens aus dem 11. Jh. h./ 17. Jh. besitzt und der Stadt­befestigungen mit- der Ort eine der bemerkenswer- gewirkt hatte. Die nachträglichen testen tunesischen Militäranlagen Restaurationsarbeiten haben Mussa osmanischer Zeit. Die Baumeister al-Andalusis Werk nicht entstellt, waren Mauren, was dem Komplex wie Inschriften aus dem 11. Jh. ein andalusisches Gepräge verleiht. h./ 17. Jh. und 12. Jh. h./ 18. Jh. belegen. Bei dem Hafen handelt es sich um eine künstliche Anlage. Das Hafenbecken wird von drei Molen III.1.a Alter Hafen gebildet. Die Einfahrt ist 25 Meter breit und wird von zwei Bastionen Den gesamten Ort durchfahren, bis man gesäumt, zwischen denen man eine am alten Hafen anlangt. Eisenkette spannte, wenn man den

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Hafen schließen wollte. Die Kais III.1.c Östliches Fort sind auf der Lagunenseite von einer Mauer mit großen Schießscharten In der Nähe der Waffenkammer umgeben. Früher waren hier Von den Französischen Kolonisten in ein Kanonen aufgestellt. Zuchthaus umgewandelt Wie die türkische Inschrift über dem Türsturz des Eingangsportals III.1.b Waffenkammer besagt, war es der Dey Mustafa Laz, der 1069 h./ 1659 den Bau Die Waffenkammer, die erst einige der Anlage in Auftrag gab, nach- Jahre nach der Fertigstellung dem die Engländer den Ort 1063 des Hafens angelegt wurde, ist h./ 1653 angegriffen hatten. Der ein heute teilweise verfallener rechteckige Bau mit seinen vier Komplex. Sie besteht aus 7 mal Ecktürmen war von einem Graben 18 Meter großen, tonnenüber- umgeben, der später teilweise wölbten Lagerhallen. An diese zugeschüttet wurde. Bis dahin schließen sich Galerien an, unter mußte man eine Brücke über- denen sich die Trockendocks queren, um durch eine einzige befanden. Zur Waffenkammer Tür auf der Westseite ins Innere gehörten auch zwei Lager für die zu gelangen. An den rechteckigen Sklaven – allesamt Christen – und offenen Hof grenzen Zellen und höchstwahrscheinlich auch eine Kasematten. In der nordöstlichen Kapelle für jene. Ecke befindet sich der Gebetssaal.

Waffenkammer, Gewölbe, Ghar el-Melh.

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Hafens. Einer Inschrift über dem Eingang zu­folge wurde es 1047 h./ 1638 fertiggestellt.­ Jüngere Bauarbeiten haben das Innere des Gebäudes vollständig veränder­ t. Es hat einen rechteckigen Grund­­ riß und wird in den Ecken von vier achteckigen Basteien flan- kiert. Der Zugang erfolgt über eine Tür an der Nordseite. Früher führte eine Brücke über den Graben rings um das Fort. Die etwa zehn Meter hohe Wallanlage ist mit Haustein bedeckt. In Stein gehauene Zierleisten weisen auf die Brüstung hin. Die Basteien aus Haustein haben oben Öffnungen für die Kanonen.

III.1.e Westliches Fort Wenn man in den Ort hineinkommt, ist es gleich das erste Fort rechts. Laut der Inschrift am Tympanon Östliches Fort, Die Terrassen der Kasematten und des einzigen Gebäudezugangs Ecksäule, die Außenmauern bilden beson- wurde dieses Fort ebenfalls im Ghar el-Melh. ders auf der Lagunenseite breite Jahre 1069 h./ 1659 auf Befehl Rundgänge, die zum Wasser hin von Dey Mustafa Laz erbaut. Die durch eine Brüstung, von außen an rechteckige Anlage wird im Süden den runden Zierleisten erkennbar, von zwei achteckigen Basteien abgeschirmt sind. und im Norden von einer halb- mondförmigen Bastei flankiert. Der dem Bauwerk in der Form III.1.d Zentralfort angepaßte Hof wird von mehreren Kasematten und dreizehn über- Beim Sitz der A.S.M. („Vereinigung zur wölbten Unter­ständen begrenzt. Rettung der Medina“). Heute ist hier Letztere sind mit Schießscharten eine Außenstelle des Sozialministeriums ausgestattet. Ein fünf Meter untergebracht. breiter Rundgang ist von einer Brüstung mit Öffnungen für die Das Zentralfort von Ghar el-Melh Kanonen umgeben. Das westliche ist ebenfalls ein Werk von Mussa Fort besitzt außerdem eine kleine al-Andalusi, dem Erbauer des Moschee und eine Zisterne.

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Zentralfort, Eckturm, Ghar el-Melh.

Westliches Fort, Gesamtansicht vom Meer aus, Ghar el-Melh.

III.2 BIZERTE Bizerte ist eine Hafenstadt in Nord­ tunesien. Sie erstreckt sich bis zur Mündung des Stichkanals, der Von el-Alia die Landstraße Richtung den See mit dem Meer verbin- Bizerte weiterfahren. det. Nach der Eroberung durch die Araber erhielt die an der Stelle In der Nähe der Stadt führt die des antiken Hippo Diarrhytus, Straße am See von Bizerte entlang. In der späteren römischen Kolonie, der Ferne erblickt man die hügelige gelegene Ansiedlung den Namen Silhouette des Naturparks von Ichkeul. „Binzart“. Die mittelalterliche Stadt

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berüchtigten Piratennest, was maß- geblich zu ihrer wirtschaftlichen Blüte beitrug. Die An­siedlung von andalusischen Einwanderern um 1017 h./ 1609 in vielen Dörfern der Umgebung und in einem Teil der Medina, der heute noch Andalusier- Viertel genannt wird, hatte ebenfalls einen sehr positiven Einfluß sowohl auf das Bevölkerungswachstum als auch auf Militär, Handel und Landwirtschaft. Innerhalb der Stadtmauern waren in Bizerte bis Ende des 19. Jh. verschiedene urbane Einheiten entstanden: die Medina, die Kasba, die Ksiba, das Franzosen-Viertel und das Andalusier-Viertel. Medina Die westlich der Kasba gelegene Medina war bis Ende des 19. Jh. von einer Stadtmauer mit meh- reren Toren umgeben. Von der Befestigung sind nur noch zwei Teilstücke erhalten, die das Spanier-Fort mit dem Andalusier- Viertel verbinden. Die ursprüng- liche Mauer war ungefähr sechs Meter hoch und 3,50 Meter dick und besaß eine Brüstung mit lauter Suq, Aquarell aus mit ihren Bazaren, der Großen Schießscharten. dem 19. Jh., Bizerte. Moschee und den Bädern war von Die Große Moschee, die sich in Be­festigungsmauern umgeben. Nach der Medina erhebt, wurde 1060 einer Periode der Stagnation erlebte h./ 1650 von Dey Muhammad sie eine relative Blütezeit als Sitz eines Laz an der Stelle einer mittelalter- kleinen unabhängigen Fürstentums, lichen Moschee errichtet. Sie steht regiert von den Banu al-Ward (444- genau im Zentrum der Medina auf 599 h./ 1053-1203). Im späten den Kais des Alten Hafens auf einer Mittelalter im 10. Jh. h./ 16. Jh. kam Plattform, in deren unterem zum es zu einem erneuten Niedergang. Hafen gehenden Teil fünf Läden Das Gebiet wurde Schauplatz hef- untergebracht sind. tiger Zusammenstöße zwischen An der Nordseite des Hofs ragt Türken und Spaniern. In der Neuzeit, ein achteckiges Minarett auf besonders während des 17. und 18. einem quadratischen Sockel auf, Jh. profitierte Bizerte von der rela- das von einem umlaufenden über- tiven Stabilität, für die Deys und Beys dachten Balkon gekrönt wird. sorgten. Die Stadt wurde zu einem Der ebenfalls achteckige Aufsatz

122 route iii Die Andalusier Bizerte hat ein pyramidenförmiges Dach. Süden der Einfahrt und ringshe- Wenngleich nicht so hoch wie die rum noch einen Mauerring. Die Minaretts von Tunis gibt dieses Einfahrt konnte mit Hilfe einer nicht weniger originelle Minarett zwischen der Kasba und der Ksiba Aufschluß über den osmanischen gespannten Eisenkette abgesperrt Einfluß auf die Sakralbauten von werden. Von den beiden Molen Bizerte, das zu jener Zeit einen und der Mauer ist heute nichts der Haupthäfen des Reiches mehr zu sehen. Auf den beiden besaß. Kais befinden sich zwei Brunnen, Unweit der Großen Moschee die Wasserversorgung sichern. Der befindet sich die Zawiya des Sidi Jussuf-Dey-Brunnen auf dem nörd­ al-Mustari, des Ortsheiligen. lichen Kai wurde 1029 h./ 1620 Das Bauwerk befindet sich in von einem Andalusier gebaut. Das der Medina unweit der Großen geht aus einer schönen Inschrift Moschee auf einer Plattform, in hervor, die auf einer Marmorplatte Minarett der Großen deren unteren Teil einige Läden auf dem Tympanon des zweifarbigen Moschee, Aquarell aus untergebracht sind. Es wurde 1083 Brunnenbogens ein­graviert ist. dem 19. Jh., Bizerte. h./ 1673 auf Befehl von Murad Bey errichtet. Der Komplex ent- hält alle Bestandteile, wie sie für eine Zawiya-Madrassa üblich sind, also einen Raum für die ritu- elle Waschung, einen überkup- pelten Raum mit dem Grabmal des Stifters und eine Vorhalle, an die sich ein hübscher, rundhe- rum mit Galerien gesäumter Hof anschließt. Hinter den Galerien liegen mehrere Zimmer, eine Koranschule (Kuttab) und ein Gebetssaal.

III.2.a Alter Hafen Zum Kai des Alten Hafens fahren und das Auto bei der Place du 18 Janvier 1952 abstellen. Der Alte Hafen, in dem immer noch Fischerboote vor Anker lie- gen, ist ein am Stichkanal zwi- schen Binnensee und offenem Meer gelegener Naturhafen. Bis zum 9. Jh. h./ 15. Jh. wurde der Hafen durch die Kasba und die Ksiba geschützt, dann baute man zwei Molen im Norden und im

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Alter Hafen, Kai an der Kasba, Bizerte.

III.2.b Kasba der Kasba. Man gelangt dorthin ent- weder mit dem Auto über die Rue Sidi Zum Eingang gelangt man über el-Henni oder zu Fuß über den Quai de den Quai Khimais Tarnan. Eintritt. la Qsiba. Öffnungszeiten: 9.00-11.30 Uhr und Im Burdj Sidi el-Henni ist heute ein 15.00-19.30 Uhr, montags geschlos- Meeresmuseum untergebracht. sen. Toiletten. Die Ksiba oder die kleine Zitadelle, Vom Terrassencafé schöne Aussicht über ein bereits im 5. Jh. h./ 11. Jh. die Dächer der Medina und aufs Meer. bezeugtes Fort, erhebt sich auf dem Südufer des Kanals gegenüber der Die mauerumwehrte Kasba stellt Kasba. Beide Bauten kontrollierten mit ihren Moscheen, Bädern und die Hafeneinfahrt; mit einer zwi- Häusern eine Stadt für sich dar. schen ihnen ge­spannten Eisenkette Die rechteckige Ummauerung aus konnte die Einfahrt abgesperrt feinem Haustein (170 mal 110 werden. Nach der Ksiba wurde Meter) wird von acht Türmen flan- auch ein ehemals von Fischern kiert. Ein einziges Tor verbindet die bewohntes kleines Stadtviertel Kasba mit der Medina. benannt.

III.2.c Ksiba (Option) III.2.d Andalusierfort Dieses Viertel befindet sich auf der ande- Man gelangt zu dem Bauwerk über die ren Seite des Alten Hafens gegenüber Avenue du 15 Octobre.

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Dieses mächtige Fort befin- befindet sich auf der Stadtseite. det sich auf einer Erhebung im Der vieleckige Hof im Inneren Nordwesten der Stadtmauer. Die wird an der Südostseite von einer günstige Lage gestattete es, die Rampe flankiert, die zu einer von Stadt, den Hafen und die Reede einer 1,90 Meter hohen Brüstung zu überwachen. Nach dem Plan geschützten Artilleriestellung eines sizilianischen Baumeisters führt. begann Eulj Ali, Pascha von Algier, mit dem Bau der Festung. Nach ihrer Einnahme durch die Spanier wurde sie von diesen vollendet. Andalusier-Viertel Daher stammt auch der Name Fort d’Espagne („Spanierfort“). Die Das Andalusier-Viertel befindet Anlage, die ursprünglich die Form sich außerhalb der Stadtmauern eines fünfzackigen Sterns hatte, im Nordosten der Medina. Von den präsentiert sich heute nach meh- Mauren um 1018 h./ 1610 angelegt, reren Umbauten als dreizehnsei- dehnte es sich im Laufe der Zeit mehr tiges Vieleck, das zum Teil aus oder weniger regelmäßig um eine Stampflehm mit einer Blendmauer Nord-Süd-Achse über ein Gebiet aus gehauenen Steinen besteht. von 450 mal 130 Meter aus. Es Der einzige Zugang unter einem besitzt auch eine eigene Moschee – bogengeschmückten Portalvorbau die „Andalusier-Moschee“.

Kasba, Ansicht vom Kai aus, Bizerte.

125 route iii Die Andalusier Bizerte

Andalusierfort, Aquarell aus dem 19. Jh., Bizerte.

Rafraf durch hügeliges Land, das für seine Aus dem ehemaligen Fischerdorf, das Muskateller-Reben berühmt ist. Am sich an den Hügel Rafraf schmiegt, Eingang von Rafraf bietet sich ein entwickelte sich ein bedeutender Ort eindrucksvoller Blick auf den Ort und mit einem sehr hübschen Strand. die karge Insel Pilau. Die Straße von Ghar el-Melh führt

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