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Entomologie heute 29 (2017): 69-81

Schwergängige Blütenmechanismen selektieren Bestäuber: Florale Filterwirkung bei den Blasensträuchern arborescens und Colutea orientalis

Hard-moving Floral Mechanisms Select Pollinators: Floral Filter Effect of the Bladder Sennas and Colutea orientalis

NICOLINE GAPPEL, PETRA WESTER & KLAUS LUNAU

Zusammenfassung: Die Blasensträucher (Colutea spp.) sind von Bienen bestäubte Schmetter- lingsblütler (), die ihren Pollen in einem relativ schwergängigen Schiffchen der Blüte verbergen. Sowohl zum Nektartrinken als auch zum Pollensammeln müssen die Bienen das Schiffchen öffnen, indem sie es herunterdrücken. Feldbeobachtungen zeigten, dass nicht alle Bienen die Blüten der Arten Colutea arborescens und C. orientalis legitim besuchen, indem sie das Schiffchen öffnen. Es stellt sich die Frage, ob bei Blüten von Colutea spp. ein fl oraler Filter durch Kraft oder durch eine gewisse erforderliche Technik beim Blütenbesuch vorliegt, der nur wenigen Bienen den Zutritt zur Blüte erlaubt. Zur Beantwortung dieser Frage wurden Kräfte an Blüten von C. arborescens und C. orientalis gemessen, die erforderlich sind, um Nektar und Pollen freizulegen, sowie das Körpergewicht der Bienen und der Anteil legitimer Blütenbesuche bestimmt. Die Ergebnisse zeigten, dass die schweren Holzbienen (Xylocopa violacea) und die leichten Blattschneiderbienen (Megachile ericetorum) die Blasenstrauchblüten legitim besuchen, während Hummeln und Honigbienen das nicht tun. Berechnungen zeigen, dass die Kräfte, die erforderlich sind, um Nektar und Pollen an Blüten von C. arborescens und C. orientalis freizulegen, selbst von den Holzbienen allein durch ihr Körpergewicht nicht aufgebracht werden können. Die leichtgewichtigen Blattschneiderbienen scheinen ihre Kraft durch einen Hebelmechanis- mus zu vergrößern, wobei sie sich mit ihren kräftigen Mandibeln in Wülsten der Fahnenbasis festbeißen und verankern; dadurch können sie die Blüten problemlos legitim besuchen. Bei Blüten von Colutea liegt als fl oraler Filter eine Kombination aus Kraft und Technik vor, die einige Bienenarten vom Blütenbesuch abhält.

Schlüsselwörter: Legitimer Blütenbesuch, fl oraler Filter, Colutea spp., Kraft, Technik

Summary: Colutea spp. is a bee-pollinated Fabaceae that hides its pollen in the keel of the fl ower, the latter being hard to open. In order to drink nectar and to collect pollen, the bees have to open the keel by pressing it down. Field observations have shown that not all bees are able to legitimately visit the fl owers of Colutea arborescens and C. orientalis. Thus, the question arises whether a fl oral fi lter through force or a certain handling technique during fl ower visits exists which only allows a few bees to enter the fl owers. To answer this question, forces needed to gain access to nectar and pollen were measured in fl owers of Colutea as well as the body weight and the proportion of legitimate fl ower visits were determined. The results of these measurements showed that only heavy carpenter bees (Xylocopa violacea) and light leafcutter bees (Megachile ericetorum) legitimately visit Colutea spp. fl owers, but that bumblebees and honeybees do not. Calculations showed that even carpenter bees are not able to apply forces necessary to expose nectar and pollen from C. arborescens and C. orientalis fl owers through their body weight alone. The light leafcutter bees appear to increase their physical strength by using a lever mechanism. With their strong mandibles, the leafcutter bees stabilise themselves by biting in

Entomologie heute 29 (2017) 70 NICOLINE GAPPEL, PETRA WESTER & KLAUS LUNAU the humps of the fl ag base and thus are able to legitimately visit the fl owers. Flowers of Colutea spp. feature a combination of force and handling technique as a fl oral fi lter which prevents some bee species from visiting the fl owers.

Keywords: Legitimate fl ower visit, fl oral fi lter, Colutea spp., force, technique

1. Einleitung des Pollens durch sie ebenfalls reduziert wird, sodass zusätzlich der Problematik Im Laufe der Evolution haben viele Pfl anzen des Pollendilemmas entgegengewirkt wird Mechanismen entwickelt, um nur bestimmte (TEPPNER 1988; WESTERKAMP 1993). Ein Blütenbesucher anzulocken und den Besuch geringerer Pollenverlust und eine erfolg- anderer, unerwünschter Blütenbesucher zu reiche Pollenübertragung durch geeignete vermeiden (CASTELLANOS et al. 2004). Diese Bestäuber wirken sich vorteilhaft auf die sogenannten fl oralen Filter fi nden sich vor Reproduktion der Pfl anzen aus. Jedoch tre- allem im äußeren Erscheinungsbild der ten bei oligolektischen Bienen als Bestäuber Blüten (JOHNSON & STEINER 2000; JOHNSON auch Nachteile auf, denn sie sammeln Pollen et al. 2006). Zu den fl oralen Filtern zählen oft sehr gezielt und effi zient, wodurch dieser morphologische Filter, z. B. lange Nektar- dann doch für die Bestäubung der Blüten sporne (RAGUSO 2008; ALEXANDERSSON & verloren geht (MÜLLER 1996; WESTERKAMP JOHNSON 2001), physiologische Filter wie & CLASSEN-BOCKHOFF 2007). verdünnter oder für Bienen ungenießba- Bei mechanischen fl oralen Filtern benötigen rer Nektar (IRWIN et al. 2004; RHOADES & Blütenbesucher beispielsweise eine gewisse BERGDAHL 1981), sensorische Filter wie der Kraft, um zu Nektar und Pollen der Blüte Blütenduft oder die Blütenfarbe (RAGUSO zu gelangen (BRANTJES 1981). TEPPNER 2008; JOHNSON et al. 2006; SCHIESTL 2010) (1988) und REITH et al. (2006) beschrieben und mechanische Filter. bereits verschiedene Pollenübertragungsme- Im Falle von melittophilen (bienenbestäub- chanismen, welche von den Bienen Kraft ten) Pfl anzen können feine fl orale Filter erfordern. Durch diese Kraft erfordernden bewirken, dass einige Pflanzenarten nur Mechanismen entstehen fl orale Filter, weil noch von bestimmten Bienenarten besucht nicht alle Bienen in der Lage sind, diese werden können, sodass sich diese Bienen auf Kraft aufzubringen oder den jeweiligen Blüten bestimmter Pfl anzen spezialisieren Mechanismus auszulösen. Gerade bei der und somit oligolektisch sind (PRAZ et al. Pfl anzenfamilie Fabaceae (Hülsenfrüchtler) 2008). Oft sind Blüte und Bestäuber anei- sind solche mechanischen fl oralen Filter weit nander angepasst, ähnlich einem Schlüssel- verbreitet, allerdings noch wenig erforscht Schloss-Prinzip (GRANT & GRANT 1965). (CORDOBA & COCUCCI 2011). Die Blüten der Ein spezialisiertes Bestäubungssystem ist Fabaceae sind so aufgebaut, dass Nektar und für Pfl anzen von Vorteil, da oligolektische Pollen nicht direkt zugänglich sind, sondern Bestäuber nur Blüten anfl iegen, die ihrer prä- von Blütenteilen geschützt werden. Die ferierten Pfl anzenart angehören, wodurch Schmetterlingsblüten der Blasensträucher Pollenkörner mit höherer Wahrscheinlich- Colutea spp. haben einen für Fabaceae typi- keit zu Blüten derselben Art transportiert schen Aufbau. Sie bestehen aus fünf Petalen: werden und weniger Pollen verlorengeht Das obere Petalum ist vergrößert, es bildet (JOHNSON & STEINER 2000). Durch den die Fahne der Blüte, die unteren beiden Pe- alleinigen Besuch oligolektischer Bienen talen sind zu einem Schiffchen verbunden, wird die Anzahl der blütenbesuchenden worin sich Stamina und Stylus befi nden, Bienenarten reduziert, wodurch der Verlust und die mittleren Petalen bilden jeweils Schwergängige Blütenmechanismen selektieren Bestäuber 71 seitlich des Schiffchens sogenannte Flügel chern das Fouragieren an der Blüte verwehrt (TUTIN 1972). Somit liegen Stamina und wird und anderen Blütenbesuchern nicht. Stylus inklusive Pollen und Nektar geschützt innerhalb des Schiffchens. Nur Blütenbe- 2. Material und Methoden sucher, die genug Kraft aufbringen, um das Schiffchen herunterzudrücken, können die 2.1. Blütenmorphologie Blüte öffnen und Nektar trinken oder Pollen sammeln. Illegitime Blütenbesucher sind Zur Klärung der Fragen, warum die Blüten höchstens mithilfe eines langen Rüssels oder von Colutea spp. nicht leicht zu öffnen sind durch Umgehen des Blüteneingangs und und warum die Blütenbesucher bestimmte durch Beißen von Löchern am Blütengrund Positionen auf den Blüten einnehmen, wur- in der Lage Nektar zu trinken, übertragen de der morphologische Aufbau der Blüte un- aber keinen Pollen und sind somit vielmehr tersucht. Dazu wurden mehrere Blüten von Nektardiebe. C. orientalis und C. arborescens präpariert und Voruntersuchungen haben gezeigt, dass mit einer Kamera (iPhone 6, Apple Inc., Cu- der Blütenmechanismus von Colutea spp. pertino, USA) inklusive Makroobjektiv mit relativ schwergängig ist und die Blüten nur 7-, 14- und 21-facher Vergrößerung (Macro legitim von Blattschneiderbienen (Megachile Pro Lens, Olloclip, Huntington Beach, USA) sp.) besucht werden können. Andere blü- dokumentiert. Zusätzlich wurde untersucht, tenbesuchende Bienen wie die Westliche wie der Pollen in der Blüte präsentiert wird, Honigbiene (Apis mellifera) und die Dunkle wo sich der Zugang zum Nektar befi ndet Erdhummel (Bombus terrestris) sind nicht in und welche Bewegungen Blütenbesucher der Lage, die Blüten legitim zu besuchen, ausüben müssen, um optimal fouragieren da sie den Blütenmechanismus anscheinend zu können. nicht auslösen können (LUNAU, unveröf- fentlichte Daten). Allerdings ist noch nicht 2.2. Kraftmessungen an Blüten bekannt, ob Megachile sp. die Blüte allein durch ihre Körperkraft öffnen kann oder Für die Messung der notwendigen Kraft, wel- ob sie zum Beispiel einen Hebelmechanis- che die Blütenbesucher aufbringen müssen, mus nutzt, indem sie sich in den Höckern um Blüten von Colutea-Arten legitim besu- auf der Fahne der Blüte verbeißt und so chen zu können, wurden frische Blüten von das Schiffchen mit ihrem Körper leichter C. orientalis und C. arborescens im Botanischen herunterdrücken kann. Garten in Düsseldorf sowie frische Blüten Daher wurden folgende Hypothesen zur von C. arborescens im Kaiserstuhl untersucht. Colutea-Bestäubung überprüft: Laut der Ein Präzisionskraftmessgerät (FMI-250 A5, Krafthypothese können nur bestimmte Alluris, Freiburg) wurde auf einem Feintrieb Bienen aufgrund ihres Körpergewichts montiert und mit einem Messaufsatz aus ei- und/oder ihrer aufgebrachten Kraft die nem rechtwinklig gebogenen Stahldraht ver- Blüten von Colutea spp. legitim besuchen. sehen. Der Federstahldraht des Messaufsatzes Die Technikhypothese besagt, dass nur wurde so platziert, dass er sich möglichst weit bestimmte Bienen die von der Blüte angebo- distal auf der dorsalen Seite des Schiffchens tenen Hilfsmittel (Höcker) zur Verankerung befand. Aufgrund von Voruntersuchungen nutzen können und mittels Hebeltechnik die (TESCHKE 2014) ist davon auszugehen, dass Blüte von Colutea spp. legitim besuchen. Bei- Blütenbesucher diesen Punkt mit geringstem de Hypothesen nehmen an, dass ein fl oraler Widerstand während des Blütenbesuchs wäh- Blütenmechanismus bei Colutea spp. vorliegt, len, um möglichst wenig Kraft aufwenden wodurch selektiv bestimmten Blütenbesu- zu müssen.

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Während der Messungen wurde das 2.5. Untersuchungen zum legitimen Messgerät mittels des Feintriebes manuell Blütenbesuch herab bewegt, d.h. der Draht senkrecht nach unten auf das Schiffchen der Blüte Die Untersuchungen zum legitimen Blüten- gedrückt, bis dieses sich öffnete. Zur besuch erfolgten in Düsseldorf und nur an Auswertung der Kraftmessungen wurden Individuen von Megachile ericetorum, da andere jeweils nur die Maximalwerte jeder Mes- legitime Blütenbesucher nur im Kaiserstuhl sung verwendet. beobachtet werden konnten. Es wurde je- weils ein Individuum von M. ericetorum mit 2.3. Beobachtungen der blütenbesu- mehreren Blüten von C. arborescens in ein chenden Bienen im Freiland 53 x 100 mm großes Fangglas überführt und beobachtet. Die Versuche erfolgten an Zur Klärung der Frage, welche Bienen 15 Bienen, wobei jede Biene zunächst an Colutea-Blüten bestäuben, wurden mehrere naturbelassene Blüten gesetzt wurde und Sträucher beobachtet. Zum einen wurde anschließend an Blüten, deren Höcker mit jeweils ein Strauch von C. orientalis und C. einer Rasierklinge abgeschnitten wurden. arborescens im Freiland des Botanischen Gar- Es wurde beobachtet und protokolliert, ob tens in Düsseldorf untersucht. Zum anderen Blüten ohne Höcker ebenfalls legitim von wurden mehrere Sträucher im natürlichen M. ericetorum geöffnet werden konnten und, Verbreitungsgebiet von C. arborescens, im falls ja, ob dies länger dauerte und eventuell Kaiserstuhl im Südschwarzwald, untersucht. schwieriger für die Bienen war. Die Dauer Hier befinden sich viele Sträucher von des Blütenbesuches wurde gemessen und C. arborescens am Büchsenberg (48° 4‘ 15‘‘ zusätzlich gezählt, wie oft die Bienen ihre nördliche Breite, 7° 36‘ 28‘‘ östliche Länge, Mandibeln an der Blüte ansetzen mussten, 280 m ü. NN) und an der Mondhalde (48° bis sie sich einen festen Halt verschafft 6‘ 18‘‘ nördliche Breite, 7° 38‘ 46‘‘ östliche hatten. Länge, 354 m ü. NN). Folgende Parameter wurden dokumentiert: 2.6. Statistische Auswertung Beobachtungsdauer der Sträucher, ungefäh- re Anzahl der beobachteten Blüten, Anzahl Die statistische Auswertung erfolgte mit der Blütenanfl üge (nach Arten der Bienen R 3.3.0 (R Development Core Team 2016) in sortiert) und die Art des jeweiligen Blüten- RStudio 0.99.902 (RStudio 2016). Der Ver- besuches. Bei der Art des Blütenbesuches gleich der Kraft- und Gewichtsmessungen wurde in „legitim“, „Raub“ und „Diebstahl“ erfolgte mittels des Mann-Whitney-U-Tests unterschieden. „Diebstahl“ und „Raub“ und des Kruskal-Wallis-Tests, auf den ein bezeichnen illegitime Blütenbesuche, bei Mann-Whitney-U-Test als Post-hoc-Test denen die Bienen nicht zur Bestäubung der folgte. Die verschiedenen Anflüge auf Blüten beitragen. Blüten wurden mittels des Chi²-Tests ver- glichen. 2.4. Gewicht der untersuchten Bienen 3. Ergebnisse Die beobachteten Bienen wurden nach ihrem Blütenbesuch gefangen und gewogen 3.1. Blütenmorphologie (mittels einer Juwelier-Feinwaage FC-20 mit einer Graduierung von 0,001 g, G&G, Die Blüten von Colutea arborescens und Colu- Neuss) und anschließend wieder freige- tea orientalis haben denselben, für Fabaceae lassen. typischen Aufbau. Der einzige sichtbare Schwergängige Blütenmechanismen selektieren Bestäuber 73

Unterschied der Blüten besteht darin, dass lich, der sich am Receptaculum der Blüte die Blüten von C. orientalis etwas kleiner befi ndet (Abb. 1F). Blüten von Colutea spp. sind als die von C. arborescens und zudem betreiben sekundäre Pollenpräsentation, d. eine andere Färbung aufweisen. Die Blüten h. Pollen befi ndet sich im Knospenzustand von C. orientalis sind orangerot gefärbt und zunächst in den Antheren der Stamina und ihre Fahne trägt mittig ein farbig deutlich wird während der Blütereifung auf dem abgesetztes, gelbes Blütenmal. Im Gegensatz Stylus abgelagert. Erst von hier wird Pollen dazu erscheint die Blüte von C. arborescens auf die Blütenbesucher übertragen und in einem leuchtenden Gelb und besitzt, an zwar indem manche Blütenbesucher den gleicher Stelle wie C. orientalis, auf der Fahne Pollen aktiv abbürsten. ein rotes Blütenmal. Bestäuber von Colutea spp. sind Bienen, Die Blüten bestehen jeweils aus fünf Petalen, die in der Lage sind, die Blüte legitim zu wobei das obere Petalum stark vergrößert ist besuchen. Ein legitimer Blütenbesuch be- und die Fahne der Blüte bildet. Auf dieser deutet, dass die blütenbesuchende Biene das Fahne befi ndet sich, eine Besonderheit bei Schiffchen herunterdrückt und so während den Blüten von Colutea spp., beidseits lateral des Blütenbesuchs Kontakt zu den Repro- der Mediane jeweils eine kleine, ca. 1 mm duktionsorganen (Stamina und Stylus) hat. hohe Erhebung, hier als Höcker bezeich- So kann sowohl Pollen auf dem Körper der net (Abb. 1A). Die Funktion dieser beiden Biene abgelagert werden, als auch Pollen von Höcker ist noch nicht bekannt; sie könnten dem Körper der Biene auf die Narbe der eventuell als Hilfe zum legitimen Blütenbe- Blüte gelangen, sodass es zur Bestäubung such dienen oder auch bei der Stabilität der kommt. Blüte dienen. Die unteren beiden Petalen Der Zugang zum Nektar, den Bienen trin- sind verbunden und bilden das Schiffchen ken, liegt genau so, dass die Biene auf der der Blüte (Abb. 1B). Diese beiden Petalen Blüte eine bestimmte Position einnehmen sind jedoch nur an der ventralen Seite fest muss. Um mit ihrem Rüssel durch die miteinander verwachsen; an der dorsalen Staubblattröhre zu dem Nektar zu gelangen, Seite bilden sie eine kleine, schlitzförmige muss die Biene mit ihrem Kopf zur Fahne Öffnung. Die mittleren beiden Petalen gerichtet auf dem Schiffchen sitzen. In liegen jeweils dorsolateral des Schiffchens; dieser Position können Bienen Pollen, der sie bedecken die Öffnung des Schiffchens sich so unter ihnen im Schiffchen befi ndet, und werden als Flügel bezeichnet (Abb. 1B). mit ihren Beinen abbürsten und auf ihrem Flügel und Petalen des Schiffchens besitzen Körper ablagern. am jeweiligen proximalen Ende eine Art Gelenk, sodass ein mehrfaches Herunter- 3.2. Kraftmessungen an Blüten drücken von Flügel und Schiffchen möglich ist, ohne dass dabei die Blüte beschädigt wird Bei Blüten von Colutea orientalis, die in Düs- (Abb. 1C, D). seldorf gesammelt und vermessen wurden, Entfernt man vorsichtig die Flügel und wurde eine durchschnittliche Maximalkraft das Schiffchen, so werden Stamina und von 18 mN ± 6 mN Standardabweichung Stylus der Blüte freigelegt (Abb. 1E). Jede (n = 20, je drei Messwiederholungen) benö- Blüte besitzt zehn Stamina, wobei neun tigt, um den Blütenmechanismus auszulösen davon zu einer nach dorsal offenen Röhre und den Griffel sichtbar austreten zu lassen. verwachsen sind. Das zehnte Stamen liegt Bei der schwergängigsten Blüte wurden frei, wodurch dorsomedial die Öffnung der 72 mN, bei der leichtgängigsten Blüte 6 mN Staubblattröhre entsteht. Hier wird für Blü- gemessen. Blüten von Colutea arborescens, tenbesucher der Zugang zum Nektar mög- ebenfalls von einem Strauch in Düsseldorf,

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Abb. 1: Blütenaufbau von Colutea spp. A Teil der Fahne der Blüte von Colutea arborescens mit Erhe- bungen (Höckern) lateral der Medianen. B Schiffchen mit verborgenem Stylus und Stamina (1) und Flügel (2) der Blüte. C Gelenk proximal des Schiffchens. D Gelenk proximal des Flügels. E Stamina (1) und Stylus mit sekundärer Pollenpräsentation (2) befi nden sich innerhalb des Schiffchens und Eingang zum Nektar (3). F Eingang zum Nektar (3) am Receptaculum. Fig. 1: Flower structure of Colutea spp. A Part of a standard of a fl ower of Colutea arborescens with two raisings (humps) fl anking the median. B Keel with concealed stylus and stamina (1) and wings (2) of the fl ower. C Joint proximal of the keel. D Joint proximal of the wings. E Stamina (1) and stylus with secondary pollen presentation (2) are located inside the keel, entrance to the nectar (3). F Entrance to nectar (3) at the receptacle. waren schwerer zu öffnen, hier wurde eine Blüte einen Kraftaufwand von 85 mN, die durchschnittliche Maximalkraft von 35 mN leichtgängigste Blüte benötigte 13 mN. Bei ± 18 mN (n = 20, je drei Messwiederholun- Blüten von C. arborescens, die im Kaiserstuhl gen) gemessen. Zum Auslösen des Blüten- getestet wurden, wurde eine durchschnitt- mechanismus benötigte die schwergängigste liche Maximalkraft von 31 mN ± 15 mN Schwergängige Blütenmechanismen selektieren Bestäuber 75

(n = 22, je drei Messwiederholungen) gemes- messen werden (n = 20 Individuen). Ein sen. Hier wurden bei der schwergängigsten ähnliches durchschnittliches Körpergewicht Blüte 65 mN benötigt und bei der leicht- zeigten Vertreter der Ackerhummel (Bombus gängigsten Blüte 7 mN. Die gemessenen pascuorum) mit 192 mg ± 29 mg (n = 10 In- Kräfte bei Blüten von C. arborescens, sowohl dividuen). Die Westliche Honigbiene Apis in Düsseldorf als auch im Kaiserstuhl, sind mellifera wiegt mit 98 mg ± 9 mg (n = 10 In- signifi kant höher als die Kräfte, die nötig dividuen) nur etwa die Hälfte einer Hummel. sind, um Blüten von C. orientalis (Düsseldorf) Bei Vertretern von Megachile ericetorum konnte zu öffnen (Kruskal-Wallis-Test: FG = 2, ein ähnliches Gewicht von durchschnittlich p < 0,001; Mann-Whitney-U-Test, p < 0,05). 104 mg ± 16 mg gemessen werden. Die Bei den Blüten von C. arborescens wurde großen Bienen von Xylocopa violacea waren unabhängig vom Fundort der Sträucher mit 761 mg ± 75 mg die schwersten der hier gleich viel Kraft benötigt, um die Blüten untersuchten Arten. zu öffnen. Bei den Kraftmessungen an den Blüten 3.4 Beobachtungen der blütenbesu- von C. arborescens im Kaiserstuhl fi el auf, chenden Bienen im Freiland dass zwischen benötigter Maximalkraft und Intensität des Blütenmals auf der Fahne der Blüten von Colutea arborescens in Düsseldorf Blüte ein Zusammenhang besteht. Blüten wurden von anderen Bienen besucht als mit einem verblassten Blütenmal ließen sich Blüten von Colutea orientalis, die sich am viel leichter öffnen als Blüten mit einem selben Fundort befanden. Die Blüten von intensiven Blütenmal. Daraufhin wurden C. arborescens wurden signifi kant häufi ger Blüten getrennt nach Intensität ihres Blüten- von Apis mellifera (Chi²-Test, X² = 66,0; mals (verblasst oder intensiv) gesammelt und p < 0,0001) und Bombus terrestris (Chi²-Test, vermessen. Bei Blüten mit intensivem Blü- X² = 68,9; p < 0,0001) besucht. Vertreter tenmal wurde eine durchschnittliche Maxi- der Heide-Blattschneiderbienen (Megachile malkraft von 63,0 mN ± 20,8 mN benötigt, ericetorum) hingegen wurden signifikant um das Schiffchen herunterzudrücken. Zum häufi ger an Blüten von C. orientalis beob- Öffnen von Blüten mit verblasstem Blüten- achtet (Chi²-Test, X² = 141; p < 0,0001). mal hingegen wurden durchschnittlich nur Bienen der Art Bombus pascuorum wurden an 14,6 mN ± 5,4 mN benötigt. Blüten mit beiden Arten etwa gleich häufi g angetroffen einem intensiven Blütenmal sind mit signifi - (Chi²-Test, X² = 1,4; p > 0,2; Abb. 2A). kant höherer Kraft zu öffnen als Blüten mit Es konnte weiterhin beobachtet werden, einem verblassten Mal (Kruskal-Wallis-Test, dass nur M. ericetorum die Blüten bei jedem FG = 3, p < 0,001; Mann-Whitney-U-Test, Blütenbesuch legitim öffneten und somit p < 0,05; n = 15). potenzielle Bestäuber von C. orientalis sind. Sie drückten das Schiffchen herunter und 3.3. Gewicht der untersuchten Bienen- konnten so Nektar trinken und auch Pollen arten aktiv sammeln. Bei Blütenbesuchen von Westlichen Honigbienen (A. mellifera) und Das Gewicht, das die blütenbesuchenden Hummelartigen (B. terrestris und B. pascuorum) Bienen aufbrachten, unterschied sich nach hingegen konnten keine legitimen Blütenbe- Art der Blütenbesucher; aber auch indivi- suche beobachtet werden. Sie setzten sich duell gab es deutliche Unterschiede (Abb. nicht auf das Schiffchen, sondern seitlich 3). Bei Vertretern der Dunkeln Erdhummel auf die Blüte und versuchten von dort mit (Bombus terrestris) konnte ein durchschnitt- ihrem Rüssel zwischen den Petalen hindurch liches Gewicht von 211 mg ± 69 mg ge- Nektar zu trinken.

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Abb. 2: A Anzahl beobachteter Blütenbesuche an Colutea orientalis und Colutea arborescens in Düsseldorf unterschieden nach Art der Blütenbesucher. Beobachtungszeit t = 5 x 30 min. B Anzahl beobachteter Blütenbesuche an Colutea arborescens im Kaiserstuhl an zwei verschiedenen Fundorten, Mondhalde und Büchsenberg, unterschieden nach Art der Blütenbesucher. Beobachtungszeit t = 5 x 30 min. Fig. 2: A Number of observed fl ower visits on Colutea orientalis and Colutea arborescens in Düsseldorf for different fl ower visitors. Observation time t = 5 x 30 min. B Number of observed fl ower visits on Colutea arborescens in the Kaiserstuhl at two different locations, Mondhalde and Büchsenberg, for different fl ower visitors. Observation time t = 5 x 30 min.

Bei Beobachtungen der Blütenbesuche im arborescens auch von Vertretern von X. violacea Kaiserstuhl zeigten sich mehr potenzielle besucht. Allerdings konnten an der Mond- Bestäuber als in Düsseldorf. Sträucher von halde noch mehr Blütenbesuche von X. vio- C. arborescens am Büchsenberg wurden vor lacea an Blüten von C. arborescens beobachtet allem von Vertretern von B. pascuorum (Chi²- werden (Chi²-Test, X² = 167; p < 0,0001) als Test, X² = 132,0; p < 0,0001), B. terrestris an Sträuchern am Büchsenberg (Abb. 2B). (Chi²-Test, X² = 69,2; p < 0,0001) und A. Eine geringe Anzahl an Vertretern von Vespa mellifera (Chi²-Test, X² = 66,0; p < 0,0001) germanica konnte an der Mondhalde ebenfalls besucht. Verglichen mit Blütenbesuchen beobachtet werden (Chi²-Test, X² = 3,65; p dieser Arten wurden viele Blüten von C. >0,3). Hier konnten jedoch nur Blütenbe- Schwergängige Blütenmechanismen selektieren Bestäuber 77 suche von Xylocopa violacea und Megachile sp. (Abb. 4) für ihre Mundwerkzeuge genutzt. als legitim eingestuft werden, Blütenbesuche So fanden die Bienen anscheinend leichter von allen anderen Bienen waren illegitim. und schneller den Weg zum Nektar. Hatten die Bienen ihre Mandibeln zwischen den Höckern nach unten (Richtung Schiffchen) geschoben, dann hebelten sie die Blüte mit ihrem Körper auf. Dabei drückten die Man- dibeln von unten gegen die Fahne, während gleichzeitig das Abdomen der Bienen nach unten bewegt wurde. Zusätzlich wurde das Schiffchen mit den Beinen nach unten weggedrückt. Hatten die Bienen so den Weg zum Nektar gefunden und konnten diesen durch ihren Rüssel aufnehmen, positionier- ten sie ihre Mandibeln um, sodass sie sich Abb. 3: Durchschnittliches Körpergewicht der jeweils rechts und links von einem der bei- beobachteten Blütenbesucher. Kruskal-Wallis- den Höcker mit ihren Mandibeln festbissen Test: FG = 4; p < 0,001; Mann-Whitney-U-Test; (Abb. 4). Nach der Nektaraufnahme folgte p < 0,05. Unterschiedliche Buchstaben zeigen das Pollensammeln durch Abbürsten. Blatt- signifi kante Unterschiede an. schneiderbienen besitzen eine Ventralscopa, Fig. 3: Average body weight of the observed in der sie Pollen sammeln. Während eines flower visitors. Kruskal-Wallis-Test: df = 4; p < 0.001; Mann-Whitney-U-Test; p < 0.05. Blütenbesuchs bürsten sie den Stylus, an Different letters indicate signifi cant differences. dem sich aufgrund der sekundären Pollen- präsentation der Pollen der Blüte befi ndet, mit ihren Beinen ab. Dieser Pollen sammelte 3.5 Untersuchungen zum legitimen sich in den feinen Härchen an der Bauchseite Blütenbesuch in der ventralen Scopa und kann so sicher ins Nest transportiert werden. Die untersuchten Blattschneiderbienen be- nötigten bei einem legitimen Blütenbesuch 4. Diskussion an den Kontrollblüten (mit Höckern) eine durchschnittliche Zeit von 2,09 s ± 0,59 s Die bislang umfassendsten Untersuchungen und durchschnittlich 1,33 ± 0,47 Ansätze der zu Kraftmessungen an Blüten der Fabaceae Mandibeln, bis sie sich einen festen Halt an haben CORDOBA & COCUCCI (2011) durch- der Blüte verschafft hatten. Bei präparierten geführt. Vergleicht man die Ergebnisse der Blüten (ohne Höcker) wurde mit einer durch- vorliegenden Arbeit mit Ergebnissen dieser schnittlichen Zeit von 7,81 s ± 1,87 s signifi - Autoren, fällt auf, dass die benötigte Kraft kant mehr Zeit benötigt. Mit durchschnittlich zum Öffnen einer Blüte von Colutea spp. hö- 3,33 ± 0,94 Ansätzen der Mandibeln an der her ist als die von einigen anderen Fabaceae. Fahne der Blüte waren auch hier signifi kant Um Blüten von Galactia latisiliqua (5 mN ± mehr Ansätze nötig als bei einem Blütenbe- 2 mN) oder Tipuana tipu (9 mN ± 4 mN) zu such an Kontrollblüten (Mann-Whitney-U- öffnen, welche ebenfalls einen reversiblen Test; p < 0,001; n = 15). Blütenmechanismus wie Colutea-spp.-Blüten Alle beobachteten Bienen öffneten die Blü- besitzen, wurden deutlich geringere Kräfte ten auf dieselbe Art und Weise: Die Höcker gemessen als die in der vorliegenden Arbeit auf der Fahne der Blüte werden zuerst beim gemessenen Kräfte zum Öffnen der Blüten Aufhebeln der Blüte als Führungsrinne von Colutea arborescens (35 mN ± 18 mN) und

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Abb. 4: Legitimer Blütenbesuch von Megachile ericetorum an Colutea arborescens. Die Biene nutzt den Höcker der Fahne zunächst als Führungsrinne (links), um mit dem Rüssel leichter den Weg zum Nektar zu fi nden. Hat die Biene den Nektar erreicht und kann diesen aufnehmen, greift die Biene mit ihren Mandibeln um. Sie beißt sich an einem Höcker fest (rechts) und kann sich so einen sicheren Halt an der Blüte verschaffen. Fig. 4: Legitimate fl ower visit from Megachile ericetorum on Colutea arborescens. First, the bee uses humps on the fl ag as a kind of guide channel (left) to fi nd the way to the nectar of the fl ower more easily. If the bee has found the nectar with her trunk and can ingest it, the bee encompasses her mandi- bles. The bee bites into one of the humps (right) and thus provides a safe support on the fl ower.

Colutea orientalis (18 mN ± 6 mN). Allerdings zum Öffnen der Blüten von C. arborescens gibt es auch Fabaceae, deren Blüten sich mit signifi kant mehr Kraft benötigt wird als zum ähnlich viel Kraft öffnen lassen wie Blüten Öffnen der Blüten von C. orientalis. von Colutea spp. Bei Blüten von Lathyrus Es besteht ein Zusammenhang zwischen odoratus (38 mN ± 6 mN), deren Blüten dem Zustand des Blütenmals auf der Fahne ebenfalls ihren Pollen sekundär auf dem der Blüte und der benötigten Kraft zum Stylus präsentieren, an dem Blütenbesucher Öffnen der Blüte von C. arborescens. Bei Pollen abbürsten müssen, wurden ähnlich Blüten mit intensivem Blütenmal auf der hohe Kräfte zum Auslösen des Blütenme- Fahne wird signifikant mehr Kraft zum chanismus gemessen wie bei Blüten von Öffnen der Blüte benötigt als zum Öffnen Colutea spp. (CORDOBA & COCUCCI 2011). von Blüten mit verblasstem Blütenmal. Es Die benötigte Kraft zum Auslösen des ist zu vermuten, dass das Blütenmal den Blütenmechanismus der Blüten von Colutea Blütenbesuchern einen optischen Hinweis spp. hängt mit dem Aufbau der Blüten auf den Bestäubungszustand der Blüte gibt. zusammen. Denn wie CORDOBA & COCUCCI Demnach würde eine noch nicht bestäubte (2011) bereits beschrieben, besteht ein Zu- Blüte von C. arborescens ein sehr ausgeprägtes sammenhang zwischen morphologischem Blütenmal auf der Fahne tragen, um mög- Aufbau und mechanischen Eigenschaften lichst viele Bestäuber anzulocken. von Blüten. Die Blüten von C. arborescens und Es ist zu berücksichtigen, dass die alleinige C. orientalis zeigen den gleichen morpholo- Auswertung der gemessenen Kräfte an Blüten gischen Aufbau. Allerdings sind Blüten von und des Körpergewichts der Bienen nicht C. arborescens größer als Blüten von C. orientalis, ausreichend für eine Beurteilung der fl oralen was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass Filter bei Colutea spp. ist. Im Freiland zeigte Schwergängige Blütenmechanismen selektieren Bestäuber 79 sich, dass nur Megachile sp. und Xylocopa violacea X. violacea sind darauf angewiesen, ihre Kraft Blüten von Colutea spp. legitim besuchen. mittels geeigneter Technik zu erhöhen, um Alle anderen Bienen können die Blüten nur den legitimen Blütenbesuch zu ermöglichen. illegitim besuchen. Es ist wahrscheinlich, dass Bei Beobachtungen des legitimen Blütenbe- fl orale Filter von Colutea spp. hier eine Rolle suchs von X. violacea fi el auf, dass die Bienen spielen und so einige Bienen vom legitimen eine gewisse Technik beim Blütenbesuch Blütenbesuch ausschließen. anwenden. Auch sie landen mit dem Kopf Megachile ericetorum besitzt, verglichen mit zur Fahne gerichtet auf dem Schiffchen der Xylocopa violacea, ein signifi kant geringeres Blüte und nutzen ihre großen Mundwerk- Körpergewicht. Bei legitimen Blütenbe- zeuge, um die Blüte am Grund der Fahne, suchen von M. ericetorum an Blüten von wo sich die Höcker befi nden, aufzuhebeln. C. arborescens konnte beobachtet werden, dass die Heide-Blattschneiderbienen eine 4.1. Floraler Filter bei Colutea: Kombi- bestimmte Position auf dem Schiffchen nation aus Kraft und Technik der Blüte einnehmen und die Mundwerk- zeuge einsetzen, um optimal fouragieren Aufgrund der Ergebnisse der Kraftmes- zu können. Es scheint, als würden Vertreter sungen an Blüten und der zusätzlichen von M. ericetorum eine bestimmte Technik Beobachtungen der legitimen Blütenbesuche anwenden, um einen legitimen Blütenbesuch von Megachile ericetorum an Blüten von Colutea zu erreichen. Bei genauerer Betrachtung des arborescens kann man darauf schließen, dass legitimen Blütenbesuchs von M. ericetorum es sich bei Blüten von Colutea spp. um einen zeigte sich, dass Blattschneiderbienen die fl oralen Filter durch eine Kombination aus Blüten von C. arborescens mit ihren Mandibeln Kraft und Technik handelt. Besitzen blü- aufhebeln und so das Schiffchen mit ihrem tenbesuchende Bienen weder ausreichend Körper, beziehungsweise mit ihren Beinen, Kraft noch die Technik, um die Blüten zu herunterdrücken können. Die Höcker der öffnen, indem das Schiffchen der Blüte Blüte dienen dabei als Hilfestellung zum heruntergedrückt wird, so werden sie vom Aufhebeln des Schiffchens. Der legitime legitimen Blütenbesuch ausgeschlossen Blütenbesuch von Megachile sp. spricht für und können die Blüte höchstens illegitim die Technikhypothese, schließt aber die besuchen. Dieser fl orale Filter führt dazu, Krafthypothese nicht aus, denn Kraft ist dass Blüten von Colutea spp. nur von Xylo- ebenfalls zum Öffnen der Blüten nötig. copa spp. und Megachile spp. legitim besucht Ausschlaggebende Faktoren des legitimen werden und nur diese als Bestäuber der Blüte Blütenbesuchs von Megachile sp. sind die wirken können. genutzte Technik und die Inanspruchnahme Durch mechanische fl orale Filter wird nur der Höcker auf der Fahne der Blüte. bestimmten Bienen der Zugang zu den Berechnet man das durchschnittliche Blüten gewährt, was zum reproduktiven Körpergewicht von X. violacea von 761 mg Vorteil der Pfl anze ist (CASTELLANOS et al. ± 75 mg mit der Formel F = m * g in Kraft 2004). Florale Filter können aber auch vor- um, so beträgt die Gewichtskraft lediglich teilhaft für die Reproduktion der Bestäuber 7 mN ± 1 mN. Das alleinige Gewicht der sein, denn eine Spezialisierung von Blüte Großen Holzbienen ist kleiner als die Kraft, und Bestäuber bedeutet eine Konkurrenz- die nötig ist, um den Blütenmechanismus vermeidung für beide. Durch fl orale Filter auszulösen, sodass das alleinige Gewicht bei Blüten von Colutea spp. werden nur selbst der großen und schweren Bienen nicht Blattschneiderbienen und Holzbienen zum ausreicht, um die Blüten von Colutea spp. legitimen Blütenbesuch zugelassen, sodass legitim zu besuchen. Auch Individuen von nur ihnen der Zugang zu Nektar und zum

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Pollen gelingt und sie mit keinen weiteren Blütenbesuche kann eine Beurteilung des Bienenarten um diese Ressourcen kon- mechanisch fl oralen Filters von Colutea spp. kurrieren müssen. Durch den Einsatz von dahingehend getroffen werden, dass dieser mechanischen fl oralen Filtern durch Kraft aus einer Kombination von Kraft und Tech- und Technik bei Blüten von Colutea spp. nik besteht. Es ist zwar eine gewisse Kraft werden kleinere und somit auch schwäche- nötig, um Blüten von C. arborescens und C. re Bienen wie Apis mellifera vom legitimen orientalis legitim besuchen zu können, aber Blütenbesuch ausgeschlossen. Größeren auch die große und starke Xylocopa violacea Bienenarten wie der Holzbiene wird der wendet ebenso wie Megachile sp. eine spezi- legitime Blütenbesuch durch ihr hohes elle Technik an, um erfolgreich fouragieren Körpergewicht und zusätzlich angewandte zu können. Technik ermöglicht. Diese haben solch eine Körpergröße, dass ein Kontakt zwischen Danksagung dem Körper der Biene und den Repro- duktionsorganen der Blüten während des Gedankt sei CLAUDIA GACK, ARNO BOGEN- legitimen Blütenbesuchs unvermeidlich ist. RIEDER und ALBERT REIF für Fundort- und Xylocopa spp. sammelt Pollen überwiegend Flugzeitinformationen sowie dem Regie- in ihrem Kropf; allerdings besitzt sie an den rungspräsidium Freiburg und der Unteren Beinen eine kräftige und dichte Behaarung, Landschaftsbehörde Düsseldorf für Ge- sodass während eines Blütenbesuchs dort nehmigungen. Pollen hängenbleibt, welcher dann zur nächsten Blüte getragen wird (SCHREMMER Literatur 1972). Auch bei Blütenbesuchen von Mega- chile spp. fi ndet eine gezielte Pollenablage- ALEXANDERSSON, R., & JOHNSON, S.D. (2001): Pollinator mediated selection on fl ower-tube rung und ein Kontakt zu den Reprodukti- length in a hawkmoth pollinated Gladiolus onsorganen statt, denn die Blattschneider- (Iridaceae). Proceedings of the Royal Society bienen gehören ebenfalls zu den Spezialisten 269: 631-636. und garantieren mit ihren immer gleichen AMARAL-NETO, L., WESTERKAMP, C., & MELO, G. Bewegungsabläufen während der Blüten- (2015): From keel to inverted keel fl owers: besuche eine gezielte Anbringung und vor functional morphology of ‘upside down’ allem auch Weitergabe des Pollens (WESTER- papilionoid fl owers and the behavior of their KAMP 1993). Die Blattschneiderbiene gehört bee visitors. Systematics and Evolution zu den Bauchsammlern und transportiert 301: 2161-2178. CASTELLANOS, M.C., WILSON, P., & THOMSON, J.D. den gesammelten Pollen in ihrer ventralen (2004): ‘Antibee’ and ‘pro-bird’ changes during Scopa, wodurch sie sich als Bestäuber für the evolution of hummingbird pollination in Blüten von Colutea spp. sehr gut eignen. Penstemon fl owers. Journal of Evolutionary Dadurch, dass Blattschneiderbienen wäh- Biology 17: 876-885. rend des legitimen Blütenbesuchs mit ihrer CORDOBA, S.A., & COCUCCI, A.A. (2011): Flower Scopa direkt oberhalb des Schiffchens sitzen power: its association with bee power and und die Reproduktionsorgane während fl oral functional morphology in papilionate des Nektartrinkens freilegen, können diese legumes. Annals of Botany 108: 919-931. Kontakt zum Pollen in der Scopa haben. GRANT, V., & GRANT, K.A. (1965): Flower pollina- tion in the Phlox family. Columbia University Press, New York. 5. Fazit IRWIN, R.E., ADLER, L.S., & BRODY, A.K. (2004): The dual role of floral traits: pollinator Anhand unserer Kraftmessungen an Colutea attraction and plant defense. Ecology 85: spp.-Blüten und den Beobachtungen der 1503-1511. Schwergängige Blütenmechanismen selektieren Bestäuber 81

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