Mirjam Wittmann

»Das GroSSformat lag einfach in der Luft.« Zur Bildwirkung der Fotografie aus Düsseldorf1

1. Es ist wirklich so groß

Großformat ist nicht gleich Großformat. Man muss dabei immer zwischen der Größe der Kamera, der Größe des Negativs und der Größe des Abzugs unter- scheiden. Auch wenn sich alle drei Größen gegenseitig bedingen, gibt es in ihren ästhetischen Ausformulierungen beträchtliche Unterschiede. Gemein- hin denkt man sofort an die Riesen- und Megaformate, die Künstler wie An- dreas Gursky, , , Axel Hütte, Candida Höfer u. a. konsequent verwenden.2 Die damit verbundenen neuen ästhetischen und bild- nerischen Konsequenzen sind Anlass für eine erneute Reflexion, gleichwohl es in der Geschichte der Fotografie schon sehr früh zu großen Abzügen kam. Um 1850 wird es möglich, in der Feld- und Panoramafotografie Riesenlein- wände im Format von 13 x 24 m oder Rundleinwände von 14 x 120 m zu pro- duzieren.3 Portraits wurden ab 1850 in der Größe von 1,50 x 2,10 m gefertigt. Und auch die ersten dokumentarischen Aufnahmen des Krimkriegs im Jahre 1855 oder die des amerikanischen Bürgerkriegs 1861–65 waren großforma- tig. In der Frühzeit der Dokumentarfotografie ist es ist vor allem der Wunsch nach Gegenstandstreue und möglichst vollständiger Authentizität des Ab- bilds, der – wie Peter Weibel und Wolfgang Kemp ausführlich darlegen – die Formate bereits kurz nach der Erfindung der Fotografie größer werden lässt.4 Ähnlich ist die Bildwirkung von fotogrammetrischen Aufnahmen aus dem Jahre 1910 beschrieben worden, wie folgende Äußerungen des Regierungs- baumeister Zastrau anlässlich der Ausstellung der Königlichen Messbildan- stalt, in der großformatige Aufnahmen griechischer Architektur des Alter- tums gehängt waren, zeigen: »An den Wänden hängen Vergrößerungen eines auserwählten Teiles der Aufnahmen, zum Teil in recht bedeutendem Mass- stabe! Naturgemäß ist die künstlerische Wirkung dieser Vergrößerungen auf

1 Dieser Essay erschien in einer verkürzten, von dieser erheblich abweichenden Version auf französisch in: Objectivités. La Photographie à Düsseldorf, Ausst. Kat. Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris/ARC, München 2008, 75–80. 2 In der zweiten Generation der Schüler von Bernd und Hilla Becher finden sich vor allem , , Jörg Sasse und , die großformatige Abzüge pro- duzieren. 3 Vgl. Peter Weibel, Das fotografische Großbild, in: Das grosse stille Bild, hg. v. Norbert Bolz und Ulrich Rüffer, München 1996, 44 –73, 50. 4 Ebd. 47 ff. und Wolfgang Kemp, Foto-Essays zur Geschichte und Theorie der Fotografie, München 1978, 25 f. 278 Bild-Technik / Betrachter-Raum den Betrachter am stärksten«.5 Man schien davon auszugehen, dass große Ab- züge die wirklichen Größenverhältnisse wiedergaben, so Herta Wolf.6 Dem- nach war es die naturgemäße Wiedergabe der Größenverhältnisse, die die re- alistische Wirkmacht dieser Bilder ausmachte. Diese konnte auf technischer Seite in der Kombination von großem Negativ und angemessener Vergröße- rung erzielt werden: »Fotogrammetrische Aufnahmen konnten, dank der – durch die großen Negative im Format 40 x 40 cm (bzw. 30 x 30) – gewähr- leisteten Präzision auf das vier- bis sechsfache vergrößert werden, ohne an Qualität und Messgenauigkeit zu verlieren«.7 Im 20. Jahrhundert ändert sich der Anspruch an großformatige Bilder grundlegend. Nicht mehr der Wunsch nach Authentizität, sondern die Kri- tik derselben stehen – vor allem in der Fotokunst der 1980er Jahre – im Vor- dergrund. Auch wenn der Kontext ein völlig anderer ist, ergibt sich daraus die Frage, wie es möglich ist, dass sich die Bildwirkung des großformatigen Abzugs ins Gegenteil verkehrt. Im Folgenden werden einige prominente Stra- tegien der Düsseldorfer Schule genauer untersucht, um zu sehen, welche äs- thetischen Konsequenzen die Verwendung des Großformats nach sich zieht. Doch bevor wir konkreter werden, steht die Frage im Raum, inwiefern diese speziell in der Fotografie wirksam werden.

2. Eine Frage des Formats

1966 dreht Michelangelo Antonioni seinen Film Blow up, in dem der Fotograf Thomas im Park flanierend zufällig ein Liebespaar ablichtet. Eine Vergrö- ßerung der Aufnahme macht ein Detail sichtbar, das er unbewusst mit auf- genommen hatte – eine im Gebüsch liegende Leiche. Der Fotograf erstellt daraufhin mehrere Vergrößerungen bis zu dem Punkt, wo außer dem Korn nichts mehr zu erkennen ist. Ungeachtet des weiteren Verlaufs dieses Films offenbaren sich hier zwei interessante fotografische Eigenheiten. Zum einen stößt man auf die Grenze des Abbildbaren, zum anderen auf das konstante Schwanken der Fotografie zwischen Abbildhaftem und reinem Konstrukt, das die medialen Eigenschaften ihrer Herstellungen enthüllt. So lange die Leiche noch erkennbar ist, gehen wir von der Glaubwürdig- keit des stattgefundenen Ereignisses aus, sobald die Oberfläche nur noch aus körnigen Flächen besteht, tritt sie selbst in Erscheinung und verunklärt die

5 Eduard Dolezal, Aufnahmen der Baudenkmäler Griechenlands durch die Königl. Messbild- anstalt in Berlin, in: Internationales Archiv für Fotogrammetrie, Bd. 2, 1909 – 1911, 286–292, 289. Herta Wolf beschreibt in ihrem Aufsatz detailliert den Einfluss der Fotografie auf die Etablierung des heutigen Archivbegriffs. Vgl. Herta Wolf, Das Denkmälerarchiv Fotogra- fie, in: Dies. (Hg.), Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Frankfurt am Main 2002, 349–375, 360. 6 Vgl. ebd. 7 Wolf (wie Anm. 5), 361.