Jahresbericht 2016 Jahresbericht

Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Stiftung niedersächsische Gedenkstätten

Jahresbericht 2016 Schwerpunktthema: Widerstand gegen den Nationalsozialismus Gedenken Bewahren Forschen Vermitteln

Die Stiftung soll dazu beitragen, dass das Wissen über das historische Ge­ schehen in den Jahren 1933 bis 1945, insbesondere über die Geschichte von Verfolgung und Widerstand auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen, im Bewusstsein der Menschen wach ge­ halten und weiter getragen wird.

Gesetz über die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, § 2, Abs. 1

Die Stiftung niedersächsische Gedenk- Die Stiftung niedersächsische Gedenk­ stätten erhält und gestaltet die Gedenk­ stätten unterstützt die auf das historische stätten Bergen-Belsen und Wolfenbüttel Geschehen in den Jahren 1933 bis 1945 als Orte der Erinnerung an die Leiden und dessen Folgen bezogene Forschung. der Opfer des Nationalsozialismus und Sie unterhält zu diesem Zweck eine zent­ der Opfer der Justizverbrechen sowie rale Dokumentationsstelle zur NS-Zeit in als Orte des Lernens für künftige Niedersachsen. Generationen. Die Stiftung niedersächsische Gedenk- Die Stiftung niedersächsische Gedenk­ stätten verwirklicht ihren Stiftungszweck stätten fördert Gedenkstätten und darüber hinaus durch Erinnerungsinitiativen in nichtstaatlicher • Zeitzeugengespräche, Film- und Trägerschaft durch Zuwendungen, Be­ Theateraufführungen und Lesungen; ratung und wissenschaftliche Dienst- • Sonderausstellungen, wissenschaft- leistungen. liche Tagungen und Netzwerktreffen; • Projekte im Bereich Forschung, Vermittlung und Bildung; • Fortbildungen für Gedenkstätten- mitarbeiter, Lehrkräfte und Multi- plikatoren; • Publikationen und Informations- materialien. Inhalt

EDITORIAL...... 2 Lebensgeschichtliche Interviews ...... 92 Besuch der Familie Goshen in Bergen-Belsen ...... 95 SCHWERPUNKTTHEMA Namensverzeichnis der Häftlinge des WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS...... 5 Konzentrationslagers Bergen-Belsen ...... 96 Widerstand gegen den Nationalsozialismus – ein Überblick....6 Internationale Datenbank-Tagung der Gedenkstätten ...... 97 Frauen im Widerstand ...... 17 Bildung und Begegnung ...... 98 Lebenswege. Deutsche politische Häftlinge im Erinnerungskultur in der Bildungsarbeit der KZ Bergen-Belsen ...... 24 Gedenkstätte Bergen-Belsen ...... 100 Swing-Kids und Partisanen ...... 30 Die Mehrtagesprogramme der Gedenkstätte: 1 „Oberstes Gebot war strengste Geheimhaltung“ ...... 36 Lernen – Austauschen – Interesse wecken ...... 102 „Nacht-und Nebel“-Gefangene im Strafgefängnis Das freiwillige soziale Jahr (Politik) in der Wolfenbüttel...... 42 Gedenkstätte Bergen-Belsen ...... 105 Das Projekt „Widerstand in Göttingen“ ...... 48 Anspruch und Wirklichkeit in der Vermittlungsarbeit an Gedenkstätten ...... 108 STIFTUNG...... 55 Aktiv im Besucherdienst – Zum Beispiel … ...... 112 Bericht des Geschäftsführers ...... 56 Publikationen der Stiftung...... 60 GEDENKSTÄTTE IN DER JVA WOLFENBÜTTEL ...... 114 Veröffentlichungen und Vorträge von Beschäftigten der Stiftung sowie Mitarbeit in Gremien ...... 60 GEDENKSTÄTTENFÖRDERUNG NIEDERSACHSEN ...... 123 Projekt KogA „Kompetent gegen Antiziganismus/ Allgemeiner Bericht ...... 124 Antiromaismus in Geschichte und Gegenwart“ ...... 66 Tag des offenen Denkmals 2016 ...... 128 Vermittlung, Bildung und Pädagogik Mobile Ausstellung ...... 132 in der Arbeit der Stiftung ...... 68 Dokumentation und Forschung ...... 134 Themenfeld Friedhöfe: Veranstaltungen und GEDENKSTÄTTE BERGEN-BELSEN ...... 71 Arbeitskreise ...... 136 Allgemeiner Bericht ...... 72 Bildungsarbeit ...... 137 Gedenkkonzert zu Ehren Yehudi Menuhins ...... 74 Förderung der Gedenkstättenarbeit und Relikte des früheren Desinfektionsgebäudes in der Erinnerungskultur durch finanzielle Zuwendungen ...... 138 Gedenkstätte Bergen-Belsen sichtbar gemacht ...... 75 Projekt Systematische Erfassung des historiografischen GEFÖRDERTE GEDENKSTÄTTEN...... 143 und archäologischen Kenntnisstandes zur Zahl und Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht ...... 144 zu den Grablagen der Todesopfer von Bergen-Belsen ...... 76 Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte...... 148 Workshop Forschungen zu Displaced Persons (DP) ...... 78 Gedenkstätte Esterwegen ...... 152 Kalendarium...... 80 Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V...... 156 Forschung und Dokumentation...... 88 KZ-Gedenkstätte Moringen ...... 160 Archiv und Sammlung ...... 88 Dokumentations- und Gedenkstätte Lager Sandbostel ...... 164 Übergabe von Dokumenten aus dem Privatbesitz der Familie Kučera ...... 90 Impressum...... 168

Editorial

2 Die gesellschaftliche und politische Weltoffenheit und Liberalität verbanden, Die Auseinandersetzung mit den NS- Relevanz der Gedenkstättenarbeit ist hat für viele Menschen seine Strahlkraft Verbrechen kann helfen, solche Ähnlich- 2016 nicht geringer geworden. Weltweit verloren. Ob das auch daran liegt, dass keiten aufzudecken und auch gegenüber war 2016 kein einfaches Jahr. Der seit die Erfahrungen des Nationalsozialismus subtilen Formen rassistischen und dis- Jahren in Syrien tobende Krieg ging und des Zweiten Weltkrieges, nach dem kriminierenden Redens und Handelns zu unvermindert weiter, mit derart vielen Europa in Trümmern lag, heute nicht sensibilisieren – und eine eigene, histo- Kriegsparteien und internationalen Ver- mehr so präsent sind wie noch vor risch bewusste Haltung einzunehmen. flechtungen, dass es kaum noch zu über- zwanzig oder dreißig Jahren? Und dazu gehört dann auch, gegenüber schauen ist. Nicht nur aus Syrien, son- Für die Stiftung niedersächsische heutigen Formen der Ausgrenzung und dern auch aus vielen anderen Ländern Gedenkstätten ist dies ein Grund, noch Verfolgung die Stimme zu erheben – so im Nahen und Mittleren Osten und in stärker aktuelle gesellschaftliche und wie gegen die derzeitige Hetze gegen Afrika waren nach wie vor Millionen politische Entwicklungen in ihrer Arbeit Flüchtlinge, gegen Juden, gegen Musli- Menschen auf der Flucht vor Kriegen, zu thematisieren. Sicherlich: Wir sollten me oder gegen Roma – vor Flüchtlings- Terror, Verfolgung, Hunger und Not – uns ebenso vor falschen historischen unterkünften, in sozialen Netzwerken, nur schafften es nicht mehr so viele Analogiebildungen hüten wie vor der an Stammtischen oder auf Schulhöfen. nach Europa, das sich immer mehr Gefahr, die Opfer der NS-Verbrechen Geschichte geschieht nicht einfach, abschottet. für heutige politische Zielsetzungen zu sie wird gemacht, ist Ergebnis konkreten Große Sorgen bereiten die Wahlerfolge missbrauchen, so nachvollziehbar und Handelns, und jeder Mensch ist gefor- rechtspopulistischer und nationalistischer gerechtfertigt diese auch erscheinen dert, eigene Entscheidungen zu treffen. Parteien in Europa und darüber hinaus; mögen. Gedenkstättenarbeit ist keine Wie und mit welchen Folgen sich Men- in immer mehr Ländern herrschen auto- freiheitlich-demokratische Staatsbürger- schen in den 1930er und 1940er Jahren ritäre Regierungen. Rassismus, Anti­ kunde. Die kritische Auseinandersetzung entschieden, Widerstand gegenüber semitismus und Islamfeindlichkeit sind mit der Vergangenheit kann aber für heu- dem Nationalsozialismus zu leisten, keine Randphänomene mehr, sondern tige Formen der Menschen- und Demo- möchten wir – schlaglichtartig – mit den in der Mitte der Gesellschaft angesie- kratiefeindlichkeit sensibilisieren. So zeigt Beiträgen zu unserem diesjährigen Jah- delt, bei weitem nicht nur, aber auch in etwa die aktuelle Hetze gegen Flüchtlinge, resberichts-Schwerpunktthema „Politi- Deutschland. Der europäische Gedanke, die aus der Mitte der Gesellschaft kommt, sche Häftlinge und Widerstand“ zeigen. mit dem die Nachkriegsgenerationen die erschreckende Ähnlichkeiten mit Aus- Zudem geht es um die Frage, welche Hoffnung auf Demokratie, Rechtsstaat- grenzungsdiskursen und -praktiken Rolle das Thema in der Bildungsarbeit lichkeit, Frieden, Humanität, Solidarität, im Deutschland der 1930er Jahre. spielen kann. Und es geht auch darum, diejenigen zu würdigen, die sich den Gedenkens. Insbesondere die Entwick- 3 Nationalsozialisten und ihrem Mord­ lung neuer Bildungsformate und -inhalte programm trotz Gefahr für das eigene spielte dabei eine tragende Rolle. Und Leben entgegengestellt haben, dies dass die Arbeit der Stiftung weit über nicht zuletzt, damit sie nicht immer Niedersachsen hinausstrahlt, zeigen mehr in Vergessenheit geraten. die vielfältigen überregionalen und inter­ Neben Überblicksbeiträgen zum Wi- nationalen Kontakte, die 2016 weiter derstand im Nationalsozialismus, insbe- ausgebaut wurden. sondere von KZ-Häftlingen und Kriegs- Allen Leserinnen und Lesern gefangenen, widmen sich zwei Aufsätze wünsche ich eine anregende Lektüre. von Dietmar Sedlaczek (Gedenkstätte Moringen) sowie Thomas Altmeyer und Jens-Christian Wagner Gabriele Prein (Studienkreis Deutscher Geschäftsführer der Stiftung Widerstand e.V.) dem Widerstand von niedersächsische Gedenkstätten Jugendlichen und Frauen. Martina Staats wirft am Beispiel des Strafge- fängnisses Wolfenbüttel einen Blick auf die sogenannten „Nacht und Nebel“-Ge- fangenen (N.N.) aus West- und Nordeu- ropa. Rainer Driever schließlich erläutert am Beispiel Göttingen exemplarisch die Bandbreite des Widerstandes in der nie- dersächsischen Provinz. Über das Schwerpunktthema hinaus verweist der vorliegende Jahresbericht auf das breite Spektrum der Arbeit in den niedersächsischen Gedenkstätten im vergangenen Jahr entsprechend un- seren Hauptaufgaben der Bewahrung, der Forschung, der Vermittlung und des

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus

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Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus Widerstand gegen den Nationalsozialismus – ein Überblick

Jens-Christian Wagner

6 Opposition, Distanz, Nonkonformität, den Nationalsozialisten der wirksamste 1933 regte sich Widerstand. Einzelne Selbstbehauptung, Ungehorsam, Unbot- Widerstand nicht in Deutschland, son- Intellektuelle, man denke etwa an Kurt mäßigkeit, Dissidenz, Resistenz, Verwei- dern in den besetzten Gebieten in fast Tucholsky und Carl von Ossietzky, warn- gerung, Auflehnung, Widerstand – die ganz Europa entgegenstellte. Und auch ten frühzeitig und ebenso nachdrücklich Liste der Begriffe für Verhaltensformen der Widerstand innerhalb des Deut- wie erfolglos vor den Nationalsozialisten. im Nationalsozialismus zwischen Nicht- schen Reiches war vielfach durch Insbesondere aus den Gewerkschaften Mitmachen und aktivem Agieren gegen Nichtdeutsche getragen – etwa aus sowie aus den Reihen der beiden Arbei- das Regime ist lang. Gemeinsam ist den den Reihen von Zwangsarbeiter_innen, terparteien SPD und KPD kam auch or- genannten Verhaltensformen, dass sie Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen. ganisierter aktiver Widerstand, etwa sich gegen den Totalitätsanspruch der Die meisten Deutschen standen dem in Form von Demonstrationen, Streiks, nationalsozialistischen Herrschafts­ Regime hingegen zustimmend oder zu- Flugblattaktionen bis hin zu gewaltsa- praxis und Ideologie richteten. mindest duldend gegenüber. Gleichwohl men Auseinandersetzungen mit Schlä- Im vorliegenden Beitrag sollen explizite gab es eine Minderheit, die aktiv Wider- gerbanden der SA und der SS. Jedoch Formen des Widerstandes vorgestellt stand leistete. Das Spektrum war breit war der Arbeiterwiderstand gespalten: werden. Hier ist eine engere Auslegung und reichte von Gewerkschaftern und Die Sozialdemokratie, mit anderen des Begriffs nötig, denn Widerstand war Mitgliedern der Arbeiterparteien über Parteien organisiert im Reichsbanner mehr als nur eine kritische Einstellung Jugendbewegungen sowie studenti- Schwarz-Rot-Gold, stützte die Weimarer zum Regime und seiner Ideologie. Der sche, kirchliche und andere religiöse Republik, die KPD hingegen lehnte sie ab Begriff umfasst alle Formen aktiven Gruppen bis zum Widerstand aus den und sah in den SPD-Mitgliedern „Sozial- Handelns gegen das Regime und seine Reihen des Militärs oder seitens unge- faschisten“, die es ebenso zu bekämpfen Politik. Für die Handelnden war das bundener Einzelpersonen (etwa Georg galt wie die Nationalsozialisten. Da zu- immer mit hohen persönlichen Risiken Elser). Eine wichtige Rolle spielte zudem dem die bürgerlichen und liberalen Par- verbunden, meist mit der akuten Gefahr, der Widerstand von rassistisch Verfolg- teien die NSDAP weitgehend duldeten das eigene Leben zu verlieren. ten, insbesondere von Juden sowie von oder sogar mehr oder weniger offen mit In deutscher Perspektive denken viele Sinti und Roma. ihr zusammenarbeiteten, wie etwa die beim Stichwort Widerstand an im Unter- rechtsnationalistische DNVP, hatten die grund agierende Kommunisten und Ge- Widerstand in den 1930er Jahren Nationalsozialisten recht leichtes Spiel, werkschafter, die Weiße Rose oder den sich durchzusetzen. Umsturzversuch vom 20. Juli 1944. Bereits lange vor der Machtübernah- Der Reichstagsbrand vom 27. Februar Übersehen wird dabei meist, dass sich me der Nationalsozialisten im Januar 1933 und die nachfolgende Notverord- nung mit der Aussetzung aller demo­ durch Verhaftete und insbesondere das Führung stand.3 Dennoch kam es zu 7 kratischen Grundrechte setzten eine verbreitete Denunziantentum ermöglich- Konflikten mit der Staatsmacht und der beispiellose Verfolgungswelle in Gang. ten es der , die kommunisti- Partei. Zum einen hatte es machtpoliti- Zehntausende Kommunisten, Sozialde- schen Widerstandgruppen bis Mitte der sche Gründe, beispielsweise im Oktober mokraten und Gewerkschafter wurden 1930er Jahre weitgehend zu zerschla- 1934 bei der vorübergehenden Abset- verhaftet und in Gefängnisse sowie Kon- gen. Zusätzlich geschwächt wurde der zung der bayerischen und württem­ zentrationslager eingewiesen. Diverse kommunistische Widerstand durch die bergischen Landesbischöfe Hans Meiser Gruppen, insbesondere aus den Reihen stalinistischen Säuberungen in der und Theophil Wurm, die der Bekennen- der KPD, agierten nun in der Illegalität. Sowjetunion, die die KPD diskreditier- den Kirche angehörten und sich gewei- Durch Flugblattaktionen, die Verbreitung ten, und kurz vor Kriegsbeginn durch gert hatten, sich Reichsbischof Ludwig von Nachrichten und regimefeindlichen den Hitler-Stalin-Pakt, in dessen Folge Müller unterstellen zu lassen. Ihre Ab- Parolen machten sie ihren Widerstand nicht wenige kommunistische Regime- setzung wurde aber schnell rückgängig öffentlich. Im Verborgenen erfolgten gegner von Stalin an die Gestapo aus­ gemacht, nachdem Hitler interveniert konspirative Treffen, Kurierdienste und geliefert wurden.2 hatte, da er um den Rückhalt der Protes- der Schutz verfolgter Personen. Nicht Neben den Arbeiterparteien leisteten tanten fürchtete.4 nur in den Großstädten agierten Grup- auch Vertreter der Kirchen Widerstand Gegner hatte die Bekennende Kirche pen, sondern zumindest anfangs auch gegen die Nationalsozialisten, allerdings auch unter fanatischen neuheidnischen noch in der Provinz, etwa in Bad Lauter- – insbesondere im Falle der protestanti- 3 Vgl. Manfred Gailus, Keine gute Performance. Die berg im Harz, wo eine Widerstands­ schen Kirchen – nicht in dem Ausmaß, deutschen Protestanten im „Dritten Reich“, in: Ders./ Armin Nolzen (Hrsg.), Zerstrittene „Volksgemeinschaft“. gruppe um den KPD-Funktionär Karl wie es Kirchenleute nach dem Krieg viel- Glaube, Konfession und Religion im Nationalsozialis- Peix (er wurde im Oktober 1933 verhaf- fach darstellten. Gerade der Protestan- mus, Göttingen 2011, S. 96–121, sowie Olaf Blaschke, Die Kirchen und der Nationalsozialismus, Stuttgart 2014, tet und 1941 in Goslar in einem Außen­ tismus war vielmehr eine solide Stütze S. 135 ff. lager des KZ Buchenwald ermordet) des NS-Regimes. Das gilt auch für breite 4 Vgl. ebd. sowie Kurt Meier, Kreuz und Hakenkreuz. ähnlich vielfältige Aktivitäten entfaltete.1 Kreise der Bekennenden Kirche, die sich Die evangelische Kirche im Dritten Reich, überarbeitete Neuauflage, München 2001, S. 71 ff. Überwachung, gezieltes Einschleusen explizit nicht als politische Opposition von Spitzeln, durch Folter erpresste verstand und weitgehend loyal zur NS- Heinrich Jasper, um 1928 Dr. Heinrich Jasper (1875–1945), sozialdemokratischer Weitergabe der Namen von Mitstreitern Politiker. Zwischen 1919 und 1930 mehrfach braun- schweigischer Ministerpräsident. 1933 bis 1939 in den 1 Vgl. Hans-Heinrich Hillegeist, Karl Peix (1899–1941). KZ Dachau und Oranienburg, 1944 erneut verhaftet und Der bekannteste Kommunist im Kreis Osterode, in: am 4. Februar 1945 nach Bergen-Belsen deportiert, dort Heimatblätter für den süd-westlichen Harzrand 56 2 Vgl. Michael Schneider, Unterm Hakenkreuz. Arbeiter am 19. Februar 1945 gestorben • Archiv der sozialen (2000), S. 68–84. und Arbeiterbewegung 1933–1939, Bonn 1999, S. 1000 ff. Demokratie, Bonn

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 8 Anhängern völkischer Ideen innerhalb Weitaus distanzierter als die Mehrheit sozialisten nicht, gegen von Galen vorzu- der Partei, insbesondere in der SS, und der Protestanten betrachteten den NS- gehen, weil sie einen Aufruhr im katholi- mit Alfred Rosenberg, einem der Chef- Staat die meisten Katholiken. Die „papst- schen Münsterland fürchteten. ideologen der NSDAP. Diese mussten hörige“ und international verflochtene die eigentlich als innerkirchliche Opposi- katholische Kirche, der die Nationalso­- Widerstand während des Krieges tion gemeinte Haltung der Bekennenden zialisten trotz des Konkordates mit dem Kirche als Widerstand gegen den Staat Vatikan von Juli 1933 immer misstrauisch Die Morde an „unwertem Leben“ bzw. gegen die Partei begreifen, und bis ablehnend gegenüberstanden (ein verweisen auf die Radikalisierung der deshalb kam es immer wieder zu Kon- Erbe des Kulturkampfes der 1870er Jahre) Verfolgungs- und Vernichtungspolitik flikten, etwa im Frühjahr 1935, als 700 und die mit der Zentrums-Partei über ei- nach Kriegsbeginn. Insbesondere betraf Pfarrer verhaftet wurden, die von den nen politischen Arm verfügte, bezog noch das den Mord an den europäischen Ju- Kanzeln eine gegen den neuheidnischen bei der Reichstagswahl 1933 klar Stellung den sowie an den Sinti und Roma, aber Rasseglauben gerichtete Erklärung ver- gegen die NSDAP. 1937 ließ Papst Pius XI. auch die Politik gegenüber den sowjeti- lesen hatten. Auch sie wurden aber auf Drängen deutscher Bischöfe (darunter schen Kriegsgefangenen, von denen die schnell wieder freigelassen.5 Clemens August Graf von Galen) die Enzy- meisten einen qualvollen Tod starben. Insgesamt können nur einige hundert klika „Mit brennender Sorge“ von allen Eine Minderheit der Deutschen reagier- Mitglieder der Bekennenden Kirche als Kanzeln in Deutschland verlesen – eine te auf die Verbrechen (die trotz aller Ge- unbedingte NS-Gegner bezeichnet wer- deutliche Stellungnahme gegen die heimhaltung weitgehend öffentliche Ta- den. Zu ihnen gehörten zweifellos Dietrich Rechts­brüche des NS-Regimes und seine ten waren) mit Abscheu und Empörung, Bonhoeffer, der noch in den letzten Ideologie. Verhaftungen und Hausdurch- woraus teilweise Widerstand erwuchs. Kriegstagen im KZ Flossenbürg ermor- suchungen in Pfarreien waren die Folge, Dieser umfasste alle sozialen Schichten det wurde, oder Martin Niemöller, der häufig unter dem Vorwurf des Kindes- und alle weltanschaulichen bzw. politi- 1933 den Pfarrernotbund gegründet hat- missbrauchs (sog. Sittlichkeitsverbrechen). schen Richtungen (vertreten waren ins- te, 1938 wegen angeblicher Kanzelhetze Bischof Graf von Galen war es auch, der Kundgebung der Eisernen Front mit mehreren Zehn­ zu sieben Monaten Haft verurteilt wurde vier Jahre später – im August 1941 – in tausend Teilnehmer_innen vor dem Berliner Schloss, und anschließend als „persönlicher Ge- einer überregional Aufsehen erregenden 19. Februar 1933. 1931 schlossen sich Sozialdemokraten, Freie Gewerk- fangener des Führers“ bis zum Kriegsen- mutigen Predigt die „Euthanasie“-Morde schaften, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und Arbeiter- sportvereine zur Eisernen Front zusammen. Ihr Ziel war de im KZ Sachsenhausen inhaftiert war. anprangerte – Anlass für das Regime, die die „Überwindung der faschistischen Gefahr“. Noch am „Aktion T4“ zumindest vorübergehend zu 19. Februar 1933 demonstrierten mehrere zehntausend Menschen gegen die Nationalsozialisten. • Bundesarchiv 5 Vgl. ebd., S. 94. stoppen. Wie zuvor wagten die National- , R58/3258 b besondere sozialdemokratische und Angesichts des umfassenden Verfol- Sie hatten mit Flugblättern gegen die 9 kommunistische sowie kirchliche Grup- gungsdrucks und des Zwangs zur Kon­ NS-Verbrechen protestiert und Kontakte pen) und äußerte sich in Hilfeleistungen spiration waren die Gruppen überwie- zu Gruppen und Einzelpersonen in ande- für Verfolgte (etwa das Sammeln von gend sehr klein. Allerdings schlossen ren Städten geknüpft. Im Februar 1943 Lebensmittelmarken und Verstecken sich während des Krieges in einigen wurden sie von der Gestapo verhaftet von untergetauchten Juden), dem Ver- Städten Freundeskreise, die zuvor ein- und noch im selben Monat zum Tode such, Gegenöffentlichkeit herzustellen zeln agiert hatten, locker zusammen – verurteilt und enthauptet. (z.B. mittels der Dokumentation und auch über parteipolitische Grenzen hin- Dem Widerstand zugerechnet werden Weitergabe von Nachrichten über NS- weg, in Berlin etwa in der „Europäischen können auch jugendoppositionelle Grup- Verbrechen sowie der Herstellung und Union“ um Georg Großcurth und Robert pen wie die Swing-Jugend, die Edelweiß- Verteilung von Flugblättern und Klebe- Havemann sowie in der „Roten Kapelle“ piraten oder die Leipziger Meuten, auch zetteln) sowie der Kontaktaufnahme mit (eine Bezeichnung der Gestapo, die in wenn sie sich nicht explizit gegen die NS- Widerstandsgruppen unter ausländi- der Gruppe eine sowjetische Spionageor- Verbrechen wandten. Vielmehr ging es ih- schen Zwangsarbeitern und Kriegsge- ganisation vermutete) um Arvid Harnack nen – ähnlich wie bündischen und kirchli- fangenen sowie den Alliierten. Einzelne und Hans Coppi. Fast alle Gruppen flo- chen Jugendgruppen – um Unabhängig­keit Gruppen versuchten zudem, die Rüstungs-­ gen früher oder später auf, auch die gegenüber dem um­fassenden Machtan- industrie zu sabotieren. beiden zuletzt genannten. Die meisten spruch der „Hitler-Jugend“ und um einen Der deutsche Überfall auf die Sowjetuni­ Mitglieder wurden von der Gestapo ver­ individuellen Lebensstil. Für das Regime on im Juni 1941 bewirkte – nach dem Ein- haftet oder in Konzentrationslager ein- war das Grund genug, brutal gegen sie bruch infolge des Hitler-Stalin-Paktes – eine gewiesen. Viele ließ die NS-Justiz auch vorzugehen. Tausende Jugendliche und erneute Verstärkung der Tätigkeit kommu­ hinrichten, im Fall der Roten Kapelle rund junge Erwachsene wurden in Gefängnisse nistischer Widerstandsgruppen vor allem in 50 Menschen.7 und Konzentrationslager eingewiesen.8 Form illegaler Betriebszellen in den Groß­ Tödlich endete der Widerstand auch städten. Teils arbeiteten die Gruppen auch für die meisten Mitglieder der „Weißen mit sozialistischen Gruppierungen zusammen, Rose“, der bekannten studentischen Wi- außerdem unterhielten einige von ihnen derstandsgruppe in München um die Kontakte zur KPD-Leitung im Moskauer Exil.6 Geschwister Hans und Sophie Scholl. 8 Vgl. Überblick und mit Quellensammlung Arno Klönne, Jugendliche Opposition im „Dritten Reich“, Erfurt ²2013.

6 Vgl. auch im folgenden Michael Schneider, In der 7 Vgl. Hans Coppi, Jürgens Danyel, Johannes Tuchel Bewaffnete italienische Partisaninnen, Herbst 1943. Die Kriegsgesellschaft. Arbeiter und Arbeiterbewegung (Hrsg.), Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den deutsche Besetzung Italiens nach dem Sturz Mussolinis 1939 bis 1945, Bonn 2014, S. 1100 ff., III. Kapitel. Nationalsozialismus, Berlin 1994. löste im Spätsommer 1943 breiten Widerstand aus. • bpk

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 10 Einige kommunistische Widerstands- Gemeinsames Agieren deutscher Mit der Verschlechterung der militäri- gruppen nahmen Kontakt zu sowjeti- und ausländischer Widerstandsgruppen schen Lage Deutschlands nahmen die schen Zwangsarbeitern oder Kriegsge- blieb jedoch auf Ausnahmen beschränkt. Umsturzplanungen innerhalb der Wehr- fangenen auf und agierten gemeinsam Insbesondere der militärische Wider- macht 1943 wieder konkretere Formen mit ihnen. So bildeten 1942/43 in Mün- stand sah die vielen Millionen ins Deut- an. Bekanntlich scheiterte der Putschver- chen die „Antinazistische Deutsche sche Reich verschleppten ausländischen such der Männer um Graf Stauffenberg Volksfront“ und die sowjetische Wider- Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter_in- vom 20. Juli 1944. Dennoch zeigte die standsorganisation „Brüderliche Zusam- nen nicht als potentiell Verbündete. misslungene Operation „Walküre“, dass menarbeit der Kriegsgefangenen“ (BZW) Nationalkonservative Opposition gegen der Kreis der Widerständler innerhalb ein Widerstandsnetz, das mehrere hun- die Partei und Hitlers Kriegskurs hatte der Wehrmacht recht weit verzweigt war dert Mitglieder umfasste. Anfang 1944 sich in der Reichswehr bzw. in der Wehr- und auch Kontakte zu zivilen Gruppen, wurde es von Gestapo-Spitzeln aufge- macht bereits lange vor Kriegsbeginn etwa dem Kreisauer Kreis, aufgebaut deckt. Fast 400 Personen wurden festge- geregt.11 1938 waren Umsturzpläne nach hatte. Die politischen Vorstellungen der nommen und beinahe alle umgebracht, der Entlassung des Reichskriegsminis- Widerständler waren widersprüchlich, die meisten im KZ Dachau.9 ters von Blomberg und des Oberbefehls- wenn auch überwiegend konservativ. Ähnlich erging es den Mitgliedern des habers des Heeres von Fritzsch sowie Einig waren sie sich im Ziel der Wieder- „Internationalen Antifaschistischen dem Rücktritt von Ludwig Beck als Ge- herstellung des Rechts. Das NS-Regime Komitees“ in , das sowjetische neralstabschef des Heeres weit gedie- reagierte auf den Putschversuch mit Zwangsarbeiter_innen und deutsche hen, wurden nach dem Münchner Ab- brutaler Gewalt: Etwa 600 Personen Kommunisten verband und Flugblätter kommen, das dem Regime de facto die nahm die Gestapo fest, weitere 300 wur- in Zwangsarbeiterlagern verteilte. Fast Tschechoslowakei auslieferte, aber aus- den in „Sippenhaft“ genommen, darun- alle Mitglieder der Gruppe wurden nach gesetzt. Gleichwohl blieben die Militärs ter viele Kinder, die in ein Kinderheim in der Verhaftung durch die Gestapo im um Beck in engem Kontakt auch mit Bad Sachsa im Südharz verschleppt wur- Sommer 1944 als „Sowjetagenten“ im konservativen Zivilisten, insbesondere den. 150 tatsächliche oder vermeintliche KZ Auschwitz ermordet.10 mit dem früheren DNVP-Politiker und Verschwörer wurden hingerichtet oder Oberbürgermeister von Leipzig, Carl von SS und Gestapo ermordet. 9 Vgl. Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Friedrich Goerdeler. Dritten Reiches, Berlin/Bonn 1985, S. 317 f. 11 Vgl. auch im folgenden Winfried Heinemann, Der „Schuld am Krieg ist Hitler“ 10 Vgl. Volkhard Knigge u.a. (Hrsg.), Zwangsarbeit. Die militärische Widerstand und der Krieg, in: Das Deutsche Schriftzug auf einem Bretterzaun in der Göttinger Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg, Essen Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 9/1, München Bahnhofstraße, September 1940. • Stadtarchiv 2012, S. 126 f. 2004, S. 743–892. Göttingen Noch weitaus mehr Opfer forderte zwischen März und September 1944 Möglichkeiten für organisierten Wider- 11 innerhalb der Wehrmacht individuelles aufdeckte, 33 von sowjetischen Zwangs- stand extrem gering. Dennoch bildeten widerständiges Verhalten. Trotz Andro- arbeiter_innen oder Kriegsgefangenen sich in vielen Konzentrationslagern kon- hung der Todesstrafe desertierten viele dominiert.13 spirative Widerstandsgruppen, häufig Soldaten. Motive waren der Wunsch, Das Spektrum widerständigen Verhal- getragen von erfahrenen politischen das eigene Leben zu retten, Sehnsucht tens seitens der ausländischen Arbeits- Häftlingen aus den Reihen deutscher nach Familienangehörigen oder auch die kräfte reichte von organisierten Revolten Kommunisten und Sozialdemokraten Weigerung, an Verbrechen mitzuwirken. (etwa wegen unzureichender Verpfle- sowie ausländischer Widerstandkämp- Insgesamt 20.000 Soldaten verurteilte gung und menschenunwürdiger Unter- fer aller politischen Richtungen. Auch die Wehrmachtsjustiz als tatsächliche bringung) über Sabotage der Rüstungs- Juden sowie Sinti und Roma wehrten oder vermeintliche Deserteure zum produktion bis zu individueller Aufleh­- sich gegen ihre Peiniger und Mörder. In Tode, etwa 15.000 Urteile wurden bis nung gegen deutsche Vorgesetzte oder den deutschen Großstädten bildeten Kriegsende vollstreckt.12 die Behörden. Eines der von der Gesta- sich jüdische Untergrundgruppen mit Weitaus gefährlicher als den von po am meisten geahndeten Vergehen dem Ziel, das Leben in der Illegalität zu Deutschen schätzte die Gestapo den war das unerlaubte Entfernen vom Ar- organisieren und den Mördern zu entge- Widerstand von Kriegsgefangenen und beitsplatz. Auch wenn der Widerstand hen. In Ghettos und Lagern gab es Auf- Zwangsarbeiter_innen ein. Seit Beginn aus den Reihen der Zwangsarbeiter das stände. Am bekanntesten ist sicherlich des Krieges galt ein Schwerpunkt ihrer NS-Regime nicht ernsthaft bedrohen der jüdische Aufstand im Warschauer Tätigkeit deshalb der Überwachung der konnte, hatte er für die Selbst- und Ghetto 1943. Im „Zigeunerlager“ Ausch- „Fremdvölkischen“. Und tatsächlich war Fremdwahrnehmung der Betroffenen witz-Birkenau wiederum führte ein kol- das Ausmaß des Widerstandes aus den doch eine große Bedeutung.14 lektiver Aufstand im Mai 1944 dazu, dass Reihen insbesondere der sowjetischen Das gilt auch für den Widerstand in die SS ihre Mordpläne verschieben Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter_ Konzentrationslagern und Ghettos. An- musste. innen deutlich größer als aus der deut- gesichts der absoluten Macht der SS Es bleibt festzuhalten: Die Durchset- schen Bevölkerung. So waren von 38 und der Ghettoverwaltungen waren die zung von Vernichtungskrieg und Holo- ­Widerstandsgruppen, die die Gestapo „Fahrt doch selbst nach Deutschland!“ 13 Vgl. Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Haken- Im Mai 1942 änderte ein junger Pole eine Parole an 12 Vgl. Ulrich Baumann, Magnus Koch (Hrsg.), Was da- kreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und einem Anwerbebüro der deutschen Arbeitsverwaltung mals Recht war... – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa in Warschau. Aus dem Schriftzug „Fahr mit uns nach der Wehrmacht, Berlin 2008. Erst 2002, fast 60 Jahre 1939–1945, Stuttgart 2001, S. 172. Deutschland!“ machte er durch einige Pinselstriche nach Kriegsende, wurden Deserteure und Wehrdienst- den Spruch „Fahrt doch selbst nach Deutschland!“ verweigerer vom Bundestag pauschal rehabilitiert. 14 Vgl. ebd., S. 169 ff. • Wilhelm Nortz, Stadtarchiv München

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 12 Gedicht „KZ-Pleite“, 11. November 1944 K.L. Pleite Unter Lebensgefahr fertigten polnische politische Häftlinge des KZ-Außenlagers Holzen (Kreis Holzmin- den) zum polnischen Nationalfeiertag am 11. November 1944 eine handschriftliche Zeitung an, die sie heimlich herumreichten. Die Zeitung enthielt vor allem Spott­ ‚Am Anfang war das Wort ...’ gedichte gegen die SS und die Deutschen, so auch das Gedicht „KZ-Pleite“. Die Illustrationen stammen von das bedeutet Schrei, schloss der Schwabe. dem französischen Häftling und Résistance-Kämpfer Camille Delétang. • Muzeum Teatralne w Warszawie Er hat dies geschrien, er hat jenes geschrien, – Übersetzung des Gedichtes „K.L. apa“: Und am Ende hat er gebrüllt: Mützen ab!!

So hat er vier Jahre geschrien – Hitlerjunge, Hundesohn, Er hat sich prima in der Rolle des Scharfrichters gefühlt, Er hat geschrien, hat gebrüllt: Köpfe ab!!

Heute steht er mit trauriger Fratze vor dem germanischen Massengrab, – Und Europa befiehlt den Hurensöhnen: Helme ab!!!

caust vermochte der Widerstand im gruppen.15 Häufig waren diese militä- mit Informationen, falschen Papieren 13 Deutschen Reich nicht zu verhindern. risch organisiert und wurden von aus­ oder Waffen. Resistenz bewirkte jedoch, dass sich der gebildeten Soldaten angeführt – etwa Die militärischen Aktionen gegen die totalitäre Geltungsanspruch von Ideo­ in vielen Partisanengruppen in Ost- und Besatzer richteten sich vor allem gegen logie und Praxis nicht umfassend durch- Südeuropa oder auch in der polnischen deren Infrastruktur. Überfälle auf Stra- setzen konnte. Konkreten Widerstands- Heimatarmee sowie in der Résistance in ßenkonvois und die Sprengung von handlungen ist es zudem zu verdanken, Frankreich und Belgien. Zugleich waren Bahnanlagen störten die deutschen dass Tausende politisch oder rassistisch fast immer auch Zivilist_innen einge- Nachschubwege; Sabotageakte trafen Verfolgte gerettet werden konnten, in- bunden, wie überhaupt ziviler Wider- die Rüstungsproduktion. Ein wesent­ dem man ihnen half, sich zu verstecken, stand in Form von Streiks oder dem liches Element der deutschen Herrschaft sie mit falschen Papieren ausstattete Verteilen von Flugblättern – soweit das war die Ausplünderung der besetzten oder sie ins Ausland schleuste. unter den Bedingungen der repressiven Gebiete – gerade auch hinsichtlich einer Besatzungsherrschaft möglich war – ganz wesentlichen Ressource, an der im Widerstand im besetzten Europa insbesondere in West- und Nordeuropa Reichgebiet große Knappheit herrschte: eine wichtige Rolle spielte. den Arbeitskräften. Auch hierbei ver- Weitaus gefährlicher für das Regime Knotenpunkte in den Netzwerken bil- suchten Widerständler die Besatzer em­ und personell deutlich stärker aufge- deten die Exilregierungen bzw. militäri- pfindlich zu treffen. Gezielt überfielen stellt als im Deutschen Reich war der sche Exilführungen wie die polnische sie Arbeitsämter und Anwerbebüros, um Widerstand von Nichtdeutschen in den Regierung und die französische Militär- die Karteien zu vernichten, die zur Rekru- besetzten Gebieten. Zwar konnten die führung unter General de Gaulle in Lon- tierung ausländischer Zwangsarbeiter deutschen Besatzer überall im besetzten don, zudem die Kommunistische Partei für den „Reichseinsatz“ genutzt wurden. Europa auf die Hilfe einheimischer Kolla- in der Sowjetunion und der britische Ge- Auch mittels Flugblättern versuchten sie borateure zählen, jedoch bildeten sich in heimdienst Special Operations Executive die deutsche Anwerbung und Zwangsre- allen besetzten Ländern schon bald nach (SOE) sowie das amerikanische Office of krutierung von Arbeitskräften zu stören. dem deutschen Einmarsch weitver- Strategic Services (OSS). Sie koordinier- Die deutschen Besatzer reagierten auf zweigte Netzwerke diverser, politisch ten die lokal häufig eigenständig agie- den Widerstand mit aller Brutalität. Raz- heterogen ausgerichteter Widerstands- renden Gruppen und unterstützten sie zien von Wehrmacht, SS, Polizei und

15 Vgl. auch im Folgenden die einzelnen Länderstudien einheimischen „Hilfswilligen“ waren an in: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Handbuch zum Wider- der Tagesordnung, Hunderttausende stand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945, Berlin 2011. tatsächliche oder vermeintliche Partisa-

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 14 nen wurden allein in den besetzten Ge- Einig waren sich die diversen Wider- In Polen kam es hingegen nicht zu bieten der Sowjetunion im Rahmen der standsgruppen und -bewegungen in einer solchen Zusammenarbeit, im Ge- „Bandenbekämpfung“ ermordet. Sehr Europa im Ziel, die deutschen Besatzer genteil: Nicht zuletzt wegen der sowjeti- häufig trafen die „Vergeltungsaktionen“ zu vertreiben. Einen einheitlichen euro- schen Besetzung Ostpolens im Sep­ vollkommen Unbeteiligte; ganze Ort- päischen Widerstand hat es gleichwohl tember 1939 stand die bürgerlich bis schaften wurden bei Überfällen und nicht gegeben. Die meisten Gruppen rechtsnationalistisch ausgerichtete Geiselerschießungen von den deutschen waren national organisiert. Zunächst Armia Krajowa in starkem Gegensatz zur Besatzern ausgelöscht, vor allem in einmal ging es ihnen um die Befreiung kommunistischen Gwardia Ludowa, was Griechenland, Italien und Serbien, des jeweils eigenen Landes, auch wenn insbesondere gegen Kriegsende auch zu aber auch in vielen anderen besetzten es vor allem in Westeuropa und in Polen offenen militärischen Auseinanderset- Ländern. Zahlreiche weitere Menschen zu einer transnationalen Zusammen­ zungen führte. Ähnlich entwickelte sich wurden in den besetzten Gebieten we- arbeit mit den (westlichen) Alliierten in Serbien der Gegensatz zwischen den gen Widerstandes verhaftet, gefoltert kam. Zu den nationalen kamen die ideo­ nationalistischen Tschetniks und den und in Konzentrationslager im Reichsge- logischen Barrieren zwischen Kommu- kommunistischen Partisanen unter Josip biet deportiert, insbesondere aus Polen, nisten und Sozialisten auf der einen Broz Tito. Noch gewalttätiger war die Frankreich, Belgien, dem „Protektorat“ und bürgerlichen oder rechtsnationalen Feindschaft zwischen Kommunisten und den Niederlanden. Die in diesen Gruppen auf der anderen Seite. Nur in und Nationalisten in Griechenland: Dort Ländern verhafteten Widerständler stell- wenigen Fällen gelang es den Gruppen, mündeten die gewaltsamen Auseinan- ten ab 1943 den größten Teil der KZ-In- die ideologischen Gräben zu überwin- dersetzungen zwischen der kommunisti- sassen. Viele erlebten das Kriegsende den und gemeinsam gegen die Besatzer schen ELAS und der republikanisch bis nicht mehr. zu kämpfen. In Frankreich etwa stellte im monarchistisch gesinnten EDES (die von Die brutalen deutschen Repressionen Februar 1944 die Gründung der Forces den Westalliierten unterstützt wurde) vermochten es nicht, den Widerstand Françaises de l’Intérieur (FFI) den weit- nach der Befreiung von der deutschen, einzudämmen. Im Gegenteil: Willkürakte gehend gelungenen Versuch dar, die italienischen und bulgarischen Besat- und brutale Besatzergewalt trieben wei- rivalisierenden gaullistischen Forces zungsherrschaft im offenen Bürgerkrieg, tere Menschen in den Widerstand, ins- Françaises Libres und die kommunisti- der bis 1949 andauerte und bis zu besondere in der zweiten Kriegshälfte, schen Francs-tireurs et partisans (FTP) 150.000 Todesopfer forderte. als absehbar wurde, dass das Deutsche unter einem gemeinsamen Kommando Reich den Krieg verlieren würde. zu vereinen. Zwei Angehörige einer britischen Spezialeinheit (vermutlich SOE) im Gespräch mit griechischen Parti­ sanen auf der Insel Kreta, April 1944. • bpk Bildagentur Erinnerung und Geschichtspolitik 20 Jahren eine differenziertere öffent­ Ganz anders verlief – wenig überra- 15 liche (und fachwissenschaftliche) Wahr- schend – die Entwicklung in der DDR. Der Bezug auf den Widerstand gegen nehmung durchgesetzt. Sie erhob den staatlich propagierten die deutsche Besatzungsherrschaft In Deutschland wiederum war der Antifaschismus zu ihrem Gründungs­ prägte im Nachkriegseuropa massiv die öffentliche Blick auf den Widerstand mythos. Die Heroisierung der antifa- jeweiligen nationalen geschichtspoliti- gegen den Nationalsozialismus in den schistischen Widerstandskämpfer (wor- schen Narrative. Wie die sehr unter- vergangenen 70 Jahren großen Wand- unter fast ausschließlich Kommunisten schiedliche Entwicklung des Wider­ lungen unterworfen. In Westdeutsch- verstanden wurden) führte ihrerseits zur standes in den europäischen Staaten land bzw. der jungen Bundesrepublik selektiven Wahrnehmung und drängte er­warten lässt, entwickelte sich gleich- wurde der Widerstand in den ersten die Erinnerung an nichtkommunistische wohl keine einheitliche europäische Er- Nachkriegsjahren in einer noch stark oder bürgerliche Formen des Widerstan- zählung. Dazu trug auch die Erfahrung vom NS-Regime geprägten Gesellschaft des an den Rand. Zugleich geriet der von der stalinistischen Diktatur bei, die der überwiegend negativ beurteilt. Die Män- der SED ritualisierte Antifaschismus zum deutschen Besatzung nach 1944/45 in ner des 20. Juli etwa galten den meisten Entlastungsnarrativ für die eigene Bevöl- Ost- und Ostmitteleuropa folgte und sich Deutschen noch zu Beginn der 1950er kerung, die sich als Opfer des Bündnis- vielfach als Deckgeschichte über die Er- Jahre als Verräter. Das galt auch für die ses von „Monopolherren“ und NS-Bon- innerung an die NS-Herrschaft gelegt staatlichen Repräsentanten und änderte zen fühlen durfte, die sich nach dem hat. Sie verstärkt in manchen Staaten sich zaghaft erst nach dem von General- Kriegsende in den Westen verflüchtigt die geschichtspolitischen Auseinander- staatsanwalt Fritz Bauer angestrengten hatten. Eine Auseinandersetzung mit der setzungen zwischen (post-)kommunisti- Remer-Prozess in , der Mittäter- und Mitwisserschaft der deut- schen und nationalkonservativen Erinne- den Widerstand des 20. Juli 1944 rehabi- schen Bevölkerung an den NS-Verbre- rungsgemeinschaften, die ihre Wurzeln in litierte. Gleichwohl blieb die Würdigung chen blieb damit weitgehend aus, der Kriegszeit und der Rivalität zwischen des Widerstandes selektiv. Vor dem Hin- ebenso mit nach wie vor bestehenden den entsprechenden Widerstandsgrup- tergrund des Kalten Krieges blendete die Ressentiments gegenüber Juden pen haben. Einig sind sich beide Rich- öffentliche Wahrnehmung den kommu- und dem Staat Israel. tungen lediglich im weitgehenden Ver- nistischen Widerstand wie etwa der Ro- schweigen der verbreiteten ten Kapelle weitgehend aus oder diskredi- SS-Fotografie gefangengenommener jüdischer Kämpfe- Kollaboration mit den deutschen Be- tierte ihn im Sinne einer undifferenzierten rinnen des Ghetto-Aufstandes in Warschau, Mai 1943. satzern. Hier hat sich, insbesondere in Auslegung der Totalitarismus-Theorie als Małka Zdrojewicz (rechts) überlebte die Gefangennahme und die anschließende Haft im KZ Majdanek. 1946 Westeuropa, erst in den vergangenen Wegbereiter einer neuen Diktatur. emigrierte sie nach Palästina. • bpk Bildagentur

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus Auch die in den 1970er und 1980er bis in die Wissenschaft hinein der Wider- Ohne Zweifel haben es die Frauen, Jahren entstehende bürgerschaftlich stand in toto diskreditiert war. Männer und Jugendlichen, die gegen- geprägte Gedenkstätten- und Ge- Beides: Der Blick auf die vermeintlich über dem Nationalsozialismus mutig schichtswerkstätten-Bewegung in der homogene „Volksgemeinschaft“ und die Widerstand leisteten, verdient, gesell- alten Bundesrepublik blendete das Diskreditierung des Widerstandes führ- schaftlich und politisch stärker ge­ Thema der breiten Mittäterschaft der ten dazu, dass erstens die Konturen würdigt zu werden, und das nicht nur deutschen Gesellschaft zunächst eher verschwammen (hier die Täter, dort die an Gedenktagen wie dem 20. Juli. In der aus. Stattdessen berief man sich dem Opfer) und dass zweitens widerständi- Gedenkstättenarbeit kommt ein wichti- gesellschaftspolitischen Aufbruch von ges Verhalten innerhalb der NS-Gesell- ger didaktischer Punkt hinzu, liegt doch 1968 folgend auf den Widerstand gegen schaft weitgehend aus dem Blick geriet. im Blick auf widerständiges und abwei- den Nationalsozialismus und blickte – Zugleich wurden Verfolgte – unisono als chendes Verhalten ein wichtiges hand- durchaus differenziert – auch auf bislang „Opfer“ bezeichnet – kaum noch als Ak- lungsorientierendes Potential. Sicherlich vergessene oder verdrängte Opfergrup- teure wahrgenommen und stattdessen ist es unverzichtbar, zu analysieren, pen. „Widerstand und Verfolgung“ war zu Objekten degradiert. welche Bevölkerungsgruppen sich aus in dieser Zeit auf Buchrücken und in Wie weit das geht, zeigt ein Beispiel welchen Gründen an den NS-Verbre- Ausstellungen ein vielfach verwendetes aus Bergen-Belsen: Nahezu jeder kennt chen beteiligten oder sie sogar eigen­ Begriffspaar (auch die Benennung des das jüdische Mädchen Anne Frank, das initiativ vorantrieben. Doch diese Frage 1993 unter dem Dach der damaligen im Frühjahr 1945 in diesem Konzentra­ lässt sich erst dann richtig beantworten, Landeszentrale für Politische Bildung tionslager starb. Kaum jemandem ist wenn man darauf blickt, wer sich nicht be- gegründeten „Zentralnachweises zur aber noch Heinrich Jasper ein Begriff, teiligte oder sich sogar aktiv widersetzte. Geschichte von Widerstand und Ver­ der in den 1920er Jahren als sozialdemo- Die Themen Widerstand und Resistenz folgung 1933–1945 auf dem Gebiet des kratischer Ministerpräsident des Frei- müssen deshalb auch in den Gedenk- Landes Niedersachsen“ folgte diesem staates Braunschweig einer der promi- stätten wieder eine wichtigere Rolle Narrativ). nentesten Gegner der Nationalsozialisten spielen. Für die Bildungsarbeit in den Das änderte sich grundlegend nach in Deutschland war und zeitgleich mit Gedenkstätten an den Orten ehemaliger der deutschen Vereinigung. Nicht nur im Anne Frank im KZ Bergen-Belsen ums Konzentrationslager bedeutet das zu- Forschungsinteresse, sondern auch in Leben gebracht wurde. dem, die Häftlinge nicht nur als Opfer, der öffentlichen Wahrnehmung rückten sondern auch als Akteure wahrzuneh- das Thema der gesellschaftlichen Durch- Fazit men, die – wenn auch sehr begrenzt – dringung der NS-Verbrechen und die durchaus Handlungsoptionen hatten. In Frage nach der Motivationsstruktur von Widerstand gegen den Nationalsozia- dieser Perspektive ist die Geschichte der Täter- und Mittäterschaft immer mehr in lismus wurde vor allem von Nichtdeut- NS-Verfolgung im Allgemeinen und der den Mittelpunkt – anfangs begleitet von schen geleistet, in- und außerhalb des Konzentrationslager und ihrer Häftlinge großer geschichtspolitischer Erregung. Deutschen Reiches. Die deutsche Be­ im Besonderen nicht nur als Leidensge- 16 Paradigmatisch waren die breiten öffent- völkerung hingegen begrüßte in ihrer schichte zu erzählen, sondern auch als lichen Debatten um das Buch „Hitlers Mehrheit die NS-Diktatur oder duldete eine von Selbstbehauptung, Eigensinn willige Vollstrecker“ von Daniel Jonah sie zumindest stillschweigend. Dennoch und Widerstand. Goldhagen (1996)16 und die erste Wehr- konnte sich der Totalitätsanspruch der machtsausstellung (1995–1999). Inner- NS-Herrschaft nicht durchsetzen; abwei- halb der politischen radikalen Linken in chendes Denken und Verhalten war ver- Deutschland entstand parallel dazu die breitet. Aktiver Widerstand wurde zwar Bewegung der „Antideutschen“. Die nur von einer sehr kleinen Minderheit NS-Herrschaft wurde nun auch von der der Deutschen geleistet. Diese zeigte Fachwissenschaft zunehmend – und zu jedoch ein erstaunlich breites soziales Recht – als weitgehende Konsensdikta- und politisches Spektrum. Auch wenn tur wahrgenommen, und die von den die überwiegend von Kommunisten Nationalsozialisten propagierte „Volks- und traditionellen Eliten getragenen Wi- gemeinschaft“ wurde – allerdings nicht derstandsgruppen zu keinem Zeitpunkt unwidersprochen – als analytischer darauf hoffen konnten, eine breite ge- Begriff in den Fachdiskurs eingeführt. sellschaftliche Basis zu haben, erscheint Zeitgleich arbeitete sich die Ge- Hans Mommsens älteres Diktum vom schichtsforschung am DDR-Antifaschis- „Widerstand ohne Volk“ deshalb als mus ab; erwähnt seien nur die heftigen überzogen. Gegen diese These spricht Diskussionen um die „roten Kapos“ von auch, dass allein 1933 fast 200.000 Deut- Buchenwald (1994).17 Die berechtigte Kri- sche aus politischen Gründen in Konzen- tik an der Überhöhung des kommunisti- trationslager oder Gefängnisse und schen Widerstandes in der Geschichts- Justizhaftlager eingewiesen wurden darstellung in der DDR führte dazu, dass und bis Kriegsbeginn weitere 40.000 in manchen Bevölkerungskreisen und ins Exil gingen.18

16 Daniel Jonah Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996. 18 Zahlen nach Ian Kershaw, Der NS-Staat. Geschichts- interpretationen und Kontroversen im Überblick, Rein- 17 Lutz Niethammer, Der „gesäuberte“ Antifaschismus. bek bei Hamburg 1994, S. 303, sowie Nikolaus Wachs- Die SED und die roten Kapos von Buchenwald, Berlin mann, KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen 1994. Konzentrationslager, München 2015, S. 42. Frauen im Widerstand

Thomas Altmeyer, Gabriele Prein

Marianne Cohn

Germaine Tillion

Nur wenige widerständige Frauen ha- zahlreiche Frauen aktiv waren, ausge- und betrachteten ihren Widerstand als 17 ben den Weg ins kollektive Gedächtnis grenzt.1 Erst Mitte der 1970er Jahre er- eine kaum erwähnenswerte Selbstver- gefunden. Widerstand wurde und wird wachte das Interesse am Widerstand ständlichkeit.4 Was vor NS-Gerichten oft zum großen Teil bis in die Gegenwart von Frauen, und erste Arbeiten wandten eine erfolgreiche Verteidigungsstrategie vor allem als Widerstand von Männern sich diesem Teilbereich des Widerstan- widerständiger Frauen gewesen war, wahrgenommen: Im Zentrum der öffent- des zu. Zu den Pionierinnen in Deutsch- nämlich sich als unpolitische Ehefrauen lichen Erinnerung stehen Personen wie land gehörten Gerda Zorn und Hanna darzustellen, die von den illegalen Tätig- Claus von Stauffenberg, Dietrich Bon- Elling.2 keiten des Ehemanns nichts bemerkt hoeffer und – nach langer und schwie­ Ein anderer Bereich des Widerstandes, hatten, wurde nach 1945 negativ gegen riger Erinnerungsgeschichte – endlich in dem der Anteil von Frauen besonders die betroffenen Frauen verwandt: Die auch Georg Elser. Lediglich Sophie hoch war, ist der so genannte Rettungs- ehemalige Schutzbehauptung wurde als Scholl als Teil des Geschwisterpaares widerstand. Diese Hilfe für Juden – nicht Realität wahrgenommen und die Bedeu- Hans und Sophie Scholl und der Wider- zuletzt für jüdische Kinder – war bis in tung von Frauen im Widerstand damit standsgruppe der Weißen Rose gehört die 1990er Jahre in Deutschland wissen- zur öffentlichen Gedenkkultur. Daneben schaftlich kaum erforscht, ähnliches gilt 4 Vgl. Ursula Krause-Schmitt: Widerständige Frauen, 3 mag es regionale und lokale Erinne- für Frauen im jüdischen Widerstand. in: Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945 (Hrsg.): Nichts war vergeblich. Frauen im Widerstand rungskulturen geben, in denen Frauen Die Frauen, die Widerstand geleistet gegen den Nationalsozialismus. Frankfurt/Main 2016, eine etwas bedeutendere Rolle spielen. hatten, suchten in den ersten Nachkriegs- S. 51.

Dass Frauen in der öffentlichen (und jahrzehnten nur selten die Öffentlichkeit Marianne Cohn, geb. 1922 in Deutschland, emigrierte auch wissenschaftlichen) Wahrnehmung 1934 mit ihrer Familie nach Frankreich. Dort war sie Organisatorin der Zionistischen Jugend und half, jüdi- des Widerstandes derartig marginalisiert 1 Vgl. Thomas Altmeyer: Widerstand gegen das NS-­ sche Kinder in die sichere Schweiz zu bringen. Am 9. Mai Regime. Stand und Perspektiven der Forschung. In: 1944 wurde sie mit einer Gruppe Kinder verhaftet und wurden und noch immer werden, liegt Studien­kreis Deutscher Widerstand 1933-1945 (Hrsg.): kam ins Gestapo-Gefängnis. Nach der Befreiung der im Widerstandsverständnis der ersten Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Perspek­ Region fand man ihre Leiche in einem Massengrab; tiven der Vermittlung. Frankfurt/Main 2007, S. 24–42; vermutlich wurde sie von Angehörigen der Wehrmacht Jahrzehnte in der Bundesrepublik be- Hervé, Florence: „Wir fühlten uns frei“. Deutsche und ermordet. Foto um 1942 • Privatbesitz/Reproduktion gründet. Als Widerstand galt vor allem französische Frauen im Widerstand. Essen 1997, S. 90. Gedenkstätte Deutscher Widerstand der militärische Widerstand des 20. Juli 2 Vgl. Gerda Zorn/Gertrud Meyer (Hrsg,): Frauen gegen Die französische Ethnologin Germaine Tillion (1907–2008), Hitler. Berichte aus dem Widerstand 1933-1945. Frank- gehörte der ersten Gruppe der Résistance an. Sie wurde 1944, dem allerdings vielfach das Stig- furt/Main 1974; Hanna Elling: Frauen im deutschen Wi- denunziert, am 13. August 1942 verhaftet und am 21. Okto- derstand: 1933–45. Frankfurt/Main 1978. ber 1943 ins KZ deportiert. Ihr Werk „Frauenkonzentrations-­ ma des Landesverrates angehängt wur- lager Ravensbrück“ erschien 1988 (dt. 1998). Sie enga- de. Zugleich wurde der Widerstand aus 3 Vgl. etwa Ingrid Strobl, „Die Angst kam erst danach“. gierte sich gegen die Folter in Algerien und für die Jüdische Frauen im Widerstand in Europa 1939–1945. Emanzipation der Frauen im Mittelmeerraum. Foto vom der Arbeiterbewegung, in dem auch Frankfurt/Main 1998. Studentenausweis,­ 1934 • Association Germaine Tillion

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus Lia Finzi

Geneviève de Gaulle-Anthonioz

18 abgeschwächt.5 All dies führte dazu, wahrnehmungen zu korrigieren und so- – in erster Linie – die Gefährtinnen sein, dass Frauen selbst kaum über ihre Rolle mit verdrängte und vergessene Bereiche den Männern den Rücken frei halten und im Widerstand sprachen und viele des Widerstandes zu erforschen und zu dem Staat Kinder gebären. Dass es da- (auto-)biografische Berichte von Frauen vermitteln, gehörte der Widerstand von neben viele Schattierungen gab, ist heu- erst spät, ab den 1990er Jahren, veröf- Frauen schon seit langer Zeit zu einem te unbestritten. Es wäre falsch, Frauen fentlicht wurden.6 der Arbeitsschwerpunkte. Ausgehend rückblickend ausschließlich auf die Mut- Für den Studienkreis Deutscher Wi- von Hanna Ellings Forschungen widme- terrolle zu reduzieren. Der neue Staat derstand 1933–1945 dagegen, der seit ten sich zahlreiche Projekte wissenschaft- bot ihnen Betätigungsfelder und Karrie- seiner Gründung 1967 es sich zur Aufgabe lich und publizistisch diesem Thema. ren, die sie auch zu Mitwisserinnen, Mit- gemacht hat, selektive Widerstands- Dazu kamen diverse Ausstellungen. Zu- läuferinnen und Täterinnen machte. letzt erschien die Wanderaus­stellung Dem engmaschigen Netz von Partei 5 Vgl. Verena Schneider: Geschlechterstereotype nut- „Nichts war vergeblich. Frauen im Wider- und Staat war kaum zu entkommen. zen. Strategien von Frauen im Widerstand., in: informati- onen. Wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises stand gegen den Nationalsozialismus“ Innerhalb der NSDAP waren die Frauen Deutscher Widerstand 1933–1945 Nr. 82, November (2016). in der NS-Frauenschaft organisiert, die 2015, S. 20–24 sowie Wolfgang Form: „Selbständige Schuld war ihr nicht nachzuweisen“. Frauen als Opfer ab 1933 alle bisherigen Frauenverbände der politischen NS-Strafjustiz, in: informationen. Wis- senschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Frauen im NS – vielfältige und -organisationen vereinnahmte oder Widerstand 1933–1945 Nr. 82, November 2015, S. 27–30. Lebenswirklichkeiten auf ihre Linie brachte. Bis zu 2,3 Millio- 6 Vgl. etwa die Untersuchung von Ingrid Strobl: „Sag nen Mitglieder umfasste die Frauen- nie, du gehst den letzten Weg“. Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung. Um die Dimension weiblichen Wider- schaft. Ihr politischer Einfluss war aber Frankfurt/Main 1989; insbesondere auch den autobio- stands einzuordnen, muss man zunächst graphischen Bericht von Hela Rufeisen-Schüpper: „Ab- Geneviève de Gaulle-Anthonioz (1920–2002) studierte schied von Mila 18. Als Ghettokurierin zwischen Krakau die Lebensumstände von Frauen in der Geschichte, als sie sich im Juni 1940 der Résistance und Warschau“. Köln 1998. Zu nennen sind nicht zuletzt anschloss. Am 20. Juli 1943 wurde sie von den französi- die Dokumentarfilme „‘Mir zeynen do!‘ Der Ghettoauf- NS-Zeit betrachten. Von den Frauen schen Hilfskräften der Gestapo verhaftet und am 2. stand und die PartisanInnen von Bialystok“ (1992, Regie: wurde ein ebensolches Maß an Konfor- Februar 1944 ins KZ Ravensbrück deportiert. Im April Ingrid Strobl) und „Konspirantinnen. Polnische Frauen 1945 wurde sie befreit. Jahrzehntelang engagierte sie im Widerstand 1939–1945“ (2006, Regie: Paul Meyer). mität verlangt wie von den Männern. sich in der Menschenrechtsbewegung ATD Vierte Welt. Eine Ausnahmestellung dürfte hier der Zeitschrift „Voix Foto: 1987 als Zeugin im Prozess gegen Klaus Barbie et Visages“ zukommen, die zahlreiche Portraits (oft in Ihre im Alltag, in den • ATD Quart Monde France Form eines Nachrufs) von Widerstandskämpferinnen ­Institutionen und bis ins innerste Privat- publizierte. Sie wurde in Frankreich von der Association Lia Finzi, geb. 1928 in Italien, engagierte sich als Anti­ nationale des anciennes déportées et internées de la leben war kaum anders als beim männli- faschistin. Als im September 1943 die Deportation der Résistance (ADIR) herausgegeben; diese hatte – auch das jüdischen Bevölkerung begann, musste sie musste ihre etwas Ungewöhnliches – immer zwei Präsidentinnen, chen Teil der Bevölkerung. Aber Frauen Heimatstadt Venedig verlassen. Im Schweizer Exil jeweils eine aus dem kommunistischen und eine aus bekamen eine andere, insgesamt weni- überlebte sie die Shoah. Bis heute ist sie als Zeitzeugin dem gaullistischen Bereich, etwa Marie-Claude Vaillant-­ aktiv. Foto: Lia Finzi in einem Interview im Juni 2006 Couturier und Geneviève de Gaulle-Anthonioz. ger aktive, Rolle zugewiesen. Sie sollten • Verein zur Förderung alternativer Medien e.V., Erlangen Die Naturwissenschaftlerin France Bloch-Sérazin, geb. 1913 in Frankreich, beteiligte sich seit Juni 1940 am Widerstand, bei den „Francs-tireurs et partisans“. Im Mai 1942 wurde sie von der französischen Polizei verhaftet, am 30. September 1942 vom Feldkriegsgericht des Kommandanten von Groß-Paris zum Tode verurteilt und am 12. Februar 1943 im Untersuchungsgefängnis Hamburg mit der Guillotine hingerichtet.

Hela Rufeisen-Schüpper, geb. 1921 in Polen, schloss sich der zionistischen Jugendbewegung Akiva an und arbeitete im Widerstand, z.B. als Kurierin zwischen den Ghettos Krakau und Warschau. 1944 wurde sie verhaftet und ins KZ Bergen-Belsen deportiert. Nach ihrer Befrei- ung im April 1945 emigrierte sie im September 1945 nach Palästina. Im Prozess gegen Adolf Eichmann sagte sie als Zeugin aus.

Wanda Broszkowska-Piklikiewicz Marguerite Bervoets

gering. Daneben gab es das mit 6,3 Milli- Wichtige Entscheidungen in der Fami- Auch im direkten Militäreinsatz wur- 19 onen noch mitgliederstärkere Deutsche lie – etwa zum Wohnort oder zur Berufs- den viele Frauen eingesetzt. Schätzungs- Frauenwerk. Junge Mädchen waren ver- tätigkeit der Frau – wurden allein in die weise 500.000 Wehrmachtshelferinnen pflichtet, dem Bund Deutscher Mädel Hand des Mannes gelegt. Das Gesetz wurden gezählt; ebenso viele waren im (BDM) beizutreten, dem weiblichen „zur Verminderung der Arbeitslosigkeit“ Luftschutz tätig. Rund 400.000 Frauen Zweig der Hitlerjugend. Die Frauen­ drängte Frauen zugunsten arbeitsloser beschäftigte das Rote Kreuz. Sie wurden organisationen wurden von Frauen ge- Männer aus dem Erwerbsleben. Frauen damit auch im materiellen Sinn zu einer leitet (etwa Gertrud Scholtz-Klink als wurde das passive Wahlrecht abgespro- unerlässlichen Stütze des NS-Staats.8 „Reichsfrauenführerin“), in die oberen chen; sie durften ab 1934 etwa keine Entscheidungsgremien der Partei ge- Arztpraxen mehr eröffnen und konnten langten sie aber nicht. keine akademischen juristischen Berufe Praktisch hatten die Nationalsozialis- mehr ergreifen. Der Anteil von Studen- ten jeden Lebens- und Arbeitsbereich tinnen an deutschen Hochschulen wurde von Frauen unter Kontrolle. Mit zahlrei- auf 15 Prozent festgelegt. chen Gesetzen griff die Partei unmittel- Auf der anderen Seite nahm die Er- bar in das Leben von Frauen ein. Mit ei- werbsarbeit von Frauen nach 1933 be- 8 Vgl. Marita Krauss (Hrsg.): Sie waren dabei. Mitläufe- nem „Ehestandsdarlehen“ etwa sollten trächtlich zu. In erster Linie wurden rinnen, Nutznießerinnen, Täterinnen im Nationalsozialis- Eheschließungen gefördert und die Ge- „weibliche“ Berufe gefördert: Fürsorge- mus. Göttingen 2008. burtenzahlen erhöht werden. Die Verga- rinnen, Krankenschwestern, Pflegerin- Wanda Broszkowska-Piklikiewicz, geb. 1926 in Polen, be war an ein Ehefähigkeitszeugnis (zu nen. Gerade in letzteren Berufen wurden war Angehörige der Armia Krajowa („Heimatarmee“) und beteiligte sich vom 1. August bis 2. Oktober 1944 am den Kriterien gehörten Fortpflanzungs- sie nach Kriegsbeginn dringend benö- Warschauer Aufstand gegen die deutschen Besatzer. Sie überlebte die deutsche Kriegsgefangenschaft in Bergen- fähigkeit, geistige und körperliche Ge- tigt. Auch in der Rüstungsindustrie wur- Belsen und Oberlangen. Nach dem Krieg kehrte sie nach sundheit) und den Nachweis „arischer“ den Frauen ab 1940 unentbehrlich. Sie Polen zurück und engagierte sich noch Jahrzehnte lang als Zeitzeugin; etwa 2012 bei einem Besuch der Gedenk- Herkunft geknüpft und diente damit füllten – ebenso wie die Zwangsarbei- stätte Bergen-Belsen (Ausschnitt). • Jesco Denzel immanent auch der rassistischen und ter_innen – die Lücken in der Produktion Die Lehrerin Marguerite Bervoets, geb. 1914 in Belgien, rassehygienischen Selektion.7 aus, die durch den Fronteinsatz der schloss sich 1940 der Widerstandsorganisation „Légion Belge“ an. 1942 wurde sie vom Sicherheitsdienst der SS Arbeiter entstanden waren. verhaftet und war bis 1944 als NN-Gefangene in mehre- ren deutschen Gefängnissen. Am 22. März 1944 wurde 7 Dagmar Reese: Bilder, Ideologie, Wirklichkeiten. Frauen sie vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am im Nationalsozialismus, in: informationen. Wissenschaft­ 7. August 1944 im Strafgefängnis Wolfenbüttel hinge- liche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand richtet (Ausschnitt). • Gedenkstätte in der JVA 1933–1945 Nr. 82, November 2015, S. 3–7, hier S. 6. Wolfenbüttel

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus Carola Karg

20 Frauen – oft unverzichtbarer Teil des zurückgreifen als Arbeiterinnen.10 Weg in den Widerstand fand. Sie war Widerstandes In politische Organisationen oder in das neunte von elf Kindern, nahm eine Netzwerken integrierte Frauen konnten Lehrstelle an, wurde Mitglied der Ge- Die unterschiedlichen Lebensbedin- anders widerständig aktiv sein als werkschaft und später der KPD. Aufstieg gungen von Frauen bestimmten den Einzelgängerinnen. war nur durch Bildung möglich; Carola Handlungsspielraum für ihre Wider- Zu Beginn der Nazi-Herrschaft waren Karg besuchte die Marxistische Arbei- standstätigkeiten. Welche Aktions­ es insbesondere Frauen aus den politi- terschule. Nach Differenzen mit den El- möglichkeiten sie hatten, hing auch schen Parteien der Arbeiterbewegung, tern, die mit dem kommunistischen Weg von ihrem persönlichen, sozialen und die Widerstand leisteten. Sie stellten der Tochter nicht einverstanden waren, politischen Umfeld ab. Dies ist eine vielfach die notwendige Infrastruktur. arbeitete Carola Karg an mehreren Orten wichtige Variable, um den auf den ersten Sie beteiligen sich am Aufbau illegaler (u.a. in Halle und Berlin) für verschiedene Blick vergleichsweise niedrigen Anteil Strukturen, transportierten Flugblätter Organisationen der KPD.11 von Frauen am Widerstand zu erklären, und andere illegale Materialien in Kin- Als die Nazis an die Macht gelangten, der in der Literatur auf etwa 15 bis 20 derwagen, beschafften Informationen ging sie in den Untergrund, reiste kreuz Prozent geschätzt wird.9 über NS-Verbrechen und sammelten und quer durchs Deutsche Reich, um So war der Handlungsspielraum für Geld für die Unterstützung der illegalen Verbindungen der untergetauchten verheiratete Frauen mit Kindern, deren Arbeit oder für die Angehörigen Inhaf- Gruppen zu knüpfen, Informationen zu Männer in Haft oder emigriert waren, ein tierter oder Emigrierter. transportieren und Schriften zu verbrei- anderer als für junge Mädchen in dissi- Carola Karg (1910–1985) ist sicher das ten. Es war ein Leben bisweilen auf der denten und oppositionellen Jugend­ klassische Bespiel einer jungen Frau aus Straße – wenn es zu gefährlich war, bei cliquen wie z.B. den „Edelweißpiraten“. der Arbeiterklasse, die früh politisiert Genossen unterzukommen oder Fremde Frauen aus dem bürgerlichen bis adligen wurde und sozusagen folgerichtig den um Unterkunft zu bitten. Bei der klan- Milieu waren ökonomisch besser abgesi- destinen Arbeit lernte sie den katholi- 10 Hier liegt auch das Problem der ansonsten verdienst- chert und konnten auf andere Ressourcen vollen Studie von Frauke Geyken: Wir standen nicht schen Priester Joseph C. Rossaint abseits. Frauen im Widerstand gegen Hitler. München 2014. Die von ihr porträtierten Frauen gehören eher kennen, mit dem sie ein Leben lang einem gehobenen bürgerlichen, akademischen bzw. befreundet bleiben sollte. künstlerischen Milieu an. Geyken gelingt dadurch eine zwar vergleichsweise dichte und gut lesbare Beschrei- bung dieses Widerstandsmilieus (zuweilen aber auch 11 Vgl. Gerda Zorn. Rote Großmütter. Köln 1989. 9 Vgl. Christl Wickert: Frauen zwischen Dissens mehr der Aktivitäten der widerständigen Männer). Andere und Widerstand, in: Wolfgang Benz/Walter H. Pehle: wichtige Bereiche des Widerstandes, in denen Frauen Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt 1999, aktiv waren, wie z.B. der Widerstand aus der Arbeiter­ Gruppenbild, um 1931/32: Carola Karg (2.v.l.) mit ihren S. 140–155, hier S. 154; Krause-Schmitt 2016, S. 51. bewegung bleiben dabei jedoch außen vor. Genossinen und Genossen • VVN-BdA München Libertas Schulze-Boysen (geb. Haas-Heye) Elisabeth Schmitz

Carola Karg wurde 1934 in Düsseldorf auch ein Versuch, die Arbeiten besser Gleichgesinnten gemeinsame Aktionen 21 verhaftet, als sie Flugblätter mit einem verstecken und bewahren zu können. vorzubereiten, sondern sie leistete einen Aufruf zum Kampf gegen das barbari- Carola Karg wurde von der Roten sehr eigenen, persönlichen Widerstand. sche System transportierte. Sie wurde Armee aus dem Zuchthaus Waldheim Sie verfasste im Sommer 1935 eine in der Haft misshandelt und gefoltert, befreit. Sie kehrte in ihre Heimatstadt Denkschrift mit dem Titel „Zur Lage der verriet aber niemals ihre Mitstreiter. zurück und engagierte sich in der anti­ deutschen Nichtarier“. Die eng beschrie- Nach dem ungewöhnlich harten Urteil faschistischen Arbeit und in der benen Schreibmaschinenblätter über- wegen Hochverrats verbrachte sie prak- Frie­dens­bewegung. reichte sie einem Mitglied der Bekennen- tisch die gesamte NS-Zeit in Zuchthäu- Von ganz anderen Voraussetzungen den Kirche, zu der sie Beziehungen hatte sern; alle Gnadengesuche ihrer Familie aus fand Elisabeth Schmitz (1893–1977) und wo sie hoffte, Hilfe zu finden. Doch wurden abgelehnt.12 in den Widerstand. Die promovierte sie bekam keine Antwort. Ihr Aufbegeh- Von ihrem Überlebenswillen zeugen Studienrätin für Deutsch, Geschichte ren ging ins Leere. die Handarbeiten, die sie – wie viele ih- und evangelische Theologie stammte Nach den Novemberpogromen 1939 rer Leidensgenossinnen – in der Gefan- aus einer konservativen Familie in kündigte Elisabeth Schmitz den Schul- genschaft anfertigte. Kunstvolle Sticke- Hanau. Ihr Hochschulstudium war zu dienst. Sie konnte und wollte die NS- reien und kleine Bastelarbeiten lassen Beginn des vergangenen Jahrhunderts Doktrinen nicht länger im Unterricht noch heute ahnen, was die Frauen da- noch eine Besonderheit, wurde ihr aber vertreten. Sie blieb in Berlin, wo sie mals vereinte: Solidarität und der Glau- vom Vater erlaubt. Doch Aufbegehren ihre bisherigen Berufsjahre verbracht be an eine andere Zukunft. Die Handar- gegen den Staat und seine Organisatio- hatte, und engagierte sich für den beiten wurden aus allem Material nen war in ihrer Umgebung gewiss nicht Schutz untergetauchter Jüdinnen und hergestellt, das zu finden war: Stoff, vorgesehen.13 Juden. Später kehrte sie in ihre Heimat- Wolle, Draht, Papier, selbst aus Brot­ Elisabeth Schmitz ist – soweit überlie- stadt Hanau zurück. In den Unterlagen resten wurden kleine Püppchen geformt. fert – eine der ersten Personen, die in ei- der Bekennenden Kirche findet sich kein Waren die Gegenstände in der Vor- ner klaren Analyse feststellten, dass das Hinweis auf ihre hellsichtige Denkschrift. kriegszeit noch relativ groß – wie etwa NS-Regime alle Voraussetzungen dafür Tischdecken – wurden sie später immer traf, die jüdische Bevölkerung zu ver- kleiner und zierlicher. Das war zum Teil nichten. Doch ihre Analyse führte – an- Libertas Haas-Heye als Pressereferentin bei Metro-Goldwyn-Mayer, Berlin, 1933 der Mangelsituation geschuldet, aber ders als bei Carola Karg – nicht dazu, mit • Gedenkstätte Deutscher Widerstand

12 Frauen im Widerstand 1933-1945 in Düsseldorf. 13 Vgl. Manfred Gailus: Mir aber zerriss es das Herz. Der Elisabeth Schmitz • Dietgard Meyer, Reproduktion: Redaktion: Mareen Heying, Florence Hervé. Köln 2012. stille Widerstand der Elisabeth Schmitz. Göttingen 2011. Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus Hannie Schaft

Lore Wolf Annita Malavasi

22 Zu der großen Anzahl von Frauen und der eben geborenen Tochter in die Sie wurde 1940 – erneut – verraten im Widerstandsnetzwerk der „Roten USA. Doch der Versuch, dort Fuß zu fas- und in Paris von der Gestapo verhaftet. Kapelle“ gehört auch Libertas Schulze- sen, misslang. Die kleine Familie siedelte Die Jahre bis zum Kriegsende verbrach- Boysen (1913–1942). Die Tochter eines schließlich in die Sowjetunion über, te sie in Zuchthäusern oder Konzentra­ Modeschöpfers und einer Adligen trat wo Lore Wolfs Mann Arbeit in der tionslagern. Sie überlebte die Torturen 1937 aus der NSDAP aus. Ein Jahr später Autoindustrie­ fand.15 und widmete ihr weiteres Leben der Auf- beteiligte sie sich an der Verteilung einer Als Lore Wolf 1933 ihre Eltern besuchte, klärung über den Faschismus. Ihre Er- illegalen Schrift zum „Münchener Ab- ließen die deutschen Behörden sie nicht fahrungen trug sie in der Autobiographie kommen“. Sie organisierte mit ihrem in die Sowjetunion zurückreisen. Es folgte „Ein Leben ist viel zu wenig“ zusammen. Mann offene Gesprächskreise, Lesungen eine kurze bewegte Zeit des Widerstands Generell gilt, dass sich mit der Dauer und Musikabende, aus denen sich ein in einer Gruppe der mittlerweile verbo- des NS-Regimes auch die Möglichkeiten Kreis von Regimegegnern herauskristal- tenen KPD in Frankfurt: Verfassen von für den Widerstand von Frauen änder- lisierte. Zudem sammelte sie Bildmate­ Flugblättern, Transport, Verteilung. Ein ten: Nach der Verhaftung männlicher rial über die Kriegsverbrechen.14 Verräter gab die Namen der Gruppe Regimegegner oder deren Wehrdienst Eine weitere Dimension des weibli- preis; Lore Wolf musste sich rasch zur wuchs die Bedeutung von Frauen in den chen Widerstands zeigt der Lebensweg Flucht entschließen. Wie viele Verfolgte Widerstandsgruppen und -netzwerken, von Lore Wolf (1900–1996): das Exil. Sie ging sie zunächst ins Saarland, von dort nicht zuletzt, weil sich Frauen freier in stammte aus einer kleinbürgerlichen Fa- nach Paris. Ihre persönlichen Umstände der Öffentlichkeit bewegen konnten. milie aus Franken, kam früh nach Frank- waren schwierig: Getrennt von Mann Der Krieg erweiterte auch das mögli- furt und machte dort eine Lehre als kauf- und Tochter (die aber später mit ihr in che Aktionsfeld für die Regimegegnerin- männische Gehilfin. Mit dem Einstieg ins Paris leben konnte), weitgehend mittel- nen und -kritikerinnen, nicht zuletzt für Berufsleben wurde ihr politisches Inter- los, in einem fremden Land mit unbe- Frauen ohne Anbindung an eine spezifi- esse geweckt: Gewerkschaft und KPD kannter Sprache. Aber sie hatte ein en- sche Widerstandsgruppe. Hierzu gehört schärften ihr Bewusstsein für die politi- ges Netz politischer Freunde in der

schen Verhältnisse. Um der ökonomi- Emigration; zu ihren engen Bekannten Lore Wolf in den 1940er Jahren schen Not der 1920er Jahre zu entflie- gehörte Anna Seghers, der sie bei der • Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945 hen, zog sie mit ihrem jungen Ehemann Publikation ihrer Bücher half. Annita Malavasi bei einem Zeitzeuginnengespräch 2006 • Verein zur Förderung alternativer Medien e.V., Erlangen Hannie Schaft wurde Ende März 1945 verhaftet und 14 Vgl. Hans Coppi/Johannes Tuchel: Libertas Schulze- 15 Vgl. Lore Wolf: Ein Leben ist viel zu wenig. nach Verhören unter Folter am 17. April 1945 erschossen. Boysen und die Rote Kapelle. Berlin 2013. Frankfurt am Main 1974. • NIOD (public domain) etwa die solidarische Unterstützung von In den Niederlanden beteiligten sich Jüdinnen und Juden bis hin zur Quar- Frauen nicht nur am Februarstreik 1941 tiersuche und -vergabe oder die Hilfe für und an Hilfsaktionen für Verfolgte, sie ausländische Zwangsarbeiterinnen und waren auch Bestandteil des bewaffneten Zwangsarbeiter. Bedeutsam war auch Widerstandes wie z.B. Hannie Schaft. das Verweigern der Zwangsverpflich- Die junge Studentin verweigerte sich tung in der Rüstungsindustrie, die öf- nicht nur Anordnungen der Nazis, sie fentliche Kritik an der Kriegspropaganda stahl Personalpapiere für die Schaffung oder das Bestärken der Familienange­ neuer Identitäten, sondern beteiligte hörigen zur Desertion. Bei der Kriegs- sich auch an Sprengstoffanschlägen verweigerung taten sich besonders die und der Exekution von Kollaborateuren Zeuginnen Jehovas hervor. und Tätern. In Polen stellten Frauen Auch unter den Frauen, die wegen des nicht nur eine große Zahl an Wider- rassistischen Verbots des „Umgangs mit standskämpferinnen, sondern gehörten Fremdvölkischen“ verfolgt und in das auch zu den Führungs- und Gründungs- Frauen-Konzentrationslager Ravens- mitgliedern im Widerstand. Zu den vie- brück deportiert wurden, finden sich len kämpfenden Frauen im Warschauer Aktivitäten, die Ursula Krause-Schmitt Ghettoaufstand gehörte auch Masza zum „humanitären Widerstand“ zählt: Putermilch. Sie konnte nach der Nieder- Lebensmittel und Kleidung verschenken, schlagung des Aufstandes über die Briefe weiterbefördern und über den Kanalisation aus dem Ghetto fliehen.18 Frontverlauf informieren bis hin zur Fluchthilfe.16 Sie trugen das gleiche Risiko Mit dem Zweiten Weltkrieg wurden Frauen in zunächst in Polen, Frankreich, Auch wenn es sich beim Widerstand den BeNeLux-Staaten, später auch in von Frauen um eine Minderheit der Min- der Sowjetunion oder Italien und ande- derheit handelt, lohnt sich der Blick auf ren europäischen Ländern vor die Ent- diesen Teilbereich des Widerstandes. scheidung gestellt, sich den neu gege- Frauen waren prinzipiell denselben Ge- benen Bedingungen anzupassen oder fahren ausgesetzt waren wie Männer. Widerstand zu leisten. Auch wenn die Das NS-Strafmaß traf sie nicht immer in Bedingungen für den Widerstand in der gleichen Härte, aber ihr Einsatz war den einzelnen Ländern durchaus unter- genauso risikoreich.19 Frauen waren ins- schiedlich waren, waren Frauen – ähn- besondere für die Infrastruktur und das lich wie im Deutschen Reich – wichtig Funktionieren der Widerstandsarbeit 23 für das Funktionieren von Widerstands- wichtig und damit ein elementarer Be- strukturen. Sie beteiligten sich z.B. an standteil des Widerstandes. In den Er- der Produktion und Verbreitung von zählungen von widerständigen Frauen Flugblättern, sorgten für den Transport kommen meist die persönliche Dimen­ von Waffen und Informationen zwischen sion der Widerstandsarbeit und deren Partisanengruppen oder waren zentrale Belastungen stärker zur Sprache als bei Bestandteile im Rettungswiderstand: ihren männlichen Gefährten. Das ist eine Dass jüdische Kinder und Erwachsene, Dimension, die in der Vermittlungsarbeit alliierte Fallschirmspringer oder Wider- ebenso wichtig ist wie das alltägliche standskämpfer_innen versteckt, ver- Widerstehen unterhalb der Schwelle des sorgt und bei der Flucht über die Grenze politischen Widerstandes. Das ist ein unterstützt wurden, ist ohne die Beteili- Anknüpfungspunkt für das Thema gung von Frauen kaum denkbar. „Zivilcourage“ – auch heute.

Im italienischen Partisanenkampf 18 Vgl. Ingrid Strobl 1998, S. 231ff., (vgl. Anm. 3). übernahmen Frauen vielfach den Dienst Zum jüdischen Widerstand in Warschau und Maszia Putermilch siehe S. 267–279. als Stafette. Mit Tarnnamen versehen, 19 Vgl. Wolfgang Form: „Selbständige Schuld überbrachten Frauen wie Annita Malavasi war ihr nicht nachzuweisen“. S. 27–30. den Partisanengruppen Informationen und Waffen.17

16 Krause-Schmitt 2016, S. 56.

17 Vgl. Ingrid Schäfer: „... an diesem Tag entschloss ich mich, der Resistenza beizutreten“. Frauen im italieni- schen Widerstand zwischen 1933–1945, in: informatio- nen Nr. 64, November 2006, S. 13–17.

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus Lebenswege. Deutsche politische Häftlinge im KZ Bergen-Belsen

Christian Römmer

24 „Ich war der Wache zugeteilt, die dafür in das Privatleben endete mit der erneu- schen Verhältnisse waren unvorstellbar. zu sorgen hatte, die Barackeninsassen ten Verhaftung im August 1944 und der Dem Massensterben in Bergen-Belsen des morgens ¼ 5 Uhr zu wecken und die wenig später folgenden Einlieferung in fielen zwischen Januar und April 1945 Kaffeebrühe zu holen hatte. Beim Hin- das KZ Sachsenhausen. Etwa ein halbes etwa 35.000 Männer und Frauen zum austreten aus Baracke 11 zu Baracke 12 Jahr später erreichte der kranke und ge- Opfer. stolperte ich im Zwielicht über einen schwächte Heinrich Jasper das Lager Am Tag der Befreiung, dem 15. April Toten, der unmittelbar vor der Baracke Bergen-Belsen, wo er nach wenigen 1945, fanden die Briten im Lager rund im Schlamm lag. Ich bückte mich und Tagen am 19. Februar 1945 starb. 53.000 Menschen vor, außerdem etwa leuchtete dem Toten ins Gesicht und 10.000 unbestattete Leichen. Es war den stellte mit Entsetzen fest, daß es der Ge- Das KZ Bergen-Belsen Befreiern in den folgenden Wochen un- nosse Dr. Jasper war.“ So schilderte der möglich, alle Überlebenden so zu ver- KZ-Überlebende Wilhelm Hoppmann im Zu dieser Zeit war Bergen-Belsen sorgen, dass sie in ihre Heimat zurück- Oktober 1945 den Tod des Sozialdemo- schon seit rund zwei Monaten zum Ziel kehren konnten. So starben bis Juni kraten Dr. Heinrich Jasper, vielleicht zahlreicher Räumungstransporte aus an- 1945 weitere 14.000 Menschen an den dem prominentesten deutschen politi- deren Konzentrationslagern geworden, unmittelbaren Folgen der KZ-Haft. schen Häftling im Lager Bergen-Belsen. die in die Hände der Alliierten zu fallen Das KZ Bergen-Belsen spielte im na­ Heinrich Jasper, geboren 1875, promo- drohten. Innerhalb weniger Wochen tra- tionalsozialistischen Lagersystem immer vierter Jurist und seit 1902 SPD-Mit- fen zehntausende Menschen in Bergen- eine Sonderrolle. Die SS und das Aus- glied, prägte in den 1920er Jahren als Belsen ein – zu Fuß auf Todesmärschen wärtige Amt planten, hier verschiedene Ministerpräsident die Politik des Frei- von mehreren hundert Kilometern oder Gruppen jüdischer Häftlinge als Geiseln staates Braunschweig. Als dort bereits mit der Bahn. Die Züge waren oft viele festzuhalten, um sie bei Bedarf gegen im ab 1930 die NSDAP die Regierung an- Tage unterwegs, zahlreiche Menschen Ausland internierte Deutsche auszutau- führte, geriet Jasper als Oppositionsfüh- starben bereits auf dem Transport. Wer schen. Dieses „Aufenthaltslager Bergen- rer immer mehr unter Druck. Nach der die Fahrt ohne Wasser und Essen über- Belsen“ unterschied sich in vielen Machtübernahme der Nationalsozialis- lebte, in den Waggons zusammenge- Details von einem herkömmlichen ten im Deutschen Reich wurde er im pfercht mit Toten und Sterbenden, kam Konzentrationslager. März 1933 zum ersten Mal verhaftet. in ein Lager, in dem Chaos herrschte. Ab März 1944 bekam Bergen-Belsen Nach mehreren Jahren Haft, überwie- Die SS stellte die Versorgung der Häft- mit der Einrichtung eines Männerlagers gend im KZ Dachau, kam er erst 1938 linge mit Lebensmitteln ein, Krankheiten für geschwächte, arbeitsunfähige Häft- wieder frei. Der erzwungene Rückzug brachen aus, die sanitären und hygieni- linge aus anderen Konzentrationslagern eine weitere Funktion. Die Kranken soll- Deutsche politische Häftlinge terstellt wurde. Besonders gegen Ende 25 ten hier angeblich „gesund gepflegt“ des Krieges genügte eine abfällige Be- werden. Doch bei den vorherrschenden Es erleichtert die historische For- merkung über einen NS-Repräsentanten hygienischen und medizinischen Um- schung, wenn man versucht, Struktur oder laut geäußerter Unmut über eine ständen war dies unmöglich. Das Häft- in diese Masse der NS-Opfer zu bringen. Anordnung der Machthaber, um von der lingslager wurde zum Sterbelager. Es hilft, die hunderttausende Häftlinge Gestapo als „politisch Verfolgter“ ins KZ Ab Sommer 1944 füllte sich ein Ab- der nationalsozialistischen Konzentrati- eingewiesen zu werden. Die Häftlings- schnitt des Lagers zudem mit weiblichen onslager in verschiedene Gruppen ein- gruppe der „Politischen“ wurde mehr Häftlingen, zunächst rund 4000 Frauen zuteilen. Doch viel zu oft orientiert man und mehr zu einer Restkategorie, hinter aus dem aufständischen Warschau. Die sich dabei an den Kategorien der Täter. der sich eine Vielzahl von individuellen meisten der Frauen wurden zur Zwangs- Menschen, die auf der Grundlage des Verfolgungsschicksalen verbarg. arbeit in andere Lager weitertransportiert. rassistischen Weltbildes der Nationalso- Selbst wenn man die Gefangenen aus Im Dezember 1944 wurde das Lager zialisten als „Juden“ etikettiert und ver- den besetzten Gebieten außer Acht lässt Bergen-Belsen schließlich zum Auffang- folgt wurden, obwohl sie vielleicht mit und sich nur den politischen Häftlingen becken für Räumungstransporte. Zehn- dem jüdischen Glauben gar nichts ver- aus dem Deutschen Reich widmet, kann tausende Menschen überlebten diese band, bleiben so auch in der Rückschau man nicht von einer homogenen Gruppe Phase nicht. Die Opfer waren Männer, „Juden“. sprechen. Den roten Winkel trugen Frau- Frauen und Kinder; Juden, Christen, Auch bei der Gruppe der „politischen en und Männer, Junge und Alte, Akade- Muslime und Atheisten; Sinti, Russen, Häftlinge“ ist diese Problematik evident. miker und Arbeiter, Menschen aus allen Polen, Franzosen, Deutsche und Ange- Eine Vielzahl von Personen fand sich in Regionen Deutschlands. Die sich in der hörige vieler anderer Nationen; rassisch, den Konzentrationslagern mit dem roten Weimarer Zeit erbittert bekämpfenden sozial und politisch Verfolgte. Winkel der „Politischen“ wieder: linke Kommunisten und Sozialdemokraten oder bürgerliche Oppositionelle und re­ wurden unmittelbar nach der Macht- ligiös motivierte Regimekritiker aus dem übernahme gleichermaßen Opfer der Deutschen Reich, Widerstandskämpfer_ nationalsozialistischen Verfolgung. In- innen und „Partisan_innen“ aus den be- nerhalb der Lager blieben diese Feind- setzten Ländern, aber auch Zwangsar- beiter_innen, die sich den Anordnungen ihrer Dienstherren wiedersetzt hatten Roter Winkel von Heinz Wille – politischer Häftling im KZ Sachsenhausen • Stiftung niedersächsische Gedenk- oder denen zu langsames Arbeiten un- stätten/Gedenkstätte Bergen-Belsen

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 26 schaften oder zumindest starken Vor­ Die meisten Schutzhäftlinge der Jahre Deutsche politische Häftlinge behalte oftmals bestehen. 1933/34 kamen nach einigen Wochen in Bergen-Belsen Grundlagen des brutalen Vorgehens oder Monaten wieder frei. Die Erlebnisse gegen Andersdenkende waren mehrere aus den Lagern – Prügel, Folter und De- Die Gruppe der deutschen politischen Gesetze und Verordnungen. Die „Reichs- mütigung – nahmen sie mit nach Hause. Häftlinge im KZ Bergen-Belsen war ver- tagsbrandverordnung“ ermöglichte es Viele verhielten sich von nun an unauf- gleichsweise klein. Im Namensverzeichnis der Gestapo schon ab Februar 1933, fällig und zogen sich ins Privatleben zu- der Gedenkstätte sind 1350 deutsche Häft- missliebige Personen unbefristet in rück. Andere blieben länger in Haft oder linge bekannt. Bei 167 Personen ist als „Schutzhaft“ zu nehmen. Die Schutz- starben in den Lagern. Haftgruppe „politisch“ oder „Schutzhäft- haft, über deren Verhängung oder Auf- Eine bedeutende Zäsur in der Ge- ling“ angeben; nur bei 15 Personen han- hebung allein die Gestapo entschied, schichte der Verfolgung deutscher Op- delt es sich um Frauen. Die Angabe einer wurde in den folgenden Jahren zu einem positioneller war die „Aktion Gewitter“. verlässlichen Gesamtzahl ist unmöglich. willkürlichen Terrorinstrument, das Im Zuge dieser Verhaftungsaktion nahm Die SS ließ kurz vor der Befreiung die ge- parallel zur Aburteilung durch den NS- die Gestapo im August 1944 reichsweit samte Registratur des Lagers vernichten. Justiz­apparat weiter existierte. Wer aus Tausende ehemaliger Abgeordneter von Ihre Rekonstruktion ist nur in mühsamer politischen Gründen von einem Strafge- KPD und SPD fest und wies sie in Kon- Recherchearbeit anhand anderer Doku- richt zu einer Gefängnis- oder Zucht- zentrationslager ein. Dabei spielte es mente möglich und bleibt lückenhaft. So hausstrafe verurteilt worden war, konnte keine Rolle, ob den Betroffenen konkrete sind von schätzungsweise 120.000 Häftlin- nicht damit rechnen, im Anschluss an Taten nachgewiesen werden konnten gen bisher nur 52.500 namentlich bekannt. deren Verbüßung freigelassen zu wer- oder nicht. Die „Gewitter“-Häftlinge wa- Die ersten elf deutschen politischen den. Die Gefängnisverwaltungen muss- ren in der Regel bereits um die 60 Jahre Häftlinge erreichten Bergen-Belsen am ten die Gestapo über bevorstehende alt. Vollkommen unvorbereitet wurden 27. März 1944. Sie waren unten den 1000 Entlassungen informieren. Diese ent- sie mit der Welt der KZ konfrontiert. kranken und geschwächten Männern, schied oft, dass der Gefangene sich in Unter ihnen war die Sterblichkeit die aus dem KZ Mittelbau-Dora im Süd- Freiheit wahrscheinlich weiterhin poli- besonders hoch. harz vorgeblich zur Genesung nach tisch unliebsam verhalten werde, und ordnete die Schutzhaft an. Zum „Schutz der deutschen Volksgemeinschaft“ folgte Karl Schlombach • Privatbesitz Eberhard Machmar die direkte Überstellung des Gefange- Todesbenachrichtigung vom 8. März 1945 • Stiftung niedersächsische Gedenkstätten/ nen in ein Konzentrationslager. Gedenkstätte Bergen-Belsen ­Bergen-Belsen abgeschoben worden Sie war eine wichtige Voraussetzung da- Drei Lebenswege 27 waren. Zehn von ihnen waren nach für, gegenseitige Hilfe und Solidarität zu rund drei Monaten tot. organisieren, hin und wieder sogar einzel- So kann die Betrachtung des Schick- Der weitaus größte Teil der deutschen ne Akte des Widerstands. sals deutscher politischer Häftlinge in politischen Häftlinge kam in den letzten In Bergen-Belsen war all dies nicht Bergen-Belsen keine gruppenspezifi- Kriegsmonaten mit einem der Räumungs- mehr möglich. Die Zustände im Lager schen Erkenntnisse zutage bringen. Es transporte nach Bergen-Belsen. Wie die erlaubten allenfalls noch kleine zwi- ist allenfalls möglich, exemplarische Le- Häftlinge aller anderen Gruppen erlebten schenmenschliche Gesten des Mitge- benswege ganz unterschiedlicher Men- sie hier unvorstellbare Verhältnisse. In an- fühls. Es spielte keine Rolle mehr, schen zu skizzieren, die alle in Bergen- deren Konzentrationslagern waren Ge- welche Farbe der Winkel auf der Häftlings­- Belsen endeten. walt und Tod ebenfalls an der Tagesord- kleidung hatte. Die Unterschiede zwi- Karl Schlombach, geboren 1897 in nung, doch es gab gewisse Regeln, die schen den verschiedenen Häftlingsgrup- Teltow bei Berlin, war gelernter Maurer. das Überleben zumindest möglich mach- pen innerhalb der Konzentrationslager, Er trat der SPD bei und engagierte sich ten. Diese Erfahrungen waren in Bergen- die für die Verteilung der knappen Res- in der Weimarer Zeit im „Reichsbanner Belsen nichts mehr wert. Die Häftlinge sa- sourcen so wichtig waren und die teil- Schwarz-Rot-Gold“, einer paramilitäri- hen sich mit einem Lager konfrontiert, in weise über Leben oder Tod entschieden, schen Organisation zur Verteidigung der dem die mühsam und brutal erlernte Be- waren in Bergen-Belsen hinfällig gewor- jungen Republik gegen Kommunisten, deutung verschiedener Gruppen und den. Ob „politisch“, „jüdisch“ oder Monarchisten und Nationalsozialisten. Winkelfarben keine Rolle mehr spielte. In „kriminell“ – in den letzten Monaten des Karl Schlombach lebte mit seiner Frau den Konzentrationslagern des Deutschen Lagers war die Situation für alle Häftlinge und einer Tochter in Großbeeren südlich Reiches hatten die deutschen politischen gleich katastrophal. Hier kämpfte von Berlin, wo er sich 1928 mit einem Häftlinge oft an der obersten Stelle der la- jeder für sich gegen den Tod. Baugeschäft selbstständig machte. In gerinternen Hierarchie gestanden. Die SS seiner Freizeit widmete er sich dem konnte ihnen besondere Aufgaben über- Kunstradfahren im „Arbeiter-Radfahrer- tragen – etwa als Lagerältester, Blockäl- bund Solidarität“. tester, Schreiber oder Kapo. Als „Funkti- onshäftlinge“ übernahmen deutsche politische Häftlinge oft die fragile Position der Mittler zwischen SS und Häftlingen. Rudolf Löhr, für die SPD von 1922 bis 1930 im Braun- schweigischen Landtag • Niedersächsisches Landes­ archiv, Staatsarchiv Wolfenbüttel 23 Neu Nr. 2118

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 28 Im Februar 1933 zündete eine Gruppe Die vorgefertigten Formulierungen auf wegen des Vorwurfs der „Judenbegüns- von Nationalsozialisten das Wohnhaus den Formblättern der KZ-Verwaltung wa- tigung“ festgenommen, verhört und von Karl Schlombach an. Insgesamt ren eine höhnische Verschleierung der im misshandelt, kam aber wieder frei. Trotz neun Familien verloren durch den Brand Lager wütenden Seuchen und des allge- seiner Erlebnisse in Gestapohaft setzte all ihre Habe. Die Täter beschuldigten genwärtigen Massensterbens. er die Hilfe für verfolgte Juden fort. das Ehepaar Schlombach der Brandstif- Karl Schlombach war Maurer und Bau- Nach einer Denunziation verhaftete die tung. Obwohl sich dieser Vorwurf unternehmer, Kunstradfahrer und Sozial- Gestapo ihn im Juni 1944 erneut. Sie schnell als haltlos erwies, wurde Karl demokrat. Er starb in Bergen-Belsen, ge- fand die politischen Schriften in seiner Schlombach nicht freigelassen, sondern kennzeichnet mit dem roten Winkel der Wohnung und wies ihn in das KZ Sach- in „Schutzhaft“ genommen. Erst nach politischen Häftlinge. senhausen ein. Mit einem Räumungs- rund sieben Monaten Haft konnte er zu- August Sapandowski, geboren 1882 in transport erreichte er das KZ Bergen- rückkehren – doch nicht in seinen Wohn- Westpreußen, wuchs in einem sehr reli- Belsen Ende Dezember 1944. Hier starb ort Großbeeren, wo ihn der Landrat zur giösen Elternhaus auf. Später wandte er am 10. März 1945. unerwünschten Person erklärte. Die Fa- sich von der Kirche ab und engagierte August Sapandowski war Malermeister milie versuchte ihr Glück stattdessen im sich in den 1920er Jahren in der KPD. und Schriftsteller. Er war Katholik und Berlin-Steglitz, wo Karl Schlombach auch Der gelernte Kirchenmaler machte sich Kirchenkritiker, Kommunist und Idealist, wieder im Baugeschäft tätig war. in Berlin als Malermeister selbstständig und er rettete mehreren Menschen das Im August 1944 war Schlombach er- und wurde zu einem überzeugten Geg- Leben. Er starb in Bergen-Belsen, ge- neut in Schutzhaft. Angeblich hatte er die ner des NS-Regimes. Gegen die Nazis kennzeichnet mit dem roten Winkel der NS-Regierung öffentlich kritisiert und be- wie auch gegen die Kirche verfasste er politischen Häftlinge. schimpft. Über das KZ Sachsenhausen Schriften und Gedichte, die er Gleichge- Rudolf Löhr, geboren 1885 in Braun- gelangte er im Februar 1945 nach sinnten auf geheimen Treffen vortrug. schweig, war gelernter Dreher. Nach Bergen-­Belsen, wo er noch im selben Von 1942 bis 1944 gelang es August dem Ende des Ersten Weltkrieges, in den Monat starb. Etwa einen Monat später Sapandowski, mehrere Menschen in Wochen der Novemberrevolution, enga- erhielt Helene Schlombach Post aus dem seiner Wohnung und seiner Werkstatt gierte er sich in der „Roten Garde“ – „Aufenthaltslager Bergen-Belsen“, ihr zu verstecken, die als Juden verfolgt einer kommunistischen Vereinigung Ehemann sei „im hiesigen Krankenhaus wurden. Auch seine damalige Lebens­ nach sowjetischem Vorbild, die Recht verstorben. Während seiner Erkrankung gefährtin galt als Jüdin, sie wurde 1943 und Ordnung in der neu ausgerufenen wurde ihm die bestmögliche medikamen- nach Auschwitz verschleppt und kehrte Rudolf Löhr vor seinem Laden in Braunschweig, töse und pflegerische Behandlung zuteil.“ nicht zurück. Sapandowski selbst wurde 1930er Jahre • Privatbesitz Günter Löhr Republik aufrecht erhalten sollte. In den Rudolf Löhr war Sozialdemokrat 29 folgenden Jahren war Löhr zunächst in und Freidenker. Er war Dreher, Kolonial­ der USPD aktiv und ab 1922 in der SPD, warenhändler und dreifacher Vater. Er für die er viele Jahre im Braunschweiger starb in Bergen-Belsen, gekennzeichnet Landtag saß. In den 1920er Jahren mit dem roten Winkel der politischen machte er sich mit einem Kolonial­ Häftlinge. warenladen selbstständig. Heinrich Jaspers, August Sapandowski, Als langjähriger SPD-Funktionär wur- Karl Schlombach und Rudolf Löhr – de Rudolf Löhr nach der Machtübernah- vier „deutsche politische Häftlinge“ mit me der Nazis 1933 in Schutzhaft genom- ganz unterschiedlichen Biografien. Ihre men und schwer misshandelt. Wieder in Lebenswege endeten im Inferno der Freiheit, versuchte er einen beruflichen letzten Monate des KZ Bergen-Belsen. Neuanfang als Makler in Hamburg. Doch Vier von Zehntausenden. das Experiment misslang, so dass Löhr nach Braunschweig zurückkehrte, wo er erneut ein Ladengeschäft pachtete. Am 22. August 1944 verhaftete die Gestapo Rudolf Löhr im Rahmen der „Aktion Gewitter“. Über das Arbeitser- ziehungslager Hallendorf bei kam er in das KZ Sachsenhausen und Ende Januar 1945 auf einem Räumungs- transport nach Bergen-Belsen. Da er nach der Befreiung nicht mehr nach Hause zurückkehrte, ließ die Familie ihn 1947 für tot erklären. Als Todesdatum wurde das Datum des Kriegsendes, der 8. Mai 1945, festgelegt.

Rudolf Löhr mit seiner Frau Marie und den Söhnen Kurt und Günter (rechts), 1939 • Privatbesitz Günter Löhr

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus Swing-Kids und Partisanen Vom nonkonformen Verhalten bis zum aktiven Widerstand

Das Jugend-KZ Moringen als Haftort für widerständige Jugendliche

Dietmar Sedlaczek

30 Nach der Machtübergabe an die Natio- chen. Mit Hilfe der HJ wollten die Nazis takuläre Aktion: „In der vergangenen nalsozialisten Anfang 1933 begann der die Jugend vollständig in ihrem Sinne Woche verübten zwei wegen ihrer Un- Zugriff auf die Jugend. Der NS-Ideologie erziehen.2 verträglichkeit bekannte arbeitsscheue gemäß hatten Jugendliche wie Erwach- Die NS-Erziehung war allerdings nicht Jugendliche aus Rodingen im Alter von sene einem festen Ideal zu entsprechen. uneingeschränkt erfolgreich. Jugendli- 17 und 18 Jahren, durch aufrührerische Sie wurden beobachtet, erzogen und ge- che versuchten, sich dem Anpassungs- Feindagitation verhetzt, einen Spreng- drillt und waren dabei vielfältigen For- druck des staatlichen Erziehungssys- stoffanschlag auf die Dienststelle der men indirekter wie auch offener Gewalt tems zu entziehen. In den Resten der VdB. in Rodingen. Die beiden Täter sind ausgesetzt. Und sie wurden auf ihren ehemaligen politischen Jugendverbän- verhaftet und werden dem Sonderge- „Nutzen für die Volksgemeinschaft“ de, der bündischen Jugend und konfes- richt zugeführt. Es handelt sich um hin überprüft. Wer dem Ideal nicht ent- sioneller Gruppen existierte ein – wenn unreife und händelsüchtige Burschen, sprach, galt rasch als „asozial“ und auch beschränktes – Widerstandspoten- deren verbrecherischer Anschlag von wurde entsprechend behandelt. 1 tial. Das NS-System fühlte sich von den der Gesamtheit der anständigen luxem- Der zunächst noch vorhandenen viel- zum Teil nur wenig organisierten Grup- burgischen Bevölkerung mit Abscheu fältigen Jugendkultur der Weimarer Re- pen der Edelweißpiraten oder der verurteilt wird.“3 Die Volksdeutsche Be- publik setzten die Nationalsozialisten Swing-Jugend herausgefordert. wegung (VdB) beherbergte in ihren Räu- den Ausbau der eigenen politischen Ein Terrorinstrument der Nationalsozi- men Büros der NSDAP, der SA sowie der Jugendorganisation entgegen. Der alisten war das 1940 errichtete Jugend- HJ und der NS-Frauenschaft. Die festge- Ausschließlichkeitsanspruch der Hitler-­ KZ Moringen für männliche Jugendliche. nommen Jugendlichen, Erny Marx und Jugend führte nicht nur zum Verbot der 1942 folgte das Jugend-KZ Uckermark Jean Delage, wurden zum Tode verur- noch bestehenden Jugendverbände, für weibliche Jugendliche. Zahlreichen teilt, dann aber das Urteil in „Schutzhaft sondern auch zur Übernahme möglichst Häftlingen dieser Lager wurde Wider- auf Kriegsdauer“ umgewandelt. Die vieler Erziehungsfunktionen durch die stand gegen das NS-System vorgewor- Haft begann zur Jahreswende 1944 im HJ; schließlich galt es, die ganze Jugend fen. Einige Beispiele: Jugend-KZ Moringen. zu „erfassen“, um die Veränderung der Am 13. September 1943 berichtete das Der in Prag geborene Kurt Schindler Persönlichkeit jedes Einzelnen zu errei- Luxemburger Tageblatt über eine spek- war zu diesem Zeitpunkt bereits Häftling in Moringen. Schon früh war er in seiner 1 Sedlaczek, Dietmar: Unerwünschte Jugend. Die Ver- 2 Der „Zugriff“ begann jedoch sehr viel früher, nämlich folgung Jugendlicher im Nationalsozialismus. In: Infor- bereits bei Kleinkindern und sogar im Säuglingsalter; Heimatstadt in Kontakt zu den „Falken“, mationen. Wissenschaftliche Zeitschrift des Studien­ vgl. die Untersuchung von Sigrid Chamberlain: Adolf kreises Deutscher Widerstand 1933–1945. Jg. 34, 2009, Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind. Über Nr. 70, S. 7–11, hier S. 11. zwei NS-Erziehungsbücher, Gießen 6. Aufl. 2016 (1997). 3 Luxemburger Tageblatt vom 13.9.1943. einer Sozialistischen Jugendorganisation, Rehn wurde verhaftet. Nach mehrwöchi- Bei dem vermeintlichen „Partisanen- 31 gekommen. Mitglieder der Gruppe hal- ger Haft in verschiedenen Polizeigefäng- seminar“ handelte es sich um einen fen politisch Verfolgten und Juden bei nissen wurde der sechzehnjährige Schüler Jugendaustausch der KZ-Gedenkstätte der Flucht aus dem Deutschen Reich. in das Jugend-KZ Moringen eingeliefert.5 Moringen und des Društvo/Verein Die Organisation wurde 1942 verraten, Peršman in Bad Eisenkappel in Kärnten. es kam zu zahlreichen Verhaftungen, Partisanenunterstützung Gegenstand des von der EU geförderten auch Kurt war davon betroffen. Gemein- Projektes war eine Begegnung von 17 sam mit drei weiteren Jugendlichen Eine große Gruppe unter den Häftlingen Jugendlichen aus Moringen und 17 Ju- wurde er Ende Mai 1942 in das Jugend- des Jugend-KZ Moringen waren Jugend­ gendlichen der slowenischen Minderheit KZ Moringen eingewiesen.4 liche, die sich den Partisanen ange- in Kärnten. Die Großelterngeneration Der in Heide in Schleswig-Holstein schlossen hatten oder sie unterstützten. der Kärntner Jugendlichen war in der lebende Erwin Rehn freundete sich als Insgesamt ist von einer Zahl von bis zu NS-Zeit Opfer von Verfolgung und KZ- Dreizehnjähriger mit einer Gruppe hol- 80 Personen auszugehen. Haft geworden, etliche auch als Häftlin- ländischer und dänischer Zwangsarbei- Am 13. Juli 2007 kam es im Kärntner ge im Jugend-KZ Moringen. Seit dem ter an, die ein illegales Nachrichtennetz Landtag in Österreich zu einem Eklat. Sommer 1943 wurden zahlreiche Ju- aufgebaut hatten. Er schloss sich der Der damalige Landeshauptmann Jörg gendliche im Alter zwischen 15 und 17 Gruppe an, übernahm Botendienste und Haider (BZÖ) bezeichnete in einer emoti- Jahren aus dem slowenisch-österreichi- half bei der Verbreitung antifaschisti- onalen Debatte um zweisprachige Orts- schen Grenzgebiet in Konzentrationsla- scher Flugblätter und Parolen. Den NS- tafeln einen deutsch-österreichischen ger eingewiesen. Ihnen wurde vorge- Behörden blieben diese Aktivitäten nicht Jugendaustausch als „Partisanen­ worfen, sie oder Angehörige ihrer verborgen, und Erwin Rehn erhielt im seminar“. Haiders Vorwurf wurde von Familien hätten die Partisanen August 1942 einen „verschärften Ver- SPÖ-Klubobmann Dr. Peter Kaiser mit unterstützt. weis“ durch die HJ, aus der er im Juni Nachdruck zurückgewiesen. Zahlreiche Die männlichen Jugendlichen kamen 1943 ausgeschlossen wurde. Trotzdem Abgeordnete der SPÖ und BZÖ griffen in das Jugend-KZ Moringen, die weib­ setzte er seine Aktivitäten fort. Nachdem in den Streit ein; die Situation wurde als lichen in das Jugend-KZ Uckermark. In ein von ihm entworfenes Flugblatt ent- tumultartig beschrieben.6 Moringen mussten die slowenischen deckt worden war, floh er in die Nieder- Häftlinge – wie alle anderen Häftlinge 5 Marie-Elisabeth Rehn: Heider Gottsleider. Kleinstadt- lande. Die Flucht misslang, und Erwin leben unter dem Hakenkreuz: Eine Biografie. Basel 1992 (2. unveränderte Auflage). Ernst Blajs (li.) und Johann Kogoj (re) bei einem 4 Interview von Dietmar Sedlaczek mit Kurt Schindler Interviewbesuch auf dem Ĉemer-Hof im Jahr 2002 vom 24.11.2005. 6 derStandard.at, 14.7.2007. • Dietmar Sedlaczek

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 32 auch – Zwangsarbeit leisten. Sie arbeite- worden waren.7 Junge Kärntner Slowe- Der Vater wurde nach Dachau deportiert, ten in der Heeresmunitionsanstalt in nen, die bei der Wehrmacht dienten, die Schwester in das Konzentrationslager Volpriehausen, einem ehemaligen Kali- desertierten vielfach, als sie bei Front­ Ravensbrück, die hochschwangere Mutter bergwerk, unter Tage auf einer 540- und urlauben vom Schicksal ihrer Familien und zwei kleinere Geschwister blieben einer 917-Meter-Sohle. Sie setzten Gra- erfuhren, und schlossen sich dem Parti- vorerst noch verschont. Johann Kogoj naten zusammen, die anschließend in sanenwiderstand an. Felsnischen, Höh- wurde nach einem brutalen Polizeiverhör riesigen unterirdischen Kammern des len, provisorisch zusammengezimmerte in das Jugend-KZ Moringen deportiert. Bergwerks gelagert wurden. Ihre Haft Hütten und abgelegene Bergbauernhöfe Die Mutter brachte die zwei kleinen Ge- endete erst mit der Befreiung des Ju- dienten den Partisanen als Unterkünfte schwister in Sicherheit zu einem Nachbar- gend-KZ im April 1945. und Versorgungsstationen. Die National- hof, dem Peršmanhof, wo ihre Halb- Die slowenische Bevölkerung war sozialisten entsandten Spezialeinheiten schwester Bäuerin war. Sie selbst insgesamt einem starken Germanisie- zur so genannten „Bandenbekämpfung“ flüchtete sich zu den Partisanen in den rungsdruck ausgesetzt. So wurden slo- nach Südkärnten. Teilweise wurde die Wald, wo sie später auch ihr Kind gebar. wenische Einrichtungen und Vereine Kärntner-Slowenische Bevölkerung auch Ernst Blajs kam 1943 als Sechzehnjäh- verboten und der Gebrauch der sloweni- von deutschsprachigen Einheimischen riger gemeinsam mit seinem Bruder schen Muttersprache unter Strafe ge- ausspioniert. Familien von Wehrmachts- und zwei weiteren Jugendlichen aus der stellt. Aufgrund der Repressionen gegen deserteuren standen genauso unter Nachbarschaft in das Jugend-KZ Morin- die Kärntner-Slowenische Bevölkerung „Sippenhaft“, wie Familien, von denen gen. Hier waren sie dem Terror der SS und nach dem deutschen Überfall auf bekannt war, dass Angehörige den Par­ und einem drakonischen Strafsystem Jugoslawien hatte sich südlich und tisanenwiderstand unterstützten oder ausgesetzt. Sie litten Hunger und muss- nördlich des Gebirgszuges der Kara­ sich ihm angeschlossen hatten.8 ten Zwangsarbeit leisten: Ihre Befreiung wanken Partisanenwiderstand gegen Einer von ihnen war der 15-jährige erlebten sie erst nach einem Evakuie- das NS-Regime entwickelt. Vermehrte Johann Kogoj aus Bad Eisenkappel, Sohn rungsmarsch Anfang April 1945. Auch Unterstützung und Zulauf seitens der einer Bergbauernfamilie, er wurde 1943 andere Familienmitglieder der Brüder Bevölkerung fand dieser spätestens im verhaftet. Seine gesamte Familie stand im Blajs waren von Verfolgung betroffen Jahr 1942, als im April in einer Nacht- Verdacht, die Partisanen zu unterstützen. gewesen: Eine Tante war im KZ Ausch- und-Nebel-Aktion etwa 1000 Kärntner witz und die Stiefmutter der beiden im 7 Dazu: Verdel, Helena: Die Vertreibung der Kärntner Slowenen, vom Greis bis zum Kleinkind, Slowenen. In: Spurensuche: Erzählte Geschichte der Frauen-KZ Ravensbrück.9 aus Südkärnten zur Zwangsarbeit in Ar- Slowenen. Hrsg. vom Dokumentationsarchiv des öster- reichischen Widerstands. Wien 1990, S. 145–152. 9 Interviews von Dietmar Sedlaczek mit Ernst Blajs beitslager des „Altreiches“ deportiert vom 16.7.2002 und vom 20.11.2011. 8 Dazu: Messner, Mirko: Widerstand der Kärntner Partisanen. In: ebd., S. 221–230. Schreiben von Heinrich Himmler an Reinhard Heydrich vom 26.1.1942 • Bundesarchiv BA NS 19-219 Swing-Jugend und somit die Definitionsmacht des NS und Tanzszene, die sich trotz aller 33 in Frage stellte. Zum anderen hörten sie Repression durch NS-Gesetzgebung, An einem Nachmittag im Februar 1943 eine Musik, die der Weltanschauung der HJ-Streifendienst, Denunziation und Ge- erreichte der 18-jährige Hamburger Gün- Nationalsozialisten diametral entgegen- stapo hartnäckig hält. Ab 1939 erhält die ther Discher aufgrund eines Schutzhaft- steht und mit den Vorstellungen von Repression dann jedoch eine neue Qua- befehls die Kleinstadt Moringen. Dieses Rassenlehre und Führertum nicht verein- lität: Der Swing wird in Hamburg verbo- Schicksal teilt er mit 16 anderen Jugend- bar ist. Sie galt als „entartet“, „zerset- ten. Die Streifen-HJ ist nun angehalten, lichen aus Hamburg. Wie die anderen zend“ und „minderwertig“, war „Juden- Jazzveranstaltungen der Swings zu ob- pflegte auch er etwas, das sich nicht mit und Negermusik“. servieren, zu melden und auszuheben. Hitlerjugend und Volksgemeinschaft ver- So schrieb der Musiktheoretiker Max So werden bei einer Tanzveranstaltung einbaren ließ: die Liebe zum Swing. Merz 1940 in der Zeitschrift „Musik in am 2. März 1940 in der Rothenbaumch- Während Swing für die NS-Ideologie Jugend und Volk“: „Und nun stellen wir aussee im Rahmen einer Razzia 408 einen klaren Fall von „entarteter Musik“ uns vor, daß zu dieser Musik deutsche Swings registriert. Im Oktober 1940 darstellte, ist er für seine Anhänger in Menschen, gesunde deutsche Mädel kommt es zu einer Verhaftungswelle, in erster Linie Tanzmusik, Freizeitgestal- und Burschen nicht nur der Großstädte, deren Rahmen 63 Swings inhaftiert und tung und Ausdruck eines alternativen sondern auch der kleineren Gemeinden brutal verhört werden.11 Doch wächst die Lebensgefühls. schieben und schieben und sich dessen Swing-Bewegung trotz aller Strafen und Mit „Swing-Heil“ begrüßten sich in nicht bewusst werden, daß sie sich da- Einschränkungen weiter an. den 1940er Jahren jene Jugendlichen, mit den körperlichen Bewegungsimpul- Schließlich veranlasst Himmler am die einen anderen Stil als die HJ pfleg- sen jener uns artfremden, rassisch und 26. Januar 1942, „mit den schärfsten ten, die sich anders kleideten, andere undefinierbaren Menschenmasse Mitteln“ gegen die als Rädelsführer be- Musik hörten und zu ihr tanzen wollten. angleichen.“10 kannten Swings vorzugehen. Konkret Damit forderten sie den nationalsozialis- Seit Ende 1936 bilden sich in vielen sollen diese mit einer KZ-Haft von zwei tischen Staat auf zwei Ebenen heraus, deutschen Großstädten Gruppen Ju- bis drei Jahren bestraft werden, um „ein ohne sich dessen unbedingt bewusst zu gendlicher, die sich Swingplatten kau- 11 Ueberall, Jörg: Swing-Kids. Berlin 2004, hier sein. Zum einen passten sie sich nicht an fen. Während sich in Frankfurt oder S. 42–45. das gängige Bild von Jugend im NS an, Berlin auch Swingbands gründen, ent­ Szenenfoto aus „Swing Heil“ – Doku Musik Theater mit sondern favorisierten als jugendliche wickelt sich in Hamburg eine rege Party- Live-Musik. Text und Regie Peter Tiefenbrunner. Das Subkultur einen alternativen Lebensent- Theaterstück ist der Verfolgung der Swing-Jugend im 10 Zit. n. Wulf, Joseph: Musik im Dritten Reich. Eine NS und der Haft im Jugend-KZ Moringen gewidmet. wurf, der öffentlich wahrnehmbar war Dokumentation. Frankfurt/Berlin/Wien 1983, S. 390 • JC Fédy

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 34 gefährliches Umsichgreifen dieser ang- verhältnis zwischen dem Wunsch, der machen äußerte und in einigen Fällen zu lophilen Tendenz in einer Zeit, in der Volksgemeinschaft anzugehören, und einer Politisierung der betroffenen Ju- Deutschland um seine Existenz kämpft, dem Wunsch, eine selbstbestimmte Ju- gendlichen führte. Gleichzeitig war die vermeiden [zu] können.“12 So werden ab gend zu erleben. Uwe Storjohann bringt Liebe zur Musik ein Trost, der sie die Zeit 1942 etwa 40 Swings aus Hamburg auf diesen Widerspruch auf den Punkt: „Wir der Haft in den KZ überstehen ließ. verschiedene Konzentrationslager ver- werfen keine Steine, legen keine Bom- Vor Erhalt seines Schutzhaftbefehls teilt, die Mädchen zum größten Teil in ben, verteilen keine Flugblätter, wir war der im Jahre 1925 geborene Gün- das KZ Uckermark oder KZ Ravensbrück hören nur Musik. Wir rufen nicht nach ther Discher ab Februar 1943 in Ham- und die Jungen in das KZ Moringen oder Bürgerrechten, wollen kein System be- burg Fuhlsbüttel inhaftiert. Als Jugend­ KZ Sachsenhausen, unter ihnen Uwe seitigen – und doch fühlt sich das Sys- licher hatte er über das Interesse an Storjohann und Günther Discher. tem von uns bedroht. […] Ich habe auch Grammophonen seine Liebe zur Swing- Mit seinem Totalitätsanspruch in allen ein schlechtes Gewissen. Auf der einen Musik entdeckt. Er begann Platten zu gesellschaftlichen Bereichen duldete der Seite die Abneigung gegen den Zwang, sammeln, besuchte abends mit seinen NS keine andere Organisationsform von auf der anderen Seite jedoch das mah- Freunden Lokale, in diese Musik gespielt Jugendlichen neben HJ und BDM. Of- nende Gefühl: Du bist Deutscher, und wurde. Als er verhaftet wurde, besaß er fensichtlich stellte die Swingbewegung was du gegen Deutschland tust, ist Un- eine umfangreiche Plattensammlung für die NS-Erziehungspolitik ein ernst- recht. […] Im Kreise der Swings erzähle und betrieb einen regen Handel mit haftes Hindernis zur Gleichschaltung der ich natürlich nichts von meinen Skru- Swing-Platten. Im Schutzhaftbefehl Jugendkultur dar. So werden Jugendli- peln, erst später erfahre ich, daß andere wurde Günther Discher beschuldigt che, die das Tragen einer braunen Uni- die gleichen Gewissensnöte plagten.“ 13 „durch sein zersetzendes und staats­ form und das Singen völkischer Lieder Die massive Repression fordert diese abträgliches Treiben erhebliche Unruhe als stillos ablehnen, die eine diffuse An- Subkultur jedoch heraus und veranlasst in die Bevölkerung“14 gebracht zu haben. tihaltung gegen das politische System sie dazu, neue Wege zu finden, ihre mu- 1943 erfolgte seine Einweisung in das pflegen und die schließlich in den meis- sikalische Vorliebe auszuleben. Aus der Jugend-KZ Moringen. Hier leistete er ten Fällen zunächst keinen politischen geteilten Swingbegeisterung erwuchs Zwangsarbeit und musste zahllose Widerstand im Sinn haben, zu „Rasse- so eine Widerständigkeit gegen den NS, feinden“ hochstilisiert. Denn auch die die sich in Verweigerung und Nichtmit- 14 Pohl, Rainer: „Das gesunde Volksempfinden ist gegen Dad und Jo“. Zur Verfolgung der Hamburger ‚Swing-Ju- Swings sahen sich in einem Spannungs- 13 Storjohann, Uwe: Ohne Tritt im Lotterschritt. In: gend‘ im Zweiten Weltkrieg. In: Projektgruppe für die Ritter, Franz (Hg.): „Heinrich Himmler und die Liebe vergessenen Opfer des NS-Regimes (Hrsg.): Verachtet – zum Swing – Erinnerungen und Dokumente“. Leipzig verfolgt – vernichtet – zu den „vergessenen“ Opfern des 12 BArch NS 19/219. 1994, S. 104–113, darin S. 109. NS-Regimes. Hamburg 1986, S. 14-45, hier S. 35. Demütigungen und Entbehrungen er­ 35 tragen. Als ab den 1980er Jahren der Swing erneut große Aufmerksamkeit er- fuhr, engagierte sich Günther Discher als Zeitzeuge. Gern ließ er sich als ältester DJ Deutschlands bezeichnen. Günther Discher verstarb im Jahr 2012 in Ham- burg. Von ihm stammte seinerzeit die Idee zu dem Film „Swing Kids“, für den sich ein weiterer Überlebender des Jugend-KZ als Zeitzeuge zur Verfügung stellte. Der Film kam 1993 in die Kinos.

Szenenfotos aus „Swing Heil“ – Doku Musik Theater mit Live-Musik. Text und Regie Peter Tiefenbrunner. Das Theaterstück ist der Verfolgung der Swing-Jugend im NS und der Haft im Jugend-KZ Moringen gewidmet. • JC Fédy

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus „Oberstes Gebot war strengste Geheimhaltung“ Organisierter Widerstand sowjetischer Kriegsgefangener in Norddeutschland

Silke Petry

36 Der Widerstand ziviler Zwangsarbei- Gruppe auch Kontakte zu deutschen die reine Selbsthilfe weit hinaus und ter_innen und Kriegsgefangener zwi- Widerstandskämpfern aufgenommen manifestierte sich neben der Weitergabe schen 1939 und 1945 ist bis heute im hatte, denen in der Folge der Prozess von Informationen hauptsächlich in Sa- öffentlichen Bewusstsein wenig veran- gemacht wurde, existiert hierzu mit den botageakten, Fluchtorganisation und kert. Hauptgegenstand in der Diskussion vorhandenen Verfahrensakten eine gute Manipulation, hier als gezielte und ver- um Widerstandsgruppen und -formen zeitgenössische Quellenbasis. deckte Einflussnahme zum Beispiel für im nationalsozialistischen Deutschland In Norddeutschland organisierten die Versetzung von Gefangenen in aus- bleibt der deutsche Widerstand, unge- sich vor allem die sowjetischen, franzö- gesuchte Arbeitskommandos. achtet der Tatsache, wie Ulrich Herbert sischen, belgischen und serbischen Der Forschung zum Thema Wider- schreibt, dass „die ausländischen Kriegsgefangenen – im Stalag X B Sand- stand mangelt es zumeist an einschlägi- Zwangsarbeiter neben den Verschwörern bostel zum Beispiel kleinere Gruppen gen Quellen und zeitgenössischen Be- des 20. Juli und der deutschen Arbeiter- von französischen Gefangenen, fast aus- richten, die eine Rekonstruktion der bewegung als dritte Säule des Wider- nahmslos kommunistische Zirkel, die be- Dimension der Widerstandstätigkeiten standes gegen das nationalsozialistische sonders in den industriellen Komman- sowjetischer Kriegsgefangener während Regime anzusehen sind.“1 dos Hamburgs um Einfluss auf ihre des Zweiten Weltkriegs im Deutschen Kriegsgefangene verschiedener Natio- Kameraden bemüht waren. Im Lager Reich erlauben. Zeitgenössische Doku- nalität gründeten in vielen Lagern im Sandbostel selbst ging es vorrangig um mente und Aufzeichnungen zu einzelnen Deutschen Reich geheime Widerstands- die ideologische und organisatorische Widerstandsgruppen sind kaum überlie- gruppen. Die bekannteste, die „Brüder­ Festigung des Zusammenhaltes und fert – da Unterlagen der Verfolgungsbe- liche Zusammenarbeit der Kriegsge­ um die Weitergabe von Informationen.2 hörden, vom Reichssicherheitshauptamt fangenen“ kurz als „BSW“ (Bratskoje Im Stalag XI B Fallingbostel waren es (RSHA) bis zu den Staatspolizeistellen Sotrudnitschetswo Wojennoplennych) die französischen und die sowjetischen weitgehend fehlen, sind Informationen bezeichnet, war eine kommunistische Kriegsgefangenen, die als Kollektiv und über Aufdeckung und Unterdrückung Organisation sowjetischer Kriegsgefan- konspirativ Widerstand leisteten, eben- etwaiger Widerstandshandlungen nur gener, die 1943 von Offizieren in Süd- so die sowjetischen Kriegsgefangenen vereinzelt vorhanden. deutschland gegründet und 1944 von in Bergen-Belsen. Der Widerstand in Fal- Die wichtigste Quellenbasis für die der Gestapo aufgedeckt wurde. Da die lingbostel und Bergen-Belsen ging über Erforschung regionaler Widerstands-

2 Siehe Werner Borgsen, Klaus Volland, Stalag X B gruppen sind die Erinnerungen einzelner 1 Ulrich Herbert, Arbeit, Volkstum, Weltanschauung. Sandbostel. Zur Geschichte eines Kriegsgefangenen- Gruppenmitglieder. Dabei handelt es Über Fremde und Deutsche im 20. Jahrhundert, Frank- und KZ-Auffanglagers in Norddeutschland 1939–1945, furt/Main 1995, S. 155. Bremen 2003, S. 106 ff. sich um Berichte, die teilweise bereits unmittelbar nach Kriegsende verfasst Der Widerstand sowjetischer jahr 1942 besserte sich die Situation der 37 wurden, aber erst nach Stalins Tod im Kriegsgefangener 1941–1945 sowjetischen Kriegsgefangenen allmäh- Zuge einer allgemein intensiveren und lich, wenn auch die Behandlung und kritischen Beschäftigung mit der Kriegs- In den ersten Wochen nach dem Über- Ernährung weiterhin nicht annähernd zeit öffentlich erscheinen konnten. Als fall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 derjenigen der Kriegsgefangenen aus Quelle sind die Erlebnisberichte aller- geriet eine große Zahl von Soldaten der anderen Staaten entsprach. Bis Kriegs- dings durchaus problematisch; die darin Roten Armee in deutsche Kriegsgefan- ende war die Todesrate unter den sowje- geschilderten Ereignisse müssen daher genschaft, bis Ende des Jahres etwa drei tischen Gefangenen wesentlich höher. anhand zeitgenössischer Dokumente Millionen; 500.000 von ihnen wurden in Von den 5,3 bis 5,7 Millionen sowjeti- oder anderer Hinweise überprüft wer- das Reichsgebiet gebracht, um den be- schen Soldaten, die in deutsche Gefan- den, um die Zuverlässigkeit der Aussa- stehenden Arbeitskräftemangel zu de- genschaft gerieten, starben mindestens gen zu belegen. cken. Hier waren im Laufe des Sommers 2,6, möglicherweise bis zu 3,3 Millionen. Eine weitere Schwierigkeit, wenn es um 1941 zwölf „Russenlager“ errichtet wor- Im ersten Jahr nach dem Überfall den Nachweis von Widerstandstätigkei- den, drei davon in der Lüneburger Heide kann von einer kämpferischen Wider- ten geht, wird beim Thema „Sabotage“ (Bergen-Belsen, Oerbke, Wietzendorf). standshaltung der sowjetischen Kriegs- deutlich: Erfolgreich durchgeführte Die Lager bestanden lediglich aus einer gefangenen noch nicht gesprochen wer- Maßnahmen sind in der Regel nicht er- von Stacheldraht und Wachtürmen um- den. Obwohl der fortwährende Hunger, kennbar und quantifizierbar und vieler- gebenen Freifläche – zum Schutz vor der die katastrophalen Lebensumstände und orts nicht belegt. Darüber hinaus wur- Witterung mussten sich die Gefangenen Krankheiten die Gefangenen schwäch- den Begriffe wie „Widerstand“ und Erdhöhlen graben oder bauten Verschlä- ten, sind im Winter 1941/42 bereits erste „Sabotage“ während der NS-Zeit nicht ge, worin sie bis in den Winter 1941/42 Zusammenschlüsse überliefert. Im Mit- eindeutig verwendet, sondern häufig als Zuflucht suchten. Propagandaformel eingesetzt: Der Be- Aufgrund mangelnder Hygiene, Krank- „Personalkarte I“ des Kriegsgefangenen Nikolaj Baburkin (Vorderseite) Stalag XI C (311) Bergen-Belsen • Bundes- griff „Sabotage“ wurde auf nahezu alles heiten, Seuchen und brutaler Behand- dienst für Sicherheit der Russischen Föderation (FSB), Archiv Kursk angewendet, was den NS-Behörden als lung starben in den Stammlagern und Nikolaj Baburkin war eines der Mitglieder der Wider- Auflehnung erschien.3 Arbeitskommandos tausende Gefange- standsgruppe im Arbeitskommando Salzgitter-Drütte. Am 9. Mai 1944 verhaftete die Gestapo Nikolaj Baburkin, ne. Hauptursache des Massensterbens brachte ihn zunächst in das Lager 21 und überstellte ihn nach etwa drei Wochen in das Gefängnis Wolfenbüttel. war jedoch ihre Entkräftung infolge der Der „Bandenbildung sowjetischer Kriegsgefangener“ „Hungerrationen“, die ihnen die Wehr- beschuldigt, wurde er am 7. September in das Konzentra- 3 Ulrich Herbert, Arbeit, Volkstum, Weltanschauung tionslager Sachsenhausen transportiert. Sein weiteres (Anm. 1), S. 315. macht verabreichte. Erst ab dem Früh- Schicksal ist unbekannt.

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 38

Anordnung der Gestapo vom 31. August 1944 für den Transport der in Haft genommen Mitglieder der Widerstandsgruppe „Komitee zum Kampf gegen den Faschismus“ in das Konzentrationslager Sachsenhausen. • Niedersächsisches Landesarchiv-Standort Wolfenbüttel 43 A Neu Fb. 4 Jg.1944 Nr. 93 telpunkt standen in dieser Zeit vor allem braucht und weil sie körperlich kräftiger Organisierter Widerstand in den Stamm- 39 der Aufbau von Kontakten und die An- geworden sind.“4 lagern XI B Fallingbostel und XI C (311) werbung von Gefangenen für einen kol- Bis 1943 blieben konkrete Wider- Bergen-Belsen lektiven Widerstand. Ein aktiver und or- standsaktionen wie Industrie-Sabotage ganisierter Widerstand entwickelte sich noch relativ selten – das änderte sich Das „Komitee zum Kampf gegen den frühestens ab dem Frühjahr 1942. aber im Laufe des Jahres 1944: Die Be- Faschismus“ in Fallingbostel und das Nach den deutschen Niederlagen im reitschaft zur aktiven Beteiligung an Wi- „Hannoveraner Komitee“ in Bergen-­ Osten im Winter 1942/43 wuchs die or- derstandsaktionen nahm immer weiter Belsen sind zwei Beispiele für regionale ganisierte Widerstandsbewegung weiter zu. Durch den Vormarsch der sowjeti- Widerstandsgruppen von sowjetischen an. Ihr Programm umfasste vor allem In- schen Armee und die Landung westalli- Kriegsgefangenen. Über weitere Grup- formationsbeschaffung, Planung und ierter Truppen in der Normandie fühlten pen in einer solch organisierten konspi- Durchführung von Fluchten sowie Sabo- sich viele Gefangene in ihrem Glauben rativen Form und Vernetzung ist für tage in Rüstungsbetrieben. Außerdem an eine baldige deutsche Niederlage Norddeutschland bisher nichts bekannt. sollte durch Aufklärungsarbeit verhin- gestärkt. Die Tätigkeit des „Komitees zum dert werden, dass Kameraden mit der Zentren des Widerstandes waren in Kampf gegen den Faschismus“ mit Or- Wehrmacht kollaborierten. Einen Wan- der Regel die Stammlager. Dort gab es ganisationsmittelpunkt im Stalag XI B del in der Stimmung der sowjetischen die Bereiche Verwaltung und Lazarett Fallingbostel war auf zahlreiche Arbeits- Kriegsgefangenen stellte im Mai 1943 mit einem hohen Grad an selbstständi- kommandos im gesamten westlichen auch das Amt Ausland/Abwehr (Ober- ger, eigenverantwortlicher Tätigkeit der Bereich des Wehrkreises XI ausgedehnt. kommando der Wehrmacht) fest: „Es ist Kriegsgefangenen. Der Wehrmacht wa- Das entspricht geografisch im Wesent­ erstaunlich wahrzunehmen, wie sehr die ren diese Umstände bekannt; sie ließ lichen dem heutigen Südniedersachsen Kgf. über wichtige Kriegsvorgänge un- daher die Lazarette und Krankenreviere mit den Industriezentren Hannover, Salz- terrichtet sind und wie viele von ihnen, in den Lagern durch Abwehroffiziere in- gitter, Wolfsburg und Braunschweig. Ei- besonders die Offiziere, mit zähem Wa- tensiv überwachen. Zahlreiche Wider- nen ersten Bericht über die Organisation gemut Flucht- und Sabotageversuche standsgruppen wurden durch die Ein- in Fallingbostel veröffentlichte der sow- unternehmen und Zersetzung betreiben. schleusung von Spitzeln, sogenannten jetische Historiker J.A. Brodski 1957, ba- Im Allgemeinen ist in Stimmung und „V-Männern“ und Provokateuren, auf­ sierend im Wesentlichen auf Erinnerun- Haltung ein gewisser Umschwung fest- gedeckt und ihre Mitglieder verhaftet. zustellen. Die Kgf. sind selbstbewusster Ehemalige Widerstandskämpfer bei einem Treffen in Moskau, Anfang der 1960er Jahre • Privatbesitz Ljudmila geworden, weil sie wissen, dass man sie 4 Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg, RH 49/112. Poljakowa

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 40 gen ehemaliger Mitglieder.5 Demnach seinen schriftlichen Erinnerungen, wie die Ab Mitte 1943 stand das Fallingboste- entstand das „Komitee zum Kampf ge- Gruppe bei der Werbung und Auswahl ler „Komitee zum Kampf gegen den Fa- gen den Faschismus“ Ende 1942. Initia- weiterer Mitglieder vorging: „Im Zuge der schismus“ in engem Kontakt mit dem tor der Gruppe war der Arzt Arkadij Ala- Werbung wurde in einem behutsamen „Hannoveraner Komitee“, der Wider- lykin, der im Lagerlazarett tätig war. Gespräch die Vergangenheit des Neulings standsgruppe, die sich bereits Ende 1941 Noch im November und Dezember 1942 herausgefunden und seine persönlichen im Lazarett des Stalag XI C (311) Bergen- schlossen sich ihm mehrere Kameraden Qualitäten ergründet. Wenn der Neuling Belsen gebildet hatte. Die Auflösung die- an, so dass sich letztendlich ein Führungs­- den Anforderungen entsprach, dann führ- ses Stalag im Juni 1943 und die Über- zirkel von etwa zehn Personen, fast aus- te das Komiteemitglied, das für die propa- nahme des Lazaretts durch das Stalag schließlich Offizieren, etablierte.6 Hilfe- gandistische Arbeit verantwortlich war, XI B Fallingbostel als „Zweiglager Bergen- stellung und Unterstützung erhielt die ein vertrauliches Gespräch. […] Als wirkli- Belsen“ ermöglichte beiden Gruppen mit Gruppe durch die kommunistisch orien- ches Mitglied galt nur der Kriegsgefange- dieser organisatorischen Verbindung tierten Untergrundorganisationen der ne, der nicht nur die Ziele des Programms intensive Zusammenarbeit und regen belgischen und französischen sowie der der Untergrundtätigkeit anerkannte, son- Informationsaustausch. jugoslawischen Kriegsgefangenen im dern sich auch persönlich einschaltete […] Die Tätigkeiten des „Hannoveraner Lager Fallingbostel. Das Komitee knüpf- Wenn z.B. der Kriegsgefangene in ein Ar- Komitees“ beschränkten sich 1941/42 te ein umfassendes konspiratives Netz beitskommando geschickt wurde, in dem zunächst noch auf die Beschaffung von von Widerstandszellen weit über das schon eine Untergrundzelle bestand, so Informationen über den Kriegsverlauf Stammlager Fallingbostel hinaus, nicht war der Neuling verpflichtet, sich nach und ihre Verbreitung sowie auf gegen­ nur beschränkt auf Kriegsgefangene, Eintreffen an Ort und Stelle unverzüglich seitige Hilfe vor allem bei der Organisa­ sondern auch unter Einbeziehung und mit der Zelle in Verbindung zu setzen. tion zusätzlicher Nahrungsmittel. Im Mit- in Zusammenarbeit mit sowjetischen Wenn jedoch in dem Arbeitskommando telpunkt stand außerdem die Anwerbung zivilen Zwangsarbeitern. noch keine Untergrundtätigkeit stattfand, verlässlicher Kameraden, um die Gruppe Fedor Efimovic Pcelkin, Mitglied des so war der dorthin geschickte Unter- weiter auszubauen und zu festigen. Fallingbosteler Komitees, berichtet in grundkämpfer verpflichtet, dort eine Nach dem Sieg der Roten Armee bei patriotische Zelle zu schaffen um diese Stalingrad wandte sich das „Hannove­ 5 Josef Brodski, Im Kampf gegen den Faschismus, anzuführen.“7 raner Komitee“ im Frühjahr 1943 mit Sowjetische Widerstandskämpfer in Hitlerdeutschland 1941–1945, Berlin 1975. 7 Erinnerungen des Fedor Efimovic Pcelkin, Abfassungs- ­ Statistik der Festnahmen – erstellt vom Reichssicher- 6 Dmitrij Iwanzow, „Wo wlasti besumija“, datum unbekannt, nach 1956, Stiftung niedersächsische heitshauptamt Berlin, 22. November 1944 • Bundes­ Nowosybkow 2001, S. 3. Gedenkstätten – Dokumentationsstelle Celle. archiv Berlin, BArch R 58/213 einem Aufruf in Form eines Flugblattes bostel wurden aus der Kriegsgefangen- uns schwebte und wir keinesfalls damit an alle sowjetischen Kriegsgefangenen. schaft entlassen und von Wolfenbüttel rechnen konnten, am Leben zu bleiben. Der Appell wurde von den Gefangenen aus im August 1944 in die Konzentrati- Wir verfolgten das eine Ziel, soviel wie als „Hannoveraner Programm“ bezeich- onslager Sachsenhausen, Buchenwald möglich für unsere Heimat zu tun.“12 10 net. Zunächst von Hand abgeschrieben, und Mauthausen überstellt. 12 G.G. Owtschinnikow, W.I. Jakimow, Die Arbeits­ wurde der Aufruf später durch eine Am 11. August 1944 vermeldete das methoden des hannoverschen Komitees (Anm. 8). heimlich eingerichtete provisorische Reichssicherheitshauptamt die weitere Druckerei vervielfältigt und verbreitet. Enttarnung einer Untergruppe des Fal- Die Grundsätze des „Hannoveraner Pro- lingbosteler Komitees: „Die Stapostelle gramms“ waren: gegenseitige Hilfeleis- Hannover hat in einem sowjetrussischen tung, Bewahrung der Würde und Propa- Offizierskriegsgefangenenlager eine Un- gierung des sowjetischen Sozialismus, tergruppe des ‚Zentralkomitees der sow- Organisation und Durchführung von jetrussischen Kriegsgefangenen‘ aus­ Fluchten, Propaganda gegen den Eintritt gehoben. Die Zentrale befand sich im in die deutschen Ostlegionen oder die Stalag XI B. 14 SU Offiziere, 2 Soldaten, Wlassow-Armee und die Durchführung 2 polnische Zivilarbeiter, 4 Ostarbeiter von Sabotageaktionen.8 und 5 Ostarbeiterinnen wurden fest- ­ Trotz strengster Geheimhaltung wurde genommen.“11 das Fallingbosteler „Komitee zum Kampf Auch wenn das Bild des Widerstandes gegen den Faschismus“ aufgedeckt; ein sowjetischer Kriegsgefangener in Nord- sogenannter Provokateur konnte in die deutschland allmählich Konturen be- Organisation eingeschleust werden – ge- kommt, bleiben noch viele Fragen offen. nau genommen in eine Untergruppe des Durch die Überlieferung von Informa­ Komitees im Arbeitskommando 3133 tionen über die Verhaftungsaktionen Salzgitter-Drütte, von wo aus die Ge­ der Staatspolizeistelle Braunschweig stapo die gesamte Organisation im im Frühsommer 1944 werden die Erinne- Frühjahr 1944 aufrollte. Am 13. April rungsberichte der ehemaligen Mitglie- 1944 nahm die Gestapo Braunschweig der zum Teil bestätigt – Programmatik, zunächst den Leiter der Drütter Gruppe Aufgaben und Ziele der Organisationen fest und ließ ihn noch am selben Tag in entsprechen darüber hinaus weitgehend das Strafgefängnis Wolfenbüttel einlie- derjenigen ähnlicher Organisationen in fern. Fünf Tage später, am 18. April, wur- anderen Kriegsgefangenenlagern. Die de er in seiner Zelle erhängt aufgefun- Existenz des „Komitees zum Kampf ge- den. Am folgenden Tag und am 5. Mai gen den Faschismus“ mit Zentrale in holte die Gestapo zwei Mitglieder des Fallingbostel sowie die Vernetzung und 41 Komitees direkt aus dem Stalag Falling- Etablierung von Untergruppen in den bostel. Kurz darauf folgten Verhaftungen Arbeitskommandos steht außer Zweifel, im Arbeitskommando Salzgitter-Drütte. und zumindest für das Arbeitskomman- Die Gefangenen wurden zunächst zum do in Salzgitter-Drütte kann die Verbin- Verhör in das Arbeitserziehungslager dung ausreichend dokumentiert werden. der Gestapo in Salzgitter-Hallendorf Für viele andere Gruppen aber, die in („Lager 21“) gebracht und später in das den Berichten ehemaliger Mitglieder Strafgefängnis Wolfenbüttel. Etwa zur erwähnt werden, fehlen die Nachweise. gleichen Zeit verhaftete die Gestapo den Das gilt auch für das „Hannoveraner „Ostarbeiter“ Nikolaj Sokolow im Lager Komitee“ im Lazarett Bergen-Belsen, 23 Watenstedt und den Kriegsgefange- da hierzu bisher keine zeitgenössischen nen Nikolaj Koscjelkow in einem Arbeits- Dokumente oder Aufzeichnungen vorlie- kommando in Braunschweig.9 Nach die- gen. Die Gruppe wurde nicht aufgedeckt sen ersten Verhaftungen begann die – ihr Name taucht daher in zeitgenössi- intensive Fahndung nach führenden Mit- schen Akten nicht auf; letztendlich feh- gliedern des Fallingbostelers Komitees – len die sichtbaren Beweise ihres Enga- man vermutete die Bildung gleicher Or- gements: „Der Konspiration lag die ganisationen auch in anderen Lagern Regel zugrunde, dass Geheimes nur der und Kommandos und betrachtete Fal- wissen soll, der beauftragt ist, etwas zu lingbostel als die übergeordnete Zentra- erledigen. Wir taten unsere Arbeit nicht, le. Eine zweite Verhaftungswelle folgte um später zu beweisen, dass wir etwas Ende Juni 1944. Insgesamt wurden min- taten, wir konnten diesen Gedanken destens 30 Personen festgenommen. nicht haben, weil der Tod ständig über

Die Gefangenen aus Drütte und Falling- 10 Siehe Rolf Keller, „Heldentat hinter Stacheldraht“. Zum organisierten Widerstand der sowjetischen Kriegs- 8 Siehe G.G. Owtschinnikow, W.I. Jakimow, Die Ar- gefangenen in Norddeutschland in: Hannoversche beitsmethoden des hannoverschen Komitees, unver­ Schriften zur regional- und Lokalgeschichte Bd. 11, öffentlichter Bericht 1947, Stiftung niedersächsische Marlis Buchholz, Claus Füllberg-Stolberg, Hans-Dieter Gedenkstätten – Dokumentationsstelle Celle. Schmid (Hrsg.), Nationalsozialismus und Region, S. 259 ff., Bielefeld 1996. 9 Niedersächsisches Landesarchiv – Staatsarchiv Wolfenbüttel, 43 A Neu 4, Jg. 1944. 11 Bundesarchiv Berlin, R 58/213.

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus „Nacht-und Nebel“-Gefangene im Strafgefängnis Wolfenbüttel

Martina Staats

42 Das Strafgefängnis Wolfenbüttel war die deutsche Besatzungsmacht bezeich- strafverschärfenden „Richtlinien für die eine der zentralen Haftstätten in Nord- net. Etwa 7.000 Zivilist_innen wurden in Verfolgung von Straftaten gegen das deutschland und diente der Durchset- den besetzten Ländern bei „Nacht und Reich oder die Besatzungsmacht in den zung der nationalsozialistischen Verfol- Nebel“ verhaftet, unter strenger Ge- besetzten Gebieten“ vom 12. Dezember gungspolitik. Ab 1933 wurden hier nicht heimhaltung ins Deutsche Reich ge- 1941 und die Durchführungsverordnung nur Urteile wegen „klassischer Delikte“, bracht und dort als NN-Gefangene in vom 6. Februar 1942: „Eine wirksame sondern zunehmend auch auf der Justizhaftanstalten inhaftiert.2 Grund­ und nachhaltige Abschreckung ist nur Grundlage nationalsozialistischer Son- lage hierfür waren die gemeinsam von durch Todesstrafen oder durch Maßnah- dergesetzgebung vollstreckt. So wurden Wehrmacht und Justiz ausgearbeiteten men zu erreichen, die die Angehörigen politische Oppositionelle wegen regie- und die Bevölkerung über das Schicksal rungskritischer Äußerungen oder bei 2 Archivbestände zu NN-Gefangenen befinden sich u.a. des Täters im Ungewissen lassen. Die- bei: International Tracing Service (ITS), Arolsen, Bundes- Verstößen gegen das Versammlungsver- archiv Berlin, CEGESOMA, Brüssel, The National Archi- sem Zwecke dient die Überführung nach ves Norway, Musée de la Résistance et de la Déportation 3 bot verfolgt. Auch religiöse Gruppen wie (MRD), Besançon, hier insbesondere die Sammlung des Deutschland.“ Die NN-Gefangenen soll- die Zeugen Jehovas waren betroffen. ehemaligen NN-Gefangenen und späteren Historikers ten in Geheimverfahren abgeurteilt wer- Joseph de la Martinière mit Transportlisten und Zeitzeu- Mit der Verschärfung des Paragrafen geninterviews sowie der Nachlass des ehemaligen NN- den, ihr Aufenthaltsort und ihr weiteres Gefangenen Jean Baucher mit Egodokumenten und Ob- 4 175 setzte ab 1935 auch eine verstärkte jekten. Im Rahmen des Neugestaltungsprojektes der Schicksal geheim bleiben. Für ihre An- Verfolgung Homosexueller ein. Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel führte der Histo­ gehörigen waren sie verschwunden, die riker Leon Kloke umfangreiche Recherchen u.a. auch zu Die Zahl ausländischer Inhaftierter NN-Gefangenen durch. Diese bilden die Grundlage die- NN-Gefangenen selbst wurden nicht un- ses Beitrags zu NN-Gefangenen im Strafgefängnis Wol- wuchs mit Kriegsbeginn stark an. Das fenbüttel. Vgl. auch projektinterner Abschlussbericht ter ihren Namen, sondern ausschließlich Reichsjustizministerium nutzte das Leon Kloke: Ergebnisse der Recherchen zur Neugestal- unter einer Nummer geführt. tung der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel – Strafgefängnis im Rahmen der Bekämp- Dezember 2014 bis Juni 2016. Literatur: vgl. besonders Lother Gruchmann: „Nacht- fung des europäischen Widerstandes als und-Nebel“-Justiz 1942–1944, in: Vierteljahrshefte für 3 Oberkommando der Wehrmacht, 12. Dezember 1941, Haftstätte für so genannte Nacht-und- Zeitgeschichte 1981, S. 342–396 [als pdf online]; Rainer Verfolgung von Straftaten gegen das Reich oder die Be- Huhle: „Nacht-und Nebel“ - Mythos und Bedeutung [als satzungsmacht in den besetzten Gebieten. Bundesarchiv Nebel-Gefangene (NN-Gefangene)1 aus pdf online]; Joseph de la Martinière: Le Décret et la pro- Berlin R 3001 22680. cédure Nacht und Nebel (Nuit et brouillard) – Les N.N., Frankreich, Belgien, den Niederlanden Paris 1981; Wilfried Wiedemann: Verbrechen der NS- 4 Im MRD finden sich 5.000 Karteikarten zu Personalien und Norwegen. Mit NN-Gefangenen Justiz. Zur Geschichte der Nacht-und Nebel-Gefangenen von NN-Gefangenen. Vgl. auch die Bestände des ITS, und des Justizstraflagers Esterwegen, in: Albrecht Poh- Korrespondenzakte 209 35, Schriftverkehr zwischen ITS wurde eine bestimmte Gruppe von le, Martin Stupperich, Wilfried Wiedemann (Hrsg.): NS- und dem polnischen Historiker Alfred Konieczny, Krakau, Justiz und Nachkriegsjustiz. Beiträge für Schule und Bil- aus den 1970er Jahren mit Auswertung der zivilen Widerstandskämpfern gegen dungsarbeit. Schwalbach/Ts. 2014. (Geschichte für heute Transportwege. in Wissenschaft und Unterricht. 2), S. 26–42; Karl Jonca 1 Ausspruch von Alberich in Richard Wagner: und Alfred Konieczny: Nuit et Brouillard. L’Opération Der norwegische NN-Gefangene Wilfred Jensenius Das Rheingold, Kapitel 5, Dritte Szene. Terroriste Nazie 1941–1944. Paris 1981. • Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel Verhaftungsgründe waren u.a. aktive Strafvollzugslager Esterwegen war als Transportwege in das 43 Spionage, der Einsatz von Waffen, die größtes Lager für NN-Gefangene zeitwei- Strafgefängnis Wolfenbüttel Unterstützung von alliierten Agenten se mit bis zu 2.700 NN-Gefangenen belegt. oder einfacher Waffenbesitz, das Verfas- Häufig wurden die NN-Gefangenen von Auf der Basis der Ausarbeitungen des sen, Herstellen und/ oder Verteilen von Konzentrationslagern in Haftanstalten der Fonds de la Martinière lassen sich erste „deutschfeindlicher“ Propaganda sowie Justiz verlegt und umgekehrt. Vor allem Aussagen zu üblichen Transportwegen Gründung oder Teilnahme an Wider­- französische NN-Gefangene wurden in der NN-Gefangenen treffen: Insbesondere standszirkeln. das Konzentrationslager Hinzert eingelie- aus den Emslandlagern, dort vor allem aus Zunächst prüften Militärjuristen in den fert und von dort auf Haftanstalten im dem Lager Esterwegen, dem Zuchthaus der besetzten Ländern, ob die Inhaftierten Reichsgebiet verteilt. Festung Ebrach und dem KZ Hinzert wur- aufgrund der zu erwartenden Strafe unter Das Strafgefängnis Wolfenbüttel war ab den NN-Gefangene nach Wolfenbüttel den NN-Erlass fielen. War dies der Fall, 1943 eine der zentralen Haftstätten des überstellt.7 Insgesamt sind Haftverlegun­ wurden die Gefangenen an eine der Ober- Deutschen Reiches für NN-Gefangene: gen aus Brieg, Ebrach, Groß-Strehlitz, Son- staatsanwaltschaften im Deutschen Reich Etwa 10 Prozent aller NN-Gefangenen nenburg, Hinzert und Breslau nach Wolfen-­ überstellt. Diese entschied, ob der Fall an waren in Wolfenbüttel inhaftiert. Von büttel nachgewiesen.8 Die meisten der NN-­ ein Sondergericht oder an den Volksge- den etwa 700 Personen5 aus den Nieder- Gefangenen kamen aus den Emslandlagern. richtshof gelangte. Die NN-Gefangenen landen, Frankreich, Belgien und Norwegen Dokumente aus dem Geheimen Staatsar- wurden häufig von den Sondergerichten wurden 57 hingerichtet, mehr als 30 star- chiv Preußischer Kulturbesitz belegen meh- ­ Köln (später Breslau) und Essen abgeur- ben in der Haft.6 rere Transporte mit Namen von 130 NN- teilt, seltener von den Sondergerichten Gefangenen mit Überführungsdaten. Der 5 Vgl. auch die Zahl von insgesamt 670 NN-Gefangenen Dortmund, Kiel und Berlin, ab Herbst 1942 in britischen Akten. The National Archive, London, FO größte erfolgte am 30. November 1943.9 937_167_33. Dagegen stehen die im Dossier des Fonds auch vom Volksgerichtshof. Die Verfahren de la Martinière abweichenden Zahlen zwischen 660 fanden unter Ausschluss der Öffentlich- und 3.000 Gefangenen. Die genaue Rekonstruktion ist 7 Vgl. Fonds de la Martinière, MRD Série 1 128–19. schwierig, da u.a. im April 1945 Gefangenenpersonalak- keit statt. Die Urteile lauteten meiste auf ten von NN-Gefangenen im damaligen Strafgefängnis 8 Vgl. MRD Bestand 5922, Bestand 5171_3, Bestand Wolfenbüttel vernichtet wurden. Daher fehlen wesent­ 5411 und Bestand 58293. sogenannte „Feindbegünstigung“ oder liche Quellen. Vgl. Schreiben des Strafgefängnisses andere Hochverratsdelikte mit hohen Wolfenbüttel an die Generalstaatsanwaltschaft Braun- 9 Vgl. zu den Transportlisten: Geheimes Staatsarchiv schweig. Niedersächsisches Landesarchiv – Standort Preußischer Kulturbesitz XVII, Rep. 226 Nr. 5079 in: Strafen, einschließlich der Todesstrafe. Wolfenbüttel 61 Nds. Fb. 1 Nr. 79 Zg. 1/1995. Wilfried Wiedemann, siehe Fußnote 1, S. 28.

NN-Gefangene wurden in Strafgefäng- 6 Vgl. auch die Zahl von 64 hingerichteten NN-Gefange- nissen, Zuchthäusern und Strafvollzugs­ nen, in: Justiz im Nationalsozialismus. Über Verbrechen im Namen des deutschen Volkes. Beiträge und Katalog Hinrichtungsraum, etwa April 1945 lagern im Deutschen Reich inhaftiert. Das zur Ausstellung. Baden-Baden 2002, S. 144. • Privatsammlung Howard Goodkind, Tom Goodkind

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 44 Zu den NN-Gefangenen zählten auch Eine weitere größere Gruppe unter Baucher war von August 1944 bis zum größere Widerstandsgruppen wie die den NN-Gefangenen im Strafgefängnis Beginn des Räumungstransportes am französische Gruppe um den Rechtsan- Wolfenbüttel bildete die norwegische 8. April 1945 in Wolfenbüttel inhaftiert. walt Louis Renard aus Poitiers oder die Kvarstad-Gruppe. Der Karikaturist Wilfred In seinen Erinnerungen herrschte in dem Widerstandsgruppe aus dem belgischen Jensenius (1911–1999) gehörte zur Besat- alten Gefängnis drangvolle Enge. Eine Ort Lichtervelde. Anhand der Gruppe um zung von zehn norwegischen Handels­ Zelle sei mit drei Personen belegt Louis Renard lassen sich die verschiede- schiffen,12 die seit dem deutschen Überfall gewesen.14 nen administrativen Zuständigkeiten auf- auf Norwegen im schwedischen Göteborg Auch die NN-Gefangenen mussten zeigen: Die 28 NN-Gefangenen der Grup- festlagen. Er geriet im April 1942 in deut- arbeiten. Ihre Arbeitskraft wurde beson- pe kamen über das KZ Hinzert mit einem sche Gefangenschaft, als die Mannschaf- ders für Rüstungsarbeiten ausgenutzt.15 Transport von 91 Personen am 19. April ten dieser Schiffe einen Ausbruchver- Aufgrund der Geheimhaltung ihrer Haft 1943 nach Wolfenbüttel. Im Oktober 1943 such wagten. Nach einer Odyssee durch und Anwesenheit konnten sie nicht in verurteilte der Volksgerichtshof zehn Mit- mehrere Zuchthäuser und Strafanstalten Außenarbeitsstellen des Strafgefängnis- glieder zum Tode. Diese Urteile wurden gelangte er schließlich im Juli 1944 in ses eingesetzt werden. Daher richtete am 3. Dezember 1943 vollstreckt. Gaston das Strafgefängnis Wolfenbüttel. die Braunschweiger Firma Voigtlän- Hulin, Fabian Billard und Charles Char- Häufig kamen die NN-Gefangenen in der & Sohn im Winter 1943/1944 in der pentier10 jedoch waren im Herbst 1943 einem so schlechten Gesundheitszu- aus Wolfenbüttel in das Zuchthaus Unter- stand in Wolfenbüttel an, dass sie nicht maßfeld und von dort im März 1944 in die arbeitsfähig waren. Einige verstarben Haftanstalt Schweidnitz bei Breslau, von aufgrund von Unterernährung und TBC.13 dort schließlich weiter in die Haftanstalt 14 Jean Boucher machte während seiner Haftzeit Noti- Oels (Schlesien) verlegt worden. Aus den Haftalltag zen, die überliefert worden sind. Vgl. Bestand Boucher, Akten sind auch administrative Unklarhei- MRD, 998.1276.01. ten und ein mangelnder Informationsaus- Die NN-Gefangenen waren im 15 Norwegische NN-Gefangene überlegten im Jahr 1953, Klage gegen die Firma Voigtländer einzureichen, 11 tausch ersichtlich. Hafthaus I untergebracht. Dort mussten um Entschädigungszahlungen für die „Sklavenarbeit“ zu sie sich Einzelzellen mit mehreren Perso- erhalten. Vgl. Nachlass Jørgen Jensenius. Gedenkstätte 10 Diese drei Namen sind bekannt. in der JVA Wolfenbüttel. nen teilen. Der NN-Gefangenen Jean 11 So fragt das RSHA beim VHG am 4.10.1944 an, ob Skizze des norwegischen NN-Gefangenen Wilfred Louis Cartan inzwischen abgeurteilt sei und wo er ver- 12 Der Name „Kvarstad“ bedeutet „auf der Stelle Jensenius, April/Mail 1945: Blick in die Anstaltskirche blieben sei. Zu diesem Zeitpunkt liegt die Hinrichtung bleiben“. der Strafanstalt Wolfenbüttel, die als Werkstatt der Cartans 10 Monate zurück. Bundesarchiv R 3017/18267. Firma Voigtländer & Sohn genutzt wurde. Vgl. die Rechercheergebnisse von Leon Kloke. 13 The National Archive, London, FO 937_167_33. • Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel Anstaltskirche des Strafgefängnisses die aus dem Zuchthaus Sonnenburg für in die Untersuchungshaftanstalt Essen 45 einen Betrieb zur Herstellung von opti- Wolfenbüttel angefordert und speziell und weiter in die Strafanstalt Zweibrü- schen Geräten für die Wehrmacht ein.16 zunächst für diese Arbeiten umgeschult cken überstellt. Anfang November 1943 Am 9. März 1944 waren 134 Inhaftierte, wurden.20 Hierfür wurden weitere Räu- wurde sie erneut verlegt. Im Frauenlager darunter 131 NN-Gefangene, in diesem me im Hafthaus I zur Verfügung gestellt. Mesum bei Münster war sie bis zu ihrer Arbeitskommando.17 Zivile Werkmeister Die Arbeit in den Werkstätten war für die Verhandlung beim Volksgerichtshof in betreuten die Fertigung und beaufsich- NN-Gefangenen ein bestimmendes Ele- Leer im März 1944. Hier wurde sie we- tigten die speziell hierfür aus dem Lager ment ihres Haftalltags. gen ihrer Widerstandstätigkeit, der Mit- Esterwegen angeforderten NN-Gefange- Mindestens 57 NN-Gefangene wurden gliedschaft in einer kommunistischen nen. Wiederum lag ein besonderes vom Volksgerichtshof zum Tode verur- Untergrundorganisation, zum Tode ver- Augenmerk auf der Geheimhaltung: teilt und im Strafgefängnis Wolfenbüttel urteilt. Aus dem Untersuchungsgefäng- „Es bleibt noch zu prüfen, ob das von hingerichtet. nis Leer wurde sie in das Frauenjugend- der Firma Voigtländer & Sohn eingesetz- Die Widerstandskämpferin Fernande gefängnis Vechta verlegt, von dort kam te Personal auf die Geheimhaltung und Mathieu, geb. Volral, war eine von ihnen. sie am 4. Mai 1944 in die Haftanstalt das Verbot des Verkehrs mit den NN-Ge- Sie wurde im Februar 1943 in Brüssel Braunschweig-Rennelberg. Am 7. Au- fangenen besonders hingewiesen und verhaftet und bis September 1943 im gust 1944 wurde Fernande Mathieu im verpflichtet ist.“18 Auf insgesamt 250–300 Wehrmachtsgefängnis Brüssel-St. Gilles Alter von 23 Jahren hingerichtet. Im Ab- Personen vergrößert19 wurde die Zahl inhaftiert. Im Schlussbericht des Sicher- schiedsbrief an ihre Mutter schrieb sie: der Arbeitskräfte durch NN-Gefangene, heitsdienstes wurde für Fernande Mathi- „Ich bin sehr ruhig, Mutti. Sieh, ich habe eu eine exemplarische Strafe, auch die ein reines Gewissen. Ich habe nach mei- 16 Vgl. Vertrag über die Beschäftigung von Gefangenen zwischen dem Strafgefängnis Wolfenbüttel, vertreten Todesstrafe, zur generellen Abschre- nen Grundsätzen gehandelt. Man kann durch Regierungsrat Lupfer und der Firma Voigtlän- der & Sohn, Braunschweig, vertreten durch den Vor- ckung von im Widerstand aktiven stand, November 1943/Februar 1944. CEGESOMA, Frauen empfohlen.21 Im September 1943 Brüssel, AA 1352. wurde Fernande Mathieu als NN-Gefan- 17 Bundesarchiv Berlin R 3001/25026, 170–175. gene über das Polizeigefängnis Aachen 18 Bericht des Braunschweiger Generalstaatsanwalt Rahmel über die in der Rüstungsproduktion des Strafge- 20 Vgl. Nachtragsvertrag zwischen dem Strafgefängnis fängnisses Wolfenbüttel eingesetzten NN-Gefangenen Wolfenbüttel, vertreten durch Regierungsrat Lupfer und bei der Firma Voigtländer & Sohn, 3.11.1943. Niedersäch- der Firma Voigtländer & Sohn, vertreten durch den Vor- sisches Landesarchiv –Standort Wolfenbüttel. stand, 20. bzw. 25. April 1944. CEGESOMA, Brüssel, AA 1352. 19 Vgl. The National Archives, London, FO 937_176_33, Ausweis von Fernande Mathieu • Gedenkstätte in der 34. 21 Vgl. Bundesarchiv R 3017/18460-18462. JVA Wolfenbüttel

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 46 nicht beim Sterben unglücklich sein, sie in das Zuchthaus Brandenburg-­ wenn man diesen Trost hat.“22 Göhrden, wo sie am 27. April 1945 die Die Leichen der in Wolfenbüttel hinge- Rote Armee befreite. In einem Interview, richteten NN-Gefangenen wurden nicht das Ende 1945 in der Göteborger Han- wie üblich der Stadtpolizei Wolfenbüttel, dels- und Seefahrtzeichnung erschien, sondern an die Gestapo Braunschweig beschreibt der NN-Gefangene der Kvar- übergeben. In der Regel erfolgte eine stad-Gruppe Wilfred Jensenius diesen Bestattung auf dem Katholischen Fried- Moment: „Unten im Flur ertönt ein hof in Wolfenbüttel.23 Erst nach dem Schrei, der zu gewaltigem Jubel an- Krieg erfuhren die Familienangehörigen schwillt – wir sind frei. Man weint in vom Schicksal ihrer Verwandten und Strömen und jubelt um die Wette.“25 veranlassten häufig die Exhumierung Der NN-Erlass und seine Durchfüh- und Überführung in die Heimatländer. rung wurden in den Nürnberger Kriegs- 345 Personen, darunter 298 NN-Ge- verbrecherprozessen und den entspre- fangene und 47 zum Tode Verurteilte chenden Folgeprozessen entsprechend wurden am 8. April 1945, drei Tage vor dem Völkerrecht verurteilt. der Befreiung des Strafgefängnisses Die Verfolgungszeit und die Haft präg- Wolfenbüttel, auf Räumungstransporte ten die Überlebenden oftmals für ihr geschickt.24 Über Magdeburg gelangten ganzes weiteres Leben, aber auch ihre Familienangehörigen und selbst ihre 22 Aus dem Abschiedsbrief von Fernande Mathieu an ihre Kinder. Mutter, 7. August 1944 (Übersetzung aus den Akten des Volksgerichtshofs), Bundesarchiv Berlin R 3017/18462. 25 Göteborgs Handels- och Sjösartstidning, Der Abschiedsbrief wurde jedoch nicht abgesandt. Die 22. Dezember 1945. grundsätzliche Geheimhaltung bezüglich der NN-Gefan- genen galt auch für die Vollstreckung von Todesurteilen. Selbst in dem Hinrichtungsverzeichnis sind die NN-Ge- fangenen unter ihrer Nummer und nicht unter ihrem Namen verzeichnet.

23 Ein Beispiel hierfür ist die Gruppe „Lichtervelde“. Bundesarchiv R 3017/18523. Portrait des belgischen NN-gefangenen Frans van Beneden in der Rüstungsproduktion der Firma Voigt­ 24 Im Archiv des ITS ist die Eingangsliste des Räumungs­- länder & Sohn im Strafgefängnis Wolfenbüttel, 1944. transportes der Wolfenbütteler NN-Gefangenen in meh- Gezeichnet von dem belgischen NN-Gefangenen reren Varianten vorhanden. Vgl. auch MRD 5922. Georges Michotte • Privatbesitz Paula Michotte 47

Zeichnung Jensenius, Befreiung in Brandenburg • Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus Das Projekt „Widerstand in Göttingen“

Rainer Driever

48 Die Arbeit am Projekt Widerstand der kommen einige Quellen aus dem Archiv Im Internet erreichbar ist das Projekt Stadt Göttingen stand unter der fach­ der Zeugen Jehovas Deutschland. über das Stadtarchiv Göttingen auf der lichen Aufsicht des Stadtarchivs Göttin- Der Darstellung zugrunde liegt ein Startseite oder im Punkt „Stadtge- gen und umfasste den Zeitraum umfassender Begriff von Widerstand, schichte“. http://www.stadtarchiv.­ November 2013 bis April 2016. Ziel des der sich nicht auf die „intentionale“ goettingen.de/widerstand/index.htm Projektes war es, Aktionen und Akteure Bekämpfung und Überwindung der NS- des Widerstands bzw. der Selbstbe- Diktatur durch mutige und risikoreiche Ausgangslage in Göttingen hauptung in der Stadt zu identifizieren Aktionen konzentriert. Als „Widerstand“ und damit die Basis für ein Erinnern im betrachtet wurde jedes aktive Verhalten, Das Klima war günstig für die Natio- öffentlichen Raum zu schaffen. Darüber das die Ablehnung des NS-Regimes er- nalsozialisten in Göttingen. Weite Kreise hinaus wurden auch Beispiele aus der kennen lässt und mit einem bewussten des Göttinger Bürgertums waren natio- Region Südniedersachsen herange­ Risiko verbunden war. Zudem sollte eine nal-konservativ und darüber hinaus anti- zogen: Hann. Münden, Einbeck und intendierte Schädigung oder Liquidation semitisch geprägt. Die erste Göttinger Northeim. des Herrschaftssystems zumindest Ortsgruppe der NSDAP wurde im Februar Recherchiert wurde hauptsächlich in plausibel vermutbar sein. 1922 gegründet, Ende Dezember ent- Archiven in Göttingen, Northeim, Han- Das Projekt nimmt den Nationalsozia- stand die erste Sturmabteilung (SA), die nover und Bonn. Überwiegend kommen lismus als gesellschaftliches Phänomen acht Jahre später etwa 300 Mitglieder Quellen aus der Überlieferung der in den Blick. Deswegen wurden unter hatte. Im Juli 1929 wurde ein erster Verfolgungsbehörden (Polizei, Justiz, dem Begriff der „Selbstbehauptung“ Trupp der (SS) eingerich- Gliederungen der NSDAP) zum Tragen. Handlungsformen mit partieller Ziel­ tet. Göttingen war die erste Gauhaupt- Daneben konnte auf eine Reihe von Zeit- setzung einbezogen, die eine teilweise stadt des 1924 gegründeten Parteigaues zeugeninterviews zurückgegriffen wer- Blockierung oder Behinderung der natio- Südhannover-Braunschweig. den. Ergänzt wurden diese durch die nalsozialistischen Durchdringung der Bei der Juli-Reichstagswahl 1932 Verwendung der Entschädigungsakten Gesellschaft zur Folge hatten. Sie muss- gewann die NSDAP in der Stadt mit 51 der VVN-BDA Hannover. Im Bereich der ten sich nicht gegen den Nationalsozia- Prozent die absolute Mehrheit, die sie institutionellen Eigenüberlieferung wur- lismus als System richten und konnten am 5. März 1933 wiederum erreichte. den die Akten des Archivs der sozialen sogar von Einzelpersonen oder Gruppen Der NSD-Studentenbund konnte bereits Demokratie für den Internationalen Sozi­ ausgehen, die dem Regime und seiner 1931 an der Göttinger Universität die alistischen Kampfbund und den Eisen- Ideologie zumindest teilweise positiv absolute Mehrheit in der Studentischen bahner-Widerstand ausgewertet. Hinzu gegenüber standen. Kammer gewinnen. Göttingen war keine ausgesprochene auf Aussetzung der bürgerlichen Rechte Widerstand 49 Industriestadt. Sie verfügte über eine zielenden Maßnahmen des neuen Regi- überschaubare, trotzdem aber ausge- mes wurden schnell um wichtige Ele- Widerstand diente zunächst der prägte Arbeiterkultur mit dem Zentrum mente ergänzt: persönliche Repression Aufrechterhaltung bzw. dem Neuaufbau des Volksheims, das von den Sozialde- und Terror. Diese trafen mit Schutzhaft organisatorischer Strukturen. Nach Ver- mokraten, den Gewerkschaftern und und Betätigungsverbot zunächst die bot und Beschlagnahmungen gelang den Mitgliedern des Internationalen Kommunisten, was aber schnell ausge- dies in Göttingen drei Organisationen. Sozialistischen Kampfbundes (ISK) weitet wurde. Am 7. April wurden wegen Ab Herbst 1933 kam mit dem Eisenbahner-­ frequentiert wurde. Zu den Jubiläums- Verdachts auf hochverräterische Umtrie­ Widerstand eine neue Organisation feierlichkeiten des Reichsbanners am be fünf von sieben Göttinger SPD-Bür- hinzu. 23. Februar 1931 kamen in Göttingen gervorstehern in Schutzhaft genommen, 500 Mitglieder zusammen, die KPD-Orts- und am 26. April nahmen das letzte Mal Zeugen Jehovas gruppe schwankte zwischen 30–50 Mit- Göttinger SPD-Bürgervorsteher an einer gliedern, und der ISK brachte es auf un- Ratssitzung teil. Die Vereinigung der ernsten Bibel­ gefähr 30 Mitglieder, denen allerdings Bis zum Sommer 1933 waren die forscher (ab 1931 Jehovas Zeugen) wur- viele Sympathisanten zur Seite standen. Strukturen der Arbeiterbewegung zer- de am 24. Juni 1933 durch den Preußi- An einer Demonstration der Eisernen schlagen, ihr Besitz beschlagnahmt, ihre schen Minister des Innern verboten. In Front am 15. Februar 1933 nahmen noch Mitglieder auf sich gestellt und teilweise der Stadt und den heute eingemeinde- einmal ungefähr 900 Menschen teil. inhaftiert, ab Juni auch im Konzentrati- ten Dörfern nahmen etwa 20 Zeugen Der Machtantritt Adolf Hitlers am onslager Moringen. Zudem hatten die Jehovas an Zusammenkünften teil. Die 30. Januar 1933 wurde in Göttingen mit meisten ihre Arbeitsplätze verloren. Die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft Demonstrationen organisierter, aber SPD-Mitglieder reagierten darauf mit ei- verweigerten die Mitgliedschaft in NS- ungeheuchelter Begeisterung begrüßt. nem Rückzug in private Zusammenhän- Organisationen – z.B. Luftschutzbund Der Fackelzug des darauffolgenden Ta- ge, pflegten dort ihre Verbindungen. In oder Nationalsozialistische Volkswohl- ges hatte Zulauf von mehreren tausend zwei Göttinger Betrieben bildeten sie fahrt (NSV) – , die Teilnahme an Wahlen, Menschen. Der Übergang von einer Re- Betriebszellen: im seit 1930 im Besitz die Leistung von Eiden und den schnell gierungsbeteiligung der NSDAP und der kanadischen Aluminium Company

Kanzlerschaft zu Diktatur und Terrorre- befindlichenGöttinger Aluminiumwerk Die kommunistischen Familien Oehme, Meyer und gime vollzog sich in atemberaubender (ALCAN) sowie bei Feinprüf (Mahr). Hartmann bei einer illegalen Feier des 1. Mai 1933 auf den Deppoldshäuser Wiesen. • Sammlung Dr. Joachim Geschwindigkeit. Die administrativen, Bons

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 50 obligatorisch gewordenen Hitlergruß. blätter gegen die Nazis verbreitet, auch Aus dem Kreis der entlassenen Repressionen durch Polizei und Arbeit- der Rote Stürmer, die Wochenzeitung Schutzhäftlinge sowie der Sympathisan- geber waren die Folge. der Ortsgruppe, zirkulierte weiter in der ten bildete sich ab 1934 ein informeller Die weiter stattfindenden Versamm- Stadt. Im Mai gelang es der Polizei durch Zirkel der Göttinger Kommunisten um lungen wurden überwacht, zudem ver- Beschlagnahme von Rotations- und Gustav Kuhn, Karl Meyer und Heinrich suchte die Polizei die Weitergabe ihrer Schreibmaschinen, die weitere Anferti- Führding. Sie hörten zusammen Radio Schriften zu unterbinden. Die Zeitschrif- gung von Flugschriften zu unterbinden. Moskau, stellten Klebzettel her und ver- ten Goldenes Zeitalter und der Wacht­ Diese fanden nun von außen ihren Weg breiteten sie. Trotz polizeilicher Überwa- turm kamen aus dem Ausland und zirku- in die Stadt. In ihrer Agitation verlegten chung gelangen regelmäßige Treffen lierten als Tarnschriften. Die Mitglieder sich die Kommunisten zudem auf Kleb- und eine Verbindung zur Bezirksleitung der Göttinger Gruppe gaben diese über zettel und Inschriften. in Hannover. Kurierverbindungen nach Hann. Münden Im Juni 1933 wurden die ersten sieben Im selben Jahr konstituierte sich im und Einbeck weiter. Ab 1936 verbreiteten Kommunisten um Fritz Schaper verur- Kreis Northeim eine Unterbezirksgruppe die Zeugen Jehovas zudem Flugblätter teilt. In den zwei Folgemonaten ergingen der KPD, die von Helmut Glüer geführt in der Stadt, was zu erneuten Verhaftun- zwei Urteile wegen Anfertigens und Ver­ wurde. In Nörten-Hardenberg und gen und Verurteilungen führte. Die teilung staatsgefährdender Schriften ge- Reyershausen bildeten sich Ortsgrup- Berichte zur Überwachung der Glau- gen weitere sechs KPD-Mitglieder. Eini- pen, die ebenfalls mit der Bezirksleitung bensgemeinschaft durch die Göttinger ge KPD‘ler in Nörten-Hardenberg hatten in Kontakt standen und von ihr illegales Kriminalpolizei brechen Ende des zusammen mit dem Göttinger Kommu- Material bezogen. Neun Mitglieder bei- Jahres 1937 ab. nisten Wilhelm Eglinsky ebenfalls Flug- der Gruppen wurden im April 1936 ver- blätter verteilt, sie wurden im Dezember urteilt. Die meisten Mitglieder der Göt- Kommunistische Partei Deutschland 1933 verurteilt. Gegen Ende des Jahres tinger Gruppe wurden im Dezember (KPD) war die Mehrzahl der Kommunisten in 1936 inhaftiert und im September 1937 Göttingen und Umgebung entweder als verurteilt. Nach den Prozessen findet Die KPD-Ortsgruppe war zunächst mit Schutz- oder Untersuchungshäftlinge in- man vereinzelt anscheinend individuelle prekären Verbindungen zur Bezirkslei- haftiert gewesen oder verbüßten bereits Aktionen, z.B. Inschriften. tung konfrontiert, die leitenden Funktio- ihre Haftstrafe wegen Hochverrat. Damit näre waren entweder verhaftet oder un- war die erste Phase des kommunisti- tergetaucht. So orientierte man sich an schen Widerstands abgeschlossen. Schriftzug auf der Umfassungsmauer des Grundstücks Ludendorffring 25, aufgenommen im August 1940: Bekanntem: In Göttingen wurden Flug- „Hittler der Mörder Europas“ • Stadtarchiv Göttingen Internationaler Sozialistischer auf der Straße blieb jeweils der Schrift- Mitglieder. Im April 1936 wurden elf 51 Kampfbund (ISK) zug Nieder mit Hitler zurück. unter ihnen zu Haftstrafen verurteilt, Die beiden Gruppen verlegten sich ab drei wurden freigesprochen. Von den politischen Gegnern der Na- Sommer 1934 aus Sicherheitserwägun- Fritz Schmalz, ISK‘ler und Gewerk- zis hatte einzig der ISK seine Mitglieder gen auf weniger Spektakuläres: Hand- schafter, kommentierte die Situation in ab Herbst 1932 auf eine mögliche Illega- zettel wurden an Bäumen, Masten und Göttingen nach den Prozessen gegen- lität vorbereitet. Funktionärskonferenzen Schildern angebracht, ab Herbst wurden über Genossen aus dem Ausland nach in Berlin und Saarbrücken schufen 1933 die Reinhart-Briefe des Auslandsvor- Kriegsende: „Ihr habt ja keine Ahnung, einen Rahmen bzw. eine Richtung für die stands sowie die Zeitschrift Sozialisti­ wie das hier gewesen ist. Wir konnten illegale Arbeit. Ab Ende Dezember 1933 sche Warte aus Paris zunächst bezogen, uns doch überhaupt nicht rühren, und baute Willi Eichler die Emigrationszent- ab 1935 auch verteilt. Beide Publikatio- keiner konnte wagen, einen alten Be- rale der Organisation in Paris auf. Die nen wurden nach Hann. Münden weiter- kannten zu sehen. Ohne Krieg wäre doch Zusammenarbeit mit Mitgliedern der gegeben und so Kontakt zum dortigen das Hitler-System niemals zum Erliegen Freien Gewerkschaften, vor allem der In­ Widerstand gehalten. Der dafür zustän- gekommen, da nicht einmal eine lokale ternationalen Transportarbeiter-Föderation dige Heinrich Oberdiek hielt zudem die Organisation möglich war.“ (ITF), ermöglichte einen organisierten Verbindung zur Inlandsleitung des ISK in und aus dem Ausland unterstützten Berlin, die Hellmuth von Rauschenplat, Internationale Aufbau des Widerstands. alias Fritz Eberhard, innehatte. Transportarbeiter-Föderation In Göttingen wurden von Fritz Körber Oskar Schmitt war der Verbindungs- und Heinrich Düker zwei Fünfer-Gruppen mann zum illegalen Eisenbahner-Netz- Hans Jahn, zur linkssozialdemokrati- geschult. Davon unabhängig waren Karl werk der Internationalen Transportarbei­ schen Minderheit des Eisenbahnerverban- Wagner als Kontaktperson für die Auf- ter-Föderation. 1935 nahm er an den des gehörig, baute in Zusammenarbeit nahme illegalen Materials und Heinrich Konferenzen des ITF in Roskilde und mit der ITF bis 1935 ein illegales Informati- Oberdiek für die Verbindungen nach Amsterdam teil. Im Herbst desselben onsnetz in Deutschland auf. Der Einheits­ Hann. Münden verantwortlich. Erste Jahres fielen den umfangreichen Verhaf- verband der Eisenbahner Deutschlands Flugblatt-Aktionen wurden zu den Mai- tungsaktionen in Hann. Münden auch (EdED) bildete eine Sektion der ITF und feiern 1934 durchgeführt. Die ISK‘ler ver- die beiden ISK-Leute Karl Gries und wendeten zudem einen Koffer mit einem Ludwig Gutberlet zum Opfer. Im Januar Die Göttinger Polizeiwache vor 1935. Sie beher­bergte am Boden angebrachten Farbstempel: 1936 wurden in Göttingen 65 Personen auch das Polizeigefängnis, in dem ab März 1933 die Göttinger Schutzhäftlinge inhaftiert wurden festgenommen, unter ihnen auch 14 ISK- • Städtisches Museum Göttingen

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus 52 organisierte im Jahre 1936 insgesamt Die illegale Arbeit der Eisenbahner lag Selbstbehauptung 284 „Stützpunktführer“ in 137 Orten, ins- vor allem in der Sammlung von Informa- gesamt waren darin 1320 Funktionäre or- tionen und im Transport von illegalem Nach den Prozessen der Jahre 1936 ganisiert. Jeder Gau bzw. Bezirk wurde Material in das Reichsgebiet. Dies war und 1937 sind Aktionen der Kommunis- von einem Funktionär geleitet, der von zum Teil genuines Eisenbahnermaterial – ten und der ISK‘ler nicht mehr überlie- Jahn und Edo Fimmen, dem Generalse- wie die Zeitschrift Fahrt frei! – zum Teil fert. Allerdings tauchten einzelne Perso- kretär der ITF, bestätigt werden musste. Material des ISK: die Neuen politischen nen nach ihrer Haftstrafe erneut auf, wie Ab 1934 war Hermann Fraatz, ehemali- Briefe, die ab März 1934 als Reinhart- das ISK-Mitglied Heinrich Düker, der im ger KPD-Mann und Leiter des Eisenbah­ Briefe bekannt wurden, sowie die Sozia­ Dezember 1944 wegen seiner Wider- ner-Fürsorgevereins, Gaugraf des Gaues listische Warte. Über die Netzwerke der standstätigkeit in Berlin erneut verhaftet Kassel. Dieser umfasste mit dem Vorort Eisenbahner, aber auch durch die Rhein- wurde und den Evakuierungsmarsch des Göttingen die Stützpunkte Seesen, Höx- schiffer, wurden zudem die einzelnen Konzentrationslager Sachsenhausen ter, Northeim, Kreiensen und Kassel. Or- Widerstandsgruppen mit Geld für ihre knapp überlebte. Andere, wie der Kom- ganisatorisches Zentrum in Göttingen war Arbeit versorgt. munist Wilhelm Eglinsky, blieben in der das Reichsbahnausbesserungswerk (RAW), Nach der Verhaftung von Oskar Zeit der nationalsozialistischen Diktatur Göttingens größter Arbeitgeber. Hier be- Schmitt übernahm Hermann Fraatz 1936 gerade einmal eineinhalb Jahre in Frei- saß Fraatz als entlassener Vertrauens- erneut die Organisation, die bis auf die heit. Ihm gelang im Januar 1945 die mann der Gewerkschaft einigen Einfluss. Verhaftungen der gleichzeitig im ISK Or- Flucht aus dem Konzentrationslager Im Herbst 1935 wurde Oskar Schmitt zum ganisierten in Göttingen ungeschoren Buchenwald. Gaugraf ernannt, er versah diese Funktion blieb. Im Herbst 1944 konnte der im Auf- Neben dem organisierten Widerstand bis zu seiner Verhaftung als ISK-Mitglied trag des ISK-Vorstandes in London über bzw. der Zusammenarbeit mehrerer Per- am Januar 1936. Auch Heinrich Western- dem Reichsgebiet abgesetzte Jupp sonen gab es eine Fülle von Akten der hagen spielte in der Eisenbahnerorganisa- Kappius auch in Göttingen von leading Selbstbehauptung gegen die NS-Dikta- tion eine Rolle, er fiel derselben Verhaf- people Informationen erlangen. Noch tur. Oft waren dies situative Widersprü- tungsaktion, ebenfalls als ISK-Mitglied, im Januar 1945 konnte er die Beschrei- che gegen Maßnahmen des Regimes, zum Opfer. Dies unterstreicht die enge Zu- bungen über die Reichweite alliierten die keine grundsätzliche Gegnerschaft sammenarbeit von ITF und ISK. Über die Bombardements und die Zahlen beschä- zur Diktatur erkennen lassen. Diese äu- genannten Namen hinaus tauchen noch digter Lokomotiven aus dem Reichsbahn­- ßerten sich in Verweigerungen (bei- fünf Namen in den Akten auf, die Organi- ausbesserungswerk Göttingen nach Kommunistisches Flugblatt vom Juni 1935, gefunden sation arbeitete im kleinen Rahmen. London übermitteln. nahe des Göttinger Flugplatzes • Stadtarchiv Göttingen spielsweise gegen Hitlergruß, Mitglied- 53 schaft in NS-Organisationen, Beflaggung etc.) genauso wie in den sog. Schimpfe­ reien von Miesmachern und Nörglern, die als Fälle des sog. Heimtückegesetzes (offizielle Bezeichnung: „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiunifor- men“) vom Sondergericht Hannover abgeurteilt wurden. Zusammen mit den vielen Fällen der Rundfunkverbrechen (Abhören nichtdeutscher Sender bzw. Verbreitung von so erfahrenen Nachrich- ten) zeigen diese Akte der Selbstbehaup- tung ein durchaus heterogenes Bild des Verhaltens eines kleinen Teils der Göttinger Bevölkerung in der NS-Diktatur. Auch wenn das Projekt als solches ab- geschlossen ist, werden neue Informati- onen, die meist auf Zuschriften von Inte- ressierten zurückgehen, in die Website eingearbeitet.

Kopf des „Roten Stürmers“, der Wochenzeitung der KPD-Ortgruppe, vom 17. Februar 1933 • Stadtarchiv Göttingen

Die „Sozialistische Warte“ (hier in der Ausgabe Nr. 30 vom 28.6.1939), herausgegeben vom Auslandsvorstand des „Internationalen Sozialistischen Kampfbundes“ in Paris, wurde ab 1934 auch in Göttingen von der hiesigen ISK-Widerstandsgruppe verbreitet. • Sammlung Ralf Schaper

Schwerpunktthema Widerstand gegen den Nationalsozialismus Stiftung

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Stiftung Bericht des Geschäftsführers

Jens-Christian Wagner

56 2016 stand nicht so sehr im Zeichen All dies wäre nicht möglich ohne das sächsische Landtag zum Gedenktag für „runder“ Gedenkveranstaltungen und dritte Standbein der Gedenkstättenar- die Opfer des Nationalsozialismus am entsprechender öffentlicher Aufmerk- beit – die Verwaltung, die dafür sorgt, 27. Januar veranstaltete. Äußerst ein- samkeit, wie es im Vorjahr der Fall war. dass die nötige Infrastruktur vorhanden drücklich berichteten die Bergen-Belsen- Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist und die von der öffentlichen Hand zur Überlebenden Dr. Yvonne Koch, Michael der niedersächsischen Gedenkstätten Verfügung gestellten Gelder sachgemäß Gelber und Barbara Müller sowie Salo- hatte das den Vorteil, dass angesichts und den Vorschriften der öffentlichen mon Finkelstein, der die Konzentrations- zusätzlicher Anforderungen im Jahr 2015 Verwaltung entsprechend eingesetzt lager Auschwitz und Mittelbau-Dora liegengebliebene Aufgaben schrittweise und abgerechnet werden. Meistens ste- überlebte, von ihren Erfahrungen in den abgearbeitet werden konnten. Das be- hen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nationalsozialistischen Lagern – und von trifft zum einen die in der Öffentlichkeit der Verwaltungen eher im Hintergrund. ihrer Sorge, die sie angesichts aktueller eher weniger sichtbaren Daueraufgaben Bei Ausstellungseröffnungen, Gedenk- politischer Entwicklungen in Deutsch- in den Bereichen Forschung und Doku- veranstaltungen, Pressekonferenzen und land und Europa erfüllt. mentation (etwa die technische und in- in Medienberichten sind sie meist un- Diese Sorge prägte auch vielfach die haltliche Überarbeitung bestehender sichtbar. Kein Rad würde sich aber ohne Veranstaltungen anlässlich der Jahresta- Ausstellungen, die Beantwortung von sie drehen, und deshalb sei allen Mitar- ge der Lagerbefreiungen im April und wissenschaftlichen Anfragen, die beiter_innen in den Gedenkstättenver- Mai. Auch hier standen die Überleben- Schicksalsklärung von NS-Verfolgten, waltungen und auf Seiten der „Zuwen- den im Mittelpunkt. Erfreulicherweise die Betreuung von Überlebenden, die dungsgeber“ in Kommunen, im Land nahmen, auch wenn es sich um keinen Erarbeitung von Publikationen und Fach- und beim Bund an dieser Stelle einmal runden Jahrestag handelte, überra- vorträgen oder die Inventarisierung und vor allen anderen für ihr großes Engage- schend viele Menschen an den diversen Erweiterung der Sammlungsbestände). ment und ihre Beharrlichkeit ganz herz- Gedenkveranstaltungen in Niedersach- Zum anderen gilt es für die Dauerauf­ lich gedankt! sen teil. gaben in der Bildungsarbeit (neben der Jenseits der grundständigen Arbeit Anlässlich der Unterzeichnung der Ab- intensiven Gruppenbetreuung zehn­ gab es 2016 jedoch auch etliche beson- sichtserklärung des Landes Niedersach- tausender Besucherinnen und Besucher dere Entwicklungen und Ereignisse, die sen zur Kooperation mit der israelischen geht es hier vor allem um Neu- und es verdienen, in einem Jahresbericht Gedenkstätte Yad Vashem im Gästehaus Weiterentwicklung von Bildungsforma- festgehalten zu werden. Beeindruckend der Landesregierung wurde im Mai 2016 ten und die Erarbeitung pädagogischer war für alle Beteiligten sicherlich das erstmals eine neue Wanderausstellung Materialien). Zeitzeugengespräch, das der Nieder- der Stiftung niedersächsische Gedenk- • Landtag Niedersachsen • Jens Binner

Zeitzeugengespräch am 27. Januar im Niedersächsischen 26. Mai: Präsentation der neu erstellten mobilen Wander- Landtag; v. l.: Salomon Finkelstein, Michael Gelber, ausstellung im Gästehaus der niedersächsischen Landes­ Dr. Yvonne Koch, Barbara Müller regierung; v.l.: Dr. Janes-Christian Wagner, Ministerin Frauke Heiligenstadt, Yossi Gevir (Yad Vashem), Landtagspräsident Bernd Busemann

stätten präsentiert: „Geschichte be- nen teil. Zusätzlich besuchte die Delega- Augustaschacht und Gestapokeller 57 wusst machen. Gedenkstätten in Nieder- tion auch das Ghetto Fighter’s House Osnabrück, die ab 2017 erarbeitet sachsen“ heißt die in Kooperation mit Museum Beit Lohamej haGeta’ot im werden soll und – neben Mitteln aus den nicht stiftungsgetragenen Gedenk- Norden Israels, führte Gespräche mit der Region – vom Land bzw. der Stiftung stätten erarbeitete Ausstellung, die auf jungen Menschen aus Niedersachsen, und vom Bund finanziert wird. 15 Roll-Up-Bannern alle arbeitenden Ge- die in Israel einen Freiwilligendienst leis- Das wohl umfangreichste Neugestal- denkstätten in Niedersachsen und die ten, und traf sich mit dem israelischen tungsprojekt in Niedersachsen findet Tätigkeit der Stiftung vorstellt. Verband der Überlebenden des KZ-­ derzeit in Wolfenbüttel statt. Erfolgreich Mit einer gemeinsam vom Nieder- Bergen-Belsen zur Feier des jüdischen abgeschlossen werden konnte 2016 Teil- sächsischen Landesinstitut für schuli- Neujahrsfestes. projekt II – die Sanierung und didakti- sche Qualitätsentwicklung (NLQ), dem Seit 2014 fördert das Land Nieder­ sche Kennzeichnung des ehemaligen Kultusministerium und der Stiftung or- sachsen mit Sondermitteln in Höhe von Hinrichtungsgebäudes sowie die Einrich- ganisierten Fortbildungsreise für Lehr- 1 Million Euro jährlich Bau- und Investiti- tung eines multimedialen Lernraums für kräfte nach Israel folgte auf die Absichts- onsmaßnahmen zum Ausbau der nieder- Gruppenbesuche. Beides wurde fristge- erklärung zur Kooperation mit Yad sächsischen Gedenkstätten. Mit diesen recht fertiggestellt und im August 2016 Vashem schon im September 2016 ein Mitteln konnten wichtige Sanierungs- in Anwesenheit zahlreicher Gäste öffent- erster Schritt. Rund 30 Lehrerinnen und und Konservierungsvorhaben an Denk- lich übergeben. Zeitgleich mit den Arbei- Lehrer beschäftigten sich während des mälern und baulichen Relikten in der ten an Teilprojekt II begann die Umset- einwöchigen Aufenthaltes in Israel so- Gedenkstätte Bergen-Belsen und vorbe- zung von Teilprojekt III – dem Bau eines wie in Vor- und Nachbereitungssemina- reitende Arbeiten für die Neukonzeption neuen Dokumentationszentrums samt ren in Bergen-Belsen und Hannover in- bzw. den Ausbau der Gedenkstätten in Besucherinformation, Seminar- und tensiv mit Inhalten und Methoden der Moringen und Salzgitter-Drütte finan- Büroräumen und einer umfassenden Bildungsarbeit in Yad Vashem und in ziert werden. Zudem wurden bereits neuen Dauerausstellung. Dieses Vorha- den niedersächsischen Gedenkstätten. 2015 Mittel für Sanierungsarbeiten und ben mit einem Etat von rund 3,8 Millio- An einem der Seminartage in Yad Vas- die inklusionsgerechte Zugänglichkeit nen Euro wird hälftig vom Bund und hem nahmen auch die Stiftungsratsvor- der Gedenkstätte Augustaschacht in vom Land Niedersachsen finanziert sitzende Ministerin Frauke Heiligenstadt, Hasbergen bei Osnabrück bereitgestellt. und soll bis Ende 2018 abgeschlossen der Vorsitzende des Landesverbandes Große Erwartungen richten alle Beteilig- werden. der jüdischen Gemeinden Michael Fürst ten nun an die neue gemeinsame Dauer- In der Gedenkstätte Bergen-Belsen und Abgeordnete aller Landtagsfraktio- ausstellung in den Gedenkstätten wurde insbesondere die konzeptionelle

Stiftung • Verena Sohns • Martin Bein

Schüler_innen der IGS Wallstraße probieren zusammen mit der niedersächsischen Kultusministerin Frauke Heiligenstadt die Multi-Touch-Tische im neuen multimedialen Lernraum in der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel aus.

Konzert zu Ehren von Yehudi Menuhin am 28. August; V.l.: Werner Schmitt (Vizepräsident der International Yehudi Menuhin Foundation), Stephan Weil (Niedersächsischer Ministerpräsident), Inna Firsova, Zamira Menuhin-Benthall, Aleksey Semenenko, Enrique Barón Crespo (ehem. Präsident des EU-Parlaments).

Foto unten: von links: Dr. Jens-Christian Wagner, General- konsul Richard Yoneoka (USA) mit Ehefrau Kathrin Yoneoka, • Martin Bein Werner Schmitt.

58 Arbeit an neuen Lernmaterialien und Neben den Veranstaltungen zum einem internationalen Workshop der Ge- neuen Bildungsformaten fortgesetzt. 71. Jahrestag der Befreiung des KZ Bergen- denkstätten-Archive, einer Tagung zur Einen Überblick über die vielfältigen Belsen – darunter der Eröffnung der Geschichte der Displaced Persons und Bildungsangebote vermittelt eine neue Ausstellung „Nachher: Felix Oestrei- einer wissenschaftlichen Konferenz zur Broschüre, die im Frühjahr 2016 publi- cher“ im April 2016 – brachten zwei wei- Geschichte der Verbindungslinien zwi- ziert wurde. tere Großveranstaltungen viele Teilneh- schen dem Holocaust und dem Kranken- Neue Herausforderungen erwachsen mer_innen nach Bergen-Belsen. Im Juni mord im Nationalsozialismus. Letztere für die Bildungsarbeit mit der beabsich- gedachten der Volksbund Deutsche Veranstaltung fand in Berlin statt und tigten Nutzung eines Gebäudes in der Kriegsgräberfürsorge, die AG Bergen- war eine Kooperation u. a. mit der Ge- benachbarten Kaserne Bergen-Hohne. Belsen und die Gedenkstätte auf dem denkstätte Haus der Wannseekonferenz, Seit dem Abzug der britischen Streitkräfte Kriegsgefangenenfriedhof Bergen-­ der Stiftung brandenburgische Gedenk- Ende 2015 wird die Kaserne von der Belsen in Hörsten der 20.000 sowjeti- stätten und dem Verein „Gegen Verges- Bundeswehr genutzt. Diese wird der Ge- schen, polnischen und italienischen sen – Für Demokratie“. denkstätte voraussichtlich ein Areal am Soldaten, die im Kriegsgefangenenlager Die genannten Tagungen verweisen Südrand der Kaserne zur Nutzung über- Bergen-Belsen ums Leben kamen. An- auf die enge Vernetzung der Stiftung mit lassen, das fünf Gebäude umfasst, die lass war der 75. Jahrestag des deut- anderen nationalen und internationalen historisch eng mit der Geschichte Bergen- ­ schen Überfalls auf die Sowjetunion am Forschungseinrichtungen, Museen und Belsens verflochten sind. Eines der Ge- 22. Juni 1941. Großen Anklang fand ein Gedenkstätten weit über Europa, die bäude beherbergte 1940 bis 1945 die gemeinsam mit der International Yehudi USA und Israel hinaus. So konnte 2016 Kommandantur des Kriegsgefangenen- Menuhin Foundation und dem Pro- etwa die Zusammenarbeit mit Museen, lagers Bergen-Belsen, in den anderen gramm MUS-E veranstaltetes Konzert zu Gedenkstätten und Menschenrechts­ Gebäuden waren im April 1945 KZ-Häft- Ehren von Yehudi Menuhin, der vor 100 initiativen in Kolumbien und Chile linge aus dem sogenannten Kasernen­ Jahren geboren wurde und der im Som- ausgebaut werden. lager untergebracht, und von 1945 bis mer 1945 zusammen mit dem Pianisten Unverzichtbar für die inhaltliche Wei- 1950 waren die Gebäude Teil des DP- Benjamin Britten in der Kaserne Bergen- terentwicklung der Gedenkstätten und Camps. Voraussichtlich ab 2017/18 soll Hohne für die Überlebenden von Bergen-­ auch für ihre Nachwuchsförderung ist eines der Gebäude (MB 89) für die Bil- Belsen ein Konzert gab. die enge Zusammenarbeit mit den Uni- dungsarbeit der Gedenkstätte genutzt Viele Interessierte kamen auch zu di- versitäten. Insbesondere zu den nieder- werden. Geplant ist, dort später auch versen Fachtagungen, etwa der Interna- sächsischen Universitäten unterhält die eine Dauerausstellung unterzubringen. tional Bergen-Belsen Summer School, Stiftung über Lehraufträge ihrer Mitar- • Katrin Unger • Rebecca Paulus/giz

Fortbildungsreise für Lehrkräfte nach Israel.

Vortrag des Geschäftsführers zur Gedenkstättenarbeit in Niedersachsen in Cúcuta (Kolumbien) am 19. Oktober.

Prof. Dr. Inge Marszolek während einer Sitzung der Internationalen Expertenkommission in Wolfenbüttel 2015.

• Stefan Wilbricht

beiter_innen und die Mitarbeit von Leh- 59 renden in den wissenschaftlichen Gre- mien der Stiftung enge Kontakte. Einen schweren Verlust mussten wir dabei im Sommer 2016 hinnehmen: Am 12. Au- gust starb völlig überraschend Prof. Dr. Inge Marszolek. Sie war uns seit vielen Jahren als Vorsitzende der Wissen- schaftlichen Fachkommission für die Ge- denkstättenförderung in Niedersachsen und als Vorsitzende der Internationalen Expertenkommission für die Gedenk- stätte Wolfenbüttel eine engagierte Im- pulsgeberin, die unsere Arbeit und die Weiterentwicklung der niedersächsi- schen Gedenkstätten maßgeblich geprägt hat. Wie sie das machte, war einfach nur großartig: Mit Klarheit, Bestimmtheit, Offenheit, Herzlichkeit und einer Freude am Denken und an Neuem, die ansteckte. Wir haben ihr unendlich viel zu verdanken und trau- ern um einen wunderbaren Menschen.

Stiftung Publikationen der Stiftung

60 Veröffentlichungen und Vorträge von Beschäftigten der Stiftung sowie Mitarbeit in Gremien

Veröffentlichungen Bericht über die Tagung der Stiftung Zusammen mit Silke Petry: niedersächsische Gedenkstätten am „Ruhet in Frieden, teure Genossen…“. Billib, Stephanie 9.–11. Oktober 2015 in Hannover, in: Der Friedhof des Kriegsgefangenen­ (zusammen mit Katrin Unger) „Man Stiftung Topographie des Terrors lagers Bergen-Belsen – Geschichte und sieht hier ja gar nichts“, Beitrag im On- (Hrsg.): Gedenkstättenrundbrief Nr. 181 Erinnerungskultur, Göttingen 2015. line-Portal „Lernen aus der Geschichte“ (März 2016), S. 49–54. (http://lernen-aus-der-geschichte.de/ Aspekte und Perspektiven im Umgang Neuburger, Tobias Lernen-und-Lehren/content/13117). mit den archäologischen Relikten der „Aufführungen des Antiziganismus. Gedenkstätte Bergen-Belsen, in: Bedeutungs- und Sinngehalt der Binner, Jens Thomas Kersting, Claudia Theune, Axel ,Zigeuner‘-Maskerade am Beispiel der „Ich hatte des Gefühl, dass ich überall Drieschner, Astrid Ley, Thomas Lutz Tiroler Fasnacht um 1900“, in: Horst als Mensch zweiter Klasse angesehen (Hrsg.), Archäologie und Gedächtnis. Schreiber et al. (Hrsg.), Trotz alledem. wurde.“ Die Repatriierung ehemaliger NS-Lagerstandorte erforschen – (Gaismair-Jahrbuch 2017), Innsbruck Häftlinge des KZ Bergen-Belsen in die bewahren – vermitteln, Petersberg 2016, 2016, S. 82–89. Sowjetunion, in: Insa Eschebach/Gabriele S. 137–143. „Homo clausus oder homines aperti? Hammermann/Thomas Rahe (Hrsg.), Zum Verhältnis von Individuum und Ge- Repatriierung in Europa 1945, Berlin Keller, Rolf sellschaft“, in: Maria Dippelreiter / 2016 (Konzentrationslager. Studien zur Ein „Notwendiges Übel“: Der Arbeits- Christian Prosl (Hrsg.), Individuum und Geschichte des NS-Terrors; Band 2), einsatz sowjetischer Kriegsgefangener Gesellschaft im Spannungsfeld zwi- S. 79–97. im Reichsgebiet 1941–1945, in: „Russen- schen Bindung und Freiheit. Klagenfurt/ lager“ und Zwangsarbeit. Bilder und Er- Celovec 2016, S. 97–105. Hummel, Juliane innerungen sowjetischer Kriegsgefange- Erinnerungskultur und Vergangen- ner. Spurensuche in Bremen, heraus­- heitspolitik. Die Folgen der NS-Herr- gegeben von Kontakte/Kontakty e.V., schaft und der gesellschaftliche Wandel Berlin 2016, S. 51–55. im Umgang mit den NS-Verbrechen. Jahresbericht 2015 Bildung und Begegnung in der Gedenkstätte Bergen-Belsen Herausgegeben von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Herausgegeben von der Gedenkstätte Bergen-Belsen, 24 Seiten 160 Seiten

Schwerpunktthema: Flucht, Migration, Exil

Petry, Silke Schlichting, Nicola ting, Claudia Theune, Axel Drieschner, 61 „Oberstes Gebot war strengste Ge- (Hrsg. zusammen mit Jim G. Tobias) Astrid Ley, Thomas Lutz (Hrsg.), Archäo- heimhaltung“ – Organisierter Wider- nurinst 2016. Beiträge zur deutschen und logie und Gedächtnis. NS-Lagerstandorte stand sowjetischer Kriegsgefangener in jüdischen Geschichte, Bd. 8, Schwer- erforschen – bewahren – vermitteln, Norddeutschland, in: „Russenlager“ und punktthema: Kinder, Nürnberg 2016. Petersberg 2016, S. 169–171. Zwangsarbeit. Bilder und Erinnerungen Zwangsarbeit und Genozid. Das Sys- sowjetischer Kriegsgefangener. Spuren- Seifert, Daniel Historisch-politische tem der nationalsozialistischen Konzen­ suche in Bremen, herausgegeben von Bildung und Menschenrechtslernen in trationslager im Krieg, in: Volkhard Knigge Kontakte/Kontakty e.V., Berlin 2016, Gedenkstätten zur Erinnerung an Mas- (Hrsg.), Buchenwald. Ausgrenzung und S. 46–49. sengewaltverbrechen. Bericht und Re­ Gewalt, 1937 bis 1945, Göttingen 2016, Zusammen mit Rolf Keller: flexion über ein transnationales Fortbil- S. 259–270. „Ruhet in Frieden, teure Genossen…“. dungsprogramm der Gedenkstätten Netzwerke der SS. Rezension von: Der Friedhof des Kriegsgefangenen­ Bergen-Belsen, Auschwitz-Birkenau und Stefan Hördler, Ordnung und Inferno. lagers Bergen-Belsen – Geschichte „Perm-36“, veröffentlicht auf dem Bil- Das KZ-System im letzten Kriegsjahr, und Erinnerungskultur, Göttingen 2015. dungsportal www.geschichte-bewusst- Göttingen 2015, in: Einsicht. Bulletin sein.de des Fritz Bauer Institutes, Heft 16 (2016), Rahe, Thomas S. 87 f. (zusammen mit Nicole Blaffert und Unger, Katrin Treize millions d’esclaves: Travail et Franz Wamhof) Revisited. Lohheide und (zusammen mit Stephanie Billib) „Man migrations forcés sous le nazisme, in: Bergen-­Belsen, herausgegeben von der sieht hier ja gar nichts“, Beitrag im On- Le Patriote Résistant, Nr. 911, September Stiftung niedersächsische Gedenkstät- line-Portal „Lernen aus der Geschichte“ 2016, S. 12 f. ten und dem Kunstverein Springhorn- (http://lernen-aus-der-geschichte.de/ Vorwort, in: Rudolf Gutte, Vom Solda- hof, Neuenkirchen/Celle 2016. Lernen-und-Lehren/content/13117). tenehrenmal zum Denkmal für alle Opfer Jüdische Kinder im DP-Camp Bergen- des Nationalsozialismus. Ein Lehrstück Belsen, in: nurinst 2016. Beiträge zur Wagner, Jens-Christian deutscher Erinnerungskultur, Berlin deutschen und jüdischen Geschichte, Gedenkstättenarbeit als gesellschaft­ 2016, S. 11–12. Bd. 8, herausgegeben von Jim G. Tobias liche Aufgabe, in: Denkmalpflege in Nie- (Hrsg. mit Stefan Hördler, Volkhard und Nicola Schlichting, Nürnberg 2016, dersachsen 36, Heft 4/2016, S. 215–217. Knigge und Rikola-Gunnar-Lüttgenau) S. 11–25. Mut zum Verlust – ein Plädoyer gegen Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Be- den Fetisch der Relikte, in: Thomas Kers- gleitband zur Ausstellung, Göttingen 2016.

Stiftung Rolf Keller, geb. 1956, ist seit Rund 20.000 sowjetische 2004 als Abteilungsleiter in Soldaten wurden auf dem Fried- der Stiftung niedersächsische Silke Petry | Rolf Keller n der Nähe des früheren Kriegsgefangenen- und hof des Kriegsgefangenen- Gedenkstätten in Celle tätig. I Konzentrationslagers Bergen-Belsen befi ndet sich lagers Bergen-Belsen begraben. Abel Jacob Herzberg was born in Amsterdam. Von 2000 bis 2007 arbeitete er Shocking and trenchant essays about eine der größten Kriegsgräberstätten in Deutschland. In the 1930s he played a prominent role in als Leiter des Recherche- und Bergen-Belsen, written by the former the Dutch Jewish Community. Abel Herzberg Hier ruhen 20.000 sowjetische Soldaten,concentration die campin den prisoner Abel Jacob The Dutch lawyer Abel Jacob Herzberg (born 1893) Ausstellungsprojektes »Kriegs-Abel Jacob Herzberg and his wife Thea were imprisoned in Jahren 1941 bis 1945 in Bergen-BelsenHerzberg. ums Leben was arrested in 1943 along with his wife, Thea, gefangenlager« im Rahmen der Rolf Keller Keller Rolf Westerbork, then transported to Bergen- gekommen sind. Sie wurden zunächst in Einzel-, ab Keller Rolf

Neukonzeption der Gedenk-

and deported in 1944 via the Westerbork camp to the Amor Fati Herbst 1941 in Massengräbern beerdigt. Die Mehr- | Belsen. After the war Abel Herzberg wrote stätte Bergen-Belsen. many books, novels, stories, dramas. Bergen-Belsen concentration camp. The two survived Amor Fatizahl war brutaler Behandlung, unzureichender Ver- Veröffentlichungen u. a.: He received numerous honours and prizes. and returned to Amsterdam in the summer of 1945. pfl egung und mangelnder medizinischer Versorgung Sowjetische Kriegsgefangene Abel Herzberg died in May 1989. Not long after, with the impressions of his imprison- Seven Essaysdurch die deutsche Wehrmacht zum Opfer gefallen. im Deutschen Reich 1941/42 ment – during which he had secretly kept a diary – Der Friedhof diente als Grabstätte für weitere (Wallstein, 2011) still fresh in his mind, Abel Herzberg wrote seven on Bergen-BelsenTodesopfer des Kriegsgefangenenlagers Bergen-Belsen: essays which offer a trenchant analysis of various polnische Kriegsgefangene und italienische Militär-

Silke Petry, geb. 1963, ist Petry Silke aspects of the history of this concentration camp from internierte. seit 2012 Wissenschaftliche the viewpoint of a Jewish survivor. The range of Die Dokumentation erzählt in Texten und Bildern Mitarbeiterin in der Dokumen- über die Geschichte des Kriegsgefangenenlagers topics include the behaviour of the SS towards the tationsstelle Widerstand und Bergen-Belsen, die Lebensumstände und das Massen- prisoners, different forms of self-assertion and the Verfolgung 1933–1945 auf ethical dilemmas that the prisoners faced. sterben der Gefangenen, die Belegung und Gestaltung

dem Gebiet des Herzberg Abel Jacob Landes Nieder- des Friedhofs durch die Wehrmacht während des The essays were published from September 1945 in sachsen der Stiftung nieder- Krieges sowie über Denkmalsetzungen, Neugestaltungs- the weekly paper De Groene Amsterdammer, and they sächsische Gedenkstätten, maßnahmen und politische Auseinandersetzungen fi rst appeared as a standalone publication in 1947. Celle. Von 2004 bis 2009 war » in den Jahrzehnten danach. Auch den Wandel der Ruhet in Frieden, A German version was published in 1997. This volume sie Wissenschaftliche Mit- Erinnerungskultur seit Kriegsende nehmen die Autoren is the fi rst English translation of the essays. arbeiterin der Stiftung nieder- …« Genossen teure in Frieden, »Ruhet ...« in den Blick. teure Genossen sächsische Gedenkstätten im Projekt »Neugestaltung der Gedenkstätte Bergen-Belsen«. Der Friedhof des Veröffentlichungen u. a.: Sowjetische Kriegsgefangene Kriegsgefangenenlagers Bergen-Belsen – im Arbeitseinsatz, hg. zus. mit Rolf Keller (Wallstein, 2013) Geschichte und Erinnerungskultur

Wallstein W allstein

1924-0_BB-Herzberg_IL-RZ-3.indd 1 25.05.16 17:19

Abel Jacob Herzberg Silke Petry, Rolf Keller Amor Fati „Ruhet in Frieden, teure Genossen…“ Seven Essays on Bergen-Belsen Der Friedhof des Kriegsgefangenen­ lagers Bergen-Belsen Aus dem Niederländischen übersetzt Geschichte und Erinnerungskultur und mit Anmerkungen versehen von Jack Santcross Herausgegeben von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Bergen-Belsen – Berichte und Zeugnisse, herausgegeben von der Stiftung nieder- Göttingen (Wallstein), 92 Seiten, sächsische Gedenkstätten, Band 5 mit zahlreichen Abbildungen

Göttingen (Wallstein), 104 Seiten

62 13 Millionen Sklaven. Zwangsarbeit „Die sowjetischen Kriegsgefangenen berg. Wie gehen wir heute mit Kriegerdenk- ­ und Zwangsmigration im Nationalsozia- und die deutsche Erinnerungskultur“. mälern um?“, , 18. November. lismus, in: Jahresbericht 2015, hrsg. von Ansprache zum 75. Jahrestag des Über- der Stiftung niedersächsische Gedenk- falls auf die Sowjetunion, Kriegsgefan- Keller, Rolf stätten, Celle 2016, S. 4–9. genenfriedhof in Sandbostel, 22. Juni. „NS-Regionalgeschichte 1933–1945: Kindermord. Die Neugeborenen aus- „Rückkehr eines Denkmals. Über die Opfer, Täter, Zuschauer. Erinnerungsorte, ländischer Zwangsarbeiterinnen, in: Gräber sowjetischer Kriegsgefangener Forschung und Vermittlung in Nieder- Dokumente/Documents, Heft 1/2016, der Ilseder Hütte“. Vortrag auf dem sachsen“. Vortrag im Rahmen der Reihe S. 39–42. Workshop „Verschwundene Grabstätten des Jeverländischen Altertums- und Neue Erkenntnisse über das KZ Dora, und Mahnmale“ des Arbeitskreises Heimatvereins im Schlossmuseum in Thüringer Allgemeine, Ausgabe „Opfer des Nationalsozialismus – Jever, 3. März. Nordhausen, 5.1.2016. Friedhöfe und Grabstätten“, Hannover, „Zentralnachweis und Forschungs- La fondation des mémoriaux de 17. März. landschaft in Gedenkstätten in Nieder- Basse-­Saxe, in: Le Dora-lien, ed. Buchvorstellung „70 Tage Gewalt, sachsen“. Vortrag bei der 5. bundeswei- Fondation pour la Mémoire de la Mord, Befreiung“, Internationale ten Gedenkstättentagung „Forschung in Déportation, Heft 2/2016, S. 2 f. Friedensschule Bremen, 3. Mai. Gedenkstätten – Bestandsaufnahme und Weiterentwicklung“, Köln, 8. Dezember. Gödecke, Monika Vorträge Jahresrückblick und aktuelle Schwer- Neuburger, Tobias punkte in der Arbeit der Stiftung nieder- „Comparative approach to Genocide Binner, Jens sächsische Gedenkstätten bzw. der Ge- between the 1930s and today“, Vortrag Buchvorstellung „70 Tage Gewalt, denkstätte Bergen-Belsen. Vortrag bei bei der “Forgotten Voices Conference”. Mord, Befreiung“, ZeitRäume Boden- der Generalversammlung der Amicale Rumänisches Parlament, Bukarest, stedt (Landkreis Peine), 22. Februar. de Bergen-Belsen, Paris, 14. November. 6./7. April. „Soviet prisoners of war in Sandbostel „Kritik des Antiziganismus“, Workshop prisoner of war camp and Buchenwald Hummel, Juliane an der Universität Wien, 20. Mai. concentration camp“. Vortrag bei der „Herausfordernde Denkmale aus Sicht „Kritik des Antiziganismus als Gesell- „Winter School“ des Deutschen Volks- der Stiftung niedersächsische Gedenkstät- schaftskritik. Herausforderungen und hochschulverbandes International, Ge- ten“. Vortrag beim Symposium der Univer- Risiken für die Bildungsarbeit gegen An- denkstätte Buchenwald, 26. Februar. sität Hildesheim: „Der Soldat am Galgen- tiziganismus“, Vortrag an der Andrássy Blaffert & Wamhof

Thomas Kleine Reihe Rahe R E VISITED Lohheide und Bergen-Belsen

Gedenkstätte

Ein Paar Handschuhe – Die Lebensgeschichte von Yvonne Koch Bergen-Belsen

2015 jährte sich die Befreiung des KZ Bergen-Belsen durch die britischen Streitkräfte zum Stiftung siebzigsten Mal. Es war auch das Jahr, in dem die britische Armee endgültig aus der Gar- niedersächsische Gedenkstätten nison Bergen-Hohne / Bad Fallingbostel abzog. Das Künstlerpaar Blaffert & Wamhof hat und Bergen-Belsen Lohheide | sich deshalb im Rahmen ihres Garrison-Projects auf eine fotografische Ortsbegehung be- geben. Die Fotografien zeigen den Truppenübungsplatz, die Kasernengebäude und halten den Moment des Abzugs fest. Blaffert & Wamhof verweisen auf Orte, die sich im Prozess der Auflösung bzw. beginnender Transformation befinden. Weiter zeigt der Band Foto- grafien der heutigen KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen, eine persönliche Sicht auf diesen historischen Ort, der mit dem Kasernengelände und dem Truppenübungsplatz geografisch und geschichtlich eng verwoben ist. Dies veranschaulicht der wissenschaftliche Leiter der REVISITED | Gedenkstätte, Dr. Thomas Rahe, in seinen Aufsätzen: »Polnische und jüdische ›Displaced Gedenkstättenniedersächsische Stiftung Persons‹ im DP-Camp in Bergen-Belsen« und »Das Kasernenlager des KZ Bergen-Belsen«. Ergänzt sind die Texte mit vielen aufschlussreichen historischen Aufnahmen.

hg. von der Mit einer Einführung von Bettina von Dziembowski. Stiftung Ein Paar Handschuhe niedersächsische Gedenkstätten und Die Lebensgeschichte von Yvonne Koch dem Kunstverein ISBN 978-3-9813604-5-5 Springhornhof e.V., Neuenkirchen (bei Soltau) mit Beiträgen von Yvonne Koch, Diana Gring und Thomas Rahe

14,90 € Rahe & Wamhof | Thomas Blaffert 3

Blaffert & Wamhof, Thomas Rahe Ein Paar Handschuhe RE VISITED Die Lebensgeschichte von Yvonne Koch Lohheide und Bergen-Belsen mit Beiträgen von Yvonne Koch, Aktuelle Fotografien Diana Gring und Thomas Rahe Kasernenlager / DOP-Camp Zwei Aufsätze mit historischen Bergen-Belsen Kleine Reihe, heraus­ Fotografien gegeben von der Stiftung niedersächsi- sche Gedenkstätten, Band 1, 58 Seiten Herausgegeben von der Stiftung nieder- (Nachdruck der Ausgabe von 2012) sächsische Gedenkstätten und dem Kunstverein Springhornhof e.V., 128 Seiten

Universität, Budapest, 16. Juni. wissenschaftlichen Workshop „Dimen­ Wagner, Jens-Christian 63 „(Kritische) Theorieansätze in der An- sionen der DP-Forschung“ in der Ge- „Von Auschwitz nach Niedersachsen. tiziganismusforschung“, Vortrag an der denkstätte Bergen-Belsen, 29. Oktober. Der historische Ort der NS-Verbrechen Universität Gießen, 20. Juni. und seine Repräsentation in der Gedenk- „Kritik des Antiziganismus. Zugänge Schlichting, Nicola stättenarbeit“. Vortrag im Stadtmuseum und Ansätze“, Vortrag an der Universität „The story of the Displaced Persons Stade, 19. Januar. Hannover, 12. Oktober. as a topic for educational programmes“. Anhörung im Ausschuss für Wissen- „Antisemitismus in der Gegenwarts- Workshop bei der Tagung „Life in the schaft und Kultur des niedersächsischen gesellschaft“, Tagungsorganisation ge- Aftermath. Displaced Persons, Displaced Landtages zur geplanten Neugründung meinsam mit Nikolaus Hagen an der Children and Child Survivors on the einer Landeszentrale für Politische Bil- Universität Innsbruck, 17. Oktober. move. New approaches in education dung. Hannover, 25. Januar. and research“, 30. Mai bis 1. Juni, Max „Gedenkstätten als Arbeitsfeld“. Vor- Rahe, Thomas Mannheimer Studienzentrum Dachau, trag im Rahmen der Reihe „Expert Talk“ „Das DP-Camp Bergen-Belsen 1945- 31. Mai. an der Universität Göttingen, 1950“. Vortrag bei der Tagung des Ar- 10. Februar. beitskreises für Wirtschafts- und Sozial- Seybold, Katja „La evolución de los memoriales en geschichte der Historischen Kommission „Sinti und Roma im Konzentrations­ Alemania, 1945–2016“. Vortrag im Rah- für Niedersachsen und Bremen, Hanno- lager Bergen-Belsen“. Vortrag bei einem men der Tagung „Aspectos relevantes ver, 30. April. thematischen Rundgang durch die Dau- en relación con la creación de un memo- „Polnische und jüdische Displaced erausstellung und über das Gelände rial“ im Haus der Wannseekonferenz, Persons im DP-Camp Bergen-Belsen“. des ehemaligen Lagers, Gedenkstätte Berlin, 21. Februar. Vortrag bei der Tagung „Schwierige Bergen-Belsen, 22. Mai. „Von Auschwitz in den Harz. Sinti und Nachbarschaft“ in der Gedenkstätte Roma im KZ Mittelbau-Dora“. Vortrag und Museum Sachsenhausen, 21. Mai. Staats, Martina anlässlich der Eröffnung der gleichnami- „Befreit im Land der Täter. Jüdische „Strafgefangene aus Benelux-Ländern gen Ausstellung in der Gedenkstätte Ah- Displaced Persons (DP) 1945–1950“. Vor- im Strafgefängnis Wolfenbüttel“. Vortrag lem, Hannover, 6. März. trag in der VHS Hannover, 6. Oktober. bei der Tagung „Benelux-Gefangene in „Konzeption und Genese der Ausstel- „Das Zentralkomitee der befreiten Lagern und Haftstätten Norddeutsch- lung ‚Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Juden in der britischen Zone. Eine grup- lands 1940–1945, Papenburg, 12. Februar. Zwangsarbeiter und der Krieg‘“. Vortrag penbiographische Skizze“. Vortrag beim auf der Konferenz „Geteiltes Gedächtnis?

Stiftung Gedenkstätten- Gedenkstätte förderung Bergen-Belsen Niedersachsen

Stiftung Stiftung niedersächsische niedersächsische Gedenkstätten Gedenkstätten

Bergen-Belsen Bau.Denk.Mal!

und die Kaserne Bauliche Relikte und Denkmalpflege an Schauplätzen der NS-Diktatur Bergen-Hohne in Niedersachsen

Faltblatt Faltblatt „Bergen-Belsen und „Bau.Denk.Mal! Bauliche Relikte und die Kaserne Bergen-Hohne“ Denkmalpflege an Schauplätzen der NS-Diktatur in Niedersachsen“

64 Erinnerung an die NS-Zwangsarbeit im Gedenkstättenarbeit.“ Vortrag an der niedersächsischen Auftaktveranstaltung Europa des 21. Jahrhunderts“ im Muse- Universität Göttingen im Rahmen der zum Tag des offenen Denkmals in der um der Arbeit Hamburg, 10. März. Vorlesungsreihe „Wissenschaft und Gedenkstätte Augustaschacht, Osna- „70 Tage Gewalt, Mord, Befreiung“, Öffentlichkeit“, 8. Juni. brück, 11. September. Buchpräsentation im Rathaus Wolfen- „Flucht und Vertreibung der Deut- „Los crímenes nacionalsocialistas en büttel am 11. April, in der Gedenkstätte schen in historischer und politischer la memoria alemana y el futuro de los Sandbostel am 26. April und in der Perspektive“. Ansprache bei einer memoriales alemanes“. Vortrag bei der Gedenkstätte Ahlem am 8. Mai. Gedenkveranstaltung des Bundes Tagung „Museos, Memoria, Historia“ „Die Bildungsarbeit in den niedersäch- der Vertriebenen, Landesverband am Museo Nacional in Bogotá sischen Gedenkstätten“. Anhörung im Niedersachsen, in Giesen, 19. Juni. (Kolumbien), 22. Oktober. Kultusausschuss des niedersächsischen Vortrag zur Ausstellung „Harz und „Zwischen Harz und Heide. Todesmär- Landtages in Hannover, 22. April. Heide“ bei einer Veranstaltung des sche und Räumungstransporte im April „Zeugnisse aus dem KZ Holzen“. Vor- Netzwerks „Erinnerung und Zukunft 1945“. Vortrag zur Eröffnung der gleich- trag anlässlich der Eröffnung der gleich- Hannover“ im Haus der Region namigen Ausstellung im Remarque-­ namigen Ausstellung im Celler Schloss, Hannover, 4. August. Zentrum Osnabrück, 24. November. 8. Mai. „Rechtsextremismus in Karikatur und „Zur Zukunft der Gedenkstättenarbeit „Gedenkstättenarbeit in Nieder­ Satire.“ Ansprache zur Eröffnung der in Niedersachsen“. Vortrag bei der sachsen.“ Vortrag in der Volkshoch­ gleichnamigen Ausstellung der CD-­ Herbsttagung des DIZ Emslandlager, schule Lüneburg, 10. Mai. Kaserne Celle in Holzminden, 25. November. Gutachten „Konzeption der Gedenk- 1. September. „Bergen-Belsen: Historia y memoria”. stätte Landsberg“. Vortrag vor dem „Buchenwald: Geschichte und Re­ Vortrag in der Jüdischen Gemeinde wissenschaftlichen Beirat der Stiftung präsentation“. Vortrag bei der IG Metall Santiago de Chile, 12. Dezember. Bayerische Gedenkstätten in München, Hannover, 2. September. „El uso de los archivos para la 12. Mai. „Zwischen Harz und Heide. Todesmär- construcción de un sitio de memoria”. „Zeugnisse aus Konzentrationslagern sche und Räumungstransporte im April Vortrag im Rahmen der Tagung „Colonia und ihre museale Präsentation“. Vortrag 1945“. Vortrag zur Eröffnung der gleich- Dignidad: Avanzando hacia la verdad bei der Tagung „Selbstentwürfe“ in der namigen Ausstellung in der Oberschule y historia” am Museo de la Memoria in Universität Göttingen, 2. Juni. Seesen, 5. September. Santiago de Chile, 14. Dezember. „Lernen aus heilloser Geschichte. „Gedenkstättenarbeit als gesellschaft- Ein Plädoyer für eine zukunftsfähige liche Aufgabe“. Ansprache bei der Gedenkstätte Gedenkstätte Bergen-Belsen Bergen-Belsen

Stiftung Stiftung niedersächsische niedersächsische Gedenkstätten Gedenkstätten

Halbjahresprogramm Halbjahresprogramm April bis September 2016 Oktober 2016 bis März 2017

Gedenkstätte Bergen-Belsen Gedenkstätte Bergen-Belsen Halbjahresprogramm Halbjahresprogramm April bis September 2016 Oktober 2016 bis März 2017

Wolpers, Christian Mitarbeit in Gremien 65 “The Persecution of Jews in the Netherlands”. Vortrag im Rahmen der Gödecke, Monika Bergen-Belsen International Summer Vertreterin des Bundeslandes Nieder- School, 2. August. sachsen im Zwölfergremium der Bun- Moderation des Zeitzeugengesprächs desprüfstelle für jugendgefährdende mit Frank Diamand, im Rahmen der Medien (BPjM) Bergen-Belsen International Summer Vertreterin der Stiftung niedersächsi- School, 3. August. sche Gedenkstätten beim Celler Netz- Zum Thema “Zielgruppenspezifische werk gegen Antisemitismus Vermittlungskonzepte in der Gedenk- stättenarbeit” zwei Vorträge und zwei Kubetzky, Thomas Workshops bei der Landesarbeitsge- Vorstandsmitglied im Arbeitskreis meinschaft der Gedenkstätten in Schleswig-­ Andere Geschichte e.V., Braunschweig Holstein (LAGSH), 4. und 5. November. Wagner, Jens-Christian International Committee of the Auschwitz-Birkenau Foundation, Warschau Fachbeirat des Denkortes Bunker Valentin, Bremen Fachkommission der Gedenkstätte Ahlem, Hannover Stiftungsrat der Stiftung Gedenkstätte Esterwegen Fachkommission zur Neugestaltung der „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg Wissenschaftlicher Fachbeirat der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

Stiftung Projekt KogA „Kompetent gegen Antiziganismus/Antiromaismus in Geschichte und Gegenwart“

Bernd Grafe-Ulke, Tobias Neuburger, Marion Seibel, Daniel Seifert

66 Die Stiftung niedersächsische Ge- Ansatz und Zielgruppen Neben der individuellen Selbstreflexion denkstätten führt seit Juni 2015 das Pro- internalisierter Stereotype thematisieren jekt „Kompetent gegen Antiziganismus/ Wie aktuelle Studien belegen, ist der einzelne Seminare des Bildungspro- Antiromaismus (KogA) – in Geschichte Antiziganismus heute auf hohem Niveau gramms daher auch strukturelle Barrie- und Gegenwart“ durch. Es wird für den stabil. Ohne ein kritisches Geschichtsbe- ren und Formen institutioneller Diskrimi- Zeitraum 2015 bis 1019 durch das Bun- wusstsein kann das Fortleben des Antizi- nierung von Sinti und Roma. Wie können desministerium für Familie, Senioren, ganismus jedoch nicht begriffen wer- diese Barrieren erkannt und abgebaut Frauen und Jugend im Rahmen des Bun- den. Die heutige Exklusion und werden? Wie kann die Teilhabe von Sinti desprogramms „Demokratie leben!“ als Diskriminierung von Sinti und Roma und Roma in Gesellschaft, Wirtschaft Modellprojekt gefördert. Weitere Förder- muss stets vor dem Hintergrund der und Politik gestärkt werden? Solche Leit- mittelgeber sind das Referat Politische Langzeitwirkungen der Verfolgungsge- fragen sollen die Teilnehmer_innen des Bildung des Niedersächsischen Kultus- schichte, dem Völkermord im National- Bildungsprogramms zu innovativen Lö- ministeriums und die Niedersächsische sozialismus sowie der fortgesetzten sungsansätzen im Kampf gegen Antizi- Lotto-Sport-Stiftung. Stigmatisierung nach 1945 betrachtet ganismus anregen. Auf Basis des im Das Projekt zielt mit seiner Arbeit auf werden. Unsere Bildungsangebote, Se- Programm erworbenen Wissens und der den Abbau von verbreiteten Vorurteilen minare und Workshops verbinden daher vermittelten Kompetenzen bietet KogA gegenüber Sinti und Roma. Es richtet Ansätze der Gedenkstättenpädagogik einen Raum, in dem die Teilnehmer_in- sich an Mulitplikator_innen und Vertre- und der historisch-politischen Bildungs- nen die Routinen ihres beruflichen All- ter_innen verschiedener Berufsgruppen arbeit zum Nationalsozialismus mit Men- tags und Arbeitsabläufe ihrer eigenen und vermittelt neben Wissen zur Thema- schenrechts- und Demokratiebildung. Institution beleuchten können, um sich tik Antiziganismus insbesondere berufs- Ausgehend von diesem Zugang wurde wirkungsvoll im eigenen Berufsfeld ge- praktische Handlungskompetenzen ge- im Rahmen des Projekts KogA ein gen Antiziganismus einzusetzen. gen Diskriminierung. Die Stiftung Bildungsprogramm entwickelt, das die niedersächsische Gedenkstätten ver- grundlegende historische Auseinander- 2. März: Teilnehmer_innen des Bildungsprogramms 2016 folgt mit dem Projekt das Anliegen, päd- setzung mit Antiziganismus um gegen- bei einer Themenführung auf dem Gelände des ehemali- agogische Angebote zur Bekämpfung wartsbezogene Inhalte sowie hand- gen Konzentrationslagers Bergen-Belsen • Marion Seibel des Antiziganismus zu entwickeln um lungsorientierte Ansätze und Methoden 10. Mai: Teilnehmer_innen des Bildungsprogramms 2016 bei der Seminareinheit „Antiziganismus als systemi- diese auch über den Förderzeitraum hin- der beruflichen Fort- und Weiterbildung sches Unrecht“ • Marion Seibel aus anbieten zu können. erweitert. Tabelle: Auszug aus der Evaluation des Bildungsprogramms 2016 Das Bildungsprogramm 2016 innen des Bildungsprogramms ange- Weitere Aktivitäten 2016 nommen. In diesem Zuge entstanden Das erste Jahresprogramm lief von Unterrichtseinheiten, gedenkstättenpäd- Über das modulare Bildungspro- März bis November 2016. Die Teilneh- agogische Konzepte und Entwürfe für gramm hinaus gab es weitere Aktivitä- mer_innen kamen aus dem gesamten Mitarbeiter_innenfortbildungen. Kurzbe- ten zur Bildungs-, Informations- und Öf- Bundesgebiet (von Freilassing bis Ol- schreibungen dieser Bildungseinheiten fentlichkeitsarbeit. Gemeinsam mit der denburg) und waren hauptsächlich in werden auf dem Bildungsportal http:// DGB Jugend Bremen-Elbe-Weser und Berufen der Bildungsarbeit und Sozialen geschichte-bewusst-sein.de der Stiftung der Agentur für Erwachsenenbildung Arbeit tätig. niedersächsische Gedenkstätten wurden eintägige Bildungsformate Im ersten Seminarmodul (Basismodul) veröffentlicht. konzipiert und angeboten, die aufgrund wurde gemeinsam mit Referent_innen zu geringer Anmeldungen nicht zustan- aus dem Niedersächsischen Verband Evaluation de kamen. Tobias Neuburger hielt meh- deutscher Sinti und dem Forum für Sinti rere Vorträge bei Tagungen in Budapest, und Roma Hannover Grundlagenwissen Die begleitende Evaluation aller Bukarest, Gießen und Hannover über die über die Geschichte und Verfolgungsge- Module des Bildungsangebots ergab ein Ideologiekritik des Antiziganismus und schichte der Sinti und Roma vermittelt. sehr erfreuliches Gesamtbild. Inhalte, die Herausforderungen antiziganismus- Neben dieser historischen Perspektive Methoden und Materialien sowie die Or- kritischer Bildungsarbeit. Im November waren Funktionsweisen von Stereo­ ganisation des Bildungsprogramms wur- wurde in Kooperation mit Thomas Munt- typenbildung und Mechanismen von den überwiegend positiv beurteilt. So- schick vom Hildesheimer Regionalradio- gruppenbezogener Menschenfeindlich- wohl die Zufriedenheit mit den Modulen sender „Radio Tonkuhle“ ein Feature zur keit Gegenstand dieses Seminars. Ein und Seminareinheiten als auch der un- Thematik und zum Projekt aufgezeichnet starker Fokus wurde hier zudem auf die mittelbare berufliche Nutzen des Bil- und ausgestrahlt. Das Radiofeature steht Reflexion von und Sensibilisierung für dungsprogramms wurde in über 90 Pro- über das Bildungsportal http://geschich- eigene Vorurteile gelegt. zent der Fälle mit „sehr zufrieden“ oder te-bewusst-sein.de/koga zur Verfügung. Das zweite Seminarmodul (Aufbau­ „zufrieden“ bewertet. modul) fand in den Räumen der Agentur Für die erfolgreiche Umsetzung des Das Bildungsprogramm 2017 für Erwachsenen- und Weiterbildung in Bildungsprogramms sind die Kooperati- Hannover statt. Hier lag der inhaltliche on mit und der Einbezug von Akteur_­ In den kommenden Jahren wird das Fokus auf der gegenwärtigen sozialen, innen aus Selbstorganisationen der Sinti Bildungsprogramm mit dem Titel „Kom- rechtlichen und politischen Situation und Roma zentral. Ein besonderer Dank petent gegen Diskriminierung von Sinti von Roma und Sinti in Deutschland und gilt daher neben allen Beteiligten unse- und Roma“ für weitere Berufsgruppen Europa. Im direkten mit Austausch mit ren Referent_innen der Niedersächsi- zielgruppenspezifisch adaptiert und ange- Vertreter_innen der Minderheiten wur- schen Beratungsstelle für Sinti und boten. 2017 richtet es sich vorrangig an den Fragen nach der (alltäglichen) Roma (Djevdet Berisa, Boris Erchen­ Mitarbeiter_innen aus den Bereichen staat- ­ Lebensgestaltung angesichts multipler brecher, Manja Schuecker-Weiss), Mario licher Institutionen, öffentlicher Verwal- 67 Formen von Diskriminierung themati- Franz vom Osnabrücker Verein Maro tung und kommunaler Behörden. Das Bil- siert. Gemeinsam mit Dzoni Sichel- Dromm–Sui Generis, dem Sprach- und dungsangebot folgt in seiner Grundstruk- schmidt konzipierte das Projektteam Kulturmittler Dzoni Sichelschmidt von tur dem Programm 2016. Um den Be-­ Seminareinheiten zur strukturellen Dis- der Hamburger Stadtteilschule am darfen und Interessen der neuen beruf­ kriminierung und Bildungssituation von Hafen, Samantha Rose vom Forum für lichen Zielgruppe gerecht werden zu kön- Sinti und Roma sowie zu antiziganisti- Sinti und Roma in Hannover sowie Kenan nen, werden neue Inhalte in das Bildungs- scher Stigmatisierung im Kontext von Emini von unserem Partnerprojekt programm aufgenommen. Informationen Flucht und Migration. „Roma Antidiscrimination Network zum Programm, den Zielsetzungen, Die Vermittlung von Handlungskom- (RAN)“ des Roma Center Göttingen. Wir Inhalten und Terminen stehen unter petenzen gegen Antiziganismus stellte werden im Rahmen des Bildungspro- http://geschichte-bewusst-sein.de/koga den thematischen Schwerpunkt des drit- gramms 2017 diese enge Zusammenar- zur Verfügung. ten Seminarmoduls (Vertiefungsmodul) beit mit Vertreter_innen aus den com- dar, das am Gustav Stresemann Institut munities fortsetzen und weiter vertiefen. in Bad Bevensen stattfand. Gemeinsam mit Expert_innen und Praktiker_innen aus Verbänden, Beratungsstellen und Schule wurden innovative Ansätze, Kon- zepte und Methoden in der Sozial- und Bildungsarbeit, der vorurteilsbewussten sowie gewalt- und diskriminierungsfrei- en Kommunikation, Beratung und Unter- stützung vorgestellt und diskutiert. Im abschließenden Praxismodul hat- ten die Teilnehmenden die Möglichkeit, eine Eigenleistung zu präsentieren. Das Angebot, selbst entwickelte Bildungs- einheiten gemeinsam in den Räumen der VHS Celle zu besprechen und zu ­diskutieren, wurde von acht Teilnehmer_­

Stiftung Vermittlung, Bildung und Pädagogik in der Arbeit der Stiftung

Katrin Unger, Christian Wolpers

68 Kooperation mit der Bergen-Belsen fand im September die angeboten und -formaten an Gedenk­- Gedenkstätte Yad Vashem eigentliche Fortbildung in Israel statt. stätten in Niedersachsen gezogen. Der Die teilnehmenden Lehrkräfte lernten Wert der Zusammenarbeit von schuli- Für die Weiterentwicklung der Bil- die Bildungskonzepte der Gedenkstätte scher Bildung und spezifischen Vermitt- dungsarbeit der Stiftung niedersächsi- Yad Vashem kennen, und ein weiterer, lungsinhalten in außerschulischen Lern- sche Gedenkstätten brachte das Jahr kürzerer, Besuch galt der bei Haifa ge­ orten wie Gedenkstätten wurde dabei 2016 zwei wichtige Daten. Am 26. Mai legenen Gedenkstätte Beit Lohamej auf zwei Ebenen gesehen. Zum einen unterzeichnete Kultusministerin Frauke haGeta’ot, dem Haus der Ghettokämp- bieten Gedenkstätten zumeist regional- Heiligenstadt in Hannover für das Land fer. Beide Besuche waren von intensiven spezifische, stets aber ortsspezifische, Niedersachsen eine Kooperationsverein- Fachgesprächen und Diskussionen ge- Zugänge gleichsam als Fenster in die barung mit der Gedenkstätte Yad Vashem kennzeichnet, die Möglichkeiten des Ver- Geschichte, die neben den jeweils vor- in Jerusalem/Israel, und am 11. August gleichs mit der Bildungsarbeit an nieder- handenen faktischen Inhalten auch eine beschloss der niedersächsische Landtag sächsischen Gedenkstätten eröffneten. empathische Zugangsebene bieten. Für u.a. deren inhaltliche Ausgestaltung, an Unter den Teilnehmer_innen waren die (Weiter-)Entwicklung didaktischer der die Bildungsarbeit der Stiftung nie- Lehrkräfte, die für die Bildungsarbeit an und methodischer Konzeptionen, die ih- dersächsische Gedenkstätten einen den Gedenkstätten Bergen-Belsen, Drütte, ren Ausdruck in unterschiedlichen For- wesentlichen Anteil haben soll. Moringen, Lager Sandbostel und an der maten an Gedenkstätten finden, ist die Kernpunkte der Vereinbarung sind der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel schulische Bildungsarbeit unerlässlich, Austausch von Bildungskonzeptionen abgeordnet sind. Dass sie als kompetente da sie die Anschlussfähigkeit an die in- und das Lernen voneinander. In Zusam- Ansprechpartner_innen sowohl für die haltlichen Kontexte der Gedenkstätten menarbeit mit dem Kultusministerium anderen teilnehmenden Lehrkräfte aus herstellt, und umgekehrt können Ge- und dem Niedersächsischen Landesins- Deutschland wie für die Gedenkstätten- denkstätten die schulischerseits ver­ titut für schulische Qualitätsentwicklung kolleg_innen aus Israel zur Verfügung mittelten Inhalte spezifizieren und (NLQ) entwickelte die Stiftung nieder- standen, war für die Gespräche von konkretisieren. sächsische Gedenkstätten unter Feder- großer Bedeutung. Von 2017 an wird die Stiftung nieder- führung von Katrin Unger und Christian Aus den Begegnungen und Erfahrun- sächsische Gedenkstätten in einer Wolpers eine Lehrer_innenfortbildung gen in Israel wurden Ende November Arbeitsgruppe mit Lehrkräften und in Israel, um die neue Kooperation mit bei einem Nachbereitungsseminar Rück- Leben zu füllen. Nach einem Vorberei- schlüsse auf schulische Wünsche hin- Besuch des Kibbuz Beit Lohamej haGeta’ot / Ghetto tungstag im Juni in der Gedenkstätte sichtlich der Entwicklung von Bildungs- Fighters' House in West-Galiläa • Katrin Unger Gedenkstättenpädagog_innen beider- und der von ihr geförderten Gedenkstät- 69 seitige Bedarfe für die weitere Verzah- ten im Lande an sowie zu Themen, die nung der Zusammenarbeit ermitteln in Bildungskontexten von allgemeinem und konkretisieren und zusammen mit Interesse sind oder sein können. Das verschiedenen niedersächsischen Ge- Angebot richtet sich an Nutzer_innen, denkstätten Konzepte entwickeln, die die die an Bildungsarbeit zu Themen des historischen Erfahrungen von Ausgren- Nationalsozialismus interessiert sind zung, Entrechtung und gruppenbezoge- oder selbst zu solchen Themen arbeiten. ner Menschenfeindlichkeit für die histo- Die Website wurde seither sowohl in- risch-politische Bildungsarbeit in Gedenk-­ haltlich wie auch thematisch weiterent- stätten und anderen außerschulischen wickelt. Zunehmend werden Hinweise Bildungseinrichtungen wie auch in nie- für den Besuch niedersächsischer Ge- dersächsischen Schulen aufgreifen und denkstätten gegeben, und die Inhalte – nutzbar machen. insbesondere Biografien – der Online- Unter Berücksichtigung der Rückmel- Ausstellung „Deportationen aus Nord­- dungen der Teilnehmenden wird es zu- westdeutschland“ werden in einem dem eine Weiterentwicklung des Kon- neuen Format für Bildungszwecke nutz- zeptes der Fortbildungsreise nach Israel bar gemacht. Materialien, die zahlreiche geben, die den Blick auf Erinnerungskul- ehrenamtliche Beiträger_innen für die- turen in Israel und Deutschland weiten ses Projekt erarbeitet haben, sind auf und spezifizieren wird. der Website eingestellt und können für unterrichtliche Zwecke verwendet Geschichte.Bewusst.Sein. werden. (http://geschichte-bewusst-sein.de)

Exkursion in die Altstadt Jerusalem • Katrin Unger Seit Januar 2015 bietet die Stiftung „A Calendar for Life“: Workshop zur Geschichte der niedersächsische Gedenkstätten auf der Familie Herschel, Zeitzeugengespräch mit Tswi Herschel Bildungs- und Informationswebsite „Ge- • Katrin Unger schichte.Bewusst.Sein.de“ Informatio- Besuch der Dauerausstellung des Kibbuz Beit Lohamej haGeta’ot / Ghetto Fighters' House in West-Galilä nen zu Bildungsangeboten der Stiftung • Foto Katrin Unger

Stiftung Gedenkstätte Bergen-Belsen

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Gedenkstätte Bergen-Belsen Gedenkstätte Bergen-Belsen

Thomas Rahe, Katrin Unger, Jens-Christian Wagner

72 Zu den Besonderheiten der Geschichte schaftlichen Workshop zur Geschichte Die große Zahl von Überlebenden, die Bergen-Belsens gehört die enge Verbin- der Displaced Persons im Nachkriegs- als Kinder im Konzentrationslager Bergen-­ dung der Geschichte des Konzentrati- deutschland wurden neue Forschungs- Belsen gewesen waren, ermöglichte es onslagers Bergen-Belsen mit dem bis ergebnisse und Quellenbestände vorge- auch 2016, weitere lebensgeschichtliche Mitte 1950 bestehenden Camp für Dis- stellt und Perspektiven der künftigen Videointerviews mit Child Survivors zu placed Persons in der nahegelegenen DP-Forschung diskutiert. Die geplante führen. Der mittlerweile etwa 120 ge- Kaserne Bergen-Hohne. Dies spiegelte Nutzung des Kasernengebäudes MB 89, wachsene Bestand von Videointerviews sich 2016 in der Arbeit der beiden Abtei- das sowohl zur Unterbringung von Häft- mit Child Survivors aus Bergen-Belsen – lungen „Bildung und Begegnung“ wie lingen des KZ Bergen-Belsen als auch einem der größten in Europa aufgezeich- „Forschung und Dokumentation“ eben- für das DP-Camp Bergen-Belsen genutzt neten Bestand dieser Art – bildet eine so wider wie in ihrem Veranstaltungs­- worden ist, wird der Arbeit der Gedenk- zentrale Grundlage für künftige differen- programm. stätte in diesem Zusammenhang künftig zierte Dokumentationen der Geschichte Mit einem Gedenkkonzert zu Ehren zusätzliche Optionen eröffnen. von Kindern im KZ Bergen-Belsen wie Yehudi Menuhins im „Roundhouse“, Zu den größeren Veranstaltungen auch für die Bildungsarbeit zu dieser dem in der Geschichte des DP-Camps zählte 2016 zudem der 71. Jahrestag der Thematik. wichtigsten Gebäude in der Kaserne, Lagerbefreiung. Er wurde am 17. April Die Verzeichnung und Auswertung wurde an das Konzert erinnert, das begangen. Inhaltlicher Schwerpunkt war namensbezogener Quellen ist seit vielen Yehudi Menuhin und Benjamin Britten die justizielle Auseinandersetzung mit Jahren eine Kernaufgabe von KZ-Ge- hier wenige Wochen nach der Befreiung den NS-Verbrechen. Dazu sprachen denkstätten. Welcher Stellenwert dieser für die Überlebenden des KZ Bergen- während der Gedenkveranstaltung Anita Aufgabe zukommt und welche Bedeu- Belsen gegeben haben. Gäste des Kon- Lasker-Wallfisch (Überlebende und Zeu- tung gerade hier die nationale und inter- zertes waren u.a. Ministerpräsident gin im Lüneburger Belsen-Prozess von nationale Kooperation hat, machte die Stephan Weil, der ehemalige Präsident 1945) und der Jurist Prof. Menachem internationale Datenbanktagung deut- des Europaparlaments Enrique Barón Rosensaft (Sohn zweier Bergen-Belsen- lich, zu der sich 2016 Teilnehmer_innen Crespo und der amerikanische General- Überlebender). Redebeiträge leisteten aus elf Staaten in der Gedenkstätte konsul Richard Tsutomu Yoneoka und zudem u.a. Kultusministerin Frauke Bergen-Belsen trafen. Auch die unver- Yehudi Menuhins Tochter, Zamira Heiligenstadt, Jochi Ritz-Olewski (Irgun mindert hohe Zahl von namensbezoge- Menuhin-Benthall. She‘erit Hapleita, Israel) und die FSJ- nen Anfragen, vor allem von Angehöri- In einem von der Gedenkstätte Freiwillige Katja Fiedler. gen ehemaliger Häftlinge, die die Bergen-­Belsen ausgerichteten wissen- Gedenkstätte auch 2016 erreichten, belegt die Bedeutung dieses Arbeitsbe- öffentlichen Diskurs über dieses Thema. Thema „Perspectives on Memory: Re- reichs im Überschneidungsfeld von his- Oft ist es jedoch partikulares Wissen, search, Testimonies and the Media“ zu torischer Forschung und humanitären unzureichend bezüglich der Bandbreite beschäftigen. Eingeladene Gäste waren Aufgaben. der NS-Verbrechen. Bergen-Belsen war Expert_innen aus der Wissenschaft wie Mit der Erweiterung des Sammlungs- Teil eines verbrecherischen, in der deut- zum Beispiel Aleida Assmann und Evelin bestandes und seiner detaillierteren Ver- schen Gesellschaft fest verankerten Gans oder der Bergen-Belsen-Überle- zeichnung hat in den vergangenen Jah- Systems, dem Juden, politische Gegner bende und Filmemacher Frank Diamand. ren die Attraktivität dieser Sammlung aus allen Teilen Europas, Sinti und Bemerkenswert war 2016 die große für externe Forschungs- und Dokumen- Roma, Kriegsgefangene, Zwangsarbei- Nachfrage von Praktikumsplätzen in der tationsvorhaben zugenommen, die sich ter_innen, Kranke, sozial Ausgegrenzte, Gedenkstätte Bergen-Belsen. Zahlreiche auch 2016 in einer hohen Zahl von Nut- Homosexuelle, Zeugen Jehovas und Zusagen für mehrwöchige wie mehrmo- zer_innen des Archivs und vielen ex­ andere zum Opfer fielen. natige Praktika konnten sowohl Schüle- ternen Anfragen widerspiegelte. Der Oftmals schwingen beim Besuch von rinnen und Schülern wie auch Studie- Schwerpunkt der Neuerwerbungen lag Gedenkstätten moralische Erwartungen renden verschiedener Fachrichtungen auf Fotos und publizistischen Quellen zu Einstellungen und Haltungen mit. gegeben werden. Die Praktika umfassen zur Geschichte des DP-Camps Bergen- ­ Dies alles hat, insbesondere im Zusam- neben dem Kennenlernen der komple- Belsen. menhang, vor Ort direkte Auswirkungen xen Geschichte des Ortes Einblicke in Mit dem nahenden Ende der Zeitzeug_ auf die Bildungs- und Vermittlungsar- alle Arbeitsbereiche. Darüber hinaus innenschaft und dem wachsenden zeit­ beit. Orte ehemaliger nationalsozialisti- werden inhaltliche Schwerpunkte nach lichen Abstand zu den Ereignissen der scher Lager haben eine spezifische Sig- den Interessen der Praktikantinnen und Jahre 1933 bis 1945 wird in Öffentlich- nifikanz. Dort finden sich Zeugnisse und Praktikanten gesetzt. keit, Wissenschaft und Praxis der Bil- Zeichen des Geschehenen und Spuren Zu den großen, auch finanziell auf- dungsarbeit regelmäßig die Frage nach dessen, wie seither damit umgegangen wändigen Aufgaben, vor die sich die der Zukunft der Erinnerung gestellt. wurde. Zudem sind solche Orte unbe- Gedenkstätte auch in den kommenden Doch an wen, weshalb und wie erinnern quem, da sie mitgebrachte Vorstellun- Jahren gestellt sieht, zählt die Sichtbar- wir in Zukunft, wenn es um den Natio- gen in Frage stellen. Hierdurch eröffnen machung und konservatorische Siche- nalsozialismus, sein gesellschaftliches sich Möglichkeiten, bestimmte Erwar- rung der baulichen Überreste des ehe- ­ System und insbesondere um die Men- tungen zu hinterfragen und ihnen ggf. maligen Kriegsgefangenen- und Konzen- schen geht, die den Verbrechen zum zu widersprechen. trationslagers Bergen-Belsen, aber auch Opfer gefallen sind? „Erinnerung“ in Die Bildungsarbeit in der Gedenkstätte die Sanierung der Massengräber und diesem Sinne meint immer schon nicht möchte Prozesse der Auseinanderset- Denkmäler auf dem Gelände der heuti- bloß den Erhalt, also die Verbreitung des zung und Aufklärung anstoßen. Eigene gen Gedenkstätte. 2016 standen in die- Wissens über die Verbrechen während Standpunkte zu finden und fundierte sem Zusammenhang die Gestaltung des Nationalsozialismus, sondern ver- Haltungen auszubilden, soll ermöglicht und konservatorische Maßnahmen am bindet dieses Wissen mit verschiedenen werden. Das Bildungsziel ist – fernab Standort des früheren Desinfektions­ 73 moralischen und politischen Botschaf- moralisierender Erwartungen – Erken- gebäudes im Vordergrund. ten und Erwartungen, Sinnstiftungen nen statt Bekenntnis, und dies ist nicht Unter den Veröffentlichungen zur Ge- und erzieherischen Anliegen, die im denkbar ohne ein ethisch fundiertes kri- schichte Bergen-Belsens ist insbesondere öffentlichen Diskurs mit dem Thema tisches Geschichtsbewusstsein, das his- die Edition einer englischsprachigen verknüpft sind und mit denen sich die torisches Urteilvermögen voraussetzt. Fassung von Abel Herzbergs „Amor Bildungsarbeit in Gedenkstätten kritisch In diesem Sinne wurde 2016 das An­ Fati“ zu nennen, eine Sammlung von auseinandersetzen muss. gebot an Themen und Formaten der Bil- Aufsätzen zum KZ Bergen-Belsen, die Die Abteilung Bildung und Begegnung dungsarbeit, die auch in der Broschüre Herzberg, der in Bergen-Belsen auch ein der Gedenkstätte Bergen-Belsen nimmt „Bildung und Begegnung in der Gedenk- Häftlingstagebuch verfasste, seit Sep- diese Fragen wahr und beschäftigt sich stätte Bergen-Belsen“ vorgestellt wer- tember 1945 veröffentlicht hatte. Damit intensiv mit ihnen. Dies bedeutet, wei- den, weiter entwickelt. Dies ist auch entspricht die Gedenkstätte auch dem terhin präzise darzustellen, welche Ver- durch einen wachsenden Kreis von Ko- internationalen Interesse an der Ge- brechen wo, gegen wen und von wem operations- und Projektpartner möglich. schichte des KZ Bergen-Belsen und dem begangen wurden. Dies heißt ebenfalls, So konnte durch die Finanzierung des hohen Anteil an ausländischen, zumeist mit Besucher_innen gemeinsam festzu- Goethe-Instituts die deutsch-ukrainisch- englischsprachigen Besuchern. stellen, welche Aktualität und Relevanz ungarische Begegnung „Geschichte be- diese Verbrechen heute noch haben. ginnt in der Familie…“ für Jugendliche Schließlich bedeutet es auch, für Besu- umgesetzt werden. Die unterzeichnete cherinnen und Besucher die Gedenk­ Absichtserklärung zur Kooperation des stätten selbst als überformte historische Landes Niedersachsens mit der Gedenk- Orte und als „Produkte“ einer Vergan- stätte Yad Vashem ermöglichte zudem genheits- und Erinnerungskultur lesbar einen weiteren Fachkräfteaustausch im zu machen. Viele, vor allem Jüngere, be- Rahmen einer Fortbildungsfahrt für nie- suchen NS-Gedenkstätten mit einem dersächsische Multiplikator_innen aus meist unsystematischen Wissen über Schulen. Ebenso bot die 3. Bergen-­ die Jahre 1933 bis 1945. Die Kenntnisse Belsen International Summer School über die NS-Verbrechen speisen sich unter dem Titel „Memory in the Digital aus in der Schule Vermitteltem, aus der Age“ zwanzig Studierenden die Möglich- großen medialen Präsenz und dem keit, sich schwerpunktmäßig mit dem

Gedenkstätte Bergen-Belsen Gedenkkonzert zu Ehren Yehudi Menuhins

Thomas Rahe

74 Der Violinist Yehudi Menuhin und der Menuhin-Benthall, der ehemalige Präsi- Komponist und Pianist Benjamin Britten dent des Europaparlaments Enrique hatten am 27. Juli 1945 im DP-Camp Barón Crespo, der amerikanische Gene- Bergen-Belsen zwei Konzerte für Über­ ralkonsul Richard Tsutomu Yoneoka und lebende der nationalsozialistischen Ver- der niedersächsische Ministerpräsident folgung gegeben. Für viele von ihnen Stephan Weil, spielten der junge ukraini- war es nach Jahren des Überlebens- sche Geiger Aleksey Semenenko und die kampfes und der Entwürdigung ein russische Pianistin Inna Firsova, beide unvergessliches kulturelles Erlebnis. mehrfach Preisträger nationaler und Im Gedenken an dieses außergewöhn­ internationaler Musikwettbewerbe. Mit liche Konzert und aus Anlass des ihrer Zugabe, dem „Kaddisch“ von Mau- 100. Geburtstages von Yehudi Menuhin rice Ravel, setzten sie auf eindrucksvolle richtete die Internationale Yehudi Menuhin Weise ein Zeichen des Gedenkens an die Stiftung am 28. August 2016 ein Kon- Opfer der nationalsozialistischen Ver­- zert zu Ehren ihres Gründers aus. folgung. Es fand an genau dem historischen Ort Eine Ausstellung mit Gemälden der statt, an dem auch Menuhin und Britten in Guernica geborenen und kürzlich ver- gespielt hatten: in der ehemaligen Offi- storbenen spanischen Künstlerin Sofia ziersmesse des Truppenübungsplatzes Gandarias, die sich mit den humanisti- Bergen-Hohne, dem „Roundhouse“ (so schen Idealen Yehudi Menuhins eng bezeichnet von der britischen Armee), verbunden fühlte, fand zeitgleich statt. das von 1945 bis1950 das politische und Unter dem Titel „Kafka, der Visionär“ kulturelle Zentrum des jüdischen DP- wurden in der Gedenkstätte Bergen- Camps Bergen-Belsen war. Belsen mehrere ihrer Arbeiten gezeigt, Die Auswahl der Stücke, u.a. von in denen Opfer und Überlebende des Bach, Beethoven und Debussy, orientier- Holocaust ebenso zu sehen sind wie – te sich an dem Programm vom Juli 1945, in Korrespondenz dazu – Franz Kafka das sich zum Teil rekonstruieren ließ. und seine Visionen eines gewalttätigen Vor etwa 280 Zuhörern, unter ihnen auch Jahrhunderts. Aleksey Semeneko (Violine) und Inna Firsova (Klavier) beim Gedenkkonzert im „Roundhouse“ am 28. August die Tochter Yehudi Menuhins, Zamira • Martin Bein Relikte des früheren Desinfektionsgebäudes in der Gedenkstätte Bergen-Belsen sichtbar gemacht

Juliane Hummel

Dank Sondermitteln des Niedersächsi- Der Ort spielt dementsprechend in der Projekt GmbH, die auf archäologische 75 schen Ministeriums für Wissenschaft Vermittlung der Geschichte des Lagers Ausgrabungen spezialisiert ist und im und Kultur in Höhe von 102.000 Euro, die eine wichtige Rolle. Um dem gerecht zu anspruchsvollen Tätigkeitsfeld der zeit- das Staatliche Baumanagement Lüne- werden, war eine anschauliche Gestal- geschichtlichen Archäologie auf viele burger Heide einwerben konnte, gelang tung des Platzes unabdingbar. Bisher Referenzen verweisen kann. Dank der es 2016, auf dem früheren Lagerareal war zum Beispiel nur ein Teil der enor- Beteiligung einer solchen Spezialfirma von Bergen-Belsen ein seit Langem ge- men Grundfläche des Gebäudes sicht- konnte im Rahmen der Maßnahme nicht hegtes Vorhaben zu realisieren: Der bar. Nun liegen die kompletten erhalte- zuletzt auch eine profunde wissenschaft- Standort des früheren Desinfektionsge- nen Strukturen mit ihren Raumein- ­ liche Dokumentation der archäologi- bäudes wurde zu einer anschaulichen teilungen offen. schen Reste des Bauwerks gewährleistet und gärtnerisch pflegeleichten Anlage Mit der Maßnahme wurden zugleich werden. umgestaltet. Vorkehrungen geschaffen, um die erhal- Im Denkmalensemble der Gedenkstätte tenen, oft kleinteiligen baulichen Struk- besitzen die baulichen Relikte dieses Ge- turen besser vor Witterungseinflüssen bäudes einen besonderen Stellenwert, und entsprechendem Verfall zu schüt- denn die erhaltenen Fundamente und zen. Darüber hinaus sind nun optimale baulichen Anlagen sind auf dem Gelände, Voraussetzungen für eine kostensparende das ansonsten nur über wenige bauliche gärtnerische Pflege der Anlage ge­- Relikte verfügt, die eindrucksvollsten. Das schaffen. 1942 erbaute, 900 Quadratmeter große Die Maßnahme wurde von Detlef Gebäude, in dem mittels Heißluftverfah- Köppen-Potzauf, Staatliches Bauma- ren die Kleidung der Kriegsgefangenen nagement Lüneburger Heide, projektiert. und KZ-Häftlinge desinfiziert wurde und Planungen und Bauleitung übernahmen in dem außerdem das zentrale Duschbad die Verdener Garten- und Landschafts- des Lagers untergebracht war, steht als architekten Horeis + Blatt, und die bauliches Relikt exemplarisch für die ent- Garten- und Landschaftsbaufirma würdigenden und krankheitsfördernden Mull & Ohlendorf aus Walsrode führte Prozeduren des Lagerbetriebs. Viele die Arbeiten aus. Die archäologische Überlebende schildern die Vorgänge in Baubegleitung und Dokumentation Bauarbeiten im Standort des früheren Desinfektions­ gebäudes des Lagers Bergen-Belsen im November 2016 dem Gebäude als entsetzlich. übernahm die Grabungsfirma Arcontor • Juliane Hummel

Gedenkstätte Bergen-Belsen Projekt Systematische Erfassung des historiografischen und archäologischen Kenntnisstandes zur Zahl und zu den Grablagen der Todesopfer von Bergen-Belsen

Katja Seybold

76 Immer wieder wird die Gedenkstätte In einem ersten Schritt wurden die bereits Ende des Jahres 1943 existierte, Bergen-Belsen von Besucherinnen und Bestände des Archivs der Gedenkstätte liefert Klara Samuels (Jg. 1927). Samuels Besuchern mit der Frage konfrontiert, Bergen-Belsen durchgesehen. Insbeson- war ab Juli 1943 gemeinsam mit ihren wo die Toten des Konzentrationslagers dere Zeitzeugenberichte, Fotografien, Eltern Häftling im sogenannten Sonder- bestattet wurden. Hintergrund der Nach- Dokumente aus der Zeit des Konzentrati- lager des Austauschlagers Bergen-­ fragen ist u.a. der Umstand, dass die Ge- onslagers, der Zeit nach der Befreiung Belsen. Aufgrund eines Darmverschlus- samtzahl der Toten mit etwa 52.000 an- und zur Gestaltung der Gedenkstätte ses kam die Mutter Rosa Salamon in ein gegeben wird, die Inschriften auf den standen dabei im Zentrum des Inte­- Krankenhaus nach Celle. Dort verstarb Massengräbern aber „nur“ 23.200 Tote resses. sie während der Operation am 13. De- ausweisen. Diese Differenz wirft Fragen In einem zweiten Schritt sollen die zember 1943.2 Die Tochter erinnert sich: auf: Wann und wo wurden zwischen Recherchen auf nationale und internatio- The next day my mother’s body was 1943 und 1945 die Todesopfer aus dem nale Archive ausgeweitet werden. removed and burned in the camp KZ Bergen-Belsen bestattet; wo liegen crematorium.”3 ihre sterblichen Überreste heute? Hier- Erste Ergebnisse auf würden auch Angehörige sicher Krematorium gern eine Antwort erhalten. Die Stiftung niedersächsische Ge- Da die SS die Lagerregistratur ver- denkstätten hat im September 2015 eine nichtet hatte, kurz bevor die britische Ar- 2 Vgl. Sterbeurkunde Rosa Salamon, Stadtarchiv Celle. systematische Auswertung aller verfüg- mee Bergen-Belsen befreite, fehlen viele 3 Klara Samuels, God does play Dice. The autobiogra- baren Quellen zur Zahl und zu den Grab- wichtige Angaben zu Zahl und Identität phy of a Holocaust survivor, Philadelphia 1999, S. 161 f. stätten der Toten des KZ Bergen-Belsen der Häftlinge, zur Sozialstruktur und eine Blick auf das spätestens Anfang der 1950 als solches kenntlich gemachte Massengrab in der Gestaltung der in Auftrag gegeben, um diese und weite- Übersicht aller Todesfälle im Lager. Dar- 1960er Jahre, 1995. • Stiftung niedersächsische Gedenk- re Fragen historiografisch zu klären. über hinaus ist unbekannt, wann das stätten/Gedenkstätte Bergen-Belsen Die Recherchen beziehen sich dabei Krematorium in Bergen-Belsen in Be- Blick auf das Massengrab Nr. 1, etwa 1946. 1 Hier wird deutlich, welche Umgestaltungen an den nicht nur auf die Todesopfer in Bergen- trieb genommen wurde. Einen Hinweis, Massengräbern in den letzten Jahrzehnten stattgefun- Belsen, sondern ebenso auf die Häftlin- dass das Krematorium vermutlich den haben. Die damals auf dem Massengrab befind­ lichen Gedenksteine stehen heute in der Nähe des ge, die während der Räumungstrans­ Jüdischen Mahnmales. Das Foto stammt aus der Samm- lung von Gregory Meisler, einem Mitarbeiter der HIAS porte in das und aus dem Konzentra­- 1 Vgl. Juliane Hummel, „Das ist das Krematorium“. (Hebrew Immigrant Aid Society), der ab Sommer 1946, tionslager verstorben sind. Bemerkungen zum Krematorium im KZ Bergen-Belsen, maßgeblich verantwortlich für die Emigration jüdischer in: Habbo Knoch/Thomas Rahe (Hrsg.), Bergen-Belsen. DPs aus der britischen Zone war. • Stiftung niedersäch­ Neue Forschungen, Göttingen 2014, S. 257-276. sische Gedenkstätten/Gedenkstätte Bergen-Belsen Als seltener Fund ist die einzige bis- Die Zahl der Todesopfer und Zwischenergebnis lang bekannte Einäscherungsurkunde der Bestatteten des Krematoriums Bergen-Belsen zu be- Es ist weiterhin unklar, ob von der SS zeichnen.4 Diese Urkunde wurde anläss- Vermutlich starben im KZ Bergen-­ noch Massengräber angelegt wurden, lich der Kremierung des am 13. Juni Belsen bis zum 15. April 1945 rund die ohne Kennzeichnung vor dem Ein- 1944 verstorbenen Häftlings Karl Basel 38.000 Häftlinge. Weitere 14.000 Men- treffen der britischen Truppen geschlos- ausgestellt. Interessant sind die Anga- schen starben nach der Befreiung vor sen wurden. Auch bislang unentdeckte ben der Einäscherungs- und Registrie- Ort an den Folgen der Haft. Aufgrund Einzelgräber lassen sich nicht ausschlie- rungsnummer, die in diesem Fall 1087 der sehr lückenhaften Quellenlage sind ßen. Die Lokalisierung der Grablagen und 1087/44 lauten. Laut der offiziell be- bislang die Namen von lediglich 10.233 und die Frage nach der Zahl der in den kannten Sterbebucheinträge für das Jahr Opfern bekannt, die im KZ Bergen-­ einzelnen Massengräbern bestatteten 1944 starben bis zum Tag der Kremie- Belsen bzw. in der unmittelbaren Zeit Toten von Bergen-Belsen wird sowohl rung Karl Basels 694 Häftlinge. Das er- nach der Befreiung dort verstorben sind.6 durch die unzureichende Quellenlage gibt eine Differenz von 373 zwischen der Zwischen der von der Forschung er- als auch durch den Umstand erschwert, Registrierungsnummer und der Anzahl mittelten Zahl von etwa 52.000 in Bergen- ­ dass sich Verantwortlichkeiten änderten der offiziell registrierten Sterbefälle bis Belsen verstorbenen Häftlingen und der und im Laufe der Jahrzehnte diverse zu diesem Datum. Die Abweichung lässt auf den Grabinschriften angegebenen landschaftliche Umgestaltungen vorge- sich bislang nicht klären und ist ebenso Zahl der bestatteten Häftlinge in Höhe nommen wurden. Gegenstand im laufenden Projekt. von 23.200 besteht eine große Differenz, Sollte es bislang nicht bekannte Grä- die sich jedoch unter Berücksichtigung ber im Gedenkstättengelände geben, Massengräber auf dem mehrerer Faktoren deutlich reduziert. ist deren Schutz sichergestellt, denn ehemaligen Lagergelände Bis einschließlich März 1945 gab es im das gesamte Areal ist als Friedhof KZ Bergen-Belsen keine Erdbestattun- ausgewiesen. Heute befinden sich insgesamt 13 als gen. Die Toten wurden im Krematorium Bei den vorgestellten Ergebnissen Massengräber gekennzeichnete Anlagen eingeäschert (bis einschließlich Februar handelt es sich ausdrücklich um einen auf dem ehemaligen Lagergelände. Elf 1945 etwa 10.600 Tote), im März 1945 zusammenfassenden Zwischenstand. davon wurden bis Ende Mai 1945 unter teilweise auch auf Scheiterhaufen ver- Genauere Angaben enthält eine Lang- britischer Aufsicht angelegt bzw. brannt (in diesem Monat starben mehr fassung des Berichtes, der auf der Web- geschlossen. als 18.000 Menschen). Anfang April 1945 site der Gedenkstätte Bergen-Belsen ab- Ein weiteres Massengrab – und das ist begann die SS, die Leichen in Massen- rufbar ist: http://bergen-belsen. ein neuer Befund – wurde spätestens gräbern verscharren zu lassen. Nach der stiftung-ng.de/fileadmin/dateien/­ Anfang der 1950er Jahre auf dem Ge­ Befreiung ließen die Briten auf dem Ge- Bergen-Belsen/Aktuell/Aktuell_ lände als solches kenntlich gemacht. lände des befreiten Lagers zusätzliche temporaer/Zwischenbericht_Grablagen_ Die genauen Umstände und Gründe Massengräber anlegen. Etwa 3500 Tote Bergen-Belsen_Januar_2017.pdf. sind bislang nicht geklärt und bedürfen wurden zudem auf dem Zelttheater­ 77 weiterer Recherche. friedhof in der Kaserne Bergen-Hohne Ein Brief eines französischen Überle- bestattet. benden vom 19. Februar 1964 an den Unklar ist bislang, ob alle Toten von französischen Minister für Kriegsteilneh- März 1945 eingeäschert bzw. verbrannt mer und -opfer hatte die Anlage bzw. wurden. Sollte dies der Fall sein (bislang Kennzeichnung eines weiteren Massen- gibt es keine Hinweise, dass es zusätz- grabes auf dem ehemaligen Lagergelän- lich auch Erdbestattungen gab), dürfte de in Bergen-Belsen zur Folge. Aus dem die Zahl der Körperbestattungen in Mas- Schreiben geht hervor, dass während sengräbern auf dem heutigen Gedenk- der Pilgerfahrten Überlebender zur Ge- stättengelände kaum mehr als 24.000 denkstätte Bergen-Belsen an einem Ort betragen haben. Diese Zahl deckt sich außerhalb des gestalteten Gedenkstät- annähernd mit den Inschriften auf den tengeländes wiederholt Asche- und Kno- gekennzeichneten Massengräbern. chenreste gefunden worden seien. Eine beigefügte Zeichnung ermöglichte eine genaue Lokalisierung nahe dem ehema- ligen Krematorium.5

4 Vgl. Einäscherungsurkunde Krematorium Bergen-­ Belsen für Karl Basel, GBBA, BT 1488.

5 Vgl. Abschrift einer deutschen Übersetzung eines 6 Vgl. Namensverzeichnis der ehemaligen Häftlinge des Briefes von dem französischen KZ-Überlebenden Geor- Konzentrationslagers Bergen-Belsen (Stand: 1.11.2016). ges Bonnet an den französischen Minister für Kriegsteil- In dieser Zahl sind nicht die Opfer enthalten, die an nehmer u. -opfer, Paris, 19.2.1964, GBBA, BA 2795. anderen Orten verstorben sind.

Gedenkstätte Bergen-Belsen Workshop Forschungen zu Displaced Persons (DP)

Thomas Rahe

78 2011 formierte sich ein internationales Rahmen akademischer Qualifikationsar- Der Landschaftsverband Westfalen- Netzwerk von Historiker_innen und Sozi- beiten mit der Geschichte der Displaced Lippe erarbeitet zurzeit eine Wanderaus- alwissenschaftler_innen, das es sich zur Persons seit dem Ende des Zweiten stellung zum Lebensalltag und zur Kultur Aufgabe gemacht hat, die Forschung Weltkriegs befassen. polnischer Displaced Persons im Nach- zu Displaced Persons insbesondere in Außer den Mitgliedern des Netzwerks kriegsdeutschland. Neben einer Projekt- Deutschland zu fördern und das öffent­ DP-Forschung, die Vorträge zu neuen vorstellung wurden im Rahmen des liche Interesse an dieser Thematik zu Forschungs- und Dokumentationsvorha- Workshops auch Möglichkeiten zu einer verstärken (www.netzwerkdpforschung. ben hielten, wurden auch Institutionen überregionalen Erarbeitung von Begleit- uni-bonn.de). Den Auftakt zu diesem angesprochen, die sich in jüngster Zeit materialien diskutiert. Vorhaben bildete im November 2011 der in diesem Bereich profiliert haben. Dies Dass die Gedenkstätte Bergen-Belsen Workshop „Dimensionen der Displaced gilt für den International Tracing Service den Workshop ausrichtete, war ist in Persons-Forschung“, der mit Unterstüt- (ITS) in Bad Arolsen, der nicht nur über mehrfacher Hinsicht naheliegend, zumal zung der Viadrina-Universität Frankfurt/ ein zentral bedeutsames Archiv für jede sie ein genuines Eigeninteresse an die- Oder im polnischen Słubice stattfand. Forschung zur Geschichte der Displaced ser Thematik hat. Mit bis zu 12.000 Be- 2013 folgte die Tagung „Dimensionen Persons verfügt, sondern auch eine wohnern war das DP-Camp Bergen- der Displaced Persons Forschung II“ Wanderausstellung zur DP-Geschichte Belsen in unmittelbarer Nähe des ehe- im Akademiezentrum Sankelmark der erarbeitet und ein Themenheft seines maligen Konzentrationslagers das mit „Academia Baltica“ bei Flensburg. Jahrbuchs zur DP-Geschichte veröffent- Abstand größte jüdische DP-Camp im Der Workshop, der vom 28. bis licht hat. Nachkriegsdeutschland. Die Daueraus- 30. Oktober 2016 in der Gedenkstätte Die niedersächsische Landesbibliothek stellung der Gedenkstätte zur Geschichte Bergen-Belsen stattfand, knüpfte an (Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek) in dieses DP-Camps ist die umfassendste diese Entwicklung an. Er sollte durch Hannover hat in den vergangenen Jah- dauerhafte Dokumentation dieser The- die Vorstellung und Diskussion neuer ren gezielt Publikationen aus den jüdi- matik in Deutschland. Die Gedenkstätte Forschungsansätze, Themen und Me- schen DP-Camps gesammelt und verfügt thoden Impulse für die DP-Forschung jetzt über den größten Einzelbestand jü- geben. Daher wandte er sich in erster discher DP-Publizistik in Deutschland. Im Linie an die im Netzwerk zusammenge- Rahmen des Workshops wurde nicht nur schlossenen Expert_innen, die sich dieser Bestand vorgestellt, sondern auch teils in institutionellem Kontext, teils Perspektiven für seine Erschließung und 29. Oktober: Führung durch die Dauerausstellung der Gedenkstätte Bergen-Belsen im Rahmen des DP-Work- als Nachwuchswissenschaftler im öffentliche Nutzbarkeit diskutiert. shops • Katja Seybold hat sich zudem auch durch die Publi­- 79 kation neuer Forschungen zur DP-Ge- schichte profiliert, so etwa mit einem Sammelband zur Publizistik in den jüdi- schen DP-Camps. Mit dem Abzug der britischen Truppen vom Truppenübungsplatz Bergen-­ Hohne, auf dessen Gelände sich das DP- Camp von 1945–1950 befand, eröffnet sich der Gedenkstätte Bergen-Belsen nun die Möglichkeit, ihre Arbeit zu die- ser Thematik auch an diesem histori- schen Ort auszuweiten. Daher fand im Rahmen des Workshops auch eine Ex- kursion in das ehemalige DP-Camp Bergen-Belsen statt, die auch zu konzep- tionellen Diskussionen zur Präsentation der Geschichte vor allem der jüdischen Displaced Persons am historischen Ort anregte.

Bericht vom ersten Kongress der befreiten Juden in der britischen Zone im September 1945, herausgegeben vom Jüdischen Zentralkomitee • Schenkung Yitzak Esther Kerbel

Gedenkstätte Bergen-Belsen Kalendarium

80 Januar

26. Januar: In Anwesenheit des Fotografen Franz Wamhof wurde die Ausstellung „On-site Visit / Ortsbegehung“ mit Bildern von Nicole Blaffert und Franz Wamhof eröffnet; sie entstand auf Gebieten des ehemaligen Lagers Bergen-Belsen und war bis Ende März zu besichtigen. März

• Nils Hunold • Salzgeber & Co. Medien GmbH

5. März: Die Teilnehmenden am eintägigen Workshop „Wir 9. März: In der Reihe „Film und Gespräch“ war der sind, was wir erinnern…“ setzten sich – u.a. anhand von Inter- Schweizer Regisseur Stefan Haupt mit seinem Dokumentar- views mit Zeitzeug_innen – mit Formen und Funktionen des film „Ein Lied für Argyris“ zu Gast. Argyris Sfountouris hatte Erinnerns und Gedenkens auseinander. als Vierjähriger ein Massaker der SS in seinem griechischen Heimatort überlebt. Die Veranstaltung fand im Apollo-Kino in Hannover statt, in Kooperation mit dem Kino und der Deutsch-Griechischen Gesellschaft Hannover e.V. Am Vormit- tag hatten Stefan Haupt und Dr. Eleni Gianiou die Gedenkstätte besucht.

81

• Gedenkstätte Bergen-Belsen • Gedenkstätte Bergen-Belsen

15. bis 25. März: 22. Internationales Jugend-Workcamp Eine britische Urlaubergruppe nutzte den Landgang zum Besuch der Gedenkstätte, als ihr Kreuzfahrtschiff im Hamburger Hafen lag. Nils Hunold (FSJ) begleitete die Gruppe.

Gedenkstätte Bergen-Belsen April

Fotos • Helge Krückeberg

82 17. April: Zum 71. Jahrestag der Befreiung fanden mehrere Gedenkfeiern statt. Die Ansprache auf dem Kriegsgefangenenfriedhof hielt Dr. Natalia Timofeeva vom Regionalzentrum für Oral History (Woronesch, Russland). Am Obelisken bzw. der Inschriftenwand sprachen u.a. Anita Lasker-Wallfisch (London) als Überlebende des KZ ­Bergen-Belsen und Zeugin im Belsen Trial 1945, der Jurist Prof. Menachem Rosensaft (New York, USA): „70 Jahre nach Nürnberg. Die justizielle Auseinandersetzung mit staatlicher Massengewalt“ und Katja Fiedler (Absolventin eines Frei­ willigen Sozialen Jahres in der Gedenkstätte): „Was mich bewegt“. Im Bild: Anita Lasker-Wallfisch Am jüdischen Mahnmal sprach Jochevet Ritz-Olewski (Tel Aviv, Israel) als Vertreterin des Überlebendenverbandes Irgun She’erit Hapleita Israel. Nachmittags wurde im Forum der Gedenkstätte die Aus- stellung „Felix Hermann Oestreicher. Gedichte aus Bergen- Belsen“ eröffnet, die bis Mitte Juni gezeigt wurde. Zur Einfüh- rung sprachen Helly Oestreicher (Foto) und Dr. Thomas Rahe. Mai

• Stephanie Billib • Nils Hunold

27. April: Landtagspräsident Bernd Busemann besuchte 21. Mai: Die Bergen-Belsen-Überlebende Dr. Yvonne Koch die Gedenkstätte und informierte sich im Gespräch mit dem berichtete aus ihrem Leben und diskutierte mit jugendlichen Geschäftsführer der Stiftung, Dr. Jens-Christian Wagner, über Teilnehmer_innen einer Gedenkstättenfahrt des Bistums den Fortgang der Außengestaltung und über die Pläne zur Hildesheim. Nutzung eines Gebäudes in der Kaserne Bergen-Hohne. 20. bis 22. Mai: „was bleibt“ war Thema eines Foto-Work- shops in der Gedenkstätte, den der Fotograf Mark Mühlhaus (attenzione photographers) leitete.

Juni 83

• Klaus Tätzler • Martina König

22. Mai: Zum Internationalen Museumstag präsentierte 12. Juni: An Anne Franks Geburtstag wurde in der Dr. Thomas Rahe das Notizbuch von Peter Sussmann, in dem Gedenkstätte ein BrassOratorium für Blechbläser, Vokalchor, der damals Sechzehnjährige jüdische Häftling im KZ Bergen- Percussion und zwei Sprecher aufgeführt, das Marita und Belsen heimlich sein Tagebuch geführt hatte. Das Exponat Reinhard Gramm unter dem Titel „Anne! Damit wir klug wer- befindet sich in der Sammlung der Gedenkstätte. den – Das kurze Leben der Anne Frank“ komponiert haben.

Gedenkstätte Bergen-Belsen • STUDIOCANAL GmbH, Berlin • Wallstein-Verlag

22. Juni: Am 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf 30. Juni: Dr. Frank Reuter behandelte unter dem Thema die Sowjetunion wurde Michael Verhoevens Dokumentarfilm „Der Bann des Fremden. Die fotografische Konstruktion des „Der unbekannte Soldat – Was hast du im Krieg gemacht, ‚Zigeuners‘“. Die Veranstaltung erfolgte als Kooperation mit Vater?“ in der Reihe „Film und Gespräch“ gezeigt. Die Ver­ dem Historischen Museum Hannover. anstaltung fand in Anwesenheit der Co-Regisseurin Luise Lindermair in Kooperation mit dem Kino am Raschplatz (Hannover) statt.

84 Juli August

2. Juli: Eine Gruppe US-amerikanischer Lehrer_innen besuchte die Gedenkstätte im Rahmen des Holocaust and Jewish Resistance Teachers Programme (HAJRTP).

• Karen Bähr

1. bis 7. August: 20 Studierende aus Deutschland, Großbri- tannien, Kanada, den Niederlanden, Polen, Serbien, der Ukraine, Ungarn und den USA nahmen an der 3. Bergen-Belsen International Summer School teil; Schwerpunktthema war „Perspectives on Memory: Research, Testimonies, and the Media“. • Martin Bein • Martin Bein

24. August: Die Eröffnung einer Ausstellung mit Bildern 28. August: Aus Anlass von Yehudi Menuhins 100. Geburts- der spanischen Malerin Sofia Gandarias: „Kafka, der Visionär“ tag fand am historischen Ort (Roundhouse) und in Anwesen- wurde umrahmt mit traditioneller Musik auf Jiddisch, Ladino heit von Menuhins Tochter ein Konzert statt. Teile des Pro- und Hebräisch. V.l.: Ernesto Wildbaum (Geige), Nora Uster- gramms entsprachen einem Konzert, das Menuhin selbst man (Sopran), Dr. Jens-Christian Wagner (Geschäftsführer zusammen mit dem Pianisten Benjamin Britten hier am der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten), Dr. Rosa 27. Juli 1945 für die KZ-Überlebenden gegeben hatte. V.l.: Velásquez Alvarez, Kulturattaché und Vertreterin der spani- die russische Pianistin Inna Firsova, Zamira Menuhin-Benthall schen Botschaft, Enrique Barón Crespo (ehem. Präsident und der ukrainische Geiger Aleksey Semenenko des EU-Parlaments), Shirley Kutner (Alt) und Luis Ricoy (Klavier).

September 85

• Katrin Unger • Ilka Witte

11. September: Zum „Tag des offenen Denkmals“ bestand 20. September: Eine Gruppe buddhistischer Würdenträger Gelegenheit zu Rundgang und Busexkursion zu baulichen besuchte die Gedenkstätte und hielt Friedensgebete ab. Überresten des ehemaligen KZ und des früheren DP-Camps Bergen-Belsen auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Bergen-Hohne.

Gedenkstätte Bergen-Belsen Oktober

• Helmut Krohne • Martin Bein

25. September: Die Theaterinitiative Bühnensturm war in 5. Oktober: Die frühere Cafeteria (Heideküche Schulz der Gedenkstätte zu Gast mit ihrem Stück „Moshes zweites GmbH) der Gedenkstätte wurde als Museumscafé mit neuem Leben“, das auf Erinnerungen von Moshe Oster und Josef Pächter eröffnet. Dreilinger basiert, zwei jungen Überlebenden des KZ Bergen- Belsen. V.l.: Gerrit Neuhaus, Andreas Daniel Müller und Hanna Legatis

86

• Monika Brockhaus

18. Oktober: Enno Stünkel (Celle) befasste sich in seinem 19. Oktober: Infotag für Studienseminar- und Fach­ Vortrag mit „‘Gefühlserbschaften?‘ Spuren des Antisemitis- bereichsleitungen der Fächer Kunst, Deutsch, Religion, mus nach 1945“. Die Veranstaltung fand statt in Kooperation Englisch, Geschichte, Französisch, Politik, Werte und der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten mit der VHS Normen. Celle, der Jüdischen Gemeinde Celle, dem Stadtarchiv Celle und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. November

Rolf Keller, geb. 1956, ist seit Rund 20.000 sowjetische 2004 als Abteilungsleiter in Soldaten wurden auf dem Fried- der Stiftung niedersächsische Silke Petry | Rolf Keller n der Nähe des früheren Kriegsgefangenen- und hof des Kriegsgefangenen- Gedenkstätten in Celle tätig. I Konzentrationslagers Bergen-Belsen befi ndet sich lagers Bergen-Belsen begraben. Von 2000 bis 2007 arbeitete er eine der größten Kriegsgräberstätten in Deutschland. als Leiter des Recherche- und Hier ruhen 20.000 sowjetische Soldaten, die in den Ausstellungsprojektes »Kriegs- Jahren 1941 bis 1945 in Bergen-Belsen ums Leben gefangenlager« im Rahmen der Rolf Keller Keller Rolf gekommen sind. Sie wurden zunächst in Einzel-, ab Keller Rolf

Neukonzeption der Gedenk- Herbst 1941 in Massengräbern beerdigt. Die Mehr- | stätte Bergen-Belsen. zahl war brutaler Behandlung, unzureichender Ver- Veröffentlichungen u. a.: pfl egung und mangelnder medizinischer Versorgung Sowjetische Kriegsgefangene durch die deutsche Wehrmacht zum Opfer gefallen. im Deutschen Reich 1941/42 Der Friedhof diente als Grabstätte für weitere (Wallstein, 2011) Todesopfer des Kriegsgefangenenlagers Bergen-Belsen: polnische Kriegsgefangene und italienische Militär-

Silke Petry, geb. 1963, ist Petry Silke internierte. seit 2012 Wissenschaftliche Die Dokumentation erzählt in Texten und Bildern Mitarbeiterin in der Dokumen- über die Geschichte des Kriegsgefangenenlagers tationsstelle Widerstand und Bergen-Belsen, die Lebensumstände und das Massen- Verfolgung 1933–1945 auf sterben der Gefangenen, die Belegung und Gestaltung dem Gebiet des Landes Nieder- des Friedhofs durch die Wehrmacht während des sachsen der Stiftung nieder- Krieges sowie über Denkmalsetzungen, Neugestaltungs- sächsische Gedenkstätten, maßnahmen und politische Auseinandersetzungen Celle. Von 2004 bis 2009 war » in den Jahrzehnten danach. Auch den Wandel der Ruhet in Frieden, sie Wissenschaftliche Mit- Erinnerungskultur seit Kriegsende nehmen die Autoren arbeiterin der Stiftung nieder- …« Genossen teure in Frieden, »Ruhet ...« in den Blick. teure Genossen sächsische Gedenkstätten im Projekt »Neugestaltung der Gedenkstätte Bergen-Belsen«. Der Friedhof des Veröffentlichungen u. a.: Sowjetische Kriegsgefangene Kriegsgefangenenlagers Bergen-Belsen – im Arbeitseinsatz, hg. zus. mit Rolf Keller (Wallstein, 2013) Geschichte und Erinnerungskultur

W allstein

• Wallstein Verlag • Ami Kawata

7. November: Mit einer Buchpräsentation am Stiftungssitz 7. bis 9. November: Am ersten Seminar zum Thema „Kinder in Celle wurde eine Veröffentlichung von Silke Petry und und Jugendliche im Lager Bergen-Belsen“ beteiligte sich im Dr. Rolf Keller vorgestellt: „‘Ruhet in Frieden, teure Genossen…‘ Rahmen der Kooperation der gesamte 9. Jahrgang der Ober- Der Friedhof des Kriegsgefangenenlagers Bergen-Belsen – schule Flotwedel/Eicklingen. Geschichte und Erinnerungskultur“.

87

• Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Bibliothek Dokumentationsstelle

13. November: Der Historiker Jakob Saß (Berlin) sprach unter dem Titel „Vom Bäcker zum KZ-Kommandanten“ über „Die ‚erstaunliche‘ SS-Karriere von Adolf Haas.

Gedenkstätte Bergen-Belsen Forschung und Dokumentation Archiv und Sammlung

Klaus Tätzler

88 2016 wurden im Arbeitsbereich Archiv neuen Aufnahmen in einer umfangrei- tikeln aus vier Jahrzehnten zur Geschich- und Dokumentation 135 Besuche betreut chen Sammlung historischer Fotos von te des „Verlorenen Zuges“ und zu Ge- und etwa 500 Anfragen bearbeitet. Da- Grab- und Gedenksteinen auf dem Ge- denkveranstaltungen in Tröbitz. mit blieb sowohl die Zahl der Anfragen denkstättengelände und dem benach- Hervorzuheben ist weiterhin die Ver- als auch die Zahl der Besucher gegen- barten Kasernengelände. zeichnung eines Aktenbestandes aus über dem Vorjahr in etwa gleich. Mit 56 Neben einer Vielzahl von Korrekturen dem Niedersächsischen Landesarchiv Besuchen bildet die Gruppe der For- und Überarbeitungen bereits vorhande- Oldenburg zum DP-Camp in Jever, in schenden den größten Anteil der Nutzer. ner Daten konnten 2016 besonders viele dem ab 1950 viele ehemalige DPs aus Die Gesamtzahl der Einträge in den biografische Konvolute und Augenzeu- Bergen-Belsen lebten. verschiedenen FAUST-Datenbanken genberichte von ehemaligen Häftlingen Die Sammlung der Original-Dokumen- stieg 2016 von 25.078 auf 27.390, in des KZ Bergen-Belsen verzeichnet wer- te und Objekte wurde auch 2016 durch folgender Verteilung: Samm­lung den. Durch zahlreiche Kontakte zu Über- Ankäufe und Schenkungen erweitert. Objekte (BO): 279 (Vorjahr 230) lebenden und Angehörigen erhielt das Besonders zu erwähnen ist die Schen- Sammlung Text (BT): BT 41 (Vorjahr 21) Archiv zudem viele neue familienbezo- kung einer umfangreichen Sammlung Aktensammlung (BA): 51 (Vorjahr 15) gene Fotosammlungen, insbesondere von Original-Dokumenten aus dem Visuelle Medien (BV): 18 (Vorjahr 5) aus der Zeit des DP-Camps und der Privatbesitz der Familie Kučera. Fotoarchiv (BF): 1172 (Vorjahr (538) Emigration. Außerdem gelang es, sieben Lehrbü- Für die Pflege der Sammlungen machte Für das Pressearchiv wurden die ge- cher in polnischer Sprache anzukaufen, es sich 2016 besonders positiv bemerk- eigneten Artikel thematisch geordnet, die im DP-Camp Bergen-Belsen für Aus- bar, dass es besser als im Vorjahr mög- chronologisch abgelegt und biografi- bildungszwecke und zur Vorbereitung der lich war, die originären Arbeitsbereiche sche Daten mit den vorhandenen Ver- Emigration benutzt wurden. Hinzu kamen stärker wahrzunehmen, da keine Veran- zeichnungen abgeglichen. Der Zuwachs einige weitere Publikationen, darunter die staltungen stattfanden, die mit dem betrug etwa 300 Artikel. sehr seltene Ausgabe „Zum Sieg“ von 70. Jahrestag und dem Queen-Besuch Im Aktenbestand wurden einige retro- 1946, die in der Kosowski-­Bibliographie im letzten Jahr vergleichbar waren. spektive Überarbeitungen und Neuer- der Publikationen des DP-Camps Bergen- Ein großer Teil der neuen Erfassungen fassungen durchgeführt. Nachdem 2015 Belsen als Nr. 9 aufgeführt wird. entfällt auf das Fotoarchiv. Mit 1172 liegt bereits die Fotosammlung aus dem die Zahl hier gegenüber dem Vorjahr Nachlass von Erika Arlt verzeichnet wer- (538) mehr als doppelt so hoch; dabei den konnte, folgte in diesem Jahr Arlts Der Schriftsteller Herbert Günther recherchierte am 11. Oktober in der Gedenkstätte Bergen-Belsen für sein besteht ein wesentlicher Anteil dieser umfangreiche Sammlung von Pressear- neues Buch. • Gedenkstätte Bergen-Belsen Auch 2016 konnten die Reinigung und Bibliothek der Gedenkstätte 89 konservatorische Behandlung sowie die Bergen-Belsen Verzeichnung von Fundstücken vom ehemaligen KZ-Lagergelände fortgesetzt Corinna Rathjen werden. Sie hatte wieder maßgeblich Anteil an der hohen Zahl der Einträge in 2016 konnte der Gesamtbestand der der Objektdatenbank. Bibliothek, der inzwischen knapp 10.000 Als Beitrag zum Museumstag am Titel umfasst, um insgesamt 305 Mono- 22. Mai wurde eine temporäre Präsen­ graphien erhöht werden, wovon etwa tation des Original-Notizbuchs des die Hälfte durch Kauf erworben wurde. Bergen-Belsen-Überlebenden­ Peter Die andere Hälfte kam durch Schriften- Sussmann im Foyer der Gedenkstätte tausch mit anderen Institutionen, Schen- gestaltet. kungen oder als Eigenpublikationen in Auch 2016 gab es vielfältige Kontakte den Bestand. Außerdem stehen den und einen regen Austausch mit anderen Besucher_innen 35 verschiedene Zeit- Institutionen. So wurde u.a. die Aus­ schriftentitel, die zum Teil angekauft, stellung „Zwischen allen Stühlen. Die zum Teil kostenlos zugesandt werden, Geschichte der italienischen Militärinter- sowie eine kleine Sammlung von CDs nierten 1943–1945“ im Berliner Doku-­ und DVDs mit Bezug zum Nationalsozia- mentationszentrum NS-Zwangsarbeit lismus zur Verfügung. mit Informationen und Materialien unterstützt. Zum Thema DP-Camp in Upjever erwiesen sich die verschiedenen Kontakte Temporäre Präsentation des Original-Notizbuchs des mit engagierten Bürgern und lokalen Bergen-Belsen-Überlebenden Peter Sussmann im Foyer Forschern, dem Schlossmuseum und der Gedenkstätte Bergen-Belsen anlässlich des Muse- umstages am 22. Mai • Gedenkstätte Bergen-Belsen dem Gröschler-Haus in Jever für alle Temporäre Präsentation des Original-Notizbuchs Beteiligten als sehr interessant und des Bergen-Belsen-Überlebenden Peter Sussmann hilfreich. im Foyer der Gedenkstätte Bergen-Belsen anlässlich des Museumstages am 22. Mai • Gedenkstätte Bergen- ­ Belsen

Gedenkstätte Bergen-Belsen Übergabe von Dokumenten aus dem Privatbesitz der Familie Kučera

Klaus Tätzler

90 Pavel Kučera wurde am 1. Mai 1938 in rege Korrespondenz, bei der es vor- In den letzten Jahren war in der Borčice, einem kleinen Ort in der Slowa- nehmlich um die Unterstützung des Familie der Entschluss gereift, mehr als kei, geboren. Ab 1942 war seine jüdische kranken Kindes Pavel mit Medikamenten 20 weitere Dokumente an die Gedenk- Familie verstärkt Repressalien ausge- ging. Eine ganze Reihe dieser Nachrich- stätte Bergen-Belsen zu übergeben. setzt. Gemeinsam mit den Eltern wurde ten, häufig kurze Notizen auf kleinen Wichtige Kriterien für diese Entschei- Pavel Kučera 1942 zunächst in das Zetteln, hat sich erhalten. dung waren die professionelle Inventari- Durchgangslager Žilina deportiert, von Lydia und Pavel Kučera wurden am sierung und die räumlichen Vorausset- wo schon Transporte nach Auschwitz 15. April 1945 in Bergen-Belsen befreit, zungen im Magazin, die eine sichere und abgingen. Aufgrund einer Ausnahmege- Karol Kučera am 13. April 1945 auf ei- konservatorisch verlässliche Lagerung nehmigung wurde die Familie freigelas- nem Evakuierungstransport bei Farsle- gewährleisten. Die Übergabe erfolgte als sen und flüchtete nach Bratislava. Nach ben. Nach der Befreiung kamen Lydia Schenkung am 18. April im Zusammen- der Annullierung der Regelung musste und Pavel in das improvisierte Nothospital hang mit einem Besuch von Pavel sich die Familie verstecken. Im Oktober auf dem Kasernengelände in Bergen- Kučera und seinem Sohn Juraj während 1944 wurden sie verraten, verhaftet und Belsen. Nachdem sie im Sommer 1945 der Gedenkfeier anlässlich des 71. Jah- in das Durchgangslager Sered gebracht. in die Slowakei zurückgekehrt waren, restages der Befreiung des Konzentrati- Nur Pavels älterer Bruder Eugen konnte erfuhren sie, dass Pavels Vater Felix im onslagers Bergen-Belsen. sich der Verhaftung entziehen und in Konzentrationslager Buchenwald um­ Die Gedenkstätte ließ den materiellen einem Versteck untertauchen. gekommen war. Zustand der Materialien im Zentrum für Zusammen mit seiner Mutter wurde Bereits in den 1990er Jahren hatte Bucherhaltung in Leipzig begutachten. Pavel Kučera am 16. November 1944 in Karol Kučera zahlreiche Dokumente zur Daraufhin wurden die Papiere gereinigt das Frauenlager des Konzentrations­ Verfolgungsgeschichte seiner Familie an und, soweit nötig, konservatorisch be- lagers Bergen-Belsen gebracht. Einige die Gedenkstätte Bergen-Belsen überge- handelt und angemessen verpackt. Auf Wochen später erfuhren sie, dass ab ben, darunter auch eine größere Anzahl diese Weise wurde der Erhaltungszu- dem 7. Dezember 1944 auch der Bruder der „Nachrichten-Zettel“ aus der Korres- stand verbessert und die Lebensdauer seiner Mutter, Karol Kučera, ins Sonder- pondenz der Geschwister in Bergen-­ der mitunter fragilen Dokumente lager des Konzentrationslagers Bergen- Belsen. Hierzu gehörten auch Dokumen- verlängert. Belsen deportiert worden war. Über die te aus dem Besitz der Familie von Pavel internen Lagergrenzen hinweg gelang es Kučera. den Geschwistern, miteinander Kontakt Mit Briefen wie diesem korrespondierten Lydia und Karol Kučera während ihrer Haft im Konzentrationslager aufzunehmen. Es entspann sich eine Bergen-Belsen • Gedenkstätte Bergen-Belsen Pavel Kučera und seine Familie unter- 91 stützen seit mehr als zwei Jahrzehnten in vielfältiger Weise die Arbeit der Ge- denkstätte durch große Anteilnahme, durch Interviews, Schenkungen von Do- kumenten und Gegenständen aus ihrem Privatbesitz sowie durch Beiträge zu Ausstellungen. Diese großzügige Unter- stützung bereichert unsere Arbeit ganz wesentlich, wofür wir Herrn Kučera und seiner Familie herzlich danken.

Am 18. April übergab Pavel Kučera der Gedenkstätte Bergen-Belsen Dokumente aus seinem Privatbesitz. • Gedenkstätte Bergen-Belsen

Gedenkstätte Bergen-Belsen Lebensgeschichtliche Interviews

Diana Gring

92 Seit 1999 werden in der Gedenkstätte Gruppe der „Unbekannten Kinder“ und gegeben hatten und etliche der Kinder Bergen-Belsen lebensgeschichtliche teilen dasselbe Verfolgungsschicksal: noch zu jung waren, um überhaupt ihren Videointerviews mit Überlebenden des Sie überlebten als Kleinkinder die Kon- (richtigen) Namen sagen zu können, Konzentrations- und Kriegsgefangenen- zentrationslager Westerbork, Bergen- fasste man sie unter der Bezeichnung lagers Bergen-Belsen, mit ehemaligen Belsen und Theresienstadt. „Unbekannte Kinder“ zusammen. Häft- Bewohnern des DP-Camps sowie ande- Nachdem im Juli 1942 die Deportatio- linge in der Verwaltung von Westerbork ren Zeitzeugen der historischen Ereig- nen der Juden in den besetzten Nieder- trugen mit gezielten Gerüchten dazu bei, nisse durchgeführt. Dieser vollständig landen begonnen hatten, versuchten Verwirrung über die wahre – jüdische – digitalisierte Interviewbestand umfasst viele Verfolgte, sich eine neue Identität Herkunft der Kinder zu stiften. Die SS, derzeit 451 filmische Biografien mit zu beschaffen oder unterzutauchen. die in regelmäßigen Abständen das Wai- mehr als 2000 Stunden Material. Schätzungen zufolge gab es etwa 4500 senhaus in Westerbork leeren und „voll- 2016 wurden acht Interviews mit soge- bis 5000 jüdische Kinder, die von ihren jüdische“ Kinder in die Vernichtungsla- nannten Child Survivors durchgeführt, Eltern vor den drohenden Deportationen ger deportieren ließ, entschied sich im also mit Überlebenden des KZ Bergen- an Widerstandsgruppen und nicht-jüdi- Falle von 50 „Unbekannten Kindern“ Belsen, die zum Zeitpunkt der Befreiung sche Pflegefamilien abgegeben wurden. aufgrund ihrer möglichen „arischen“ jünger als 14 Jahre waren. Bei sechs Etwa 2000 dieser „Hidden Children“ Abstammung gegen ihre Ermordung. Interviewten handelte es sich um als konnten gerettet werden – die meisten Stattdessen wurden sie am 13. Septem- Juden Verfolgte aus den Niederlanden. jedoch wurden entdeckt, denunziert, ber 1944 in das KZ Bergen-Belsen trans- Ein Interview wurde mit einer Sintizza in deportiert und ermordet. portiert. Hier starb das jüngste Kind der Deutschland aufgenommen, ein weite- Geboren zwischen 1940 und 1942, Gruppe, die erst neun Monate alte Henri- res mit einer im KZ Bergen-Belsen ge­ waren Greet, Rob, Gershon, Marita und ette Hamburger. Die anderen Kinder ge- borenen Frau, deren Mutter aus Polen Carla teilweise erst wenige Monate alt, langten im November 1944 weiter nach stammte. als sie von ihren Eltern getrennt wurden. Theresienstadt, wo sie im Mai 1945 von Greet und Rob Coopman aus Israel, Bis Sommer 1944 wurden sie alle bei ih- der Roten Armee befreit wurden. Marita Simons aus den Niederlanden, ren Pflegefamilien verraten und kamen Die Eltern von Greet, Rob und Gershon Gershon Willinger aus Kanada und Carla in das Waisenhaus im Durchgangslager wurden in Auschwitz und Sobibor er- Levinsohn aus Israel besuchten 2016 Westerbork. Da die SS ihre Herkunft und Rob Coopman, Mai 2016, Gedenkstätte Bergen-Belsen. die Gedenkstätte Bergen-Belsen, um Identität nicht einwandfrei klären konnte, • Standbild aus dem Interview lebens­geschichtliche Interviews zu ge- die Pflegeeltern sie teilweise mit fal- Greet Coopman, Mai 2016, Gedenkstätte Bergen-Belsen. ben. Sie alle gehörten zur sogenannten schen Namen und als „Halbjuden“ aus- • Standbild aus dem Interview mordet. Rob konnte nach dem Krieg schiedlichem Maße unter den psychi- heiratet waren, erfuhr das Paar 2002 93 in seine Pflegefamilie zurückkehren. schen und physischen Folgen der Verfol- durch Archivrecherchen in den Nieder- Gershon durchlief verschiedene Kinder- gung. Trotzdem schafften es alle fünf landen, dass Rob ebenfalls zur Gruppe heime und Pflegestellen, bis er adoptiert Interviewpartner in bewundernswerter der „Unbekannten Kinder“ gehörte. wurde. Um die kleine Greet entbrannte Weise, ihr Leben zu meistern. Ohne dass sie sich daran erinnern konn- ein Sorgerechtsstreit zwischen mehre- Gershon Willinger wanderte mit ten oder es auch nur ahnten, kannte sich ren entfernten Verwandten. Die Väter 18 Jahren nach Israel aus und lebte spä- das Paar bereits seit frühester Kindheit von Marita und Carla waren im Holo- ter in England und Kanada. Er studierte und hatte als Teil derselben Gruppe drei caust umgekommen, ihre Mütter hatten und arbeitete viele Jahre lang als Sozial- Konzentrationslager überstanden. überlebt. Aber eine Familie – Geschwis- arbeiter mit Kindern und Jugendlichen. Aktuell befinden sich insgesamt 15 ter, Großeltern, Tanten, Onkel, Cousinen Auch Carla Levinsohn emigrierte nach lebensgeschichtliche Interviews mit ehe- – gab es nicht mehr. Israel. Sie lernte ihren Mann Shalom maligen „Unbekannten Kindern“ im Be- Die Kinder waren krank, unterernährt, kennen, mit dem sie eine große Familie stand der Gedenkstätte Bergen-Belsen, verhaltensauffällig und schwer traumati- gründete. Die beiden betreiben einen die zwischen 2000 und 2016 entstanden siert aus den Lagern zurückgekehrt. kleinen landwirtschaftlichen Betrieb. sind. Dabei handelt es sich um sieben Gershon konnte mit drei Jahren kaum Marita Simons absolvierte ein Medizin- Männer und acht Frauen der Jahrgänge laufen, er war mit Narben und Wunden studium, heiratete und bekam Kinder 1936 bis 1943, die heute in den Nieder- übersät und galt als körperlich und geis- und arbeitete als Ärztin. landen, Israel, Deutschland, Belgien, den tig behindert. Carla sprach im Alter von Die Eheleute Rob und Greet Coopman USA und Kanada leben. Wie ein Puzzle vier Jahren kein Wort und litt unter aller- haben eine unglaubliche Geschichte. setzt sich anhand der verschiedenen in- lei Ängsten. Die Integration der Child Sie lernten sich in den 1960er Jahren in dividuellen Biografien ein Gruppen- Survivors in ein Alltags- und Familienle- einem jüdischen Jugendclub in Amster- schicksal zusammen, bei dem sich ben war schwer, denn sie hatten so etwas dam kennen. Beide hatten ihre Eltern im interessante Formen und Strukturen nie kennengelernt: Ihre Sozialisation und Holocaust verloren und waren in Pflege- gruppenspezifischer Erfahrungs- und ihre ersten Lebensjahre hatten in Kon- familien aufgewachsen, was sie ver- Erinnerungskultur herauskristallisieren. zentrationslagern stattgefunden, und band. Während Greet über ihre Verfol- ihr Umfeld in der Nachkriegszeit war oft- gungsgeschichte weitestgehend Carry Polak, Dezember 2016, Gedenkstätte Bergen- mals ebenfalls durch Verfolgung, Verlust Bescheid wusste, gab es zu Rob nur Belsen. • Olaf Markmann und Traumata geprägt. Einige der Child vage und widersprüchliche Angaben. Florence Schulmann, August 2016, Gedenkstätte Survivors leiden bis heute in unter- Nachdem Greet und Rob 35 Jahre ver- Bergen-Belsen. • Olaf Markmann

Gedenkstätte Bergen-Belsen 94 Drei Interviews fanden 2016 mit Child standen. Als sie ihren Zustand nicht län- der Nähe von Tröbitz befreit. Carry be- Survivors aus anderen Verfolgungskon- ger verheimlichen konnte, transportierte richtete mit großer Offenheit über das texten statt. So mit Spinetta Weimer, die man sie von einem Außenlager des KZ schwierige Leben nach dem Krieg, aber 1933 in einer Sinti-Familie in Westfalen Buchenwald in das KZ Bergen-Belsen. auch, wie und in welcher Form sie ge- geboren wurde. Die katholische Familie Dort kam im März 1945 Florence zur Welt lernt hat, die belastende Vergangenheit lebte integriert in einem kleinen Dorf; – und überlebte wie durch ein Wunder so weit wie möglich hinter sich zu las- der Vater diente in der Wehrmacht. bis zur Befreiung des Lagers wenige Wo- sen. „Es ist trotzdem immer da...“, sagt „Ich wusste gar nicht, dass ich Zigeuner chen später. Was es für einen Menschen Carry Polak. Heute lebt sie mit ihrem bin!“, sagt Spinetta Weimer heute. Im bedeutet, in einem Konzentrationslager Mann in Israel, und ihre drei Kinder und März 1943 erfolgten Festnahme und De- geboren worden zu sein und mit zwei zehn Enkelkinder spielen die wichtigste portation nach Auschwitz. Dort kamen schwerst traumatisierten Holocaust­ Rolle in ihrem Leben. Spinettas vier jüngere Geschwister um. überlebenden als Eltern aufzuwachsen, Über das KZ Ravensbrück gelangte sie thematisierte Florence Schulmann in be- mit ihrer Mutter im Februar 1945 in das sonderer Weise mit dem Erzählen ihrer KZ Bergen-Belsen, wo die beiden befreit Lebensgeschichte. wurden. Spinetta Weimer berichtete ein- Carry Polak wurde 1942 in Amsterdam drücklich auch über die schwere Zeit da- in einer jüdischen Familie geboren. Mit nach und über die gesundheitlichen ihren Eltern und ihrer zehn Jahre älteren Spätfolgen ihrer KZ-Haftzeit, unter Schwester Betty wurde sie festgenom- denen sie bis heute zu leiden hat. men und im Durchgangslager Wester- Florence Schulmann, die in Frankreich bork inhaftiert. Im Februar 1944 kam die lebt, stieß oft in ihrem Leben auf Zweifel Familie in das KZ Bergen-Belsen. Hier und Unglauben, wenn sie angab, im KZ kümmerte sich hauptsächlich Schwester Bergen-Belsen geboren worden zu sein. Betty um die Versorgung des Kleinkin- Bei ihren Eltern handelte es sich um pol- des. Carrys Großeltern, ihre Tante, ihr nische Juden, die in den Ghettos Brzezi- Onkel und Cousin kamen in Bergen- ny und Lodz gewesen waren. Die Mutter Belsen um. Auf einem Räumungstrans- Carla Levinsohn, Juni 2016, Gedenkstätte Bergen- von Florence hatte als Schwangere die port starb am 16. April 1945 dann auch Belsen. • Standbild aus dem Interview Selektion in Auschwitz, schwere Zwangs-­ noch ihr Vater. Mit ihrer Mutter und Marita Simons, Oktober 2016, Gedenkstätte Bergen- arbeit und brutale Prügelstrafen über- Schwester wurde sie wenig später in Belsen. • Olaf Markmann Besuch der Familie Goshen in Bergen-Belsen

Bernd Horstmann

Camps in der Kaserne zu besuchen. So konnten Rivka und David Goshen den Ort wiedersehen, an dem die junge Familie ihre ersten Jahre verbrachte. Auch Davids Ehefrau Dorit Goshen hat eine biografische Verbindung zu diesem Ort. Ihr Großvater Jenő Spiegel, 1885 in Ungarn geboren, wurde Ende 1944 in das sogenannte Ungarnlager des KZ Bergen-Belsen transportiert. In unserer Sammlung befindet sich die Liste des Transportes aus Budapest mit 2000 Namen. Die SS hoffte auf ein Lösegeld, wenn sie die jüdischen Geiselhäftlinge dieses Teillagers in die Schweiz entlas- sen würde. Dazu kam es jedoch nicht, und nach der Räumung des Austau- schlagers wurden die Häftlinge auf dem Transport nach Theresienstadt am Etwas Besonderes sind die Besuche der Evakuierung in die nahegelegene 13. April 1945 in Farsleben bei Magde- 95 von Menschen, deren Angehörige im Kaserne erholte sich Rivka Goshen von burg befreit. Für Jenő Spiegel kam die Kriegsgefangenenlager, Konzentrations- ihrer Typhuserkrankung. Im Displaced Befreiung jedoch zu spät; er starb an lager oder DP-Camp waren, oder gar von Persons Camp lernte sie Moshe Gerszo- den Folgen der Haft und wurde auf dem Überlebenden dieser Lager. Für sie ist es nowicz kennen, den sie heiratete. Sie Friedhof in Farsleben bestattet. Am Tag oft schwer, diesen Ort wieder zu betre- arbeitete als Krankenschwester im Glyn- nach dem Besuch in Bergen-Belsen fuhr ten. Hier möchte ich den Besuch von Hughes-Hospital des DP-Camps Bergen- Familie Goshen daher nach Farsleben. Rivka Goshen, Dorit Goshen und ihrem Belsen, wo sie im Jahr 1948 ihren Sohn Wir sind Rivka Goshen dankbar für die Ehemann Dr. David Goshen aus Israel David zur Welt brachte. Davids Vater ausführliche Beantwortung unserer Fra- am 11. August hervorheben. war aktiv in der zionistischen Bewegung gen sowie der ganzen Familie für die Fo- Rivka Goshen wurde 1927 in der Nähe und arbeitete als Redakteur der Zeitung tos aus dem DP-Camp und die Kopie der von Lodz als Szaindla Rifka Grosman ge- „Jediot“ im DP-Camp. Die Familie emig- Geburtsurkunde aus dem Glyn-Hughes- boren. Nach dem deutschen Überfall auf rierte nach Israel und hebraisierte ihren Hospital. Die Arbeit unserer Gedenkstätte Polen und der einsetzenden Verfolgung Namen. 1966 nahmen Rivka und Moshe lebt ganz wesentlich von der Unterstüt- der Juden kam sie mit ihrer Familie in Goshen, der inzwischen Bürgermeister zung durch Überlebende und ihre das Ghetto Lodz. Die SS deportierte ihre einer israelischen Kleinstadt war, an der Angehörigen. Familie von dort nach Auschwitz. In der Eröffnung des Dokumentenhauses in Selektion als arbeitsfähig eingestuft, der Gedenkstätte Bergen-Belsen teil. wurde Rivka mit ihrer Mutter Estera und David Goshen studierte später unter an- ihrer Tante Sara im August 1944 in das derem in Deutschland, promovierte KZ Bergen-Belsen und kurz darauf in das und ging schließlich vor wenigen Jahren Außenlager Unterlüß zur Zwangsarbeit als Schulleiter in Rente. Seither verfes- mit anderen weiblichen Häftlingen trans- tigte sich sein Wunsch, Bergen-Belsen portiert. Mit der Auflösung des Außen­ zu besuchen. lagers im April 1945 kamen die Frauen Dank des Entgegenkommens der Bun- wieder nach Bergen-Belsen, wo sie die deswehr war es möglich, die Gebäude britische Armee nach wenigen Tagen am des ehemaligen Glyn-Hughes-Hospitals 15. April 1945 befreite. Ihre Namen sind und andere Bereiche des früheren DP- in einer Befreiungsliste genannt. Nach Rivka und David Goshen am Jüdischen Mahnmal in der Gedenkstätte Bergen-Belsen • Ulrich von Born

Gedenkstätte Bergen-Belsen Namensverzeichnis der Häftlinge des Konzentrationslagers Bergen-Belsen

Bernd Horstmann

96 Der Austausch mit anderen Institutio- Beantwortung namensbezogener Besucherbetreuung nen ist für die Gedenkstätte Bergen- Anfragen Belsen von besonderer Bedeutung, da 108 Besucher_innen konnten 2016 aufgrund der Vernichtung der Lagerre- 2016 beantwortete der Arbeitsbereich durch die Kolleg_innen in diesem Ar- gistratur durch die SS die wichtigste na- Namensverzeichnis insgesamt 702 ex- beitsbereich betreut werden, zumeist mensbezogene Quelle fehlt. Nur durch terne Anfragen (787 im Vorjahr). Diese Einzelpersonen oder kleine Gruppen, umfangreiche Recherchen in Gedenk- lassen sich vier Gruppen zuordnen: die als Angehörige ehemaliger Häftlinge stätten und Archiven, aber auch durch 1. Überlebende des KZ Bergen-­ oder Kriegsgefangener einen persönli- die Unterstützung von Überlebenden, Belsen (52), chen Bezug zum Ort Bergen-Belsen ha- Angehörigen ehemaliger Häftlinge oder 2. Angehörige oder Nachkommen ben. In kleiner Zahl waren Überlebende anderen Einzelpersonen konnte dies ge- ehemaliger Häftlinge oder Kriegs­ des Konzentrationslagers zu Besuch. Der leistet werden. Wichtige Impulse konn- gefangener (406), Besuch der Familie Goshen aus Israel ten dabei durch die Internationale Daten- 3. Gedenkstätten, Initiativen, Historiker, wird an anderer Stelle des Jahresberich- banktagung der Gedenkstätten aufge­- Journalisten, interessierte Privat­ tes beispielhaft dargestellt (vgl. S. 89). nommen werden, die vom 14. bis 16. personen, Studenten, etc. (216), Zudem wurden Recherchen von Histori- September in der Gedenkstätte ausge- 4. Behörden und Suchdienste (28). ker_innen, Journalist_innen und andere richtet wurde (siehe auch S. 91) Forschenden unterstützt. 2016 erhielten mehrere Einrichtungen und Einzelpersonen Auszüge aus dem Namensverzeichnis für ihre Projekte. Beispielhaft seien genannt: • Michael Gelber, Niederlande, Thema: Transporte von Westerbork nach Bergen-Belsen • Herinneringscentrum Camp Wester- bork, Niederlande • Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg • Kulturbetriebe Dortmund, Stadtarchiv Internationale Datenbank-Tagung der Gedenkstätten

Bernd Horstmann

• Johannes Ibel, KZ-Gedenkstätte Flossenbürg: Geodaten in den Memorial Archives • Prof. Dr. Christoph Rass, Universität Osnabrück: Perspektiven der GIS1-ge- stützten Visualisierung biografischer Massendaten • Neringa Latvytė-Gustaitienė, Vilna Gaon State Jewish Museum, Vilnius: Reconstruction works of the Paneriai Memorial: Challenges and Opportunities • Sonja Nilson, International Tracing Service, Bad Arolsen: „Digitale Samm- lungen Online“ des International Tracing Service • Veerle Vanden Daelen, Kazerne Dossin/Giles Bennett, IfZ München: Reaching out to Memorial Sites and Archivists: the European Holocaust Vom 14. bis 16. September trafen sich Auf der Konferenz 2016 wurden zahl- Research Infrastructure in its Second 97 in der Gedenkstätte Bergen-Belsen 45 reiche Themen erörtert, was die Über- Phase Teilnehmer_innen aus 11 Staaten zu ei- sicht über die Vorträge zeigt: Neben den informativen Vorträgen ner wissenschaftlichen Fachtagung für • Andreas Kranebitter, Mauthausen: und anregenden Diskussionen bot sich die Verzeichnung, Digitalisierung und Vom Quelleneintrag zur Lebensge- die Möglichkeit, die Gedenkstätte ken- Nutzung namensbezogener Quellen. Zu schichte. Das „Gedenkbuch für die nenzulernen. So gaben Mitarbeiter_­ den regelmäßig teilnehmenden Institu­ Toten des KZ Mauthausen und seiner innen während Rundgängen durch die tionen gehören neben den KZ-Gedenk- Außenlager“ und der virtuelle „Raum Ausstellungen und über das ehemalige stätten in Deutschland viele internatio- der Namen“ Lagergelände Informationen über die nale Einrichtungen wie Yad Vashem, das • Aneta Plzáková, Institut Theresien­ Geschichte des früheren Kriegsgefange- U.S. Holocaust Memorial Museum, die städter Initiative: Databases of Holo- nen- und Konzentrationslagers. Dank Gedenkstätten Auschwitz, Groß-Rosen, caust & Roma Genocide Victims des Entgegenkommens der Bundeswehr Terezín, Westerbork, Mauthausen, der • Dr. Alexander Avram, Gedenkstätte konnten auch die nahegelegene Kaserne International Tracing Service, das Insty- Yad Vashem, Jerusalem: The Central mit den dortigen historischen Gebäuden tut Pamięci Narodowej (IPN), das Neder- Database Shoah Victims’ Names – des KZ-Nebenlagers und Displaced lands Instituut voor Oorlogsdocumenta- New Online Beta Version Persons Camps sowie die Friedhöfe tie (NIOD), das Dokumentationsarchiv • Nina Matuszewski, NS-Dokumenta­ besichtigt werden. des österreichischen Widerstandes tionszentrum Köln: Datenbank der 2017 wird das Mémorial de la Shoah (DÖW), das Mémorial de la Shoah, Paris, jüdischen Bevölkerung Köln in Paris die Konferenz ausrichten. das Bundesarchiv, das Polnische und • Rainer Hoffschildt, Hannover: Daten- 1 GIS: Geographic Information System das Niederländische Rote Kreuz. Seit bank zur Verfolgung der „§175“-Opfer dem ersten Treffen 1997 findet die Da- in der NS-Zeit tenbank-Konferenz der Gedenkstätten • Karen Taïeb, Mémorial de la Shoah: jährlich im Wechsel bei den beteiligten Paris: Database of the Jewish Victims Einrichtungen statt. Auf den wissen- • Dr. Henning Borggräfe, International schaftlichen Fachtagungen treffen sich Tracing Service, Bad Arolsen: Die Re- die Mitarbeiter_innen der jeweiligen Ins- konstruktion von Verfolgungswegen titutionen, um sich auszutauschen, aktu- im NS-Terrorsystem. Eine Fallstudie elle Entwicklungen zu diskutieren und zu Opfern der Aktion „Arbeitsscheu Führung mit Dr. Thomas Rahe im Roundhouse des ehemaligen Displaced Persons Camp in der nahe­ gemeinsame Projekte zu entwickeln. Reich“ gelegenen Kaserne • Bernd Horstmann

Gedenkstätte Bergen-Belsen Bildung und Begegnung

Katrin Unger und Marc Ellinghaus

98 Die Gedenkstätte Bergen-Belsen ist Gestaltung der Bildungsveranstaltungen. den Nachfrage insbesondere nach ein internationaler Erinnerungsort und Die Programme werden in enger Abspra- mehrtägigen Angeboten gerecht zu wer- eine außerschulische Bildungseinrich- che mit den Gruppen erstellt und durch den und neue Zielgruppen gerade für tung. Ein breites Bildungsangebot soll ein Team freier und fester Mitarbeitender die längeren Programme zu erschließen. jungen Menschen wie Erwachsenen eine der Gedenkstätte begleitet. Dabei legen Oft gemeinsam mit Kooperationspart- intensive Auseinandersetzung mit der Zeit wir großen Wert auf prozessorientiertes nern entwickelt die Gedenkstätte indi- des Nationalsozialismus ermöglichen. Im Arbeiten, interdisziplinäre Zugänge und viduelle Seminarangebote für den je- Fokus stehen die Geschichte des Kriegs- interkulturelle Sensibilität. weiligen Bildungskontext des Partners; gefangenen- und des Konzentrations- Das Konzept unserer Bildungsarbeit zugleich wird das Repertoire an buch- lagers Bergen-Belsen, des Displaced stellt die Interessen der Teilnehmenden baren Mehrtagesangeboten erweitert. Persons Camps sowie die Wirkungsge- und das Prinzip größtmöglicher Freiwil- In Fortbildungen versuchen wir unseren schichte nach 1945. Außerdem werden ligkeit in den Vordergrund. Partnern in Schulen und in der außer- in den Programmen Gegenwartsbezüge, Wir wollen Lernen in der Gedenkstätte schulischen Bildungsarbeit unsere Vor- aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen Bergen-Belsen in einer entspannten Atmos stellung von Bildung und Vermittlung in und Diskussionen sowie Fragen von phäre ohne Leistungsdruck ermöglichen Bergen-Belsen nahezubringen und Anre- Kontinuitäten aufgegriffen. und die Teilnehmenden zu kritischen gungen zur Vor- und Nachbereitung des Das Bildungsangebot umfasst halbtägi- Fragen und selbstständigem Denken Gedenkstättenbesuchs zu geben. Seit ge Begleitungen, Studientage, mehrtägige anregen. vielen Jahren sind Fortbildungen für Seminare und internationale Begegnun- Wünschenswert ist daher, dass Gruppen, Lehrerinnen und Lehrer und andere gen für Schulklassen, Studierende, Grup- die sich mit der Geschichte dieses Ortes Multiplikator_innen zum Lernort Bergen- pen aus Jugendverbandsarbeit, Militär befassen wollen, soviel Zeit wie möglich Belsen, die von der Gedenkstätte ange- und Polizei sowie interessierte Einzelper- erhalten, um sich intensiv mit dem histo- boten werden, in der Regel ausgebucht. sonen und Gruppen. Mit einem Repertoire rischen Ort und den historischen Quellen Auch seit langem kommen regelmäßig an Fortbildungen, Fachkräfteprogrammen zu befassen, die Geschichten der Opfer Referendarinnen und Referendare einer und Tagungen richten wir uns an Lehrer_ und Überlebenden Bergen-Belsens wahr- Reihe von Studienseminaren zu Fort- innen und Referendar_innen sowie Multi- zunehmen, eigene Fragestellungen zu bildungen in die Gedenkstätte und be- plikator_innen und Expert_innen aus Bil- entwickeln, Gegenwartsbezüge herzu- schäftigen sich mit den Möglichkeiten dung, Kultur, Museum und Wissenschaft. stellen, zu reflektieren und zu diskutieren. Die Wünsche und Voraussetzungen Ziel beim Ausbau der Bildungsangebote Teilnehmerinnen der Jugendbegegnung „Die Geschichte beginnt in der Familie“ im Gespräch mit der Auschwitz- der Teilnehmenden sind leitend für die der Gedenkstätte ist daher, der bestehen- Überlebenden Zofia Posmysz • Daniel Seifert historischen Lernens in der Gedenkstätte. des Jahres erarbeiteten sich die neuen 99 Derzeit bemüht sich die Gedenkstätte, die Kolleg_innen die Geschichte der Lager Zusammenarbeit mit den Studiensemi- und Elemente der Vermittlungsarbeit in naren auszubauen und neue Kontakte Bergen-Belsen und bereicherten die Ar- zu weiteren Seminare zu knüpfen. beit der Gedenkstätte um neue Perspek- Die Teilnehmenden der Fortbildungen tiven und Ideen (siehe S. 108-111). treffen wir regelmäßig wieder, wenn sie Nach mehr als 25 Jahren, in denen er mit ihren Lerngruppen zu Führungen, Stu- die Gedenkstätte und ihre Bildungsarbeit dientagen und Seminare in die Gedenk- mit prägte, verabschiedete sich Heinrich stätte kommen. Gade in den Ruhestand. Danke Heinrich! Mit der OBS Eicklingen schloss die Dank gilt auch den Kolleg_innen im Be- Gedenkstätte 2016 einen Kooperations- sucherdienst, die im Lauf des Jahres neue vertrag über eine enge Zusammenarbeit, Schwerpunkte außerhalb der Gedenk- die sich zuerst in jährlichen Seminaren stätte gesetzt oder die Gedenkstätte für den jeweiligen 9. Jahrgang nieder- verlassen haben. schlägt. Die seit über 20 Jahren beste- Im Rahmen einer Elternzeitvertretung hende Kooperation mit der IGS Linden unterstützte Dr. Dagmar Lieske das Team (Hannover) bekräftigen Schule und Ge- der Bildung und Begegnung und erarbei- denkstätte durch die Erarbeitung eines tete Materialien und Konzepte zur Grup- neuen Kooperationsvertrags. pe der als „Kriminelle“ verfolgten Häft- Aber auch ohne besondere Kooperation linge. Karen Bähr wechselte aus dem kommen jährlich weiterhin über 1000 Grup- Volontariat der Gedenkstätte direkt an pen zu Führungen und Studientagen in die Universität Erfurt. die Gedenkstätte, bei wachsender Nach- frage und länger werdenden Wartezeiten. Um dieser Nachfrage gerecht zu werden Teilnehmende der Bergen-Belsen International Summer verstärkte die Gedenkstätte auch 2016 School im Gespräch mit dem Bergen-Belsen-Überleben- das Team an freien Mitarbeiter_innen den und Filmemacher Frank Diamand • Karen Bähr und abgeordneten Lehrkräften im Besu- Teilnehmende der Jugendbegegnung „Die Geschichte beginnt in der Familie“ während einer historischen cherdienst. Im Frühjahr und Sommer Stadtrallye in Lwiw • Daniel Seifert

Gedenkstätte Bergen-Belsen Erinnerungskultur in der Bildungsarbeit der Gedenkstätte Bergen-Belsen

Sabine Bergmann und Monika Brockhaus

100 Bei jeder Begegnung mit dem Ort der zu Gesprächen anregt. Die oftmals teil des Bildungsangebots der Gedenk- Bergen-Belsen wird Erinnerungskultur als Schwierigkeit empfundene Tatsache, stätte. Da dieses Thema aber für alle thematisch: Nicht ein (ehemaliges) Kon- dass von der ehemaligen Lagerstruktur Lehrenden und Gruppenleitenden rele- zentrationslager wird besucht, sondern nur noch sehr wenige, oftmals schlecht vant ist, wird es auch in allgemeineren die Gedenkstätte. Dies zu thematisieren sichtbare und fast unzugängliche Über- Fortbildungen zum Lernort Bergen- ist wichtig, um möglichen überfrachte- reste ehemaliger Gebäude erhalten sind, Belsen aufgegriffen. Diese Relevanz ten Erwartungen an den Ort früh zu be- führt regelmäßig zu fruchtbaren Diskus- zeigt sich in vielen Anfragen nach Fort- gegnen. Ausgangspunkt jeglicher inhalt- sionen darüber, wie die Gedenkstätte bildungen, die nicht von Gymnasial­ licher Auseinandersetzung ist zunächst gestaltet wurde und – vielleicht noch lehrer_innen kommen. die Wahrnehmung der gegenwärtigen zentraler – welche alternativen Wünsche Ein Beispiel für ein Bildungsangebot Ausgestaltung, die ein Ausdruck der Er- und Ideen die Besucher_innen in Bezug zum Thema Erinnerungskultur ist der im innerungskultur und -politik der Jahr- auf eine Gestaltung haben. Damit wird Halbjahresprogramm frei ausgeschrie- zehnte seit der Befreiung des KZ Bergen-­ zum einen der Umgang mit dem histori- bene Workshop „Wir sind, was wir erin- Belsen im April 1945 ist. So stehen in schen Ort in den vergangenen Jahren, nern...“, in Anlehnung an das Buch von den unterschiedlichen pädagogischen zumeist unter Bezug auf den jeweiligen Konrad Görg.1 Formaten immer das Kennenlernen gesellschaftlichen Kontext thematisiert In diesem eintägigen Workshop setzen des Ortes und eine Einführung in die und zum anderen die wichtige Frage sich die Teilnehmenden mit Formen und Geschichte(n) Bergen-Belsens am Be- nach der Zukunft der Erinnerung. Funktionen des Erinnerns und Geden- ginn des Besuchs der Gedenkstätte. Da die Vor- und Nachbereitung des kens auseinander. Im Rahmen eines Dann erfolgt die Auseinandersetzung Gedenkstättenbesuchs in aller Regel Rundgangs über das Gelände der Ge- mit speziellen Fragestellungen, oftmals bei den begleitenden Lehrer_innen oder denkstätte Bergen-Belsen werden die auch mit Fragen des Gedenkens und Er- Gruppenleitenden liegt, sind Qualifizie- Geschichten verschiedener Orte inner- innerns. Der konkrete Ortsbezug wirkt rungsangebote gerade zum Thema Erin- halb der Lager und der Umgang mit ih- als didaktisches Mittel, aber er darf nicht nerungspolitik und -kultur für Multiplika- ren baulichen Relikten sowie die Entste- darauf reduziert werden: Die Gedenk- tor_innen von zentraler Bedeutung. So hungsgeschichte und Gestaltung von

stätte ist immer auch ein Ort des Geden- ist z.B. die spezielle Lehrerfortbildung 1 Wir sind, was wir erinnern: Zwei Generationen nach kens, des Erinnerns und der Trauer. Sie zum Thema „Geschichts- und Erinne- Auschwitz. Stimmen gegen das Vergessen. In: Erinne- rung an Erwin Katz. Konstanz 2012. ist gleichzeitig ein historischer Ort der rungskultur“ – ein Rahmenthema im Verfolgung, ein Friedhof und nicht zu- Kerncurriculum Geschichte für die gym- Moderationskarten zu Familiengeschichten der Teil­ nehmenden an der Jugendbegegnung „Die Geschichte letzt ein Lernort und Ort der Begegnung, nasiale Oberstufe – ein fester Bestand- beginnt in der Familie“ • Tetjana Umin Grabstätten und Mahnmalen erörtert. buddhistischer Mönche hat sich für ein können aber erst stattfinden, wenn alle 101 Wie sich Bergen-Belsen-Überlebende Friedensgebet hier versammelt. Die Ge- Seiten sich zum einen ihrer eigenen an die Zeit im Lager erinnern und welche denkstätte Bergen-Belsen als histori- Traditionen des Gedenkens und Erin- Botschaften sie damit verbinden, wird scher Ort der nationalsozialistischen nerns bewusst sind und zum anderen anhand von Zeitzeug_inneninterviews Verbrechen macht die Folgen der politi- eine Vorstellung von den Traditionen thematisiert. Ausgehend vom spezifi- schen Ausgrenzung sichtbar. Die Ver- der anderen erhalten. Der Austausch, schen Ort Bergen-Belsen, der auch Aus- mittlung der Geschehnisse im Konzent- die Verständigung darüber, führt in die druck deutscher Erinnerungskultur ist, rationslager Bergen-Belsen hat einen Gegenwart und das gelebte Miteinander. beschäftigen sich die Teilnehmenden Mönch dazu veranlasst, über seine eige- Die Bedeutung der Geschichte für die außerdem beispielhaft mit der Erinne- ne Verfolgungsgeschichte zu sprechen: Gegenwart wird präsent; nicht zuletzt, rungskultur in anderen Ländern. Er war 20 Jahre in China in einem Lager da über diesen Austausch auch interge- Die Opfer des Kriegsgefangenenlagers interniert. Das sind Erlebnisse, die in der nerationelle Weitergaben deutlich wer- und des Konzentrationslagers waren Gruppe bekannt sind, man spricht zu- den, die bis heute fortwirken. Deutlich Angehörige vieler Nationen. Auch die meist aber nicht darüber. Der Ort wird, dass Erinnerung nicht nur rück- Herkunftsländer der Besucher_innen der Bergen-Belsen lädt ein, über eigene wärtsgewandt ist, sondern dahin führt, Gedenkstätte Bergen-Belsen spiegeln Erfahrungen zu berichten und zu sich kritisch mit der heutigen Gesell- die Internationalität dieses Ortes wider. reflektieren. schaft auseinanderzusetzen. So kann Das hier Gehörte hat beispielsweise Im Rahmen internationaler Begegnun- der (vermeintlichen) zunehmenden australischen Aborigines eine neue gen werden auch die spezifischen For- Ferne des Nationalsozialismus begegnet Perspektive vermittelt, sich mit ihrer men der Erinnerung an den Holocaust, werden, die mit dem Schwinden der Geschichte und Situation auseinander-­ den Nationalsozialismus oder auch all- Erfahrungsgeneration auf Seiten der zusetzen und miteinander ins Gespräch gemeiner den Zweiten Weltkrieg in den Täter, Opfer und Zuschauer einhergeht. zu kommen. Ein weiterer Beleg für die jeweiligen Heimatländern thematisiert. internationale Relevanz des Ortes mag Insbesondere in deutsch-israelischen auch die Tatsache sein, dass eine japani- Begegnungen ist das eine zentrale sche Austauschstudentin sich in einem Frage, da am Ende einer Bildungsveran- mehrmonatigen Praktikum mit der deut- staltung in der Gedenkstätte Bergen- Teilnehmer arbeiten mit verschiedenen Bildquellen zur Geschichte der Gedenkstätte • Jesco Denzel schen Erinnerungs- bzw. Vergangen- Belsen zumeist eine Gedenkfeier abge- heitspolitik am Beispiel Bergen-Belsens halten wird. Überlegungen zu einem Schüler_innen setzen sich mit Formendes Gedenkens und Erinnerns auf dem Außengelände der Gedenkstätte auseinandersetzen möchte. Eine Gruppe gelingenden gemeinsamen Gedenken auseinander. • Jesco Denzel

Gedenkstätte Bergen-Belsen Die Mehrtagesprogramme der Gedenkstätte: Lernen – Austauschen – Interesse wecken

Sabine Bergmann, Monika Brockhaus, Daniel Seifert

102 Die Gedenkstätte Bergen-Belsen heit. Diese führte sie mehr als siebzig schen Stadtrallye mit Smartphones macht regelmäßig mehrtägige Angebote Jahre zurück an Orte von Massenverbre- und Stadtplänen ausgerüstet Gebäude, für Gruppen. Dabei reicht die Bandbreite chen des NS- und des stalinistischen Re- Denkmäler und Hinterhöfe durchforste- möglicher Formate von internationalen gimes zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. ten und sich so die Geschichte einer Begegnungen über Workshops für junge Wie Familien vor der Verfolgung lebten jüdischen Familie erschlossen, die sich Studierende bis zu Seminaren für Ju- und was es für Menschen bedeutete, in erfolgreich vor den nationalsozialisti- gendliche aus der Region oder Fortbil- einem Lager mit oder getrennt von An- schen Besatzern im Untergrund ver­ dungen für Multiplikator_innen. All diese gehörigen leben zu müssen, erfuhren stecken konnte. Veranstaltung bieten den Teilnehmen- die Jugendlichen bei eingehenden Besu- Neben der Busreise in die Ferne bildete den die Möglichkeit, sich intensiver mit chen der Gedenkstätten Bergen-Belsen, die Jugendbegegnung aber auch den dem historischen Ort und verschiedenen Auschwitz-Birkenau und verschiedener Ausgangspunkt für persönliche Reisen Aspekten der NS-Zeit auseinanderzuset- Erinnerungsorte in Lwiw in der Ukraine. in die Vergangenheit der Familien der zen, neue, bislang vielleicht unbekannte Einen interessanten Eindruck vermit- Teilnehmenden. Inspiriert durch die Orte Perspektiven einzunehmen und das Er- telte den Jugendlichen in dieser Hinsicht und Biographien und ausgerüstet mit fahrene „sacken zu lassen“. Nicht zuletzt das umfangreiche Interviewprojekt mit dem nötigen theoretischen und prakti- ermöglichen Mehrtagesveranstaltun- Überlenden der Lager Bergen-Belsen. schen „Handwerkszeug“ interviewten gen, einander besser kennen und ver­ Spannend fanden die Jugendlichen da- sie ihre Angehörigen. Häufig fragten sie stehen zu lernen, Vertrauen aufzubauen bei vor allem, wie Überlebende nach zum ersten Mal, was die Groß- oder Ur- und einen intensiveren Blick auf aktuelle 1945 in ihren Familien mit den teilweise großeltern erlebt und wie sie die „große Geschehnisse zu werfen. äußerst traumatischen Erfahrungen um- Geschichte“ im „Kleinen“ empfunden Mehr als 2000 Kilometer legten die gegangen sind – ein Aspekt, der in der haben. Neben den Interviews machten deutschen, ukrainischen und polnischen Schule nach ihrer Aussage meist viel zu persönliche Gegenstände wie Fotos, Ta- Jugendlichen im Rahmen ihrer Teilnah- kurz komme. Als die Teilnehmenden in gebücher oder offizielle Dokumente die me an der Jugendbegegnung „Die Ge- Oświęcim die Auschwitz-Überlebende Familiengeschichte für alle noch greifba- schichte beginnt in der Familie“ jeweils Zofia Posmysz zum Gespräch über ihre rer. So interessant die Entdeckungen an zurück. Die einundzwanzig Projektteil- Lebensgeschichte trafen, hörten die Ju- den Erinnerungsorten und in den eige- nehmenden begaben sich zwischen Au- gendlichen der 92-jährigen wie gebannt nen Familien waren, so wichtig war zu- gust 2015 und März 2016 nicht nur auf zu. Und in Lwiw schaute so mancher gleich, den interkulturellen Austausch eine Reise in die Ferne, sondern auch Einheimische etwas verwundert auf die Trinationaler Gedenkstättenbesuch Didi Tal stellt die auf eine Spurensuche in die Vergangen- Teenager, die im Rahmen einer histori- Biographie ihres Großvaters vor • Tessa Bouwman beim Basteln traditioneller ukrainischer in die Gedenkstätte Bergen-Belsen ab- Die Summer School versteht sich als 103 Stoffpuppen, beim Kosten polnischen geordnete Lehrer Joachim Kasten konn- ein Forum zur Diskussion: Welche Inter- Essens oder beim Nachspielen des te hier die Teilnehmenden seiner Schule essengruppen gestalten Erinnerung an Märchens vom Froschkönig zu stärken. bei dem Besuch begleiten. Im Fokus des den Nationalsozialismus und den Holo- Mit dem Goethe-Institut konnte für Gedenkstättenbesuches standen neben caust? Wie stellen Spielfilme histori- eine zweite Auflage des Begegnungs­ der Geschichte der Familie Tal – darüber sches Geschehen dar? Wie kann man formats, diesmal mit Jugendlichen aus berichtete die israelische Praktikantin das sichtbar machen, worüber es keine Ungarn, Deutschland und der Ukraine, Didi Tal, deren Großvater in Bergen-­ Zeugnisse gibt oder was vergessen wur- ein weiterer hochrangiger Partner ge- Belsen befreit wurde – die in der de? Diese und weitere Fragen wurden wonnen werden. Anders als bei der Gedenkstätte vorhandenen lebens­ während der diesjährigen Summer ersten Auflage gab es zwar nur eine Be- geschichtlichen Interviews vor allem School ausführlich diskutiert. Daneben gegnung vom 20. bis 26. November in ehemaliger Häftlinge der Lager bietet die BBISS einen Einblick in die Deutschland. Dennoch empfanden die Bergen-Belsen. neuesten Möglichkeiten und Entwicklun- Jugendlichen ihre Teilnahme in vielerlei Vom historischen Ort ausgehend gen digitaler Lernumgebungen in der Hinsicht als bereichernd. Außerdem bietet die Gedenkstätte internationalen Gedenkstätte Bergen-Belsen. Einen konnten sich die nationalen Gruppen bei Bachelor- und Masterstudierenden in Höhepunkt im Programm bildete das Vorbereitungstreffen in Budapest, Kiew der Bergen-Belsen International Sum- Gespräch mit dem Bergen-Belsen-­ und Celle gezielt auf das Thema und den mer School (BBISS) eine multiperspekti- Überlebenden und Filmemacher Frank Besuch von Bergen-Belsen einstimmen vische und übergeordnete Auseinander- Diamand, der seinen Dokumentarfilm und überlegen, was sie von den anderen setzung. Themenschwerpunkt 2016 „When Memory Comes“ über den Teilnehmenden gerne erfahren möchten. waren Erinnerung, Gedächtnis und Zeit- Historiker Saul Friedländer, selbst Für gelingende internationale Veran- zeugenschaft im Spiegel digitaler, medi- Holocaustüberlebender, vorstellte. staltungen stehen auch Projekte, die aler und globaler Entwicklungen. Die von Partnerschulen initiiert werden und BBISS vermittelt den Teilnehmenden die Beschäftigung mit der Geschichte einerseits einen tieferen Einblick in die Bergen-­Belsens einschließen. Dafür Arbeit des internationalen Gedenk- und steht beispielsweise der dritte Teil der Lernortes Bergen-Belsen und ermöglicht Begegnung von Schüler_innen der IGS andererseits, die Perspektiven und Pro- Wedemark mit Schüler_innen aus Kra- jekte internationaler Referent_innen und Gershon Willinger mit seinen Zuhörern kau (Polen) und Charkiw (Ukraine). Der Wissenschaftler_innen kennenzulernen. • Tessa Bouwman

Gedenkstätte Bergen-Belsen 104 Neben internationalen Begegnungen sprachigkeit herausfordernd und ver- fanden Mehrtagesveranstaltungen mit langt allen Beteiligten ein erhöhtes Maß Jugendlichen aus Niedersachsen statt – an Aufmerksamkeit ab. Die Einbindung so unter anderem ein dreitägiges Semi- von Sprachmittler_innen und verschie- nar für etwa achtzig Schüler_innen des dene Übungen zum gegenseitigen Ken- 9. Jahrgangs der Oberschule Flotwedel nenlernen der Sprache sind in diesem bei Celle. Den thematischen Mittelpunkt Zusammenhang äußerst wertvoll. bildete das Thema „Kinder und Jugend­ Schließlich hängt der Erfolg mehrtägiger liche im Lager Bergen-Belsen“. In Programme auch von genügend Raum mehreren Arbeitsgruppen befassten zur Reflexion und für gemeinsame kultu- sich die Jugendlichen vertiefend mit ver- relle oder sportliche Aktivitäten ab. Das schiedenen Aspekten, zum Beispiel der stärkt das Miteinander und erleichtert, Veränderung familiärer Beziehungen die schwierigen Themen zu bearbeiten. im Lager, der Bedeutung von Häftlings- Nicht zuletzt eine solche Ausgewogen- kunst sowie einzelnen Verfolgungswe- heit ermöglicht nachhaltige persönliche gen und Lebensgeschichten. Kontakte und die Motivation, sich auch Mehrtägige Begegnungen ermögli- zukünftig mit dem Thema auseinander­- chen den Beteiligten neue Perspektiven zusetzen. auf auto- und familienbiographische Er- fahrungen, sie laden ein, die fremde, aber auch die eigene Ländergeschichte besser kennen zu lernen und sich eine Meinung über darauf bezogene Formen der Erinnerung und Geschichtspolitik zu bilden. Raum für den Austausch kultu- reller Besonderheiten muss es immer geben, wobei diese jedoch nicht im Sin- ne starrer Zuschreibungen übermäßig betont werden sollten. Gerade bei inter- nationalen Begegnungen ist die Mehr- Das freiwillige soziale Jahr (Politik) in der Gedenkstätte Bergen-Belsen

Nicola Schlichting

Am 1. September 2015 begannen er- Dazu sagte Katja Fiedler in ihrem Rede- aufgrund dessen, was damals passiert 105 neut zwei junge engagierte Menschen beitrag bei der Gedenkveranstaltung: ist, Verantwortung für die Zukunft über- ihr Freiwilligenjahr in der Gedenkstätte „Nach der Schule habe ich mich ent- nehmen möchte. Es gibt viele, die von Bergen-Belsen, Katja Fiedler und Nils schlossen, ein Jahr lang freiwillig hier in solch einer Verantwortung der nachkom- Hunold. Nach einer mehrwöchigen Ein- der Gedenkstätte zu arbeiten. In diesem menden Generationen sprechen, und ich arbeitungsphase arbeiteten beide rasch Freiwilligen Sozialen Jahr möchte ich möchte mich dafür einsetzen, dass das, selbständig: Sie machten Führungen, er- dazu beitragen, dass die Vergangenheit was damals geschah, im Bewusstsein ledigten Recherchearbeiten, leisteten in des Ortes nicht in Vergessenheit gerät, bleibt. Damit verbunden ist, so denke verschiedenen Abteilungen Unterstüt- dass man sich an das, was passiert ist, ich, auch, dass man sich gegen Rassis- zung und entwickelten eigene Ideen und erinnert und dadurch die Opfer und ihre mus und Diskriminierung stark macht Projekte. Eine jährlich wiederkehrende, Geschichten in gewisser Art und Weise und für Aufgeschlossenheit und Tole- feste Aufgabe der Freiwilligen ist die Be- weiterleben. Anfangs haben mich vor ranz eintritt. Ich bin sehr froh, dieses treuung von Überlebenden und deren allem mein großes Interesse an der NS- Freiwillige Jahr zu machen und werde Angehörigen beim Besuch zum Jahres- Zeit und meine Leidenschaft für Ge- auch viel hieraus mitnehmen. So habe tag der Befreiung. In diesem Jahr über- schichte hierher geführt. Ich wollte mehr ich zum Beispiel bei Führungen Besu- nahmen beide zusätzlich einen aktiven über die Geschichte dieses Ortes und chern, vor allem aber Jugendlichen, die Part während der Gedenkfeier. Nils trug über Gedenkstättenarbeit erfahren, da Geschichte dieses Ortes näher gebracht. während der Feier die Namen der im ich gerne dieses Jahr mit meinem Ge- Ich habe Materialen erstellt, die helfen letzten Jahr verstorbenen ehemaligen schichtsstudium anfangen möchte, um sollen, das Wissen über die damalige Häftlinge vor; Katja beteiligte sich in vielleicht auch später in diesem Bereich Zeit anschaulicher zu vermitteln und ich Form eines Redebeitrags. Das aktive zu arbeiten. Doch mittlerweile hoffe ich, arbeite zurzeit noch an einem Projekt Engagement unserer Freiwilligen an der mit meinem kleinen Beitrag an der Ar- mit, das dafür sorgt, dass man weiter Gedenkfeier wurde von allen Anwesen- beit hier auch etwas bewirken zu kön- über die Verstorbenen und ihre Schick- den sehr positiv aufgenommen. nen. Ich möchte die Leute erreichen und sale spricht. Denn diese Menschen hat- Jedes Jahr ist die Betreuung der Frei- dadurch die Möglichkeit schaffen, das ten ein Leben. Viele von ihnen hatten willigen eine besondere Herausforde- Bewusstsein der Menschen für die Ver- eine Familie, einen Beruf oder einen rung und es erfreut alle Mitarbeitenden gangenheit zu schärfen, damit sie auch Traum, was sie mit ihrem Leben an­ der Gedenkstätte immer wieder aufs das eigene Denken und Handeln kritisch fangen sollen. Sie waren ganz normale Neue, zu hören, mit welcher Motivation hinterfragen. Ein weiterer Grund, wes- Menschen, so wie du und ich, und ich diese jungen Menschen zu uns kommen. halb ich dieses FSJ mache, ist, dass ich glaube, es ist es wert, dass ihre

Gedenkstätte Bergen-Belsen 106 Geschichten erzählt werden. Dies und „Es ist wichtig, Lehren aus der Ge- und einige gehen sogar so weit und wer- vieles andere, was ich schon während schichte zu ziehen, damit noch beste- den gewalttätig. Anstatt sich so zu ver- meiner Zeit hier gemacht und erlebt hende Diskriminierungen abgebaut halten, sollten sie lieber Hilfsbereitschaft habe, habe ich mit viel Interesse getan. werden können. Dazu muss das Wissen und Verständnis zeigen. Die Menschen, Doch mein mit Abstand am meisten be- über diese Zeit weitergetragen werden. die zu uns kommen, mussten vor Krieg eindruckendes Erlebnis war, dass ich das Doch das Wichtigste ist, dafür zu sorgen, und Gewalt fliehen. Sie haben ihre Hei- Glück hatte, den Überlebenden Frank Di- dass das, was damals geschah, nicht mat verlassen und sich unglaublichen amand kennen lernen zu dürfen und er noch einmal passiert. Gefahren ausgesetzt, in der Hoffnung, mir von sich und seiner Geschichte er- Leider sind in Europa rechte Ansichten hier in Sicherheit zu sein. Es liegt in un- zählt hat.“ wieder häufiger geworden. In der aktuel- serer Verantwortung vor dem Hinter- Ein weiterer Punkt, der Katja Fiedler len sogenannten Flüchtlingskrise ver- grund der eigenen Geschichte, dass wir stark beschäftigte und aus dem sich eine breitet sich der Rassismus immer weiter dafür sorgen, dass der Rassismus aus starke Motivation für ihre Arbeit in der und immer mehr Menschen lassen sich den Köpfen der Menschen verschwin- Gedenkstätte Bergen-Belsen speiste, von rechtspopulistischen Strömungen det. In der Charta der Europäischen Uni- waren aktuelle politische und gesell- beeinflussen. Und nicht nur bei vielen on ist die Achtung der Vielfalt der Kultu- schaftliche Entwicklungen. Sicherlich Bürgern, sondern auch auf politischer ren festgeschrieben. Interkulturalität ist wäre es falsch, Mord und Verfolgung Ebene verblassen europäische Werte nichts Schlechtes, nichts, wovor man im Nationalsozialismus mit heutigen wie Solidarität, Offenheit und Toleranz. sich fürchten oder was man bekämpfen Formen des Rechtsextremismus oder Dabei sind gerade auch die Achtung der muss. Es ist etwas Bereicherndes. Offen gruppenbezogener Menschenfeindlich- Menschenwürde und die Wahrung der gegenüber anderen Kulturen zu sein keit gleichzusetzen, und die Gefahr ist Menschenrechte jedes Einzelnen ein und respektvoll miteinander umzuge- nicht von der Hand zu weisen, dass die Gut, das nicht beschädigt werden sollte. hen, sind Voraussetzungen für ein fried- Opfer von Bergen-Belsen und anderer Wenn man nun auf das Verhalten der liches Zusammenleben. Wir müssen auf- Mordstätten der Nationalsozialisten für Menschen, gerade auch hier in Deutsch- hören uns gegenseitig zu bekriegen, in heutige politische Zwecke instrumentali- land, schaut, fällt auf, dass viele intole- was für einer Weise auch immer, son- siert werden, und seien diese Ziele auch rant und voreingenommen sind. Sie wei- dern uns gegenseitig die Hand reichen. noch so begründet und gut gemeint. Zu gern sich zu helfen und einen Schritt auf Momentan ist es ein Traum, eine Hoff- Recht verwies Katja Fiedler aber auf ihre die Menschen, die fliehen mussten, zu- nung, ein Gedanke, aber das muss es Motivation, aus der Geschichte lernen zugehen. Stattdessen machen sie den Redebeitrag Katja Fiedler bei der Gedenkfeier zu wollen: Menschen klar, dass sie sie nicht wollen am 17. April • Helge Krückeberg nicht bleiben. Denn letzten Endes sind An seiner Beteiligung an der Betreu- 107 wir alle gleich. Egal welche Sprache wir ung von Überlebenden des Konzentra­ sprechen, egal aus welchem Land wir tionslagers und anderer prominenter kommen oder welcher Religion wir an- Gäste der Gedenkstätte begeisterte gehören, unsere Herzen schlagen den- Nils Hunold „die seltene Möglichkeit, noch gemeinsam. Wir alle sind Men- Zeitzeugen auch außerhalb von organi- schen. Mehr noch: Mitmenschen. Und sierten Gesprächen kennen zu lernen“. deshalb müssen wir auch lernen, uns Ausgehend von der Überlegung, das gegenseitig zu schätzen. Wir alle haben „Wiederholungsrisiko“ liege auf der Seite ein Recht darauf, frei von Diskriminie- der Täter_innen, und auch heute gebe es rung und Gewalt zu leben.“ Mechanismen, die Verbrechen wie dieje- Als Nils Hunold daran ging, eigene nigen im Nationalsozialismus möglich Führungen zu entwickeln, war er über- machten, entwickelte Nils Hunold als rascht, „wie viele und ausführliche Dis- eigenes Projekt einen Studientag zum kurse es über die Bildungsarbeit in Ge- Thema „Täterschaft“. Finde keine der­ denkstätten gibt und wie sich diese artige und nicht zuletzt (selbst-)reflexive Überlegungen auch von meiner bisheri- Auseinandersetzung statt, dann werde gen Vorstellung von (historisch-politi- das oft genannte „Nie wieder“ zu einer scher) Bildungsarbeit unterschieden leeren Floskel. oder deutlich darüber hinausgingen. Mittlerweile hat Katja Fiedler ihr Studi- Den Ansatz beispielsweise, die Besu- um der Geschichte und Politikwissen- cher_innen nicht mit vorgefertigten schaft aufgenommen, Nils Hunold stu- Interpretationen zu konfrontieren und diert Soziologie, und wir freuen uns, nicht zu überwältigen bzw. zu indoktri- dass er weiterhin als freier Mitarbeiter nieren, sondern sie bei ihrem individuel- Gruppen in der Gedenkstätte betreut. len Lern- und Erkenntnisprozess zu un- Wie danken Euch beiden für Euer großes terstützen, finde ich überzeugend und Engagement und wünschen Euch für die sehr sinnvoll.“ Zukunft alles Gute. Nils Hunold verlas bei der Gedenkfeier am 17. April die Namen der seit der Gedenkfeier 2015 Verstorbenen • Helge Krückeberg

Gedenkstätte Bergen-Belsen Anspruch und Wirklichkeit in der Vermittlungsarbeit an Gedenkstätten

Zur Aus- und Fortbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Besucherdienst der Gedenkstätte Bergen-Belsen

Monika Brockhaus, Nicola Schlichting

108 An Menschen, die in der Bildungsar- tiert, die nötig sind, um eine gute Ver- „aktuelle und historische Formen von beit von Gedenkstätten tätig sind, wer- mittlungsarbeit zu leisten: Über nicht Diskriminierung, Rassismus sowie von den hohe Anforderungen gestellt: sei weniger als 42 Fähigkeiten, die verschie- primärem und sekundärem Antisemitis- es von Seiten der politisch Verantwortli- dene Dimensionen dieser Arbeit abde- mus zu erkennen“, unterschiedliche chen, der Gesellschaft, der Teilnehmen- cken, sollte die Person verfügen.2 Es Identitätskonzepte, Geschichtsbezüge den, Lehrerinnen und Lehrern und ande- beginnt mit den „Grundlagen und ethi- und Erinnerungskulturen wahrzuneh- rer Multiplikator_innen, die mit ihren schen Dimensionen“ der Tätigkeit, wie men sowie zentrale Vorgaben der politi- Gruppen die Gedenkstätte besuchen, etwa sich der emotionalen und kogniti- schen Bildung einzuhalten, „insbesondere von der Gedenkstätte als Arbeitgeber, ven Anforderungen, die an die Teilneh- das Primat der Freiwilligkeit, das Über-­ aber vor allem und nicht zuletzt von den menden gestellt werden, bewusst wältigungsverbot und die Orientierung Personen selbst. zu sein; den Gegenstand multiperspek­ an den Teilnehmenden“. Anforderungen „Allein das Wissen zu den Orten der tivisch zu vermitteln; psychologische aus dem Bereich der „methodischen nationalsozialistischen Massenverbre- Grundkenntnisse; das eigene Handeln Dimension – Vermittlung und Haltung“ chen ist tief verunsichernd, umso mehr an den Werten des demokratischen Um- umfassen die Orientierung an den Teil- braucht pädagogische Vermittlung an gangs und der Achtung der Menschen- nehmenden hinsichtlich Sprache, Alter, diesen Orten Orientierung […].“1 Diese würde zu orientieren. Weiter gehören Kenntnisstand, kognitiven und emotio­ Orientierung zu geben und dabei das Anforderungen aus dem Bereich der nalen Fähigkeiten; das Verbot der Über- „Berufsbild Gedenkstättenpädagogik“ „themen- und ortsspezifischen Dimensi- wältigung bzw. Manipulation; einen zu entwickeln war Aufgabe eines Bun- on“ dazu, d.h. die jeweiligen Fachkennt- bewussten und sensiblen Einsatz und desmodellprojektes „Gedenkstättenpäd- nisse zur Geschichte des Ortes während Umgang mit Sprache. Die „selbstre­ agogik und Gegenwartsbezug“ während der NS-Zeit, zum geschichtlichen Kon- flexive Dimension“ verlangt von den der Jahre 2007 bis 2010. In diesem Zu- text, aber auch zur Geschichte der Ge- Gedenkstättenpädagog_innen das Hin- sammenhang erschien 2010 eine Publi- denkstätte und deren Wandel im gesell- terfragen der eigenen Rolle, der eigenen kation mit dem Titel „Verunsichernde schaftspolitischen Rahmen. Weiter Annahmen über Besucher_innen, Stereo­ Orte“, eine praktische und theoretische Grundwissen zu psychologischen Phä- type und Vorurteile, ihrer Geschichtsbil- Anleitung für Gedenkstättenpädagog_ nomenen wie Opferidentifikation oder der, ihrer Motivation zur Ausübung der innen, die auch die Kompetenzen reflek- Täter- und Gewaltfaszination. Die „politi- Tätigkeit und nicht zuletzt die Reflexion

1 Verunsichernde Orte. Selbstverständnis und sche Dimension“ meint die Fähigkeiten, der „spezifischen psychologischen Be- Weiterbildung in der Gedenkstättenpädagogik, hrsg. lastungen ihrer Arbeit“. Von Barbara Thimm/Gottfried Kößler/Susanne Ulrich, Frankfurt a.M. 2010, S. 9. 2 Vgl. ebd., S. 25–30. Ebenso die folgenden Zitate. Sich auf eine Tätigkeit in der Bildungsar- engamme, Flossenbürg oder Buchen- Vorstellung von Methoden, Materialien 109 beit von Gedenkstätten vorzubereiten ist wald – immer wieder Honorarkräfte oder und Leitlinien der Bildungsarbeit der Ge- durch ein Studium oder eine Ausbildung neue abgeordnete Lehrer_innen. Ent- denkstätte Bergen-Belsen, d.h. es findet nicht möglich. Schon die Angestellten sprechend finden, je nach Struktur und ein ständiger Perspektivwechsel statt, der Bildungsabteilungen verfügen über Lage der Gedenkstätte, in (un-) regelmä- zwischen der des Lernenden und der verschiedene Studienabschlüsse und ßigen Abständen Einarbeitungskurse für Metaebene. Konkret wird in Bergen-­ Berufsbiographien, für die freien Mitar- diese Personen statt, oder aber sie wer- Belsen versucht, anhand von Bildungs- beiter_innen und abgeordneten Lehrer_ den im laufenden Betrieb einzeln materialien Inhalte zu transportieren und innen – ohne die Bildungsarbeit in den eingearbeitet. gleichzeitig den Einsatz verschiedener meisten Gedenkstätten nicht vorstellbar Die vielfältigen Anforderungen der Methoden zu demonstrieren: etwa auf- ist – gilt diese Feststellung ebenso. Un- Tätigkeit stellen eine große Herausforde- bereitetes Quellenmaterial wie Bilder, ter den rund 40 Honorarkräften, die zur rung und zugleich eine Verantwortung Zeichnungen und Dokumente oder topo- Zeit in der Gedenkstätte Bergen-Belsen für diejenigen dar, in deren Zuständig- graphische Karten, die in Bergen-Belsen tätig sind, finden sich Historiker_innen, keit die Ausbildung der Mitarbeiter_in- in verschiedenen Variationen mit Grup- Kulturwissenschaftler_innen, Politolog_ nen der Besucherdienste fällt. Zum ei- pen als Einstieg in einen Besuch der Ge- innen, Lehrer_innen, Student_innen un- nen ist die Palette der notwendigen denkstätte genutzt werden. Den neuen terschiedlicher Fachrichtungen, Sozialar- Kenntnisse und Fähigkeiten sehr umfas- Kolleg_innen werden dabei Fakten und beiter_innen oder Angehörige weiterer send, zum anderen steht nicht unbe- Inhalte nahegebracht, gleichzeitig wer- Berufe. In Bergen-Belsen, wie auch den grenzt Zeit für Ausbildungseinheiten zur den im Gespräch darüber sowohl wichti- Besucherdiensten der meisten anderen Verfügung. Zeit wohlgemerkt, die von ge Kriterien für den Umgang mit Quel- Gedenkstätten, herrscht zudem eine den freien Mitarbeitenden unentgeltlich len, als auch Einschätzungen und mehr oder weniger regelmäßige Fluktu- investiert wird, noch bevor sie ihre Tä- Erfahrungen beim Einsatz der Methoden ation: Studierende wechseln ins Berufs- tigkeit aufnehmen. In Bergen-Belsen mit verschiedenen Lerngruppen thema- leben, Honorarkräfte bekommen ein fes- finden Einarbeitungsseminare für neue tisiert. Ein zentraler Punkt in diesen bei- tes Anstellungsverhältnis, Kolleg_innen Kolleg_innen im Besucherdienst, sofern den Tagen, der auch im Umgang mit gehen in Rente/Pension oder ziehen sich es sich um eine größere Gruppe handelt, aus anderen Gründen aus der Tätigkeit zweitägig, in der Regel an einem Wo- Methode Karteneinstieg mit topographischen Karten • Monika Brockhaus in der Gedenkstätte zurück. Daher sucht chenende bzw. einem Freitag und Sams- die Gedenkstätte Bergen-Belsen – eben- tag statt. Im Fokus der beiden Tage steht Sammlung von Arbeitsergebnissen bei der Ausbildung neuer Kolleg_innen für den Besucherdienst so wie andere Gedenkstätten, z.B. Neu- das Kennenlernen des Ortes und die • Katrin Unger

Gedenkstätte Bergen-Belsen 110 Besuchenden wichtig ist, ist die Wahr- fangenen- und Konzentrationslager, als zugrunde liegt: Welche Inhalte und nehmung des Ortes als Gedenkstätte, Lager für die Überlebenden, das soge- Themen kommen wo und wann in einer also als eines mehrfach überformten nannte Displaced Persons Camp, und Führung vor; welche Materialien werden und umgestalteten Ortes, an dem das die mehr als 70-jährige Geschichte der eingesetzt und wie; ist der Zeitplan historische Lager nicht mehr unmittelbar Gedenkstätte behandelt. Dies müssen angemessen? anzusehen und zu erfahren ist. die neuen Kolleg_innen im Besucher- Mit der Übernahme in den Besucher- Wichtig in der Ausbildung neuer Be- dienst sich eigenständig erarbeiten, dienst ist der erste Teil der Ausbildung treuer_innen ist uns darüber hinaus eine mithilfe von Materialien und Literatur, beendet und es liegt nun in den Händen Übung zur Selbstreflexion und zu der die von uns bereitgestellt werden. der Bildungsabteilung, für die Weiterbil- Frage, woher stammt „Mein Bild vom Im Anschluss an die beiden Einarbei- dung zu sorgen. Über das Jahr verteilte Nationalsozialismus“, aus welchen Quel- tungstage hospitieren die neuen Guides Treffen des Besucherdienstes – jeweils len speist es sich?3 Ziel der Übung ist die bei erfahrenen Kolleg_innen und lernen drei bis sechs Stunden – widmeten sich Vergegenwärtigung verschiedener, etwa somit die Praxis aus erster Hand kennen, 2016 dem Thema der „Berufsverbre- familienbiographischer, medialer oder erleben den Einsatz der Bildungsmateri- cher“ und „Sicherungsverwahrten“ im generationenspezifischer Prägungen alien und die Vielfalt der verschiedenen KZ Bergen-Belsen und der sowjetischen und der Austausch in Kleingruppen über Methoden und Zugänge der jeweiligen Kriegsgefangenen, Konzepte zu Bil- die Vielfalt von Geschichtsbildern und Kolleg_innen, bis sie sukzessive in die dungsveranstaltungen wurden vorge- deren Wahrnehmung. Begleitung von Besucher_innengruppen stellt und partiell ausprobiert, etwa der Ausgeklammert wird in beiden Tagen einsteigen. Die weitere Ausbildung ist Studientag mit dem Bergen-Belsen Ge- die Vermittlung von Kenntnissen zur Ge- ein Prozess von Selbststudium und lände-Guide oder zu „marginalisierten“ schichte des Nationalsozialismus, zur Begleitung und Beratung durch Kolleg_­ Opfergruppen; darüber hinaus gab es Situation in Europa in den 1930er und innen der Bildungsabteilung. Wichtig ist Exkursionen in die Gedenkstätten Ahlem 1940er Jahren, zum Zweiten Weltkrieg vor dem Einstieg als „Rundgangsleiter_ und Buchenwald. Die Auseinanderset- und zur unmittelbaren Nachkriegszeit. in“4 insbesondere die Besprechung des zung mit Bildungsangeboten anderer Diese werden für die Tätigkeit in einer erarbeiteten Konzeptes, das der Führung Gedenkstätten ermöglicht die Reflektion Gedenkstätte als gegeben vorausge- des eigenen pädagogischen Handelns. setzt. Vertiefend wird auch nicht die Ge- 4 Die Bezeichnung der Menschen, die in Gedenkstätten Lerngruppen in einer Bildungsveranstaltung betreuen schichte Bergen-Belsens als Kriegsge- sind vielfältig: Rundgangsleiter_innen, Gedenkstätten- pädagog_innen, Betreuer_innen, Guides. Keiner ist in den Augen der Zuständigen jedoch vollkommen ange- Fortbildungsfahrt nach Buchenwald, Besuch des 3 Vgl. Verunsichernde Orte, S. 112 ff. messen oder aussagekräftig. Außengeländes • Nicola Schlichting Dies galt insbesondere für die zweitä- Buchenwald einen wichtigen Teil dar- der Fall ist. In Bergen-Belsen werden da- 111 gige Fortbildungsfahrt zur Gedenkstätte stellen, sind in Bergen-Belsen nicht her die zum 1. Januar 2017 eingeführten Buchenwald, die darüber hinaus auch mehr möglich. Teilnahmebeiträge für Bildungsveran- zur Vernetzung und zum Austausch un- Kritisch erörtert wurde die Frage, wie staltungen auch dazu genutzt, die Hono- tereinander beitrug. Neben dem Ken- mit dem Ensemble aus Verbrennungs­ rarkräfte weiter zu qualifizieren, u.a. im nenlernen des Ortes und der neuen anlage, Pathologie und der in einem Bereich Selbstreflexion, Methoden und Dauerausstellung zum KZ Buchenwald Nebengebäude rekonstruierten Genick- Inhalte, um so weiterhin gute Bildungs- standen auch methodische Fragen im schussanlage in der Vermittlungsarbeit angebote gewährleisten zu können und Zentrum: So wurden z.B. thematische umzugehen sei. Im Fokus stand hier die darüber hinaus die Zufriedenheit und so- Einstiege aus der pädagogischen Praxis Frage, wie der „Faszination des Grau- mit das dringend erforderliche Engage- der Gedenkstätte Buchenwald präsen- ens“ begegnet werden kann, die dieser ment der Honorarkräfte auf dem bisheri- tiert, deren Vor- und Nachteile diskutiert Ort auf Besuchende auszuüben zu gen hohen Maß zu erhalten. sowie Bezüge aus der eigenen prakti- scheint. Die Teilnehmenden haben die schen Arbeit in der Gedenkstätte Bergen- ­ zweitägige Exkursion als äußerst positiv Belsen hergestellt. Ein weiterer Pro- wahrgenommen, so dass eine Fortfüh- grammpunkt war der Besuch der Res- rung dieser Art der Fortbildung für 2017 taurationswerkstatt, wo den Teilneh- in Planung ist. menden das Konzept einer pädagogi­- Die Aus- und insbesondere Fortbil- schen Arbeit vorgestellt wurde, die im dung von Honorarkräften im Besucher- Sinne des forschenden Lernens eine dienst ist wichtig und dringend geboten, haptische Auseinandersetzung mit Bo- wenn diese den ständig hinzukommen- denfunden aus der Lagerzeit ermöglicht. den Anforderungen gerecht werden sol- Da auch in der Bildungsarbeit in Bergen- len und eine Bildungsarbeit (mit-)leisten Belsen mit Bodenfunden gearbeitet wur- sollen, die von Politik und Gesellschaft de, bestand hier wiederum der Bezug gefordert wird und der ein hoher morali- zur eigenen Arbeit, gleichwohl das scher Stellenwert zugemessen wird. Konzept aufgrund der Gegebenheiten Dies ist nur möglich, wenn auch entspre- Besuch der neuen Ausstellung der Gedenkstätte in Bergen-Belsen ein völlig anderes ist; chende Mittel vorhanden sind, was in Buchenwald • Ilka Witte Grabungsarbeiten mit Gruppen, die in vielen Gedenkstätten nur unzureichend Besuch der Restaurationswerkstatt der Gedenkstätte Buchenwald • Nicola Schlichting

Gedenkstätte Bergen-Belsen Aktiv im Besucherdienst – Zum Beispiel …

Jana Katharina Grabowsky Sina Isabel Freund Elke von Meding

112 Die Bildungsangebote der Gedenk­ Was motiviert Dich, im Besucherdienst stätte Bergen-Belsen werden getragen der Gedenkstätte tätig zu sein? von den freien Mitarbeiter_innen und abgeordneten Lehrkräften im Besucher- „Inspiration für meine Arbeit im Besu- „Ich möchte mit meiner Arbeit dazu dienst, den Freiwilligen im FSJ Politik cherdienst sind mir Überlebende, die an beitragen, dass Machtstrukturen in und von den angestellten Mitarbeiter_­ den Ort ihres Leidens zurückkehren. Für Vergangenheit und Gegenwart wahrge- innen der Bildungsabteilung. So werden sie möchte ich die Erinnerung lebendig nommen und kritisch betrachtet werden die höchst unterschiedlichen und auch halten. Motivation sind mir Schüler, die können. In diesem Sinne möchte ich in sich sehr heterogenen Gruppen, die Fragen stellen. Für sie möchte ich Ge- Besuchern der Gedenkstätte Bergen- die Gedenkstätte besuchen, von einem schichte verständlich machen. Verant- Belsen Informationen über die Geschich- zumindest in mancher Hinsicht ebenfalls wortung sind für mich internationale te des Kriegsgefangenen- und Konzent- sehr heterogenen Besucherdienst der Gäste, die nach Bergen-Belsen kommen. rationslagers und das DP-Camp einge­- verschiedensten beruflichen und fachli- Für sie möchte deutsche Vergangenheit bettet in größere Zusammenhänge chen Hintergründe betreut: Schulabgän- und universelle Lehren aufzeigen.“ vermitteln.“ ger_innen, Studierende, aktive und ehe- Jana Katharina Grabowsky, Sina Isabel Freund, malige Lehrkräfte, Sozialarbeiter_innen, im Besucherdienst seit 2016 im Besucherdienst seit 2014 Historiker_innen und Pädagog_innen. Und so unterschiedlich diese Kolleg_­ „Erstens führt die ‚Heidebahn‘ durch innen sind, so unterschiedlich gestalten mein Dorf. Wenn dort ein Zug fährt sich die Begegnungen mit den Besu- (heute noch mit Panzern für den Trup- cher_innen der Gedenkstätte. Und so penübungsplatz), denke ich an die Züge unterschiedlich sind auch die Motive zur mit ihrer „Fracht“ für Bergen-Belsen! Arbeit in Bergen-Belsen. Hier einige Zweitens hieß meine Schule, an der ich Beispiele: fast 30 Jahre unterrichtet habe, Anne- Frank-Schule. Das war für mich ein Auftrag.“ Elke von Meding, im Besucherdienst seit 1995 Andreas Mischok Evelyn Thiel-van der Raadt Wolfgang Hertwig

Ann-Christine Stölpe Ann-Kristin Weinreich Bernd Eschment

Was ist Dir wichtig, an diesem Ort 113 zu vermitteln?

„Mich motiviert die Möglichkeit, kons- „Mir persönlich ist es ein zentrales truktiv mit der negativen Geschichte um- Anliegen, die Geschichte des Ortes so- zugehen und Bildung so zu gestalten, wie den erinnerungskulturellen Wandel dass Teilnehmende den hohen Wert von seiner Bedeutung in unserer Gesell- Demokratie und Menschenrechten bes- schaft zu vermitteln. Es geht dabei nicht ser schätzen und die Bedrohung durch nur um Inhalte und Fakten. Denn Ge- Ideologien der Ungleichwertigkeit und schichte ist nicht einfach Vergangenheit. Menschenfeindlichkeit ernst nehmen.“ Sie wirkt in vielfältiger Weise auch auf Andreas Mischok, unsere Gegenwart.“ im Besucherdienst seit 2005 Ann-Christine Stölpe, im Besucherdienst seit 2011 „Ich möchte mein Wissen weiter­ geben, weil das was hier passiert ist, „Es ist mir wichtig, besonders den nie wieder passieren soll.“ Jugendlichen zu vermitteln, dass diese Evelyn Thiel-van der Raadt, Geschichte oftmals auch ein Teil ihrer im Besucherdienst seit 2007 Familiengeschichte ist, da auch ihre Großeltern oder Urgroßeltern ein Teil „Ich bin in Bergen aufgewachsen und des Nationalsozialismus waren, ob als habe nach dem Studium als Geschichts- Opfer, Mitläufer oder Täter.“ lehrer und Schulleiter dort gearbeitet. Ann-Kristin Weinreich, Ich wollte immer auch das Geschehen im Besucherdienst seit 2016 aus dem Blickwinkel der Bevölkerung der Umgebung betrachten, aber auch „… Fakten vermitteln und hierüber deren Blickwinkel korrigieren.“ mit Besucher_innen in Berührung treten, Wolfgang Hertwig, Reflexionsprozesse anstoßen und so im Besucherdienst seit 1987 Bezüge zum eigenen Handeln finden.“ Bernd Eschment, im Besucherdienst seit 2016 Fotos • Privat Gedenkstätte Bergen-Belsen Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel

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Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel

Martina Staats unter Mitarbeit von Bianca Armbrecht, Lukkas Busche, Anett Dremel, Simona Häring, Gerald Hartwig, Arnulf Heinemann, Robert Heldt, Thomas Kubetzky, Janna Lölke, Ulrike Pätzold-Prote, Cornelia Schmidthals, Ina Stenger und Stefan Wilbricht

116 Neugestaltung nutzung des Gebäudes fand in Abspra- Raumfunktionen des Großobjektes ehe- che mit dem Niedersächsischen Landes- malige Hinrichtungsstätte. Im ehemali- Die Arbeit der Gedenkstätte wurde amt für Denkmalpflege eine umfassende gen Hinrichtungsraum erinnern Glasste- sehr stark von dem Neugestaltungspro- bauhistorische Untersuchung des Erdge- len mit biografischen Angaben an die jekt bestimmt: In Anwesenheit zahlrei- schosses statt. 527 Menschen, die dort in der NS-Zeit cher Gäste wurde am 25. August 2016 im Über Freilegungstreppen analysierten hingerichtet wurden. Rahmen einer Feierstunde der erste Ab- Baurestauratoren die historischen Im Hafthaus III wurden zudem ehema- schnitt der Neugestaltung der Gedenk- Farbanstriche an den Wänden und er- lige Gemeinschaftszellen als Großexpo- stätte in der JVA Wolfenbüttel abge- mittelten in einigen Räumen die origina- nate freigestellt und als multimediale schlossen. Kultusministerin Frauke len Bodenbeläge. Nach einer Farbanaly- Lernräume für die Gruppenarbeit ausge- Heilgenstadt, die Vorsitzende des Stif- se und Feststellung der Farbnutzung in baut. Im Eingangsbereich wird die Nut- tungsrates der Stiftung niedersächsi- den späten 1930er Jahren wurden an zungsgeschichte der Räume als Haft­ sche Gedenkstätten, würdigte die verschiedenen Stellen im Erdgeschoss zellen dargestellt. In der ehemaligen Neugestaltung als Beleg der „heraus­ großflächig bauhistorische „Zeitfenster“ Gemeinschaftszelle werden zurückhal- ragenden gesellschaftlichen Relevanz, an den Wänden freigelegt und in die tend anhand weniger Ausstellungsele- die Gedenkstätten als zentrale Erinne- Gestaltung integriert. mente NS-Strafvollzug und Haftalltag rungs- und Lernorte auch mehr als 70 Auch die ursprüngliche Raumstruktur im Strafgefängnis Wolfenbüttel themati- Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrie- wurde wieder erkennbar: Nachträglich siert. An diesem Ort wird auch auf die ges noch besitzen“. Eigens für die Veran- eingebaute Wände wurden entfernt und Nachnutzung der Zellen in der Bundes- staltung waren 20 Angehörige von Ge­ originale Türdurchbrüche wieder herge- republik eingegangen. In der ehemali- fangenen und Hingerichteten nach stellt. Ziel war es, den baulichen Zustand gen Arrestzelle werden wieder freige­ Wolfenbüttel gekommen, u.a. aus Frank- der 1940er Jahre sichtbar zu machen. Im legte Einritzungen gezeigt. reich, Belgien und den Niederlanden. ehemaligen Hinrichtungsraum legten Die Resonanz zum ersten Abschnitt Bauhistoriker am Standort der Guillotine war durchgängig ausgesprochen positiv. die Reste der Verankerung (Haltebolzen) In zweijähriger Arbeit wurde die ehe- und des Abflusses frei. Mit einer aufge- malige Hinrichtungsstätte umfassend legten Glasplatte werden die Freilegun-

restauriert und bauhistorisch erschlos- gen zukünftig geschützt. Raumwinkel Dr. Jens-Christian Wagner, Geschäftsführer der sen. Aufgrund der starken baulichen mit Zitaten und zurückhaltend einge- Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, begrüßt die Gäste zur Fertigstellung des ersten Bauabschnitts Überformung und wiederholten Um­ setzte Ausstellungstafeln erläutern die der Neugestaltung. • Verena Sohns Multimediale Lernumgebung außerdem über zwei große Projektions- anderen Beteiligten besonders hervor­- 117 flächen vorstellen und miteinander in zuheben. Ministerin Heiligenstadt zeigte sich Beziehung setzen. Die Benutzung der Mit Fertigstellung des Teilabschnitts insbesondere von den neu entwickelten Tische ist intuitiv angelegt und folgt den konnten ab September 2016 Besucher_ Multi-Touch-Tischen beeindruckt, die ihr Alltagsgewohnheiten aus dem Umgang innengruppen wieder die historischen von Schüler_innen des Wolfenbütteler mit Smartphone und Tablet. Sie eignen Orte der Gedenkstätte besuchen. Die Re- Theodor-Heuss-Gymnasiums und der IGS sich daher nicht nur für die Arbeit mit sonanz nach Führungen und Seminaren Wallstraße vorgestellt wurden. Im Sinne Schulgruppen, sondern sprechen war so groß, dass leider nicht allen Wün- forschend-entdeckenden Lernens bieten Besucher aller Altersklassen an. schen entsprochen werden konnte. Auch die Tische die Möglichkeit zur Auseinan- Die Arbeit mit den Tischen ist einge- die Angebote für Einzelbesucher_innen dersetzung mit digital aufbereitetem bunden in die Führungskonzeption der in öffentlichen Führungen waren schnell Quellenmaterial zur Geschichte der Gedenkstätte. Anknüpfend an den Rund- ausgebucht. Viele Besucher_innen nutz- Justizverbrechen im Nationalsozialismus. gang durch den historischen Ort kann an ten am Tag des Adventsbasars der JVA Hierfür wurde eine digitale Anwen- den Multi-Touch-Tischen bereits Gehör- die Möglichkeit, die neugestalteten dung konzipiert, mit der historische Do- tes wieder aufgegriffen und vertieft wer- Räume der Gedenkstätte im Hafthaus kumente und Quellen für die Arbeit mit den. Zudem wird die digitale Arbeit mit III zu besuchen und die Multi-Touch-­ Besuchergruppen didaktisch aufbereitet analogen Vermittlungsformen begleitet. Tische auszuprobieren. wurden. An sieben Multi-Touch-Tischen Über die Arbeit mit Bildern und Zitaten, können sich Kleingruppen anhand von einem Zeitstrahl oder Auszügen aus NS- Bildungsarbeit historischen Quellen und Bildmaterial Verordnungen wird selbst Erarbeitetes intensiv mit den Lebensschicksalen von in einen Gesamtkontext gestellt. Das Neugestaltungsprojekt nahm Opfern und Biografien von Tatbeteiligten Allen an diesem Abschnitt des Neu­ großen Einfluss auf die Bildungsarbeit. auseinandersetzen. Die Arbeit an den gestaltungsprojektes Beteiligten sei an Die Räumlichkeiten standen ab März Tischen findet aufgabengeleitet statt, dieser Stelle herzlich gedankt: Hier ist 2016 nicht mehr für Besuchergruppen bietet jedoch durch individuelle Zugän- besonders die gute Zusammenarbeit zur Verfügung. Die drei abgeordneten ge die Möglichkeit, selbstständig und mit und das besondere Engagement dem eigenen Interesse folgend vorzuge- des Staatlichen Baumanagement Braun- Bei den Feierlichkeiten zur Fertigstellung des ersten Bauabschnitts der Neugestaltung waren auch Familien- hen. An den Tischen erarbeitete Ergeb- schweig, der JVA Wolfenbüttel, dem angehörige von Betroffenen anwesend. • Verena Sohns nisse und abgespeicherte Dokumente Gestaltungsbüro Hinz & Kunst, die Soft- Namensstelen der zwischen 1937 und 1945 in können die Kleingruppen einander ware-Entwickler P.medien sowie allen Wolfenbüttel Hingerichteten, 2016. Jesco Denzel

Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel 118 Lehrkräfte Arnulf Heinemann (Theodor gesetzt und zerstört. Heute erinnern eine Beim Winterworkshop konnten dann Heuss Gymnasium/Wolfenbüttel), Ro- Gedenktafel an der Wand des dort er- die neugestalteten Räumlichkeiten der bert Heldt (IGS Wallstraße/Wolfenbüttel) richteten Wohnhauses und Stolpersteine Gedenkstätte genutzt werden. An den und Cornelia Schmidthals (Geschwister- an die einstige jüdische Gemeinde in Medientischen setzten sich die Teilneh- Scholl-Gesamtschule/Göttingen), die Wolfenbüttel. Das Thema „Verantwor- mer_innen mit verschiedenen Biografien sich eine Vollzeitstelle teilen, begleiteten tung“ kam auch durch das Konzept auseinander, anhand derer die Radika- die Gruppen daher alternativ an Wolfen- „Schüler führen Schüler“ doppelt zum lisierung und Unrechtmäßigkeit der nati- bütteler Orte, die mit der Geschichte des Tragen. Die älteren Schüler_innen des onalsozialistischen Justiz verdeutlicht Strafgefängnisses bzw. mit der NS-Zeit Regionalgeschichtskurs übernahmen wurden. Erstmalig wurde die Gruppe verbunden sind. Das Gräberfeld 13a/b Verantwortung, indem sie den jüngeren von Ausbildungsleiter Hans-Werner auf dem Hauptfriedhof, der Bahnhof und Schüler_innen die Bedeutung von Ge- Ruhkopf begleitet, der in einer abschlie- die Lessingstraße als letzter Standort denkorten für das Erinnern an – und das ßenden Reflexionsrunde die Intention der Wolfenbütteler Synagoge sind hier Lernen aus – der Geschichte vermittel- der Kooperation bekräftigte: „Das als exemplarische Orte zu nennen. ten. „Uns war es persönlich wichtig“, so Ganze hat mich sehr bewegt und zeigt, Lukas Wolfram aus der IGS Wallstraße, wie wichtig Demokratie ist. Das wollen Projektwoche „Verantwortung“ der „dass wir unser Wissen an andere Schü- wir den jungen Menschen mitgeben, Henriette-Breymann-Gesamtschule ler weitergeben konnten, damit die Ge- damit sie es weitertragen.“ schichte nicht in Vergessenheit gerät.“ Im zweiten Teil der Workshops beka- Unter Leitung von Arnulf Heinemann men die Auszubildenden einen Einblick und Robert Heldt und mit der Unterstüt- Workshop MAN in den laufenden Betrieb der heutigen zung des Wahlpflichtkurses „Regional- Justizvollzugsanstalt. Martin Berger in- geschichte“ der IGS Wallstraße erkun­dete Auch die gute Kooperation mit MAN formierte über die Unterbringung der der 7. Jahrgang der Henriette-­Breymann- Truck & Bus AG Salzgitter wurde 2016 Gefangenen und berichtete von deren Gesamtschule die Wolfen­bütteler Innen- unter Leitung von Cornelia Schmidthals Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten. stadt. Stationen der Führung waren un- und Robert Heldt weitergeführt. Im Rah- ter anderem der Bahnhof, das jüdische men der Workshops „Geschichte verste- Mahnmal am Schulwall und die ehe- hen – Toleranz leben“ stellten die Aus­ malige Synagoge in der Lessing­straße. zubildenden im Sommer nach einer Diese wurde bei den Novemberpogro- Erarbeitungsphase einander verschie- Blick in die neue multimediale Lernumgebung men 1938 von SA-­Angehörigen in Brand dene Gedenkorte in Wolfenbüttel vor. • Jesco Denzel Zusammenarbeit mit der benachbarten Bericht des Wahlpflichtkurses einen Verlauf sprachen. Der zweite 119 Schule IGS Wallstraße „Erinnerungskultur“ Schwerpunkt lag bei der Auseinander­ setzung mit anderen Gedenkstätten be­ Durch die räumliche Nähe und das He- Wir, die Schüler und Schülerinnen des ziehungsweise Möglichkeiten des Ge­ ranwachsen der 2010 neugegründeten WPK Kurses „Erinnerungskultur“ der IGS denkens und unseren Ansichten zu eben IGS Wallstraße gewinnt diese Kooperati- Wallstrasse haben uns in den letzten diesen. Unsere Aufgabenstellung lautete, on immer mehr an Bedeutung. So konn- neun Wochen jeden Mittwoch mit der dass sich jeder ein Bild einer Form des ten Schüler_innen des 11. Jahrgangs als Gedenkstätte der JVA Wolfenbüttel aus­ Gedenkens aussuchen und dazu seine erstes die digitalen Medientische selbst- einandergesetzt, indem wir diese auf­ Meinung in die Beschreibung dieses Bil­ ständig erproben. Die touchscreenerfah- suchten und dort arbeiteten. […] Durch des miteinbringen sollte. Somit entstan­ renen Schüler_innen hatten einige Ideen die Arbeit an den Medientischen konn­ den lange Diskussionen über das Ge­ zur technischen Optimierung, waren ten wir detaillierter verschiedene Perso­ denken und über Gedenkstätten, sowie aber vor allem voller Begeisterung für nen und deren Geschichten in Bezug auf über entehrte Gedenkstätten, die wieder die Medientische, „weil man selbst aktiv die Strafrechte der damaligen Zeit be­ restauriert wurden. Natürlich war die au­ sein“ kann, um sich seine Informationen trachten und für weitere Recherchen ver­ ßerschulische Gruppenarbeit nicht nur zu einer bestimmten Biografie zu be- wenden. Diese Arbeit fanden wir sehr in der Gedenkstätte präsent, auch in un­ schaffen. Hierbei könne man „selbst ent- spannend, vor allem, da diese Arbeits­ serem Unterricht beschäftigten wir uns scheiden, wie tief man sich informieren form durch die Medientische unterstützt weiter mit den angesprochenen Themen will“. Bei der feierlichen Fertigstellung und erleichtert wurde, da sie für solche der vorherigen Stunden. […] Der Ab­ des ersten Bauabschnitts am 25. August Gruppenrecherchearbeiten sehr gut ge­ schluss unserer außerschulischen Grup­ 2016 präsentierten diese Schüler_innen eignet sind. Darauffolgend verwendeten penarbeit war der Besuch der Hinrich­ die Medientische den geladenen Gästen, wir unser angesammeltes Wissen, um tungsstätte, […]. Durch die Vorarbeit, die unter anderem der Kultusministerin einen Zeitstrahl der Entwicklung des wir die Wochen davor geleistet hatten, Frauke Heiligenstadt und den Angehöri- Strafrechts im Nationalsozialismus zu er­ gen ehemaliger Inhaftierter und Hin­- stellen. Dem gesamten Kurs fiel sofort gerichteter. die Häufung der erlassenen Gesetze im Schüler_innen der IGS Wallstraße Wolfenbüttel informie- Verlauf der Jahre auf, woraufhin wir mit ren eine 7. Klasse der Henriette-Breymann-Gesamtschule über Gedenk- und Erinnerungsorte in Wolfenbüttel. Herrn Heldt, der uns innerhalb der Ge­ • Lukkas Busche denkstätte begleitet und unterstützt hat, Schüler_innen der IGS Wallstraße erproben die neuen über diesbezügliche Gründe für solch Multi-Touch-Tische. • Jesco Denzel

Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel 120 konnten wir uns vor Ort mit der Hinrich­ malige Hinrichtungsstätte und infor- Arbeitskreis Justizgedenkstätten tungsstätte und dem dort ausgestellten mierten sich über die weiteren Pläne. Material besser auseinandersetzen. Den Abschluss des Tages bildete ein Ge- Am 7. und 8. Oktober 2016 fand in der Die Gedenkstättenarbeit in der JVA denken am ehemaligen Hinrichtungsge- Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel hat unseren WPK Kurs in dem Sinne vor­ bäude und an den Gräbern der Hinge- das dritte Arbeitstreffen der Justizge- angebracht, dass wir uns nun besser mit richteten auf dem Städtischen Friedhof. denkstätten der Bundesrepublik statt: dem Strafrecht und den Gesetzen in der Auch an anderen Tagen besuchten Fa- Entstanden war die Idee zur Bildung ei- Zeit des Nationalsozialismus auskennen. milienangehörige die Gedenkstätte. 26 nes Arbeitskreises der Justizgedenkstät- Auch können wir uns nun professionel­ Familienangehörige der Widerstands- ten auf dem Symposium „Gedenkstät- ler mit Gedenkstätten auseinanderset­ gruppe „Belgische Legion“ aus Lichter- ten an Hinrichtungsorten und Gefäng- ­ zen, was uns bei unserer Studienfahrt velde (Belgien) – 16 Widerstandskämpfer nissen im Nationalsozialismus“, das die im Januar, in das ehemalige Konzentra­ aus dieser Gruppe waren am 15. Juni Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel tionslager Auschwitz, sehr helfen wird. 1944 hingerichtet worden – kamen am im Mai 2014 veranstaltet hatte. Ziel des 31. Oktober 2016 nach Wolfenbüttel, um Arbeitskreises ist die bessere Vernet- Familienangehörige sich über das Schicksal ihrer Familien­ zung der Einrichtungen, die Vorstellung angehörigen zu informieren und ihrer laufender Projekte und die Entwicklung Ein wichtiges Anliegen der Gedenk- gemeinsam zu gedenken. gemeinsamer Fragestellungen und Pro- stätte war die Intensivierung des Kon- Mit der Anfertigung von Frottagen jektideen. Mitarbeiter_innen der Gedenk­- taktes zu Familienangehörigen von wählte Sabine Pinkepank eine besonde- stätte Zuchthaus Cottbus, Gedenkstätte Hingerichteten und im Strafgefängnis re Art der Auseinandersetzung mit dem Bautzen, Gedenkstätte Zuchthaus Bran- Wolfenbüttel Inhaftierten. Erstmals fand historischen Ort: Die Künstlerin ist Enke- denburg, Gedenkstätte Roter Ochse am 10. April ein „Familientreffen“ statt. lin eines aus politischen Gründen im Halle (Saale), Gedenkstätte Münchner 25 Familienangehörige aus den Nieder- Strafgefängnis Wolfenbüttel in der Platz Dresden, Gedenkstätte Polizeige- landen, Belgien und Deutschland such- NS-Zeit Inhaftierten. fängnis Steinwache Dortmund, des Do- ten untereinander das Gespräch über die 2016 wurde ein erstes lebensge- kumentations- und Informationszent- Auswirkungen der Hafterfahrungen bzw. schichtliches Video-Interview geführt: Gemeinsames Frühstück der Familienangehörigen von Hinrichtung eines Familienangehörigen mit dem ehemaligen französischen Wi- Hingerichteten und ehemaligen Inhaftierten mit Mitar- beiter_innen der Gedenkstätte und des Neugestaltungs- auf ihr Leben. Gemeinsam mit den Ge- derstandskämpfer Jean-Luc Bellanger. projekts • Stefan Wilbricht denkstättenmitarbeiter_innen besuchten Weitere lebensgeschichtliche Inter- Gedenkzeremonie vor dem ehemaligen Hinrichtungs­ sie die in Umgestaltung befindliche ehe- views sollen 2017 folgen. gebäude mit Familienangehörigen • Stefan Wilbricht Nach einem Kolloquium am 9. Mai 2016 fand am 14. Juni 2016 im Rahmen des Einladungswettbewerbs für die Ge- staltung einer neuen Dauerausstellung eine Jurysitzung unter Vorsitz von Prof. Dr. Inge Marszolek statt. Sieben Gestal- terbüros stellten ihre Entwürfe vor. Die Entscheidung fiel auf die Konzeption von büroberlin, Berlin: Der Rundgang durch die Ausstellung beginnt schon im Erdge- schoss. Im Prolog werden Besucher_in- nen interaktiv in einer Zeitschleuse auf ihre Grundrechte aufmerksam gemacht. Der Hauptteil der Ausstellung befindet sich im 1. Obergeschoss. Die Geschichte des Strafgefängnisses Wolfenbüttel, der Hinrichtungsstätte sowie des Bereiches Erinnerungskultur wird als „asymmetri- sche Interaktion“ zwischen den Insassen als Individuen und einem Machtsystem dargestellt: Jedes Kapitel bekommt eine frei im Raum stehende „Themeninsel“. Der Bereich Verwaltung / Beteiligte / Institutionen wird in einem raumhohen Regal entlang der Außenwand themati- siert, das sich durch die gesamte Aus- stellung zieht. Die Haushaltsunterlage (HU)-Bau wur- de im November 2016 eingereicht. Eine Ergänzung zur Nutzungsvereinbarung zwischen JVA und Stiftung / Gedenkstätte ist in der Abstimmung. Eine Interinstitutionelle Planungsgrup- pe zwischen JVA Wolfenbüttel, Staatli- rums (DIZ) Torgau sowie der Gedenk­- Neugestaltung Teilprojekt III chem Baumanagement Braunschweig, 121 stätte in der JVA Wolfenbüttel nahmen Niedersächsischem Justizministerium teil, berichteten über aktuelle Projekte Im Rahmen des sog. Teilprojektes III und der Gedenkstätte in der JVA Wolfen- und diskutierten u.a. den Aufbau einer wird bis Spätherbst 2018 ein Neubau büttel unterstützt die Kommunikation gedenkstättenübergreifenden Daten- errichtet, in dem u.a. eine neu konzipierte und Abstimmung zwischen dem Neuge- bank zu den Exekutierten in den Richt- Dauerausstellung präsentiert wird. staltungsprojekt der Gedenkstätte und stätten der Reichsjustizverwaltung. Da es sich bei der Baumaßnahme der Umbaumaßnahme von Hafthaus I „Nebenan“: Die Gedenkstätte unter- um eine Landesbaumaßnahme handelt, der JVA. stützte und beteiligte sich an dem Re- wurde das Staatliche Baumanagement Das Projektteam des Teilprojektes III cherchetheaterprojekt des Staatsthea- Braunschweig mit der Durchführung ei- ist nach öffentlichen Stellenausschrei- ters Brauschweig zum AOK-Gebäude in nes EU-weiten Verhandlungsverfahrens bungen komplett: Unter Projektleitung Braunschweig. In dem Gebäude hatte nach VOF beauftragt. Am 4. April 2016 von Martina Staats stehen Bianca Arm- die SA ab März 1933 ein „Schutzhaftge- wählte eine Jury aus den eingereichten brecht (Verwaltung), Anett Dremel (wis- fängnis“ eingerichtet. Ulrike Hatzer und Entwürfen und nach einer Vorstellung senschaftliche Mitarbeiterin, Projektko- das Ensemble beschäftigten sich mit der der Entwürfe und der Architektenbüros ordination) und Dr. Thomas Kubetzky Frage, wie wir heute an die Verbrechen den Beitrag der Bietergemeinschaft Win- (wissenschaftlicher Mitarbeiter) nach ih- erinnern. kelmüller.architekten, Berlin und iwb in- rer erfolgreichen Arbeit im Teilprojekt II genieure, Braunschweig aus. auch für das Teilprojekt III zur Verfü- Wissenschaftliches Volontariat Das zweistöckige Ortbetongebäude gung. Janna Lölke (wissenschaftliche fügt sich in das vorhandene Gebäude­ Mitarbeiterin) und Ina Stenger (wissen- Zum 1. Mai 2016 wurde erstmals die ensemble ein. Ein gebäudeprägendes schaftliche Volontärin) ergänzen das neu eingerichtete Stelle eines wissen- Fenster im Bereich der Ausstellungsebe- Team. Als Büroräume können wieder schaftlichen Volontärs mit dem Histori- ne ermöglicht eine Blickbeziehung zu Räume im Verwaltungsgebäude der ker Lukkas Busche besetzt. den historischen Orten. Erschlossen JVA Braunschweig genutzt werden. wird der Neubau über den Parkplatz der Volksbank.

Entwurf des neuen Ausstellungsgebäudes mit Blick auf das Sichtfenster • winkelmüller.architekten

Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel Gedenkstättenförderung Niedersachsen

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Gedenkstättenförderung Niedersachsen Gedenkstättenförderung Niedersachsen

Rolf Keller

124 Die vielfältigen Aufgaben und Aktivitä- mehrere Orte, an denen sich in letzter darüber hinaus Kooperationsabsprachen ten der Abteilung, die laut Stiftungsge- Zeit Gedenkstätteninitiativen entwickelt mit regionalen Bildungseinrichtungen, setz der Förderung der Gedenkstättenar- haben. Anlässlich eines Besuchs in Au- so dass gute Perspektiven für eine er- beit und Erinnerungskultur im Land rich und Engerhafe am 25. Mai berichte- folgreiche und nachhaltige Gedenkstät- Niedersachsen verpflichtet ist, sind mit ten Vorstand und Mitglieder des Vereins tenarbeit bestehen. den Begriffen finanzielle Zuwendungen, Gedenkstätte KZ Engerhafe über aktuel- Schwerpunkte der 28. Sitzung der Hilfestellung bei Forschung und Doku- le Projekte (Rekonstruktion der Grab­ Wissenschaftlichen Fachkommission mentation, konzeptionelle Beratung, Ver- lagen der KZ-Opfer auf dem Friedhof, (WFK) am 16. und 17. Juni 2016 in Han- netzung der pädagogischen Arbeit und Erweiterung und Neukonzeption der nover waren die Diskussion eines mittel- Fortbildungsangebote nur ansatzweise Ausstellung im Pfarrhaus, kontextuali- fristigen Förderkonzepts für die Gedenk- umrissen. Im Mittelpunkt der Arbeit ste- sierende Erläuterungen am ehemaligen stättenarbeit in Niedersachsen, die hen dabei stets die Gedenkstätten, Ver- Lagergelände) und erhielten Informatio- Beratung des Neugestaltungskonzepts eine, Initiativen und Einzelpersonen, die nen über Möglichkeiten der Förderung für die Gedenkstätten Augustaschacht sich auf lokaler und regionaler Ebene mit durch die Stiftung. In Jever und Stadtha- Hasbergen und Gestapokeller Osna- der Erforschung, Dokumentation und gen fanden Gespräche mit Vertretern brück und die Beratung von Förder­an­ Vermittlung der Geschichte von Wider- zweier Initiativen statt, die jeweils aus- trägen für einzelne Projekte. stand und Verfolgung 1933 bis 1945 und gehend von einem zentralen Ort (ehema- Im Mittelpunkt stand das aktualisierte den Folgen beschäftigen. Besondere lige Synagoge in Stadthagen, Gröschler- Konzept zur Förderung der Gedenkstät- Aufmerksamkeit gilt dabei den Vereinen, haus am ehemaligen Standort der Syn­- tenarbeit in Niedersachsen, ein internes die eine Neugestaltung oder Erweite- agoge in Jever) ein Dokumentations- Grundsatzpapier zu Schwerpunkten und rung ihrer Dokumentationsstätte planen. und Bildungskonzept für die Orte der Zielen der Förderpolitik, das für die WFK Hierfür stellt das Land Niedersachsen Verfolgung und des Widerstandes im und die Stiftung als Orientierungs- und jährlich eine Million Euro zusätzlich zur Kreis Schaumburg bzw. „Erinnerungs­ Entscheidungshilfe bei der Beratung von Verfügung. So wurden im Verlauf des orte“ im Landkreis Friesland erarbeiten Projektanträgen und der Diskussion um Jahres z.T. mehrmals intensive Gesprä- und teilweise schon umgesetzt haben. die zukünftige Entwicklung der Gedenk- che mit den Vertretern der entsprechen- An beiden Orten gibt es eine breite Un- 9. März: Die ehemalige Synagoge in der Innenstadt den Gedenkstätten geführt (Liebenau, terstützung durch Politik, Kommunen von Stadthagen wird zu einem Lernort umgebaut. • Rolf Keller Lüneburg, Moringen, Augustaschacht/ und Kultureinrichtungen wie z.B. die Gestapokeller Osnabrück). Die Mitarbei- Schaumburgische Landschaft oder den 11. März: Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats der Gedenkstätten Gestapokeller Osnabrück und Augusta- ter_innen der Abteilung besuchten auch Träger des Schlossmuseums Jever, schacht Hasbergen • Gedenkstätte Augustaschacht stättenarbeit in Niedersachsen dient. hilfreich u.a. zur Rekrutierung und För- sionsziel war die Rüstungs- und Lager- 125 Das Papier beschreibt den aktuellen derung von Nachwuchskräften versteht landschaft in der Schwaneweder Heide Stand der Förderung, gibt Auskunft über die WFK die Einrichtung von Volontär- beiderseits der Grenze zwischen den die unterschiedlichen Förderinstrumente stellen in den Gedenkstätten für jeweils Bundesländern Bremen und Niedersach- und begründet zukünftige Schwerpunkt- zwei Jahre aus Mitteln des Förderetats. sen mit dem im November 2015 neu er- setzungen. Um den Anforderungen und Die Diskussion des inhaltlich-pädago- öffneten „Denkort Bunker Valentin“ Erwartungen als Bildungs- und Doku- gischen Konzepts für die Gedenkstätten (Bremen) und der Dokumentationsstätte mentationsorte zur Geschichte des Nati- Gestapokeller und Augustaschacht und „Baracke Wilhelmine“ (Niedersachsen). onalsozialismus und seinen Verbrechen des vorgelegten Entwurfs eines entspre- Auf Initiative der Abteilung GFN wur- gerecht werden zu können, ist nach Auf- chenden Antrages auf komplementäre de seitens der zuständigen Behörden fassung der WFK eine Verbesserung der Förderung des Neugestaltungsprojekts (Landesämter für Denkmalpflege Nieder- personellen, finanziellen und zum Teil durch Mittel des Bundes (BKM) war ein sachsen und Bremen, Untere Denkmal- auch räumlichen Ausstattung der nie- weiterer wichtiger Punkt der Beratun- schutzbehörde Schwanewede) und dersächsischen Gedenkstätten anzustre- gen. Die WFK hat das Konzept grund- weiteren Beteiligten (Denkort Bunker ben. Voraussetzung hierfür ist eine ent- sätzlich befürwortet und eine Förderung Valentin, Vereine Lehrpfad Lagerstraße sprechende Aufstockung des Förderetats. des Projektes empfohlen. Inzwischen hat und Baracke Wilhelmine) die Denkmal- Nach Einschätzung der Mitglieder der auch die Beauftragte des Bundes für schutzstellung der ehemaligen „Rüs- WFK ist dem Vermittlungsaspekt in den Kultur und Medien eine Förderung tungslandschaft Farge/Schwanewede“ niedersächsischen Gedenkstätten ver- zugesagt. auf niedersächsischem Gebiet vorange- stärkt Aufmerksamkeit zu widmen. We- Am 9. Juni organisierte die Abteilung trieben. Am 11. Juli diskutierten die gen der allgemein nicht ausreichenden eine Fortbildungsfahrt für die Mitarbei- Beteiligten während eines Ortstermins personellen Ausstattung im pädagogi- terinnen und Mitarbeiter der Stiftung. schen Bereich ist die Abordnung von Das Format dient dem Kennenlernen der 25. Mai: Die im KZ Engerhafe verstorbenen Häftlinge wurden auf dem Friedhof an der Kirche in Einzelgräbern Lehrkräften an die Gedenkstätten auch historischen Orte und Gedenkstätten, bestattet. Die Gräberfläche wurde später überformt; der Verein hat inzwischen eine Umgestaltung umgesetzt, weiterhin erforderlich und ggf. auszu- dem Austausch der geförderten Gedenk- um die Grablagen der Toten wieder sichtbar zu machen. bauen. Langfristig sollte die Vermitt- stätten bzw. Kooperationspartner der • Günter Lübbers lungsarbeit in den Gedenkstätten wegen Abteilung GFN mit den Kolleginnen und 25. Mai: Das alte Pfarrhaus in Engerhafe, in dem die Dokumentation zur Geschichte des KZ untergebracht der spezifischen Anforderungen jedoch Kollegen aus anderen Bereichen der ist • Günter Lübbers vorrangig von eigens dafür ausgebilde- Stiftung und bietet einen Einblick in die 25. Mai: Gespräch mit Vereinsmitgliedern am tem Personal übernommen werden. Als Arbeitsfelder der Abteilung GFN. Exkur- Lagermodell des KZ Engerhafe • Günter Lübbers

Gedenkstättenförderung Niedersachsen 126 Einzelfragen und das weitere Vorgehen. tauscht und notwendige bzw. wünschens ­ Erklärung der Außenminister Steinmeier In Zusammenhang mit der Schutzstel- werte Maßnahmen im Bereich Pflege, und Lawrow vom 22. Juni 2016. Das Pro- lung formulierte die Abteilung GFN auch Gestaltung und Kontextualisierung arti- jekt wird künftig vom Volksbund Deut- eine Stellungnahme, die vor allem künf- kuliert. Am Ende des Workshops wurden sche Kriegsgräberfürsorge koordiniert. tigen Besitzern des Geländes die histori- Handlungsbedarfe formuliert, die Erstel- Am ersten Tag verständigten sich die schen Hintergründe vermitteln soll. lung eines Konzepts für die Gestaltung auf deutscher Seite Beteiligten (VDK, Auf Initiative der Abteilung GFN fand des Friedhofs verabredet und erste Maß- Auswärtiges Amt, Deutsches Histori- am 26. August ein Workshop zur Ge- nahmen wie z.B. die Sanierung des sow- sches Institut Moskau, Deutsche Dienst- schichte und Gestaltung des Friedhofs jetischen Mahnmals und die Sondierung stelle, Deutsches Rotes Kreuz) über das des Kriegsgefangenenlagers Bergen- eines Massengrabes außerhalb der Um- Projektdesign, am folgenden Tag fanden Belsen (Friedhof Hörsten) statt. Teilneh- wallung ins Auge gefasst. Im Vorfeld erste Gespräche mit den russischen Part­- mende waren Vertreter des niedersäch- war der bereits seit längerem als Bau- nern statt. Zu den Konsultationen war sischen Ministeriums für Inneres und denkmal ausgewiesene Friedhof auf Ini- Dr. Rolf Keller als Berater eingeladen. Sport und des staatlichen Baumanage- tiative der Abteilung GFN nach einem Die diesjährige zentrale Informations- ments Lüneburger Heide als zuständige Ortstermin mit dem zuständigen Lan- und Fortbildungsveranstaltung für die Behörden, der Gedenkstätte Bergen- des- sowie dem Bezirksarchäologen Gedenkstätten und Initiativen in Nieder- Belsen, der Abteilung Gedenkstätten­ auch in die Liste der Bodendenkmale sachsen fand vom 14. bis 16. Oktober in förderung Niedersachsen, der AG Bergen-­ eingetragen worden. Notwendig wurde Hannover statt. Mehr als 80 Teilnehmen- Belsen e.V. und des Volksbundes Deut- dieser Schritt durch eine Baumaßnahme de beschäftigten sich diesmal mit dem sche Kriegsgräberfürsorge e.V. Das Tref- des Landes (Errichtung eines Wildschutz­- Thema „Kriegsgefangene in deutschem fen diente dazu, einen Austausch zwi- zauns um den Friedhof), bei deren Pla- 14. Juni: Besichtigung des Verschlages auf dem Dach­ schen denjenigen herzustellen, die nung die Abteilung ebenfalls mitwirkte. boden des früheren Concerthauses in Jever, in dem sich sich aus unterschiedlichen Perspektiven Am 22. November wurde die Gesprächs- die christlich-jüdische Familie Hirche zeitweise versteckt hielt • Hartmut Peters mit dem Friedhof beschäftigen. Nach ei- runde in Celle fortgesetzt. 16. Juni: Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats für ner Begehung des Friedhofs mit Erläute- Grundsätzliche Fragen der geplanten Gedenkstättenarbeit in Niedersachsen unter der Leitung rungen über die ursprüngliche Gestal- Fortsetzung des deutsch-russischen von Prof. Inge Marßolek im Hans Lilje-Haus in Hannover • Jens Binner tung und Veränderungen seit Kriegs­- Erschließungsprojektes „Sowjetische 15. Oktober: Tagung „Kriegsgefangene in deutschem ende sowie Erörterungen über den Pfle- Kriegsgefangene“ wurden am 14. und Gewahrsam 1939-1945“; Jens Nagel (Gedenkstätte gezustand wurden Informationen zu ak- 15. September in Berlin diskutiert. Grund­- Ehrenhain Zeithain) referiert in Hannover über „Wehr- macht, Zivilisten und Gefangene in der deutschen tuellen und geplanten Projekten ausge- lage ist eine entsprechende gemeinsame Kriegsgesellschaft“. • Jens Binner Gewahrsam 1939–1945“. Ausgewiesene 127 Experten und Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter von Gedenkstätten behandelten in ihren Vorträgen verschiedene zentrale Aspekte und Forschungsfragen wie die unterschiedliche Behandlung der einzel- nen Nationalitäten durch die Wehr- macht, die Frage der Politik gegenüber den Juden unter den Kriegsgefangenen, die Organisation und Praxis des flächen- deckenden Arbeitseinsatzes, Interaktio- nen zwischen Gefangenen, Wachmann- schaften und Zivilbevölkerung bis hin zum „verbotenen Umgang“, die Zusam- menarbeit zwischen Wehrmacht, Gesta- po und SS sowie Potenziale und Mög- lichkeiten der Bildungsarbeit zum Themenbereich Kriegsgefangenschaft und Genfer Konvention. Eine Exkursion führte zu den Relikten der großen Mann- schafts-Stammlager und zum Kriegsge- fangenenfriedhof bei Fallingbostel. Im 15. September: Die Teilnehmer der deutsch-russischen ehemaligen Entlausungsgebäude des Konsultationen zur Fortsetzung des Erschließungspro- jekts „Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und „Russenlagers“ Oerbke stellten Initiati- Internierte“ in der Deutschen Dienststelle (WASt) in ven und Vertreter der Kommunen die Berlin • Deutsche Dienststelle Berlin Gedenkstättenarbeit vor Ort und Planun- 14. Oktober: Pausengespräche während der Tagung „Kriegsgefangene in deutschem Gewahrsam 1939– gen für den Umgang mit den baulichen 1945“ • Jens Binner

Relikten sowie dem Friedhof zur 15. Oktober: Exkursion nach Bad Fallingbostel und Diskussion. Oerbke; Abschlussdiskussion im Entlausungsgebäude des früheren Kriegsgefangenenlagers Oerbke • Peter Wanninger

Gedenkstättenförderung Niedersachsen Tag des offenen Denkmals 2016 Landesweiter Start in der Gedenkstätte Augustaschacht und Aktionen der niedersächsischen Gedenkstätten

Juliane Hummel

128 Der von der Deutschen Stiftung Denk- In seiner Begrüßung verdeutlichte Georg cken der deutschen Geschichte sollten malschutz initiierte, jährlich im Septem- Hörnschemeyer, Vorsitzender des Trä- an den historischen Schauplätzen ab- ber stattfindende „Tag des offenen gervereins, dass etliche der NS-Gedenk- lesbar bleiben. Deren Erhalt sei eine Denkmals“ stand 2016 unter dem Motto stätten – so auch Augustaschacht und gemeinschaftliche Aufgabe von staat­ „Gemeinsam Denkmale erhalten“ und Gestapokeller in Osnabrück – aus bür- lichen Akteuren und Zivil­gesell­schaft. damit im Zeichen gemeinschaftlichen gerschaftlichem Engagement für die Der Konsul des Generalkonsulats Handelns für den Erhalt historischer „Spuren der eigenen Geschichte“ ent- Düsseldorf des Königreichs der Nieder- Bausubstanz. Das Augenmerk galt dem standen seien. Für den Verein bedeute lande, Hans van den Heuvel, lobte in Zusammenspiel und partnerschaftlichen Denkmalerhaltung, das Gebäude in sei- seinen Grußworten die Gedenkstätte Miteinander von privaten und öffentli- ner wechselvollen Geschichte als Indust- als „wertvollen Raum“, um das Anden- chen Initiativen, Vereinen und ehrenamt- riedenkmal und Ort von NS-Verbrechen ken an die mehr als 2000 Inhaftierten, lich Tätigen, Denkmalbesitzern, Denk- wahrzunehmen und entsprechend zu ge- darunter viele Niederländer, zu erhalten malnutzern und Denkmalbehörden. stalten. Die niedersächsische Ministerin und weiterzugeben. Darüber nachzu­ Das für den Aktionstag in Niedersach- für Wissenschaft und Kultur, Gabriele denken sei, wie in Anbetracht des Ver- sen verantwortliche Ministerium für Heinen-Kljajić, betonte in ihrer Eröff- schwindens der Zeitzeugen künftig am Wissenschaft und Kultur hatte die Ge- nungsrede, wie wichtig der Erhalt sol- Ort des Geschehens ein „Sensorium“ denkstätte Augustaschacht in Hasbergen-­ cher Denkmale sei. Am historischen Ort geschaffen werden kann, das „frühzeitig Ohrbeck bei Osnabrück als Ort der Er- ­ könne insbesondere jungen Menschen anschlägt bei sich breitmachender Into- öffnungsveranstaltung gewählt. Damit Geschichte nahe gebracht und Demokra- leranz und Rassismus.“ wurde der Fokus auf ein Baudenkmal ge- tieverständnis vermittelt werden. Die In seinen Grußworten zollte der Bür- lenkt, dessen Erhalt vor allem aufgrund Definition dessen, was ein Denkmal sei, germeister der Gemeinde Hasbergen, seiner historischen Bedeutung als Ort basiere auf sozialen Konstruktionen, und Holger Elixmann, große Anerkennung der Verfolgung während der NS-Zeit jede Gesellschaft lege für sich fest, wel- allen, die die Geschichte dieses Orts von öffentlichem Interesse ist. Rund che Erinnerungsinhalte von zentraler wachhalten. Durch das engagierte Zu- 150 Gäste folgten der Einladung des Bedeutung seien. Wesentlich sei eine sammenspiel vieler verschiedener Ak- niedersächsischen Landesamtes für anhaltende, gesellschaftlich breit auf­ teure sei das Motto des Tages an der Denkmalpflege und des Trägervereins gestellte Debatte, in der der Stellenwert Gedenkstätte Augustaschacht beson- der Gedenkstätten Augustaschacht der Denkmalpflege mit dem Ziel eines ders gut umgesetzt. und Gestapokeller Osnabrück e.V. gesellschaftlichen Konsenses ständig „Denkmale gemeinsam erhalten“ be- neu justiert werden müsse. Die Schre- titelte Prof. Dr. Stefan Winghart, Präsi- dent des niedersächsischen Amts für Beide Stücke entstanden an der Gedenk- 129 Denkmalpflege, sein Referat und stellte stätte im Rahmen von Projekten mit mit selbstkritischem Blick auf die Ge- Jugendlichen und Senioren und gaben schichte seines Faches und im Rückblick einen lebendigen Eindruck von der auf die Aufarbeitung der NS-Diktatur in Arbeit der Einrichtung. der Bundesrepublik fest, dass die Stätten des NS-Terrors ohne zivilgesellschaftli- ches Engagement kaum in den Blickwin- kel der Denkmalpfleger gerückt wären. Heute bekommt die denkmalpflegerische Beschäftigung mit diesen Orten eine neue Bedeutungsdimension, nicht zu- letzt auch aufgrund des Verschwindens der Zeitzeugen. Winghart resümierte, die denkmalpflegerische Arbeit mit diesen Orten habe gerade erst begonnen. Der Geschäftsführer der Stiftung nie- dersächsische Gedenkstätten, Dr. Jens- Christian Wagner, verdeutlichte in seinem Referat „Gedenkstättenarbeit als gesell- schaftliche Aufgabe“, dass der Erhalt sol- Vor der Gedenkstätte Augustaschacht, von links: Prof. Dr. Stefan Winghart, Präsident des Niedersächsischen cher Denkmale wie des Augustaschach- Landesamtes für Denkmalpflege; Filiz Polat, MdL; Hans tes wichtig sei, allerdings müssten den van den Heuvel, Konsul des Generalkonsulats des Königreichs der Niederlande, mit Gattin; Dr. Michael Besucher_innen die notwendigen histori- Gander, Geschäftsführer des Vereins Gestapokeller und Augustaschacht e.V.; Dr. Gabriele Heinen-Kljajić, Nieder- schen Informationen gegeben werden. sächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur; Einen Kontrapunkt zu den Redebeiträ- Holger Elixmann, Bürgermeister der Gemeinde Hasber- gen; Burkhard Jasper, MdL und Bürgermeister der Stadt gen setzten eingespielte Videosequen- Osnabrück; Susanne Breiwe, stellvertretende Landrätin des Landkreises Osnabrück; Dr. Jens-Christian Wagner, zen der Theaterproduktionen „Untertau- Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenk- cher“ und „Rosengarten“ des nieder-­ stätten; Georg Hörnschemeyer, Vorsitzender des Vereins Gestapokeller und Augustaschacht e.V. • Carina Wehrstedt,­ ländischen Künstlers Theo van Delft. Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege

Gedenkstättenförderung Niedersachsen 130 Am Aktionstag beteiligten sich weitere Etwa 300 Interessierte folgten der niedersächsische Gedenkstätten: Einladung der Gedenkstätte Lager Sand- Ein ganz besonderes Angebot erarbei- bostel, die wie jedes Jahr zum Aktionstag teten die Mitarbeiter_innen der KZ-Ge- stündlich Führungen über das ehemali- denkstätte Moringen. In Kooperation mit ge Lagerareal durchführte und Gebäude der freien Theaterformation „stille hunde“ zugänglich machte, die im normalen Be- (Göttingen) und Schüler_innen der KGS trieb der Gedenkstätte verschlossen Moringen entstand ein szenischer Rund- sind. gang durch den ehemaligen Gebäude- komplex des Konzentrationslagers, der Die Stiftung niedersächsische Ge- heute als Teil des Maßregelvollzugszent- denkstätten legte anlässlich des Tages rums Moringen nicht öffentlich zugäng- des offenen Denkmals ein Faltblatt lich ist. „Bau.Denk.Mal! Bauliche Relikte und Die Gedenkstätte Bergen-Belsen bot Denkmalpflege an Schauplätzen der NS- einen Rundgang über das ehemalige Diktatur in Niedersachsen“ auf, das über Lagergelände sowie eine Busexkursion die Besonderheiten dieser Kulturdenk- zur Bundeswehrkaserne Hohne an, in male informiert.

der von 1945 bis 1950 das DP-Camp Festveranstaltung des Landes Niedersachsen in der Bergen-Belsen untergebracht war. Gedenkstätte Augustaschacht: Der voll besetzte Saal belegt das große Interesse zum Tag des offenen In Salzgitter lud der Arbeitskreis Stadt- Denkmals. • Carina Wehrstedt, Niedersächsisches geschichte e.V./ Gedenk- und Dokumenta- Landesamt für Denkmalpflege tionsstätte Drütte in Kooperation mit der Die Gedenkstätte Moringen präsentierte einen szeni- schen Rundgang in Kooperation mit stille hunde Thea- Jüdischen Gemeinde Braunschweig zu ei- terproduktionen und Schüler_innen der KGS Moringen nem Rundgang über den jüdischen Fried- • KZ Gedenkstätte Moringen hof in Salzgitter-Bad, außerdem führten Führung in der Gedenkstätte Bergen-Belsen: Dr. Thomas Rahe erläutert die historische Bedeutung der Funda- die Mitarbeiterinnen durch die früheren mentreste im ehemaligen Ungarnlager. • Katrin Unger, Räume des KZ Drütte auf dem Werksge- Stiftung niedersächsische Gedenkstätten lände der Salzgitter AG. Dabei standen Renate Wagner-Redding (Jüdische Gemeinde Braun- schweig) erläutert auf dem jüdischen Friedhof Salzgitter- Fragen nach einer denkmalverträglichen Bad jüdische Traditionen und Beerdigungsriten. • Arbeitskreis Stadtgeschichte e.V. Nutzung der Gebäude im Mittelpunkt. 131

Führungen am Tag des offenen Denkmals in der Gedenkstätte Lager Sandbostel • Gedenkstätte Lager Sandbostel

Gedenkstättenförderung Niedersachsen Mobile Ausstellung „Geschichte bewusst machen. Gedenkstättenarbeit in Niedersachsen“

Jens Binner

132 Die Gedenkstättenlandschaft in Nie- ziellen Fragen. Die dadurch bestehenden Ausgewählt wurden zwölf Orte, die dersachsen und Bremen ist vielfältig wie Möglichkeiten zur Abstimmung, Koope- alle zentralen Themen abdecken und kaum anderswo in Deutschland. Verteilt ration und Durchführung gemeinsamer wo dauerhaft Bildungsformate angebo- über die gesamte Fläche finden sich Projekte werden auf vielfältige Weise ten werden. Es sind zum einen bereits Lern- und Gedenkorte zu den wichtigs- genutzt. etablierte Einrichtungen und zum ande- ten Verbrechenskomplexen im National- Anlässlich der Unterzeichnung der Ko- ren Gedenkstätten, die sich noch in der sozialismus. Die zentralen Themen – operationsvereinbarung zwischen dem Entwicklung befinden: Judenverfolgung, Konzentrationslager, Land Niedersachsen und der Holocaust- • Gedenkstätte Ahlem der Region Zwangsarbeit, Kriegsgefangene, Medi- Gedenkstätte Yad Vashem (Israel) am Hannover (Thema „Judenverfolgung“) zinverbrechen/Euthanasie, Justizverbre- 26. Mai 2016 im Gästehaus der niedersäch-­ • Gedenkstätte Bergen-Belsen (Kriegs- chen – werden an mindestens einem Ort sischen Landesregierung in Hannover gefangenenlager der Wehrmacht und thematisiert. Die Vielfalt zeigt sich auch sollte diese Struktur, die man als Viel- Konzentrationslager der SS) in den organisatorischen Strukturen der falt in Einheit bezeichnen könnte, sicht- • Gedenkstätte Braunschweig Schill- Gedenk- und Dokumentationsstätten: bar gemacht werden. Ziel war es, wäh- straße (KZ-Außenlager in der Stadt) Während die Gedenkstätte Bergen-­ rend der Veranstaltung zu verdeut­lichen, • Gedenk- und Dokumentationsstätte Belsen und die Gedenkstätte in der JVA dass die Absichtserklärung zur vertief- KZ Drütte (Zwangsarbeit von KZ-Häft- Wolfenbüttel zur Stiftung niedersächsi- ten Zusammenarbeit mit Yad Vashem auf lingen im Stahlkonzern) sche Gedenkstätten gehören, werden vielfältigen Grundlagen aufbauen und • Gedenkstätte Esterwegen (Konzentra- die übrigen Einrichtungen durch Kom- an zahlreichen Orten mit Leben erfüllt tionslager, Strafgefangenenlager, munen, Stiftungen, Vereine oder auch werden kann. In Niedersachsen besteht Kriegsgefangenenlager im Emsland) Firmen getragen. Für die Vernetzung die Möglichkeit, das Thema „Holocaust“ • Dokumentationsstelle Pulverfabrik untereinander sorgen der Zusammen- mit anderen Verfolgungs- und Verbre- Liebenau („Zwangsarbeit in der schluss in der „Interessengemeinschaft chenskomplexen im Nationalsozialismus Rüstungsindustrie“) niedersächsischer Gedenkstätten und zu verknüpfen und die spezifischen Vor- • KZ-Gedenkstätte Moringen (Männer- Initiativen zur Erinnerung an die NS-Ver- aussetzungen und Abläufe der Entrech- KZ, Frauen-KZ, „Jugendschutzlager“) brechen“ sowie die Abteilung Gedenk- tung für jede einzelne Opfergruppe nach­- • Gedenkstätten Gestapokeller und stättenförderung Niedersachsen der zuvollziehen. Im Ergebnis gelangt man Augustaschacht in Osnabrück und Stiftung niedersächsische Gedenkstät- auf diese Weise zu einer Gesamtsicht Hasbergen (Gestapo und Arbeits­- ten als zentraler Ansprechpartner in in- des Nationalsozialismus als verbreche- erziehungslager) haltlichen, organisatorischen und finan- risches Regime. • Gedenkstätte Lager Sandbostel Hälfte werden in drei Absätzen und je- Bergen-Belsen und einer Tagung des Nie- 133 (Kriegsgefangenenlager, KZ-­ weils einem Foto die Geschichte des Or- dersächsischen Heimatbundes genutzt. Auffanglager) tes, die Gedenkstätte und die Bildungs- Die Resonanz hat gezeigt, dass es mit • Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel angebote vorgestellt. Darüber sind die der mobilen Ausstellung gelungen ist, (Hinrichtungsstätte, Justizverbrechen) individuellen Logos der Gedenkstätten auf die inhaltliche Vielfalt niedersächsi- • „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg integriert und visualisieren, dass hier scher Gedenkstättenarbeit neugierig zu (Zwangssterilisationen und „Euthanasie“- verschiedene Institutionen zusammen- machen. Der Rundgang mit Yossi Gevir Maßnahmen in der Kinderfachabteilung) gewirkt haben. Jedem Roll-Up-Banner als Vertreter der Holocaust-Gedenkstät- • Gedenkstätte „Alte Pathologie“ in ist eine Farbe zugewiesen, die in der un- te Yad Vashem im Anschluss an die Un- Wehnen/Bad Zwischenahn (Stätte des teren Hälfte als Hintergrund für ein re- terzeichnung der Absichtserklärung mit Patientenmordes) präsentatives Foto dient. Damit ist die dem Land Niedersachsen hat die ge- Die Präsentation der Gedenkstätten Ausstellung klar gegliedert, macht bei plante zeitliche Dauer jedenfalls deutlich wird ergänzt durch eine Darstellung der der Präsentation im Raum aber sofort überschritten, und die anwesenden Ver- Arbeitsbereiche der Stiftung niedersäch- deutlich, dass hier eine bunte, moderne treter_innen der Gedenkstätten konnten sische Gedenkstätten und eine Karte zur Vielfalt präsentiert wird. Ergänzt wird je- die Gelegenheit nutzen, um die Beson- „Topographie der Tat“, die deutlich des Roll-Up-Banner durch die Kontakt- derheiten ihrer Einrichtungen ausführ- macht, dass exemplarische Orte ausge- daten der jeweiligen Gedenkstätte und lich vorzustellen. wählt wurden. einen QR-Code zur Homepage. Die derart konzipierte Ausstellung Viele der beteiligten Gedenkstätten wurde auf 15 Roll-Up-Bannern produ- haben sich ein zusätzliches Exemplar „ih- ziert, damit sie flexibel und schnell auf- res“ Roll-Up-Banners anfertigen lassen, baubar ist. Auf diese Weise steht ein um künftig ein zeitgemäßes Mittel der vielfältig einsetzbares Instrument zur Selbstrepräsentation zur Verfügung zu Verfügung, um die historischen Orte haben. Die Ausstellung oder Teile davon Präsentation der Ausstellung vor dem Stiftungsgebäude in Celle • Jens Binner und die Angebote der niedersächsischen wurden unter anderem bei der Sitzung der Gedenkstätten sichtbar zu machen. Die Wissenschaftlichen Fachkommission der Die Ausstellung im Gästehaus der niedersächsischen Landesregierung anlässlich der Unterzeichnung der Darstellung der Vielfalt in Einheit wurde Gedenkstättenförderung Niedersachsen, Absichtserklärung mit der Gedenkstätte Yad Vashem (Israel), 26. Mai 2016 • Jens Binner dadurch erreicht, dass der Aufbau der dem Vorbereitungstag zur Fortbildungs- Roll-Up-Banner nach einem gleicharti- fahrt nach Israel in der Gedenkstätte Präsentation eines Teils der Ausstellung beim Nieder- sachsentag des Niedersächsischen Heimatbundes in gen Schema erfolgte: In der oberen Celle, 27. Mai 2016 • Jens Binner

Gedenkstättenförderung Niedersachsen Dokumentation und Forschung

Silke Petry

134 Der Arbeitsbereich Dokumentation Celle werden im Rahmen historischer bis dahin in Privatbesitz befindliche) und Forschung unterstützt und berät Recherchen regelmäßig von Besuchern Quelle für die regionale Forschung im Gedenkstätten, Vereine und Initiativen, genutzt. Raum Braunschweig wurde an das Nie- Wissenschaftler und interessierte Einzel- In der Präsenzbibliothek am Standort dersächsische Landesarchiv Wolfenbüt- personen, Kommunen und Bildungsträ- Celle wurden 120 Titel neu aufgenom- tel vermittelt: handschriftliche Notizen, ger bei der Aufarbeitung, Dokumentati- men. Der Bestand umfasst insgesamt die ein Geschworener 1950 während des on und Vermittlung der Geschichte der 5.900 Druckwerke vor allem zum Prozesses gegen (1933– NS-Zeit in Nordwestdeutschland. Schwerpunkt NS-Zeit und Folgen in 1945 Ministerpräsident des Freistaates 2016 wurden insgesamt 170 schrift­ Nordwestdeutschland, außerdem Zeit- Braunschweig) anfertigte. Die Aufzeich- liche Anfragen beantwortet, vor allem schriften und audiovisuelle Medien. nungen ergänzen die im Archiv bereits von niedersächsischen Vereinen und Ini- Im Bereich Sammlung erfolgten vorhandenen Prozessakten. tiativen sowie Privatpersonen. Weitere kleinere Erweiterungen des Bestandes Einen inhaltlichen Schwerpunkt der Korrespondenz wurde mit Gedenkstät- durch Reproduktionen von Archivalien Arbeit im Bereich Forschung und Doku- ten, Archiven und Museen im In- und aus russischen und deutschen Archiven. mentation bildete weiterhin der Themen-­­ Ausland, Kommunen, Bildungseinrich- So konnten zum Beispiel durch den Kon- bereich Kriegsgefangene. Vor allem die tungen, Medienvertretern und anderen takt mit dem Stadtarchiv Hemer einige sowjetischen Kriegsgefangenen als geführt. Die Dienstleistungen der Doku- historische Fotografien aus dem Nach- größte Opfergruppe in Niedersachsen mentationsstelle nahmen außerdem lass eines ehemaligen Kriegsgefange- stehen zunehmend im Fokus der For- Suchdienste, Angehörige von Opfern nen des Lagers Hemer den Lagern schung und des bürgerschaft­lichen En- und lokale Initiativen im Kontext der Alexisdorf im Emsland bzw. Oerbke gagements. In diesem Zusammenhang Schicksalsklärung und Identitätsfor- zugeordnet werden, die zum Teil bisher wurden mehrere Projekte intensiv schung sowie der Suche nach Fried­ unbekannt waren und nun für die Doku- unterstützt. höfen und Grablagen von Opfern in An- mentation zur Verfügung stehen. Außer- Eine Arbeitsgruppe aus dem Landkreis spruch. 2016 wurden in diesem Bereich dem wurde die Dokumentation zu den Nienburg beschäftigt sich mit den histo- 43 Anfragen beantwortet, die überwie- Arbeitskommandos der sowjetischen rischen Hintergründen der Kriegsgräber- gend französische und sowjetische Kriegsgefangenen in Niedersachsen und stätte in Heemsen und erarbeitet unter Kriegsgefangene sowie Italienische Bremen durch die Zusendung von Infor- anderem Informationsmodule für den Militärinternierte betrafen. mationen, Dokumenten und Fotos von Ort. Die Wehrmacht hatte im März 1944 Die archivalische Sammlung und die lokalen bzw. regionalen Initiativen er- in Heemsen ein Lazarettlager für TBC- Bibliothek der Dokumentationsstelle in heblich ergänzt. Eine interessante (und kranke sowjetische Kriegsgefangene u.a. erstmals die Unterbringung der Gefangenen in Erdhöhlen im Hauptlager dokumentieren. Schließlich seien zwei Fortbildungs- veranstaltungen erwähnt, die Silke Petry und Rolf Keller durchführten. Am 6. Sep- tember informierten sie die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Besucher- dienstes der Gedenkstätte Bergen-­ Belsen über den aktuellen Forschungs- stand zur Geschichte des Kriegsge­- fangenen­lagers Bergen-Belsen und des Lagerfriedhofes, und am 20. Oktober standen sie Schülerinnen und Schülern des 10. Jahrgangs der Oberschule Bad Fallingbostel im Rahmen einer Projekt- woche zum Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen in den Lagern Falling- bostel und Oerbke als „Experten“ für eingerichtet. In 12 Monaten starben dort Heide in das KZ Sachsenhausen depor- Fragen zu verschiedensten Aspekten 135 740 Gefangene, die in Massengräbern tiert wurden. Die Ausstellung mit dem des Themas zur Verfügung. auf dem nahe gelegenen Lagerfriedhof Titel „Die Exekutionen müssen unauffäl- Zum 75. Jahrestag des deutschen Über-­ bestattet wurden. lig im nächstgelegenen Konzentrations- falls auf die Sowjetunion am 22. Juni Ausführliche Unterstützung erhielt lager durchgeführt werden“ eröffnete zeigte die ARD die zweiteilige Dokumen- auch die Autorin einer Magisterarbeit am 6. November. tation „Schatten des Krieges“. Die zwei- über den Kriegsgefangenenfriedhof in Einen weiteren Schwerpunkt stellten te Folge „Das vergessene Ver­brechen“ Oerbke bei Fallingbostel mit dem inhalt- die Recherchen und die Erarbeitung ei- von Grimme-Preisträger And­reas Chris- lichen Schwerpunkt lokale Erinnerung ner Veröffentlichung zum Friedhof des toph Schmidt beschäftigte sich mit dem und Auseinandersetzungen seit Kriegs- Kriegsgefangenenlagers Bergen-Belsen Schicksal der sowjetischen Kriegsgefan- ende. Zum 75. Jahrestag des deutschen dar. Als Ergebnis erschien im November genen, u.a. am Beispiel des „Russenla- Überfalls auf die Sowjetunion am die mit zahlreichen Fotos, Plänen und gers“ Wietzendorf. Die Dokumentations- 22. Juni zeigte die ARD die zweiteilige Dokumenten versehene Publikation von stelle Widerstand und Verfol­gung stellte Dokumentation „Schatten des Krieges“. Silke Petry und Rolf Keller „Ruhet in Frie- für die Produktion Fotoma­terial, Doku- Die zweite Folge „Das vergessene Ver- den, teure Genossen….“. Sie dokumen- mente und Hintergrundinformationen brechen“ von Grimme-Preisträger tiert die Geschichte des Kriegsgefange- zur Verfügung. Die Dokumentation Andreas Christoph Schmidt beschäftigte nenlagers Bergen-Belsen, die Lebens­- wird mit dem Grimme-Preis 2017 sich mit dem Schicksal der sowjetischen umstände und das Massensterben der ausgezeichnet. Kriegsgefangenen, u.a. am Beispiel des Gefangenen sowie die Belegung und „Russenlagers“ Wietzendorf. Die Doku- Gestaltung des Friedhofs durch die mentationsstelle Widerstand und Verfol- Wehrmacht während des Krieges und gung stellte für die Produktion Fotoma- informiert über Denkmalsetzungen, terial, Dokumente und Hintergrund­- Neugestaltungsmaßnahmen und politi- informationen zur Verfügung. sche Auseinandersetzungen in den Jahr- Ebensolche Unterstützung erhielt die zehnten danach sowie den Wandel der Gedenkstätte Sachsenhausen bei der Erinnerungskultur seit Kriegsende. Im Vorbereitung einer Sonderausstellung Verlauf der Recherchen überließen die über den Massenmord an 10.000 sowje- Nachkommen eines Angehörigen der tischen Kriegsgefangenen, die unter an- Wachmannschaft sechs Originalabzüge 26. August: Die Teilnehmer_innen des Workshops zur Geschichte und Gestaltung des Friedhofs Hörsten derem aus den Lagern in der Lüneburger von Fotografien aus dem Jahr 1941, die • Joachim Puppel

Gedenkstättenförderung Niedersachsen Themenfeld Friedhöfe: Veranstaltungen und Arbeitskreise

Juliane Hummel

136 Bereits zum sechsten Mal organisierte Wiederauffindung des sowjetischen (VDK) gab einen Eindruck in die aktuelle die Abteilung GFN am 17. März 2016 eine Denkmals; Wulf Böcker (Bremen) schil- Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegs- niedersachsenweite Tagung „Opfer des derte die nach dem Standort eines auf- gräberfürsorge im Bezirk Hannover. In Nationalsozialismus – Friedhöfe und Grab- gelassenen Gräberfeldes für sowjetische den rege geführten Diskussionen schlug stätten als Gedenk- und Lernorte“. Die Ver- Kriegsgefangene bei Blumenthal/Schwa- sich unter anderem Kritik an Teilen des anstaltung versteht sich als Forum, das newede; Hans Harer (Northeim) stellte „Gräbergesetzes“ nieder. Insbesondere Gedenkstättenmitarbeiter_innen, Ehren- ein beindruckendes Schülerprojekt vor, zeigten sich die Teilnehmer_innen von amtlichen, Initiativen und beruflich mit das sich mit dem Schicksal des polni- der Tatsache irritiert, dass das Kriegs- der Thematik Befassten Raum bietet, schen Zwangsarbeiters Wiktor Tomala gräbergesetz für Opfer, die in privat ge- über themenspezifische Projekte, Kon- beschäftigte. Ulrich Kohlhoff (KZ Gedenk- pflegten Familiengräbern bestattet sind, zepte und Problemlagen zu berichten stätte Engerhafe e.V.) referierte zur Ge- kein dauerhaftes Ruherecht vorsieht. und zu diskutieren. Diesmal folgten 50 schichte und den aktuellen Plänen zur Die Dokumentationen der Veranstal- Teilnehmer_innen der Einladung nach Umgestaltung des Gräberfeldes der Op- tungsreihe „Opfer des Nationalsozialis- Hannover. Neun Referent_innen stellten fer des Lagers, Dr. Rolf Meyer (Wustrow) mus“ sind auf der Website abrufbar: Projekte zum diesjährigen Schwerpunkt- und Oliver Eicke (Gusborn-Quickborn) http://gedenkstaettenfoerderung.stiftung- hema „Verschwundene Grabstätten und berichteten über das abenteuerliche ng.de/de/dokumentationsstelle/orte-des- Mahnmale“ in den Bereichen historische Wiederauffinden des Grabes des briti- gedenkens/arbeitskreis-friedhoefe.html. Forschung, Bildungsarbeit, Schicksals- schen Soldaten Antony Coult-hard, Der Arbeitskreis „Gedenkstätten und klärung und Betreuung von Angehörigen Dr. Carola Rudnick („Euthanasie“-Ge- Friedhöfe“, in dem die Leiter_innen der der Opfer vor. Die Vortragenden berich- denkstätte Lüneburg e.V.) informierte niedersächsischen Gedenkstätten ver- teten von binationalen Schülerprojekten, über den Fortgang der Recherchen zu den treten sind und der von der Abteilung von aufwändigen Bemühungen zur Klä- Gräbern ausländischer Patient_innen der GFN koordiniert wird, tagte 2016 zwei rung von Identitäten und zur Rekonst- Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg, Gabriele Mal in Celle. Die Gruppe diskutierte un- ruktion von Opferbiografien oder von Jannowitz-Heumann (Kreisarchiv Oster- ter anderem aktuelle Forschungsthemen, Recherchen zum Verbleib von Gräbern holz) sprach über die Suche nach dem Probleme und gestalterische Fragen zu und Mahnmalen. Dr. Jens Binner (Kreis- Grab des niederländischen Zwangsarbei- den jeweiligen Lagerfriedhöfen. Für 2017 heimatbund Peine e.V./Stiftung nieder- ters Jan Massier, Götz Hütt (Geschichts- ist ein gemeinsamer Informationsflyer sächsische Gedenkstätten) berichtete werkstatt Duderstadt e.V.) stellte zwei geplant. über die Umbettung sowjetischer Kriegs- neue Denkmäler auf dem St.-Paulus-Fried- 17. März: Referat von Ulrich Kohlhoff vom Verein KZ gefangener der Ilseder Hütte und die hof in Duderstadt vor, und Simone Rose Gedenkstätte Engerhafe. • Michael Pechel Bildungsarbeit

Christian Wolpers

Die wesentlichen Serviceleistungen Dilemma. Aus den Rückmeldungen Über die Vorbereitung und Durchfüh- 137 der Abteilung Gedenkstättenförderung wurde ebenfalls deutlich, dass sowohl rung einer Fortbildung für Lehrer_innen Niedersachsen für die Gedenkstätten im für das Format als auch für das Thema in der Gedenkstätte Yad Vashem in Ko- Land umfassen im pädagogischen Be- Interesse und großer Bedarf vorhanden operation mit dem NLQ und dem MK als reich neben der Vernetzung vor allem sind. Daher soll im Frühjahr 2017 in Zu- erste Maßnahme im Rahmen der Umset- den Umgang mit in der Bildungsarbeit sammenarbeit mit dem Denkort Bunker zung der am 26. Mai unterzeichneten verwendeten Formaten, Methoden und Valentin ein neuer Termin angeboten Kooperationsvereinbarung des Landes Materialien sowie die Aus- und Weiter- werden. Niedersachsen mit Yad Vashem wird bildung des arbeitenden Personals und Überwiegend fanden 2016 Fachge- an anderer Stelle berichtet (s. S.) den Erfahrungsaustausch. spräche und -beratungen auf bilateraler Für das Feld der Fort- und Weiterbil- Ebene mit einzelnen Mitarbeiter_innen Vier Kieselsteine dung zeigte sich 2016, dass Aufgaben statt. und Anforderungen für die Kolleg_innen Schwerpunkte der Bildungsarbeit der Unter dem Titel „Vier Kieselsteine“ derart umfangreich und intensiv sind, Abteilung GFN mit Ausstrahlung in die wurden Materialien für den schulischen dass nur wenige von ihnen zentrale Fort- Gedenkstätten in Niedersachsen waren und außerschulischen Bildungsbereich und Weiterbildungsangebote wahrge- 2016 die neu begonnene Zusammenar- zur Verfolgungsgeschichte der Bergen- nommen können. Eine nach langer Vor- beit mit dem Niedersächsischen Institut Belsen-Überlebenden Marion Blumenthal bereitung in Kooperation mit der für schulische Qualitätsentwicklung erarbeitet. Zielgruppe sind insbesondere Landeszentrale für politische Bildung (NLQ) im Arbeitsbereich „Erinnerungs- Kinder (ab 9 Jahren). Die Materialien Bremen und der Kulturambulanz Bremen kultur“ sowie die Fortsetzung der Zu- wurden Anfang 2017 veröffentlicht und angebotene Fortbildung zu Inklusion, sammenarbeit mit der initiierten bun- in mehreren Veranstaltungen präsentiert Teilhabe und Leichter Sprache in der desweit agierenden Arbeitsgruppe zu – nicht zuletzt in Anwesenheit der Zeit- Bildungsarbeit an Gedenkstätten konnte Bildungsmaterialien und -konzeptionen zeugin. Näheres folgt im Jahresbericht wegen zu geringer Anmeldezahlen nicht zur Geschichte der Verfolgung von Sinti 2017. stattfinden. Viele Rückmeldungen zeig- und Roma. ten jedoch, dass ein wesentlicher Faktor dafür nicht mangelndes Interesse, son- dern zeitliche Probleme und die Bean- Vorbereitung der Publikation „Vier Kieselsteine“: Marion spruchung in der jeweiligen Gedenk­ Blumenthal Lazan, ihrem Ehemann Nathaniel Lazan und Christian Wolpers in Jerusalem • Stiftung niedersächsi- stätte waren. Dies ist ein strukturelles sche Gedenkstätten

Gedenkstättenförderung Niedersachsen Förderung der Gedenkstättenarbeit und Erinnerungskultur durch finanzielle Zuwendungen

Arnold Jürgens

138 Im Rahmen der Förderung der Ge- wissenschaften) sowie Expert_­innen die „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüne- denkstättenarbeit und Erinnerungskultur aus den Bereichen Gedenkstättenarbeit, burg. Im Rahmen der Planungen für den durch Zuwendungen gewährt die Stif- jüdische Geschichte und Archivwesen. Aufbau der Gedenkstätte hat die WFK tung niedersächsische Gedenkstätten fi- Entsprechend dem Förderkonzept der die Förderung einer Projektleiterstelle nanzielle Zuschüsse für Projekte von Ge- Stiftung erhalten die Gedenkstätten Es- für zunächst zwei Jahre empfohlen. Im denkstätten, Vereinen, Geschichtswerk- ­ terwegen (DIZ Emslandlager) und Sand- Zentrum der Projektarbeit steht die Ent- stätten und Initiativen. Die Fördermittel bostel eine Schwerpunktförderung, wicklung eines Rahmenkonzeptes, das können unter Angabe der maßgeblichen insbesondere durch die (anteilige) Finan- die inhaltlichen und räumlichen Zielset- Informationen zu Intention, Inhalt, For- zierung der jeweiligen Leiterstellen. Au- zungen definiert und die daraus resultie- mat, Ablauf und Finanzierung des Pro- ßerdem werden die Projektleiterstellen renden Finanzierungsnotwendigkeiten jektes formlos bei der Stiftung beantragt der im Aufbau begriffenen Dokumenta- benennt. werden. Die Zuschüsse werden in der tions- und Gedenkstätten in Ohrbeck Auf Grundlage einer Empfehlung der Regel in Form einer Fehlbedarfsfinanzie- (Augustaschacht) und Liebenau geför- WFK erhalten die Gedenkstätten in Salz- rung gewährt. Erwartet wird, dass Geld- dert. Voraussetzungen für die Aufnahme gitter-Drütte und Moringen eine instituti- geber aus der Region mindestens die in die Schwerpunktförderung sind histo- onelle Förderung. Das neue Förderinst- Hälfte der benötigten Mittel bereitstellen. rische Bedeutung und Exemplarität des rument ermöglicht eine nachhaltige Im Vorfeld bietet die Stiftung den An- Ortes, wissenschaftliche wie pädagogi- Verbesserung der Arbeitssituation in tragstellern umfassende Beratung und sche Qualität der Arbeit der Dokumenta- den Gedenkstätten. Die gewährten Mit- Information in inhaltlichen, organisatori- tions- und Gedenkstätte, eine breite Ba- tel dienen in erster Linie der Finanzie- schen und formalen Fragen an. Die An- sis bürgerschaftlichen Engagements rung von Personalstellen im Bereich träge werden in der „Wissenschaftlichen und die Beteiligung weiterer Geldgeber Leitung und Verwaltung. Neben der Stif- Fachkommission zur Förderung und aus der Region an der Gesamtfinanzie- tung niedersächsische Gedenkstätten Fortentwicklung der Gedenkstättenar- rung der Einrichtung. Entwicklungen tragen v.a. kommunale Förderer der je- beit in Niedersachsen“ (WFK) beraten, und Konzepte der schwerpunktgeförder- weiligen Gedenkstätten die Kosten zum deren Empfehlungen die Grundlage für ten Gedenkstätten werden regelmäßig Unterhalt der Einrichtungen. Die Bereit- die Förderentscheidungen der Stiftung in der WFK vorgestellt und diskutiert schaft zur dauerhaften Unterstützung bilden. Der WFK gehören Professor_­ und die Einrichtungen entsprechend der Gedenkstätten wird in entsprechen- innen von Hochschulen in Niedersach- beraten. den Kooperationsvereinbarungen zwi- sen und Bremen an (aus den Fachberei- Die Voraussetzungen für eine Schwer- schen der Stiftung, den Kommunen chen Geschichte, Pädagogik und Kultur­- punktförderung erfüllt nunmehr auch und den Trägervereinen festgehalten. 2016 standen 470.000 € zur Förderung Bückeberg bei Hameln“. In dem Projekt Der Arbeitskries Andere Geschichte 139 der Gedenkstättenarbeit in Niedersach- soll auf Basis des aktuellen Diskussions- Braunschweig e.V. plant im Rahmen sen zur Verfügung. Insgesamt wurden standes im Umgang mit dem histori- seiner Aufgabenwahrnehmung für die Zuwendungen für 29 Vorhaben an 18 schen Ort ein topographisch-historisch Gedenkstätte KZ-Außenlager Braun- Träger vergeben. Der Großteil der Mittel orientiertes Informationssystem auf dem schweig Schillstraße die Erarbeitung wurde für die Finanzierung der Leiter- Bückeberg installiert werden. Weiterhin eines webbasierten Informationsange- stellen in den Gedenkstätten in Ester­ ist in Zusammenarbeit mit ortsansässi- botes, das die Zeitschichten der unter- wegen (DIZ Emslandlager), Sandbostel, gen Schulen und dem Studienseminar schiedlichen Erinnerungskulturen auf Augustaschacht und Liebenau sowie Hameln die Erarbeitung von Unterrichts­- dem Gelände der Gedenkstätte mit Hilfe für die institutionelle Förderung der modellen mit didaktischen Handreichun- von Fotos, Dokumenten, topographi- Gedenkstätten Salzgitter-Drütte und gen geplant. In einem dritten Baustein schen Karten und Auszügen aus Zeit­ Moringen aufgewendet. soll die Sammlung zur Geschichte des zeugeninterviews vermitteln soll. Einen Zuwendungen wurden unter anderem Bückebergs nach wissenschaftlichen thematischen Schwerpunkt bildet die für folgende Projekte gewährt: Kriterien erfasst und für die Öffentlich- Geschichte des KZ Schillstraße und das Die Stiftung Lager Sandbostel und keit zugänglich gemacht werden. Das Gelände des ehemaligen Lagers, das die VVN/BdA Landesvereinigung Nieder- Projekt wird bis März 2018 fortgesetzt. heute von einem Shopping-Center als sachsen e.V. erhielten eine finanzielle Der Förderverein Gedenkstätte Ahlem Parkplatz genutzt wird. Unterstützung zum Abschluss der syste- erhielt einen Zuschuss zur Erarbeitung Der 2008 gegründete Verein ehemalige matischen Erfassung ihrer archivali- und Aufführung der Theaterproduktion Synagoge Stadthagen hat sich zum Ziel schen Sammlungen. Dem Aufbau der „Moshes zweites Leben. Der Todes- gesetzt, die Auseinandersetzung mit den Archive misst die WFK eine besondere marsch vom KZ Hannover Ahlem zum KZ NS-Verbrechen im heutigen Landkreis Bedeutung bei, da sie ein wichtiger Be- Bergen-Belsen im April 1945“. In Rück- Schaumburg und die Erinnerung an die standteil der Gedenkstättenarbeit sind, blenden erzählen die beiden Hauptperso- Opfer des Nationalsozialismus zu beför- um das Wissen zu einem historischen nen sukzessive über ihre jeweiligen Ver- dern. Die Fördermittel dienen für den Erinnerungsort zu bewahren. folgungserfahrungen, die nachmals einen Umbau der ehemaligen Synagoge Stadt- Der Verein Regionale Kultur- und Zeit- dramatischen Höhepunkt während der geschichte Hameln erhält eine finanzielle Verlegung der Häftlinge vom KZ Ahlem Modell des „Festplatzes“ Bückeberg nach einem Ent- wurf von Albert Speer aus dem Jahre 1934. Die Teilneh- Unterstützung für den Aufbau eines Do- zum KZ Bergen-Belsen im April 1945 er- mer des „Reichserntedankfestes“ betraten den Platz kumentations- und Lernortes zum Thema fahren. Das Theaterstück richtete sich ins- über mächtige Treppen, die sich auf den Seiten befin- den. • Sammlung Gelderblom, Verein für Regionale „Die Reichserntedankfeste auf dem besondere an Schülerinnen und Schüler. Kultur- und Zeitgeschichte Hameln e.V.

Gedenkstättenförderung Niedersachsen 140 hagen zu einem Gedenk- und Lernort. und dokumentiert werden, die auf dem Unterlagen zum Bau oder Bauänderungs­- Nach der baulichen Sanierung des Ge- Militärfriedhof Hannover-Limmer bestat- unterlagen aus der Kriegszeit überliefert bäudes wird zunächst der Raum im tet wurden. Mittelfristig planen die DFG- sind, soll im Rahmen eines bauhistori- Erdgeschoss mit Informationen zur Ge- VK e.V. die Herausgabe einer umfassen- schen Gutachtens die baugeschichtliche schichte der Juden in Schaumburg so- den Dokumentation, die den teils Nutzung der Gebäude untersucht und wie exemplarischen Biographien von anonym Bestatteten ihre Identität dokumentiert werden. Die so gewonne- NS-Opfern aus Schaumburg mit Hilfe zurückgibt und über ihr Schicksal nen Erkenntnisse bilden eine wesent­ von bedruckten Tuchfahnen („Bannern“) informiert. liche Grundlage für die Erarbeitung des versehen. In Form einer Beamer-­ Gedenkstättenkonzeptes sowie für den Präsentation sollen alle Opfer des NS Förderung von Neugestaltungs­ Umgang und die zukünftige Nutzung in Schaumburg namentlich genannt maßnahmen niedersächsischer der historischen Gebäude und des werden. Der Raum soll späterhin außer- Gedenkstätten Geländes. dem als Gedenk- und Veranstaltungs- raum genutzt werden. Basierend auf den Planungen zur Neu- Förderung von Fahrten zu Gedenk- Das Friedensbüro Hannover e.V. und gestaltung des Eingangsbereiches des und Dokumentationsstätten die Deutsche Friedensgesellschaft-Verei- früheren Kommandanturgebäudes des nigte Kriegsdienstgener_innen (DFG-VK) KZ Moringen stellte der Trägerverein der Der Förderung der historisch-politi- beantragten eine Unterstützung zur KZ-Gedenkstätte Moringen einen Pro- schen Bildungsarbeit in Niedersachsen Schicksalsklärung von Soldaten, die von jektantrag zur Realisierung des erarbei- dienen auch die Zuschüsse zu Gedenk- der NS-Militärjustiz in Hannover wegen teten Konzeptes. Dieses Konzept sieht stättenfahrten, die auf Antrag durch die „Wehrkraftzersetzung“, „Feindbegünsti- die Vermittlung der Inhalte mit Hilfe Stiftung gewährt werden. Abhängig von gung“ und „Desertion“ zum Tode verur- einer noch zu entwickelnden Medien- der Verfügbarkeit entsprechender Haus- teilt wurden. Die Verurteilten wurden technik vor, um die beschränkten Raum- haltsmittel können Gruppen, die im Rah- auf dem Kasernengelände der heutigen möglichkeiten bestmöglich auszunutzen. men einer schulischen oder außerschuli- Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover Die Gedenk- und Dokumentationsstätte schen Bildungsmaßnahme Gedenk- und hingerichtet und auf dem Militärfriedhof KZ Drütte beabsichtigt im Rahmen einer Dokumentationsstätten in Niedersach- Hannover-Limmer, heute Stadtteilfried- Erweiterung der Gedenkstätte die Nut- sen besuchen, einen Zuschuss in Höhe hof Fössefeld, bestattet. In dem Projekt zung zusätzlicher historischer Räumlich- sollen weitere Namen und biographi- keiten für Ausstellungs- und Vermitt- Szenenfoto aus dem Theaterstück „Moshes zweites Leben“ • Danilo Kurtz, Förderverein Gedenkstätte Ahlem sche Daten von Soldaten recherchiert lungszwecke. Da kaum schriftliche e.V. Dokumentation- und Rechercheprojekte € 88.000

Veranstaltungen € 5.500 Institutionelle Förderung Gedenkstätten € 124.800 Moringen und Salzgitter-Drütte

Pädagogische Projekte € 36.000

insgesamt € 465.800

Personalkostenzuschüsse Gedenkstätten Esterwegen (DIZ Emslandlager), Sandbostel, Augustaschacht (Ohrbeck), Lüneburg und Liebenau € 211.500

Zuwendungen zur Förderung der Gedenkstättenarbeit in Niedersachsen 2016 (in Euro)

von bis zu 50 Prozent der Fahrtkosten er- 141 halten. Die Förderung soll in erster Linie jungen Menschen den Besuch einer Ge- denkstätte in Niedersachsen ermögli- chen. Die Erinnerung und das Lernen am historischen Ort sind von zentraler Bedeutung für die Auseinandersetzung mit der Geschichte von Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus. 2016 stellte das Land Niedersachsen der Stiftung Mittel in Höhe von 50.000 € für die Förderung von Gedenkstätten- fahrten zur Verfügung. Insgesamt konn- ten 191 Fahrten für etwa 11.200 Schüler_ innen bezuschusst werden.

Gedenkstättenförderung Niedersachsen Geförderte Gedenkstätten

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Geförderte Gedenkstätten Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht

Die Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht werden im Rahmen der Schwerpunktförderung der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in besonderer Weise gefördert.

Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht Zur Hüggelschlucht 4 D – 49205 Hasbergen Tel.: +49 (0) 5405 – 895 92 70 Fax: +49 (0) 5405 – 895 92 71 [email protected] www.gedenkstaetten-augustaschacht- osnabrueck.de

144 Internationale Projekte, prominente beiden Gedenkstätten in Stadt und am 3. April stand ein Vortrag von Prof. Besucher_innen und gute Nachrichten Landkreis Osnabrück gehören zu insge- Dr. Carsten Dams zum Thema „Die Ge- für die Neugestaltung der Gedenkstät- samt sechs Gedenkstätten in Deutsch- stapo und die Welt der nationalsozialisti- ten Gestapokeller und Augustaschacht land, die eine solche Zusage erhalten ha- schen Lager.“ Eine Text-Bild-Ton-Collage standen 2016 im Mittelpunkt der Arbeit. ben. Die geplanten Schwerpunktthemen zum Ersten Weltkrieg „Der Kaiser rief Während das deutsch-belarussische Be- der Ausstellung – Gestapo, Zwangsar- und alle, alle kamen“ verwirklichten Abi- gegnungsprojekt besondere Herausfor- beit und Arbeitserziehungslager – über- turient_innen des Gymnasiums „In der derungen zu meistern hatte, erlebte das zeugten das Expertengremium, das die Wüste“ am 27. Mai in der Gedenkstätte internationale Sommerlager mit Aktion Staatsministerin berät. Die Expert_innen Augustaschacht. Der Jugendclub Sühnezeichen Friedensdienste dank eines sehen durch diese Themenwahl und die MANIA des Theaters Osnabrück führte prominenten Gastes großes öffentliches langjährige fundierte Arbeit der beiden im Juni in der Gedenkstätte Augusta- Interesse. Ein weiterer Höhepunkt war Gedenkstätten eine gesamtstaatliche schacht vier Mal sein eigenes Stück die Festveranstaltung des Landes Nie- Bedeutung des Vorhabens, die eine Vor- „Verdammt alles“ zu Kindern aus Namibia dersachsen zum Tag des offenen Denk- aussetzung für die Förderung des Bun- auf, die während des dortigen Unabhän- mals am 11. September in der Gedenk- des ist. Zur Finanzierung der Gesamt- gigkeitskrieges in die DDR in Sicherheit stätte Augustaschacht in Zusammen­arbeit kosten von 1.184.000 Euro haben auch gebracht worden waren. Die Ausstellung mit dem Niedersächsischen Landesamt die Stiftung niedersächsische Gedenk- „NS-Verfolgte aus den Benelux-Landern­ für Denkmalpflege. Mit Unterstützung stätten, der Landkreis Osnabrück, die im Zuchthaus Hameln 1942–1945 – und Beratung durch die Stiftung nieder- Stiftung der Sparkassen Osnabrück, die Schrit­te zur Erinnerung nach 70 Jahren“ sächsische Gedenkstätten und einen in- Stiftung Stahlwerk Georgsmarienhütte des Vereine für regionale Kultur- und ternationalen Projektbeirat entwickelten und das Unternehmen HomeStead ihre Zeitgeschichte Hameln wurde vom die Gedenkstätten Förderanträge für Unterstützung zugesagt. Die Arbeit an 5. Juni bis zum 25. September in der Ge- ihre Neugestaltung. Staatsministerin der neuen Ausstellung soll 2017 beginnen. denkstätte Augustaschacht gezeigt. Das Prof. Monika Grütters MdB, die Beauf- Die gemeinsame Ausstellung des TanzTheaterKollektiv Con Fini aus Müns- tragte der Bundesregierung für Kultur Felix-Nussbaum-Hauses Osnabrück ter zeigte am 24. und 25. September in und Medien, teilte im Dezember mit, und der Gedenkstätte Augustaschacht, der Gedenkstätte Augustaschacht seine dass sie die geplante Dauerausstellung „Beyond Sight“ des Künstlers Grigory Eigenproduktion „Lost in Frame“, in in den Gedenkstätten Gestapokeller und Berstein, endete am 28. Februar. Im Mit- dem Tänzer_innen aus vier Ländern ih- Augustaschacht mit einem Betrag von telpunkt der Gedenkfeier für die Opfer ren persönlichen und historisch-kultu­ bis zu 564.000 Euro fördern will. Die des Arbeitserziehungslagers Ohrbeck rellen Hintergrund, auf dessen Basis sie sich heute begegnen, untersuchen. Die Gedenkstätten erhöhten den Besucher_ stättengelände mit Hilfe zweier internatio- 145 von der Gedenkstätte Augustaschacht innenzuspruch. Am 22. Juni hielten die naler Jugendworkcamps. Zudem soll ein mit dem Verein „Judentum begreifen“ Gedenkstätten in Moskau zur Feier des Geocaching-Bildungsprojekt zum Thema entwickelte Ausstellung „Einblicke – Die 25-jährigen Jubiläums der Arbeit von Zwangsarbeit abgeschlossen werden. unbekannten Zeitzeugen von Krieg und Aktion Sühnezeichen Friedensdienste Judenvernichtung“ wurde im Septem- e.V. in Russland ein Referat über das Bild Dr. Michael Gander ber in Osnabrück auf dem dritten Sym- der Ostarbeiter_innen in Deutschland. Geschäftsführer der Gedenkstätten posium des Deutschen Riga-Komitees „Zwangsarbeiter und AEL-Häftlinge Gestapokeller und Augustaschacht gezeigt. Von Januar bis September ent- aus Benelux in der Region Osnabrück / wickelte eine niederländische Lehrerin Grafschaft Bentheim“ war Thema eines mit Förderung der Stiftung niedersächsi- weiteren Vortrages auf dem Seminar Irina Scherbakowa, Mitarbeiterin der Internationalen sche Gedenkstätten Bildungsangebote „Benelux-Gefangene in Lagern und Gesellschaft für Historische Aufklärung, Menschenrechte und Soziale Fürsorge MEMORIAL am 22. Juni in Mos- für niederländische Besucher_innen der Haftstätten Norddeutschlands 1940– kau im Gespräch mit Dr. Michael Gander bei der Veran- Gedenkstätten Gestapokeller und Au- 1945“ am 13. Februar in Papenburg. Mit staltung zu 25 Jahren Tätigkeit von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Russland. An der Veranstaltung gustaschacht. Von Student_innen der dem europäischen Freiwilligendienst am 75. Jahrestag des deutschen Angriffes auf die Sowjetunion nahmen auch der Vorsitzende von ASF, Universität Osnabrück entwickelte Lern- und „Aktion Sühnezeichen Friedens- Dr. Stephan Reimers, und der deutsche Botschafter in materialien zur Ausstellung „Abgeurteilt. dienste“ arbeiteten in der Gedenkstätte Moskau, Rüdiger von Fritsch, teil. • Florin Maletz Gefangene in der Strafanstalt Lingen nacheinander ein Mann aus Russland Dr. Gabriele Heinen-Kljajić, Niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur, eröffnete für das Land und den Emslandlagern 1935–1945“ und eine Ukrainerin. Die beiden Gedenk- Niedersachsen den Tag des offenen Denkmals am wurden in Kooperation mit der Gedenk- stätten sind in der Osnabrücker Träger- 11. September in der Gedenkstätte Augustaschacht. • Frank Muscheid stätte Esterwegen auf der Homepage gemeinschaft „9. November“, im „Initia- Szene aus dem Tanztheater „Lost in Frame“ am 25. und der Gedenkstätten Gestapokeller und tivkreis Stolpersteine“ und im Beirat des 26. September in der Gedenkstätte Augustaschacht mit Augustaschacht eingestellt. niederländischen Museums „Markt 12“ Tänzer_innen aus Frankreich, Japan, Deutschland und Italien. • Florian Sander Die Gedenkstätten erreichten mit ihrer in Aalten aktiv. Auf der Gedenkveranstaltung für die Opfer des AEL Arbeit mehr als 7.600 Menschen. Erwei- Die Erarbeitung der neuen Daueraus- Ohrbeck am 3. April referierte Dr. Carsten Dams, Profes- terte Öffnungszeiten der Gedenkstätte stellung in den Gedenkstätten Gestapo- sor für Polizeiwissenschaften an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Duisburg, über die Gestapo Gestapokeller und neue gemeinsame keller und Augustaschacht ist die Haupt- und die nationalsozialistischen Lager. • Michael Gander

Faltblätter in deutscher, niederländi- aufgabe der Gedenkstättenarbeit in Die Ausstellung „NS-Verfolgte aus den Benelux-Ländern scher und englischer Sprache sowie 2017. Geplant sind auch weitere archäo- im Zuchthaus Hameln 1942–1945“ war vom 5. Juni bis zum 25. September in der Gedenkstätte Augustaschacht neue Veranstaltungsplakate der beiden logische Freilegungen auf dem Gedenk- zu sehen. • Michael Gander

Geförderte Gedenkstätten Späte Begegnungen mit ehemaligen Zwangsarbeiter_innen in Belarus und Osnabrück

146 Eine Gruppe von zehn Schüler_innen ten, mit denen sie Schüler_innen in Minsk ihnen begleiteten Zeitzeug_innen bei und zwei Lehrerinnen der Osnabrücker und Osnabrück die Zeitzeug_innen vor­- sechs Begegnungen in Schulen und in Ursulaschule und fünf Mitarbeiter_innen stellten. der Gedenkstätte Augustaschacht vor. der Gedenkstätten Gestapokeller und Vom 21. bis zum 30. Oktober besuch- Auch für die nicht angereisten Zeitzeug_ Augustaschacht reiste vom 18. bis 25. Mai ten die belarussische Projektgruppe mit innen wurden Recherchen betrieben und nach Belarus. Gemeinsam mit zehn drei ehemaligen Zwangsarbeiter_innen Berichte verfasst. Der älteste Gast er- Schüler_innen und drei Lehrerinnen der aus Belarus und der Ukraine und deren krankte am Ende der Osnabrücker Pro- Mittelschule Nr. 94 in Minsk besuchten sie Begleitpersonen Osnabrück. Für die bei- jektwoche schwer, er konnte zur großen alte belarussische Bürger_­innen, die in den belarussischen Zeitzeug_innen, die Erleichterung aller Teilnehmer_innen ihrer Jugend zur Zwangsarbeit nach Osna- die Reise nicht antreten konnten, nah- aber erfolgreich behandelt werden. brück verschleppt worden waren. Die sehr men zwei Zeitzeug_innen aus der Ukrai- Das Projekt wurde gefördert durch die motivierten Projektteilnehmer_innen aus ne und von der Krim teil. Bei der Bewäl- Stiftung Erinnerung, Verantwortung und beiden Ländern führten Videointerviews tigung von Schwierigkeiten mit den Zukunft, die Schnettlage-Stiftung, die mit drei Männern und Frauen über ihr neuen Visa-Bestimmungen der EU war Stiftung Stahlwerk Georgsmarienhütte, Leben und ihre Erlebnisse als Zwangsar- das Auswärtige Amt sehr hilfsbereit. Die den Förderverein der Ursulaschule, den beiter_innen in Osnabrück. Diese Zeit- mit Unterstützung der Stadt Osnabrück ROTARY-Club Osnabrück-Süd und das zeug_innen hatten als einzige auf die angereisten Zeitzeug_innen waren die Diözesanmuseum Osnabrück. Die Schü- rund hundert von den Gedenkstätten 88-jährige Antonina Sydoruk, die als Ju- ler_innen aus Minsk wohnten wie zuvor verschickten Briefen geantwortet. Wei- gendliche in der Munitionsfabrik Teuto- die Osnabrücker Schüler_innen in den tere Interviews fanden statt mit Angehö- metallwerke arbeiten musste, die 75-jäh- Familien ihrer Partnerschüler_innen, so rigen der zweiten und dritten Generation rige Sofiya Knurenko, die mit ihren dass die Jugendlichen Einblicke in den von verstorbenen Zeitzeug_innen. Die Eltern in die Landwirtschaft verschleppt Alltag des gastgebenden Landes deutsch-belarussische Projektgruppe wurde, und der 89-jährige Igor Rudchin, bekamen. besuchte das Minsker Museum des Gro- der als Jugendlicher im Klöckner-Werk ßen Vaterländischen Krieges und die Ge- Georgsmarienhütte arbeiten musste. denkstätten Maly Trostenez und Chatyn. Vor Ort wurde nach Spuren des Aufent- In der Gedenkstätte Gestapokeller schilderte Igor Rudchin am 25. Oktober seine Erinnerungen an die Haft In Workshops bereiteten die Projektteil- haltes während des Krieges gesucht. Auf in der Gestapozelle und die gegen ihn gerichtete Gewalt. • Michael Gander nehmer_innen die Interviews vor und er- einem Friedhof fanden sich Gräber da- stellten deutsch-russische Powerpoint- maliger Schicksalsgefährt_innen. Die Gruppenbild am Ende der Besichtigung des Museums des Großen Vaterländischen Krieges in Minsk am Präsentationen zu den Lebensge­schich­- Projektschüler_innen stellten die von 19. Mai. • Marie-Dominique Guyard Spuren trennender Geschichte gemeinsam freilegen

Junge Menschen aus sieben Ländern Besatzungsmacht überlebt hatte, ver- Anlass für Workshops und Exkursionen. 147 beteiligten sich am internationalen Som- tieften die Teilnehmer_innen des Som- Gleichzeitig erfuhr ihr Engagement viel merlager in der Gedenkstätte Augusta- merlagers die durch die Grabungen auf- Unterstützung vor Ort. Wie bereits seit schacht und halfen zwei Wochen bei der geworfenen Themen. Auf diese Weise Jahren waren die Teilnehmer_innen die- Erforschung der Geschichte des Augus- konnten sie auch ihre eigenen Familien- ses Camps mietfrei im Haus des Deut- taschachtes mit. Bereits im zehnten Jahr geschichten und aktuellen Lebenserfah- schen Roten Kreuzes in Holzhausen un- fand das Sommerlager in Zusammenar- rungen einbringen. Vergangenheit und tergebracht und versorgten sich dort beit mit Aktion Sühnezeichen Friedens- Gegenwart verband ebenfalls der Be- auch selbst. Insbesondere das örtliche dienste im Osnabrücker Land statt. Die such von Außenminister Dr. Frank-Walter Gartenbauunternehmen Wöhrmann 15 Teilnehmer_innen waren zwischen Steinmeier in der Gedenkstätte Augusta- stellte wieder frisches Gemüse zur Ver- 16 und 25 Jahren alt und suchten unter schacht. Nach einer Führung zur Ge- fügung. Erneut lud die SPD Holzhausen Leitung der Stadt- und Kreisarchäologie schichte des Ortes und einem kurzen die „Ausgräberinnen und Ausgräber“ nach Spuren des ehemaligen Arbeitser- Besuch der Grabungen stand für Minister als Abschluss zu einem Grillabend ein. ziehungslagers Ohrbeck, einem KZ der Steinmeier das Gespräch mit den jungen Das Workcamp, das Sommerlager und Gestapo. 2016 konzentrierten sich die Freiwilligen aus Argentinien, Belarus, die Grabungen wurden vom Landkreis Grabungen weiter auf das in der Nach- Deutschland, Frankreich, den Niederlan- Osnabrück, der Stadt Georgsmarien­ kriegszeit abgerissene Nachbargebäude den, Russland und Spanien im Vorder- hütte, der Stiftung Deutsches Holocaust des Augustaschachtes. In diesem Ge- grund. Im größten erhaltenen Häftlings- Museum und dem Haus Ohrbeck bäude wohnten während des Zweiten raum wurde über das Verhältnis zur gefördert. Weltkrieges deutsche Familien in direk- Geschichte gesprochen, aber auch aktu- ter Nachbarschaft zu Zwangsarbeiter- elle politische Fragen zu den Beziehun- und Gestapolagern. Die freiwilligen gen zu Russland und zur hohen Jugend- Grabungshelfer legten immer mehr Ge- arbeitslosigkeit in Spanien aufgeworfen. Am Ende seines Besuches am 12. Juli in der Gedenkstätte Augustaschacht erfüllte Außenminister Dr. Frank-Walter bäudeteile frei und fanden Hinterlassen- Die russischen und deutschen Teilneh- Steinmeier gerne den Wunsch der Teilnehmer_innen des internationalen Sommerlagers von Aktion Sühnezeichen schaften der ehemaligen Bewohner. mer_innen des Workcamps mit Service Friedensdienste e.V. nach einem Gruppenfoto. In Workshops, Exkursionen in die Nie- Civil International (SCI) in der Gedenk- • Christa Henke derlande und einem Zeitzeugengespräch stätte Augustaschacht setzten die Die stellvertretende Landrätin Susanne Breiwe (4.v.l.) besuchte am 28. Juli das SCI Workcamp und dankte mit einem Osnabrücker, der als Jude in Grabungen fort. Auch sie nahmen die den jungen russischen und deutschen Freiwilligen für der Sowjetunion den Zweiten Weltkrieg Geschichte der nationalsozialistischen ihr großes Engagement. Die gute Stimmung während der Grabungen setzte sich dabei nahtlos fort. und die Judenverfolgung der deutschen Herrschaft über weite Teile Europas zum • André Schmalkuche

Geförderte Gedenkstätten Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte

Die Gedenk- und Dokumentationsstätte KZ Drütte wird im Rahmen der Schwer- punktförderung der Stiftung niedersäch- sische Gedenkstätten in besonderer Weise gefördert.

Gedenk und Dokumentationsstätte KZ Drütte Wehrstraße 29 D – 38226 Salzgitter Tel.: +49 (0) 5341 – 4 45 81 Fax: +49 (0) 5341 – 17 92 13 [email protected] www.gedenkstaette-salzgitter.de

148 Im Zentrum des Jahres 2016 standen Ehrenamtlicher konnten trotzdem alle Die Vorarbeiten zur Neugestaltung der neben der Bildungsarbeit die Neugestal- geplanten Veranstaltungen und die Gedenkstätte wurden 2016 intensiviert. tung und damit verbundene Recherchen meisten Bildungsangebote realisiert Eine Klausurtagung des Vereinsvorstan- in unterschiedlichen Archiven. Die Besu- werden. des bildete den Auftakt für die Samm- cherzahlen der Gedenk- und Dokumen- Einen wesentlichen inhaltlichen Part lung konzeptioneller Ideen, die bereits tationsstätte KZ Drütte blieben konstant, der jährlichen Gedenkstunde am 11. Ap- auch eine Erweiterung der Räumlichkei- geändert hat sich in den letzten Jahren ril übernehmen seit sieben Jahren Aus- ten in Betracht ziehen. Die Salzgitter jedoch die Nutzung des Angebotes. Zu- zubildende. Fünfzehn junge Erwachsene Flachstahl GmbH hat die Möglichkeit der nehmend sind Studientage und Projekte aus unterschiedlichen Ausbildungsbe- Übernahme des Teiles der Hochstraße in erwünscht, was einen erhöhten Perso- reichen beschäftigten sich in einem ein- Aussicht gestellt, in dem sich das Kran- nalbedarf bedeutet. Die enge Personal- wöchigen Seminar mit der Geschichte kenrevier des KZ Drütte befand. Die Stif- decke brachte für die Gedenkstätte uner- der Räumung der KZ-Außenlager. Das tung niedersächsische Gedenkstätten wartete Probleme, deren Lösung eine vom 10. bis 15. April 2016 stattfindende finanzierte eine bauhistorische Unter­ hohe Flexibilität der Mitarbeiter_innen Besuchsprogramm griff dieses Thema suchung, die durch die Salzgitter Flach- erforderte. Zum Schuljahreswechsel wieder auf. Zu Gast waren Lidija Petrovic stahl GmbH nicht nur genehmigt, son- ging Sigrid Lindenberg, die mehr als (Serbien) und Angela Osborne (USA), dern auch aktiv unterstützt wurde. 19 Jahre als abgeordnete Lehrkraft in deren Mütter im KZ Watenstedt/Leinde Derzeit werden die Räume noch betrieb- der Gedenkstätte tätig war, in den Ruhe- inhaftiert waren. Sie nahmen an der Ge- lich genutzt. Da sie für die Untersuchung stand. Raphael Böß übernahm zum denkstunde teil und trafen sich zu einem jedoch freigeräumt sein mussten, waren 1. August 2016 die vakante Stelle. Seit Gespräch mit den Auszubildenden. An- die Kolleg_innen vor Ort tagelang mit Mai fiel die Gedenkstättenleiterin krank- schließend folgten sie in Begleitung der Räumarbeiten beschäftigt bzw. in ihren heitsbedingt für mehrere Monate aus. hauptamtlichen Mitarbeiterinnen der normalen Arbeitsabläufen in den Werk- Der Assistenzstelle wurde daher die Gedenkstätte drei Tage dem Weg des stätten stark eingeschränkt. kommissarische Leitung übertragen und Räumungstransportes, den ihre Mütter Die bauhistorische Untersuchung er- eine Historikerin als Vertretung der As- als Fünfzehn- bzw. Achtzehnjährige brachte interessante Ergebnisse. Das sistenzstelle eingestellt. Diese notwendi- überlebten. Im Rahmen des eigenstän­ ehemalige Krankenrevier ist nur unwe- ge zeitweilige Umstrukturierung bedeu- digen Projektes im Freiwilligen Sozialen sentlich überbaut, die Abmessungen der tete eine enorme Arbeitsbelastung, da Jahr Politik begleitete Antonia Otte das einzelnen Räumlichkeiten konnten durch sich alle neu einarbeiten mussten. Durch Besuchsprogramm wurde mit einem die Bauhistoriker genau rekonstruiert das hohe Maß an Unterstützung seitens Videoblog. werden. Zeitgenössische Spuren sind in unerwartet hohem Maße nachweis- Die konstante Öffentlichkeitsarbeit der Elke Zacharias 149 bar, sodass nun zum Beispiel erstmals Gedenkstätte zeigt seit Jahren eine ste- Leiterin der Gedenk- und eine „Referenzwand“ die Möglichkeit tig steigende positive Entwicklung in der Dokumentationsstätte KZ Drütte bietet, die Unterkunftsräume des KZ Region und darüber hinaus. So beziehen Drütte genauer zu vermessen. Auch zum Beispiel die Tourist Information und die Wandmalereien, die sich durch alle der Besucherdienst der Salzgitter AG die Räume ziehen, lassen sich nun zeitlich Gedenkstätte in ihre Angebote ein, etwa einordnen. Alle Ergebnisse werden in in öffentliche und nichtöffentliche einem Gutachten veröffentlicht. Werksführungen. Im Jahr 2016 ergaben Trotz der personell schwierigen Situa- sich so etwa 35 Zusatztermine, über die tion wurde in mehreren Archiven recher- „normale“ Planung hinaus. chiert. Dies war vor allem notwendig, Die Arbeit der Gedenkstätte KZ Drütte um Quellen zu erheben, die für die bau- profitiert von guten Kooperationen und Gedenkstunde am 11. April: Die Holzplatte mit über historische Untersuchung unerlässlich enger Vernetzung mit anderen Gedenk- 70 Fußabdrücken symbolisiert die Enge in einem der Güterwaggons, wie sie beim Räumungstransport waren. Aufgrund der personellen Situa- stätten, Bildungsträgern und Einrichtun- genutzt wurden. Auszubildende der Salzgitter Flachstahl GmbH erarbeiteten die Präsentation im Rahmen eines tion konnte jedoch der genehmigte gen. Forschungsarbeit, interne Weiterbil- einwöchigen Seminars. • Jörg Dreyer Förderantrag auf 20 Recherchetage dungen und der Austausch von Wissen März 2016: Zweitägige Klausur des Vorstandes des im Archiv des ITS in Bad Arolsen nicht befördern die Arbeit vor Ort, verlangen Arbeitskreis Stadtgeschichte e.V. zur Vorbereitung der Neugestaltung und Erweiterung der Gedenk- und wahrgenommen werden. Auch 2016 aber auch finanziellen, zeitlichen und per- Dokumentationsstätte KZ Drütte. • Brigitte Runge wurden der Gedenkstätte Akten und sonellen Einsatz. Die Leiterin der Gedenk- Mehrere Tage untersuchten Bauhistoriker_innen die Fotos aus Privatbeständen anvertraut, stätte war mehrfach als Referentin tätig, Räume des ehemaligen Krankenreviers und dokumen- tierten zeitgenössische Spuren. Oktober 2016 die in das Archiv eingearbeitet wurden. arbeitet in unterschiedlichen Fachgruppen • Elke Zacharias Die Anzahl von Besuchen und Anfra- im Land mit und ist Mitglied im Sprecher- Die Räume des ehemaligen Krankenreviers werden als gen ehemaliger KZ-Häftlinge und ihrer rat der Gedenkstätten und Initiativen. In Werkstätten und Abstellräume der Abteilung Energie- versorgung genutzt. Sie mussten für die bauhistorische Angehörigen sowie von in DP-Camps dieser Funktion ist sie seit 2004 auch stell- Untersuchung freigeräumt und zugänglich gemacht Geborenen war auch 2016 hoch. Gerade vertretende Vorsitzende des Stiftungsbei- werden • Elke Zacharias die Beantwortung der Anfragen der rates der Stiftung niedersächsische Ge- Spezialkamera für Videoblogs • Elke Zacharias

Folgegeneration sind arbeitsintensiv, da denkstätten und nimmt als Vertreterin des 12. April: Lidija Petrovic und Angela Osborne: Auf­ nicht nur Dokumente erbeten werden, Vorsitzenden Sam Bloch im Stiftungsrat nahmen von Antonia Otte am Mahnmal für das KZ Watenstedt/Leinde, in dem die Mütter der beiden sondern auch inhaltliche Erläuterungen. einen stimmberechtigten Sitz ein. Frauen inhaftiert waren. • Ediz Nisanci

Geförderte Gedenkstätten „Vielleicht finden Sie etwas in unserem Wasserarchiv …“

150 Seit mehr als 30 Jahren wird intensiv ven problematisch ist. So finden sich Waschkauen unter der Hochstraße zwi- zur Geschichte der KZ-Außenlager im zum KZ Drütte die Unterlagen beispiels- schen etwa 1938 und 1945 zeigen, sowie Salzgittergebiet in mehreren Archiven re- weise unter den Schlagworten Lager 27, Detailzeichnungen zu den Fassaden, Fens- cherchiert. Bislang ging es in den erhobe- Hochstraße, Waschkauen, Walzwerk I tern und Türen des späteren KZ Drütte. nen Akten meistens um die Organisation oder auch Oranienburg. Dies lässt sich Bauakten und Baupläne werden teilwei- und Verwaltung der Lager, um Verant- vermutlich auf die unklaren Verflechtun- se bis heute in den unterschiedlichen Ab- wortliche oder Opfer. Die für ein bauhisto- gen der Reichswerke „Hermann Göring“ teilungen aufbewahrt, manche nur noch risches Gutachten benötigten Baupläne und des Salzgittergebietes einerseits in digitaler Form. Bauänderungen werden und zeitgenössischen Fotos lagen dage- und andererseits auf fehlendes Hinter- oft in die alten Pläne eingezeichnet. Die gen bisher nur in sehr geringer Anzahl vor. grundwissen bei der Erfassung der Bitte der Bauhistoriker, Abwasserpläne zu Das Fehlen dieser Quellen ist beson- Archivalien zurückführen. besorgen, führte in die Abteilung Energie- ders darauf zurückzuführen, dass es Besonders erwähnenswert ist die betriebe der Salzgitter Flachstahl GmbH, über Jahrzehnte kein Konzernarchiv gab. erst 2014 in Wolfenbüttel abgegebene Abteilung Wasserversorgung und Ab­ Mit der Abwicklung der Reichswerke in Sammlung Winfried Schulze, die ein Teil wasseranlagen. Die Sammlung umfasst den 1950er Jahren und durch die Fusion des Bestandes Reichwerke „Hermann das gesamte Areal der ehemaligen zur Peine-Salzgitter AG 1970 waren Be- Göring“ ausmacht. Winfried Schulze war Reichswerke „Hermann-Göring“ und der stände verlagert und aufgelöst worden. bis zur Rente bei der Salzgitter Flach- Nachfolgeeinrichtungen. Hinzu kommen Mit der Privatisierung des Konzerns 1989 stahl GmbH tätig. Im Rahmen seiner Ar- umfangreiche Aktenbestände. gingen Akten an die Preussag AG, ein beit hatte er Zugang zu Altakten, aus de- Diese Sammlung hat gezeigt, wie Teil der Altakten kam als Depositum in nen er für ihn interessante Dokumente wichtig es für die Historikerinnen der das Bundesarchiv Koblenz. Erst 2006 entnahm, um sie seiner privaten Samm- Gedenkstätte ist, selbstständig in den wurde ein Teilbestand vom Niedersäch- lung zuzuführen. Er wurde verpflichtet, einzelnen Abteilungen der Salzgitter sischen Wirtschaftsarchiv Braunschweig die Unterlagen an das Archiv in Wolfen- Flachstahl GmbH zu recherchieren. Man- übernommen. büttel abzugeben. Eine Rückführung der gels Hintergrundwissens können die Mit- Im Rahmen der Archivrecherchen in 720 Aktenbündel in die ursprünglichen arbeiter_innen vor Ort die Bedeutung der Wolfenbüttel ließen sich dennoch um- Akten war nicht mehr möglich, so dass "technischen" Akten für die Aufarbeitung fangreiche Bestände finden, die zum Teil sie als gesonderte Sammlung im Archiv der Geschichte nicht einschätzen. bereits bekannt waren, aber noch nicht erfasst wurden. Besonders interessant gesichtet wurden. Dabei zeigte sich, sind die vielen Bau- und Lagepläne vom Neun Schränke mit zeitgenössischen Lage- und Bau­ plänen, die von den Historikerinnen der Gedenkstätte dass die Verschlagwortung in den Archi- Werksgelände, die auch den Aufbau der gesichtet werden durften. • Maike Weth „Zeit heilt alle Wunden“

Mit der Zweiten Generation im Gespräch

Im Rahmen des Freiwilligen Sozialen konzipierte einen Videoblog (Vlog), in ter beeinflusst wurden und wie sie beim 151 Jahres Politik in der Gedenk- und Doku- dem Video- und Audioaufnahmen sowie ersten Besuch der Orte damit umgehen mentationsstätte KZ Drütte in Salzgitter Bilder mit der Öffentlichkeit geteilt wer- würden. führte Antonia Otte ein eigenständiges den sollten. Auf der Website (http://zeitvlog. Projekt durch. Die Arbeit mit Berichten Antonia Otte reichte das Konzept beim gedenkstaette-salzgitter.de) wurden die ehemaliger KZ-Häftlinge inspirierte sie 1. Jugendkulturpreis Niedersachsen als Videos online gestellt, Hintergrundinfor- zu einem Projekt mit der Zweiten Gene- Wettbewerbsbeitrag ein. Das Motto des mationen, Audios und Fotos ergänzen ration, um Antworten auf ihre Fragen zu Wettbewerbs lautete ZEIT FÜR IDEEN. die Seite. finden: Zeit sollte in dem Zusammenhang posi- Es war nicht nur die technisch moderne Wie ging es den Kindern, wenn ihre El- tiv sein. Zeit in positiver Form im Zusam- Form der Dokumentation eines Besuchs- tern über die wahrscheinlich schlimmste menhang mit Gedenkstättenarbeit und programms, die das Projekt besonders Zeit ihres Lebens sprachen? Hilft der Erinnerungsarbeit? Das positive Sprich- machten, es war vor allem die Perspekti- zeitliche Abstand zu den Geschehnissen, wort: „Zeit heilt alle Wunden“ wurde als ve einer 18-jährigen, die eine Woche in- die entstandenen psychischen Wunden Titel gewählt, der immer wieder aufge- tensive Gespräche mit Frauen führte, de- zu heilen? Wie geht die Zweite Generati- nommen und hinterfragt wurde. ren Mütter bei ihrer Befreiung aus dem on der ehemaligen KZ-Häftlinge mit den Für die Gäste war ein fünftägiges Be- KZ etwa so alt waren wie sie selbst zum Erlebnissen der Ersten Generation um? suchsprogramm zusammengestellt wor- Zeitpunkt des Projektes. Zwei Frauen, Angela Osborne (USA) den. Sie lernten die Erinnerungsorte in Antonia Otte gehört zu den Preisträ- und Lidija Petrovic (Serbien) besuchten Salzgitter kennen, nahmen an der Ge- ger_innen des 1. Jugendkulturpreises Salzgitter im April 2016. Margit Chinkes, denkstunde am 11. April teil und bega- Niedersachsen, der von der Stiftung Nie- Angela Osbornes Mutter, hatte wenig ben sich dann in unserer Begleitung zu dersachsen und der Landesvereinigung über ihre Zeit im KZ erzählt. In der Fami- den ehemaligen KZ Ravensbrück und Kulturelle Jugendbildung in Niedersach- lie von Lidija Petrovic war die KZ-Haft ih- Malchow, Orte, die für ihre Mütter wäh- sen ausgeschrieben wurde. rer Mutter Eva Balog jedoch oft Thema. rend des Räumungstransportes bis zur

Beide Töchter erklärten sich bereit, An- Befreiung prägend waren. Schweigemarsch zur Gedenkstunde am 11. April 2016. tonia Otte bei ihrem Projekt zu unterstüt- Antonia Otte begleitete die Frauen bei (1. Reihe von links) Lidija Petrovic, Angela und Tom Osborne, Antonia Otte • Elke Zacharias zen. Dies bedeutete nicht nur, Fragen zu dem Besuchsprogramm mit einer spezi- Website des Videoblogs http://zeitvlog.gedenkstaette- beantworten und über das eigene Leben ellen Vlog-Kamera, um herauszufinden, salzgitter.de • Elke Zacharias zu erzählen, es beutete vor allem auch, wie sie von der Vergangenheit der Müt 14. April: im ehemaligen KZ Malchow, Selfie mit Gruppe dies öffentlich zu machen. Antonia Otte • Antonia Otte

Geförderte Gedenkstätten Gedenkstätte Esterwegen

Die Gedenkstätte Esterwegen wird im Rahmen der Schwerpunktförderung der Stiftung niedersächsische Gedenk­ stätten in besonderer Weise gefördert.

Gedenkstätte Esterwegen Hinterm Busch 1 D – 26897 Esterwegen Tel.: +49 (0) 5955 – 98 89 50 [email protected] www.gedenkstaette-esterwegen.de

152 „Wir sind die Moorsoldaten und zie- Hameln 1942-1945, Schritte zur Erinne- bösen Träume“ war, rühmte der „Lager- hen mit dem Spaten ins Moor“ – dieses rung“ sprach als Zeitzeugin Carla van architekt“ Bernhard Kuiper es als „das im August 1933 im KZ Börgermoor, dem den Hout, Enkeltochter und Tochter von modernste, schönste und größte Lager ersten KZ im Emsland, entstandene Lied zwei Niederländern, die als Strafgefan- seiner Art im deutschen Reiche“. Der erklang am 27. Januar 2016 während der gene im Lager III Brual-Rhede inhaftiert aus Ostfriesland stammende Kuiper hatte Gedenkveranstaltung für die Opfer des waren; der Großvater starb im Zucht- ab 1934 das KZ Esterwegen ausgebaut Nationalsozialismus im Deutschen Bun- haus Hameln, der Vater wurde 1945 im und dort bereits architektonisch vieles destag. Am Ort des bereits im Juni 1933 Zuchthaus Waldheim befreit. Mit dem von dem erprobt, was er anschließend mit ersten Häftlingen belegten Lagers Thema Benelux-Gefangene befasste in Sachsenhausen realisierte. wurde im Herbst 2016 mit inhaltlicher sich zeitgleich zur Ausstellung auch ein Mit einer Wanderausstellung über Unterstützung der Gedenkstätte Ester- Seminar in der Historisch-Ökologischen den Schriftsteller, Menschenrechtler wegen durch die Gemeinde Surwold ein Bildungsstätte Papenburg (HÖB) in Zu- und Kriegsgegner Armin T. Wegner „Erinnerungspunkt“ eingeweiht – auch sammenarbeit mit der Interessenge- „Widersetzt Euch viel und gehorcht we- für die Besucher der Gedenkstätte ein meinschaft niedersächsischer Gedenk- nig!“ schloss das Jahr ab. Wegner hatte wichtiger, die Dauerausstellung vertie- stätten und Initiativen zur Erinnerung im April 1933 in einem „Brief an Hitler“ fender externer Besichtigungsort. an die NS-Verbrechen. dessen Judenverfolgung angeprangert. In der Gedenkstätte Esterwegen Die zweite Sonderausstellung wurde Er wurde verhaftet und im September sprach anlässlich des Internationalen von den Gedenkstätten Sachsenhausen 1933 in das KZ Börgermoor transpor- Gedenktags für die Opfer des National- und Esterwegen gemeinsam erarbeitet: tiert. Nach seiner Freilassung brachte sozialismus auch 2016 wieder die inzwi- „‘Das schönste KZ Deutschlands‘ („Lag- ihn sein Eintreten für einen jüdischen schen 92jährige Auschwitzüberlebende erarchitekt“ Bernhard Kuiper). Vom KZ Mithäftling im KZ Börgermoor nochmals Erna de Vries aus dem emsländischen Esterwegen zum KZ Sachsenhausen“. kurz in Gefängnishaft. Seit 1968 wird er Lathen über ihr eigenes und das Schick- Mit diesem provokanten Titel wurde als „Gerechter unter den Völkern“ in der sal ihrer in Auschwitz ermordeten das Spannungsverhältnis zwischen dem Gedenkstätte Yad Vashem (Israel) geehrt. Mutter. Elend der Häftlinge und dem Selbstver- Die Besuche von ehemaligen Gefange- Alle drei 2016 gezeigten Sonderaus- ständnis der Bauherren thematisiert. nen der Emslandlager in der Gedenk- stellungen hatten mit den Emsland­ Während das KZ Sachsenhausen für den stätte sind immer besondere Ereignisse. lagern zu tun: Bei der Eröffnung einer polnischen Schriftsteller Andrzej Szczy- Am 12. April 2016, genau 71 Jahre nach Wanderausstellung über „NS-Verfolgte piorski, der als Jugendlicher dorthin ver- dem Tag ihrer Befreiung im Lager VI aus den Benelux-Ländern im Zuchthaus schleppt wurde, „die Landschaft meiner Oberlangen, besuchte wieder eine Delegation polnischer ehemaliger Seminar „Zukunft der Erinnerungskul- 153 kriegsgefangener Soldatinnen die tur“ statt. In diesem Zusammenhang Gedenkstätte und den Gedenkpavillon verbucht es die Gedenkstätte als großen beim früheren Lager VI. Wenige Monate Erfolg, dass 2016 allein 369 Schulklassen später starb Eugenia Maria Cegielska, bzw. Jugendgruppen die gedenkstätten- die die Delegation geführt und sehr ein- pädagogischen Angebote wahrgenom- drucksvoll den Tag der Befreiung durch men haben. Dazu gehörte auch, dass die 1. Polnische Panzerdivision unter die aus der Region stammenden rund 90 General Maczek geschildert hatte. Teilnehmer_innen des Weltjugendtages

Wenn auch die Zahl der Zeitzeugen 2016 in Krakau als Vorbereitung auf ih- Eröffnung des „Erinnerungspunktes“ am Standort des spürbar zurückgeht, so bleibt doch die ren Besuch in Auschwitz einen ganzen ehemaligen Konzentrations- und Strafgefangenenlagers I Börgermoor am 28. Oktober 2016. • Kurt Buck humanitäre Aufgabe der Gedenkstätte Tag in der Gedenkstätte Esterwegen Blick die Ausstellung „‘Das schönste KZ Deutschlands‘ Esterwegen, Nachfahren der zweiten verbracht haben. Dort fanden die jungen („Lagerarchitekt“ Bernhard Kuiper). Vom KZ Esterwegen oder sogar dritten Generation bei der Leute mit Sophia Gerdes, die ein Freiwil- zum KZ Sachsenhausen“ • Andrea Kaltofen Aufklärung des Schicksals ihrer Ange­ liges Soziales Jahr Politik ableistet, eine 75 Jahre lang habe die Familie nichts über das Schicksal von Dmitry Yakovlevitch Reutow, dem Bruder ihres hörigen zu unterstützen. Oft kann bei gleichaltrige Ansprechpartnerin. Großvaters, gewusst, schrieb Olga Gosteva aus Moskau Kriegsgefangenen der ehemaligen Sow- Anfang 2016. Am 7. Oktober besuchte sie gemeinsam mit ihrer Freundin Ludmilla und in Begleitung von Kurt jetunion als Antwort nur ein Massen- Dr. Andrea Kaltofen Buck, der sie von ihrem Hotel in Papenburg nach Ober- langen fuhr, die Kriegsgräberstätte Oberlangen. grab auf einem der Lagerfriedhöfe als Geschäftsführerin der Stiftung Reutow war im Juli 1941 in deutsche Kriegsgefangen- letzte Ruhestätte benannt und ein Foto Gedenkstätte Esterwegen schaft genommen und am 23. Oktober 1941 in das Bau- und Arbeitsbataillon 126 des Lagers Oberlangen des Friedhofes geschickt werden. „versetzt“ worden. Hier starb er kurz nach seinem 21. Geburtstag am 28. Januar 1942 und wurde auf dem Da die Generation der ehemaligen Kurt Buck Lagerfriedhof Oberlangen in einem Sammelgrab beige- Häftlinge langsam abtritt, müssen sich Geschäftsführer Aktionskomitee DIZ setzt. • Kurt Buck die Gedenkstätten mit der Weiterent- Emslandlager e.V. Im Rahmen eines Sozialtages an der Heinrich-von-Kleist- Schule Papenburg waren die Schülerinnen Carmen und wicklung der Erinnerungskultur und der Jasmin Kösters am 3. Juni in der Gedenkstätte Esterwe- Vermittlung der Inhalte – insbesondere gen engagiert und reinigten hier u.a. zwei Gedenksteine auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrations- und für junge Menschen – intensiv befassen. Strafgefangenenlagers. • Marianne Buck

Dazu fand im November in Zusammen- Teilnehmer_innen des Weltjugendtags in Krakau 2016 arbeit mit der Papenburger Historisch- in der Gedenkstätte Esterwegen zur Vorbereitung ihrer Fahrt nach Auschwitz • Diözesanjugendamt Bistum Ökologischen Bildungsstätte (HÖB) das Osnabrück

Geförderte Gedenkstätten Ein französischer Kriegsgefangener im Emslandlager XI Groß Hesepe

Andrea Kaltofen

154 Im Sommer 2015 besuchte Jean-Noël Die Briefe vermitteln einen authenti- Gefangenschaft im Lager XI Groß Hesepe Voleau aus Alençon (Frankreich) die Ge- schen und umfassenden Eindruck vom ein Foto von ihm selbst und eine Innen- denkstätte Esterwegen. Er bereiste mit Leben in den Kriegsgefangenenlagern – aufnahme seiner Baracke. dem Fahrrad (!) die Orte ehemaliger auch dem Lager XI Groß Hesepe – und Kurz vor seiner Verlegung von Groß Kriegsgefangenenlager, in denen sein behandeln Themen wie Zensur, Hilfspa- Hesepe nach Kobierzyn bei Krakau konn- Vater Jean Voleau (1916-1978) während kete, Post, Kleidung, Essen, Selbsthilfe te Voleau auch die Kamera nach Hause des Krieges interniert war. Dieser geriet unter den Gefangenen, aber auch Thea- schicken, sie hat sich bis heute erhalten. am 23. Juni 1940 im französischen ter und Musik, Ausstellungen und Feste, Département Meurthe-et-Moselle in Vorlesungen und Konferenzen. Auch deutsche Kriegsgefangenschaft. Bis zum über die „Mission Scapini“ wird berich- Kriegsende wurde er mehrfach verlegt, tet, den „Service Diplomatique des im September 1940 nach Bocholt (Stalag Prisonniers de Guerre“, über den Frank- VI F), Anfang Februar 1941 nach Groß reich gemäß der Genfer Konvention Hesepe (Zweiglager des Stalag VI C), im (1929) Besuche von Delegierten in den Juni 1942 nach Kobierzyn/Polen (Stalag Kriegsgefangenenlagern durchführen 369), im August 1944 nach Sagan/Nie- ließ. Im Archiv der Gedenkstätte Ester- derschlesien (Stalag VIII C) und von dort wegen (Bestand Aktionskomitee DIZ schließlich im März 1945 nach Ziegen- Emslandlager e.V. Papenburg) lagern hain/Hessen (Stalag IX A). Hier befreiten rund 40 solcher ein- bis dreiseitiger ihn im April 1945 amerikanische Truppen. Berichte. Von 1939 bis 1945 hat Jean Voleau Erstaunlich ist die Tatsache, dass Jean über 100 bis heute erhalten gebliebene Voleau in Kriegsgefangenschaft eine Briefe an die Eltern in Longué (Maine-et- Retinette Kodak Fotokamera besaß. Die Loire) geschrieben. Jean-Noël Voleau im Januar 1940 gekaufte Kamera war bei hat diese gut erschlossene umfangreiche seiner Gefangennahme im Juni 1940 un- Korrespondenz seines Vaters 2016 der bemerkt geblieben. In Paketen seiner Jean Voleau im Kriegsgefangenenlager XI Groß Hesepe • Jean Voleau Gedenkstätte Esterwegen in aufgearbei- Eltern aus Frankreich erhielt er einige Blick in eine Baracke im Kriegsgefangenenlager teter digitaler Form zusammen mit einer Bio­- Filme und konnte diese belichtet zurück- XI Gross Hesepe • Jean Voleau graphie und einigen Fotos überlassen. schicken. Daher gibt es z.B. aus seiner Jean Voleaus Kodak-Kamera ist heute im Besitz des Sohnes Jean-Noël Voleau. • Jean-Noël Voleau Begegnung auf Augenhöhe

Besuch der Gedenkstätte Esterwegen mit Flüchtlingen und Paten

Christa Pfeifer, Asylkreis Neuenhaus

„Wir möchten uns dafür bedanken, Einige Tage zuvor waren in zwei Gedenkstättenkonzept auseinander­ 155 dass ihr euch dafür einsetzt, dass man gleichzeitig laufenden Einführungen zusetzen, wurde lebhaft genutzt. sich an diese Zeit erinnert. Nun wissen Kerndaten und -fakten der NS-Zeit Wie der anfangs zitierte Dialog offen- wir, dass es auch bei euch eine Diktatur und zur Geschichte der Verfolgung bart: Der Gedenkstättenbesuch hat und Krieg und Zerstörung gegeben hat.“ der Juden am Beispiel von Neuenhaus zum Nachdenken über die jeweilige Ge- „Und wir danken euch, dass ihr mit ver­mittelt worden. schichte angeregt. Zudem haben sich uns gekommen seid, unsere Geschichte In Esterwegen wurden die Besuch­- alle noch besser kennen und schätzen kennenzulernen.“ er_innen aus der Samtgemeinde Neuen- gelernt – nicht zuletzt auch die aus so Dieser Dialog am Ende eines Besuchs haus von den Gedenkstättenmitarbei- unterschiedlichen Ländern und Regio- von Asylbewerbern und deren Paten tern_innen Nina Bade und Kurt Buck nen stammenden Flüchtlinge unter­- in der Gedenkstätte Esterwegen am herzlich willkommen geheißen. Nach- einander. 24. September 2016 machte deutlich: dem die Kinder mit ihren Betreuer_innen Hier hatte eine Begegnung „auf Augen- zu einer kleinen Erkundung auf dem höhe“ stattgefunden. nahe gelegenen Moorinfoweg losgezo- Der Asylkreis Neuenhaus hatte – in gen waren, erläuterte Kurt Buck den Er- Zusammenarbeit mit dem Förderverein wachsenen im großen Seminarraum Günter Frank Haus e.V. Neuenhaus – anhand einer Reihe dokumentarischer den Gedenkstättenbesuch organisiert, Fotos die Geschichte der Emslandlager um den Flüchtlingen den „eigenen ge- und der Gedenkstätte. Konzentriert schichtlichen Hintergrund nahe zu brin- lauschten die Anwesenden fast einein- gen – und damit eines unserer Motive halb Stunden dem Vortrag und den hoch (neben christlicher Nächstenliebe und engagierten Übersetzern und stellten humanistischen Idealen), uns für Demo- Verständnisfragen, die sorgfältig be- kratie und Menschenrechte (auch: Asyl) sprochen und beantwortet wurden. zu engagieren.“ Die Teilnehmer_innen: Nach einer kleinen Erholungspause etwa 40 Frauen und Männer sowie zehn wurden die Gäste in zwei Gruppen über Kinder aus Syrien, Afghanistan und Kur- das ehemalige Lagergelände geführt. Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Kurdistan distan mit ihren Dolmetschern und zu- Die Möglichkeit, hierbei über das zuvor auf der Begräbnisstätte Esterwegen • Christa Pfeifer sammen mit etwa 20 Paten und Organi­- Gehörte zu sprechen und sich mit dem Flüchtlingsgruppe im Besucherinformationszentrum satoren. der Gedenkstätte Esterwegen • Christa Pfeifer

Geförderte Gedenkstätten Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.

Die Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau wird im Rahmen der Schwer- punktförderung der Stiftung niedersäch- sische Gedenkstätten in besonderer Weise gefördert.

Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V. Königsberger Straße 15 D – 31618 Liebenau Tel.: +49 (0) 5023 – 1575 [email protected] www.martinguse.de/pulverfabrik Jugend-AG im Internet: www.japl.de

156 Die Dokumentations- und Bildungs- eine nachhaltige Bildungsarbeit geschaf- ermöglichen es, einen großen Teil der stätte Liebenau wird in den kommenden fen. Die 2015 angestellten Grundüberle- bisher anonym bestatteten Todesopfer Jahren in einem Trakt des Schulkomple- gungen zur Umgestaltung des Schulge- der NS-Zwangsarbeit und des „Arbeits- xes in der Schloßstraße 10 eingerichtet, bäudes münden in den kommenden erziehungslagers“ auf personalisierten der momentan die sukzessive auslaufen- Monaten in die Erarbeitung der neuen Stahltafeln zu würdigen. de Hauptschule des Ortes beherbergt. inhaltlichen Gedenkstättenkonzeption. Vom 15. Januar bis zum 14. Juli 2016 Die Schule war Mitte der 1960er Jahre Die Bildungs- und Vermittlungsange- hospitierte die belarussische Jurastu- direkt auf dem ehemaligen Standort des bote der Dokumentationsstelle wurden dentin Polina Anoshko bei der Doku- „Arbeitserziehungslagers Liebenau“ weiterhin sehr stark nachgefragt, das mentationsstelle. Die Volontärin der (AEL) entstanden, in dem zwischen 1940 öffentliche Interesse und die Zahl der „Internationalen Vereinigung Verständi- und 1943 mindestens 250 männliche Anfragen stiegen deutlich. Vor allem An- gung“ aus Minsk dolmetschte bei den Häftlinge an Mangelversorgung, Gewalt gehörige ehemaliger NS-Opfer nutzten Besuchen osteuropäischer Zwangsarbei- und durch Hinrichtungen starben. und unterstützten das Projekt „Schick- ter_innen und beim Internationalen Ju- 2016 setzte die Dokumentationsstelle salsklärung“, wobei die fortgesetzte gendworkshop „Aus Geschichte lernen? die Planungsarbeiten zur Umgestaltung Daten- und Namenserfassung zu ehema­ – NS-Verfolgung und Zwangsarbeit in des bisher bereits in die Bildungsaktivi- ligen Zwangsarbeiter_innen, AEL-Häft­- der Pulverfabrik Liebenau und der Regi- täten einbezogenen Gebäudes fort. lingen und Kriegsgefangenen durch on Nienburg/Weser“, der vom 29. Mai Letztendlich beschloss der Rat der Samt- private Foto- und Dokumentengaben er- bis 8. Juni in Liebenau stattfand. Sie gemeinde Liebenau, der Dokumentati- gänzt werden konnte. Eine wesentliche wirkte bei der Planung und Durchfüh- onsstelle die Räumlichkeiten kostenfrei Aufgabe bildete die Erfassungsarbeit zu rung unterschiedlicher Bildungsange­ zu überlassen und darüber hinaus die 1533 Zwangsarbeiter_innen, die zwischen bote mit und bereicherte das Projekt jährlichen Bewirtschaftungskosten zu 1939 und 1945 in den Krankenhäusern „Schicksalsklärung“ maßgeblich. Ihre übernehmen. Einstimmig erhöhten die Nienburg/Weser und Stolzenau/Weser Sprachkenntnisse halfen dabei, rus- Ratsmitglieder zudem den jährlichen aufgenommen und behandelt wurden. sischsprachige Quellen besser zu er- Zuschuss für den laufenden Betrieb auf Das Projekt umfasste auch die kontinu- schließen, Angaben zu verifizieren und 15.000 €. Mit dem zeitgleichen Beschluss ierliche Mitarbeit im „Arbeitskreis Ge- die Zusammenarbeit mit osteuropäi- der zuständigen Gremien des Landkrei- denken“ des Fleckens Steyerberg be­ schen Zeitzeug_innen und Partner­ ses Nienburg/Weser, die bisherige jährli- züglich der Neugestaltung der dortigen organisationen effektiver zu gestalten. che Förderung von 6.000 € auf 25.000 € „Kriegsgräberstätte Hesterberg“. Die zu erhöhen, ist die kommunale Basis für Datenbanken der Dokumentationsstelle Bei seinem Besuch vom 8. bis 10. Juli Für 2017 plant die Dokumentations- 157 überreichte Prof. Dr. Anatolij Pogorielow stelle den Beginn eines mehrjährigen von der Nationalen Universität Nikolaus Jugend-Kunstprojektes mit Partner­ V. Sukhomlynsky in Mykolaew (Ukraine) gruppen aus Schostka, Perwomajskyi Dokumente und Fotografien zu ehemali- (beide Ukraine), Minsk (Belarus) und gen Zwangsarbeiter_innen der Pulverfa- Warschau (Polen), wobei die Schwer- brik Liebenau aus dem dortigen Staats- punkte auf Malerei, Schauspiel, Video archiv. Bei den weiteren Planungen – die und Fotografie liegen werden. Ein mehr- internationale Zusammenarbeit mit der teiliges Projekt mit Flüchtlingen aus Universität besteht seit 2011 – sprach der Syrien und anderen Nationen ist für Gast eine Einladung nach Mykolaew zu den Herbst 2017 vorgesehen. Vorträgen und Workshops mit Student_ innen aus. Zuvor wird eine Student_innen- Martin Guse gruppe die Dokumen­ta­tionsstelle im Mai Leiter der Dokumentationsstelle 9. April: Impression von der öffentlichen Führung für Gäste aus dem benachbarten Deblinghausen 2017 besuchen. Pulverfabrik Liebenau e.V. • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.

2016 schloss die Dokumentationsstelle 22. April: Ein Dokument. Spurensuche zu den Todesop- zwei Modellbauprojekte ab. Die Jugend- fern der ehemaligen Pulverfabrik mit Schüler_innen der Oberschule Uchte • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Arbeitsgemeinschaft der Dokumentati- Liebenau e.V. onsstelle gestaltete im Mai und Novem- 22. April: Erkundungen auf dem Gelände der ehemaligen ber zwei Ganztagesprojekte mit eigenen Pulverfabrik mit Schüler_innen der Oberschule Uchte • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V. Vorträgen und Ausstellungspräsentatio- 6. Mai: Hospitantin Polina Anoshko aus Belarus mit dem nen. Vom 10. bis 15. Oktober nahm eine 90jährigen Karl Payuk (Ukraine), Häftling des ehemali- Jugenddelegation der Dokumentations- gen „Arbeitserziehungslagers“ • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V. stelle an der Internationalen Jugendbe- 30. Juli: Bei der Sonderführung für junge Flüchtlinge gegnung zum 73. Jahrestag der Selbstbe- aus Afghanistan, Iran und Syrien wurden gemeinsame freiung des Vernichtungslagers Sobibor Projekte vereinbart. • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V. teil. 20. August: Martijn Pellis, Geschichtslehrer des Moller­ lyceums Bergen op Zoom (Niederlande) informierte sich bei der Dokumentationsstelle über den Lebensweg des Italienischen Militärinternierten Attilio Badino. • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.

Geförderte Gedenkstätten Internationaler Jugendworkshop

158 Vom 29. Mai bis 8. Juni führte die (Polen) präsentierten ihre im Schulunter- Dokumentationsstelle präsentierte ihre Dokumentationsstelle den Internationalen richt angestellten Nachforschungen zur überarbeitete Ausstellung „Karl Payuk“ Jugendworkshop „Aus Geschichte NS-Besatzung in Belarus und der Ukrai- – wie sie es dem Zeitzeugen im Jahr zu- lernen? – NS-Verfolgung & Zwangsarbeit ne sowie zum NS-Vernichtungslager So- vor versprochen hatte. in der Pulverfabrik Liebenau und der bibor. Dr. Anatoliy Podolskij vom „Ukrai- Region Nienburg/Weser“ durch. Wie im nian Center for Holocaust Studies“ in Vorjahr stand der 90-jährige Karl Payuk Kiew referierte über die Shoah auf dem aus der Ukraine – als ehemaliger Häft- damaligen Gebiet der Ukraine und aktu- ling des „Arbeitserziehungslagers Liebe- elle Fragestellungen zum Antisemitis- nau“ sowie der Konzentrationslager mus in der Ukraine und Osteuropa. Ein Neuengamme, Drütte und Bergen-Belsen Besuch der „Alten Synagoge Petersha- – im Mittelpunkt der zehntägigen Ju- gen“ und die Informationen zu den Le- gendbegegnung. Mit ihm begaben sich bens- und Leidenswegen ermordeter 35 jugendliche Teilnehmer_innen aus jüdischer Bürger_innen aus dem be- Belarus, Deutschland, Polen und der nachbarten Dorf Stolzenau boten weitere Ukraine auf Spurensuche. Sie spürten Informationen und die historische den Lebens- und Arbeitsbedingungen Basis für die aktive Mitwirkung in den von insgesamt 20.000 ehemaligen anschließenden Arbeitsgruppen: Die Zwangsarbeiter_innen der Pulverfabrik Jugendlichen diskutierten sehr motiviert Liebenau nach, erkundeten Fotografien und engagiert über die aktuellen Fragen- und archivalische Quellen sowie das bis stellungen zu Menschen-, Bürger- und 1. Juni: Ideen-Werkstatt der jugendlichen Teilnehmer_­ heute erhaltene Werksgelände mit sei- Freiheitsrechten. Beim Besuch des Nieder-­ innen zur Umgestaltung der „Kriegsgräberstätte Hester- nen 400 Produktionsgebäuden. In einem sächsischen Landtages und weiterer berg“ • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V. gemeinsamen Arbeitseinsatz pflegten öffentlicher Einrichtungen erhielten sie 2. Juni: Gruppenfoto mit „Präsident“ Karl Payuk beim Besuch des Niedersächsichen Landtages – nach aus- sie die Kriegsgräberstätte Hesterberg, Einblicke in die politisch-gesellschaftli- führlichen Gesprächen mit den Landtagsabgeordneten auf der über 2000 osteuropäische Todes- chen Strukturen des Gastgeberlandes. Grant Hendrik Tonne (SPD) und Helge Limburg (Bündnis 90/Die Grünen) • Dokumentationsstelle Pulverfabrik opfer der Pulverfabrik Liebenau bestat- In der abschließenden Gedenkveranstal- Liebenau e.V.

tet sind. Die jungen Teilnehmer_innen tung informierten die Teilnehmer_innen 7. Juni: Vorbereitung der Abschlussveranstaltung in der aus Schostka, Perwomajskyi (beide Uk- über die Ergebnisse des Workshops, und Hauptschule Liebenau, Ausstellung und Modelle wurden aufgebaut. • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebe- raine), Minsk (Belarus) und Włodawa die Jugend-Arbeitsgemeinschaft der nau e.V. Jugend gestaltet mit … 2016 … ein Einblick

In den Bildungs- und Informationsan- lung „Iwan Dudar – Lebensweg eines Beim ganztägigen Projekttag mit dem 159 geboten der Dokumentationsstelle nahm ukrainischen Künstlers“ (2009 in einem Kreisjugendring Nienburg/Weser vom die interne Jugendarbeitsgemeinschaft deutsch-ukrainischen Jugendprojekt 12. November informierte die AG insge- auch 2016 besondere Aufgaben wahr. realisiert). samt 20 jugendliche Teilnehmer_innen Die Gruppe hat derzeit zehn aktive Mit- In der ersten Jahreshälfte überarbeitete zu den historischen Fakten der NS- glieder, Malte Klimpsch ist als ihr ge- die AG unsere Ausstellung „Karl Payuk“ Zwangsarbeit und über die eigene wählter Vertreter in den Vorstand der aus dem Jahr 2012, die bis dahin ledig- Arbeit. In der abschließenden Gruppen­ „Dokumentationsstelle“ berufen. Die lich in ukrainischer Sprache im Museum arbeit diskutierten Gastgeber und Gäste Arbeit ist integrativ sowie inklusiv aus- der Stadt Perwomajskyj zugänglich war. das Thema „Freiheit“. gerichtet, sie wird sozialpädagogisch Auch die deutschsprachige Version ori- begleitet. entiert sich am gesamten Lebensweg Wie in den Vorjahren nahmen die jun- des ehemaligen Häftlings des „Arbeits- gen Vereinsmitglieder an regelmäßigen erziehungslagers Liebenau“. Die Präsen- Arbeitstreffen teil, bei denen sie ihre Ideen tation umfasst zehn Roll-Ups und kann und Vorhaben entwickelten und umsetz- bei der Dokumentationsstelle ausgelie- ten. Zu den stets wiederkehrenden Auf- hen werden. Bis Mai 2016 realisierte die gaben gehörten 2016 vier Pflegeeinsätze Jugend-AG ein (aufgrund der despera- auf der „Kriegsgräberstätte Hesterberg“ ten Quellenlage) „vorläufiges“ Modell und dem „Friedensplatz Liebenau“, der des „Arbeitserziehungslagers Liebe- sich seit 2007 als Mahnmal am Standort nau“, in dem Karl Payuk zum Jahres- des ehemaligen „Arbeitserziehungs­ wechsel 1942/43 inhaftiert war. Neben 30. Juli: Arbeitseinsatz der Jugend-AG auf dem lagers Liebenau“ befindet. diesen Arbeitsprodukten zeigte die Do- „Friedensplatz Liebenau“; auf dem Schulhof der Haupt- Anlässlich des 71. Jahrestages des kumentationsstelle im Rahmen des In- schule erinnert er an die Todesopfer des „Arbeitserzie- hungslagers Liebenau“ • Dokumentationsstelle Pulver­ Kriegsendes stellte sich die Jugend-AG ternationalen Jugendworkshops 2016 fabrik Liebenau e.V. am 8. Mai bei der Kirchengemeinde erstmals auch das mit Schüler_innen der 8. Mai: Bei der Kirchengemeinde Uelzen-Oldenstadt Uelzen-Oldenstadt vor. Neben eigenen Hauptschule Steyerberg und der Förder- präsentierte die Jugend-AG ihre Arbeit, unter anderem durch die Ausstellung „Iwan Dudar – Lebensweg eines Vorträgen zur NS-Zwangsarbeit in der schule Borstel erarbeitete Modell einer ukrainischen Künstlers“. • Dokumentationsstelle Pulver- fabrik Liebenau e.V. Pulverfabrik Liebenau präsentierte die Baracke des „Ostarbeiterlagers“ Gruppe für drei Wochen ihre Ausstel- Steyerberg. 5. März: Josch Witte bei den ersten Arbeitsschritten zum Bau des Modells „Arbeitserziehungslager Liebe- nau“ • Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.

Geförderte Gedenkstätten KZ-Gedenkstätte Moringen

Die KZ-Gedenkstätte Moringen wird im Rahmen der Schwerpunktförderung der Stiftung niedersächsische Gedenk­ stätten in besonderer Weise gefördert.

KZ-Gedenkstätte Moringen Lange Straße 58 D – 37186 Moringen Postanschrift: Postfach 1131 D – 37182 Moringen Tel.: +49 (0) 5554 – 2520 / 8807 / 2504 [email protected] www.gedenkstaette-moringen.de www.erinnernsuedniedersachsen.de www.facebook.com/moringenmemorial

160 Eine große Auszeichnung wurde 2016 rungsarbeiten im Eingang der ehemali- stätte an herausgehobenen Stationen einem Mitglied der Moringer Lagerge- gen Kommandantur führten 2016 jedoch auf dem ehemaligen Lagergelände eine meinschaft zuteil: Am 26. April wurde zu einem leichten Rückgang der Be­- szenische Lesung auf Grundlage histori- dem 90-jährigen Helmut Becker das Ver- sucherzahlen. scher Dokumente und Interviews. Sie dienstkreuz am Bande des Verdienstor- Neben den Angeboten von Führungen wurde realisiert von den Schauspielern dens der Bundesrepublik Deutschland und Projekttagen in der Gedenkstätte der „stille hunde theaterproduktionen“ verliehen. Neben seiner langjährigen Ar- kommt den dezentralen Vortrags- und und Schüler_innen der KGS Moringen. beit im Vorstand der Lagergemeinschaft Theaterangeboten eine immer größere Ein weiterer Höhepunkt der Veranstal- engagiert sich der ehemalige Häftling Bedeutung zu. In der Gedenkstätte und tungen bildeten bereits am 27. Januar des Jugend-KZ seit vielen Jahren als an mehreren anderen Orten in der Regi- Vortrag und Gespräch mit Bert Woudst- Zeitzeuge und trifft sich mit Jugendli- on fanden 18 Veranstaltungen statt, dar- ra (Enschede). Sein Vortrag stand unter chen, um über Verfolgung und Wider- unter (in Kooperation mit dem Verein dem Titel „Dem Überleben einen Sinn stand in der NS-Zeit zu sprechen. 2015 Spurensuche Harzregion e.V.) die geben“. Der 1932 geborene Bert Wouds- entstand eine filmische Dokumentation 8. Netzwerkkonferenz „Topografie der tra erlebte als Jugendlicher in den Nie- über seine Verfolgung in der NS-Zeit Erinnerung. Gedenken und Erinnern derlanden die Judenverfolgung der („Helmut Becker – Kindheit und Jugend in Südniedersachsen“. Sie stand unter deutschen Besatzer. Er überlebte, weil in der NS-Zeit“, 2015). Der Film ist über dem Thema „Heimat in der Fremde – ihn Freunde, aber auch fremde Men- das Adolf-Bender-Zentrum in St. Wendel Zwangsarbeiter, Vertriebene und schen, drei Jahre lang versteckten. Viele zu beziehen (www.adolfbender.de). Flüchtlinge in Deutschland nach 1945“. Familienangehörige hingegen wurden Im Mittelpunkt des Jahres 2016 stand 2016 gab es in Südniedersachsen 70 Opfer des Holocaust und starben in die Bildungsarbeit. 86 Gruppen besuch- erinnerungskulturelle Veranstaltungen, deutschen Konzentrationslagern. Über ten die Gedenkstätte und nutzten die un- die über den Newsletter des von der 200 Menschen besuchten diese Koope- terschiedlichen thematischen Angebote Gedenkstätte initiierten und betreuten rationsveranstaltung mit dem Bündnis von zwei- und dreistündigen Führungen. Netzwerkes sowie über das Portal www. „Gedenken an die Opfer des National­ Insgesamt wurden 17 Projekttage durch- erinnernsuedniedersachsen.de bewor- sozialismus“ im Alten Rathaus in geführt. Sieben Aufführungen des ben wurden. 97 Ausgaben des Newslet- Göttingen. Klassenzimmerstücks „Die Besserung“ ters wurden über den Email-Verteiler Am 11. Dezember hatte in Saarbrücken erreichten über 420 Besucher_innen. des Netzwerkes versandt. das Theaterstück „Swing Heil!“ Premie- Daneben fanden zehn öffentliche Füh- Am Tag des offenen Denkmals am re. Es stammt aus der Feder des Thea- rungen statt. Projektbedingte Renovie- 11. September veranstaltete die Gedenk- termachers Peter Tiefenbrunner, der für das Stück im Archiv der KZ-Gedenkstät- insbesondere über sexuelle Gewalt und Für März 2017 ist die Eröffnung des 161 te Moringen recherchiert hat. Den histo- die persönliche wie die gesellschaftliche neugestalteten Eingangs in der ehema­ rischen Hintergrund bildet die Verfol- Auseinandersetzung damit. Wir sprachen ligen Kommandantur des Lagers geplant gung der Swing-Jugend in der NS-Zeit, über Trauma und Narration. Frau Kidwai – ein wichtiger Schritt der Erweiterung also Jugendlicher, die für ihre musikali- arbeitet an der School of Language, und Modernisierung des Lernortes sche Leidenschaft Repression und Literature & Culture Studies an der Moringen. Verfolgung erfuhren. Jawaharlal Nehru University in New Arne Droldner und Dr. Dietmar Sedla- Dehli und ist zurzeit Gast am Centre for Dr. Dietmar Sedlaczek czek waren wiederholt zu Vorträgen in- Modern Indian Studies in Göttingen. Ein Leiter der KZ-Gedenkstätte Moringen nerhalb der Mitarbeiterfortbildungen im Schwerpunkt ihres Forschungsinteres- Maßregelvollzugszentrum Niedersach- ses liegt auf der Untersuchung der sen – Moringen (MRVZN) eingeladen. Folgen der „partition“ in Indien, der Auch der internationale Austausch mit Teilung von Britisch-Indien in Indien Wissenschaftler_innen und Kulturschaf- und Pakistan. fenden nahm breiten Raum ein. Exemp- Der Leiter der Gedenkstätte ist Mit- Irene Harrison besucht die KZ-Gedenkstätte Moringen. Frau Harrison wurde im DP-Camp Moringen geboren. larisch sei auf folgende Begegnungen glied im Sprecherrat der Interessenge- Später immigrierte sie die mit ihren aus Polen stammen- verwiesen: meinschaft niedersächsischer Gedenk- den Eltern nach Kanada. In der heute vom Maßregelvoll- zugszentrum Moringen als Anstaltskirche genutzten Am 21. April recherchierte die polni- stätten und Initiativen zur Erinnerung an Gotteshaus wurde Irene Harrison getauft. • Arne Droldner sche Journalistin und Filmemacherin die NS-Verbrechen. In dieser Funktion Urszula Sochacka in der KZ-Gedenkstätte nimmt er auch einen Sitz im Beirat der Premiere des von Peter Tiefenbrunner geschriebenen und inszenierten Theaterstücks „Swing Heil“ am Moringen. Ihr Vater war Häftling im so- Stiftung niedersächsische Gedenkstät- 11. Dezember 2016 in Saarbrücken. Es thematisiert die Verfolgungsgeschichte der im Jugend-KZ Moringen genannten „Polen-Jugendverwahr­lager ten wahr. Darüber hinaus sind Leitung inhaftierten „Swing-Kids“ aus Hamburg. Litzmannstadt“ – dies machte sie auch und Assistenz der Gedenkstätte Mitglied • Kerstin Krämer 2016 zum Gegenstand eines Filmes. In einem des Lokalen Aktionsplans (LAP) des Die polnische Filmemacherin Urszula Sochacka (li.) recherchierte im April im Archiv der KZ-Gedenkstätte intensiven Gespräch wurden Pläne für Bundesprogramms „Demokratie leben! Moringen. Ihr Vater war Häftling im m sog. Polen-­ ein deutsch-polnisches Begegnungs­ – Aktiv gegen Rechtsextremismus, Jugendverwahrlager Litzmannstadt“. Cornelia Schmidt- hals (re.), pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte, projekt erörtert. Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ betreute die Filmemacherin während ihres Aufenthaltes in Moringen. • Dietmar Sedlaczek Am 8. Juni besuchte Ayesha Kidwai im Landkreis Northeim. aus Indien die Gedenkstätte zu einem 16. September: Besuch einer Gruppe aus den Nieder­ landen. Die Eltern der Teilnehmer waren in der NS-Zeit Austausch über Gewalterfahrungen, als Zwangsarbeiter in Südniedersachsen. • Nina Eimer

Geförderte Gedenkstätten Neugestaltung des Eingangsraumes in der ehemaligen Kommandantur des KZ Moringen

162 2016 stand die Erarbeitung einer Prä- der Aufenthalt im KZ Moringen. Von nun einer Zeitleiste sind die verschiedenen sentation und einer Ausstellung im Erd- an waren sie mit den Bedingungen im Einrichtungen in Text und Bild dokumen- geschoss des ehemaligen Kommandan- KZ konfrontiert. tiert, die hier nacheinander, zum Teil turgebäudes im Fokus. Das Gebäude Der Ungewissheit der Situation bei auch zeitgleich, in den vergangenen bald war im 18. Jahrhundert als Waisenhaus der Ankunft der Häftlinge entspricht am 300 Jahren bestanden haben. In einem errichtet worden. Seit dem 19. Jahrhun- ehesten ein nahezu leerer Raum mit kah- weiteren Ausstellungsbereich sind Bio- dert beherbergte es ein Werk- und Ar- len Wänden. „Gefüllt“ wird er durch eine graphien von weiblichen und männli- beitshaus. 1933 wurde hier eines der auf die Wände projizierte mediale Prä- chen Häftlingen der Moringer Konzent- ersten Konzentrationslager des NS-Staa- sentation. Der leere Raum verweist auf rationslager vorgestellt. Zudem werden tes errichtet, es folgten ein Frauen-KZ die Notwendigkeit von Imagination bei Facetten heutiger Gedenkstättenarbeit und 1940 ein Jugend-KZ. Nach dem der Vermittlung von Geschichte, und die thematisiert. Krieg wurde das Gelände zunächst als mediale Präsentation mit ihrem Collage- DP-Camp genutzt, später wurde ein Charakter betont, dass die Vergangen- Landeskrankenhaus eingerichtet. Heute heit aus dem Heute heraus rekonstruiert gehört das Gebäude zum Maßregelvoll- und interpretiert wird und dabei Projek- zugszentrum Niedersachsen (MRVZN), tionen in sie einfließen. einer forensischen Fachklinik. Bis zum An drei Projektionsflächen werden Herbst 2016 war in dem Raum eine 1986 mit historischen Fotografien und Doku- eröffnete Ausstellung zur Geschichte menten sowie Textauszügen aus Häft- des Gebäudes zu sehen. lingsberichten und Interviews die unter- Für die Besucher_innen der Gedenk- schiedlichen Wege ins Lager thema­- stätte steht der Eingangsraum am Be- tisiert: Aus welchen Gründen erfolgte ginn einer Führung. Hier erwarten sie eine Haft im KZ Moringen? Aus welchen nun eine mediale Präsentation, die eine Orten kamen die Häftlinge? Über welche Fokussierung auf die Ankunftssituation Stationen erfolgte der Transport? Und der Häftlinge vornimmt, und eine Aus- wie erlebten die Häftlinge die Ankunft Die alte Ausstellung im Eingang der ehemaligen Kom- stellung. Es ist eben jener Raum, den in Moringen? mandantur des Lagers stammte aus dem Jahr 1986. Sie wurde entfernt und der Raum anschließend umfassend auch viele Häftlinge bei ihrer Ankunft im Die Ausstellung kann sowohl der Ver- renoviert. Im Herbst 2016 begann seine Neugestaltung. Lager zuerst betreten haben. Mit dem tiefung dienen als auch unabhängig von Ende des Jahres erfolgte der Aufbau von Dokumenten- schubladen und die Installation der Präsentationstech- Übertreten der Schwelle begann für sie der Präsentation genutzt werden. In nik. • Dietmar Sedlaczek 2016 Eine Säule der Gedenkstättenarbeit – das Archiv

Die KZ-Gedenkstätte Moringen unter- siert. Dokumente und analoge Fotos intensiv und ertragreich zu Moringen ge- 163 hält ein eigenes Archiv, in das sie die Er- wurden gescannt, Karten und Objekte arbeitet hatte. Auch Objekte werden der gebnisse ihrer Recherchen zur Geschich- abfotografiert. Auf diese Weise kann mit Gedenkstätte anvertraut. 2016 erhielt sie te der Moringer Konzentrationslager ihnen am Computer oder in Form von ein Bett aus dem Jugend-KZ; darüber einpflegt. Dort sammelt und dokumen- Ausdrucken gearbeitet werden. Digital hinaus bekamen wir den Hinweis auf ei- tiert sie auch Veröffentlichungen, Re- aufbereitet wurden zudem rund 150 nen Schreibtisch aus der Kommandan- cherche- und Forschungsarbeiten sowie Stunden Interviews, Radio- und Fern- tur des Lagers. wissenschaftliche Abschluss- und Exa- sehsendungen sowie Dokumentarfilme. Das Archiv steht in den kommenden mensarbeiten. In den vergangenen Jah- Die Datenbanken ermöglichen einen Jahren vor weiteren Herausforderungen: ren wurde das Archiv stetig professio- schnelleren Zugriff auf die Archivalien. Objekte, vor allem Papierobjekte, müs- nalisiert und modernisiert, seit 2010 im Dies ist eine wesentliche Erleichterung sen restauriert werden. Zusätzliche Mit- Rahmen mehrerer von der Stiftung nie- bei der Beantwortung der zahlreichen tel werden auch für die Verzeichnung dersächsische Gedenkstätten und der Anfragen von historisch Forschenden, der neuen Bestände benötigt, denn sie Kultur- und Denkmalstiftung des Land- aber auch von Schüler_innen und vor ist mit den vorhandenen Personalmitteln kreises Northeim geförderter Projekte. allem von ehemaligen Häftlingen und nur schwerlich zu leisten. Schließlich ist In Datenbanken der Archivsoftware ihren Familienangehörigen. Seit einigen das DP-Camp mit in die Recherchen ein- FAUST EntryArchiv wurden die Doku- Jahren steigt die Zahl der Anfragen aus zubeziehen, damit die zahlreichen Anfra- mente detailliert erfasst und über Schlag- ­ der zweiten und dritten Generation so- gen von Kindern und Enkelkindern ehe- worte zusammengeführt, so dass be- wie zum DP-Camp Moringen (1948–51) maliger DPs aus dem Ausland zügig und standsübergreifend nach Namen, Orten deutlich an. kompetent beantwortet werden können. und vordefinierten Sachbegriffen re- Dank seiner Professionalisierung ist Dr. Uwe Deppe, Vorsitzender der Geschichtswerkstatt cherchiert werden kann. Personenbezo- das Archiv inzwischen ein gefragter Auf- Hardegsen e.V., übergibt Dr. Dietmar Sedlaczek, Leiter gene Datenbanken zu den drei Moringer bewahrungsort. Viele Einzelpersonen der KZ-Gedenkstätte Moringen, den Bestand zum Nationalsozialismus in der Region. Darunter befinden Konzentrationslagern fassen Informatio- haben ihre Dokumente, Sammlungen sich zahlreiche Häftlingsportraits und Interviews mit ehemaligen Häftlingen. In den 1990er Jahre arbeitete nen zu einzelnen Häftlingen zusammen und Forschungen zur Geschichte der der Verein intensiv und ertragreich zu den Moringer und ermöglichen zudem eine Auswer- Moringer Konzentrationslager der Ge- Konzentrationslagern. • Jakob Fesca 2016 tung nach unterschiedlichen Aspekten. denkstätte übertragen. Die bislang be- Das Ehepaar Kaese übergibt das Bett mit der Prägung JULA Mo der KZ-Gedenkstätte Moringen. Diese Prägung Um die Archivalien langfristig zu si- deutendste Übergabe stellte 2016 die gab Rätzel auf, wurde aber erst jetzt entschlüsselt. chern, wurden sämtliche Originalmateri- Sammlung der Geschichtswerkstatt Har- Jahrzehnte stand das Bett vergessen in einem Ferien- haus in Volpriehausen. Als Kind schmückte Herr Kaese alien und Erinnerungsberichte digitali- degsen e.V. dar, die in den 1990er Jahren das Bett mit Klebebildern. • Nina Eimer 2016

Geförderte Gedenkstätten Dokumentations- und Gedenkstätte Lager Sandbostel

Die Gedenkstätte Lager Sandbostel wird im Rahmen der Schwerpunktförderung der Stiftung niedersächsische Gedenk- stätten in besonderer Weise gefördert.

Dokumentations- und Gedenkstätte Lager Sandbostel Greftstraße 3 D – 27446 Sandbostel Tel.: +49 (0) 4764 – 22 54 810 [email protected]­ www.stiftung-lager-sandbostel.de

164 2016 war geprägt von den ehrenamtli- 2016 lag die Zahl der Besucher_­innen Im Rahmen des Archivprojekts konn- chen Aufräumarbeiten auf einem Ende wieder bei 11.800 Personen. Erneut ten 2016 die Papierbestände (Kopien aus 2015 erworbenen Teilgrundstück des mussten aber vor allem schulischen Fremdarchiven) in der Datenbank er- ehemaligen Kriegsgefangenenlagers mit Gruppen Absagen erteilt werden, denn fasst, konservatorisch bearbeitet und in sieben, teilweise sehr maroden histori- wir können lediglich an zwei Wochenta- Archivkartons gelagert werden. Findbü- schen Gebäuden, darunter vier Unter- gen gedenkstättenpädagogisch beglei- cher zu den zentralen Beständen wurden kunftsbaracken aus der Aufbauphase. tete Projekte anbieten. Der Gedenkstät- von Ronald Sperling erarbeitet, so dass Mit großem Engagement haben viele tenpädagoge Lars Hellwinkel wird zwar nun unkompliziert im Archiv recher- ehrenamtliche Helferinnen und Helfer durch ehrenamtlich tätige pensionierte chiert werden kann. aus dem Gedenkstättenumfeld, mehrere Lehrer und vor allem durch den Friedens­ Auch in der Bibliothek wurde ein gro- Schulklassen und Internationale Jugend- pädagogen Michael Freitag-Parey un- ßer Professionalisierungsschritt ge- begegnungen sowie Bundeswehrreser- terstützt. Da die Schulen in der Regel macht. Im September konnten wir nach visten der Reservistenkameradschaft jedoch mit zwei Klassen zugleich kom- zweieinhalb Jahren Arbeit im Beisein Zeven zahlreiche Bäume, Sträucher und men, muss erneut konstatiert werden, der Bibliothekarin des Landschaftsver- Zäune entfernt, das Gelände planiert dass es mittelfristig notwendig ist, das bandes Stade, Catrin Gold, den fertigge- und gemäht und ungezählte Container abgeordnete Lehrerstundenkontingent stellten und im Gemeinsamen Verbund- mit Müll und eingestürzten Bauteilen zu erhöhen, um den steigenden Grup- katalog (GBV) veröffentlichten online- aus den Gebäuden geräumt. Bereits da- penbuchungen gerecht zu werden. Katalog der Gedenkstättenbibliothek der durch hat sich der Charakter des Gelän- Die Gedenkstätte hat 2016 auf mehreren Öffentlichkeit übergeben. Auch im letzten des grundlegend geändert, und der Be- Ebenen einen Professionalisierungsschub Jahr hat Christa Steffens dafür unermüd- zug zum übrigen Gedenkstättengelände und große Schritte beispielsweise bei der lich die Titel der Bücher der Gedenkstätte wurde hergestellt. Eine weitere große Bearbeitung und Verzeichnung ihres Ar- ehrenamtlich in eine Datenbank übertra- Hilfe waren vier Jugendliche der Ju- chivgutes gemacht. Der wissenschaftliche gen und verschlagwortet. Wissenschaft- gendbauhütte Stade unter der Leitung Dokumentar Ronald Sperling konnte die ler_innen, Student_innen, Schüler_innen von Eva Pfennig, die in zwei jeweils bereits 2015 begonnene Neuorganisation und andere Interessierte können nun im zweiwöchigen Arbeitseinsätzen sehr en- des Archivs der Gedenkstätte Sandbostel online-Katalog der wissenschaftlichen gagiert die Gebäude freigeräumt haben. erfolgreich fortsetzen. Die von der Stif- Bibliotheken im Landkreis Rotenburg 2017 werden die Baracken als begehbare tung niedersächsische Gedenkstätten recherchieren. Ruinenstrukturen, als Großexponate, in finanzierte Archivstelle wird dankenswer- Auch 2016 haben wir wieder neben die Gedenkstätte einbezogen. ter Weise auch für 2017 weiterbestehen. den regulären Öffnungszeiten regel­ mäßig öffentliche Rundgänge, Vorträge, Als Vertreter der Kreispolitik sprach der 165 Konzerte und Gedenkveranstaltungen Vorsitzende des Rotenburger Kreistags, angeboten. Als sehr praktisch hat sich Friedhelm Helberg, und für die Landes- das 2015 eingeführte und 2016 fortge- regierung die niedersächsische Kultus- setzte kompakte Halbjahresprogramm ministerin Frauke Heiligenstadt. Für die erwiesen. evangelische Landeskirche Hannovers Eindrucksvoll war die Gedenkfeier überbrachte Landesbischof Ralf Meister zum 71. Jahrestag der Befreiung der Grußworte. Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge im Eine weitere wichtige, wenngleich Stalag X B mit über 300 Besucher_innen. nicht sehr gut besuchte, Gedenkveran- 2016 hatten wir den Schwerpunkt auf staltung richteten wir am 75. Jahrestag Beiträge der zweiten Generation gelegt. des Überfalls auf die Sowjetunion am Von daher hat es uns sehr gefreut, dass 22. Juni 1941 aus. Auf dem ehemaligen mit Rint Massier der Sohn des niederlän- Lagerfriedhof würdigten Dr. Jens Binner dischen KZ-Häftlings Jan Massier und von der Stiftung niedersächsische mit Gerd A. Meyer der Sohn des sowjeti- Gedenkstätten und Vizekonsul Pavel Ehrenamtliche Aufräumarbeiten an zwei der neu schen Kriegsgefangenen Anatolij M. Po- Reshetnikov vom Generalkonsulat der erworbenen Baracken • Andreas Ehresmann krowskij zu den Teilnehmer_innen spre- Russischen Föderation in ihren Anspra- Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 8. Internationalen Jugendworkcamps beim Freilegen der Bodenplatte einer chen konnten. Ruth Gröne, die Tochter chen die verstorbenen sowjetischen Unterkunftsbaracke, die als französischer Sakralraum von Erich Kleeberg, der mit einem der Kriegsgefangenen. genutzt wurde. • Andreas Ehresmann Todesmärsche aus dem KZ Neuengam- Vortrag der Journalistin Nina Schulz und der Fotografin Elisabeth Mena Urbitsch über den bis heute andauern- me nach Sandbostel gelangte, musste Andreas Ehresmann den Kampf von Überlebenden um Entschädigung. leider kurzfristig aus gesundheitlichen Geschäftsführer Stiftung Lager • Andreas Ehresmann Gründen absagen. Die Ansprache wurde Sandbostel / Leiter Gedenkstätte Gedenkzeremonie auf dem ehemaligen Lagerfriedhof am Ende eines Informationsbesuches der jüdischen aber auf dem ehemaligen Lagerfriedhof Lager Sandbostel Gemeinde Delmenhorst. • Andreas Ehresmann verlesen. Leider war es 2016 nur Wiktor Informationsrundgang mit einer Internationalen Listopadzki aus Warschau, einem ehe- Jugendgruppe aus Bremen. • Johann Pape maligen Angehörigen der Armia Krajowa, Blick in die fertig gestaltete Bibliothek. Im Hintergrund möglich, an der Gedenkveranstaltung ist eine kleine Sonderausstellung zu den historischen Lagerbibliotheken im Kriegsgefangenenlager zu sehen. anlässlich der Befreiung teilzunehmen. • Andreas Ehresmann

Geförderte Gedenkstätten Begehung des ehemaligen Lagerareals mit Metalldetektoren

166 Von September bis Dezember 2016 Ein herausragender Fund stammt aus Erstmalig wurden Ende 2016 auch wurden die wieder als landwirtschaft­ dem ehemaligen Verwaltungsbereich. mehrere Erkennungsmarken der polni- liche Nutzflächen genutzten Areale des Hier wurde in der Nähe des Standortes schen Armee und ein Bakelitröhrchen ehemaligen Kriegsgefangenenlagers einer Verwaltungsbaracke ein tresorähn- der sowjetischen Armee gefunden. Sandbostel systematisch durch geschulte licher Metallschrank geborgen. Die ro- Ursprünglich hatte sich darin ein Strei- und von der Kreisarchäologie zugelasse- buste Tür war ursprünglich verschlos- fen Papier mit den persönlichen Anga- ne Sondengänger mit Metalldetektoren sen, wurde aber offensichtlich zu einem ben des Soldaten befunden, er war untersucht. Bei dem so genannten unbekannten Zeitpunkt aufgehebelt. Im allerdings nicht mehr vorhanden. „Sondeln“ konnten die beiden ehren- Inneren konnten zwei datierte „Raucher- Die zahlreichen Fundstücke und die amtlichen Teams (Thomas Kirscht/­ karten“ (Bezugskarten für Zigaretten) ge- genauen Fundzusammenhänge werden Matthias Glüsing und Dietrich Alsdorf/ borgen werden. Anhand des Gültigkeits- jetzt in der Gedenkstätte sorgsam analy- Marcel Kiesner) umfangreiche lager­ datums der Karten („9.4. bis 6.5.45“) siert. Vorab ist aber schon festzustellen, zeitliche Funde bergen. kann der Metallschrank auf Anfang dass sich dadurch u.a. wichtige Erkennt- Darunter sind Alltagsgegenstände April 1945 und somit lagerzeitlich nisse über die Verwaltung des Kriegs­ der Kriegsgefangenen wie Essbestecke, datiert werden. gefangenenlagers gewinnen lassen Beschläge der Baracken, Ausrüstungsge- Wichtige Funde sind immer wieder Er- werden. genstände der Kriegsgefangenen wie kennungsmarken der Kriegsgefangenen, Knöpfe, Schnallen etc. und Ausrüstungs- denn aufgrund der darin eingeprägten gegenstände der Wehrmacht sowie der Kriegsgefangenennummern lassen sich britischen Armee, die zum Zeitpunkt der die Marken individualisieren und manch- Befreiung in diesem Areal ein Biwak hat- mal einer bestimmten Person zuordnen. te. Unter den Funden sind beispielsweise In der aktuellen Kampagne wurden bis- Fragmente von Ferngläsern, Feuerzeu- her 40 Marken oder Markenfragmente gen, Werkzeuge und einige Projektile. geborgen, bei denen die Nummern iden- Sämtliche Grabungsfunde wurden der tifizierbar sind. Auf zahlreichen Bruch- Gedenkstätte Lager Sandbostel überge- stücken von Erkennungsmarken sind ben. Dort wurden die Objekte gereinigt, jedoch nur Teile der Nummern lesbar. Konvolut der bei den Begehungen gefunden inventarisiert und unter Beachtung kon- Erkennungsmarken. • Andreas Ehresmann servatorischer und archivarischer Aspekte Ansicht des bei der Begehung gefundenen Metall- schranks aus einer der Verwaltungsbaracken des eingelagert. Kriegsgefangenenlagers • Andreas Ehresmann „Arbeitskreis Grundschule“ und „Bücherkiste“

Michael Freitag-Parey

Im September 2015 gründete sich auf sich neben ausgewiesenen Kinder- und Fortgesetzt wird auch das in Zusam- 167 Initiative der Gedenkstätte Lager Sand- Jugendromanen auch Comics, Bilder- menarbeit mit der Stiftung niedersächsi- bostel ein Arbeitskreis mit Lehrer_innen bücher und Graphic Novels. sche Gedenkstätten entwickelte Projekt der umliegenden Grundschulen, der das Die Unterrichtseinheiten werden von „Bücherkiste“. In Niedersachsen gibt es Ziel verfolgt, den Nationalsozialismus März bis Mai 2017 in den Grundschulen insgesamt drei dieser Bücherkisten. Eine als Thema in den Unterricht der 4. Klas- in Selsingen, Karlshöfen, Kuhstedt und davon steht in der Gedenkstätte Lager se (2. Halbjahr) in dieser Region alters- Klenkendorfer Mühle durchgeführt. Die Sandbostel und kann von Grundschulen gerecht, sensibel und mit unterschied­ Ergebnisse der Unterrichtseinheiten für mehrere Wochen ausgeliehen wer- lichen methodischen Zugängen einzu­- werden am 8. Mai, dem Jahrestag des den. Zu einigen der 16 Bücher gibt es binden. Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa bereits Unterrichtsmaterial zur Verwen- Bewusst wurde sich dafür entschie- und der Befreiung vom Nationalsozialis- dung in Grundschulklassen. Weiteres den, dass die Unterrichtseinheiten in mus, an einem zentralen Ort in der Regi- Material wird noch erarbeitet. den jeweiligen Grundschulen stattfin- on ausgestellt. In der Folge werden die den, nicht aber in der Gedenkstätte Lager Ergebnisse an den Schulen, aber auch Sandbostel. Auch weiterhin sollen Ge- an anderen Orten gezeigt. Interessierte denkstättenbesuche frühestens ab Lehrer_innen anderer Grundschulen Jahrgangsstufe 9, besser noch ab sind eingeladen, sich dieser Arbeit anzu- Jahrgangsstufe 10 stattfinden. schließen. Die bereits erarbeiteten und 2016 hat der „Arbeitskreis Grundschu- erprobten Unterrichtseinheiten können le“ mehrere Unterrichtseinheiten zu den in der Gedenkstätte Lager Sandbostel Themen Nationalsozialismus und der ak- angefragt und bei Interesse an der je- tuellen Fluchtsituation und deren Hinter- weiligen Grundschule vor Ort durch­ gründen erarbeitet und praktisch er- geführt werden. probt. Zu Grunde liegen den Unterrichts­- einheiten u.a. Bücher aus dem Projekt „Bücherkiste“. Diese Bücher erzählen ganz unterschiedliche Geschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus und von Personen und deren Lebenswirklichkeit in jener Zeit. Unter den Büchern finden Fotos • Gedenkstätte Lager Sandbostel

Geförderte Gedenkstätten Impressum

168 Herausgeber Konzept und Redaktion: Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Monika Gödecke, Jens-Christian Wagner Im Güldenen Winkel 8 D – 29223 Celle Mitarbeit: Tel.: +49 (0) 5141 – 933 55-11 Thomas Altmeyer, Bianca Armbrecht, Sabine Bergmann, Fax: +49 (0) 5141 – 933 55-33 Jens Binner, Monika Brockhaus, Kurt Buck, Lukkas Busche, www.stiftung-ng.de Anett Dremel, Rainer Driever, Andreas Ehresmann, [email protected] Marc Ellinghaus, Michael Freitag-Parey, Michael Gander, Monika Gödecke, Bernd Grafe-Ulke, Diana Gring, Celle 2017 Martin Guse, Simona Häring, Gerald Hartwig, Arnulf Heinemann, Robert Heldt, Bernd Horstmann, Fotos Cover: vgl. Seite 9, 57, 58, 130, 148 Juliane Hummel, Arnold Jürgens, Andrea Kaltofen, Rolf Keller, Thomas Kubetzky, Janna Lölke, Tobias Neuburger, Ulrike Pätzold-Prote, Silke Petry, Gabriele Prein, Thomas Rahe, Corinna Rathjen, Christian Römmer, Cornelia Schmidthals, Dietmar Sedlaczek, Marion Seibel, Daniel Seifert, Katja Seybold, Martina Staats, Ina Stenger, Klaus Tätzler, Katrin Unger, Jens-Christian Wagner, Stefan Wilbricht, Christian Wolpers, Elke Zacharias

Graphische Gestaltung: ermisch | Büro für Gestaltung

Druck: gutenberg beuys . feindruckerei

Gefördert über die Stiftung niedersäch- Bildrechte: sische Gedenkstätten aus Mitteln des Soweit nicht anders angegeben, liegen die Bildrechte Landes Niedersachsen und aufgrund bei der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. eines Beschlusses des Deutschen Bundestages durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Dokumentations- und Gedenkstätten in Niedersachsen und Bremen

4 1 2 5 6 Oldenburg Bremen 3

7

9 Wolfsburg 15 8 Hannover Osnabrück 16 Braunschweig 12 13 14

11

10

1 „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg 10 KZ-Gedenkstätte Moringen 21339 Lüneburg 37086 Moringen

2 Gedenkstätte „Alte Pathologie“ Wehnen 11 Erinnerungsstätte Lenner Lager für die Opfer der NS-„Euthanasie“ 37627 Lenne 26160 Bad Zwischenahn-Ofen 12 Gedenkstätte KZ-Außenlager Schillstraße 3 Gedenkstätte Esterwegen 38102 Braunschweig 26897 Esterwegen 13 Gedenk- und Dokumentationsstätte 4 Gedenkstätte Lager Sandbostel KZ Drütte 27446 Sandbostel 38239 Salzgitter

5 Denkort Bunker Valentin 14 Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel 28777 Farge-Rekum 38300 Wolfenbüttel

6 Dokumentations- und Lernort 15 Erinnerungsstätte an die Zwangsarbeiter Baracke Wilhelmine auf dem Gelände des Volkswagenwerkes 28790 Schwanewede-Neuenkirchen 38436 Wolfsburg

7 Gedenkstätte Bergen-Belsen 16 Gedenkstätten Gestapokeller 29303 Lohheide und Augustaschacht e.V. 49076 Osnabrück 8 Gedenkstätte Ahlem 30453 Hannover

9 Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau 31618 Liebenau Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Jahresbericht 2016