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Partei im Umbruch DIE LINKE nach Lafontaine und Bisky

Udo Baron/Manfred Wilke

Oskar Lafontaine war neben die Partei gegenwärtig an einem neu- seit Gründung der Linkspartei.PDS als en personellen und programmatischen Vorläufer der Partei DIE LINKE. eine Wendepunkt ihrer Entwicklung. der beiden charismatischen Führungs- persönlichkeiten der Partei. Krankheits- Die Personaldebatte bedingt kündigte er kurz vor Weihnach- Nach der Fusion von PDS und WASG ten 2009 seinen vorübergehenden Rück- Mitte 2007 wurde die Partei von einer zug aus der Bundespolitik an. Auf den Doppelspitze geführt, Lothar Bisky re- Fraktionsvorsitz im Deutschen Bundes- präsentierte die PDS, Lafontaine das „Bei- tag hatte er bereits direkt nach den Bun- trittsgebiet West“. Diese Konstruktion destagswahlen vom 12. September 2009 war für eine Übergangszeit angedacht verzichtet. Anfang Januar 2010 erfolgte und sollte 2010 enden. Daraufhin setzte der endgültige Verzicht auf den Partei- sich in der Partei ein Personalkarussell in vorsitz, auch sein Bundestagsmandat Bewegung. Nicht nur für Lafontaine legte er nieder und zog sich auf den musste ein Nachfolger gefunden werden, Saarländischen Landtag zurück, wo er auch der Co-Vorsitzende Lothar Bisky weiterhin als Fraktionsvorsitzender sei- hatte bereits seit Längerem angekündigt, ner Partei amtiert. Für die Partei DIE auf dem Parteitag im Mai in Rostock nicht LINKE. ging unerwartet eine Ära zu mehr antreten zu wollen. Er ließ verlaut- Ende. Lafontaine verdankte es die PDS, baren, sich künftig ganz auf sein Mandat dass ihr die seit 1990 ersehnte Westaus- als Abgeordneter des Europäischen Par- dehnung 2005 endlich gelang und sie lamentes und das Amt des Vorsitzenden ihren Status als Regionalpartei Ost verlor. der Europäischen Linken konzentrieren Ihr politisches Gewicht im heutigen Par- zu wollen. Auch der bisherige Bundes- teiensystem Deutschlands lässt sich an geschäftsführer und Wahlkampfmanager ihren Erfolgen messen. Mittlerweile sitzt trat in Rostock nicht sie in dreizehn Landtagen. In Berlin und mehr an, nachdem ihn die eigene Partei- ist sie an den sozialdemo- führung öffentlich wegen angeblicher kratisch geführten Landesregierungen Indiskretionen über das Privatleben von beteiligt, im Deutschen ist sie Lafontaine demontiert hatte. Die einzige in Fraktionsstärke vertreten, auch ins verbliebene charismatische Persönlich- Europaparlament entsendet sie Abge- keit, ihr amtierender Fraktionsvorsitzen- ordnete. Die Herkunft der Partei aus der der im Deutschen Bundestag Gregor diktatorischen Staatspartei der unterge- Gysi, wollte nicht noch einmal den Par- gangenen DDR verschwindet zugleich teivorsitz übernehmen. Die Nachfolge- allmählich aus dem öffentlichen Bewusst- regelungen für die vakanten Bereiche sein ins Dunkel der Geschichte. Unmittel- drohten zum Problem zu werden. Sind es bar nach ihren größten Triumphen steht doch komplexe Anforderungen, die er-

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füllt werden mussten. Neben der persön- deutlich für eine Fortsetzung der Doppel- lichen Eignung zählten die unterschied- spitze und die vorgeschlagenen Doppel- lichen innerparteilichen Strömungen, die besetzungen aus. Wenig überraschend geografische Herkunft und das Ge- bestätigte der Parteitag am 15. Mai 2010 schlecht bei der Auswahl. Um sich keine nicht nur die neue Struktur an der Partei- Blöße nach außen wie nach innen zu ge- spitze, sondern auch die entsprechenden ben, haben Gysi und Bisky eilends ein Personalvorschläge. Tandem mit der Ost-Berlinerin Gesine Die Lösung der Personalfragen wurde Lötzsch und dem bayerischen Gewerk- durch den Riss, der durch die Partei ent- schafter als künftiger Füh- lang der Frage nach einer Regierungs- rungsspitze kreiert. Auch die Bundesge- beteiligung verläuft, zunächst erschwert. schäftsführung wurde mit einer Doppel- Seit der Fusion von PDS und WASG zur spitze besetzt, dem hessischen Gewerk- Partei DIE LINKE. prallen zwei unter- schafter Werner Dreibus und der aus schiedliche politische Kulturen in dieser dem Rheinland stammenden parlamen- Partei aufeinander: Da sind zum einen die tarischen Geschäftsführerin der Links- eher pragmatisch eingestellten, auf die fraktion im Sächsischen Landtag, Caren Regierungsbeteiligung orientierten ost- Lay. Für deren Bestätigung war neben deutschen Landesverbände und zum dem Parteitagsvotum noch eine Sat- anderen die weitgehend auf Fundamen- zungsänderung erforderlich. Da 2010 talopposition setzenden westdeutschen der Ost-West-Proporz in der Besetzung Landesverbände. Ihre unterschiedliche von Führungspositionen wegfallen sollte, Sozialisation in der DDR und der Bundes- musste diese Regelung verlängert wer- republik bestimmt für viele Funktions- den. Vor allem das Ausscheiden Lafon- träger auch nach zwanzig Jahren noch ihr taines riss eine Lücke, die nicht leicht zu politisches Weltbild. Während ihre ost- schließen war und deren Auswirkungen deutschen Funktionäre die Machtfrage auf die Mitgliederbindung an die west- im Staat und somit die Übernahme von deutschen Landesverbände schwer ab- Regierungsverantwortung nie aus den sehbar sind. Augen verloren haben und zum Teil noch Um die Basis an die kommenden Füh- aus alten SED-Zeiten über Erfahrungs- rungsgremien zu binden und somit in- wissen in der politischen Machtausübung nere Zerreißproben zu vermeiden, aber verfügen, sind die westdeutschen Funda- auch um das demokratische Ansehen der mentalisten nur auf ideologisch gesteu- Partei öffentlich zu erhöhen, beantragten erte Opposition ausgerichtet. Allein die Anfang März neun West- und Ost-Lan- realen Machtverhältnisse in der alten desverbände der Linkspartei einen Mit- Bundesrepublik schlossen Regierungs- gliederentscheid über die Besetzung der verantwortung und somit Erfahrungen Parteispitze und der Bundesgeschäfts- im Umgang mit der Macht aus und wur- führung mit den vorgeschlagenen Dop- den vor allem von deren Gewerkschafts- pelspitzen. Zudem sollte die Parteibasis linken, die sich seit 2004 von der SPD darüber hinaus in einer Urabstimmung abgewandt haben, auch nicht angestrebt. über das künftige Parteiprogramm ent- Diese Entwicklung zeichnete sich schon scheiden. Der Parteivorstand akzeptierte vor den letzten Bundestagswahlen ab diesen Weg, sodass die Abstimmungen und führte dazu, dass ostdeutsche Kom- unter den etwa 78 000 Mitgliedern noch munistinnen wie in vor dem Rostocker Parteitag durchge- Nordrhein-Westfalen antraten, während führt werden konnten. Dabei sprach sich westdeutsche Realpolitiker wie die Basis der Linkspartei mit 84,5 Prozent sich in Sachsen-Anhalt um ein Bundes-

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DIE LINKE nach Lafontaine und Bisky

Lothar Bisky, – Abschied von der Parteispitze. © picture-alliance/dpa, Foto: Jens Büttner

tagsmandat bewarben. Diese Konstella- dungsdokument von 2007, die „Pro- tionen haben das Potenzial, die Füh- grammatischen Eckpunkte“, entspricht rungsfrage nach innen zu einer Zerreiß- weitestgehend dem PDS-Programm von probe für die Partei werden zu lassen und 2003. Es schreibt die Grundlinien der nach außen zum Verlust von Ansehen marxistischen Geschichts- und Gesell- und Wählerstimmen zu führen. Es war schaftstheorien fort, auch wenn die typi- also Führung gefordert, um dieses Szena- sche marxistisch-leninistische Terminolo- rio zu vermeiden, was schließlich gelang. gie der SED nur noch rudimentär vor- kommt. So fordert DIE LINKE. die „Über- Die Programmdebatte windung der kapitalistischen Eigentums- Der personelle Wandel und der damit und Herrschaftsverhältnisse“ und propa- verbundene Generationswechsel bedeu- giert in Anlehnung an das Kommunisti- teten aber auch einen Verlust an pro- sche Manifest von 1848 einen „demokra- grammatischem Sachverstand und Kom- tischen Sozialismus“, in dem „die Freiheit petenz. Neben der Personalfrage in der des anderen nicht die Grenze, sondern die Führung wird die Debatte um das neue Bedingung der eigenen Freiheit ist“. Parteiprogramm richtungweisend für Trotz dieser eindeutigen Bezüge auf ihre DIE LINKE. im Jahre 2010 werden. Weil ideologischen Wurzeln treten diese im die Partei von Anfang an bei Wahlen er- politischen Alltag in den Hintergrund. folgreich war, verzichtete sie bislang da- Dort wirkt die Partei pragmatisch und an rauf, ihre programmatischen Vorstellun- Sachthemen orientiert. Nicht Marx und gen nach der Fusion zu klären. Seit Jahren Lenin, sondern Hartz IV, die Rente mit schon schiebt sie die Programmdebatte 67 Jahren und der Bundeswehreinsatz in vor sich her, zu groß ist ihre Sorge, durch Afghanistan sind die Stichworte, mit die dadurch öffentlich werdenden Wider- denen die Partei in der Öffentlichkeit sprüche Mitglieder, Wählerstimmen und wahrgenommen werden will. Vor allem somit Wahlen zu verlieren. Das Grün- über die Medien wird der Eindruck ei-

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nes innerparteilichen Machtkampfes zwi- Dezember 1989 verabschieden müssen. schen Pragmatikern und Fundamenta- Die PDS-SED definierte sich von nun listen, ähnlich wie bei den Grünen in den an als sozialistische Strömungspartei, in 1980er-Jahren, vermittelt. Funktionäre der ein sozialistischer Pluralismus gelten wie Korte, Wawzyniak, Bartsch und sollte. Dieser Charakter der Partei wur- Ramelow erwecken den Eindruck, sie de durch die Fusion mit der westdeut- drängten ihre Partei in Richtung auf eine schen Linken noch verstärkt und in den erneuerte Sozialdemokratie, während so- Eckpunkten verankert. Zieht man ihre zialistische/kommunistische Fundamen- Grundsatzpapiere zurate, in denen sich talisten wie Wagenknecht, Dehm und die Linkspartei immer noch als eine sozi- Jelpke eine weitere außerparlamentari- alistische Partei mit dem Fernziel einer sche Radikalisierung favorisieren. Stre- klassenlosen Gesellschaft versteht, bleibt ben Erstere auf weitere Regierungsbetei- die Frage offen, ob für die Partei der Plu- ligungen und suchen deshalb die An- ralismus aus innerer Überzeugung ge- näherung an die SPD wie auch an die wollt wird oder letztlich nur aus takti- Grünen, setzen Letztere auf Fundamen- schen Überlegungen heraus als sozialisti- talopposition gegen das kapitalistische scher Pluralismus akzeptiert wird. „Sozi- System. Scheint für die einen der Mar- alistische Politik ohne marxistische Theo- xismus als theoretische Grundlage ihrer rie, ohne Dialektik und historischen Rea- Politik nur noch eine marginale Rolle zu lismus ist ein Selbstwiderspruch“, wie spielen, bildet er für die anderen noch es Heinz Niemann in einem Beitrag zur immer ihr ideologisches Gravitationszen- Programmdebatte im Neuen Deutschland trum für ihren sozialistischen Zukunfts- 2009 formulierte. Aus marxistischer Sicht entwurf. Oberflächlich betrachtet, ent- stellt er daher die Frage, „wie sich welt- spricht die Partei somit dem pluralis- anschauliche Pluralität und persönliche tischen Anspruch ihrer „Programmati- sozialistische Überzeugung einerseits schen Eckpunkte“. Dort heißt es: „Wir und die These von Pluralismus bei der greifen unterschiedliche Auffassungen Erarbeitung und Begründung sozialisti- zur Analyse, Politik, Weltanschauung scher Programmatik andererseits zuei- und Strategie, zu Widersprüchen und Ge- nander verhalten“. DIE LINKE. befindet meinsamkeiten produktiv auf und ent- sich an diesem Punkt in einem Dilemma. wickeln sie als Stärke der neuen Partei. Will sie als eine glaubwürdige pluralisti- Gemeinsam wollen wir eine Partei, wie es sche Partei verstanden werden, so muss sie in Deutschland noch nicht gab – Linke sie sich vom dogmatischen Marxismus einigend, demokratisch und sozial, öko- der Kommunistischen Plattform oder des logisch, feministisch und antipatriarchal, Marxistischen Forums, der mit dem Plu- offen und plural.“ Kann aber eine sich ralismus unvereinbar ist, unweigerlich dem Sozialismus verpflichtet fühlende verabschieden. Mit einem solchen Schritt Partei überhaupt prinzipiell pluralistisch läuft sie aber wiederum Gefahr, nicht nur sein? einen großen Teil ihrer Mitglieder und Pluralismus war nach marxistisch- Wähler in Ostdeutschland zu verlieren, leninistischer Auffassung eine unwissen- die sich innerparteilich in dieser Strö- schaftliche Phrase der bürgerlichen Ideo- mung organisiert haben und die auch logie, er war der Gegenentwurf zum als Interessenvertreter der ehemaligen Wahrheitsanspruch der kommunisti- SED-Funktionäre und der Offiziere ihrer schen Partei. Von dieser dogmatischen Geheimpolizei auftreten. Sie würde sich Engführung der SED hat sich bereits der letztlich auch überflüssig machen, denn Transformationsparteitag der SED im für zwei sozialdemokratische und somit

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DIE LINKE nach Lafontaine und Bisky

plurale Parteien links von der Mitte wird DIE LINKE.“. Seine Verfasser fordern im bundesrepublikanischen Parteien- darin einen radikalen „Systemwechsel“ spektrum kaum Platz sein. Kehrt sie aber zu einem „demokratischen Sozialismus“, dem Anspruch, eine plurale Partei zu der von „Umwälzungen mit revolutionä- sein, den Rücken, wird sie nicht nur ihren rer Tiefe gekennzeichnet“ sein soll. Auf „sozialdemokratischen“ Flügel verlieren. dem Weg dahin will die Linkspartei Auch ihre Chancen auf Regierungsbe- „strukturbestimmende Großbetriebe der teiligungen im Bund und den Ländern Wirtschaft […] in demokratische gesell- würden auf den Nullpunkt sinken. Heute schaftliche Eigentumsformen überführen möglich erscheinende Koalitionen mit und kapitalistisches Eigentum überwin- der SPD und den Grünen wären aus- den“. Vor allem private Banken sollen geschlossen, der Rückfall ins politische „verstaatlicht, demokratischer Kontrolle Sektierertum vorprogrammiert. unterworfen und auf das Gemeinwohl Für eine Partei, die – im Gegensatz zu verpflichtet werden“. Ferner bleibt ihr den Grünen in ihren Gründungsjahren – Verhältnis zum Parlamentarismus wei- von ihrem Selbstverständnis her, ihrer terhin zwiespältig. So tritt sie für die Geschichte als Staatspartei der DDR und „Ergänzung der Parlamente durch Runde ihrem Anspruch, die gesellschaftliche Tische oder Wirtschafts- und Sozialräte Avantgarde darzustellen, immer macht- auf allen Ebenen ein. […] Diese Runden orientiert war, ist und bleiben wird, kann Tische oder Räte sollen die Möglichkeit es allein aus taktischen Gründen kein Zu- haben, sozial und ökologisch schädliche rück zu einem „harten“ Extremismus ge- Vorhaben zu stoppen und gesetzgebe- ben, nicht einmal zu einem „weichen“. rische Initiativen einzuleiten.“ Solche Soll aus der rechnerischen Mehrheit für außerparlamentarischen Einrichtungen eine Politik links von der Mitte, die bereits sollen das Recht bekommen, parlamenta- nach der Bundestagswahl 2005 bestand, rische Beschlüsse zu überstimmen, und künftig auch eine politische werden, so kämen somit einer Entwertung des Par- führt kein Weg an einer pluralistischen lamentarismus gleich. Ausrichtung der Partei vorbei. Um den Auch wenn der Entwurf deutlich die Weg dafür zu bereiten, plädierte der ehe- Handschrift der extremistischen Kreise malige Parteivorsitzende Lothar Bisky in innerhalb der Partei um Sahra Wagen- einem Artikel im Neuen Deutschland vom knecht mit ihrer Forderung nach einem Januar 2009 für ein Ende der Verdächti- radikalen „Systemwechsel“ trägt, wer- gungskultur innerhalb der Linken und den in einem künftigen Parteiprogramm gegenüber den Sozialdemokraten. Beide dennoch höchstwahrscheinlich diese Parteien, die sowohl Konkurrenten als kommunistischen Bezüge weitgehend auch mögliche Koalitionäre sind, sollten wegfallen, allein schon um einer weite- sich „gegenseitig Lernfähigkeit“ zugeste- ren Beobachtung durch die Verfassungs- hen und auf „Exklusion unter- oder ge- schutzämter von Bund und Ländern zu geneinander“ verzichten. Sollte dieser entgehen. Bereits vor den Wahlen im Rat von Bisky von seiner Partei befolgt Jahre 2009 hat Bartsch die Order ausgege- werden, wäre das die Aufgabe eines ex- ben, sich aller Äußerungen zu enthalten, klusiven Avantgardismus der Partei DIE die Anlass zu Zweifeln an einer Ver- LINKE. fassungstreue der Linkspartei bieten Am 20. März 2010 präsentierten die könnten. Dennoch zwingt die höchst beiden bisherigen Parteivorsitzenden unterschiedliche Herkunft ihrer Mitglie- Oskar Lafontaine und Lothar Bisky einen der – von ehemaligen SED-Mitgliedern „1. Entwurf für ein Programm der Partei aus den ostdeutschen Landesverbänden

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über trotzkistische und marxistisch-leni- tens aber mit dem Rückzug Lafontaines nistische Gruppierungen vorwiegend aus lassen sich die innerparteilichen Wider- der alten Bundesrepublik bis hin zu frü- sprüche dieser Partei nicht mehr un- heren Sozialdemokraten, Grünen und terdrücken oder aussitzen. Es wird deut- Gewerkschaftern – die Partei, sich über lich, dass es mit der einsetzenden Per- ihre verschiedenen Traditionslinien und sonal- und Programmdebatte um die somit über ihr historisches Selbstver- Zukunft der Partei und ihres Standorts in ständnis zu verständigen, um einen der bundesrepublikanischen Gesellschaft „identitätsstiftenden Kern“ der Partei zu geht. Nicht nur um weiter ernst genom- finden, wie es Bisky formulierte. Geflis- men zu werden, auch um des innerpar- sentlich hatte es seine Partei bislang teilichen Klärungsprozesses willen wird unterlassen, ein linkes Menschen- und DIE LINKE. nicht umhinkommen, ihren Gesellschaftsbild zu formulieren, in dem Ankündigungen Taten folgen zu lassen sich alle Strömungen wiederfinden könn- und bis Ende 2011 – und somit rechtzeitig ten. vor den kommenden Wahlen im Bund in Vor diesem Hintergrund erscheint es den Ländern – ein neues Parteiprogramm nicht mehr verwunderlich, dass die Partei vorzulegen. schon seit Jahren die Programmdebatte Will die Linkspartei weiterhin eine vor sich herschiebt, wird sie doch un- sozialistische Strömungspartei sein, so weigerlich die Widersprüche innerhalb muss sie den programmatischen Spagat der Partei zwischen marxistischer Ideo- zwischen den verschiedenen Flügeln wei- logie und pluralistischem Anspruch, zwi- terhin integrativ lösen. Will die Partei schen innerer Überzeugung und Taktik aber ihrem Anspruch, eine demokra- ans Licht bringen. Bis zuletzt hat deshalb tische und somit auch koalitionsfähige Lafontaine immer wieder hervorgeho- Partei zu sein, gerecht werden, so muss ben, eigentlich bräuchte DIE LINKE. kein sie auch programmatisch in der Bundes- neues Programm, da alles Wichtige be- republik ankommen. Die Urwahl der reits in den „Programmatischen Eck- neuen Parteispitze durch die Parteimit- punkten“ und den Programmen seiner glieder als integrative Methode ist gewiss Partei zur Europa- und zur Bundestags- kein Instrument innerparteilicher Wil- wahl formuliert sei. lensbildung aus dem Arsenal der SED. Sie zeigt aber den Willen vieler Funktionäre Ausblick: Rot-Rot-Grün zur Selbstbehauptung ihrer Partei nach Ende 2009 sah es so aus, als könnte die der Ära Lafontaine. Von ihrem avantgar- Partei DIE LINKE. auf ihrem Weg in die distischen Selbstverständnis her und ih- Parlamente und in rot-rote beziehungs- rem Gespür für Macht wird sie deshalb weise rot-rot-grüne Koalitionen nichts auch ein „demokratisches“ Parteipro- mehr aufhalten. Ohne klar definierte Pro- gramm vorlegen. Die Frage „Regierungs- grammatik, aber mit eingespielten und partei oder Milieupartei?“ scheint zu- charismatischen Führungskräften schien gunsten der Macht und zulasten der ehe- es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis maligen DDR-Nostalgiker und der ver- die Linkspartei die ersten Ministerpräsi- sprengten Reste der sektierischen west- denten in den Ländern stellen und auch deutschen Sozialisten und Kommunisten auf Bundesebene mitregieren würde. entschieden. Dafür sprechen verschie- Doch mit dem Scheitern von Bodo Rame- dene Gründe. So haben nach der Neu- low in Thüringen und Oskar Lafontaine wahl der Parteispitze auf dem Rostocker im Saarland bei ihren Anläufen auf die Parteitag fünf von zehn Spitzengenossen jeweiligen Staatskanzleien 2009, spätes- einen Vorlauf in der SPD, nur noch zwei

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waren bereits in der SED aktiv. Zudem native Regierung und Politik. Wir waren greifen die fünf ostdeutschen Fraktions- sogar zurückhaltend. Es ist dasselbe vorsitzenden der Linkspartei in ihrer Bad Problem wie in Thüringen und in Hessen Saarower Erklärung vom 20. April 2010 – der SPD fehlt der Mut, ihr steht, zumin- nicht nur die zentralen Forderungen ihrer dest noch, die CDU näher als die Linke.“ Partei auf, sondern sie sprechen sich im Bereits vor den Sondierungsgesprä- gleichen Atemzug für weitere Regie- chen standen aber die Machtpragmati- rungsbeteiligungen ihrer Partei in den ker innerhalb der Partei als Sieger fest. Ländern und auf Bundesebene ab dem Wäre es zu einer Regierungsbeteiligung Jahr 2013 aus. Zugleich soll ihre Partei in NRW gekommen, hätten die extremis- „divergierende Positionen“ nicht mehr tischen Vorstellungen einzelner Abge- bloß ertragen, sondern künftig den Weg ordneter realpolitisch keine Rolle mehr zu einem „produktiven Pluralismus“ be- gespielt, es hätte dann der Koalitions- schreiten, um endlich eine „Mitglieder- vertrag gegolten. Hätten sie in Funda- und Programmpartei“ zu werden. mentalopposition verharrt oder wäre Auch die Ergebnisse der Landtags- eine Koalition aufgrund linker Opposi- wahlen in Nordrhein-Westfalen vom 9. tion in der Regierung gescheitert, hätte Mai 2010 laufen diesem Trend nicht die Bundespartei die NRW-Linken leicht zuwider. Dort errang zwar ein am äu- als Sektierer stigmatisieren und letztlich ßersten linken Rand angesiedelter Lan- als die „zehn Prozent Irren“ innerhalb der desverband der Partei DIE LINKE. 5,6 Partei, wie es Gysi einmal formulierte, Prozent der Stimmen und konnte mit elf marginalisieren können. Der Sieger wäre Abgeordneten in den Düsseldorfer Land- in jedem Fall der machtorientierte Teil tag einziehen. Dennoch zwangen dieses der Partei gewesen. Ergebnis und die machtpolitische Kon- Die Funktionsträger der Partei, ins- stellation nach der Wahl in NRW die besondere aber das neue Führungsper- Linkspartei, Farbe zu bekennen. Die sonal, müssen diesen Schritt hin zum NRW-Linken kamen nicht umhin, sich Pragmatismus der eigenen Klientel pro- zwischen der möglichen Übernahme von grammatisch vermitteln und sich mit die- Regierungsverantwortung in einer rot- ser Position innerparteilich auch durch- rot-grünen Koalition und einer Funda- setzen. Für einen solchen Kraftakt sind mentalopposition zu entscheiden. Um zu Führungskompetenz und innerparteili- vermeiden, dass sie es sind, an denen eine che Akzeptanz erforderlich. In der Pro- Koalition scheitern könnte, sprachen sie grammdebatte nach innen und nach sich für die Aufnahme von Sondierungs- außen wird sich die neue Führungs- gesprächen mit der SPD und den Grünen spitze behaupten müssen. So könnte eine aus. Zwar scheiterten diese Gespräche, nicht auszuschließende mangelnde Ak- schon bevor es überhaupt zu Koalitions- zeptanz der neuen Führungsriege die verhandlungen kam. Dadurch aber, dass Programmdebatte ausufern und in die DIE LINKE. formell zu Gesprächen bereit unterschiedlichsten Richtungen laufen war, konnte sie die Schuld für das Schei- lassen. Aus diesem Grunde hat die Par- tern der Gespräche öffentlich dem politi- tei auf ihrem Rostocker Parteitag die schen Gegner zuweisen. In Das Parlament Programmdebatte zunächst erneut ver- (Nr. 21/22 vom 25. Mai 2010) hat Gysi das schoben. Schließlich erklären ihre führen- Scheitern erklärt: „Frau Kraft wusste, den Funktionäre im Bund und in den dass sie in ihrer Fraktion keine ausrei- Ländern schon seit Längerem, dass an chende Mehrheit [für Rot-Rot-Grün] ge- ihnen keine Regierungsbeteiligung schei- winnt. Ihr fehlt die Kraft für eine alter- tern wird.

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