Nur für Weiße

Apartheid war gestern? Im Prinzip richtig. Im Prinzip ist

die institutionalisierte Rassentrennung in Südafrika Vergangenheit, Traditionspflege: Die Büsten der Ahnen auf seit 1994. Doch in dem kleinen Ort Orania hat sie überlebt. einem Hügel nahe der Siedlung werden Mitten in der Wüste leben 800 Weiße wie in einer Wagenburg regelmäßig geputzt

c Text: Agnes Fazekas Fotos: Hanna Lenz

Ein Mädchen in Surfshorts geht vor einem vierzig Burenfamilien nach einem Ort, den Sandhügel in die Knie. Die Steppe badet ihnen keiner streitig macht. Sie fanden ihn im Abendlicht, verwandelt sich in eine zart­ in der Einöde. Die N1 klebt auf dem fla­ rosa Zauberlandschaft. Fünfzig Kilometer chen Land, als ob eine Flugzeugpiste aus weit sieht man über die Karoo, so flach ist dem wolkenlosen Himmel gefallen und im die Halbwüste. Ein bisschen Gestrüpp, ein Nirgendwo aufgeschlagen wäre. Der As­ Dutzend Springböcke, viel mehr Halt fin­ phalt flimmert. Die Mandelbäumchen, det das Auge nicht. Das Mädchen ist gera­ ­Feigen und Pfirsiche scheinen nur eine de elf geworden. Ihr Poloshirt ist pinkfar­ weitere Luftspiegelung der Karoo-Wüste ben, auf der rosa Bermuda steht: Beach zu sein. Aber Orania ist eine Oase. Für Babe. Sie trägt einen Ohrenschutz, ein Menschen, die sich mit dem neuen Süd­ schwarzes Halfter mit Revolver und einem afrika nicht abfinden können. Für Weiße, Nahkampfmesser, so lang wie ihr Unter­ die ihre Vorfahren verehren: die nieder­ schenkel. Mit beiden Händen hält sie eine ländischen Einwanderer auf dem großen 9-mm-Halbautomatik. Rechte Hand Feuer­ Treck. hand, die linke Hand unterstützt. Das Mädchen in den Surfshorts beugt Kapstadt ist weit weg. 900 Kilometer sich nach vorne. Die Arme gestreckt, zielt sind es auf der Schnellstraße N1 nach Nor­ sie einige lange Sekunden, dann drückt sie den, ins Landesinnere – mit dem Auto ab. Zehn Schüsse. Zehnmal reißt der Rück­ Sauber und mit zehn Stunden, mit dem Kopf eine Zeitreise stoß an dem schmalen Körper. Zweimal Häkeldeckchen: eine von mindestens zwei Jahrzehnten. 1990, verfehlt sie den inneren Ring auf der Ziel­ öffentliche Toilette als die Freilassung Nelson Mandelas das scheibe. Ihr Blick geht zum Vater. Er ist in Orania Ende der einleitete, suchten trotzdem zufrieden.

Orania ist eine Oase. Für Menschen, die sich mit dem neuen Südafrika nicht abfinden können

52 chrismon 12 . 2010 12 . 2010 chrismon 53 Orania ist ein Dorf von achthundert Süd­ gemachte Vollwertpasta über die Wäsche­ Kindheit in Weiß – afrikanern, aber für seine Bewohner ist es leine vor der Bücherwand. Sein vierjäh­ oder in Rosarot. Die viel mehr. Seit neunzehn Jahren versuchen riger Sohn dreht Gewürze durch eine elfjährige Tochter sie hier die Keimzelle für einen „Volks­ Kaffeemühle, Mutter Anje zeigt dem be­ von Nicolaas Kirsten staat“ zu kultivieren. Den Reisepass für ihr hinderten Hendrik, wie er das Basilikum kann auch mit Waffen Traumgebilde tragen sie von Geburt an hacken soll. Seine Schwester, ebenfalls von umgehen eng am Körper, die weiße Haut. „Was ist Geburt an behindert, brabbelt vor sich hin. der Zweck einer Waffe?“, schreit der Vater Hendrik spricht nicht, dafür tanzt er jetzt, jetzt im Feldwebelton. Das Mädchen und weil er sich so auf sein Lieblingsessen sein Bruder sagen nichts. Sie verzagt, er freut. Der Älteste deckt den Tisch. Boshoff ganz still, zwei Jahre jünger. „Töten“, kläfft trägt rotblonde Lockenmähne und Nickel­ der Farmer Nicolaas Kirsten und gibt sei­ brille. Nichts an ihm erinnert an das Bild nem Sohn einen Klaps auf den Hinter­ vom militanten Buren in kurzen Pfadfinder­ kopf. Die Welt des Nicolaas Kirsten ist hosen. nicht kompliziert, sie lässt sich einfach in Carel der Vierte ist der Präsident der Schwarz und Weiß teilen. Er war im An- Orania-Bewegung: Der Ort hat einen Bür­ gola-Krieg – und er mochte es: „Dit was germeister und ein Komitee, das prüft, wer lekker!“, sagt er. Auf Menschen schießen? Grund kaufen darf. Polizei gibt es nicht, Ach, geschossen habe er viel, aber Men­ denn Verbrechen haben keinen Platz zwi­ schen seien das nicht gewesen. Jetzt ist schen den Blumenbeeten und den Kirchen. der Kleine dran. Seine Schwester füllt Die Wappenfigur ist ein Bauernjunge, der das Magazin. Das Halfter rutscht über die sich die Hemdsärmel hochkrempelt. Aber Bubenhüften, Vater und Tochter sehen eigentlich ist es immer noch Carels Vater, sich an. Sie lacht verkrampft. Der Bruder der alte Professor Boshoff, der hier die atmet schwer. ­Fäden zieht. Er ist 83 Jahre alt und der Nicolaas Kirsten steht im Internet auf Schwiegersohn von : einer Liste der Spezialeinheiten des süd­ Der Chefideologe der Apartheid wurde afrikanischen Militärs. Unter der Rubrik: 1958 zum Regierungsoberhaupt gewählt. „Wannabes“, die Möchtegerns. Das ist eine Die Idee eines isolierten „Volksstaats“ ist

Wenn ein schwarzer Lieferant zum Dorf kommt, werden ihm die Waren am Schlagbaum abgenommen

Reihe von Afrikaanern, die sich rühmen, in Verwoerds geistiges Erbe. Mit seiner Poli­ der Elite-Einheit gekämpft zu haben. Ob­ tik trieb er die Trennung zwischen Schwarz wohl sie nie dabei waren. Ob Kirsten wirk­ und Weiß voran. Als er 1966 schließlich lich dabei war? „Spezialeinheit im Angola- erstochen wurde, hinterließ er das Bild Krieg“, das ist für radikale Buren ein dicker eines Märtyrers in den Köpfen der weißen Orden auf der Brust. Denn in Angola wurde Elite. In Orania klagen sie manchmal: „Er geschlachtet. Wahrscheinlich war Kirsten war seiner Zeit einfach voraus.“ Die Bos­ als einfacher Soldat im Krieg – wie die hoff-Männer sind Denker. Pfarrer wie der meisten Buren. Mit Sicherheit saß er vor Alte, Lehrer und Philosophen wie seine neun Jahren im Gefängnis, weil er in ein Söhne. , der Philosoph, wohnt Komplott verwickelt war: Eine Gruppe von mit Frau Anje und den vier Kindern im Hardlinern wollte Anschläge auf schwarze Dorfkern. Er liebt selbst gemachte Pasta. Siedlungen und auf Nelson Mandela ver­ Carel kennt Anje, seit sie Kinder sind. Sie üben. Kirsten half, Waffen aus einem Mi­ ist seine Kusine. litärdepot zu stehlen. Orania ist ein Schrebergarten, die Stra­ Im Garten der Boshoffs duftet es nach ßen so sauber gefegt und oft menschen­ Rosmarin und Hühnermist. Hinterm Haus leer. Schilder mahnen: „Ich spreche und haben die Kinder angefangen, einen Teich denke Afrikaans“ oder: „Ich kaufe in Ora­ zu buddeln. Im Wohnzimmer hängt Carel nia.“ Die Häuser aus Pappe. Die Nachbarn Boshoff der Vierte gerade seine selbst­ hinter den Gardinen wachsam. Einer rollt

54 chrismon 12 . 2010 12 . 2010 chrismon 55 in einem Kleinlaster vorbei und zückt has­ dungsjahr von Orania hat er sich um eine Auch Bruce genießt die Abendsonne. Der Aber nicht alle Bürger teilen ihr Paradies tig die Hand zum Gruß. Auch Boshoff hebt Volksschule gekümmert, eine Muster­ Tag war heiß, fast 42 Grad. Die Arbeiter der offenen Türen gerne mit ihnen. Vor den Arm. schule für den Musterstaat. Trotzdem gibt streiten oft, wenn die Hitze unerträglich kurzem wurde einer der Arbeiter vertrie­ Bei ihm sieht es lässiger aus. Höflichkeit es noch eine zweite Schule in Orania. Für wird. Er klopft sachte mit seinem Stock ben. Es hieß, er habe wegen Mordes ge­ ist erste Bürgerpflicht. Wenn ein schwar­ die Eltern, denen sein Bildungssystem zu gegen die Zweige des Mandelbaums. Wenn sessen. Auf die sicheren Straßen sind sie zer Lieferant zum Dorf kommt, werden modern ist. Denn Wynand setzt auf Com­ die Früchte auf die Plane prasseln, klingt nämlich stolz, und es ist in der Tat etwas ihm die Waren am Schlagbaum abgenom­ puter statt auf Uniformen. Er hat einen es in der Stille der Wüste erfrischend wie Besonderes für südafrikanische Verhält­ men. Nur an der Tankstelle und im „OK“- Lehrplan entwickelt, der Teamwork mei­ ein Platzregen. Er schiebt sich seinen Hut nisse, dass es weder Schlösser gibt noch Supermarkt auf der anderen Straßenseite det, die starken Schüler in Ruhe arbeiten in den Nacken. Bald wird er 50, seine Haut Polizei oder Sicherheitspersonal. Im Land der N1 sind Menschen zugelassen, die lässt, die Schwachen schwach hält. Ein knautscht sich zusammen wie altes Leder. werden jeden Tag etwa 50 Menschen er­ schwarz, farbig oder sonstwie anders sind Fach nennt sich Lebensorientierung. Auch Er liebt die Details, glaubt an die Unter­ mordet und 150 vergewaltigt. Wer in Orania in den Augen der Oranier. Hier weichen zeigen will, dass er fremd ist, muss nur die sich die Blicke aus. Weiße Gesichter er­ Autotür abschließen. starren, farbige Gesichter senken sich gen Eigentlich mögen die Buren die Engländer „Elim“, so haben die Dorfoberen das Boden. Wie früher. In den nächsten zwei Wohnprojekt für die weißen Wanderar­ Jahrzehnten, glauben optimistische Be­ nicht. Aber das gehört zu dem, was Carel Boshoff beiter in Kleingeluk getauft. Nach der Oase wohner, wird die Siedlung zur Stadt an­ aus dem Alten Testament. Die Baracken schwellen. Nach einer Umfrage der Zei­ „praktischen Idealismus“ nennt sehen aus wie langgezogene Toiletten­ tung „Beeld“ können sich schon heute 60 container. Prozent der weißen Südafrikaner vorstel­ Religion spielt eine große Rolle in Ora­ len, in einem unabhängigen „Afrikaaner nia, deswegen gibt es sieben Kirchen für “ zu leben. Die Zeitung ist eine aus dem Umland nehmen Schüler am schiede zwischen großen Pfirsichen und die achthundert Einwohner. Ganz einig der einflussreichsten im Land. ­Unterricht teil, manche virtuell. Boshoffs kleinen, zwischen Mandel und Pekannuss. sind sie sich hier nämlich nie. Nur eins Bevor die Gründer um den alten Profes­ Lehren sollen nicht in Orania veröden. Zwischen afrikanischen Kulturen und den steht außer Frage: der Calvinismus. Nach sor Boshoff das Land für 200 000 US-Dollar In seinem Klassenzimmer springt kein europäischen. ihrem Verständnis dieser Lehre hat Gott gekauft haben, lag es brach. Eine Geister­ Schüler auf, wenn sich die Tür öffnet. „Das Wie alle Bewohner Oranias kennt er sei­ die Menschen in eine Gruppe der Aus­ stadt. In den Baracken lebten einmal Ar­ habe ich ihnen verboten“, sagt Wynand nen Stammbaum genau, er gehört zu den erwählten geteilt und eine der Nichtaus­ beiter, um den Damm am Oranje-Fluss zu stolz. Sie sollen sich nicht stören lassen bei südafrikanischen „Engländern“ und hat erwählten. Die Leute in Orania verstehen bauen. Schon damals sollten die einfachen der Arbeit – von nichts und niemandem. jugoslawische Wurzeln. Eigentlich mögen sich natürlich als Auserwählte. Leute ihr kleines Glück im ausgelagerten Etwa 40 Schüler sammeln sich in den drei die Buren die „Engländer“ nicht. Aber die­ In die Zellentüren der Wohnbaracken Dorfteil „Kleingeluk“ finden, während die Klassengruppen. Der Lehrer zeigt eine ser Kompromiss gehört zu dem, was Carel ist manchmal etwas eingeritzt: „Bitte nicht Ingenieursfamilien in „Grootdorp“ lebten. Spanne von einem Zentimeter, gemessen Boshoff „praktischen Idealismus“ nennt. stehlen!“ Oder ein Hakenkreuz. Der 28- Auch das haben sie beibehalten. Nur sind zwischen Daumen und Zeigefinger: „Ich Bruce hebt einen angebissenen Pfirsich ­jährige Ryan bezeichnet sich als Christ. Er es heute Rechtsextreme, Ideologen und Ge­ bin so viel Rassist, der Rest ist Idealismus.“ vom Boden: „Der spinnt, isst sie immer nur glaubt nicht an die Zukunft von Orania. Er scheiterte, die sich in Orania zusammen­ Die Abendsonne wärmt die bunten halb.“ Er deutet auf einen seiner Arbeiter, ist der schmale Gärtner von Kleingeluk. An scharen. Die einen wollen einen „reinrassi­ ­Kissen auf Boshoffs Veranda, es gibt Es­ einen langen Kerl mit bunt gestreiftem die Geschichte von Babel glaubt er, an die gen“ „Volksstaat“ in einem föderalistischen presso in bemalten Tassen, aus der Küche Sonnenhut. „Ein bisschen langsam im Überheblichkeit der Menschen, sich mit Land, die anderen suchen Arbeit und Zu­ plappert „Radio Orania“. Auf dem Boden Kopf. Aber wir müssen hier zusammen­ Weihnachtsstimmung: Gott messen zu wollen – und damit die ge­ spruch. Und wenn es nur ein „Ja“ für die erzählt Hendrik, der behinderte Sohn, in halten.“ Immerhin stimmt der kleinste einer der Wander­ meinsame Sprache zu verlieren. Als ihm weiße Haut ist. Denn auch in der weißen Zeichensprache von seinem Schultag. Nenner: die Hautfarbe. arbeiter schickt eine ein Ast bei seiner Arbeit das Knie durch­ Minderheit macht sich Arbeitslosigkeit Wenn er etwas mag, zeigt er seinen Dau­ Es gibt viel Arbeit auf den Obst- und SMS nach Hause – bohrte und er mit einem Bein wie einem breit. Immer öfter fällt in dem Land, in men: In der Pause haben ihn zwei Mäd­ ­Pekannussplantagen, die über eine mo­ in die echte Welt. Rugbyball im Krankenhaus von Hopetown dem einmal die Weißen herrschten, der chen auf dem Skateboard über den Hof derne Anlage bewässert werden. Das ge­ lag, 40 Kilometer entfernt, besuchten ihn Begriff „White Trash“: weißer Abschaum. gerollt. Im Radio liest eine Frau jetzt Kin­ hört zum Konzept. „Selfwerksaamheid“ Die Familie Boshoff. nur seine schwarzen Freunde, sagt er. Sie Im Vorbeigehen nimmt Anje Boshoff dermärchen vor, auf Afrikaans. Der Radio­ ist das Stichwort, Eigenständigkeit. Aber Sie gibt in Orania den mögen ihn in Elim, deswegen lassen sie ihrem Sohn das Lateinheft aus der Hand. sender wurde 2005 verboten, wegen rassis­ alles, was früher schwarze Hilfsarbeiter Ton an ihn reden. Trotzdem bleibt auch Ryan hier: Der Vater gibt ihm Privatstunden. Die tischer Äußerungen. Aber seit drei Jahren taten, wollen sie dann doch nicht selber Es ist die Arbeit. Und aus Frauen mache er ­Buren setzen auf das Althergebrachte, ist „Radio Orania“ wieder on air. machen. Für die Arbeit auf dem Feld und sich auch nicht viel und genauso wenig aus auch wenn ihre Kultur gerade einmal 350 Mutter Anje ist entsetzt: In Deutschland auf dem Bau haben sie Annoncen in Zei­ Alkohol. Das ist gut, denn beides ist ver­ Jahre alt ist. „Ach“, sagt Boshoff, „die Elite soll es Behindertendörfer geben! „Die Leu­ tungen geschaltet. „Viele, die kommen, boten in Elim. wird sich immer selbst bewahren. Ist es te lernen doch nichts dazu, wenn sie be­ sind drogenabhängig oder Alkoholiker“, „Diese Männer sind geistig zurück­ nicht so?“ Er lacht. Aber eigentlich vertraut hinderte Menschen isolieren!“ Aber es erklärt Bruce, „wir bringen sie auf den geblieben“, sagt die Frau des Verwalters, er in Bildungsfragen am liebsten dem scheint Anje Boshoff nicht zu stören, dass rechten Weg.“ Drei Monate Probezeit für als ob sie taub wären. Für sie sind die ­eigenen Bruder. ihre Nachbarn Rassisten sind. „Die wollen alle, auch für Weiße mit krimineller Ver­ ­Arbeiter wilde Tiere. Ryan sagt: „Hier gibt Wynand Boshoff hat noch mehr Locken das Gleiche wie wir.“ Sie überlegt. „Viel­ gangenheit. Solange sie ehrlich wirken. es keine Schwarzen. Jetzt sind wir die auf dem Kopf als Carel und trägt ein aus­ leicht können sie es nicht so gut ausdrü­ Gerade die Gestrandeten zieht es nach Menschen zweiter Klasse.“ In seiner Hand gewaschenes Batikhemd. Gleich im Grün­ cken.“ Boshoffs wollen die Apartheid zurück. Orania. hält er einen Palmsetzling. Vielleicht der

56 chrismon 12 . 2010 12 . 2010 chrismon 57 Guck mal, da drüben: Schwarz und Weiß trennt hier mehr als ein Flusslauf

Anfang, die Tristesse wenigstens ober­ Stand bauen die Boshoffs vor der Laden­ hen durchs Wasser. Der Bürgermeister flächlich in eine Oase zu verwandeln. zeile mit den genormten Schildern auf: mag Geschichte, er weint fast, wenn er an Bei Stokkies, in der winzigen Bar, treffen Wäscherei, Frisör, Bücherei. Boshoffs den Krieg gegen die Engländer denkt, vor sich regelmäßig zwei junge Frauen, um mit Nachbarn haben frittierten Kürbis und mehr als hundert Jahren war das, als 25 000 zehn Jungs Billard zu spielen und zu trin­ Koeksisters im Angebot, geflochtene Zöpfe burische Frauen und Kinder in Konzen­ ken. Es herrscht Frauenknappheit in Ora­ aus fettem Plunderteig. Die meisten Fami­ trationslagern starben. Das sei fast so ge­ nia und die lässt sich nicht mit Technik lien sitzen in engen Grüppchen beisam­ wesen wie in Deutschland mit den Juden. beheben wie der Wassermangel in der Halb­ men und gucken unglücklich, wenn einer Nur, dass er an den Holocaust eigentlich wüste. Außer Stokkies gibt es die Kirche und das Freibad. Und manchmal ein Auto­ rennen am Wochenende. Auch die Arbeiter Was mag Nelson Mandela gedacht haben, als er sehnen sich schon nach dem nächsten Ren­ nen. Ansonsten freuen sie sich auf den 1995 unter dem Schlagbaum hindurchschritt? Fernsehraum und den Zahltag. 120 Rand verdient ein Arbeiter am Tag, das sind etwa zwölf Euro. Lebensmittel kosten im Supermarkt fast so viel wie in der rauen Burschen aus Elim zu gemäch­ nicht glaube. Orania ist ein Dorf mit 800 Deutschland. Da hilft es auch nicht, dass lich vorbeischlendert. Weit reicht sie nicht, Bewohnern. 50 Millionen Menschen leben im Dorfladen fünf Prozent Rabatt be­ die Solidarität. in Südafrika, etwa 90 Prozent davon haben kommt, wer mit der „Ora“ zahlt, der dorf­ Das Mädchen in den rosa Surfshorts ist keine weiße Haut. Was mag Nelson Man­ eigenen Währung. Im Dorfladen gibt es auch da, mit einer Freundin verkauft sie dela gedacht haben, als er 1995, erster gefälschtes Markenparfüm, Schulhefte rosa Zuckerwerk. Der Bürgermeister steht schwarzer Präsident des Landes, unter und einen Internetanschluss. vor einem der Stände, versonnen betrach­ dem Schlagbaum hindurch in die Privat­ Boshoffs machen sich bereit. Freitag­ tet er ein Acrylgemälde. Es zeigt die siedlung schritt? Er schaute bei der Witwe abend ist Markt in Kleingeluk, eigentlich Schlacht von Blood River, 1838. Auf dem von Hendrik Verwoerd vorbei: Auf eine ein Straßenfest. Zucker fürs Volk. Anje Bild stürzen viele Schwarze, von Pfeilen Tasse Tee bei der Frau des Mannes, der ihn holt den Käsekuchen aus dem Ofen. Ihren durchbohrt, in den Fluss. Blutwolken zie­ vor 30 Jahren ins Gefängnis brachte. e

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