Eileen Rositzka, Hermann Kappelhoff, Christian Pischel, Cilli Pogodda

The Green Berets:

Der Vietnamkrieg als Herausforderung der klassischen Genrepoetik

Einleitung

Bei The Green Berets (, Ray Kellogg, USA 1968) handelt es sich auf den ersten Blick um ein filmhistorisches Kuriosum. Zu einer Zeit, als die Verhee- rungen des Vietnamkriegs für die amerikanische Öffentlichkeit immer deutlicher zu Tage treten, initiiert John Wayne persönlich eine Filmproduktion, deren ideo- logische Orientierung kaum einer Analyse bedarf. Aus dem historischen Abstand zeigt sich seine propagandistische Parteinahme als ein krudes Ensemble aus Gung- Ho-Patriotismus, Westernversatzstücken und paternalistischer Kernigkeit, und das umso deutlicher, als unser Bild von Vietnam eigentlich von Filmen geprägt ist wie Apocalypse Now (Francis Ford Coppola, USA 1979), The Deer Hunter (Mi- chael Cimino, USA 1978), Platoon (Oliver Stone, USA 1986) oder Full Me- tall Jacket (Stanley Kubrick, USA/GB 1987). Einer Reihe von Filmen also, die erst Ende der 1970er ansetzte und sich sehr viel autonomer der Genremuster des Kriegsfilms bediente, um die moralische Selbstpositionierung nach derN iederlage in Vietnam zu befragen. Im Vergleich dazu scheint The Green Berets wie ein Atavismus. Verwunderlich ist auch sein Zustandekommen. 1965 eskalierte der Konflikt in Südostasien zu einem offenen Krieg. Den Umfragen zufolge standen zwar 60% der amerikanischen Bevölkerung hinter der Außenpolitik ihrer Regierung, doch das Branchenmagazin Variety konstatierte schon in der Ausgabe vom 18. September 1965, Vietnam sei „too hot for Hollywood“1. Zwar waren seit den 1940er Jahren mehr als ein Dutzend Filme gedreht worden, welche die Region als vom Kommu- nismus bedroht darstellen, jedoch waren die Studios zu verunsichert, um diesen Krieg frontal zu thematisieren. Denn gerade in einer Zeit, da ein enormer ökono- mischer Druck auf ihnen lastete, weil Mammutproduktionen und technische In- novationen wie CinemaScope kaum vermochten, die Zuschauer vom Fernsehen zurück in die Kinos zu holen, in einer Zeit auch, in der die traditionellen Poetiken und Inhalte im Zuge neuer kinematographischer Wellen in Frage gestellt waren, schien das Risiko zu hoch. Trotzdem unternimmt John Wayne diesen waghalsigen Versuch – und scheint damit zu scheitern. Die zeitgenössischen Kritiken lassen

1 Tony Shaw: Hollywood’s Cold War. Amherst: University of Massachusetts Press 2007, S. 208.

F5361_Morsch.indd 75 03.11.15 15:43 76 E. Rositzka, H. Kappelhoff, C. Pischel, C. Pogodda

kein gutes Haar an dem Film, und die filmwissenschaftliche Forschung straft ihn bis heute mit Missachtung. Als antiquiert wirkender Nachzügler einer vergangenen Genreepoche wird er aus jeder Untersuchung aussortiert, als „comic book-like and […] laughable propaganda piece for the war in the mode of World War II combat films“2 abgetan. Doch was heißt das genau für einen Vietnamkriegsfilm, wenn er im Modus klassischer Kriegsfilme operiert?U nd wie kommt man zu dem Befund, dass dieser Modus in diesem Fall nicht mehr ‚passt‘? Sollten in einer Phase grund- legender Umformungen nicht gerade die konstitutiven Elemente eines Genres res- pektive eines Genresystems besonders deutlich hervortreten? Dies jedenfalls ist die grundlegende Ausgangshypothese der folgenden Überlegungen. Ein Blick auf die Filmproduktionen der späten 1960er Jahre bestätigt den Ein- druck, dass sich The Green Berets mit dem Thema Vietnamkrieg auf schwieri- gem Terrain bewegt; auf der einen Seite kommt eine Welle hochbudgetierter Kriegsepen in die Kinos, die sich rückwirkend mit dem Zweiten Weltkrieg befas- sen; Filme wie The Longest Day (, USA 1962), The Battle of the Bulge (Ken Annakin, USA 1965), Patton (Franklin J. Schaffner, USA 1970) und Tora! Tora! Tora! (Richard Fleischer, Kinji Fukasaku, USA/Japan 1970), die mit beträchtlichem Materialaufwand und internationalen Stars kriegs- wichtige Großereignisse in Szene setzen. Hier muss der Hinweis genügen, dass es in erster Linie stark historisierende, zuweilen monumentalisierende Poetiken sind, mit denen sich diese Filme auf eine mehr und mehr internationalisierte Erinne- rungspolitik beziehen. Auf der anderen Seite etabliert sich allmählich so etwas wie der ‚kleine, schmutzige Bruder‘ des Kriegsfilms: spätestens seit The Guns of Na- varone (J. Lee Thompson, USA 1961) sind es begrenzte Kommandoaktionen, ausgeführt von kleinen Spezialistenteams, die in den Mittelpunkt rücken. Mit dem Kassenerfolg The Dirty Dozen (, USA 1967) ist dieses Segment vollständig ausformuliert: Statt Zivilisten zu einem durchschlagenden militäri- schen Kollektivkörper zu fügen, wie noch im klassischen Genre, sind es nun die Misfits, die Verbrecher, später die Söldner, die sich gerade über ihre Individualität und Expertise zu einer schlagkräftigen Mannschaft fügen. Dieser eher sportive As- pekt, der meist kombiniert wird mit expliziter Härte und Gewalt, lässt die traditi- onelle „melodramatische Figuration“3 des klassischen Kriegsfilms zurücktreten. Es ist nicht mehr der Parcours des Rekruten, der von der Zurichtung des Drills über das euphorische Aufgehen im corps und der Kampfeslust bis hin zu Heimweh und Trauer reicht und in der indirekten Subjektivierung des Films zur Erfahrung

2 Douglas Kellner: Cinema Wars. Hollywood Film and Politics in the Bush-Cheney Era. Malden: Wiley-Blackwell 2010, S. 219. 3 Hermann Kappelhoff: „Shell shocked face: Einige Überlegungen zur rituellen Funktion des US-amerikanischen Kriegsfilms“, in: Nicola Suthor, Erika Fischer-Lichte (Hg.): Verklärte Körper. Ästhetiken der Transfiguration. München: Fink 2006, S.69-89, hier S. 75f: „Die dra- maturgische Linie führt vom alltäglichen Körper des Jugendlichen über die Höhe eines illusi- onären emphatischen Selbstbilds zum Sturz in die Tiefe von Angst und Verlassenheit. So ge- sehen könnte man von einer melodramatischen Dramaturgie des Kriegsfilms sprechen.“

F5361_Morsch.indd 76 03.11.15 15:43