Wer War Goebbels?
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
WILFRED VON OVEN WER WAR GOEBBELS? WILFRED VON OVEN WER WAR GOEBBELS? BIOGRAPHIE AUS DER NÄHE HERBIG © 1987 by F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung München • Berlin Alle Rechte Vorbehalten Umschlaggestaltung: Christel Aumann, München Satz: Otto Gutfreund, Darmstadt Gesetzt aus 10/12 Times System 202 Druck und Binden: Ebner Ulm ISBN 3-7766-1459-5 INHALT 1. Aufbruch ins Verderben 7 2. Hitlers Diotima 23 3. Zweimal Hochzeit 35 4. Rheydt, Joseph-Goebbels-Straße 156 47 5. Die Kraft, die er in seine Worte legt 61 6. Führer mit und ohne Gänsekiel 74 7. Siebenter Ring und Drittes Reich 85 8. Er war so fein... 93 9. Flammenzeichen 102 10. Als die Synagogen brannten 114 11. »... dachte mir: nimm sie dir...« 127 12. Triumph der Zähigkeit 141 13. Eine Wiese voll Blumen 148 14. Ziel in Sicht 153 15. Aufstieg zum Obersalzberg 159 16. Von der Opiumhöhle zum Kaiserhof 177 17. »Die verfluchten Hakenkreuzler« 190 18. »Bald flattern Hitler-Fahnen über alle Straßen« 206 19. Hier irrte Goebbels 218 20. Endspurt zum Dritten Reich 230 21. »Der Schlimmste von allen« 244 22. Jetzt wird ausgemistet 258 23. »Wenn ich Außenminister wäre« 274 24. Die rechte Hand des Führers 290 25. Finale furioso 310 Literatur 327 Register 329 1. KAPITEL Aufbruch ins Verderben Russische Schlachtflieger kreisten über dem Regierungsviertel von Berlin. Truppen der Roten Armee hatten seit zwei Tagen die Reichshauptstadt praktisch eingeschlossen. Es war Sonntag, der 22. April 1945. Im Haus Hermann-Göring-Straße Nr. 20, der Dienstwohnung des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, war bis zum Mittag dieses Tages alles unter den immer schwieriger werdenden Verhältnissen des Kriegsalltages mehr oder weniger im gewohnten Rhythmus verlaufen. Morgens in aller Herrgottsfrühe hatte mich der wachhabende SS-Posten mit den Presse- Telegrammen und Morgenzeitungen geweckt, die für den Minister zu lesen, auszuwählen und zu bearbeiten meine erste Pflicht als sein persönlicher Pressereferent war. Das Frühstück - bestehend aus zwei Scheiben trockenen Graubrotes und einer Kanne Malzkaffee ohne Zucker und Milch - war spartanisch und wenig zeitraubend wie stets. Die sonst übliche anschließende kurze Fahrt mit dem gepanzerten Mercedes ins nahe Ministerium fiel schon aus, seit der alte Schinkelbau (Prinz Leopold- Palais) am Wilhelmplatz, den Goebbels sich bei seiner Berufung ins Kabinett als Amtssitz eingerichtet hatte, am 13. März 1945 von einer britischen Luftmine in einen Trümmerhaufen verwandelt worden war. Günther Schwägermann, SS-Hauptsturmführer und Adjutant des Ministers, und ich, die wir ihn auf Schritt und Tritt tagaus, tagein begleiteten, hatten eigentlich erstmalig an diesem Tag nichts zu tun. Goebbels brauchte uns nicht. Das Getriebe seines Ministeriums war auf Leerlauf geschaltet. Schwägermann und ich baten an diesem Tag, zur Truppe entlassen zu werden. Goebbels lehnte ab. Warum, wurde mir erst später klar. So gingen wir in den Garten, der an diejenigen der anderen Ministerien in der Wilhelmstraße grenzte, und begannen mit unseren Maschinenpistolen auf die relativ niedrig fliegenden Sturmoviks zu schießen. Wir wußten aus unserer Fronterfahrung, daß Schlachtfliegern sogar Infanteriefeuer zwar nicht allzu gefährlich, aber doch lästig ist. Und diese Unbequemlichkeit wenigstens wollten wir den Iwans in der Luft nicht ersparen. Vielleicht haben wir mit diesem Zeitvertreib sogar dazu beigetragen, daß sich die Zahl der 7500 eingesetzten Flugzeuge um das eine oder andere verringerte. Wir trugen beide Uniform, Schwägermann die der Waffen-SS, ich die des Heeres. Ihm hatte der Frontdienst außer anderen Verwundungen den Verlust eines Auges, mir die Kommandierung als Leutnant der Berichterstaffel z. b. V. des Ob. d. H. zur Dienstleistung als persönlicher Pressereferent bei Dr. Goebbels (seit Mai 1943) eingetragen. Wir wurden gute Kameraden. Jetzt waren wir wieder nur das, als was uns unsere Uniform auswies: Soldaten. Schon am Vortag (21.4. 45) hatte uns die Front, von der wir Jahre zuvor abkommandiert worden waren, hier im Herzen der Reichshauptstadt eingeholt. Vormittags waren noch die wichtigsten Männer des Propagandaapparates im Filmsaal unseres Wohnhauses (Schwägermann und ich wohnten in der Hermann-Göring-Straße Nr. 20, um stets verfügbar zu sein) zur üblichen (der letzten) Ministerkonferenz erschienen. Sie verlief - im Gegensatz zu anderen Darstellungen - durchaus nicht dramatisch. Mein Tagebuch verzeichnet die routinemäßige Erörterung politischer Tagesfragen durch den »völlig gleichmütig« erscheinenden Chef des Hauses. Hätte er sich erregt, wie wir das so oft bei ihm erlebten, wäre es (wie Hildegard Springer »Es sprach Hans Fritzsche«, Stuttgart 1949 nach dem Krieg von Hans Fritzsche erfahren haben will) dabei zu einem »Ausbruch« gekommen, noch dazu einem von »elementarer Gewalt«, ich hätte es gewiß verzeichnet. Ganz besonders weil das, was er hier in großer Runde gesagt haben soll, nicht bloß all seinen Propagandareden und -Schriften widersprach, sondern auch dem, was er mir und anderen als sein wirkliches Empfinden anvertraut hatte. Das deutsche Volk habe versagt, soll er - nach Springer-Fritzsche - ausgerufen haben, und also das Schicksal verdient, das es jetzt erwarte. Da will der wackere Fritzsche aufgesprungen sein, um ihm ins Wort zu fallen. Wäre es so gewesen - ich glaube, Goebbels hätte sich selbst gefreut, von den Stützen seines Propagandaapparates endlich einmal etwas anderes als immer nur bedingungslose Zustimmung zu hören. Widerspruch hatte ihn in der Kampfzeit, als der Gegner mindestens so überlegen war wie in unserer jetzt so verzweifelten Situation, stets zu besonderen Leistungen angespornt. Aber ich fürchte, daß dieser dramatische Auftritt, den selbst der offizielle Goebbels-Biograph und -Kommentator Helmut Heiber vom Münchner Institut für Zeitgeschichte für echt nimmt, ein Produkt der Phantasie Hans Fritzsches ist, nicht nur um sich - auf Kosten seines Chefs - zu rechtfertigen, sondern um auch einen gewissen Nachholbedarf an Haltung zu befriedigen, die er gerade an diesem Tag vermissen ließ. Goebbels soll - immer nach Fritzsche - abschließend ein Wort an seine hier versammelten engsten Mitarbeiter gerichtet und sie gefragt haben, warum sie sich ihm denn zur Verfügung gestellt hätten. Er habe doch niemand dazu gezwungen. Niemand dürfe sich beklagen, wenn ihm jetzt dafür »das Hälschen durchgeschnitten« werde. Das war ein Ausdruck aus seinem ureigensten Sprachschatz. Er mag ihn auch an diesem Tag und in diesem Zusammenhang gebraucht haben. Einer Eintragung in mein Tagebuch habe ich ihn nicht für wert befunden. Als es nach der genannten Besprechung um 12.15 Uhr wirklich krachte, bot sich ein bei aller Dramatik des Geschehens beinahe groteskes Bild. »Der lange Fritzsche« heißt es in meiner Original- Tagebuchaufzeichnung wörtlich, »kriecht auf allen Vieren auf dem Teppich herum und sucht schließlich unter einer Bank Deckung.« Was ihn derartig außer Fassung gebracht hatte, war keine Fliegerbombe, wie sie schon längst zum Kriegsalltag der Reichshauptstadt gehörte, sondern ein Artillerieeinschlag, der ohne Vorwarnung oder Alarm erfolgte und zwar in einer Entfernung von nur etwa hundert Metern. Weitere folgten in wechselnder Entfernung und unregelmäßigen Abständen. Die Sowjets hatten begonnen, das Berliner Regierungsviertel unter Feuer zu nehmen. Es war, wie sich später herausstellte, eine Batterie mittleren Kalibers, die bei Marzahn, nur zwölf Kilometer vom Stadtkern Berlins entfernt, in Stellung gegangen war. Der Wehrmachtbericht stellte lediglich fest: »Östlich und nördlich Berlins schob sich der Feind in schweren Kämpfen bis an die äußere Verteidigungszone der Reichshauptstadt heran. In der Linie Lichtenberg - Niederschönhausen - Frohnau wird erbittert gekämpft.« Lichtenberg war der Bezirk, der mir als örtlichem Berichterstatter des »Berliner Lokal-Anzeiger« (Scherl) zugeteilt war. Jetzt hätte ich meine Kriegsberichterstattung dort ausüben können. Sogar die normalen Verkehrsmittel fuhren an diesem Tage noch. Mit der Straßenbahn an die Front. Die Sowjets waren am Ziel. Aber sie erreichten es verspätet. Nach Stalins Befehl sollte die rote Fahne mit Hammer und Sichel spätestens am 20. April, Hitlers 56. Geburtstag, über der Reichskanzlei wehen. Dafür hätten nach den Plänen des sowjetischen Generalstabs fünf Kampftage voll und ganz genügen müssen. Die wenig mehr als fünfzig Kilometer von den Oderbrückenköpfen nördlich Frankfurt bis Berlin hätten für Marschall Schukows voll motorisierte Armeen auch gegenüber stärkeren Kräften leicht zu schaffen sein müssen, als sie die im Berliner Raum stehenden kümmerlichen Reste der Wehrmacht darstellten. Zwischen Stettin und Görlitz waren auf einer Breite von 250 Kilometern Stalins beste Heeresgruppen (Fronten) aufmarschiert: die 1. Weißrussische unter Schukow gegenüber Berlin, die 2. Weißrussische (Rokossowski) nördlich davon und im Süden die 1. Ukrainische (Konjew). Insgesamt waren es 2,5 Millionen Soldaten (fast zwei Drittel davon Kampftruppen), zehn auf jeden Meter Frontlänge, unterstützt von 6250 Panzern, 7500 Flugzeugen und 41600 Geschützen. Die Verteidigung lag bei der Heeresgruppe Weichsel (Generaloberst Heinrici), deren drei Armeen mit 25 Divisionen eine Sollstärke von rund 500000 Mann hätten haben müssen. Tatsächlich waren es höchstens halb soviel. Das Zahlenverhältnis zwischen sowjetischen und deutschen Truppen betrug also 10:1. Im Kriegsmaterial (Panzer, Artillerie, Flugzeuge) waren die Sowjets noch drückender überlegen. Um 3.50 Uhr am 16. April hatte das Trommelfeuer aus 40000 Rohren begonnen, unter dem sich diese gewaltige