Mai 2008 No. 70

moritzdas greifswalder studentenmagazin

Alles nur fürs Geld – Studentenjobs in Greifswald

IMPRESSUM EDITORIAL

Redaktion & Geschäftsführung Wollweberstraße 4, 17489 Greifswald Hei, Telefon: 03834-861759 Telefax: 03834-861756 ein alternatives Internet-Medium wirbelt seit März die Greifswalder Hochschulpolitik E-Mail: [email protected] durcheinander. Auf uni-greifswald-blog.de berichtet Student Sebastian Jabbusch sehr Internet: moritz-magazin.de zum Unfrieden einiger, mitunter betroffener Personen. Verzeihung, es handelt sich na- Postanschrift türlich um ryck-blick.de! Oben genannte URL gehört nach Abmahnung und Unter- moritz – Das Greifswalder Studentenmagazin lassungserklärung dem Rektor. c/o AStA Greifswald Domstraße 12 17487 Greifswald Dieser machte vor kurzem auf den Wettbewerbsnachteil aufmerk- sam, der entstünde, wenn eine Uni keine Studiengebühren Geschäftsführung erhebt. Super! Findet auch das endgültige Satire-Magazin Christin Kieppler, Ca rsten Mielsch „Titanic“ und gestattete moritz freundlicherweise den Anzeigen: Christin Kieppler, Carsten Mielsch Abdruck eines Artikels, der in hervorragender Weise die großartigen Zukunftsaussichten der deutschen Bildung Chefredaktion Björn Buß (V.i.S.d.P), Maria Trixa beleuchtet.

Ho chschulpolitik: Isabel Bock Apropos Studiengebühren: Für eine genaue Analyse Universum: Cornelia Bengsch der Jobsituation durchforstete die Hanse- Feuilleton: Christine Fratzke moritz Kurznachrichten: Maria Trixa stadt und machte so manche Entdeckung.

Redaktion Doch nicht alles ist übel in Greifswald. Vom 13. bis 22. Co rnelia Bengsch (cb), Björn Buß (bb), Sarah Bechimer (bs ), Isabel Bock (ib), Maximilian Fleischmann (mpf), Juni gastieren Menschen unterschiedlichster Nationen hier. Wiebke Formann (wf), Christine Fratzke (cf), Maria GrlStuF feiert seine vierte Festivalwoche und Schirmherr Jakob von Uexküll, Stifter des Friebel (mf), Katja Graf (kg), Arvid Hansmann (aha), Anke Alternativen Nobelpreises kommt auch vorbei. Harnisch (keh), Alina Herbing (lah), Franziska Korn (fk), Stephan Kosa (kos), Uli Kötter (uli), Johannes Kühl (jk), Judith Küther (juk), Arik Platzek (ap), Grit Preibisch (grip), Eine schöne Festivalwoche wünscht Robert Tremmel (bert), Maria Trixa (mt), Sara Vogel (sv), Maria-Silva Villbrandt (msv), Benjamin Vorhölter (bv)

Freie Mitarbeit Esther Müller-Reichenwallner (radio 98eins ), Julia Obst (radio 98eins)

Dank an Styles@Fashion – Tom Tailor Store

Gestaltung Björn Buß, Maria Trixa

Titelbild Arik Platzek Arndt des Monats Tapir Kai-Uwe Makowski Das Stillwirkende, Stillsinnende Herausgeber und Stillbetrachtende, das Innige, St udierendenschaft der Universität Greifswald (vertreten durch das Studierendenparlament (StuPa), Freundliche, Christliche, daß die Domstraße 12, 17487 Greifswald) Lehre des göttlichen Erlösers in sich aufnehmen und zur Gestalt der Druck neuen Welt ausbilden konnte, das Druckkaus Panzig, Greifswald allgemein in dem Charakter und moritz, das Greifswalder Studentenmagazin, erscheint Gemüte der Germanen Liegende, während des Semesters monatlich in einer Auflage von ist oben schon angespielt und an- derzeit 3.000 Exemplaren. gedeutet als der große Urkeim, Die Redaktion trifft sich während des Semesters don- ohne welchen alle die Herrlichkeit nerstags um 18 Uhr in der Wollweberstraße 4. nimmer hätte werden können.

Redaktionsschluß der nächsten Ausgabe ist der 28. Mai 2008. Die nächste Ausgabe erscheint am 18. Juni zitiert nach: E.M. Arndt: „Geist der 2008 Zeit“, 4. Teil, Leipzig o.Jg., 1. Kapitel, Seite 14 Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit ausdrück- licher Genehmigung der Redaktion. Die Redaktion behält sich vor, ein- gereichte Texte und Leserbriefe redaktionell zu bearbeiten. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redak- tion wieder. Die in Artikeln und Werbeanzeigen geäußerten Meinungen stimmen nicht in jedem Fall mit der Meinung des Herausgebers überein. Es gibt in jeder Ausgabe des moritz den „Arndt des Monats“, in dem das jeweils angeführte Zitat Ernst Moritz Alle Angaben sind ohne Gewähr. Arndts einen kurzen, aber erschreckenden Einblick in die Gedankenwelt dieses Mannes geben soll. moritz #70 editorial 3 INHALT

10 the same procedure as every year 19 Zehn Prozent mehr BAföG

24 Gegner des Steinkohlekraftwerkes 28 Billige Studentenjobs

Hochschulpolitik

Quo Vadis, Hochschulpolitik? Eine messerscharfe Abrechnung 8 Die erste StuPa-Sitzung. Reportage aus dem Hexenkessel 10 Zum Abdruck gezwungen: Distanzierung zu einem Tapir-Comic und selbiger nochmal 12 Wie sieht der AStA der Zukunft aus: Die Strukurdebatte. Bericht und Kommentar 14 Wird ein Teil der Uni verscherbelt? Diskussionen um Körperschaftsvermögen 16 Eingeengt: Die schriftlichen Prüfungen in der Kommunikationswissenschaft 18 Juhuu, das BAföG wird erhöht. Was können wir erwarten? 19 Abhilfe gegen schlechtes Betreuungsverhältnis. Der Hochschulpakt 2020 20 Wann soll der Bachelor-Student eigentlich sein Praktikum machen? 22 Universum

Was denken Unimitarbeiter über die Fussball-EM? Eine Umfrage 23 Im Gespräch: Europaparlamentarier Professor Alfred Gomolka 24 Welchen Weg soll man nach dem Studium einschlagen? 26 Arbeit macht Spaß, soll aber auch etwas einbringen. Nebenjobs in Greifswald 28 Die Greifswalder Kneipen scheren sich noch wenig um das Nichtraucherschutzgesetz 34 Schnell mal einen Happen essen. Nahrungsaufnahme unter Studenten 35 Mind a Change: GrIStuF-Schirmherr im Gespräch und der serbische Praktikant 36 Über die Freiheit im Rechtsstaat. Eine Podiumsdiskussion 37 Feuilleton

Die achte INSOMNALE im Max-Planck-Institut: Hinradeln! 39 Caspar David Friedrich ist Greifswalds wunderbarster Sohn 40

4 moritz #70 INHALT

34 Nichtraucherschutz umgesetzt? 40 Friedrichs Geburtshaus

45 Auch für Vegetarier: Strunks Fleisch 54 StuThe biss das Publikum

Feuilleton

CD Children of Bodom, Guillemots, Girls in Hawaii 42 , Orange but Green, The Notwist Kino Street Kings, Der rote Baron 44 Fleisch ist mein Gemüse, Die Drachenjäger DVD Eden, Tuyas Hochzeit 46 Buch David Mamet, Uwe Kamenz und Martin Wehrle 48 Galsan Tschinag, Göran Sahlberg Theater Fidelio 50 Republik Vineta Schluss m. trifft... Ursula Müller 52 Mal wieder etwas zum Nachdenken: Unser Sudoku 53 Kann der Tapir zahm spielen? Freigang 54

Was in keine andere Rubrik passt

Editorial, Arndt des Monats, Impressum 3 Kurznachrichten 6 moritz #70 inhalt 5 KURZNACHRICHTEN

Neue UB-Öffnungszeiten Rückmeldegebühr MVwin

Die Universitätsbibliothek und die Das Urteil zur Rückmeldegebühr ist Noch bis zum 30. Juni können zu- Bereichsbibliothek am Schießwall nun öffentlich. Demnach haben alle künftige Unternehmer ihre Ge- haben ab sofort auch am Sonntag Studenten einen Anspruch auf die schäftsidee im Rahmen des MVwin bis 24 Uhr geöffnet. Damit haben Erstattung der 60 zuviel gezahlten Buisinessplan-Wettbewerbs ein- beide Bibliotheken nun montags bis Euro. Zwar kann die Universität die- reichen. Dieser ist in sechsfacher freitags von 8 bis 24 Uhr und am Wo- ses noch bis zum 9. Mai angreifen, Ausfertigung und je einem Anmel- chenende von 9 bis 24 Uhr geöffnet. doch gab Kanzler Dr. Thomas Beh- deformular pro Gründer im Wett- Die Zeiten für die Ausleihe bleiben rens bereits zu verstehen, dass das bewerbsbüro einzureichen. Zu unverändert. Urteil akzeptiert wird. Dann werden beachten sind dabei die Vorgaben sich voraussichtlich Mitte Mai der des Handbuches. Drei Preisträger Allgemeine Studentenausschuss können sich auf eine Finanzspritze (AStA) und die Universitätsleitung von insgesamt 22.500 Euro freuen. Teddybärkrankenhaus erneut zusammensetzen, um über Weitere Informationen gibt es im die Rückzahlungsmodalitäten zu Internet mvwin.de oder per Telefon Schon zum vierten Mal können Kin- sprechen. Nähere Informationen unter 0395/3694913. der ihre kranken Stofftiere vom 26. gibt es auf der AStA-Homepage bis 30. Mai in das Teddybärkranken- (asta-greifswald.de). haus in das Gebäude der Communi- ty Medicine in der Ellenholzstraße Fachschaftsratswahl Germanistik 1/2 bringen. Dort werden die Tiere von Medizinstudenten untersucht Preiserhöhung Mensa Bis zum 23. Mai können sich noch und behandelt. Den Kindern zwi- Kandidaten für die Wahl des neuen schen drei und sechs Jahren soll so Das Studentenwerk Greifswald hat Fachschaftsrates der Germanistik die Angst vor Krankenhaus und Ärz- im Mai die Preise erhöht. Für alle bewerben. Insgesamt acht neue Mit- ten genommen werden. Am Freitag, Hauptkomponenten müssen nun glieder werden gesucht. Die Wahlen dem 30. Mai, hat das Teddybärkran- 10 Cent mehr bezahlt werden, für finden vom 2. bis 6. Juni statt. kenhaus ab 13 Uhr für Kinder jeden alle Beilagen steigt der Betrag um 5 Alters geöffnet. Es werden etwa Cent. Der Grund für diese Erhöhung 900 Kinder erwartet. Das Vorhaben ist die seit Jahren stagnierende Zu- wird unterstützt von der Kinderkli- wendung des Landes, verbunden Matschke Senatsvorsitzender nik Greifswald und dem Institut für mit den steigenden Preisen für Wa- Community Medicine. Das Studen- ren und Personal. Das erfordert eine Am 16. April wurde Professor Man- tenparlament (StuPa) unterstützt Erhöhung des Verkaufserlöses. fred Jürgen Matschke erneut zum das Projekt mit 433 Euro. Senatsvorsitzenden gewählt. Der Betriebswirtschaftler erhielt 21 Stimmen, sein Gegenkandidat, der Neuauflage Hoffest Zoologe Professor Jan-Peter Hilde- Neue MoritzTV-Sendung brandt dagegen nur 14 Stimmen. Am 7. Juni findet ab 20 Uhr auf dem Matschke gilt als Favorit der Stu- Gelände des Instituts für Deutsche denten, da er sich gegen die Reform „Alles nur Theater?!“ – MoritzTV Philologie in der Rubenowstraße 3 des Landeshochschulgesetzes aus- schnuppert in seiner neuen Sendung das Hoffest der Germanisten und Ju- spricht und Befürworter der Lehr- Theaterluft. Auf den Brettern, die die risten statt. Wie auch in den vergan- amtsausbildung ist. Allerdings wird Welt bedeuten und hinter den Kulis- genen Jahren erwartet die Gäste eine er nur noch eine halbe Amtszeit zur sen geht es um das kulturelle Leben Mischung aus Live-Musik, Party-At- Verfügung stehen. Danach geht der Greifswalds. Mit dabei auch die Re- mosphäre und vielen Überraschun- Senatsvorsitzende in Pension. Ein cord-Release Party von „Krach“. Zu- gen. Für gute Stimmung werden auf Antrag seinerseits auf Weiterfüh- sehen ist die Mai-Sendung unserer einer Außenbühne neben dem Wall rung der Lehre wurde vom Bildungs- Schwesterredaktion ab 16. Mai auf die Greifswalder Beatles-Coverband ministerium abgelehnt. Grund dafür Greifswald TV (GTV). Die Ausstrah- „The Seatbelts“ und „Cooldur“ aus sei die ablehnende Haltung des Rek- lungstermine: Freitag 05:15, Mon- Neustrelitz sorgen. Den Abschluss tors Professor Rainer Westermann tag und Sonnabend 19:15, Dienstag des Konzertprogramms bildet ein gewesen. 11:15 und Mittwoch 21:15 oder 24 Auftritt der siebenköpfigen Skaband Jetzt sammeln Studenten der Be- Stunden Online auf moritztv.de. Dort „Make the day“. Zahlreiche DJs wer- triebswirtschaftslehre Unterschrif- finden sich auch exklusive Beiträge, den darüber hinaus das Uni-Areal in ten gegen Matschkes Pensionie- Kinorenzensionen und vieles mehr. eine große Tanzfläche verwandeln. rung.

6 moritz #70 KURZNACHRICHTEN

Rektor mahnt Blogbetreiber ab Studiendekane gewählt AStA-Referent entlassen

Der Student Sebastian Jabbusch, Die neue Studiendekanin der Philoso- Eric Bernstein, bis vor kurzem Co-Re- Blog-Betreiber, wurde am 30. April phischen Fakultät ist Professor Amei ferent für Internet und Technik, wur- vom Rektor der Universität Greifs- Koll-Stobbe. Die Anglistin wurde auf de vom Studentenparlament (StuPa) wald, Professor Rainer Westermann, der Sitzung des Fakultätsrates am 30. das Misstrauen ausgesprochen so- per Abmahnung aufgefordert, die April gewählt. Der Wunschkandidat wie die Aufwandsentschädigung für URL uni-greifswald-blog.de einzu- der Studenten war der Kommunika- den Monat April einbehalten. Dem stellen, da diese die Namensrechte tionswissenschaftler Professor Stefan Wunsch des AStA zusätzlich die Auf- der Universität verletze. Außerdem Wehmeier. Erstmalig traten mit dem wandsentschädigung für den März stifte sie Verwirrung. Andernfalls Historiker Professor Thomas Stamm- zurückzufordern, kam das StuPa drohte die Universitätsleitung mit ei- Kuhlmann und dem Psychologen nicht nach. Grund für die frühzeitige ner Vertragsstrafe von 1000 Euro. Der Professor Horst Krist zwei Prodekane Entlassung Bernsteins sind Pflicht- Rektor setzte Jabbusch eine Frist bis ihr Amt an. vernachlässigungen während der zum 5. Mai, die dieser auch einhielt. Das Amt des Studiendekans in der Semesterferien. Bis zur Neubeset- Die Website nahm im Januar im Rah- Mathematisch-Naturwissenschaflti- zung verwaltete nun jeder Referent men der Wahlen des Studentenpar- chen Fakultät wurde mit Professor seine Beiträge auf der AStA-Home- laments (StuPa) ihren Betrieb auf, Walter Langel aus dem Institut für page selbst. damals noch als stupa-info-blog. Seit Biochemie besetzt. März benannte Jabbusch diesen um, Die Studiendekane werden nach aufgrund der thematischen Erwei- dem Vorschlag der im Fakultätsrat GrlStuF: Countdown-Partys terung um die Universität, die Stadt vertretenen Studenten für zwei Jah- und die Hochschulpolitik. re gewählt. Inzwischen hat der Blog seinen Be- Am 23. Mai um 17 Uhr läuft der Film trieb unter ryck-blick.de weiterge- Spin the bottle, um 20 Uhr spielen führt. die Naked Neighbours On TV, danach Schulden an die Studenten ist Aftershowparty. Am 31. Mai läuft im IKuWo das Feuerwehrkino mit Binationaler Masterstudiengang Laster der Nacht, ab 22 Uhr ist Party 235 Euro schuldet Sebastian Jab- mit den IKuWo-DJs. Das IKuWo ist busch der Studentenschaft seit Mai auch Schauplatz des Films Munje am Der binationale Masterstudiengang 2007. Er war vom 24. Oktober 2006 6. Juni um19 Uhr. 22 Uhr ist Party mit „Baltistische Regionalstudien“ wurde bis März 2007 Chefredakteur der DJ Hadi Baba und Roc Roach. vom Fakultätsrat der Philosophischen webmoritz-Redaktion. Die letzten Fakultät einstimmig beschlossen beiden Amtsmonate studierte er in und auf den weiteren Gremienweg Australien. Seitdem fordert das Stu- Neue Studentenausweise geschickt. Das Studium soll in zwei dentenparlament (StuPa) einen Teil Studienabschnitten ablaufen. Das seiner erhaltenen Aufwandsentschä- erste Jahr wird an der Greifswalder digungen zurück. Jabbusch, der seit Ab Wintersemester 2008/09 wird es Hochschule absolviert und das zwei- April ebenfalls Mitglied im Parlament eventuell neue Studentenausweie te Jahr sowie die Masterarbeit sollen ist, weigert sich, das Geld zurück- geben. Noch unsicher ist, ob diese an der litauischen Universität Vilnius zuzahlen. Ein Mediationsverfahren zunächst nur an die neuen Studen- studiert werden. Bei einem schnel- scheiterte. Jetzt konsultieren Stu- ten ausgeteilt werden. Die Auswei- len Durchlauf durch die restlichen Pa-Präsident Frederic Beeskow und se werden laminiert und mit einem Gremien könnte der Studiengang AStA-Vorsitzender Thomas Schatt- schwarzweißen Passfoto versehen vielleicht schon im Wintersemester schneider einen Anwalt. Zu den Er- sein. Die genaue Gestaltung wird 2008/09 starten. gebnissen ist noch nichts bekannt. derzeit noch erarbeitet.

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moritz #70 7 BILDUNGSMISERE hochschulpolitik Harvard is in Germany Ein Gastbeitrag aus dem Satire-Magazin „Titanic“ auf Grund- und Mittelschüler hat, hätten sich sogar jene denken können, die noch die Gnade des hessisch-nordrheinwestfä- lisch-bremischen Abiturs genossen haben und heute allesamt bekloppte Sozialfälle sind: „Die Kinder“, nämlich Hintermeiers und seiner Klassenkameraden, „sind der erste Jahrgang, den die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre ereilt hat. Wenn sie 2014 Abitur schreiben, werden sie endlich Zeit haben, darüber nachzu- denken, was denn das nun gewesen sein soll? Eingesperrt in ein Korsett, das ihnen regelmäßig Zwölfstundentage aufnötigte, der schmale Rest an Kindheit, der noch für sie vorgesehen war, geopfert. Leere Nachmittage, Muße, Sport, Musik, Spiel mit Freunden – Luxus längst vergangener Tage“, auf den man aber gerne verzichtet, wenn nur später die Luxuswohnung und der Luxusgeländewagen dafür einstehen, daß eins erst lebt, wenn‘s konsumiert. Die vom Spiegel wie stets mehr gewünsch- te denn festgestellte und in Form eines Zukunft der Bildung in Deutschland: Alles bleibt sauber – und leer. schon älteren Spezials noch immer die Bahnhofsbuchhandlungen blockierende Wie dagegen im engsten Umkreis Menschen ein bedröppelter Hannes Hintermeier in „Sehnsucht nach alten Werten“, nämlich dort verdummen, wo ihr Interesse anfängt, eben der Frankfurter Chef- und Oberklas- Familie, Autorität und Leistungswille, und dann ihr Ressentiment gegen das keh- senzeitung, deren Bildungsredakteuse ist die simple Sehnsucht der Profiteure ren, was sie nicht verstehen wollen, weil sie Heike Schmoll seit gefühlten Dekaden nach der guten alten Zeit, als es am bür- es allzu gut verstehen könnten, so ist doch nach Latein ab Einschulung, Turbolader- gerlichen Normenkatalog genausowenig die planetarische Dummheit, welche die gymnasium und Zentralabitur in allen Fä- Zweifel gab wie an dessen staatsbürgerli- gegenwärtige Welt daran verhindert, den chern schreit: „Spontane Verabredungen chem Sinn: Kinder, Küche, Krupp; und es Aberwitz ihrer eigenen Einrichtung zu se- mit Nachbarskindern sind die Ausnahme, ist nur prima vista paradox, daß sich ge- hen, das Produkt des unsublimierten, unauf- Kindergeburtstage bedürfen sorgfältiger nau jenes juste millieu, das allenthalben gehobenen Interesses der Herrschenden. Absprachen, das gesamte Schuljahr muß über mangelnde Volksbildung klagt und Minima Moralia §127 akribisch durchgeplant werden ... Kinder- den Nachwuchs immer schneller und här- ärzte berichten, daß Eltern verstärkt Antibi- ter durchs Gymnasium geprügelt sehen otika für die Kinder verlangen, um Fehlzei- will, scheint‘s weder den Schüler Gerber Harvard is in Germany ten abzukürzen. Immer mehr Schulkinder noch Hans Giebenrath, noch auch nur und wer sich darüber freut, ist eigentlich klagen über Erschöpfungszustände“, näm- Hanno Buddenbrock zu kennen scheint schon zu doof, als daß man ihn an einer lich in Bayern, wie vor Jahren schon in der und deshalb, gegen alle Pisa-Lehren, ge- Eliteuniversität studieren lassen sollte. Ein SZ zu lesen war, ein rundes Drittel aller nau die Triez- und Kasernenschule wie- abermals recht exzellenter Vortrag von „G8“- und also Schnellgymnasiasten; die derhaben will, der die deutsche Literatur Stefan Gärtner, M.A. auf Konkurrenz, Wettbewerb und Welt- vor hundert Jahren schon den Abgesang markt halt weniger Bock haben als ihre geschrieben hat. Eine der erfrischendsten Ironien der letz- halb dummen, halb für dumm verkauf- Wilhelm Meister würde sich wundern; ten Zeit ist sicherlich die Unruhe des Bil- ten Eltern, die zwar ihre Kinder lt. jüngs- aber den kennen sie ja gleichfalls nicht. dungsbürgers, der feststellt, daß die seit ten Zahlen mit Vierfünftelmehrheit nicht der Entdeckung der Globalisierung und mehr alleine auf den Schulweg lassen, die So scharf ist der Wind geworden, daß insonderheit des sog. Pisa-Schocks for- knochen- und willensbrecherische Zurich- Thomas Steinfeld sogar in der Süddeut- cierte Ökonom- und Brutalisierung bereits tung ihrer gehätschelten Lütten aber vor schen Zeitung im deutschen Eliten- und der Schulverhältnisse auch das eigene lauter Abstiegsangst ergeben hinnehmen. Leistungswahn die „Funktion eines sich Balg betrifft: „Das verkürzte Gymnasium Aber welche Konsequenzen die Übertra- verschärfenden Klassengegensatzes“ se- macht aus Kindern Manager“, erkannte gung von Markt- und Ausleseprinzipien hen mußte: „Zur Elite hingegen, von der

8 moritz #70 BILDUNGSMISERE hochschulpolitik

zur Zeit vor allem die Hochschulpolitiker ins Haus zu holen, auch weniger dem des Großen Geldes – man mag es für einen schwärmen, sollen keineswegs alle ge- Glück galt, als Kind eine Fremdsprache besonders glorreichen Fall von kampfloser hören. Denn ihr Zweck besteht nicht nur geschenkt zu bekommen, sondern dem, Kapitulation halten, nachdem Wirtschaft darin, den Besten zu einer noch besseren was in der Titelzeile so trüb wie notorisch und angeschlossene Medien in den letz- Bildung zu verhelfen. Vielmehr ist sie auch „Fit für den Weltmarkt“ hieß; und die deut- ten fünfzehn Jahren keine Gelegenheit dazu da, eine ungleich größere Zahl von sche Universität „trotz des öffentlichen zum Rankings- und Wettbewerbsradau jungen Menschen von der weiteren Bil- Jubels über das Ergebnis der Exzellenzin- ausgelassen haben; wie sich das Hambur- dung auszuschließen. Diese sollen bloß itiative ... in der geistigen Prägung, die sie ger Sturmgeschütz der Reaktion noch im nicht zuviel lernen, damit Geld, Zeit und seit Kants `Streit der Fakultäten �, durch Triumph das Nachtreten nicht verkneifen Wissen auf die wenigen Kandidaten für die Humboldtsche Bildungsreform und kann: „Der Elite-Wettkampf macht Schluß eine erträumte zukünftige Elite konzent- die philosophischen Universitätstraktate mit der Lebenslüge, daß alle Universitä- riert werden können“ und die anderen, wie von Fichte, Schelling und Schleiermacher ten gleich seien“ - vor einem übermäch- zu ergänzen wäre, nicht mehr auf dumme bis Karl Jaspers erhalten hat ... nach län- tigen, ausweislich seiner Sprache keiner Gedanken kommen noch überhaupt kom- gerem Siechtum verstorben ist“, wie Pro- humanen noch intellektuellen Regung men können, es sei denn auf solche, die fessor Dieter Borchmeyer (Heidelberg), mehr verdächtigen Gegner mag es klug sich beim Anblick von Autoprospekten, Präsident der Bayerischen Akademie der sein, sich ohne größere Umschweife zu Couchgarnituren oder Plasmaschrank- Schönen Künste, schon nach Ausrufung ergeben; angesichts dessen aber, was auf wandfernsehern einstellen mögen. der ersten deutschen Kaderschmieden im dem Spiel stand: den Geist gegen den Na- letzten Jahr der Süddeutschen klagte, als turzustand zu verteidigen, einen uninst- Dabei darf es, je nach Blickwinkel, bereits einer der wenigen, die den Wahn, wo Wi- rumentellen, „unpraktischen“ Begriff von als gutes oder schlechtes Zeichen gelten, derstand schon zwecklos geworden war, Bildung gegen die räudige Homo-homi- daß über solche Sätze schon gar nicht wenigstens noch benannten. „Was in der ni-lupus-Begeisterung des neoliberalen mehr gelacht wird: „Sechs deutsche Hoch- Universität heute den Ton angeben soll, ist Gesockses in Schutz zu nehmen, wären schulen sind heute zu Eliteuniversitäten vor allem das anwendungsbezogene Wis- Verweigerung und Boykott einen Versuch ernannt worden“ (hr-Nachrichten), von sen, der Technologietransfer, an dem Po- wert gewesen. Doch statt sich gegen die Kaiser Wilhelm wahrscheinlich, der zwar litik und Wirtschaft“ - lies: Wirtschaft und Marginalisierung ihrer Disziplinen zu weh- genügend irre Gedanken hatte, einen Politik - „so lebhaftes Interesse haben. Der ren, machten die akademischen Philoso- von solchem Kaliber aber nicht: zu dekre- neue Hausherr der Universität ist nicht phen, Philologen und Sozialwissenschaft- tieren, wo in Zukunft gute Wissenschaft mehr der Homo sapiens, sondern der ler – aus Angst, Beflissenheit oder beidem stattzufinden hat und wo weniger gute, Homo faber. Diejenigen Wissenschaften, – den Clusterquatsch lieber mit und gin- weil diesem Land halt nichts so sehr fehlt welche das Bild und die Struktur der deut- gen z.B. in Mainz, wo man vor zehn Jahren wie ein „deutsches Harvard“, damit die Ent- schen Universität mit ihrer weltweiten noch in aller Seelenruhe studieren konn- scheider in Zukunft dem Lebenslauf leich- Auswirkung geschaffen haben, sind nun- te, mit albernen Akronymungeheuern wie ter entnehmen, ob einer Prolo oder Elite mehr zu Fremdlingen im eigenen Hause einer „Graduate School of Cultural and ist. Bildung, auf gut Humboldtsch der Weg geworden“, denn die Geisteswissenschaf- Social Studies (SOCIUM)“ auf Fördergeld- und die Fähigkeit zu Selbstbestimmung ten – die, was die deutschen Reformgau- jagd; und, natürlich, baden. und Mündigkeit durch den Gebrauch der ner nicht wissen oder nicht wissen wollen, Denn wenn es schon darum geht, dem Vernunft, findet dann selbstverständlich den Ruhm und Ruf der angelsächsischen akademisch avancierten Ausland und nicht mehr statt, denn langhaarige Tage- Eliteuniversitäten schon begründet ha- seinen Investoren auf zeittypischer Au- diebe auf der Campuswiese Burroughs, ben, als es das Wort Exzellenzcluster noch genhöhe zu begegnen, dann muß man, Hegel oder Adorno lesen zu lassen bringt gar nicht gab – sind in der schönen neuen wo es schon (und gottlob) keine jüngere weltmarktmäßig einfach nichts ein; ganz Welt der Dr. Anette Schavan (CDU) und universitäre Elitetradition gibt, auf Namen anders als „die enge Verschränkung von ihrer philiströsen Schergen allenfalls noch zurückgreifen, die nach großer Vergan- Forschung und Industrie“, die lt. natur- Dekoration und werden deshalb, wo im- genheit, Internationalität oder wenigstens gemäß begeistertem Spiegel („Deutsche mer es geht, vorsorglich kaputtgespart. nach Good Old Germany klingen, weswe- Forschung: Zurück zur Weltspitze“) die Wo nicht gleich abgeschafft. gen Mainz gegen München, Greifswald Universität der Zukunft zu leisten hat: „ gegen Göttingen und Hannover gegen ‚Normalerweise geht man als Doktorand Daß sich Deutschlands akademischer Heidelberg eh keine Chancen hatten. Und ins Labor und kommt nach drei Jahren Überbau so gut wie gar nicht gegen den weniger überraschend, daß eine Haupt- wieder raus‘, erklärt Physikprofessor Uli ja zunächst einmal alles andere als rechts- stadtuni im feinen deutschen Ivy-Kreis Lemmer, Leiter der [Karlsruher „School of verbindlichen Bolognakäse gewehrt gelandet ist, als der Umstand, daß es nur Optics and Photonics“-]Graduiertenschu- hat, daß es ihm kaum einmal in den Sinn die FU geschafft hat; aber die Humboldt- le. Seine Mitarbeiter forschen nun von kam, darauf hinzuweisen, es habe doch Universität noch mit dazuzupacken hätte Anfang an gut vernetzt mit der Industrie, jahrhundertelang ganz gut ohne Module dann vielleicht doch zu arg nach DDR- regelmäßige Managementkurse gehören und ECTS-Leistungspunktesystem funk- Zentralismus und Hauptstadtprotektion fest zum Programm“ - denn darum geht tioniert, daß er das vulgärkapitalistische ausgesehen. es, und nur darum: ums Geldverdienen. „Centrum für Hochschulentwicklung“ der Weswegen ein älterer FAZ-Bericht über Fa. Bertelsmann als Schattenbildungsmi- Wo es also nicht allein um Profit und Ein- den Trend, sich zwecks sprachlicher Früh- nisterium hingenommen hat und also die fluß geht, geht es um Glanz, Gloria und

Foto: photocase.com Foto: förderung chinesiche Kindermädchen eigene Herabwürdigung zum Thinktank Adabei, und wo es darum nicht geht, um

moritz #70 hochschulpolitik 9 BILDUNGSMISERE hochschulpolitik Zwischen Eine Reportage Am 15. April dieses Jahres war es mal wieder soweit: das Studentenparlament (StuPa) der Uni Greifswald konstituierte sich auf ein Neues. Dieses Ritual findet jedes Jahr statt. Dieses Jahr zum zwei- ten Mal im Konferenzsaal des Hauptge- bäudes der Universität. Nach sterilen bis heruntergekommenen Sitzungssälen in den Jahren davor wird nunmehr also ein Ambiente geboten, das im Vergleich mit den vorigen Räumen vor akademischer Würde fast schon trieft. Säulen umlaufen das Plenum, es gibt so etwas wie einen Eingangsbereich und von den Wänden sowie von drögen Stellwänden hängen historische Teppiche „aus der Region“, wie Die Beiden würden sich im Grabe umdrehen. der Einzelhandel so schön sagen würde. Unbeeindruckt davon, wo das StuPa ge- die Disziplinierung und Formatierung des akademischen und subakademischen Nach- rade tagt, hat das Ganze aber etwas von wuchses. Denn neben den gehätschelten Repräsentativuniversitäten mit ihren internati- einem eingeübten Ritual. Dieses Jahr ist onal anerkannten Topcheckerclustern wird sich, ganz wie im Vorbild USA, ein Mittel- und zwar ein großer Anteil an Neuzugängen Unterbau entwickeln, wo dann der doofe Rest, gegängelt durch ein Modul- und Punkte- im StuPa vertreten, doch die redseligsten system, sich zu einem Bachelor genannten erweiterten Abitur qualifizieren darf, und da Wortführer sind dieselben wie immer. Es „kritisches und eigenständiges Denken als universitäres Ausbildungsziel gar nicht mehr handelt sich hierbei um eine bestimmte angestrebt oder einer winzigen Elite während ihres Doktorandenstudiums vorbehalten Spezies im StuPa: Die Wiedergewählten. werden soll“ (Prof. Dietrich Lemke, Bielefeld, cf. www.nachdenkseiten.de/?p=2535), kann Mit einer Ausnahme. man das Fußvolk, das ja doch nur in der Peripherie von English Studies, Bewegungspäd- agogik und Sozialarbeit landet, besten Gewissens nach drei Jahren in die Zeitarbeit ent- Ein Populist im Parlament lassen; das ist gut für die Statistik - „das Ziel ist nicht die Verbesserung der Qualität der Ausbildung, sondern die Vermehrung der Zertifikate“ (Prof. W. Eßbach, Freiburg) -, es gibt Sebastian Jabbusch, der im StuPa-Wahl- weniger Studienabbrecher, und mit dem „unverhofften Geldsegen“ (FAZ, 2.11.) aus den kampf mit markigen Sprüchen („Ich hasse Studiengebühren kann man die Unis zu eben den Servicebetrieben „mit Geld-zurück- Hochschulpolitiker!“) auf sich aufmerksam Garantie“ (ebd.) machen, die den auf Konsum programmierten Schulabgängern gerade machte, wurde mit überwältigender Stim- noch gefehlt haben. menanzahl ins StuPa gewählt (moritz Aber man soll sie auch nicht kaputtreden, die neue akademische „Freiheit“ (H.-O. Hen- 69). Nun sitzt er dort und schwankt zwi- kel), die es erlaubt, verlustfrei heute in Bremen und morgen in Oxford zu studieren, das schen ganz still und ganz laut sein. Seine Punktesystem macht‘s möglich, nein? Nein: „Auch wenn zwei BA-Studiengänge im sel- Arbeitseinstellung lässt sich somit auf der ben Fach an zwei verschieden Hochschulen dieselbe Anzahl von Leistungspunkten erfor- ersten Sitzung nur schwer einschätzen, bei dern, sagt das über die inhaltliche Ausgestaltung noch überhaupt nichts aus, denn jede kontroversen Themen gibt er sich jedoch Hochschule bastelt sich ihre Studiengänge in eigener Regie zurecht, wobei die persön- kämpferisch. Spannend wird hier in der lichen Fachschwerpunkte der jeweiligen Lehrenden die dominierende Rolle spielen. Es kommenden Legislatur sein, ob das StuPa gibt, im Gegensatz zu früheren Zeiten, noch nicht einmal mehr eine verbindliche Rahme- und Jabbusch es hinbekommen, sich auf nordnung, die für ein Mindestmaß an inhaltlicher Vergleichbarkeit garantieren könnte“ einer kommunikativen Ebene zusammen (Lemke, a.a.O.). Aber wozu dann der ganze, im Rekordtempo durchgepaukte Reformzau- zu finden. Immerhin reagieren jetzt schon ber? Damit die Massenunis der zweiten Kategorie, wo sie schon weder Weltgeltung noch viele der Alteingesessenen gereizt auf ihn, Mehrwert produzieren helfen, eben das Geld nicht brauchen, welches anderswo zur was an seinem StuPa-kritischen Blog auf Alimentierung der Bulmahnschen „Leuchttürme“ benötigt wird? Oder weil Globalisie- uni-greifswald-blog.de liegen mag (mo- rungssklaven halt nicht mehr können müssen als das Allernötigste: „Einfaches Rechnen ritz 69). bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, daß es ein göttliches Gebot ist, gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav. Lesen halte ich nicht für erforderlich?“ Animierte Ohnmacht Kaum anzunehmen, daß unsere Bildungspolitiker die Quelle dieses (unwesentlich ge- kürzten) Zitats kennen; weswegen ich mich auch nicht dafür entschuldigen muß. Noch Sowieso ist es schwer, dieser Sitzung eines werde. der beiden Siegel „Diskussionsfreudig“ Erstmals erschienen in Ausgabe 12/2007 des endgültigen Satiremagazins „Titanic“. und „Völlig lethargisch“ aufzudrücken. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages. Grundsätzlich durchzieht eine gelangweil-

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geschossen. Björn Buß, moritz -Chefre- dakteur, ist der Meinung, man bräuchte Lethargie und Übereifer doch schon ziemlich viel guten Willen, um den angesprochenen Comic antisemitisch über die erste StuPa-Sitzung zu verstehen. Der Autor habe sich zudem schon diverse Male auf politisch unkor- rekte Weise über „Randgruppen“, bezie- hungsweise über den Umgang mit diesen lustig gemacht, ohne, dass sich jemand daran gestört hätte. Daraufhin murmelt Schulz-Klingauf nur: „Schlimm genug, dass der sich mit solchen Themen beschäftigt.“ Sebastian Jabbusch sekundiert sofort: „Antisemitismus hat in Deutschland eine besondere Dimension.“ Außerdem sei „so etwas gerade in Zeiten so viel antisemi- tischer Propaganda gefährlich.“ Letztlich hält Jabbusch das Ganze sogar für „recht- lich problematisch“. Hört, hört! Da hat der moritz auf einmal einen ausgewach- senen Karikaturenstreit am Hals! Aber er freut sich darüber. Ehrlich. (siehe Seite 12)

Back to the roots

Was danach folgt, ist die große Ernüchte- rung. Die restlichen Tagesordnungspunk- te diktieren den Fortlauf der Sitzung. Es werden Ämter wie die Kassenprüfung per Wahl gefüllt. Der Haushaltsausschuss wird tatsächlich fast vollständig besetzt, was auf konstituierenden Sitzungen eher eine Seltenheit ist. Hin und wieder sorgt einzig Kim, der Hund der stellvertretenden Chef- redakteurin des moritz , Maria Trixa, für Highlight der Sitzung: die Ausstellung „Freester Fischerteppiche“ Erheiterung. Er geht dann auf nur schwer kontrollierbare Streifzüge durchs Plenum. te Trägheit die konstituierende Sitzung, ben. Meistens bleibt es dabei, dass Flori- Martin Hackober, StuPist und Mitlied des die leider per se lethargisch sein muss, da an Bonn, augenscheinlich bekennender „Rings Christlich-Demokratischer Studen- eine umfangreiche Liste an Formalia abge- Chefermittler mit enervierendem Grinsen, ten“, trägt dem Präsidenten seine Beden- arbeitet werden will. Nur vereinzelte Stu- hinter jeder Wolke einen Hundehaufen zu ken vor, dass dieser Umstand die Ernsthaf- Pa-Mitglieder, die gehyped scheinen von erkennen meint. Meistens findet er nichts. tigkeit der Sitzung unterminieren könnte. ihrer Überzeugung etwas Wichtiges zu Dieser setzt dem anarchistischen Treiben tun und wie angestachelt einherlächeln, Skandal! bald darauf durch einen Ordnungsruf ein scheinen das anders zu sehen. Der Rest Ende. Ein Finanzantrag des Jurastudenten unterhält sich doch des öfteren. Nachdem Doch was jeder mit Spannung erwartet Philip Rusche, der einen kritischen rechts- Philosophiestudent Frederic Beeskow kommt fast einem Eklat gleich. Sebastian theoretischen Kongress in Greifswald or- erneut zum Präsidenten des Parlamen- Jabbusch spielt auf ein Fass an, dass man ganisiert und noch ein wenig finanzielle tes gewählt wird, weht wenigstens der Alexander Schulz-Klingauf zufolge „heute Unterstützung dafür braucht, wird ein we- Hauch einer Struktur durch den Rest der nicht aufmachen“ wollte. Da wird vorge- nig zusammengestrichen und dann ange- Sitzung. Aber der routinierte Schneid der tragen, dass sich einige Studenten auf den nommen. Man hat Zeit, sich die Teppiche letzten Jahre ist raus. Selbst das Schreiben Schlips getreten fühlten, weil im aktuellen an den Wänden ein wenig anzuschauen. von Abstimmungszetteln kann hier zu ei- Sommermoritz ein Comic abgedruckt ist, Es werden AGs eingerichtet. Um 0 Uhr ner echten Herausforderung werden. Die den man als antisemitisch auslegen könn- wird die Veranstaltung satzungsgemäß Gäste, die sich tatsächlich relativ zahlreich te. Der wiedergewählte StuPa-Präsident beendet und wenigstens die wichtigsten hergetraut haben, werden währenddes- Beeskow hatte im Vorfeld schon eine E- Punkte sind von der Tagesordnung bear- sen auf eine harte Geduldsprobe gestellt. Mail von einem Studenten erhalten, der beitet. An Produktivität mangelte es die- Zu selten dürfte es für ihren Geschmack sich darin wohl recht bitterlich über die- ser Sitzung nicht, an Inspirationen schon die eine oder andere aufflammende Dis- sen Umstand beschwerte. Kaum ist das eher.

Foto: photocase.com, Maria Trixa Maria photocase.com, Foto: kussion zu einem schwierigen Thema ge- Fass geöffnet, wird auch schon scharf kos

moritz #70 hochschulpolitik 11 HERAUSGEBER hochschulpolitik Stellungnahme des StuPa Studentenparlament distanziert sich von Tapir-Comic In der Sitzung am 28. April hat das Studie- schen Medien ist genau auf diese Freihei- endgültig noch unverschiebbar sind, ist es rendenparlament den Beschluss gefasst, ten zurückzuführen. die Aufgabe der Studierendenschaft, den sich als Vertreter der Studierendenschaft Vertretern der Studierendenschaft und und damit als Herausgeber des Sommer- Die Grenzziehung zwischen redaktioneller damit des Herausgebers sich ständig über moritz 2008, vom „Tapir-Comic“ mit dem Freiheit auf der einen Seite und Haftungs- diese Grenzen auszutauschen und wenn Titel „Gott und die Welt“ entschieden zu ansprüchen von Dritten, (auch wenn nur nötig, sie neu zu bestimmen. distanzieren. Der Herausgeber hält weder eine mittelbare Verletzung von Rechten die Zeichnungen noch den Text für akzep- vorliegt), auf der anderen Seite, ist das Das Studierendenparlament hat sich ent- tabel. Spannungsfeld, indem sich das Verhältnis schieden gegen die Form und den Inhalt zwischen Herausgeber und Medien ab- des oben genannten Artikels gestellt und Die freie, inhaltliche und künstlerische Ge- spielt. damit klar Position bezogen. staltung der studentischen Medien ist ein Frederic Beeskow sehr hohes Gut. Der Erfolg der studenti- Da Grenzen, historisch gesehen, weder Präsident des Studierendenparlaments Antrag von Alexander Schulz-Klingauf Sommermoritz 2008 – StuPa Drucksache 18/15 Redaktion Das Studierendenparlament möge beschließen:

Als Vertretung der Studierendenschaft und Herausgeber dis- tanziert sich das Studierendenparlament in entschiedener Form von den Zeichnungen und dem Text des „Tapir-Comic“ mit dem Titel „Gott und die Welt“ im Sommermoritz 2008. Das Präsidium des Studierendenparlaments wird beauf- tragt, einen entsprechend lautenden Text zu verfassen und (hochschul)öffentlich über die geeigneten Medien (kommen- des moritz-magazin, moritz-web-Page, StuPa-Homepage etc.) bekannt zu machen.

Begründung:

Obgleich auch der Antragssteller der Auffassung ist, dass ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit und eine satirische Darstellungsform in einer Demokratie zwei hohe Güter dar- stellen, die es gegebenenfalls zu verteidigen gilt, so sind aber diesen auch Grenzen gesetzt, die einzuhalten sind. Diese ei- gentlich selbstverständlichen Schranken wurden hier aber unbewusst oder bewusst mehr als ein Stück weit geöffnet. Es kann nicht sein, dass die Studierendenschaft und in deren Ver- tretung das StuPa als Herausgeber diese Öffnung und damit eine Verletzung der Gefühle einiger Kommilitonen schwei- gend duldet respektive kommentarlos mitträgt. Zudem sieht die Eigenbetriebssatzung in diesen Fällen eine Haftung des Herausgebers vor (§ 11 (1) Eigenbetreibssatzung). Darüber hinaus kommt aufgrund der Tatsache, dass der Sommer- wie auch Wintermoritz als Kalender lange Zeit, meist über drei Mo- nate, im täglichen Gebrauch einer hohen Anzahl Studierender ist, eine besondere Schärfe in die Angelegenheit.

12 moritz #70

VERWALTUNG hochschulpolitik

niger Aufwandsentschädigungen frisst. So forderten es die vier Vorschläge, einge- Aschenputtelsyndrom reicht von Alexander Schulz-Klingauf und Florian Bonn, den Jusos, dem RCDS und AStA-Strukturdebatte nahm ihren Verlauf dem AStA selbst. Zuvor verbrachten die Parlamentarier noch eine halbe Stunde damit, die Vor- gehensweise der anstehenden Debatte zu debattieren. „Lasst uns abstimmen, ob wir abstimmen“ ob zuerst die Strukturde- batte, ob zuerst die Satzungsänderung, ob es überhaupt ein Problem gäbe. In der Satzung geht es um ein Stimmrecht für Co-Referate, um Geld, um die zu leistende Stundenzahl. Wenn es um die Art der Re- ferate geht, dann wünschten sich einige die Unterscheidung zwischen Haupt- und Co-Referaten aufzuheben. Das hätte Aus- wirkungen auf Stundenzahl und Höhe der Aufwandsentschädigungen und somit auf die Satzung. Die außerdem nach Ände- rung erst mal durch die Rechtsabteilung der Uni muss. Aber „hängen wir diese nicht ganz so hoch“, befand Alexander Schulz- Klingauf. Nun, es wurde abgestimmt und man hatte mehr Lust auf AStA-Debatte. Außerdem sollen die Referate schnell aus- geschrieben und somit neu besetzt wer- den können.

Keine Lust mehr auf Hochschulpolitik

Am Grundkonzept hat das Studenten- parlament festgehalten. Doch ließen sich in der Diskussion mitunter interessante Denkweisen erkennen. Ein stellvertre- tender AStA-Vorsitzender wurde ohne großes Bedenken eingerichtet und da- Alexander Schulz-Klingauf und Sebastian Jabbusch in der Ruhephase. mit dem AStA ein lang ersehnter Wunsch erfüllt. Mit Folgen. Obwohl Lisa Steckel, Wenn es Mitternacht schlägt, muss die allen voran Martin Hackober und David bisher zuständig für Presse- und Öffent- schöne Prinzessin den Ballsaal verlassen. Wulff auf eine Sondersitzung am Montag. lichkeitsarbeit, mehrfach in ihrer Selbst- Mitglieder des Studentenparlaments (Stu- In den vergangenen Jahren konnte das evaluation auf die Wichtigkeit ihres Pos- Pa) müssen ebenfalls Punkt Null Uhr den StuPa die AStA-Referate jeweils nach einer tens hingewiesen hatte, trennten sich die Konferenzsaal räumen. Beide sind einem Sitzung ausschreiben, auch wenn diese bis Hochschulpolitiker kurz und schmerzlos äußeren Zwang ausgesetzt: Die Fee und weit nach Mitternacht andauerten. Im ver- von diesem. Noch weniger Diskussionen der Mann, der das Hauptgebäude ver- gangenen Jahr schloss Präsident Frederic gab es zu dem Co-Referat Evaluation und schließt. Doch könnten die Studenten im Beeskow diese, ebenfalls zweite Sitzung Hochschulentwicklung. Auch hier unter- Seminarraum der Augenklinik die Diskus- der Legislatur um 1:59 Uhr. strich der Amtsinhaber die Bedeutsamkeit sion um den Allgemeinen Studentenaus- dieses Aufgabenfeldes. Doch Christian schuss (AStA) beenden. Diese fand auf der Hauptsache abstimmen Müller konnte die StuPa-Mitglieder nicht zweiten Sitzung der aktuellen Legislatur überzeugen. Erkenntnisse über die letz- keinen Abschluss. Weniger als zwei Drit- „Vorsichtig mit der Selbst-Evaluation. Das ten Referenten flossen damit teilweise in tel fanden den Weg in den Seminarraum, ist eine inspirierte Wahrheit der Referen- die Diskussionen hinein. Deshalb forderte damit war das Parlament nicht beschluss- ten“, gab Alexander Schulz-Klingauf zwei- AStA-Kollege Christian Bäz eine „Entper- fähig für die Ausschreibungen der AStA- einhalb Stunden früher noch zu Bedenken, sonalisierung der Debatte“. Eine allgemei- Referate. Vorlesungen und Prüfungen am dann stürzen sich die 22 Anwesenden in ne Meinung teilten die Mitglieder auch im nächsten Tag waren der Grund. Da auch die Diskussion. Eine neue, bessere Struk- Bezug auf Konstantin Keune, zuständig am folgenden Dienstag zu viele fehlen tur für den AStA sollte her. Und wie jedes für Hochschulpolitik, und disputierten würden, einigten sich die Parlamentarier, Jahr vor allem eine kleinere, die somit we- doch tatsächlich über eine Abschaffung

14 moritz #70 VERWALTUNG hochschulpolitik

des Postens. „Was will das StuPa eigent- gliedert. Die Referate für Ausländer, sowie LHG und des RCDS geschlossen gegen ein lich?“, hakte schließlich Zoran Vasic nach. Queer- und Gleichstellung wurden gewis- Referat für Homosexuelle und Gleichstel- Eine Streichung sei doch vollkommen sermaßen degradiert und zu Co-Refera- lung stimmten. Gegen die neun Stimmen kontraproduktiv. Die Hochschulpolitik ten bestimmt. Erwartungsgemäß sah der dieser beiden Gruppen stehen zwölf Ja- solle gestärkt werden, so der Referent für Entwurf des RCDS keine Queer-Stelle vor. Stimmen und eine Enthaltung. Soziales und Wohnen. Man denke an die Darauf war Referent David Puchert vorbe- mögliche Abschaffung des Konzils und reitet. Die anfängliche Freude unter StuPa- Schnell abgewickelt die Machtkonzentration auf den Rektor Mitgliedern über die zahlreichen Besucher durch ein neues Landeshochschulgesetz dürfte spätestens dann halbwegs gewi- Mit den Ausschreibungstexten wurde (moritz 69). chen sein. Denn das diese nach erfolgrei- nicht viel Aufwand betrieben. Die Texte chem Beschluss „ihres“ Referates nicht zu bewegen sich überwiegend im Rahmen Knappe Entscheidungen einer Sitzung wiederkehren würden, war ihres Vorjahrs. Bis auf den stellvertreten- klar. Doch ausgeharrt haben sie geduldig, den AStA-Vorsitzenden. Der ist jetzt un- Eine absolute Änderung hat sich mit ganz Plakate lagen bereit, Puchert trug eine ter anderem für Presse und Öffentlichkeit knapper Mehrheit für die drei autonomen kleine Rede vor. Überraschenderweise gab zuständig. Letztendlich hat der AStA nun Referate durchgesetzt. Ein eigenständi- es keine Diskussion. Den Vergleich, den 15 Referate, zwei weniger als vorher. Für ges Amt für Behinderte und Studenten letztes Jahr ein RCDS-Mitglieg anbrach- diese Struktur stimmten 20 der 25 anwe- mit chronischen Krankheiten wurde auf- te, ebenso gut ein Vegetarier-Referat wie senden StuPa-Mitglieder. grund mangelnder Möglichkeiten seitens ein Queer-Referat einrichten zu können, Eine Fortsetzung von Schattschneider‘s der Studentenschaft abgeschafft und in brachte niemand erneut an. So folgte die Seventeen (moritz 68) wird es also nicht den Bereich Soziales und Wohnen einge- Abstimmung, in der die Mitglieder der geben. mt, bb „Das ist aber scheiße, Martin!“ Mit Volldampf in die neue Legislatur – kommentiert Genial! Nur drei Marathon-Sitzungen dau- einrichtete um das Ende abzuwarten. Ein ner, der sich Hochschulpolitiker nennt, auf erte die Ausschreibung der AStA-Referate dezenter Hinweis des Präsidenten Frede- den abstrusen Einfall über die Notwen- an. Sorgfältig und mit Bedacht haben sich ric Beeskow auf die Verantwortlichkeit der digkeit eines Postens für Hochschulpolitik die großartigen Änderungspläne dabei StuPa-Mitglieder für die Studenten, been- zu disputieren. Das Referat ist verdammt heimtückisch aus der Hintertür geschli- dete diese lächerliche Veranstaltung. Tja, schwierig auszufüllen, kaum einer schafft chen und die Kreativität gleich mitge- auch copy and paste braucht Zeit, nämlich es so, wie es sein sollte. Doch fordert eine nommen. Nach einer Sitzung schrieb das für eine ganze Sondersitzung. fehlende Positionierung seitens der Stu- vergangene Parlament die Referate des Seltsamerweise hat sich für den kom- denten ein Bildungsministerium doch AStA aus – inklusive der Stellen für die menden AStA fast nichts verändert. Okay, geradezu auf, fröhlich Kürzungen an den moritz -Medien. Das konnte demnach es gibt zwei Referate weniger. Doch das falschen Stellen anzukreuzen, über rektor- höchstens eine Schnellschuss-Entschei- schien mehr an mangelnder Überzeu- freundliche Machtansprüche zu entschei- dung gewesen sein und erforderte konse- gungskraft seitens der vorigen Amtsinha- den und somit den größten Murks der Ge- quenterweise eine durchdachtere Varian- ber zu liegen als an der wahren Bedeutung schichte des Landeshochschulgesetzes zu te der AStA-Struktur für dieses Jahr. der Ämter. Ein Großteil der StuPa-Mitglie- verfassen. Wenig durchdacht haben einige den Be- der hat so gar nicht verstanden, dass eine In die Länge zog die Ausschreibung neben- ginn ihrer Mandatsträgerschaft. Erst RCDS- Person nichts über die Wichtigkeit dieser bei noch ein Antrag Sebastian Jabbuschs, Obermacker Martin Hackober musste für aussagen kann. Oder wie kommt sonst ei- moritzweb eine Seminarförderung für sich und seine Schäfchen nach seinem 380 Euro zu verwehren. Martin Hackober späterem Eintreffen zur Sitzung auf eine sprach sich für eine Zahlung aus, aber nur bedeutende Lücke hinweisen. Denn RCDS für den Fall, dass der derzeitige Chef Uwe und LHG seien in der nächsten Sitzung Roßner wiedergewählt würde. Das veran- nicht da. Zuvor hatte man eine halbe Stun- lasste Alexander Schulz-Klingauf zu der de über die nächsten Sitzungstermine ge- Aussage: „Das ist aber scheiße, Martin!“ sprochen. Gegen Mitternacht ging es wei- Hackobers neuestes Großprojekt ist übri- ter: Außerdem sei am folgenden Tag Uni, gens, den Chefredakteuren des moritz- für einige sogar Prüfungen. Was für ein Magazins die Aufwandsentschädigung für Zufall, dass dies gleich über ein Drittel der April einzubehalten, da diese persönliche Mitglieder von den Ausschreibungstex- Informationen über ihn preisgegeben hät- ten fern hielt. Über diesen „Kindergarten“ ten (moritz 69). konnte Alexander Schulz-Klingauf nur Ein neuer kritischer Wind weht durch das den Kopf schütteln, während sich Thomas Studentenparlament – doch er weht in die

Foto: Maria Trixa (2) Trixa Maria Foto: Meyer im Schneidersitz auf einem Tisch Martin Hackober stänkert rum. falsche Richtung. Echt, Martin. mt, bb

moritz #70 hochschulpolitik 15 TRADITION hochschulpolitik Schätzenswert Die Nutzung des Körperschaftsvermögens steht zur Debatte „Eine der Aufgaben der Universität ist es, ihr Körperschaftsvermögen zu erhal- ten sowie zu vermehren. Und mit den Erträgen sowohl die Wissenschaft und Forschung als auch die Lehre zu unter- stützen“, erklärt noch AStA-Vorsitzender und stellvertretender Senatsvorsitzender Thomas Schattschneider. Diese Ziele er- hielten bislang auch Priorität durch die Universitätsleitung. Doch sieht diese noch mehr Potential, das Universitätsvermögen weitaus zweckmäßiger und effektiver nut- zen zu können. An Ideen und Vorschlägen mangelt es hierzu nicht. Die Gründung einer Stiftung oder der Verkauf des Eigen- tums wären Alternativen gegenüber dem weiterführenden Erhalt des Vermögens. Aber nicht alles ist Gold, was glänzt. Vor- und Nachteile sind vom Senat genaues- In den Grünflächen rund um Greifswald lagert ein kleines Vermögen. tens zu erörtern und abzuwiegen. blem. Daher ist es hilfreich einen separa- einbringen. Diese Forderung ist keines- Grundstücke, Wald, Gebäude ten Körperschaftshaushalt zu haben“, kon- wegs neu. Und nicht nur Forstmeister von statiert Wolfgang von Diest, Forstmeister Diest plädiert für den kompletten Erhalt Insgesamt gehören der Universität land- der Universität. Entgegen den seit Jahren des Universitätswaldes. Schon seine Vor- und forstwirtschaftliche Flächen sowie steigenden Studentenzahlen erhöhten gänger mussten sich gegen Verkaufspläne diverse Gebäude in und um Greifswald sich die Zahlungen des Landes Mecklen- durchsetzen. Denn verkauft ist verkauft. von 8.711 Hektar. Nur ein Teil wird von der burg-Vorpommern nur um jährlich 1,5 „Teilweise ist die Uni gut beraten, sich von Hochschule selbst genutzt. Privatperso- Prozent. Vereinbart wurde dies zwischen Liegenschaften zu trennen“, schränkt von nen und Einrichtungen mieten und pach- dem damaligen Bildungsminister und Diest ein. „Vor allem die Gutshäuser kön- ten den Rest. Die Acker- und Grünflächen vorherigem Greifswalder Rektor Professor nen ihr zukünftig Probleme bereiten.“ Die werden komplett von ortsansässigen land- Hans-Robert Metelmann und der hiesi- um 1910 erbauten Gebäude befinden sich wirtschaftlichen Betrieben bewirtschaf- gen Universitätsleitung. Aber 1,5 Prozent überwiegend in einem miserablen Zu- tet. Anders verhält es sich dagegen beim können nur als Inflationsausgleich dienen. stand und sind sanierungsbedürftig. Als Waldbestand. Hier lebt die alte Forsttra- Daher kann sich die Hochschule glücklich Mosaiksteine der pommerschen Kulturge- dition der Alma Mater weiter. Bei den Ge- schätzen, den Körperschaftshaushalt zu schichte sollte das Betreben darin liegen, bäuden außerhalb Greifswalds handelt es besitzen. Diese Einnahmen werden ge- diese zu erhalten. „Jedoch fehlen der Uni- sich vor allem um Gutshäuser, von denen zielt dort eingesetzt, wo das Land nichts versität hier die notwendigen Investitions- die meisten vermietet sind. Innerhalb der geben kann oder will. Beispielsweise hätte gelder. Darüber hinaus ist ihr Kerngeschäft Stadt nutzt die Uni ihren Gebäudebestand der Umbau der „Kiste“ zum größten Hör- Lehre und Forschung, nicht das Sanieren für eigene Zwecke. saalgebäude der Hochschule niemals so von Häusern“, stellt von Diest klar. schnell und flexibel umgesetzt werden Ein Verkauf an Privatpersonen oder öffent- Ein zweiter Haushalt können. Trotz aufgetretener Baumängel: liche Einrichtungen könnte den Verfall Die Raumsituation entspannte sich dank dieser Kulturhistorie unterbinden. Auch Die wenigsten Hochschulen in Deutsch- dem Körperschaftshaushalt. Auch die Sa- im Zuge der Neugestaltung des Hoch- land besitzen so viele Ländereien wie die nierung des Audimax’ wurde durch die schulkomplexes mit der Konzentration Greifswalder Universität. Mit den jähr- eigenen Mittel ermöglicht. der geisteswissenschaftlichen Fächer in lichen Erträgen, die aus den Forst- und der Rubenow- und Domstraße sowie in Liegenschaften erzielt werden, verfügt Prämisse liegt nicht im Verkauf der Friedrich-Loeffler-Straße und der na- sie über eine zweite Einnahmequelle. Die turwissenschaftlichen und medizinischen größte Finanzspritze kommt allerdings Die Hochschulleitung ist sich jedoch be- Fachbereiche am Beitz-Platz hat sich die vom Schweriner Bildungsministerium, da wusst, dass bislang durch die Verpach- Universität in jüngster Zeit zunehmend Bildung Ländersache ist. Beide Geldquel- tung und Vermietung nicht die bestmög- für den Verkauf zahlreicher Gebäude ent- len werden getrennt voneinander ge- lichen Erträge und Leistungen aus dem schieden. Peter Rief, Leiter des Dezernat führt. „Wenn die öffentlichen Kassen leer Körperschaftsvermögen erzielt wurden. Planung und Personalmanagement, kün-

sind, steht die Universität vor einem Pro- Ein Verkauf könnte kurzfristig viel Geld digt an: „Es gibt die Absicht, weitere Ge- Benscgh Cornelia Foto:

16 moritz #70 TRADITION hochschulpolitik bäude zu verkaufen. Welche Gebäude dies den gesamten Wald überführen und hier sind, hängt von der Realisierung unserer Kommentar: Langfristig denken durch die jährlichen Einnahmen für die Bauplanungen ab.“ Grundsätzlich liegt die Stiftung nutzbaren Gewinn erzielen kön- Prämisse aber nicht im Verkauf, sondern im Welche Richtung die neuen Konzep- nen“, erklärt Hochschulpolitiker Thomas Erhalt des Hochschuleigentums. Gegner te auch einschlagen werden, eins ist Schattscheider. Solch eine privatrechtliche der Verkaufspläne weisen daraufhin: „Das offensichtlich - Fehlentscheidungen Stiftung wäre für von Diest wenig attrak- Veräußern des Besitzes ist der sichere Weg, sind zu vermeiden. Die Fort- und Lie- tiv: „Eine Stiftung hat ihre Reize, vor allem dass überkommene Erbe zu verlieren, mit genschaften haben ihren Wert, der weil sie das Stiftungsvermögen schützt. dem die Universität auf engste verknüpft auch weiterhin nachhaltig der univer- Jedoch bringt sie auch Nachteile für die ist.“ Da die Universität Greifswald ein sitären Lehre zugute kommen sollte. Universität mit sich. Und ihre Einnahmen Großteil ihres Vermögens während ihres Die Finanzmittel der Länder passen zielgerichtet für bestimmte universitäre 552jährigen Bestehens durch Schenkun- sich längst nicht mehr den steigen- Zwecke einsetzen, kann sie bereits jetzt.“ gen erworben hat, würde im Verkauf ein den Bedürfnissen der Hochschulen Da die Stiftungsorgane eine eigene juristi- mangelndes Verantwortungsbewusstsein an. Wenn dann eine Universität wie sche Person bilden würde der Senat seine gegenüber der eigenen Geschichte lie- die unsrige in Greifswald zusätzlich Entscheidungskompetenz über das ein- gen. „Zudem besteht hier die Gefahr, mit auf ein eigen erwirtschaftetes Vermö- gebrachte Hochschuleigentum verlieren. dem Geld nur kurzfristig etwaige Löcher gen zurückgreifen kann, gibt es nur Aus diesem Grund sieht er in einer Stif- stopfen zu wollen“, gibt der Forstmeister ein Konsens: Kein Verkauf des Tafelsil- tung nicht den richtigen Lösungsweg und zu bedenken. Die Erlöse können nur ein- bers. Und immer schön putzen. cb der Rektor fügt hinzu: „Schon allein aus mal verwendet werden und die Garantie, steuerlichen Gründen könnte es wenig dass das an der richtigen Stelle passiert, ratsam sein, Grundbesitz der Universität kann niemand geben. in eine Stiftung einzubringen.“ Hochschulen – wie in Niedersachsen und Nun bleibt es abzuwarten, wo das Rekto- Auch Stiftung ist keine Lösung Hessen geschehen – in eine Stiftung des rat neue Wege sieht, dass Universitätsei- öffentlichen Rechts überführt werden. Ziel gentum effektiver zu nutzen und wie der Eine weitere Idee ist es seit längerem ei- war eine größere Eigenverantwortung zu Senat diese Vorschläge aufnehmen wird. nen Teil des Körperschaftsvermögens, erlangen, denn Hochschulen wissen bes- Vorerst werden die Gespräche aber wei- insbesondere den Waldbesitz, in eine ser, was für sie gut ist, als Beamte in den terhin unter Ausschluss der Öffentlichkeit Stiftung zu überführen. Rektor Professor fernen Landeshauptstädten. Zum ande- stattfinden. Bis Juni soll jedoch ein erstes Rainer Westermann verdeutlicht: „Stiftun- ren kann die Universität als Körperschaft Konzept vom Rektorat und der Verwal- gen unterschiedlicher Art sind für Univer- selbst eine privatrechtliche Stiftung grün- tung vorgelegt werden, das sich neben sitäten ein Thema, das in Zukunft noch an den. Letzteres wurde auch für Greifwald einer umfassenden Auflistung des Uni- Relevanz gewinnen wird.“ Generell stehen überlegt. „Die Möglichkeit wäre gewesen versitätsvermögens bis dahin nochmals einer Hochschule verschiedene Möglich- einerseits den Wald zu veräußern und intensiv mit der Neuordnung des Körper- keiten offen, dem Stiftungsgedanken das erworbene Geld in eine Stiftung ein- schaftsvermögens auseinander gesetzt nachzugehen. Zum einen können ganze zubringen. Andererseits hätte man auch haben wird. cb ANZEIGE

moritz #70 hochschulpolitik 17 PLATZMANGEL hochschulpolitik Klausur mit Hindernissen Über Prüfungsbedingungen zwischen „eng“ und „laut“

Dicht gedrängt: Ob Sardinen in der Dose oder Studenten im Hörsaal.

Julia Prange betritt den Hörsaal. Eine Fahrt gerissen. Abgabe der Bachelor-Klausuren. machen Vorschläge, wie die Prüfungen durch das winterliche Greifswald und un- Lautes Gekicher. Stöckelschuhe auf dem überschneidungsfrei ablaufen können. zählige Stunden am Schreibtisch liegen Holzboden. Stimmengewirr. Blätterra- Welche Klausuren zusammen geschrie- hinter ihr. Die Magisterstudentin hat sich scheln. Die Ermahnung einer Aufsichts- ben werden bestimmt hingegen das Ins- viele Wochen auf diesen Tag vorbereitet. person: „Bitte schnell den Raum verlassen.“ titut“, sagt Steffi Albrecht, Angestellte im Auf den Tag ihrer schriftlichen Abschluss- Eine Stunde später: Abgabe der Master- Zentralen Prüfungsamt. prüfung. Klausuren. Wieder Unruhe. Wieder Lärm. Verantwortliche im Fachbereich der Kom- Doch was sie erwartet verschlägt ihr den „Es war einfach nur nervig. Und natürlich munikationswissenschaft haben Verständ- Atem. Fast alle Plätze des Hörsaals in der ging bei all dem Trubel die Konzentration nis. „Ich kann den Unmut der Studenten Rubenowstraße 3 sind besetzt. Die Frage schnell flöten.“ nachvollziehen“, sagt Juniorprofessor Ste- nach einer Sitzordnung erübrigt sich. „Ich fan Wehmeier. Der Lehrstuhlvertreter für hätte nicht gedacht, dass der Hörsaal so Wer trägt eigentlich die Verantwortung? Kommunikationswissenschaft kann sich voll sein würde“, sagt die 24-Jährige. Eine nicht an eine Entscheidung über Prüfungs- Freundin winkt sie heran. Glück gehabt. Volle Räume, unterschiedliche Abgabe- termine erinnern. „Es wurde so gehand- Ein Platz ist noch frei. „Es war insgesamt zeiten der Klausuren. Schon seit vielen Se- habt, wie in den letzten Jahren. Hinter- sehr eng in dem Raum.“ Julia versucht mestern berichten Studenten von solchen fragt habe ich das bisher nicht.“ Wehmeier Schreibblock, Trinkflasche, Essen, Kugel- Prüfungsbedingungen. „Bei Geschichts- verspricht Änderungen. „Wir werden das schreiber und Aufgabenblätter auf dem prüfungen ist das auch schon vorgekom- intern besprechen und Lösungen finden. kleinen Klappbrett zu ordnen. „Ich hätte men“, sagt Christian Ahlrep, Mitglied des Zu klären ist dabei der Raum- und Betreu- mich gern mehr ausbreiten wollen, aber Fachschaftsrats Germanistik. Der Studi- ungsaufwand.“ das war nicht möglich.“ Augen zu und endekan der Philosophischen Fakultät ist Julia Prange hat inzwischen ihr Klausurer- durch. Die Prüfung beginnt. Vier Stunden sich keiner Verantwortung bewusst. „Was gebnis erfahren und ist zufrieden. „Trotz muss sie sich mit Aufgaben rund um die soll ich ihnen dazu sagen?“, sagt Professor allem ist es irgendwie gegangen. Aber Kommunikationswissenschaft beschäfti- Walter Werbeck schlicht. Auch das Zentra- ich hoffe für die Nächsten, dass die Orga- gen. Ihr Wunsch: Ruhe. Doch schon nach le Prüfungsamt sieht keinen Handlungs- nisation der Prüfungen verbessert wird“, zwei Stunden wird sie aus ihren Gedanken bedarf. „Wir vergeben nur Termine und wünscht sich die 24-Jährige. grip

18 moritz #70 FINANZEN hochschulpolitik Die Nullrunden sind vorbei Studentenwerk erwartet mehr Antragsteller nach BAföG-Erhöhung Geschenke verteilt der Staat selten. Wenn er es tut, fallen die Gaben meistens nicht sehr großzügig aus. Trotzdem freuen sich viele Studenten über die Erhöhung des BAföGs ab 1. Oktober 2008. Laut Bundes- tagsbeschluss vom November 2007 be- kommen BAföG-Empfänger zehn Prozent mehr Geld. Außerdem erhöhen sich zum Wintersemester die Eltern-Freibeträge um acht Prozent. „Das ist ein längst überfälliger Schritt“, meint Karl Schöppner, Abteilungsleiter der Ausbildungsförderung des Studen- tenwerks Greifswald. „Es hätte schon zu einem früheren Zeitpunkt zu einer Erhö- Der Briefkasten des Studentenwerkes in der Mensa bekommt Zulauf. hung kommen müssen.“ Die letzte BAföG-Erhöhung war 2001. Seit- liegt die Förderquote bei 23 Prozent. Von „Das war dringend notwendig, weil die dem gab es für die Studenten in Deutsch- 3348 Antragsstellern bezogen 2568 Stu- meisten Antragssteller wegen zu hoher land sieben Jahre Nullrunden. In dieser dierende im Jahr 2007 BAföG. Zum Win- Freibeträge der Eltern abgelehnt wer- Zeit sind auch die Lebenshaltungskosten tersemester erwartet das Studentenwerk den“, sagt die Asta-Referentin für BAföG kontinuierlich gestiegen. mehr Antragssteller. Der Grund ist die An- und Studienfinanzierung. Pauli berät und Die maximale Förderungssumme be- hebung der Eltern-Bedarfssätze um acht hilft vielen Studenten, die eine Ableh- trägt statt 585 ab Oktober 642 Euro. Zu- Prozent. „Wir freuen uns darüber, dass nung bekommen haben. Sie findet, dass sätzlich können Studenten mit Kind ei- jetzt mehr Studenten einen Antrag stel- die Berechnungen nicht der Realität ent- nen Zuschlag von 113 Euro bekommen. len können und staatliche Unterstützung sprechen: „Viele Eltern haben zwar ein Trotzdem: „Die Vollförderung ist immer in Anspruch nehmen können“, sagt Karl entsprechend hohes Einkommen, aber noch nicht ausreichend, um die Lebens- Schöppner. „Für das Jahr 2008 gehen wir auch finanzielle Belastungen. Ohne BAföG haltungskosten komplett abzudecken“, davon aus, dass sich die Zahl der Antrags- könnten sie kein Studium finanzieren.“ erklärt Schöppner. Das beweist auch eine steller um 15 Prozent erhöht.“ Genau das Franziska Reute ist derselben Meinung. Studie des Deutschen Studentenwerkes. passierte nämlich bei der letzten BAföG- „BAföG entlastet Eltern, die Schulden ha- Laut dessen Erhebungen hat der durch- Anhebung im Jahr 2001. Damals stellten ben“, meint die Baltistik- und Slawistikstu- schnittliche Student monatliche Ausga- 16 Prozent mehr Studenten einen Antrag. dentin. Sie finanziert ihr Studium über ei- ben von rund 740 Euro. „Da sich die Chancen auf einen BAföG- nen Studienkredit und mit Unterstützung Anspruch verbessert haben, rechnen wir von ihrer Mutter. Franziska empfängt kei- 10 Prozent mehr Geförderte mit zehn Prozent mehr Geförderten“, fügt ne staatliche Ausbildungsförderung, weil Schöppner hinzu. das Einkommen ihrer Mutter zu hoch ist. Bundesweit greift die Ausbildungsför- derung für jeden fünften Studenten. In Böse Überraschungen vermeiden Gedankenlos ins Studium Greifswald, Neubrandenburg und Stral- sund erhält jeder vierte Akademiker staat- Anissa Pauli befürwortet ebenfalls die Er- Viele Studenten unterschätzen das Ein- liche Unterstützung. Allein in Greifswald höhung der Elternbeiträge. kommen ihrer Eltern. Diese Erfahrung hat Anissa Pauli vor allem bei Erstsemestern gemacht. „Es ist erstaunlich. Das Bewusst- Veränderung des BAföG-Satzes in Deutschland und innerhalb der EU sein, sich im Voraus Gedanken über die Finanzierung des Studiums zu machen, Außerhalb wohnend Bei den Eltern wohnend fehlt oft“, weiß Pauli, „Viele fallen aus al- len Wolken, wenn sie abgelehnt werden Grundbedarf von 333 auf 366 Euro von 333 auf 366 Euro und merken, dass sie vor dem absoluten Nichts stehen.“ Gegen solche bösen Über- Bedarf für die Unterkunft von 133 auf 146 Euro von 44 auf 48 Euro raschungen möchte die AStA-Referentin etwas unternehmen. An den Hochschul- Regelbedarf von 477 auf 512 Euro von 377 auf 414 Euro informationstagen will sie in Zukunft über BAföG und Studienfinanzierung informie- Maximalförderung von 585 auf 642 Euro von 432 auf 373 Euro ren. „Es ist wichtig, die Studenten vorher zu erreichen“, sagt sie. bv Foto: photocase.com, Benjamin Vorhölter Benjamin photocase.com, Foto:

moritz #70 hochschulpolitik 19 LEHRKRÄFTE hochschulpolitik Seminarplatz in Sicht Hilfe durch den Hochschulpakt 2020 re 2020 zu kompensieren. Im Gegenzug dazu werden die Hochschulen in Deutsch- land bis 2010 insgesamt etwa 91.370 zu- sätzliche Studenten aufnehmen. Für jeden Studienanfänger wurden auf vier Jahre verteilt Kosten von 11.000 Euro berechnet. 15 Prozent der vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel erhalten die neuen Bundesländer. Als Gegenleistung verpflichten sich neben Mecklenburg-Vor- pommern auch Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen dazu, die jährlichen Studienanfängerzahlen auf dem Niveau von 2005 zu halten. An der Greifswalder Universität liegt dieses bei 1939 Immatrikulationen. Der Grund für die Unterscheidung zwischen Ost und West sind Schätzungen, die besagen, dass die Zahl der Studenten in den neuen Bun- desländern langfristig ab- und in den al- ten Bundesländern zunehmen wird. In der ersten Periode der Förderung zwischen Augen, Ohren und Mund verschließen – Dann wird sich nie etwas ändern. 2007 und 2010 erhält die Greifswalder Hochschule insgesamt etwas über drei „Ein Dozent warf Studenten des achten Was fehlt, sind konkrete Richtlinien hin- Millionen Euro. Diese Mittel sollen in ers- Semesters raus und gab Studenten des sichtlich des Zugangs zu Seminaren und ter Linie für „kapazitätserweiternde“ und sechsten Semesters einen Seminarplatz.“ eine konsequente Umsetzung. Doch auch „qualitätsverbessernde Maßnahmen“ ver- Virginie Biahri studiert im sechsten Se- das würde die Zahl derer, die nicht in ihre wendet werden. Das bedeutet, dass von mester. Sie verließ dieses Seminar vor Wunsch- oder Pflichtveranstaltungen den Geldern vornehmlich wissenschaft- Sitzungsschluss. „Ich wollte höheren Se- kommen, nicht verringern. Um allen Stu- liche Mitarbeiter und Lehraufträge finan- mestern nicht den Platz wegnehmen“, denten die Möglichkeit zu bieten ihr Stu- ziert, Professuren vorzeitig und flexibel begründet die Lehramtsstudentin ihren dium in der Regelstudienzeit abzuschlie- besetzt und Lehrkräfte für besondere Auf- Entschluss. „Kurz bevor ich gegangen bin, ßen, bedarf es zusätzlicher Lehrkräfte. gaben eingestellt werden sollen. forderte der Dozent, dass sich diejenigen Professor Karl-Heinz Spieß, geschäftsfüh- melden sollten, die in der Zwischenprü- render Direktor des Historischen Instituts, Erste Stellen besetzt fung eine Eins bekommen haben.“ Das kennt das Problem aus eigener Erfahrung wurde der Geschichtsstudentin zu bunt. und versucht nun Lösungen zu finden. Im Wintersemester 2007/08 ist der Hoch- Ob die Einser-Kandidaten letztlich einen „In meinem Hauptseminar hatten sich schulpakt angelaufen. Institute, bei denen Platz ergattern konnten, weiß sie nicht. 81 Studenten eingetragen. Ich bin dann der Bedarf besonders hoch ist, konnten So wie Virginie Bihari ging es vielen Ge- nach der Semesterzahl gegangen. Das auch schon, finanziert durch die Bundes- schichtsstudenten zu Beginn dieses Se- ist auch bisher immer auf Akzeptanz ge- mittel, erste Stellen besetzen. „Vorrangig mesters. Auch in den Instituten für Deut- stoßen“, sagt Spieß. „Leider verspielen wir geht das Geld an die Lehreinheiten, die sche Philologie, Geografie und Anglistik den guten Ruf der Betreuung, wenn wir so deutlich mehr Studenten aufgenommen haben es vor allem die Lehramtsstuden- überbelastet sind. Ich hoffe im Sinne der haben als sie nach den Kapazitätsberech- ten manchmal schwer den gewünschten Dozenten und Studenten, dass es bald nungen eigentlich müssten. Gegenwärtig Seminarplatz zu bekommen. Die Dozen- besser wird. Der einzige Lichtblick ist der ist das vor allem die Politikwissenschaft. ten sind oft überfordert von der Masse der Hochschulpakt“, ergänzt der Historiker. Aber auch die Deutsche Philologie und Studenten, die in ihre Seminare strömt. die Betriebswirtschaft haben erhebliche Wenn 40 Studenten in einem Hauptsemi- Finanzielle Unterstützung Mittel zugesagt bekommen“, erklärt Rek- nar ihre Hausarbeit schreiben wollen, ist tor Professor Rainer Westermann. das für einen Dozenten kaum zu schaffen. Der Hochschulpakt ist eine Vereinbarung So werden in der Politikwissenschaft ins- „Die haben auch keinen Bock mehr. Die zwischen Bund und Ländern. Dieser soll gesamt zehn halbe Stellen für wissen- wollen Seminare geben und müssen dann es den Hochschulen durch finanzielle Un- schaftliche Mitarbeiter aus dem Hoch- Vorlesungen halten“, meint Germanistik- terstützung leichter machen, den steigen- schulpakt finanziert. Diese sollen bis zum studentin Ellen. den Andrang von Studenten bis zum Jah- Oktober alle besetzt sein und werden aus-

20 moritz #70 LEHRKRÄFTE hochschulpolitik

schließlich für die Lehre eingesetzt. Um den organisatorischen Aufwand so gering wie möglich zu halten, wurden die Stellen größtenteils mit Mitarbeitern des Instituts besetzt. Auch im Studiengang Betriebs- wirtschaftslehre können mit Hilfe der Mit- tel aus dem Hochschulpakt überfüllte Ver- anstaltungen doppelt angeboten werden. „Im Sommer kommen dann noch Kräfte für die Korrekturen der Klausuren hinzu, um dies schneller über die Bühne zu brin- gen“, berichtet Sabine Hosemann, die Ge- schäftsführerin des Dekanats der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. Das Institut für Deutsche Philologie konn- te im vergangenen Wintersemester drei halbe Stellen besetzen, die in erster Linie eingesetzt werden, um die Grundkurse zu Geduldiges Ausharren auf dem Weg zum Seminarplatz. entlasten. So können Veranstaltungen ge- teilt werden, womit sich die Zahl der Stu- der Universitätsleitung auf den erhöhten Möglichkeiten des Paktes realistisch. Auf denten in einigen Seminaren von zuvor Bedarf an Seminaren vor.“ der Internetseite heißt es: „Es muss zudem um die 80 auf 40 Studenten verringert. darauf hingewiesen werden, dass eine „Wir haben noch je eine halbe Stelle für Lösungsversuche deutlich verbesserte Betreuungsqualität Fachdidaktik und Mediävistik beantragt. im Rahmen der gestuften Studienstruktur Diese sind aber nicht genehmigt worden, Trotz dieser positiven Effekte des Hoch- mit diesen Finanzmitteln nicht erreicht aus mir nicht ganz verständlichen Grün- schulpaktes muss bedacht werden, dass werden kann.“ den“, berichtet Professor Jürgen Schiewe, die Hochschulen in der Regel erheblich Der Leiter des Historischen Instituts hat der stellvertretende Direktor des Insti- unterfinanziert sind. Das wurde in den jetzt einen Numerus Clausus für den Lehr- tuts für Deutsche Philologie. Trotzdem ist Berechnungen zur Vereinbarung jedoch amtsstudiengang beantragt, der die Zahl durch den Hochschulpakt eine Erweite- nicht berücksichtigt. „Die Mittel aus dem der neuen Studenten auf 120 begrenzen rung des Lehrangebots erreicht worden. Hochschulpakt sind insgesamt viel gerin- soll. „Die Welle, die in den letzten Jah- Schiewe lobt vor allem die unkomplizierte ger als die Kürzungen in den letzten Jah- ren immatrikuliert wurde, muss erstmal Entscheidung über die Stellen im letzten ren. Sie sind ein Tropfen auf den heißen abgebaut werden“, erklärt Spieß diesen Herbst und die schnelle Abwicklung der Stein“, sagt Westermann. Auch die Hoch- Entschluss. Für diese Maßnahme haben Verträge. „So stelle ich mir das Reagieren schulrektorenkonferenz sieht die sich die Verantwortlichen für den Studi- engang Geografie schon vor zwei Jahren entschieden. Im Moment könne es zwar Kommentar: Geben und Nehmen in den oberen Semestern noch zu Proble- men kommen, aber durch den NC seien Es ist viel los in der deutschen Hochschullandschaft seit einigen Jahren: Der Bolo- schon Verbesserungen spürbar. So stehen gna-Prozess, Studiengebühren und jetzt auch noch ein Hochschulpakt, der neue die jüngeren Semester nicht mehr vor Studienplätze schaffen beziehungsweise erhalten soll, dabei scheint die „kleine, verschlossenen Seminartüren oder müs- gemütliche“ Universität in Greifswald schon seit einigen Jahren überfordert mit sen feststellen, dass die Einschreibefristen den unerwartet rasant gestiegenen Studentenzahlen. im vergangenen Semester waren. Spieß Mit Hoffnungen auf eine gute Betreuung im Gepäck pilgern die Abiturienten auf möchte zudem Stellen beantragen, die der Flucht vor Studiengebühren und hohen NCs nach Vorpommern, um dann von durch den Hochschulpakt finanziert wer- genervten Dozenten aus überfüllten Seminaren geworfen zu werden. Die Reakti- den. Außerdem wurde eine neue Lehrkraft on der Landesregierung: Kürzungen und Rationalisierungsmaßnahmen. Aber jetzt für die Fachdidaktik bewilligt. Eine grund- haben wir endlich wieder einen Grund uns zu freuen, Veranstaltungen werden ge- legende Verbesserung kann in diesem Be- teilt, neue Lehrkräfte werden kurzfristig und flexibel eingesetzt und die Seminare reich jedoch nicht erwartet werden. Der nehmen zum Teil wieder (v)erträgliche Maße an. Um alle glücklich zu machen und Rektor regt die Studenten trotzdem an, die Qualität der Lehre grundlegend zu verbessern, wird das Geld jedoch nicht rei- die Probleme nicht für sich zu behalten: chen. Die Studenten erzeugen bisher nur einen Sturm im Wasserglas. Änderungen „Massive Unzulänglichkeiten in der Leh- in der Prüfungsordnung. Unbedacht abgenickt. Fliehende Professoren. Einfach re sollten die Betroffenen unverzüglich akzeptiert. Schließung von Instituten. Ein paar Plakate reichen nicht. mit dem Studiendekan der betreffenden Augen zu, Ohren zu, Mund halten und versuchen, so schnell wie möglich fertig zu Fakultät besprechen. Die Fakultäten sind werden, um bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Nach uns die Sint- dafür verantwortlich, dass jeder Student flut ist das Motto der Studenten. So kann es aber nicht weitergehen. alle notwendigen Pflichtveranstaltungen lah tatsächlich auch zum vorgesehenen Zeit-

Foto: Alina Herbing (2) Foto: punkt besuchen kann.“ lah

moritz #70 hochschulpolitik 21 PRAKTIKUM hochschulpolitik Prüfungsdebakel Der praxisorientierte Bachelor – eine Farce? sen sich zwei Prüfer auf einen Termin eini- die Flexibilität zusätzlich ein. Außerdem gen. Hier scheint weder die Kommunikati- überschreiten einige Institute diese sechs on von Dozent zu Dozent, noch zwischen Wochen bei Weitem. Besonders im Histo- den Dozenten und dem Prüfungsamt zu rischen Institut rief die Prüfungssituation funktionieren. große Unruhen bei den Studenten hervor. Clemens Reimann kennt genau dieses Pro- „Im Fachschaftsrat sind viele Beschwerden blem. Für seine mündliche Geschichtsprü- eingegangen“, erzählt Mitglied Martin Ha- fung im letzten Semester gab es nie einen berland. (siehe auch Seite 20 zum Hoch- offiziellen, dem Prüfungsamt bekannten schulpakt) Termin. Den gibt es bis heute nicht. Da- Die Prüfungsordnung empfiehlt, das durch konnte Clemens seinen Freiversuch Pflichtpraktikum zwischen dem zweiten behalten, musste den Praktikumsbeginn und fünften Semester zu tätigen. „Aber aber zweimal verschieben. Das Regional- gerade in der Zeitspanne ist am meisten museum Neubrandenburg ging mit den zu tun“, klagt Clemens Reimann, der sich Prüfungsschwierigkeiten sehr locker um. während seiner Zeit im Neubrandenbur- „Die Flexibilität, die mir das Museum ent- ger Museum noch auf eine Prüfung vor- Immer Ärger mit den Freiversuchen gegen gebracht hat, hätte ich von der Uni bereiten und eine Hausarbeit schreiben erwartet“, merkt Clemens dazu an. Das musste. „Für das Praktikum bekomme ich „Nö, Pech gehabt!“ Schafft es der Bache- Entgegenkommen seiner Praktikumsstel- keine Note, aber eben für die Prüfungen, lorstudent nicht, sein Praktikum so zu le ist in der Tat ein wahrer Glücksfall. die ich dafür in den Sand setze“, fügt Cle- organisieren, dass es nicht mit den Prü- mens hinzu. ib fungsterminen kollidiert, geht der Freiver- Grundstudium ahoi! such für die verpassten Prüfungen flöten. Das bedeutet auch: Der Wiederholungs- Oft noch werden Diplom- oder Magister- Kommentar: Lokal denken versuch zur Notenverbesserung entfällt studenten von potentiellen Arbeigebern und ein erstes Durchgefallen bleibt auf vorgezogen. Diese haben ebenfalls alle dem Zeugnis vermerkt. Da hilft auch das Hände mit der Organisation und Verein- Das einige Institute sich die Prü- Verschieben der Prüfung in den Wieder- barkeit von Prüfung und Praktikum zu tun. fungstermine förmlich aus der Nase holungszeitraum nicht. Folglich bleibt Doch können sie nach vier Semestern in ziehen lassen, ist ärgerlich. Ein bis- Bachelorstudenten nur eines übrig, möch- der Regel ein Grundstudium vorweisen. schen mehr Organisation sollte ten sie den Freiversuch nicht verschenken: Viele große Unternehmen bieten Praktika schleunigst her. Zum Regelprüfungstermin anwesend sein. nur für Studenten mit dieser Qualifikati- Aber: Die Sache mit dem Zeitma- Doch ein Praktikum muss mindestens vier on an. Hinzu kommt der lange Zeitraum: nagement zwischen den Prüfungen Wochen am Stück absolviert werden, vor- Am liebsten ein halbes Jahr soll die Be- haben nicht erst Bachelorstudenten zugsweise natürlich in den Semesterferi- rufserfahrung andauern. Dafür müsste erfunden. So jammerschade es auch en. Das wird anhand der Terminierung der ein Freisemsester her. Doch das wird von um den Freiversuch ist: Darauf ist Prüfungszeiträume problematisch. der Studienberatung für viele Fächer nicht kein Verlass. Das Bildungsministe- empfohlen, denn Veranstaltungen im Ba- rium bastelt in seinem geheimen Prüfung oder Praktikum? chelorstudium sind modularisiert und bau- Diskussionspapier schon eifrig an en aufeinander auf. So werden die meisten einer Abschaffung des selbigen Laut Prüfungsamt sollten die konkreten Prüfungen nur einmal im Jahr angeboten. (moritz 69). Bleiben noch die ol- Prüfungszeiträume der einzelnen Institu- Deshalb kann durch ein Urlaubssemester len Aufbaumodule. Dazu lässt sich te für das Sommersemester 2008 schon schnell der Anschluss verloren gehen und sagen: Pflichtpraktika können auch längst auf der Homepage der Universität dadurch verliert der Student unnötig Zeit. durch Engagement bei moritz, erscheinen. „Wir beabsichtigten die Zeit- Das würde auch den bildungspolitischen GrlstuF, dem radio 98eins oder dem räume bis zum 22. April zu veröffentli- Plan, der mit dem Bachelor-Studiengang AStA abgedeckt werden – einfach chen. Das funktioniert aber nur, wenn bis einen früheren Studienabschluss vorsieht mal in Greifswald umschauen. Und dahin alle Angaben aus dem Institut vor- und damit jüngere Hochschulabsolventen man glaubt es kaum: Auch hiesige liegen“, erklärt Steffi Albrecht vom Zentra- hervorbringen soll, durchkreuzen. Unternehmen sind deutschlandweit len Prüfungsamt. Leider sind immer noch nicht mehr unbekannt und freuen nirgends die Zeiträume einsehbar. Gerade Managementprobleme sich über Praktikanten. Von dort aus bei mündlichen Prüfungen ist die Festset- ist es auch nicht weit zu den Prüfun- zung eines Termins schwierig. Diese kann Der Zeitraum für die Prüfungen darf bis zu gen. mt erst nach der Prüfungsanmeldung durch sechs Wochen in die vorlesungsfreie Zeit die Studenten erfolgen. Außerdem müs- hineinreichen. Dieses Kriterium schränkt

22 moritz #70 SPORTSOMMER universum Das Runde muss ins Eckige Dozenten und Uni-Mitarbeiter über die Fußball-EM 2008

Prof. Hans Pechtl (Lehrstuhlinha- ber für Betriebswirtschaftslehre) Bruno Blüggel (Fachreferent für Dr. Ingo Take (Lehrstuhlinhaber für Germanistik, Rechts- und Wirt- „Fußball ist für mich unter allen Sportarten Internationale Politik) schaftswissenschaften) die Nummer Eins. Ich schaue mir Bundes- ligaspiele genauso gern an wie die Spiele „Ich würde mich als recht fußballinteres- „Die Fußball-EM interessiert mich über- der deutschen Nationalmannschaft. Mein siert bezeichnen. Die Bundesliga verfolge haupt nicht. Ich treibe lieber aktiv Sport, Herz gehört vor allem Bayern München. ich sehr intensiv. Meine Lieblingsmann- statt passiv vor der Glotze zu hocken. Aber auch Unterhaching und Rostock schaft ist Werder. Die Spiele der Bremer Meine wenige Freizeit nutze ich, um mich drücke ich die Daumen. In meinem Büro schaue ich mir in der Sportschau oder im auf meine Ski-Marathon-Langläufe vor- hängt ein Fanschal von Bayern München Stahlwerk an. WM-Spiele habe ich auch zubereiten. Wenn ich im Fernsehen Sport und Unterhaching. Während der letzten gern mit Kollegen auf dem Marktplatz mit- schaue, dann meist nur Langlauf oder WM habe ich fast alle Deutschland-Spie- verfolgt. Auf die EM freue ich mich, doch Olympia. Dem Fußball kann ich nicht viel le gemeinsam mit Kollegen in der Mensa bisher habe ich mich noch nicht wirklich abgewinnen. Meine Vorfreude auf die oder auf dem Marktplatz gesehen. Auch damit befasst. Sicherlich werden wir im In- diesjährige EM hält sich also in Grenzen. die anstehenden EM-Spiele will ich mir stitut unter Kollegen wieder ein Tipp-Spiel Deutschland kann sicher weit kommen. möglichst alle anschauen. Verständnis durchführen. Ich kann mir gut vorstellen, Tippen würde ich aber auf Frankreich als für Studenten, die Uni-Veranstaltungen dass Deutschland ins Halb- oder Viertel- Europameister. Sicher wird die UB wäh- für EM-Spiele sausen lassen, habe ich nur finale kommt. Ab dem Viertelfinale kann rend der Spiele deutlich leerer sein als begrenzt. Verpflichtungen sind bei aller ich es verstehen, wenn Studenten für die sonst. Aber wir werden trotzdem weiter- Fußballeuphorie wichtiger. Mein EM-Tipp: Deutschland-Spiele Uni-Veranstaltungen hin die langen Öffnungszeiten beibehal- Deutschland wird sicher die Vorrunde schwänzen. Meine eigenen Termine wer- ten, denn es gibt genügend Studenten, überstehen, das Halbfinale halte ich für re- de ich allerdings wahrnehmen, unabhän- die auch während der EM lernen müssen.“ alistisch. Auch der Titel ist möglich.“ gig von irgendwelchen Spielen.“

Dr. Eckardt Schielke (Beauftragter Massenphänomen, das rücksichtslos ver- Bereich Hochschulsport) marktet wird. Dem kann man sich kaum entziehen. Diese Geschäftemacherei stört „Ich schaue mir gern Sport an. Beim Fuß- mich sehr. Aber es gibt noch etwas anderes ball kann ich mich für qualitativ gute Spie- als Fußball. Meine Freizeitgestaltung wer- le begeistern. Ich verfolge die Bundesliga, de ich sicher nicht von dem EM-Spielplan aber auch die großen Fußball-Ereignisse abhängig machen. Für mich ist Deutsch- wie EM und WM. Insgesamt stehe ich dem land nicht Favorit. Ich glaube, dass es Trubel aber recht kritisch gegenüber. Der Überraschungen geben wird. Frankreich, Fußball erdrückt die anderen Sportarten Italien und vor allem die Tschechen haben zu sehr. Turnen, Leichtathletik oder Tennis sicher gute Chancen.“ kommen in der medialen Berichterstat-

Foto: Isabel Bock, Grit Preibisch (4) Isabel Bock, Grit Preibisch Foto: tung viel zu kurz. Fußball ist und bleibt ein Aufgezeichnet von Grit Preibisch.

moritz #70 universum 23 EUROPA universum „Wir sind genetisch so gestrickt“ Europaparlamentarier zu Tri-Nationalitäten und Energielücken

„Der Herr Professor“ wird Alfred Gomolka hochachtungsvoll von seiner Büromitarbeiterin genannt.

Für seine Doktorarbeit las Professor Alfred CO2-Wert zwangsläufig regional erhöhen. kundung. Doch jetzt folgt die Phase, wo Gomolka (CDU) russische Fachliteratur. Doch wir steuern auch auf eine Energielü- knochentrocken abgearbeitet wird und Heute versteht er noch genug, um Fehler cke zu. Nüchtern betrachtet ist dort Kern- geltend gemachte Einwände abgewiesen bei Dolmetschern zu erkennen. Für sei- energie eine Alternative. Viele Einwände oder anerkannt werden. So ein Verfah- nen Einzug in das Europaparlament 1994 sind zwar ideologisch begründet, doch ren hat schon Eigendynamik. Ich rechne besuchte er einen Auffrischungskurs in sachlich nicht recht haltbar. So könnten damit, dass Gefährdungspotentiale und Englisch. Seitdem pendelt der 66-Jährige wir die Situation entkrampfen. Kühlwassernutzung noch eine Rolle spie- zwischen Brüssel, Straßburg und seinem len werden. Wahlkreis Greifswald hin und her. moritz moritz : Was wäre eine Alternative für wollte wissen, was er außerdem macht. Lubmin? moritz : Befürworter bringen vor allem Gomolka: Gaskraftwerke haben erheblich die Baukosten von zwei Milliarden Euro, moritz : Professor Gomolka, wie viel Geld weniger Ausstoß. Die Kühlkapazität muss die hier umgesetzt werden, sowie die 150 haben Sie von Wilhelm Schelsky für Ihren im Standortverfahren mehr Beachtung bis 200 entstehenden Arbeitsplätze an. Wahlkampf erhalten? finden. Denn hier könnte eine Limitierung Gomolka: Das ist teilweise zu optimistisch Professor Alfred Gomolka: Ich habe Wil- erreicht werden. Ein Kohlekraftwerk und gesehen. Die wichtigsten Komponenten helm Schelsky erst vor knapp einem Jahr zwei Gaskraftwerke bedeuten Kühlkapazi- jedes Kraftwerkes kommen von bestimm- kennen gelernt. Bis dahin hatte ich weder täten in einer Größenordnung, die sicher- ten Produzenten. Es soll keiner glauben, eine Vorstellung von der Person, noch von lich ans Limit gehen, wenn nicht darüber. dass die Kesselanlagen hier im Lande ent- den Aufgaben, die er wahrgenommen Da der Gaspreis aber an den Erdölpreis ge- stünden. Was die Arbeitsplätze betrifft, hat. bunden ist und klettert, scheint das Koh- gehen die Schätzungen ein bisschen aus- lekraftwerk kurzfristig attraktiv. Der Preis einander. Ein modernes Kohlekraftwerk moritz : Sie sind Gegner des Steinkoh- ist niedrig und die CO2-Emission sei lokal dieser Größenordnung hat etwa 80 Be- lekraftwerkes und nehmen damit in der verkraftbar, sagt unsere Kanzlerin. schäftigte im Schichtdienst. CDU, neben dem Kreisverband Rügen, eine Sonderposition ein. Warum? moritz : Es scheint, als sei das Kraftwerk moritz : Haben Sie bei der Unterschrifte- Gomolka: Mir erscheint die Argumentati- politisch gewollt. Werden die Verfahren naktion der Bürgerinitiative mitgemacht, on nicht schlüssig. Auf der einen Seite dis- nur der Form halber geführt und ist die um die Debatte wieder in den politischen kutieren wir über den Klimawandel und Entscheidung nicht schon gefallen? Prozess zu führen? eine CO2-Reduzierung, andererseits wür- Gomolka: Eine Vorentscheidung erfolg- Gomolka: Ich unterstütze die Initiative de der Bau eines Kohlekraftwerkes den te sicherlich, als politische Willensbe- durchaus. Ich habe allerdings nicht un-

24 moritz #70 EUROPA universum

terschrieben, was nicht am Anliegen, son- ßen. Welchen Mehrwert bringen sie der Regionen. Das ist für den einzelnen Bür- dern an der Begründung auf der Rückseite Gesellschaft gegenüber einem Naturwis- ger noch überschaubar. Die Euroregion lag. Diese kann ich nicht voll mit tragen, senschaftler? Pomerania ist für Polen, Deutsche und Dä- insbesondere im Hinblick auf die fehlende Gomolka: Zumindest können sie ein Le- nen ein Begriff. Wir müssen ganz gezielt Aussage zur Kernenergie. Das ist für mich ben lang für die Universität Reklame lau- mehr Wert auf die Regionalpolitik legen, ein schwer verzichtbarer Bestandteil einer fen und damit einen langfristigen Effekt denn diese wächst am schnellsten, auch Energieversorgungsstrategie. bewirken. finanziell.

moritz : Die Bürgerinitiative hat 32.000 moritz : Die Europäische Union (EU) hat moritz : Es heißt nicht umsonst Europa Unterschriften an die Landtagspräsiden- inzwischen 27 Mitglieder. Wo sind die der Regionen. tin eingereicht. Glauben Sie, dass sich Grenzen der EU? Gomolka: Ich würde es auch nicht ein der Landtag dadurch anders entscheiden Gomolka: 1994 herrschte noch die Mei- Europa der Nationen nennen wollen. Wes- wird? nung vor, zuerst die Beziehungen zwi- halb sollen wir nicht eine neue regionale Gomolka: Die Stimmung in der CDU ist schen den Mitgliedern aus zu gestalten. Identität bekommen? Dann wären wir relativ klar. Mit dem Abstand zum Stand- Ich war vehement dagegen, weil so jeder Tri-National, ein deutscher Pommer und ort des Kraftwerkes wächst außerdem das die Erweiterung hätte blockieren können, ein polnischer Pommer. Das ist noch Zu- Desinteresse. Beim führenden Koalitions- was zu einer politischen Grauzone geführt kunftsmusik. partner gibt es konträre Meinungen, die hätte. Glücklicherweise kam es anders. mehr oder weniger von politischen Egois- Jetzt sind wir an dem Punkt, wo es für moritz : Wie werden Landesinteressen in men geprägt sind. mich zwingend erforderlich ist, die Vertie- Brüssel umgesetzt? fung voran zu bringen. Es heißt, die Erwei- Gomolka: Durch Unterstützung wichtig moritz : Inwieweit verfolgen Sie ansons- terung zurück zu fahren und stattdessen scheinender und konkreter Projekte. Ich ten die Landespolitik? verstärkten Wert auf die Beziehungen zwi- übe zwei wichtige Nebentätigkeiten aus: Gomolka: Doch sehr. Ich sehe mich in schen den Partnern legen. Wenn das nicht Ich bin Briefträger und Türöffner. Ein An- Brüssel als Vertreter des Landes und nicht passiert, sehe ich eine riesige Gefahr, die liegen nehme ich entgegen, leite es an die in erster Linie von parteilichen Interessen sich auch in den Europawahlen äußert: richtige Stelle weiter und erlaube mir ab geleitet. In der Hinsicht sind mein SPD- Die Bürger sind überfordert. und zu nachzufragen. Kollege Heinz Kindermann und ich einer Meinung. Wir sehen uns fast jeden zweiten moritz : Verkauft der Parlamentarier sei- moritz : Lässt sich die Europaidee mit Flug und tauschen uns regelmäßig aus. ne Arbeit nicht richtig? den Anschauungen extremer Parteien Gomolka: Mir hat sich eine Grafik einge- vereinen? moritz : Die Zielvereinbarung zwischen prägt. Dargestellt war die schematische Gomolka: Da wird man ziemlich gelassen. Uni und Land steht 2010 wieder an. Finanz- Interessenlage der Menschen. Eine Raum- Wenn Nationalisten mit ihren Fähnchen mittel gibt es vom Land nur als Inflations- achse, eine Zeitachse und in der Nähe des wedeln, weiß man welche Aussage dahin- ausgleich. Wissenschaft und Forschung Nullpunktes war eine dichte Punktwolke, ter steckt. Ein paar Idioten gibt es immer. brauchen Zeit. Sollten die Landespolitiker die nach außen ganz stark ausdünnte. nicht weiter als bis zur nächsten Wahl den- Den Durchschnittsbürger interessiert nur moritz : Verfolgen Sie was die NPD im ken und mehr investieren? das, was kleinräumig und kurzfristig ori- Schweriner Landtag macht? Gomolka: Es gibt einen schönen Spruch entiert ist. Sie interessieren sich zu 80 bis Gomolka: Nein, da bin ich nicht scharf einer proletarischen Mutter, die mit ih- 90 Prozent was heute Abend passiert, was drauf. Ich kenne die Typen aus dem Euro- rem Sohn einen Anzug kaufen geht. Der morgen getan werden muss ... päischen Parlament. Sohn steuert auf das Billigangebot zu und die Mutter meint: „Nein so etwas Billiges moritz : ... wie wir das Interview fertig moritz : Im nächsten Jahr läuft Ihre können wir nicht kaufen, dafür sind wir bekommen ... Amtszeit ab, dann werden Sie in Rente ge- zu arm.“ Es sollte der Mut vorhanden sein, Gomolka: Genau. Das ist doch logisch. hen. Sie sind der erste Ministerpräsident um auch mit der Finanzierung Prioritäten Sie interessieren sich für Greifswald, Ihre Mecklenburg-Vorpommerns, Europapar- zu setzen. Universität, auch noch für das Land, wenn lamentarier und haben an der Universität es kritisch wird. Wir sind genetisch so ge- promoviert und habilitiert. moritz : Was wäre eine solche Priorität strickt. Gomolka: Dafür habe ich einen Entlas- für Sie? sungsbrief ohne Unterschrift von der Per- Gomolka: Schwerpunkte sind für mich moritz : Wenn wir schon beim Menschen sonalabteilung bekommen: „Ist maschinell ausgewählte Gebiete der Energietechnik. sind. Wir sind es gewohnt in Nationen zu erstellt.“. Das war es dann. Nur drei Bücher Außerdem sollten Bereiche unterstützt denken, nicht supranational. Kann das ge- wurden mir noch angemahnt, die ich ent- werden, in denen wir bereits einen inter- ändert werden? liehen hatte. national bedeutenden Stand erreicht ha- Gomolka: Wir müssen einfach hinneh- ben, wie die Mikrobiologie. men, dass sich mit der EU und ihren groß- moritz : Haben Sie die Bücher zurück ge- artigen Gedanken keine Bäume ausreißen geben? moritz : Die Universität besteht größten- lassen. Das interessiert die Leute nur sel- Gomolka: Ich habe sie nicht gefunden. teils aus Studenten, die ihre Ausbildung ten. Deshalb brauchen wir eine direkte Wenn ich sie finde, gebe ich sie zurück.

Foto: Maria Trixa Maria Foto: an der Philosophischen Fakultät genie- Verbindung zwischen der EU und den Das Gespräch führten Björn Buß und Maria Trixa.

moritz #70 universum 25 ABSOLVENTEN universum Taxifahrer oder Tellerwäscher? Wege nach einem Studium an der Greifswalder Universität mester ein, ihr Glücksgriff sozusagen. „Ein längeres Praktikum ist zu empfeh- len, um dem potentiellen Arbeitnehmer die Möglichkeit zu geben, einen wirklich kennen lernen zu können“, empfiehlt sie. Durch das ausgedehnte Praktikum und um das Studium mit guten Noten abschließen zu können, hängte die ehrgeizige Chefas- sistentin noch zwei Semester ran. Zeit, die manche Schnellabsolventen nach ihrem Studium investieren müssen, damit es mit dem Beruf klappt.

Zurück zur Universität

Julianes Aufgabenfeld beim Radio ist weit gefächert: Erstellen und Vermarkten von Werbekonzepten, Betreuen und Organi- sieren von Kundenevents, Vermarktung der Werbezeiten sowie die Bearbeitung von Urlaubsanträgen, Bewerbungen und anliegendem Bürokram fallen in ihren Aufgabenbereich. „Das Abschlusszeugnis öffnet die Tür ins Berufsleben aber letzt- endlich kann ich nicht das anwenden, was ich gelernt habe“, sagt Juliane salopp. Trotz aller Freude über den geglückten Berufsstart fehlt etwas: Eine Aufstieg- Nicht jeder findet sofort nach dem Abschluss seinen Traumjob. schance. Für den Sprung in ein anderes Unternehmen fehlt der Greifswalder Ab- Los geht es mit Partys, Alkohol und Brat- für Akademiker gar nicht aus. Vier Prozent solventin die Erfahrung. Doch mit ihrem wurstständen. An die feierliche Immatri- der Hochschulabsolventen in den alten potentiell zweistufigem Studiengang bie- kulation im Greifswalder Dom und Orien- Bundesländern und sechs Prozent in den tet sich immer noch die Möglichkeit an die tierungsveranstaltungen schließen sich neuen Bundesländern sind ohne Arbeit, Universität zurück zu kehren, um sich mit zu Beginn des Studiums eine ganze Reihe wohingegen Menschen ohne Berufsab- einem Masterabschluss attraktiver dem imposanter Ersti-Partys an. Nach ungefähr schluss im Osten zu über 50 Prozent, im Arbeitsmarkt präsentieren zu können. anderthalb Jahren erfolgt in der Regel eine Westen hingegen zu 22 Prozent keinen dezente Distanzierung von Sprüchen wie: Arbeitsplatz finden. Aufbaustudium im Ausland „Studieren wie andere Urlaub machen.“ Der typische Studienberater dürfte von je- Vor dem Abschluss in den Beruf So war auch für Christian Wagner von An- her gegen solch eine Einstellung wettern. fang an klar, dass er nicht sofort in den Scheine machen sich schließlich nicht von Juliane Kaminsky hatte ihr Bachelorstudi- Berufsalltag starten wird. „Ich wusste nach selbst. Tatsächlich schon mal in der Studi- um in Greifswald noch nicht beendet, da drei Jahren Studium nur, dass ich nichts enberatung gesessen? Da werden einem unterschrieb sie bereits ihren Arbeitsver- weiß“, sagt der ehemalige Bachelorstu- Schlagwörter reihenweise um die Ohren trag. Jetzt ist sie seit fast einem Jahr als dent. Später möchte er in einer Interna- gehauen: Ziele, Motivation, Qualifikation, Assistentin des Marketingleiters bei Ra- tionalen Organisation oder im diploma- Erfahrung, Orientierungsphasen, Enga- dio Energy in Berlin angestellt. Ihren Ab- tischen Dienst arbeiten. „Da war mir klar, gement, Softskills – immer so weiter. Und schluss in Kommunikationswissenschaft dass ein Bachelor nicht ausreichen wird, bloß nicht vergessen: Schön Kontakte zu und Anglistik hat sie mittlerweile in der um sich auf dem hartumkämpften Ar- potentiellen Arbeitgebern knüpfen. Hilfe Tasche. Auch Juliane wusste nicht von beitsmarkt zu behaupten“ sagt Christian. bieten Workshops vom Studentenwerk, Anfang an, wohin ihr Weg sie führt. Es ist Seit September 2007 studiert er nun am Bewerbermessen, Praktika, freie Mitarbeit kein Zufall, dass sie heute an ihrem ehe- „Institut d‘études politiques de Paris“, kurz und vor allem Umsichtigkeit. Wenn das maligen Praktikumsplatz angestellt ist. Für SciencesPo Paris, eine der renommier- mal keine Zukunftsängste schürt. ihr sechsmonatiges unentgeltliches Prak- testen Universitäten Frankreichs. Sein Aber so trist sieht es auf dem Arbeitsmarkt tikum reichte Juliane sogar ein Urlaubsse- Schwerpunkt liegt, natürlich, in den In-

26 moritz #70 ABSOLVENTEN universum

ternationalen Beziehungen, genauer im danach nicht mehr so schnell gewöhnen. keiner überleben kann und soll, muss „Management Public International“. Mit Die ersten Semester an der Humboldt- zwangsweise Erspartes geplündert oder dem in Greifswald erworbenem Wissen Universität in Berlin liefen ganz schön gejobbt werden. fühlt sich der ehemalige Politikwissen- chaotisch. „Die Hälfte der Zeit hab ich in Alternativ existiert die Möglichkeit sich vo- schaftsstudent „ausreichend gut auf die Dublin zugebracht. Ich weiß gar nicht, wie rübergehend in die Obhut des Arbeitsam- internationalen Gewässer vorbereitet“. ich mich durchs Grundstudium gebracht tes zu begeben und Hartz IV zu beziehen. Allerdings macht das Umfeld an der Sci- habe“, gibt sie bereitwillig zu. „Das Haupt- Auf der hohen Kante dürfen nicht mehr encesPo bestimmte Voraussetzungen studium hab ich dann aber richtig durch- als 750 Euro Ansparpauschale plus 150 unumgehbar, die sicherlich bei der Bewer- gezogen“. Ihr, mit sehr gut bestandenes Euro pro vollendetem Lebensjahr zu fin- bung eine große Rolle spielen: „Dies sind Diplom in Psychologie, machte sie bereits den sein, um die Leistungen in Anspruch im Wesentlichen sehr gute Englisch- und im Jahr 2007. Nach neun Semestern Stu- nehmen zu dürfen. Französischkenntnisse, Auslandserfah- dium, begleitet von Praktika und einer Bleibt noch das BAföG: Auch noch fünf rung und gute Noten“, berichtet Christian Arbeit als Hilfswissenschaftlerin, hält sich Jahre nach dem Studium vergisst der von seinen Erfahrungen aus zwei Semes- Annalena momentan mit 400-Euro-Jobs Staat nicht, was er dir einst gab. Jetzt plä- tern in Paris. Zudem bietet beispielsweise über Wasser. Anfang Oktober möchte die diert er auf Rückzahlung. Das Darlehen ein Auslandssemester einen Einblick in Psychologin dann eine berufsbegleiten- ist in vierteljährlichen Raten zu 315 Euro das eigene Studienfach aus einer anderen de Therapeutenausbildung in Greifswald zurückzuzahlen. Auf Antrag besteht die Perspektive. beginnen. Fraglich bleibt, ob sie, neben Möglichkeit, die BAföG-Rückzahlung we- der selbst zu finanzierenden Ausbildung, gen sozialer Härten für jeweils ein Jahr zu Das Leben ist teuer eine geeignete Praxisstelle findet. Für den stunden. Wer schnell und gut studiert hat, Ernstfall, meldete sich die 25-jährige be- oder eine Familie gründete, kann auf An- Doch es gibt auch eine andere Seite der reits über die ZVS für ein Zweitstudium in trag weitere Vergütungen erreichen. Medaille. Wer sich freiwillig entscheidet, Publizistik an. Mit diesem Studium würde Bleibt nur noch die Frage nach den spru- gen Ausland zu wandern, setzt sich auch sie die Zeit bis zum Ausbildungsbeginn delnden Bierfässern, Würstchen und Druck aus. Heimweh, Kulturschock und überbrücken. lauter Musik. Was so feucht-fröhlich im Sprachprobleme können den Anfang er- Erstsemesterhype begann, findet seinen schweren. Dazu kommt, dass die Lebens- Nach dem Studentenleben Abschluss im sang- und klanglosen Da- erhaltungskosten meist um ein vielfaches vonstehlen der Absolventen. Ein Versäum- höher sind als in Greifswald. Außerdem Wer wie Annalena nicht sofort den Sprung nis der Studentenclubs – oder haben sich müssen an den meisten ausländischen in ein Arbeitsverhältnis schafft, braucht die Examinierten das typische Studenten- Hochschulen Studiengebühren gezahlt alternative Finanzierungsmöglichkeiten. klischee gleich mit wegstudiert? sv werden. Diese entfallen oftmals bei Aus- Sozialrechtlich ANZEIGE tauschprogrammen, die durch das Akade- wird zwischen mische Auslandsamt organisiert werden. zwei Varianten Jedoch ist dann in der Regel kein seperater der Übergangs- Abschluss an der Gastuniversität möglich. f i n a n z i e r u n g Für Christian fallen an der SciencesPo jähr- unterschieden: lich 3500 Euro Studiengebühren an, eine Zum einen be- Summe, die erst einmal erwirtschaftet steht Anspruch werden muss. Er hat das Glück von seinen auf Wohngeld, Eltern unterstützt zu werden. Außerdem sofern der Betrof- helfen ihm ein Stipendium der Studien- fene „dem Grun- stiftung und ein Job beim Pariser Goe- de nach“ nicht the-Institut sich finanziell über Wasser zu Bafögberechtigt halten. ist, nicht in einer Wohngemein- Viele Qualifikationen – viele Jobs schaft lebt oder glaubhaft ver- Aber nicht jeder sucht sein Glück fernab in mitteln kann, das Ballungszentren oder in fremden Kultur- das WG Zimmer kreisen. Auch Greifswald kann Zielpunkt ausschließlich der für das nachuniversitäre Leben werden. Mietkostenreduk- „Ich liebe das Meer, die Studentenkultur tion dient, und und das Flair der Kleinstadt. Hier ist es trotz allem noch nicht so anonym und stressig wie in Berlin. genügend Geld Hier würde ich gern für eine Weile leben“ hat, um nicht als sagt Annalena strahlend. „unglaubwür- Die weite Welt eroberte sie bereits direkt dig“ abgetan zu nach dem Abitur in einem Work and Tra- werden. Da vom

Foto: photocase.com Foto: vel-Jahr. An Deutschland konnte sie sich Wohngeld allein

moritz #70 universum 27 NEBENJOB universum Am Fuße des Leuchtturms Arbeitende Studenten in Greifswald

Steffi und Amer verwöhnen außerhalb der Vorlesungszeiten andere Menschen mit Eis und Kaffee.

Lange Strasse, in Höhe des „Stahlwerks“. Es cken und einer Liege. Voll bezahlt wird Studenten in der Hansestadt einmal näher ist kurz vor zehn Uhr abends und der Wind trotzdem nur die erste Stunde, auch wenn anzuschauen. zieht wie gewohnt kalt durch die Stadt. er erst um drei Uhr zur Ruhe kommt. Das Jedem Student stellt sich spätestens zu Ein Student betritt das Haus mit der Num- Arbeitsgericht in Frankfurt am Main ent- Beginn seines Studiums die Frage, wie er mer 10, er ist auf dem Weg zur Arbeit. Er schied, dass Bereitschaftszeiten wie Ar- dieses bezahlen soll. BAföG oder das Geld wird in acht Stunden Dienst über teilweise beitszeiten zu vergüten sind, wenn sich von den Eltern reichen meist für Wohnung psychisch kranke Menschen wachen, die der Beschäftigte dauerhaft am Dienstort und Lebensmittel, manchmal nicht einmal dort versuchen, eigenständig zu wohnen. aufhalten muss. Aber wir sind nicht in dafür. Greifswald, am nordöstlichsten Zip- Sein Lohn am Ende der Schicht: knapp 20 Frankfurt am Main. fel der Bundesrepublik gelegen, befindet Euro. sich traditionell am untersten Pegel des Micha* (Name von der Redaktion geän- Leben neben dem Studium Lohnniveaus. Ein schlechtes Pflaster, um dert) bekommt die erste Stunde mit fünf reich zu werden – vor allem vor dem Stu- Euro bezahlt. In dieser soll er Rundgänge Wir sind in Greifswald am Ryck und in dienende. machen. Der Rest der Zeit ist als „Bereit- der Langen Strasse 10 steht das Haus Die Arbeitslosenquote in Greifswald be- schaftszeit“ vereinbart und wird mit 40 „Rycksicht“ der IBW: „Intensiv betreutes trug im November 2007 etwa 15 Prozent, Prozent vom Grundlohn bezahlt. Das Bun- Wohnen“. Es wird von der Johanna-Ode- rund 20 Prozent sind es landesweit. Ober- desarbeitsgereicht befand Vergütungen brecht-Stiftung betrieben. Vorsteherin bürgermeister Arthur König (CDU) freute für Bereitschaftsdienste in Höhe von 68 und Pastorin Ingelore Ehricht bezeichnet sich über den großen Sprung, den die Prozent für angemessen, weniger sei sit- die Einrichtung auf der Internetseite als Stadt nach der Prognos-Studie 2007 ma- tenwidrig. „Mein Studium lässt mir nicht „weit über Greifswald hinaus geschätzte chen konnte: 224 Plätze nach oben, wo- mehr Zeit, ich muss nachts arbeiten“, ant- Einrichtung der Sozial- und Bildungsar- raufhin er in Greifswald den Leuchtturm wortet Micha auf die Frage, warum er hier beit.“ Zur Situation im Haus „Rycksicht“ des Nordens ausmachte. Im moritz-Inter- arbeiten geht. Einen schriftlichen Arbeits- wollte sie dem moritz gegenüber keine view (Ausgabe 64) gab er damals zu: „Die vertrag hat er nicht. Stellung nehmen. Das Unternehmen ist Universität ist die wesentliche Lebensa- Oft muss er sich länger kümmern, bis die Spitzenreiter unter den örtlichen Niedri- der für die Stadt und die Region.“ Doch Bereitschaftszeit beginnt. Diese verbringt glohnanbietern. die Stadt sollte auch eine Lebensader für er in einem kleinen Raum mit Waschbe- Anlass für moritz, sich die Jobsituation für die Mitglieder der Universität sein. Rund

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11.500 Studenten, bei einer ohnehin ho- hen Arbeitslosenquote, führen im von Industrie wenig besiedelten Mecklen- „Das kann ich“ burg-Vorpommern zu einem schwierigen Markt. Aber viele müssen hier ihr Auskom- Selbstständigkeit während des Studiums men finden. Tanja Rönsch hat ihr Studium vor kurzem mit einer Diplomarbeit abgeschlossen. Seit Die gute Nachricht 13 Jahren betreibt die Greifswalderin eine Partnervermittlung und Lebensberatung. Noch weniger Geld zum Leben haben die angehenden Akademiker in Sachsen, moritz: Wie kommt man auf die Idee? Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die 18. Rönsch: Nach sieben Semestern Zahnme- Sozialerhebung des deutschen Studen- dizin habe ich mich damals entschlossen, tenwerks ergab, dass sich M-V mit durch- das Studium zu wechseln und Psycholo- schnittlich 690 Euro verfügbarem Einkom- gie zu studieren. Meine Eltern waren nicht men je Student (bestehend aus BAföG, glücklich damit und so war ich von einem elterlicher Unterstützung und Nebenjobs) Moment auf den anderen finanziell auf auf dem viertletzten Platz der Bundeslän- mich gestellt. Ich musste also dringend der befindet. Nur in Berlin (zweiter Platz) Geld verdienen. Für Versicherungen war bekommen die meisten deutlich mehr. ich nicht der Typ, für Immobilien fehlte Damit liegt M-V 80 Euro unter dem Bun- mir das Geld. Durch meine drei bisheri- desdurchschnitt und fast 200 Euro unter gen Wohnsitze in Greifswald, Stralsund dem deutschen Spitzenreiter Hamburg und auf Rügen kannte ich aber ziemlich (868 Euro). Arbeitsbedingtes Pendeln in viele Menschen. Vorher hatte ich schon Tanja Rönsch verkuppelt. das „nahe“ Berlin oder Hamburg gehört viele Freundinnen aus meinem Studien- für viele Studenten zum Alltag. gang verkuppelt und mein Kopf und mein Bauch wussten ganz sicher: Das ist etwas, was ich kann. Spaß machte es mir natürlich auch. Die schlechte Nachricht moritz: Hast Du vorher schon irgendwo gearbeitet? Die Zustimmung bei der Einschätzung ei- Rönsch: Im ersten Studium habe ich als einzige aus meinem Studiengang nebenbei ge- ner gesicherten Finanzsituation sank bei kellnert, im Penguin. Dort gab es damals 10 Mark pro Stunde, plus Trinkgeld. „trifft völlig zu“ seit dem Jahr 2000 um sieben Punkte auf 34 Prozent. Micha fasst moritz: Wie sah der Anfang aus? seine Lage in konkrete Zahlen: „Nach Ab- Rönsch: Ich hatte damals meine Beratungsräume in der Wolgaster Strasse in einem zug der Kosten für Wohnung und Versi- Haus, wo heute eine Physiotherapie ist. Meine Nachbarn waren ein Abschleppdienst, cherungen habe ich noch knapp 100 Euro ein Künstleratelier und über mir die Redaktionsräume des Stadtmagazins. Wenn das mal für Lebensmittel und Kleidung.“ keine Lage ist. Laut Allgemeinem Studentenausschuss (AStA) hat die Hansestadt das dritthöchste moritz: Gab es auch Probleme? Mietniveau der ostdeutschen Hochschul- Rönsch: Oh, einige. Ich hatte fast kein Geld, keinen Kundenstamm und nur wenig ge- standorte. Bei den Ausgaben für die Miete schäftliches Know-how. Zum Glück ging damals gerade Greif-TV auf Sendung und ich liegen Greifswalder Studenten aber ledig- konnte kostenlose Spots senden. Schon der erste Spot brachte dann einen Erfolg für lich auf dem 47. Platz von 54 berücksich- mich. Da habe ich also auch Glück gehabt. tigten Standorten. Es ist wohl nicht mehr Geld da. Außerdem stiegen laut Angaben moritz: Hast Du mal überlegt, was anderes zu machen? des statistischen Bundesamtes seit 2005 Rönsch: Nein, es hat sich sehr gut entwickelt. Ich habe mich am Anfang vor allem auf die Lebensmittelpreise um zwölf Prozent. Akademiker ausgerichtet, Alumni wie auch Studenten. Eine Hälfte des Tages habe ich Weitere vier Jahre zuvor fand die letzte BA- dem Studium gewidmet, die andere meiner Partnervermittlung. Mein Studium hat mir föG-Erhöhung statt. Sie steht den Studen- sehr geholfen, auf dem Markt der Partnervermittlungen Kontakt suchende Menschen ten erst wieder in diesem Herbst bevor. erfolgreich zu vermitteln. Am Ende des Studiums habe ich kurz überlegt, ob ich nicht in Der Höchstsatz steigt nach sieben Jahren die Wirtschaft gehen sollte, denn mein Studienschwerpunkt lag auf Arbeits-, Betriebs-, um knapp zehn Prozent. Das scheint we- und Organisationspsychologie. In M-V sind die Tätigkeitsfelder für Psychologen noch nig, ist es auch. begrenzt: Vorrangig auf den Klinischen/Sozialen Bereich. Die Einkommensverhältnisse gegenüber der Selbstständigkeit sind in Mecklenburg-Vorpommern ungünstig in der Saftschubsen, Caller, Hiwis Relation: maximale Arbeitsleistung gegenüber zu geringer Entlohnung.

Es gibt zwei große Gruppen arbeitender moritz: Wenn Du von Einkommensverhältnissen sprichst – welcher Student kann Studenten: Diejenigen, die müssen und oder will sich das denn hier leisten? diejenigen, die wollen. Rönsch: So einige. Und wie überall gibt es natürlich auch bei mir Studentenpreise.

Foto: Arik Platzek (2) Arik Platzek Foto: weiter auf Seite 31 Das Gespräch führte Arik Platzek.

moritz #70 universum 29 NEBENJOB universum „Ich würde es wieder tun“ Wencke Hallaschk über einen straff durchgeplanten Tagesablauf 100 Stunden Arbeit, daneben das Studi- um und ein Kind. BWL-Studentin Wencke Hallaschk ist 31 Jahre alt, ihre Tochter Lina- Sophie, 4 Jahre alt.

moritz: Wie viel Zeit im Monat arbeitest du neben deiner Position als Mutter und Studentin? Hallaschk: Ich arbeite etwa 100 Stunden im Monat, unter anderem in einem Greifs- walder Hotel.

moritz: Seit wie vielen Jahren bist du schon dort beschäftigt und mit welcher Geldsumme gehst du am Ende des Mo- nats nach Hause? Hallaschk: Dort arbeite ich seit 2000 und der Lohn ist ziemlich gut. Sehr schön war, dass ich aufgrund meiner Tätigkeit in die- sem Hotel neben dem Studium einen „gu- ten“ Abschluss als Hotelfachfrau bei der IHK Neubrandenburg machen konnte.

moritz: Du bist musst dich um deine Tochter kümmern, studierst und bist Ar- beitnehmerin. Wie sieht ein normaler Ta- gesablauf bei dir aus? Hallaschk: An einem normalen Tag kom- me ich um 7 Uhr von der Arbeit. Ich bringe dann meine Tochter, Lina-Sophie, in den Kindergarten nach Greifswald. Ich bin um etwa 9 Uhr im Bett. Wenn ich Uni habe, kann ich nur bis 12 Uhr schlafen. Wenn nicht, bis 15 Uhr. Dann hole ich meine Tochter um 16.30 Uhr aus dem Kindergar- ten, danach geht es für sie meistens noch zum Tanzen oder zum Sport. Gegen 18 Uhr sind wir zuhause, zum Abendbrot. Um 19.30 Uhr bringe ich Lina ins Bett. Halb zehn fahr ich dann wieder zur Arbeit.

moritz: Das klingt nicht einfach. Be- Lina-Sophie besucht den Kindergarten während ihre Mutter schläft. kommst du auch Unterstützung? Hallaschk: Mein Partner, der Kindsvater moritz:Was würden höhere Löhne für moritz:Studium, Kind und Arbeit – wür- hilft mir. Er heißt Peter und ist Lehrer am dich bedeuten? dest du das wieder tun? Gymnasium. Ohne ihn würde ich es kaum Hallaschk: Vor allem, dass ich mehr Zeit Hallaschk: Ja, auf jeden Fall. schaffen, vor allem zeitlich. für mein Studium habe. moritz:Wo bist du in zwei Jahren? moritz:Bleibt denn da überhaupt noch moritz: Was ist deine schwierigste Hallaschk: Ich ohne mit einem schönen Zeit für das Studium? Zeitphase? dicken Gehalt als Hotelleiterin auf der Hallaschk: BWL habe ich 2000 zu studie- Hallaschk: Das waren stets die Prüfungs- schönsten Insel Deutschlands, in Rügen. ren begonnen. Im Moment warte ich ge- zeiten, wenn ich bis nachts in der Biblio- (lacht) Und außerdem bin ich auf jeden rade noch auf die Zulassung zu meiner thek gesessen habe und nur wenig arbei- Fall verheiratet. Diplomarbeit. ten konnte. Das Gespräch führte Arik Platzek.

30 moritz #70 NEBENJOB universum

Fortsetzung von Seite 29 Hier können Greifswalder Studenten jobben gehen Erstere sind mit 42 Prozent, letztere mit 39 Prozent repräsentiert – im Bundesdurch- Arbeitgeber Branche Beschäftigte Lohn in Euro Bemerkung schnitt. Daneben existieren als Motive die Unabhängigkeit von den Eltern, Praxiser- Uni Hochschule 450 7,35 ab 1. Mai 2008, fahrung und postgraduale Kontakte. bisher 7,14 Bei der studentischen Erwerbstätigenquo- Euro te liegt M-V auf dem letzten Platz. Dank der von den Wirtschaftswissenschaftlern Wittcall Call-Center 450 5,70 – 6,00 Effektiver Stun- beschworenen „unsichtbaren Hand des denlohn; vari- Marktes“ finden sich aber auch in Greifs- iert nach Zahl wald trotzdem Möglichkeiten, Geld zu der Interviews verdienen.. In der norddeutschen Stadt, mit seinen Cinestar Kino 30 3,60 – 4,60 3,60 Euro im 1. mittlerweile über 100 Restaurants, Bars Monat, dann und Kneipen, sind viele Studenten in der nach Qualifika- Gastronomie beschäftigt. Dieser Teil des tion, für Studenten relevanten Arbeitsmarktes kostenloser reicht vom Pizza-Service bis zu den geho- Eintritt benen Hotels der Stadt. Ebenso groß sind die Unterschiede im Einkommen. Ange- Burger King Gastronomie 30 5,00 fangen bei 3,60 Euro pro Stunde, findet sich der Großteil bei Stundensätzen um die 5 Euro entlohnt, teilweise zusätzlich um eine Umsatzbeteiligung oder das Trink- teleperfo- Call-Center 30 Keine Angabe geld bereichert. Vereinzelt werden auch mance mehr als 7 Euro gezahlt, vor allem dort, wo besondere Qualifikationen erforder- Alter Fritz Gastronomie 20 5,11 lich sind. Oder wenn, was auch eher selten passiert, nach Tarif bezahlt wird. Mancher Joeys Pizza Gastronomie 20 4,20 – 5,00 Arbeitgeber zahlt sogar Nachtzuschlag und Urlaubsgeld. McDonalds bietet kein McDonalds Gastronomie 20 6,14 Nachtzuschlä- billiges Essen, aber 100 Prozent Feier- ge, 100 Prozent tagszuschlag. Cinestar-Mitarbeiter dürfen Feiertagszu- außerhalb der Arbeitszeit kostenlos Filme schlag, Urlaubs- schauen. Student Iven Olak sagt dazu: „Für geld mich ist das nicht entscheidend, ich war seit letztem Juli erst einmal im Kino. Aber Subways Gastronomie 15 5,00 – 5,50 die Arbeitsatmosphäre ist sehr gut.“ Sein Chef René Römer erklärt die Lage so: „Die Videothek Medienverleih 10 5,00 erstes Halbjahr: Filme bringen dem Kino bei diesen hohen „MovieStar“ 4,50 Euro Mieten keinen Gewinn. Geld verdienen wir mit Popcorn und Getränken.“ Doch Praktiker Bau- Einzelhandel 10 5,70 – 6,70 Tariflohn wer kauft noch Popcorn und Getränke, bei markt diesen Eintrittspreisen? Es ist ein bisschen kompliziert. real-Super- Einzelhandel 10 7,25 Tariflohn Die Gastronomie in Greifswald hat ins- markt gesamt keine große Lohnentwicklung durchgemacht: Die Löhne sind seit Jahren Domburg Gastronomie 10 5,00 plus Umsatzbe- konstant, bei ständig steigenden Preisen. teiligung Ex-Studentin Tanja Rönsch ging vor rund 15 Jahren für 10 Mark pro Stunde kellnern Mitt’ndrin Gastronomie 10 Keine Angabe (dazu Interview Seite 29). Andererseits ist gerade die Gastronomie stark an die regio- Smileys Gastronomie 10 3,60 bis 4,10 nale Wirtschaftskraft gebunden. Und auch Euro der gutwilligste Wirt kann nur soviel Geld zahlen, wie ihm seine Kunden bringen. Außerdem bieten folgende Unternehmen Studentejobs an: NETTO, Janny’s Eis, Markt- kauf, Schüler & Studenten-Kolleg, Backfactory, Weiland, Universitätsbuchhandlung,

Foto: Arik Platzek Foto: weiter auf Seite 33 Pommersches Landesmuseum, toom-Baumarkt, Bäckerei Junge, u.v.a.

moritz #70 universum 31 NEBENJOB universum „Technisch nicht anders möglich“ Wittcall-Vertreter über Toilettengänge und Transparenz zahlung von 5 Euro pro Stunde nicht der Realität entspricht. Denn es wird nur die Zeit abgerechnet, in welcher man im Call- System eingeloggt ist. Wer auf die Toilette geht, wird also nicht mehr bezahlt. Weiß: Das ist richtig, aber das finden Sie bei anderen Call-Centern genauso. Wir können unsere Caller nur nach effektiver Arbeitszeit bezahlen, also immer dann, wenn sie wirklich im System eingeloggt sind und Calls ausführen können. Außer- dem verkauft Wittcall keine Produkte, be- findet sich also in einem Marktsegment als viele andere Call-Center. Wittcall hat sich zudem gegen das interviewbasierte Lohn- modell entschieden und zahlt einen Basis- lohn, der unabhängig von den geführten Interviews gezahlt wird. Zusätzlich gibt Andreas Weiß studierte Geografie und Sport in Greifswald – und blieb. es Leistungszuschläge, so dass ein Caller auf 5,70 bis 6 Euro pro Stunde effektiver Neben der Universität ist das Call-Center keit und ein wenig Eloquenz. Ein spon- Arbeitszeit kommt. Verglichen mit der Wittcall der größte Arbeitgeber für Greifswal- tanes, freundliches und angenehmes Anfangszeit ist dieser Betrag sogar noch der Studenten. moritz sprach mit Andreas Erscheinungsbild am Telefon, welches ja gewachsen und wir beschäftigen heute Weiß, dem stellvertretenden Studioleiter. nur akustisch vermittelt wird. Man sollte mehr Caller als jemals zuvor. Und das ist aufgeschlossen sein und mit Menschen auch für die Studenten gut. moritz: Warum hat Wittcall gerade in umgehen können. Greifswald eine Niederlassung? moritz : Die Abrechnungen werden aber Andreas Weiß: Für den Standort sprachen moritz : Wittcall wird teilweise positiv auch als intransparent bezeichnet, da dort mehrere Gründe. Einmal die gute Grund- beurteilt, weil die Terminvergabe ziemlich stets nur ein Endbetrag steht. qualifikation der Caller, die in der Mehr- flexibel verläuft und auf die Bezahlung Weiß: Das ist technisch nicht anders zahl Studenten sind. Es war auch Rostock Verlass ist. Trotzdem gibt es immer wieder möglich, Auftragsdatenverarbeitung und im Gespräch. Jedoch hat Wittcall sich we- Kritik, dass die versprochene „gute“ Be- Buchhaltungssoftware sind getrennte Sys- gen der hohen Zahl anderer Call-Center in teme. Eine genaue Aufschlüsselung wäre Rostock für Greifswald entschieden. Das Unternehmen möglich, aber nur manuell durchführbar. Auf diese Personalkosten möchten wir moritz : Was für Tätigkeiten muss ein 450 Studenten beschäftigt die Wittcall zugunsten unserer Caller verzichten. Über Mitarbeiter ausführen? Medien GmbH & Co.KG in der Hanse- den durchschnittlichen Verdienst und die Weiß: Wittcall macht nur Markt- und Mei- stadt. Als Zweig der Hauptniederlas- Zahl geführter Interviews können sich un- nungsforschung, vertreibt also keine Pro- sung in Wittenhagen nahm das Call- sere Caller jederzeit bei ihrem Supervisor dukte. Das macht schon mal einen großen Center im Mai 2006 mit 30 Plätzen den oder bei mir informieren. Auch bei ande- Unterschied zu anderen Call-Centern aus. Betrieb auf und ist seitdem gewach- ren Fragen zur Abrechnung bin ich immer So führen unsere Caller natürlich auch nur sen. Neben Studenten sind etwa 100 gerne da. Outbound-Calls, wobei die angerufenen weitere Call-Center-Agents, haupt- Nummern von einem Rechner zufällig sächlich Schüler, aber auch Rentner, moritz : Stimmt es nicht, das die Caller generiert werden. Ansonsten gibt es von beschäftigt. Wittcall arbeitet für Em- bei Systemausfall warten müssen bis es unseren Auftraggebern sehr detaillierte nid/Emnitel und infratest/dimap im läuft und derweil kein Geld verdienen? und strikt vorgegebene Fragebögen, die Bereich der Markt- und Meinungsfor- Weiß: Das ist so nicht richtig. Wittcall be- unsere Mitarbeiter abfragen müssen. Eine schung. Die Lohnspanne für Caller in zahlt ein Ausfallgeld, welches sich aus dem Einarbeitung in den Fragebogen ist des- Mecklenburg-Vorpommern liegt bei durchschnittlichen Stundenverdienst des halb wichtig, aber wenn das geschafft ist, 850 bis 1700 Euro, im Schnitt bei 1112 Callers berechnet. Im Übrigen sind diese kann es auch schon losgehen. Euro brutto. Details zu den eigenen Ausfälle sehr selten. Und tatsächlich geht Löhnen für Festangestellte verrät das jeder normale Caller nach 4 Stunden ef- moritz : Welche Fähigkeiten braucht ein Unternehmen nicht. Laut eigener An- fektiver Arbeit auch mit rund 23 Euro nach solcher Caller? gabe erhält es keine Fördermittel. ap Hause, das ist sicher. Weiß: Natürlich Kommunikationsfähig- Das Gespräch führte Arik Platzek.

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Fortsetzung von Seite 32 SUD-Etudiant rund 40.000 Studentinnen ihr Studium durch Prostitution bestreiten. Nicht zuletzt sind Studenten aus anderen Ursache für die Lage: Den deutschen Ver- Städten häufig nicht wenig erstaunt über hältnissen ähnliche Kosten bei geringerer die niedrigen Cocktailpreise. Größer ist staatlicher Unterstützung. Studentische meist nur noch das Erstaunen über den Prostitution gibt es auch hier, wie der Uni- geringen Verdienst. SPIEGEL im Januar berichtete.

Alternativen zum Tablett Was übrig bleibt

Neben der Gastronomie sind die Uni und Am Ende steht die Erkenntnis, dass es das Call-Center „Wittcall“ die größten Ar- schlechter sein könnte. Wenn auch nicht beitgeber für Studenten, mit je rund 450 viel. Aber bei der Frage nach gerechtem Beschäftigten. Während sich an der Uni Lohn und bei allem sozialen Wollen er- Beschäftigte über eine hohe Bezahlung schiene es doch paradox, wenn Studen- freuen können, lauert hier das Manko wo- ten deutlich mehr verdienten als entspre- anders. Nur wenige kommen auf die maxi- chend qualifizierte Fachkräfte. mal möglichen 400 Euro. „In der Regel sind So trifft ein knappes Budget oft besonders es Verträge über 20 Stunden, das hängt die Studenten, die auf ihren Job angewie- vom Professor ab“, berichtet Thomas Lan- sen sind. Bei fehlendem Finanzpolster ge von der Personalabteilung für studenti- werden auch schlecht bezahlte Stellen sche und wissenschaftliche Hilfskräfte der schnell angenommen. Schlecht bezahlte Universität. „Manche geben auch 40 Stun- Jobs führen zu geringen Rücklagen und den oder in Ausnahmefällen 80 Stunden. die Notwendigkeit, demnächst wieder Normalerweise sind es ungefähr 20 bis 25 eine schlecht bezahlte Stelle annehmen Stunden“, fügt Lange hinzu. zu müssen, bleibt oder wächst. Außerdem Wittcall macht mehr möglich, erfordert erzeugt dieser Kreislauf persönliche und aber auch einen hohen Einsatz. Wer auf volkswirtschaftliche Mehrkosten durch ein 400 Euro kommen möchte, muss an vier verlängertes Studium. Fünf bis sechs Euro Tagen in jeder Woche professionelle statt Angelo Kalies geht gratis ins Kino. sollten bei den meisten Jobs in Greifswald privater Telefongespräche führen. Zusätz- drin sein. Wo es weniger ist, kann man lich sind die Call-Center-Agents an zwei teures Studium“ erzählte, wie sie ihr Studi- hinschauen, nachfragen und berichten. Sonnabenden im Monat arbeitspflichtig. um mittels Prostitution finanzieren muss- Denn jeder Student ist Konsument. Ob in Gut dran ist, wer sich über wenige Pflicht- te. Ein französischer Minister warnte vor Hinblick auf unser Budget oder lohnpoli- veranstaltungen freuen kann. einem „studentischen Proletariat“, in dem tisch: Im bewussten Konsum liegt wohl laut französischem Studentenverband unsere größte Macht. ap Sie sind überall

Daneben finden sich studentische Ange- Wie viel darf ein Student verdienen? stellte in fast jedem Bereich. Videotheken, Einzelhandel, produzierende Firmen und BAföG: BAföG-Empfänger dürfen 4.206 Euro in einem Bewilligungszeitraum von Verbrauchergroßmärkte bevorzugen Ar- zwölf Monaten dazuverdienen, bzw. ein Zwölftel des Betrages für jeden Monat des beitskräfte mit hoher Arbeitsmotivation, Bewilligungszeitraums. Jeder Euro, der diesen Freibetrag übersteigt, wird als Einkom- geistiger Flexibilität, guten Umgangs- men angerechnet und damit wird die Förderung um diesen Betrag gekürzt. Wer bei formen und der Fähigkeit, die Grundre- der Antragsstellung ein niedrigeres voraussichtliches Einkommen angegeben hat, chenformen auch noch Jahre nach ihrem als er tatsächlich erzielte, erhält einen Rückforderungsbescheid über das zuviel ge- Abitur anzuwenden. Insbesondere ange- zahlte BAföG, wenn das Einkommen den Freibetrag übersteigt. Ab 1. Oktober 2008 hende Juristen und Betriebswirte können erhöht sich der Einkommensfreibetrag auf 400 Euro im Monat, also auf 4.800 Euro sich oft bei Rechtsanwälten und Steuerbe- im Jahr. Achtung: Regelmäßige zusätzliche Zahlungen von Eltern oder Großeltern ratern verdingen. Diese greifen gern auf werden vom BAföG-Amt auch als Einkommen betrachtet. qualifizierte Kräfte zurück, die dabei auch noch „günstig“ sind: 10 Euro pro Stunde Kindergeld: Kindergeld erhalten Eltern, deren Kinder in einem Jahr weniger als 7.680 sind hier möglich. Soviel bekommen in Euro Einkünfte hatten. Sind die Kinder erwerbstätig (dazu zählt auch der Studi-Job), anderen Bundesländern Werksstudenten erhöht sich der Betrag um 920 Euro. BAföG wird um den Zuschussteil angerechnet, am Fließband. Noch. also zur Hälfte. Das BAföG-Darlehen bleibt hier außer Betracht. Unbedingt beachten: Liegt das Einkommen einen Euro über dem Grenzbetrag, wird das gesamte Kinder- Über Deutschland hinaus geld zur Rückzahlung fällig.

Bekannt geworden ist die französischen Krankenkasse: Die Einkommensobergrenzen sind unterschiedlich geregelt. ap

Foto: Arik Platzek (2) Arik Platzek Foto: Studentin Laura D., die in Ihrem Buch „Mein

moritz #70 universum 33 GESETZ universum Raucher oder Nichtraucher? Der ewige Streit um den blauen Dunst „Ich bin total gegen dieses Gesetz“, sagt Matthias Frank. Der Inhaber des Stahlwerks fühlt sich entmündigt und diskriminiert. „95 Prozent unserer Gäste sind Raucher. Für die meisten gehört der Rauch ein- fach zum Flair unserer Kneipe dazu.“ Des- halb wird das Gesetz bisher im Stahlwerk großzügig ausgelegt. „Der große Raum ist unser Nichtraucher-Bereich, aber bei Fuß- ballübertragungen oder geschlossenen Gesellschaften wird dort auch geraucht“, erklärt Frank. Bußgeldverfahren sind laut Gesetz ab August möglich. Bis dahin gilt eine Übergangsfrist, in der die Gastwirte noch alleinige Entscheidungsgewalt über die Rauchfreiheit haben. „Es halten sich noch viele nicht an das Rauchverbot“, sagt Frank. Beispiele lassen sich in Greifswald schnell aufzählen. So ist im Mitten‘drin, Ravic oder Pub.parazzi der blaue Dunst noch längst nicht verbannt.

Leere Aschenbecher

In den Greifswalder Clubs wird das Gesetz Zigaretten dürfen im Café Koeppen nur noch bis vor die Tür. hingegen schon umgesetzt. Im Geokeller herrscht seit August letzten Jahres Rauch- Die Aschenbecher türmen sich im Schrank. Forderung nach und einigten sich auf ein verbot. „Die Resonanz ist durchweg posi- Sie werden nicht mehr gebraucht. Im Café weitgehendes Rauchverbot. tiv“, sagt Toni Güth. Das Geokeller-Club- Koeppen gilt seit Beginn des Jahres strik- Die Landesregierung Mecklenburg-Vor- Mitglied begrüßt das Gesetz. „Für mich ist tes Rauchverbot. Der lässige Griff nach der pommerns hat sich schon früh den Schutz die Arbeit besser, weil ich selbst Nichtrau- Zigarette ist nicht mehr möglich. Jörn San- der Nichtraucher auf die Fahnen geschrie- cher bin. Geraucht wird eben im Freien. der ist enttäuscht. „Bier und Zigarette ge- ben. Das Nichtraucherschutzgesetz des Die meisten halten sich daran.“ hören für mich zusammen“, sagt der Lehr- Landes sieht in zahlreichen Einrichtungen Auch im Mensa-Club gilt das Rauchver- amtsstudent. Das Drehen einer Zigarette ein striktes Rauchverbot vor. Untersagt ist bot. „Die Möglichkeit, draußen zu rau- geht ihm schnell von der Hand. Jahrelan- das Qualmen in Ämtern, Bildungs-, Ge- chen, wurde von unseren Gästen bisher ge Übung. Blatt raus. Tabak rauf. Schnell sundheits- und Kultureinrichtungen, Dis- sehr gut angenommen“, sagt Silvio Zenk. gedreht. Fertig. „Rauchen ist cool“, sagt kotheken, in öffentlichen Verkehrsmitteln Das Mitglied des Studentenclubs kann er mit Blick auf den Glimmstängel. Über und in Gaststätten. von keinen Problemen berichten. „Unser fünfzehn Zigaretten raucht der 25-Jährige Publikum ist das Gleiche geblieben und pro Tag. Bis vor wenigen Monaten hätte Ausgeraucht Konflikte sind durch die neuen Regeln er sich seine Selbstgedrehte im Koeppen auch nicht entstanden.“ einfach anzünden können. Doch heute „Wir müssen und wollen das Gesetz be- Nichtraucher freuen sich. „Ich bin froh, muss er vor die Tür. achten“, sagt Catrin Gläser. Die Angestellte dass ich jetzt weggehen kann, ohne dass im Koeppen begrüßt das rauchfreie Arbei- meine Klamotten nach Rauch riechen“, Gesetz besiegelt Rauchverbot ten. „Als Nichtraucherin finde ich es sehr sagt Jonas Wipfler. „Die Luft ist in den Clubs viel angenehmer.“ Das Publikum hat sich besser und meine Augen sind nicht mehr Früher galt Deutschland als Raucherpara- durch die neuen Regeln gewandelt. „Es so schnell gereizt.“ Die Freude der Raucher dies. Die Interessen der Nichtraucher setz- kommen deutlich mehr Ältere zu uns als hält sich hingegen in Grenzen. „Die Nicht- ten sich aber immer deutlicher durch. Im früher“, sagt Gläser. Beschwerden von Rau- raucher sollten sich selbst schützen kön- Februar des vergangenen Jahres sprachen chern habe es noch keine gegeben. „Die nen“, erklärt Jörn Sander. „Ich werde mich sich die Gesundheitsminister der Bundes- Raucher gehen raus, rauchen und kom- sicherlich noch öfter darüber ärgern. Vom länder für einen umfassenden Nichtrau- men wieder rein. Das ist kein Problem.“ Rauchen kann mich aber auf jeden Fall cherschutz aus. Im darauf folgenden März Allerdings stoßen die neuen gesetzlichen kein Gesetz abbringen.“ kamen die Ministerpräsidenten dieser Regelungen nicht überall auf Gegenliebe. grip

34 moritz #70 GESUNDHEIT universum Studentenfutter Schlingst du noch oder isst du schon? BWL-Student Martin steht vor seinem Kühlschrank und grübelt über das Mit- tagessen. Er war gerade vier Stunden lang in der Universität. Ein warmes Essen war da nicht möglich. „Schnell etwas essen!“, denkt der Betriebswirtschaftler. Mit gerin- gem Aufwand bereitet der Ökonom ein Gericht, was satt macht. Eine Vier-Käse- Pizza, wie die letzten Tage auch schon.

Morgenstund hat nichts im Mund

„Studenten weisen im Allgemeinen ein eher ungünstiges Essverhalten auf“, sagt Carmen Schwieger, Ernährungsberaterin der AOK Greifswald. Das beginnt schon mit dem Frühstück. Am Morgen isst Martin nicht: „Ich habe wenig Zeit und keinen Ap- petit.“ Auch Sophia Seemann ist morgens Lieblingsspeise: Tiefkühlpizza. Das geht fix und macht satt. in Eile. „Es reicht für einen Kaffee und eine Zigarette vor der Uni“, sagt die Skandina- gründet: „Die Studenten können sich ja ihr fungszeit werden Süßigkeiten auch gerne vistikstudentin. Dabei ist die erste Mahl- Essen selbst zusammenstellen.“ Die Stun- als Belohnung für das anstrengende Ler- zeit des Tages wichtig. Denn im Schlaf denten sind insgesamt eher zufrieden mit nen vertilgt. „So habe ich mehr Zeit zum wird Energie verbraucht. Um am nächs- dem Speiseangebot. „Kritikpunkte gibt Lernen“, meint Susanne Kleinen, Studentin ten Tag wieder leistungsfähig zu sein, ist es überall. Denn kochen kann jeder, also der Politikwissenschaft. Sie isst während ein Frühstück essentiell. Schwieger weiß, kann da auch jeder mitreden“, erklärt Sieg. der Prüfungszeit hauptsächlich Fastfood dass Kohlenhydrate und Ballaststoffe, wie Allerdings muss die Abteilung der Mensa und oft Schokolade. Dauerhaft müssen Brot und Müsli gut geeignet sind. „Diese den finanziellen Rahmen, die technischen Alternativen gefunden werden, zum Bei- sättigen lange und halten den Blutzucker und personellen Möglichkeiten bei der spiel ein besserer Umgang mit Stress. konstant.“ Die Expertin rät: „Wer morgens Planung berücksichtigen. Auch über eine Während der Vorlesungszeit ernährt sich nichts essen kann, sollte zumindest Flüssi- Verlängerung der Essensausgabe bis 14.30 die Studentin gesünder. „ Ich koche gerne ges mit Nährstoffen zu sich nehmen.“ Am Uhr wurde schon nachgedacht. Doch die mit meiner Mitbewohnerin. Dann gibt es Besten eignen sich dazu Milch oder Säf- Leiterin der Mensa betont: „Die Personal- oft Gemüse und manchmal Fleisch.“ cf te. Auch gegen Kaffee sei grundsätzlich decke ist sehr dünn und wir wissen nicht, nichts einzuwenden. ob es Bedarf gibt, die Öffnungszeit zu ver- . längern.“ Kommentar: Mehr Zeit zum Essen Du bist, was du isst Die „süße“ Prüfungszeit Ein warmes Mittagessen ist für Stu- Vielen Studenten ergeht es wie dem 22- denten nicht immer gewiss. Beson- jährigen Martin. Ungünstig gelegene „Das studentische Essverhalten ist oft ders „günstig“ ist es, wenn Lehr- Lehrveranstaltungen, die sehr früh, sehr durch Stress und Zeitmangel geprägt“, veranstaltungen in der Mittagszeit spät oder direkt aufeinander folgen, er- stellt Ernährungsberaterin Schwieger fest. stattfinden. Vor allem von 10 bis 14 schweren eine regelmäßige Nahrungs- Besonders stressig ist die Prüfungszeit. Uhr. Zwischendurch kann man dann aufnahme. Wenn er es schafft, isst er Brat- Das kann sich entweder in Appetitlosig- zur Mensa sprinten und in Rekordzeit wurst vom Senfladen in der Langen Straße. keit oder Verlangen nach Süßem und Un- das Essen verschlingen. Toll! Doch Seine Kommilitonen sind derweil auf dem gesunden äußern. Denn durch Stress wird das Problem könnte so einfach zu lö- Weg zum nächsten Bäcker, haben einen mehr Insulin freigesetzt, daraufhin sinkt sen sein: Eine Verlängerung der Öff- Döner in der Hand oder laufen schnell in der Blutzuckerspiegel. Das führt dazu, nungszeit um 30 Minuten. Evelin Sieg die Mensa. „Das Studentenwerk Greifs- dass wir Süßigkeiten essen. Kurzzeitig ist erklärt, dass die Abteilung der Mensa wald verpflegt pro Tag etwa 3000 Men- der Körper leistungsfähiger. Allerdings nicht weiß, ob Bedarf dafür bestehe. schen“, sagt Evelin Sieg, Ansprechpartne- wird dann wieder Insulin freigesetzt, der Doch warum nicht bei den Studen- rin für studentisches Verpflegen. Davon Blutzucker sinkt rapide. Ein Teufelskreis. ten nachfragen? Lieber nicht, denn sind über 90 Prozent Studenten. Sieg ist Ein schwankender Blutzuckerspiegel ist so viel Stress schlägt schließlich auf sich sicher, dass das Essen einen Beitrag oft verantwortlich für mangelnde Konzen- den Magen. cf zur gesunden Ernährung leistet. Sie be- tration und Schwindel. Während der Prü- Foto: Grit Preibisch, Christine Fratzke Grit Preibisch, Foto: moritz #70 universum 35 universum

36 moritz #70 INTERNATIONAL universum Immer und überall aktiv GrlStuF-Schirmherr Jakob von Uexküll reist viel herum Er ist Stifter des „Right Livelihood Awards“, des Alternativen Nobelpreises und gründete vor einem Jahr die „World Future Organiza- tion“. Bald kommt Jakob von Uexküll in die Hansestadt.

moritz: Brauchte es viel Überredungs- kunst Sie von GrlstuF zu überzeugen? Jakob von Uexküll: Nein, ich komme gern weil ich das Festival für wichtig halte!

moritz: Sie waren schon einmal in Greifswald. Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben? von Uexküll: Das große Interesse der Teil- Der 64-jährige Schwede macht auf die Bedeutung der Erde aufmerksam. nehmer, aber auch – als Schwede – die Geschichte. moritz: Sie waren außerdem für die moritz: Können Sie uns schon verra- „Grünen“ im Europäischen Parlament. Ihr ten, welche vier Personen in diesem Jahr moritz: Sind Sie die vollen zwei Wochen Ausflug in die Politik endete schon nach Preisträger des Alternativen Nobelpreises hier unterwegs? vier Jahren freiwillig. Was war der Grund werden? von Uexküll: Nein, ich kann leider nur für dafür? von Uexküll: Das entscheidet die Jury erst zwei Tage kommen, einen Vortrag halten von Uexküll: Es war eine wertvolle Erfah- im September. und Gespräche führen. rung, aber nicht meine Welt. Das Gespräch führte Maria Trixa. GrIStuF schweißt zusammen Tatkräftige Unterstützung durch zweiten Praktikanten

Das Ereignis des Sommers in Greifswald Luft schnupperte. „Mein Prinzip ist, so viel rückt näher! Okay, für den einen mag es zu helfen wie möglich“, meint Dobrosav, die bevorstehende Fußballeuropameis- viele Teilnehmer engagieren sich auch in terschaft sein, für den anderen ist es das Projekten und Organisationen daheim. Im Greifswalder International Students Festi- Vordergrund stehen nicht unbedingt die val (GrIStuF), im Idealfall freut man sich auf Workshops, sondern viel mehr die Begeg- beides. Während derzeit im GrIStuf-Büro nung mit anderen Studenten. die Auswahl getroffen wird, wer als Gast nach Greifswald aus dem Ausland kom- Resonanz in der Stadt men darf, sich die ersten Hosts gemel- det haben, warten natürlich außerhalb Während das Studentenfestival im Aus- Deutschlands die Bewerber. In vielen Unis land und auch unter den Studenten hier außerhalb Deutschlands hängen die Wer- Dobri aus Serbien war schon hier. auf große Begeisterung und Resonanz beposter bereits seit einem halben Jahr trifft, scheint der Glamour und Hype in aus. Ist das Bewerbungsprozedere erst augenscheinlich hat es ihm so gut gefal- Greifswald selbst unterzugehen. Laut einmal überwunden, so kommen Hun- len, dass der Serbe die bürokratische Pa- Angaben der Stadtinformation ist das derte ausländische Gäste nach Greifswald. pierschlacht überwunden hat und jetzt Studentenfestival unter den Einwohnern Die Reisekosten tragen die Teilnehmer, ebenfalls wie Laure Saint-Yves (moritz kaum bekannt, was schade ist und auch während Workshops und Eintrittspreise 69) eine Praktikantenstelle beim GrIStuF bedauert wird. Jedoch könnte sich dies während des Festivals gratis sind. e.V. antrat. „Ich war so begeistert von al- womöglich in diesem Jahr ändern, man lem!“, sagt Dobri in einem wirklich guten darf gespannt sein und sich gerne noch Lust auf Greifswald Deutsch. Für den Germanistikstudenten einbringen! Es bleibt also spannend, vor aus Belgrad war das 2005er Festival sehr allem die Reaktionen nicht nur seitens der Dobrosav Jankovic war 2005 zum ers- wichtig, da er Kontakte knüpfte, Deutsch- Studenten, sondern auch der Greifwalder

Foto: Maria-Silva Villbrandt Maria-Silva Foto: ten Mal als Participant in Greifswald, land kennenlernte und internationale Bürger zu beobachten. msv

moritz #70 universum 37 GESELLSCHAFT universum

Stoellger hatte zuvor mit versierter Elo- quenz grundlegende Fragen zum Frei- Die sichere Freiheit heits- und Sicherheitsempfinden erörtert. Sicherheit könne nie Selbstzweck sein, be- Diskussion: Bürgerrechte kontra Sicherheit tonte er, sondern immer nur ein Mittel zur Gewährleistung von Freiheit. Hierzulande fuße das Bewusstsein für eine persönliche Handlungs- und Meinungsfreiheit auf der Basis des demokratischen Rechtsstaates. Die Befugnisse dieses Staates machten die Ausprägung einer bestimmten Freiheits- wahrnehmung erst möglich. Konkret brachte dies der Innenminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), zum Ausdruck – wenn auch in ermüdender Rhetorik. Der Handlungsspielraum von Bund und Län- dern müsse den Gegebenheiten der Glo- balisierung angepasst werden. Die strikte Trennung von innerer und äußerer Sicher- heit sei in Zeiten des internationalen Ter- rorismus nicht mehr gegeben.

Angst schränkt Bürgerrechte ein

In einer abschließenden Podiumsdiskussi- on, die vom Studentenpfarrer Dr. Konrad Glöckner geleitet wurde, gab der ehema- lige Vizepräsident des Landesverfassungs- gerichts M-V, Helmut Wolf, zu bedenken, Prof. Philipp Stoellger, Lorenz Caffier, Dr. Konrad Glöckner, Helmut Wolf dass der Fokus auf den Terrorismus bei der Ausweitung von Gesetzen ein „relativ Auf der Landstraße durchfährt man eines lische Studentengemeinde (ESG), die ihr kurzfristiger Prozess“ ist. Der sogenannte Tages eine Radarkontrolle. „Verdammt! Absolvententreffen zum Anlass nahm, um „große Lauschangriff“ war in den 1990er War ich wieder zu schnell?“ Nein. Dies war über das Thema „Grenzen von Freiheit und Jahren primär zur Bekämpfung des „or- nur eine allgemeine Erfassung von Fahr- Sicherheit in der offenen Gesellschaft“ ganisierten Verbrechens“ angedacht wor- zeugdaten mit dem Ziel, gesuchte Straftä- nachzudenken. Das Motiv des Überwa- den. Dies jedoch schwand nach dem 11. ter ausfindig zu machen. Eigentlich doch chungsstaates war einigen Teilnehmern September 2001 aus dem öffentlichen eine gute Sache. Ich habe doch nichts noch sehr wohl präsent; hatten sie doch in Bewusstsein. zu verbergen. Aber andererseits, wenn den 1960er Jahren in den damaligen Räu- Resümierend verdeutlichte Professor Sto- ich erst einmal irgendwo erfasst bin, was men der ESG im Turm der St. Jacobi-Kirche ellger, dass die eigentliche „Macht des Ter- geschieht dann mit den Daten? Und was eine Wanze des Ministeriums für Staatssi- rors“ auf der medialen Ebene liege und er ist, wenn es noch weiter geht: Kontrolle cherheit ausfindig gemacht. seine destruktiven Ziele durchaus verfolgt des Onlineverkehrs oder gar eine geziel- Während man damals noch über die Aus- sehen kann, wenn sich Europa von einer te Durchsuchung? Wenn erst einmal eine sage schmunzeln konnte, „die DDR-Mikro- „freiheitlichen Wertegemeinschaft“ zu ei- Sache gesetzlich zugelassen ist, folgt bald elektronik ist einfach nicht klein zu krie- ner „abgeschotteten Festung“ entwickelt. die nächste! Und am Ende geht es noch gen“, machte Professor Hansjörg Geiger, Die Besetzung unserer Gedanken und so weit, dass man zivile Luftfahrzeuge ab- ehemaliger Staatssekretär des Bundesjus- Handlungsweisen durch derartige Bilder schießen darf. Aber das muss man heutzu- tizministeriums, Präsident des Bundesam- konnte kaum besser als an jenem Sonna- tage wohl letztendlich hinnehmen, wenn tes für Verfassungsschutz und des BND, in bend zum Ausdruck gebracht werden: Das man unsere „freiheitliche Grundordnung“ seinem anekdotenreichen Vortrag deut- milde Sonnenlicht schien in den barocken aufrechterhalten will. lich, dass die heutige Überwachungstech- Festsaal, in dem einen Tag lang über die in nik so gut wie spurlos installiert werden unserer Gesellschaft erworbene Freiheit Wie eine Wanze die Freiheit einschränkt kann. Er brachte eine grundsätzliche Skep- nachgedacht wurde – von den lautstarken sis gegenüber der voreiligen Legitimation „BFC Dynamo“-Fans und den gepanzerten Dies ist nur ein Beispiel für die Ambivalenz derartiger Eingriffe in die Privatsphäre des Polizeikräften bekam man hier nichts mit. der Begriffe „Freiheit“ und „Sicherheit“, Menschen zum Ausdruck. Wenn ein Ge- Lediglich ein Überwachungshubschrau- über die am 19. April 2008 auf einem öf- setz erst einmal vorhanden ist, so sei seine ber stand über allem. Ob sein Richtmikro- fentlichen Studientag in der Aula disku- Ausweitung nur noch eine Frage der Zeit. fon wohl aufzeichnete, was hier geschah? tiert wurde. Eingeladen hatte die Evange- Der Rostocker Theologe Professor Philipp aha

38 moritz #70 INSOMNALE feuilleton Kunstradeln mal anders Wie jeden Sommer zeigen Kunststudenten was sie können Weiße Leinwand, hier ein Strich, da ein Schau wird insbesondere thematisiert, diesem Jahr entschied man sich für den Punkt. Anhand des Titels versucht man dass Künstler von ihrer Kunst überleben Greifswalder Kunstfrühling. So wird in krampfhaft etwas zu verstehen, zu inter- müssen und dass sich dies oft als schwie- diesem Jahr die hellste Nacht des Jahres pretieren, um dann festzustellen, dass rig erweist. „Die Ausstellung >Kunst als der Höhepunkt der INSOMNALE sein, zur nicht immer alles einen Sinn haben muss, Lebensmittel< läuft Hand in Hand mit der Sommersonnenwende am 20. Juni wird oder doch? Na dann, ab durch den Greifs- INSOMNALE und bildet somit den ers- die feierliche Preisverleihung mit anschlie- walder Kunstfrühling! Unter dem Motto ten Greifswalder Kunstfrühling.“, so Nora ßender Kunstparty stattfinden. Das Ganze „IPP – INSOMNALE per Pedale – Kunst Steglich. tut weder der einen noch der anderen für Aktive“ könnte es ab dem 9.Mai eine Ausstellung einen Umbruch, denn auch wahnsinnig gro- im Pommerschen Landesmuseum ße Perfomance werden Videos gezeigt, die zeit- werden, über gleich im Max-Planck-Institut Ta u s e n d e laufen. von Stu- Im Rahmen der INSOMNA- denten LE gibt es Videoinstel- a u f lationen, Fotografien, d e m Malerei, also plump W e g gesagt das übliche z u m K u n s t p o t p o u r r i , M a x - aber dieses wird in Planck-In- Zusammenhän- stitut. Dort ge gesetzt. Das wird die heißt also, dass große Insom- die eine oder nale-Ausstel- andere mul- lung sein, wer timediale nicht zum ers- P e r f o - ten Mal davon mance gehört hat, wird jeden wissen, dass es b e - jedes Jahr eine an- dere Location gibt. Einen Ort, wo Kunst- studenten ihre Ar- beiten zeigen, welche am Schluss prämiert werden. Die Abkürzung rüh- IPP ist bewusst gewählt, r e n denn sie stellt zugleich w i r d . auch das Kürzel für das In- Das Be- stitut für Plasmaphysik dar, sondere im wo die Ausstellung ja zu se- Zeichen der Schlaf- hen ist. Kunst für Aktive ist losigkeit sozusagen, wird ein Aufruf sich gen Max-Planck- sein, dass der Besucher 24 Stunden Institut zu bewegen, um die Werke rund um die Uhr sich die Exponate im der 66 Kunststudenten zu sehen. Die Aus- D e r Max-Planck-Institut ansehen kann. Klar ist stellung obliegt einer freien Themenwahl G r e i f s w a l - Kunst Geschmackssache, aber die Chance seitens der Studenten, so dass man davon d e r Kunstfrühling ist eine Einblicke in die Greifswalder „Kunstszene“ ausgehen kann verschiedene Arbeitsstile Initiative des Caspar-David-Friedrich- zu erhaschen, sollte eine Radtour doch kennen zu lernen. Instituts der Universität Greifswald in allemal wert sein. Neben den großen Kunst, Frühling, Fahrrad? Zu viel auf ein- Zusammenarbeit mit der landesweiten Ausstellungen wird es auch Kolloquien, mal? Für die Radsportfaulen ist die Ausstel- Kunstschau. In den Vorjahren startete die Präsentationen, Führungen und Diskussi- lung „Kunst als Lebensmittel / Innenräu- INSOMNALE bekanntlicherweise in der onen geben. Und dann machen am Ende me“ – bis zum 6. Juni – im Pommerschen kürzesten Nacht des Jahres, daher auch vielleicht Punkt, Komma und Strich doch

Foto: Benjamin Schöler Foto: Landesmuseum zu empfehlen. Bei jener der Titel der Kunstausstellung, doch in noch einen Sinn. msv

moritz #70 feuilleton 39 MALER feuilleton Das große Kind Greifswalds Über das Leben und Schaffen Caspar David Friedrichs seine Heimat aber immer wieder auf. Vor allem bei seinen vielen Spaziergängen machte sich Friedrich Skizzen um sie später für seine Bilder zu verwenden.

Eigene Arbeitsweise

Abgeschieden von der Außenwelt schuf Friedrich in seinem Atelier anhand der Entwürfe seine Bilder. Ganz nach seinem Ge- schmack war es ihm möglich diese zu entwickeln, da er zu den ersten freien Künstlern zählte, die sich ausschließlich durch den Verkauf ihrer Bilder finanzierten. Wie ein Regisseur setzte er seine Werke zusammen, die selten der Wirklichkeit entsprachen. Doch genau dies machte sie so einzigartig. „Er benutzte eine Monta- getechnik, die erst später im 20. Jahrhundert üblich war. So wie wir es aus dem Kino kennen.“, erklärt Lißke. Diese einzelnen Teile zeichnete er sehr genau und schaffte somit ein Wirklichkeitsge- fühl, auch wenn das Dargestellte nie so zu finden war. Friedrich verzichtete außerdem auf Dramatik und obwohl die Kunst zu dieser Zeit durch den sonnigen Süden dominiert wurde, sträub- Erinnerungen in der Innenstadt te er sich dagegen nach Italien zu fahren und schlug sogar eine Einladung nach Rom aus. Lieber zeichnete er seine ihm bekannte Landschaft von Norddeutschland. Greifswald 1787 - nach Hilfe schreiend, versucht sich Christoffer Friedrich aus dem eisigkalten Gewässer zu befreien. Um ihn he- Von Kritik zu Lob rum erstreckt sich eine Eisdecke, die bei seinen Versuchen auf ihr Halt zu finden, nachgibt. Seine Arme rudern durch die Luft, Freunde machte sich der gebürtige Greifswalder allerdings nicht er schafft es nicht sich über Wasser zu halten, bis schließlich die immer. Sein zeitgenössischer Kritiker Basilius von Ramdohr ver- letzten Luftblasen an die Oberfläche dringen. stand seine neue Art der Kunst nicht. Auch Ludwig Richter, ebenso Der 13-jährige Caspar David Friedrich steht vor Kälte schlotternd wie Friedrich Künstler dieser Zeit, hinterließ in seinem Tagebuch am Ufer und muss dabei zusehen, wie sein eigener Bruder vor sei- keine freundlichen Worte über seinen Kollegen. „...die Bilder sind nen Augen ertrinkt, bei dem Versuch ihn zu retten. von kranker Schwermut durchdrungen und es geht von ihnen ein Schon früh verläuft das noch junge Leben Caspar David Fried- Fieberreiz aus, der den Betrachter verunsichert...“. Ja, er verstand richs nicht wie im Bilderbuch. Dennoch schaffte er es zu einem es mit seinen Bildern für Verwirrung zu sorgen. Insbesondere sei- der bekanntesten Künstler der Romantik zu werden. Wahrschein- ne unzähligen Rückenfiguren, die oftmals seine Ehefrau Caroline lich nicht zuletzt wegen seiner Schuldgefühle gegenüber seinem Bommer darstellten, werfen in dem Betrachter Fragen auf. „Man Bruder, die ihn dazu bewegten sich mit dem Sterben und der weiß nie, wo genau er gestanden hat. Es ist eine komische Pers- Vergänglichkeit des Menschen auseinanderzusetzen. Wohlmög- pektive und schafft keine Klarheit“, empfindet auch Lißke. lich brachte dieses Trauma seine einzigartige Kunst hervor, die in Neben seinen Kritikern fand Friedrich auch Begeisterte für seine seine Zeit irgendwie nie so richtig passte. Kunst. Einer seiner Fans war beispielsweise der preußische Kron- prinz und auch Russland interessierte sich für seine Werke. Die Anfänge seiner Kunst Bescheidenes Leben „Friedrich brach alle Kunstregeln, die man zu dieser Zeit auch nur brechen konnte“, meint auch Prof. Dagmar Lißke, Dozentin Seine rasche Popularität änderte seine Lebensweise allerdings am Caspar-David-Friedrich Institut. Den Anfang seines späteren nicht. Einfach und bescheiden führte er ein Leben fernab des künstlerischen Schaffens macht in Friedrichs Leben Johann Gott- weltlichen Genusses, vor seiner Heirat mit Caroline lebte er bei- fried Quistorp. Dieser war Zeichenlehrer in der damals kleinen nahe wie ein Mönch. Zeitgenossen Friedrichs erlebten ihn als Universität Greifswald. Ungefähr 100 Studenten aus der Umge- introvertierten und teils depressiven Künstler mit dem Hang zur bung besuchten die Lehrstätte um sich für ein Jahr weiterzubil- Melancholie, die auch nicht bei seinen Bildern verborgen bleibt. den. Friedrich dagegen lernte vier Jahre lang das Zeichnen von Zu gern unternahm er bei Sonnenuntergang oder auch bei Nacht Quistorp. „Offiziell eingeschrieben war er jedoch nicht. Zumindest einsame Spaziergänge um sein Lieblingsmotiv „Nacht“ immer haben wir keine Matrikelnummer von ihm gefunden.“, so Lißke. wieder aufs Neue zu verarbeiten. Als einziger der zehn Geschwister, der keinen handwerklichen Be- Auch sein Atelier wurde als Mönchszelle beschrieben, in der sich ruf ausübte, versuchte er als Künstler seinen Lebensunterhalt zu während seiner Arbeit kein einziger Gegenstand befinden durf- verdienen. Dabei lebte er in Kopenhagen oder Dresden, besuchte te. Die Utensilien, die er benötigte, bewahrte er in einem Neben-

40 moritz #70 MALER feuilleton

raum auf, da sie sonst, so Friedrich, das Aufsteigen der inneren Bilder ins Bewusstsein stören würden.

Verzweiflung und Franzosenhass

Seine Freunde verfrachtete Friedrich jedoch nicht in einen Ne- benraum. Hin und wieder suchte Goethe ihn in seinem Atelier auf, welcher sich zwar anfangs lobend über Friedrich äußerte, aber später auch kritisch seine Stimme gegen ihn erhob. Unfehlbare Treue beschied ihm allerdings sein alter Jugendfreund Ernst-Moritz-Arndt, der ihn in Dresden besuchte und sich mit ihm via Briefwechsel über politische Fragen austauschte. Beide Män- ner hegten tiefe Feindschaft gegen die französischen Besatzer in Dresden. Der Umgang mit Arndt bestärkten die nationalistischen Gefühle des Malers soweit, dass er eine patriotische Ikonographie schaffen wollte und der Krieg zwischen Deutschland und Napo- leon stürzte ihn so in Verzweiflung, dass er in Reisen durch sein Heimatland Zuflucht suchte.

In Vergessenheit geraten

Doch nach dem schnellen Erfolg kam der schnelle Abstieg. Der Realismus hatte Friedrich überrollt und die Romantik verdrängt. Ändern wollte er seinen Stil nicht und an die neue Zeit anpassen Der Meister selbst als Porträt schon gar nicht. „Es verhielt sich mit Friedrich damals nicht anders als heute mit der Musik oder Mode. Wenn etwas nicht mehr in ist, Friedrich neu entdeckt verschwindet es vom Markt“, räumt Lißke ein. Schnell geriet er in Vergessenheit bei seinen Zeitgenossen und Entgegen seiner Zeitgenossen, wird heute versucht das Erbe wurde erst im 20. Jahrhundert wieder entdeckt. Doch zunächst Friedrichs zu erhalten und nicht wieder in einer vergessenen Ecke wurden neun seiner Bilder bei dem Brand im Münchener Glaspa- verkommen zu lassen. An vielen Orten und Stellen ist Friedrich ge- last 1931 vernichtet und in der Nachkriegszeit verstaubten seine genwärtig in Greifswald zu finden. 1998 wurde die Caspar-David- Werke in den Kellern der Museen. Diese 120 jährige Missachtung Friedrich Gesellschaft hier gegründet und in der alten Seifensie- des Künstlers gehört jedoch zu einem einzigartigen Fall in der Ge- derei seines Vaters entstand das Caspar-David-Friedrich Zentrum. schichte der Malerei. Heute gilt er nun als wichtigster Maler der „Der Anfang war jedoch schwer. Denn wo man zunächst glaubte, deutschen Romantik und neben Deutschland bekunden sowohl es würde Geld fließen, blieb dieses dann doch aus“, berichtet Liß- das europäische Ausland als auch Amerika und Asien Interesse ke, Mitbegründerin der Gesellschaft. an ihm. „Verständlicherweise ist Friedrich bedeutungsvoll für den Dank Friedrich, der auf seinen Zeichnungen Datum und Ort hin- asiatischen Raum, denn er entspricht ihrem Gedanken der Ein- terlassen hat, ist dieses Jahr ein Bildweg von seinen Werken ge- fachheit mit seinen Bildern“, findet Lißke. plant, die er über Greifswald gezeichnet hat. „Anhand der Pers- pektiven der Zeichnungen können wir so Wegweiser aufstellen, wo Friedrich gestanden hat, um zu zeichnen“, meint Lißke. Doch auch die fernere Zukunft bezieht Friedrich in die Planungen Greifswalds ein. „Es ist angedacht, ein Museum über Friedrich auf der Erweiterungsfläche vor dem Pommerschen Landesmuseum zu errichten. Die Finanzierung ist noch nicht gesichert, so ist es ei- gentlich zu früh darüber zu sprechen. Das Land hat aber das Pro- jekt an erste Stelle auf der Liste für die vom Bund mitgeförderten Leuchtturm-Projekte gesetzt.“, so die Kuratorin Dr. Birte Frenssen. Zuletzt reiht sich zur Traditionserhaltung der seit 2001 verliehene Caspar-David-Friedrich Preis ein, um den großen Künstler in Erin- nerung zu halten und sich mit seiner Position aktiv auseinander- zusetzen. Zum dritten Mal erhielt eine Studentin aus Greifswald den Künstlerpreis, der außerdem auch in Dresden und Kopenha- gen verliehen wird. Denn Friedrich war mehr als ein melancholi- scher Romantiker. Vielmehr schaffte er seine eigene deutsche spi- rituelle Landschaftsmalerei, wie auch der französische Bildhauer David d´Angers fand: „Friedrich! Der einzige Landschaftsmaler, der es bislang vermochte, alle Kräfte meiner Seele aufzurühren, der Maler, der eine neue Gattung geschaffen hat: die Tragödie der

Foto: Katja Graf (2), Pommersches Landesmuseum Greifswald Katja (2), Pommersches Graf Foto: Friedrich heute: Grafiken von Christin Wilcken Landschaft.“ kg

moritz #70 feuilleton 41 CD feuilleton Trunken Vergesslich Abhauen Children Guillemots Girls of Bodom in Hawaii

Nach zwei Jahren Wartezeit melden sich Wer kann sich erinnern? In den 90ern gab „Girls in Hawaii“ sind fünf Jungs aus Bel- „Children Of Bodom“ nun mit ihrem sieb- es Chartstürmer namens Loona, Magic gien und haben mit Hula, Strand und ten „Blooddrunk“ zurück. Und was Affair und Technohead. Und in den 80ern Mädchen rein gar nichts zu tun. Also ei- passiert? Einmal gehört. Nichts. Noch mal stürmten MC Miker G & Deejay Sven oder gentlich sind sie genau das Gegenteil von gehört. Wieder nichts. Kein Mähneschüt- Kaoma die Singlecharts. Wer das noch dem, was der Bandname uns suggerieren teln oder Sprech-Chöre brüllen? Schon abrufen kann, wird zu seinem Wissen in möchte. Das ist aber die einzige Enttäu- seltsam. Denn eigentlich erwartet man von heuer eine englische Band akkumulieren schung, die man eventuell bei dieser Band den Finnen um Alexi Laiho knackige Gi- – die alle anderen bereits im Herbst 2008 erleben kann. Denn sonst gibt es bei ih- tarren-Sounds und Songs zum Mitgrölen. wieder vergessen haben werden. nen alles, was Musik immer so besonders Stattdessen: Einheitlich dahindröhnende Das liegt nicht daran, dass Guillemots mit macht: wunderschöne Melodien, etwas Stücke und Keyboard-Lines, die sich eher „Red“ keine eingängige Musik vorlegen kryptische Texte und Musik, bei der man nach Nightwish-Orgler Tuomas Holopai- – au contraire. Aber es bleibt dabei recht weiß, dass dort Menschen mit Herz hin- nen als nach Janne Wirman anhören. Eine seichter Pop, drapiert mit einigen Klang- ter den Instrumenten stehen. Schon das Eingängigkeit wie auf den vergangenen Anhängseln aus der Ethno-Kramkiste. Vorgänger (Debüt!)Album „From here to Alben fehlt. Die erste Hälfte geht einem Man spürt die Halbwertzeit in den Boxen there“ war in dieser Hinsicht mehr als eine gänzlich zum einen Ohr hinein, dreht eine rieseln, wenn die sehr schönen, oft ins Dis- Offenbarung und hat große Erwartungen Runde im Hirn und verlässt dieses, ohne kofalsett bugsierten Melodien von Sänger für das Nächste geschürt. Glücklicherwei- bleibenden Eindruck, zum anderen Ohr. Fyfe Dangerfield ertönen, untermalt von se sind diese erfüllt worden. In den 14 Laihos Gitarren-Soli, die sich mit Wirmans Synthiebeats- und Streichern. Beim Ope- Songs des erlebt man gefühlsmä- Keyboard duellieren, sind prägnant wie ner „Kriss Kross“ kommt gar ein Rave-Or- ßig mehr als in einem Zweistundenfilm. immer, aber spärlich eingesetzt. Auch sein chester zum Einsatz – das löblich schnell Tiefe Depression (Fields of Gold) wechselt Gesang lässt zu wünschen übrig, obwohl von einem Pet-Shop-Boys-Melodie-Klon sich mit leichtfüßiger Dramatik (Suns of sich an dem sogar Kollege Peter Tätgren zu abgelöst wird. Die Beats auf Track 2, „Big The Sons, Bored) und großer Sommerro- schaffen gemacht hat. Dahin gehen also Dog“, hat man so auch schon bei den Su- mantik (Summer Storm) spielend ab: Der potentielle Hits wie der Titel-Song oder gababes gehört. Immerhin frohlockt der perfekte Soundtrack für einen langen Tag „Lobodomy“. Doch, oh Wunder, ab der Song fast wie eine aufgedrehte Phoenix- mit Freunden jenseits des Vorlesungssaals. zweiten Hälfte wendet sich das Klangbild Nummer. Spätestens im Novembernie- Nicht umsonst heißt das kleine Meister- zum besseren. Mit „Banned From Heaven“ selregen wird der Sound von „Red“ aber werk auch „Plan your Escape“, denn es be- liefern die Finnen einen melancholischen nach lang-lang-ist’s-her klingen. Vieles auf schreibt wunderbar das Gefühl, wenn al- Midtempo-Hit ab. Und endlich. „Roadkill den elf Tracks gründet auf 80er und 90er les möglich und die absolute Freiheit nur Morning“ lässt die Whiskey-geölte Stimme Dancefloorhymnen, etwa zwischen D. Du- einen Schritt aus der Tür heraus zu finden des Fans zum Einsatz kommen. Nach ein ran und R. Williams. Heißt also nicht, dass ist. Wenn der Drang da wäre auszureißen, paar Bier mag dann auch das Haupt des man dazu nicht tanzen möchte. Für mehr dann wäre „Plan your Escape“ auf jeden geneigten Hörers wohl gesonnen nicken. reicht es bei den Guillemots aber diesmal Fall ein Album, das sich wunderbar auf Und als krönenden Abschluss schunkelt leider nicht. den Straßen dieser Welt machen würde. man dann mit einem alten Seemannslied Gegen das Vergessen hilft vielleicht noch Auch wenn es nicht ums Abhauen geht, in die Abenddämmerung. „Blooddrunk“ diese eine Eselsbrücke: Guillemot ist eng- sondern nur um eine Reise mit dem Zug: ist wie immer bestens produziert. Doch lisch für Trottellumme – kleine pinguinar- Dieses Album kann ein wenig Trost spen- nicht ganz ausgereift, bleibt es hinter den tige Klippenbrüter, deren Eier so geschickt den, wenn der Blick nach Hause doch mal hohen Erwartungen zurück. geformt sind, dass sie nicht in den Atlantik intensiver wird. Julia Obst – radio 98eins stürzen. Oder war‘s der Pazifik? bert Esther Müller-Reichenwallner – radio 98eins

42 moritz #70 CD feuilleton On the Road Bekann t Melodisch The K ooks Or ange The Notwist but Gr een

Es darf jetzt Sommer werden. Six-Pack, „Body of baywatch, face of crimewatch“ Nach sechs Alben seit 1990 haben sich die Grill und Stranddecke in den Kofferraum, – ein Top-Körper, dazu ein hässliches Ge- Bayern von The Notwist sechs Jahre Zeit das neue Kooks-Album in den Kassetten- sicht und aus ist es. Hohe Erwartungen gelassen, um einen Nachfolger für „Neon schacht, Zündschlüssel gedreht. Wo die weckt ein solcher Titel nicht. Er stellt eher Golden“ zu produzieren. Ob das nun dar- vier Engländer beim Vorgänger „Inside in/ ein ernstes Hindernis auf dem Weg zur An- an lag, dass die Band nebenher viel zu tun Inside out“ beim „Sofa Song“ aufhörten, lage dar. Ob die drei Dortmunder Jungs hatte oder ob man diesem großartigen wird auf „Konk“ fortgesetzt. nun clever waren, oder ihnen die ausge- Album viel Platz lassen musste, nur um Der oft etwas rohe Sound des Debüts schriebene Variante einfach nur zu lang: ihm als Werk Respekt zu zollen, ist nicht wich einer sorgfältigeren Aufstellung des Das erste professionell produzierte Album sicher. Sicher ist, dass es mal wieder Zeit Gitarrensets und der stets sehr präsent von „Orange but Green“ heißt schlicht wurde für ein Lebenszeichen aus dem gestellten Stimme von Luke Pritchard. Die „BobFoc.“ Und weil Oli, Kai und Jörn so lus- kleinen Örtchen Weilheim in Bayern. „The Backing Vocals sind jetzt auch sauber, die tig auf dem Plattencover herum turnen, Devil you + me“ heißt nun das Ergebnis. unterstützenden Melodien der Sologitar- bekommen sie eine Chance. Ein erster Das Schöne und gleichzeitig Andere an re gar überdurchschnittlich gelungen. Al- Hörgang lässt Zeit für Nebenbeschäfti- diesem Album ist, dass es zwar immer les Sperrige und Unausgegorene wurde gungen. Angenehm am Ohr vorbei, plät- noch die Notwist-typischen Elektroele- geplättet. Das mag der eine langweilig schern die 13 Songs in einem Wisch durch. mente hat, aber bei „The Devil you + me“ erwachsen schelten, der nächste als ener- Inspiriert wurden die Jungs, als Axel Rose das Augenmerk mehr auf die Melodien gielos bedauern und eine Dritte schimpft noch voller Zerstörungswut „Welcome to gelegt wird. Zunächst scheint das ein we- es den Fluch des zweiten Albums. So the Jungle“ durch die Musikwelt schrie. nig untypisch. Wenn in Liedern wie „Gloo- what? The Kooks wollen nach eigener Ver- Sollten die Kindergartenfreunde Oli und my Planets“ die gute alte Akkustikgitarre lautbarung nur lässige Popsongs machen, Kai geplant haben, deshalb eine deutsche einen großen Stellenwert erhält, kommt zu denen sich Menschen verlieben oder „Guns N‘ Roses“-Adaption zu gründen, nicht das Gefühl auf, die Band zu hören, auch lieben. Und dazu vielleicht noch an ist dies schief gegangen. Sehr gut. Keine die vor sechs Jahren „Neon Golden“ her- den Strand fahren. Diese Ansage lösen The das Gehirn belastenden Endlos-Kreisch- ausbrachte oder das noch viel elektroni- Kooks mit den neuen dreizehn Tracks klar schlaufen animieren zu Hörpausen. Viel- schere und verschrobene „Shrink“. Doch ein. Auch wenn ihnen nach wie vor das mehr wird die Wiederholtaste gedrückt, bei genauerem Hinören, stellt man fest, Genie zur 100-Prozent-Killernummer fehlt, um vielleicht ein oder zwei Songs für wie viele wunderbare kleine musikalische tendieren zwei, drei Songs zu potenziellen den späteren Gang zum Vorlesungssaal Kleinigkeiten versteckt sind und das sich Indie-Pop-Sommer-Hits. „Shine On“ ist ein im Kopf zu behalten. Was sich als nicht dieses neue Album trotzdem gut in die Ohrwurm, der schon mal für den nächs- sehr schwer herausstellt. Denn irgendwie Reihe seiner Vorgänger einbaut. Was in ten Werbespot von Mondscheintarif, Eis kommen einem die Melodien des öfteren jedem Fall geblieben ist, sind die nach- am Stil oder freundlicher Kernenergie her- verdächtig bekannt vor. 1979 beherrsch- denklichen, etwas düsteren Texte, die in halten kann. te der Franzose Patrick Hernandez schon der unverkennbaren Stimme von Markus Die meisten Songs sind simpel und über- mit „Born to be Alive“ fünf Wochen die Acher vorgetragen werden. Die Musik ist schaubar. Man könnte es auch die gut ge- deutschen Charts. Auch andere Werke voller Textzeilen, die einem schon nach machte Ausblendung der Indie-Pose nen- heben sich trotz Ohrwurmcharakter nicht dem ersten Hören im Kopf bleiben. Ein be- nen. Knappe 45 Minuten, die angenehm durch ihre Innovativität hervor, sondern sonders schönes Beispiel dafür findet sich vorbeihauchen wie eine warme Sommer- erinnern an eingängige Klänge, zu denen im Song „Where in this World“ in dem es brise. Drängt sich im Anschluss nur diese schon tausend Mal im Club abgehottet heißt: „there is no escape from this circling eine Frage auf: „Kannst Du den Schlüssel wurde. Sie sind frisch und sie rocken, klar. place“. Wie wahr. noch stecken lassen?“ bert Doch neu ist das nicht. mt Esther Müller-Reichenwallner – radio 98eins

moritz #70 feuilleton 43 KINO feuilleton Keanus kurzer Prozess „Street Kings“ von David Ayer Wecker, Knarre putzen, sich entleeren über der Kloschüssel, Wodka nachgießen – so beginnt kurz vor Sonnenuntergang der übliche Arbeitsalltag von Polizist Tom Ludlow (Keanu Reeves). Seine illegale, aber effektive Arbeitsweise lässt ihn über Lei- chen gehen. Wo Tom das Grobe erledigt, nehmen sich seine Kollegen und sein Cap- tain, der wie ein väterlicher Freund wirkt, der Verschleierungsarbeit an. Korruption auf polizeilicher Seite zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Film. Mit viel Mühe lässt sich Kritik an der Schnell- schusspolitik der Polizei bei Gefahr im Ver- Eines der spannendsten Breitwandbilder des 107 Minuten langen Films. zug herauslesen und auch Rassismus wird kurz und oberflächlich thematisiert. Doch den. Hugh Laurie – besser bekannt als Dr. Reeves, einen Lichtblick. Wie so oft sind der Film hat sich definitiv nicht der Ge- House – zeigt sich bezeichnenderweise in am Ende die Guten eigentlich die Bösen sellschaftskritik verschrieben. Stattdessen einem Krankenhaus das erste Mal auf der und Keanu Reeves der schöne Held mit werden dem Kinopublikum detailliert zer- Leinwand. Vom Schatten seiner Paraderol- Makeln. Wer seichte, actionreiche Unter- schossene Köpfe und fleischige, blutende le vermag er sich während des gesamten haltung sucht wird hier weder vom Inhalt Wunden präsentiert. Kosten und Mühen Films nicht zu lösen. Einzig Forest Whita- noch durch unvorhersehbare Wendungen für zu viele Einsichten wären weit besser ker in der Rolle des Captains bietet, neben überrascht. in amüsantere Dialoge investiert wor- einem knapp durchschnittlichen Keanu wf Ritterlichkeit vs. Realität „Der rote Baron“ von Niki Müllerschön Niki Müllerschön, Regisseur und Dreh- Schweighöfer) erringt im 1. Weltkrieg zahl- Ritterlichkeit und ehrbarem militärischen buchautor zahlreicher TV-Produktionen, reiche Siege in seinem signalroten Kampf- Verhalten einem zwar mutigen, doch wagte sich diesmal als Produzent des flugzeug. Als Held der Nation gefeiert, wird auch narzisstischen, scheuen und zerris- Historienepos „Der Rote Baron“ an ein er elementares Mittel der Propaganda. senen Menschen weichen, der den Luft- weitaus größeres Projekt; mit 18 Millionen Seine Liebe, Krankenschwester Käte (Lena kampf als Rausch zugleich auch als Flucht Euro Produktionskosten weit über dem Headey), öffnet ihm jedoch die Augen für vor dem eigenen Ruhm betrachtet. In der deutschen Durchschnitt von fünf Millio- den Schrecken des Krieges. Zahlreiche his- Luft gnadenlos, fühlt sich Richthofen nach nen Euro. Doch hat sich dieser finanzielle torische Ungenauigkeiten machen diesen solch einer „Menschenjagd“, wie er es Aufwand wohl kaum gelohnt. Fliegerass Film zu einer bloßen Heldenverfilmung. selbst bezeichnet, jedoch nicht als ehrba- Freiherr Manfred von Richthofen (Matthias In der Realität aber muss der Mythos von rer Held: „Mir ist nach jedem Luftkampf er- bärmlich zu Mute.“ Die Liebesgeschichte, die es tatsächlich nie im Leben von Richt- hofen gab, wirkt klischeehaft und zudem wenig glaubhaft. So ist der Film auch für Freunde der filmerischen Romantik nicht sehenswerter. In den oft lose aneinander gereihten Szenen wirken die Schauspieler zum Teil wie H&M–Models aus Katalogen des frühen 20. Jahrhunderts. Einzig die Kampfszenen sind spektakulär und tech- nisch gut umgesetzt, doch fehlen diese oft an essentiellen Stellen. Womöglich hätten die 18 Millionen Euro Produktionskosten besser einem gemeinnützigen Projekt zu- gute kommen sollen. mf Matthias Schweighöfer überzeugt als tadelloser Fliegerpilot nur wenig.

44 moritz #70 KINO feuilleton Heinz will endlich Sex „Fleisch ist mein Gemüse“ von Christian Görlitz Heinz hat Akne, fiese Akne, wohnt mit lachenden und einem weinenden Auge seiner verwirrten Mutter in einem runter- sieht man den Film. Viele Situationen sind gekommenen Reihenhaus in Hamburg grotesk amüsant, jedoch untermalt von Harburg und Nachbarin Rosi kommt all- harter Schwermut. Der einfache deutsche abendlich zum Besäufnis vorbei. Es wird Bürger wird gezeigt, jedoch nicht vorge- sich besoffen am Schmerz des Lebens, führt. Das Eintauchen in eine Partykultur dem Wunsch nach Zuneigung und Erfolg. von der Hochzeit bis zum Schützenfest Der autobiografische Bestseller „Fleisch ist wird anschaulich demonstriert und man mein Gemüse“ von Heinz Strunk wurde schämt sich. Es ist keine Scham der Pein- vom Norddeutschen Rundfunk co-pro- lichkeit, sondern jeder weiß, dass es sich duziert und läuft nicht nur in Hinterwäld- bei der schrecklichen Tanzkapelle, den be- lerkinos. Heinz spielt Saxofon und tingelt soffenen Grabschern und allem drum her- mit einer Stimmungsmacherband durch um um ein Abbild der Wirklichkeit handelt. norddeutsche Kaffs. Geplagt von seinen Teilweise wurden Szenen in den Kneipen Hautunreinheiten und der Unfähigkeit mit Handkameras gedreht und wirken da- Frauen anzusprechen, führt er ein Leben durch noch authentischer, als sie eh schon zwischen Alkoholexzessen und Selbst- sind. Fiktion und Wirklichkeit verschwim- befriedigung. Der Film wird in drei Akten men. Ist die Mutter verwirrt, ist Rosi tot gezeigt, welche Strunk selbst aus dem Off und wer ist diese Sängerin, hat Heinz nun kommentiert. Eigenartige Herangehens- einen Plattenvertrag? Fragen über Fragen. weise, denn schlussendlich treffen Strunk „Und am Ende heißt es doch nur geil ablie- selbst und der Schauspieler Maxim Meh- fern, geil abliefern“. In der Tat : Der Film ist met, der ihn spielt, aufeinander. Mit einem Er selbst und sein junges Ebenbild. schon geil abgelaufen. msv Spaßbremse „Die Drachenjäger“ von Arthur Qwak und Guillaume Invernet Selten so wenig gelacht. Eigentlich sind vorbei. Auch gesellte sich bisher noch kein Drehbuchautor Arthur Qwak. Lediglich Animationsfilme, die unter dem Pseudo- 27. Oscar zu den schon vorhandenen. Hector, ein plüschig blauer Drachenhund, nym Walt Disney laufen, Garant für Schmer- Die deutsch-französische Koproduktion der schwere Ähnlichkeiten mit dem au- zen in der Zwerchfellgegend. Andererseits „Die Drachenjäger“ lädt noch nicht mal ßerirdischen Protagonisten aus „Lilo und bewegte sich der Spaß- und Witzfaktor zum Weinen ein. Zwischen im Himmel Stitch“ aufweist, sorgt für Schmunzeln. schon einige Jahre vor der Schließung herum schwebenden Erdfetzen und auf- Aber irgendwie ließ die Figur doch wieder der 2D-Zeichentrickstudios im Jahr 2003 einander prallenden maroden Schlosstür- mehr erhoffen. Dazwischen durchziehen immer mehr gen Abseits. Die Ära der men breiten sich ungestört Depressionen rasante Fluchten vor Feuer, Gesteinsbro- Meisterwerke, als Hans Zimmer und Elton aus. Die Erde als Kugel existiert in der cken oder kürbisköpfigen Drachen das 86- John noch als Haus- und Hofkomponisten fantastischen Welt des Leinwandstreifens minütige Werk. Insgesamt jedoch bietet durch die Disney-Filme tourten und die nicht mehr. Schuld daran trägt ein omi- sich dem Kinogänger nur ein altbackener Zeichner sich echte Löwen (König der Lö- nöser Weltenfresser. An der aufkommen- Animationsfilm. mt wen) ins Studio holten, ist sowieso längst den Langeweile ändern im Verlauf des Filmes aber auch die eigentlich putzig angelegten Charaktere nicht wirklich viel. Der geldgierige Gwizdo und sein Kum- pel Lian-Chu, der die Statur eines Gorillas mit der Genügsamkeit eines Elephanten vereint und einen Fabel fürs Stricken hat, versuchen erfolglos als ernstzunehmende Drachenjäger von sich Reden zu machen. Dazu kommt Zoe, ein kleines dummes Mädchen mit erstaunlichem Wortschatz, und das Abenteuer beginnt. Die Spannung vergammelt derweil lustig vor sich hin, in Am Ende erfüllen sich alle Träume. irgendeiner Schublade von Regisseur und Ablenkungsmanöver: Hector Foto: 20th Century Fox, Warner Bros., Universal Pictures International Germany GmbH, Universum Film GmbH, Universum International Germany Pictures Universal Bros., Warner 20th Century Fox, Foto:

moritz #70 feuilleton 45 DVD feuilleton feuilleton Für Genießer „Eden“ von Michael Hofmann

Essen als Vorspiel.

Viel interessanter als die Tingel-Tangel- sucht kommt ins Spiel, denn die seltsa- Tour durch deutsche Talkshows, dem dor- me zwischenmenschliche Beziehung des tigen Entblößen vermeintlicher intimer Kochs und der Bekochten beruht nicht auf und niemals zuvor ausgesprochener Din- einer sexualen Anziehungskraft. Das ge- ge, ist die Darstellung Charlotte Roches meinsame Erlebnis des Genießens führt im kleinen Kabinettstück „Eden“. Erinnert freundschaftlich zusammen. Natürlich sich der Zuschauer noch an die Fernseh- geht dies in den Augen der provinziellen, sendung „Fast Forward“ auf VIVA 2 – aber konservativen Bevölkerung nicht: Eine nicht die Vergangenheit verklären – und Freundschaft zwischen Mann und Frau. besonders die lustigen Zwischenmodera- Gerade wenn sich Eden im Paradies be- tionen der 163-Zentimeter-Frau, spätes- findet, wird dieses von Innen zerstört: Ihr tens nach Ende des 98 Minuten langen Ehemann vergreift sich an der materiellen Kinofilms wird Roche der Status einer auf Grundlage des Kochs, erfährt aber vor- Erden wandelnden Göttin zugesprochen. her noch selbst die höchstmögliche Sin- Wo solch eine starke titelgebende Haupt- nesentfaltung am Tisch des Meisters. figur vorhanden ist, bedarf es zweier Wo der Film zwischen der harten Realität männlichen Protagonisten. und einer märchenhaften Welt wandert, Der Eine ist ein zurückgezogen lebender sich die Figuren nicht verändern, teilwei- Meisterkoch. Seine Arbeit verzaubert die se sogar wie Schweine benehmen, ist ein Sinne seiner Gäste und erfüllt den fülli- Zauberer wie Gregor nötig. Zum Glück gen Genießer über alles. Schon als Kind steht ihm sein Ego nicht im Weg. wollte Gregor (Josef Ostendorf) nur eins: Zu selten für einen auch mit Fernsehgel- Dick sein. Dies gelang, doch mußte für die dern finanzierten Film, darf dieser eine hohe Kunst des Kochens Tribut geleistet eigene Handschrift tragen, die im Ein- werden. Gregor verzichtete auf den Kon- heitsbrei deutscher Herkunft lesbar ist. takt zu Frauen. Aber nur bis Eden aus sei- Bemerkenswert erfährt dieser beim Pu- nen Töpfen wie Schneewittchen bei den blikum wenig angenomme Film ein DVD- sieben Zwergen nascht. Release erster Sahne: Interviews, ein Ma- Edens Ehemann dagegen versteht die king-of, Trailer und wie kann es für einen Welt nicht mehr: Warum verbringt seine Kochfilm anders sein: Rezepte. Am schöns- Frau soviel Zeit mit einem – oberflächlich ten ist aber das Cover. Charlotte Roch wie

ANZEIGE betrachtet – unattraktiven Mann? Eifer- man sie kennt, aber nicht erkennt. bb

46 moritz #70 DVD feuilleton feuilleton Scheidung aus Liebe „Tuyas Hochzeit“ von Wang Quan ´an Weite Steppen, großflächiges Wüstenland und im Hintergrund ragt ein Gebirge auf. Hin und wieder ist das Hufgetrampel einer Schafherde zu hören. Nur eines passt hier nicht ganz ins Bild und trübt die natürliche Idylle – Kameras. Denn die schöne Landschaft ist der Schau- platz für den Film „Tuyas Hochzeit“. Tuya lebt mit ihrem arbeitsunfähigen Ehemann Bater und ihren beiden Kindern in der Inneren Mongolei, welches als au- tonomes Gebiet zur Volksrepublik China gehört, und muss sich und ihre Familie versorgen. Doch von der schweren Arbeit wird sie krank. So beschließt das Paar sich scheiden zu lassen, damit Tuya sich einen Eine mongolische Braut. Ehemann suchen kann, der sie, ihre Kinder und auch Bater versorgen soll. Viel bemerkenswerter ist die Tatsache, Dieses emotional gezeichnete Porträt ei- dass die meisten Rollen, abgesehen von ner Frau, die nicht nur ihr eigenes, sondern der Hauptdarstellerin Yu Nan, von lokalen auch das Leben anderer in die Hand neh- mongolischen Hirten gespielt wurden. men muss, birgt zugleich eine Dokumen- Ihre eigenen Namen durften sie im Film tation über das Leben in den ländlichen behalten. Doch die schauspielerische Regionen Chinas. Es gibt noch keine Ap- Qualität litt nicht unter den „Amateur-Ak- partements mit Satellitenanschluss oder teuren“. Vielmehr machte es die Szenerie vibrierende Handys. Irgendwie scheinen authentischer. die Uhren hier langsamer zu ticken und Ebenso wie Yu Nan stammt auch der Re- nicht der Mensch, sondern die unberührte gisseur Wang Quan ´an nicht aus der Inne- Natur gibt den Lebensrhythmus an. ren Mongolei. Verbundenheit zu diesem Drehort war das Zuhause einer der letzten Gebiet wuchs in ihm durch seine Mutter, Hirtenfamilien, die ihr dortiges Heimatge- die in der Nähe des Drehorts geboren biet noch nicht verlassen hatten. Mongo- wurde. Doch wollte er auch die Landschaft len sind ein Nomadenvolk und immer auf dokumentieren, bevor diese endgültig der Suche nach Wasser und Weideland für verschwindet. Denn die rasche Entwick- ihre Schafe und Ziegen. Vor allem die Su- lung in China scheint auch ihre Tradition che nach Wasser durchzieht den Film wie zu überrollen. So schafft es Wang Quan ‘an einen roten Faden und ist bis zuletzt ein mit seinem Film einen kostbaren Moment wichtiges Thema. der Sitten und Bräuche seiner Heimat ein- zufangen und gewann sogar auf der Ber- linale 2007 den Goldenen Bären für sein Meisterwerk, auch ohne Specialeffects. Dagegen geizt die DVD keineswegs mit ihrem Bonusmaterial und lässt interessan- te Einblicke über Film und Darsteller, vor allem durch die Pressekonferenz auf der Berlinale 2007, zu. Dabei wird besonders die Kritik des Fil- mes, der Verlust der Tradition, deutlich. Denn als hätte Wang Quan ‘an es geahnt, waren die Menschen und Häuser nach dem Dreh verschwunden und in die Stadt gezogen, als Reaktion auf die industrielle Entwicklung in China. So gewährt uns der Film einen wahrhaft letzten Blick auf die ANZEIGE Foto: Pandora Film, Kinowelt Home Entertainment Kinowelt Film, Pandora Foto: Weiterziehend in die Stadt. Landbevölkerung. kg

moritz #70 feuilleton 47 BUCH feuilleton Abrechnung mit Hollywood „Bambi vs. Godzilla“ von David Mamet Über Filme schreiben, denken, sprechen: Auf 160 Seiten macht es Spaß, Mamets Das machen schon viele seit den Gebrü- dramatische Fähigkeiten des detaillierten dern Lumiere. Mal als Versuch Kinokunst Beschreibens zu verfolgen. Wer aber ins als wertvolles Kulturgut in den Rang der Filmgeschäft einsteigen möchte, hält sich klassischen Künsten einzordnen, mal er- lieber nicht an die beschriebenen Muster. klärend und verstehend, als Neubeginn Lieber soll „Bambi vs. Godzilla: Nützliche oder einfach nur zum Ausdruck des ge- und nutzlose Aspekte des Filmemachens“ rade Gesehenen vom sich ablenkenden als Innennblick eines Außenseiters ver- Zuschauer. standen werden, dessen intellektuellen David Mamet, seines Zeichens Pulitzer- Fähigkeiten in der Welt von riesigen Egos, Preisträger, Regisseur und Drehbuchautor oberflächlichem Gezank und dem Drang (auch als ungenannter Script-Doctor) rech- zur ultimativen Massenverblödung in net in seinem neuesten Werk bittersüß mit Film ab: Kunst oder Kommerz? den Kinosommermonaten einfach fehl der Filmwelt ab. Halt: Nur mit Hollywood, am Platz sind. Passend dagegen ist nicht denn der Vorsprung der US-amerikani- macht sich darüber lustig. Ohne Namen nur dieses Werk Mamets. Schon mehrfach schen Filmwirtschaft manisfestierte sich zu nennen, zeichnet der Autor Gerüchte pointierte er das Filmgeschäft, weshalb vor allem durch die Anwendung der an nach, beschreibt abstrakt die Funktions- Teile seines neuen Buches wenig Neues Henry Ford angelegten Massenfertigung weise aller an der Filmproduktion beteilig- verbreiten. Wichtiger ist aber der Hinweis, eines Guts. Dabei verliert die Kunst aber ten und darf mit eigenen Erfahrungen als dass Kunst und Kommerz sich nicht bipo- ihren Glanz, wird zur Industrie. Mamet Filmemacher immer wieder aufwarten. lar entgegenstehen müssen. bb Notwendiges Wachrütteln „Professor Untat“ von Uwe Kamenz und Martin Wehrle Gelangweilt und zu faul für die Arbeit, nur die Paschaulaussagen über die schlechten und Forschung Zeit für einen gut dotier- an sich selbst und den eigenen Vorteil den- Professoren mit eigenen Recherchen oder ten Nebenjob erübrigen konnten. Es ka- kend, sind deutsche Professoren Schuld dem Zusammenschreiben von Berichten men tatsächlich Bewerbungen: Sogar ein an der Misere des gesamten Bildungssys- aus anderen Nachrichtenquellen. Hochschulrektor wollte an zwei Arbeitsta- tems. Übespitzt formulieren Uwe Kamenz Als erster Aufhänger ihres Buches funkti- gen wöchentlich beratend tätig sein und – selbst habilitiert – und Journalist Martin onierte eine Anzeige in Der Zeit. Gesucht beide Hände aufhalten. Wehrle ihre Kritik an den Untätigen, füttern wurden Professoren, die neben Lehre Ein weiterer Schmakerl ist der Versuch, bei meinprof.de die – teilweise – sehr negativen Bewertungen, zu löschen: Da- tenschutzgründe wurden nicht nur von Einzelnen angegeben. Dass manche Be- dienstete des Staates mit einer öffentli- chen Kontrolle und Diskussion ihrer Arbeit nicht einverstanden sind, sollte spätestens nach der hiesigen Diskussion um einen polemisierenden Blog klar sein. Was in „Professor Untat – Was faul ist hinter den Hochschulkulissen“ auftaucht ist sehr gut recherchiert, provozierend einfach formuliert, doch nerven nach mehrern Ka- piteln die rethorischen Fragen der Sach- buchautoren. Auch die zum Schluss dar- gestellten zehn Punkte (warum nicht neun oder elf?) zur Rettung des Bildungsystems können nicht berzeugen. Denn die Reali- tät stellt sich komplexer dar, als es die Vor- schlage erahnen lassen. Trotzdem regen Wenig Kontrolle der Pflichten. Da würden auch Professoren ruhen. die 282 Seiten zum Nachdenken an. bb

48 moritz #70 BUCH feuilleton Der legendäre Steppenherrscher „Die neun Träume des Dschingis Kahn“ von Galsan Tschinag Ein Heerlager inmitten der Steppe - Jur- Schamane und Stammesoberhaupt des ten, Pferde, Tausendschaften von Kriegern Volks der Tuwa ist. Wortgewaltig und fes- - weit verteilt. Im Zentrum die Palastjurte selnd schildert er die letzten Tage Dschin- Dschingis Khans (1162-1227), des mon- gis Khans, lässt ihn in neun Träumen seine golischen Herrschers der, nachdem er die Vergangenheit Revue passieren. Träume meisten Nomadenstämme Zentralasiens in denen der Begründer eines Weltreichs geeint und unterworfen, seine Reiterhor- noch einmal den wichtigen Menschen sei- den bis hierher ins Land der Tanguten im nes Lebens begegnet - seinen Erzeugern, heutigen Nordchina geführt hatte. Das Frauen, und Nachkommen, engen Vertrau- Umland verwüstet, die Hauptstadt des ten und Gefährten, aber auch erbitterten Reiches dem Erdboden gleich gemacht, Gegnern und besiegten Fürsten. Momen- der Tanguten Fürst geköpft. Nur dessen te, in denen der Reiterfürst seine Taten Burg ist für die Eroberer vorerst unein- reflektiert und neu beurteilt. Fragmente, nehmbar. die ein lebendiges, scharfes Bild Dschingis Doch auch auf Seiten der Mongolen sieht Letzte Tage eines Eroberers. Khans und der Steppenvölker seiner Zeit es nicht gut aus. Dschingis Khan liegt töd- zeichnen. Ein Werk wie es wohl nur aus der lich verletzt in seiner Palastjurte - nicht dieser Stelle beginnt der Roman „Die neun Feder eines Schriftstellers stammen kann, verwundet in offener Schlacht, sondern Träume des Dschingis Khan“ von Galsan der selbst in einer Jurte und der Freiheit bei einem Jagdausflug aus Leichtsinn und Tschinag dem mongolischen, in deutscher der Steppe aufgewachsen ist. Unachtsamkeit vom Pferd gefallen. An Sprache schreibenden Dichter, der auch mpf Als die Zeit zu Ende war „Sieben wunderbare Jahre“ von Göran Sahlberg Krieg und die Furcht vor einem Dritten Weltkrieg sicheres Anzeichen eines bal- digen Umschwungs. Der altkluge Junge ließt Bücher, in denen das Ende der beste- henden Weltordnung angekündigt wird, und möchte Prediger werden, wie sein Vater. Als seine Eltern eines Tages nicht mehr da sind, glaubt er die Prophezeiun- gen hätten sich erfüllt und sie wären von einer „Luftbewegung“ vor dem Endkrieg der Welt gerettet worden, während er als Strafe für eine Lüge sein Leben im Zeital- ter der „Mühsal“ fristen muss. Die hübsche Kassiererin Viola nimmt sich seiner an und der Junge erlebt einen ganz besonderen Sommer. Der Religionspsychologe Sahlberg erzählt Der Weltuntergang beginnt im Kleinen. nicht von einer unbeschwerten Kindheit wie der deutsche Titel vermuten lässt. Nachdem die Jahrtausendwende nicht, Zeit ihren Weltuntergang und Sekten und Mit den Eindrücken und Gedanken des wie von vielen erwartet, eine alles ver- Religionen fühlen sich jedes Mal in ihren Zeitgeschehens und der Religion wird ein nichtende Katastrophe mit sich brachte, Prophezeiungen bestätigt. Kind allein gelassen und das hat fatale Fol- hätte ein großer Teil der Erdbewohner Göran Sahlbergs Debütroman „Sieben gen. Obwohl der naive Kinderblick nicht eigentlich wieder recht zuversichtlich in wunderbare Jahre“ (Originaltitel: När tiden konsequent durchgehalten wird und die die Zukunft blicken können. Gäbe es da tog slut) spielt im Schweden der 50er Jah- anfänglichen Wunderkindelemente zum nicht schon den nächsten Grund, ein bal- re. Der sechsjährige, namenlose Ich-Erzäh- Teil enervieren, ist „Sieben wunderbare diges Ende der Menschheit zu befürchten. ler wächst mit den religiösen Vorstellun- Jahre“ ein beeindruckender Roman, der Heute heißt er Klimawandel. So hat jede gen seiner Eltern auf. So scheint der Kalte bis zur letzten Zeile spannend bleibt. lah Foto: photocase.com (3) photocase.com Foto:

moritz #70 feuilleton 49 THEATER feuilleton Sieg für die Menschlichkeit Beethovens „Fidelio“ im Theater Vorpommern

Singende Sträflinge in Greifswald.

In zwei Akten widmet sich Beethovens Frau. Denn im stilistisch typischen Verwirr- Männerchor der Gefangenen trugen we- „Fidelio“, der auch 100 Jahre nach seiner spiel klassischer Libretti offenbart sich der sentlich zur Erzeugung der dramatischen Entstehung aktuellen Thematik, der poli- vermeintlich männliche Hauptdarsteller Stimmung bei. In den Arien und Duetts tischen Willkür. Florestan (Michael Renier) erst ganz zum Schluss als die zu Florestans konnten die Solisten brillieren. Anstren- sitzt als politischer Gefangener des hervor- Rettung eilende Leonore. gend wurde das Hörerlebnis jedoch durch ragend dargestellten Don Pizarros (Benno Das Theater Vorpommern gestaltete Be- die mäßige bis schlechte Artikulation des Remling) im Kerker und einzig der Gedan- ethovens Bühnenwerk modern, indem Fidelio. Da seine/ihre Stimme außerdem ke an seine geliebte Frau Leonore lässt ihn ein nüchterner Gefängnistrakt mit kalter nicht genug Emotionen transportierte, unmenschliche Haftbedingungen und Beleuchtung die Hauptkulisse bildete. war das Verfolgen der Handlung strecken- Folter á la Guantánamo ertragen. An sei- Der politische Unterton wurde gewollt weise schwer möglich. Dennoch gehört ner Rettung scheint zunächst nur Fidelio inszeniert und fand beim sehr zahlreich „Fidelio“ zu den Höhepunkten der Thea- (Anna Ryan) interessiert zu sein. Nach und erschienenen Premierenpublikum großen tersaison. Eine aufwendige Bühnendyna- nach gelingt es ihm seinem Vorgesetzten, Anklang, die Vorstellung war nahezu aus- mik, perfekt platzierte Lichteffekte und Gefängniswärter Rocco (Bernhard Leube), verkauft. Auch die musikalische Umset- die sehr guten und professionellen Leis- die Augen für die Leiden der Häftlinge zu zung überzeugte. Sowohl die orchestrale tungen der anderen Hauptdarsteller setz- öffnen. Uneingeweihte verwundert zu- Interpretation Beethovens reichhaltiger ten Beethovens erste und einzige Oper nächst die Besetzung des Fidelio mit einer Musik als auch der sehr gut arrangierte würdig um. sb

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CineExtra im CineStar Greifswald 19./21.5. Drachenläufer 26./28.5. There will be Blood jeden Montag und Mittwoch um 17.15 2./4.6. Persepolis 9./11.6. Once Uhr und 20.15 Uhr für nur 4,50 Euro 16./18.6. Darjeeling Limited 50 moritz #70 THEATER feuilleton An Visionen scheitern „Republik Vineta“ vom Studententheater StuThe „Theater Vorpommern? Interessiert mich nicht“, sagt sich der Durchschnittsstu- dent mit Blick auf den städtischen Veran- staltungskalender. Zu teuer. Zu schlecht. Zu provinziell. Das sind die Vorwürfe, die immer wieder zu hören sind. Bemängeln lassen sich die Auswahl der Stücke, die künstlerische Qualität und die fehlende Kreativität. Doch im grauen Einheitsbrei der Greifs- walder Theateraufführungen gibt es auch Lichtblicke. Getreu dem Motto: Ausnahmen bestätigen die Regel. Gehört „Republik Vineta“ zu diesen rühmlichen Einzelfällen oder reiht sich auch diese Auf- führung in den Reigen belangloser Stü- cke? Die Antwort fällt schwer. Nicht gut, nicht schlecht, nicht Fisch, nicht Fleisch. Die schauspielerische Leistung ist ohne Zweifel tadellos. Die Mitglieder des Stu- dententheaters StuThe geben sich größte Mühe dem Schauspiel „Republik Vineta“ von Moritz Rinke Leben einzuhauchen. Dieses Vorhaben lässt sich nicht leicht in die Tat umsetzen. Zu schwerfällig ist das Stück. Zu kompliziert sind die Zusammen- hänge. „Was passiert hier eigentlich“, fragt sich Architekt Sebastian Färber auf der Bühne. Viele der Zuschauer stellen sich in diesem Moment vermutlich dieselbe Frage. Die ersten Szenen lassen viel Inter- pretationsspielraum. Geht es um Freund- schaft, Hass, Träume oder Bürokratie? Alles wird angedeutet, vieles bleibt vage. Erst gegen Ende des über zweistündigen Stückes setzen sich die einzelnen Szenen zu einem Ganzen zusammen. Fünf selbsternannte Vordenker treffen sich unter der Leitung von Robert Leon- hard und seiner Assistentin zu einer ge- heimen Konferenz. In einer abgeschiede- nen Villa planen sie das Projekt „Vineta“, eine neue Stadt und einen „Themenpark der untergegangenen Träume“, die auf ei- ner unbewohnten Insel entstehen sollen. Die ersten Frachtschiffe sind schon auf dem Weg zur Insel. Doch Leonhard zwei- felt und lässt den Stararchitekten Färber Verzweifeltes Aufschreien, zerstörte Hoffnungen – Visionäre in Aktion. holen, der die Pläne auf den Kopf stellt. Statt einer zweckmäßigen Stadt schwebt Eine Kette tragischkomischer Entwicklun- Träume in Würde zu begraben.“ Bleibt nur ihm ein Ort der Harmonie und Tradition gen beginnt. Letztlich scheitert die Visi- die Frage: Dürfen wir zukünftig von einem vor. Konflikte entstehen zwischen den Vi- on „Vineta“. Zurück bleiben Bedrückung, Theater Vorpommern träumen, das mehr sionären. Es wird diskutiert, argumentiert Verzweiflung und Enttäuschung. Robert Zuschauer mit attraktiven Aufführungen und gestritten. Unter den Beteiligten ent- Leonhard, der Leiter des Projektes, sagt re- anzieht? Oder ist auch diese Vision zum

Foto: Theater Vorpommern, Studententheater Vorpommern, Theater Foto: brennt ein hemmungsloser Machtkampf. sümierend: „Man muss auch lernen, seine Scheitern verurteilt? grip

moritz #70 feuilleton 51 M. TRIFFT... URSULA MÜLLER schluss

vor der Sonne. Und kühle Getränke sind dann natürlich ein Muss.

moritz: Sie haben mit vielen Kunden zu tun. Wie würden Sie den typischen Greifs- walder beschreiben? Müller: Die Greifswalder sind nette und liebe Leute. Sie kommen oft mit konkre- ten Fragen, die ich ihnen gern beantwor- te. Aber dumm darf mir keiner kommen. Manche Kunden wollen ihren Ärger an den Händlern auslassen. Aber in solchen Fällen schalte ich auf Durchzug.

moritz: Kaufen viele Studenten bei Ihnen ein? Müller: Mein Kundenstamm ist sehr ge- mischt. Von Student bis Rentner. Jeder ist dabei. Aber früher kamen mehr Studen- ten, um Kräuter oder Ähnliches zu kaufen. Das hat nachgelassen.

moritz: Wie erklären Sie sich das schwin- dende Interesse der Studenten? Müller: Wahrscheinlich kochen die Stu- denten nicht mehr so viel für sich selbst. Bei Ursula Müller bekommen hoffnunglose Fälle Hilfe in Kräuterkunde. Und die wenigsten haben einen Garten, höchstens einen Balkon. Außerdem wird Mittagsblumen, Stiefmütterchen, Margari- moritz: Was sind die schönen und die das Geld in andere Sachen investiert. ten, Sellerie oder Löwenmäulchen. Ursula schlechten Seiten des Gärtnerdaseins? Pflanzen stehen wohl eher an letzter Stel- Müller ist umringt von Beet- und Balkon- Müller: Schön ist die Arbeit mit den Pflan- le. pflanzen. Seit 18 Jahren steht die 39-Jäh- zen und der Umgang mit den Kunden. rige jeden Dienstag, Donnerstag und Weniger gut ist der hohe Zeitaufwand, moritz: Haben Sie eine Tipp für alle Stu- Freitag auf dem Greifswalder Marktplatz, den ich als Selbständige in Kauf nehmen denten ohne grünen Daumen? um Pflanzen an den gartenbegeisterten muss. Ein Arbeitstag kann schon mal um Müller: Die Tipps gebe ich gern, wenn sie Laubenpieper zu verkaufen. Vor der Tou- vier Uhr früh anfangen und erst am nächs- bei mir vorbeikommen. Dann helfe ich je- risteninformation und neben dem Hähn- ten Tag um ein Uhr vorbei sein, denn die dem. Auch dem Studenten, der noch nicht chenstand ist der feste Platz der Gärtnerin Anfahrt von Rügen, das Ein- und Auspa- mal Kerbel kennt. Das ist mir neulich pas- und Naturliebhaberin. Im Winter und im cken und die Verwaltung müssen immer siert. Sommer. Nach einer abgeschlossenen wieder aufs Neue erledigt werden. Gärtnerlehre, einem Studium der Inge- moritz: Ein vertrockneter Kaktus. Wie nieurspädagogik in Schwerin und zehn- moritz: Ist Greifswald grün genug? kommt das zustande? jähriger Anstellung in einer Gärtnerei hat Müller: Schwer zu sagen. Eigentlich ge- Müller: Vertrocknen kann ein Kaktus nie. sich die gebürtige Rüganerin selbständig fällt mir Greifswald sehr gut. Vor ungefähr Die Sukkulenten leiden vor allem unter gemacht. Zwei Betriebe nennt sie inzwi- zehn Jahren war der Marktplatz allerdings Schädlingsbefall oder zu großer Feuchte. schen ihr Eigen. schöner, weil er von Bäumen umringt war. Heute ist hier das Grün leider fast kom- moritz: Gehen Ihnen auch trotz grünem moritz: Sie haben täglich mit Pflanzen zu plett verschwunden. Daumen Pflanzen ein? tun. Wie nahe steht Ihnen die Natur? Müller: Ja, das passiert auch mir. Vor allem Ursula Müller: Ich liebe die Natur. Das ist moritz: Sie stehen dreimal in der Woche am Stand knicken oft Pflanzen um. Oder mir wohl schon in die Wiege gelegt wor- auf dem Markt. Im Sommer und Winter. es kommt zum Schädlingsbefall. Aber den. Meine Eltern waren in einer Gärtnerei Wie hält man einen Markttag in Eiseskälte dann hilft oft schon ein Brennnesselsud. tätig. Und ich wusste schon seit meiner und sommerlicher Hitze durch? Auf die Chemiekeule verzichte ich. Kindheit, dass ich in die gleiche Richtung Müller: Im Winter hilft nur dicke Kleidung. gehen will. Drei Paar Socken, Strumpfhose, Jogging- moritz: Wie sieht Ihr Plan für die Zukunft hose, Jeans, vier bis fünf Pullover, Jacke. aus? moritz: Traumberuf Gärtnerin? Dazu viel Kaffee. Heute habe ich fünf Be- Müller: So lange ich Licht am Ende des Müller: Für mich eindeutig ja. Ich habe cher getrunken. Aber im Winter kommen Tunnels sehe, wird weiter gemacht. Ar- großen Spaß daran. noch einige dazu. Im Sommer habe ich beit, Geld verdienen, leben. weniger Probleme. Mein Zelt schützt gut Das Gespräch führte Grit Preibisch. Foto: Grit Preibisch Foto: 52 moritz #70 SUDOKU schluss

Kurz und knapp: Die Anleitung 6 1 9 Ziel des Spiels ist es, seinen Kopf an- zustrengen. Dazu können die leeren Felder des Puzzles so vervollständigt 5 9 2 werden, dass in jeder der je neun Zei- len, Spalten und Blöcke jede Ziffer von 1 bis 9 genau einmal auftritt.

Gewinner der letzten Ausgabe 2 1 7 Matthias Müller (Humanmedizin) Nadine Seidel (Jura) 7 6 8 Jonas Neitzel (Skandinavistik) Herzlichen Glückwunsch! 8 4 3 5 Mitmachen und gewinnen! 1 7 3 6 Zu gewinnen gibt es drei Exemplare des Buches „Warum haben Gänse Füß- 8 4 chen?“ von Eva Goris und Claus-Peter Hutter. Sende dazu die mit den Pfeilen gekennzeichnete Zeile, Deinen Namen 9 5 und Studiengang an: [email protected] Einsendeschluss ist der 28. Mai 2008. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

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