Loriot-Selbstporträt: Ein Poet – geht

62 * +)$ " % 35/2011 Titel Du dödl di Weshalb Vicco von Bülow alias Loriot der größte deutsche Künstler der Gegenwart war

inmal rief er an einem Freitagabend lerin abwärts alle von ihm verabschiede - fen. Die meisten Fernsehsendungen rau - in der Hamburger Redaktion an zu ten, die irgendeinen Namen hatten, und schen heute glatt durch einen hindurch. Eeiner Zeit, da anständige Greise die Zeitungen ihre teilweise schon länger Für die 270 Minuten „Loriot I bis VI“ längst im Bett liegen. Seine gütig-höfliche bereitliegenden Nachrufe hervorkramten. brauchte Herr von Bülow drei Jahre. Stimme war sofort zu erkennen, auch Dass dieser Loriot jetzt starb, ist traurig, Schneller ging’s eben nicht. Qualität hatte wenn er das „jagunnabendhiervonbülow“ keine Frage. Wer hätte nicht für ein paar damals noch Zeit und Geld noch nicht seines eigentlichen Namens vernuschelte. melancholische Augenblicke dagesessen, den gleichen Stellenwert wie heute, auch Er sitze gerade mit Bekannten zu Hause während sich die Welt einfach weiterdreh - und gerade im Unterhaltungsgeschäft und komme nicht mehr drauf, wie dieser te, die Augen geschlossen und sofort wie - oder Kunstbetrieb. O T eine israelische Botschafter in Deutsch - der die Szenen vor Augen gehabt? Das Loriots Pretiosen waren von schier zeit - O F R E

T land geheißen habe, und ob man ihm da näselnde „Wo laufen sie denn?“ Das ener - loser Allgemeingültigkeit in ihrer Ant - N I

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wohl helfen könne. vierend wiederkehrende „Schmeckt’s?“ wort auf wirklich allerletzte Fragen: Wie H C

U Zwar hat freitagabends zur „Kalbshaxe Florida“. Das bierernste blamiert man sich bei einem Heiratsan - A R

G normalerweise noch anderes zu tun, als „Holleri di dudl dö …“ der Jodelschule, trag richtig? Lässt sich in einem Flugzeug N U L

M das Kreuzworträtselwissen eines Pensio - bis der Dozent korrigiert: „Du dödl di!“ mit Restwürde ein Essen genießen? Und M A

S närs aufzufrischen. Nur: Der Anrufer war Selbst bei YouTube gehen die Klicks sei - wie viel Liter Wein brauche ich für die eben Loriot. ner Sketche in die Millionen. Bei Face - korrekte Zubereitung eines Nilpferds in Seien wir ehrlich: Für die Gunst dieses book sollten sie neben ihrem blöden „Ge - Burgunder? (2000 Liter) Mannes oder nur sein Lächeln hätte sich fällt mir“-Button endgültig über ein Trau - Loriot nutzte oft und gern die Rat - ein Großteil der Redaktion auch bar - er-Äquivalent nachdenken. geberattitüde, erläuterte Kochrezepte wie fuß auf den Weg gemacht, um zu ihm Und doch ist Loriots Tod auf anrühren - den „Jäger im Reisrand“ und gab Tipps nach Oberbayern zu pilgern. Denn de Weise auch wieder irrelevant, weil sich zum Bettenkauf oder der korrekten Be - obwohl er seit Jahrzehnten keine dieser Grandseigneur des deutschen Hu - ziehungsführung. Ihm ging es um Tisch - neuen Shows, Filme oder Bü - mors selbst derlei Pathos verbeten hätte manieren, Sitz- und Hackordnungen, zwi - cher produzierte, ist er im und er sich längst so tief in die Herzen schenmenschliche Kommunikation und kollektiven Gedächtnis der der Menschen gelächelt hat, dass er schon das fortwährende Scheitern daran. Tat - Deutschen jeder Couleur, zu Lebzeiten ewig war. sächlich war seine Erklärfreude nur Mas - Klasse und Altersschicht Das hat mit Langsamkeit, Genauigkeit kerade. Zuallererst war er ein lächelnder so liebenswert omniprä - und Timing zu tun, mit großer Zuneigung Alles-in-Frage-Steller. sent wie niemand sonst. zu seinen Geschöpfen, mit Präzision und Wenn jemand dabei die Deutschen ver - Ein Klavier, ein einer seltenen Beobachtungsgabe, aber stand und sie deutete, ohne sie zu de- Klavier! … Die Ente auch mit Lust am Nonsens und einer tie - savouieren, dann war es Loriot. Dann ist bleibt draußen … Hil - fen Liebe zur deutschen Sprache. Wer es sein Werk, das diese komische, zum Al - degard, bitte sagen Sie sich ein Gericht namens „Kosakenzipfel“ lergrauenvollsten wie zum Schönsten fähi - jetzt nichts! … Mooo - ausdenkt oder einen Namen wie Hall- ge Nation und ihre Psyche und Verhaltens - ment! … Sie machen mackenreuter, ist ein wahrer Literat. Wer muster ausleuchtete wie kein anderes: die mich ganz verrückt, die „Spannmuffenfederung“ erfindet, tattrigen Weltkriegs-Opas wie die dumpfen Herr Meltzer! … Kra - weiß um die absurde Eleganz deutschen Muttis der Wirtschaftswunder-Ära, ihre Po - weel, kraweel! … Brat Technokratensprechs. litiker und Studienräte, Unternehmer, klei - fettlos mit Salamo ohne … Loriot ließ sich solche Ungetüme auf nen Angestellten, aber auch Medienmen - Der Hund kann überhaupt der Zunge zergehen: Zahnersatzzusatz - schen, Stammtischbrüder, Familienväter, nicht sprechen … Ach was?! … versicherung, Migrationshintergrund, Ge - Muttersöhnchen, unter deren dünner Firnis Früher war mehr Lametta! sundheitsreformänderungsantrag. Selbst aus Konventionen und Etikette immer Am 22. August starb der Schöpfer Reklame wurde in seinem Kosmos zu ei - auch ein Wahnsinn pocht. all dieser Zeilen, zu Hause in seiner ner lyrischen Humoreske: „Es saugt und Kultur schafft einen Rahmen, den sie graumelierten Villa überm Starn - bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst selbst bisweilen sprengen muss, um eben berger See im Kreise seiner Fa - nur blasen kann …“ dadurch später Kanon zu werden. Die milie. Ein Poet – geht. Der Tod Mit solchen Sätzen wird er ewig leben, ersten Takte von Beethovens fünfter Sym - kam nicht mehr überraschend. zumal er sein Hauptwerk im Prinzip phonie oder Bachs Toccata und Fuge in Loriot schwand dahin. 87 Jahre schon vor über 30 Jahren abgeschlossen d-Moll sind den Deutschen eingebrannt wurde er alt. Das Lametta reg - hat, nachdem er – Gipfel seiner Kunst – wie Goethes „Faust“ oder das „Über al - nete dann tags darauf für die ARD von 1976 an sechs 45-minü - len Gipfeln ist Ruh“ seines Nachtliedes – herab, als sich von tige Folgen „Loriot“ geschrieben, gespielt hofft man jedenfalls landläufig. Bundespräsident und gedreht hat. Aber wer kann schon eine Wagner-Arie und Kanz - Seifenopern haben heute einen ähn - ansummen? Wer ein Brecht-Gedicht rezi - lichen Output. Pro Woche. Aber die ver - tieren? Welcher Satz wird zum Beispiel gisst man schon wieder, während sie lau - aus Günter Grass’ Gesamtwerk im Ge -

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Loriot als Dichter 1991, Badewannen-Sketch, Szene aus „Ödipussi“ 1988*, Sketch „Der sprechende Hund“, mit Möpsen 1976, Szene aus „Liebe im Büro“ dächtnis bleiben, welche Figur außer der Merchandising-Mafia, die aus seinen Stresemann, der klassischen Herrengar - nervige Zwerg Oskar Matzerath aus der Knollennasen Spielkarten, Kaffeebecher derobe der Weimarer Republik. Und gern „Blechtrommel“? Das Bestiarium der lo - und überhaupt ein Millionengeschäft ge - hat er auch TV-Ikonen der 68er-Ära paro - riotschen Anti-Helden ist alltäglicher, sym - macht hat. diert wie den „Panorama“-Moderator Pe - pathischer in all seiner verwirrt-ver - Wenn ihm etwas vorzuwerfen ist, dann, ter Merseburger. Dennoch war er in seiner schreckten Hilflosigkeit und von Abermil - dass er wirklich alle befriedete, selbst Ost Arbeit immer auch Anarchist, Apo im lionen generationenübergreifend abrufbar: und West. Loriot war ein gesamtdeut - Tweed-Sakko. Es gibt bitterböse Satiren Erwin Lindemann … Opa Hoppenstedt … scher Star, der es als Erster schaffte, mit von ihm, die vor allem jene nicht wahrha - Berta Panislowski aus Massachussetts … einer Filmpremiere gleichzeitig in der da - ben wollen, die ihn als kleinsten gemein - Herr Müller-Lüdenscheidt … Herr Dr. maligen DDR und der Bundesrepublik zu samen Nenner hiesigen Humors bemä - Klöbner … Wum und Wendelin … ja reüssieren: In Ost-Berlin startete „Ödi - keln. Loriot konnte scharf sein, düster. selbst die Steinlaus, ach, die Steinlaus, pussi“ 1988 ein paar Stunden früher als Aber nie hätte er sich dabei vereinnah - wie schläfrig die immer auf den Brocken im Westteil der Stadt. Loriot einte. men lassen. Für keine Partei. Keine Ideo - rumkaute, während Loriot als Professor logie. Und erst recht nicht für eine Marke Grzimek im dottergelben Pullover … Er war in seiner Arbeit oder Firma wie nach ihm so viele andere Er war alles – und noch weit mehr: Poet immer auch Anarchist, Apo Unterhaltungsstars, die ihr Gesicht und und Popstar, Cartoonist und Autor, Phi - im Tweed-Sakko. ihren Namen für Reklame verkauften. losoph, Hundefreund und Filmemacher, „Es geht nur noch ums Geld“, klagte mal affirmativ, mal rebellisch. Er insze - er 2006 in seinem letzten großen SPIE - nierte Opern mit der gleichen Akribie Nun, nach seinem Tod, versuchen ihn GEL-Gespräch. „Auch in der Unterhal - wie die archetypische Kleinfamilie. 34- gerade die Konservativen zu vereinnah - tungsbranche. Vielleicht gerade da.“ mal ließ er seine kongeniale Partnerin men als einen der Ihren: von Bülow, von Es war ein sonnig-eiskalter Wintertag. bei den Dreharbeiten zu Adel, von wegen. Gebäck und Tee standen bereit. Ein Mops „Pappa ante Portas“ in ein Hundehäuf - Loriot mag einen ausgeprägten Sinn wedelte durch die Biedermeier-Welt. Lo - chen treten, bis das Missgeschick beiläufig für Ästhetik, Werte, Tugenden gehabt ha - riot saß in seinem Ohrensessel und er - genug aussah. ben. Er verströmte schon in jungen Jah - zählte einen Nachmittag lang, war witzig, 3,5 Millionen haben den Film dann 1991 ren jene nostalgische Heimeligkeit, die aufmerksam und schwieg auch jene Zeit gesehen. Auch „Ödipussi“ wurde – drei er dann als trügerische Kulisse seiner nicht aus, über die er sonst selten sprach: Jahre zuvor – der erfolgreichste deutsche Sketche nutzte. Zu den Accessoires seiner Was war seine einschneidendste Erinne - Film des ganzen Jahres in hiesigen Kinos. Kunst gehörten die Gründerzeitmöbel rung an drei Jahre im Russland-Feldzug? Etliche Millionen Mal haben sich seine ebenso wie seine Comic-Männchen im „Nicht das Erlebnis selbst, sondern die Bücher verkauft. Loriot ist längst auf spätere beschämende Erkenntnis, das Grau - Theaterbühnen und in den Regalen der * Jeweils mit Filmpartnerin Evelyn Hamann. en des Krieges hingenommen und einge -

64 * +)$ " % 35/2011 1977*, Figuren Wum und Wendelin, als Moderator Merseburger 1972: Auf seiner Couch saß Deutschland und nahm nicht übel, sondern lachte ) .

ordnet zu haben – wie jene Nacht im ver - Sofa, das bis vergangene Woche als Re - Krieg geworfen wurde? Im Leben des R . 2 &

schütteten Graben, als mich etwas im Ge - quisit für Touristenfotos in einem Restau - Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bü - R . 1 (

sicht beim Schlafen störte. Es war die Hand rant des Funkhauses von Radio Bremen low (für Familie und Freunde: Vicco) spie - D L I B

eines Toten, die mich gestreichelt hatte.“ stand und dort nun das Foyer schmückt. gelt sich deutsche Geschichte. N I E T

Loriot war Jahrgang 1923. Wie der His - Auf dieser Couch saß Deutschland und Geboren wurde er am 12. November S L L U

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toriker Ernst Nolte, der Psychoanalytiker nahm nicht übel, sondern lachte. Loriots 1923 in an der Havel, 70 Ki - U A

Horst-Eberhard Richter, wie SPIEGEL- Karikatürchen über die Unzulänglichkeit lometer westlich von Berlin. Sein Kinder - H C S E

Gründer Rudolf Augstein und der Tübin - der Welt und ihres Bodenpersonals wirk - wagen stand in Sicht- und Hörweite eines L E T

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ger Rhetorikprofessor Walter Jens, mit ten befreiend, eine Psychoanalyse ohne Kasernenhofs, der Vater war Berufsoffi - T X E T

dem er eng befreundet war. Jens leidet Nebenwirkungen, außer vielleicht der ei - zier, wie so viele seiner Vorfahren. In der E N I C

an Demenz, sein Geist verweht, was Lo - nen, dass die Deutschen über die Jahr - Erinnerung verschwammen „altväterliche ; R D W

riot mit wachsender Angst und Trauer zehnte mit Loriot begannen, sich ein klei - Kasernenbauten und die mütterliche /

A zur Kenntnis nehmen musste. nes bisschen weniger ernst zu nehmen. Brust zu einem harmonischen Ganzen“, P D

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Von dieser Kriegsgeneration sind heute So wurde er zum „Wohltäter der Ent - juxt er später. E B Ö G

nicht mehr viele übrig: Der Literaturkri - krampfung“, schrieb der Historiker Chris - Wenn zurzeit viel über große Krisen ge - ; A P

tiker Marcel Reich-Ranicki (Jahrgang toph Stölzl, zum „Moderator des Werte - sprochen wird – 1923 war wirklich ein Kri - D

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1920) gehört dazu, Altkanzler Helmut wandels“. Loriots Kunst versuche, „uns senjahr für die noch junge Weimarer Re - D W

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Schmidt (1918) natürlich, der Kabarettist vor den Zumutungen des Lebens in publik: Die Inflation erreicht Rekorde, die S E G Dieter Hildebrandt (1927). Günter Grass Schutz zu nehmen“, glaubt der Schrift - Franzosen besetzen das Ruhrgebiet, linke A M I

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(1927) hat sich mit der rechthaberisch-be - steller Patrick Süskind. „Sie stellt sich und rechte Extremisten planen den Um - D D

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leidigten Aufarbeitung seines Dienstes in zwischen uns und die Welt.“ sturz, darunter ein gewisser Adolf Hitler. O I R O L

der Waffen-SS zuletzt selbst um einen Das schaffte Loriot auch deshalb, weil Eines der ersten Fotos von Loriot O I

Teil seiner Reputation gebracht. viele gern wären: so selbstironisch wie stammt aus dem Jahr 1925. Es zeigt eine D U T S

Für Augstein gingen die Deutschen zum bourgeois, so charmant wie gebildet, nie scheinbar makellose Kleinfamilie, die ; S E G

Kiosk und auf die Barrikaden, als der Ver - die Contenance verlierend, zurückhal - Mutter im weißen Kleid mit Perlenkette, A M I

leger wegen angeblichen Geheimnisver - tend, dabei kultiviert. Ein Leben mit Hal - der Vater im dunklen Anzug („Ich habe S U I T I

rats 1962 in Untersuchungshaft musste. tung – und doch in der fortwährenden meinen Vater selten ohne Krawatte gese - R U A M

Für Schmidt gingen sie an die Wahlurne, Mühe, sie zu wahren. hen und niemals in Badehose“), dazwi - ; F I A

weil der ihnen das Staatsmännische So versöhnte Loriot die Deutschen mit schen Vicco, auf dem Schoß des Vaters, L

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schenkte. Und für Loriot? Gingen sie in sich selbst. Aber geht das überhaupt, neben seinem ein Jahr jüngeren Bruder L K C I L

sich – und kamen lächelnd zurück. Deutschsein in einem guten Sinne, bei ei - Johann Albrecht. „Ich beeinträchtige die B

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Er hat das Land auf seine Couch gelegt, nem Kind der Weimarer Republik, das Harmonie des Bildes durch eine gewisse D E I R

auf dieses grünbezogene Gründerzeit- mit 17 Jahren als Panzergrenadier in den Korpulenz“, wird Loriot später spotten. F

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Loriot als Kind um 1929, mit Eltern und Bruder (l.) 1925, mit Frau und Töchtern 1975, als Wehrmachtssoldat um 1944, bei der Arbeit 1970: Das Leben

So wie das Land gerade angezündet wird, tische Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Schule 1941 mit einem bloßen „Reifever - verglüht auch die familiäre Idylle: Die El - Stuttgart, das „Ebelu“, eine traditionsrei - merk“. tern trennen sich. 1929, der kleine Vicco che Schule. Hier geht auch der spätere Er will Offizier werden, wie es die Fa - ist noch keine sechs Jahre alt, stirbt die Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von milientradition vorsieht. Von 1941 bis 1945 Mutter. Die Brüder wachsen bei Groß - Stauffenberg zur Schule. Der Einfluss der dient er als Soldat in Russland, eine Zeit, mutter und Uroma auf, zwei Witwen. Nazis bleibt vergleichsweise gering, statt über die er – wie viele Männer dieser Ge - Ihre Wohnung in Berlin-Wilmersdorf, Blut-und-Boden-Literatur wird Schiller neration – kaum je gesprochen hat. ihre Erinnerungen und Bücher atmen und Ovid gelesen. 1986, zum 300. Schul - Loriot war der Großmeister der lako - „reines 19. Jahrhundert“. Schräg gegen - nischen Verknappung, auch in eigener Sa - über leben die Weizsäckers. Aber man Seine Dämonen, wenn es che. In seiner Autobiografie „Möpse & kennt sich kaum. Bundespräsident wird sie gab, behielt er für sich – Menschen“ handelt er den Zweiten Welt - Richard ja erst später. vielleicht aus Höflichkeit. krieg später auf einer Seite ab. Sie zeigt Vicco verinnerlicht die Rituale dieser zwei Fotos des jungen von Bülow, mal Zeit. Das Korsett der Konventionen bietet als Page in Kniebundhosen und Perücke, ihm Trost und Spielmaterial zugleich. Die jubiläum des Ebelu, werden Loriot und mal als Soldat. „Die dramatische Entwick - alten Damen von Bülow spielen Opern Hamann einige Sketche spielen. lung der Jahre zwischen 1940 und 1945 am Klavier und vermitteln dem Jungen Nach Ausbruch des Krieges kann es bot mir reichlich Gelegenheit zu Kostü - die Bildung aus „Kürschners Conversa- den NS-Strategen nicht schnell genug ge - mierungen aller Art“, schreibt er dazu. tionslexicon“, wecken sein Interesse „für hen, auch aus Schülern Soldaten zu ma - Das Foto mit der Perücke entstand, als Karl May, Puccini und Operntenöre“. chen. Der „Führer“ braucht Kanonenfut - er 1940 in dem Kinofilm „Triumph eines 1938 siedelt die Familie – der Vater hat ter, keine angehenden Akademiker. Viele Genies“ als Statist mitwirkte, es ging um wieder geheiratet – nach Stuttgart um. werden gleich nach einem Notabitur ein - Schiller. Zum Uniform-Bild notiert er: Viktor von Bülow besucht das humanis - gezogen. Viktor von Bülow verlässt seine „Rechts als Oberleutnant im Panzergre -

66 * +)$ " % 35/2011 muss sich Smoking und weißes Hemd lei - hen, weil das Geld nicht reicht. Sie be - kommen zwei Töchter, Bettina und Su - sanne. Die Ehe hält. Bis dass der Tod sie vergangene Woche scheidet. 60 Jahre. Die Nachkriegszeit in Hamburg ist hart. Der Nachwuchskünstler, mittlerweile En - de zwanzig, wohnt zur Untermiete bei einem Friseur-Ehepaar, in seiner Nach - barschaft liegen ein Gefängnis, eine Ner - venheilanstalt und ein Friedhof, „Institute also, von denen kaum Kundschaft zu er - warten war“. Er zeichnet sein winziges Zimmer, der Bewohner sitzt auf einem Stuhl, unter der Decke hängen an Seilen nebeneinander und akkurat beschriftet ) . „Hut, Mantel, Mehl, Gäste“. „Da das Blatt U . R (

K etwas abseits meiner ernsten künstleri - P B

;

) schen Ziele lag“, signiert er es nicht mit . U . L seinem richtigen Namen, sondern erst - &

. O . mals mit „Loriot“, das französische Wort R ( ) 2 (

für Pirol, das ist der Wappenvogel der Fa - H C I

R milie von Bülow. Ü Z

, Die „absurde Idee, es mit Heiterem zu G A L

R versuchen“, wird erst Anfang der fünfzi - E V

S

E ger Jahre zu seinem Beruf: Loriot kann N E

G ein paar humorige Zeichnungen an Zeit - O I D

,

' schriften verkaufen, zu 25 Mark pro N E

H Stück, ein Vermögen. Hauptfigur eines C S N

E seiner ersten Werke ist ein großer Hund, M

D der einen Mann fast komplett verschluckt N U

E hat. Nur Kopf, Hut und Schultern des S P Ö

M Mannes ragen noch aus dem Maul heraus. '

T O

I „Keine Angst – er beißt nicht“, beruhigt R O L

: der Hundehalter. S U A

Die ersten Knollnasenmännchen ent - ; ) . M

( stehen. Die Welt, die Loriot in seinen

S S

E Zeichnungen und später in seinen TV- R P . L

A Sketchen karikiert, beruht auf Konven - M I

N tionen und Ritualen. Die kleinsten Ver - A

; ) .

L änderungen führen zur Katastrophe. „Ich (

S S

E gehe nach den Spätnachrichten der ,Ta - R P T gesschau ‘ ins Bett“, sagt der Knollnasen - N E V

E mann zur Knollnasenfrau; den Einwand ist ihm „eher zugestoßen“, aber irgendwie hat der Krieg ihn dann auch Künstler werden lassen „Aber der Fernseher ist doch kaputt“ lässt er nicht gelten, sondern provoziert einen nadierregiment 3. Eine Nebenrolle in ei - er seine Reifeprüfung nach. Statt über Wutausbruch: „Ich lasse mir von einem nem erfolglosen Stück von 1941 bis 1945. Goethe, wie gefordert, schreibt er seinen kaputten Fernseher nicht vorschreiben, Den Regisseur möchte ich nicht nennen. Abituraufsatz über Schiller. Er besteht wann ich ins Bett zu gehen habe.“ Und mein Brüderchen war gefallen.“ trotzdem, ein paar Stunden nach der Prü - Um komisch zu sein, schrieb der fran - Im Jahr 2006 wird er dem SPIEGEL sa - fung steht er wieder im Wald, ein „Zu - zösische Philosoph Henri Bergson in sei - gen: „Heere bestehen meist aus jungen stand ehrgeizloser Zufriedenheit“. nem Buch über das Lachen, bedürfe es Männern“, die gar nicht in der Lage wä - Überhaupt, dieses Leben – das sei ihm einer vorübergehenden Narkose des Her - ren, Kriege zu führen, wenn sie das Grau - „eher zugestoßen“. Aber irgendwie hat zens. Eine Maxime, die Loriot verinner - en des Krieges an sich heranlassen wür - der Krieg ihn dann auch Künstler werden licht haben dürfte. „Komik entsteht im - den. „Und das wäre doch eigentlich gut. lassen, denn sonst wäre er sicher Offizier mer durch die Distanz. Ich hätte meinen Aber die nächste Generation lernt daraus geworden wie so viele seiner Ahnen. Beruf nie ergreifen können, wenn ich nichts. Die Leute, die das wie ich begrif - 1947 beginnt Vicco von Bülow, vom Va - nicht die Begabung hätte, mich selbst und fen haben, werden auch nicht mehr ge - ter gedrängt, ein Studium an der Landes - das, was um mich geschieht, distanziert fragt. Deshalb ist die Menschheit immer kunstschule in Hamburg. Zum ersten Mal zu betrachten.“ Und ein andermal: Witz und immer wieder bereit zum Krieg.“ sieht er Bilder von Max Beckmann, Paul entstehe „aus dem Ernst, und zwar aus Seine Dämonen, wenn es sie gibt, be - Klee, Emil Nolde, Pablo Picasso und an - dem negativen Ernst, das heißt im Grun - hält er weitgehend für sich. Vielleicht ist deren Künstlern, die unter den Nazis als de: aus dem Bedauern“. er zu höflich, das Grauen, sein Grauen „entartet“ galten. Die Fähigkeit zur Selbstironie ist ge - aus dieser Zeit anderen aufzudrängen. Er lernt zeichnen, die Studenten sitzen samtgesellschaftlich in den fünfziger Jah - Nach Kriegsende 1945 verdingt sich der füreinander Modell, darunter auch Rose- ren noch unterentwickelt. Loriot ist sei - Heimkehrer als Holzfäller im Solling in Marie Schlumborn, genannt Romi, eine ner Zeit voraus. Das Wirtschaftswunder Niedersachsen. 1946, in Nürnberg stehen Modezeichnerin, sechs Jahre jünger als er. macht die Deutschen satt, aber nicht ge - die NS-Kriegsverbrecher vor Gericht, holt 1951 heiraten die beiden, der Bräutigam lassen. „Ekelerregend“, „menschenun -

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um ersten Mal begegnete ich und auf Loriot zu und brachte den „Melanie, wäre das nicht auch ein ent - Loriot 1989 bei einem verreg - Wagen und uns Insassen dadurch zückender Name für ein Nilpferd!?“ Zneten Dreh für eine Show mit schwer zum Schaukeln. In der darauffolgenden halben Michael Schanze am Starnberger See. Wild gestikulierend redete er auf Stunde konnte ich nicht mehr einge - Mangels anderer Unterbringungsmög - Loriot ein: „Herr von Bülow, nur da - blendet werden, da ich vor einem lichkeiten teilten Herr von Bülow und mit Sie es wissen, Sie können heute monströsen Lachkrampf kapitulieren ich uns einen sehr ungemütlichen hier so richtig Gas geben, es darf rich - musste. Das Nilpferd namens Me - Wohnwagen, der leicht schräg auf ei - tig krachen und lustig werden!“ lanie! ner matschigen Uferwiese stand und Loriot blieb gelassen und verkün - Erst an seinem Todestag kam mir nur mit dem Nötigsten ausgestattet dete mit feierlichem Unterton: „Herr diese Begebenheit nun wieder in den war. Nämlich: einer beigefarbenen Kerkeling und ich haben beschlossen: Sinn, als ich mir zugleich einen mei - Sitzgruppe sowie steingrau - ner Lieblingssketche von er Auslegeware. Loriot ansah: „Das Bild Darüber hinaus gab es ein hängt schief!“ Stockbett – „Modell Andan - Selbst an seinem Todes - te“, welches übrigens „etwas Ein Nilpferd tag musste ich laut und herz - stramm in der Rücken lage“ haft darüber lachen. Das war, wie das bei Loriot hieß. Bild hängt schief! Kein an - Da besagte Sitzgruppe nicht namens Melanie derer Sketch beschreibt uns einladend und die Wartezeit Deutsche besser. Er ist eine lang war, hielten wir es für Hape Kerkeling Zustandsbeschreibung die - angebracht, liegend auf un - über seine erste Begegnung ser unserer Bundesrepublik. seren Einsatz zu warten. mit Vicco von Bülow Auf eine internationale Herr von Bülow entschied Karriere hat Loriot ja im - sich für das obere Bett, ich mer verzichtet, da er nach nahm das untere. Selbstver - eigenem Bekunden Worte ständlich! Was für eine herr - wie Sitzgruppe oder Ausle - lich absurde Situation, wie geware für nicht ins Engli - aus einem seiner Sketche. sche übersetzbar hielt. Aber Erstaunt war ich darüber, für unsere Nation war er so dass der große Loriot nicht etwas wie ein heimlicher im Geringsten gegen diese Bundespräsident. miese Unterbringung rebel - Hätte er jemals tatsäch - lierte, sondern den Um - lich zur Wahl gestanden, er stand mit einem Lächeln ak - wäre vollkommen zu Recht zeptierte und mich – damals im ersten Wahlgang mit ab - gerade mal 24 Jahre alt – soluter Mehrheit gewählt mit großer Offenheit und worden. Dieser liebenswür - Freundlichkeit behandelte. dige, menschenfreundliche, So lagen wir da wie zwei kluge, gebildete und edle Buben im Landschulheim, Preuße! die aus purer Langeweile Das Bild hängt schief! einen Streich planen, denn Wie froh muss er gewesen irgendwann sagte Loriot: sein, als er dieses Meister - „Herr Kerkeling, was meinen werk im Kasten hatte, denn Sie? Man wird sicherlich er - in einer Talkshow äußerte Z

warten, dass wir in der Show N er einmal, scheinbar neben - U K

etwas Komisches zum Bes - G bei: „Ich bin immer glück - N A G

ten geben. Sollten wir beide F lich, wenn ich mit meiner L O

nicht, auch angesichts des W Arbeit fertig bin.“ Wetters, einfach sagen: Wir Loriot in Sketch-Kulisse 1976: „Das Bild hängt schief!“ Danke, Loriot! sind heute nicht komisch?“ Ich musste sehr laut über diesen Wir sind heute nicht komisch!“ Der Kerkeling, 46, bewarb sich im Alter Vorschlag lachen. „Darf ich Ihr La - Redakteur wurde blass und der Re - von zwölf Jahren für die Rolle des Di - chen als Einverständnis werten!?“, gen – zumindest in meiner Erinne - cki Hoppenstedt, Spross der TV-Fa - hakte er nach. „Gerne! Genau so ma - rung – noch heftiger. milie in „Loriot VI“. Er wurde nicht chen wir das, Herr von Bülow!“, Es wurde dann aber doch eine sehr genommen, was seiner weiteren Un - stimmte ich seinem Vorschlag zu. War unterhaltsame Show, gerade wegen terhaltungskarriere jedoch keinen Ab - dieser Mann in jenem Moment wirk - dieser kuriosen Entscheidung. Micha - bruch tat. lich 40 Jahre älter als ich? el Schanze fragte mich irgendwann: Eine halbe Stunde später saßen „Sag mal Hape, gibt es eine neue Video: Loriot-Sketch wir nebeneinander in einem mobilen Kunstfigur von dir?“ Und ich antwor - „Das Bild hängt schief“ Maskenwagen, um für die Show ge - tete: „Ja, Hannilein hat jetzt eine Für Smartphone-Benutzer: schminkt zu werden. Ein aufgekratz - Schwester, und die heißt Melanie.“ Da Bildcode scannen, ter WDR-Redakteur stürmte herein lautete Loriots knapper Kommentar: etwa mit der App „Scanlife“.

68 * +)$ " % 35/2011 wür dig“, „beschämend scheußlich“, „eine Loriots Parodie, gedreht 1972, muss er Her absetzung des Homo sapiens“, schimp - nur noch minimal übertreiben. Er verklei - fen „Stern“-Leser über Loriots Cartoon- det sich als Schönherr. Eine Kandidaten - Serie „Auf den Hund gekommen“, in der familie, die sich eine Taucherausrüstung Knollnasenmännchen von großen Hun - wünschte, muss in einen großen Sack stei - den wie Haustiere gehalten werden. gen, der in einem Pool versenkt wird. Christoph Stölzl wird das später „Blitz - „Sie haben dann genau zwei Minuten therapie für Ex-Herrenmenschen“ nen - Zeit, um sich zu befreien und wieder auf - nen. Nach sieben Folgen wird die Serie zutauchen“, sagte Loriot als Schönherr. eingestellt. „Mit diesem Spiel wollen wir Gemein - Der Rowohlt Verlag, dem Loriot die schaftsgeist und Einfallsreichtum unserer Reihe anbietet, lehnt dankend ab. Daniel Familien auf die Probe stellen.“ Natürlich Keel, ein junger Verleger aus Zürich, hat saufen die Kandidaten ab. Ihren Gegnern einen besseren Instinkt. Die Ehe mit gelingt es derweil, in zwei Minuten ein Romi ist Loriots Gefühl-Lebensbezie - Gedicht zum Thema „Nächstenliebe“ zu hung. Der Vertrag mit Keel wird seine schreiben. Geschäftsehe: Bis heute erscheinen alle Loriot konnte entsprechend heftig wer - Loriot-Bücher in Keels Diogenes Verlag. den, wenn ihn jemand fragte, ob Satire Im September soll ein Band mit Gesprä - wirklich so destruktiv und zersetzend chen herauskommen – vorgezogen. sein müsse. „Dabei ist destruktiv etwas Von den sechziger Jahren an ist Loriot durchaus Positives, wenn das destruiert gut im Geschäft. Er arbeitet für „Stern“, wird, was es gilt, kaputtzumachen, weil „Quick“, „Pardon“ und SPIEGEL. Für es nicht in Ordnung ist“, sagt er in der den zeichnet er 1976 jenes melancholische Talkshow „3 nach 9“. Cover-Männchen, das nun auch den ak - Pathos beispielsweise ist nicht in Ord - tuellen Titel ziert. nung. Das hat ihm die Nazi-Zeit gründ - Gelegentlich stellt er „Pinsel und Feder lich verleidet. Wo es geht, bricht er es in den Dienst erlesener Konsumgüter“. wie in seinem Gedicht „Advent“, das die Schnapshersteller, Tabakproduzenten und klebrig-verlogene Weihnachtsidylle für die Fotofirma Agfa gehören zu seinen Schockmomente nutzt: Auftraggebern. Auch erste Zeichentrick - Und in der guten Stube drinnen filme entstehen. Schon 1958 zog Familie da läuft des Försters Blut von hinnen. von Bülow von Hamburg nach Bayern. Nun muss die Försterin sich eilen, „Möge mir das Streben nach irdischem den Gatten sauber zu zerteilen. Besitz, diese bedenkliche Schwäche eines Schnell hat sie ihn bis auf die Knochen sozialkritischen Zeichners, dereinst ver - nach Waidmanns Sitte aufgebrochen. ziehen werden“, hofft der Künstler. Wie Selbst der Lyriker an sich bleibt nicht das ganze Wirtschaftswunderland hat er unverschont in seinen kleinen Eitelkeiten. jetzt viel zu tun. Ein einziges Mal angeb - In „Pappa ante Portas“ parodiert Loriot lich schafft es die Familie zu viert nach einen Dichter in knarziger Lederjacke, Rom und Capri. Aber auch dort zeichnet der todernst und urkomisch aus seinem Papa immer weiter. Œuvre rezitiert: 1967 beginnt Loriot in dem Medium, Melusine dem er seine größte Popularität verdan - Kraweel … Kraweel! … ken wird, dem Fernsehen. „Cartoon“ taubtrüber Ginst am Musenhain, heißt die Sendung im Ersten. Das Kon - Trübtauber Hain am Musenginst … zept: Ein distinguierter älterer Herr im Kraweel! … Kraweel! Anzug sitzt auf einem Sofa und präsen - Loriots Kunst ist oft politisch, nur nie tiert internationale Zeichentrickfilme. Partei, auch wenn das vor Lachen nicht Bald macht Loriot die Filme lieber selbst. immer alle merken. In einer Rede zur Seine Knollnasenmännchen werden le - Wiedereröffnung des Deutschen Theaters bendig, kurz darauf kommen Sketche in München 1982 in Anwesenheit des da - dazu, meist mit Loriot als Hauptdarsteller. maligen bayerischen CSU-Ministerpräsi - Er klebt sich falsche Bärte an und trägt denten und Rüstungsfreundes Franz Josef Perücken, parodiert Nachrichtensprecher Strauß lobt er die Umsicht der Politiker, H C I

und erschreckt Touristen als Märchenkö - R das Theater finanziert zu haben und nicht Ü Z

nig Ludwig II. , ein „Tornado“-Kampfflugzeug, das etwa G A L

Lieblingsziel seiner Sottisen ist das R dasselbe gekostet hätte, jeweils 48 Millio - E V

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Fernsehen selbst, das ihm immer wieder E nen Mark. Der „Tornado“ habe zwar N E

ätzende Medienkritik entlockt. Etwa zu G „dank seiner Formschönheit, Wendigkeit O I D

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„Wünsch dir was“, eine der damals popu - ' und Schnelligkeit“ einen „hohen öffent - N E

lärsten Shows, moderiert von dem öster - H lichen Unterhaltungswert“, doch das C S N

reichischen Schauspieler Dietmar Schön - E Theater biete „1640 Sitzgelegenheiten, M

herr und dessen dänischer Frau Vivi Bach. D der ,Tornado ‘ hingegen nur 2“. N U

In einer Sendung im Jahr 1971 gibt es E Als Loriot Anfang der achtziger Jahre S P Ö

beinahe einen tödlichen Unfall, eine Kan - M mit dem Fernsehen schon wieder aufhört, '

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didatin droht in einem Auto zu ertrinken, I ist es noch leicht, eine nationale Berühmt - R O L

das Schönherr samt Insassen in einem : heit zu werden. Es gibt nur drei Program - S U

großen Becken hat versenken lassen. In A me, ARD, ZDF und die Dritten. Selbst

* +)$ " % 35/2011 69 Titel erfolglose Shows haben Zuschauerzahlen realen“, so begeistert sich Dittrich noch der Ära den jeweiligen Zeitgeist klug re - in zweistelliger Millionenhöhe. Das Be - heute für die gemeinsame Idee, die sich präsentiert, andererseits eine große All - sondere an ihm ist nicht sein Aufstieg, dann allerdings aufbläht, bis sie platzt. gemeingültigkeit erreicht in allem, was sondern dass Loriot partout nicht verges - Der geplante Gastauftritt sickert durch, er tat.“ sen wird. die ARD schaltet sich ein, plötzlich ist Das Echo, das Dittrich heute hört, sind Immerhin fängt die bonbon-bunte Kon - nicht mehr von der kleinen Sonntagnacht all die Klavier-Klavier-früher-war-mehr- kurrenz der Privatsender zehn Jahre spä - die Rede, sondern vom großen Samstag - Lametta-Phrasen-Fetzen auch von der ter erst richtig an. Immerhin revolutio - abend. Generation Facebook, für die Loriots niert dann auch noch das Internet unser Das wachsende Drumherum strengt klein- bis spießbürgerlichen Familienhöl - Medienverhalten weiter. Doch Loriot Loriot an, er will nicht unhöflich sein. len aus einer anderen erdgeschichtlichen bleibt den Menschen im Gedächtnis, auch Aber es wird zu groß. Es fühlt sich nicht Ära zu stammen scheinen. wenn sie nur noch die gelegentlichen Wie - mehr richtig an, weiß Dittrich irgend - Vielleicht ist es ganz gut, dass die Jün - derholungen seiner alten Werke sehen. wann, bis er Loriot vorschlägt: „Wir las - geren sich heute in seinen Geschöpfen Manchmal taucht er noch bei einer Gala sen es bleiben.“ Der antwortet leise: „Ich immer weniger wiedererkennen können, auf oder gibt eines seiner immer seltener könnte Sie umarmen.“ weil sie deren Ängstlichkeit und Ver - werdenden und umso mehr beachteten In - Dittrich ist in den Tiroler Bergen, als un sicherung nicht mehr teilen, diese per - terviews. Er ist längst viel größer als die er vergangene Woche von Loriots Tod er - manente Nachkriegsirritation, vor der Preise, die er bisweilen noch an - Welt da draußen irgendwas nimmt. Und je flacher die Fern - falsch zu machen oder dumm sehlandschaft wird – ausgespült aufzufallen. von Dutzenden von Privatsen - Vielleicht ist es ein Zeichen dern, erodiert durch den Quoten - von Normalität, wenn all diese druck, abgeschliffen von immer liebevoll verlachten Figuren neuen Sparwellen – umso größer künftig von immer weniger scheint das eherne Humor-Mas - Menschen verstanden werden. siv dieses bayerisch-preußischen Dittrich hört heute auch oft Eremiten zu werden. den Satz: „Das ist ja wie bei Lo - Mit nonchalanter Güte, Milde riot!“ Ganz so, als habe sich da und gelegentlicher Emphase ver - ein Genre bereits verselbstän - folgt Loriot vom Starnberger See digt, von seinem Erfinder oder aus jene, die nach ihm kamen. Entdecker losgelöst, der in den Selbst zu einem Zoten-Zampano vergangenen Jahren weiter ver - wie Mario Barth lässt er sich schwand und dabei zur Ikone kaum Böses entlocken. Das sei wurde, zur Instanz, zum Güte - doch toll, wie der sogar das voll - siegel. besetzte Berliner Olympiastadi - Das Arbeiten fiel Loriot zu - on begeistere, auch wenn Barths nehmend schwer. Der Rücken hysterisches Kumma-hömma- schmerzte, das Augenlicht ließ sachma-meine-Froindin-nä-Ge - nach, das Gehör auch. Altern hechel sicher nie sein Humor empfand er als „Zumutung“. Er war. mochte die damit einhergehen -

Seine Zuneigung gehört viel Z den Gebrechen nicht, weil sie U E R

eher Helge Schneider oder Ha - K ihn davon abhielten, präzise zu T S O rald Schmidt, Hape Kerkeling sein. Alter kann etwas unglaub - /

S natürlich, Bastian Pastewka H lich Disziplinloses sein. C U F

auch und – ganz klar – Olli Dit - T „Er litt darunter, dass er glaub - H C trich und dessen Fritteusen-Phi - E te, seinen eigenen Maßstäben in R B L losophen „Dittsche“. A punkto Sorgfalt oder Präzision „Niemand sonst gelingt es, an Loriot auf Schloss Elmau 2002: Altern war ihm „Zumutung“ nicht mehr gerecht zu werden“, der Theke einer Eppendorfer Im - glaubt Dittrich. bissstube im weißblaugrauen Bademantel fährt. Dutzende von Interviewanfragen Dem „Stern“ sagte Loriot mal: „Ich den Wahnsinn bürgerlicher Monologe in prasseln über ihn herein wie ein sommer - möchte immer aufhören, bevor ich in ei - pure Wonne einzutauschen“, schreibt er licher Hagelsturm. Er will das nicht. Alles, ner Sache nicht mehr gut bin.“ Vielleicht Dittrich Anfang des Jahres ins Vorwort was man jetzt vorschnell in die Welt po - fühlte er sich am Ende einfach nicht mehr zu dessen Autobiografie „Das wirklich saunen würde, käme ihm unangemessen gut genug in der Disziplin Leben, als er wahre Leben“. Adel verdichtet. vor. schließlich starb. Zu seinem 85. Geburtstag will Loriot Überhaupt diese ganze Nachruf-Indu - Nun regeln seine drei Frauen in Am - persönlich zu „Dittsche“ in den Imbiss strie jetzt, die aus der Trauer immer Ei - merland unaufgeregt seinen Nachlass. Es kommen. Die beiden hecken gemeinsam gen-PR zu machen droht. Bei „Markus soll eine öffentliche Trauerfeier geben, einen wundervollen Plan aus. Wo sonst Lanz“ sitzen am Dienstag Pastor Jürgen aber erst nach einer stillen Beerdigung der schweigsame Dauergast „Schildkröte“ Fliege, Jutta Ditfurth und als Humor-Ex - im Kreis der Familie. hockt und keine Rolle spielt, soll eines perte Ingo Appelt und reden über den Als ihn das „SZ-Magazin“ vor einigen Sonntagabends auf einem Biedermeier- Toten, von dem sie kaum eine Ahnung Jahren fragte, was denn auf seinem Grab - Sessel Loriot vor einem Fernseher sitzen, haben. stein stehen solle, antwortete er: „Zweck - in dem gerade live „Dittsche“ übertragen „Ich habe Loriots Genauigkeit bewun - mäßig wäre es, wenn der Name darauf wird. dert“, sagt Dittrich deshalb dann doch. stünde.“ Keine Begrüßung, keine Blicke, keine „Diese Aufrichtigkeit, mit der er uns Din - Ach, Herr von Bülow! Erklärung: „Er ist quasi nicht da, obwohl ge näherbrachte und dabei immer den Sagen wir jetzt nichts. er da ist – ein surreales Element im Sur - richtigen Ton traf. Einerseits hat er in je - T#(&+ T-&, M*,$' W(%!

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