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Über die Fusion Operation Vereinigung von PDS und WASG zur Linkspartei Udo Baron/Manfred Wilke

Mit der Zustimmung der „Wahlalterna- zialstaates westdeutscher Prägung un- tive Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“, ter den Stichworten „Agenda 2010“ und kurz WASG genannt, auf ihrem Ludwigs- „Hartz IV“ markierte einen Wendepunkt hafener Sonderparteitag zur Fusion mit in dieser Entwicklung. Aus Protest gegen der PDS zur Linkspartei.PDS am 29. April die von dem damaligen Bundeskanzler 2006 nimmt ein uralter Traum der Linken Gerhard Schröder eingeleiteten Refor- konkrete Konturen an: die Einheit aller men verließen zahlreiche linke Sozialde- Sozialisten. Waren bereits mit der Fusion mokraten und Gewerkschafter die SPD von KPD und SPD zur SED im April und gründeten schließlich eine neue Par- 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone tei, die WASG. Die PDS erkannte schnell (SBZ) Hoffnungen auf die beginnende die Chance, die sich ihr mit der WASG Realisierung dieses Vorhabens verbun- bot. Plötzlich schien er wieder da, der den, so schien mit dem Scheitern des real Traum von der Einheit der Linken, zu- existierenden Sozialismus in der DDR nächst in Gestalt einer gesamtdeutschen und der Enthüllung ihrer Verbrechen die- politischen Gruppierung links von der ser Traum zunächst einmal ausgeträumt. SPD. Die Diktaturpartei SED wurde von Nach- wuchskadern wie und Gre- Das Wahlbündnis als erster Schritt gor Gysi in die PDS transformiert. Die Die politische Vorlage zur forcierten Rea- deutsche Einheit zwang die „Partei der lisierung lieferte Bundeskanzler Schrö- DDR“ 1990, im Westen nach Mitstreitern der, als er nach den für seine Partei ver- für ihre offenen Listen zur Bundestags- lorenen NRW-Landtagswahlen vom 22. wahl zu suchen. Die Avancen gegenüber Mai 2005 vorgezogene Neuwahlen zum der westdeutschen Linken scheiterten, Deutschen für den 18. Septem- soweit sie auf Sozialdemokraten und ber 2005 ankündigte. Bei den NRW-Wah- Teile der Grünen zielten. len verbuchte die WASG einen Achtungs- Lediglich Mitglieder der DKP und an- erfolg, der die PDS zum Handeln veran- dere linksradikale Sektierer waren da- lasste. Der ehemalige SPD-Vorsitzende mals bereit, sich der PDS anzuschließen. und Gysi forderten, die Ihrer Vergangenheit wegen stellten sie Chance zu nutzen, mithilfe der WASG aber allzu oft für die PDS keine Hilfe, son- eine gesamtdeutsche Linke zu formieren, dern nur eine Belastung auf dem Weg die in den Bundestag einziehen kann. Da nach Westen dar. Die Ausnahme ist hier in der Kürze der Zeit eine Fusion nicht Berlin, wo die Westzugänge heute Sena- möglich war, musste ein Wahlbündnis toren sind. Der Weg in die bundespoliti- unter Regie der PDS als erster Schritt zur sche Bedeutungslosigkeit als ostdeutsche geeinten Linken vorerst ausreichen. Spit- Regionalpartei schien unaufhaltsam. Erst zenkandidaten wurden Lafontaine und die angekündigte Reform des alten So- Gysi, zwei medienwirksame Populisten,

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die erneut die politische Bühne betraten. hen und wurde somit stärker als die Der eine kandidierte für die WASG in Bündnisgrünen. Nordrhein-Westfalen, der andere für die PDS. Unter der Regie von Lafontaine und „Wenn wir schreiten Seit an Seit“ Gysi stand dem Etappenziel „Wahlbünd- Unter der Bezeichnung „Die Linke“ for- nis“ als Vorstufe zur Fusion nichts mehr mierte sich eine Bundestagsfraktion, die im Wege. Inhaltliche Diskussionen wur- begrifflich die noch ausstehende Fusion den auf die Zeit nach der Bundestags- vorwegnahm und bereits den Anspruch wahl verschoben. Bereits Mitte Juni konn- einer gesamtdeutschen Linken erhob. Der ten deshalb die Führungsgremien beider Aufbau parteiübergreifender Personen- Parteien schon beschließen, dass Kandi- bündnisse unter ihrer Führung gehörte daten der WASG auf den offenen Listen für die PDS-Politiker zum taktischen Erbe der PDS zu den Bundestagswahlen kan- der SED. Ihre Kunst bestand darin, die didieren dürfen. Im Juli sprach sich die WASG, ein Konglomerat aus enttäusch- Mehrheit der WASG-Mitglieder in einer ten linken Sozialdemokraten, Gewerk- Urabstimmung für ein solches Bündnis schaftern und Friedensaktivisten, an sich aus. Am 17. Juli votierte auch die PDS zu binden. Auffällig ist die Dominanz auf einer außerordentlichen Tagung ihres hauptamtlicher Funktionäre vor allem neunten Parteitages dafür. Die PDS er- von IG Metall und ver.di in der WASG füllte eine Vorbedingung der WASG, sie wie beispielsweise die geschäftsführen- änderte ihren Namen in die „Links- den Vorstandsmitglieder und partei.PDS“. Den westdeutschen Landes- Thomas Händel. und Gebietsverbänden wurde zugestan- Neben den Gewerkschaftern versam- den, auf den Zusatz PDS zu verzichten, melt die WASG auch altbekannte Aktivis- um ihre Erfolgschancen nicht zu schmä- ten der Friedensbewegung wie den Ham- lern. Bewusst sollte nach außen der Ein- burger Völkerrechtler Norman Paech in druck erweckt werden, es handle sich um ihren Reihen. Er diente bereits in der Aus- einen historisch unvorbelasteten partei- einandersetzung um den NATO-Doppel- politischen Neuanfang. Zugleich hofften beschluss von Anfang der achtziger Jahre die Parteistrategen, dadurch auch die des zwanzigsten Jahrhunderts dem kom- Hemmschwelle für viele westdeutsche munistischen Spektrum als einer ihrer Linke, die der PDS aufgrund ihrer SED- Wortführer, vor allem in der von der DKP Vergangenheit kritisch gegenüberstan- gelenkten „Krefelder Initiative“. Hinzu den, zu senken. Von der Öffentlichkeit kommen sozialistische Wirtschaftswis- unbeachtet, wurde die Vernetzung mit senschaftler wie Herbert Schui und Axel der DKP enger. Zahlreiche Parteimitglie- Troost von der AG „Alternative Wirt- der wie die Hochschullehrer und frühe- schaftspolitik“. ren DKP-Vorstandsmitglieder Jörg Huff- Mit Lafontaine verfügt die PDS nach schmidt und Georg Fülberth wurden auf vielen vergeblichen Anläufen endlich über den offenen Listen der Linkspartei.PDS eine auch in Westdeutschland wähler- platziert. Das Wahlbündnis umschiffte wirksame und populäre Persönlichkeit. geschickt alle Klippen des Bundeswahl- Lafontaine sichert als Frontmann der gesetzes. Linkspartei.PDS nicht nur die benötigte Der Erfolg bei der Bundestagswahl mit mediale Aufmerksamkeit. Es gelang ihm 8,7 Prozent der Wählerstimmen bestä- auch, mit dem ehemaligen SPD-Landes- tigte die gewählte Strategie. Das neue vorsitzenden von Baden-Württemberg, Wahlbündnis konnte mit 54 Abgeordne- Ulrich Maurer, einen weiteren prominen- ten in den Deutschen Bundestag einzie- ten und politisch erfahrenen Sozialdemo-

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kraten zu gewinnen. Gemeinsam mit Mau- umspannenden Neoliberalismus im Mit- rer verleiht er der PDS im neuen Gewand telpunkt ihres Denkens. Die WASG-Leit- auch das dringend benötigte demokrati- sätze orientieren sich stark an der Pro- sche Erscheinungsbild: Ihr Insiderwissen grammatik der IG Metall, die fixiert ist auf aus der langjährigen Zugehörigkeit zur den alten Sozialstaat westdeutscher Prä- deutschen Sozialdemokratie in Schlüssel- gung mit staatlichen Beschäftigungs- und positionen verschafft der Linkspartei.PDS Investitionsprogrammen zur Arbeitsbe- ganz neue Möglichkeiten in der Ausein- schaffung. Zwangsläufig reduziert sich andersetzung mit der SPD. Beide wirken durch diese Fixierung ihr Programm auf wie ein Stachel in der offenen Wunde der Fragen der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- Sozialdemokratie. Dennoch sollte – allen und Sozialpolitik. nach außen vorgetragenen Aversionen Vernünftigerweise hat die PDS mit vor allem gegenüber Lafontaine zum Trotz Blick auf die künftige Programmatik ei- – nicht übersehen werden, dass Lafontaine nen Vergleich ihres Programms mit den und auch Maurer durch ihre nach wie vor Vorstellungen der WASG vorgenommen. bestehenden Kontakte zum linken Flügel Dieser kommt zu dem Ergebnis, das der der SPD künftig als Brückenbauer zur So- Anti-Neoliberalismus das einigende Band zialdemokratie im Hinblick auf eine mög- zwischen beiden Parteien darstellt, aber liche Kooperation zwischen beiden Par- nicht die Zielsetzung „Sozialismus“, an teien in Erscheinung treten könnten. Nicht der die PDS festhält. Neoliberalismus übersehen werden sollte in diesem Zu- steht als „Synonymbegriff für alle Gebre- sammenhang zudem das Wunschdenken chen und Krisen der gegenwärtigen Ge- von Lafontaine, eines Tages als Schöpfer sellschaft sowohl national als auch inter- einer deutschen Linken aus Linkspar- national“ – so die Vergleichsstudie der tei.PDS und SPD in die Gesichte einzu- Rosa-Luxemburg-Stiftung. Um diesen zu gehen und der SPD den Ausweg aus der stoppen, plädieren beide Partner für einen großen Koalition zu zeigen. Nicht von un- starken Staat als zentralen wirtschafts- gefähr stellte die PDS in ihrem Streit mit politischen Akteur, der die soziale Ge- den Fusionsgegnern in der WASG ein- rechtigkeit durchsetzen soll. Einig sind sie deutig klar, Opposition und Regierungs- sich über die sozialstaatliche Regulie- partei sind für sie keine Alternativen. Die rungsfunktion des Staates. Ausgehend Linkspartei soll künftig Regierungsver- von einer etatistischen Grundhaltung, antwortung anstreben. wird in der „Vergesellschaftung struktur- bestimmender Unternehmen“ und im Fahrplan zur Fusion Ausbau des öffentlichen Dienstes der Der Einzug der Linkspartei in den Schüssel für die Lösung der wirtschaft- Bundestag war die Voraussetzung für lichen und sozialen Probleme gesehen. den erfolgreichen Weg zur Fusion, die am Weitere Privatisierungen öffentlicher Un- 30. Juni 2007 vollzogen werden soll. Für ternehmen werden abgelehnt. Um Kom- die Bildung eines gemeinsamen Profils ist patibilität mit gewerkschaftlichen Forde- eine einheitliche Programmatik unver- rungen zu erreichen, werden die Einfüh- zichtbar. Gerade hier treten die Unter- rung von Mindestlöhnen und eine aktive schiede deutlich zu Tage: Die WASG ist Arbeitspolitik gefordert. Dem gleichen im Gegensatz zur PDS eine Ein-Punkt- Ziel dient das Stichwort „Wirtschaftsde- Partei. Getragen von der „Leitidee der so- mokratie“. Mit ihm wird eine Ausweitung zialen Gerechtigkeit“, wie es ihr Grün- der Arbeiternehmerrechte und der Mitbe- dungsprogramm formuliert, steht der stimmung gefordert. Eine Mindestrente Protest gegen das Feindbild eines welt- soll die Alterssicherung regeln. Die Frage

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der Gegenfinanzierung bleibt unbeant- Notwendigkeit der Organisation der Be- wortet. Pauschal wird nur auf die Erhö- rufsrevolutionäre in einer Avantgarde- hung des Spitzensteuersatzes, die Wieder- Partei begründete, steht bei ihr immer einführung einer Vermögenssteuer und noch die Frage der Partei im Zentrum der eine Erhöhung der Erbschaftssteuer ver- Analyse. Im Unterschied zu früheren Pro- wiesen. grammen der Linken, die sich als Avant- Verlässt man diesen zentralen Bereich garde präsentierte und mit dem Sozia- gemeinsamer künftiger Politik, so kommt lismus einen Fortschritt in der mensch- es auch in den Themenfeldern Außen- lichen Zivilisation verhieß, fehlt heute und Sicherheitspolitik zu deutlichen dieser Geist des Aufbruchs. Es erinnert Übereinstimmungen. Die West- und die vielmehr an eine reaktionäre Beschwö- Ostlinke sehen in einer „neoliberalen Po- rung der Strukturen und Finanzierungen litik“ und dem „Ringen der USA um Vor- des Sozialstaates der alten Bundesre- herrschaft in der Welt“ die Ursache für publik – den die SED bis 1989 als fort- Kriege und Unterdrückung. Sie fordern schrittsfeindliche und rückwärts ge- eine alternative Regulierung der Globali- wandte Gesellschaft anprangerte. sierungsprozesse, eine Überwindung von Diesen Differenzen zum Trotz über- Militärbündnissen und lehnen Auslands- wiegen die Schnittmengen für eine Fu- einsätze der Bundeswehr grundsätzlich sion. Um einen reibungslosen Vereini- ab. gungsprozess zu garantieren, setzt die PDS mit auf einen er- Differenzen im Selbstverständnis fahrenen ehemaligen westdeutschen Ge- Kritisch betrachtet werden von Seiten der werkschaftsfunktionär als Fusionsbeauf- PDS die theoretischen Grundlagen der tragten. Qua Herkunft und Erfahrung WASG. Hier werden der fehlende Be- sollte er zusammen mit den Mandatsträ- zug der WASG zu historischen Wurzeln, gern in der WASG deren Mitglieder für vor allem zur Arbeiterbewegung, ihre Ge- die Fusion mobilisieren. schichtslosigkeit und ihr weitgehend the- Die Bundestagsfraktion stellt die Klam- oriefreier Politikansatz moniert. Zentra- mer der unterschiedlichen Partner dar. ler Dissens der WASG zum Selbstver- Sie greift mit ihrem Kampf für den Ver- ständnis der PDS ist die Frage einer Re- sorgungsstaat die Stimmung in weiten gierungsbeteiligung. Während die PDS Teilen der Bevölkerung auf. Sie macht diese – wie in Berlin und Mecklenburg- Politik mit deren Sorgen, Nöten und Vorpommern deutlich – mit den Sozial- Ängsten und bedient diese mit populisti- demokraten will, ist die WASG in dieser schen Forderungen. Zugleich schlägt sie Frage gespalten. Viele ihrer Aktivisten mit ihren Kernforderungen den Bogen vor Ort, namentlich in Berlin, Sachsen- zum DGB, insbesondere zu IG Metall und Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, ver.di. Dieses ist strategisch wichtig, weil verstehen sich als Fundamentalopposi- eine Verknüpfung der Positionen der tion. Dies führt zu Konflikten innerhalb Linkspartei mit Teilen des DGB das der WASG im Blick auf die geplante Druckpotenzial auf die SPD planmäßig Fusion mit der PDS. Die Linkspartei.PDS erhöht, um diese zu einem Kurswechsel als sozialistische Partei sieht sich in der zu zwingen. Rolle einer Avantgarde, die die ver- sprengte West-Linke in Deutschland end- Logistische Weichenstellungen lich unter ihrer Führung vereinen will. Der Dresdner Parteitag der PDS vom Seit Lenins Programmschrift von 1902 10./11. Dezember 2005 wollte die ge- Was tun?, mit der er die Lehre von der plante Fusion nicht dem Zufall überlas-

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sen. Die Funktionäre von WASG und PDS ran“ (SAV). Gleich in mehreren WASG- einigten sich auf eine Doppelmitglied- Landesverbänden sind Aktivisten der schaft und eine schriftliche Urabstim- SAV bis in Schlüsselpositionen aufgestie- mung in der WASG. Bis zum Abschluss gen. In der Tradition des russischen Re- des Fusionsprozesses können nun Mit- volutionsführers Leo Trotzki hat sich die glieder der PDS gleichberechtigt in der SAV zum Ziel gesetzt, auf revolutionäre WASG mitwirken und umgekehrt deren Art und Weise das bestehende System zu Mitglieder in der PDS. Es galt Mehrheiten stürzen. Ein Weg zur Erlangung dieses für die Fusion innerhalb der WASG zu Zieles stellt die „Entrismus“-Strategie organisieren. Lafontaine und Gysi gingen dar, mit der bereits die Hamburger Tho- bereits mit gutem Beispiel voran. So ist mas Ebermann, Rainer Trampert und Jür- Lafontaine am 28. Dezember demonstra- gen Reents vor fünfundzwanzig Jahren tiv auch in die PDS eingetreten, während erfolgreich ihren Weg nach oben bis in Gysi nun auch über das Parteibuch der den Bundesvorstand der Grünen gingen. WASG verfügt. Als Mitglied des internationalen trotzkis- tischen Dachverbandes „Committee for a Streitpunkt Regierungsbeteiligung Workers International“ (CWI) ist es der Obwohl mithilfe der Doppelmitglied- SAV in Berlin, und Mecklenburg- schaften und der Urabstimmung der Vorpommern gelungen, die Landesver- rasende Zug Richtung Fusion beider bände der WASG zu führen. In Berlin Parteien kaum noch aufzuhalten ist, kam stellt die SAV mit Lucy Redler und Hakan es in einzelnen Landesverbänden der Doganay gleich zwei Vorstandsmitglie- WASG zu Bremsmanövern. Während auf der der WASG. Wie bedrohlich diese Ent- der Bundesebene die Fusion zwischen wicklung für das Fusionsprojekt von Gysi den führenden Funktionären beschlos- und Lafontaine war, verdeutlichte die sene Sache war, kam es auf der Ebene der Urabstimmung der Berliner WASG-Mit- Landesverbände zu erheblichen Differen- glieder über ein Wahlbündnis mit der zen. Vor allem in Berlin und Mecklen- PDS bei den Wahlen zum Berliner Ab- burg-Vorpommern gab und gibt es mas- geordnetenhaus. Vor allem dem Einfluss sive Vorbehalte gegenüber einem ge- der SAV ist es zu verdanken, dass sich meinsamen Wahlbündnis bei den in die- nach den Delegierten des Berliner WASG- sem Jahr anstehenden Abgeordneten- Landesparteitages nun auch von den haus- beziehungsweise Landtagswahlen. knapp 500 Berliner WASG-Mitgliedern Diese richten sich in erster Linie gegen die 272 per Urabstimmung für eine eigene Regierungsbeteiligung der PDS in einer Kandidatur ausgesprochen haben. Koalition mit der SPD in Berlin und Mit dieser Entscheidung gefährdete die Mecklenburg-Vorpommern. Die dorti- Berliner WASG auch den Fraktionsstatus gen WASG-Landesverbände sehen keine der Linkspartei im Deutschen Bundestag. ausreichende gemeinsame Basis für die Paragraf 10 der Geschäftsordnung des Fusion mit einer Partei, die durch ihre Deutschen Bundestages schreibt vor, dass Koalition mit der SPD in ihren Augen die Vereinigungen von Mitgliedern des Deut- Verantwortung für Sozialabbau und schen Bundestages, die Parteien ange- Neoliberalismus trägt. Vor allem die hören, in keinem Land im Wettbewerb Dominanz linker sektiererischer Grup- zueinander stehen dürfen. Träte nun die pierungen forciert diese ablehnende Hal- WASG in einem Bundesland gegen die tung innerhalb dieser WASG-Landes- Linkspartei an, so wären die rechtlichen verbände. Verantwortlich dafür ist vor Bedingungen für eine Bundestagsfraktion allem die „Sozialistische Alternative Vo- nicht mehr erfüllt, da offenkundig wür-

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de, dass sie keine gemeinsamen politi- heit von 186 für den geplanten Zusam- schen Ziele verfolgen. Nach der Ankün- menschluss mit der PDS. digung der WASG-Landesverbände, bei Mit dem Gelingen der Fusion steht sie den Wahlen in Berlin und Mecklenburg- vier Jahre später wie auferstanden aus Vorpommern in Konkurrenz zur Links- Ruinen nun kurz vor ihrem bislang größ- partei.PDS anzutreten, begann im Bun- ten Erfolg: der lang ersehnten Etablierung destag das parlamentarische Verfahren, als gesamtdeutscher Partei. Mit einer auf um den Fraktionsstatus der Linkspar- Besitzstandswahrung orientierten sozial- tei.PDS im Bundesparlament zu prüfen. romantischen Programmatik und neuen Dadurch stehen PDS und WASG unter ei- Gesichtern aus dem Westen der Republik, nem gehörigen Erfolgsdruck, denn bei ei- die auch in Westdeutschland auf Akzep- nem negativen Votum droht der Verlust tanz links von der SPD stoßen, gelang es, des Fraktionsstatus und damit des Zen- immer mehr den diktatorischen Charak- trums des politischen Einflusses im Parla- ter ihrer Vorvorgängerpartei, der SED, in ment und der Öffentlichkeit. Es ist daher der öffentlichten Wahrnehmung zu ver- nicht verwunderlich, dass der Bundes- drängen. Schon heute wird die Links- vorstand der WASG mit allen Mitteln bis partei.PDS in der öffentlichen und ver- hin zur Androhung von Ausschlüssen öffentlichen Meinung oft nur noch als und der Auflösung des Landesverbandes „Die Linke“ wahrgenommen. Zuneh- versucht, einen eigenständigen Antritt der mend entsteht durch den Namen selbst Berliner WASG abzuwenden, um das avi- der Eindruck, als wäre sie eine Neugrün- sierte Ziel einer „Linkspartei“ in Deutsch- dung ohne Geschichte. Ein neuer Partei- land unter Führung der PDS zu erreichen. name, neue Gesichter und ein hem- Um es noch einmal zu wiederholen: Ohne mungsloser Populismus reichen anschei- sie wäre die Westausdehnung der alten nend aus, um die Erblast der SED-Dikta- PDS erneut gescheitert und sie auf den Sta- tur gegen das Image einer humanisti- tus einer Regionalpartei Ost zurückge- schen und weltoffenen Linken einzutau- worfen. schen. Aus Ruinen auferstanden Medienpräsenz und Breitenwirkung Nach der verlorenen Bundestagswahl von Lafontaine und Gysi wissen die Mecha- 2002 schien für die alte PDS nur noch der nismen der Mediengesellschaft zu bedie- Platz als ostdeutsche Milieupartei im bun- nen. Im Gegensatz zu den eher spröde desrepublikanischen Parteienspektrum und bieder wirkenden sonstigen Funk- übrig zu bleiben. So sah das auch die Mehr- tionären der Linkspartei.PDS garantieren heit der Wahlforscher. Die Rettung er- beide mit ihrem populistischen Auftreten folgte in Gestalt der WASG. Nachdem sich die nötige mediale Aufmerksamkeit. Mit zuvor bereits der WASG-Bundesvorstand Lafontaines rhetorischen Attacken gegen mehrheitlich für den Zusammenschluss den Sozialabbau, seinen Verbalinjurien mit der PDS ausgesprochen hatte, votier- gegen das Unternehmertum und seinen ten Anfang April 2006 in einer schrift- programmatischen Versprechungen ei- lichen Urabstimmung, an der 57 Prozent ner Rückkehr zum bundesrepublikani- aller WASG-Mitglieder teilnahmen, 78,3 schen Sozialstaat der siebziger Jahre Prozent für die geplante Fusion. Der Lud- nutzt er die Sehnsüchte west- und ost- wigshafener Sonderparteitag der WASG deutscher Arbeitnehmer aus. Zugleich vom 29. April 2006 bestätigte diesen Trend öffnet er die Linkspartei.PDS mit seinen noch einmal. Von den Anwesenden 350 populistisch vorgetragenen Forderungen Delegierten votierte eine knappe Mehr- auch für die Wählerschichten am rechten

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Rand. Ganz unverkrampft experimen- Bundestagsabgeordneten und heutigen tiert er mit der Sprache des Nationalso- Abteilungsleiterin Sozialpolitik bei der IG zialismus. So warnt er beispielsweise in BAU, Annelie Buntenbach, zwei ausge- seiner Rede in Chemnitz vom Juni 2005 wiesene Hardliner durchsetzen. Sie sol- vor „Fremdarbeitern“, die den Deut- len künftig die Verbindungen zur Links- schen die Arbeitsplätze wegnehmen. In partei.PDS pflegen und ausbauen. seinem Buch Politik für alle wettert er in Die Dominanz des Gewerkschaftsflü- einem Rundumschlag gegen die bösen gels innerhalb der Linkspartei.PDS spie- Reichen, unfähige Manager und korrupte gelt sich aber auch auf der Landesebene politische Eliten, die den kleinen Mann wider. So kandidierten für die Landtags- mit ihren „Schandgesetzen“ ausbeuten wahl in Baden-Württemberg der IG- und unterdrücken. Solche Sprache führt Metall-Funktionär Roland Hamm von er auch in der Außen- und Sicherheitspo- der Linkspartei, in Rheinland-Pfalz trat litik. In seinem manifesten Anti-Ame- mit Norbert Kepp ein IG-Metaller aus rikanismus und seiner Israel-Obsession Kaiserslautern für die WASG an. In Ba- spricht er dem Iran das Recht auf Atom- den-Württemberg ist zudem der ver.di- waffen zu. In einem Interview des Neuen Landesgeschäftsführer Bernd Riexinger Deutschland sieht er sogar Schnittstellen zugleich auch WASG-Landesvorsitzen- zwischen der Linken und dem Isla- der. mismus in ihrer antikapitalistischen und Auch wenn die WASG bei den Land- antiamerikanischen Grundeinstellung. tagswahlen in Baden-Württenberg mit 3,1 Prozent und in Rheinland-Pfalz mit 2,5 Linkspolitische Brückenschläge Prozent deutlich an der Fünf-Prozent- Die Strategie der PDS, mithilfe der WASG Hürde scheiterte, so zeigen diese Wahl- als Linkspartei.PDS den Brückenschlag ergebnisse dennoch, dass eine künftige auch in die linken Milieus Westdeutsch- Linkspartei durchaus in der Lage ist, der lands zu schaffen, scheint aufzugehen. SPD nennenswerte Stimmen abzuneh- Wichtig ist der Schulterschluss zwischen men. der Linkspartei.PDS und Teilen des DGB. War der DGB-Vorsitzende Michael Som- Konkurrenz zur SPD mer noch vor der Bundestagswahl auf Scheint der Brückenschlag zu den Ge- deutliche Distanz zur Linkspartei.PDS werkschaften bereits gelungen zu sein, so gegangen und hatte vor einer „Spaltung gestalten sich die Beziehungen zur SPD der Linken“ gewarnt, so besuchte er im naturgemäß schwieriger. Beide Parteien Januar 2006 offiziell die Bundestagsfrak- sehen sich in der Tradition der Arbei- tion der Linkspartei und vereinbarte dort terbewegung und konkurrieren vor al- gemeinsame Aktionen gegen Lohndum- lem beim Thema „soziale Gerechtigkeit“ ping. Ebenso verfuhren der IG-Metall- um die Deutungshoheit und somit um Vorsitzende Jürgen Peters und sein die ideologisch-strukturelle Verortung im ver.di-Kollege Frank Bsirske. Gemeinsam Parteienwettbewerb. So erhebt die Links- protestierten sie gegen die Schließung des partei in den Worten ihres parlamentari- AEG-Werks in Nürnberg und den Stel- schen Geschäftsführers Maurer den An- lenabbau der Telekom in Ingolstadt. spruch, dass die „Werte, für die früher ein- Auch die Neubesetzung des künftigen mal die SPD stand, heute nur noch von DGB-Bundesvorstandes bestätigt diesen Linken vertreten [würden]“, während die Trend. So konnten Peters und Bsirske mit Sozialdemokratie zu einer „gemäßigt neo- dem Sozialdemokraten Claus Matecki liberalen Organisation, die von Karrie- und der früheren Bündnisgrünen- risten geführt wird“, verkommen sei.

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Mit ihren sozialromantischen Forde- mögliche Kooperationen nach einem Ende rungen und ihren Wahlerfolgen stellt die der großen Koalition im Bund ausloten. Linkspartei eine ernsthafte Bedrohung Dahinter steckt der alte Traum Lafon- für den Bestand der SPD als linke Volks- taines, unter seiner Ägide die Linke in partei im Ringen um Mitglieder, Bünd- Deutschland, einschließlich der Sozialde- nispartner und Wählerschichten dar. Die mokratie, zu vereinen. SPD kann diese Entwicklung nicht igno- Auch wenn vor allem der „Fahnen- rieren. Sie muss um der eigenen politi- flüchtige“ Lafontaine bislang eine An- schen Mehrheitsfähigkeit willen den Ver- näherung zwischen Linkspartei und SPD such der Linkspartei unterbinden, ihr den in weite Ferne zu rücken scheint, so gibt Platz auf der Linken streitig zu machen. es dennoch auch von sozialdemokrati- Deshalb sah sich der kurzzeitige SPD- scher Seite Anzeichen einer möglichen Vorsitzende Matthias Platzeck auf dem Annäherung. So fordert der künftige SPD-Parteitag in Karlsruhe vom 15. No- stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende vember 2005 auch genötigt, den emotio- und sachsen-anhaltinische Finanzminis- nalen Leitbegriff „links“ und die damit ter Jens Bullerjahn einen „entkrampften“ assoziierten Werte und ihre Geschichte Umgang mit ehemaligen hauptamtlichen wie Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Stasi-Mitarbeitern. Der Architekt des Weltoffenheit für seine Partei zu rekla- „Magdeburger Modells“, bei dem die PDS mieren und diesen Anspruch der Links- in den neunziger Jahren die SPD-Minder- partei abzuwehren. heitsregierung unter Ministerpräsident Höppner tolerierte, hält sich damit an die Anzeichen möglicher Annäherung Politik von Altkanzler Schröder, der für Aller Konkurrenz zum Trotz gibt es aber die SPD alle Optionen für Koalitionen of- von beiden Seiten durchaus auch Be- fen hielt. Zugleich erklärte der Regierende strebungen, nicht alle Türen für eine künf- Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowe- tige Kooperation zuzuschlagen. So soll der reit, vernehmlich, die Koalition aus SPD Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, und PDS nach den Abgeordnetenhaus- , mithilfe unverdächtiger Dis- wahlen fortsetzen zu wollen, und dachte kussionszirkel für Wissenschaftler und In- offen über künftige rot-rote Modelle auch tellektuelle aus dem linksliberalen Milieu auf Bundesebene nach den nächsten inoffizielle Kontakte zur SPD knüpfen und Bundestagswahlen nach.

Mogelpackung „Zwischen den Berliner Aktivisten der WASG und der Mehrheit des Bundesvorstan- des und der Bundespartei scheint kein Dialog mehr möglich. Die einen ziehen ihre politische Lebensberechtigung aus der vehementen Ablehnung der Berliner PDS, die im Senat eine pragmatische Politik aus Einsparungen, Vermögensverkäufen und har- ten Tarifauseinandersetzungen trägt. Die Spitzenleute der WASG, die längst die An- nehmlichkeiten weicher Bundestagssessel entdeckt haben, streben ungeachtet aller inhaltlichen Differenzen eine Fusion beider Parteien an. Dafür zieht der Bundes- vorstand den politischen Hammer gegen die Abweichler, setzt den Landesvorstand ab und ignoriert die Wünsche der regionalen Basis. Die neue Linke wird zumindest in Berlin in jedem Fall eine Mogelpackung bleiben.“ Joachim Fahrun am 18. Mai 2006 in Die Welt.

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