Über den Lendwirbel Die Ethnographie eines soziokulturellen Stadtviertelfestes in

DIPLOMARBEIT

zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Stefanie RUMERSDORFER

Mag. phil.

am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie Begutachterin: Univ.-Prof. Mag. Dr. phil. Johanna Rolshoven

Graz, Dezember 2013

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstän- dig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Ar- beit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht.

Datum: 16. Dezember 2013

Unterschrift:

Vielen herzlichen Dank

INHALTSVERZEICHNIS

Kapitel 1 WEGWEISER ...... 11

1.1. Fragestellung und Intention – Über meine Neugier und deren Relevanz für die Wissenschaft ...... 11

1.2. Methodischer Zugang – Über den Weg meiner Forschung ...... 22

Kapitel 2 DER LENDWIRBEL ...... 33

2.1. Auf der rechten Murseite – Über den vierten Grazer Stadtbezirk ...... 33

2.2. Bunte Blockparty – Darüber, wie der Wirbel nach Lend kam...... 42

Kapitel 3 ZWISCHEN SELBSTBESTIMMUNG UND VEREINNAHMUNG ...... 59

3.1. Vorsicht, Kontrolle! – Über Machtverhältnisse im Raum ...... 60

3.2. Wenn alle gleich sind und aktiv werden – Über das unternehmerische Selbst und die Homogenität aller Subjekte ...... 70

3.3. Creative City of Lendwirbel – Über Kreativwirtschaft und City of Design 82

Kapitel 4 CARPE URBEM – NUTZE DIE STADT! ...... 97

QUELLENNACHWEISE ...... 107

ANHANG ...... 123

ÜBER DEN LENDWIRBEL Die Ethnographie eines soziokulturellen Stadtviertelfestes in Graz

Wenn diese Diplomarbeit mit dem Titel Über den Lendwirbel. Die Ethnographie eines soziokulturellen Stadtviertelfestes in Graz in gedruckter Form vorliegt, sind über zwei Jahre vergangen, in denen ich mich intensiv mit dem vierten Grazer Stadtteil Lend be- schäftigte, ihn genau beobachtete und mit vielen BewohnerInnen, aber auch ‚anderen‘ GrazerInnen über dessen Entwicklung und Dasein gesprochen habe. Nicht nur die Tatsa- che, dass dieses Stadtviertel während meiner gesamten Studienzeit mein Wohnort war, den ich immer wieder verteidigen musste und dies auch zu tun wusste, sondern auch die Schwerpunktsetzung meines Studiums der Volkskunde und Kulturanthropologie auf Stadtanthropologie, die Mensch und Raum zusammendenkt, bedingen die Gedanken und Überlegungen dieser Abschlussarbeit.

Darüber hinaus habe ich das Masterstudium Weiterbildung / Lebensbegleitende Bildung absolviert, welches im November des Vorjahres beendet wurde. Der Titel der Masterar- beit lautet Lernen findet Stadt. Eine pädagogisch-kulturwissenschaftliche Auseinander- setzung mit relationalen Lernprozessen im gentrifizierten urbanen Raum1. Hier beschäf- tigte ich mich mit einer bildungstheoretischen Rahmung des Lernbegriffs2 außerhalb ei- ner Institution sowie mit einem Lernen an und in Urbanität vor dem Hintergrund eines von Gentrifizierungsprozessen durchzogenen Stadtraumes. Dieses Themengebiet soll

Über den den Über Lendwirbel

1 Rumersdorfer 2012 2 In Anlehnung an die Theorie des relationalen Lernens des Erziehungswissenschaftlers Tobias Künkler (2011)

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nun um den zusätzlichen Aspekt eines Stadtviertelfestes, welches in politischen, gesell- schaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen passiert, erweitert werden.

Meine von zwei unterschiedlichen Disziplinen geprägte Identität als Forscherin stellt ei- nen Mehrwert für die vorliegende Forschung dar, insofern, als dass die Themenfelder Stadtforschung, Gouvernementalität, Gentrifizierung, Kreativwirtschaft, öffentlicher Raum, sowie handelnde Subjekte und deren Aneignungspraktiken zusammengedacht und miteinander in Verbindung gebracht werden. Dabei werden weder die (fachspezifischen) Unterschiede kleinlich herausgearbeitet, noch wird von einer interdisziplinären Herange- hensweise ausgegangen. Vielmehr werden die verschiedenen Zugänge fusioniert, um eine erweitere Perspektive auf den Forschungsgegenstand zu gewährleisten. Jene persönliche wie akademische Basis ist Ausgangspunkt für die vorliegende Auseinandersetzung.

Über den Lendwirbel Über den 10

Kapitel 1 WEGWEISER

Dieses Kapitel dient der ersten theoretischen Verortung der Diplomarbeit im aktuellen urbananthropologischen Diskurs. In Kapitel 1.1. Fragestellung und Intention – Über meine Neugier und deren Relevanz für die Wissenschaft werden die Forschungsfrage(n) erläutert. Weiters wird die Intention, dieses Thema zu bearbeiten, dessen wissenschaftli- che Berechtigung und gesellschaftliche Relevanz näher ausgeführt. In Kapitel 1.2. Me- thodischer Zugang – Über den Weg meiner Forschung wird der Weg ins und zum Feld sowie die verwendeten Methoden vorgestellt und deren Wahl begründet werden. So wird ein erster Rahmen gesteckt, um den/die LeserIn Schritt für Schritt an den Erkenntnispro- zess heranzuführen.

1.1. Fragestellung und Intention – Über meine Neugier und deren Relevanz für die Wissenschaft

Hinter dieser Abschlussarbeit steht die Motivation, ein möglichst facettenreiches Bild KapitelWegweiser 1 über das Phänomen des Lendwirbels zu zeichnen. Ein Stadtviertelfest, das zu einem Be-

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dürfnis3 wurde, das in einem von Gentrifizierungsprozessen geprägten Stadtraum und so- mit unter bestimmten marktwirtschaftlich geprägten gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen stattfindet, ist besonders spannend zu beforschen. Viele unter- schiedliche Zugänge, Interpretationen und Meinungen sind zugelassen, von denen alle ‚richtig‘ zu sein scheinen. Werden die unterschiedlichen Facetten des Lendwirbels genau beobachtet und zusammengedacht, lässt sich herauslesen, dass die gesetzten Initiativen der AkteurInnen unter anderem als Werkzeuge gegen die immer stärker werdende Ver- einnahmung des öffentlichen Raums, sowie der darin stattfindenden Festivals und Akti- onen dienen. Er wird deswegen auch als „selbstbefruchtete Bottom-up-Bewegung im Be- zirk Lend“4 bezeichnet. Dieser Umstand wird in der vorliegenden Arbeit eine zentrale Rolle einnehmen, da er sich durch alle Aspekte des Stadtfestes zieht und auf subtile Weise immer wieder auftaucht.

Der Lendwirbel wird somit zu einem wichtigen empirischen Beispiel, welches den theo- retischen Rahmen der Gouvernementalität (ein Begriff, den der Philosoph Michel

FOUCAULT bereits im Studienjahr 1977 / 1978 am Collège de France (Paris, Frankreich) in der Vorlesung „La Gouvernementalité“ einführte und nachhaltig prägte) in einer Stadt ausfüllen und an praktischen Beispielen veranschaulichen kann. Der Begriff ist ein Neo- logismus aus den Worten gouverner – Regieren und mentalité – Denkweise. Kern seiner Aussagen bildet das Regiert werden anhand unterschiedlicher (politischer) Strategien und Methoden, die meist subtil geschehen und als Form der Kontrolle von Subjekten gesehen werden. Er spricht vom Regieren „als jede Form systematischer ‚Menschenführung‘“5. Durch den Regierungsbegriff „wird es möglich zu untersuchen, wie Herrschaftstechniken sich mit ‚Technologien des Selbst‘ (Foucault 1993a) verknüpfen und Formen politischer Regierung auf Praktiken des ‚Sich-selbst-Regierens‘ zurückgreifen“6, schreibt der Sozi-

ologe Thomas LEMKE. Geführt wird allerdings nicht mehr die Gesellschaft als Ganzes, als vielmehr Gemeinschaften sowie Individuen, auf die, durch deren räumliche Position

3 Die Zitate und Erläuterungen unterschiedlicher AktivistInnen und BesucherInnen des Lendwir- bels (aus Interviews und Gedächtnisprotokollen von Vorträgen und Diskussionen stammend) werden in der vorliegenden Arbeit in dieser Schriftart, nämlich Arial Narrow, geschrieben, da auch

die Homepage www.lendwirbel.at mit diesem Font operiert und somit die ‚Corporate Identity‘ dieses Festes zumindest subtil mit hineinfließen kann, vor allem, da es unter den Beteiligten einen großen Wiedererkennungswert besitzt. 4 Die Presse, 07.05.2011 5 vgl. Foucault 2004a, 183 zit.n. Krasmann 2008, 10 6 Lemke 2009, 474

Kapitel 1 Wegweiser Kapitel 12 einerseits und der Suggestion frei und unabhängig zu sein andererseits, Kontrolle ausge-

übt werden kann. Der Soziologe Nikolas ROSE erklärt: „These new forms of government through freedom multiply the points at which the citizen has to play his or her part in the games that govern them.”7 Die BewohnerInnen sind angehalten die geforderten Hand- lungs- und Denkweisen zu besitzen, um überhaupt im Spiel neoliberaler Gouvernemen- talität mit deren dezidierten Regeln bestehen zu können. Es gibt genaue Richtlinien, wel- che die Position, die die AkteurInnen im Feld Gesundheit, Sicherheit, Ordnung, Bildung, Arbeit einnehmen, bestimmt. Verhalten und Möglichkeiten des Agierens werden regu- liert, der Selbstregierung wegen. Die Kulturwissenschaftlerin und Architektin Christa

KAMLEITHNER schreibt diesbezüglich: „Die neuen Regulierungsweisen sind zweifach ‚natürlich‘: Sie richten sich auf als natürlich angesehene und damit nicht beliebig form- bare Sachverhalte wie Geburten- und Sterberaten oder die Nahrungsproduktion, und sie regulieren diese auf ‚natürliche‘ Arte und Weise, in Anpassung an die als notwendig er- scheinenden Erfordernisse.“8 Aufgrund dieser scheinbar der Norm entsprechenden Da- ten, welche quantitativ erhoben werden und gesellschaftliche Einflüsse unbeachtet lassen, wird das Individuum angehalten, sich daran zu orientieren und seinen Lebensstil auszu- richten. Es ist dafür selbst verantwortlich, es hat die Bringschuld, also die Verpflichtung etwas für das eigene Leben sowie das Umfeld zu leisten.

FOUCAULT wollte anhand der theoretischen Überlegungen zu Gouvernementalität, eine „Gegenwartsdiagnose“9 anstellen. Ziel seiner Forschungen war die Analyse des Zusam- menhangs von „Wissensformen, Machttechnologien und Selbstformierungsprozessen“10. Es ist davon auszugehen, dass jene drei Phänomene in Relation zueinander stehen, sich bedingen und voneinander abhängig sind. In diesem Zusammenhang nahm er die immer stärker werdende Vorherrschaft des Marktes und dessen Einfluss auf das gesamte soziale

Leben der Gesellschaft in den Fokus, fassen die SoziologInnen Ulrich BRÖCKLING,

Susanne KRASMANN und Thomas LEMKE in ihrem Band Gouvernementalität der Gegen- wart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen (2000) zusammen. Dieser Band stellt u.a. eine wichtige Quelle dieser Diplomarbeit dar. KRASMANN erklärt das Konzept

FOUCAULTS, welches die Wirkungsweise der Macht neu definiert und in ein anderes Licht rückt, wie folgt. Freiheit ist dabei nicht per se das Gegenteil von Macht, denn diese Art

KapitelWegweiser 1

7 Rose 2008, 14/15 8 Foucault 2004b, 33 zit.n. Kamleithner 2008, 6 9 Bröckling/Krasmann/Lemke 2000, 18 10 Lemke 2009, 473

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des Regierens stellt nicht mehr Repression, Gewalt und Zwang in den Vordergrund, denn dies sei kontraproduktiv. Es geht vielmehr um eine Anrufung der handelnden Subjekte als selbstverantwortlich und frei und über die ihnen zugeschriebene Freiheit zu steuern und demnach von innen zu kontrollieren. Kurz zusammengefasst bewegen sich jene gou- vernementalen Konzepte im Dreieck von „Macht, Freiheit und Subjektkonstituierung“.11

Der Machtbegriff spielt bei FOUCAULT eine ebenso wichtige Rolle wie der Regierungs- begriff, der bereits weiter vorne erläutert wurde. In diesem Zusammenhang geht es nicht darum, Macht als etwas zu begreifen was jemand (z.B. eine Gruppe oder Personen mit hohen Kapitalien) besitzen kann, sondern darum, die Machtverhältnisse zu analysieren

die durch Konkurrenz und Wettbewerbsstrategien entstehen. LEMKE sieht in Machtpro- zessen durchaus ein positives Moment, wenn er schreibt: „Sie ermöglichen individuelle und kollektive Erfahrungen und bringen neue Wissensformen hervor.“12 Jenes Positivum kann auch am Lendwirbel gefunden werden, wenn es darum geht, als Einzelperson oder als Gruppe kreative Ideen zu generieren, Aktivitäten im öffentlichen Raum zu setzen und somit bestehende Macht- und Kräfteverhältnisse in Frage zu stellen.

Dazu kommt ein weiterer elementarer Begriff, nämlich der des Raumes, genauer gesagt des öffentlichen Raumes. Um den Fokus vom allgemeinen Nachdenken über Gouverne- mentalität auf die Stadt zu legen, berufe ich mich auf die theoretischen Bausteine des

Soziologen Boris MICHEL, der in seinem Buch Stadt und Gouvernementalität (2005) jene Aspekte13 herausarbeitet, die prägend für diese neue Art des Regierens sind, und mit dem urbanen Leben verbindet. Hiermit habe ich eine Folie für die Analyse meiner Erfahrungen und Ergebnisse der Forschung gefunden, um sie auf eine wissenschaftliche Ebene zu he- ben.

An Stadtviertelfestivals wie dem Lendwirbel ist die kollektive Partizipation an der Ge- staltung des öffentlichen Raumes gut zu beobachten. Aufgrund der Tatsache, dass sich der Staat aus vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zurückzieht und durch Pri- vatisierung ersetzt wird, ist Eigeninitiative verstärkt notwendig.14 Der Lendwirbel ist das

11 vgl. Krasmann 2008, 10/11 12

Lemke 2009, 476 13 Beispiele dafür sind der Versuch der Erschaffung einer homogenen Gemeinschaft, mit deren Hilfe die AkteurInnen angehalten werden, sich selbst zu regieren oder die unterschiedlichen Stra- tegien und Mechanismen der sozialen Kontrolle, die plötzlich eine räumliche Facette erhalten. Mehr dazu in Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung und Vereinnahmung. 14 vgl. Laimer 2013, 91

Kapitel 1 Wegweiser Kapitel 14 lebende Beispiel dafür. Seit 2008 (offiziell war der erste Lendwirbel im Jahr 2007 das eintägige Eröffnungsfest der Haarschneiderei, einem Frisörsalon in der Mariahilferstraße 28, 8020 Graz) werden im vierten Grazer Gemeindebezirk Lend jährlich Anfang Mai die Straßen und Plätze vom Lendplatz bis zum Kunsthaus und vom Mariahilferplatz bis zum Volksgarten (auf der virtuellen Plattform „Du bist iLend – www.iLend.at“ sind unter- schiedliche Plätze verzeichnet) bespielt, belebt, erneuert und sich angeeignet. Dieses Tun ist eine Form der Besitznahme des öffentlichen Raumes. Die Ethnologin Alexa FÄRBER schreibt dazu: „Um Aneignung handelt es sich (…) dann, wenn eine bestehende verräum- lichte Ordnung unterlaufen wird, d.h. sich darin neue Praxis- und Bedeutungszusammen- hänge Raum verschaffen“15. Oder etwas kürzer gesagt von der Architektin Franziska

KLUG: „Raumaneignung hat damit zu tun, wie wir uns im Raum einrichten.“16 Die Lend- wirblerInnen sind darauf bedacht, den öffentlichen Raum mit den Bedeutungen ihrer Vor- stellungen von (kreativer, offener, etc.) Stadtentwicklung zu erfüllen. Sie beleben ihn, machen ihn zum Wohnzimmer, das sie nach ihren Bedürfnissen und Wünschen einrich- ten. „Den öffentlichen Raum vor den Arbeitsstätten und Haustüren als Wohnzimmer und Lebensraum im Freien zu begreifen und zu nützen, das ist die Ursprungsidee des Lend- wirbels. Wie selbstverständlich wurde und wird sie von vielen BewohnerInnen des Stadt- teils aufgegriffen.“17 Dieses Tun wird vor dem Hintergrund einer vorherrschenden neoli- beraler Stadtplanung, wo Exklusion statt Inklusion dominiert, immer wieder in den Mit- telpunkt meiner Ausführungen rücken.

Seit einiger Zeit dehnt sich das Gebiet bis in den fünften Gemeindebezirk aus, auch unter Lend+18 bekannt. Das Stadtteilprojekt Annenviertel19, welches ursprünglich vom Verein 20 geschaffen wurde und dessen Name sich die Stadtverwaltung für das Umgestaltungsprojekt der Annenstraße zunutze machte21, schließt sich nach und nach an. Es geht vor allem darum gemeinsame Aktionen zu starten, die unterschiedlichen Meinun- gen gegenüber offen sind, Nues zulassen, Altes über Bord werfen und ein Nachbar- schaftsgefühl hervorbringen. „Festivals wie der Lendwirbel und Kunstvereine wie tragen zum Selbstbewusstsein und Bekanntheitsgrad des ‚Annenviertels‘ bei“22, sagt

15 Färber 2010, 100 16 Klug 2009, 80 17 Fm4.at, 30.04.2011 KapitelWegweiser 1 18 Lendwirbel 2011 19 Online unter: http://annenviertel.at/ 20 Online unter: http://www.rotor.mur.at/ 21 vgl. Kühberger 2013, o.S. 22 Verhovsek 2013, 43

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die Architektin Sigrid VERHOVSEK. Im Lendwirbel-Manifest23 mit dem Titel Die Zeit ist reif steht, es geht um eine „freie, lustvolle und aktive Gestaltung unseres Lebensraums“24 und darum, „den städtischen Raum zu nutzen und dadurch Teil einer öffentlichen Ausei- nandersetzung zu sein“25. Somit gilt es auf den folgenden Seiten, das Phänomen auf eine ganzheitliche Art und Weise in ein dichtes Netz von Bedeutungen und Zuschreibungen einzuspinnen, um den soziokulturellen Charakter des Lendwirbels bestmöglich zu erfas- sen, zu verorten und zu analysieren. Dabei ist der Aspekt der Gouvernementalität, zur Analyse für eine bestimmte Form neoliberalen Stadtmachens, wichtiger Bestandteil der Forschung.

Das Stadtviertelfest Lendwirbel für diese Forschung auszuwählen, fußt zudem darauf, dass ich während meiner gesamten Studienzeit in diesem Stadtteil gelebt habe und auf die Frage wo ich denn in Graz wohne, ständig damit konfrontiert wurde mich dafür zu rechtfertigen, warum ich auf der ‚unschönen Seite der ‘ lebe oder ob es denn recht gefährlich sei ‚da drüben‘. Im öffentlichen Diskurs geht es immer um ein ‚herüben‘ und ‚drüben‘. Veranstaltungen oder Lokalitäten werden auf diese Weise – und das nicht nur topographisch, sondern ebenso in den mentalen Landkarten der BewohnerInnen – veror- tet. Die Mur bleibt dabei unangetastete Trennlinie der Stadt. Diesen Umstand beschreibt

auch der Historiker Karl Albrecht KUBINZKY: „Graz am linken, östlichen und Graz am rechten, westlichen Ufer sind Beispiele für regionale Disparität. Das war in der ferneren Geschichte der Fall, hat aber auch noch in der Gegenwart trotz aller gegensteuernden Maßnahmen der Kommunalpolitik, insbesondere der Stadt- und Sozialplanung, seine Richtigkeit.“26 Diese scheinbare Unbegreiflichkeit, dass das Leben und Wohnen in einem Stadtviertel wie Lend schön und spannend sein kann, ließ in den letzten Jahren allerdings in den medialen Diskursen27 und somit auch in persönlichen Gesprächen merkbar nach. Der Stadtteil Lend wandelte sich nach und nach vom von Zuwanderung geprägten ‚Mig- rantInnenviertel‘28 zum Kunst- und Szeneviertel, ja sogar zum „trendigsten Viertel der

23 Lendwirbel 2011 24 Lendwirbel 2011 25 Lendwirbel 2011 26

Kubinzky 2009, 20 27 vgl. Prasenc 2009, 87 28 Es sei angemerkt, dass all jene Zitate, welche im Originaltext nicht gegendert sind, auch in dieser Weise übernommen wurden, um die Sprache des/der AutorIn als kulturelles Konstrukt an und in sich stehen zu lassen. In meinem Text wird das Binnen-I als orthographisches Mittel ver- wendet.

Kapitel 1 Wegweiser Kapitel 16

Stadt, wo sich Szenelokale, Second-Hand-Läden und Designgeschäfte aneinanderrei- hen“29. Das zeigt sich nicht nur an der genannten erneuerten Form von Gewerben und Geschäften, sondern auch an den neuen Wohnbauplänen oder an der Etablierung von

Festivals, wie jenes des Lendwirbels. Auch der Gentrification-Forscher Andrej HOLM30 bemerkte den Wandel in der Nachbarschaftsstruktur: „Im beschaulichen Graz etabliert sich seit ein paar Jahren ein Kunst- und Kreativmilieu im bisher sehr proletarisch gepräg- ten Lendviertel.“31 Dieser Zustand lässt darauf schließen, dass sich das Lendviertel in einem Prozess der Gentrifizierung befinde, der von der Kreativwirtschaft, die sich dort angesiedelt hat, getragen und gefördert wird. Diese einfache Gleichung funktioniert nur bedingt, da jene creative class32 über ihr Wirken vor Ort nachdenkt und versucht Gentri- fizierungsprozesse im Lendviertel abzuwenden. Der Lendwirbel ist also nicht nur ein jährlich wiederkehrendes Ereignis im Lendviertel, sondern gleichzeitig eine Form des Stadtteilaktivismus‘ und zum Teil auch eine Protestbewegung gegen jene neoliberalen

Tendenzen in der Stadtentwicklung. HOLM ist zwar Gentrifizierungsforscher und kein Forscher im Bereich der Gouvernementalität, jedoch ist dieser Diskurs bzw. diese urbane Gegebenheit, für die er sich als Experte etabliert hat, Resultat neoliberaler Regierungs- praktiken, die den wirtschaftlichen Profit in den Vordergrund stellen. Deswegen sind seine Aussagen über bestimmte Aspekte von Gentrifizierung für das Verständnis von Gouvernementalität und Stadt entscheidend.

Fragestellung und Aufbau Der erste Zugang zum Feld war ein offener und nicht nur auf eine Forschungsfrage be- grenzt. Ich versuchte, dem Lendwirbel in allen seinen Facetten zu begegnen, anstatt an- hand vorhandener Theorien, nur einen Aspekt herauszupicken, wodurch alle anderen wichtigen Merkmale automatisch ausgeblendet worden wären. Dies würde einer deduk- tiven Logik entsprechen und das Feld einschränken, da dabei explizit nach der Konse- quenz in der Empirie gesucht werden würde, für die bereits eine Theorie vorliegt. So wurden im Sinne eines ganzheitlichen Zugangs zum Feld Antworten auf ein breites

KapitelWegweiser 1

29 Kleine Zeitung 14.05.2008 30 Holm verwendet den englischen Begriff Gentrification, weniger den deutschen Gentrifizierung. 31 Holm 2010, 52 32 Florida 2012

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Spektrum unterschiedlicher Fragen33 gesucht. Ihnen wird Kapitel 2 Der Lendwirbel ge- widmet. So ließ ich mich auf das gesamte Feld des Lendwirbels ein, ohne den Blick le- diglich auf einen Sachverhalt gerichtet zu haben. Im Zuge meiner Beobachtungen, Re- cherchen und Gespräche, stellte sich nach und nach heraus, dass die erhaltenen Antworten immer wieder auf einen bestimmten Themenkomplex zurückführen, nämlich jenen der Gouvernementalität in der Stadt. Daraus ergab sich eine weitere, vertiefende Forschungs- frage, deren Beantwortung den Lendwirbel zu einem wichtigen empirischen Beispiel für die lokale Stadtforschung, die sich mit Theorien der Gouvernementalität beschäftigt, macht. Sie lautet: Auf welche Weise wird am Lendwirbel die Krux zwischen Selbst- bestimmung und Vereinnahmung gelöst?

Für die Beantwortung der Frage werden theoretische Gedankengerüste, die Aussagen der InterviewpartnerInnen sowie die eigene Beobachtungsstudie herangezogen, um ein gro- ßes Ganzes bauen zu können.

Wissenschaftlicher Stellenwert und gesellschaftliche Relevanz Welchen Sinn hat es, eine Arbeit wie diese zu schreiben? Was hat die Wissenschaft und die Gesellschaft davon, dass das Stadtviertelfest Lendwirbel in seine Einzelteile zerlegt

und, mit FOUCAULTS Gouvernementalitätstheorie und erhobener Empirie angereichert, neu zusammengebaut wird? An dieser Stelle sind die wichtigsten Punkte angeführt, um von meinen Überlegungen und Ausführungen zu überzeugen. Sie befinden sich im tri- alektischen Verhältnis zwischen Individuum, Gesellschaft und dem sozialem Raum, so- wie dem gebautem Raum34. In der vorliegenden Arbeit werden alle drei Aspekte genau untersucht und Zusammenhänge erarbeitet.

Erstens: Auf der Ebene der AkteurInnen ist der Lendwirbel ein wichtiger Baustein für die Identität des Stadtviertels und demnach seiner BewohnerInnen, denn eine Stadt wird erst zur Stadt, wenn sie von ihren BewohnerInnen be- und genutzt wird. „Öffentliche Räume

33 Wie bspw.: Wem gehört eigentlich der öffentliche Raum und von wem muss man ihn überhaupt zurückerobern? Warum konnte sich der Lendwirbel gerade im Lend (und nicht beispielsweise im Stadtviertel ) etablieren? Welche stadtgeschichtlichen Voraussetzungen sind dafür not-

wendig? Braucht der Lend dieses Fest überhaupt? Hat sich das Stadtviertel durch den Lendwirbel verändert? Wenn ja, inwiefern? Wer nimmt am Lendwirbel teil? Wer nicht? Wer bleibt unsicht- bar? Wer bringt sich aktiv ein, wer ist passiveR BesucherIn? Was motiviert diese Personen? Wel- che Zugänge haben sie? Wer ist die Zielgruppe? Wie wird der Lendwirbel in den Medien rezi- piert? etc. 34 vgl. Privatissimum WS 12/13 bei Univ.-Prof. Dr. Johanna Rolshoven

Kapitel 1 Wegweiser Kapitel 18 erhalten ihre spezifische Qualität durch die Art der Nutzung, der Aneignung, der Umdeu- tung und ihrer Definition durch Menschen.“35 Der Lendwirbel ist, auch abseits der aktiven Zeit jährlich Anfang Mai, Teil des Stadtviertels Lend, da manche Installationen perma- nent im öffentlichen Stadtraum verbleiben und so den Lendwirbel durch das ganze Jahr tragen. Die vorliegende Analyse dient somit dem besseren Verständnis für die als Vo- raussetzungen für jenes Stadtviertelfest gesehene, bauliche und gewerbliche aber auch (und vor allem für die) soziale und kulturelle Geschichte und Zukunft von Lend. Jegliche Interventionen im öffentlichen Stadtraum prägen den Raum sowie die darin lebenden und agierenden Menschen (BewohnerInnen, einkaufende Personen, FlaneurInnen,…) in ih- rem Denken, Tun und Handeln weitreichend, wenn auch unbewusst. Meine Arbeit soll einen Beitrag zum Verständnis zur lokalen Identität des Lendviertels leisten, wobei ich mich auf KUBINZKY beziehe der schreibt: „Da das Wissen um die lokalen Lebensum- stände und deren Geschichte meist zur besseren Identifikation mit dem Lebensraum bei- trägt und dies wiederum zu einer erhöhten Zufriedenheit führt, ist die Lokalgeschichte ein wichtiger Beitrag zum Wissen der Bewohner.“36 Die Geschichte(n) des Lendwirbels werden nicht nur geschrieben, um einen weiteren Baustein in den wissenschaftlichen Dis- kurs hinzuzufügen, sondern auch für die EinwohnerInnen und die NachbarInnenschaft, die auf diese Weise ihre Umgebung und deren Aktivitäten ein Stück weit besser kennen lernen können. Mir geht es vor allem um das Niederschreiben eines lebendigen Alltages (im Gegensatz zum Verschwindenden, dem „was gewesen war“37), der Teil meines Grazer Lebens war. Aufgrund der Tatsache, dass ich viele Jahre in ‚meinem‘ Forschungs- feld wohnte und meine täglichen Wege dort beschritt, war es mir möglich, nicht nur einen Blick von ‚Außen‘ auf das Phänomen zu werfen, sondern ich konnte auch den ‚Blick von Innen‘ erfahren. Dieser ließ mich viele Zusammenhänge besser verstehen. Er muss jedoch intensiv reflektiert werden, da ich mich als Forscherin immer in einem Feld der Invol- viertheit und der Distanz bewegte, die nötig ist, um eine möglichst objektive Analyse zu betreiben. Immerhin war ich durch meine An- oder Abwesenheit Teil des Phänomens Lendwirbel, da jede Person ein wichtiger Baustein dessen ist und ihm seine Atmosphäre gibt. Diese Erfahrungen möchte ich mitteilen. In der Auseinandersetzung damit können BewohnerInnen über die Spiegelfolie meiner Ausführungen, ihre eigenen Handlungs- und Denkmuster sowie ihre eigene Involviertheit in den Stadtraum reflektieren. Deshalb

KapitelWegweiser 1

35 Deinet 2010, 28 36 Kubinzky 2009, 25 37 Kaschuba 2006, 197

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wurde auch der Lendwirbel als Beispiel ausgewählt, weil er ein banales Nachbarschafts- fest zu sein scheint, aber/und erst bei genauem kritischen Hinschauen das oft unsichtbare Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten urbaner Kultur preisgibt bzw. die un- terschiedlichen Strategien des urbanen Zusammenlebens mit allen Grenzen, Regeln und Abmachungen widerspiegelt. So verfassten die OrganisatorInnen im Lendwirbel-Mani- fest: „Der Lendwirbel wurde zu einem gelebten Zustand, innerhalb dessen unterschiedli- che Stadtpunkte, Sichtweisen und Motivationen aufeinandertreffen, sich in einer lustvol- len Art und Weise verdichten und zu einer gegenseitigen Bereicherung führen.“38 Kom- munikation spielt für das gemeinsame Zusammenleben im Stadtraum eine wesentliche Rolle. Dieser Aspekt wird in der vorliegenden Arbeit berücksichtigt, da er ein entschei- dendes Charakteristikum des Viertels ist. Es geht permanent um einen „gemeinschaftli- chen Aushandlungsprozess“39, bei dem vor allem durch das Wirken der creative class wohnen und arbeiten nicht mehr strikt getrennt werden. Diese gut vernetzte Community pflegt eine intensive Kommunikation, durch welche etwas großes Kollektives, wie der Lendwirbel es ist, entstehen kann.

Zweitens: Auf der Ebene der Stadtpolitik ist der Lendwirbel als Teil der Stadtentwicklung von Graz zu sehen, die in den letzten 10 Jahren von der Europäischen Kulturhauptstadt (die sie 2003 war) bis zur City of Design40 (diesen Titel bekam die Stadt im Jahr 2011 und sogar der Lendwirbel war Teil der Argumentation dafür41) avanciert ist. Zu Beginn war er der Stadtpolitik ein Dorn im Auge, weil er unstrukturiert und somit nicht voraus- sehbar ist. Nach und nach begann auch das Citymanagement auf den Zug aufzuspringen, da sie einerseits am gezielten Sponsoring von Projekten und andererseits vom positiven Image und Ruf, der, von Lend ausgehend, die gesamte Stadt in ein urbanes Licht rückt, profitiert. Im Lendwirbel-Manifest wird dazu vermerkt: „Wir freuen uns über die positive Wahrnehmung des Lendwirbels als gutes Beispiel für Stadtentwicklung, Integration und Wirtschaftsentwicklung durch unterschiedliche (öffentliche) Bereiche.“42 In diesem Zu- sammenhang ist das Thema der Gouvernementalität (Stichworte (soziale) Kontrolle und Steuerung, Selbstregierungstechnik, neoliberale Regierungspraktiken, marktwirtschaftli-

38 Lendwirbel 2011 39 Lendwirbel 2011 40 Online unter: http://www.graz-cityofdesign.at 41 vgl. Lendwirbel 2011; Kleine Zeitung 02.05.2011 42 Lendwirbel 2011

Kapitel 1 Wegweiser Kapitel 20 ches Kalkül) in der Stadt ein wichtiges Moment. Somit erhält Stadtforschung einen gro- ßen gesellschaftspolitischen Charakter, da auf der Ebene des Raumes das „inkommensu- rable Nebeneinander des Alltagslebens, das Ineinanderwirken von Strukturen und indivi- duellen Entscheidungen“43 nun in einem größeren Zusammenhang analysiert werden kann.

Drittens: Ein weiteres Ziel ist die Analyse im Diskurs der Urbananthropologie, um einer- seits schwierige Gedankenkonstrukte, wie jenes der Gouvernementalität nicht nur auf Metaebene zu reflektieren, sondern Ursachen und Ergebnisse im Alltagsgeschehen sicht- bar zu machen. Es geht um eine Analyse der Gegenwart. Andererseits darum, ein kom- plexes urbanes Phänomen aufzuspalten, dessen Mehrwert darin liegt, dass es einerseits in seiner Gesamtheit betrachtet und beschrieben und andererseits in seine Einzelteile zerlegt, interpretiert und analysiert wird, um diese in Relation zueinander zu setzen, bevor sie wieder in ein großes Ganzes zusammenfließen. Dazu schließe ich mich dem Kulturwis- senschaftler Wolfgang KASCHUBA an, der meint: „Die Großstadt als ein Mosaik verschie- denartigster sozialer Räume und kultureller Milieus, unterschiedlichster Wahrnehmungs- weisen und Lebensstile, vielfältiger symbolischer Regel- und Bildsysteme, die anderer- seits und trotz ihrer Unterschiedlichkeit eng ineinander verschränkt sind und darin wie- derum übergreifende Züge ‚urbaner Kultur‘ aufscheinen lassen: sie ist für uns längst nur noch am Ort, als ein Feld und im Feld angemessen zu erfassen.“44 Um die kleinen Bau- steine einer Stadt, in diesem Fall eines Stadtviertels (kulturanthropologisch) verstehen zu können, ist die praktische Auseinandersetzung damit unumgänglich. Diesen Anspruch stelle auch ich an meine Arbeit. Somit ist die Forschung dazu da, einen höchst aktuellen Beitrag zur regionalen Stadtforschung von Graz zu liefern.

Im anschließenden Kapitel werden die verwendeten Methoden auf dem Forschungs- und Erkenntnisweg näher beleuchtet.

KapitelWegweiser 1

43 Bachmann-Medick 2010, 304 44 Kaschuba 2006, 203

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1.2. Methodischer Zugang – Über den Weg meiner Forschung

Jede Forschungsarbeit benötigt ein Methodenkapitel um den/die LeserIn an die Hand zu nehmen und offen zu legen, wie ich als Forscherin zu den hier niedergeschriebenen Er- kenntnissen gekommen bin. Dabei halte ich es für wichtig, die unterschiedlichen For- schungsmethoden, welche verwendet worden sind, genauer zu beschreiben. Das dient ei- nerseits dazu dem Verlauf der Forschung besser zu folgen und andererseits die Hinter- gründe des Vorhabens besser zu verstehen, da jede Methode einen weiteren (möglicher- weise unentdeckten) wichtigen Punkt für die Erkenntnisgewinnung aufdecken kann und gezielt ausgewählt wurde. Um ein kunstvolles Bild zu malen wird auch unterschiedliches und vor allem das richtige Werkzeug benötigt, denn die Idee alleine reicht nicht aus, um sie schlussendlich auf Papier zu bringen und sie etwas später in ihrem Glanz genießen zu können. Es ist immer das Produkt der beiden Komponenten Theorie und Empirie. Das vorliegende Kapitel soll diesem Anliegen Rechnung tragen.

Um meiner Intention ein möglichst breites sowie tiefes Bild des Lendwirbels zu zeichnen gerecht zu werden, bediene ich mich unterschiedlicher methodischer Zugänge. Dieses Unterfangen wird mit dem Fachterminus Methodentriangulation beschrieben und impli-

ziert, so schreibt der Sozialwissenschaftler Uwe FLICK, die „Betrachtung eines For- schungsgegenstandes von (mindestens) zwei Punkten“45. Sie dient dazu möglichst „di- vergente Perspektiven“46 zu eröffnen, möglicherweise auch solche, mit denen der/die For- scherIn nicht gerechnet hätte oder auf die er/sie nie gekommen wäre, hätte er/sie den methodischen Zugang zum Forschungsgegenstand nicht ausgeweitet. Somit wird eine größere Bandbreite für die Erkenntnisgewinnung und die darauffolgende Theorieent-

wicklung abgedeckt. FLICK schreibt „Triangulation sollte entsprechend als Weg der Er- weiterung der Erkenntnis über den untersuchten Gegenstand verstanden werden.“47 Jene Überlegung ist vor allem für mein Forschungsziel von großem Interesse, da auf diese Art und Weise visuelle Informationen aus der Teilnehmende Beobachtung mit verbalen Da-

45 Flick 2009, 309 46 Flick 2009, 318 47 Flick 2009, 318

Kapitel 1 Wegweiser Kapitel 22 ten aus den Leitfadeninterviews mit elektronisch erhobenen Daten aus Twitter und Face- book miteinander verknüpft, in Verbindung gebracht und zusammengedacht werden kön- nen.

Ethnographisches Vorgehen Der Prozess der Ethnographie begann in praktischer Überlegung, da ich das Fest in den letzten Jahren immer mehr als (sozio-)kulturelles Geschehen erkannte und meine Gedan- ken dazu aufschrieb. Zuerst waren es oft einzelne Stichwörter und Notizen, hier und da ein Foto, später schon seitenweise Aufzeichnungen über einen kleinen Teilaspekt des Ganzen. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, diesen persönlichen Niederschriften Raum zu geben und sie in den Forschungsprozess und dessen Endprodukt einfließen zu lassen, meint auch der Sozialpädagoge und Wissenschaftsforscher Christian LÜDERS: „Ethno- graphie lebt von der Teilnahme und den Berichten über diese Teilnahme.“48 Dieser Zu- gang erfordert ein hohes Maß an Reflexivität, zumal – in diesem Fall – das ‚eigene‘ Feld, quasi jenes, das ‚gleich um die Ecke‘ zu finden ist, untersucht wird. Es ist ein vertrauter und zugleich fremder Forschungsgegenstand, zu dem ein objektiver Bezug aufgebaut werden muss, um ihn entsprechend analysieren zu können. Nichtsdestoweniger ist der Aspekt der Vertrautheit zu unterschätzen oder der ethnologische Blick als ‚voreingenom- men‘ abzustempeln. Er kann durchaus, begleitet von ständiger Reflexion, die Sicht auf den Forschungsgegenstand öffnen und einen tieferen, in vielen Facetten verstehenden Zugang liefern, welcher sonst verwehrt bleiben könnte, da der nötige Einblick fehlt.

Zudem darf nicht vergessen werden, dass der zu untersuchende Sachverhalt nicht per se existiert, sondern vor allem durch die Anwesenheit im Feld bzw. „im Vollzug der For- schung (…) als solcher erst konstituiert“49 wird, schreibt der Soziologe Stephan WOLFF. Er merkt außerdem an, dass „[p]raktisch jeder Ethnograph (…) zu irgendeinem Zeitpunkt seiner Arbeit als eine Art von Spion wahrgenommen worden sein“50 dürfte. Das impliziert offen mit der eigenen ForscherInnenrolle und dem Forschungsinteresse umzugehen und sich ‚zu outen‘. Denkt man dieses Vorgehen weiter, so wird deutlich, dass der/die Ethno- graphIn selbst mit unterschiedlichen Wahrnehmungen und Erfahrungen, quasi einer indi- viduellen sozialen und kulturellen Brille, ins Feld geht. Diese Brille muss unweigerlich

KapitelWegweiser 1

48 Lüders 2009, 401 49 Wolff 2009b, 338 50 Wolff 2009b, 344

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mitreflektiert werden, da sie eine wichtige Rolle für das Verständnis des Forschungsge- genstandes spielt, also beispielsweise aus welchem Grund bestimmte Aspekte besonders hervorgehoben werden und welche unsichtbar bleiben, weil sie durch die ‚Brille‘ nicht gesehen werden.

Teilnehmende Beobachtung und Dichte Beschreibung Wie bereits erwähnt ist bei einem ethnographischen Zugang vor allem die Teilnahme am Feld und seine darauffolgende Beschreibung ein wichtiges Werkzeug, um kulturelle Sachverhalte zu verstehen und aufzuschlüsseln. Jenes Kapitel widmet sich deswegen den Verfahren der teilnehmenden Beobachtung und der dichten Beschreibung.

Beginnend mit dem treffenden Zitat des Ethnologen Clifford GEERTZ „What the hell is going on here“51, das den ursprünglichen Zustand am Anfang der Feldforschung verdeut- lichen soll, wo die Fragen des Wer, wie, was, wann, wo? im Vordergrund stehen, wird die Wichtigkeit der teilnehmenden Beobachtung und der darauffolgenden dichten Be- schreibung besonders ersichtlich. „Im Zentrum der ethnographischen Neugierde steht (…) die Frage, wie die jeweiligen Wirklichkeiten praktisch ‚erzeugt‘ werden; es geht ihr also um die situativ eingesetzten Mittel zur Konstitution sozialer Phänomene aus der teil- nehmenden Perspektive.“52 Dieser erste Schritt lässt es zu, viele verschiedene Facetten sozialen und kulturellen Zusammenlebens durch genaues Hinschauen aufzudecken. Um dies zu tun, ist es unumgänglich nicht einem linearen Prinzip des Beobachtens zu folgen, sondern auch Umwege zu gehen und „einfallsreich zu sein“ 53, wie der Soziologe Danny

L. JORGENSEN meint. Da die teilnehmende Beobachtung ein ganzheitliches Verfahren darstellt, wird nicht nur ein Aspekt genauestens unter die Lupe genommen, sondern ver- sucht ihn in seiner Umgebung und seinen Relationen wahrzunehmen. Dementsprechend erfinderisch muss der/die ForscherIn vorgehen, da Zugänge gefunden werden sollen, um,

so schreibt KASCHUBA „Werte, Regeln, Formen und Praxen einer Gruppe oder Situation möglichst ‚total‘ (…) erfassen“54 zu können. Diese Überlegung fußt auf der Annahme, dass er die teilnehmende Beobachtung als „Interaktion“ 55 begreift, welche bekanntlich

51 Geertz zit.n. Lüders 2009, 391 52 Lüders 2009, 390 53 Jorgensen 1989, 9 zit.n. Lüders 2009, 394 54 Kaschuba 2006, 208 55 Kaschuba 2006, 196

Kapitel 1 Wegweiser Kapitel 24 auch nicht nur linear stattfindet, sondern ein komplexes Moment ist, bei dem die in Rela- tion stehenden Subjekte sich wechselseitig bedingen. Somit gleicht kein wechselseitiger Kontakt dem anderen und man kann nicht nach einem bestimmten vorgefertigten Schema vorgehen, um etwas über einen Sachverhalt herauszufinden.

Doch nicht nur über einen Gegenstand lässt sich im Zuge der teilnehmenden Beobachtung als relationale Interaktion etwas in Erfahrung bringen, sondern auch über sich selbst und in weiterer Folge über die eigene Rolle als ForscherIn. Im Gegenüber werden die eigenen Grenzen wahrgenommen, da das Subjekt immer im Bezug zu sich selbst, zur Welt und zu Anderen steht, vor dessen Hintergrund es denkt, handelt und sich zum Gegenstand positioniert56. Der Ethnologe Karl-Heinz KOHL begreift hinsichtlich der Feldforschung die „Fremderfahrung als Selbsterfahrung“57. Diesen Sachverhalt kann ich nur bestätigen, denn so forschte ich zwar nicht in einer mir fremden Kultur, wie beispielsweise MALINO-

WSKI, der sich bis ans andere Ende der Welt machte, um dort seine Forschungen zu be- treiben. Mir waren die Sprache, die Umgebung und die kulturellen Eigenheiten vertraut und dennoch war das Forschungsfeld Lendwirbel insofern ein fremdes, als dass ich immer wieder an meine Grenzen bezüglich des genauen Verständnisses der Regeln, der Begriff- lichkeiten und des Handelns, die in jenem (Forschungs-)Gebiet vorherrschend sind, stieß. Durch diese Erfahrung lernte ich mein kulturanthropologisches Denken sowie mein Da- sein als Forscherin ein Stück weit besser kennen. Diese Erkenntnis ist ebenso wichtiger Bestandteil der vorliegenden Arbeit, denn wir können „in dieser durch uns veränderten Situation – indem wir sie methodologisch mitbedenken – wichtige Erkenntnisse über die anderen und uns gewinnen“58. Durch die Interaktion der teilnehmenden Beobachtung wird der/die ForscherIn unweigerlich Teil des Feldes, in dem es die Krux zwischen „Un- voreingenommenheit und persönliche[r] Beteiligung“59, zu lösen gilt. In diesem Tun kön- nen neue Einsichten gewonnen werden, da das Nähe- und Distanzverhältnis zum For- schungsfeld in einer ständigen Reflexionsschleife ausbalanciert werden muss.

Vor allem das ethnographische Werkzeug der dichten Beschreibung, welches von GE-

ERTZ etabliert wurde, war hilfreich, um genau solche Sachverhalte zu reflektieren, denn

KapitelWegweiser 1

56 vgl. Künkler 2011, Rumersdorfer 2012 57 Kohl 1993, 114 zit.n. Kaschuba 2006, 198 58 Kaschuba 2006, 200 59 Bruyn 1966, 14 zit.n. Lüders 2009, 386

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durch die „möglichst detaillierte und zugleich komplexe Darstellung einer Situation, de- ren Abläufe und Beteiligte aus möglichst unterschiedlichen Blickwinkeln und Quellen dargestellt werden“60, konnten blinde Flecken, die in den rein theoretischen Überlegun- gen wahrscheinlich unentdeckt bleiben würden, sichtbar werden und sich neue spannende Zusammenhänge daraus ergeben. Über die reflektierende Funktion hinaus, dient die dichte Beschreibung dazu, soziale Phänomene in ihrem facettenreichen Dasein inklusive ihrer Umgebung und ihren Relationen so niederzuschreiben, dass bei einer genauen Ana- lyse auf die „‚Praxis der Subjekte‘ und über deren gesellschaftliche Rahmenbedingun- gen“61 entsprechend geschlossen werden kann, um diese besser verstehen und in den wis- senschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Diskurs einordnen zu können.

Doch eine möglichst detailgetreue (mit den Hauptfragen Wer, was, wann, wo, wie?) Nie- derschrift des Gesehenen und des Erlebten reicht noch nicht aus, um eine Situation in ihrer Gesamtheit zu verfassen. „Stattdessen gelte es, die vielfältigen Ebenen lokaler Be- deutungen zu entfalten, um so zu einem umfassenden und einsichtsvollen Bild der unter- suchten sozialen Umstände zu gelangen.“62 Das bedeutet, dass das untersuchte Phänomen in einen zeitlichen, räumlichen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Rahmen ge- bettet werden muss. In der vorliegenden Arbeit wird diesem Umstand insofern Rechnung getragen, als dass nicht nur die unterschiedlichen AkteurInnen befragt, sondern auch die entsprechenden Kontexte und Diskurse, in denen sich der Lendwirbel befindet, möglichst dicht herausgearbeitet und so in ein „Verhältnis zum Insgesamt dieses kulturellen Be- reichs“ 63 gebracht werden können. Dementsprechend kann mit dem Werkzeug der dich- ten Beschreibung ein systemischer Zugang verfolgt werden, um nicht nur die Ebene der Subjekte, wie es beim vielfach eingesetzten personenzentrierten Zugang der Fall ist, nä- her zu betrachten, sondern vor allem das Phänomen in Relation zu den unterschiedlichen Teilbereichen des Systems, in dem es sich befindet, welche einen wichtigen Beitrag für das Verständnis des Sachverhaltes liefern, mitgedacht und –reflektiert werden können.

Diese Art des Niederschreibens gleicht einer Kommentarfunktion64, die der/die Forsche- rIn inne hat, denn es geht „um das Deuten gesellschaftlicher Ausdrucksformen“65, also

60

Kaschuba 2006, 219 61 Kaschuba 2006, 220 62 Wolff 2009a, 87 63 Honer 2009, 196 64 vgl. Wolff 2009a, 87 65 Geertz 1983, 9 zit.n. Wolff 2009a, 88

Kapitel 1 Wegweiser Kapitel 26 um das kommentieren und interpretieren der kulturellen Gegebenheiten, die als „lesbares Dokument“66 betrachtet werden. Als Kulturanthropologin besitze ich das theoretische und praktische Know-How, um jene Phänomene ‚lesen‘ zu können. GEERTZ schlägt für die Erkenntnisgewinnung dazu eine Vorgehensweise in drei Schritten vor. Im ersten Schritt geht es um eine „knappe Schilderung des Geschehens“67. GEERTZ vergleicht diesen Vor- gang mit der Entschlüsselung eines Manuskriptes, das Lücken und Widersprüche auf- weist, die es zu entziffern gilt.68 Der zweite Schritt besteht darin, weitere Bedeutungen hinter der offensichtlichen und ersten Zuschreibung des Phänomens herauszuarbeiten. Dabei ist es wichtig, unterschiedliche Betrachtungsfolien heranzuziehen und immer wie- der zwischen ihnen zu hin- und her zu wechseln. Zu beachten ist dabei, dass jene Ebenen nicht voneinander abhängig sind, sondern nebeneinander aber auch voneinander unab- hängig existieren können und anwendbar sind. Es gibt keinen genauen Endpunkt dieses Tuns, somit bleibt die „[d]ichte Beschreibung (…) grundsätzlich unabgeschlossen“69. Eine wichtige Überlegung, die in jeglichem ethnologischen Tun mitbedacht werden muss, ist jene, dass „[a]lle Interpretationen des Ethnologen (…) nämlich im Licht theoretischer Vorannahmen getroffen [werden], und diese Vorannahmen beeinflussen den ethnologi- schen Erkenntnisgang bis hinunter auf die Ebene der unmittelbaren Erfahrung“70. Somit sind auch die in der vorliegenden Arbeit niedergeschriebenen Beobachtungen, Gedanken und Interpretationen einerseits von meinem theoretischen, kulturanthropologischen Vor- wissen, welches ich vor allem durch das Lektürestudium ansammeln konnte, und ande- rerseits von meinen Erfahrungen, die zwischen alltäglichem Handeln und wissenschaftli- cher Brille mäandern, geprägt und durchtränkt. In einem dritten Schritt werden aus den Beobachtungen und Interpretationen Fazits gezogen. „Hier geht es um die Feststellung dessen, was das so erworbene Wissen uns über die spezifische Gesellschaft sagt, in der es gewonnen wurde“71.

Interviews Um eine visuelle (teilnehmende Beobachtung) und eine deskriptiv-interpretierende (dichte Beschreibung) Ebene mit einer verbalen zu erweitern und somit einen weiteren

66 Wolff 2009a, 89, kursiv i.O. KapitelWegweiser 1 67 Wolff 2009a, 89 68 vgl. Geertz 1983 zit.n. Wolff 2009a, 89/90 69 Wolff 2009a, 90 70 Wolff 2009a, 91, kursiv i.O. 71 Wolff 2009a, 91, kursiv i.O.

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Aspekt des komplexen Phänomens des Lendwirbels auszuleuchten, „in der die sozialen Akteure selbst zu Wort kommen und auf ihre Bilder und auf ihre Sprache eingegangen werden kann“72, wurden im Mai 2012 sowie im Mai 2013 Interviews geführt. Die Ge- sprächspartnerInnen wurden in drei Untergruppen geteilt: die BesucherInnen, die Akti- vistInnen und die ExpertInnen. Die Auswahl der Personen erfolgte dabei nach folgenden Kriterien: Die BesucherInnen sollten mindestens zwei Mal den Lendwirbel aufgesucht haben. Die AktivistInnen sollten mindestens zwei Mal ein Projekt beim Lendwirbel or- ganisiert und durchgeführt haben. Das Kriterium der Häufigkeit (‚mindestens zwei Mal‘) begründet sich in der Überlegung, dass sich der Lendwirbel jährlich neu erfindet, sich verändert und so zumindest ein kleiner Erfahrungswert, das Festival, seine Organisation und Rahmenbedingungen betreffend, bei den BesucherInnen und AktivistInnen voraus- gesetzt werden kann. Die ExpertInnengruppe, darunter verstehe ich das ehemalige Orga- nisationsteam des Lendwirbels, ist eine mehr oder weniger geschlossene Gruppe von Menschen, die sich in den letzten Jahren zum Kernteam für die Organisation des Lend- wirbels herauskristallisiert hat. „Dieser Begriff ist 2011/12 eingeführt worden. Dabei han- delt es sich um eine Gruppe von ca. 8 bis 12 Menschen, die sich das ganze Jahr über in unregelmäßigen Abständen trafen, das vergangene Fest reflektierten und inhaltlich die Schiene für das nächste Fest legten.“73 Die meisten von ihnen sind Teil des Vereins Lokal Heroes 8020 – Verein für Kreative, Stadt, Entwicklung, welcher unter anderem für die Durchführung der jährlich am Lendwirbel stattfindenden Symposien zuständig war. Jene Personen werden in den Stand der ExpertInnen gehoben, da sie am meisten Einblick in die Intentionen (immerhin sind es ja ‚ihre‘ zu verwirklichenden Visionen, die am Anfang des Festivals standen), die Projekte, die Menschen und die gesetzlichen wie politischen Rahmenbedingungen, unter denen das Fest stattfindet, haben. Mit den interviewten Per- sonen der Gruppe der BesucherInnen und der Gruppe der AktivistInnen wurde im Vorfeld telefonisch oder per Email ein Termin für ein persönliches Treffen vereinbart. Mit Perso- nen der Gruppe der ExpertInnen konnte leider kein direktes Gespräch ausgemacht wer- den, da auf Einträge in den Social-Media-Plattformen Facebook und Twitter nicht geant- wortet und auf die Anfrage per Email auf das Projekt der gemeinsamen Frühstückstafel Permalend+ Breakfast74 verwiesen wurde, wo sowieso Austausch passiere. Tatsächlich fand am 11. Mai 2013 im Anschluss an das Permalend+ Breakfast eine Gesprächsrunde

72 Kaschuba 2006, 209 73 Prasenc 2013, 43, Fußnote 14 74 Lendwirbel.at, 11.05.2013

Kapitel 1 Wegweiser Kapitel 28 zum Thema „Den Lendwirbel gibt’s nicht mehr – Es lebe der Lendwirbel!“75 statt, wo die ExpertInnen allesamt versammelt waren und ebenso BesucherInnen und AktivistInnen zu Wort kommen konnten. Dieses Interview entspricht demnach nicht einem klassischen Leitfadeninterview. Vielmehr ist es ein Gedächtnisprotokoll des Gesprächs unter Exper- tInnen, AktivistInnen und BesucherInnen, welches sich selbst trug und bei dem es von meiner Seite keinen Bedarf gab, gezielt Fragen zu stellen.

Zusätzlich gibt es ein Gedächtnisprotokoll eines Vortrages, welcher im Zuge des Lend- wirbels 2012, am 4. Mai 2012 im HDA (Haus der Architektur) zum Thema „Neue Stadt- menschen. Reality Check Kreativwirtschaft“ stattfand. Der Urbangeograph Bastian

LANGE erläuterte zu Beginn seine Thesen zum Thema „Multiplicities in Berlin“, eine Ex- pertInnendiskussion, bestehend aus dem Organisationsteam sowie weiteren AkteurInnen der Kreativwirtschaft, folgte.

Rückblickend auf das vorher erwähnte Nähe-Distanz-Verhältnis zum Forschungsgegen- stand, sei hier ein wichtiger Aspekt angemerkt, dessen Bedeutsamkeit mir erst allmählich bewusst wurde. Aufgrund meiner alljährlichen teilnehmenden Beobachtungen des Lend- wirbels, sowie meiner alltäglichen (Lebens-)Wege durch das Stadtviertel, war mir die zu beforschende Umgebung vertraut. Es kann durchaus von Vorteil sein, ein bekanntes Feld zu untersuchen, da über die Reflexion dessen auch jener Umstand kompensiert werden kann, „dass das subjektive Wissen des anderen Menschen nicht ‚wirklich‘ direkt zugäng- lich ist“ 76, wie die Soziologin Anne HONER schreibt. Je vertrauter das Feld dem/der For- scherIn ist, desto eher können Aussagen und das Wissen der InterviewpartnerInnen ver- standen, interpretiert und mit Bedeutung versehen werden. Würde jene Vorarbeit fehlen, könnte ich die Ausführungen der interviewten Personen nicht zuordnen. Dementspre- chend haben die teilnehmende Beobachtung sowie die dichte Beschreibung einen hohen Stellenwert in meiner Forschungsarbeit, da sie das benötigte Know-How liefern, um Be- deutungen von sozialen und kulturellen Phänomenen tätigen zu können. Zudem verfolgte ich in den letzten Jahren die mediale Berichterstattung über den Lendwirbel genau und las kontinuierlich aktuelle Artikel und Bücher zu ‚meinem‘ Thema, um den theoretischen Background stets zu füllen.

KapitelWegweiser 1

75 Lendwirbel.at, 11.05.2013 76 Honer 2009, 197/198

29

Die geführten Interviews wurden im Anschluss in das Softwareprogramm MaxQDA77 eingegeben, sortiert und kodiert. Die Codes dienen der besseren Strukturierung der Aus- sagen, ergeben Schlüsselaspekte des Phänomens und können auf diese Weise gezielter unterschiedlichen theoretischen Bausteinen zugeordnet werden und den thematischen Zu-

sammenhang verdichten. Die Sozialforscherin Christiane SCHMIDT schreibt hierzu über die Vorgehensweise für die Auswertung von Interviews, dass das eingeholte Material im- mer in Austausch mit der Theorie steht, „als eine Art Wechselspiel zwischen theoreti- schen Überlegungen auf der Basis von Auseinandersetzungen mit Literatur und Theo- rietraditionen auf der einen Seite, Erfahrungen und Beobachtungen bei der Erkundung des Forschungsfeldes auf der anderen Seite“78. Die von mir gewählte Vorgehensweise schließt an diese Ausführungen an. Die Reflexion dessen, dass das theoretische Vorwis- sen stets den Blick lenkt (man sieht nur soweit wie der eigene Wissenshorizont reicht) ist in der vorliegenden Arbeit ob meiner persönlichen Involviertheit in die Thematik beson- ders wichtig. Somit sind auch die herausgearbeiteten Codes in Relation zu meinem Vor- wissen und meinem Zugang zur urbanen Umwelt zu sehen, welches im Anschluss genau eröffnet und definiert wird.

Medienanalyse Um einer ganzheitlichen Herangehensweise gerecht zu werden, wird auch die Rezeption und Wahrnehmung des Lendwirbels in den Medien analysiert. Jährlich ist, zumeist An- fang Mai aber auch vereinzelt während des Jahres, in den (Online-)Ausgaben der Print- medien Kleine Zeitung79, Der Standard80, Die Presse81 und Kurier82 aber auch auf unter- schiedlichen Homepages und Blogs vom und über den Lendwirbel zu lesen. 83 Voraus- schickend ist es spannend zu beobachten, in welche Kategorien der Lendwirbel eingeord- net wird: Von Kultur über Design bis zu Lifestyle ist er in den unterschiedlichen Ressorts anzutreffen. Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, all jene Zeitungsartikel und Blogeinträge der vergangenen fünf Jahre (2008 bis 2013), in denen explizit über den Lendwirbel be- richtet wird, aber auch jene in denen er peripher, meist als positives Beispiel für Stadtent- wicklung erwähnt wird, zusammenzutragen und in meine Forschung aufzunehmen.

77 http://www.maxqda.de/ 78

Schmidt 2009, 448 79 Online unter: http://www.kleinezeitung.at/ 80 Online unter: http://derstandard.at/ 81 Online unter: http://diepresse.com/ 82 Online unter: http://kurier.at/ 83 Eine Auflistung der zahlreichen Artikel befindet sich im Literaturverzeichnis.

Kapitel 1 Wegweiser Kapitel 30

Darüber hinaus wird der Versuch gestartet, ebenso die Daten aus den Social-Media-Platt- formen Facebook und Twitter in die Ethnographie des Lendwirbels und somit in den ur- bananthropologischen Diskurs miteinzubeziehen. Sie stellen eine wichtige Quelle dar, da am Lendwirbel vorwiegend über Social-Media-Plattformen kommuniziert wird.

Nachdem die unterschiedlichen methodischen Zugänge zum Forschungsfeld Lendwirbel zu einem großen Ganzen zusammengefügt worden sind, erfolgt am Ende eine Interpreta- tion und Zusammenfassung der Ergebnisse, die Resultat eines komplexen Forschungsun- ternehmens sind und neben der vielen Facetten des Phänomens, vor allem das Thema der Gouvernementalität in der Stadt am empirischen Beispiel Lendwirbel, aufzuzeigen ver- suchen.

Im anschließenden Kapitel wird das Straßenfest aus seinem geschichtlichen Gewor- densein beleuchtet, mit aktuellen Theoriegebilden gestärkt und somit in den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs eingeordnet.

KapitelWegweiser 1

31

Kapitel 1 Wegweiser Kapitel 32

Kapitel 2 DER LENDWIRBEL

Das vorliegende Kapitel dient einerseits der Rahmung und andererseits einem tieferen Eintauchen in das Stadtviertelfest Lendwirbel. Es ist eine Annäherung von außen an das Phänomen, denn es kann nicht als einzelnes Moment und in sich abgeschlossen betrachtet werden. Vielmehr steht es in Relationen zum Stadtraum, in dem es sich befindet und zu den darin lebenden AkteurInnen. Zu Beginn wird das historische und somit kulturelle und soziale Gewordensein des vierten Stadtbezirkes Lend beleuchtet. Anschließend wird die Geschichte des Lendwirbels detailliert erklärt.

2.1. Auf der rechten Murseite – Über den vierten Grazer Stadtbezirk Lend

Lend ist der vierte und einer der 17 Stadtbezirke von Graz. Er wird von Gries (fünfter Stadtbezirk) im Süden, Gösting (13. Stadtbezirk) im Norden und (14. Stadt- 84 bezirk) im Westen, welche alle am rechten Murufer liegen, umgrenzt. Ihm gegenüber, KapitelDer Lendwirbel 2 auf der linken Seite der Mur, befinden sich Geidorf (dritter Stadtbezirk) und die Innere

84 Der Zusatz ‚rechts‘ und ‚links‘ bezieht sich jeweils auf die Fließrichtung der Mur und nicht auf die geographische Ansicht von Osten und Westen.

33

Stadt (erster Stadtbezirk) im Osten. Heute bewohnen ca. 29.000 Menschen den Lend, auf einer Fläche von 3,7 Quadratkilometer.85 Topographisch gesehen wird er nördlich vom Kalvarienberg begrenzt, westlich von der Alten Poststraße, südlich von der Annenstraße und östlich von der Mur. Nicht nur durch die Mur sondern auch politisch werden die beiden Stadtseiten getrennt. „Traditionell zugeordnet gelten die beiden innerstädtischen Bezirke am rechten Murufer als politisch ‚links‘, jene am linken Ufer als politisch eher

‚rechts‘ oder konservativ.“86 KUBINZKY verweist hierzu auf die Daten der Gemeinderats- wahlen der beiden Bezirke Lend und Gries in den Jahren 1945 und 1963. 1945 waren es 60% SPÖ WählerInnen; 1963 stimmten 55% für die SPÖ in Lend, 54% in Gries.87 Span- nend ist auch die politische Entwicklung der Stadtviertel in den letzten Jahren. Laut den Daten des Magistrats Graz, waren es im Jahr 2003 noch immer 34% (Lend) bzw. 31% (Gries), die für die SPÖ stimmten, knapp 6% (Lend als auch Gries) wählten die Grünen. 2008 gab es für die SPÖ in beiden Bezirken nur mehr 27%, die Grünen kamen auf ca. 12%. Bei der letzten Gemeinderatswahl im Jahr 2012 verlor die SPÖ weiterhin und be- kam in Lend 19% und in Gries 17% der Stimmen. Grün wählten in beiden Bezirken ca. 11% der Personen.88

Um das Phänomen Lendwirbel nun in seiner Gesamtheit erkennen und verstehen zu kön- nen, ist es unumgänglich, den Bezirk Lend in seinem historischen und somit kulturellen und sozialen Gewordensein zu untersuchen und seine Eigenheiten herauszuarbeiten. Dadurch werden Zusammenhänge besser sichtbar. Dabei beziehe ich mich vor allem auf zwei Publikationen von GrazerInnen, die vor Ort die Wandlung des Bezirkes miterleben. Ersteres lautet: Gries. Lend – Geschichten. Räume. Identitäten, welches drei GrazerInnen,

namentlich Elke MURLASITS, eine Historikerin, Gottfried PRASENC, ein Architekt und Ni-

kolaus REISINGER, ein Sozial- und Kulturhistoriker, in interdisziplinärer Zusammenarbeit 2009 herausgaben. Das zweite Buch trägt den Namen Ortsentwürfe. Urbanität im 21. Jahrhundert und entstand im Jahr 2013 in der Zusammenarbeit des Urbangeographen

Bastian LANGE, sowie der Architekten Gottfried PRASENC und Harald SAIKO. Vor allem für diesen Diskurs ist es wichtig, GrazerInnen zu Wort kommen zu lassen, denn sie sind es, die seit Jahren das Geschehen vor Ort beobachten, darüber nachdenken und reflektie-

ren, natürlich immer vor dem Hintergrund der eigenen Involviertheit mit dem Stadtraum

85 Magistrat Graz 2013a 86 Kubinzky 2009, 20 87 vgl. Magistrat Graz 1964 zit.n. Kubinzky 2009, 20 88 vgl. Magistrat Graz 2013b

Kapitel 2 Lendwirbel Der Kapitel 34 und somit dem Forschungsfeld. Aus den Beiträgen dieses Buches erzähle ich hier die Geschichte(n) des vierten Grazer Stadtbezirkes Lend in chronologischer Reihenfolge.

Die Murvorstadt Fast flächendeckend und über die Jahrhunderte hinweg ist man sich darüber einig, dass die Mur bis heute eine wichtige Trennlinie zwischen der linken und der rechten Seite der Stadt ist, die nicht nur den topographischen Aspekt im Sinne der Trennung in östliche und westliche Stadtteilen impliziert, sondern auch den darin lebenden Menschen unter- schiedliche Eigenschaften und Geisteshaltungen zuschreibt. Dies sind keine neuen Ge- danken, denn bereits im 18. und 19. Jahrhundert wurde die bauliche Teilung der Stadt durch die Mur, sowie die des geistigen Lebens, erkannt und niedergeschrieben. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es bis ins späte 18. Jahrhundert lediglich die Hauptbrü- cke gab, die das östliche und das westliche Murufer verband und weswegen diese schein- bare Teilung als noch viel stärker empfunden wurde.89 Im Vergleich zu damals gibt es heute 15 Brücken, die man benutzen kann, um die Stadtseiten zu wechseln.

Dem Gebiet rechts der Mur gab man den Namen „Murvorstadt“90, welche bereits im Mit- telalter entstand. Die Bezeichnung sollte für die nächsten Jahrhunderte prägend für die heutigen Bezirke Lend und Gries bleiben, deren Geschichte sie über viele Jahre verbindet. Nicht uninteressant ist dabei, dass die Bezeichnung ‚Vorstadt‘ als „Abwertung der Un- terschichten“91 verwendet wurde und trotzdem, so schreibt der Historiker Gerhard M.

DIENES, „gilt zu konstatieren, dass bereits im 14./15. Jahrhundert angesehene Stadtbürger Zweitwohnsitze und Gärten in der Murvorstadt hatten, um hier das Landleben zu genie- ßen“92. Der dörfliche und ländliche Charakter wurde also bereits vor 600 Jahren dem Lend zugeschrieben. Dieser hat sich über die Jahrhunderte wieder verändert und kommt jetzt, im 21. Jahrhundert wieder zum Vorschein, betrachtet man Aktionen wie den Lend- wirbel oder Gemeinschaftsbüros und Nachbarschaftstreffen, die wieder verstärkt das ‚Je- der-kennt-jeden‘-Gefühl stärken sollen.93

KapitelDer Lendwirbel 2

89 vgl. Dienes 2009, 12 90 Dienes 2009, 12 91 Dienes 2009, 14 92 Dienes 2009, 15 93 vgl. Dienes 2009, 12

35

Handel und Verkehr Die Mur war ein wichtiger Verkehrs- und Handelsweg, weswegen in diesem Gebiet vor allem Berufsgruppen ansässig waren, deren wichtigster (Arbeits-)Bezug der Fluss war. So arbeiteten hier beispielsweise Fischer und Flößer nebeneinander. Die Bezeichnung ‚Lend‘ wird vom Anlenden bzw. Anlegen von Floßen abgeleitet.94 Im 16. Jahrhundert wuchs die Murvorstadt in Richtung Norden und Süden, der Lend- und der Griesplatz entstanden als Plätze Mitte des 17. Jahrhunderts. Schon früher wurden hier Märkte abge- halten und die Berufsgruppe der Seiler war an diesen Orten besonders präsent, da sie hier genug Platz hatten, um ihre Seile zu spannen. Somit war die Murvorstadt die „klassische Vorstadt von Graz“95, die als Bindeglied zwischen der Stadt und den umliegenden Ge- bieten diente. Im 18. Jahrhundert wohnten bereits knapp 12.000 Menschen in der Mur- vorstadt. Der Grund der Beliebtheit dieses Gebietes war vor allem ein finanzieller, denn hier konnte man billiger wohnen als in der (Innen-)Stadt. Dies hatte zur logischen Folge, dass sich hier „untere Sozialschichten“ ansiedelten und vom „minderen Viertel“96 die Rede war. Als Antwort darauf entstanden die ersten Altenheime und Krankenhäuser in der Murvorstadt, denn sie war „ein Auffangbecken für vieles, was die Stadt zwar benö- tigte, aber als störend, ihrer nicht würdig oder als nur bedingt begrüßenswert empfand“97. Demnach wurden auch Betriebe, die einen unangenehmen Geruch verbreiteten oder eine hohe Brandgefahr aufwiesen (wie z.B. eine Schmiede) in die Murvorstadt verlegt, ge- nauso wie der nie stillstehende Durchzugsverkehr, welcher einen ständigen Austausch und Begegnungen von Menschen unterschiedlicher Herkunft mitbrachte. So war es nicht unüblich, dass in diesem Gebiet viele Sprachen gesprochen wurden, „welche die öster- reichische Monarchie in sich schließt“98. Die Murvorstadt wurde aufgrund ihrer Funktion als Verkehrsader zum Wirtshausviertel mit vielen Einkehrgasthäusern, wo es auch Platz für Pferde gab. Im 18. Jahrhundert gab es in der Inneren Stadt 34, in der Murvorstadt jedoch 111 Gasthäuser, wodurch diese nach und nach zum Vergnügungsviertel wurde. Dies schlug sich auch in der von Diversität gekennzeichneten BewohnerInnenschaft nie- der, denn „[i]n der Vorstadt war das Leben freizügiger. In der Vorstadt herrschte eine

94 vgl. Dienes 2009, 12 95 vgl. Dienes 2009, 13 96 Dienes 2009, 14 97 Dienes 2009, 16 98 Schreiner 1843, 117 zit.n. Dienes 2009, 16

Kapitel 2 Lendwirbel Der Kapitel 36

Geselligkeit frei von gesellschaftlichen respektive standesbedingten Zwängen, was Stadt- bürger und Stadtadelige anzog.“99 Nach und nach etablierten sich auch Künstlerquartiere, vor allem von jenen Malern und Bildhauern, die für den Fürstenhof der Eggenberger tätig waren.100

Ein weiteres wichtiges Ereignis im 19. Jahrhundert war prägend für den Bezirk Lend, denn Graz wurde schließlich mit der Eisenbahn an die Südbahn nach Mürzzuschlag an- geschlossen, wodurch sich neue industrielle Betriebe in diesem Gebiet ansiedelten. „Bahndamm, Bahnhof und Industriezone gaben der Murvorstadt neue Bezugs- und Kris- tallisationspunkte“101 und das gewerbliche Leben verlagerte sich weiter in Richtung Wes- ten, wodurch vor allem der Lendplatz als wichtige Handelsdrehscheibe seine Vormacht- stellung verlor. Von nun an fungierte die Annenstraße als Bindeglied zwischen dem Bahnhof und der Inneren Stadt.102 Doch dieser Zustand der Hauptverkehrsstraße blieb nicht bestehen. Die Bezirke der Murvorstadt waren seit jeher geprägt vom dortigen Ver- kehrsaufkommen. Als jedoch – hier ein kleiner Zeitsprung nach vorne – 1987 der Plabutschtunnel eröffnet und somit der Verkehr noch weiter nach Westen und in den Berg verlagert wurde, gingen auch die Buslinien und die diese nutzenden PendlerInnen zurück, wodurch die Funktion des Bindeglieds zwischen Bahnhof und Stadtmitte verloren ging.103

99 vgl. Dienes 2009, 16/17 100 vgl. Hafner 1999, 3-5 zit.n. Dienes 2009, 17 101 Dienes 2009, 18 102 Detaillierte Ausführungen zur Geschichte der Annenstraße, die die Bezirke Lend und Gries verbindet (oder teilt, je nach Ansicht), als wichtige Verkehrsader diente (und künftig wieder die- nen soll; sie wird gerade renoviert) und für die Entwicklung der beiden Viertel keine unwesentli- che Rolle spielte, finden hier leider keinen Platz. Zur vertiefenden Lektüre empfehle ich die Artikel von FRIEDRICH, Claudia (2009): Die Annen- straße – ein „Zwischenraum“? In: Murlasits, Elke/Prasenc, Gottfried/Reisinger, Nikolaus (2009) (Hg.): Gries. Lend – Geschichten. Räume. Identitäten. Graz: Leykam, S.26-52; sowie von KÜH- BERGER, Leo (2013): „Doch langsam wendet sich das Blatt.“ Gentrifizierung im „Annenviertel“. In: Laister, Judith/Lederer, Anton/Makovec, Margarethe (2013) (Hrsg.): Die Kunst des urbanen KapitelDer Lendwirbel 2 Handelns. Wien: Löcker, o.S. Unveröffentlichtes Manuskript, erscheint im Herbst 2013. Weiters finden sich auf der Homepage des Stadtteilprojekts Annenviertel aktuelle Aktionen und Treffen, online unter: http://annenviertel.at/. Der Studiengang Journalismus & PR der FH Joan- neum betreut zudem einen Blog über das Annenviertel, wo auch die aktuellsten Ereignisse in diesem Gebiet verzeichnet werden, online unter: http://www.annenpost.at/. 103 vgl. Kubinzky 2009, 23

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Das 19. Jahrhundert, vor allem die zweite Hälfte, war überdies von großer Zuwanderung geprägt. Dies brachte einerseits ArbeiterInnen aus dem ländlichen Bereich und anderer- seits gut ausgebildete Arbeitskräfte in die Bezirke. Zudem siedelte sich das aufsteigende Bürgertum nach und nach an, welches die gute Entwicklung im städtischen Raum nutzte und diese auch noch zu verstärken wusste.104 Davon profitierte natürlich auch das Lend- viertel. Betrachtet man die Zu- und Einwanderung über die Jahrhunderte, so lässt sich feststellen, dass die Stadt Graz und vor allem die Bezirke Lend und Gries seit jeher von diesen Umständen gezeichnet sind. So gab es beispielsweise im 20. Jahrhundert eine große Rückwanderungswelle aus der 1918 zerfallenen Monarchie. Später waren es die Rückkehrer aus dem Zweiten Weltkrieg, danach die Gastarbeiter der Nachkriegszeit und schließlich die ImmigrantInnen der letzten Jahrzehnte105, die aus ihrer krisengeschüttelten Region nach Graz zogen, um sich hier ein neues Leben aufzubauen106.

Lend heute Die Teilung der Stadt Graz in eine linke und eine rechte Murseite wird in vielen Publika- tionen hervorgehoben107 und scheint ein wichtiges Moment einerseits der Identifikation und andererseits der Abgrenzung zu sein: Ein Umstand, der nur über die Unterscheidung zum ‚anderen‘ zur detaillierteren Ausführung des jeweiligen Stadtteils beiträgt. Und ge- nau deswegen ist „ein Osten ohne Westen der Stadt wie auch umgekehrt ein Westen ohne Osten nicht vorstellbar“108. Betrachtet man die Gegebenheiten im Verlauf der Geschichte genauer, so lässt sich feststellen, dass im 19. Jahrhundert versucht wurde, die Bezirke Lend und Gries der ‚schönen Murseite‘ anzupassen. „Die beiden Kaistraßen (Lendkai und Grieskai) erhielten dekorative Wohnbauten im Stile ihrer Entstehungszeit.“109 Jene Häu- ser wurden zu dieser Zeit oft sehr kunstvoll errichtet und bieten bis heute einen schönen Blick, wenn man von der linken Murseite auf die rechte wechselt. Generell war und ist die Stadt darauf bedacht, all jene Gebäude in Lend und Gries (vor allem am Lendkai und am Grieskai), die in Richtung Mur und somit auf die ‚schöne‘ Seite hin ausgerichtet sind,

104 vgl. Kubinzky 2009, 22 105 vgl. Kubinzky 2009, 22

106 Siehe hierzu vertiefend den Artikel von HAUER, Michael (2009): Immigrant Business. Sozio- ökonomische Einbettung und Strukturen in den Bezirken Lend und Gries. In: Murlasits, Elke/Pra- senc, Gottfried/Reisinger, Nikolaus (2009) (Hg.): Gries. Lend – Geschichten. Räume. Identitäten. Graz: Leykam, S.65-77. 107 vgl. Dienes 2009; Kubinzky 2009; Verhovsek 2013; u.a. 108 Kubinzky 2009, 24 109 Kubinzky 2009, 24

Kapitel 2 Lendwirbel Der Kapitel 38 mit kunstvollen Fassaden zu schmücken, damit sie in das Bild eines ganzheitlich ‚schö- nen‘ Graz passen, die Repräsentation nach Außen zählt hier. Die Häuserreihen dahinter, also zweiter, dritter, x-ter Ordnung können dann aussehen, wie sie wollen, das ist dann nicht mehr so wichtig. Heute werden die beiden Murseiten durch neun Brücken und Stege verbunden110 und doch lassen sich bei einem näheren Hinschauen nicht nur strukturelle Unterschiede, wie die Anzahl von ÄrztInnen, RechtsanwältInnen oder Buchhandlun- gen111 – auf der linken Murseite gibt es jeweils mehr davon – nachweisen, diese sind auch in „der räumlichen Sozialisation, der Sozialstruktur und vermutlich auch in der damit verbundenen Mentalität“112 zu finden.

So schreibt auch die Kulturanthropologin Elisabeth KATSCHNIG-FASCH über das „Vor- stadtgebiet Graz-Lend“113, dass sich vor allem die ärmere Bevölkerung, GastarbeiterIn- nen und AusländerInnen mit einer neuen BewohnerInnenschaft zusehends vermischt, die ihren Lebensraum „nicht in Übereinstimmung mit den Codes der modernen kollektiven Konkurrenzgesellschaft“ in Einklang bringen können.114 Das schrieb sie 1999. Seit dem hat sich einiges verändert. Der Tenor des ‚unschönen Viertels‘ wird immer leiser und ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ sind nicht mehr die erste Antwort auf die Frage, womit man Lend identifiziere.115 Geblieben ist die Zuschreibung einer „Buntheit der Viertel“116 und dessen Spontanität, welches „Künstler und junge Intellektuelle“ bis heute nach Lend zieht. „Was man in den 70ern noch als Schandfleck bezeichnete, erscheint aus der Sicht der 80er und auch für gegenwärtige Lebensbedürfnisse von Stadtbewohnern in vieler Hinsicht zukunftsweisend, aus manch planungskritischer Sicht in gewisser Hin- sicht sogar als visionär.“ 117 KATSCHNIG-FASCH sollte Recht behalten. Ein Beispiel dafür ist das futuristisch anmutende Rondo, welches 2007 bezugsfertig war und als „Wohn-,

110 vgl. Kubinzky 2009, 20 111 VERHOVSEK (2013) schaut noch genauer auf die unterschiedliche Benutzung der Stadträume in Graz, wenn sie schreibt: „Auf der, wie viele GrazerInnen sagen, richtigen, der linken Murufer- seite befand und befindet sich nach wie vor die Innenstadt, die City, mit einem Großteil der Ver- waltungsgebäude und öffentlichen Räumen: der Hauptplatz mit dem Rathaus, die Stadtkrone mit dem Dom und der Burg als Sitz der Landesregierung, beide Universitäten, der Großteil der höhe- ren Schulen, die Flaniermeile Herrengasse, die mittlerweile zur globalen Einkaufsstraße gewor- den ist, das Joanneum, der Stadtpark etc. – beinahe alles, was eine moderne City repräsentiert“ (ebd., 40, kursiv i.O.). KapitelDer Lendwirbel 2 112 Kubinzky 2009, 20 113 Katschnig-Fasch 1999, 23 114 Katschnig-Fasch 1999, 23 115 vgl. Prasenc 2009, 87 116 Katschnig-Fasch 1999, 23 117 Katschnig-Fasch 1999, 23

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Büro- und Geschäftshaus“118 vermarktet wird. Es erstreckt sich wie ein Bumerang Rich- tung Volksgarten, brachte eine neue Personengruppe in das Viertel und veranlasste viele bisherige BewohnerInnen, ihr Zugehörigkeitsgefühl zu verlieren, da sie die sich plötzlich verändernden Zeichen und Codes des Raumes nicht mehr lesen und zuordnen konnten.119

Darüber hinaus wurde 2003 das Kunsthaus im Zuge der Kürung von Graz zur Europäi- schen Kulturhauptstadt genau in dieses Viertel gebaut – ein friendly alien, wie er liebevoll genannt wird, der zwischen rechter und linker Murseite zu vermitteln scheint und als Ver- such galt „durch eine architektonische Attraktion die Murvorstadt aufzuwerten“120, was der Stadtpolitik nach jahrzehntelanger Diskussion um Funktion und Standort des Muse- ums im Endeffekt auch gelungen ist. Da das Kunsthaus prägend für die Entwicklung der rechten Murseite und somit für die Bezirke Lend und Gries war und ist, ist an dieser Stelle ein kurzer historischer Abriss der Entstehungsgeschichte vermerkt. Bereits 1866 gab es erste Planungen für ein ‚Grazer Künstlerhaus‘, dessen Bau vor allem an der Finanzierung sowie unzähligen Standortdebatten scheiterte. Im Ersten Weltkrieg wurde das Projekt auf Eis gelegt. Über die Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hinweg, wurde der Plan eines ‚KünstlerInnenhauses‘ immer wieder auf die Agenda gesetzt, jedoch aus unterschiedli- chen Gründen nie umgesetzt. Erst 1988 (und somit über 100 Jahre nach den ersten Ge- danken eines Kunstmuseums) wurde ein Wettbewerb für ein ‚Trigon-Museum‘ ausge- schrieben, es kam bis zur ersten Planungsphase, in der Finanzierung bereitgestellt und Genehmigungsverfahren eingeleitet wurden. Allerdings veränderte sich bei den Wahlen 1991 das politische Kräfteverhältnis in der Steiermark, das Geld wurde wieder eingefro- ren, die Planung gestoppt. Ende 1996 einigte man sich schließlich auf das Konzept einer ‚Kunsthalle‘ innerhalb des Schlossberges, welche bis zur Landesausstellung „comm.gr2000az“ im Jahr 2000 eröffnet hätte werden sollte. Und wieder kam es anders. Es formten sich BürgerInneninitiativen gegen den Bau im Schlossberg (aus Naturschutz- gründen, etc.). Die BürgerInnenbefragung 1998 ergab eine eindeutige Mehrheit (84,3 Prozent) gegen ein Kunsthaus im Berg. Allerdings drängte das Kulturhauptstadtjahr 2003 die Politik Entscheidungen zu treffen. Eine Standortdebatte, wie sie seit jeher an diesem Thema haftete, brach erneut los. Es wurde der Andreas-Hofer-Platz oder der Augarten als

potentielle Standorte ins Auge gefasst und erstmals in dieser jahrzehntelangen Debatte

118 Siehe online: http://www.rondo-graz.at/ 119 vgl. Koch 2010 120 Kubinzky 2009, 21

Kapitel 2 Lendwirbel Der Kapitel 40 auch – auf der ‚anderen‘ Seite der Mur – das Eiserne Haus am Südtirolerplatz121, wo der friendly alien heute weilt. VERHOVSEK meint in der Errichtung des Kunsthauses einen Impulsgeber für die kreative Entwicklung des rechten Murufers zu erkennen. „Seit 2012 wird die Annenstraße umfassend saniert und umgestaltet, aber vor allem die hinter dem Kunsthaus liegende Mariahilferstraße, die den Südtirolerplatz mit dem zur Mur und Schlossberg offen daliegenden Mariahilferplatz und weiter mit dem Lendplatz verbindet, hat sich durchaus eigensinnig zu einer interessanten, lebendigen Szene entwickelt, mit kleinen Cafés und Geschäften, die eine starke Verbindung zu Kunst und Design aufwei- sen – und zugleich Zeichen für eine fast lehrbuchmäßige Phase eines Gentrificationpro- zesses sind.“122 Der Historiker Leo KÜHBERGER schließt sich ihr an, wenn er schreibt, dass der Bau des Kunsthauses im Jahr 2003 im Rahmen der Europäischen Kulturhaupt- stadt der Beginn einer Entwicklung war, in der KritikerInnen die ersten Anzeichen von Prozessen der Gentrifizierung in diesem Gebiet glaubten wahrzunehmen.123 Der im Lend lebende und im Organisationsteam des Lendwirbels tätige PRASENC widerspricht diesen Zuschreibungen. Er meint, der Bau des Kunsthauses wäre nicht der ausschlaggebende Punkt für die Entwicklung dieses Stadtviertels gewesen. Möglicherweise hat es die Dy- namik verstärkt, aber die Etablierung der Netzwerke fand etwa zur gleichen Zeit statt, als über die Errichtung des Kunsthauses diskutiert wurde. Zudem kommen die Rahmenbe- dingungen wie niedrige Mieten, Multikulturalität und die vorhandenen Freiräume, die die Entwicklung begünstigte.124 Außerdem siedelten sich bereits in den 1990er Jahren Künst- lerInnenbüros und Ateliers von AkteurInnen der Kreativwirtschaft im Gebiet des Lend- platzes an, die anfangs unbemerkt blieben, da sie meist aus privaten Wohnungen aus agierten.125 Die Kreativen waren also vor dem Kunsthaus da, so schreibt auch die Archi- tektin Claudia GERHÄUSSER und schließt sich so ihrem Kollegen PRASENC an.

Das Stadtbild des Lendviertels ist heute nicht nur von der scheinbaren ‚Buntheit‘ der Kre- ativwirtschaft geprägt sondern auch von sogenannten „Immigrant Business“126. Der Be- griff wird für jene Gewerbsform von MigrantInnen verwendet, die Geschäfte vor allem für ‚ihre‘ Community eröffnen und somit den Stadtraum und dessen Wahrnehmung (mit-

KapitelDer Lendwirbel 2 121 vgl. Verhovsek 2013, 38/39 122 Verhovsek 2013, 42/43 123 vgl. Kühberger 2013, o.S. 124 vgl. Prasenc 2009, 87 125 vgl. Gerhäusser 2013, 12 126 Hauer 2009

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)prägen. „Mit 464 Betrieben im Bezirk Gries und 427 im Bezirk Lend, liegen beide Be- zirke in diesem Bereich mehr als 50 Prozent über dem Durchschnitt von ca. 202 Betrieben pro Grazer Stadtbezirk.“127 Dieser Zustand lässt allerdings auch auf die bereits erwähnten Immigrant Businesses schließen, die vor allem in diesen Stadtvierteln in großer Vielzahl ansässig sind. In Lend wohnen heute ca. 22 Prozent MigrantInnen, was ein vergleichs- weise hoher Anteil verglichen zur gesamten Stadt (ca. 13 Prozent) ist. Am Lendplatz wohnen ca. 27 Prozent BewohnerInnen ausländischer Herkunft, am Griesplatz sind es sogar 35 Prozent. Dieser Umstand wird eben auch an den vielen internationalen Ge- schäftslokalen und Restaurants sichtbar, die sich in jenen Vierteln befinden.128

An den Ausführungen über das kulturelle und soziale Gewordensein von Lend, wird deut- lich sichtbar, dass die Mur die Trennlinie der Stadt ist und bleibt, sie ist „als natürliche Grenze akzeptiert, durch den Verlauf der Stadtmauern institutionalisiert und im Bewusst- sein der GrazerInnen verankert“129. Die Geschichten der Stadt werden an ihr beschrieben. Vor dem Hintergrund der hier angeführten wichtigsten und prägendsten Eckdaten der Geschichte von Lend, lassen sich aktuelle Gegebenheiten einfacher zu- und einordnen, da sie in ihrem Gewordensein besser zu verstehen sind.

Das anschließende Kapitel beschäftigt sich mit neuen Stadtmenschen130, welche die Ge- schichte des Lendwirbels schrieben und noch immer schreiben.

2.2. Bunte Blockparty – Darüber, wie der Wirbel nach Lend kam

„Der ‚Lendwirbel‘ besteht aus einem sich ständig verändernden sozialen Netzwerk von Menschen mit dem gemeinsamen Anliegen, den städtischen Raum zu nutzen und dadurch Teil einer Auseinandersetzung zu sein.”131 Es sind Menschen, die nicht einzeln und für sich alleine etwas tun, sondern sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen haben,

127 Wirtschaftskammer 2006 zit.n. Brugger 2009, 61 128 vgl. Brugger 2009, 58 129 Verhovsek 2013, 41, kursiv i.O. 130 Vortrag „Neue Stadtmenschen. Reality Check Kreativwirtschaft“, 04.05.2012 131 Lendwirbel 2011

Kapitel 2 Lendwirbel Der Kapitel 42 welches aber nicht in sich geschlossen ist, sondern sich stets weiter verändert und offen ist für Neues. Die Personen in diesem Netzwerk, von Medien u.a. auch „Lebenskünst- ler“132 genannt, haben ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Vision. Sie wollen den Stadtraum für kleine und große Interventionen nutzen. Durch diese Nutzung erhoffen sie sich, an einer gesellschafts- und stadtpolitischen Auseinandersetzung teilzunehmen, in- dem sie Missstände aufdecken und eine lustvolle Gestaltung des öffentlichen Raumes, den sie als allgemeines Gut aller BewohnerInnen sehen, zu etablieren versuchen. Über jene Menschen und auch über das Gewordensein des Lendwirbels wird in dem vorliegen- den Kapitel berichtet.

Neue Stadtmenschen brauchen neue Orte Der Lendwirbel ist ein jährlich stattfindendes urbanes Ereignis Anfang Mai. Veranstaltet wird (bzw. wurde) das Stadtviertelfest von dort ansässigen Gewerbetreibenden, die zum größten Teil aus dem Bereich der Kreativwirtschaft kommen und im Lendwirbelgebiet ihre Büros, Ateliers und Läden haben. Der Soziologe Jens DANGSCHAT versteht unter den Beschäftigten der Kreativberufe u.a. „ArchitektInnen, DesignerInnen, WerberInnen,

Event-OrganisatorInnen, KünstlerInnen (und LebenskünstlerInnen)“133. LANGE ergänzt dazu den Begriff der „neuen Selbstständigen“, worin er einen Erwerbstyp versteht, „der eigenverantwortlich, mit hohen Fachkenntnisse, Innovationsansprüchen und Kreativität oftmals als Solounternehmer agiert und oft noch von Zuhause oder von neuen Arbeitsor- ten aus seiner Tätigkeit nachgeht“134. Eben jene Menschen, welche diesen Berufen nach- gehen und/oder dem Erwerbstyp des/der neuen Selbstständigen zugeordnet werden kön- nen, sind auch verstärkt in Lend, vor allem im Bereich vom Lendplatz über den Maria- hilferplatz bis zum Kunsthaus und somit in der Kernzone des Lendwirbels, zu finden. Sie sind die kreativen Katalysatoren des Viertels und die ersten, die sich kritische Gedanken über urbanes Leben gemacht und erste Schritte in Richtung Partizipation bei Stadtent- wicklungsprozessen gesetzt haben. In der Publikation Ortsentwürfe. Urbanität im 21. Jahrhundert (2013) ist von „Ortsentwicklern, die abseits der Planungsroutinen ‚Stadt ma- chen‘“135 die Rede, die als direkte Nachkommen und als Gegenpol des bis ins 20. Jahr- hundert als relativ souveränes Subjekt der Stadt geltende Bürger, gesehen werden und

KapitelDer Lendwirbel 2

132 Der Standard, 06.05.2009 133 Dangschat 2008, 27 134 Lange 2013, 19 135 Lange/Saiko/Prasenc 2013, 3

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den Anspruch erheben, die Stadt mitzugestalten. Sie sind die „neuen Stadtmenschen“136. Der Arbeitsort wird vom Wohnort nicht mehr streng und nach seiner Funktion getrennt, sondern beide Bereiche des alltäglichen Lebens an einem Platz vereint. Die ortsansässige Community hat ein breites Netzwerk an verschiedenen AkteurInnen unterschiedlicher Berufungen etabliert. „Sich auszutauschen und miteinander zu kooperieren, ist Teil des immateriellen Kapitals der Kreativen“137, wodurch sie das Instrument für Kreativität und Innovation erhalten, welches eine Voraussetzung für Stadtteilinitiativen darstellt. Mit der gemeinsamen Kraft des Kollektivs wird versucht, neue Ideen für Urbanität bzw. das Le- ben in der Stadt und Nachbarschaft zu generieren, alte Vorstellungen aus der Veranke- rung zu heben und zu hinterfragen. Dabei ist die Mitgestaltung am öffentlichen Leben genauso wichtig wie das Bemühen, die BewohnerInnen zu aktivieren ebenfalls am Lend- wirbel zu partizipieren, sich (diskursiv, inhaltlich, kreativ, musikalisch) einzubringen und den Raum in Anspruch zu nehmen. Ziel ist die Schaffung eines zeitlichen und räumlichen Rahmens Anfang Mai, in der das lustvolle Bespielen des öffentlichen Raumes möglich sein kann. „Temporäre Stadtteilinitiativen wie der ‚Lendwirbel‘ in Graz sind Bestrebun- gen selbstorganisierter Initiativen, den städtischen Raum temporär zu einer Zone kultu- reller und sozialer Interventionen umzuprogrammieren und Praktiken des Stadtlebens zur Sichtbarkeit zu verhelfen.“138 Die Tatsache, dass der Lendwirbel von einer Gruppe von Personen, die aus kreativen und wissensbasierten Professionen kommen, initiiert wurde, ist naheliegend und nicht verwunderlich. Sie sind es, die ihr urbanes Leben, „ihre eigene Biografie und die Räume, in denen sie diese ausleben“139 (mit)gestalten wollen, schreibt Die Presse in einem aktuellen Artikel. Durch Innovation und Eigeninitiative formen die die nähere Umgebung nach ihren Vorstellungen. Die Möglichkeit dies zu tun, basiert auf dem Phänomen der Reurbanisierung, also einer Wiederbelebung der Städte, nachdem sich in den vergangenen Jahrzehnten das innerstädtische Leben an die Ränder der Stadt verla- gerte und langsam zurückkehrt. Dadurch entstanden Leerräume und unbenutzte Flächen, die nun einen Gestaltungs- und Handlungsspielraum für die neuen Stadtmenschen bieten. Die Kreativen „setzten mit ihrer Suche nach Heimat und ihren Ideen gern dort an, wo die Suburbanisierung städtische Räume freigespült hat“140. Aus diesem Grund konnte auch ein Festival wie der Lendwirbel an dem Ort entstehen, wo er bis heute stattfindet. Die

136 Lange/Saiko/Prasenc 2013, 3 137 Rothauer 2013, 152 138 Lange/Saiko/Prasenc 2013, 3 139 Die Presse, 30.11.2013 140 Die Presse, 30.11.2013

Kapitel 2 Lendwirbel Der Kapitel 44

Voraussetzungen dafür waren genau richtig: freie, unbenutzte oder zu wenig benutzte Räume sowie der Zuzug von Menschen, die einen hohen Grad an kreativen und schöpfe- rischen Kompetenzen, sowie Selbstbestimmung und Eigeninitiative aufweisen, waren ausschlaggebend für den Startschuss urbanes Leben anders zu denken.

Lendwirbel 2008-2013 Das Festival trägt mittlerweile viele Namen und Zu- schreibungen: Es ist eine „Block Party“141, eine „Mani- festation für das Mitgestalten der Stadt“ und ein „Spekta- Abbildung 1 Logo vom Lend- kel“142, ein „Bezirksfest“143, ein „kulturelles Stadtteil- wirbel fest“144, ein „Grätzelfest“145, ein „soziokulturelles Straßen- und Stadtteilfest“146, ein „Viertel in Bewegung“147, eine „Laborsituation. Kunstgalerie. Ausnahmezustand. Aktiv- posten. Kollektive Raumbesetzung. Statement“148, eine „Stadtteilinitiative“149, ein „krea- tives Gemeinschaftsfest“ und eine „Stadtteilsause“150, ein „Nachbarschaftsfest“151, ein „herrlich gelebter Ausnahmezustand“ und ein „kollektives Kunst- und Partyexperi- ment“152. All diesen Bezeichnungen, die dem Lendwirbel von unterschiedlichen Medien zugeschrieben werden, wird im vorliegenden Kapitel auf den Grund gegangen.

Seit einigen Jahren wird jährlich ein paar Tage lang im Mai das Lendviertel bzw. Teile davon, vom Lendplatz bis zum Südtirolerplatz und vom Lendkai bis zum Volksgarten153 bespielt, diskutiert und erobert. Das Eröffnungsfest des Frisörsalons Die Haarschneide- rei154 im Jahr 2007 gab dem Lendwirbel seinen Namen. Ein paar MusikerInnen und DJs feierten mit den Gästen einen Abend lang auf der Straße vor dem Geschäft.

141 http://lendwirbel.at 142 Kleine Zeitung, 14.05.2008 143 Die Presse, 25.04.2009 144 Der Standard, 04.05.2009 145 Der Standard, 02.05.2010 146 Fm4.orf.at, 30.04.2011 147 Kurier, 02.05.2011 148 Kleine Zeitung, 02.05.2012 KapitelDer Lendwirbel 2 149 Falter.at, 08.05.2012 150 Kleine Zeitung, 11.05.2012 151 Die Presse, 18.08.2012 152 Kleine Zeitung, 27.04.2013 153 Das gesamte Lendviertel ist viel größer als der Bereich, der am Lendwirbel genutzt wird. 154 Online unter: http://www.diehaarschneiderei.com/

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Ein Jahr später, von 16.-18. Mai 2008, starteten die in Lend, respektive im Gebiet zwi- schen Kunsthaus und Lendplatz arbeitenden Personen sowie einige BewohnerInnen einen Versuch, bei dem der Lendwirbel, geführt als „Blockparty in Lend“, in der bekannten Form das erste Mal organisiert und durchgeführt wurde. Wie auch in den darauffolgenden Jahren, stellten sich die OrganisatorInnen von Beginn an kritische Fragen zu ihrem nähe- ren Lebensumfeld in der Stadt, sowie zum öffentlichen Raum, der sie umgibt. 2008 lau- tete diese Frage: „Können Straßen und Gassen, Gehsteige und Plätze in diesem Viertel an einem Wochenende als unser Wohnzimmer fungieren?“155 Um das herauszufinden wurde sich der öffentliche Raum kunstvoll und kritisch angeeignet, es gab Livemusik, eine Streetgallery, einen Straßenmarkt und ein Symposium. Diese Kombination von An-

geboten – PRASENC erklärt, dass der erste Lendwirbel auf den drei Säulen Diskurs, Kunst und Party basierte156 – soll auch im Laufe der kommenden Jahre bestehen bleiben.

In diesem Jahr steht vor allem die Sichtbarmachung der ‚kreativen Szene‘ im Vorder- grund. Jene „Raumpioniere“157, die Agenturen und Büros im Lendviertel besitzen, wollen die ‚anderen GrazerInnen‘ über ihr Tun informieren. Zumindest berichten die Medien darüber auf diese Weise. So bezeichnen sie den Bezirk Lend als den „lebendigsten Grazer Stadtteil“158, als „trendigstes Viertel der Stadt“ und als „frisch und unangepasst“159. Der Lendwirbel passt aufgrund seiner innovativen sowie kreativen Leichtigkeit des ‚Einfach- Tuns‘ gut zu diesen Attributen, die daher gerne dafür verwendet werden.

2009 gründeten drei der AktivistInnen, nämlich die Architekten Harald SAIKO und Gott-

fried PRASENC sowie der Stadtsoziologin Mara VERLIC den Verein Lokal Heroes 8020 – Verein für Kreative, Stadt, Entwicklung160, dessen Hauptaugenmerk in der „Stadtteilent- wicklung durch Urbanität als Lebensform und Möglichkeiten von Partizipation am eige- nen lokalen Umfeld“161 liegt. Themen der Stadtforschung, der Stadtentwicklung und des Stadtaktivismus sind demnach prägend für ihre Arbeit. Sie sind es auch, die den Lend- wirbel jährlich durch Symposien unterstützten, bei denen unterschiedliche Phänomene in

155 http://lendwirbel.at/presse/ 156 vgl. Prasenc 2013, 37 157 Falter.at, 13.05.2008 158 Falter.at, 13.05.2008 159 Kleine Zeitung, 14.05.2008 160 Online unter: http://www.lokalheroes.cc/ 161 Prasenc/Saiko 2013, 214

Kapitel 2 Lendwirbel Der Kapitel 46 der Stadt von internationalen ExpertInnen diskutiert werden (z.B. Kreative, Stadt, Ent- wicklung, Mythen und Wahrheiten über kreative Szenen als nachhaltiger Standortfaktor der Stadtteilentwicklung (2008), Wohnen zwischen Individualisierung und Vergemein- schaftung (2009), Wer macht Stadt? Zur Frage von Stadtraum, Urbanität und Lebensfor- men (2010), How to Lokal Hero? Bedienungsanleitungen urbanen Handelns (2011), Neue Stadtmenschen. Reality Check Kreativwirtschaft (2012)162). Das Stadtviertelfest wurde aber nicht nur von den Vorständen des Vereins initiiert, sondern ist ein Spektakel, bei dem viele AktivistInnen alleine oder in Gruppen und Kooperationen den öffentlichen Raum bespielen. „Die Plätze und Straßen, Ecken und Gassen werden dabei zum tempo- rären Spielplatz der Ideen und Experimente und zum Präsentations-, Kommunikations-, Diskussions- und Entwicklungsraum.“163 Betont wird die Beteiligung der BewohnerIn- nen von Lend auf unterschiedlichen Ebenen der Stadtentwicklung, sowie die zugeschrie- benen Eigenschaften von Orten, bespielt, belebt und sich angeeignet zu werden.

Im Jahr 2009 kristallisierte sich bereits eine bestimmte Klientel für die „Blockparty im Lend“, die von 07.-10. Mai 2009 stattfand, heraus: „Ehemalige BesucherInnen, vom Hö- rensagen her Kennende, KünstlerInnen, MusikerInnen, AktionistInnen, Gewerbetrei- bende, JournalistInnen, sowie Stadt- und StandortentwicklerInnen hatten Erwartungen an das Fest“164. Es ist eine scheinbar heterogene Personengruppe, die jedoch bei genauerem Hinsehen im Kreativbereich tätig zu sein scheint und deren Angehörige deswegen mit dem Lendwirbel an ihre Lebensrealität anknüpfen können, die Regeln und Codes kennen. Nichtsdestoweniger schlossen sich immer mehr AkteurInnen an, die sich mit dem Viertel verbunden fühlten und die das Fest als Plattform für ihre Anliegen, die sie das ganze Jahr über vertreten, zu nutzen begannen.165 Das Fest wurde abermals ein voller Erfolg.

Nachdem im zweiten Lendwirbeljahr fast 10.000 BesucherInnen in den Lend kamen, um zu schauen und zu tun, dachten 2010 die OrganisatorInnen darüber nach, ob man am Lendwirbel, der von 03.-09. Mai 2010 stattfand, ein Format schaffen könnte, welches Spontanität mit inszeniertem Spektakel verbindet. Man wollte nicht von der enormen Vi- talität des Festes in Höhen getragen werden, die es zum Event machen, das gut vermarktet

KapitelDer Lendwirbel 2

162 vgl. Lokal Heroes 8020 163 Prasenc/Saiko 2013, 215 164 http://lendwirbel.at/presse/ 165 vgl. Prasenc 2013, 38

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werden kann. Daher gaben sie in jenem Jahr dem Lendwirbel den Titel: „Am Boden blei- ben! ...und abgehen“. In den eingeführten Vernetzungstreffen, die jährlich ab November monatlich stattfinden und der Planung und Organisation des nächsten Lendwirbels die- nen, sind alle, die mitmachen und aktiv werden wollen eingeladen, um sich zu treffen und sich zu vernetzen. Aktuelle Themen und Aktionen werden besprochen und diskutiert.

Von 02.-08. Mai 2011, im vierten Lendwirbeljahr, betitelten die OrganisatorInnen diesen mit „Ein Zustand?!“. Der Fokus lag auf der Auseinandersetzung mit dem Stadtviertel, auf der Interaktion und Kommunikation im bespielten Grätzel und der Frage, ob das gemein- same Tun etwas künstlich Geschaffenes sei, oder ob es ein natürlicher Zustand im Viertel sein kann. In jenem Jahr wurden auch erstmals stadtteilübergreifende Aktionen mit dem benachbarten fünften Bezirk Gries durchgeführt und somit waren es bereits 30.000 Men- schen, die sich dieses Spektakel anschauen wollten und in das erweiterte Lendwirbelge- biet kamen. Der Lendwirbelwoche ging ein Manifest voran, welches von den Organisa- torInnen verfasst wurde, um sich zu positionieren, offene Fragen zu klären und Intentio- nen sichtbar zu machen. Gleich zu Beginn sprechen sie die Veränderung der letzten Jahre im Stadtviertel an, worin sie eine Dynamik erkennen können, die „interessante Begeg- nungen, spannende Auseinandersetzungen und fruchtbare Konfrontationen“166 möglich machte. Diese Bewegung gilt es zu stärken, mit der Aufforderung, sich den öffentlichen Raum anzueignen, ihn für alle zu öffnen und so der Kontrolle desselben entgegen zu wir- ken. Das Organisationsteam verweist auf die vielen Menschen, die aktiv werden wollen, die Lust verspüren, sich am gesellschaftlichen Geschehen in der direkten Umgebung be- teiligen möchten. Dabei steht nicht eine kommerzielle Nutzung des öffentlichen Raumes oder die Verwendung für designbasierte Aktionen, die eine gewisse Hippness ausstrahlen sollen, im Vordergrund. Vielmehr geht es um „eine kritische Analyse und Auseinander- setzung mit der Welt vor der eigenen Tür“167. Im gemeinsamen Tun sollen Potentiale gebündelt, genutzt und weitergesponnen werden, Kreativität hervorgebracht und so Raum für Diskurs geschaffen werden. Obwohl sie sich nicht der Kreativwirtschaft zuschreiben, sich davon sogar distanzieren, so wird der Aspekt der Kreativität beim Lendwirbel groß geschrieben, denn sie wird heute als wichtiger und wertvoller Bestandteil der Gesellschaft

gehandhabt, über den jeder Mensch verfügen kann.168 In diesem Tun wollen die Organi-

166 Lendwirbel 2011 167 Fm4.orf.at, 30.04.2011 168 vgl. Lendwirbel 2011

Kapitel 2 Lendwirbel Der Kapitel 48 satorInnen sowie alle AktivistInnen und BesucherInnen Teil eines kreativen, urbanen Zu- sammenlebens sein. Darüber hinaus ist es ihnen ein Anliegen, jenes lustvolle Miteinander auch kritisch zu Hinterfragen und die eigene Rolle näher zu beleuchten, da ihnen der Diskurs um Stadtteilaufwertung durch die creative class bewusst ist und sie nicht Teil von Gentrifizierungsprozessen in Lend werden möchten. Sie meinen dazu: „Der Lend- wirbel bemüht sich um das kritische Hinterfragen der eigenen Rolle und um Selbstrefle- xion. Uns ist die Gefahr bewusst, dass wir möglicherweise Teil einer Entwicklung sind, die zu einer Veränderung des sozialen Gefüges im Stadtteil führen kann. Diese Entwick- lungen wollen wir beobachten und wenn geht dagegen steuern. Bestehende Images von der ‚schlechten Murseite‘ möchten wir in einem kreativen Prozess zerstören.“169 Mit dem Einsatz von Kreativität und kritischem Denken soll ein Stadtraum geschaffen werden, in dem Aktivitäten und Ideen die Grenzen der Kulturen und Gesellschaftsschichten durch- kreuzen und alle miteinbeziehen, anstatt mit den Ausschlussmechanismen zu arbeiten, die die Stadt für den öffentlichen Raum bereits anwendet (Bettel- und Gesangsverbot, Alkoholverbot, etc.). Mit dieser Haltung wehren sie sich gegen ein gouvernementales ur- banes Regieren, mit dem versucht wird, soziale Kontrolle über die Kontrolle des Raumes zu erreichen. Sie fordern daher „einen öffentlichen Raum, der als Basis gelebter Demo- kratie funktioniert“170. JedeR BewohnerIn soll die Möglichkeit haben mitzureden, mitzu- diskutieren und mitzugestalten. Der Lendwirbel fungiert dabei als Plattform und Bühne, dies zu tun. Daher, meinen die OrganisatorInnen, wird es „durch diese gebündelte Krea- tivität (…) möglich, Lösungen für all die gegenwärtigen dringlichen Fragen und Prob- lemstellungen zu kreieren“ 171, womit sie die Daseinsberechtigung des Lendwirbels ge- konnt argumentieren.

2012 wurde versucht, das Event, zu dem der Lendwirbel im Laufe der Jahre geworden war, zu hinterfragen, den Kern und den ursprünglichen Inhalt in den Fokus zu rücken. Der Titel „Aufbruch ins Wesentliche!“ zeugt von diesen Überlegungen. Aufgrund des großen Interesses wurde das Stadtteilfest auf zehn Tage ausgedehnt und ging von 04.-13. Mai 2012 über die Bühne. Aus Vorträgen, die im Zuge des Festivals abgehalten wurden und Gesprächen, die meist im Vorfeld als sogenannte Vernetzungstreffen zustande ka- men, wurde klar, dass der Lendwirbel jenes Jahr das erste Mal Kritik einstecken musste, KapitelDer Lendwirbel 2

169 Lendwirbel 2011 170 Lendwirbel 2011 171 Lendwirbel 2011

49

dass er zu program- matisch, zu organi- siert, zu ‚von-oben‘ sei.172 Dies war si- cher nicht das Ziel der OrganisatorIn- nen, als vielmehr, dass „Nachbar- schaft, Stadt und Ge- sellschaft zu gestal- ten (…) eine konti- nuierliche Aufgabe [bleibt]“173. Jene Herausforderung soll allerdings im Zuge eines gemein- schaftlichen Han- delns passieren, als kritische Auseinan- dersetzung mit dem Stadtraum und dem öffentlichen Raum, der die Menschen Abbildung 2 Plan des Lendwirbelgebietes umgibt und nicht zwingenderweise als gefördertes Stadtfest, welches den Umsatz im Gebiet steigern soll. Abermals wird der kritische Blick auf die marktwirtschaftlich gerichteten Intentionen der Stadtregierung, nämlich das Festival zu benutzen, um einen möglichst hohen Profit dar- aus schlagen zu können, deutlich. Aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre und der immer größer werdenden Anzahl der AktivistInnen, wurde bei den Vernetzungstref- fen vor allem darauf geachtet, dass die Aktionen zwar frei und lustvoll waren, allerdings

im Rahmen der Verordnungen und Genehmigungen (z.B. Musik bis 22.00 Uhr, Straße

172 Fm4.orf.at, 05.05.2012 173 http://lendwirbel.at/presse/

Kapitel 2 Lendwirbel Der Kapitel 50 muss gesperrt werden, Regeln für Essen und Ausschank im öffentlichen Raum, Müllab- fuhr, etc.) passierten. Dazu gab es mehrere Checklisten und einen Plan vom Lendwirbel- gebiet, wo man sich eintragen konnte (siehe Abb.2). Er trägt eine Aufforderung zum Mit- machen und Aktivwerden in sich: „Stell Dir vor es passiert einfach…! Stell Dir vor, An- fang Mai ist die Zeit, in der die Straßen und Plätze bewusst als Bühne genutzt werden. AUF GEHT’S! Auf der Suche nach benutzbaren Plätzen, Aktions-Orten, Möglichkeiten, Frei-Raum, Garten in Lend+. Jeder Ort kann wesentlich sein, solange Du ihm den Wert zusprichst“174. Der Lendwirbel 2012 wurde ein großes Fest unvorhersehbaren Ausmaßes. Das Programm war zum Bersten voll, es wurde von den OrganisatorInnen in Kategorien wie „Essen und Trinken“, „Hören Tanzen“, „Reden Denken“, „Tun Lassen“ und „Zeigen Schauen“ eingeteilt und zeugt somit von der großen Bandbreite der Aktionen. Wie viele Personen den Lendwirbel im Jahr 2012 besuchten, scheint leider an keiner Stelle mehr auf. Betrachtet man allerdings die Summe der Zeitungsartikel und die Berichterstattung aus jenem Jahr kann davon ausgegangen werden, dass viele BesucherInnen in den Lend kamen, um zu feiern und um sich den öffentlichen Raum zu eigen zu machen, denn es wurde täglich und von unterschiedlichen Medien über Aktionen, Ausstellungen und Mu- sikacts berichtet. Sie waren allesamt sehr positiv konnotiert, was auf ein lustvolles Mitei- nander während dieser zehn Tage schließen lässt.

2013 stieg das Organisationsteam merklich auf die Bremse. Unter dem Titel „Stell dir vor es ist kein Lendwirbel und alle gehen hin!“ überließen sie den Lendwirbel seinen Akti- vistInnen; ohne Koordinationsteam, das die vielen Anträge für die Genehmigungen an die Stadt in den letzten Jahren gesammelt übernahm und das vielfältige Programm zu- sammenstellte; ohne dezidierten Rahmen, ohne Anfang und Ende. Das geschah in der Hoffnung, dass es ein kollektives Bedürfnis gibt, einen Lendwirbel auch ohne Organisa- torInnen über die Bühne zu bringen und den öffentlichen Raum für sich zu nutzen und ihn zu beleben. „Es geht um die gemeinsame Nutzung und Begegnung in unserem öffent- lichen Raum. Immer mehr wurde in den letzten Jahren auch deutlich, dass der Lendwirbel nicht als konsumorientierter Event, sondern als Möglichkeit des Ausdrucks dieses ge- meinsamen Bedürfnisses gesehen wird.“ 175 Es wird ein Verlangen nach dem Lendwirbel suggeriert, mit dem die Eigenverantwortung und Selbstorganisation, die sie seit Beginn KapitelDer Lendwirbel 2

174 Lendwirbel.at, 02.2012 175 Lendwirbel.at, 11.05.2013

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an immer wieder propagiert wurde, noch stärker gefördert werden soll. Ein Lendwir- belaktivist merkte dazu an, dass sich die BewohnerInnen mehr Beteiligungsmöglichkeiten am Lendwirbel wünschen würden. Er ist darüber verwundert, da seiner Meinung nach, das Kernteam bereits sehr offensiv Partizipation auf unterschiedlichen Ebenen einfordert, dies aber nur bedingt angenommen wird.176 Die Einforderung von Partizipation basiert auf unterschiedlichen Motivationen. Man möchte möglichst vielen BewohnerInnen von Lend (aber auch von anderen Stadtteilen) die Rahmenbedingungen für ihre Interventionen, in Form einer zeit- lichen und örtlichen Begrenzung, zur Verfügung zu stellen, in dem sie sich frei bewegen und den öffentlichen Raum bespielen können. Außerdem sollen viele Menschen aus an- deren Stadtteilen oder sogar anderen Bundesländern in den Lend kommen und von den vielen kleinen Sachen, die passieren, überrascht werden. Die flanierenden BesucherInnen sollen einen Eindruck bekommen, wie ein Straßenfest funktionieren und so eine Stadt zum Pulsieren bringen kann. Zudem soll das Netzwerk von Menschen mit ähnlichen emanzipatorischen Interessen und Neigungen, informiert und animiert werden, mitzumachen.177 Die Community kann dadurch bewusst und klug erweitert und auf diese Weise deren Interessen gestärkt werden. Die gemeinsame Aktivität ist eine wichtige Strategie im Kampf gegen neoliberale Stadtpolitik und deren Regulierungen und Kontrollen des öffentlichen Raumes. Die Debatte wird in den Stadtraum, der als „Bühne der Selbstdarstellung von Wertepräferenzen“178 dient, übertragen und nicht nur rein gesellschaftspolitisch, sondern v.a. raumpolitisch verhan- delt. Auch, wenn die AktivistInnen von nun an angehalten sind, selbst- und eigenverant- wortlich zu handeln, so ist das Etablieren eines informellen Netzwerkes, dem viele Per- sonen angehören sollen, das beste Werkzeug, um Werthaltungen und (gesellschafts-)po- litische Meinungen stark zu vertreten. Doch diese Motivation auch im Jahr 2013 aufrecht zu erhalten, erwies sich als schwieriger als in den Jahren zuvor, da das Organisationsteam fehlte.

Zusammenfassend soll der Koordinationsstatus einem Informationsstatus weichen179,

merkt PRASENC an. Die Folge davon war Verwirrung unter den AktivistInnen und Besu- cherInnen. Niemand wusste so genau, welches Programm nun wo stattfinden würde. Die- ser Umstand wurde auch durchgehend, in den von mir geführten Interviews, als störend

und demotivierend bezeichnet. Eine Musikerin, die einige Jahre im Lend wohnte und

176 vgl. Lendwirbel 2013, 11.05.2013 177 vgl. Lendwirbel 2013, 11.05.2013 178 Frey 2004, 222 179 vgl. Prasenc 2013, 43

Kapitel 2 Lendwirbel Der Kapitel 52

2012 selbst aktiv war, erklärt: „Ich bin dann darauf gekommen, dass es kein Organisationsteam mehr gibt, kein bestehendes, das sich eben um diese ganzen Sachen kümmert, sondern es ist ziemlich aufgelöst und offen geworden und so quasi nach dem Motto: Leute, kümmert euch selbst darum und macht es einfach. Und das hat sich dann vor allem für die Musiksachen für mich irgend- wie als schwierig erwiesen, weil ich mir gedacht habe: Okay, es ist cool, wenn man einfach machen kann. Nur sind dann Schwierigkeiten, dann spielen, weiß ich nicht, fünf Bands, die gleichzeitig spielen wollen, die übertönen sich, weil die einen lauter sind als die anderen. Dann gibt es Platz- schwierigkeiten. Ja und es war halt für mich teilweise ein bisschen unverständlich, dass man das wirklich so lose gelassen hat und das hat dann mir, die Motivation irgendwie ein bisschen wegge- nommen, irgendwie aktiv zu sein.“180 Sie führt auch den Grund ihrer Demotivation an: Das Organisationsteam regelte ursprünglich „alle rechtlichen Sachen, was Genehmigungen, Platz- genehmigungen betrifft. Die Rahmenbedingungen waren halt Sachen vom Organisationsteam, das heißt, darum musst du dich nicht kümmern, quasi nur mehr das Kreative, ist dann übrig geblieben. Und deswegen ist es so, diese öffentliche Raumnutzung war dann viel stärker für mich da.“ 181 Selbst für die Aktivistin, welche bereits am Lendwirbel mit unterschiedlichen Interven- tionen vertreten war und wusste, wie das Fest funktioniert und organisiert ist, ärgerte sich über die plötzliche Grenzenlosigkeit, die durch die Abwesenheit des Organisationsteams entstand. Für sie ist die rechtliche Organisation, um die sie sich nicht selbst kümmern musste, eine wichtige Basis für ein kreatives Schaffen, sowie ein Sich-Einlassen auf die Nutzung des öffentlichen Raumes. Sie fühlte sich nicht genug vernetzt mit anderen Akti- vistInnen und Kunstschaffenden, weswegen sie die Motivation verlor, sich intensiv ein- zubringen.

Da das Kernteam fehlte, welches bislang die verwaltungstechnischen Hürden für der Ak- teurInnen übernahm, wurden Hindernisse aufgebaut. Bei der offenen Gesprächsrunde wurde auch darüber reflektiert, wie diese Schwellen und Barrieren abgebaut werden können. Man müsse andere Strukturen und Mittel finden, um noch mehr Beteiligung zu schaffen182, meint einer der AktivistInnen. Es wird an alle Beteiligten appelliert, ein starkes Netzwerk auf- zubauen, um gemeinsam bestehende oder neue Barrieren abzureißen und dadurch eine vielseitige Partizipation möglichst vieler BewohnerInnen zu gewährleisten. „Dass dadurch Menschen und Milieus, die mit weniger Ressourcen der Teilhabe ausgestattet KapitelDer Lendwirbel 2

180 Interview mit Dolores, Z.93-101 181 Interview mit Dolores, Z.67-72 182 Lendwirbel 2013, 11.05.2013

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sind, damit vielleicht nicht mehr die Möglichkeit bekommen, Teil dieser Auseinanderset- zung im Stadtteil zu sein, ist (…) durchaus auch ins Bewusstsein gerückt.183 Jene Perso- nen, die über diese Ressourcen sowie hohe (soziale, kulturelle und ökonomische) Kapi- talien184 verfügen und damit das Werkzeug für die Etablierung und Erhaltung eines star- ken Netzwerkes zur Verfügung haben, sind angehalten, dieses zu öffnen. Dadurch wird es möglich, eine Vielzahl an Menschen zu erreichen und zur Beteiligung an der Gestal- tung des öffentlichen Raumes zu ermutigen.

Die Realität ist eine andere. Rund um den Volksgarten, wo jährlich der Schlagergarten Gloria stattfindet, wohnen viele MigrantInnen unterschiedlicher Herkunft. Trotz ihrer großen Anzahl und „[t]rotz Bemühungen einiger Akteure konnten Migrant/-innen (…) nur vereinzelt oder über Organisationen, die sich damit beschäftigen, eingebunden wer- den.“185 Sie werden am Lendwirbel kaum sichtbar. Eine Aktivistin merkt dazu an, dass nicht nur die Menschen rund um den Volksgarten kaum involviert sind, sondern auch „Leute die jetzt über dem Lendplatz in Richtung Wienerstraße wohnen; da macht niemand was beim Lendwirbel“186. Der Anspruch sozial Schwächere, die weniger Kapitalien besitzen zur Partizipation zu motivieren, funktioniert nur über die Zusammenarbeit mit Institutionen, die mit jenen Menschen arbeiten. So kann im Kollektiv agiert und gemeinsam die Ver- antwortung für Aktionen im öffentlichen Raum getragen werden. Für die Einzelperson ist es eine zu große Hürde bzw. Herausforderung sich kreativ mit gesellschaftspolitischen Themen auseinanderzusetzen und sie öffentlich zur Diskussion zu stellen. Eine Besuche- rin, die in der Nähe des Volksgartens wohnt und bereits einige Mal am Lendwirbel war, schildert mir diesbezüglich ihre Beobachtungen in einem Interview: „Ich meine… Wer ist meistens dort? Da sind sehr viele Asylanten dort, ich habe schon mit einigen von denen gespro- chen, also das heißt ich weiß auch, dass es Asylanten sind, das ist jetzt keine Interpretation. Es sind sehr viele Migranten, es sind sehr viele Ältere, es sind sehr viele Jugendlich auch da, so jugendliche Banden, dann… es gibt eine Seite, wo ein Kinderspielplatz ist. Da sind halt dann Frauen mit ihren Kindern. Ich habe diese Leute schon gesehen, aber ich habe sie nicht im Gesche- hen drinnen gesehen, sondern die sind weiter weggesessen eher, also die eher sind am Anfang dort gesessen, wo der Ententeich ist, wo sie ja immer sind, da sind immer die meisten Leute und

die sind auch nicht so nahe hingegangen. Also ich hätte nicht beobachtet, dass sie sich vermischen

183 Prasenc 2013, 43 184 Bourdieu 1982 185 Prasenc 2013, 39 186 Interview mit Dolores, Z.195-196

Kapitel 2 Lendwirbel Der Kapitel 54 würden. Eher das Gegenteil, dass sie sich eher so segregieren.“187 Ihre Beobachtungen spie- geln jene des Kernteams wieder. Der Schlagergarten Gloria bringt Menschen in den Volksgarten, die sich normalerweise nicht dort aufhalten würden. Sie sitzen mit Decken und Picknickkorb mit Jause und Getränken am Boden und genießen die Schlager, die den ganzen Tag von unterschiedlichen Interpreten dahingeträllert werden. Jene Personen, de- ren täglicher Ort der Volksgarten ist, bleiben im Hintergrund auf Bänken sitzen oder dem Geschehen ganz fern. Sie sind trotz aller Bemühungen nicht Teil des Lendwirbels, der für eine bestimmte Klientel Raum zur Verfügung stellt. Eine Vernetzung findet somit nur innerhalb der Community statt, also zwischen jenen Personen, welche die Ressourcen aufbringen können, sich kreativ und kritisch an der Gestaltung des öffentlichen Raumes zu beteiligen. Dadurch werden Barrieren zu Personen anderen Milieus aufgebaut, die den LendwirblerInnen allerdings bekannt sind und die sie zur Kenntnis nehmen. „Nicht jeder muss erreicht werden. Das ist nun mal eine gewisse Gruppe, die hier lebt und betroffen ist.“188

Die Vernetzung innerhalb der Community fand über unterschiedliche Kanäle der sozialen Netzwerke wie Facebook oder über ein eigens eingerichtetes Etherpad189 statt, die zur Kommunikation dienen sollten. Die LendwirblerInnen konnten online unter http://pira- tenpad.de/p/LW, ein kostenloses online Pad, ihre Programmpunkte kund tun. Vor allem die NutzerInnen von Facebook, die der Programmpunkte-Gruppe folgten, welche aller- dings erst in der zweiten Lendwirbelwoche befüllt wurde, und auf diese Weise versuchten up-to-date zu bleiben, klagten über ein Sammelsurium an losen Events, ohne Übersicht und Struktur. Dabei zählten eigentlich sie zu den glücklichen LendwirbelinteressentIn- nen, da sie über einen Facebook-Account verfügen. All jene, die sich jenem sozialen Netzwerk nicht zugehörig fühlen, konnten nur auf das Zusammenstellen provisorischer Timetables hoffen, wie ihn bspw. die Annenpost oder das Institut für zeitgenössische Kunst der TU Graz, welches selbst einige Programmpunkte bot, bereitstellten. Immer wieder wurde darüber diskutiert, wie das Programm noch besser sichtbar gemacht werden konnte, auch abseits der digitalen Welt. So stellte man auch eine Tafel auf den Mariahil- ferplatz auf, wo die Aktionen aufgeschrieben oder geklebt werden konnten.

KapitelDer Lendwirbel 2 187 Interview mit Luisa, Z.59-67. 188 Falter.at, 08.05.2012 189 Das Etherpad ist ein Textbearbeitungstool, das online läuft. JedeR BenutzerIn hat dabei die Möglichkeit den Text zu bearbeiten oder etwas hinzuzufügen. Dabei werden den Einträgen un- terschiedlicher Personen auch unterschiedliche Farbmarkierungen zugewiesen. Die Änderungen werden dabei sofort für alle NutzerInnen sichtbar.

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Bei einer offenen Gesprächsrunde im Zuge des Nachbarschaftsfrühstückes190 waren alle, die Interesse bekundeten, eingeladen mitzudiskutieren. Dieser Einladung kamen nur ein paar wenige Personen nach, da es regnete und so die Gesprächsrunde in den Innenhof der Mariahilferkirche verlegt wurde. Eigentlich hätte sie im „Wohnzimmer“191 stattfinden sollen, einer Installation am Mariahilferplatz bei der Couches und Armsessel für eine Wohnzimmeratmosphäre auf diesem Platz sorgen sollen, die jedoch leider buchstäblich ins Wasser fiel. So wurde die offene Gesprächsrunde, welche via Twitter und der Face- book-Veranstaltungsgruppe ausgeschrieben wurde, in den Innenhof verlegt. Es war ein fließender Übergang zwischen Frühstück und Gespräch, auch die Kaffeehäferl und das Milchpackerl wanderten vom Frühstückstisch zum Gesprächstisch mit. Die Beteiligten werden in dieser Arbeit auch selbst zu Wort kommen, da die Diskussionsrunde anhand eines Gedächtnisprotokolls dokumentiert wurde. So waren es vor allem die (ehemaligen) OrganisatorInnen, ein paar AktivistInnen und BesucherInnen, die mitredeten und man war sich einig, dass am diesjährigen Lendwirbel vor allem der inhaltliche Diskurs zu Stadtthemen fehlte. Es war mehrheitlich eine Ansammlung von Musikacts im öffentli- chen Raum, die jedoch allesamt nicht verknüpft waren, sondern die Gunst des Lendwir- bel-Bedürfnisses ausnutzten, um ihre Musik unter die Leute zu bringen. Die Performances, Kunst und kleine Interventionen192 wurden heuer besonders vermisst. Ein weiterer wichtiger Diskussionspunkt dieser Gesprächsrunde war die Eventisierung. Ein Lendwirbelaktivist erklärt, das Organisationsteam hätte immer gegen Eventisierung gearbeitet und bei der gleichzei- tigen Angst in dieselbe hineinzurutschen.193 Der Lendwirbel soll nicht kommerzialisiert und schon gar nicht auf Profit hin ausgerichtet werden. Man verschloss sich sogar Förderun- gen aus öffentlicher Hand, um nicht nach deren Wünschen und Vorstellungen agieren zu müssen. Geld und Konsum spielen eine äußerst untergeordnete Rolle am Lendwirbel. Nicht der Wettbewerb oder der Gewinn stehen im Vordergrund, sondern das spontane, lustvolle Agieren im öffentlichen Stadtraum. Größere Events, bei denen viele Besuche- rInnen erfahrungsgemäß erwartet werden, werden als Ankerpunkte bzw. wichtige Eck- punkte194 des Stadtfestes wahrgenommen, damit Menschen in das Lendviertel kommen und Teil des Lendwirbels (und dessen Interessen) werden, wie bspw. der Schlagergarten Gloria195, der viele Menschen in den Volksgarten und somit ins Lendviertel holt.

190 vgl. Lendwirbel.at, 11.05.2013 191 „Das Eule Wohnzimmer“: http://www.facebook.com/events/298574713606238/ 192 Lendwirbel 2013, 11.05.2013 193 Lendwirbel 2013, 11.05.2013 194 vgl. Lendwirbel 2013, 11. Mai 2013 195 http://www.facebook.com/SchlagergartenGloria

Kapitel 2 Lendwirbel Der Kapitel 56

Wie bereits im Lendwirbel-Manifest 2011 vermerkt wurde, wollen die OrganisatorInnen weder zu der Kreativwirtschaft gezählt werden, noch Mitglied etwaiger Designevents (wie z.B. der Designmonat oder andere Veranstaltungen der Creative Industries Styria (CIS) es sind) sein. Eine Kooperation, welche mit finanzieller Unterstützung seitens der Stadt einhergegangen wäre, wurde abgelehnt, da eine Vereinnahmung durch die Motive der CIS vermutet wurde (dazu mehr in Kapitel 3.3. Creative City of Lendwirbel). In den letzten Jahren hat sich allerdings ein Hang zur Eventisierung ergeben, dem eigentlich entgegengewirkt werden wollte. Doch nicht nur großen VeranstalterInnen, wie Gastrono- mInnen und InhaberInnen von Lokalen und Geschäften, die sich Location und Verpfle- gung leisten konnten, sowie das nötige Know-How besitzen, bestimmte Genehmigungen für den öffentlichen Raum einzuholen, soll eine Plattform am Lendwirbel geboten wer- den. Vor allem für kleinere Initiativen aus den Bereichen Kunst und Kultur möchte das Straßenfest die Möglichkeit bieten, auf sich aufmerksam zu machen, Werke und Gedan- ken zu diskutieren, weiterzuspinnen, zu erklären, sie anschauen oder einfach stehen zu lassen. Es soll jedoch nicht nur große Ankerpunkte in Form von Riesenevents (meistens Musikacts geben, denn diese sind am meisten präsent, räumlich als auch akustisch; wie bspw. der bereits erwähnte Schlagergarten Gloria). Zwischen größeren und weniger gro- ßen Aktionen soll ein ausgeglichenes Verhältnis von musikalischer und inhaltlicher In- tervention vorherrschen, sowie ‚das Dazwischen‘ Platz finden. So fasst PRASENC zusam- men: „Stand beim ‚Lendwirbel‘ anfänglich noch fast ausschließlich die Lust an der Party im Vordergrund, hat man sich diese Lust bewahrt, jedoch den größeren gesellschaftlichen Zusammenhang in den Fokus gerückt.“196

Für den Lendwirbel 2014 wurde bereits eine Einladung für das 1.Netzwerktreffen ver- fasst, wo bemerkt wird, dass der Lendwirbel 2013 etwas „ganz Kraftvolles“197 war. Au- ßerdem hätten sich einige (neue) AkteurInnen gefunden, die dem Lendwirbel neue Struk- turen zu geben gewillt sind. Es wurden Workshopgruppen zu den Themen ‚Nachbar- schaftsvernetzung‘, ‚Kunst im öffentlichen Raum‘, ‚Diskurs‘, ‚Musik – Gastronomie‘, ‚Experiment und Impulse‘ und ‚Organisation, Information und Förderung allgemein‘ ge- bildet. Es sind genau jene Themen, die vor allem beim offenen Gespräch im Mai 2013

Thema waren. Der Ausgang der Workshops kann aufgrund der Einreichung dieser Dip- KapitelDer Lendwirbel 2 lomarbeit nicht mehr dokumentiert und analysiert werden. Man kann jedoch eines wieder

196 Prasenc 2013, 45 197 Lendwirbel.at, 25.11.2013

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erwarten: Das Denken über Stadt und die Entwürfe des urbanen Zusammenlebens zu hin- terfragen ist allen vergangen wie zukünftigen Lendwirbel-Festivals gemein.

Im Anschluss werden in Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung und Vereinnahmung die Erfahrungen am und mit dem Lendwirbel, sowie die Ergebnisse der Forschung mit den theoretischen Überlegungen der Gouvernementalität zusammengedacht.

Kapitel 2 Lendwirbel Der Kapitel 58

Kapitel 3 ZWISCHEN SELBSTBESTIMMUNG UND VEREINNAHMUNG

Das vorliegende Kapitel dient der expliziten Beantwortung folgender Forschungsfrage: Auf welche Weise wird am Lendwirbel die Krux zwischen Selbstbestimmung und Vereinnahmung gelöst? Da jene Auseinandersetzung auf vielen verschiedenen Ebenen

Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung KapitelSelbstbestimmung VereiZwischen und 3 passiert, denen ich im Zuge der Forschung immer wieder begegnete und die sich im End- effekt als Ergebnis herauskristallisierten, werden meine Ausführungen eben jene Aspekte abhandeln. Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Themenbereich der Gouvernemen- talität in der Stadt, als Phänomen des Regierens von Raum und den darin lebenden Indi- viduen. Der Protest der LendwirblerInnen gegen die Stadtentwicklung bzw. die Abwehr von deren marktwirtschaftlich orientierten Strategien erhält die größte Aufmerksamkeit in diesem Kapitel.

In Kapitel 3.1 Vorsicht, Kontrolle! – Machtverhältnisse im Raum wird die Theoriefolie der Gouvernementalität näher vorgestellt und mit der Ebene des Stadtraumes verwoben.

nnahmung

59

Die Frage nach Selbstbestimmung und Vereinnahmung durch die Stadtpolitik am Lend- wirbel, ist gleichzeitig eine Frage des veränderten Raumverständnisses und der dazuge- hörigen Art des Regierens. Hierbei geht es um Macht und Raum sowie dessen Kontrolle. Im Anschluss, in Kapitel 3.2. Wenn alle gleich sind und aktiv werden – Über das unter- nehmerische Selbst und die Homogenität aller Subjekte, steht eine neue Sicht auf ein scheinbar autonomes Subjekt und eine scheinbar homogene Gesellschaft im Vordergrund der Analyse. Das Thema wird hier auf einer sozialen und gesellschaftlichen Ebene be- handelt. Zudem wird eine unternehmerische Stadtpolitik, die mit Ge- und Verboten den städtischen Raum für sich zu beanspruchen versucht, beleuchtet. Dabei spielen die Crea- tive Industries Styria, sowie die City of Design und deren Versuch der Vermarktung des Lendwirbels zugunsten eines Stadtortmarketings der Steiermark eine große Rolle. Neoli- berale Stadtpolitik im Lend wird auf der wirtschaftlichen Ebene betrachtet und Strategien der LendwirbelaktivistInnen vorgestellt, die sich diesbezüglich zu wehren versuchen. Im Anschluss wird in Kapitel 3.3. Creative City of Lendwirbel – Über Kreativwirtschaft und City of Design auf die Auswirkungen und Folgen neoliberaler Stadtpolitik eingegangen, mit denen die AkteurInnen des Lendwirbels immer wieder konfrontiert werden. Gegen jene Anschuldigungen, selbst Teil von Aufwertungsmechanismen zu sein, werden von den AktivistInnen reflektiert diskutiert, an dieser Stelle weiterverarbeitet und in einen größeren Zusammenhang gebracht.

3.1. Vorsicht, Kontrolle! – Über Machtverhältnisse im Raum

In diesem Kapitel wird der Aspekt des Raums im Rahmen gouvernementaler Regierungs- strategien näher diskutiert. Der öffentliche Raum spielt nach gewissen Regeln, die an der Marktwirtschaft sowie einer Konsumgesellschaft orientiert sind. Alles, was nicht in die- ses Label passt (z.B. Verhaltens- und Ausdrucksweisen von Individuen, die nicht einem gutbürgerlichen Ideal entsprechen, wie bspw. Obdachlose), wird verboten und/oder kon- trolliert. Stadtpolitik handelt nach Angebot und Nachfrage, Überschuss und Missbrauch. Mit der Kontrolle will man sicher gehen, dass alles homogen nach den vorgesetzten Re- geln läuft und Heterogenität als etwas eher Lästiges gesehen wird. Das Dreieck zwischen Macht, Raum und Community ist Kern neoliberaler Stadtpolitik und somit auch der neo-

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 60 liberalen Techniken des Regierens. Jene drei Elemente können nicht voneinander unab- hängig betrachtet werden, denn vielmehr bedingen sie einander, fügen sich zusammen und bilden schlussendlich ein großes Ganzes. Auch meine Überlegungen beginnen mit der näheren Betrachtung der einzelnen Ele- mente, die sich langsam zu einem Gesamtbild fügen, welches mit dem Lendwirbel als praktisches Beispiel als Anschauungsfolie dient.

Wie bereits erwähnt, geht der Begriff der Gouvernementalität auf den Philosophen Mi- chel FOUCAULT zurück, der ihn bereits im Studienjahr 1977 / 1978 am Collège de France (Paris, Frankreich) in der Vorlesung „La Gouvernementalité“ einführte und erläuterte. Er entwickelte damit ein Analyseinstrument, mit dem gesellschaftliche Gegebenheiten unter den Aspekten des Neoliberalismus sowie dessen Souveränitäts- und Disziplinarmecha- nismen untersucht werden können.198 Eine Analyse der Gegenwart ist Ziel der Überle- gungen. In meiner Arbeit stehen die Steuerungsmechanismen in der Stadt, genauer im Grazer Gemeindebezirk Lend im Zentrum des Interesses. Darüber hinaus werden die Strategien der BewohnerInnen bzw. den AktivistInnen des Lendwirbels in den Mittel- punkt gerückt, mit denen sie sich gegen jene Vereinnahmung wehren.

Gefährlicher Lend Der vierte Bezirk Lend (gemeinsam mit seinem Nachbarn, dem fünften Bezirk Gries) war lange Zeit der Problembezirk von Graz. Das ‚Glasscherbenviertel‘199 war (und ist) Heimat vieler MigrantInnen sowie des Rotlichtmilieus. Ein Durchzugsort, wie er es seit jeher war (siehe Kapitel 2.1.). Sein schlechtes Image ein gefährlicher Ort zu sein, hat er dank des

Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 Zuzuges neuer BewohnerInnen mit höheren Kapitalien, die meist in kreativen Berufen arbeiten und hohes Ansehen seitens der Gesellschaft und der Wirtschaft genießen, able- gen können. Es wohnen noch immer viele Menschen im Lend, die aus anderen Staaten zugezogen sind. Sie siedeln sich vor allem in Bahnhofsnähe und im nördlichen Teil, cirka im Bereich der Wienerstraße bis zum Fröbelpark an. Einzig das bereits erwähnte Wohn- und Bürogebäude Rondo in der Keplerstraße durchbricht dieses Bild. Daneben gibt es auch eine Vielzahl von neuen kreativen, urbanen und hippen Menschen, denen hohe kul- turelle und soziale Kapitalien zugeschrieben werden. Sie lassen sich oft gemeinsam mit

198 vgl. Bröckling/Krasmann/Lemke 2000 199 vgl. Moser 2009, 99

61

ihren Ateliers und Werkstätten, zwischen Mariahilferplatz und Lendplatz sowie in den schönen, zur Mur gewandten Kai-Wohnungen nieder.

Diese Ambivalenzen ziehen die Aufmerksamkeit der Stadtpolitik auf sich. Der Lend ist aus Betrachtungsweise der Gouvernementalität für sie ein attraktives und interessantes Gebiet aus zweierlei Gründen: Einerseits ist der Bezirk von außen und präventiv gut re- gierbar. Scheinbar gefährliche bzw. risikoreiche Gebiete (es geht um die potentielle Ge- fahr, dass Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit nicht gewährleistet werden könnten), in denen die Anzahl der MigrantInnen etwas höher ist, sowie der Bezirk Gries (der ebenso Teil des Lendwirbels ist) oder der Volksgarten, der für seine Funktion als Drogenum- schlagplatz bekannt ist200, geben Anlass diese Orte mit Hilfe von bspw. Fußstreifen der Polizei zu kontrollieren. „Sicherheit bedeutet im neoliberalen Diskurs über städtische Räume und deren Kontrolle immer auch eine Sicherheit vor dem unangenehmen Gefühl, marginalisierten Menschen zu begegnen und vielleicht daran erinnert zu werden, dass die qua Konsum stattfindende Integration meist eine prekäre ist.“201 Durch Ge- und Verbote will man das nicht erwünschte Bild aus dem Stadtraum entfernen, um somit einer Kon- frontation zu entgehen. Andererseits kann mithilfe der sich aktiv im Stadtteil einbringen- den und den Lendwirbel organisierenden creative class (eine nähere Erläuterung folgt in Kapitel 3.3.) eine Form der Selbstregierung erreicht werden. Somit muss nicht die Stadt- politik Lösungen für vorherrschende gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen suchen und finden. Diese ihr zugeschriebene Aufgabe überträgt sie auf die aktiven Be- wohnerInnen, die jene Themen am Lendwirbel aufgreifen und mit Hilfe ihres Netzwerkes Strategien zur Verbesserung des Zusammenlebens erarbeiten.

Die darin agierenden Subjekte verhalten sich stets zu sich selbst, zu den anderen und zu ihrer Umwelt. Dadurch stärken sie ihr Selbstbild und zeichnen ihre Identität, die sich in- nerhalb der in der Gesellschaft vorherrschenden Rahmenbedingungen befindet. Im Ge- genzug bietet sie einen (angeblich) uneingeschränkten und freien Gestaltungsspielraum an. Dies gilt solange, bis das Tun den Vorstellungen der Stadtpolitik entspricht. Ist das nicht mehr der Fall, so reagiert diese durchaus negativ darauf. Eine Besucherin, die seit

200 Diese Thematik wird seit Jahren von unterschiedlichen Medien thematisiert und zur Diskus- sion gestellt, in den meisten Fällen negativ konnotiert; vgl. z.B. Kleine Zeitung, 16.11.2013; An- nenpost, 05.11.2013; falter.at, 04.06.2013; Kleine Zeitung, 04.06.2013; Kleine Zeitung 12.11.2012; Kleine Zeitung, 02.02.2010 201 Michel 2008, 22

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 62 einem Jahr in Gries wohnt und den Lendwirbel 2011 das erste Mal besuchte, erzählt mir im Interview vom Abbruch eines Konzertes aufgrund einer möglichen Übertretung der Regeln: „Da sind wir noch zur Griesgasse, da hat ein Freund gespielt mit Band, aber da hat es leider geregnet und dann war die Polizei, wegen dem Hotel und es ist dann abgesagt worden. // Ah ok, das ist schade. Normalerweise muss man das eh anmelden, dass da… // Haben sie ja. Aber Die Hotelgäste haben sich beschwert, weil es direkt vor dem Hotel war und es war halt zu laut.“202 Trotz des Ansuchens wurde die Veranstaltung unterbrochen und schließlich abgesagt, da die Lautstärke die Gäste belästigte, die TouristInnen in Graz sind und deren Ordnung gestört wurde.

Auch die ExpertInnen bei der offenen Gesprächsrunde davon, dass manche PolitikerInnen mit Initiativen wie dem Lendwirbel nur schwer umzugehen wissen, da er etwas Innovatives auf- greift, woraus sich kulturell etwas Neues entwickeln könne und Veränderung stattfinde. Der Lend- wirbel passt nicht in das Bild der Regierung, was in einer Stadt passieren darf, muss und soll. Wichtig sei es, im Diskurs zu bleiben, sie herauszufordern und sich nicht von der Politik und Legis- lative entmutigen zu lassen.203 Die LendwirblerInnen, (ehemalige) OrganisatorInnen und AktivistInnen, bemühen sich redlich um die uneingeschränkte Benutzung des öffentli- chen Raums, die laut deren Verständnis selbstverständlich sein soll. Orte und Gehsteige vor den Wohn- und Geschäftsgebäuden sollen zu gemütlichen Räumen werden, in denen man sich wohl und wie zuhause fühlt, die zum Verweilen und gestalten einladen, wie der Begriff ‚Wohnzimmer‘ impliziert, der im Zuge unterschiedlicher Projekte immer wieder auftaucht. „Die Straße wird zurückerobert, indem der Außenraum zum Innenraum erklärt wird, der von den öffentlichen Maßnahmen des Abrisses, Eingriffes, der Gentrifizierung und Urbanisierung geschützt werden muss. Das Wohnzimmer verkörpert die Öffentlich- KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 keit auf der Straße“204, schreibt die Kulturtheoretikerin Elke KRASNY. Dieses Tun ist der kontrollierenden Stadtpolitik nicht Recht, da sie den öffentlichen Raum gerne überwacht und mit Gesetzen und Regelungen verseht (siehe Bettelverbot205 oder die Ausweitung des

202 Interview mit Naomi, Z.59-64 203 vgl. Lendwirbel 2013, 11.05.2013 204 Krasny 2013, 194 205 Das Bettelverbot wurde im Mai 2011 in Graz eingeführt und sollte die BettlerInnen aus dem Grazer Innenstadtbild fernhalten. Da es gegen die Menschenrechtskonvention verstößt, wurde es im Jänner 2013 wieder aufgehoben. Nun wird über ein „Bettelverbot light“ nachgedacht, also einer Neuauflage des Gesetzes. Vgl. u.a. die neueste Berichterstattung von Der Standard, 15.11.2013; Kleine Zeitung, 15.11.2013; Kleine Zeitung 16.11.2013; Der Standard 19.11.2013

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Alkoholverbots für die Grazer Innenstadt206). „Der öffentliche Raum, der für das liberale Denken eines der wichtigsten Felder gewesen ist, erscheint im Zuge neoliberaler Politik in zunehmendem Maße als bedrohlich, verlassen und gefährlich.“207 Die LendwirblerIn- nen geben trotzdem nicht auf, sich gegen jene Ge- und Verbotspolitik zu wehren, in dem sie Jahr für Jahr ein buntes Programm organisieren und anbieten, mit dem sie ihre Lust an der Gestaltung des öffentlichen Raumes sowie des urbanen Lebens feiern und genie- ßen.

Mit 1. November 2012 wurde ein neues Veranstaltungsgesetz eingeführt208, welches der Lendwirbel auch deutlich zu spüren bekam. Es ist eine Neuauflage des bereits seit 1969 bestehenden alten Veranstaltungsgesetzes. Die neuen, sehr strengen Richtlinien und Auf- lagen in den Bereichen Sicherheit, Brandschutz und Rettungsdienst sorgten von Beginn an für Proteste und einer Unruhe bei den VeranstalterInnen von kleineren und größeren Events in der ganzen Steiermark. Nicht nur Gemeinden klagten über einen erhöhten bü- rokratischen Mehraufwand, sondern auch die OrganisatorInnen unterschiedlicher Feste empfanden diese als kaum mehr durchführbar, nicht rentabel und „praxisfern“209. Der Kostenaufwand sei zu hoch. Vor allem kleine Kulturinitiativen sind davon ganz beson- ders betroffen, da oft der Kostenaufwand zu hoch und die Nachjustierung von Veranstal- tungsräumen, damit sie den Auflagen entsprechen, nicht möglich ist. Viele Festivals wa- ren sogar gefährdet oder mussten beinahe abgesagt werden. Nach längeren Protesten wur- den schließlich im August 2013 ein paar Richtlinien gelockert. Es geht vor allem darum, die unterschiedlichen Veranstaltungen nicht alle als gleich risikoreich einzustufen, son- dern individuelle Entscheidungen bei der Genehmigung von Ansuchen zu treffen. Laut der Berichterstattung von ORF Steiermark werden weitere Optimierungen für das nächste Jahr erwartet.210

206 Das flächendeckende Alkoholverbot in der Grazer Innenstadt trat im Mai 2013 in Kraft. Vgl. orf.at, 02.05.2013; Der Standard, 02.05.2013 207 Rose 1999, 74 zit.n. Michel 2005, 55 208 Auf der Homepage des Bundeskanzleramts kann man das Steirische Veranstaltungsgesetz in der Originalfassung nachlesen: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/LrStmk/LRST_7070_003/LRST_7070_003.pdf [20.11.2013] Das Land Steiermark bereitete den schwierigen Gesetzestext auf und erstellte ein FAQ (Fre- quently Asked Questions) für die VeranstalterInnen. Die Vielzahl an möglichen häufig gestellten Fragen lässt auf die Komplexität dieses Gesetzes schließen. Online unter: http://www.verwal- tung.steiermark.at/cms/beitrag/11879689/75853222/ [20.11.2013] 209 Orf.at, 30.05.2013

3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung 210 vgl. orf.at, 01.12.2012, 30.05.2013, 13.08.2013 und 29.08.2013

Kapitel 64

Über diese Kontroll- und Reglementierungspolitik klagten auch die AktivistInnen des Lendwirbels, die sich heuer erstmals mit dem neuen Veranstaltungsgesetz konfrontiert sahen. Sie berichteten bei der offenen Gesprächsrunde darüber, dass seit dem neuen Ver- anstaltungsgesetz noch mehr bürokratische Hürden überwunden werden müssen, als es bisher der Fall war. Es ist schwieriger geworden. Es wird sogar von einer Gesetzeslage gesprochen, die viele Veranstaltungen beinahe unmöglich macht, da sie nicht mehr rentabel sind. Ein Aktivist be- richtet von seinem Projekt, welches durch eine Einreichung beim Kulturamt finanziell gefördert wird. Durch die neuen Verordnungen muss er aber das Geld wieder direkt in die Bezahlung der Strom- rechnung investieren und kann es nicht sinnvoller einsetzen. Es herrscht Empörung, ob der stren- gen Auflagen und genauen Regelungen, was im öffentlichen Stadtraum erlaubt und was verboten ist bzw. wofür es eine Sondergenehmigung braucht. Das Beispiel, dass der Schlagergarten Gloria, bei dem am Ende jeglicher Unrat von den VeranstalterInnen selbst aufgeräumt wird, mit denselben Auflagen konfrontiert wird, wie ein Fußballspiel mit sich rivalisierenden und gewaltbereiten Fans, stößt auf ein allgemeines Unverständnis.211 Die strengen Auflagen zeugen von einem großen Wunsch seitens der Stadtregierung, den öffentlichen Raum bestmöglich kontrollierbar zu machen. Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit, verkörpert durch den Sicherheits-, Brand- schutz- und Rettungsdienst, der vermehrt bei Veranstaltungen im öffentlichen Raum per Gesetz gefordert wird, sind die Hauptmerkmale einer schönen, regier- und kontrollierba- ren Stadt.

Das neue Organisationsprinzip des Neoliberalismus, welches mit innerer Steuerung an- stelle äußerer Regulationen arbeitet und Staat und Gesellschaft durchdringt, ist als eine „Ausdehnung der Ökonomie in die Politik“212 zu betrachten. So wird auch die Stadtpoli- tik, die für gesellschaftliches Leben, für Bau- und Wohnordnungen sowie für die Benut- KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 zung des öffentlichen Raumes zuständig ist, von jenen ökonomisch orientierten Richtli- nien und Prinzipien durchzogen. Der Stadtraum (im Lend) soll optimiert werden für eine kreative Klientel, welche die benötigten Innovationen herbeiführt, um ihn als wirtschaft- lichen Standort gut vermarkten zu können. Am Lendwirbel sind innere Steuerung und äußere Regulation nebeneinander vorherrschend. Einerseits wird von außen durch die Stadtregierung mit der Einführung des neuen Veranstaltungsgesetzes und dessen strengen Auflagen die AktivistInnen am Lendwirbel kontrollierbar gemacht bzw. versucht, dies zu tun. Andererseits werden Selbststeuerungsmechanismen aktiv, die Selbstverwirklichung

211 vgl. Lendwirbel 2013, 11.05.2013 212 Bröckling/Krasmann/Lemke 2000, 25

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suggerieren, woran sich das Subjekt orientiert und wonach es strebt. Nur dadurch kann es zum Subjekt werden in einer neoliberalen Gesellschaft.

Neoliberale Stadtplanung und Raumkontrolle Im Rahmen gouvernementaler Diskussion geht es auf der Ebene der Stadtpolitik u.a. um die Planbarkeit einer Stadt und die Steuerbarkeit deren BürgerInnen. Dies wirkt sich be- deutend auf die gebaute Umwelt aus: Der Stadtraum wird auf Basis der bereits erwähnten neoliberalen, an der Marktwirtschaft orientierten Prinzipien so gestaltet, dass es zu Aus- schlussmechanismen kommt. Ein Beispiel dafür ist die Neugestaltung von Wohnungen mit alter Bausubstanz, welche den Wert der Immobilien und in weiterer Folge die Miet- preise so steigen lässt, dass die ursprünglich ansässige Bevölkerung das Gebäude verlas- sen und einer kaufkräftigen neuen BewohnerInnenschaft Platz machen muss. „Die Rest- rukturierung innerstädtischer Altbaugebiete ist Ausdruck von gesellschaftlichen Macht- beziehungen und folgt entsprechend den allgemeinen gesellschaftlichen Trends der Öko- nomisierung, Flexibilisierung und Individualisierung des Sozialen.“213 Dadurch werden neoliberale Regierungsformen örtlich angewandt und der Stadtteil kann besser kontrol- liert und Unvorhersehbares minimiert werden. Man überlässt den Bezirk den neuen kre- ativen BewohnerInnen, welche mit verschiedenen Angeboten angelockt wurde. Mit ihren hohen sozialen und kulturellen Kapitalien finden sie eigene Strategien, gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen. Bei fehlender (Selbst-)Reflexion ist mit der Aufwertung ei- nes Viertels der Ausschluss der bestehenden BewohnerInnenschaft verbunden. Dies wird als Gentrifizierung bezeichnet. Auf der anderen Seite werden die sozialen Verhältnisse und das gesellschaftliche Zusammenleben aufgrund der neu vorherrschenden Steuerungs-

mechanismen geformt und vice versa. „Lokale Politik und urbane Governance, also städ- tisches Regieren, prägen (…) das Alltagsleben der Bevölkerung.“214 Das Individuum ist

einnahmung angehalten, sein Leben nach jenen Prinzipien zu gestalten. Aufgrund dieses Durchma- növrierens und der gleichzeitigen Ausbildung unterschiedlicher Strategien und Aktivitä- ten, treten neue Mechanismen zu Tage oder werden abgeändert. So schreibt auch der Ge-

ograph Edward SOJA: „Space and political organization of space express social relation- ships but also react back upon them.”215

213 Holm 2006, 15 214 Sack 2012, 311 215 Soja 1989, 76 zit.n. Michel 2005, 21

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVer Kapitel 66

Ein weiterer Aspekt neoliberaler Stadtplanung ist der Versuch der „Wiederherstellung einer verloren geglaubten bürgerlichen, modernen (vormotorisierten), harmonischen und offenen Stadt“216. Damit soll der drohenden Deterritorialisierung und Suburbanisierung entgegengewirkt werden. War das Stadtzentrum ursprünglich ein Ort der Zusammenkunft und des demokratischen Lebens, der geprägt war von einer Vermischung unterschiedli- cher sozialer Gruppen, so spaltet sich die Stadt kontinuierlich, womit auch eine Verände- rung und Heterogenität der BewohnerInnenschaft einhergeht. Beispiele dafür sind die be- reits erwähnte Gentrifizierung oder die Privatisierung öffentlicher Räume217 durch die Immobilienwirtschaft, die dadurch den öffentlichen Raum gestaltet.

MICHEL fasst die wichtigsten Aspekte der gouvernementalen Stadtplanung zusammen: Er spricht davon, dass sich die städtische Regierung an ökonomischen Prinzipien orientiert, wodurch sich die staatliche Regulierung des Raumes ebenso verschiebt. Anstelle einer Kontrolle von außen werden Selbstregulierungsmechanismen der Individuen in den Vor- dergrund gerückt. Damit wird auch das Soziale ökonomisiert, was bedeutet, dass gesell- schaftliches Zusammenleben, wie auch individuelle Beziehungen nach den Richtlinien der Wirtschaft (Angebot und Nachfrage, Wettbewerb, etc.) funktionieren sollen und müs- sen. Deutlich wird dies auch im alltäglichen Sprachgebrauch. So spricht bspw. eine Ak- tivistin von angebotenen Interventionen und BesucherInnen, die konsumierend218 durch den Lend schlendern. LEMKE219 schreibt, dass die neoliberale Strategie auf ein Subjekt zielt, welches einerseits „verantwortlich-moralisch“ und andererseits „rational-kalkulie- rend“ zu handeln angehalten ist. Es ist die „Konstruktion verantwortlicher Subjekte, deren moralische Qualität sich darüber bestimmt, daß sie die Kosten und Nutzen eines bestimm-

Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 ten Handelns in Abgrenzung zu möglichen Handlungsalternativen rational kalkulieren.“ Dabei wird mit der Wahl der Handlungsoptionen ein freier Wille suggeriert, der auf selbstbestimmten Entscheidungen basiert, wodurch gleichzeitig das Individuum selbst verantwortlich für sein Handeln und dessen Folgen gemacht wird. In einem weiteren Ge- dankenschritt sind so „individuell-subjektive“ anstelle von „gesellschaftlich-strukturel- len“ Faktoren die Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme (Arbeitslosigkeit, Krimina- lität, etc.). Nur durch Selbstbeherrschung, Autonomie und Selbstbestimmung können jene

216 Michel 2005, 77 217 vgl. Michel 2005, 75 218 vgl. Interview mit Dolores, Z.21f. 219 Lemke 2000

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Herausforderungen gemeistert werden. Laut dieser Auffassung ist es nicht die Zuständig- keit des Staates, dass das System Gesellschaft bestmöglich fair und gleich für alle Indivi- duen funktioniert. Auch wenn die strukturelle Beschaffenheit die Ungleichheit bedingt, so ist das Subjekt alleine für sich verantwortlich, um aus der Misere, die ebenso selbst- verschuldet ist, zu entkommen. „Selbstbestimmung ist eine zentrale ökonomische Res- source“220. Dem Individuum wird die Bringschuld zur Lösung von Problemen zuge- schrieben. Handelt es nicht nach diesen Prämissen drohen sozialer Ausschluss und Sank- tionen.

In diesem Zusammenhang werden auch die soziale Kontrolle, sowie die Bestrafung bei Nichteinhaltung bestimmter Regeln, weg von einer reaktiven und hin zu einer präventiven Strategie geführt. War erstere auf das Individuum gerichtet, welches bestraft wird sobald eine Überschreitung des Gesetzes vorliegt, wird zweitere nun auf der Ebene des Raumes verhandelt, der kontrolliert werden muss, noch bevor Regelverstöße passieren.221 Das neue Veranstaltungsgesetz zeugt von diesem Umstand. Da das Stadtviertelfest Lendwir- bel im öffentlichen, urbanen Raum stattfindet, unterliegt es eben jenen erwähnten Kon- trollmechanismen und vorherrschenden ökonomischen Prinzipien. Dass „Macht und Raum zwei Seiten derselben Medaille“222 sind und als „Kontrolle von Raum von ent- scheidender Bedeutung für die Erhaltung von Macht“223 gilt, ist altbekannt und entspricht genau den neoliberalen Strategien der Stadtpolitik. Das Hauptaugenmerk städtischer Kontrolle liegt allerdings nicht darauf, möglichst viele PolizistInnen sichtbar durch das Stadtgebiet patrouillieren zu lassen. Dies wäre eigentlich schon eine offensichtlich prä- ventive Maßnahme. Es geht vielmehr darum, den öffentlichen Raum so zu gestalten, dass sich ein „kompliziertes, fast unbewusstes Gewebe aus freiwilliger Kontrolle und grund- sätzlichen Übereinkommen unter den Menschen selbst“224 ergibt. Aufgrund der vorgege- benen scheinbar ‚natürlichen‘ Normen gesellschaftlichen Lebens, haben die Individuen einen Anhaltspunkt, wonach sie ihr Denken und Handeln orientieren. Aus dieser kol- lektiven Einigung resultiert eine Form der Selbstregierung, die bestimmtes Verhalten zu- lässt und anderes, welches wider der Norm läuft, ausschließt.

220 Lemke 2000, 12 221 vgl. Michel 2008, 21 222 Holm 2006, 7 223 Michel 2005, 54 224 Jacobs 1963, 29 zit.n. Michel 2005, 58

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 68

Der Lendwirbel wehrt sich gegen die immer stärker werdende Ausgrenzungspolitik sowie gegen die Einnahme und Kontrolle des öffentlichen Raumes durch die Stadtregierung. Diese Intention wird vor allem in der offenen Gesprächsrunde sehr deutlich. Es kommt immer wieder der Aufruf aktiv zu werden, sich einzubringen, lästig zu sein, Fragen zu stellen, zu diskutieren und sein Recht auf den öffentlichen Raum einzufordern. Ziel ist nicht nur die (Rück- )Eroberung desselben (mit der Frage Wem gehört der öffentliche Raum?), sondern auch die Be- wusstseinsbildung auf der Ebene der BewohnerInnen sowie der StadtpolitikerInnen. Es geht um die Frage nach der Offenheit einer Stadt und deren Vertrauen gegenüber ihren BürgerInnen. Diese Themen dürfen nicht aus der Diskussion kommen und müssen ständig neu verhandelt werden. Man möchte Impulsgeber sein im Stadtteil und Vorbild für einen verantwortungsbewussten und respektvollen Umgang mit dem und im öffentlichen Raum. Es ist ein soziales Anliegen.225 Lust- volles, Gemeinschaftliches, politisches und gesellschaftliches Engagement sollen verbun- den werden. Interventionen mit politischem Charakter sollen auch Spaß machen dürfen. Dem Lendwirbel werden eine gesellschaftliche Komponente und eine Zuständigkeit zu- gewiesen Missstände aufzuzeigen und diese zu diskutieren. So schreibt auch LANGE: „So- zialpolitisch motivierte Initiativgruppen versuchen gerade mit neuen Formen der sponta- nen und temporären Raumaneignung, auf derartige sozial-ökonomische Verwerfungen, soziale Fragmentierungen und kulturelle Exklusionen zu reagieren oder hinzuweisen.“226 Die AkteurInnen des Stadtviertelfestes wollen den Finger in die Wunde legen, Ungerech- tigkeiten und Ungleichheiten aufzeigen und zur öffentlichen Diskussion stellen. Themen, welche nicht angenehm sind, werden in den Mittelpunkt des kreativen Handelns im Stadt- raum gerückt.

Der öffentliche Raum ist ein wichtiger Ort in der Diskussion um Verbot und Kontrolle in KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 der Stadt. Er ist deswegen essentiell für jene Gesetze, weil er eine essenzielle Rolle für das Leben in einer Stadt sowie deren BewohnerInnen spielt. Jedes Individuum benutzt, durchquert und bewegt sich (fast) täglich im öffentlichen Raum, prägt ihn in seiner Funk- tion und seinen Eigenschaften und vice versa. Darüber hinaus ist er „Ort der Begegnung und der Kommunikation“227, erklärt der Stadtplaner Rudolf KLÖCKNER, da jede Bewoh- nerIn eine Beziehung zu seiner/ihrer Umgebung aufbaut, wodurch auch das individuelle Verhalten und Denken, kurz – die eigene Identität, geprägt wird. Der öffentliche Raum ist eigentlich ein Verbindungsstück zwischen dem privaten und eben dem öffentlichen

225 vgl. Lendwirbel 2013, 11.05.2013 226 Lange 2013, 16 227 Klöckner 2009

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Raum. Er fungiert als „Membran zwischen Architektur und Stadtraum, als Ort des Aus- tausches zwischen den Bewohnern der Stadt“228. Eben jene BewohnerInnen werden durch den Stadtraum, den sie benutzen, in ihrer Subjektivität geprägt und verhalten sich nach dessen Regeln, die sie wiederum durch ihre Aktionen selbst mitbestimmen. Wird jedoch versucht diesen elementaren Baustein einer Stadt und der BewohnerInnen mit Ge- und Verboten zu kontrollieren, so wirken sich diese Gesetze auch auf das individuelle Leben jedes/jeder Einzelnen in der Stadt lebenden Person aus, da die Verhältnisse zwischen der Umwelt, der Anderen und somit zu sich selbst verschoben werden. Es bleibt nicht bei einem weiteren Schild im Stadtraum, welches auf bestimmte Verhaltensweisen aufmerk- sam macht. Der Effekt ist weitreichender und betrifft das Individuum und seine Leben- sumwelt direkt.

Im anschließenden Kapitel wird die soziale und gesellschaftliche Komponente des vor- liegenden Diskurses hervorgehoben und diskutiert.

3.2. Wenn alle gleich sind und aktiv werden – Über das unternehmerische Selbst und die Homogenität aller Subjekte

Handle unternehmerisch! In Zeiten neoliberaler Stadtentwicklung, die den wirtschaftlichen Profit und die Wettbe- werbsfähigkeit in den Vordergrund stellt, dies auch von ihren BewohnerInnen verlangt und mit Hilfe unterschiedlicher Strategien Macht auf dieselben ausübt, erhalten soziale und gesellschaftliche Fragen eine räumliche Komponente, da sie plötzlich verortet und somit regierbar, weil greifbar werden. Interessenskonflikte werden ebenso im Stadtraum (z.B. über räumliche Kontrolle bzw. den Kampf dagegen) verhandelt und ausgetragen.

Nach FOUCAULT wird das Regiert werden bzw. die Regierung als ein Praxisfeld gesehen, das auf „vielfältiger Weise auf die Lenkung, Kontrolle, Leitung von Individuen und Kol-

228 Klöckner 2009

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 70 lektiven [zielt] und gleichermaßen Formen der Selbstführung wie Techniken der Fremd- führung [umfasst]“229. Die Politik versucht, Subjekte zu einem bestimmten Handeln zu motivieren und zu bewegen. Jene Aktivitäten sollen an der Ökonomie, sowie deren Richt- linien und Strategien angelehnt und durchgeführt werden. Machtausübung im Sinne eines Abbaus staatlicher Regulationen für gesellschaftliches Zusammenleben und einer gleich- zeitigen Förderung von Selbstregierungstechniken der Individuen geschieht nach dem Vorbild der Ökonomie. Durch den Wegfall äußeren Machteinflusses, ist das Subjekt dazu angehalten, sich in der Auseinandersetzung mit sich, den anderen und seiner Umwelt, selbst zu kontrollieren und sich dementsprechend zu formen. Es gibt allerdings ein posi- tives Moment dabei: „Die Zurückhaltung staatlicher Akteure ist sinnvoll, da hierarchische staatliche Steuerung meist den Raum der Selbstorganisation und Selbstregelung innerhalb des Milieus bei der kreativen Suche nach kreativen Formen der Organisation von Arbeit und Leben einschränken.“230 Kreatives Denken und Handeln wird durch die Zurück- nahme staatlicher Regulierungen gefördert in dem keine Einschränkungen stattfinden.

An sich selbst zu arbeiten wird zum Paradigma der neoliberalen Gesellschaft. Deren Pro- dukt sind z.B. die Ich-AG oder das „unternehmerische Selbst“231, eine Form des auf Selbstoptimierung, Kreativität, Eigenverantwortlichkeit und Flexibilität basierenden in- dividuellen Denkens und Handelns. Diese Kompetenzen aufzuweisen, ist die Maxime neoliberaler Politik. Können jene Anforderungen nicht erreicht werden, drohen sozialer Abstieg oder Arbeitslosigkeit. Werden sie erfüllt, winkt Erfolg und gesellschaftliches An- sehen.232 Dazu wird ein hohes Maß an kulturellem sowie ökonomischem Kapital verlangt, um dem Anspruch des unternehmerischen Denkens und Handelns gerecht zu werden.

Kapit Darüber hinaus wird vor allem das soziale Netzwerk bzw. das Sozialkapital als „Res- source des sozialen Aufstiegs“233 verstanden. Selbstbestimmung VereinnahmungZwischen el und 3

Die derzeit vorherrschenden Politikformen zielen anstelle staatlicher Regulierungsme- chanismen auf die eigenen Kräfte der BewohnerInnen ab, die es zu aktivieren gilt. Stadt- teile, die benachteiligt sind, haben ein zu geringes ökonomisches und kulturelles Kapital. Das soziale Kapital jedoch ist vorhanden, es müsse lediglich aktiviert werden, um sich zu

229 Foucault 1987, 255 zit.n. Bröckling/Krasmann/Lemke 2000, 10 230 Frey 2008, 49 231 Bröckling 2007 232 vgl. taz.de, 31.12.2009 233 Michel 2005, 113

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integrieren. Ziel ist es, die AkteurInnen dahin zu bringen, dass sie selbst und aktiv für ihre „soziale und innere Sicherheit in ihrer Umgebung“234 sorgen. Auf diese Weise sollen die Individuen ihr Verhalten, sowie die Sicherheit gewährleisten und selbst kontrollieren. So

schreibt auch KAMLEITHNER: „Die Zurücknahme von Regulierungen und die (teilweise) Freigabe der Märkte zielt nicht auf die Herstellung unbeschränkter Freiheit, sie soll viel- mehr eine neue Ordnung zu Tage fördern.“235 Es ist eine Ordnung, die marktwirtschaft- lich geleitet ist. Jedes Individuum bekommt einen Platz in der Gesellschaft zugewiesen, dessen Ort auf den vorhandenen, geforderten Kompetenzen und Kapitalien basiert. Dabei ist die suggerierte Freiheit jenes Instrument, mit dem sich das Subjekt im Verhältnis zu sich, zur Welt und zu anderen seinen Platz aushandeln muss.

In Zeiten von Neoliberalismus wird das Verhältnis von Staat und Ökonomie neu definiert und Begriffe des Marktes wie Übermaß und Missbrauch, Angebot und Nachfrage rücken in den Vordergrund.236 Jeder Akt menschlichen Tuns und Handelns wird anhand jener Praktiken des Marktes gemessen. Es wird Angebot und Nachfrage überprüft, außerdem, ob Übermaß oder Missbrauch vorherrschend sind. „Die Ökonomie gilt nicht mehr als ein gesellschaftlicher Bereich mit spezifischer Rationalität, Gesetzen und Instrumenten, sie besteht vielmehr aus der Gesamtheit menschlichen Handelns, insofern dieses durch die Allokation knapper Ressourcen zu konkurrierenden Zielen gekennzeichnet ist.“237 Mit Hilfe der Suggestion nicht genügend Mittel zur Verfügung zu haben, wird es neoliberaler Stadtpolitik möglich, dass sich die Individuen miteinander vergleichen. So wird eine De- finition über den/die jeweils Andere/n bzw. deren Handeln erreicht und subtil Konkurrenz und Leistungsoptimierung geschürt. Das Subjekt soll jedoch möglichst frei und souverän handeln – denn eine „autonome Subjektivität“238 ist schließlich das gesellschaftliche Vor- bild und Ziel.

Individualisierungsprozesse stehen im Vordergrund. Alles, was nicht per se der Ökono- mie zugeschrieben wird bzw. nach ökonomischen Prinzipien denkt und handelt (wie der Bereich des Sozialen, also bspw. menschliches Zusammenleben oder aus öffentlicher Hand finanzierte Einrichtungen im Sozialbereich, die nicht nach möglichst viel Gewinn

234 Michel 2005, 112 235 Kamleithner 2008, 6 236 Bröckling/Krasmann/Lemke 2000, 17 237 Bröckling/Krasmann/Lemke 2000, 16, kursiv i.O. 238 Bröckling/Krasmann/Lemke 2000, 30

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 72 streben müssen sondern der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Vordergrund stehen kann239), wird dazu gemacht, indem es anhand ökonomischer Richtlinien und Realitäten betrachtet, analysiert und gedacht wird.

„Soziale Beziehungen und individuelles Verhalten werden nach ökonomischen Kriterien und innerhalb eines ökonomischen Intelligibilitätshorizonts dechiffriert.“240 Es geht da- rum, den neoliberalen Anforderungen von Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Mobilität, (Eigen-)Initiative und Dynamik zu entsprechen. Dies kann man einerseits als Demokra- tisierungsprozess begreifen, denn jene seitens der Politik verlangten Erfordernisse, geben dem Individuum die Möglichkeit (innerhalb dieses Spektrums) zu agieren und mitzuge- stalten. Flexibel und dynamisch zu sein, erfährt in dieser Zeit eine recht positive Konno- tation, was das Streben danach attraktiv macht. Andererseits ist ein gewisses (hohes) Maß an ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital241 nötig, um mit einer scheinbar grenzenlosen Freiheit umzugehen bzw. sich darin zurechtzufinden. KAMLEITHNER fasst den Begriff Freiheit als Regierungsinstrument im neoliberalen Kontext folgendermaßen zusammen: „Die Ermöglichung von Zirkulation, die Schaffung von Beweglichkeit ten- diert dann auch dazu, das freie Spiel tendenziell wieder aufzuheben, sie zielt auf die Schaffung einer idealen Anordnung; darauf, die Dinge und Lebewesen an den (ökono- misch) richtigen Ort zu bringen.“242 Freiheit im Sinne einer freien Entscheidung, wie man denkt und handelt, wird im Neoliberalismus zu einem Steuerungsinstrument. Dem Sub- jekt wird versichert, in einer Gesellschaft zu leben, in der alles möglich sei und in der man sich frei entfalten könne. Demnach tritt es nicht von selbst in den Wettbewerb ein und muss also durch die Produktion des freien Marktes initiiert werden. Der und die Ein-

Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung KapitelSelbstbestimmung V Zwischen und 3 zelne begibt sich somit, subtil durch eine suggerierte Freiheit gesteuert, in den Wettbe- werb und verhandelt diesen mit anderen AkteurInnen aus, ohne dem Zutun des Staatsap- parates. „Der freie Markt ist die Aufgabe einer ‚aktiven Gouvernementalität‘, der Wett- bewerb ‚ein geschichtliches Ziel der Regierungskunst und keine Naturgegebenheit‘.“243

239 Nichtsdestoweniger müssen auch diese Einrichtungen, in Zeiten von Kürzungen des Budgets im Sozialbereich, knapp kalkulieren und im Wettbewerb mitspielen, wo es um Angebot und Nachfrage geht. Hier schließt sich der Kreis zu den Techniken der Selbstregulierung, da der Staat seine eingreifende und ausbalancierende Funktion nicht wahrnimmt. 240 Bröckling/Krasmann/Lemke 2000, 16 241 Ich bin mir der Heterogenität der unterschiedlichen Kapitalien durchaus bewusst. Aufgrund der einfacheren Darstellungsweise, die benötigt wird, um den Rahmen des Kapitels nicht zu über- schreiten, erläutere ich meine Überlegungen auf eine plakative Weise, wodurch ein homogenes Denken über die Kapitalien suggeriert wird, von dem ich mich aber ausdrücklich distanziere. ereinnahmung 242 Kamleithner 2008, 7 243 Foucault 2004b, 173f. zit.n. Kamleithner 2008, 7

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Das Individuum ist somit angehalten, selbst tätig zu werden und die soziale wie innere Sicherheit aufrecht zu erhalten, wohingegen die staatliche Regulierung ist auf ein Mini- mum reduziert ist. Fehlt das nötige kulturelle Kapital in Form von Bildung, wird es schwer werden, jene komplexen Sachverhalte zu begreifen, zu denken und zu benennen. Die Anpassung an diese Verhältnisse fällt dadurch schwerer. Damit einhergehend ist oft ein Mangel an ökonomischem Kapital bzw. Geld und Vermögen, wodurch nur ein einge- schränktes Maß an Flexibilität und Mobilität möglich wird. Man muss es sich leisten kön- nen. Ist schließlich das soziale Kapital nicht genügend ausgeprägt, so wird das Erreichen der neoliberalen Ideale des Initiativ- und Dynamisch-seins schwieriger. Der Soziologe

Robert PUTNAM erklärt „that social capital makes us smarter, healthier, safer, richer, and better able to govern a just and stable democracy“244. Im Extremfall fehlt das benötigte soziale Netzwerk, wodurch neue Gedanken gesponnen, innovative Projekte verwirklicht und die öffentlichen Räume benutzt werden können. Am Lendwirbel wird versucht eben jenes soziale Kapital zu (ver-)stärken und vielen Menschen zugänglich zu machen, um sie zu befähigen, an der Gestaltung des Stadtraums zu partizipieren. Die gut vernetzte Community ist die Basis dieses Handelns. Wer ein gutes soziales Netzwerk aufweisen kann, ist zudem in der Lage, Krisen oder schlechten Zeiten adäquat zu begegnen und kreative Lösungsansätze für aktuelle Probleme zu finden.

Vor allem in „benachteiligten Stadtteilen (…) mangelt es an ökonomischem und kultu- rellem Kapital“245. Ein Teufelskreis entsteht. Menschen mit schlecht ausgebildeten Kapi- talien versammeln sich an Orten und Plätzen, die ihnen zugewiesen werden (z.B. durch Verdrängung aus dem Stadtbild oder Gentrifizierung) und in denen sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten, ihre Bedürfnisse abdecken können. Die kaufkraftschwachen Orte werden mit Begriffen wie bspw. ‚Problembezirk‘ etikettiert und gesellschaftliche wie wirtschaft- liche Herausforderungen plötzlich im Stadtraum verortet. Sie bekommen einen Stempel, wie sie zu funktionieren haben und nach welchen Denk- und Handlungsmustern sie leben sollen. Über jene Zuweisung werden sie regierbar. Die soziale Ungleichheit, die an den traditionellen Merkmalen Einkommen, Bildung, Alter, Herkunft, etc. gemessen wird, be-

kommt nun eine weitere, räumliche Ebene, wie der Soziologe Oliver FREY betont: „Neue Merkmale sozialer Ungleichheit wie das soziale oder biologische Geschlecht oder sub-

244 Putnam 2000, 290 zit.n. Michel 2005, 112 245 Michel 2008, 23

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 74 jektive Werthaltungen und Lebensstile, mitunter auch der Wohnort, gewinnen an Bedeu- tung für die Position im gesellschaftlichen Raum.“246 Es werden Attribute zugeschrieben, die sich wiederum auf die verschärfte Kontrolle dieser Räume sowie deren Reputation auswirken. Es gibt somit „Parallelen zwischen der ökonomischen Zersplitterung und der sozialen Fraktalisierung der räumlichen Struktur der Stadt“247. Sind hingegen jene Kapi- talien vorhanden, können die angeführten neoliberalen und einer marktwirtschaftlichen Orientierung unterliegenden Prinzipien durchaus als Prozess der Demokratisierung im Gegensatz zur staatlichen Regulierung gesehen werden.

Durch eine marktwirtschaftlich orientierte Sichtweise rücken jedoch die gesellschaftli- chen wie ökonomischen Ursachen für Ausgrenzung sowie deren Bekämpfung in den Hin- tergrund. „Gutes Leben wird auf den guten Kontakt zu Menschen in ähnlichen Lagen reduziert.“248 Aus diesem Grund ist die Stadtpolitik bemüht, die BürgerInnen zu aktiven Handlungsformen zu motivieren, wodurch die Verantwortung von der Politik an das In- dividuum bzw. an Netzwerke, in denen sie sich befinden, weitergegeben wird. Diese sind angehalten aktiv für innere Sicherheit in der Umgebung zu sorgen. „Gemeinschaften wer- den besondere Konfliktlösungskompetenzen zugesprochen, da sie sowohl als soziale Netzwerke als auch als moralische Instanzen funktionieren.“249 Sie regieren und kontrol- lieren sich somit gewissermaßen von selbst ohne großem Zutun der Stadtregierung. Im- merhin sind sie frei, selbstbestimmt, flexibel, mobil und dynamisch und somit in der Lage diese Anforderungen zu meistern. Dieser Meinung ist zumindest die neoliberale Stadtpo- litik.

Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 Freiheit, Gleichheit, …? Die Politik hat es in Zeiten wie diesen nicht leicht: „Angesichts supranationaler Kon- zerne, international agierender Umweltschutzbewegungen, rivalisierender Nationalis- men, (…) des Föderalismus, der Politik ethnischer, kultureller und sprachlicher Minder- heiten und schließlich des Multikulturalismus ist es für das politische Denken nicht mehr so leicht wie früher, sich in einem scheinbar natürlichen geopolitischen Raum zu verorten, in dem die Nation mit den sie definierenden Grenzen eines einheitlichen Staatswesens

246 Frey 2008, 34 247 Michel 2005, 38 248 Michel 2005, 113 249 Etzioni 1998, xi zit.n. Michel 2005, 108

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sozial verfasster Bürger zusammenfällt“.250 Um BewohnerInnen von Städten einfacher und besser mit Hilfe von bestimmten, bereits erwähnten, präventiven und reaktiven Kon- troll- und Regulationsmechanismen regierbar zu machen, wird eine homogene Gesell- schaft suggeriert, in der Subjekte leben, die allesamt autonom handeln und denken kön- nen. „Die verloren geglaubte soziale Homogenität kann nur um den Preis der Fragmen- tierung des Raumes wieder hergestellt werden, einer Fragmentierung, die Orte funktional und sozial vereindeutigt und bestimmt.“251 Es wird versucht im Raum eine Homogenität zu inszenieren, um die Komplexität der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse zu ver- einfachen und Individuen an den Platz zu verweisen, der ihnen aufgrund der vorherr- schenden Regeln des Spiels zusteht. Dadurch wird Ordnung geschaffen, deren Ergebnis eine homogene Gesellschaft sein soll, die sich an jene Regeln hält. Eine Ordnung (provo- kant gesprochen auch im Sinne von aufräumen, saubermachen, putzen) „kann aber nur durch Abgrenzung und Ausschluss erreicht werden“252, wie z.B. beim Bettelverbot deut- lich wird.

Kulturelle Diversität wird genauso wenig berücksichtigt, wie jegliche ökonomischen und sozialen Unterschiede. Dabei existieren und funktionieren Städte nur aufgrund der Hete- rogenität der BewohnerInnen. Vielfalt ist förderlich für das Zusammenleben als auch für den Wettbewerb, da unterschiedliche Meinungen zu kreativen Lösungsvorschlägen füh- ren können, die Innovationen schaffen. Dieser Reichtum an Ideen und Zugängen wird ausgeblendet, denn es geht um „überschaubare Städte”253 im Sinne einfach kontrollierba- rer Städte. In jener neuen Art des Regierens, wird von einer homogenen Gemeinschaft ausgegangen. „Dabei wird der Wert einer homogenen Gemeinschaft nicht hinterfragt, sondern als Grundlage und Keimzelle einer guten Gesellschaft begriffen.“254 Es wird ver- sucht die Heterogenität der BewohnerInnen auszublenden, um sie besser regierbar zu ma- chen und ohne den Mehrwert von Vielfalt zu erkennen. Die gute Gesellschaft fußt auf Homogenität, da es hier keine Schandflecken oder unschöne Ecken und Kanten gibt. Alle sind gleicher Meinung, verfolgen das gleiche Ziel und verhalten sich regelkonform. Das ist die Vorstellung einer gut regierbaren, homogenen Gemeinschaft.

250 vgl. Tully 1995, zit.n. Rose 2000, 104 251 Michel 2005, 110 252 Michel 2005, 49 253 Michel 2005, 79 254 Michel 2005, 110, kursiv i.O.

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 76

Durch die Erzeugung von Gleichheit wird Konkurrenz- und Wettbewerbsdenken ge- schürt. Das wiederrum nützt den neoliberalen Maximen Selbstoptimierung, Kreativität, Eigenverantwortlichkeit, Flexibilität, Eigeninitiative, Dynamik und Anpassungsfähig- keit, da jene Kompetenzen (von denjenigen, die sie aufgrund hoher Kapitalien besitzen) eingesetzt werden, um aus der suggerierten homogenen Masse herauszustechen. Das Sub- jekt versucht eine Abgrenzung zu anderen bei gleichzeitiger Suche nach der eigenen In- dividualität zu finden.

„Kern dieser [neoliberalen, Anm. SR] Vorstellungen sind (…) autonome Akteure, die als Unternehmer ihrer Selbst, sowohl ihre sozialen Beziehungen als auch ihre Selbstprakti- ken nach der Logik der Verwertbarkeit und Kapitalisierbarkeit organisieren, bzw. mana- gen“255. Wie bereits weiter vorne erwähnt, ist das Individuum angehalten, das eingesetzte Engagement und die aufgewendete Arbeitskraft nach den Prinzipien Angebot und Nach- frage, sowie Übermaß und Missbrauch auszurichten und danach zu handeln (was gibt es bereits, was wird gebraucht und was kann ich leisten). Diese Anforderung wird nun um den Aspekt des Raumes erweitert. Es wird immer wieder seitens der Stadtregierung ver- sucht zu definieren, welche Personengruppe welchen Ort im städtischen Raum benutzen darf. „Räumliche Differenzierung wird vor allem über die Konstellation von Segregation und gentrification erfasst. Der Begriff der Segregation bezeichnet die Konzentration von Bevölkerungsgruppen in gesellschaftlichen Feldern (z.B. Arbeitsteilung) oder an städti- schen Orten.“256 Damit sollen jene, welche nicht dem neoliberalen Geist entsprechen kön- nen / wollen, das Stadtbild verlassen, sowie jene, welche aufgrund ihrer wirtschaftlichen Rentabilität gewünscht sind, in den Mittelpunkt rücken. Das sind z.B. Personen, welche

Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 der creative class bzw. der Kreativwirtschaft zugeordnet sind, hohe Kapitalien besitzen, Unternehmer ihrer Selbst sind, die Maxime marktwirtschaftlicher Denkweisen verkör- pern und diese im Stadtviertel implementieren. Die Folge ist nicht selten Gentrifizierung, also die sukzessive Verdrängung von BewohnerInnen, die sich aufgrund der Aufwertung und der daraus resultierenden Erhöhung der Miet- und Grundstückspreise die Wohnung nicht mehr leisten können und wegziehen müssen. Eine soziale Ausgrenzung und damit verbundene Protestaktionen sind die Konsequenz. „Neoliberale Gouvernementalität des Städtischen kann als der immer umkämpfte, partielle und nie abgeschlossene Versuch

255 Michel 2005, 116, kursiv i.O. 256 Löw 2010, 608

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begriffen werden, die neoliberale Reorganisation des Sozialen in Modi städtischen Re- gierens einzuschreiben.“257 An dem eben genannten Beispiel der Gentrifizierung von Stadtvierteln wird das besonders deutlich. Vor allem in Berlin gibt es diesbezüglich im- mer wieder Proteste. Im September 2012 gab es eine Aktion mit dem Namen „Wir bleiben Alle!“, wo gegen die steigenden Mieten sowie die Verdrängung der ursprünglichen Be- wohnerInnenschaft demonstriert wurde.258

Aber auch das Bettelverbot ist ein gutes Beispiel für Ausgrenzung und Verdrängung aus einem Stadtbild. „Unerwünschte Verhaltensweisen werden verboten und so bestimmte soziale Gruppen aus unserem Blickfeld, dem Stadtraum und damit aus unserer Gesell- schaft verdrängt.“259 Es wird versucht das Bild, beinahe wie ein Gemälde in einem Mu- seum, in einem möglichst schönen, harmonischen Stil zu erhalten, ohne Schmutz- und Schandflecken, die höchstens Gefahr und Unsicherheit mit sich bringen und definitiv nicht ins gutbürgerliche Bild passen.

Durch die Brille der Gouvernementalität scheinen plötzlich jene Personen, die durch diese Mechanismen ausgegrenzt werden, Verantwortliche statt Opfer ihrer eigenen miss- lichen Lage zu sein. Wer ein gutes soziales Netzwerk aufweisen kann, ist auch in der Lage, Krisen oder ökonomisch schlechten Zeiten besser zu begegnen und neue Lösungs- ansätze für aktuelle Probleme zu finden. „Nicht der Entzug der ökonomischen Mittel der sozialen Reproduktion gilt neoliberaler Sozialpolitik als ursächlich für soziale Verwer- fungen, sondern ein Mangel an sozialem Kapital, womit die Betroffenen neoliberaler Restrukturierung als autonome AkteurInnen gedacht und zu den alleinigen Verantwortli- chen ihrer Situation gemacht werden.“260 Nach diesem Verständnis steht es jedem Indi- viduum frei die Chance zu nutzen, selbst aktiv zu werden, sich selbst zu vermarkten (im- mer mit dem marktwirtschaftlichen Blick auf Angebot und Nachfrage), dynamisch und flexibel dafür zu sorgen, zum Kreis jener zu zählen, die diesen Maximen entsprechen und somit einen Platz in der Stadt zu bekommen, wo sie gewünscht sind. Gelingt es nicht die Anforderungen zu erfüllen, so droht soziale Verdrängung bis zur Ausgrenzung, die nicht nur gesellschaftliche, sondern auch und vor allem eine räumliche Konsequenz mit sich

257 Michel 2008, 24 258 vgl. Holm o.J. 259 Lendwirbel 2011 260 Michel 2008, 23

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 78 bringt. „Damit wird ein verschärfter Ausschluss der Menschen, die sich nicht selbst akti- vieren können oder wollen, legitimiert.“261 Ihnen wird ein Platz in der Stadt und somit in der Gesellschaft zugewiesen, der marginalisiert, unschön und sicher nicht in der Mitte urbanen Zusammenlebens liegt (Stichwort Ghettoisierung). Sie werden unsichtbar.

Darüber hinaus ist die Frage der Selbstverantwortung bzw. der Selbstverschuldung eine zusätzliche soziale Belastung für das Individuum (Stichwort Konkurrenzdenken), wel- ches nicht die dafür notwendigen (sozialen, kulturellen und ökonomischen) Kapitalien besitzt und demnach nicht im Wettbewerb um die eigene Arbeitskraft und Kreativität bis zur Selbstoptimierung mitspielen kann. „Um weiter dazuzugehören, muss der Einzelne sich bewusst entschließen, sein Leben als ‚Unternehmen‘ zu führen. Dabei hat er sich im Rahmen jener verbindlichen Begriffe und Grenzen zu bewegen, die mittlerweile das ge- samte Alltagsleben durchziehen.“262 Menschen begreifen sich als Subjekte, in dem sie sich in Relation zu sich selbst, zu ihrer Umwelt und zu anderen verhalten. Dadurch kon- stituieren sie ihr Subjekt-Sein. Gleichzeitig integrieren sie dadurch jegliche Formen der Machtausübung in die Formung ihrer Identität. Die „Anrufung von Subjekten in Richtung einer Forcierung aktivierter unternehmerischer Subjekte“263 hat somit einerseits ein ne- gatives Moment der individuellen Betroffenheit bei gleichzeitiger Machtlosigkeit gegen- über den gestellten Anforderungen und andererseits einen positiven, demokratisierenden Charakter, da es motivierend, befähigend und identitätsstiftend zugleich ist, allerdings nur, wenn innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen gespielt wird. Ist dies der Fall, kann jene zugeschriebene Eigenschaft des Subjekt-Seins als positives Element in Rich- tung einer selbstbestimmten Handlungs- und Denkweise sein, die frei von Regeln und

Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 Zwängen zu sein scheint. KRASMANN fasst diesen Zustand gekonnt zusammen: „So arti- kulieren Menschen sich als BürgerInnen, die ihre Rechte wahrnehmen, als politische Ak- tivistInnen, die die gesellschaftliche Zukunft mitgestalten, als KünstlerInnen, die sich in ihrer Kreativität selbst verwirklichen. Sie lernen, sich selbst als Subjekte zu begreifen – und sich in dieser Weise selbst zu regieren.“264 Es wird Freiheit suggeriert, welche das Bedürfnis nach sozialer und innerer Sicherheit im Individuum auslöst, die es zu erhalten und zu kontrollieren gilt. Es nimmt sich als Teil einer bestimmten Gruppe und als eigen-

261 Michel 2005, 116 262 Rose 2000, 94 263 Michel 2008, 21 264 Krasmann 2008, 10

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verantwortlich wahr und wird durch die ihm zugeschriebenen Charakter- und Handlungs- eigenschaften, Regeln, Rechte und Pflichten (z.B. von BürgerInnen, AktivistInnen, KünstlerInnen) zum Subjekt. „Indem sie sich als Subjekte artikulieren, nehmen sie For- men der Machtausübung auf und wenden sie zugleich, formen sie um, brechen und vari- ieren sie.“265 Das Individuum verhält sich zu den Machtverhältnissen, in denen es sich befindet und formt seine Identität innerhalb der Rahmenbedingungen. Es spielt im Spiel des Regiert-werdens mit, jedoch können die Regeln verändert und adaptiert werden, bis hin zum Widerstand gegen das vorherrschende System.

Auch am Lendwirbel gehen Gesellschaftsfragen Hand-in-Hand mit Raumfragen. Der kri- tisch hinterfragende und reflektierte Zugang ist allerdings Gegenmittel für und zugleich Kritik an neoliberalen Anforderungen. So wurde bereits am Lendwirbel mehrmals in den letzten Jahren die Frage gestellt „Wem gehört der öffentliche Raum?“266, womit die so- ziale Ebene mit einer örtlichen verbunden wird. Es geht um einen öffentlichen Raum, der durch Regeln, Gebote und Verbote durchzogen ist, welche die darin lebenden Individuen nur auf eine bestimmte, genormte Art und Weise zu agieren befähigt. Auch mit der Frage „Wie wollen wir in unserer Stadt leben und wie kann das Zusammenleben bestmöglich funktionieren?“267 wird der Versuch unternommen gegen marktwirtschaftliches Kalkül anzukämpfen und den lustvollen Umgang mit dem öffentlichen Raum zu steigern. Die LendwirblerInnen sind darauf bedacht, Integrations- statt Exklusionsmechanismen zu etablieren, um möglichst vielen BewohnerInnen die Chance zur Mitgestaltung am eige- nen Lebens- und Nachbarschaftsumfeld zu geben. Für sie fungiert der Lendwirbel als „Schnittstelle, Unterstützung und [als Mittel zum] Abreißen von Barrieren“268. Das Sub- jekt soll über die Mitbestimmung und Partizipation am Lendwirbel Teil der Gemeinschaft und des Netzwerkes werden, womit es sich zu identifizieren weiß. Nicht die Machtver- hältnisse sollen tonangebend sein in der Formung der Identität, sondern das soziale Um- feld und der gemeinsam gestaltete öffentliche Raum.

Bei einer im Anschluss an den Vortrag Neue Stadtmenschen stattfindenden Diskussion mit dem Namen Reality Check Kreativwirtschaft, erklärt eine Aktivistin die Intention, der

265

nund SelbstbestimmungVereinnahmung Krasmann 2008, 12 266 Lendwirbel.at, 2012; Vortrag „Neue Stadtmenschen. Reality Check Kreativwirtschaft“, 04.05.2012 267 Lendwirbel.at, 03.02.2013 268 Lendwirbel 2011

Kapitel 3 Zwische Kapitel 80 der Lendwirbel in Bezug auf Partizipation folgt: Die zentrale Frage am Lendwirbel lautet ‚Wem gehört der öffentliche Raum?‘ und im Idealfall gehört er jedem und jeder. Alle BewohnerIn- nen sollen zumindest in der Zeit in der der Lendwirbel stattfindet, die Möglichkeit bekommen, die- sen Raum zu gestalten, ihn sich anzueignen, zu besetzen und so in der Gesellschaft als wichtiger Teil davon sichtbar zu werden. Es geht darum, die Menschen zu ermächtigen und zu ermutigen, sich den Platz im öffentlichen Raum zu nehmen.269 Dabei ist die Aktivierung der Bewohne- rInnen ein wesentliches Ziel der (ehemaligen) OrganisatorInnen des Lendwirbels. Auch ohne einem expliziten Kernteam, wird und wurde versucht möglichst viele Menschen zu motivieren, sich den Raum an jenen bestimmten Tagen im Mai anzueignen und zu tun, wozu sie Lust und Freude verspürten. Der Lendwirbel soll eine „mehrtägige Würdigung heterotoper, urbaner Lebensformen und neuer Ortsaneignungsformen“270 sein, wozu es zahlreiche Menschen verschiedener Herkunft, Professionen und Ideen braucht, um dieses

Ziel zu verwirklichen. Der Soziologe Rainer ROSEGGER sieht in offenen Räumen die Zu- kunft der Gesellschaft: Es können sich „nur in offenen Räumen Gemeinschaften etablie- ren, durch deren soziales Kapital eine neue, real wirksame transformative Kraft für unsere gesellschaftliche Zukunft entsteht“271. Die Voraussetzung zu schaffen, um jene Räume zu etablieren, ist die Absicht des Lendwirbels. Dadurch sollen BewohnerInnen ermutigt und motiviert werden, ihre Kapitalien mit anderen zu teilen und auf diese Weise die Zu- kunft der Gesellschaft über die Gestaltung des öffentlichen Raumes, mitzubestimmen. Durch das Zusammenarbeiten und die Fusion der Ressourcen aller Beteiligten kann ur- banes Leben verändert werden. Voraussetzung dafür sind offene Räume, die integrieren anstatt auszugrenzen, also offen für viele Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwür- fen sind. KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 Am Lendwirbel ist diese Heterogenität und Vielfalt der AkteurInnen und BesucherInnen ausdrücklich gewünscht. Es soll eine lustvolle Gestaltung des Lebensraumes sein, mit einem offenen Zugang für alle. „Verschiedene Menschen und Milieus – ausgestattet mit unterschiedlichen Ressourcen der Teilhabe – sollen die Möglichkeit bekommen, Teil die- ser Auseinandersetzung im Stadtteil zu sein“272, lautet einer ihrer Leitsätze. Dabei gilt es Barrieren abzubauen, um kreative Gestaltungsmöglichkeiten des öffentlichen Raumes für möglichst viele BewohnerInnen zu öffnen. Denn „[a]uf der Ebene der Partizipation an

269 Lokal Heroes 8020, 04.05.2012 270 Lange/Saiko/Prasenc 2013, 2 271 Rosegger 2013, 76 272 Lendwirbel.at, 03.02.2013

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den Möglichkeiten der Stadt spielen (…) segmentierende Strukturlinien wie Alter, Ge- sundheit, Aufenthaltsstatus, Sexualität, kulturelles wie soziales Kapital der AkteurInnen in ihrer spezifischen Verbundenheit“273 eine große Rolle. Soziale Ungleichheit, genauer gesagt der Ausschluss von Individuen aufgrund der ebengenannten Merkmale, soll am Lendwirbel keinen Platz finden. Nicht der marktwirtschaftlich orientierte Wettbewerb unter Einsatz verschiedener Kapitalien steht im Vordergrund. Es ist vielmehr die Unter- stützung der BewohnerInnen bei der Durchführung ihrer Ideen, durch Personen, die be- reits Erfahrung mitbringen, wie z.B. die Zusammenarbeit mit der Stadtregierung am bes- ten funktioniert, welche einen hohen Verwaltungsaufwand (v.a. mit dem neuen Veran- staltungsgesetz 2012) mit sich bringt. „Probleme und Barrieren im Zugang zu Förderstel- len und Verwaltungsabteilungen“274 werden erkannt und versucht weitgehend in den Netzwerktreffen durch kollektiven Austausch zu lösen. Jene ExpertInnen „verfügen über das Wissen und den Zugang zu Ressourcen, die eine Art selbstinitiierte Umprogrammie- rung eines Ortes möglich machen. Man kann dieses Wissen im besten Sinne als local knowhow bezeichnen.“275 Diese Kenntnisse und Erfahrungen sollen möglichst vielen Be- wohnerInnen zur Verfügung gestellt werden, weshalb ein Rahmen des Austausches ge- schaffen wird, um aus der Kraft des Kollektivs zu schöpfen.

Sind Barrieren durch Mut und Unterstützung überwunden, stehen nun Tür und Tor offen für kreative Gedanken und schöpferisches Tun. Im anschließenden Kapitel wird diesem Thema Rechnung getragen.

3.3. Creative City of Lendwirbel – Über Kreativwirtschaft und City of Design

Sei kreativ! Der Terminus creative class fand erstmals Ende der 1990er Jahre in Großbritannien Ge-

brauch und wurde schließlich von dem Ökonomen Richard FLORIDA (2002) geprägt und in den Diskurs der Stadtforschung eingeführt. Damit sind jene Unternehmensbereiche

273 Michel 2005, 54 274 Lendwirbel.at, 03.02.2013 275 Gerhäusser 2013, 131

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 82 gemeint, „in denen individueller Kreativität eine besondere Rolle als Erfolgs- und Wirt- schaftsfaktor zugeschrieben wird“276, schreiben die Soziologen Mario VÖTSCH und

Richard WEISKOPF in ihrem Artikel „Thank you for your creativity!“ (2009). Da der Be- griff Kreativität bzw. die Handlung kreativ sein, die zugleich Eigenschaft eines Individu- ums ist, in diesem Zusammenhang sehr präsent ist und auch in den Diskussionen am und rund um den Lendwirbel stets im Vordergrund steht, bedarf es einer kurzen Erläuterung worum es sich hierbei handelt. Für FREY ist Kreativität mit bestimmten Kompetenzen verbunden, die eine kreative Person besitzt. Es ist „die Fähigkeit der Hervorbringung neuer und origineller Problemlösungen, (…) die Fähigkeit, alte Denkgewohnheiten, Sichtweisen usw. aufzugeben und neue, überraschende Verbindungen herzustellen, (…) die Fähigkeit schöpferischen Denkens und Handelns [sowie] die Fähigkeit etwas Neues zu schaffen“277. Grundvoraussetzung für Kreativität ist somit ein Denken außerhalb ge- normter Bahnen, ein Querdenken stillstehender gesellschaftlicher Herausforderungen, um neue, noch nie dagewesene Formen des Zusammenlebens zu etablieren. Darüber hin- aus ist die Nutzung kreativen und schöpferischen Denkens von Interesse für die Wirt- schaft, da davon Innovationen erwartet werden können, die für den Wettbewerb förder- lich sowie unabdinglich sind. Sichtbar wird dies auch in der Sprache. So wird der Begriff Kreativität in aktuellen Diskursen vor allem mit ökonomischen Kategorien verbunden. Sie ist für das Individuum Humankapital, mit dem im neoliberalen Spiel mitgespielt wer- den kann und womit man gute Karten hat. Des Weiteren ist sie „Emblem des Neuen (In- novation), des Fortschritts (Motor, Triebkraft) und des sozialen wie ökonomischen Wan- dels (Generator)“278.

Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 Kreativität findet auf unterschiedlichen Ebenen statt und ist demnach kein statisches Cha- rakteristikum, welches einem Individuum entweder anhaftet oder nicht. FREY arbeitet in seinem Buch Die amalgame Stadt. Orte. Netze. Milieus (2008) drei Stufen von Kreativität heraus, die für die Analyse des kreativen Gestaltens am Lendwirbel eine wichtige Rolle spielen. Es wird versucht alle drei Ebenen zu aktivieren und für alle BewohnerInnen zu- gänglich zu machen, um etwas Lustvolles und Kraftvolles im öffentlichen Stadtraum zu schaffen. Auf der ersten Ebene bezeichnet FREY Kreativität als „Ich-Ressource“. Hier steht eine an das Individuum gebundene Kreativität im Vordergrund, es geht um das kre- ative Kapital und die grundsätzliche Fähigkeit zu kreativen Prozessen und Denkweisen.

276 Vötsch/Weiskopf 2009, 293 277 Frey 2008, 37 278 Vötsch/Weiskopf 2009, 309

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Die zweite Ebene, die „Wir-Ressource“ ist eine Form von Kreativität, die durch soziale Interaktionen und ein kreatives Umfeld entsteht. Eine dementsprechende Umgebung ist demnach unbedingte Voraussetzung für Kreativität. Laut der dritten Ebene, der „Orts- Ressource“ gibt es bestimmte urbane Bedingungen, die Kreativitätsprozesse fördern. Zu- sammengefasst können das „Milieu und sein sozialräumliches Umfeld (…) zur Entste- hung und Bewertung von Kreativität beitragen“279. Sie kann durch die Schaffung von kreativen Orten im öffentlichen Raum, wie es am Lendwirbel Ziel ist, gefördert werden, womit sie dem Individuum zugänglich wird. Das gesellschaftliche und räumliche System ist maßgeblich an kreativen und schöpferischen Denkprozessen beteiligt. Es kann bereits vorherrschend sein, es kann aber auch durch gezielte (temporäre) Interventionen, wie z.B. dem Lendwirbel im öffentlichen Raum eingeführt oder bestärkt werden. Dadurch ist es möglich, das kreative Potenzial, welches in jedem Individuum schlummert, zu entfalten. Stimmen die Voraussetzungen, so kann „‘[k]reative Arbeit‘ (…) überall geleistet und gefordert werden, weil sie keinen verbindlichen Bezugsrahmen hat, sie kann jederzeit erbracht werden und von jedem Menschen ausgehen, weil jeder Mensch das Potenzial und die Fähigkeiten dafür mitbringt bzw. in sich trägt.“280

Jene Möglichkeit macht sich der Lendwirbel zu Nutze, denn lediglich die Herstellung eines Rahmens für kreatives Schaffen ist notwendig. Dieser muss jedoch nicht nach be- stimmten Regeln funktionieren, wodurch er sich der Vereinnahmung durch die wirt- schaftlichen Interessen der Stadtregierung entzieht. Am Lendwirbel gibt es eine zeitliche Rahmung, nämlich jährlich Anfang Mai (bzw. in den Jahren vor 2013 gab es einen be- stimmten Zeitraum von bis zu zehn Tagen in den ersten Maiwochen, an denen das Stadt- viertelfest stattfand) sowie eine räumliche, die festlegte, dass sich das Festival in Lend sowie im benachbarten Viertel Gries ereignen soll. In Wirklichkeit gab es einen Schwer- punkt vom Lendplatz bis zum Südtirolerplatz / Kunsthaus und von der Mur bis zum Volksgarten, genau an jenen Plätzen, an denen sich eine Vielzahl in der Kreativwirtschaft tätiger Personen mit ihren Büros und Ateliers ansiedelte. Die Beobachtung, dass ständig neue Geschäfte in jenem Bereich des Lend eröffneten, machten auch die von mir inter- viewten Personen. „Gerade da in dem Bereich der Mariahilferstraße, da haben sich in den letzten 6 Jahren viele so Geschäfte und so Büros angesiedelt, die das Neue Design ausstrahlen. Oder die Büros, wo man hineinsieht, die Glasscheiben haben, wo man ihnen immer zuschauen kann beim

279 Frey 2008, 39 280 Vötsch/Weiskopf 2009, 310, kursiv i.O.

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 84

Arbeiten, das hat es vor 6 Jahren nicht gegeben, wie ich hergezogen bin. Es waren immer schon liebe, kleine Geschäfte dort, aber so etwas wie Designbüros und so, die waren noch nicht da. Die sind schon mehr geworden“281, erzählt Karla, eine Besucherin, die sechs Jahre lang im Lend wohnte. Eine Aktivistin, Dolores, beschreibt ein Vernetzungstreffen, dem sie beiwohnte, „wo mir aufgefallen ist, dass dort hauptsächlich Leute, die irgendwie dort, glaube ich, arbeiten, Büro oder sonst was haben, dann auch irgendwie, verstärkt darin involviert waren, etwas zu ma- chen. Hauptsächlich.“282 Die Gemeinsamkeiten in kreativen Berufen tätig zu sein, in der räumlichen Nähe, da sich die Büros und Ateliers beinahe nebeneinander befinden, wodurch auch ein informeller Austausch nebenbei passiert, sowie im Interesse sich zu engagieren und den öffentlichen Raum mitzugestalten, bilden einen Rahmen, in dem kre- atives Handeln verstärkt werden kann.

Die Wichtigkeit des Rahmens für kreatives Schaffen wird besonders deutlich, wenn die- ser plötzlich wegfällt oder sehr fluide wird, wie es am Lendwirbel 2013 der Fall war, wo es kein explizites Organisationsteam mehr gab. Einer der Aktivisten bemerkte bei der offenen Gesprächsrunde, dass es vor allem für AkteurInnen und KünstlerInnen ein Problem dar- stellt, wenn niemand genau weiß, zu welcher Zeit und an welchem Ort, welche Initiative passiert. Für kreatives Arbeiten, wie Performances oder Ausstellungen, braucht es Vorbereitung und Wis- sen, wo sich Programmpunkte verdichten könnten und wo angeknüpft werden kann.283 Eine an- dere Aktivistin, eine Musikerin erwähnt diesbezüglich in einem Interview: „Die Rahmen- bedingungen waren halt Sachen vom Organisationsteam, das heißt, darum musst du dich nicht kümmern, quasi nur mehr das Kreative, ist dann irgendwie übrig geblieben. Und deswegen ist es so, diese öffentliche Raumnutzung war dann viel stärker für mich da.“284 Die Wahrnehmung der

Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 Musikerin sowie die des Aktivisten der Gesprächsrunde stimmen ebenso damit überein, wenn davon gesprochen wird, am Lendwirbel 2013 hätte es an Performance, Kunst und kleinere Interventionen gefehlt. Fehlt jedoch der organisatorische Rahmen, so ist es ungleich schwieriger Individuen, welche nicht in, zur creative class zählenden, wissensbasierten Berufen tätig sind, zu kreativen Handlungen und Denkweisen zu motivieren, da diese Voraussetzung dafür sind. Die Fähigkeiten schlummern in jedem Subjekt, lediglich das Setting muss dafür geschaffen werden. Dieses zu gewährleisten hat sich bis 2012 das

281 Interview mit Karla, Z.84-89 282 Interview mit Dolores, Z.188-191 283 Lendwirbel 2013, 11.05.2013 284 Interview mit Dolores, Z.69-72

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Kernteam zur Aufgabe gemacht und hatte Erfolg damit. Als am Lendwirbel 2013 plötz- lich das Bild aus dem Rahmen genommen wurde, blieben Events und Musikacts übrig, der kreative und inhaltliche Diskurs ging verloren.

„Lendwirbeln, das heißt im Idealfall gestalten und nicht nur zu konsumieren.“285 Grund- sätzlich wird also versucht die StadtbewohnerInnen zu motivieren, ihr in ihnen ruhendes kreatives Kapital und Potential zu aktivieren, ohne das Ziel dieses für wirtschaftliche Zwecke zu optimieren und als Konsumgut frei zugänglich zu machen. Der Lendwirbel versucht dies zu initiieren, in dem Gestaltungs- und Handlungsspielräume eröffnet wer- den. „Erst so kann jene Kreativität gedeihen, welche heute als so wesentliches Gut unserer Gesellschaft angesehen wird, und über die jeder Mensch verfügt.“286 Kreativität wird in Zeiten von Wirtschaftsorientierung, die bis in den sozialen und zwischenmenschlichen Bereich reicht, immer mehr gefordert. Der Lendwirbel will ermutigen, diese Kreativität zu nutzen, denn sie schlummert in jedem Individuum. In der Diskussion Reality Check Kreativwirtschaft, welche im Anschluss an den Vortrag Neue Stadtmenschen stattfand, definierte eine Aktivistin Kreativität als Ausdrucksform und als Sprache von vielen, um sich mit Themen, die den öffentlichen Raum betreffen, beschäftigen zu können. Der Lendwirbel unterschei- det sich deswegen von Initiativen der Kreativwirtschaft, weil er danach fragt, worum es eigentlich geht.287 Sie spricht in diesem Statement die oberflächliche Bearbeitung des öffentlichen Stadtraums mit Hilfe von Design an. „Dies hat wohlgemerkt wenig mit dem Design von städtischen ‚Benutzeroberflächen‘ zu tun, sondern mit der feinstofflichen Ebene sozialer Beziehungen.“288 Der Lendwirbel denkt auf einer kritischen und reflektierten Ebene über die Nutzung und Gestaltung des Raums nach, anstatt ihn nur schön und hippiesk zu ge-

stalten. Auch zwischenmenschliche Begegnungen, welche ebenso von der marktwirt- schaftlichen Orientierung der Gesellschaft betroffen sind, rücken in den Vordergrund. Es geht darum, dass der Stadtraum durch soziale Beziehungen und Netzwerke, die sich selbstbestimmt entwickeln, zu dem wird, was er ist und nicht, dass er vereinnahmt wird von top-down Initiativen der Stadtpolitik, die versucht auf künstliche Art und Weise und mit Nachdruck etwas Kreatives zu etablieren (siehe z.B. City of Design oder Designmo- nat). Vielmehr soll ein Raum geschaffen werden, wo soziales Miteinander lustvoll und natürlich von statten gehen kann. Dadurch kann das kreative Potenzial jedes Individuums

285 Fm4.orf.at, 05.05.2012 286 Lendwirbel 2011 287 Lokal Heroes 8020, 04.05.2012, Betonung im Vortrag 288 Lendwirbel 2011

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 86 erwachen und gefördert werden und jede/r bekommt die Möglichkeit die Stimme zu er- heben und sich kreativ mit stadt- und gesellschaftspolitischen Themen zu beschäftigen.

Kreativität trifft Ökonomie Die creative class wird als Katalysator für ökonomische und gesellschaftliche Entwick- lung gesehen, deren Kapital und Basis die Kreativität bzw. innovatives Handeln der ein- zelnen Personen ist. Dieser Sektor wird von Städten (hier ist es die Stadt Graz) besonders gefördert und zu einer enormem Präsenz im öffentlichen Leben verholfen (siehe z.B. die Creative Industries Styria und deren Vorzeigeprojekt UNESCO City of Design, welches die Kreativwirtschaft hervorheben und etablieren soll). „Das Bekenntnis zur und die För- derung der Kreativwirtschaft ist in der Wirtschaftsstrategie 2020 der Landesregierung [Steiermark, Anm. SR] fix verankert.“289 Design, das unter dem Namen Kreativität ver- kauft wird, soll als Querschnittmaterie in jeglichen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens Platz finden, wovon Wettbewerbsfähigkeit sowie eine Standort- entwicklung erhofft werden. Eine „Creative-City-Orientierung“290 ist also eine beliebte Form unternehmerischer Stadtpolitik.

FLORIDA spricht bereits von einer bevorstehenden, allumfassenden kreativen, weil nach- haltigen, fairen und florierenden Gesellschaft, denn „our economic future depends on it“291. Die Zukunft der Wirtschaft bzw. deren Erfolg ruht auf den Schultern der creative class. Explizit betont er dabei den wirtschaftlichen Nutzen und Vorsprung, welcher durch die creative class, die sich auf eine creative society ausbreiten soll, zu erwarten ist. Per- sonen, die im Bereich der Kreativwirtschaft arbeiten („If you are a scientist or engineer,

KapitelZwisc 3 an architect or designer, a writer, artist or musician, or if your creativity is a key factor in your work in business, education, healt care, law, or some other profession, you are a member.“292) wird die Fähigkeit zugeschrieben, Veränderungen durch Innovationen, wie neue Produkte oder Gedankenanstöße, einzuleiten. Dies verdanken sie ihrem kreativen Selbstbestimmung Vereinnahmung und hen Handeln, welches in den wissensbasierten Berufen, in denen sie tätig sind, eine Notwen- digkeit darstellt. Ihre tägliche Arbeit ist es querzudenken, also anders zu denken, als nor- mal, eine gewisses Maß an Flexibilität ist die Voraussetzung dafür. Aus diesem Grund

289 Die Presse, 07.12.2012 290 Holm 2010, 43 291 Florida 2012, xiv 292 Florida 2012, xxi

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wird ihnen die Kompetenz der Wettbewerbsfähigkeit unterstellt, da schnell auf neue Her- ausforderungen reagiert werden kann. In Zeiten von Neoliberalismus, welcher marktwirt- schaftliches Kalkül in den Vordergrund stellt, ist eine gewisse Attitüde Voraussetzung, um den (ökonomisch geprägten) Anforderungen entsprechen zu können. Eben jene Hal- tung zeichnet die creative class aus. „Als charakteristisch für eine kreative Person gilt z.B. eine offene Haltung der Umwelt gegenüber, Kritikfähigkeit, Flexibilität, Begeiste- rungsfähigkeit, viel Initiative und Originalität.“293 Davon profitiert auch der Standort, an dem sich die „kulturbewusst gebildete Mittelschicht“294, wie sie der Stadtforscher Peter

MÖRTENBÖCK und der Architekt Helge MOOSHAMMER in ihrem Buch „Occupy. Räume des Protests“ (2012) nennen, ansiedelt. Sie steigern die Motivation weiterer in der Krea- tivwirtschaft tätigen Personen in die Stadt oder den Stadtteil zu ziehen und dort Büros, Ateliers und Geschäfte zu eröffnen, da Netzwerke als Voraussetzungen für ein kollektives Denken und Arbeiten, welches ein weiteres Merkmal der Arbeitsweise der creative class ist, bereits vorhanden sind.

Der Lendwirbel wurde vor allem in seinen Anfangsjahren und spätestens seit der Grün- dung des Designmonats295 im Jahr 2009 (und somit ein Jahr nach dem ersten Lendwirbel) von unterschiedlichen Medien zur ‚kreativen Szene‘ und somit zur Kreativwirtschaft ge- zählt. Von einer Außenperspektive scheint diese Zuordnung passend, sind es doch jene ‚Kreativen‘, auch „Grazer Hipsters“296 genannt, die ihre Büros, Ateliers und Agenturen im Lendviertel haben, hier arbeiten und teilweise auch wohnen, die den Lendwirbel ini- tiierten und die sich die Bündelung von Kreativität zugunsten der kollektiven Nutzung der Potentiale, die sie in jedem und jeder finden, auf die Fahnen schreiben. Daher wurde den LendwirblerInnen von Beginn an das Label der creative class zugewiesen. Im Lend-

manifest distanzieren sie sich allerdings explizit davon. SAIKO erläutert dazu das Verhält- nis von Lendwirbel und Kreativwirtschaft: „Der Lendwirbel steht für eine Entwicklung, die zuerst unter der Klammer ‚Kreativwirtschaft‘ aufgetaucht ist und marketingtechnisch stark ausgeschlachtet wurde. Es hat sich aber gezeigt, dass diese Klammer weniger mit Ökonomie zu tun hat als vielmehr mit der Lebensform einer gewissen Generation und

293 Frey 2008, 39 294 Mörtenböck/Mooshammer 2012, 108 295 Dieses einmonatige Festival sieht sich als Unterstützer der Kreativwirtschaft. Ziel ist es, jene Personen, die im kreativen Bereich tätig sind, sichtbar zu machen, sie zu vernetzen, Raum für ihre Projekte zu schaffen und so die Wichtigkeit von Design für klassische Unternehmen zu unter- streichen. Online unter: http://www.designmonat.at/ 296 Kleine Zeitung, 04.05.2012

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 88

Schicht, die sich übers Arbeiten definiert, aber auch über das Leben in städtischen Gebie- ten.“297 Er spricht vom Versuch der Vereinnahmung des Lendwirbels durch die Standort- vermarktungsstrategien der Creative Industries Styria, die mit viel (finanzieller) Kraft die Kreativwirtschaft fördert. Des Weiteren wird die Distanz zur wirtschaftlichen Verwer- tung von Kunst und Kultur betont. Man will nicht unter dem Label Design kommerziali- siert werden, künstlerisches und kreatives Handeln soll frei bleiben. Zumindest am Lend- wirbel, denn die Unternehmen, die einige der OrganisatorInnen führen, handeln faktisch nach marktwirtschaftlicher Strategien. Beim Stadtviertelfest hingegen geht es nicht da- rum, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, als vielmehr die Gestaltung und Nutzung des öffentlichen Raumes durch eine bestimmte Klientel, womit er Personen, die in kreativen und wissensbasierten Berufen tätig sind, meint. SAIKO betont diesbezüglich, dass nicht jede und jeder mit dem Lendwirbel erreicht werden muss, nicht alle müssen aktiv werden. Er sieht das positive Moment es trotzdem zu tun, denn von „dieser Belebung profitieren auch jene, die nicht zur kreativen Klasse gehören. Insofern erreicht man ohnehin viele“.298

Die Mehrheit der LendwirblerInnen sieht sich selbst nicht als „kreative Industrie“, wird im Lendmanifest vermerkt. Dennoch ist es ihre Motivation, ein Baustein einer kreativen Gesellschaft zu sein mit dem Ziel, allen BürgerInnen die Chance zur aktiven Teilnahme an „gestaltenden Prozessen“ im öffentlichen Raum, zu bieten. Das Wissen und die „kre- ativen Ressourcen aller Menschen“ sollen nutzbar gemacht werden für eine postindustri- elle Gesellschaft.299 Der Lendwirbel wurde bei der Bewerbung zur UNESCO City of De- sign, womit die CIS vom Land Steiermark und der Stadt Graz im Jahr 2009 beauftragt

Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung KapitelSelbstbestimmung VereinnahmuZwischen und 3

297 Falter.at, 08.05.2012 298 Falter.at, 08.05.2012 299 vgl. Lendwirbel 2011

ng

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wurde, neben dem assembly Designfestival, dem Diagonale Filmfestival300, dem Design- monat, dem Elevate Festival301, dem La Strada Festival für Straßenkunst302, dem Spring- festival, dem Steirischen Herbst303 und der Styriarte Sommerfestspiele304 als positives Beispiel für gelebte Kultur und gelebtes Design herangezogen305 und reiht sich somit in klassisch top-down organisierte und von großen Unternehmen und Banken gesponserte Festivals ein, die sich kritisch mit Kunst und Kultur (und das ist ein breites Feld) ausei- nandersetzen. Er scheint eben auf genau jenen Attributen aufgebaut, die auch die Creative Industries Styria (kurz CIS), die Veranstalterin des Designmonats, vertritt.

Die CIS wurde 2007 vom Land Steiermark gegründet, das die Kreativwirtschaft als wich- tigen Aspekt der Wirtschaftsstrategie verankert hat. Sie versteht sich als Instrument für Vernetzung zwischen Wirtschaft und ‚kreativen‘ Personen, um das vorhandene Potential auszuschöpfen und versucht Menschen, die in der kreativen Szene tätig sind, zusammen- zubringen, um durch das zu entstehende Netzwerk die steirische Kreativwirtschaft sicht- bar zu machen, zu fördern und zu entwickeln. Die Kreativwirtschaft ist einer der Wirt- schaftszweige, die am schnellsten wächst und aus jenem Grund besonders gefördert wer- den muss, da sie die Attraktivität des Standorts erhöht und so auch ökonomisch von gro- ßer Bedeutung ist. Darüber hinaus legt die CIS Wert auf Projektberatung bei der Umset- zung von kreativen Ideen. Sie will die Bereiche Werbung, Grafik, Design, Architektur, Mode, Musik, Medien und Verlagswesen vernetzen und dadurch neue Innovationen schaffen. Zum Abschluss des Missionsstatements der CIS ist eine Aufforderung zur akti- ven Teilnahme vermerkt: „Ob umgesetzte Ideen – sprich: Innovationen – auch tatsächlich funktionieren, wissen Kreative nur in den seltensten Fällen. Sie finden es allerdings nur

300 Es ist ein Festival des österreichischen Films, das als Bühne dient für Präsentation und kritische Auseinandersetzung mit österreichischen Filmproduktionen, dem heimischen Kino, sowie dem Filmschaffen an sich. Online unter: http://www.diagonale.at 301 Dies ist ein Festival für zeitgenössische Musik, Kunst und politischen Diskurs. Der Schwer- punkt liegt auf gesellschafts- und kulturpolitischen Fragestellungen, die auf nationaler und inter- nationaler Ebene diskutiert werden. Online unter: http://2013.elevate.at/de/home/ 302 Das Hauptaugenmerk liegt in der Bespielung der Straße, um sie für Menschen und Künstle- rInnen zu erobern und sie als Bühne zu nutzen für Musikinstrumente und als Spielort. Es ist ein Versuch künstlerische Auseinandersetzung mit Stadtentwicklung zu verbinden. Online unter: http://www.lastrada.at 303 Dieses Festival versteht sich als Festival neuer Kunst mit dem Versuch Kunst, Musik, Perfor- mance, Tanz, Theater, Literatur, Architektur, Neue Medien und Theorie zu verknüpfen und somit multi-disziplinär zu agieren. Online unter: http://www.steirischerherbst.at/2013/ 304 Diese Festspiele widmen sich der klassischen Musik und deren Komponisten (Mozart, Liszt, Hayden, etc.). Online unter: http://styriarte.com 305 vgl. UNESCO 2011

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 90 dann heraus, wenn sie es versuchen.“306 Mit ihren Steckenpferden, von der CIS ‚Leitpro- jekte‘ genannt, wozu der Designmonat, die Aktivitäten und deren Koordination rund um die UNESCO City of Design, sowie die Erlebniswelt Wirtschaft307 zählen, soll die Moti- vation zum Mitmachen gefördert werden, in dem den BesucherInnen gezeigt wird, dass Design durchaus in allen Lebensbereiche implementiert werden kann.

Um die kritische Haltung zu unterstreichen, schreibt die CIS: „‘City of Design‘ ist eine gelebte Haltung und Ausdruck einer urbanen Kultur, die die bewusste Gestaltung des Lebensraums als zentralen Wert ansieht.“308 Jener Zugang scheint auf den ersten Blick jenem des Lendwirbels zu entsprechen, was vermutlich der Grund war, warum dieser in die Bewerbung aufgenommen wurde. Für manche ist es vielleicht eine Ehre in die Riege der ‚großen‘, gut etablierten Festivals aufgenommen zu werden. Die OrganisatorInnen des Lendwirbels allerdings sprechen sich explizit gegen die Vermarktung von Kunst und Kultur und somit gegen den Begriff ‚Kreativwirtschaft‘ aus. Eine Lendwirbelaktivistin bringt es in einem Interview mit dem Falter auf den Punkt: „Bei der ‚City of Design‘ geht es darum, Produkte zu verkaufen, ein Image zu kreieren, das man ja im Prinzip befürwor- ten könnte. Beim Lendwirbel aber geht es um die Frage, wie man leben und was man in seiner Umgebung vorfinden möchte, da geht es um das Aushandeln von Konflikten, da- rum, sich dem Fremden zu stellen.“309 Sie spricht einerseits den Versuch an, Kunst und Kultur wirtschaftlich rentabel zu verwerten, in dem man sie an die richtige Klientel ver- kauft und andererseits den, diesem Zugang gegenüberstehenden, kritischen Blick auf die Nachbarschaft und das Nachdenken über die direkte Umgebung, ohne davon Profite zie- hen zu wollen. Es ist die Abwehr von Kommerzialisierung, Eventisierung und Vermark-

Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 tung des Lendwirbels und somit ein Akt gegen eine Strategie, die künstlerische Interven- tionen marktwirtschaftlich rentabel auf Angebot und Nachfrage hin überprüft, also gegen eine gouvernementale Stadtentwicklung.

306 Creative Industries Styria 2009 307 Bei diesem Projekt geht es darum, innovative Firmen zu ‚gläsernen Fabriken‘ zu machen, um vielen Menschen die Möglichkeit zu geben, Einblick in deren Unternehmensstruktur zu bekom- men. Online unter: http://www.erlebniswelt-wirtschaft.at/ 308 Creative Industries Styria, o.J. 309 Falter.at, 08.05.2012

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Der Lendwirbel ist darauf bedacht, möglichst vielen BürgerInnen die Chance der Betei- ligung am öffentlichen Raum und Diskurs zu geben, um bestmöglich die „kreativen Res- sourcen aller Menschen nutzbar zu machen“310. Die Kreativwirtschaft und in ihrem Na- men die CIS, operiert mit ähnlichen Begriffen, jedoch ist die Intention eine andere: Der Lendwirbel versucht Raum für Kunst zu schaffen, damit er der Gesellschaft den Spiegel hinhalten kann311, meint einer der LendwirbelaktivistInnen in einem Interview mit der Annenpost. Zudem ist es die Intention, sich den öffentlichen Raum zurückzuerobern im Sinne einer basisdemokratischen Nutzung, bei der die BürgerInnen nicht nur als Konsu- mentInnen gesehen werden, sondern als selbstbestimmt gelten. Der öffentliche Raum soll nicht dem Diktat der Kontrolle und Überwachung zum Opfer fallen, wodurch Begegnun- gen eingeschränkt werden können. „Straßen, Plätze und Gassen wollen wir so gestaltet sehen, dass Begegnung zwischen unterschiedlichen Menschen und Milieus möglich sind und nicht die Gestaltung des Designs im Vordergrund steht“312. Im Gegensatz dazu wird von der CIS die Kreativität für wirtschaftlichen Nutzen und Profit benutzt, um der Stadt ein innovatives und urbanes Klima zu verleihen. Die CIS folgt dabei einer unternehmeri-

schen Stadtpolitik. HOLM arbeitet diesbezüglich drei Merkmale heraus. Einerseits steht der Wettbewerb im Vordergrund. Es wird Konkurrenz geschürt zwischen Städten, die ähnlich wie Unternehmen, um Marktanteile und KundInnen kämpfen. Zweitens findet eine „Verbetriebswirtschaftlichung“313 statt. Das städtische Budget wird wie in einem Unternehmen gehaushaltet und unrentable Bereiche werden ausgelagert in Stadtteile, von denen kein oder nicht so viel Profit erwartet wird. Drittens ist das gesamte Handeln der Stadtregierung unternehmerisch orientiert. „Dabei wird – ganz im Zeitgeist neoliberaler Ideologien – die schöpferische Kreativität von Unternehmer_innen als Gegensatz zur konservativen Trägheit traditioneller Eigentümer_innen aufgefasst und als dynamischen Entwicklungsmotor beschrieben.“314 Die hippiesken, kreativen, neuen Stadtmenschen sind in der Stadt gewünscht, da sie als Hoffnungsträger für die Wirtschaft und Wettbe- werbsfähigkeit gelten. Sie sollen sich in der Stadt ansiedeln, ihre Geschäfte eröffnen und bleiben. Dazu benötigen sie eine Infrastruktur sowie attraktive Angebote, die durch eben- jene unternehmerische Ausrichtung geschaffen werden. So versuchte die CIS den Lend- wirbel als Teil marktwirtschaftlich orientierter Stadtpolitik zu vereinnahmen, um ihn als

310 Lendwirbel 2011 311 vgl. Annenpost.at, 12.06.2013 312 Lendwirbel 2011 313 Holm 2010, 42 314 Holm 2010, 42

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 92

Produkt der Kreativwirtschaft (u.a. um mehr Personen der creative class anzuwerben und somit den Kreativstandort Steiermark ausbauen zu können) verkaufen zu können.

Der Lendwirbel wurde mit der Gründung des Designmonats, welches auch jährlich im Mai stattfindet, aufgrund seines kreativen Charakters sofort zu dessen Programm dazu gezählt. Er wird nur 2008 als etwas selbstständig Organisiertes empfunden. Bereits 2009 berichteten die Medien davon, dass das Straßenfest Teil des Designmonats wäre315. Die CIS machte 2009 und 2010 Werbung für den Lendwirbel und gibt sich sogar als Kontakt- und Informationsstelle am Informationsblatt an.316 Jedoch auch in den darauffolgenden Jahren wird das Stadtteilfest immer wieder damit in Verbindung gebracht werden. So erklärt der Geschäftsführer der CIS, Eberhard Schrempf, dem ORF Steiermark im Jahr 2011, dass auch kleinere Festivals wie das assembly Designfestival317, das Springfesti- val318 oder eben der Lendwirbel den Designmonat als „Podium für ihre Aktivitäten“319 nutzen. Das Lendwirbel-Team sieht diese Zuschreibung als Fluch und Segen zugleich. Einerseits wird es als Chance gesehen, den öffentlichen Stadtraum einem ernsthaften Dis- kurs und Auseinandersetzungsprozessen zu unterziehen. Eine (wenn auch kleine) finan- zielle Unterstützung ist eine weitere positive Begleiterscheinung. Durch diesen Zuschuss wurde das Stadtviertelfest als Errungenschaft der CIS verkauft, wogegen sich die Lend- wirblerInnen wehrten. Ihr Ziel ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Stadtraum ohne Vereinnahmung durch Geldgeber und deren Vorstellungen von Stadtak- tivismus. Dazu wird auch explizit Distanz gewahrt: „Wir möchten deswegen klarstellen: Dieser Titel darf nicht zur Legitimierung einer weiteren Oberflächenbehandlung unserer Stadt im Zuge einer Stadtortvermarktung genützt werden.“320 Reale Projekte der Integra-

Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 tion sind wichtiger als lange Diskussionen über Gentrifizierung. Urbanität wird mit Viel- falt und Heterogenität gleichgesetzt. Der Lendwirbel will diese Urbanität nicht begren- zen, sondern durch sein Bestehen und Tun Toleranz und Offenheit im Stadtviertel schaf- fen.321 Die LendwirblerInnen sind darauf bedacht, gesellschaftspolitische Probleme und

315 vgl. Die Presse, 25.04.2009; Der Standard, 04.05.2009; Der Standard, 02.05.2010 316 vgl. Designmonat.at, 2009 317 Dieses Festival beschäftigt sich mit unterschiedlichen Arten von Kunst- und Designrichtungen: Produktdesign, Modedesign, Möbeldesign, Schmuckdesign, Taschendesign, Grafikdesign, Tex- tildesign, etc. Online unter: http://assembly-festival.at/ 318 Der Schwerpunkt dieses Festivals liegt auf der elektronischen Musik. Es versucht Musik, Technologie, Kunst und Design zu verbinden. Online unter: http://www.springfestival.at/ 319 ORF 2011 320 Lendwirbel 2011 321 Vortrag „Neue Stadtmenschen. Reality Check Kreativwirtschaft“, 04.05.2012

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Herausforderungen zu thematisieren, anstatt dem lustvollen Festival einen Anstrich von Design zu geben, der lediglich an der Oberfläche das Stadtviertel schön und kreativ macht, jedoch die Nutzung des öffentlichen Raumes als auch die Partizipation der Be- wohnerInnen in der Gestaltung desselben, außer Acht lässt.

Der Lendwirbel wird als Risiko für eine kontrollierbare bzw. kontrollierte Stadt gesehen, da viele Aktivitäten im öffentlichen Raum spontan passieren, oft ohne Ankündigung oder in Erwartung einer bestimmten Klientel (für die im Fall der Fälle das notwendige Sicher- heits- und Ordnungspersonal bereitgestellt werden müsste). Dies schürt Unsicherheit in der Politik, weswegen das Straßenfestival am Liebsten in den Rahmen der Creative In- dustries Styria oder den Designmonat eingeordnet werden möchte, der überschaubar ist und nach gewissen Regeln funktioniert. Ansonsten könnte ja die Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit der Stadt (das „SOS“-Prinzip, welches vor allem von der neoliberalen Stadt- politik hochgehalten wird) gefährdet sein. In der offenen Gesprächsrunde wird auch ge- nau darüber diskutiert, dass der derzeitige Bürgermeister einen ordentlichen, sauberen und steu- erbaren öffentlichen Raum in der Stadt Graz haben möchte. Der Lendwirbel hingegen hat ein For- mat, welches es in dieser Form sonst in der Stadt nicht gibt und welches eben jenen Kriterien widerspricht. Es geht um eine Angst vor dem Nicht-geordnet-Sein seitens der Stadtregierung. Das Konzept des Lendwirbels steht der geforderten Aufgeräumtheit des öffentlichen Raumes entgegen und wird daher als Risiko für die neoliberalen Prinzipien der Stadt gesehen.322 „Risiken (…) re- präsentieren eine Form des Denkens der Realität – mit dem Ziel, sie ‚regierbar‘ zu ma- chen“323. Sachverhalte (oder Personen), die eine scheinbar hohe Risikotendenz haben bzw. nicht einer genormten Vorstellung entsprechen, werden mit genauen Regelungen und Gesetzen versucht kontrollierbar zu machen. Dabei geht es vielmehr um die Frage, wie bestimmte Realitäten von der Gesellschaft gedacht und problematisiert werden, als dass die tatsächliche Gefahr, die vermeintlich davon ausgeht, im Vordergrund stünde. Jener Kontrollpolitik will sich der Lendwirbel nicht unterordnen, weshalb er seinem Weg treu bleibt und etwas Spontanes und Lustvolles im öffentlichen Stadtraum hervorbringt, anstatt sich von Designfestivals und deren Forderungen und Normen in Anspruch nehmen zu lassen.

schen Selbstbestimmung und SelbstbestimmungVereinnahmung schen 322 Lendwirbel 2013, 11.05.2013 323 Bröckling/Krasmann/Lemke 2000, 22

Kapitel 3 ZwiKapitel 94

Hier wird die Krux zwischen Vereinnahmung und Selbstbestimmung besonders deutlich. Einerseits geht mit der Eingliederung in große Designevents, die ein Schwerpunkt des Stadtmarketings sind, eine entsprechende Förderung und Finanzspritze einher, die für viele der Aktionen des Lendwirbels gut brauchbar wäre, um sie noch besser umsetzen zu können. Andererseits bedeutet das auch eine Anpassung und Unterordnung unter be- stimmte Anforderungen, die seitens des Stadtmarketings sowie der OrganisatorInnen des Designmonats gefordert werden. Die jeweiligen Aktionen müssen ins Bild passen und für eine Klientel gestaltet werden, welches sich Design (und nicht freie künstlerische und kritische Auseinandersetzung) wünscht. Die Kreativwirtschaft steht im Vordergrund des Interesses und damit die große ökonomische Bedeutung des Festivals. So spricht der Lan- desrat für Wirtschaft, Europa und Kultur in der Steiermark Christian BUCHMANN (ÖVP) in der Kleinen Zeitung: „Kreativität und Innovationen sind der natürliche Feind der Krise: Der Designmonat ist der gelebte Beweis dafür. Die Förderung der Kreativwirtschaft dient der Forcierung dieses Stärkefeldes in der Steiermark.“324 Ziel ist es u.a. den Tourismus anzukurbeln und (indirekt) Arbeitsplätze zu schaffen, um einen Weg aus der Krise zu finden. Diese Intention ist nicht per se schlecht, jedoch geht sie am Interesse der Kunst- und Kulturschaffenden und der AktivistInnen des Lendwirbels vorbei, die eine lustvolle Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Stadtraum initiieren wollen. So wurde nach und nach deutlich, dass der Lendwirbel, der bekanntlich bottom-up aus dem Grätzel her- aus entstanden ist, nichts mit dem top-down Event Designmonat zu tun haben möchte. Spätestens seit den Eröffnungsfesten der beiden Veranstaltungen im Jahr 2011, die am gleichen Tag aber an unterschiedlichen Orten stattfanden, war die Botschaft eindeutig. Man will sich nicht vereinnahmen, in einen Rahmen stecken oder mit offiziellen Titeln

Kapitel 3 Zwischen Selbstbestimmung KapitelSelbstbestimmung VereinnahmungZwischen und 3 begrenzen lassen.325 So bleibt den LendwirblerInnen nur die Wahl der Eigeninitative so- wie das Lukrieren von Geldern, um bei dem Straßenfestival das Spontane und Lustige weiterhin gewähren zu können.

Auf den Punkt gebracht versucht der Lendwirbel vor allem die agierenden Subjekte in den Vordergrund zu stellen und Kunst und Kreativität als Potential und Instrument dafür zu nutzen. Das Organisationsteam spricht sich explizit gegen eine Eventisierung und Kommerzialisierung aus, die Profit und Optimierung und damit marktwirtschaftliches Kalkül in den Vordergrund stellt, wie in der bereits erwähnten offenen Gesprächsrunde

324 Kleine Zeitung, 24.04.2009 325 vgl. Die Presse, 07.05.2011; Prasenc 2013, 39

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deutlich wurde. Die CIS hingegen versucht der Stadt Graz (von der sie ja eingesetzt wird) durch ihre ‚Leitprojekte‘ zum Ruf einer innovativen City zu verhelfen, um die ‚Kreativen‘ anzulocken, deren Unternehmen zu fördern und mit deren Hilfe die Stadt aufzuwerten und attraktiver zu machen. Um nicht vereinnahmt zu werden, hält der Lendwirbel den finanziellen (Förder-)Angeboten seitens der CIS stand, wofür im Gegenzug eine kritische, selbstbestimmte Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum möglich wird, ohne nach Vorgaben und Regeln der ökonomisch orientierten Stadtplanung spielen zu müssen. Dies ist eine weitere Strategie, wie am Lendwirbel die Krux zwischen Selbstbestimmung und Vereinnahmung aufgelöst wird.

Im anschließenden Kapitel 4 Carpe urbem – Nutze die Stadt! liegt der Fokus in der Zu- sammenfassung der Ergebnisse, sowie der Ausschau auf weitere Forschungsfelder und Themen der Stadtforschung für die diese Arbeit eine Basis bilden soll.

Kapitel 3und Zwischen SelbstbestimmungVereinnahmung Kapitel 96

Kapitel 4 CARPE URBEM – NUTZE DIE STADT!

In diesem abschließenden Kapitel werden die Erkenntnisse meiner Forschung zusammen- gefasst und die Antworten auf die Forschungsfrage Auf welche Weise wird am Lend- wirbel die Krux zwischen Selbstbestimmung und Vereinnahmung gelöst? präsen- tiert. Zuerst lasse ich meine Arbeit, meine Gedanken, meinen Forschungsweg und meine Ergebnisse Revue passieren, in dem sie zusammengefasst und zu einem großen Ganzen, wie Mosaiksteine zu einem großen Bild, zusammengebaut werden. Daraus entsteht gleichzeitig eine Basis für neue Gedanken über urbanes Zusammenleben. Jenen Überle- gungen, die zwischen Rückblick und Ausschau mäandern, wird an dieser Stelle Rechnung getragen.

KapitelCarpe urbem 4 Zu Beginn stand die Neugier Ausgangspunkt meiner Forschung war die intensive Beschäftigung mit dem vierten Grazer Gemeindebezirk Lend, den ich als Bewohnerin zu kennen und zu schätzen lernte. Insbesondere das Stadtviertelfest Lendwirbel weckte meine Neugier, da mir zuvor ein

Straßenfestival dieser lustvollen und kreativen Art nicht bekannt war. Bereits im Jahr NutzedieStadt! 2008 fiel mir der Lendwirbel (bzw. dessen Flyer an Laternenmasten am Lendplatz) zum

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ersten Mal auf, 2009 besuchte ich ihn dann und 2010 fasste ich schließlich den Entschluss, ihn zu meinem Forschungsgebiet zu machen. Im Mai 2011 startete ich bereits mit ersten Aufzeichnungen, im Jahr darauf folgten Interviews, die am Lendwirbel 2013 seine Voll- endung fanden. So konnte ich immer tiefer in die Materie vorstoßen und einen intensiven Einblick in die Funktion und Struktur des Festivals bekommen. Die Aktivitäten am Lend- wirbel wurden in Form einer kulturanthropologischen Untersuchung in einen größeren Zusammenhang gebracht, analysiert und weitergedacht.

Ein unvoreingenommener Einstieg ins ausgewählte Forschungsfeld mit einem offenen Blick für Neues und Spannendes bildet die Basis der vorliegenden Abschlussarbeit. Es wurden unterschiedliche Methoden (Methodentriangulation) zur Erhebung von Daten verwendet: die Teilnehmende Beobachtung, die Dichte Beschreibung, Interviews, Vor- träge sowie eine Medienanalyse fungierten als Handwerkszeug für das Vorhaben. Der Entschluss mehrere Verfahren für die Beforschung des Lendwirbels zu verwenden, be- ruht auf der Intention möglichst viele blinde Flecken und Details aufzudecken, die mit einer einseitigen Vorgangsweise unentdeckt bleiben würden. In Kapitel 1.2. Methodi- scher Zugang – Über den Weg meiner Forschung wurden die einzelnen Zugänge genau vorgestellt, da es auf diese Weise möglich wird, meine Gedanken- und Erkenntnisschritte besser nachvollziehen zu können.

Es wirbelt im Lend Ein weiterer Schritt, der den Weg zur Beantwortung der Forschungsfrage ebnet, findet sich in Kapitel 2 Der Lendwirbel. Zu Beginn des Kapitels (in Kapitel 2.1. Auf der rechten Murseite – Über den vierten Grazer Stadtbezirk Lend) wird der Lend in seinem Gewor- densein untersucht, um von vergangenen auf zukünftige Ereignisse zu schließen bzw. um aktuelles Geschehen besser verstehen zu können. Es wurde über die sogenannte Mur- vorstadt berichtet, die es bereits im Mittelalter gab und die bis heute die beiden Bezirke

Lend und (seinen Nachbarn) Gries prägt.

Des Weiteren wurde herausgearbeitet, dass die Mur nicht nur eine topographische Grenze

Nutze die Stadt! die Nutze

– darstellt, die die Stadt in zwei Hälften teilt, sondern auch eine politische und gesellschaft- liche. Ursprünglich war sie ein wichtiger Verkehrs- und Handelsweg, v.a. für Berufsgrup- pen, die das Wasser als Arbeitsmittel brauchen (Fischer, Flößer, Seiler, etc.). Aus diesem Grund lebten bereits im 18. Jahrhundert viele Menschen in der Murvorstadt, da man in

Kapitel 4 urbem Carpe Kapitel 98 diesem Gebiet billig wohnen konnte. Prägend für das Viertel war vor allem der Eisen- bahnanschluss im 19.Jahrhundert, wodurch sich eine Vielzahl an Betrieben im Lend und im Gries ansiedelte. Der Lendplatz wurde zum Dreh- und Angelpunkt für den (Güter-) Verkehr, bevor 1987 der Plabutschtunnel gebaut wurde und mit den Fahrzeugen auch die PendlerInnen verschwanden. Außerdem verlor er die Funktion der Verbindung zwischen Bahnhof und Stadtmitte.

Bis heute ist der Lend ambivalent in seiner Struktur und seiner BewohnerInnen. Einerseits ist er ein Viertel, welches nach Gries den höchsten MigrantInnenanteil von Graz aufweist. Andererseits gibt es eine Vielzahl kreativer Berufsgruppen, die Teil der sogenannten cre- ative class sind. Sie siedelten sich mit ihren Büros und Ateliers vor allem im Gebiet zwi- schen Lendplatz und Südtirolerplatz (welches gleichzeitig das Lendwirbelgebiet ist) an. Dabei gibt es bis heute die Henne-Ei-Debatte um Kunsthaus und Kreativszene. War der Bau des friendly alien zur Kulturhauptstadt 2003 Startschuss für die Etablierung von kre- ativen Entwicklungen im Lend oder machten die kleinen Geschäfte der neuen Stadtbe- wohnerInnen, die es in den 1990ern und somit vor dem Bau schon gab, den Standort erst interessant?

In Kapitel 2.3. Bunte Blockparty – Darüber, wie der Wirbel nach Lend kam wird über die Geschichte des Lendwirbels berichtet: einerseits chronologisch von seinen Anfängen im Jahr 2007 bis zum Lendwirbel 2013 und andererseits als Sammlung von Erzählungen der LendwirblerInnen.

Der Lendwirbel ist die Summe von Aktivitäten unterschiedlicher StadtbewohnerInnen, die jährlich im Mai das Bedürfnis empfinden, sich den öffentlichen Raum anzueignen und ihn als Wohnzimmer zu benutzen. Initiiert wurde das Stadtviertelfest ursprünglich von Gewerbetreibenden der Kreativwirtschaft. ArchitektInnen, DesignerInnen Künstle-

KapitelCarpe urbem 4 rInnen und viele weitere Menschen unterschiedlicher Berufsgruppen haben sich zur Auf- gabe gemacht, möglichst vielen BewohnerInnen des Lend die Chance zur Teilnahme an der Gestaltung des eigenen Lebensraumes zu geben. Durch den Lendwirbel schaffen sie einen räumlichen und zeitlichen Rahmen, in dem Lustvolles und Spontanes im öffentli- chen Raum passieren darf. Dazu wird eine gut vernetzte Community benötigt, welche

durch jenes gemeinsame Tun, das in den eingeführten Netzwerktreffen besprochen und NutzedieStadt! diskutiert wird, immer stärker zusammenwächst und neue Ideen schöpft.

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Es ist der Versuch urbanes (Zusammen-) Leben anders zu denken. Ausschlussmechanis- men sollen aufgebrochen werden, Integration an Stelle von Exklusion treten. Freistehende Räume werden als Gestaltungsfläche wiederverwendet. Dabei ist ein kritischer Blick un- umgänglich, um eine reine Eventisierung des Lendwirbels zu vermeiden. Dagegen spricht sich auch das Kernteam aus. Zusammenfassend geht es darum einen Ort im öffentlichen Stadtraum zu schaffen, in dem kreative Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschafts- politischen Themen möglich und für viele Menschen zugänglich wird.

Was Foucault mit dem Lendwirbel zu tun hat Der öffentliche Raum ist geprägt von Kontroll- und Steuerungsmechanismen. Aus diesem Grund sind auch die AkteurInnen am Lendwirbel angehalten, sich den vorherrschenden Machtverhältnissen unterzuordnen. Das Straßenfest ist allerdings der Versuch, jenen Re- gierungstechniken entgegenzusteuern, sie kritisch zu reflektieren und in andere Bahnen zu lenken. Dies ist das erste Zwischenergebnis der Forschung.

Um die grundlegende Bedeutung der Zusammenhänge von Macht, Regierung, Steuerung und Kontrolle zu erfassen, ist die Beschäftigung mit der Theorie der Gouvernementalität

von Michel FOUCAULT unumgänglich. Er schuf im Studienjahr 1977 / 1978 diesen Neo- logismus aus den Begriffen gouverner – Regieren und mentalité – Denkweise und damit eine Analyseinstrument, um das Regiert werden von Subjekten zu beleuchten. Mit seiner Theorie versuchte er eine Gegenwartsdiagnose der Gesellschaft zu erstellen, die zuse- hends mehr von marktwirtschaftlichem Kalkül durchzogen wird. Jenem Umstand ver- suchte er auf den Grund zu gehen. Aufgrund der immer stärker werdenden Vorherrschaft des Marktes betrifft die Orientierung an der Wirtschaft nicht mehr nur diesen Sektor, sondern die gesamte Gesellschaft und ebenso den sozialen Bereich. Das Zusammenleben sowie zwischenmenschliche Begegnungen funktionieren anhand bestimmter Regierungs- mechanismen, welche ursprünglich aus der Ökonomie kommen, nämlich Angebot und

Nachfrage, Konsum und Produktion, Übermaß und Missbrauch.

Da der Staat eine umfassende Regulierung aller Individuen nicht gewährleisten kann,

Nutze die Stadt! die Nutze

– überträgt er diese Verantwortung jeder und jedem Einzelnen. Dabei werden folgende An- sichten vertreten: Der persönliche Erfolg ist Produkt von Ehrgeiz, Motivation, Flexibili- tät, Dynamik und Selbstoptimierung. Jede Person darf sich ihren Sieg auf die eigenen Fahnen heften. Das Subjekt genießt uneingeschränkte Freiheit und das Ziel wurde ohne

Kapitel 4 urbem Carpe Kapitel 100

Zutun des Staates erreicht. Misserfolg ist allerdings ebenso selbstverschuldet und nicht das Ergebnis struktureller Ungleichheiten oder einer Imbalance im (Gesellschafts-) Sys- tem. Können die neoliberalen Anforderungen aufgrund mangelnder (kultureller, sozialer und ökonomischer) Kapitalien nicht erreicht werden, droht sozialer Ausschluss oder Sanktionen anderer Art. Es ist „[d]ie Rückkehr des autonomen Subjekts als selbstverant- wortlichem Akteur, der als Unternehmer seiner Selbst (Ich-AG) die Schuld an der eigenen

Exklusion trägt“326, schreibt MICHEL. Die marktwirtschaftliche Orientierung, welche in jegliche Lebensbereiche Einzug erhalten hat, hat direkte Auswirkung auf das Subjekt, dessen Anrufung als Unternehmer und der geforderten Denk- und Handlungsweisen, die es zu erfüllen gilt.

Die Regierung suggeriert Freiheit und verstrickt das Subjekt auf diese Weise in Macht- verhältnisse. Es ist angehalten sich selbst, andere sowie seine Umwelt selbst zu regieren, da staatliche Regulierungen sukzessive abgebaut werden. Durch den Mangel an Ressour- cen entsteht ein Wettbewerb zwischen den Individuen, wobei die marktwirtschaftliche Prämisse Der Stärkere gewinnt! hier zum Tragen kommt. In diesem Fall sind es jene Personen, welche ein hohes Maß an Kapitalien aufweisen und somit in der Lage sind die neoliberalen Maximen Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Mobilität, Initiative, Dynamik, Selbstoptimierung und Ressourcenaktivierung zu erfüllen. Das Individuum ist in allen Lebensbereichen in diese Regierungstechniken involviert und angehalten, die Regeln des neoliberalen Spiels einzuhalten.

Insgesamt verbindet FOUCAULTs Theorie der Gouvernementalität das Zusammenspiel von Macht und Subjektivität. Über Kontrolle, Überwachung, einer Ge- und Verbotspoli- tik sowie implementierten Selbststeuerungsmechanismen, wird das Individuum gelenkt und reguliert, da es bei Nichteinhaltung mit Sanktionen zu rechnen hat.

KapitelCarpe urbem 4 Jene Kontrollsysteme funktionieren auch in der Stadt. Die Regierung der Subjekte be- kommt somit eine räumliche Komponente. Wenn bspw. Personen, welche nicht in das Stadtbild passen, mittels Gesetzen daraus entfernt werden (siehe z.B. das Bettelverbot) oder das Sicherheits-, Ordnungs- und Sauberkeitspersonal in der Stadt forciert wird, um dem unangenehmen Gefühl marginalisierten Menschen zu begegnen entgegenzuwirken,

NutzedieStadt!

326 Michel 2005, 18

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dann haben neoliberale Strategien den öffentlichen Raum erreicht. Mit dem neuen Ver- anstaltungsgesetzt von 2012 wurde ein Kontrollorgan geschaffen, welches den Gestal- tungsspielraum im öffentlichen Raum enorm einschränkt. Dagegen wehren sich die Lend- wirblerInnen.

Unser öffentlicher Raum Unter dem Motto „Mein ist dein ist unser öffentlicher Raum!“327 ist von der Grazer cre- ative class eine Bewegung in Gang gesetzt worden, die sich gegen vorherrschende neoli- berale Tendenzen in der Stadtentwicklung wehrt und gegen diese ankämpfen will. Dazu wurden Strategien generiert, um das Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Vereinnahmung zu lösen.

Ursprünglicher Gedanke des Kernteams, einer Gruppe von in Lend wohnenden und ar- beitenden Menschen, war es, den öffentlichen Raum vor ihren Wohnungen und Geschäf- ten zu beleben und kreativ zu nutzen. Er soll zum Wohnzimmer werden, was impliziert, dass der Außenraum zum Innenraum erklärt wird und somit von neoliberalen Einflüssen zu schützen ist.

Die LendwirblerInnen sind darauf bedacht, den Machtverhältnissen im öffentlichen Raum, die über Kontroll- und Verbotspolitik ausgehandelt werden, entgegenzuwirken und nicht davon vereinnahmt zu werden. Möglichst viele BewohnerInnen aus dem Lend sollen ermutigt werden, an der Gestaltung der eigenen Umgebung mitzuwirken, egal wel- chen Alters, welchen Geschlechts, welcher Herkunft, welcher Gesundheit sie sind oder welcher Berufsgruppe oder sozialen Schicht sie angehören. Es wird eine Heterogenität von Menschen und Milieus gefordert (auch wenn diese nicht 100 prozentig geleistet wer- den kann), um einer versuchten Wiederherstellung einer verloren geglaubten homogenen Gesellschaft entgegenzuwirken. Ziel ist der Abbau sozialer Ungleichheit im Stadtraum

bei einer gleichzeitigen Abwehr marktwirtschaftlichen Kalküls, welches jene Gruppen tendenziell ausschließt, die über nicht genug Ressourcen in Form von Kapitalien verfü- gen, um profitabel für die Stadtentwicklung zu sein bzw. der neoliberalen S.O.S-Politik

Nutze die Stadt! die Nutze

– nicht dienlich sind. Am Lendwirbel sind alle eingeladen teilzunehmen und Platz im öf- fentlichen Raum zu bekommen, im wahrsten Sinne des Wortes.

327 Lendwirbel Dokumentation 2012

Kapitel 4 urbem Carpe Kapitel 102

Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es einer starken Community, die gut vernetzt ist und miteinander an einem Strang zieht. Es wurden sogenannte Netzwerktreffen eingeführt mit der Absicht einen Raum zu schaffen, in dem sich die BewohnerInnen kennenlernen und gemeinsam an Ideen und deren Umsetzungsstrategien tüfteln können. Ein Erfahrungsaus- tausch über die Gesetze und Regelungen im öffentlichen Raum findet ebenso Platz. All- gemeiner Grundtenor ist die Ermutigung, trotz schwieriger Gesetzeslagen, wie bspw. dem Veranstaltungsgesetz, den Diskurs um die Benutzung des öffentlichen Raumes aufrecht zu erhalten und nicht aufzugeben. Denn die Grazer Stadtpolitik kann mit dem Lendwirbel nur schwer umgehen, da er nicht vorhersehbar ist oder nach bestimmten Regeln funktio- niert, die dem Schema folgen, was in einer Stadt passieren darf, soll und muss. Er wird daher schwer kontrollier- und regierbar.

Besonders brisant wird die Krux zwischen Selbstbestimmung und Vereinnahmung, wenn es um innere und äußere Steuerungsmechanismen des Regiert-werdens geht. Da der Staat seine Aufgabe als Organ zur Sicherstellung von sozialer Gerechtigkeit zusehends abbaut und in die Hände der Individuen gibt, entsteht eine neue Form der Regulierung, nämlich die Selbstregulierung. Es wird Selbstbestimmung und Freiheit suggeriert, wobei dies un- ter dem Mantel der Gouvernementalität eine Form der Regierbarkeit von Individuen ist. Diese sind nun angehalten anhand marktwirtschaftlicher Maxime von Angebot und Nach- frage ihre Subjektivität zu definieren und ihre Position im (sozialen) Raum zu finden. Das Subjekt soll „verantwortlich-moralisch“ gegenüber den Mitmenschen und zugleich „rati- onal-kalkulierend“328 bei Entscheidungen, die es selbst, andere und die Welt betreffen, handeln. Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Eigendynamik, Mobilität, Selbstoptimierung und Ressourcenaktivierung gehören zu jenen Anforderungen. Aufgrund der Annahme je- der sei seines eigenen Glückes Schmied, entsteht ein Wettbewerb zwischen den Subjek- ten, wodurch die innere wie äußere Sicherheit im Sozialsystem gesteuert wird, ohne Zu- tun des Staates. Die LendwirblerInnen besitzen jene Kompetenzen, da sie vor allem im

KapitelCarpe urbem 4 Bereich der Kreativwirtschaft tätig sind, wo diese notwendig sind. Dadurch unterwerfen sie sich eigentlich dem neoliberalen Kalkül und spielen nach dessen Regeln mit. Hier beginnt das Spannungsfeld zwischen Vereinnahmung und Selbstbestimmung. Durch ihre hohen Kapitalien (vor allem in Form von Bildung) sind sie in der Lage mittels kritischer Reflexion ihre Involviertheit zu erkennen. Sie sind sich ihrer Kompetenzen bewusst, be-

halten diese aber nicht für sich, um möglichst viel Profit daraus schlagen zu können oder NutzedieStadt!

328 Lemke 2000, 12

103

um besonders wettbewerbsfähig zu sein. Die Intention ist es, jene Ressourcen, die die Community besitzt, mit anderen zu teilen, um für viele BewohnerInnen Partizipation an der Gestaltung des eigenen Lebensraumes zu ermöglichen.

Damit die Ressourcen gut zur Verfügung gestellt und mit anderen geteilt werden können, sind die LendwirblerInnen darauf bedacht, ein großes Netzwerk aufzubauen. Es ist ihnen ein soziales Anliegen, Vorbild zu sein für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem öffentlichen Raum. Da dieser als Verbindungsstück zwischen Öffentlichkeit und Pri- vatem fungiert und die Gouvernementalität zu bestimmen versucht „was öffentlich ist und was privat ist, was staatlich ist und was nicht staatlich ist“329, ist die kritische Ausei- nandersetzung über dessen Nutzung ein wichtiges Werkzeug, um nicht von den Kontroll- mechanismen vereinnahmt zu werden. Dieses Tun hat gleichzeitig politischen Charakter, bei der die Diskussion um die Zukunft der Stadt öffentlich geführt wird.

Ein weiteres Spannungsfeld, welches es zu überwinden gilt, ist die Involviertheit der Ini- tiatorInnen des Lendwirbels in die Kreativwirtschaft bei dem gleichzeitigen Versuch sich dagegen zu wehren. Viele der AkteurInnen arbeiten in Berufen, die zur creative class zählen: sie sind DesignerInnen, ArchitektInnen, KünstlerInnen oder in anderen Feldern tätig, die ein gewisses Maß an Kreativität erfordern. Aufgrund der Zuschreibung durch ihre innovativen Tätigkeiten wirtschaftlich besonders profitabel vor allem für die Stan- dortentwicklung zu sein und der dementsprechenden Förderung durch die Politik, wird Kreativität mit marktwirtschaftlichen Strategien gehandelt. Dadurch befindet sich die cre- ative class unter der Herrschaft von Angebot und Nachfrage. Nichtsdestoweniger versu- chen die LendwirblerInnen abermals, aus einem ökonomischen Vorteil, einen Nutzen für viele zu schaffen. Sie sehen Kreativität – im Rahmen des Lendwirbels – als Sprachrohr, um sich mit Themen, die den öffentlichen Raum betreffen, beschäftigen zu können. Im Gegensatz dazu distanzieren sie sich von Initiativen der Kreativwirtschaft, welcher es um

Profit und Wettbewerb geht und nicht um einen kritischen Umgang mit gesellschaftspo- litischen Agenden. Abstand wird auch gegenüber Designevents gewahrt, da diese ledig- lich an der Oberfläche und nicht, wie der Lendwirbel, auf einer „feinstofflichen Ebene 330

Nutze die Stadt! die Nutze

sozialer Beziehungen“ agieren.

329 Foucault 2000, 66 zit.n. Bröckling/Krasmann/Lemke 2000, 27 330 Lendwirbel 2011

Kapitel 4 urbem Carpe Kapitel 104

Der Lendwirbel ist eine soziale Initiative, um möglichst viele Menschen zur Partizipation im gemeinsamen Lebensraum Stadt zu motivieren. Er ist auch eine Protestbewegung ge- gen neoliberale Strategien, die der Vorherrschaft des Marktes unterliegen. Durch die Ak- tivitäten werden Lücken aufgezeigt und die Finger in die Wunde gelegt, um eine gesell- schaftspolitische Diskussion über die Nutzung des öffentlichen Raumes anzuregen. Ziel ist es, eine lebenswerte Stadt von morgen zu gestalten bei gleichzeitiger Abgrenzung zur Verwertung und Ökonomisierung des Raums sowie den kreativen Aktionen, die in ihm stattfinden. Zusammenfassend geht es darum gouvernementale Machtverhältnisse im Stadtraum aufzuzeigen, sich ihnen zu widersetzen, mit Hilfe einer starken Community eine kritische Position in dem Zusammenspiel von Macht, Raum und Subjektivität zu erarbeiten und somit vielen Menschen mit unterschiedlichen Ressourcen und Kapitalien die Möglichkeit zu schaffen an der Gestaltung des eigenen Stadtraumes mitzuwirken. Sie können dadurch in neoliberalen Zeiten handlungsfähig gemacht werden. Die Überschrift Carpe Urbem – Nutze die Stadt! gebe ich den gesellschaftlich wertvollen und durchdach- ten Strategien der LendwirblerInnen, die dadurch die Krux zwischen Selbstbestimmung und Vereinnahmung auflösen.

Ein Blick nach vorne Ziel der vorliegenden Arbeit war es das Stadtviertelfest Lendwirbel als ein (möglicher- weise und wahrscheinlich) vergängliches Moment in der Gegenwart des Stadtviertels zu beschreiben und stadtanthropologisch zu analysieren. Von jener aktuellen Momentauf- nahme ausgehend, kann in Zukunft auf verschiedene urbane Gegebenheiten im Stadtvier- tel Lend geschlossen werden. Es wurden Strategien herausgearbeitet, mit denen sich die LendwirblerInnen gegen neoliberale Verhältnisse und die Vorherrschaft des Marktes im sozialen und urbanen Zusammenleben wehren. Somit wurde zur Theorie der Gouverne- mentalität der Stadt ein empirischer Beitrag geliefert. Jene Diskussion ist als wichtiger

Baustein für die Identität des Stadtviertels sowie der BewohnerInnen zu sehen, da sie in KapitelCarpe urbem 4 ihrem gemeinsamen Tun bestärkt werden. Zudem soll diese Auseinandersetzung dazu ermutigen, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen, lustvoll und kreativ an der Gestal- tung des gemeinsamen Lebensraumes festzuhalten, Ressourcen zu teilen und Integration und soziale Gerechtigkeit einzufordern. Diese Diplomarbeit soll ihren Beitrag dazu ge-

leistet haben. –

NutzedieStadt!

CARPE URBEM – NUTZE DIE STADT!

105

Nutze die Stadt! die Nutze

Kapitel 4 urbem Carpe Kapitel 106

QUELLENNACHWEISE

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Quellennachweise

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Onlinequellen

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Quellennachweise

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Der Standard (www.derStandard.at)

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Quellennachweise 120

Facebook

Annenviertel – http://www.facebook.com/annenviertel

Lendwirbel – http://www.facebook.com/lendwirbel

Lendwirbel Programm & Aktionen – http://www.face- book.com/groups/576986978978637/

Schlagergarten Gloria – http://www.facebook.com/SchlagergartenGloria

Wonderlend – http://www.facebook.com/wonderlend

Twitter

@lendwirbel – http://twitter.com/lendwirbel

Quellennachweise

121

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Logo vom Lendwirbel ...... 45 Abbildung 2 Plan des Lendwirbelgebietes...... 50

Link Abb 1: http://lendwirbel.at/info/

Link Abb 2: http://2012.lendwirbel.at/data/uploads/2013/02/LW_PlanzumEintragen_allg.pdf

Quellennachweise 122

ANHANG

An dieser Stelle befinden sich die transkribierten Interviews von BesucherInnen und Ak- tivistInnen des Lendwirbels, welche im Mai 2012 sowie im Mai 2013 aufgenommen wur- den. Die Gespräche dauerten zwischen 20 und 30 Minuten. Mit den interviewten Perso- nen wurde im Vorfeld telefonisch oder per Email ein Termin für ein persönliches Treffen vereinbart.

Interviewleitfäden

Die Interviewleitfäden dienen lediglich als meine Stütze für die Interviews. Die Fragen wurden nicht immer exakt in dieser Reihenfolge gestellt und oft waren Fragen irrelevant und wurden deswegen nicht gestellt. Meistens wurden sie während des Gespräches ver- tieft und ich fragte genauer nach.

BesucherInnen Eckdaten: Name Alter Geschlecht Ausbildung / Beruf

 Wohnst du in Lend? Wenn ja, wie lange schon? Wenn nein, wo sonst und Warum kommst du ausgerechnet zum Lendwirbel?  Seit wann gehst du zum Lendwirbel? Wie oft warst du schon am Lendwirbel? Gehst du regelmäßig jedes Jahr zum Lendwirbel? Wie hast du vom Lendwirbel erfahren?  Wie würdest du den Lendwirbel (für dich) beschreiben? Wie würdest du den Lend- wirbel für jemanden beschreiben, der ihn nicht kennt?  Warum gehst du zum Lendwirbel? Was sind deine Motive und Intentionen?  Welche Angebote hast du schon besucht bzw. wirst du besuchen? Wieso genau diese?  Findest du, dass sich Lend durch den Lendwirbel verändert hat? Wenn ja, inwiefern?  Kommst du auch außerhalb des Lendwirbels nach Lend? Wenn ja, um was zu tun?  Was hältst du generell vom Lendwirbel und seinen Angeboten?  Was glaubst du sind die Motive für den Lendwirbel und siehst du diese umgesetzt?

Anhang

123

 Welche Personen / Personengruppen glaubst du spricht der Lendwirbel besonders an? Warum?  Wie stehst du generell zu Kunst- und Kulturinitiativen im öffentlichen Raum?  Sonstiges?

AktivistInnen Eckdaten: Name Alter Geschlecht Ausbildung / Beruf

 Woher kennst du den Lendwirbel? Wo und wann hast du davon gehört?  Warum bist du am Lendwirbel aktiv (Motive, Intentionen)? Warum machst du gerade beim Lendwirbel mit?  Wie bist du auf die Idee für dein Projekt gekommen? Wie bist du vorgegangen, um es umzusetzen? Gab es Herausforderungen?  Kommst du auch als BesucherIn zum Lendwirbel? Falls ja, was schaust du dir an?  Wie würdest du den Lendwirbel (für dich) beschreiben? Wie würdest du den Lend- wirbel für jemanden beschreiben, der ihn nicht kennt?  Findest du, dass sich Lend durch den Lendwirbel verändert hat? Wenn ja, inwiefern?  Kommst du auch außerhalb des Lendwirbels nach Lend? Wenn ja, um was zu tun?

Anhang 124

Transkription – Interview mit Naomi (Besucherin, Interview am 15.05.2012)

S: Stefanie, N: Naomi (Synonym) 1 S: Wohnst du in Lend?

2 N: Nein

3 S: Sondern?

4 N: In Gries.

5 S: Und seit wann?

6 N: Seit Jänner. Ende Dezember, Anfang Jänner.

7 S: Du hast mir ja schon im Vorfeld erzählt, dass du schon zweimal am Lendwirbel warst. Heuer 8 zweimal oder voriges Jahr auch schon mal?

9 N: Voriges Jahr und heuer.

10 S: Und wie bist du voriges Jahr dazugekommen, wenn du gar nicht in Graz gewohnt hast?

11 N: Meine beste Freundin ist aus Graz und die hat gesagt, dass es ziemlich interessant sein soll. 12 Und dass es ihr sehr gefällt und die hat mich dann, wo ich ein Wochenende da war, hingeschleppt.

13 S: Und was hat ihr daran gefallen? Oder wo hast du dir dann gedacht, das klingt spannend? Oder 14 hast du ihr einfach blind vertraut? (lacht)

15 N: Zuerst hab ich ihr blind vertraut (lacht). Ahm, na… ich habe es interessant gefunden, weil es 16 verschiedene Sachen sind von jung bis alt und du wirklich alles findest und die Leute wirklich zu 17 einem Fleck gehen, weil sie alle das gleiche interessiert. Und weil es irgendwie wie ein großes 18 Stadtfest irgendwie war. Vor allem wenn du aus Kärnten kommst (lacht). War das schon sehr 19 spannend.

20 S: Ok ,das heißt du würdest das als Stadtfest bezeichnen?

21 N: Ja, naja, ja schon, schon irgendwie ein bisschen. Ein kulturelles Zusammenkommen.

22 S: Und du bist da dann einfach mitgegangen mit deiner Freundin?

23 N: Genau.

24 S: Und kannst du dich noch erinnern, wo du warst?

25 N: Ahm, wir sind eigentlich einmal alles so vom Mariahilferplatz weg zum Lendplatz durchge- 26 gangen und sind dann beim Brot & Spiele hängengeblieben.

27 S: Und heuer?

28 N: Heuer bin ich erst am Abend hin mit einer Freundin aus Kärnten, die auch noch nie dort war. 29 Und da sind wir zuerst am Abend auch am Mariahilferplatz durchgegangen und haben uns dann

Anhang

125

30 alle in der Scherbe getroffen. Da bin ich eigentlich fast nur durchgegangen. Wir waren dann am 31 Wochenende noch einmal.

32 S: Und was hast du dir am Wochenende angeschaut?

33 N: Wir waren beim „Bike-Polo“ am Lendplatz.

34 S: Hast du selbst auch mitgemacht?

35 N: Ahm, nein, ein Freund ist gefahren und deswegen haben wir uns… das war relativ gemütlich 36 mit den Tischen… da sind wir darauf gesessen und haben uns das angeschaut.

37 S: Also da bist du gezielt hingegangen?

38 N: Ja genau.

39 S: … und bei den anderen nur durch. Hast du was bestimmte gesehen oder ist dir was Bestimmtes 40 aufgefallen?

41 N: Ja, dieser Brotturm. Mir ist auch aufgefallen… Wo die Kids so gesprayt haben… so auf die 42 großen… wie heißt das schnell… Plakate.

43 S: Wo war das?

44 N: Ich glaube am Lendplatz, nach dem Brot & Spiele beim Hotel dort… dort haben sie gesprayt 45 und das war eigentlich ziemlich interessant.

46 S: Ich weiß gerade gar nicht wo…

47 N: Ich kann es dir schlecht erklären. Wenn du vom Mariahilferplatz in Richtung Brot & Spiele 48 gehst, dann ist die Abzweigung und genau dort, auf dieser Insel.

49 S: Achso, ja das klingt spannend.

50 N: Und die Mülltonnen sind mir auch sehr aufgefallen, sehr kreativ… Die kreativ ausgestatten 51 waren mit Slogans wie „Schmeiß dich weg!“ oder „Gib’s mir!“. Und hinter dem Kunsthaus, da 52 hat eine Band gespielt. Und… ja.

53 S: Mhm.

54 N: Ja und so Familien sind mir häufig auch aufgefallen. Mit Kindern. Aber wirklich noch um 8 55 am Abend.

56 S: War das am Wochenende?

57 N: Nein das war unter der Woche, wo ich am Abend hin bin. Am Wochenende war es am Samstag, 58 da hat es aber leider geregnet. Da sind wir noch zur Griesgasse, da hat ein Freund gespielt mit 59 Band, aber da hat es leider geregnet und dann war die Polizei, wegen dem Hotel und es ist dann 60 abgesagt worden.

61 S: Ah ok, das ist schade. Normalerweise muss man das eh anmelden, dass da…

62 N: Haben sie ja. Aber die Hotelgäste haben sich beschwert, weil es direkt vor dem Hotel war und 63 es war halt zu laut.

Anhang 126

64 S: Das heißt du bist bis nach Gries gekommen, weil eigentlich hat sich das ja alles erst ausgedehnt, 65 der Lendwirbel. Mittlerweile ist der in Gries auch.

66 N: Ja also Gries und Lend.

67 S: Warst du in Gries auch, da war ich nämlich nicht?

68 N: Ich war nur bei dem Konzert. Also ich war wirklich gerade nur dort. Aber da sind wir nicht 69 viel weiter gekommen. Wir wollten einfach heim weil es war kalt und es hat geregnet.

70 S: Mhm, mhm. Und war in der Scherbe etwas Spezielles oder weil halt die Scherbe in Lend ist?

71 N: Einfach nur weil sie dort ist. Also mir wäre nichts Besonderes aufgefallen. Vielleicht weil es 72 kalt war. Da ist es nur um Essen und Trinken gegangen (lacht).

73 S: Recht habt ihr (lacht). Und wie hast du heuer vom Lendwirbel erfahren?

74 N: Ahm, zuerst wieder über meine beste Freundin. Dann auch über Facebook. Dann auch mit 75 Arbeitskolleginnen darüber geredet.

76 S: Verstehe. Sind die auch hingegangen?

77 N: Ja, haben sie zumindest gesagt.

78 S: Sind die aus Lend? Bzw. weißt du ob die von wo anders her sind?

79 N: Nein, von der ich es weiß, dass sie hingegangen ist, ist aus .

80 S: Ok, also von weiter her.

81 N: Ja. Aber die hat gesagt, dass sie hingegangen ist.

82 S: Spannend. Was fällt dir noch ein zum Lendwirbel?

83 N: Voriges Jahr… Dort wo jetzt der Brotturm steht…

84 S: … Am Mariahilferplatz…

85 N: … Ja genau, dort hat voriges Jahr auch eine Band gespielt. Und beim Brot & Spiele konnten 86 Kinder töpfern. Deswegen habe ich gemeint, von jung bis alt, weil echt für alle etwas dabei ist. 87 Was mir auch so gefallen hat bei dem Konzert, wo der Tim gespielt hat, bei der Griesgasse, dass 88 da wirklich teilweise auch, ich sage das jetzt unter Anführungszeichen, „alte Leute“ dabei waren, 89 denen das gefallen hat. Das find ich wieder cool. Nicht nur für die Jungen etwas dabei, sondern 90 auch, dass die ältere Generation quasi sieht, was die Jugendlichen machen und dass das nicht 91 immer schlecht ist. Dass einfach das Klischee wegkommt. Dass man einfach sieht, am Nachmit- 92 tag… die machen Musik. Die anderen, die anderen spielen irgendetwas, wie zB Bike-Polo.

93 S: Ja, ja. Also so wirklich ein Nachbarschafts-Zusammenkommen. Aber auch egal ob man aus 94 der Nachbarschaft ist oder nicht, alle machen mit.

95 N: Ja genau, so Peace and Freedom (lacht).

96 S: Wie glaubst du ist der Lendwirbel organisiert?

97 N: Wie meinst du das jetzt? Gut oder schlecht…?

Anhang

127

98 S: Nein, sondern welche Leute das machen? Hast du eine Vorstellung, welche Leute so etwas 99 organisieren könnten? Hast du irgendwelche Bilder im Kopf?

100 N: Also sicher einmal die Leute, die mitwirken, die etwas machen wollen, und wahrscheinlich 101 die Stadt Graz und irgendwelche Vereine, so Jugendvereine oder so. Keine Ahnung. Makava und 102 andere Sponsoren, denke ich.

103 S: Mhm.

104 N: Aber auch Leute von Graz-City of Design, oder aus dem Kunst und kulturellen Bereich. Es 105 soll ja Gries und Lend... Lend ist ja… vor allem Lend, das hab ich gehört, dieser Kunst-Platz. 106 Und Gries soll ja angeblich auch schon mehr dazu werden und nicht nur Gangster-Umgebung. 107 Von Ghetto-City zu Kulturcity.

108 S: Mhm. Spannend.

109 N: Ich find das generell ziemlich cool. Weil so etwas, wie den Lendwirbel gibt es… ich sage jetzt 110 einmal… in Kärnten überhaupt nicht. Und das finde ich ziemlich cool, weil jeder zeigen kann, 111 was ihm Spaß macht und einfach für jeden etwas dabei ist. Und selbst wenn nichts dabei ist für 112 jemanden, dann hat man es wenigstens einmal gesehen. Die Leute können sich selber und die 113 anderen vielleicht mitreißen zu etwas, dass man sagt, ‚Ok, das habe ich jetzt gesehen, sei es zB 114 das Bike-Polo, da habe ich mitgemacht, das gefällt mir jetzt voll, jetzt habe ich ein Hobby‘, oder 115 so. Für die Kiddies ist das wie so ein Wiesenmarkt oder so, wo sie töpfern können und Zucker- 116 watte machen. Das ist ja auch gemütlich miteinander beisammen zu sitzen und nebenbei spielt 117 eine Band oder irgendwas anderes. So ein schöner Wochenendausflug, auch für Familien. Am 118 Muttertag (lacht).

119 S: (lacht) Das stimmt. Könntest du dir so ein Festival in Kärnten vorstellen? Und wo würde so 120 ein Fest, wie der Lendwirbel es ist, funktionieren?

121 N: Ahm, ich meine, es gibt so etwas Ähnliches. Es gibt ein Stadtfest in Villach oder eben den 122 Kirchtag, der ist glaube ich ziemlich bekannt. Aber ich glaube funktionieren, würde so etwas am 123 ehesten in St.Veit, weil da ist schon der Wiesenmarkt, eh auch was Bekanntes. Aber zB in Feld- 124 kirchen, wo ich herkomme, würde das nicht funktionieren, weil die Jugendlichen einfach randa- 125 lieren würden und das nicht… die sind... ich glaube, die haben so eine Engstirningkeit. Die inte- 126 ressiert das gar nicht, dass sie irgendwie... Das merke ich, wenn ich hier herkomme. Du kannst 127 irgendwie kulturell oder künstlerisch oder irgendetwas, was anders (

132 S: Wie ist das Stadtfest organisiert? Ist das auch so mit Kunst und Kultur? Was glaubst du sind 133 die Intentionen von dem Stadtfest oder vom Wiesenfest? Geht es da auch um Nachbarschaft?

134 N: Es geht darum, die Wirtschaft anzukurbeln. Es ist total anders, als der Lendwirbel.

135 S: Nicht so Interventionen im öffentlichen Raum, wie hier in Lend…

136 N: Na, naja… Es ist schon so… Es ist halt einfach da. Aber es ist nicht so, dass man sagen 137 könnte… Dieses Jahr haben wir etwas Spezielles, wo wir uns etwas ausgedacht haben. Es sind 138 diese Kärntner Dirndl-Modeschauen und dann gibt es diese, unter Anführungszeichen „Kärntner-

Anhang 128

139 Bua und Kärntner-Dirndl“… das habe ich voriges Jahr selbst das erste Mal gesehen… so ein 140 Wettbewerb, wo sie Gags auf der Bühne machen und als echter Kärntner Schuhplattln und so 141 Blödsinn, wo sie sich beweisen müssen. Es ist halt… Es ist schon… wie soll ich sagen… unter- 142 haltsam. Aber es geht nicht… Mir kommt vor bei Lend geht es ja auch darum, dass es den Leuten 143 auch Spaß macht, dass es für die Leute immer wieder etwas Neues ist und interessant. Das Stadt- 144 fest und der Wiesenmarkt sind einfach immer gleich. Es ist einfach so ein traditionelles Fest, wo 145 man immer dabei ist.

146 S: Ok, ok. Inwiefern ist Unterhaltung am Lend?

147 N: Wenn man sich zB ein Konzert anschaut… Aber du verstehst trotzdem dein Gegenüber noch, 148 es ist nicht zu laut. Du schnappst dir ein Getränk und stehst einfach da und schaust zu und hast 149 etwas davon. Es ist nicht so, dass du einfach dastehst und es ist der volle Lärm und gehst dann 150 weiter, sondern es ist so fließend einfach.

151 S: Mhm, einfach nett. Ein bisschen schlendern. Hat das einen Grund, dass du vom Mariahilfer- 152 platz zum Lendplatz gehst und nicht umgekehrt? Weil du da mit dem Bus aussteigst?

153 N: Das war zufällig. Ich wollte einfach durchgehen und mir das ganze Spektakel anschauen. Ich 154 bin bei der Haltestelle Südtirolerplatz ausgestiegen und habe mich mit einer Freundin getroffen 155 bei der Scherbe und habe mir gedacht, ich gehe einfach durch.

156 S: Mhm. Es gibt ja auch Leute, die schauen sich den Programmplan genau an und gehen dann 157 gezielt durch. Deswegen meine Frage, ob du einen Plan hattest.

158 N: Ach so nein, ich habe gewusst, von vorigem Jahr, dass es etwas gibt. Und ich habe halt… 159 nachdem da extrem viele Leute hineingegangen sind, einfach der Masse gefolgt und mir gedacht, 160 es wird schon etwas sein. Irgendetwas muss da sein.

161 S: Mhm, ok. Und noch etwas zur räumlichen Vorstellung. Wo würdest du sagen hört der Lend- 162 wirbel auf? Wir haben ja schon gesagt, er geht bis nach Gries eigentlich, aber gefühlt geht er zB 163 für mich nur bis zum Kunsthaus.

164 N: Ja stimmt, für mich auch. Ich habe gar nicht gewusst, dass Gries auch dazu gehört. Für mich 165 geht er vom Kunsthaus bis zum Lendplatz. Das war so meine Vorstellung.

166 S: Und von Ost nach West?

167 N: Ich hab gedacht, es geht einfach nur so die Straße durch. Also Mariahilferplatz bis Lendplatz 168 und dann halt so, vielleicht noch bei den Seitengassen ein bisschen etwas aber ich glaube, das ist 169 so die Main Street.

170 S: Ja genau. Und im Volksgarten ist es auch.

171 N: Ja und am Murgeländer habe ich auch so ein… da war dieses komische Schild: „Ohne Moos 172 nix los“ und das habe ich wirklich lässig gefunden. Da hab ich mir gedacht, das ist typisch Graz. 173 Das war ganz typisch. So etwas könnte man sich in Kärnten nicht vorstellen.

174 S: Was ist für dich ‚typisch Graz‘? Wieso genau ist das typisch Graz?

175 N: Typisch Graz ist für mich alles, was ein bisschen aus dem normalen Modus herausgeht, also 176 ein bisschen… ahm… ausgefallen ist, aber im positiven Sinne. Also, was man normal nicht ma- 177 chen hätte können, aber nicht normal gemacht hat. Das würde ich sagen… So wie, wenn man sich

Anhang

129

178 die Murinsel, das Murcafé anschaut… Das hätten sie ganz anders bauen können. Im Gegensatz 179 dazu dann die Schloßbergbahn, was für mich so die Geschichte von Graz ist. Für mich ist typisch 180 Graz, so Sachen, die einfach ein bisschen ausgefallen sind, wo man merkt, da haben sich Leute 181 etwas dabei gedacht, nicht ‚Das ist jetzt einfach da, weil es halt so ist, weil es schon immer Tra- 182 dition war‘.

183 S: Würdest du den Lendwirbel als ‚typisch Graz‘ bezeichnen? So in seiner Gesamtheit? Oder 184 nicht?

185 N: Ob er ‚typisch Graz ist? Doch, schon. Würde ich schon sagen, weil es ist irgendwie… es fördert 186 die Leute ja auch, würde ich sagen. Es ist schon… Es ist für mich… Das finde ich beim Lendwir- 187 bel schon sehr angenehm, dass einfach keine… ich meine es sind sicher auch irgendwo einmal 188 Raufereien… sicher, aber man bekommt es nicht mit. Im Prinzip ist es wirklich wie so ein Hip- 189 piefest, alle miteinander sind glücklich und das aus dem gleichen Grund (lacht).

190 S: (lacht) Mhm. So würde ich es auch empfinden. ‚Wir sind alle aus dem gleichen Holz geschnitzt, 191 wir beleben die Stadt gemeinsam‘.

192 N: Ja, ja genau so. Und ich glaube, dass es vielleicht so ist… ‚Wir zeigen, wie es sein könnte‘… 193 und auf ihre Art und Weise auch dann umsetzen, um aus der Masse herauszustechen. Weißt du 194 was ich mein? Jeder kennt das Kunsthaus. Wenn du an Wien denkst, fällt mir ein, der Tiergarten 195 und das MQ. Und vielleicht der Stephansdom, so etwas, der Prater. Graz hat zB das Kunsthaus, 196 den Schloßberg, oder das Einkaufszentrum Seiersberg.

197 S: Ja. Ja. Es muss nicht alles von der Stadt kommen, vom Stadtmanagement.

198 N: Ja, man kann mehr daraus machen. Dass man es den Leuten zeigt und dass es wie so ein… 199 wie ‚Ok, das dürfte den Leuten gefallen haben, wie könnte man das in den Alltag einbauen, dass 200 es den Leuten auch gefällt‘. Also nicht, wir bauen da wieder irgendetwas her, wo man sich denkt 201 ‚Super, neuer Bahnhof, muss das sein?‘.

202 S: Ich sage danke für das Gespräch.

Anhang 130

Transkription – Interview mit Luisa (Besucherin, Interview am 17.05.2012)

S: Stefanie, L: Luisa (Synonym) 1 S: Was hast du dir heuer am Lendwirbel angeschaut?

2 L: Der Volksgarten ist gleich gegenüber von mir. Ein paar Sachen habe ich mir schon angeschaut, 3 ja. Ein Konzert, das haben sie da vorne gespielt, gleich da hinter dem Kunsthaus, mit den Xylo- 4 phonen, mit den ganz großen.

5 S: La Marimba Graziosa!

6 L: Ich weiß leider nicht, wie sie heißen.

7 S: Ja, ja, eine Freundin von mir macht das.

8 L: Es war so cool, es war so lustig. Also ich habe mir… Also ich habe einfach so gern reinge- 9 schaut, also, dass ich einfach so ins Viertel gegangen bin und geschaut habe, was gibt es gerade 10 so, gö. Ich habe eigentlich wenig geplante Sachen angeschaut. Dann das Fahrrad-Polo, das habe 11 ich eh schon gekannt, da haben wir auch zugeschaut.

12 S: Hast du selbst gespielt auch?

13 L: Nein, habe ich nicht (lacht).

14 S: Darf man da nicht selbst spielen?

15 L: Ich glaube nicht. Obwohl, schon, sie hätten dich sicher gelassen, wenn man mitmachen will. 16 Oder noch so ein anderes Fahrrad-Dings, diese Schleife, ich weiß nicht, ob du das gesehen hast…

17 S: Ja, im Internet habe ich es gesehen.

18 L: Ich weiß gar nicht, wie das heißt, aber da kann man auch mit dem Fahrrad fahren. Ich habe 19 einen Rock angehabt, deswegen war das nicht so… (lacht). Vor allem habe ich Angst gehabt, dass 20 es mich runter haut. Und dann hat das gleich einmal ein 9-Jähriger probiert (lacht). Da habe ich 21 mir dann gedacht: ‚Luisa331, das hättest du auch geschafft‘.

22 S: Warst du schon öfter am Lendwirbel?

23 L: Letztes Jahr war ich zum ersten Mal. Also ich wohne im Lend seit Oktober 2010 und da habe 24 ich eben im Frühjahr 2011 den Lendwirbel überhaupt erst mitbekommen. Ich habe vorher davon 25 gar nichts gewusst. Also eh letztes Jahr war es das erste Mal wo ich erst gecheckt habe, dass es 26 ihn gibt.

27 S: Wo hast du vorher gewohnt?

28 L: Geidorf. Und vorher auch einmal.

29 S: Mhm.

331

Name wurde geändert. Anhang

131

30 L: Genau und ich habe mich dann dafür zu interessieren begonnen, weil es ja direkt vor meiner 31 Haustüre ist. Also recht praktisch. Und letztes Jahr habe ich mir eben auch… eben auch nur so 32 Sachen angeschaut, die halt dort stattgefunden haben. So planlos durch die Stadt gegangen und 33 habe geschaut, was passiert.

34 S: Wie lange gehst du immer am Lendwirbel? Gehst du da öfter oder gehst du da einmal oder 35 einmal am Nachmittag oder…?

36 L: Es kommt immer darauf an, wie ich Zeit habe. Ich habe mir schon das Programm vorher immer 37 angeschaut und geschaut ‚Ok, was gibt es heute? Wann ist das?‘ Oder wenn ich gerade spontan 38 Lust gehabt habe oder wenn ich mit einem Freund der das machen wollte… ok schauen wir zum 39 Lendwirbel, interessiert uns das, wo ist das.

40 S: Mhm.

41 L: Aber zu den meisten Sachen bin ich eigentlich nur vorbeigekommen. Also ich bin durchge- 42 gangen und dann extra noch den Weg gegangen und dann halt geschaut, was da ist.

43 S: Also schon extra den Weg dorthin am Lendwirbel?

44 L: Ja schon, schon.

45 S: Und von wo bis wo?

46 L: Angefangen eben beim Kunsthaus, dann Mariahilferstraße rauf, durchgehend zum Lendplatz 47 und dann nach Hause. Und gerade da beim Volksgarten, das habe ich eh mitbekommen, dass da 48 ein Konzert ist… am Samstag oder am Sonntag war es…

49 S: Schlagergarten Gloria?

50 L: Weiß ich gerade nicht? (lacht) Ich weiß nicht immer, wie das ganze heißt. Also da bin ich eben 51 noch durchgegangen, weil da bin ich gerade von einer Schulung gekommen und ja… da bin ich 52 noch einmal durchgegangen und hab geschaut, ob ich jemanden kenne und habe dann aber nie- 53 manden gekannt und habe mich dann zu Hause hingesetzt und habe mir etwas zu Essen gemacht 54 und auf die Fensterbank gesetzt und dann das ganze halt gehört.

55 S: Apropos Volksgarten. Weißt du zufällig, welche Leute ‚normalerweise‘ im Volksgarten sind, 56 wenn nicht Lendwirbel ist? Und… waren die… bzw. hast du beobachtet, ob die jetzt auch dort 57 waren, oder nicht?

58 L: Ja, das ist lustig, dass du das fragst, weil das ist mir aufgefallen, eben wie ich da durchgegangen 59 bin. Ich meine… Wer ist meistens dort? Da sind sehr viele Asylanten dort, ich habe schon mit 60 einigen von denen gesprochen, also das heißt ich weiß auch, dass es Asylanten sind, das ist jetzt 61 keine Interpretation. Es sind sehr viele Migranten, es sind sehr viele Ältere, es sind sehr viele 62 Jugendlich auch da, so jugendliche Banden, dann… es gibt eine Seite, wo ein Kinderspielplatz 63 ist. Da sind halt dann Frauen mit ihren Kindern. Ich habe diese Leute schon gesehen, aber ich 64 habe sie nicht im Geschehen drinnen gesehen, sondern die sind weiter weggesessen eher, also die 65 eher sind am Anfang dort gesessen, wo der Ententeich ist, wo sie ja immer sind, da sind immer 66 die meisten Leute und die sind auch nicht so nahe hingegangen. Also ich hätte nicht beobachtet, 67 dass sie sich vermischen würden. Eher das Gegenteil, dass sie sich eher so segregieren.

68 S: Ja, ja, genau die gleiche Beobachtung habe ich auch gemacht und ich habe mir gedacht ich 69 frage dich, weil ich nicht genau gewusst habe… eh wie du gesagt hast… wenn die immer beim

Anhang 132

70 Ententeich sitzen, dann sind sie halt dort immer, dann ist das ihr Platz, dann wäre das nichts 71 Außergewöhnliche, dass sie gerade dann, wenn der Schlagergarten ist… sich nur dann dort am 72 Ententeich befinden. Aber wenn du, das auch so siehst, dass sie sich nicht vermischt haben.

73 L: Ja.

74 S: Es war total spannend zum Zuschauen. Auch die Leute, die quasi als Gäste dort waren… Ich 75 finde, die haben sich ganz anders verhalten. Also, wie gesagt, ich wohne nicht am Volksgarten 76 und ich bin auch da noch nie wirklich durchgegangen, aber die, die halt dort als Gäste waren, die 77 haben sich auf den Boden gesetzt und habe irgendetwas mitgehabt, zum Trinken, Bier oder sonst 78 irgendetwas. Die anderen sind irgendwie so abseits auf den Bänken gesessen und haben sich das 79 von weiter draußen angeschaut.

80 L: Mhm. Das am Boden Sitzen zB ist auch eine Sache, was die normalen Besucher des Volksgar- 81 tens eher nicht machen. Also sie setzen sich hauptsächlich auf die Bänke. Obwohl… ich denke, 82 das machen dann gerne vor allem Studenten österreichischer Herkunft, dass sie sich dann eben 83 hinsetzen. Ich habe sogar einmal beobachten, wo ein Pärchen war, das in Bademode war. Also 84 sie hat einen Bikini angehabt und er ein… weiß ich nicht… Badeshort, was halt auch ein absolutes 85 No-Go im Volksgarten ist. Wenn ich damit einem Träger-Leiberl durchgehe, werde ich schon 86 schief angeschaut. (lacht). Man merkt schon… also eine gewisse Kultur drinnen, die also… be- 87 stimmter wird von… von Nicht-Österreichern.

88 S: Und die Frauen auf der linken Seite, beim Spielplatz? Sind die dort immer? Oder glaubst du, 89 nur wegen dem Schlagergarten Gloria?

90 L: Ach so, nein, die sind immer dort. Die gehen dann mit ihren Kindern dort zum Spielplatz. Da 91 sind immer recht viele, normal, wenn schönes Wetter ist.

92 S: Ok, ok. Wie würdest du generell die Leute einschätzen, die am Lendwirbel gehen, also die 93 Besucher?

94 L: Ich würde sagen eher offene Leute, ich glaube sehr viele Studenten sind auch dort, Kulturinte- 95 ressierte, einfach auch Leute, die sich so etwas gerne einmal anschauen. Ich glaube Experimen- 96 tierfreudige auch, die… (längere Pause) ‚alternativ‘… das Wort ist so blöd… Aber ich glaube 97 schon… (lacht)

98 S: Aber man kann es ja aufschlüsseln. Wie würdest du offen und alternativ definieren?

99 L: Ok, offen und alternativ… Alternativ, Leute, die nicht der Norm entsprechen wollen und die 100 sich selbst gesetzt haben. Die sich einfach für so etwas interessieren… offen… also, die sich gerne 101 so etwas anschauen, die auch… Ich meine, ich würde mich selbst auch als offen bezeichnen, 102 einfach nur zum Hingehen, zu schauen, was passiert da, was ist da überhaupt, wer macht denn da 103 was. Wenn ich etwas gesehen habe, habe ich mich auch dazugesetzt und war begeistert von der 104 Sache, was denn da ist.

105 S: Ja. Wie hast du vom Lendwirbel erfahren voriges Jahr?

106 L: Man erfährt es, wenn man hier wohnt. Also ich glaube Plakate waren dort und Leute reden 107 auch und also… mit denen ich gesprochen habe… Freunde von mir. Vor allem, wie ich in Geidorf 108 war, habe ich es vermutlich schon gewusst, dass es existiert, aber dadurch, dass es nicht so nahe 109 bei mir war, gö, hat es mich nicht so angezogen.

Anhang

133

110 S: Mhm, also die Nähe ist wichtig.

111 L: Also, ja schon, bei mir ganz stark.

112 S: Ich habe mir auch die Frage gestellt, wie erfährt man so etwas, dass der Lendwirbel ist…

113 L: Also bei mir ist es so, wenn ich auf die Uni fahre, fahre ich direkt am Mariahilferplatz vorbei 114 und da habe ich schon gesehen, wie sie das große Brotgebilde aufgebaut haben. Und dann fragt 115 man sich auch, gö, und es waren halt immer wieder Aktionen dort, ich meine, ich bleibe dann dort 116 stehen und frage dann, oder so, weil ich es spannend finde.

117 S: Echt?

118 L: Ja schon, ich frage einfach nach. So nach dem Motto ‚Entschuldigung, was machen Sie da?‘ 119 (lacht)

120 S: Und was sagst du zu der… weil sie haben heuer einmal Kritik bekommen, weil heuer ist es das 121 fünfte Jahr Lendwirbel und bis voriges Jahr war immer alles super und toll und heuer haben sie 122 das erste Jahr Kritik bekommen, dass es nur für eine, ahm, gewisse Gruppe von Leuten ist und 123 nicht für Alle, wie sie es sich auf die Fahnen schreiben und dass es zu programmatisch ist und zu 124 organisiert und dass sie mittlerweile… dass es mittlerweile in Richtung Kulturwirtschaft geht und 125 nicht in Richtung Kulturevent, im Sinne von ‚Alles ist erlaubt‘, also schon aber trotzdem irgend- 126 wie sehr organisiert und weil sie auch Geld von der Stadt bekommen haben, ziemlich viel. Glaubst 127 du das auch, dass das… wie gesagt, sie schreiben sich auf die Fahnen, dass es ein Fest für Alle 128 ist.

129 L: Naja, wer hat sich denn ausgegrenzt gefühlt? Von welcher Seite ist die Kritik gekommen?

130 S: Weiß ich nicht, keine Ahnung. Es ist nur generell die Kritik gekommen.

131 L: Hmm, ich glaube… Als Familie zum Beispiel, wenn du jetzt Kinder hast, also hätte ich nichts 132 gefunden, was du beim Lendwirbel zB machen kannst. Dann auch was multikulturell war… also 133 jetzt nichts Spezielles von einer anderen Kultur angeboten und auch nicht für eine spezielle andere 134 Kultur, unter Anführungszeichen, dass ich jetzt sage,… Doch! Das Kochen. Da war doch das… 135 das Eck des…

136 S: Herrgottswinkel

137 L: Danke, ja genau. Da haben sie ja auch das verschiedene… Kochen angeboten. Ich weiß auch 138 jetzt nicht, wie es angenommen wurde, ich wollte das eigentlich auch machen, aber es war dann 139 immer von der Zeit so blöd. Also da habe ich mir eigentlich schon… Hmm, wer noch… wer 140 könnte sich ausgegrenzt fühlen? (längere Pause) Ich glaube es ist halt einfach so, wie man sich… 141 zu solchen Sachen muss man sich halt auch selbst motivieren, gö. Ich meine, du kannst nicht 142 hingehen und von Tür zu Tür klopfen und die Leute auf die Straßen reißen (lacht). Und auch… 143 wie man zuerst schon gesagt haben… tun sich Leute auch einfach selbst segregieren. Also selbst 144 auf die Seite schieben. Zum Beispiel, dass sich die… die… die üblichen Besucher des Volksgar- 145 tens nicht einfach dazugesetzt haben oder nicht näher gekommen sind. Sondern sie sind dort ge- 146 blieben, wo sie immer sind.

147 S: Mhm. Ich meine, auf der anderen Seite, haben sich auch ganz viele Leute den Platz genommen, 148 obwohl sie normalerweise nicht dort sind. Ich weiß auch nicht, wenn ich dort im Volksgarten

Anhang 134

149 immer bin, auf einmal kommt so ein Schwall von Leuten, die sich hier betrinken und Schlager 150 hören, würde ich mir auch denken, ‚Was ist los mit euch?!‘ (lacht) (längere Pause) Oder?

151 L: Hmm, ja, vor allem wenn man nichts davon weiß. Ah! Vielleicht sollte man die Werbung 152 anders gestalten, in anderen Sprachen. Vielleicht effektiver bewerben. Also, wenn man diese 153 Leute auch erreichen möchte.

154 S: Ja, ja stimmt.

155 L: Also ich wüsste nicht, dass das passiert wäre. Wir haben nur einen Zettel bekommen auf 156 Deutsch, wo wir informiert worden sind, dass eben in der Umgebung Lendwirbel passieren wird 157 und dass sie eben probieren, alle Nachbarn zu integrieren und auch um Verständnis gebeten ha- 158 ben, glaube ich mich zu erinnern.

159 S: Von wem ist das gekommen?

160 L: Den Organisatoren, unter Anführungszeichen. Den haben wir in der Post gehabt.

161 S: Aha. Spannend.

162 L: Und wir sind auch zur aktiven Teilnahme aufgerufen worden, weil am Samstag, glaub ich hat 163 es ja dieses Frühstück gegeben, ein Frühstücksbuffett glaub ich. Wo ich… ach es ist so schade, 164 dass ich da nicht da war…

165 S: Ich auch nicht, leider.

166 L: … und da haben sie eben gemeint… oder halt darauf geschrieben, dass wir herzlich willkom- 167 men sind, eben zur aktiven Teilnahme.

168 S: Und wie weit haben sie das ausgeteilt? Weil ich an der Keplerbrücke, ich habe es nicht bekom- 169 men.

170 L: Nein, das weiß ich nicht.

171 S: Ah du weißt das auch nicht. Ich habe mir gedacht, vielleicht wohnt jemand in der Nähe, der 172 das auch bekommen hat. Das ist spannend. So richtig aktiv. Genau eben da in der Volksgarten- 173 nähe, wo viele Migranten sind. Aber es hat nur vielleicht etwas damit zu tun, vielleicht auch nicht.

174 L: Aber eben auf Deutsch. Wo halt die Frage ist… (längere Pause) Ich meine die andere Kritik 175 betrifft ja Lend allgemein. Also eben, was die Wohnungen angeht,…

176 S: Mhm.

177 L: Und welche Kritik hat es noch gegeben? Aja, das mit der Kreativwirtschaft.

178 S: Genau.

179 L: Aber sie haben ja kein Geld verlangt für die Sachen an sich.

180 S: Nein eh nicht, aber sie haben halt total viel Geld bekommen. Vorher war es ehrenamtlich und 181 jetzt haben sie auf einmal das ganze Geld bekommen. Und eben, dass sie… Du weißt eh, wenn 182 man von irgendwo Geld herbekommt, dann muss man auch etwas liefern, damit das Geld wieder 183 kommt. Und das ist eben dieser… dieser Knackpunkt eben. Wie stehst du generell zu Kunst und 184 Kultur im öffentlichen Raum?

Anhang

135

185 L: Oft verstehe ich es nicht. Ich habe einfach ein Problem mit der modernen Kunst (lacht). Wenn 186 ich Sachen sehe und dann mir denke, Ach es ist moderne Kunst. Ahm, finde ich gut, manchmal 187 finde ich bräuchte es fast eine Erklärung, dass es auch jemand versteht, der sich nicht damit aus- 188 einandersetzt oder nicht auseinandergesetzt hat. Vor allem dann würde es mehr Leute erreichen 189 und verständlicher machen. Dann würde es auch für mehrere Leute, ahm (längere Pause)… greif- 190 bar werden, greifbarer machen. Dass sie mehr darauf schauen können. Was ich auch… dieses 191 Street Art, also diese… diese Sprayerei… diese Graffiti… diese Sachen, darüber lässt sich strei- 192 ten. Ich habe lange mit einem Studienkollegen von mir… der hat sich lange Zeit damit beschäftigt, 193 mit dieser Art der Street Art… Da finde ich es schade, weil es gibt wirklich gute Künstler und es 194 gibt halt Leute, die verschmieren halt irgendwas (lacht). Und sonst auch die ewige Frage: Was ist 195 Kunst? Ist alles Kunst? Ist bei Kunst wirklich immer alles erlaubt? Und ich glaube schon, dass 196 man da im öffentlichen Raum vorsichtiger sein muss, dass man nicht zu viele Grenzen überschrei- 197 tet.

198 S: Zum Beispiel?

199 L: (längere Pause). Wenn man Puppen, die ausschauen wie Kriegsopfer, irgendwo hinlegen oder 200 aufhängen würde. Kann auch eine Art von Kunst sein, kann man so deklarieren. Da würden sehr 201 viele Grenzen, sehr sehr weit überschritten werden. (Pause) Weil gerade in Lend oder Gries sind 202 viele Flüchtlinge, und die sind eh schon traumatisiert, viele oder wahrscheinlich einige und dann 203 sehen sie das auch noch täglich… müssen daran vorbeigehen.

204 S: Würdest du den Lendwirbel in Kunst und Kultur im öffentlichen Raum einordnen?

205 L: Schon. Befindet sich ja im öffentlichen Raum. Ist auch öffentlich zugänglich. Soweit ich weiß. 206 Ich meine, ich weiß jetzt nicht genau, wie viele Programme nicht auf den Straßen waren. Aber 207 ich habe nur mitbekommen, dass einige auf den Straßen waren. Und sobald es auf Straßen und 208 auf öffentlichen Plätzen ist, würde ich es auch so benennen. Und dass es für viele Leute einfach 209 auch ohne Eintritt zugänglich ist.

210 S: (Pause) Wie würdest du den Lendwirbel generell bezeichnen? Als Fest, als Event?

211 L: Mir gefällt der Begriff Fest ganz gut. Aber er hat es noch nicht geschafft das Viertel wirklich 212 zusammen zu holen. Also eben gerade diese Aussendung war ja an die Nachbarschaft gerichtet. 213 Also dann so etwas wie ein Nachbarschaftsfest, ein Viertelfest eigentlich. Aber sie haben es noch 214 nicht geschafft, das ganze richtig zu binden. Die Leute wirklich zu holen.

215 S: Mhm.

216 L: Ich finde die Idee eines Festes eigentlich recht schön oder recht cool. Also die Idee finde ich 217 super. Im Sinne von Zusammenhalten von… Dass man die Nachbarn kennen lernt. Dass man sich 218 selbst einbringen kann. Weil wann hat man sonst die Gelegenheit bei so etwas aktiv teilzunehmen.

219 S: An was glaubst du liegt es, dass es noch immer nicht… dass es… dass es… wie du sagst, dass 220 es noch immer nicht die Leute zusammenbringt? Und vor allem, geht das überhaupt? Wer sind 221 „alle“?

222 L: Ja eben diese kulturellen Unterschiede glaube ich ganz stark weil… ahm… es gibt ein türki- 223 sches Fest zum Beispiel, das im Volksgarten abgehalten wird, das ist… warte mal, wann war 224 das… im Sommer irgendwann… ich glaube im Juni war das. Zwei Feste sogar, einmal war es ein 225 großes Essen im Volksgarten, das ist alles von der türkischen Gemeinschaft ausgegangen. Die

Anhang 136

226 haben eben dort Feste gefeiert, Essen ausgeteilt und solche Sachen. Und einmal auch am Lend- 227 platz selbst, da hat sich auch ein… ein Institut für… zum Deutschlernen?... haben sich… also 228 haben sich da auch präsentiert und auch Essen verteilt und so weiter, aber es bleibt nur alles 229 untereinander, gö. Also die… die… Kulturen bleiben eher bei sich selbst. Also… ich weiß aber 230 nicht, wie man die Leute holen könnte, irgendwie. Eben auf jeden Fall, dass man die Sachen 231 einmal übersetzt. Oder auch in mehr Schulen… oder es gibt auch Kindergärten auch in dem Be- 232 reich, wie man die mehr miteinbeziehen könnte, weil dann hätte man logischerweise die Kinder 233 und dann logischerweise die Eltern. Und dort sind die Kulturen eh zusammengewürfelt.

234 S: Mhm. Ja. Hat die türkische Gemeinschaft das beworben? Also dieses… dieses…

235 L: Nein.

236 S: Gar nicht?

237 L: Nein, gar nicht, sie haben es halt gemacht. Und ich bin halt hingegangen und habe gefragt ‚Und 238 was passiert hier eigentlich?‘ Wie immer halt (lacht). Und es war so lustig, weil sie wissen dann 239 nicht, wie sie mit einer Frau umgehen sollen und da waren fünf Männer und die da herumhantiert 240 haben und einer hat den nächsten angeschaut, ganz hilflos, was sie mir jetzt antworten sollen. Es 241 war so lieb.

242 S: Bist du draufgekommen?

243 L: Ja irgendeiner hat es mir dann erklärt. (lacht)

244 S: Du warst offensichtlich ein Fremdkörper.

245 L: Ja, ich glaube auch (lacht).

246 S: Ich glaube ich habe meine Fragen abgehakt. Danke für das Interview!

247 L: Bitte gern geschehen.

Anhang

137

Anhang 138

Transkription – Interview mit Karla (Besucherin, Interview am 11.05.2013)

S: Stefanie, K: Karla (Synonym) 1 S: Seit wann genau wohnst du jetzt in Lend?

2 K: Seit sechs Jahren.

3 S: Und wie oft warst du schon am Lendwirbel?

4 K: Ahm, zweimal glaube ich.

5 S: Und wann?

6 K: Vor drei Jahren und vor zwei Jahren und heuer wieder.

7 S: Und wie hast du damals vom Lendwirbel erfahren?

8 K: (schnauft) Ich glaube durch Plakate.

9 S: Weißt du zufällig noch, wo die Plakate waren?

10 K: Nein.

11 S: Nein? Weil ich habe damals davon erfahren… da war der Lendwirbel zum ersten Mal… da 12 waren sie auf Laternenmasten angeschlagen, zum Beispiel.

13 K: Nein, das weiß ich leider nicht mehr. Ich würde schätzen, so Mariahilferstraße, in dieser Ge- 14 gend.

15 S: Und da hast du die Plakate gesehen und dann hast du dir gedacht du schaust hin?

16 K: Genau. Und auch von Freunden, von Maria. Mit der Maria war ich dort das erste Mal. Und 17 mit einer Freundin, die aus Wien da war. Und da haben wir gesagt ‚Da tut sich was, da gehen wir 18 hin!‘

19 S: Ja. Und habt ihr einfach so hingeschaut oder habt ihr einen Plan gehabt?

20 K: Nein, wir haben einfach so hingeschaut. Wir haben da am Abend zu diesem allgemeinen Stra- 21 ßenfest geschaut. Also wir haben keinen Workshop oder so mitgemacht sondern waren am Abend 22 bei dem Fest.

23 S: Und wo war das?

24 K: Da zwischen Scherbe und Brot&Spiele, auf der Straße.

25 S: Da war ein Fest?

26 K: Ja, da war die Straße gesperrt, da hat es die beste Bowle gegeben (lacht).

27 S: Weißt du noch, von wem aus das Fest gegangen ist?

28 K: Nein. Die… ich bilde mir ein, dass da die Haarschneiderei auch dabei war.

Anhang

139

29 S: Ja. Die Haarschneiderei war ja federführend, dass der Lendwirbel überhaupt entstanden ist.

30 K: Ach so!

31 S: Es war ja eigentlich… Der Lendwirbel ist aus dem Eröffnungsfest der Haarschneiderei ent- 32 standen, ganz ursprünglich, 2006.

33 K: Ach so! Das habe ich nicht gewusst! Ja genau, weil die Bowle… der Stand war vor der Haar- 34 schneiderei aufgebaut.

35 S: Genau, ja das glaube ich schon. Wenn du den Lendwirbel jemandem beschreiben würdest, der 36 ihn nicht kennt, wie würdest du ihn beschreiben? Wenn du irgendjemandem erzählst… also wenn 37 irgendjemand kommt und fragt ‚Was ist der Lendwirbel?‘

38 K: Dann würd ich sagen: ein buntes Straßenfest. Ja, weil ich jedes Mal bei den abendlichen Festen 39 war und nicht bei einem Workshop, das ist mein Eindruck vom Lendwirbel.

40 S: Was würdest du sagen passiert dort?

41 K: Alle möglichen Leute treffen sich zum Feiern. Ein großes Straßenfest. Für mich ist es ein 42 Straßenfest

43 S: Welches Gefühl hast du bezüglich der Leute? Sind da eher Leute, die eher durchgehen oder 44 die sich eher gezielt etwas anschauen? Bzw. generell, welchen Eindruck hast du von den Men- 45 schen, die dort hingehen?

46 K: Die Leute dort sind eher so [kurze Pause] alternativ, viele Studenten, viele alternative junge 47 Familien, die habe ich jetzt im Kopf, die mit Kind und Kegel kommen.

48 S: Von wo bis wohin geht für dich der Lendwirbel? Örtlich gesehen, wo du sagen würdest, das 49 ist das Lendwirbelgebiet?

50 K: Vom Lendplatz, aber auch dahinter, da bei der Scherbe…

51 S: Die Stockergasse?

52 K: Ja genau… und bis am Südtirolerplatz, die Mariahilferstraße halt, bis zum Kunsthaus.

53 S: Und von der Mur weg gesehen?

54 K: Die Gässchen zwischen Mariahilferstraße und Mur, vielleicht noch so Ausläufer aber nicht so 55 richtig und in die andere Richtung, nicht sehr weit. Also den Volksgarten hätte ich jetzt nicht 56 dazugezählt.

57 S: Auch wenn dort der Schlagergarten ist?

58 K: Ja trotzdem, vom Gefühl würde ich ihn nicht dazurechnen. Wenn es mir einfällt, dass der 59 Schlagergarten dort ist, schon, aber ad hoc nicht.

60 S: Wieso glaubst du ist das so?

61 K: Ja erstens, weil ich an diesen Orten immer unterwegs war am Lendwirbel. Und mein Eindruck 62 ist auch, dass sich dort am meisten tut, am meisten abspielt. Aber das ist nur der subjektive Ein- 63 druck, weil ich nur dort war, natürlich.

Anhang 140

64 S: Ja. Und für wen, glaubst du, ist das Stadtfest gemacht? Welche Intentionen könnte das Orga- 65 Team gehabt haben?

66 K: Ich könnte mir vorstellen, dass die Intention ein Nachbarschaftsfest war. Also dass verschie- 67 dene Personen, die nebeneinander wohnen, gemeinsam [kurze Pause] feiern.

68 S: Ja, das kann ich mir auch gut vorstellen. Ich glaube, so war es auch wirklich geplant. Hast du 69 irgendetwas beobachtet bzw. kommt dir vor, dass sich Lend durch den Lendwirbel verändert hat? 70 Soweit du es halt mitbekommen hast in den letzten 6 Jahren, die du hier gewohnt hast.

71 K: Ich habe schon den Eindruck, dass sich Lend verändert hat in den letzten 6 Jahren, dass er 72 irgendwie frischer und einen innovativen Touch bekommen hat. Auch durch den Wonderlend, 73 der im Winter ist. Das zähle ich da auch dazu. Ich weiß zwar gar nicht, ob das zusammenhängt, 74 der Lendwirbel und Wonderlend…

75 S: Das weiß ich leider auch nicht…

76 K: Egal, das fällt mir jetzt gerade so ein. Ich glaube schon, dass sich Lend verändert hat. Ich 77 glaube auch, dass ihn ganz Graz auch anders sieht. Ein wenig frischer.

78 S: Den Lend meinst du?

79 K: Ja, weil der Name Lendwirbel [kurze Pause], den kennt man und da weiß man, da tut sich was 80 und da weiß man, da sind Leute die irgendetwas organisieren bzw. etwas veranstalten. Also aktive 81 Personen wohnen dort, unter anderem.

82 S: Glaubst du, dass die Leute aktiver geworden sind, in den letzten Jahren? Oder wie meinst du 83 ‚frischer‘?

84 K: Ja, das kann ich mir schon vorstellen, gerade da in dem Bereich der Mariahilferstraße, da haben 85 sich in den letzen 6 Jahren viele so Geschäfte und so Büros angesiedelt, die das Neue Design 86 ausstrahlen. Oder die Büros, wo man hineinsieht, die Glasscheiben haben, wo man ihnen immer 87 zuschauen kann beim Arbeiten, das hat es vor 6 Jahren nicht gegeben, wie ich hergezogen bin. Es 88 waren immer schon liebe, kleine Geschäfte dort, aber so etwas wie Designbüros und so, die waren 89 noch nicht da. Die sind schon mehr geworden. Oder auch das… so Läden mit schrägen Geschenk- 90 artikeln.

91 S: Wie der Kwirl meinst du?

92 K: Genau das!

93 S: Oder gegenüber, das kleine Geschäft.

94 K: Genau! Und dann davor, vor dem Brot&Spiele, da ist auch noch so ein alter Designladen, mit 95 Second-Hand-Design-Sachen, die auf Neu gemacht wurden.

96 S: Meinst du Offline?

97 K: Ja genau. Das hat es auch noch nicht gegeben. Und das ist alles so… so… irgendwie innovativ.

98 S: Glaubst du hat der Lendwirbel etwas damit zu tun? Oder glaubst du, dass er gar nichts damit 99 zu tun hat? Oder wie?

Anhang

141

100 K: Das weiß ich nicht, diese Veränderungen sind mir halt aufgefallen. Ob der Lendwirbel damit 101 zu tun hat, oder ob der Lendwirbel daraus entstanden ist, weil dort halt diese Läden sind und dort 102 diese Leute beisammen sind, die aktiv sind. Also was vorher war, weiß ich nicht.

103 S: Ich auch nicht. Ich glaube, dass es ein Miteinander war. So ein Henne-Ei-Problem, glaube ich.

104 K: Ja, da stimme ich dir zu.

105 S: Bewegst du dich sonst auch viel zwischen Lendplatz und Kunsthaus? Also unter dem Jahr auch 106 oder gehst du wirklich nur gezielt hin, um zu schauen?

107 K: Nein, also ich gehen total gerne in die Lokale dort, am Abend, um etwas zu Trinken. Dort bin 108 ich eigentlich oft, ja. Vorne im Rangoon, dann im Centraal und dann in den Gässchen, das Kont- 109 rapunto, da bin ich eigentlich mit der Maria voll oft. Und wir waren auch vorher in der Scherbe. 110 Ja doch, ich gehe oft in die Lokale, dort bin ich oft. Und wenn ich Zeit habe und gemütlich ein- 111 kaufen gehen möchte, dann gehe ich dort auch gerne durch, durch die Mariahilferstraße und schau 112 mir die Geschäfte an.

113 S: Was hältst du generell von Kunst und Kultur im öffentlichen Raum?

114 K: Das ist schwierig.

115 S: Ok, anders gefragt: Kennst du bzw. gehst du zu anderen Festivals, wie der Lendwirbel ist, wo 116 Kunst und Kultur im öffentlichen Raum so gemacht wird, wie im Lendwirbel? Oder ähnlich?

117 K: Ich finde, in Graz gibt es sonst nicht so viel, was im öffentlichen Raum stattfindet. Mir fällt 118 das… z.B. in Linz, das Linzer Stadtfest ein, aber das ist nicht auf diese Art gemacht.

119 S: Inwiefern ist das Linzer Stadtfest anders, deiner Meinung nach? Was ist anders als der Lend- 120 wirbel? Bzw. was macht den Lendwirbel anders?

121 K: Das Linzer Stadtfest ist für mich so: Da sind Bühnen mit Musik, da gibt es verschiedene Stände, 122 wo es etwas zu Essen und zu Trinken gibt, aber dort gibt es keine Workshops oder solche Ange- 123 bote

124 S: Auch wenn du nicht zu den Workshops gehst, macht für dich das den Lendwirbel aus? Diese 125 Workshops, dieses aktive Tun.

126 K: Ja, weil ich ja weiß, dass das auch angeboten wird. Ich weiß ja, dass der Unterschied darin 127 besteht, auch wenn ich nicht zu den Workshops gehe. Du hast mich ja nach den Unterschieden 128 gefragt. Aber das ist keine Wertung, dass es da Workshops gibt und dort nicht, das ist nur der 129 Unterschied.

130 S: Ja, das verstehe ich schon.

131 K: Aber, ob ich zu so Sachen gehe? Da fällt mir echt gerade nichts ein. Ich wüsste auch gar nicht, 132 welches Angebot es in Graz noch gäbe, wo ich aber dann nicht hingehe, weil es mir nicht gefällt. 133 Verstehst du?

134 S: Ja. Ich glaube, es gibt so etwas wie den Lendwirbel sonst nirgendwo in Graz.

135 K: Genau, darum gehe ich auch nicht hin. Ich gehe schon zum Lendwirbel, weil ich hier wohne 136 und weil ich… weil ich die Straßen, wo das stattfindet, sehr gerne mag. Und mich auch so dort

137 viel aufhalte. Also das ist schon wichtig. Ich meine, wenn das jetzt in Jakomini wäre, wüsste ich

Anhang 142

138 nicht, ob ich dort hingehen würde. Zum Jakominiwirbel [lacht]. Das weiß ich nicht. Die Gegend 139 hier ist mir schon vertraut einfach.

140 S: Würdest du sagen, du identifizierst dich mit Lend?

141 K: [längere Pause] Nein. Eigentlich nicht.

142 S: Nein? Bei mir ist es so… ich habe in den letzten Jahren habe ich mich schon mit Lend identi- 143 fiziert, aber schon alleine aus diesem Grund, dass es immer wieder geheißen hat: ‚Was, du wohnst 144 in Lend?!‘

145 K: Ja, ok, das stimmt, man bekommt so eine Verteidigungshaltung.

146 S: Mhm, ja, das meine ich damit.

147 K: Ja, man muss immer erklären, dass es eh so klasse ist in Lend. Das stimmt, auch dass er so 148 unterschätzt wird. Oder, dass er ein bisschen ein Stiefkind ist hier in Graz. Und darum will man 149 ihn auch verteidigen und das ist schon so, dass ich immer allen erkläre, dass es hier eh total cool 150 ist. Außerdem habe ich das Gefühl, dass ganz viele Leute, ganz wenig darüber wissen.

151 S: Ja, und eh, wie du vorhin erwähnt hast und das dann wahrscheinlich ganz wichtig ist, dass der 152 Lendwirbel dann auch so irgendwie ‚frisch‘ rüber kommt in der Stadt und dass er trotzdem dieses 153 Flair, es passiert etwas... Es ist nicht nur ein stinkiges Viertel oder so.

154 K: Mhm, ja genau, das stimmt. Wo voll viele Leute aus verschiedenen Kulturen wohnen, was halt 155 jeder so im ersten Moment glaubt.

156 S: Genau, ist ja auch so. Der Lendwirbel ist da wieder ein bisschen anders…

157 K: Mhm. Gell, das fehlt noch ein bisschen beim Lendwirbel, das Einbeziehen von anderen Nati- 158 onalitäten.

159 S: Stimmt, das haben sie heute eh auch beim ExpertInnengespräch geredet, da hat einer gesagt, 160 sie haben die Barrieren wieder aufgebaut, dadurch, dass jeder selbst aufs Amt gehen muss und er 161 glaubt auf der anderen Seite, dass man echt auch ganz viele andere Leute, die nicht dieses klassi- 162 sche Klientel sind, einbeziehen müsste, aber die Frage ist halt dann, wie und inwiefern es die dann 163 anspricht. Das fehlt auf alle Fälle noch.

164 K: Es wäre interessant, ob da die total klassischen… Wie ich letztens durchgelaufen bin, sind 165 schon die typischen Leute dort gewesen, mit Dreads und Gitarre herumgesessen und mit ihren 166 Freundinnen mit Dreads und so Dritte-Welt-Laden-Hosen, also die komplett klassischen… ob die 167 auch überhaupt aus Lend sind oder ob die von wo anders extra herkommen. Weil es gibt da schon 168 den Prototypen, ‚Das Lendwirbel-Pärchen‘.

169 S: Das stimmt, und die sind ja dann in den Communities, so wie im Spektral, die werden nicht 170 alle aus Lend kommen, sondern die werden halt…

171 K: Genau! Da geht es dann halt nicht um Lend, sondern um den… um den Inhalt.

172 S: Genau, ganz genau… eben um diese Community, die sich hier präsentiert, weil sie hier eine 173 Plattform findet.

Anhang

143

174 K: Genau und bei mir ist es anders. Mir geht es nicht um das, mir geht es mehr um Lend, mir geht 175 es um den Ort, wo es stattfindet und dass [

177 S: Wie meinst du das?

178 K: Ja die kann man wahrscheinlich alle ein bisschen so einteilen. Die, die inhaltlich hingehen und 179 die, die Stadtfest-mäßig hingehen.

180 S: Ich glaube auch, dass es Leute gibt, die… die, die direkt zu den Events gehen und die, die das 181 ‚Dazwischen‘ anschauen, also die Installationen, die sich im öffentlichen Raum befinden.

182 K: Bei mir ist es so… das Dazwischen, da gehe ich gerne durch, weil ich die Atmosphäre so mag 183 und schaue überall ein bisschen hin, aber richtig mitmachen tue ich nicht.

184 S: Wieso nicht?

185 K: Wobei, ich muss jetzt ganz ehrlich sagen, jetzt gerade, habe ich einfach überhaupt keine Zeit. 186 Ich kann mir schon gut vorstellen, wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, dass ich mir mehrere Dinge 187 genauer angeschaut hätte. Ja, doch, das glaube ich schon. Aber das habe ich in den letzten Jahren 188 trotzdem auch nicht gemacht, nein. Meistens hat die Zeit gefehlt, aber so genau weiß ich es gerade 189 nicht. Außerdem war das heuer nicht so einfach zu wissen, wann wo etwas passsiert.

190 S: Hast du dir den Lendwirbel heuer angeschaut, auch wenn du keine Zeit hattest? Oder hast du 191 gleich gesagt, ok es ist zwar Lendwirbel aber…?

192 K: Doch, doch. Ich bin auch in der Facebook-Gruppe und ich schaue auch jeden Tag, was am 193 Programm steht. Und einmal bin ich durchgelaufen, weil ich schauen wollte, was sich so tut. Und 194 heute Abend schauen wir auch hin, was sich tut. Also heute schaue ich es mir noch genauer an, 195 ob sich etwas tut oder nicht.

196 S: Ich habe meine Fragen abgehakt. Hast du noch etwas anzumerken?

197 K: Nein, nicht wirklich. Mir fällt nur noch gerade ein, dass… letztens hat mir eine Freundin er- 198 zählt, die hat neben einer alten Frau gewohnt, da in der Mandellstraße, und an einem schönen 199 Feiertag hat die Frau öfter zu ihr gesagt, ‚sie macht heute wieder einen Ausflug in den Lend‘ 200 [lacht]. Zum Schauen, quasi. [lacht]

201 S: [lacht] Schön. Das ist aber offensichtlich ein ganz wichtiger Punkt, dieses Flanieren und 202 schauen wird im Lend ganz groß geschrieben, dieses Sein.

203 K: Ja, genau, das stimmt. Ich gehe davon aus, dass sie die Mariahilferstraße auf und ab gehen 204 wird. Das ist ja dort, wo man flaniert im Lend. Woanders kann man eh nicht flanieren. Und auch 205 so quasi, ‚sie macht einen Ausflug auf die andere Seite der Mur‘ [

208 S: Nein wahrscheinlich nicht [lacht]. Danke für das Interview!

209 K: Gern geschehen!

Anhang 144

Transkription – Interview mit Dolores (Aktivistin, Interview am 04.06.2013)

S: Stefanie, D: Dolores (Synonym) 1 S: Also, wie oft warst du schon beim Lendwirbel? Du bist ja Aktivistin am Lendwirbel, oder?

2 D: Auch, ja. Ich war zumindest voriges Jahr und im Vorjahr.

3 S: Und im Vorjahr auch? Nein, vorher?

4 D: Ja, im Vorjahr, 2012 und 2013 wieder.

5 S: Und, als, weil du gesagt hast, Aktivistin auch. Als Besucherin dann auch?

6 D: Genau. So das war, das ist schwierig zu sagen, aber ich schätze mal so ca. 2007, 2008, dass 7 ich das erste Mal am Lendwirbel war.

8 S: Ja.

9 D: Ungefähr. Und dann ein oder zwei Jahre nicht und dann wieder als Besucherin und voriges 10 Jahr dann zum ersten Mal Aktivistin mit verschiedenen Projekten quasi.

11 S: Und wie bist du dazu gekommen, dass du auf einmal aktiv mitmachst?

12 D: Ahm, naja, angefangen hat es dadurch, dass die Leute von unserer Floribus-Gemeinschaft 13 überlegt haben, Programm zu machen.

14 S: //mhm//

15 D: Und nachdem ich auch, hm, in der Gruppe bin, die den Floribus betreibt und auch irgendwie 16 gekauft haben, haben wir uns gedacht, dass wir auch gerne dazu beitragen würden und haben 17 dann den Kost-Nix-Laden gemacht.

18 S: Mhm. Und, und wie meinst du "beitragen", weil du gesagt hast "beitragen". Wozu beitragen?

19 D: Ahm, naja, ich habe voriges Jahr das erste Mal bewusst gecheckt, dass der Lendwirbel eigent- 20 lich Raum bietet, dass man sich auch selber dran beteiligt, also, dass man nicht nur durchschlen- 21 dert und das konsumiert, sondern auch, dass man auch aktiv am Programm teilhaben kann.

22 S: //mhm//

23 D: Dann habe ich mir gedacht: Das ist eigentlich ziemlich cool. Und voriges Jahr war, hat das 24 dann irgendwie ganz viel ausgelöst, deswegen habe ich dann mit vielen verschiedenen Sachen 25 mitgemacht. Also, es war jetzt teilweise fast stressig, da mitzumachen.

26 S: Was meinst du mit "ausgelöst"?

27 D: Ahm, naja, es ist irgendwie, dadurch, dass die Idee aufgekommen ist, ahm, mit dem Flori 28 Sachen zu machen,

29 S: //mhm//

Anhang

145

30 D: hat sich das auf andere Bereiche, für die ich mich interessiere und in denen ich aktiv bin, auch 31 übertragen, indem ich mir gedacht habe: Hey, wir machen mit dem Flori etwas, wir könnten ja 32 auch mit der Band etwas machen.

33 S: Achso, ja.

34 D: Und wir könnten mit einer anderen Band etwas machen, wir könnten mit dem Radio [Helsinki, 35 Anm. SR] etwas machen. So, es war irgendwie so eine Art Kettenreaktion.

36 S: Und, ahm, das heißt, äh, deine Motive und Intentionen, kann man sagen, waren da, aktiv da 37 teilzunehmen, oder? Eh, was du gesagt hast.

38 D: Ja, genau. Also, es war irgendwie, ich kann mich nicht mehr richtig erinnern, aber ich habe 39 irgendwie das Gefühl gehabt, dass dieses Jahr der Lendwirbel irgendwie für mich, ah, so ein, ja 40 es hat einfach das Gefühl vermittelt, dieses Mal kann ich mich irgendwie aktiv beteiligen. Das ist 41 natürlich nicht vom Lendwirbel selbst ausgelöst worden, sondern eher eben von diesen Flori- 42 Leuten.

43 S: //mhm//

44 D: Aber das hat dann halt motiviert, noch mehr zu machen.

45 S: Klar, das ist diese Kettenreaktion, von der du gerade gesprochen hast, oder?

46 D: Ja, genau.

47 S: Kannst du dich noch erinnern, wo und wann du das erste Mal vom Lendwirbel gehört hast? 48 Weil du gesagt hast 2007, kannst du dich da noch erinnern, wo dir das aufgefallen ist?

49 D: Ja, ich weiß auf alle Fälle, dass ich es durch StudienkollegInnen und FreundInnen mitbekom- 50 men habe.

51 S: //mhm//

52 D: Und im, also, in meinem ersten Sommer in Graz, war ich leider nicht da, wie der Lendwirbel 53 war, weil da war er, glaube ich, auch nur ein Wochenende lang, soweit ich mich jetzt daran erin- 54 nern kann. Und es waren dann halt andere Leute, die ich gekannt habe dort und die haben dann 55 halt das das erste Mal erzählt und da war es für mich noch eher so: Ja, das ist halt so ein Straßen- 56 fest, und es ist alles abgesperrt und die Leute sind alle auf der Straße und machen Party. Also 57 recht viel mehr habe ich damals noch nicht mitbekommen, vom Lendwirbel.

58 S: Wie würdest du dann, weil du sagst "Straßenfest", würdest du den Lendwirbel jetzt auch noch 59 als Straßenfest bezeichnen? Oder wie würdest du den Lendwirbel bezeichnen?

60 D: Nein, würde ich es nicht mehr, nur als Straßenfest bezeichnen, vor allem seit vorigem Jahr, wo 61 ich auch irgendwie auch involviert war, ist es mir dann auch bewusst geworden, dass irgendwie 62 darum geht, dass halt der Stadtteil Lend und die Leute, die dort wohnen, sie irgendwie auf die 63 Straße begeben und etwas machen. Ich meine, nicht nur Leute, die im Lend wohnen, sondern 64 auch andere. Also für mich war es vor allem voriges Jahr so, dass der Lendwirbel eigentlich, 65 einfach ein Zeitraum ist im Mai, wo man irgendwie sich den öffentlichen Raum aneignen kann. 66 Und dass des relativ leicht geht, weil durch die, durch das Organisationsteam alle rechtlichen 67 Sachen, was Genehmigungen, Platzgenehmigung, weiß ich nicht, dass du den Bus hinstellen

Anhang 146

68 kannst, dass du Musik machen kannst. Die Rahmenbedingungen waren halt Sachen vom Orga- 69 team, das heißt, darum musst du dich nicht kümmern, du kannst quasi nur mehr das Kreative, ist 70 dann irgendwie übrig geblieben. Und deswegen ist so, diese öffentliche Raumnutzung war dann 71 viel stärker für mich da. Es war dann auch klar, dass jetzt nicht nur Party oder ein Fest ist, sondern 72 auch, dass es Inhaltliches gibt, dass ganz viel Diskurs auch stattfindet, wobei ich sagen muss, dass 73 ich das wenig konsumiert habe voriges Jahr. Also, ja, ich habe das Gefühl gehabt, voriges Jahr, 74 dadurch, dass ich so viel aktiv dabei war, habe ich dann als Besucherin vielleicht nicht, nein, 75 stimmt auch nicht... Doch, einiges mitbekommen, aber eher weniger Diskurssachen.

76 S: Was würdest du als "Diskurssachen" bezeichnen? Was sind für dich "Diskurssachen"?

77 D: Naja, ich kann mich zum Beispiel voriges Jahr erinnern, dass es eine Diskussionsrunde dazu 78 gegeben hat, da ist es um Ernährung und Lebensmittel und Verschwendung und Produktionsbe- 79 dingungen und solche Sachen gegangen.

80 S: Achso, so meinst du.

81 D: Genau, also, dass es halt irgendwie eine Auseinandersetzung mit ExpertInnen gegeben hat und 82 Diskussionen und solche Sachen.

83 S: Und, weil du gesagt hast, voriges Jahr, ahm, war das so klasse, weil da hat es das Orgateam 84 gegeben, die die ganzen offiziellen Sachen gemacht hat und man hat sich auf auf das Kreative 85 konzentrieren können. Du hast ja heuer auch mitgemacht. Wie hast du das dann heuer empfun- 86 den?

87 D: Ja, heuer war es irgendwie ein bisschen undurchsichtig für mich. Ich war bei einem Vernet- 88 zungstreffen, weil eben geplant war, mit zwei Musiksachen wollten wir gerne mitmachen und 89 dann ist es mir irgendwie bewusst gewesen, dass die Art, wie der Lendwirbel voriges Jahr orga- 90 nisiert geworden ist, dass das heuer irgendwie aufgeben worden ist und dass es halt kein Orgateam 91 mehr gibt, kein bestehendes, die sich eben um diese ganzen Sachen kümmern, sondern es ist 92 ziemlich aufgelöst und offen geworden und so quasi nach dem Motto: Leute, kümmert euch selbst 93 darum und macht einfach. Und das hat sich dann vor allem für die Musiksachen für mich irgend- 94 wie als schwierig erwiesen, weil ich mir gedacht habe: Okay, es ist cool, wenn man einfach ma- 95 chen kann. Nur sind dann Schwierigkeiten, dann spielen, weiß ich nicht, fünf Bands vielleicht 96 wollen gleichzeitig spielen, die übertönen sich, weil die einen lauter sind als die anderen. Dann 97 gibt es Platzschwierigkeiten. Ja und es war halt für mich teilweise ein bisschen unverständlich, 98 dass man das wirklich so lose gelassen hat und das dann mir, die Motivation irgendwie ein biss- 99 chen weggenommen hat, dann irgendwie aktiv zu sein. Und ich habe dann im Prinzip eh nur mit 100 einer Sache mitgemacht und da haben wir halt Straßenmusik gemacht und wir haben uns um keine 101 Platzreservierung oder irgendwas gekümmert, sondern wir sind einfach hingefahren, haben dort 102 einfach im Lokal gefragt: Hey, können wir den Bus hier stehen lassen? - Passt. Und wir haben 103 gespielt und das war's.

104 S: Und das hat keine Probleme gegeben in irgendeiner Hinsicht?

105 D: Es hat überhaupt keine Probleme gegeben. Also eigentlich gar nicht.

106 S: //mhm//

107 D: Probleme würde ich nicht sagen. Es war nur dann lustig, wie unser, unser Aktion auf der 108 Lendwirbel-Homepage präsentiert worden ist ((lacht)).

Anhang

147

109 S: Wie ist es dort präsentiert worden? Ich weiß das gerade gar nicht. Ich habe gar nicht nachge- 110 schaut.

111 D: Naja, es ist halt. Wir haben die Marimba mit dem Floribus transportiert, weil er einfach groß 112 ist und da beide Instrumente hinein gehen, weil sie relativ riesig sind. Und der Bus ist einfach nur 113 da dahinter, also wir sind hinter dem Kunsthaus gestanden und der Bus hat da einfach geparkt. 114 Aber, ahm, ein Teil aus dem Orgateam, die voriges Jahr mitorganisiert haben, hat das halt gesehen 115 und, ich weiß nicht, ob sie den Text geschrieben hat oder wer auch immer den Text geschrieben 116 hat, hat einfach angenommen, dass es wieder ein Flori-Bus-Aktion ist und dass es heuer am Lend- 117 wirbel wieder Floribus-Aktionen gibt und wir mit unserer "Xylophon-Musik" da halt irgendwie 118 Teil, also unser Musikding war dann relativ im Hintergrund, im Vordergrund war der Bus und 119 die Aktionen, die voriges Jahr so cool waren. Und es ist dann sogar drinnen gestanden, irgendwie, 120 ja, dass wir wahrscheinlich eh die Leute, die da arbeiten gestört haben mit unserer lauten Musik, 121 aber kann man ja nichts machen, so auf die Art.

122 S: Wirklich? Das ist auf der Homepage gestanden?

123 D: Also es ist irgendwie überhaupt nicht, sie haben sich überhaupt nicht genau informiert, was 124 wir da genau für Musik machen und dass das kein

125 S: Xylophon

126 D: dass es im weitesten Sinne ein Xylophon ist aber eigentlich ist es keines. Und, also, irgendwie 127 so ganz eigenartig.

128 S: //mhm// Nein, das habe ich gar nicht mitbekommen. Ich habe zwar die Lendwirbel-Homepage 129 durchforstet, aber dass die, weil ich habe mir gedacht, dass die Sachen, die sie hineinschreiben, 130 da fragen sie zumindest die Leute.

131 D: Nein, da ist nicht gefragt worden. Also das ist dann einfach gepostet worden. Eher, eher unter 132 Floribus-Geschichte.

133 S: Weil sie es von voriges Jahr kennen.

134 D: Ja, voriges Jahr war halt, glaube ich, jeden Tag irgendetwas mit dem Flori. Der war recht 135 präsent und es war ein recht cooles Programm. Deswegen.

136 S: Da gibt es auch, kennst du die Lendwirbel-Doku?

137 D: Ja, genau

138 S: Da ist der Flori eh auch.

139 D: Ja, genau.

140 S: Ja. Und wenn du als Besucherin dort warst, hast du dir da aktiv etwas angeschaut, also dass du 141 gesagt hast: Jetzt habe ich da einen Plan und da gehe ich jetzt hin. Oder bist du durchgeschlendert 142 oder wie hast du das gemacht?

143 D: Ich habe beides gemacht. Es war natürlich, voriges Jahr hat es ein Programm gegeben und das 144 war recht cool, weil man sich da herauspickt: Hey, die Band will ich sehen oder die Performance 145 oder da ist das, das und das und man kann sich's einteilen und man geht dort hin und es hat dann 146 irgendwie immer relativ zu dem Zeitpunkt stattgefunden und, aber andererseits habe ich in der

Anhang 148

147 Phase auch gewusst: Hey, es ist gerade Lendwirbel-Zeit, fahre ich halt heute mal durch die Ma- 148 riahilferstraße und schaue, vielleicht ist irgendwo was.

149 S: Okay

150 D: Also, ich habe im Prinzip beides gemacht. Habe ich auch heuer so gemacht, aber ich war heuer 151 nicht so präsent am Lendwirbel. Weder als Aktivistin, noch als Besucherin.

152 S: Und wieso? Weil es kein Programm gegeben hat?

153 D: Ahm, erstens das hat mich abgeschreckt, weil es irgendwie, naja, abgeschreckt nicht, aber, hm, 154 ja, weil irgendwie war ich nicht. Erstens war es zeitmäßig blöd, es war vom Wetter her blöd. Und 155 einmal, zweimal bin ich durchgeschlendert, einmal war nix und einmal war irgendwie Capoiera 156 und so eine Spontanmusik-Act, den habe ich mir dann angeschaut. Und halt der eine Nachmittag, 157 wo ich selbst was gemacht habe, aber sonst. Ja, doch einmal am Abend, aber es war irgendwie, 158 ja, nicht so megaspannend so dieses Jahr, finde ich.

159 S: Wo wohnst du? In welchem Bezirk wohnst du?

160 D: Jakomini.

161 S: Gehst du dann außerhalb vom Lendwirbel auch durch Lend?

162 D: Ja, total oft, also ich bin dort oft fort eigentlich

163 S: //mhm//

164 D: Und, ahm, bin im Lend oft, weil ich da die Radwerkstatt meines Vertrauen ist. ((lacht)) Und 165 wenn ich zum Frisör gehe, gehe ich auch meistens im Lend zum Frisör und ja, die Wege führen 166 halt manchmal durch den Lend, aber bin ich schon immer wieder und aber hauptsächlich zum 167 Fortgehen oder Konzerte oder so.

168 S: Ja. Weil meine nächste Frage ist dann, weil ich dich gefragt habe, wo du genau wohnst, ähm, 169 ob du glaubst, dass sich der Lend durch den Lendwirbel verändert hat? Oder was du für Gefühl 170 hast, ob sich der Lend überhaupt in den letzten Jahren, seit du in Graz bist, verändert hat? Ob dir 171 etwas aufgefallen ist.

172 D: Ahm, naja, die Frage ist, was man dann, Lend ist ja groß. Weil, der Lend geht ja eigentlich da 173 Richtung Lendplatz in Richtung Wienerstraße hinaus.

174 S: Ja, das stimmt.

175 D: Ich habe immer das Gefühl, dass das nicht impliziert ist, wenn von Lend geredet wird, weil 176 das Lendwirbel-Zentrum, das ist vom Kunsthaus bis zum Lendplatz und das ist ja eigentlich der 177 Teil, der mit Kulturhauptstadt halt irgendwie aufgewertet geworden ist.

178 S: Ja, das stimmt, da hast du Recht.

179 D: Eigentlich ist da dieser hippe Teil, wo halt immer wieder irgendwelche Stylo-Läden heraus- 180 schießen, zum Beispiel das Blendend, das irgendwie, glaube ich, so irgendwie ein bisschen so ein 181 neues In-Ding wird, ich war noch nicht dort. Aber ob sich der Lend verändert hat? Hm. Also ich 182 wüsste jetzt nicht, also ich könnte jetzt nicht sagen, dass der Lendwirbel den Lend irgendwie 183 verändert hat und ob sie, das kann ich eigentlich nicht sagen. Ich habe zwar drei Jahre im Lend

184 gewohnt, aber kann ich eigentlich nicht sagen, ich weiß es nicht. Anhang

149

185 S: Ja, weil ich glaube ja, dass sich das bedingt, weil die Leute, die im Lend wohnen und da ihre 186 Büros haben, die machen den Lendwirbel und spielen es gleichzeitig wieder in ihre Arbeit im 187 Lend.

188 D: Ja, das stimmt schon, das stimmt. Ja, das, ja das muss man sagen, weil das war bei diesem 189 einen Vernetzungstreffen, wo mir aufgefallen ist, dass dort hauptsächlich Leute, die irgendwie 190 dort, glaube ich, arbeiten, Büro oder sonst was haben, dann auch irgendwie, verstärkt darin invol- 191 viert waren, etwas zu machen. Hauptsächlich.

192 S: Eben genau, das, das habe ich auch so gemeint, ob dir das auch so aufgefallen ist. Weil das ist 193 das, was den meisten auffällt: Hey, das sind immer die gleichen Leute und irgendwie sind die 194 genau da in diesem

195 D: Ja, das stimmt auf jeden Fall, weil ich denke mir, Leute die jetzt über dem Lendplatz in Rich- 196 tung Wienerstraße wohnen, da macht niemand was beim Lendwirbel.

197 S: Das Gefühl habe ich auch ja.

198 D: Weil die, also es ist halt, es sind halt irgendwie dann schon Sachen, die eh schon etabliert sind 199 im Lend, die etwas machen.

200 S: Ja, ja. Eigentlich geht ja der Lendwirbel dann bis zum Volksgarten, aber irgendwie mit dem 201 Schlagergarten Gloria geht er ja bis zum Volksgarten. Aber oft ist es in den Köpfen gar nicht 202 drinnen: Achja, das gehört ja auch noch dazu.

203 D: Ja, also Lendwirbel verbinde ich schon so mit dieser gewissen Teil, eben in dem Zentrum, 204 Mariahilferplatz, da zur Scherbe, eigentlich eh nicht mehr bis direkt zum Lendplatz.

205 S: Ja, das stimmt auf alle Fälle. Würdest du bei anderen Festivals, oder was müssen Festivals, 206 oder so Straßenfeste für dich haben, dass du sagst: Okay, dann mach ich aktiv mit. Also würdest 207 du zum Beispiel beim Linzer Straßenfest auch mitmachen, beim Linzfest?

208 D: Würde ich gerne, haben wir uns schon zweimal beworben ((lacht)). Also, ich finde ja, ich finde 209 schon, dass es irgendwie immer ein Orgateam gegeben hat und die vor allem die baubehördlichen 210 Sachen, diese Genehmigungssachen, dass das irgendwie abgesichert war, was ja echt viel Arbeit 211 ist und anstrengend, wenn das jede Person einzeln machen muss, in die Stadt rennen und so wei- 212 ter. Dass des schon viel ermöglicht, wenn einfach die Rahmenbedingungen schon vorhanden sind, 213 da hast du irgendwie dann mehr Spielraum dein eigenes Ding zu machen.

214 S: Ja

215 D: Ich finde das ist schon irgendwie, ja, es muss mich ja auch ansprechen, was das Festival ver- 216 mitteln will, oder was für Idee dahinter steht. Ja, ich meine das war für prinzipiell schon cool, was 217 der Lendwirbel sich so gedacht hat, was sie machen wollen. Ich meine, das ist halt im Laufe der 218 Jahre zu einem riesigen Partyfest auch geworden. Ich meine, was am Abend abgegangen ist teil- 219 weise, das war halt echt nur mehr, ja

220 S: Halligalli

221 D: Riesenparty einfach. Ja, das gehört auch dazu, das ist schon klar, aber ich finde halt, wenn sich 222 das irgendwie durchmischt, dass wir feiern und so aber, dass es halt Inhaltliches und so auch gibt.

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223 S: Ist das das, wo du sagen würdest, das ist die Intention vom Lendwirbel, das was mich anspricht? 224 Dieses Party und gleichzeitig Inhalt?

225 D: Ja, ich finde es halt cool, dass man auf die Straße geht und irgendetwas macht und quasi, für 226 mich halt, vom Zeitraum von ein bis zwei Wochen, sich irgendwie auf der Straße austoben kann. 227 Ich meine, sollte eh eigentlich mehr möglich sein und es wäre cool, wenn andere Leute da auch 228 sich angesprochen fühlen, da etwas zu machen. Ich meine, das finde ich eh nett, dass das der 229 Lendwirbel ausreichend macht, aber das ist zumindest der Ansatz.

230 S: Ja. Ich bin dann mit meinen Fragen fertig. Danke für das Intervie

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