UNICUIQUE SUUM NON PRAEVALEBUNT

Redaktion: I-00120 Vatikanstadt Schwabenverlag AG Einzelpreis Wochenausgabe in deutscher Sprache 50. Jahrgang – Nummer 41 – 2. Oktober 2020 D-73745 Ostfildern Vatikan d 2,20

Ansprache von Papst Franziskus beim Angelusgebet am Sonntag, 27. September Papstappell an Wahre Umkehr ist eine Gnade Vereinte Nationen Vatikanstadt/New York. Der Papst hat die Weltgemeinschaft in der Corona- Liebe Brüder und Schwestern! Pandemie zu einer neuen Weichenstellung In meiner Heimat sagt man: »Zum schlechtem aufgerufen. Diese Zeit der Prüfung sei zu- Wetter gute Miene«. Mit dieser »guten Miene« gleich ein »Moment der Entscheidung«, sage ich euch: Guten Tag! sagte Franziskus am Freitag, 25. Septem- Mit seiner Predigt über das Reich Gottes wen- ber, in einer Video-Ansprache an die det sich gegen eine Religiosität, die das UNO-Vollversammlung in New York menschliche Leben nicht einbezieht, die ange- (Wortlaut in der nächsten Ausgabe). An- sichts des Guten und des Bösen nicht an das Ge- lass war das 75-jährige Bestehen der Ver- wissen und seine Verantwortung appelliert. Dies einten Nationen. zeigt auch das Gleichnis von den zwei Söhnen Der gegenwärtige weltweite Notstand aus dem Matthäusevangelium (vgl. 21,28-32). biete die Chance für einen grundlegenden Auf die Aufforderung des Vaters, in den Wein- Wandel. Die Menschheit müsse ihre Le- berg zu gehen und dort zu arbeiten, antwortet bensweise, ihre Wirtschafts- und Sozial- der erste Sohn impulsiv: »Nein, ich gehe nicht!« systeme überdenken, die zu einer immer Aber dann reut es ihn und er geht hin. Dagegen größeren Kluft zwischen Arm und Reich geht der zweite Sohn, der sofort mit »Ja, ja Papa« führten. antwortet, in Wirklichkeit nicht hin. Er geht »Wir können zwischen zwei unter- nicht. Der Gehorsam besteht nicht darin, »ja« schiedlichen Wegen wählen«, so der oder »nein« zu sagen, sondern er besteht immer Papst. Der eine weise in Richtung Multi- im Handeln, in der Pflege des Weinbergs, in der lateralismus, Solidarität und neuer globa- Verwirklichung des Reiches Gottes, im Gutes- ler Mitverantwortung. Der andere gebe Tun. Mit diesem einfachen Beispiel will Jesus Zum Welttag des Migranten und Flüchtlings am 27. September grüßte der Papst diese beim Angelus Selbstgenügsamkeit, Nationalismus, Indi- eine Religion überwinden, die nur als äußerliche inbesonderer Weise. Einige von ihnen hatten sich auf dem Petersplatz vor dem Werk des kanadischen vidualismus und Abschottung den Vor- und gewohnheitsmäßige Praxis verstanden wird, Künstlers Timothy Schmalz versammelt. Es zeigt ein Schiff, an dessen Bord 140 Migranten verschie- zug. Auf letzterem Weg jedoch blieben die das Leben und die Einstellungen der Men- dener Herkunftsländer und Zeiten zu sehen sind. Aus der Menschenmenge ragen zwei Engelsflügel die Schwächsten der Gesellschaft auf der schen nicht beeinflusst, eine oberflächliche, nur hervor, eine Anspielung auf den Hebräerbrief: »Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie ha- Strecke, »und das darf nicht passieren«, »rituelle« Religiosität, im schlechten Sinne dieses ben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!« (Hebr 13,2). mahnte Franziskus. Wortes. Weiter forderte er in seiner Botschaft Herausragende Vertreter dieser von Jesus sich öffnet und sich zu ihm bekehrt. Tatsächlich aus Träumen und guten Vorsätzen, sondern aus ein effizienteres Gesundheitssystem, das missbilligten Religiosität, die nur »Fassade« ist, haben diese Menschen, die seinen Predigten konkreten Verpflichtungen, damit wir uns stets allen Menschen Zugang zu einem Covid- waren zu jener Zeit »die Hohepriester und die Äl- zuhörten, Buße getan und ihr Leben geändert. dem Willen Gottes und der Liebe zu unseren 19-Impfstoff ermögliche. Ebenso trat er für testen des Volkes« (Mt 21,23), die gemäß der War- Denken wir zum Beispiel an Matthäus, an den Brüdern und Schwestern öffnen. Aber das, und nung des Herrn im Reich Gottes von Zöllnern heiligen Matthäus, der ein Zöllner war, ein Ver- selbst die kleinste konkrete Verpflichtung, kann und Dirnen überholt werden (vgl. V. 31). Jesus räter an seinem Vaterland. nicht ohne Gnade geschehen. Die Umkehr ist sagt zu ihnen: »Die Zöllner«, also die Sünder, Im heutigen Evangelium macht der erste Bru- eine Gnade, um die wir immer bitten müssen: »und die Dirnen gelangen eher in das Reich der eine bessere Figur, und zwar nicht deshalb, »Herr, schenke mir die Gnade, mich zu bessern! Gottes als ihr.« Diese Erklärung darf nicht dazu weil er zu seinem Vater »Nein« gesagt hat, son- Gib mir die Gnade, ein guter Christ zu sein!« dern weil er sich Die allerseligste Jungfrau Maria helfe uns, dem Heiliger , steh uns bei im Kampf um nach dem »Nein« Wirken des Heiligen Geistes gegenüber fügsam unser Heil. Heiliger , überbringe uns die zum »Ja« bekehrt zu sein. Er ist es, der die Härte der Herzen auflöst gute Nachricht von Jesus, unserem Retter, und hat, weil er bereut und sie bereit macht für die Buße, um das von Je- schenke uns Hoffnung. Heiliger , nimm hat. Gott hat Ge- sus verheißene Leben und Heil zu erlangen. uns bei der Hand und hilf uns auf dem Weg duld mit jedem Nach dem Angelus sagte der Papst: eine humanere Arbeitswelt ein, die nicht unserer vollständigen Heilung. #HeiligeErzengel von uns: Er wird Heute begeht die Kirche den Welttag des Mi- gegen die menschliche Würde verstoße. es nicht müde, er granten und Flüchtlings. Ich begrüße die Flücht- Dafür müsse man sich vom vorherrschen- Tweet von Papst Franziskus gibt nach unse- linge und Migranten, die auf dem Platz an dem den Prinzip der Gewinnmaximierung ver- rem »Nein« nicht Denkmal mit dem Titel »Engel, ohne es zu ah- abschieden. Stattdessen brauche die Welt führen, zu meinen, dass diejenigen, die Gottes auf. Er lässt uns auch die Freiheit, uns von ihm zu nen« (vgl. Hebr 13,2) präsent sind, das ich vor ei- eine gerechtere Finanzarchitektur, mit der Gebote nicht befolgen, jene, die sich nicht an die entfernen und Fehler zu machen. Es ist wunder- nem Jahr gesegnet habe. Dieses Jahr habe ich man angemessen auf die zunehmende Un- Moral halten, gut daran täten, und sagen: »Die, bar, an Gottes Geduld zu denken! Daran, dass der meine Botschaft den Binnenvertriebenen gewid- gleichheit reagieren könne. die zur Kirche gehen, sind ohnehin schlimmer als Herr immer auf uns wartet, immer an unserer met, die zur Flucht gezwungen sind, wie es auch Erneut wandte sich Franziskus gegen wir!« Nein, das ist nicht die Lehre Jesu. Jesus führt Seite ist, um uns zu helfen, aber unsere Freiheit Jesus und seiner Familie widerfahren ist. »Wie eine sich verbreitende »Wegwerfkultur«. die Zöllner und die Dirnen nicht als Lebensmo- respektiert. Und er wartet sehnsüchtig auf unser Jesus zur Flucht gezwungen«, so auch die Ver- Sie sei Zeugnis fehlenden Respekts. Der delle an, sondern als »Privilegierte der Gnade«. »Ja«, um uns wieder in seine väterlichen Arme zu triebenen, die Migranten. Vor allem ihnen, wie Mensch müsse lernen, seine »natürlichen Und ich möchte dieses Wort »Gnade« betonen, schließen und uns mit seiner grenzenlosen Barm- auch jenen, die ihnen beistehen, gelten unser Ge- Grenzen« nicht zu überschreiten. Das gelte die Gnade, denn die Umkehr ist immer eine herzigkeit zu erfüllen. Der Glaube an Gott fordert denken und unser Gebet. mit Blick auf moderne Technologien wie Gnade. Eine Gnade, die Gott jedem anbietet, der auf, jeden Tag die Entscheidung für das Gute und Grüße siehe Seite 3 auch für den Schutz des Lebens. In diesem gegen das Böse, die Entscheidung für die Wahr- Zusammenhang kritisierte der Papst, dass heit und gegen die Lüge, die Entscheidung für die viele Staaten und internationale Institutio- In dieser Ausgabe Nächstenliebe und gegen den Egoismus zu er- nen Abtreibung als eine »essenzielle« me- neuern. Wer sich nach der Erfahrung der Sünde dizinische Leistung darstellten. Missach- Generalaudienz im Damasus-Hof zu dieser Entscheidung bekehrt, wird sich auf tung des Lebens sei aber keine Lösung. am 23. September ...... 2 den ersten Plätzen im Himmelreich wiederfin- Franziskus ging zudem auf die Migrati- Botschaft von Papst Franziskus an den den, wo über einen Sünder, der umkehrt, mehr ons- und Flüchtlingsströme in vielen Teilen Rat der europäischen Bischofs- Freude herrscht als über neunundneunzig Ge- der Erde ein. Viele Betroffene würden zu konferenzen (CCEE) ...... 3 rechte (vgl. Lk 15,7). Opfern von Gewalt und Ausbeutung. Lei- der gehöre es zur traurigen Realität, dass Audienz für die Mitglieder des »Circolo Doch die Umkehr, die Wandlung des Her- Apostolisches Schreiben San Pietro«...... 4 zens, ist ein Prozess, ein Prozess, der uns von mo- viele Akteure diese Zustände absichtlich von Papst Franziskus ignorierten. Das sei »nicht hinnehmbar«. Deutsche Spuren in der Ewigen Stadt – ralischen Verkrustungen reinigt. Und manchmal ist es ein schmerzhafter Prozess, denn es gibt kei- Kritische Worte fand der Papst nicht zu- Ein Rombuch ...... 5 nen Weg zur Heiligkeit ohne gewisse Opfer und Scripturae Sacrae affectus letzt in Sachen Klimawandel. Die aktuelle Die Bibel in den Muttersprachen ohne geistlichen Kampf. Für das Gute zu kämp- anlässlich des 1600. Todestages Krise sei eine Gelegenheit, sich neu zu ori- Afrikas – Interview mit P. Xene SVD...... 6 fen, dafür zu kämpfen, in der Versuchung nicht des heiligen Hieronymus entieren, so Franziskus abschließend. Die Anmerkungen zum Apostolischen zu fallen, unsererseits zu tun, was wir können, Vereinten Nationen könnten mithelfen, Schreiben Scripturae Sacrae affectus um im Frieden und in der Freude der Seligprei- diese Herausforderung in eine echte von Kardinal Gianfranco Ravasi...... 11 sungen leben zu können. Das heutige Evange- Seite 7-10 Chance zu verwandeln. Gemeinsam sei es

Leitartikel von Andrea Monda...... 12 lium stellt die Art und Weise, wie das christliche möglich, eine bessere Zukunft zu gestalten. Leben gelebt wird, in Frage, denn es besteht nicht 2. Oktober 2020 / Nummer 41 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 2 Aus dem Vatikan

Generalaudienz im Damasus-Hof am 23. September Hoffnung auf eine gesündere und gerechtere Zukunft

Liebe Brüder und Schwestern, Veränderung nehmen alle vor – alle Menschen, das Wetter scheint nicht sehr gut zu sein, aber die das Volk bilden. Alle Berufsgruppen, alle. Und ich sage trotzdem zu euch: guten Tag! alle gemeinsam, alle in Gemeinschaft. Wenn es Um aus einer Krise wie der derzeitigen, die nicht alle tun, dann wird das Ergebnis negativ eine gesundheitliche und zugleich eine soziale, sein. politische und wirtschaftliche Krise ist, besser In einer früheren Katechese haben wir gese- herauszukommen, ist jeder von uns aufgerufen, hen, dass die Solidarität der Weg ist, um aus der seinen Teil der Verantwortung zu übernehmen, Krise herauszukommen: Sie vereint uns und lässt also die Verantwortung miteinander zu teilen. uns solide Vorschläge für eine gesündere Welt fin- Wir müssen nicht nur als Einzelpersonen antwor- den. Aber dieser Weg der Solidarität bedarf der ten, sondern auch von unserer Zugehörigkeits- Subsidiarität. Jemand könnte zu mir sagen: »Aber gruppe her, von der Rolle her, die wir in der Ge- Vater, heute benutzen Sie schwierige Worte!« sellschaft haben, von unseren Prinzipien her und, Aber darum versuche ich zu erklären, was es be- wenn wir gläubig sind, vom Glauben an Gott her. deutet. Solidarisch, weil wir auf dem Weg der Oft können jedoch viele Menschen nicht am Wie- Subsidiarität unterwegs sind. Denn es gibt keine deraufbau des Gemeinwohls mitwirken, weil sie wahre Solidarität ohne soziale Beteiligung, ohne ausgegrenzt, ausgeschlossen sind oder übersehen den Beitrag der kleineren Gemeinwesen: der Fa- werden; bestimmte Gesellschaftsgruppen kön- milien, der Verbände, der Genossenschaften, der nen nicht dazu beitragen, weil sie wirtschaftlich Kleinunternehmen, der Ausdrucksformen der Zi- oder politisch unterdrückt sind. In einigen Gesell- vilgesellschaft. Alle müssen dazu beitragen, alle. schaften sind viele Menschen nicht frei, ihren in großen Schwierigkeiten; daher versuchen die schlossen werden (vgl. Apostolisches Schreiben Diese Beteiligung hilft, gewissen negativen Glauben und ihre Werte, ihre Ideen zum Aus- öffentlichen Einrichtungen, mit angemessenen Querida Amazonia [QA], 32; Enzyklika Laudato Aspekten der Globalisierung und des Handelns druck zu bringen: Wenn sie sie zum Ausdruck Maßnahmen im sozialen und wirtschaftlichen si’, 63). Leider findet diese Ungerechtigkeit oft der Staaten vorzubeugen und sie zu korrigieren, bringen, kommen sie ins Gefängnis. Anderswo, Bereich sowie im Gesundheitswesen zu helfen: dort statt, wo große wirtschaftliche oder geopoli- ebenso wie bei der Behandlung der von der Pan- besonders in der westlichen Welt, unterdrücken Das ist ihre Aufgabe, das müssen sie tun. tische Interessen sich konzentrieren, wie zum demie betroffenen Menschen. Diese Beiträge viele ihre ethischen oder religiösen Überzeugun- Andererseits müssen die Spitzen der Gesell- Beispiel bei der Förderung von Mineralien in ei- »von unten« müssen angespornt werden. Wie gen selbst. So kann man jedoch nicht aus der Krise schaft jedoch die mittleren und unteren Ebenen nigen Gebieten des Planeten (vgl. QA, 9.14). Die schön ist es doch, die Arbeit der ehrenamtlichen herauskommen, oder man kann jedenfalls nicht respektieren und fördern. Tatsächlich ist der Bei- Stimmen der indigenen Völker, ihre Kulturen Helfer in der Krise zu sehen. Ehrenamtliche, die besser aus ihr hervorgehen. Wir werden schlech- trag der Einzelpersonen, der Familien, der Ver- und Weltanschauungen werden nicht berück- aus allen sozialen Schichten kommen; Ehrenamt- ter aus ihr hervorgehen. bände, der Unternehmen, aller kleineren Ge- sichtigt. Heute ist diese mangelnde Achtung des liche, die aus den wohlhabendsten Familien kom- meinwesen und auch der Kirchen entscheidend. Subsidiaritätsprinzips wie ein Virus verbreitet. men, und solche, die aus den ärmsten Familien Wahrer Wiederaufbau Mit ihren kulturellen, religiösen, wirtschaftli- Denken wir an die großen Maßnahmen zur Fi- kommen. Aber alle, alle gemeinsam, um aus ihr chen Ressourcen sowie ihrer Beteiligung am bür- nanzhilfe, die von den Staaten durchgeführt wer- herauszukommen. Das ist Solidarität, und das ist Damit wir alle an der Sorge um unsere Völker gerlichen Leben beleben und stärken sie den So- den. Man hört mehr auf die großen Finanzgesell- das Prinzip der Subsidiarität. und an ihrer Erneuerung teilhaben können, muss zialkörper (vgl. KSLK, 185). Es gibt also eine schaften als auf die Menschen oder jene, die die Während des »Lockdowns« ist spontan die jeder angemessene Ressourcen haben, um dies Zusammenarbeit von oben nach unten, vom reale Wirtschaft bewegen. Man hört mehr auf Geste entstanden, den Ärzten, Krankenpflegern zu tun (vgl. Kompendium der Soziallehre der Kir- Zentralstaat zum Volk, und von unten nach multinationale Konzerne als auf soziale Bewe- und Krankenschwestern zu applaudieren, als Zei- che [KSLK], 186). Nach der großen Wirtschafts- oben: von den Gruppierungen des Volkes nach gungen. Um es in der Sprache des einfachen chen der Ermutigung und der Hoffnung. Viele ha- krise des Jahres 1929 erklärte Papst Pius XI., wie oben. Und genau das ist die Anwendung des Mannes zu sagen: Man hört mehr auf die Mäch- ben ihr Leben riskiert, und viele haben ihr Leben wichtig für einen wahren Wiederaufbau das Subsidiaritätsprinzips. tigen als auf die Schwachen, und das ist nicht der hingegeben. Weiten wir diesen Beifall auf alle Subsidiaritätsprinzip ist (vgl. Enzyklika Quadra- Jeder muss die Möglichkeit haben, in den Hei- Weg, es ist nicht der menschliche Weg, es ist nicht Glieder des Sozialkörpers aus, auf alle, auf jeden, gesimo anno, 79-80). Dieses Prinzip hat eine lungsprozessen der Gesellschaft, zu der er gehört, der Weg, den Jesus uns gelehrt hat, es ist nicht die für seinen wertvollen Beitrag, so klein er auch zweifache Dynamik: von oben nach unten und die eigene Verantwortung zu übernehmen. Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. So lassen sein mag. »Aber was kann der dort tun? – Hör ihn von unten nach oben. Vielleicht verstehen wir Wenn irgendein Projekt umgesetzt wird, das di- wir die Menschen nicht zu »Protagonisten ihrer an, gib ihm Raum zum Arbeiten, besprich es mit nicht, was das bedeutet, aber es ist ein gesell- rekt oder indirekt bestimmte gesellschaftliche Erlösung« werden.1 Im kollektiven Unterbewuss- ihm.« Applaudieren wir den »Weggeworfenen«, schaftliches Prinzip, das uns stärker vereint. Gruppen betrifft, dann können diese nicht von tsein einiger Politiker und einiger Gewerkschafter denen, die diese Kultur, diese Wegwerfkultur als Einerseits, und vor allem in Zeiten des Wan- der Beteiligung ausgeschlossen werden. Zum Bei- ist folgendes Motto vorhanden: alles für das Volk, »weggeworfen« abstempelt, applaudieren wir dels, wenn die Einzelpersonen, die Familien, die spiel: »Was tust du?« – »Ich bin für die Armen nichts mit dem Volk. Von oben nach unten, aber also den alten Menschen, den Kindern, den Men- kleinen Verbände oder die Ortsgemeinschaften tätig« – »Schön, und was tust du?« – »Ich lehre die ohne auf die Weisheit des Volkes zu hören, ohne schen mit Behinderung, applaudieren wir den Ar- nicht in der Lage sind, die wichtigsten Ziele zu er- Armen, ich sage den Armen, was sie tun sollen.« diese Weisheit bei der Problemlösung – in diesem beitern, allen, die sich in den Dienst der anderen reichen, dann ist es richtig, dass die höheren Ebe- Nein, das geht nicht; der erste Schritt besteht Fall das Herauskommen aus der Krise – anzu- stellen. Alle arbeiten zusammen, um aus der nen des Sozialkörpers, wie der Staat, eingreifen, darin, dass du dir von den Armen sagen lässt, wie wenden. Oder denken wir auch an das Heilmittel Krise herauszukommen. Aber machen wir nicht um die notwendigen Ressourcen zu liefern, um sie leben, was sie brauchen: Man muss alle reden gegen das Virus: Man hört mehr auf die großen nur beim Applaus halt! Die Hoffnung ist kühn, er- voranzugehen. Zum Beispiel befanden sich – und lassen! Und so funktioniert das Subsidiaritätsprin- pharmazeutischen Konzerne als auf die Mitarbei- mutigen wir einander also, große Dinge zu träu- befinden sich noch immer – viele Menschen, Fa- zip. Wir können diese Menschen nicht von der ter im Gesundheitswesen, die in den Kranken- men. Brüder und Schwestern, lernen wir, große milien und wirtschaftliche Unternehmen auf- Beteiligung ausschließen; ihre Weisheit, die Weis- häusern oder in Flüchtlingslagern an vorderster Dinge zu träumen! Wir dürfen keine Angst ha- grund des »Lockdowns« wegen des Coronavirus heit der einfachsten Gruppen darf nicht ausge- Front stehen. Das ist kein guter Weg. Alle müssen ben, große Dinge zu träumen und nach den Idea- gehört werden: die, die oben stehen, und die, die len der Gerechtigkeit und der sozialen Liebe zu unten stehen, alle. streben, die aus der Hoffnung entstehen. Versu- chen wir nicht, die Vergangenheit zu rekonstru- Fähigkeit zur Eigeninitiative ieren, das Vergangene ist vergangen, neue Dinge warten auf uns. Der Herr hat uns verheißen: »Ich Um besser aus einer Krise herauszukommen, mache alles neu.« Ermutigen wir einander, muss das Subsidiaritätsprinzip angewandt wer- Großes zu träumen, indem wir nach diesen Idea- den, indem man die Autonomie und die Fähigkeit len streben. Versuchen wir nicht, die Vergangen- zur Eigeninitiative aller achtet, besonders der heit zu rekonstruieren, vor allem jene, die unge- Geringsten. Alle Teile eines Leibes sind notwen- recht und bereits krank war, was ich bereits als dig und, wie der heilige Paulus sagt, gerade die Ungerechtigkeit bezeichnet habe. Bauen wir eine schwächer und weniger wichtig scheinenden Zukunft auf, in der die lokale und die globale Di- Glieder sind in Wirklichkeit unentbehrlich (vgl. mension sich gegenseitig bereichern – jeder kann 1 Kor 12,22). Im Licht dieses Bildes können wir das Seine dazu beitragen; jeder muss von dem ge- sagen, dass das Subsidiaritätsprinzip jedem ge- ben, was das Seine ist, seine Kultur, seine Philo- stattet, die eigene Rolle für die Sorge und das sophie, seine Art zu denken –, wo die Schönheit Schicksal der Gesellschaft zu übernehmen. Es an- und der Reichtum der kleinen Gruppen, auch der zuwenden, das Subsidiaritätsprinzip anzuwen- ausgegrenzten Gruppen gedeihen kann, denn den, gibt Hoffnung, gibt Hoffnung auf eine gesün- auch dort ist Schönheit, und wo der, der mehr hat, dere und gerechtere Zukunft; und diese Zukunft sich verpflichtet zu dienen und dem, der weniger bauen wir gemeinsam auf, indem wir nach den hat, mehr zu geben. größeren Dingen streben und unsere Horizonte erweitern.2 Entweder gemeinsam oder es funk- Fußnoten Vatikanstadt. Der Heilige Vater hat eine tonnenschwere polnische Glocke als Mahnerin gegen Ab- tioniert nicht. Entweder arbeiten wir gemeinsam treibungen gesegnet. Die Kirchenglocke mit dem Namen »Die Stimme der Ungeborenen« solle an den daran, aus der Krise herauszukommen, auf allen 1 Botschaft zum 106. Welttag des Migranten Wert des Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod erinnern und das Gewissen der Gesetz- Ebenen der Gesellschaft, oder wir werden nie aus und Flüchtlings (13. Mai 2020). geber in Polen und der ganzen Welt wecken, sagte Franziskus in seinem Grußwort an die polnischen ihr herauskommen. Aus der Krise herauskom- 2 Vgl. Grußworte an die Jugendlichen des Kul- Pilger bei der Generalaudienz. In Auftrag gegeben wurde die 970 Kilogramm schwere Glocke von der men bedeutet nicht, den gegenwärtigen Situatio- turzentrums »Padre Félix Varela«, Havanna, polnischen Stiftung »Zyciu Tak« (»Ja zum Leben«) mit Sitz im polnischen Rzeszów. Nach Angaben des nen einen Lackanstrich zu geben, damit sie etwas Kuba, 20. September 2015. Vereins soll sie unter anderem bei Veranstaltungen zum Lebensschutz mitgeführt werden. Die Außen- gerechter erscheinen. Aus der Krise herauskom- seite zeigt als Inschrift das fünfte alttestamentliche Gebot »Du sollst nicht töten«. men bedeutet, sich zu verändern, und die wahre (Orig. ital. in O.R. 24.9.2020) 2. Oktober 2020 / Nummer 41 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan und der Weltkirche 3

Botschaft von Papst Franziskus an den Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) Teilhabe, Fürsorge Mit dem Einfallsreichtum der Nächstenliebe und Großzügigkeit Vatikanstadt. In der Generalaudienz am Mittwoch, 30. September, die im Damasus-Hof des Apostolischen Palastes stattfand, setzte Papst Franziskus die Katechesereihe über geistliche Wege aus der Coronakrise fort. Ein Mitarbeiter der deutschsprachigen Abteilung des Staatssekre- tariats trug folgende Zusammenfassung vor: Liebe Brüder und Schwestern, wenn Jesus die An Kardinal Angelo Bagnasco, Menschen von ihren Krankheiten und körperli- Vorsitzender des Rates der chen Gebrechen heilte, machte er sie auch in Europäischen Bischofskonferenzen ihrem Inneren gesund, indem er ihnen die Sün- den vergab und ihre sozialen Nöte in den Blick Anlässlich der in Prag geplanten Vollver- nahm. Jesus, der alle Geschöpfe erneuert und ver- sammlung des Rates ist es mir eine Freude, den söhnt, gibt uns die Gaben, die wir brauchen, um Vorsitzenden der Europäischen Bischofskonfe- zu lieben und zu heilen, wie er es tat (vgl. Lk 10,1- renzen meinen herzlichen Gruß zu übermitteln 9; Joh 15,9-17). Wir alle können mit unseren und sie meiner geistigen Nähe zu versichern. Da- Gaben und Fähigkeiten zur Heilung der Bezie- bei möchte ich meine Anerkennung für das ge- hungen beitragen. Wir wollen die Gesellschaft er- wählte Thema zum Ausdruck bringen: »Die Kir- neuern und nicht einfach zur so genannten »Nor- che in Europa nach der Pandemie. Perspektiven malität« zurückkehren, denn diese Normalität für die Schöpfung und für die Gemeinschaft«. war krank vor Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Und ich hoffe, dass Eure Begegnung einen be- Umweltzerstörung. Die Normalität, zu der wir deutsamen Beitrag leisten kann, gerade im Hin- Die Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenzen Europas berieten vom 25. bis 26. September berufen sind, ist die des Reiches Gottes, wo »die blick auf die kirchlichen Gemeinschaften des eu- unter dem Motto »Die Kirche in Europa nach der Pandemie. Perspektiven für die Schöpfung und die Blinden wieder sehen, die Lahmen wieder ge- ropäischen Kontinents. Gemeinschaft«. Wegen der aktuellen Covid-19-Situation hielten sie ihre eigentlich in Prag geplante Voll- hen, die Aussätzigen rein werden und den Ar- Die Erfahrung der Pandemie hat uns alle tief versammlung als eineinhalbtägige Onlinekonferenz ab. men das Evangelium verkündet wird« (vgl. Mt geprägt, hat sie doch eine der strukturgebenden 11,5). In der Normalität des Reiches Gottes reicht Voraussetzungen unseres Daseins dramatisch nige Priester und Ordensleute veranlasst, neue der Jungfrau Maria und der Schutzheiligen Bene- das Brot für alle, weil jeder das Seine beiträgt und beeinträchtigt, nämlich das Beziehungsgeflecht und mutige Wege der Seelsorge zu finden und so dikt, Cyrill und Methodius alle Gläubigen in der alles gerecht geteilt wird (vgl. Mt 14,13-21). Wir zwischen Individuen und innerhalb der Gesell- ihre väterliche und fürsorgliche Nähe zur Bevöl- Gewissheit des Glaubens stärken mögen, dass brauchen dringend eine gute Politik und eine So- schaft. So wurden Gewohnheiten und Beziehun- kerung zu bezeugen. Angesichts der explosiven uns nichts von der Liebe Christi scheiden kann, zialordnung, die Teilhabe, Fürsorge und Großzü- gen erschüttert, was auch die Voraussetzungen Zunahme neuer Formen der Armut muss dieser was auch immer geschehen mag (vgl. Röm 8,38- gigkeit statt Gleichgültigkeit, Ausbeutung und Ei- für das soziale und wirtschaftliche Leben verän- Einfallsreichtum der Nächstenliebe weitergehen 39). geninteresse belohnen. Denn nur eine faire und dert hat. Auch das kirchliche Leben war ein- durch eine immer aufmerksamere und großherzi- Ich bitte Euch, auch für mich zu beten und er- gerechte Gesellschaft ist eine gesunde Gesell- schneidend betroffen, so dass eine Umgestaltung gere Nähe zu den Schwächsten. teile Ihnen, Herr Kardinal, den anderen Bischöfen schaft. der religiösen Praxis nötig wurde. Viele seelsorge- Die christlichen Gemeinschaften sind aufge- und Mitbrüdern und ihren jeweiligen kirchlichen Der Heilige Vater grüßte die deutschsprachi- rische Aktivitäten müssen noch angepasst wer- rufen, geistlich zu deuten, was wir erlebt haben, Gemeinschaften den Apostolischen Segen. gen Pilger auf Italienisch. Anschließend wurde den. um zu lernen, was das Leben uns lehrt, und um folgende deutsche Übersetzung der Grüße vorge- Der Tod so vieler alter Menschen, die Tragö- Perspektiven für die Zukunft ausmachen zu kön- Rom, St. Johannes im Lateran, lesen: dien der Familien, die ganz plötzlich großen, be- nen. Wir müssen uns die Haltung des Schriftge- 4. September 2020 In einigen Tagen begehen wir das Schutzen- drohlichen Schmerz erfahren mussten, das lehrten zu eigen machen, der aus seinem Schatz gelfest. Wenden wir uns im Gebet oft an sie, auf Drama der im Haus eingesperrten Kinder und Ju- Neues und Altes hervorholt (vgl. Mt 13, 52). dass sie uns in allen Lebenslagen beistehen und gendlichen, die Aussetzung der Gottesdienste Ich versichere Euch meines Gebets, auf dass uns helfen, unseren Blick fest auf Jesus, unsere und der christlichen Ausbildung haben nicht we- die Hirten der Kirche in Europa mit der Fürbitte (Orig. ital. in O.R. 27.9.2020) einzige Rettung, zu richten.

Grüße beim Angelus Herausragender Einsatz für verlassene Kinder Kurz notiert Gebet des Papstes Vatikanstadt. Der Papst hat die Verdienste Der 2005 seliggesprochene Pater Markie- für Frieden im Kaukasus der Michaeliten anlässlich ihrer kirchlichen An- wicz, der selbst dem Orden der Salesianer Don Vatikanstadt. Der Vatikan hat das erkennung vor rund 100 Jahren gewürdigt. Das Boscos angehörte, hatte die Gemeinschaft 1892 Motto des 55. Welttags für Soziale Kommu- Nach dem Angelusgebet richtete der Heilige geistliche Vermächtnis des polnischen Ordens- gegründet. Sie engagierte sich insbesondere für nikationsmittel veröffentlicht, der jährlich Vater folgende Worte an die Gläubigen: gründers Bronislaw Markiewicz (1842-1912) Waisenkinder, etwa durch die Errichtung von Er- am Sonntag vor Pfingsten (16. Mai 2021), in Liebe Brüder und Schwestern! Es gibt beunru- wirke bis heute fort, schrieb Franziskus in einer ziehungsheimen. Am 29. September 1921 er- Deutschland abweichend davon am zwei- higende Nachrichten über Zusammenstöße in am 27. September veröffentlichen Botschaft. folgte die offizielle Anerkennung der »Kongrega- ten Sonntag im September abgehalten der Kaukasusregion. Ich bete für den Frieden im »Euer Charisma, das so aktuell ist wie eh und tion vom Heiligen Erzengel Michael« (CSMA) wird. Es lautet: »›Komm und sieh‹ (Joh Kaukasus und fordere die Konfliktparteien zu je, ist geprägt von Eurer Sorge um arme, verwais- durch den damaligen Krakauer Erzbischof 1,46) – Menschen begegnen, wie und wo konkreten Gesten des guten Willens und der Brü- te und verlassene Kinder, die von niemandem ge- Stefan Sapieha. Heute wirkt der Orden vor allem sie sind.« Angesichts des »epochalen Wan- derlichkeit auf, die dazu führen können, die Pro- wollt werden«, so der Heilige Vater weiter. Dieses in der Jugend- und Kindersozialarbeit sowie in dels«, den die Menschheit durch die Pande- bleme nicht durch den Einsatz von Gewalt und Engagement erfülle ihn mit Freude. Die Ordens- der Armenhilfe. Zudem gibt er religiöse Schriften mie erlebe, könne Kommunikation auf die Waffen, sondern durch Dialog und Verhandlun- mitglieder sollten es mit neuem Enthusiasmus heraus. Die Gemeinschaft ist in mehreren Län- wirklich wichtigen Dinge aufmerksam ma- gen zu lösen. Lasst uns gemeinsam in Stille für fortsetzen: »Werden Sie nicht müde, auf den dern Europas aktiv, hinzu kommen Einsatzge- chen, heißt es in der Mitteilung. Die Me- den Frieden im Kaukasus beten. ›Schrei‹ zu hören, den wehrlose Kinder und Ju- biete in Nord- und Südamerika, aber auch in Cu- dien in all ihren Formen könnten dazu ei- Gestern wurde in Neapel Maria Luigia vom gendliche in ihren Augen tragen.« raçao und Papua-Neuguinea. nen wertvollen Beitrag leisten. Allerheiligsten Sakrament seliggesprochen, mit ****** bürgerlichem Namen Maria Velotti, Gründerin Mexiko-Stadt. In Mexiko sind laut der Kongregation der Suore Francescane Adora- Kompetenz und Eröffnung eines Angaben des »Katholischen Multimedia- trici della Santa Croce. Danken wir Gott für diese Leidenschaft »Laudato-si’«-Gartens len Zentrums« bereits 87 katholische neue Selige, ein Vorbild für die Betrachtung des Priester, sieben Diakone und vier Ordens- Geheimnisses von Golgatha und unermüdlich in Vatikanstadt. Papst Franziskus hat einer für Rom. In der oberitalienischen Region Vene- schwestern an den Folgen einer Covid-19- der Ausübung der Nächstenliebe. seinen Schutz zuständigen Sondereinheit der ita- tien wird ein nach dem Vorbild der Umwelt- Infektion gestorben. Der erste Fall des Heute ist auch der Welttourismustag. Die Pan- lienischen Polizei für ihre Dienste gedankt. Deren enzyklika »Laudato si’« gestalteter Garten eröff- neuartigen Coronavirus wurde in Mexiko demie hat diesen Sektor, der für viele Länder so Mitglieder hätten ihre Mission in den vergange- net. Wie der Vatikan mitteilte, befindet sich das am 28. Februar registriert. Insgesamt stieg wichtig ist, hart getroffen. Ich möchte alle, die mit nen Jahren »mit Kompetenz und Leidenschaft« Areal im Po-Delta-Nationalpark. Die Einwei- die Zahl der Corona-Infektionen aktuell dem Tourismus zu tun haben, ermutigen, insbe- erfüllt, sagte er am Montag, 28. September, vor ei- hungsveranstaltung ist für den 4. Oktober ge- auf über 715.000 Fälle. Die Zahl der Todes- sondere die kleinen Familienbetriebe und die jun- ner Delegation von Polizeibeamten in der vatika- plant. Den Angaben zufolge ist an der Aktion un- opfer im Zusammenhang mit dem Virus gen Menschen. Ich hoffe, dass sich alle bald von nischen Audienzhalle. Dies sei Ausdruck der ter anderen das Dikasterium zur Förderung der beläuft sich auf mehr als 75.000. Mexiko den aktuellen Schwierigkeiten erholen können. »fruchtbaren Zusammenarbeit« zwischen Italien ganzheitlichen Entwicklung des Menschen be- zählt damit zu den am meisten von der Und grüße ich euch, liebe römische Gläu- und dem Heiligen Stuhl. Anlass des Empfangs teiligt. Dessen Präfekt, Kardinal Peter Turkson, Pandemie betroffenen Ländern weltweit. bige und die Pilger aus verschiedenen Teilen Itali- war das 75-jährige Gründungsjubiläum des In- wird bei der Einweihung ebenso dabei sein wie ens und der Welt. Da sind so viele verschiedene spektorats für die öffentliche Sicherheit beim Va- Venetiens Regionalpräsident Luca Zaia. ****** Flaggen! Ein besonderer Gedanke an die Frauen tikan. Die Einheit der Staatspolizei Italiens über- »Das Garten-Projekt ist ein Beispiel für die Vatikanstadt/Sarajewo. Um auf und an alle Menschen, die sich im Kampf gegen nimmt Schutzdienste für den Papst, insbesondere Konkretheit, die der Heilige Vater ständig von uns das Schicksal der Flüchtlinge auf der Bal- Brustkrebs engagieren. Möge der Herr euer Enga- bei dessen Besuchen auf italienischem Gebiet. verlangt«, sagte Turkson. Mit der Initiative werde kanroute aufmerksam zu machen und gement unterstützen! Und ich grüße die Pilger Der Gruppe, die in Absprache mit dem Heili- versucht, auf kleinem Raum die Anregungen aus seine konkrete Nähe und Solidarität mit ih- aus Siena, die zu Fuß nach Rom gekommen sind. gen Stuhl den Petersplatz und das Areal rings um dem 2015 veröffentlichten Schreiben von Papst nen zum Ausdruck zu bringen, hat Papst Ich wünsche euch allen einen schönen Sonn- den Vatikan überwacht, gehören etwa 150 Perso- Franziskus umzusetzen. Der 4. Oktober ist der Franziskus eine Spende an kirchliche tag, einen friedlichen Sonntag. Bitte vergesst nen an. Für Sicherheitsbelange innerhalb des Va- Gedenktag des Heiligen Franziskus, der unter an- Hilfsprojekte für diese Gruppe in Bosnien- nicht, für mich zu beten. Gesegnete Mahlzeit und tikanstaates sind dagegen die Vatikanische Gen- derem Schutzpatron der Tiere und des Umwelt- Herzegowina übermittelt. auf Wiedersehen. darmerie sowie die Schweizergarde zuständig. schutzes ist. 2. Oktober 2020 / Nummer 41 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 4 Aus dem Vatikan

Aus dem Vatikan VATIKANISCHES BULLETIN in Kürze

Papst Franziskus hat am Samstag Nach- mittag, 26. September, mit der Vatikani- Privataudienzen schen Gendarmerie anlässlich ihres Patro- natsfestes am 29. September am Kathedra- Altar im Petersdom eine heilige Messe ge- Der Papst empfing: feiert. In seiner Predigt dankte er den Gen- darmen für ihren Dienst. »Eure Autorität 24. September: liegt im Dienen: Grenzen setzen, Pflichten – die Botschafterin der Dominikanischen Repu- erfüllen, aber dienend, mit Nächstenliebe blik, Eunisis Vásquez Acosta, zur Überrei- und Freundlichkeit«, unterstrich der Papst. chung des Beglaubigungsschreibens; Die Vatikanische Gendarmerie ist neben – den Sekretär der Kongregation für die Glau- der Päpstliche Schweizergarde das zweite benslehre, Giacomo Morandi, Titularerzbi- Sicherheitskorps des Vatikan. schof von Cerveteri; ******* – den Apostolischen Nuntius in Nicaragua, Wal- Am 29. September wurde der italieni- demar Stanislaw Sommertag, Titularerzbi- sche Kardinal Lorenzo Baldisseri 80 Jahre schof von Maastricht; alt. Er war bis vor Kurzem Generalsekretär 25. September: der Bischofssynode. Mit Erreichen der Al- tersgrenze scheidet er aus dem Kreis der – den Präsidenten der Republik Polen, Andrzej Papstwähler aus. Damit sind noch 120 der Duda, mit Gefolge; insgesamt 219 Kardinäle der Weltkirche in – den emeritierten Erzbischof von Palermo (Ita- einem möglichen Konklave stimmberech- Polens Staatspräsident Duda wurde am 25. September gemeinsam mit seiner Gattin von Papst Fran- lien), Kardinal Salvatore De Giorgi; tigt. ziskus in Privataudienz empfangen. Das in herzlicher Atmosphäre geführte Gespräch fand im Rah- ******* 27. September: men des 100. Geburtstags von Papst Johannes Paul II. sowie dem 40-jährigen Bestehen der Gewerk- – Seine Heiligkeit Karekin II., Oberster Patri- schaft Solidarnos´c´ statt. Angesprochene Themen waren laut einem Kommuniqué des Presseamtes des Da der ursprünglich für den 13. bis 20. arch und Katholikos aller Armenier, mit Gefolge; Heiligen Stuhls unter anderem die Förderung der Familie und die Bildung von Jugendlichen. September 2020 geplante 52. Internatio- nale Eucharistische Kongress, der in Buda- 28. September: pest stattfinden sollte, um ein Jahr ver- Ebenfalls am 24. September ist der emeritierte – den Präfekten der Kongregation für die Errichtung einer Diözese schoben wurde, lud Kardinal Péter Erdö Bischof und Prälat der Territorialprälatur Itaituba Bischöfe, Kardinal Marc Ouellet; die Referenten des Kongresses ein, ein in Brasilien, Capistran F. Heim, aus dem Orden 29. September: Kurzvideo aufzunehmen. Diese wurden – die Botschafterin der Europäischen Union, der Franziskaner, im Alter von 86 Jahren im Te- auf den Youtube-Kanal des Kongresses Alexandra Valkenburg-Roelofs, zur Überrei- Der Papst hat die Territorialprälatur Sicuani resian House in Albany, New York, gestorben. chung des Beglaubigungsschreibens; (Peru) zur Diözese erhoben; zum ersten Bischof hochgeladen. Weitere Informationen auch der Diözese ernannte er: Pedro Alberto Bus- Am 27. September ist der emeritierte Erzbi- in deutscher Sprache gibt es unter – den Apostolischen Nuntius in der Russischen tamante López, bisher Prälat und Bischof. schof von Paraná in Argentinien, Mario Luis https://www.iec2020.hu/de. Föderation, Giovanni d'Aniello, Titularerzbi- Bautista Maulión, im Alter von 85 Jahren ge- ******* schof von Paestum; Päpstlicher Sondergesandter storben. – den Apostolischen Nuntius in Guatemala, Der philippinische Kurienkardinal Luis Francisco M. Padilla, Titularerzbischof von 26. September: Antonio Tagle hat eine weitgehend symp- Nebbio. Der Apostolische Stuhl tomfreie Corona-Infektion überstanden. Der Papst ernannte: Ein nun durchgeführter Test zeigte ein ne- – zu seinem Sondergesandten bei der Feier der Römische Kurie gatives Ergebnis, wie »Vatican News« am Bischofskollegium heiligen Messe am 28. November in der Basilika 25. September berichtete. Der 63-jährige von Koekelberg in Brüssel (Belgien): Kardinal Präfekt der Kongregation für die Evangeli- 24. September: Dominique Mamberti, Präfekt des Obersten sierung der Völker und Weltcaritas-Präsi- Ernennungen Gerichtshofs der Apostolischen Signatur; Anlass – Der Heilige Vater hat den Rücktritt von Kardinal dent war Anfang September bei der An- Giovanni Angelo Becciu von seinem Amt als Der Papst ernannte: ist der 150. Jahrestag der Gründung der Vereini- kunft in der philippinischen Hauptstadt gung »Pro Petri Sede«. Präfekt der Kongregation für die Selig- und Hei- Manila positiv auf das Virus getestet wor- 23. September: ligsprechungsprozesse sowie von seinen mit den und verbrachte die Zeit seither in Qua- – zum Bischof der Diözese Rubiataba-Mozarlân- Rücktritte dem Kardinalsstand verbundenen Rechten ange- rantäne in seinem Heimatland. dia (Brasilien): Francisco Agamenilton Dama- nommen. Der Papst nahm die Rücktrittsgesuche an: scena, vom Klerus der Diözese Uruaçu; Der Papst ernannte: 25. September: 24. September: – von Bischof Jebamalai Susaimanickam von 25. September: – zum Bischof der Diözese Juigalpa (Nicaragua): der Leitung der Diözese Sivagangai (Indien); – zum ordentlichen Mitglied der Päpstlichen Marcial Humberto Guzmán Saballos, vom Akademie der Wissenschaften: Prof. Jürgen Klerus der Diözese Granada, bisher Kanzler der – von Bischof Jean-Claude Bouchard von der Knoblich, Wissenschaftlicher Direktor des »In- Diözese und Rektor des »Santuario Nacional de Leitung der Diözese Pala (Tschad). stitute of Molecular Biotechnology« (IMBA) in Jesús del Rescate« in Popoyuapa; Wien (Österreich); Todesfälle L’OSSERVATORE ROMANO 29. September: Wochenausgabe in deutscher Sprache 26. September: – zum Apostolischen Vikar von Gambella (Äthio- Am 24. September ist der emeritierte Erzbi- 50. Jahrgang – zum ordentlichen Mitglied der Päpstlichen Herausgeber: Apostolischer Stuhl pien): Roberto Bergamaschi, Titularbischof schof von Newark, New Jersey, in den Vereinig- Verantwortlicher Direktor: Andrea Monda Giuseppe Fiorentino von Ambia, bisher Apostolischer Vikar von ten Staaten von Amerika, John Myers, Akademie der Wissenschaften: Prof. Vizedirektor: Awasa. im Alter von 79 Jahren gestorben. Charles Baulcombe, Professor für Botanik an der Universität Cambridge (Großbritannien). Redaktion I-00120 Vatikanstadt; Tel.: 00 39/06 69 89 94 30; Internet: http://www.vatican.va; Apostolische Nuntiaturen E-Mail: [email protected] Bilder: Foto-Service und Archiv O.R. Der Papst ernannte: Tel.: 00 39/06 69 84 51 47; E-Mail: [email protected] Verlag: Schwabenverlag AG; Vorstand: Ulrich Peters 28. September: Vertrieb: Annika Wedde; Anzeigen: Angela Rössel Postfach 42 80; D-73745 Ostfildern; – zum Apostolischen Nuntius auf den Philippi- Tel.: (07 11) 44 06-0; Fax: (07 11) 44 06 138; nen: Charles John Brown, Titularerzbischof Internet: http://www.schwabenverlag.de; E-Mail: [email protected] von Aquileia, bisher Apostolischer Nuntius in Al- Druck: Pressehaus Stuttgart Druck GmbH banien. Plieninger Straße 150, D-70567 Stuttgart; Jahresabonnement: Deutschland e 98,50; Schweiz sFr. 135,–; restl. Europa e 102,50; Übersee e 129,50. ISSN 0179-7387 Folgende Bankverbindungen gelten für die Kunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz: Staat der Vatikanstadt Deutschland: Liga Bank Regensburg; BIC: GENODEF1M05; IBAN: DE53750903000006486142; Österreich: BAWAG P.S.K.; BIC: OPSKATWW; IBAN: AT476 28. September: 000000007576654 Schweiz: PostFinance AG; BIC: POFICHBEXXX; IBAN: Papst Franziskus hat Gianluca Perone CH2809000000800470123 Abonnementgebühren sind erst nach Rechnungserhalt zahl- zum außerordentlichen Staatsanwalt am bar. Abbestellungen können nur schriftlich mit einer Frist Die neue Botschafterin der Europäischen Union beim Heiligen Stuhl, Alexandra Valkenburg-Roelofs Gericht des Staates der Vatikanstadt er- von 6 Wochen zum Bezugsjahresende entgegengenommen (50), hat am 28. September ihren Antrittsbesuch bei Papst Franziskus absolviert. Die niederländische werden. Bei Anschriftenänderung unserer Leser ist die Post nannt. Er ist Professor für Handelsrecht an berechtigt, diese an den Verlag weiterzuleiten. Zur Zeit ist die Diplomatin war zuletzt als Botschafterin ihres Heimatlandes auf Kuba und in Jamaika tätig. Die pro- der römischen Universität »Tor Vergata«. Anzeigenpreisliste Nr. 29 vom 1. Januar 2019 gültig. Für un- movierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Japanologin ist verheiratet und hat drei Kinder. In Rom löst verlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Ge- währ übernommen. sie Jan Tombinski (61) ab. Der polnische Diplomat hatte die EU seit 2016 beim Heiligen Stuhl vertreten. 2. Oktober 2020 / Nummer 41 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Kultur 5

Ein Rombuch für Liebhaber Deutsche Spuren in der Ewigen Stadt

Die italienische Kulturgeschichte ist kaum zu denken ohne deutsche Einflüsse und umgekehrt. Diese enge Verbundenheit wird an keinem anderen Ort so deutlich wie in Rom. Männer und Frauen aus dem deutschen Sprachraum sind als Pilger, Kirchenleute, Künstler und Gelehrte in die Stadt gekommen und haben ihre Spuren hinterlassen. An diese Stätten führt ein neues Rombuch, das der Autor uns hier vorstellt:

er in ferne Länder reist, sucht dort zu- Werst das Fremde, Unbekannte. Reisen Denkmal Johann Wolfgang von Goethes bildet wohl nicht zuletzt dadurch, dass man das in der Villa Borghese: Vertraute verlässt. Umso erstaunlicher ist es, wenn man in einem anderen Land Spuren der ei- »Goethe interessierte sich kaum für das barocke genen Identität findet. Diese Erfahrung lässt sich oder mittelalterliche Rom. Im Mittelpunkt an keinem Ort der Welt intensiver machen als in stand für ihn die Begegnung mit den Relikten Rom. Dort stößt man an allen Ecken und Enden der Antike, die er in der Stadt an jeder Ecke auf deutsche Spuren. Wie könnte es auch anders finden konnte. Gleichwohl wusste er auch die sein, sind doch die italienische und die germa- lebensfrohe und heitere Atmosphäre des nisch-deutsche Kultur seit zwei Jahrtausenden zeitgenössischen Italiens zu schätzen« (S. 108). auf das engste verwoben. In der Antike herrsch- ten die Römer über das Gebiet links des Rheins und südlich der Donau. Angefangen mit Karl dem Ettore Roesler Franz, Römische Straße mit Blick auf die Kuppel von St. Peter, Aquarell, 1901. Großen suchten alle deutschen Könige des Mit- telalters die Krone Italiens zu erringen, bevor sie Diese wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts als Gedächtniskirche. Wilhelm II. unterstützte den sich im Petersdom vom Papst zum Kaiser krönen weite Hallenkirche (»alemannico more«, wie es Neubau, da er von der Notwendigkeit einer sicht- ließen. Über die Platte, auf der die Krönungshand- bei den Zeitgenossen heißt) neu erbaut, vielleicht baren Präsenz des Luthertums in Rom überzeugt lung stattfand, laufen heute täglich unwissend unter Beteiligung des großen Architekten Bra- war. Zu erzählen wäre auch vom protestanti- Tausende von Touristen. Acht Deutsche wurden mante. Jakob Fugger der Reiche zählte zu den schen Friedhof an der Porta Ostiense, malerisch zum Papst gewählt, zuletzt Benedikt XVI. im Jahr Mäzenen. Das Gotteshaus gilt heute als deutsche gelegen zwischen Aurelianischer Mauer und 2005. Es waren zumeist Reformer, die nur we- Nationalkirche. Ein deutscher Kurat ist für die Caestius-Pyramide. Zahlreiche prominente Deut- nige sichtbare Spuren in Rom hinterlassen ha- Seelsorge an den Katholiken deutscher Sprache sche, Österreicher und Schweizer sind hier begra- ben. Drei von ihnen wurden in Rom begraben. zuständig, ein Österreicher leitet das zugehörige ben, wie etwa August von Goethe, der Sohn des Studienkolleg. Eine Besonderheit der Anima war Dichters, oder Gottfried Semper. Pilger von jenseits der Alpen ihre rechtliche Stellung: In kirchlicher Hinsicht »Pilger« anderer Art kamen in der Neuzeit unterstand sie direkt dem Heiligen Stuhl. In poli- nach Rom. Maler wie der junge Peter Paul Ru- Im Mittelalter entstand auch eine regelrechte tischer Hinsicht dagegen war sie wie viele Klöster bens oder Adam Elsheimer suchten ihren Stil an deutsche Siedlung in der Stadt, die zwischen Pe- im Reich reichsunmittelbar, also direkt dem Kai- den großen Meistern zu schulen (Letzter liegt tersdom und Gianicolo gelegen war. In den engen ser unterstellt. 1803 entging die Anima der Säku- auch in Rom begraben). Anton Raphael Mengs Gassen lebten einst deutsche Handwerker, Gast- larisation. Seit der Auflösung des Heiligen Römi- machte die Stadt zum Mittelpunkt seines Wir- wirte, Künstler und Mitarbeiter der vatikani- schen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806 kens und hinterließ wichtige Werke, unter ande- schen Kurie. Der Name »Borgo« erinnert noch bleibt sie somit eines seiner letzten Relikte. Das rem im Vatikan. Die Malerin Angelika Kauff- heute an diese Ursprünge, ebenso die Kirchen - Einzugsgebiet von Kirche und Kolleg ist nach wie mann, die Goethe während seiner Zeit in Rom Blick vom Wohnhaus Thomas Manns namen Santo Spirito und San Michele »in Sassia« vor mit den alten Reichsgrenzen identisch. An porträtierte, war Mittelpunkt eines gebildeten auf das Pantheon: (Sachsen). Letzter Überrest dieser deutschen Prä- diese besondere Stellung erinnert noch heute der Kreises. Ludwig I. von Bayern, dessen Villa in der senz bei St. Peter ist der Komplex des Campo Reichsadler, der den Turm bekrönt. Nähe der Spanischen Treppe man noch heute be- »Ende des Jahres 1896 zog Thomas Mann in die Santo Teutonico mit seinem berühmten Friedhof, Martin Luther weilte 1510 in Rom und vollzog suchen kann, förderte die Künstler. In seiner Via del Pantheon 57. Wenn er das Haus verließ auf dem Prominente wie der Dichter Stefan An - dabei all die damals üblichen frommen Übungen. Nachbarschaft lebten die Nazarener in quasi und sich nach links wandte, so hatte er die dres, der Maler Joseph Anton Koch und der Ar- Protestantischen Gläubigen blieb in der Haupt- klösterlicher Gemeinschaft. Sie hinterließen im Eingangsfront des Pantheons direkt vor sich. chäologe Ludwig Curtius ruhen. stadt des alten Kirchenstaates eine eigene Kirche Casino Giustiniani Massimo einen wenig be- Eindrucksvoller konnte man in der römischen Seit dem Mittelalter kamen auch Pilger aus verwehrt, und nichtkatholische Gottesdienste kannten Freskenzyklus. Auch im 20. Jahrhun- Altstadt kaum wohnen. Eine Gedenktafel dem Bereich jenseits der Alpen in die Ewige konnten allenfalls in den ausländischen Gesandt- dert übte die Stadt eine große Anziehungskraft erinnert heute an den Schriftsteller, der hier Stadt. Als Hospiz für die Deutschen unter ihnen schaften gefeiert werden. 1817 fand ein erster auf Künstler aus. An die Literaten Thomas Mann, die ersten Seiten seines Romans »Die Budden- entstand im 14. Jahrhundert die Anima im Her- lutherischer Gottesdienst in der Residenz des der in seiner Wohnung in Nachbarschaft des Pan- brooks« niederschrieb, der seinen Weltruhm zen der Stadt. Die zugehörige kleine Kapelle er- preußischen Gesandten statt. Bald darauf wurde theons an den Buddenbrooks schrieb, und Inge- begründete (er sollte ihn drei Jahre später, hielt das Patrozinium Santa Maria delle Anime, eine Kapelle in der Gesandtschaft auf dem Kapitol borg Bachmann, die ihr ganzes Leben nicht von mit gerade einmal 25 Jahren beenden« (S. 161f.). Maria als Fürsprecherin der Seelen im Fegefeuer. errichtet. In dem Renaissancegebäude des Palaz- Rom loskam, erinnern Gedenktafeln. zo Caffarrelli, das ab 1871 als preußische Gesandtschaft beim Königreich Italien Dunkle Zeiten diente, wurde im Auftrag Kaiser Wil- helms II. ein eigener Thronsaal eingerich- Wenn man den deutschen Spuren in Rom tet. Zum Botschaftsgelände gehörten auch nachgeht, so findet man nicht nur ruhmreiche ein protestantisches Hospital und das erste Spuren, sondern auch solche, die an die dunklen Archäologische Institut. Die Botschaftsge- Zeiten des deutsch-italienischen Verhältnisses bäude wurden im Zuge des Ersten Welt- erinnern. In der Via Rasella sieht man noch die kriegs durch Italien enteignet, Thronsaal Einschusslöcher des Attentats, das italienische und Kapelle zerstört. Übrigens wurden da- Partisanen im Jahr 1943 auf ein deutsches Polizei- mals auch das österreichische Botschafts- regiment verübten. Die deutsche Militärkomman- gebäude, der Palazzo Venezia, und die dantur beschloss damals mit ausdrücklicher Billi- prächtige Residenz des österreichischen gung Hitlers, als Vergeltung für die 33 getöteten Am Eckhaus in der Via Rasella/Via Boccacci Botschafters, der Palazzo Chigi, konfis- Männer zehnmal so viele italienische Geiseln er- in der Nähe des Largo del Tritone sieht man ziert. schießen zu lassen. Die Exekution fand in den Ar- noch heute die Einschusslöcher des Attentats, Nach 1871 konnten sich nichtkatholi- deatinischen Tuffsteinhöhlen nahe der Via Appia das kommunistische Partisanen am 23. März sche Gemeinschaften frei betätigen. Die statt. Das dortige Museum ist für die Italiener ein 1944 auf ein Polizeiregiment der deutschen lutherische Gemeinde fand in der Chris - wichtiger historischer Erinnerungsort. In der Do- Besatzer verübten. Es folgte eine grausame tuskirche eine neue Heimstatt. Die Arbei- kumentationsstätte über den Widerstand im ehe- Vergeltungsaktion. ten standen unter der Leitung Franz maligen SS-Gefängnis kann man noch heute die Schwechtens, des Erbauers der Berliner Graffiti lesen, welche die Gefangenen an den »Wenn man von deutschen Spuren in Rom Wänden hinterlassen haben. spricht, sollte man nicht nur Kunst, Gelehrsamkeit und Kirchenpolitik in den Blick Der Palazzo Caffarelli (16. Jh.) auf dem Jörg Ernesti: Deutsche Spuren in Rom. Spa- nehmen. Die Stadt steht auch für die dunklen Kapitol. 1854 wurden das Gebäude und ziergänge durch die Ewige Stadt. 224 Seiten, Schatten, die in der Geschichte immer wieder das umgebende Gelände (insgesamt gebunden mit Leseband; Herder Verlag 2020, auf das Verhältnis zwischen Deutschen 20.000 Quadratmeter) durch den Euro 30,00 (DE), 30,90 (AT), Sfr 41,50 (CH); und Italienern gefallen sind« (S. 193). preußischen Staat käuflich erworben. ISBN 978-3-451-38799-9. Fotos: Jörg Ernesti 2. Oktober 2020 / Nummer 41 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 6 Kirche in der Welt

Interview mit P. Xene A. Sanchez SVD, Generaldirektor des Verlags Verbum Bible Die Bibel in den Muttersprachen Afrikas

Verbum Bible ist ein christlicher Verlag in gung steht. Darüber hinaus stellen wir die Mittel Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen bereit, damit das geschriebene Wort für die Men- Republik Kongo. Zum »Jahr des Wortes Gottes«, schen verständlich ist, indem wir Materialien für das die Katholische Bibelföderation für 2019/ Bibelstudien, Ausbildung, Reflexionen usw. erar- 2020 ausgerufen hat, konnte der Verlag die ers- beiten und verteilen. te Ausgabe der Bibel in »Kikongo ya leta« prä- sentieren, einer der vier Nationalsprachen, die Im Jahr 2019 wurde die erste Ausgabe der mit über fünf Millionen Sprechern im Westen »Biblia Ndinga ya Nzambi« in der Sprache »Ki- der DR Kongo weitverbreitet ist. Der Verlag ist kongo ya leta« veröffentlicht. Welche Bedeutung aktiv an der Veröffentlichung verschiedener Bi- hat die Übersetzung der Bibel in die verschiede- belübersetzungen beteiligt. Die Bibel in »Bam- nen Muttersprachen Afrikas? bara« (Mali) ist bereits erschienen, eine Version in »Mashi« (Bukavu, DR Kongo) wird in Kürze P. Xene: Weshalb die Bibel in die verschiede- gedruckt, weitere Übersetzungen sind geplant. nen Muttersprachen Afrikas übersetzen? Nelson Der Verlag ist seit 1983 Mitglied der Föderation. Mandela sagte: »Sprichst du mit jemandem in ei- Am 30. September, dem 1600. Todestag des hei- ner Sprache, die er versteht, so erreichst du sei- ligen Hieronymus, endete das »Jahr des Wortes nen Kopf. Sprichst du mit ihm in seiner eigenen Gottes«. Sprache, so erreichst du sein Herz.« In Kinshasa spricht bereits ein kleines Kind mehrere Spra- Von Ulrike Seidel, Generalsekretariat chen: seine Muttersprache, die Muttersprache der Katholischen Bibelföderation seiner Nachbarn sowie Lingála, vielleicht Ki- kongo und Französisch. Das Wort Gottes in den Sprachen zu hören, die man von Kindheit an Übersetzungsteam bei der Arbeit: In der Mitte P. Xene. Die Bibel in der eigenen Muttersprache lesen P. Xene, Sie stammen von den Philippinen und gehört und gesprochen hat, hat eine tiefere Wir- zu können, hat eine tiefere Wirkung. Davon ist der Steyler Missionar überzeugt sind heute Steyler Missionar. Wie kam es dazu? kung. Seit 1982 hat Verbum Bible bereits 15 voll- ständige Bibeln und zehn Übersetzungen des P. Xene: Die »Gesellschaft des Göttlichen dierte Französisch und eine der vier Landesspra- (batata), die Vorträge zu halten, nicht ich. Die Stu- Neuen Testaments in lokalen Sprachen veröf- Wortes« (Steyler Missionare, SVD) widmet auf chen, Kikongo ya leta. Ich begann als »Busch- denten bemerkten, dass sie nicht nur durch die fentlicht. Die vollständige Bibel in Bambara ist den Philippinen einen großen Teil ihres Wir- Missionar«, das heißt ich besuchte 33 Dörfer. Lehren der Heiligen Schrift bereichert wurden, nun trotz der unruhigen Zeiten auf dem Weg kungsfeldes dem Bildungsbereich, und zwar von Zum am weitesten von der Pfarrei entfernten sondern dass auch ihre Herzen und ihr Glaube nach Mali. Der Druck der Mashi-Bibel (Bukavu der Grundschule bis zu den höheren Stufen. Ich Dorf waren es über 80 Kilometer. Einige Dörfer berührt wurden. Anschließend wurden die Se- DRC) ist fast abgeschlossen. Wir arbeiten an der habe an der Universität San Carlos in Cebu-City waren mit dem Jeep erreichbar, andere mit dem minaristen vom Kardinal in die Dörfer geschickt, Bibel in Kivira (Kivu, DR Kongo) und dem Neuen studiert, gemeinsam mit Steyler Seminaristen, Kanu, andere mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Ich um dort dasselbe Seminar zu halten. Testament in Kiyaka, einer Sprache, die über die denen ich mich später anschloss. Die Kurse über war 20 Tage in den Dörfern, besuchte eine christ- Eine krönende Erfahrung für mich war unsere Grenzen der DR Kongo hinausgeht. die Bibel sind gleich meine Lieblingsfächer ge- liche Gemeinschaft nach der anderen, und war Initiative, in drei Jahren (1998-2000) die ganze worden. Ich hatte das Glück, die besten Professo- dann 10 Tage in der Pfarrei, um mich auszuruhen Bibel zu lesen, um das vom Papst ausgerufene Ju- Welche Bedeutung hat die Katholische Bibel- ren für Bibelwissenschaft in den Vorlesungen zu und »Verwaltungsarbeit« zu erledigen. Ich ver- biläumsjahr zu feiern. In allen Kirchen, die die föderation (KBF) in der DR Kongo und in der Re- hören, oft waren es Deutsche. Während der Som- brachte die meiste Zeit damit, mich um die Ju- Herausforderung annahmen, wurde jeden Tag gion Afrika? merferien wurden wir in Missionen geschickt, gendkatechese zu kümmern und die Dorfältesten ein Teil der Bibel gelesen. Am Ende des Monats wo viele unserer Mitbrüder in der Evangelisation auszubilden. versammelten sich alle Teilnehmer im Pfarrhaus P. Xene: Die Katholische Bibelföderation arbeiten. Meine Erfahrung, Christen das Wort Eine meiner schönsten Erfahrungen war es, zu einem »Frage und Antwort«-Treffen, wo über wurde 1969 gegründet. In der DR Kongo haben Gottes zu vermitteln, auf der Grundlage dessen, die Frauen zu versammeln und gemeinsam die die gelesenen Texte gesprochen wurde. Einer der die Steyler Missionare 1970 das Zentrum für das was ich gelernt habe, hat mein Interesse am Bi- Bibel zu lesen. Es gelang mir, sie hellwach und eifrigsten Teilnehmer starb während des Kurses. Bibelapostolat gegründet. Unter dem Dach der belstudium noch verstärkt. aktiv zu halten, indem ich sie bat, Sätze aus Ki- Wir versammelten uns um seinen Sarg und leg- Katholischen Bibelföderation gab es einen sehr le- kongo in ihre Muttersprache zu übersetzen. Für ten seine Bibel darauf. Nach drei langen Jahren bendigen Austausch zwischen Institutionen, die Sie sind als Missionar in die Demokratische die engagierteren Männer bildeten wir Bibel- erhielten allein in unserer Pfarrei mehr als 400 in verschiedenen afrikanischen Ländern im Bi- Republik Kongo gegangen. Was können Sie uns gruppen. Zu Weihnachten haben wir ein Bibel- Christen ein vom Kardinal selbst verliehenes Di- belapostolat tätig waren. 1971 hat die WCFBA von Ihrem Leben und Ihren Erfahrungen dort er- quiz organisiert und auch einen »Predigtwettbe- plom. Eine achtzigjährige Schwester freute sich, (Katholische Weltbibelföderation, die später in zählen? werb« für diejenigen, die den Wortgottesdiensten dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein Di- KBF umbenannt wurde) im italienischen Rocca vorstehen. plom erhielt. Hier, wo es den am schnellsten sich di Papa ihren ersten Kongress organisiert. Aus P. Xene: Ich habe die Demokratische Repu- ausbreitenden Katholizismus der Welt gibt, ist es Afrika kamen Delegierte aus 21 Ländern, vom blik Kongo als Missionsland gewählt, weil es in Welche Bedeutung haben die Bibel und der Gottes Wille, so meine ich, dass das Christentum französischen Zweig der Föderation Mitglieder der damaligen SVD-Provinz einen großen Bedarf christliche Glaube in der DR Kongo? tief in der Heiligen Schrift verwurzelt sein sollte. aus 23 Ländern des Kontinents und von den In- an jüngeren Missionaren gab. Das Mobutu-Re- seln. Die Bedeutung der Bibel ist sehr gewach- gime mit seiner antikolonialen Propaganda der P. Xene: Kein Geringerer als Johannes Paul II. Sie sind Generaldirektor von Verbum Bible. sen, so dass das Symposium der Bischofskonfe- Rückkehr zu den Wurzeln hat in den 1970er-Jah- unterstrich anlässlich seines Besuchs in der DR Was ist die Vision und die Mission dieses christli- renzen von Afrika und Madagaskar (SECAM) ren sowohl die Missionen als auch lokale Or- Kongo im Jahr 1980 die Bedeutung des Wortes chen Verlaghauses in Kinshasa? 1981 das Biblische Zentrum für Afrika und Ma- densberufungen stark beeinträchtigt. In den Gottes für die Menschen. Bei der Weihe von acht dagaskar (BICAM) ins Leben gerufen hat. Ein 1980er-Jahren wurde die Herausforderung neu Bischöfen sagte er diesen: »Hier in Afrika bittet P. Xene: Die protestantischen Kirchen sind Jahr später, 1982, wurde Verbum Bible gegrün- in Angriff genommen, kongolesische Kandidaten das Volk vor allem die Männer der Kirche: Gebt uns in fast allen Aspekten der Bibelveröffentli- det. Der Verlag wurde 1983 Mitglied der KBF auszubilden und ausländische Missionare zur uns das Wort Gottes!« Afrika ist der Kontinent mit chung weit voraus: Übersetzung, Herausgabe, und 1984 Mitglied des Exekutivkomitees. Mit 29 Verstärkung der SVD-Provinz zu rufen. Ich stu- der größten Anzahl von Bibelübersetzungen in Verteilung, Finanzierung, Organisation und Ver- Bischofskonferenzen als Vollmitgliedern und 29 die Landessprachen. Bei der Zahl der Bibelkäufe netzung. Die Bibelgesellschaften sind in minde- assoziierten Mitgliedern, die in 31 Ländern wir- steht Afrika nach Lateinamerika an zweiter stens 48 (von 55) Ländern in Afrika und Mada- ken, hat die KBF sicherlich dazu beigetragen, die Stelle. Ich war überrascht zu sehen, wie auf den gaskar vertreten. Sie bündeln ihre Kräfte und Zentralität des Wortes Gottes in Afrika und auf Märkten Bibeln verkauft wurden und Soldaten bilden die Vereinigte Bibelgesellschaft (UBS). Wir den Inseln zu fördern. während ihrer Wache die Bibel lasen. Nach mei- verdanken der UBS viel, und viele Katholiken ar- ner Erfahrung im »Busch« war ich in der Bibel- beiten mit der Organisation zusammen. Als den Seit 2015 sind Sie persönlich Mitglied des ausbildung tätig. Die Teilnehmer mussten wir Katholiken jedoch die Bedeutung der Bibel in Exekutivkomitees der KBF. Wie kann man sich nicht suchen, wir hatten eher Probleme, weil wir ihrem Leben immer bewusster wurde, spürten die Zusammenarbeit mit der Föderation auf die- ihre Zahl beschränken mussten. Wir haben Bi- sie auch das Bedürfnis nach katholischen Versio- ser Ebene vorstellen? belseminare für eine kurze Ausbildung und Bi- nen. Warum? Nur um ein paar Gründe zu nen- belkurse für gefestigte Christen eingeführt. nen: Erstens brauchen wir, um die Bibel tiefer zu P. Xene: Eines meiner Lieblingsmottos, das In Kinshasa habe ich in der Pfarrei Notre verstehen, Erklärungen, Kommentare und Ein- ich in der DR Kongo kennengelernt habe, ist: Dame d’Afrique eine Kommission für das Bibel- führungen. Zweitens fehlen in einigen protestan- »L’Évangile nous rend frères!« Das bedeutet: »Das apostolat gebildet. Einmal pro Woche, ein ganzes tischen Bibeln die deuterokanonischen Bücher Evangelium macht uns zu Geschwistern.« Im Jahr lang, organisierten wir einen regelmäßig und außerdem entspricht in vielen Fällen die ka- Exekutivkomitee sind wir aus den verschiedenen stattfindenden Bibelkurs. Die Teilnehmer waren tholische liturgische Sprache nicht dem Vokabu- Teilen der Welt versammelt und vertreten ver- Hausfrauen, Lehrer, Angestellte, »normale« Ge- lar der protestantischen Versionen. schiedene Kontinente, die in Zonen unterteilt meindemitglieder. Das Ergebnis war so gut, dass Als Antwort auf dieses Bedürfnis entstand sind. Manch einem bin ich noch nie begegnet, unser Team in mehr als 40 andere Pfarreien ein- Verbum Bible. Die Mission des Verlages ist es, zu aber sehr spontan sind wir uns in einer quasi fa- geladen wurde, um dort Bibelunterricht zu ge- verwirklichen, was in der dogmatischen Konsti- miliären Beziehung nahe. Wir tragen große Ver- ben. Diejenigen, die diese Erfahrung machten, tution Dei Verbum unter Nr. 22 gesagt wird: den antwortung, und wir sind uns dessen bewusst. sagten: »Warum wurde uns das jahrelang vorent- Wunsch, dass »der Zugang zur Heiligen Schrift al- Wenn Jesus inständig gebetet hat, dass seine Jün- halten?« Als Kardinal Etsou mich bat, ein Bibelse- len«, auch den Völkern Afrikas, »weit offen ger eins sein sollen, müssen wir uns dann nicht Teilnehmer an einem Bibelseminar: Das Wort minar für Theologiestudenten zu geben, bat ich steht«. Zugang heißt, dass die Bibel vor allem in um so mehr bemühen, die Einheit und die Dyna- Gottes wird ausgesät. unsere Laien-»Mütter« (bamama) und »Väter« den lokalen Sprachen mit Erklärungen zur Verfü- mik der Katholischen Bibelföderation zu wahren? 2. Oktober 2020 / Nummer 41 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 7

Apostolisches Schreiben von Papst Franziskus Scripturae Sacrae affectus anlässlich des 1600. Todestages des heiligen Hieronymus

und ihre Tochter Eustochium, einen Kreis, der sich in erster Linie der Lektüre und dem genauen Stu- dium der Heiligen Schrift widmet. Hieronymus ist Exeget, Lehrer, Seelenführer. In dieser Zeit nimmt er eine Revision der früheren lateinischen Über- setzungen der Evangelien und vielleicht auch an- derer Teile des Neuen Testaments vor, setzt seine Tätigkeit als Übersetzer von Predigten und Eine leidenschaftliche Liebe zur Heiligen Schriftkommentaren des Origenes fort, führt eine Schrift, eine aufrichtige und zärtliche Liebe zum umfangreiche Korrespondenz, setzt sich öffent- geschriebenen Wort Gottes ist das Erbe, das der lich mit häretischen Autoren auseinander – zu- heilige Hieronymus der Kirche durch sein Leben weilen übertrieben und maßlos, aber immer auf- und seine Werke hinterlassen hat. Diese Worte, richtig beseelt von dem Wunsch, den wahren die dem liturgischen Gedenktag des Heiligen ent- Glauben und den überlieferten Schatz der Schrif- nommenen sind1, bieten uns einen unverzichtba- ten zu verteidigen. ren Interpretationsschlüssel, um anlässlich des Diese intensive und fruchtbare Zeit geht 1600. Todestages seine herausragende Gestalt in mit dem Tod von Papst Damasus zu Ende. der Kirchengeschichte und seine große Liebe zu Hieronymus sieht sich gezwungen, Rom zu ver- Christus kennenzulernen. Diese Liebe durch- lassen. Gefolgt von Freunden und einigen Frauen, zieht – wie ein Fluss, der sich in viele Bäche ver- die den Wunsch haben, das begonnene geistliche ästelt – sein Werk als unermüdlicher Gelehrter, Leben und das Bibelstudium fortzusetzen, bricht Übersetzer, Exeget, profunder Kenner und lei- er nach Ägypten – dort begegnet er dem großen denschaftlicher Verbreiter der Heiligen Schrift; als Theologen Didymus dem Blinden – und Palästina feinsinniger Ausleger der biblischen Texte; als auf, um sich dann im Jahr 386 endgültig in Betle- glühender, zuweilen auch vehementer Verteidi- hem niederzulassen. Er nimmt seine philologi- ger der christlichen Wahrheit; als asketischer und Heiliger Hieronymus, Caravaggio (1605/06), Galleria Borghese, Rom. schen Studien vor dem Hintergrund der konkre- unnachgiebiger Eremit und erfahrener Seelen- ten Orte, die Schauplatz jener Berichte waren, führer, in seiner Großherzigkeit und Zärtlichkeit. einen der vier großen westlichen Kirchenlehrer tisches Leben zu führen, in dem das Studium der wieder auf. Heute, nach 1600 Jahren, ist seine Gestalt für uns darstellt. biblischen Sprachen, vor allem Griechisch und Die große Bedeutung, die er den heiligen Stät- Christen des 21. Jahrhunderts auch weiterhin Bereits meine Vorgänger haben seine Gestalt dann Hebräisch, einen wichtigen Stellenwert ein- ten zumisst, kommt nicht nur durch die Entschei- hochaktuell. bei mehreren Gelegenheiten in Erinnerung geru- nimmt. Er vertraut sich einem jüdischen Bruder dung zum Ausdruck, von 386 bis zu seinem Tod fen. Vor einem Jahrhundert, anlässlich seines an, der Christ geworden ist, und dieser führt ihn in Palästina zu leben, sondern auch durch den Einleitung 1500. Todestages, widmete Benedikt XV. ihm in die Kenntnis der für ihn neuen Sprache He- Dienst an den Pilgern. An seinem Lieblingsort die Enzyklika Spiritus Paraclitus (15. September bräisch und der Laute ein, die er als »Zisch- und Betlehem gründet er bei der Geburtsgrotte zwei Am 30. September 420 beendete Hieronymus 1920), in der er ihn als »doctor maximus expla - Kehllaute« bezeichnet.8 »Zwillingsklöster«: ein Frauen- und ein Männer- in Betlehem in der von ihm in der Nähe der Ge- nandi Scripturis« bezeichnete.3 In jüngerer Zeit Hieronymus wählt die Wüste und somit das kloster mit Hospizen für die Aufnahme der Pilger, burtsgrotte gegründeten Gemeinschaft sein irdi- hat Benedikt XVI. seine Person und sein Werk in Einsiedlerleben und erfährt sie in ihrer tiefsten die ad loca sancta kommen. So zeigt sich seine sches Leben. So vertraute er sich dem Herrn an, zwei aufeinanderfolgenden Katechesen vorge- Bedeutung: als Ort grundlegender existentieller großherzige Gastfreundschaft für jene, die in den er in der Schrift immer gesucht und kennen- stellt.4 Nun an seinem 1600. Todestag möchte Entscheidungen, der Vertrautheit und der Begeg- diese Region kamen, um die Orte der Heilsge- gelernt hatte und dem er als Richter bereits begeg- auch ich an den heiligen Hieronymus erinnern nung mit Gott, wo er durch Betrachtung, innere schichte zu sehen und zu berühren und so die net war, fiebernd, in einer Vision, vielleicht in der und ausgehend von seiner großen Liebe zu den Prüfungen, geistlichen Kampf zur Erkenntnis der kulturelle mit der geistlichen Forschung zu ver- Fastenzeit des Jahre 375. Bei jenem Ereignis, das Schriften die Aktualität seiner Botschaft und sei- Schwäche gelangt, mit einem größeren Bewusst- binden.12 eine entscheidende Wende in seinem Leben ner Lehren erneut vor Augen führen. sein um die eigenen Grenzen und die Grenzen Im Hören auf die Heilige Schrift findet darstellte, einen Moment der Umkehr und des In diesem Sinne kann er als sicherer Wegwei- anderer; er erkennt die große Bedeutung der Hieronymus sich selbst, das Angesicht Gottes Perspektivwechsels, fühlte er sich vor den Rich- ser und privilegierter Zeuge mit der XII. Ordentli- Tränen.9 So spürt er in der Wüste die konkrete und das der Brüder und Schwestern und vertieft terstuhl geschleppt: »Nach meinem Stande be- chen Vollversammlung der Bischofssynode, die Gegenwart Gottes, die Notwendigkeit der Bezie- seine Liebe zum Gemeinschaftsleben. Daraus fragt, gab ich zur Antwort, ich sei Christ. Der auf dem Wort Gottes gewidmet war,5 in geistige hung des Menschen zu ihm und seinen barmher- entspringt sein Wunsch, wie schon in den Zeiten dem Richterstuhl saß, sprach zu mir: ›Du lügst, du Verbindung gebracht werden wie auch mit dem zigen Trost. In diesem Zusammenhang möchte von Aquileia zusammen mit Freunden zu leben bist ein Ciceronianer, aber kein Christ.‹«2 Denn Apostolischen Schreiben Verbum Domini (VD) ich gern eine Anekdote aus der apokryphen und Mönchsgemeinschaften zu gründen. Dabei Hieronymus hatte von Jugend an die klare Schön- meines Vorgängers Benedikt XVI., das genau am Überlieferung in Erinnerung rufen. Hieronymus verfolgt er das koinobitische Ideal des Ordensle- heit der klassischen lateinischen Texte geliebt, Gedenktag des Heiligen, am 30. September 2010, fragt den Herrn: »Was willst du von mir?« Und bens, das das Kloster als »Übungsstätte« zur Her- verglichen mit denen die Schriften der Bibel ihm veröffentlich wurde.6 dieser antwortet: »Du hast mir noch nicht alles ge- ausbildung von Menschen betrachtet, »die sich anfangs grob und grammatisch fehlerhaft erschie- geben.« – »Aber Herr, ich habe dir doch dies und unter allen die Niedrigsten dünken, um so die ers - nen, zu herb für seinen kultivierten literarischen Von Rom nach Betlehem das und jenes gegeben …« – »Es fehlt etwas.« – ten unter allen zu werden«, die in der Armut Geschmack. »Was?« – »Gib mir deine Sünden, damit ich die glücklich sind und durch den eigenen Lebensstil Jene Episode seines Lebens trägt zu der Ent- Das Leben und der persönliche Weg des heili- Freude habe, sie noch einmal zu vergeben.«10 lehren können. Denn für ihn ist es der Bildung zu- scheidung bei, sich vollkommen Christus und sei- gen Hieronymus finden auf den Straßen des Rö- Wir finden ihn in Antiochia wieder, wo er von träglich, »unter der Zucht eines Abtes, […] in Ge- nem Wort zu widmen. So setzte er sich ganz mischen Reiches, zwischen Europa und dem Bischof Paulinus zum Priester geweiht wird, und sellschaft vieler« zu leben, um Demut, Geduld, durch seine unermüdliche Arbeit als Übersetzer Orient, statt. Geboren um 345 in Stridon, an der dann gegen 379 in Konstantinopel. Dort lernt er Schweigen und Sanftmut zu lernen, im Bewusst- und Kommentator dafür ein, die göttlichen Schrif- Grenze zwischen Dalmatien und Pannonien, im Gregor von Nazianz kennen, setzt seine Studien sein, dass »die Wahrheit keine Winkelzüge kennt ten den anderen immer besser zugänglich zu ma- Gebiet des heutigen Kroatien oder Slowenien, er- fort, widmet sich der Übersetzung wichtiger und sich nicht der Ohrenbläser bedient«.13 Außer- chen. Jenes Ereignis gibt seinem Leben eine neue hält er eine solide Erziehung und Bildung in einer Werke aus dem Griechischen ins Lateinische dem gesteht er, sich »nach den Klosterzellen zu und entschiedenere Richtung: Diener des Wortes christlichen Familie. Wie es damals üblich war, (Predigten des Origenes und die Chronik des Eu- sehnen. Jenen Ameisen wünschte ich gleich zu Gottes zu werden, verliebt in das »Fleisch der wird er im Erwachsenenalter getauft, in den Jah- sebius) und atmet die Atmosphäre des Konzils, werden, bei denen man für das Wohl des Ganzen Schrift«. In der unablässigen Forschung, die sein ren, in denen er sich als Student der Rhetorik in das im Jahr 381 in jener Stadt abgehalten wurde. arbeitete, wo dem Einzelwesen nichts eignet, Leben gekennzeichnet hat, macht er sich so die Rom aufhält, zwischen 358 und 364. In dieser rö- In diesen Jahren werden in den Studien seine Lei- vielmehr allen alles gehört«.14 Studien seiner Jugendzeit und die in Rom erhal- mischen Periode wird er auch zum unersättli- denschaft und seine Großherzigkeit offenbar. Das Studium ist für Hieronymus kein vorüber- tene Bildung zunutze und ordnet sein Wissen auf chen Leser der lateinischen Klassiker, die er unter Eine gesegnete Unruhe treibt ihn an und macht gehendes Vergnügen als Selbstzweck, sondern den reiferen Dienst an Gott und an der kirchli- der Anleitung der berühmtesten Lehrmeister der ihn unermüdlich und leidenschaftlich in der For- eine Übung des geistlichen Lebens, ein Mittel, chen Gemeinschaft hin. Rhetorik seiner Zeit studiert. schung: »Oft verzweifelte ich, oft gab ich die Sa- um zu Gott zu gelangen. Und so erfährt auch Daher zählt der heilige Hieronymus mit Fug Nach Abschluss der Studien unternimmt er che dran und nahm sie voller Lernbegierde wie- seine klassische Bildung im reiferen Dienst an der und Recht zu den großen Gestalten der Alten eine lange Reise nach Gallien, die ihn in die heute der auf«, um, von der »bitteren Buchstabensaat« kirchlichen Gemeinschaft eine neue Ausrich- Kirche, in jener Epoche, die als das goldene Zeit- in Deutschland gelegene Kaiserstadt Trier führt. dieser Studien geführt, »so herrliche Früchte« zu tung. Denken wir an die Hilfe, die er Papst Dama- alter der Patristik bezeichnet wird, als wahre Dort kommt er zum ersten Mal mit dem östlichen ernten.11 sus geleistet hat, an die Unterweisung, die er Brücke zwischen Ost und West: Er ist ein Jugend- Mönchtum in Kontakt, das vom heiligen Athana- Im Jahr 382 kehrt Hieronymus nach Rom den Frauen seit den ersten regelmäßigen Zusam- freund des Rufinus von Aquileia, begegnet Am- sius verbreitet worden war. So reift in ihm ein tie- zurück und stellt sich Papst Damasus zur Verfü- menkünften auf dem Aventin gibt, insbesondere brosius und führt eine umfangreiche Korrespon- fer Wunsch heran, der ihn nach Aquileia beglei- gung, der seine großen Qualitäten erkennt und im Hebräischen: So nimmt er Paula und Eusto- denz mit Augustinus. Im Osten lernt er Gregor tet, wo er mit einigen Freunden einen »Chor der ihn zu seinem engen Mitarbeiter macht. Hier chium sogar »in die Kämpfe der Übersetzer«15 hin- von Nazianz, Didymus den Blinden und Epipha- Seligen«,7 eine Zeit des Gemeinschaftslebens, be- stürzt sich Hieronymus unaufhörlich in die Ar- ein und versetzt sie in die Lage – in der damaligen nios von Salamis kennen. Die christliche Ikono- ginnt. beit, ohne die geistliche Dimension zu vergessen: Zeit etwas völlig Neues –, die Psalmen in der Ori- graphie lässt ihm seit jeher besondere Verehrung Um das Jahr 374 beschließt er nach seiner An- Auf dem Aventin gründet er mit Unterstützung ginalsprache zu lesen und zu singen.16 zuteilwerden, indem sie ihn zusammen mit Au- kunft in Antiochia, sich in die Wüste Chalkis adliger römischer Frauen, die radikal nach dem gustinus, Ambrosius und Gregor dem Großen als zurückzuziehen, um ein immer radikaleres aske- Evangelium leben möchten, wie Marcella, Paula Fortsetzung auf Seite 8 2. Oktober 2020 / Nummer 41 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 8 Aus dem Vatikan

Apostolisches Schreiben von Papst Franziskus

Fortsetzung von Seite 7 tigkeit. Dieser Einsatz in allen Lebens- und Wir- zu übersetzen und zu kommentieren, umgeben kungsbereichen wird auch daraus ersichtlich, von Büchern und Pergamenten, mit der Sendung dass er seine Übersetzungsarbeit und Kommen- beauftragt, durch das Denken und das Schreiben Er stellt seine Bildung in den Dienst anderer tare als munus amicitiae allen zur Verfügung den Glauben zu verteidigen. Albrecht Dürer, um und erachtet sie als notwendig für jeden, der das stellt. Es ist ein Geschenk – in erster Linie für ein weiteres berühmtes Beispiel anzuführen, hat Evangelium verkündet. So erinnert er seinen seine Freunde, an die seine Werke gerichtet und ihn mehrfach in dieser Haltung dargestellt. Freund Nepotian: »Das Wort des Priesters soll die denen sie gewidmet sind und die er bittet, sie Die beiden eben erwähnten Aspekte sind auf Würze der Schrift offenbaren. Du sollst kein De- eher mit freundschaftlichem als mit kritischem dem Gemälde von Caravaggio in der Galleria Bor - klamator sein, auch kein geschwätziger Zungen- Blick zu lesen, und dann auch für die Leser, seine ghese in Rom miteinander verbunden: In ein und drescher, hinter dessen Worten nichts steckt. Zeitgenossen und die aller Zeiten.25 derselben Szene ist der alte Asket dargestellt, spär- Vielmehr soll sich heilige Wissenschaft (mysterii) Die letzten Jahre seines Lebens verbringt er lich mit einem roten Tuch bekleidet, auf dem Tisch und Vertrautheit mit den Geheimnissen (sacra- im betenden persönlichen und gemeinschaftli- ein Totenschädel als Symbol der Eitelkeit der irdi- mentorum) deines Gottes in deiner Predigt kund- chen Lesen der Heiligen Schrift, in der kontem- schen Wirklichkeiten; zugleich ist jedoch auch tun. Überlassen wir es den Ungebildeten, mit plativen Betrachtung, im Dienst an den Brüdern seine Eigenschaft als Gelehrter eindrücklich dar- leeren Worten um sich zu werfen und durch Zun- und Schwestern durch seine Werke. Und all das gestellt, den Blick fest auf das Buch geheftet, genfertigkeit die Bewunderung des unerfahre- tut er in Betlehem bei der Grotte, wo das Göttli- während seine Hand die Feder in das Tintenfass nen Volkes auf sich zu lenken. Eine leider nicht che Wort aus der Jungfrau Maria geboren wurde, taucht, mit der typischen Geste des Schriftstellers. seltene Anmaßung bedeutet es, das zu erklären, im Bewusstsein, dass »glücklich [ist], wer das Auf ähnliche Weise – ich würde sie als »weis- Bei der Geburtsgrotte in Betlehem, wo der heilige was man selbst nicht versteht; und am Ende hält Kreuz, die Auferstehung, den Ort der Geburt und heitlich« bezeichnen – müssen wir das zweifache Hieronymus lebte und starb, befindet sich diese man sich selbst für ein Licht, wenn man anderen der Himmelfahrt Christi in seiner Seele trägt. Profil von Hieronymus’ biographischem Weg ver- Inschrift zu seinem Gedenken. etwas weisgemacht hat«.17 Glückselig, wer Bethlehem in seinem Herzen hat, stehen. Wenn er – als wahrer »Löwe von Betle- In Betlehem verbringt Hieronymus bis zu sei- in dessen Herz Christus täglich geboren wird«.26 hem« – übertriebene Töne anschlug, dann tat er heit und in den Reichtum Christi einzudringen.29 nem Tod im Jahr 420 die fruchtbarste und inten- dies im Streben nach einer Wahrheit, der er be- Das bezeugen die Evangelien selbst: Sie berich- sivste Zeit seines Lebens. Er widmet sich ganz Der weisheitliche reitwillig und bedingungslos dienen wollte. Und ten uns von Jesus als Lehrer, der, um sein Ge- dem Studium der Heiligen Schrift und ist mit dem Verständnisschlüssel zu wie er selbst in seiner ersten Schrift Leben des heimnis zu erklären, auf Mose, die Propheten monumentalen Werk der Übersetzung des seinem Leben heiligen Paulus, des ersten Einsiedlers erklärt, und die Psalmen zurückgreift (vgl. Lk 4,16-21; ganzen Alten Testaments aus dem hebräischen sind Löwen fähig zu »fürchterlichem Gebrüll«, 24,27.44-47). Auch die Predigttätigkeit von Pe- Original befasst. Gleichzeitig kommentiert er die Um die Persönlichkeit des heiligen Hierony - aber auch zur Trauer.27 Daher sind jene, die bei trus und Paulus in der Apostelgeschichte ist be- Bücher der Propheten, die Psalmen, die paulini- mus vollständig zu verstehen, müssen zwei be- ihm zwei parallel verlaufende Charakterzüge zu zeichnenderweise in den alten Schriften verwur- schen Werke und verfasst Hilfsmittel für das Bi- zeichnende Dimensionen seines Glaubenslebens sein scheinen, in Wirklichkeit Elemente, mit de- zelt; ohne sie kann man die Gestalt des belstudium. Die kostbare Arbeit, die er auf seine miteinander verbunden werden: einerseits die ab- nen der Heilige Geist seine innere Einheit hat her- Gottessohnes, des Heilands, nicht in ganzer Fülle Werke verwendet hat, ist Frucht der Auseinan- solute und rigorose Hingabe an Gott, unter Ver- anreifen lassen. verstehen. Das Alte Testament darf nicht als dersetzung und der Zusammenarbeit, vom Kopie- zicht auf jegliches menschliche Wohlgefallen, aus große Ansammlung von Zitaten betrachtet wer- ren und Sammeln der Handschriften bis hin zur Liebe zum gekreuzigten Christus (vgl. 1 Kor 2,2; Liebe zur den, die die Erfüllung der Prophezeiungen in der Reflexion und Diskussion: »Ich habe bei der Un- Phil 3,8.10); andererseits die beharrliche For- Heiligen Schrift Person Jesu von Nazaret belegen; vielmehr ist es tersuchung der göttlichen Bücher nie auf meine schungstätigkeit, die ausschließlich auf ein immer nur im Licht der alttestamentlichen »Gestalten« eigenen Kräfte vertraut […]. Ich habe die Ge- tieferes Verständnis des Geheimnisses des Herrn Der besondere Wesenszug der geistlichen Ge- möglich, den Sinn des Christusereignisses, das in wohnheit, Fragen zu stellen, auch zu dem, was ausgerichtet ist. Dieses zweifache Zeugnis, das der stalt des heiligen Hieronymus ist und bleibt zwei- Christi Tod und Auferstehung seine Vollendung ich zu wissen glaubte, und erst recht zu dem, heilige Hieronymus wunderbar ablegt, kann ein fellos seine leidenschaftliche Liebe zum Wort fand, in ganzer Fülle zu erkennen. Daher die Not- worüber ich mir nicht sicher war«18. Im Bewusst- Vorbild sein: in erster Linie für die Mönche, damit Gottes, das der Kirche in der Heiligen Schrift wendigkeit, in der katechetischen Praxis und in sein um seine eigenen Grenzen bittet er bestän- alle, die von Askese und Gebet leben, angespornt überliefert ist. Wenn alle Kirchenlehrer – und ins- der Predigt ebenso wie in den theologischen Ab- dig um Unterstützung durch das Gebet für das werden, sich beharrlich der Mühsal des For- besondere jene des frühen Christentums – ihre handlungen den unverzichtbaren Beitrag des Al- Gelingen seiner Übersetzung der heiligen Texte schens und Denkens zu widmen; und außerdem Lehrinhalte ausdrücklich aus der Bibel geschöpft ten Testaments neu zu entdecken, das man lesen »im selben Geist, in dem sie geschrieben wur- und in sich aufnehmen muss wie eine wertvolle den«.19 Dabei vergisst er nicht, auch Werke von Nahrung (vgl. Ez 3,1-11; Offb 10,8-11).30 Autoren zu übersetzen, die für die exegetische Hieronymus’ völlige Hingabe an die Schrift Tätigkeit unverzichtbar sind, wie Origenes, um zeigt sich in einer leidenschaftlichen Ausdrucks- »dieses Material allen verfügbar zu machen, die form, die der der Propheten des Alten Bundes die wissenschaftlichen Studien vertiefen wol- ähnelt. Aus ihnen schöpft unser Kirchenlehrer len«.20 das innere Feuer, das zum gewaltig hereinbre- Hieronymus’ Studien erweisen sich als eine in chenden Wort wird (vgl. Jer 5,14; 20,9; 23,29; der Gemeinschaft und im Dienst an der Gemein- Ml 3,2; Sir 48,1; Mt 3,11; Lk 12,49), das nötig ist, schaft unternommene Anstrengung, als Vorbild um den glühenden Eifer dessen zum Ausdruck zu der Synodalität auch für uns, für unsere Zeit und bringen, der der Sache Gottes dient. Wie bei Elija, für die verschiedenen kulturellen Einrichtungen Johannes dem Täufer und auch beim Apostel Pau- der Kirche, damit diese stets ein Ort sein mögen, lus entflammt die Empörung über Lüge, Heuche- »wo aus dem Wissen ein Dienst wird, denn ohne lei und falsche Lehren Hieronymus’ Rede und ein Wissen, das aus der Zusammenarbeit entsteht macht sie provokativ und scheinbar hart. Man und in sie mündet, gibt es keinen echten, ganz- versteht die polemische Dimension seiner Schrif- heitlich menschlichen Fortschritt«21. Die Grund- ten besser, wenn man sie als eine Art Abbild der lage einer solchen Gemeinschaft ist die Schrift, echten prophetischen Tradition betrachtet, die in die wir nicht alleine lesen können: »Die Bibel die eigene Zeit übertragen wird. Hieronymus ist wurde vom Volk Gottes und für das Volk Gottes also ein Vorbild des unbeugsamen Zeugnisses unter der Eingebung des Heiligen Geistes ge- für die Wahrheit, die die Form strenger Zurecht- schrieben. Nur in dieser Gemeinschaft mit dem weisung annimmt, um zur Umkehr zu bewegen. Volk Gottes können wir wirklich mit dem ›Wir‹ in Gläubige in der Demokratischen Republik Kongo treffen sich zum gemeinsamen Lesen der Bibel. In der Intensität der Worte und der Bilder kommt den Kern der Wahrheit eintreten, die Gott selbst der Mut des Dieners zum Ausdruck, der nicht den uns mitteilen will«.22 für die Gelehrten, die daran denken sollten, dass haben, so hat Hieronymus dies auf eine systema- Menschen, sondern aus schließlich seinem Herrn Dank seiner großen, vom Wort Gottes genähr- das Wissen auf religiöser Ebene nur dann einen tischere und gewissermaßen einzigartige Weise gefallen will (vgl. Gal 1,10), für den er all seine ten Lebenserfahrung wird Hieronymus durch Wert hat, wenn es auf der ausschließlichen Liebe getan. geistliche Kraft eingesetzt hat. eine umfangreiche Korrespondenz zum Seelen- zu Gott, auf dem Verzicht auf jeglichen menschli- Die Exegeten haben in jüngerer Zeit die nar- führer. Er macht sich zum Weggefährten, in der chen Ehrgeiz und alles weltliche Streben gründet. rative und poetische Genialität der Bibel ent- Das Studium der Überzeugung, dass man »keine Kunst ohne Meis - Diese Dimensionen wurden im Bereich der deckt und gerade aufgrund ihrer Ausdrucks- Heiligen Schrift ter lernt«, wie er an Rusticus schreibt: »Alles, was Kunstgeschichte aufgegriffen, wo der heilige stärke gepriesen. Hieronymus dagegen hob in ich Dir in aller Freundschaft zu sagen habe, alles Hieronymus häufig anzutreffen ist: Große Meis- der Schrift vielmehr den demütigen Charakter Die leidenschaftliche Liebe des heiligen versuche ich, der erfahrene Seemann, der in man- ter der westlichen Malerei haben uns ihre Dar- der göttlichen Offenbarung hervor, die in der Hieronymus zu den göttlichen Schriften ist vom chem Sturm Schiffbruch gelitten hat, dem Anfän- stellungen hinterlassen. Man könnte die ver- herben und beinahe primitiven Natur der he- Gehorsam durchtränkt. Vor allem gegenüber ger ans Herz zu legen.«23 Von jenem friedlichen schiedenen ikonografischen Typen in zwei bräischen Sprache zum Ausdruck kommt, ver - Gott, der sich in Worten mitgeteilt hat, die mit Flecken Erde aus verfolgt er die Geschehnisse ei- verschiedene Linien einordnen. Die eine sieht ihn glichen mit der Erlesenheit des ciceronischen La- Ehrfurcht gehört werden müssen,31 und folglich ner Zeit, die von großen Umbrüchen und Ereig- vor allem als Mönch und Büßer, mit einem vom teins. Er widmet sich der Heiligen Schrift also Gehorsam auch gegenüber jenen, die in der Kir- nissen wie der Plünderung Roms im Jahr 410 ge- Fasten ausgemergelten Leib, zurückgezogen in nicht aus ästhetischen Gründen, sondern be- che für die lebendige Auslegungstradition der of- prägt ist, die ihn zutiefst erschüttert hat. der Wüste, kniend oder auf dem Boden kauernd, kanntlich nur, weil sie ihn dahin bringt, Christus fenbarten Botschaft stehen. Der »Glaubensgehor- In seinen Briefen bringt er die Auseinander- oft mit einem Stein in den Rechten, um sich auf die kennenzulernen, denn Unkenntnis der Schriften sam« (Röm 1,5; 16,26) ist jedoch keine rein setzungen in der Lehre zur Sprache und vertei- Brust zu schlagen, und den Blick auf den Gekreu- ist Unkenntnis Christi.28 passive Annahme des Bekannten, sondern ver- digt stets den rechten Glauben. Er erweist sich zigten gerichtet. In diese Linie gehört das ergrei- Hieronymus lehrt uns, dass nicht nur die langt im Gegenteil den aktiven Einsatz in der hier als Mann der Beziehungen, die er mit Nach- fende Meisterwerk von Leonardo da Vinci, das in Evangelien studiert werden müssen und nicht persönlichen Suche. Wir können den heiligen druck und Güte lebt, in die er sich ganz einbringt, der Vatikanischen Pinakothek aufbewahrt wird. nur die apostolische Überlieferung, die in der Hieronymus als treuen und emsigen »Diener« des ohne etwas zu schönen, wobei er die Erfahrung Eine andere Art der Darstellung zeigt uns Apostelgeschichte und in den Briefen enthalten Wortes sehen, der ganz darauf aus ist, bei seinen macht, dass »die Liebe keinen Marktpreis hat«.24 Hieronymus im Gewand des Gelehrten, an sei- ist, kommentiert werden muss: Denn das ganze So lebt er das, was er liebt, mit Eifer und Aufrich- nem Schreibtisch sitzend, um die Heilige Schrift Alte Testament ist unverzichtbar, um in die Wahr- Fortsetzung auf Seite 9 2. Oktober 2020 / Nummer 41 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 9

Apostolisches Schreiben von Papst Franziskus

Fortsetzung von Seite 8 schatz‹ (P. Claudel) und ›Bilderatlas‹ (M. Chagall) geworden, aus welchen die christliche Kultur und Kunst geschöpft haben.«42 Die Literatur, die Küns - Brüdern und Schwestern im Glauben ein besse- te und auch die Volkssprache haben beständig res Verständnis des ihnen anvertrauten heiligen aus der hieronymianischen Bibelübersetzung ge- »Gutes« zu fördern (vgl. 1 Tim 6,20; 2 Tim 1,14). schöpft und uns Schätze der Schönheit und der Wenn man das, was von den inspirierten Autoren Frömmigkeit hinterlassen. geschrieben wurde, nicht versteht, bleibt das Aus Ehrfurcht gegenüber dieser unbestreitba- Wort Gottes wirkungslos (vgl. Mt 13,19), und die ren Tatsache hat das Konzil von Trient im Dekret Liebe zu Gott kommt nicht zum Vorschein. Insuper erklärt, dass die Vulgata als »authentisch« Nun sind nicht alle Bibelstellen immer unmit- gelten soll, und so ihre jahrhundertelange Ver- telbar zugänglich. Wie es bei Jesaja (29,11) heißt, wendung in der Kirche gewürdigt und ihren scheint das heilige Buch auch jenen, die »lesen« Wert als Werkzeug für das Studium, die Predigt können – die also eine ausreichende intellektu- und die öffentlichen Disputationen bezeugt.43 elle Bildung erhalten haben –, »versiegelt« zu Es war jedoch nicht sein Bestreben, die Bedeu- sein, hermetisch verschlossen für die Auslegung. tung der Originalsprachen geringzuschätzen, die Daher muss ein sachkundiger Zeuge eingreifen, Hieronymus immer wieder in Erinnerung geru- der den befreienden Schlüssel bringt, den Schlüs- fen hatte, und schon gar nicht, zukünftige neue sel Christi, des Herrn, der allein in der Lage ist, Projekte einer Gesamtübersetzung zu verbieten. die Siegel zu lösen und das Buch zu öffnen (vgl. Der heilige Paul VI. griff die Bestimmung der Vä- Offb 5,1-10), um die wunderbare Ausgießung der ter des Zweiten Vatikanischen Konzils auf und Gnade zu offenbaren (vgl. Lk 4,17-21). Außerdem wollte, dass die Arbeiten zur Revision der Vul- erklären auch viele praktizierende Christen offen, gata-Übersetzung abgeschlossen und der ganzen dass sie nicht in der Lage sind zu lesen (vgl. Jes Kirche zur Verfügung gestellt werden sollten. So 29,12) – nicht weil sie Analphabeten wären, son- hat der heilige Johannes Paul II. in der Apostoli- dern weil sie auf die biblische Sprache, ihre Aus- schen Konstitution Scripturarum thesaurus44 im drucksformen und die antiken kulturellen Tradi- Jahr 1979 die Editio typica promulgiert, die als tionen nicht vorbereitet sind. Daher ist der Neovulgata bezeichnet wird. biblische Text nicht so zu entziffern, als wäre er in einem unbekannten Alphabet und in einer un- Übersetzung als Inkulturation verständlichen Sprache geschrieben. Es wird also die Vermittlung des Auslegers Durch seine Übersetzung ist es Hieronymus notwendig, der seine »diakonale« Funktion aus- gelungen, die Bibel in die lateinische Sprache und übt, indem er sich in den Dienst derer stellt, die Kultur zu »inkulturieren«, und sein Wirken ist den Sinn dessen, was prophetisch geschrieben zum bleibenden Vorbild für die missionarische wurde, nicht verstehen können. Dies wird am Tätigkeit der Kirche geworden. Denn »wenn eine Diakon Philippus gut sichtbar, der vom Herrn auf- Gemeinschaft die Verkündigung des Heils auf- gefordert wurde, dem Eunuchen entgegenzuge- nimmt, befruchtet der Heilige Geist ihre Kultur hen, der auf seinem Wagen einen Abschnitt aus mit der verwandelnden Kraft des Evangeliums«45, dem Buch Jesaja liest (53,7-3), ohne jedoch seine und so entsteht eine Art Kreislauf: So wie Bedeutung erschließen zu können. »Verstehst du Hieronymus’ Übersetzung der Sprache und der auch, was du liest?«, fragt Philippus; und der Eu- Kultur der lateinischen Klassiker, deren Spuren nuch antwortet: »Wie könnte ich es, wenn mich deutlich sichtbar sind, viel zu verdanken hat, so niemand anleitet?« (Apg 8,30-31).32 ist sie selbst mit ihrer Sprache und ihrem symbo- Hieronymus ist unser Wegweiser, weil er wie lischen und bildhaften Inhalt ihrerseits zum kul- Philippus (vgl. Apg 8,35) jeden Leser zum Ge- Der heilige Hieronymus in der Einöde, Albrecht Dürer (1495). turschaffenden Element geworden. heimnis Jesu führt, und weil er die für ein korrek- Hieronymus’ Übersetzungswerk lehrt uns, tes und fruchtbares Verständnis der Heiligen Ich möchte an dieser Stelle in Erinnerung ru- geschrieben waren, gab es für die Bücher des Al- dass die Werte und die positiven Formen jeder Schriften notwendige exegetische und kulturelle fen, was mein Vorgänger im Apostolischen Schrei- ten Testaments eine vollständige Übersetzung, Kultur eine Bereicherung für die ganze Kirche Vermittlung verantwortungsvoll und systema- ben Verbum Domini zum Ausdruck brachte: »Die die sogenannte Septuaginta (oder Übersetzung darstellen. Die unterschiedlichen Formen, in de- tisch annimmt.33 Die Kenntnis der Sprachen, in Sakramentalität des Wortes lässt sich so in Analo- der Siebzig), die von der jüdischen Gemeinde von nen das Wort Gottes bei jeder neuen Überset- denen das Wort Gottes überliefert wurde, die ge- gie zur Realpräsenz Christi unter den Gestalten Alexandria um das 2. Jahrhundert herum erstellt zung verkündigt, verstanden und gelebt wird, be- naue Analyse und Auswertung der Handschrif- des konsekrierten Brotes und Weines verstehen. worden war. Für die Leser lateinischer Sprache reichern die Schrift selbst, denn diese wächst mit ten, die sorgfältige archäologische Forschung und […] Über die Haltung, die sowohl gegenüber der gab es dagegen keine vollständige Übersetzung dem Leser, wie ein bekanntes Wort Gregors des auch die Kenntnis der Auslegungsgeschichte: Alle Eucharistie als auch gegenüber dem Wort Gottes der Bibel in ihre Sprache, sondern nur einige un- Großen lautet,46 und bekommt im Laufe der Jahr- methodologischen Mittel also, die seinerzeit zur einzunehmen ist, sagt der heilige Hieronymus: vollständige Teilübersetzungen aus dem Griechi- hunderte neue Akzente und neue Klänge. Die Verfügung standen, werden passend und weise ›Wir lesen die Heiligen Schriften. Ich denke, dass schen. Hieronymus und denen, die dann sein Aufnahme der Bibel und des Evangeliums in die von ihm genutzt, um für ein richtiges Verständnis das Evangelium der Leib Christi ist; ich denke, dass Werk fortgesetzt haben, kommt das Verdienst zu, verschiedenen Kulturen sorgt dafür, dass die Kir- der inspirierten Schrift Orientierung zu geben. die Heiligen Schriften seine Lehre sind. Und wenn eine Revision und eine Neuübersetzung der che sich immer mehr als »sponsa ornata monili- Eine solche vorbildliche Dimension der Tätig- er sagt: Wer mein Fleisch nicht isst und mein Blut ganzen Schrift vorgenommen zu haben. Nach- bus suis« (Jes 61,10) zeigt. Und sie bezeugt gleich- keit des heiligen Hieronymus ist auch in der Kir- nicht trinkt (Joh 6,53), dann kann man zwar diese dem er in Rom, ermutigt von Papst Damasus, mit zeitig, dass die Bibel immer wieder in die che von heute äußerst wichtig. Wenn, wie Dei Worte auch in Bezug auf das [eucharistische] Mys- der Revision der Evangelien und der Psalmen be- sprachlichen und geistigen Kategorien jeder Kul- Verbum lehrt, die Bibel »gleichsam die Seele der terium verstehen; dennoch ist der Leib Christi und gonnen hatte, nahm Hieronymus dann an sei- tur und jeder Generation übersetzt werden muss, heiligen Theologie«34 und sozusagen das geistli- sein Blut wahrhaft das Schriftwort, die Lehre nem Rückzugsort in Betlehem die Übersetzung auch in der globalen säkularisierten Kultur unse- che Rückgrat der christlichen Religionsausübung Gottes.‹«37 aller alttestamentlichen Bücher direkt aus dem rer Zeit.47 ist,35 dann muss sich die Auslegung der Bibel un- Leider fühlt sich in vielen christlichen Fami- Hebräischen in Angriff – eine Arbeit, die sich Es ist zu Recht gesagt worden,48 dass sich eine bedingt auf besondere Sachkenntnis stützen. lien keiner in der Lage – wie es dagegen in der über Jahre hinzog. Analogie zwischen der Übersetzung als Akt Zu diesem Zweck dienen natürlich die Spit- Thora vorgeschrieben ist (vgl. Dtn 6,6) –, den Kin- Um diese Übersetzungsarbeit zum Abschluss sprachlicher Gastfreundschaft und anderen For- zenforschungszentren für Bibelwissenschaft dern das Wort des Herrn zu vermitteln, in all sei- zu bringen, machte sich Hieronymus seine men der Gastfreundschaft herstellen lässt. Daher (wie das Päpstliche Bibelinstitut in Rom sowie die ner Schönheit, in all seiner geistlichen Kraft. Aus Kenntnis des Griechischen und des Hebräischen betrifft die Übersetzungsarbeit nicht einzig und »École Biblique« und das »Studium Biblicum Fran- diesem Grund habe ich den »Sonntag des Wortes sowie seine solide lateinische Bildung zunutze allein die Sprache, sondern sie entspricht in ciscanum« in Jerusalem) und Patristik (wie das Gottes« eingeführt38 und zum betenden Lesen und bediente sich der philologischen Mittel, die Wahrheit einer umfassenderen ethischen Ent- »Augustinianum« in Rom), aber auch jede andere der Bibel und zur Vertrautheit mit dem Wort ihm zur Verfügung standen, insbesondere der scheidung, die sich mit der ganzen Weltsicht ver- Theologische Fakultät muss sich dafür einsetzen, Gottes ermutigt.39 So werden alle anderen Aus- Hexapla des Origenes. Der endgültige Text ver- bindet. Ohne Übersetzung könnten die verschie- dass die Heilige Schrift so gelehrt wird, dass den drucksformen der Religiosität mit Sinn bereichert, band die Kontinuität in den Formulierungen, die denen sprachlichen Gemeinschaften nicht Studierenden die Fähigkeit zu kompetenter Bibel- nach der Hierarchie der Werte geordnet und auf bereits in den allgemeinen Gebrauch eingegan- miteinander kommunizieren; wir würden die auslegung vermittelt wird, sowohl was die Text- das hin ausgerichtet, was den Höhepunkt des gen waren, mit einer größeren Treue zum hebräi- Türen der Geschichte voreinander verschließen exegese als auch die Synthese der Biblischen Glaubens darstellt: die volle Zustimmung zum schen Wortlaut, ohne die Eleganz der lateini- und die Möglichkeit ausschließen, eine Kultur der Theologie betrifft. Der Reichtum der Schrift wird Geheimnis Christi. schen Sprache zu opfern. Das Ergebnis ist ein Begegnung aufzubauen.49 Tatsächlich gibt es leider von vielen nicht erkannt oder gering - wahres Monument, das die Kulturgeschichte des ohne Übersetzung keine Gastfreundschaft; feind- geschätzt, weil ihnen die wesentlichen Wissens- Die Vulgata Westens geprägt und ihre theologische Sprache selige Verhaltensweisen würden sich sogar ver- grundlagen nicht vermittelt wurden. Neben ver- geformt hat. Die Übersetzung des Hieronymus stärken. Der Übersetzer ist ein Brückenbauer. mehrten kirchlichen Studien für Priester und Die »süßen Früchte der Anstrengungen«40 des wurde, nach Überwindung einer gewissen Ab- Wie viele Vorurteile, wie viele Verurteilungen Katecheten, die der Fachkenntnis im Bereich der von Hieronymus unternommenen Studiums des lehnung, die anfangs vorhanden war, sofort zum und Konflikte entstehen aus der Tatsache, dass Heiligen Schriften einen höheren Stellenwert ein- Griechischen und des Hebräischen ist die Über- Gemeingut sowohl der Gelehrten als auch des wir die Sprache der anderen nicht kennen und räumen sollen, muss eine Bildung für alle Chris - setzung des Alten Testaments ins Lateinische aus christlichen Volkes, daher der Name Vulgata.41 uns nicht, mit hartnäckiger Hoffnung, um diesen ten gefördert werden, damit jeder befähigt wird, dem hebräischen Original. Bis dahin konnten die Das Europa des Mittelalters hat anhand der von unendlichen Liebesbeweis, die Übersetzung, das heilige Buch zu öffnen und ihm die unschätz- Christen des Römischen Reiches die Bibel in ihrer Hieronymus übersetzten Bibel lesen, beten und bemühen! baren Früchte der Weisheit, der Hoffnung und des Gesamtheit nur auf Griechisch lesen. Während argumentieren gelernt. »Die Heilige Schrift ist so Lebens zu entnehmen.36 die Bücher des Neuen Testaments auf Griechisch gleichsam zu einem ›unermesslichen Wort- Fortsetzung auf Seite 10 2. Oktober 2020 / Nummer 41 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 10 Aus dem Vatikan

Apostolisches Schreiben von Papst Franziskus

Fortsetzung von Seite 9 Unsere Welt braucht mehr denn je das Heil- sie in den meisten Fällen nicht nur einen margi- 5 Bischofssynode, Botschaft an das Gottesvolk mittel der Barmherzigkeit und der Gemeinschaft. nalen Platz ein, sondern enthält auch keine ge- bei der XII. Ordentlichen Vollversammlung der Gestattet mir, noch einmal zu wiederholen: Ge- haltvollen Werke. Beim Stöbern in diesen Rega- Bischofssynode (24. Oktober 2008). Auch Hieronymus musste dem vorherrschen- ben wir ein Zeugnis des brüderlichen Miteinan- len oder Internetseiten mag ein junger Mensch 6 Vgl. AAS 102 (2010) 681-787. den Denken seiner Zeit entgegenwirken. ders, das anziehend und erhellend wird.57 »Daran kaum verstehen, dass die religiöse Suche ein be- 7 Chronicum 374: PL 27, 697-698. Während in der Anfangszeit des Römischen Rei- werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger geisterndes Abenteuer sein kann, das Verstand 8 Ep. 125,12: CSEL 56, 131. ches Griechisch weithin verstanden wurde, so seid: wenn ihr einander liebt« (Joh 13,35). Es ist und Herz gleichermaßen betrifft; dass das Verlan- 9 Vgl. Ep. 122,3: CSEL 56, 63. war dies zu seiner Zeit bereits seltener der Fall. Er das, worum Jesus den Vater inständig gebeten gen nach Gott in allen Jahrhunderten bis heute 10 Vgl. Tagesmeditation, 10. Dezember 2015. war auf jedem Fall einer der besten Kenner der hat: »Alle sollen eins sein […] in uns […], damit große Geister entflammt hat; dass das Heranrei- Die Anekdote ist wiedergegeben in: A. Louf, christlichen griechischen Sprache und Literatur die Welt glaubt« (Joh 17,21). fen des geistlichen Lebens Theologen und Philo- Sotto la guida dello Spirito, Qiqaion, Magnano und unternahm im Alleingang einen noch sophen, Künstler und Dichter, Historiker und (BI) 1990, 154-155. schwierigeren Weg, als er sich dem Studium des Lieben, Wissenschaftler angesteckt hat. Eines der Pro- 11 Vgl. Ep. 125,12: CSEL 56, 131. Hebräischen widmete. Wenn, wie geschrieben was Hieronymus geliebt hat bleme der heutigen Zeit, nicht nur in der Religion, 12 Vgl. VD, 89: AAS 102 (2010), 761-762. wurde, »die Grenzen meiner Sprache die Gren- ist der Analphabetismus: Es mangelt an herme- 13 Vgl. Ep. 125,9.15.19: CSEL 56, 128.133- zen meiner Welt bedeuten«50, dann können wir Zum Abschluss dieses Schreibens möchte ich neutischen Fähigkeiten, die uns zu glaubwürdi- 134.139. sagen, dass wir der Vielsprachigkeit des heiligen einen weiteren Aufruf an alle richten. Dem heili- gen Auslegern und Übersetzern unserer eigenen 14 Vita Malchi monachi captivi, 7,3: PL 23, 59- Hieronymus ein universaleres Verständnis des gen Hieronymus wurde von der Nachwelt viel kulturellen Tradition machen. Besonders die jun- 60. Christentums verdanken, das gleichzeitig seinen Lob gezollt. So gilt er nicht nur als einer der größ- gen Menschen möchte ich gerne auffordern: 15 Praef. Esther 2: PL 28, 1505. Quellen besser entspricht. ten Förderer der »Bibliothek«, aus der sich das Macht euch auf die Suche nach eurem Erbe. Das 16 Vgl. Ep. 108,26: CSEL 55, 344-345. Mit der feierlichen Begehung des Todestages Christentum die Zeit hindurch nährt – angefan- Christentum macht euch zu Erben eines unüber- 17 Ep. 52,8: CSEL 54, 428-429; vgl. VD, 60: des heiligen Hieronymus richtet sich der Blick auf gen beim Schatz der Heiligen Schriften –, son- trefflichen kulturellen Schatzes, den ihr euch zu AAS 102 (2010), 739. die außerordentliche missionarische Kraft, die dern auf ihn lässt sich auch das anwenden, was eigen machen solltet. Begeistert euch für diese 18 Praef. Paralipomenon LXX, 1.10-15: SCh durch die Übersetzung des Wortes Gottes in über er selbst über Nepotian geschrieben hat: »Durch Geschichte, sie ist die eure. Wagt es, den Blick fest 592, 340. dreitausend Sprachen zum Ausdruck kommt. auf jenen unruhigen jungen Hieronymus zu rich- 19 Praef. in Pentateuchum: PL 28, 184. Vielen Missionaren ist das kostbare Werk der ten, der wie der Mann aus dem Gleichnis Jesu al- 20 Ep. 80,3: CSEL 55, 105. Veröffentlichung von Grammatiken, Wörter- les verkaufte, was er besaß, um die »besonders 21 Botschaft an die Teilnehmer der 24. Öffent- büchern und anderen sprachlichen Hilfsmitteln wertvolle Perle« zu kaufen (Mt 13,46). lichen Sitzung der Päpstlichen Akademien, 4. De- zu verdanken, die die Grundlagen für die Hieronymus ist wirklich die »Bibliothek zember 2019: L’Osservatore Romano, (dt.) Jg. 50 menschliche Kommunikation bieten und ein Mit- Christi«: eine immerwährende Bibliothek, die (2020), Nr. 1/2 (10. Januar 2020), 13. tel sind für den »missionarischen Traum, alle zu auch uns nach 16 Jahrhunderten weiterhin lehrt, 22 VD, 30: AAS 102 (2010), 709. erreichen«.51 Es ist notwendig, diese ganze Arbeit was die Liebe Christi bedeutet – eine Liebe, die 23 Ep. 125,15.2: CSEL 56, 133.120. zu würdigen und weiter zu verfolgen, um so zur sich nicht trennen lässt von der Begegnung 24 Ep. 3,6: CSEL 54, 18. Überwindung der Grenzen mangelnder Kommu- mit seinem Wort. Daher ist das gegenwärtige 25 Vgl. Praef. Josue, 1,9-12: SCh 592, 316. nikation und Begegnung beizutragen. Es gibt Jubiläum ein Aufruf, das zu lieben, was 26 Homilia in Psalmum 95: PL 26, 1181. noch viel zu tun. Wie jemand gesagt hat,52 gibt es Hieronymus geliebt hat, indem wir seine Schrif- 27 Vgl. Vita S. Pauli primi eremitae, 16,2: PL kein Verstehen ohne Übersetzung: Wir würden ten neu entdecken und uns berühren zu lassen 23, 28. weder uns selbst noch die anderen verstehen. von der Wirkung einer Spiritualität, die in ihrem 28 Vgl. In Isaiam Prol.: PL 24, 17. wesentlichen Kern beschrieben werden kann als 29 Vgl. Zweites Vatikanisches Ökumenisches Hieronymus und das unruhige und leidenschaftliche Verlangen, Konzil, Dogmatische Konstitution Dei Verbum, der Stuhl Petri den Gott der Offenbarung besser kennenzuler- 14. nen. Wie sollten wir in unserer heutigen Zeit 30 Vgl. ebd. Hieronymus hatte immer eine besondere Be- nicht das hören, wozu Hieronymus seine Zeitge- 31 Vgl. ebd., 7. ziehung zur Stadt Rom: Rom ist der geistliche Ha- nossen unablässig anspornte: »Lies fleißig in der 32 Vgl. Hieronymus, Ep. 53,5: CSEL 54, 451. fen, zu dem er immer wieder zurückkehrt; in Heiligen Schrift, nie sollen deine Hände die hei- 33 Vgl. Zweites Vatikanisches Ökumenisches Rom wurde der Humanist ausgebildet und der lige Lesung beiseitelegen«?60 Konzil, Dogmatische Konstitution Dei Verbum, Christ geprägt; er ist ein homo romanus. Diese Das leuchtende Vorbild darin ist Maria, die 12. Bindung geschieht auf ganz besondere Weise in Hieronymus uns vor allem in ihrer jungfräulichen 34 Ebd., 24. der Sprache der Stadt, dem Lateinischen, deren Mutterschaft, aber auch in ihrer Haltung als be- 35 Vgl. ebd., 25. Meister und Förderer er gewesen ist, aber vor al- tende Leserin der Schrift vor Augen stellt. Maria 36 Vgl. ebd., 21. lem ist er mit der Kirche von Rom und insbeson- erwog die Worte in ihrem Herzen (vgl. Lk 2,19; 37 Nr. 56; vgl. Hieronymus, In Psalmum 147: dere mit dem Stuhl Petri verbunden. Die ikono- 3,15), und »weil sie heilig war und die heiligen CCL 78, 337-338. grafische Tradition hat ihn anachronistisch mit Gemäss dem »Global Scripture Access Report« Schriften gelesen hatte und mit den Propheten 38 Vgl. Apostolisches Schreiben in Form eines dem Kardinalspurpur dargestellt, um auf seine des Weltbundes der Bibelgesellschaften (UBS) vertraut war, da erinnerte sie sich, dass der Engel »Motu proprio« Aperuit illis, 30. September 2019. Zugehörigkeit zum Presbyterium von Rom an der kann die vollständige Bibel mittlerweile (Stand Gabriel zu ihr gesprochen hatte, was sich bei den 39 Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gau- Seite von Papst Damasus hinzuweisen. In Rom März 2020) in 694 Sprachen gelesen werden. Propheten geweissagt findet. […] Sie sah den dium, 152.175: AAS 105 (2013), 1083-1084.1093. begann er mit der Revision der Übersetzung. Und Damit haben etwa 5,7 Milliarden Menschen Zu- Knaben daliegen, sie sah den Knaben in der 40 Ep. 52,3: CSEL 54, 417. auch als Neid und Unverständnis ihn zwangen, gang zur Heiligen Schrift in ihrer Muttersprache. Krippe weinen, sie sah den Sohn Gottes vor sich 41 Vgl. VD, 72: AAS 102 (2010), 746-747. die Stadt Rom zu verlassen, ist er immer eng mit Das Neue Testament wurde bisher in 1542 Spra- liegen, ihren Sohn, ihren einzigen Sohn. Wie sie 42 Johannes Paul II., Brief an die Künstler dem Stuhl Petri verbunden geblieben. chen übersetzt, einzelne biblische Schriften in ihn da liegen sah, verglich sie, was sie gehört (4. April 1999): AAS 91 (1999), 1159-1160. Für Hieronymus ist die Kirche von Rom der weitere 1159 Sprachen. hatte, mit dem, was sie gelesen hatte und was sie 43 Vgl. Denzinger-Schönmetzer, Enchiridion fruchtbare Boden, wo der Same Christi reiche persönlich wahrnahm.«61 Ihr wollen wir uns an- Symbolorum, 1506. Frucht trägt.53 In einer unruhigen Zeit, in der fleißige Lesung und tägliche Betrachtung machte vertrauen. Sie kann uns am besten lehren, Gottes 44 25. April 1979: AAS LXXI (1979), 557-559. das nahtlose Gewand der Kirche oft von Spaltun- er aus seinem Herzen eine Bibliothek Christi.«58 Wort zu lesen und zu meditieren, zu Gott zu be- 45 Apostolisches Schreiben Evangelii gau- gen zwischen den Christen zerrissen ist, blickt Hieronymus scheute keine Mühen, die eigene Bi- ten und ihn zu betrachten, der sich in unserem dium, 116: AAS 105 (2013), 1068. Hieronymus auf den Stuhl Petri als sicheren Be- bliothek zu bereichern, in der er stets ein unver- Leben unermüdlich gegenwärtig macht. 46 Hom. in Ezech. I, 7: PL 76, 843D. zugspunkt: »Wie ich außer Christus keinem nach- zichtbares Laboratorium für das Verständnis des 47 Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gau- folge, so fühle ich mich mit dem Stuhle Petri in Glaubens und das geistliche Leben sah; und Rom, bei St. Johannes im Lateran, dium, 116: AAS 105 (2013), 1068. Glaubensgemeinschaft verbunden. Weiß ich darin ist er ein wunderbares Vorbild auch für die am 30. September, dem Gedenktag des 48 Vgl. P. Ricœur, Sur la traduction, Bayard, Pa- doch sehr gut, dass die Kirche Christi auf diesen Gegenwart. Er ging aber noch darüber hinaus. heiligen Hieronymus, im Jahr 2020, ris 2004. Felsen gebaut ist.« Mitten in der Auseinanderset- Das Studium blieb für ihn nicht auf die Ausbil- dem achten meines Pontifikats. 49 Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gau- zung mit den Arianern schreibt er an Damasus: dungsjahre in seiner Jugend beschränkt, sondern dium, 24: AAS 105 (2013), 1029-1030. »Wer nicht mit dir sammelt, der zerstreut. Wer es es war eine ständige Verpflichtung, eine tägliche 50 L. Wittgenstein, Tractatus logico-philoso- nicht mit Christus hält, der hält es mit dem An- Priorität seines Lebens. Außerdem können wir phicus, 5.6. tichrist.«54 Daher kann er auch sagen: »Zu mir sagen, dass er eine ganze Bibliothek in sich auf- 51 Apostolisches Schreiben Evangelii gau- gehört, wer mit dem Stuhle Petri in kirchlicher nahm und ein Wissensquell für viele andere dium, 31: AAS 105 (2013), 1033. 55 52 Gemeinschaft steht!« war. Als Postumianus im 4. Jahrhundert den Fußnoten Vgl. G. Steiner, After Babel. Aspects of lan- Hieronymus war oft in erbitterte Auseinan- Orient bereiste, um monastische Bewegungen guage and translation, Oxford University Press, dersetzungen um den Glauben verwickelt. Viel- kennenzulernen, wurde er Augenzeuge von New York 1975. leicht ließen seine Wahrheitsliebe und die Hieronymus’ Lebensstil. Er hielt sich einige Mo- 1 »Deus qui beato Hieronymo presbitero sua- 53 Vgl. Ep. 15,1: CSEL 54, 63. glühende Verteidigung Christi ihn in seinen Brie- nate bei ihm auf und beschrieb ihn folgender- vem et vivum Scripturae Sacrae affectum tribuisti, 54 Ebd., 15,2: CSEL 54, 62-64. fen und Schriften mit heftigen Worten über das maßen: »Immer ist er am Lesen, immer mit da, ut populus tuus verbo tuo uberius alatur et in 55 Ebd., 16,2: CSEL 54, 69. Ziel hinausschießen. Sein Leben war jedoch auf Büchern beschäftigt; weder bei Tag noch bei eo fontem vitae inveniet«, Collecta Missae Sancti 56 Ebd., 82,2: CSEL 55, 109. den Frieden ausgerichtet: »Auch wir wünschen Nacht gönnt er sich Ruhe, immer liest oder Hieronymi, Missale Romanum, Editio typica ter- 57 Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gau- den Frieden, ja wir wünschen ihn nicht bloß, son- schreibt er etwas.«59 tia, Civitas Vaticana 2002. dium, 99: AAS 105 (2013), 1061. dern wir bitten darum. Aber um den Frieden Ich denke in diesem Zusammenhang oft an 2 Epistula (im Folgenden Ep.) 22,30: CSEL54, 58 Ep. 60,10: CSEL 54, 561. Christi bitten wir, um den wahren Frieden, um die Erfahrung, die ein junger Mensch heute ma- 190. 59 Sulpicius Severus, Dialogus I, 9: PL 20, 190; einen Frieden ohne Feindseligkeit, um einen Frie- chen kann, wenn er eine Buchhandlung seiner 3 AAS 12 (1920), 385-423. SCh 510, 136-138. den, der nicht den Kriegskeim in sich birgt, um ei- Stadt betritt oder eine Website besucht und dort 4 Vgl. Generalaudienzen am 7. und am 14. No- 60 Ep. 52,7: CSEL 54, 426. nen Frieden, der nicht Gegner unterjocht, son- die Abteilung der religiösen Bücher sucht. Wenn vember 2007: Insegnamenti, III, 2 (2007), 553- 61 Homilia de nativitate Domini IV: PL Suppl. dern in Freundschaft vereinigt.«56 eine solche Abteilung vorhanden ist, dann nimmt 556; 586-591. 2, 191. 2. Oktober 2020 / Nummer 41 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache Aus dem Vatikan 11

Anmerkungen zum Apostolischen Schreiben Scripturae Sacrae affectus Liebe zum Wort Gottes im Studium und in der Treue des Lebens

Von Kardinal Gianfranco Ravasi strengung dies kostete, welche Schwierigkeiten gegenüber eine gewisse Untreue aufweist, ge- zu überwinden waren, wie oft ich verzweifelte, rade wenn es sich um unterschiedliche linguisti- wie oft ich die Sache drangab und voller Lernbe- sche und kulturelle Systeme handelt. Dabei folgte gierde wieder aufnahm, das weiß nur ich, der ich er dem großen Cervantes, Autor des Don Quijote, s war der 30. September 420 und in es durchgemacht habe, und jene, welche mit mir der überzeugt war, dass jede Übertragung sei wie Bethlehem in der Nähe der Geburts- zusammenlebten.« So begann das große Aben- die stets undeutliche Rückseite eines schönen Egrotte beendete der Dalmatiner Hiero- teuer, das unter der Bezeichnung »Vulgata« Wandteppichs. Denn die bei der Übersetzung ei- nymus sein ereignisreiches und teilweise leid- berühmt geworden ist: die Erstellung einer nes Textes auftretenden Fragen sind keine rein geprüftes irdisches Dasein. Genau 1.600 Jahre »volkstümlichen« lateinischen Übersetzung der linguistisch-literarischen, sondern hermeneuti- nach jenem Herbsttag hat Papst Franziskus dem Bibel. sche Probleme, vor allem wenn es sich um eine Kirchenlehrer ein ausführliches Apostolisches Der Papst verfolgt nach diesem Wendepunkt Heilige Schrift handelt. Dennoch ist Hieronymus Schreiben gewidmet. Dessen Titel Scripturae den gesamten faszinierenden Weg und die be- mit seiner Genauigkeit und Freiheit, mit seiner Sacrae affectus ist den liturgischen Texten des wegte Geschichte des heiligen Hieronymus als Kenntnis und seiner Kreativität auch heute noch Gedenktags entnommen und zugleich eine be- Christ, in deren Mittelpunkt die Liebe zur Heili- gerade in diesem Sinn ein Symbol für Tugend und eindruckende Synthese seiner persönlichen Er- gen Schrift steht, in der zweifachen Dimension Methode. fahrung und seines Werkes. Ja man könnte dieses von »Buchstabe« und »Geist«. Das wichtigste Ele- Wort als Sinnbild für denjenigen verstehen, der ment seiner menschlichen und geistlichen Exis - *** im kollektiven Gedächtnis als herausragender tenz liegt in seiner Arbeit als Übersetzer, verkör- Übersetzer der Bibel weiterlebt, aufgrund jener pert in eben jener Vulgata, »der süßesten Frucht Aber über die rein kritischen Fragen hinaus- »Vulgata«, die einen Weg durch die Jahrhunderte der Anstrengungen« seiner literarischen und gehend, möchte der Papst aus Anlass dieses Ju- zurückgelegt hat. historisch-kritischen Studien. Papst Franziskus biläums – gleichsam die Hintergrundmelodie des Und gerade deshalb ist seine Gestalt ein wich- bietet diesbezüglich eine Reihe wertvoller An- gesamten Textes – die kirchliche Gemeinschaft tiger Bezugspunkt für die Geschichte der westli- merkungen über die hohe Bedeutung dieser Ak- anregen, das wesentliche Erbe des heiligen chen Kultur und Kunst. Überraschenderweise er- tivität mit ihren Grundcharakteristiken, aber Hieronymus anzunehmen, das heißt die Liebe wähnt auch der Papst einige »weisheitliche« auch hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Kirche. zum Wort Gottes in Studium und Treue des Le- künstlerische Porträts des Heiligen, angefangen Vor allem verdeutlicht er ihren originellen Geist, bens. Das ist ein Thema, das vom kirchlichen bei dem »ergreifenden Meisterwerk« des büßen- der auch die Wurzel jeder qualifizierten Überset- Lehramt immer hervorgehoben wurde. Insbe- Domenichino (1581-1651), Die letzte Kom- den Hieronymus in der Wüste von Leonardo da zung bildet und sich heute noch durch die quasi sondere treten hier hervor die Aussagen des munion des heiligen Hieronymus. Das Orignial- Vinci, gemalt um 1482, dessen Geschichte aus ei- unendlichen Versionen der Bibel in den verschie- Zweiten Vatikanischen Konzils in Dei Verbum, gemälde befindet sich heute in den Vatikanischen nem Roman stammen könnte. Den herannahen- densten Sprachen offenbart. das Apostolische Schreiben Verbum Domini von Museen. Im Petersdom wurde es durch ein Mo- den Tod hat Domenichino zwischen 1611 und Denn Übersetzen ist ein Akt der Inkultura- Benedikt XVI. zum Gedenktag des Heiligen am saik ersetzt. 1614 auf einem großen Altarbild dargestellt: tion. In diesem Zusammenhang greift der Papst 30. September 2010, sowie Evangelii gaudium Es zeigt die letzte Kommunion des heiligen explizit eine Reflexion des zeitgenössischen und Aperuit illis von Papst Franziskus. Nicht zu Hieronymus. In einer feierlich-strengen Atmo- Denkens auf (P. Ricoeur, L. Wittgenstein, G. Stei- Lektüre und Studium der Bibel im »Vivarium« an- vergessen ist auch, dass Benedikt XV. zum 1.500 sphäre empfängt der nunmehr sehr geschwächte ner) und stellt eine Analogie her »zwischen der genommen wurde, der von ihm auf seinem Land- Todestag von Hieronymus im Jahr 1920 die »Löwe von Bethlehem« die Eucharistie, umgeben Übersetzung als Akt sprachlicher Gastfreund- sitz Scylacium in Kalabrien gegründeten »Univer- Enzyklika Spiritus Paraclitus veröffentlicht hat. von seinen Schülern und der treuen Paula, Zeu- schaft und anderen Formen der Gastfreund- sität«. Es gab einen »gallischen« Typus in Denn »der besondere Wesenszug der geistlichen gen der von ihm gegründeten monastischen Ge- schaft […]. Daher betrifft die Übersetzungsar- Verbindung mit Alkuin, der von Karl dem Großen Gestalt des heiligen Hieronymus ist und bleibt meinschaften. Beide Gemälde befinden sich in beit nicht einzig und allein die Sprache, sondern damit beauftragt worden war (8./9.Jh.). Andere zweifellos seine leidenschaftliche Liebe zum der Pinakothek der Vatikanischen Museen. sie entspricht in Wahrheit einer umfassenderen Varianten entstanden in Spanien und Irland. Für Wort Gottes, das der Kirche in der Heiligen Schrift ethischen Entscheidung, die sich mit der ganzen unsere Zwecke ist es nicht notwendig, dieses ver- überliefert ist«. *** Weltsicht verbindet. Ohne Übersetzung könn- zweigte Flussdelta zu beschreiben, in den der Weitere Züge des heiligen Hieronymus treten ten die verschiedenen sprachlichen Gemein- Strom der Vulgata mündete, und ebenso wenig auf den Seiten des Apostolischen Schreibens her- Das Apostolische Schreiben ist ein regelrech- schaften nicht miteinander kommunizieren; wir die von verschiedenen Personen durchgeführten vor. Insbesondere sein theoretischer und prakti- tes historisch-theologisches Porträt dieses leiden- würden die Türen der Geschichte voreinander Revisionen, wie zum Beispiel vom heiligen Pe- scher Einsatz für das monastische Leben wie schaftlichen Kenners des Wortes Gottes. Es ist ein verschließen und die Möglichkeit ausschließen, trus Damianus und Lanfrank von Bec im 11. Jahr- auch seine lebendige Liebe zur Gottesmutter, Leitfaden, um die einzelnen Schritte seiner um- eine Kultur der Begegnung aufzubauen. Tatsäch- hundert. Der am weitesten verbreitete Text setzte »die die Worte in ihrem Herzen erwog« (vgl. Lk fangreichen exegetischen und geistlichen Akti- lich gibt es ohne Übersetzung keine Gast- seinen Weg in den folgenden Jahrhunderten bis 2,19.51), »weil sie heilig war und die heiligen vität zu verfolgen. Es ist ein Appell, seinen Spu- freundschaft; feindselige Verhaltensweisen wür- in die Renaissance fort. Es handelt sich um die so- Schriften gelesen hatte und mit den Propheten ren zu folgen und »das zu lieben, was er geliebt den sich sogar verstärken. Der Übersetzer ist ein genannte »Biblia Parisiensis«, die an der Pariser vertraut war, da erinnerte sie sich, dass der Engel hat«. Sprache und Struktur dieses päpstlichen Brückenbauer. Wie viele Vorurteile, wie viele Universität in Gebrauch war, allerdings eine der Gabriel zu ihr gesprochen hatte, was sich bei den Textes sind so klar, dass ein Kommentar nicht Verurteilungen und Konflikte entstehen aus der weniger vollkommenen Versionen im langen Le- Propheten geweissagt findet«. Ein gewöhnlich notwendig ist, eine aufmerksame Lektüre reicht Tatsache, dass wir die Sprache der anderen nicht ben der Vulgata. weniger ins Licht gerückter Zug, den Papst Fran- aus. Das gesamte Dokument ist von eindrückli- kennen und uns nicht, mit hartnäckiger Hoff- Das Konzil von Trient bestätigte die »Authen- ziskus dagegen ausführlicher behandelt, ist die chen Zitaten aus den Schriften des heiligen nung, um diesen unendlichen Liebesbeweis, die tizität« der Vulgata und damit ihre Stellung als of- Verbindung des Heiligen zum Stuhl Petri. Darü- Hieronymus durchzogen. Daher ist es wirklich Übersetzung, bemühen!« fizieller Bibeltext der katholischen Kirche (8. ber hinaus tritt in diesem Kirchenvater die chris - möglich, gleichsam dessen Stimme zu hören, mit April 1546), über dessen besonderen Wert das tologische Grundlage hervor, die nicht nur seinen der Vielfalt an Tonlagen, Akzenten und Empfin- *** Apostolische Schreiben wichtige und detaillierte Glauben, sondern auch seine Exegese leitet. Auf dungen einer so starken Persönlichkeit mit den Hinweise liefert. Erst damals brachte man den ihn selbst wird bezogen, was er an den Freund für biblische Propheten charakteristischen Merk- Trotz aller kritischen Vorbehalte, die ange- Wunsch nach einer »Editio tipica« zum Ausdruck, Nepotius schrieb: »Durch fleißige Lesung und malen der Vehemenz und Leidenschaft. sichts anderer chronologischer und kultureller Ko- die strengeren Maßstäben gerecht werden sollte. tägliche Betrachtung machte er aus seinem Her- Die komplexe Abfolge der biographischen Er- ordinaten und unserer unterschiedlichen philolo- Der Wunsch der Konzilsväter wurde erst am zen eine Bibliothek Christi.« eignisse, deren Schauplatz vor allem Rom und das gischen Sensibilität verständlich sind: Die Vulgata 9. November 1592 Wirklichkeit, nachdem zahl- Es ist ein wirklich erhellender Text, den Heilige Land sind, wird sorgfältig und lebendig re- war nicht nur ein spätlateinisches literarisches reiche Schwierigkeiten überwunden waren, mit Papst Franziskus einem Kirchenvater mit einem konstruiert, ausgehend von der berühmten Meisterwerk, sondern hat auch die theologische denen im Lauf der Zeit insgesamt fünf Päpste zu glühenden und sogar provozierenden Tempera- Wende in der Fastenzeit des Jahres 375, die auch Sprache des christlichen Westens geformt. In kämpfen hatten (Pius IV., Pius V., Sixtus V., Gre- ment, aber auch mit einem klaren und warm- wir nachzeichnen wollen. In einem Fiebertraum Wahrheit winkte der Erfolg dem Werk des gor XIV., Clemens VIII.). Nun wurde unter dem herzigen Glauben widmet. So soll ihm auch das hat Hieronymus eine Art Vision, in der er vor dem Hieronymus erst 200 Jahre später. Es war der hei- Titel Biblia Sacra Vulgatae editionis Sixti Quinti Schlusswort zukommen. In die abschließende Stuhl des Richters steht: »Befragt nach meinem lige Gregor der Große, Papst von 590 bis 605, der Pont. iussu recognita atque edita die endgültige Synthese im Schlussappell des Briefes greift er Stande, gab ich zur Antwort, ich sei Christ. Der auf die Übersetzung des Hieronymus für seine exege- Ausgabe veröffentlicht. In der Edition, die 1604 das eben erwähnte Bild der »Bibliothek Christi« dem Richterstuhl saß, sagte zu mir: Du lügst! Ein tischen und geistlichen Schriften benutzte. Ihm in Lyon herauskam, wurde der Name von Cle- auf und weist darauf hin, dass die Bibliothek des Anhänger Ciceros bist du, aber nicht Christi!« Wor- folgten der beinahe zeitgenössische Isidor von Se- mens VIII. hinzugefügt und seitdem spricht man heiligen Hieronymus eine lebendige Bibliothek auf Hieronymus sagt: »Herr, wenn ich je wieder villa sowie Beda Venerabilis gestorben 735. Der von der »Sixto-Clementina«. In den folgenden ist, die uns »weiterhin lehrt, was die Liebe weltliche Handschriften besitze oder aus ihnen Strom der Abschriften wuchs über alle Maßen Jahrhunderten gab es unzählige revidierte Aus- Christi bedeutet – eine Liebe, die sich nicht tren- lese, dann soll es sein, als hätte ich dich verleug- und schleppte jede Menge Geröll mit sich, das gaben bis hin zur Neovulgata, die 1979 vom hei- nen lässt von der Begegnung mit seinem Wort. net!« Mit diesen Worten erzählt der Heilige vom heißt Schreibfehler, bewusste Änderungen, ge- ligen Johannes Paul II. promulgiert wurde und im Daher ist das gegenwärtige Jubiläum ein Aufruf, großen Wendepunkt in seinem Leben, und zwar ringfügig veränderte Varianten, Kontaminierung Schreiben explizite Erwähnung findet. das zu lieben, was Hieronymus geliebt hat, in- in einem Brief an die treue Schülerin Eustochium, mit anderen antiken lateinischen Versionen. Re- Tatsache ist, dass die Vulgata trotz der Ver- dem wir seine Schriften neu entdecken und uns Nummer 22 im traditionellen Verzeichnis. visionen, Kodifizierungen wurden notwendig, die schiedenheit der Epochen noch heute eine unbe- berühren zu lassen von der Wirkung einer Spi- In einem anderen Brief schreibt er: Damals zu verschiedenen Texttypen führten, bestehend zweifelbare literarische Faszination ausübt, auch ritualität, die in ihrem wesentlichen Kern be- »ging ich zu einem Bruder, der aus dem Judentum aus Kodexfamilien, die traditionell nach geogra- aufgrund ihres Gebrauchs in der Geschichte der schrieben werden kann als das unruhige und Christ geworden war, in die Lehre. Nachdem ich phischen Gebieten geordnet werden. Kunst und der Musik. Darüber hinaus hat sie, wie leidenschaftliche Verlangen, den Gott der Offen- mich früher mit den scharfsinnigen Werken So entstand der sogenannte »italienische« Ty- bereits gesagt, in gewisser Weise das theologi- barung besser kennenzulernen. Wie sollten wir Quintilians, den Schriften des redegewandten Ci- pus, benannt nach dem primären Verbreitungs- sche Denken und das theologische Vokabular be- in unserer heutigen Zeit nicht das hören, wozu cero, des ernsten Fronto und des schlichten Pli- gebiet der Vulgata: Man darf nicht vergessen, einflusst. Nun: Der französische Wissenschaftler Hieronymus seine Zeitgenossen unablässig an- nius beschäftigt hatte, lerne ich jetzt ein neues Al- dass gemeinsam mit dem heiligen Gregor der His - Georges Mounin bezeichnete jede gute Überset- spornte: ›Lies fleißig in der Heiligen Schrift, nie phabet und studierte die hebräischen Vokabeln toriker und Theologe Cassiodor im 6. Jahrhundert zung ironisch als »belle infidèle« [untreue Schön- sollen deine Hände die heilige Lesung beiseite- mit ihren Zisch- und Kehllauten. Was für eine An- bewirkte, dass die Version des Hieronymus für heit], die sicherlich schön ist, aber dem Original legen‹?« 2. Oktober 2020 / Nummer 41 L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 12 Aus dem Vatikan

Kommunikation auf christliche Art oder die Übung der Hoffnung Das Herz des Menschen »streckt sich nach der Zukunft aus«

Papst Franziskus hat erneut über kunft, die einstweilen nur vorstellbar Paulus über das Schicksal der Verstor- ein Thema gesprochen, das ihm sehr ist. Das ist ein charakteristischer benen, »damit ihr nicht trauert wie die am Herzen liegt: die Zukunft. Er tat Aspekt des Christen, der im Hören des anderen, die keine Hoffung haben« dies am Donnerstag, 18. September, in Wortes Gottes Nahrung für seinen (1 Thess 4,13). Der Christ ist ein hoff- der Ansprache an die Redaktionsmit- Glauben sucht, wenn er die Bibel liest, nungsvoller Mensch, der sich bemüht, glieder der belgischen Zeitschrift Tertio ein Buch, das der Menschheit ein sich die Zukunft vorzustellen, in die er mit den folgenden Worten: »Der christ- großes Geschenk gemacht hat, indem vertraut, weil Christus der Herr der Ge- liche Informationsexperte muss daher es ihm eben gerade Zukunft geschenkt schichte ist, denn er hat durch seine ein Sprachrohr der Hoffnung sein und hat. Denn vor dem Alten und Neuen Menschwerdung, seinen Tod und Vertrauen in die Zukunft wecken. Testament hatte die Zukunft kein eige- seine Auferstehung die Fesseln der Denn nur wenn die Zukunft als posi- nes legitimes Bürgerrecht im Reich der Zeit gesprengt. tive und mögliche Realität angenom- Ideen und im Leben der antiken Men- So ist der Christ, und um so mehr men wird, wird auch die Gegenwart schen. Für die Griechen zum Beispiel der »christliche Informationsexperte«, lebbar.« gab es keine Zukunft, denn sie ent- heute aufgerufen, sagt der Papst in die- Die Gegenwart, sagt der Papst, sprach der Wiederkehr des ewig Glei- sem Spätsommer 2020, »die Hoffnung wird in ihrer konkreten Möglichkeit in chen, das heißt der zyklischen Wieder- in dieser von der Pandemie verursach- gewisser Weise von der Zukunft her- holung der Vergangenheit. Das war ten Situation aufrecht zu erhalten, die vorgebracht. Sich die Zukunft vorzu- das unabwendbare Schicksal, das wie die Welt durchmacht. Ihr streut den Sa- stellen, eine mögliche »menschliche« ein Rad immer wieder zum gleichen men dieser Hoffnung auf eine bessere Zukunft, ist entscheidend, um die Ge- Punkt zurückkehrte und sich nie lösen Zukunft aus. Im Kontext dieser Krise ist genwart leben zu können. Interessant konnte von dem immergleichen Rhy- es wichtig, dass die sozialen Kommuni- ist der Gebrauch des Verbs »anneh- thmus der Natur, weshalb nach dem kationsmittel einen Beitrag leisten und men«: Zukunft und Gegenwart sind Winter immer wieder der Frühling bewirken, dass die Menschen nicht an zwei Gaben, und der Mensch kann kommt und so weiter, auf ewig. Odys- Einsamkeit erkranken und ein Wort und muss sie zu empfangen wissen. seus kehrt nach Hause zurück, nach It- des Trostes empfangen können.« Die Man könnte noch weitergehen und sa- haka, und begegnet seinem Vater Lae- Herausforderung der Zukunft ist diese gen: Auch die Vergangenheit entsteht rtes, das heißt der Vergangenheit. Zu schreckliche Krankheit der Einsamkeit, aus der Zukunft, sie geht aus ihr her- dagegen sagt der Herr, dass die sich in den westlichen Gesellschaf- Das Herz des Christen ist »de-zentriert«, das heißt es findet seinen vor. Angesichts der Herausforderung er in ein fremdes Land aufbrechen soll, ten bereits seit Jahrzehnten ausbreitet. Schwerpunkt außerhalb von sich selbst, oder wie der heilige durch die Zukunft, die immer ein »das ich dir zeigen werde«. Und Abra- Zum Glück gibt es »Krankenhausstütz- Augustinus es ausdrückt: es ist unruhig, bis es in Gott ruht. Abenteuer ist, etwas Kommendes ham bricht auf, gedrängt von einer punkte«, und das sind die Journalisten, Gemälde von Philippe de Champaigne (17. Jh.) (»Advent«), prüft jeder Mensch die Ge- »spes contra spem«; »gegen alle Hoff- auch sie einberufen in dieses große genwart, und er tut dies auf der Grund- nung hat er voll Hoffnung geglaubt«, »Feldlazarett«, das die Kirche ist, Träge- lage der Vergangenheit, das heißt er re- Szenen, Situationen, Episoden der Ver- Das gilt für jeden Mensch und noch wie der heilige Paulus sagen wird. rin jener »großen Hoffnung«, von der aktiviert die Erinnerung, um in seinem gangenheit ins Gedächtnis ruft. Daher mehr für jeden Christ. Er weiß, dass Für den Christen reaktiviert also Benedikt XVI. in Spe salvi gesprochen Erfahrungsschatz eine Anregung, ei- ist die Zukunft von so großer Bedeu- sein »Herz«, der Mittelpunkt seines Le- die Zukunft nicht nur die Erinnerung, hat, der Hoffnung, die »nicht zugrunde nen Weg zu suchen, um den vor ihm tung. Sie sagt uns, dass der Mensch bens, in Gott und unruhig ist, bis es in sondern weckt Hoffnung, diese neue gehen lässt« (Röm 5), wie wiederum liegenden Augenblick zu durchque- »de-zentriert« ist, seinen Schwerpunkt Gott ruht (wie der heilige Augus tinus und entscheidende Tugend, die die Bi- der heilige Paulus sagt. ren. Die sich präsentierende Zukunft außerhalb von sich selbst findet, in et- treffend gesagt hat), das heißt genau bel in den Mittelpunkt des menschli- Andrea Monda selbst ist es, die diese Reaktivierung was, das ihm vorausgeht, das vor ihm das: es ist »de-zentriert«. Dieses Herz chen Lebens stellt. Zu den Griechen der Erinnerung bewirkt, indem sie steht und ihn anzieht. ist demnach »jenseits«, es ist in der Zu- von Thessaloniki spricht der heilige (Orig. ital. in O.R. 21./22.9.2020)

Schätze in der Vatikanischen Bibliothek Buchtipp

Ein Standardwerk der Anatomie: Tierkadavern, weil Leichenöffnungen selten Der Aufbau des menschlichen Körpers durchgeführt wurden, und wenn, dann nur an Christ von Andreas Vesalius Körpern von Hingerichteten. (Cicognara.VIII.36) Ab 1537 war Vesalius als Professor für sein Chirurgie in Venedig tätig und konnte am dor- Andreas Vesal (Andries van Wesel, lat. Ve- tigen Stadtspital seine medizinischen Kennt- ist schön salius) wurde als Sohn des Leibapothekers von nisse vertiefen. Im folgenden Jahr veröffent- Karl V. am 31. Dezember 1514 in Brüssel gebo- lichte er als Lehrmaterial für seine Vorlesung Das menschliche Leben ist reich an Ereignis- ren. Andreas besuchte die Schule in seiner sechs anatomische Tafeln (Tabulae anatomicae sen und Situationen, die im Licht des Glaubens Heimatstadt, studierte ab 1531 Latein und Grie- sex). Die Skelettzeichnungen wurden von beleuchtet und gedeutet werden wollen. Kardi- chisch an der Universität Löwen und wech- dem vom Niederrhein stammenden Tizian- nal Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur För- selte zwei Jahre später von den humanisti- Schüler Stephan von Kalkar angefertigt. Er be- derung der Einheit der Christen, eröffnet in sei- schen Wissenschaften zur Medizin. Die schäftigte sich auch mit dem Venensystem nem neuen Buch einen Blick auf die Schönheit Ausbildung setzte er in Paris bei den angesehe- und schrieb eine Abhandlung über den Ader- des gelebten Christentums. So finden sich darin nen Lehrern Johann Winter von Andernach lass (1539). In der gründlichen Überarbeitung Betrachtungen über die drei göttlichen Tugenden (1505–74) und Jacobus Sylvius (1478–1555) des anatomischen Lehrbuches von Winter von des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, über fort; beide vertraten die Lehre Galens, der die Andernach (1542) gelang es ihm, Fehler und das Gebet, die Sakramente, das Ordensleben und Viersäftelehre des Hippokrates weiterent- Widersprüche in der Lehre Galens nachzu- das Priestertum, die Einheit der Christen, über wickelt hatte. weisen. die Gottesmutter und die Heiligen. Die bei ver- Im Jahr 1543 erschien in Basel sein fast 700- schiedenen Anlässen gehaltenen Predigten sind seitiges Hauptwerk, das anatomische Tafelwerk gleichsam eine Einführung in das Christentum »Sieben Bücher über den Aufbau des menschli- und offenbaren die Schönheit und Anziehungs- chen Körpers« (De humani corporis fabrica), das tung. Der Autor war der Ansicht, dass das Werk kraft christlichen Lebens, eine Tatsache, die wir ihm nicht nur die Ernennung zum kaiserlichen für die meisten Leser zu umfangreich sei und er- in unserem Alltag und in einer dem Christentum Leibarzt, sondern auch den Ruf als Gründer der arbeitete eine Kurzfassung, die »Epitome«, die er oft feindlich gesinnten Umwelt leider nur allzu oft modernen Anatomie einbrachte. Das monu- wenige Monate später publizierte. Diese wurde aus dem Blick verlieren. Das Buch motiviert, das Aus politischen Gründen kehrte er 1536 mentale, Kaiser Karl V. gewidmete Werk enthält in kürzester Zeit zum Standardwerk der Studie- eigene Leben zu prüfen und den Weg in der nach Löwen zurück, wo er das Bakkalaureat er- 200 Abbildungen, darunter 14 ganzseitige Dar- renden und Mediziner. Nachfolge Christi entschiedener einzuschlagen. warb und sein erstes Werk veröffentlichte: ein stellungen, die die Illustration anatomischer Bil- Die Vatikanische Bibliothek besitzt sowohl »Ein prophetischer Christ lebt ›Aug in Aug‹ mit Traktat über die Methoden des persischen Arz- der revolutionierten und die wegen der künst- ein Exemplar der in der Basler Werkstatt von Gott und steht im Dienst seines Wortes. Darin be- tes Rhazes (860-925; Paraphrasis, in nonum li- lerischen Leistung – vor allem der detailreichen Johannes Oporinus gedruckten Erstausgabe als steht der prophetische Lebensstil auch in der Kir- brum Rhazae medici Arabis). Im folgenden Jahr und eleganten Präsentation des menschlichen auch drei Kopien der ersten deutschen in che heute« (Kurt Kardinal Koch). reiste er nach Padua, erwarb dort den Doktorti- Körpers – heute noch Bewunderung finden. Nürnberg von Julius Paulus Fabricius (1519- tel und erhielt eine Professur für Anatomie und Obwohl das Opus von den Zeitgenossen, vor al- 1554) hergestellten Auflage (Stamp.Pal.I.215, Kurt Kardinal Koch, Christ sein ist schön. Me- Chirurgie. Das anatomische Wissen beruhte lem von seinem Lehrer Sylvius, kritisiert wurde, Stamp.Pal.S.13, Stamp.Pal.S.20). ditationen über die Herzmitte des christlichen damals vor allem auf Vergleichen mit sezierten fand der anatomische Atlas bald weite Verbrei- Dr. Christine Grafinger Glaubens, 440 Seiten, Hardcover Be+Be-Verlag 2020, ISBN: 978-3-903118-95-9, Preis: 24,90 Euro.