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SPORT BONGARTS Schulz-Treffer gegen Foreman im Frühjahr in Las Vegas: „Ich habe ihn im Sack gehabt, bin um Jahre gereift“

Boxen „Wie krieg’ ich den versaut?“ SPIEGEL-Reporter Walter Mayr über den Schwergewichtler Axel Schulz auf dem Weg zum Weltmeistertitel

as im Kopf eines getroffe- Das Glasfaserkabel bringt sie nen Boxers passiert, sieht nach . Schulz verfolgt Wselbst als Simulation gruse- akribisch am Bildschirm, wer von lig aus. „Die schwimmende Ge- denen „Birnen“ boxt, Fallobst. Er hirnmasse knallt gegen den Schä- räumt ein, selbst noch keinen del“, sagt Axel Schulz und läßt Großen geschlagen zu haben. stellvertretend sein Weißbier im „Aber ich bin um Jahre gereift“, Glas schwappen, „dann kommt sagt er. „Ich habe den alten Fore- der K. o.“ Ihm selbst fehle es an man im Sack gehabt.“ Talent wie Neigung, andere bis Am 9. Dezember in zur Kollision von Geist und Mate- will Axel Schulz den Schwerge- rie zu prügeln: „Ich bin kein Pun- wichtstitel des Verbandes IBF. cher. Ich will den Gegner zermür- Ihm wird dann ein Bursche begeg- ben.“ nen, der dasselbe Ziel hat, dar- Es ist ein kalter November- über hinaus ungeschlagen ist und abend in Frankfurt an der Oder. in der Branche als „weißer Büf- Axel Schulz wiegt die Mühen sei- fel“ bekannt. Frans Botha aus nes Boxertages mit einem Bau- Südafrika sei sein zweiter Sechser ernfrühstück auf, das den Ansprü- im Lotto, sagt Schulz. chen einer kleineren LPG-Beleg- Der erste, den ihm sein Mana- schaft gerecht würde. Dann ger bescherte, spricht er von Evander, Riddick war , Olympia- und Mike. Er meint Holyfield, sieger im Schwergewicht zum Bowe und Tyson, Koryphäen der Zeitpunkt von Schulzens Geburt schweren Klasse, die 10 bis 15 und knapp 27 Jahre später sein

Flugstunden von Frankfurt ent- R. FESSEL / BONGARTS Gegner. Foreman verließ den fernt das Maß für Meister aller Schulz-Gegner Botha Ring schwer lädiert und für im- Klassen setzen. Zweiter Sechser im Lotto mer, wie später bekanntgegeben

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wurde. Obwohl die Kampfrichter zuun- gunsten von „Axel Who?“ gepunktet hatten, dem überlegenen, aber namen- losen Deutschen. Der konnte es nicht fassen. Seit dem 2. November ist Schulz im WM-Labor. Will eigentlich nichts mehr reden, nichts mehr gefragt werden, kei- nen mehr sehen. „Sechs Wochen brauchst du, biorhythmisch“, sagt er. Sechs Wochen Beugestützen, Bank- drücken, Sparring und Lauf. Dazu Bo- tha-Videos in der und zu Hause, Alpträume, naßgeschwitztes Schlaf- zeug. Er sei jetzt in der „hohen Phase“, sagt Manfred Wolke, der Trainer. In der hohen Phase soll ein Wolke- Schüler trainieren. Davor und dazwi- schen auch essen und schlafen. Zweimal täglich ist Training, meist morgens um zehn, dann noch mal um vier. Gelaufen

wird die Oder lang, hart an der Grenze G. MEINHARDT zu Polen, zwölf Kilometer in gut einer Urlauber Schulz: „Eigentlich fürs Boxen nicht geschaffen“ dreiviertel Stunde. Den Männern vom Bundesgrenzschutz ist der keuchende Hüne samt Trainer schon vertraut. Selbst die Schafe, sagt Schulz, stehen in- zwischen „stramm wie bei der Armee“. Auch in der Halle herrscht Zucht. Halbschwergewichtsweltmeister Henry Maske kommt schwitzend vom Laufen zurück, grüßt stumm den Trainer und verschwindet. Die Brüder May sind im Aufbautraining. Axel Schulz aber muß sparren. Daß vom Management im fernen Köln der Amerikaner Lou Sava- rese geordert und als perfekte Botha- Kopie annonciert wurde, erbost Wolke, den Perfektionisten: „Savarese ist das Gegenstück zu Botha.“ Drei Wochen bleiben noch bis zum Kampf. „Axel, der Botha is’ keen Schlechter – aber ooch keen Juter“, ver- kündet Manfred Wolke. Er muß seine Worte wägen, weil der Zwei-Zentner-

Mann Schulz von sensiblem Gemüt ist D. KONNERTH / LICHTBLICK und des Lehrmeisters Meinung unum- Hausherr Schulz, Freundin Doreen: „Nicht aussehen wie Otto“ schränkt zählt. Lobt Wolke zuviel, neigt Schulz zum Leichtsinn. Auf Tadel folgt DDR Medaillen geholt hat, aber anders gutes Herz hat, muß nicht mehr jeder Blockade. „Axel muß nach vorne ge- als jener damals noch nicht so aussah, sehen. „Boxen wird im Kopf entschie- streichelt werden“, sagt Wolke. „Er ist als halte er sich für eine ausnehmend den“, sagt Wolke. Sein Schützling solle ein offener Typ, fürs Boxen eigentlich coole Nummer – Axel Schulz, der kapieren, daß Gegner im Ring nichts nicht geschaffen.“ Blondschopf im blaßblauen Trainings- mit dem normalen Leben zu tun hätten. Wolke aber ist Verfechter der Philo- gewand mit dem Ährenkranz drauf, Weil Schulz offensichtlich findet, daß sophie, daß „Helden nicht geboren“, blieb stets im Hintergrund. auch vieles andere rund um den Ring sondern gemacht werden. Und zwar be- „Aus dem harmlosen Burschen soll nichts mit normalem Leben zu tun habe, vorzugt von ihm. Er, der zur Wende ge- ich nun ’ne Atombombe machen – wie scheut er weiter das Licht an der Ram- weissagt hat, nichts werde mehr sein, krieg’ ich den bloß versaut?“ habe er pe. Drückt sich beim offiziellen Wiegen wie es war, und seither verkündet, er sich immer gefragt. Doch mit dem von Maske und Rocchigiani in München tue weiterhin unbeirrt, was er wolle. „Unternehmen Foreman“, sagt Wolke, vor der Tür rum wie ein ungebetener Wahr ist beides. Die Sponsoren treten sei eingetreten, was er beabsichtigt habe Gast, ein millionenschwerer Eckenste- sich auf die Füße im Boxcamp am Ran- – der Verlierer Schulz sei ein Kerl ge- her. Und ist bei den Scampi-Se´ancen im gierbahnhof. Sind sie weg, schindet sich worden, „’n ganz schöner Herr“. VIP-Bereich sichtlich froh, wenn er für das Kollektiv wieder gehorsam nach So wie der neuerdings durch Frank- die halb- und ganzseidenen Boxjünger Maßgabe des Trainers. furts stille Gassen pflügt, hat er sein nur der Reserve-Christus im Schatten Wolke hat sich 1988 den jungen Format verdoppelt. Die Gesichtszüge Maskes ist. Schulz vorgenommen, der das Hand- sind härter geworden, die Rundungen Die Zurückhaltung des Frankfurters werk wie Maske an der Frankfurter Kin- gewichen. Viel fehlt nicht mehr zum ist nicht mit fehlendem Schliff zu ver- der- und Jugendsportschule Fritz Lesch Ebenbild Dolph Lundgrens, des bösen wechseln. Daß er als Foremans Heraus- erlernt hat. Der wie Maske noch für die Russen in „Rocky IV“. Daß Schulz ein forderer im New Yorker Waldorf Asto-

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ria des Frühstücksraums verwiesen wur- Mehrheitlich ist entlang der polni- de, weil er den Jackettzwang nicht be- schen Grenze herrschende Lehre, daß achtet hatte, und sich an der Rezeption „Schulle“ schwer in Ordnung sei. Das zurechtweisen lassen mußte wie ein sagt der Schulkamerad, der im „Bana- drittklassiger Pauschaltourist, war dem nas“ unter Kunstpalmen Billetts ab- Fehlen sprachkundiger Fürsorge ge- reißt, das sagen die Freunde in Buckow schuldet. Bis heute wuchert der Sauer- am See, wo Axel Schulz landet, wenn er land-Stall ausschließlich mit den Fäu- die Stadt satt hat. Wo er bei Bäcker sten der Kämpfer und meidet den Ver- Behrendt sechs Buletten auf einmal be- dacht von Weltläufigkeit. stellen, wenig reden und wochenlang Doch Schulz ist keiner, den es beson- ungestört bleiben kann wie diesen Som- ders bekümmern würde, auf Normver- mer nach dem Foreman-Kampf. letzungen hingewiesen zu werden. Eher Klar sind die hier stolz auf ihn, „ham schon wartet er, bis die Zeit kommt, wo wer früher schon jekannt“. Die Video- er selbst die Norm ist. Dann wird das wand für den Kampf gegen Botha wird aufhören. im Gasthaus Märkische Schweiz stehen. Noch muß er mit Millionen-Offerten Klar nehmen die ihn mit zum Wasserski wie der eines Shampoo-Herstellers le- und dichten Slogans, die den Termina- ben, der sich aus Werbewirksamkeits- tor in der dörflichen Mitte halten: gründen längeres Haupthaar wünscht. „Willst du dich mit Botha messen, mußt Schulz hat abgelehnt mit der Begrün- du Bäckers Schrippen essen.“ dung, er wolle nicht „aussehen wie Ot- Sie zahlen auch tausend Mark für eine to“, der Ostfriese. Er nimmt sich das Karte in Stuttgart, VIP-Bereich inklusi- Recht, den Talkmaster Willemsen gut ve, obwohl es schwerfällt. Weil sie hof- zu finden. Und weniger dessen Kollegen fen, zwischen Frankfurt und Buckow, Gottschalk, der ihm mit dem Kalauer daß Schulz einer der Ihren bleibt. Ostler vom „Axelschweiß“ kam. Der Sat-1- würden sie’s nicht nennen. Einer halt, Sirene Schreinemakers schließlich, ob- der sein Image nicht für einen Mund- wohl beständig in Ringnähe, erteilt er wasser-Multi „in den Ausguß spuckt“ Abfuhren in Serie. wie der halbschwere Stallkollege, der Er kann sie alle zu Hause sehen, bild- schon Weltmeister ist. schirmgroß in seiner Zwei-Raum-Woh- Jeder spürt, daß Schulle den Spagat nung – Willemsen, Gottschalk und probt. Daß er rausziehen wird ins Grü- Schreinemakers. Er muß da nicht hin- ne, in was Eigenes, ist bekannt – aber fahren. „Früher habe ich von solchen nur nach Kliestow bei Frankfurt. Daß er Einladungen geträumt, jetzt lehne ich zwei Millionen kriegt von einem ab“, sagt Axel Schulz. Strumpfmacher, aber noch weiß, was Zu Hause hat er eine rote Leder- die Schrippe kostet. Zu Gast bei Max couch, eine Clownsammlung und einen Schmeling in Hollenstedt ist Schulz noch immer ein höflicher Bursche. Wenn Re- porter des Springer-Verlags unter fal- Freunde halten den schem Namen seine Freundin bis ins Terminator in Krankenzimmer verfolgen, kann sich das ändern. der dörflichen Mitte Je schriller die Sirenenklänge aus den Chefetagen der Baumarktbetreiber, der Fernseher mit Sleep-Timer. Dort grü- Autohändler und Körperpfleger, desto belt er nach über „den bescheuerten lin- besonnener muß der Schwergewichtler ken Haken“, den er durchbringen soll. abwägen, wohin sein Weg führen soll. Zu Hause hat er Doreen zur Seite, eine Sein Marktwert pro Jahr und Firma liegt stille, schöne Frau, ein paar Freunde aus bei einer Million Mark. Er sagt, daß Ostzeiten sind in der Nähe, dazu Mutter Produkte, die er bewirbt, zu ihm passen und zwei Schwestern. Das hilft, die Ba- müssen, und: „Ich will mein Geld mit lance zu halten, wenn wieder erzählt Boxen verdienen.“ wird, daß seit Max Schmeling gegen Weil das allein nicht fett macht und Jack Sharkey 1930 kein Deutscher von den zwei Millionen Mark Börse in mehr . . . Stuttgart nur ein gutes Drittel bei Schulz Wenn nichts mehr hilft, baut Axel bleiben wird, wollen seine Berater ihm Schulz Sicherungsmechanismen ein. Er ein solides Polster zurechtmachen. Lo- hat sein Namensschild an der Haustür thar Brunst, ein leutseliger Unterneh- überklebt, das Autokennzeichen ist mer aus dem Rheinischen – „Wir lassen nicht mehr FF-AS 1, und ein jederzeit drucken“ –, sagt, er habe bei Fahrten abschaltbares Handy kanalisiert den durch Ostdeutschland „noch relativ gro- Strom der Zuneigung. Mehr als neue ße Armut“ entdeckt. Deshalb sei ihm Freunde, die nicht durchdringen, daran gelegen, daß sich „die Burschen“ schmerzen alte, die ausscheiden. Einer zunächst etwas aufbauten. von daheim hat in Las Vegas viel Geld Der Großteil von „Axels Geld bleibt auf Foreman gesetzt, gewonnen und erst einmal hier in Köln auf der Bank“, dann in Frankfurt-Ost dem Verlierer sagt Brunst, „damit er keine Dummhei- noch zusätzlich welches abgenommen. ten macht“. Kontrolliert werde Schulz

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nicht. Er könne jederzeit Bares abrufen: „Er muß nur’n Scheck schicken.“ Neue Sponsoren müßten sich gedulden bis nach dem Kampf, der den Werbewert gewaltig steigern könnte: „Da sind wir Spieler.“ Axel sei aber ein Typ, der auch in der Niederlage noch rüberkom- me. Um zu verhindern, daß Deutschland am Abend des 9. Dezember einen Thronfolger für Max Schmeling beju- belt, der flankiert von rührigen Neben- erwerblern in den PR-Millionenpoker mit den Konzernen marschiert, soll noch im November Richtungweisendes geschehen. Der Berliner Unternehmer Helmuth Penz, der aus dem Nichts ei- nen Konzern mit einem Jahresumsatz von einer Milliarde Mark aufbaute, hat Rat und Beziehungen angeboten. Weitgehend abgeschirmt von der postsozialistischen Außenwelt treibt Trainer Wolke derweil in seinem Box- zentrum am Frankfurter Rangierbahn- hof seinen Schützling voran. Hier riecht

es noch nach rechtschaffener Arbeit, C. HÖHNE / ULLSTEIN nicht nach Typen, die „wie ’ne Mutti bo- Trainer Wolke, Amateur Schulz (1989) xen“ (Schulz). In München, wo im auf- „Helden werden gemacht“ gebrezelten Bayerischen Hof die näch- sten zwei Wochen gebucht sind, wird hängen die Farbfotos vom Foreman- schon alles anders sein. Kampf an der Wand. Fotos, auf denen Wolke sagt, er brüte nachts über der die Fäuste eines blonden Mannes ein Taktik. Tagsüber versucht er, Mut zu schwarzes Gesicht zerschlagen. machen. Wenn kein Stallfremder dabei „Mir ist im ganzen Kampf nicht ein- ist, kann er auch grob werden. Als eine mal durch den Kopf gegangen: dünne Stasi-Akte des Schwergewichtlers ,Mensch, das ist ja die Legende öffentlich wurde, hat Wolke gesagt: George‘“, hat Schulz einen Tag nach „Nun wird deutlich, wie harmlos Axel der Niederlage, mäßig blessiert, am ist. Genau da liegt mein Problem.“ Pool seines Hotels in Las Vegas gesagt. Genau da setzt er an. Als Schulz in „Wenn ich den gleichen Kampf noch dieser Nacht noch zum Rangierbahnhof mal mache, dann kriege ich den Sieg.“ fährt, weil dort in der Kneipe eine Rech- Axel Schulz ist kein Puncher gewor- nung offen ist, geht er auch auf einen den seither. Seinem Ziel ist er dennoch Sprung in die Halle. Nahe beim Ring näher als damals. Y DPA Profi Schulz, Boxidol Schmeling: „Ich will mein Geld mit Boxen verdienen“

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