PREMIERE: change Das Magazin der Stiftung > 2012 www.neue-stimmen.de SONDERAUSGABE

HIGHLIGHTS des internationalen 25 Jahre „Neue Stimmen“ Gesangswettbewerbs seit 1987 Ein Vierteljahrhundert internationale Talentförderung PORTRÄTS Berühmte Finalisten und ihre Erfolgsgeschichten Quadri + Noir Cyan 65% Magenta 30% Jaune 0% Noir 11% Sonderheft › change › 2012 03

INHALT ›

Vesselina Kasarova Seite 04 „Musik ist Fühlen“ – wie die Grußwort Sängerin ihren Weg gefunden hat

Highlights aus 25 Jahren Seite 08 Die „Neuen Stimmen“ – wie sie wurden, was sie sind „Genießen Sie die Musik“ Die Macher Der internationale Gesangswettbewerb feiert sein 25. Jubiläum: Seite 14 So fördert das „Neue Stimmen“- Von Beginn an lagen Liz Mohn die „Neuen Stimmen“ besonders Team junge Künstler am Herzen. Nicht nur, weil damit junge Talente aus aller Welt Christiane Karg gefördert werden, sondern auch, weil Musik die Menschen über Seite 18 Von der Nachwuchskünstlerin Sprachen und Grenzen hinweg verbindet zum etablierten Star

Von Liz Mohn René Pape Seite 22 Eine Erfolgsgeschichte

iebe Gäste unserer Jubiläums- Marina Rebeka Konzerte, seien Sie herzlich Seite 24 Mit dem Wettbewerb startete willkommen zu einem ganz sie eine Weltkarriere L besonderen Ereignis, das mich mit Opern-Nachwuchs im TV großer Freude und auch ein wenig Seite 28 Rolando Villazón unterstützt Teilnehmer der „Neuen Stimmen“ mit Stolz erfüllt: dem runden Ge- burtstag der „Neuen Stimmen“! Auftritt in Salzburg Seit 25 Jahren gibt es den Ge- Seite 34 Liz Mohn trifft ehemalige Teilnehmer der „Neuen Stimmen“ sangswettbewerb nun schon. Von Jahr zu Jahr wurde er größer. So Edda Moser Seite 40 Interview: Ihre Liebe zum Lied groß letztlich, dass wir heute von einem internationalen Gesangs- Prominente und Fans wettbewerb sprechen können, Seite 42 Die „Neuen Stimmen“ begeistern LIZ MOHN ist stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann an dem regelmäßig 1.200 Opern- Stiftung und Präsidentin der „Neuen Talente aus aller Welt teilnehmen. Stimmen“ Dabei sind für mich die Vorent- scheidungen auf fünf Kontinenten das eine, das Treffen der vielen IMPRESSUM

unterschiedlichen Kulturen beim Vorsingen und Finale in Gütersloh Herausgeber das andere. Was wir dann erleben, ist Völkerverständigung pur. Und Carl-Bertelsmann-Straße 256, 33311 Gütersloh Kostenfreies Abo: Tel. +49 5241 81-81 149 das auch noch in der schönsten Sprache, die es gibt: der Musik! Fax +49 5241 81-6 81 298 [email protected] Mit dem Abschlusskonzert unseres 9. Internationalen Meister- Verantwortlich Christian Rickerts (V.i.S.d.P.) kurses im Foyer der Stiftung, dem Liederabend „Die Kunst des deut- HierRedaktion steht eine kleine Bildunterschrift. at. Ut wisi Ulrike Osthus schen Liedes“ im Theater Gütersloh und im Konzerthaus Berlin sowie Binim ad minim Veniam, quis nostud. Geum iriure dolorRedaktionelle in Hendrerit Mitarbeit in vulputate velit Esse molestie Tanja Breukelchen consequat, vel illum Dolore eu Feugiat nulla facili- unserem großen Jubiläumskonzert mit Preisträgern aus allen Wett- Creative Direction / Gestaltung sisDirk at Bartos,vero Andreaseros et Kersten, Accumsan et iusto Odio bewerben, wollen wir Sie mitnehmen zu einer Reise durch die klassi- BartosKersten Printmediendesign, Hamburg Text-/Schlussredaktion sche Musik. Eine Musik mit Emotion und Tradition. Eine Musik, die Johannes Taubert, Oliver Holzweißig, Brigitte Neuparth Lithografie verzaubert, rührt und glücklich macht. Vor allem dann, wenn es junge OPS Obenhaupt Publishing Service, Hamburg Druck Menschen sind, die sie vortragen und so die Chance zu einem Leben Matthiesen Druck, Bielefeld mit der Musik bekommen. Seien Sie dabei, wenn aus jungen Talenten © Bertelsmann Stiftung, Oktober 2012 www.change-magazin.de

FOTO: VEIT METTE, TITELFOTO: M. BERGMANN, BERTELSMANN STIFTUNG STIFTUNG BERTELSMANN BERGMANN, M. METTE, TITELFOTO: VEIT FOTO: von heute die Opern-Stars von morgen werden!  04 change › 2012 › Sonderheft

Vesselina Kasarova „Musik ist Fühlen“

Der internationale Gesangswettbewerb „Neue Stimmen“ der Bertelsmann Stiftung war für Vesselina Kasarova nicht nur der Beginn ihrer Karriere, sondern auch ein einschneidendes Erlebnis: Damals lernte sie, wie wichtig es ist, sich nicht verbiegen zu lassen und auch einmal Nein zu sagen – für sich und die große Liebe ihres Lebens: die Musik

Text: T. Breukelchen und A. Rohden — Fotos: Arne Weychardt

ls Vesselina Kasarova 1989 bei Ist es heute anders? den „Neuen Stimmen“ den 1. Preis Ich denke, ja. Schon in unserer Generation gewann, war das der Beginn einer hat man gesagt, dass wir alles schnell ma- Traumkarriere. Große Häuser, gro- chen. Ich glaube aber, heute geht alles noch A ße Namen, große Partien. Doch die gefeierte viel schneller. Ein junges Talent muss auch Mezzosopranistin blieb sich bei allem Ruhm einmal Nein sagen, um sich zu schützen. und Rummel immer treu. Sich schützen wovor? CHANGE: Was bedeuten die „Neuen Stim- Vor vielen Sachen. Man arbeitet mit vielen men“ heute für Sie? Menschen, und nicht alle verstehen, was VESSELINA KASAROVA: Sie bedeuten für junge Sänger brauchen. Das meinen sie nicht mich den Anfang meiner Karriere. Ein tolles einmal böse. Deswegen sage ich immer, dass Erlebnis, das ich nie vergessen will. man eine gewisse angeborene Intelligenz – Intuition, das ist für mich auch Intelligenz Sie sagten, Sie haben dadurch viel gelernt. – haben muss. Ja, zum Beispiel, dass nicht alle mit Stress, mit Leistungsdruck umgehen können. Da ist Was würden Sie einem einerseits das Talent, das einem die Natur jungen Finalisten der gegeben hat. Andererseits aber auch die Fra- „Neuen Stimmen“ „Es ist schön, ge, wie man damit umgeht, wenn da so viele empfehlen? andere Menschen sind, die ebenfalls so gut Nicht so schnell zusa- ein Teil dieses singen können. gen, zum Beispiel. Man muss sich gut überle- Wettbewerbs Birgt Erfolg in jungen Jahren auch gen, was man heute, Gefahren? morgen, in zehn oder in zu sein“ Häufig hört man, „Das ist die zweite Callas, fünfzehn Jahren singt. die zweite Gruberova“ – aber es gibt sie Vesselina Kasarova nicht, diese zweiten Karrieren. Deswegen Woran lag es bei Ihnen, finde ich es wichtig, den jungen Sängern zu wenn Sie Nein sagten? sagen, dass es vor allem eine stabile Psyche, Es lag am Repertoire. Ich hatte zum Beispiel Disziplin und einen festen Willen braucht. 1989 Verträge für „Don Carlos“. Ich hatte In meiner Generation brauchte man viel erst kurz zuvor debütiert und dann plötzlich stimmliches Können, viel Talent ... alles gecancelt – weil ich auf die ›› Vesselina Kasarova beim Fototermin in Köln. Die gebürtige Bulgarin meidet den Presserummel und nahm sich all die Jah- re ihrer Karriere in Acht, nicht wie ein Produkt vermarktet zu werden 06 change › 2012 › Sonderheft

Gelassenheit, Mut und die Liebe zur Musik: Vesselina Kasarova blickt auf über 20 Jahre Karriere zurück – eine Erfahrung, die sie heute auch gern an junge Ge- sangstalente weitergibt

gehört habe, die mir diesen richtigen Rat ge- Sie haben das Beispiel genannt, dass Sie sich wäre das ein zu großer, zusätzlicher, unnötiger geben haben. Wenn ich es so gemacht hätte, an solch ein Repertoire nicht herantrauten. Druck. Ich habe immer Grenzen gesetzt, war wie es war, hätte ich Ihnen heute vielleicht Doch was haben Sie jetzt, was Sie vor 20 nie ein Produkt. Ich habe nicht das gesagt, was gar kein Interview geben können. Jahren nicht hatten? man hören wollte, sondern, was ich meinte. Es Die Stimme. Die Stimme ist viel kräftiger gibt Sänger, die spielen alle Jahre eine Rolle, Welche Ratgeber waren das? geworden. Eine Stimme muss immer größer und irgendwann haben sie genug. Zum Beispiel Ioan Holender, der damalige und größer werden. Direktor der Wiener Staatsoper. Genauso In diesem Jahr erschien mit „Ich singe mit wie Prof. August Everding. Diese Begegnun- Zurzeit entsteht ja auch im klassischen Leib und Seele“ eine Biografie über sie. gen sind unbezahlbar, und sie bleiben es für Bereich eine gewisse Kommerzialisierung. Mich hat die Seriosität des Buches gefreut. immer. Sie waren stimmliche Kenner, die Finden Sie es gut oder nicht so gut? Bringt Und die Wahrheit darin. Es ist ein Buch über wussten, was heute ist, was morgen, was es Vorteile oder Nachteile? Erfahrungen und über das, was mir mein übermorgen. Das muss jeder für sich entscheiden. Für mich Beruf bedeutet. Durch dieses Buch habe ich Sonderheft › change › 2012 07

einem gewissen Karma auf diese Welt „Junge Talente kommen. Und viele Dinge können sich nicht ändern. Aber ich bin der Meinung, alles, vita> müssen auch was wir erleben, hat einen Sinn. Nicht nur Vesselina Kasarova das Glück, sondern auch das Unglück, alles Nein sagen hat seinen Sinn, und wir lernen davon. Das Vesselina Kasarova ist in Bulgarien aufge- möchte ich gern meinem Sohn beibringen. wachsen und wurde zunächst als Konzert- pianistin ausgebildet. Nach Abschluss Und mehr Respekt voreinander, das wäre können“ ihres Gesangsstudiums in Sofia 1989 kam fantastisch, kein Rassismus. In meinem Beruf sie ans Zürcher Opernhaus. 1991 debü- Vesselina Kasarova gab es genug Rassismus und ich bin sehr tierte sie bei den Salzburger Festspielen, froh und glücklich, dass es heute nicht mehr wo sie als sensationelle Entdeckung gefei- so ist. ert wurde. Nach zwei Jahren im Ensemble gesehen, was ich alles gesungen habe: Es der Wiener Staatsoper begann 1993 ihre internationale Gastspieltätigkeit. Mit der sind 52 Rollen. Was wünschen Sie den „Neuen Stimmen“ für Zürcher Oper als Stammhaus erarbeitete die Zukunft? sie sich im Laufe der Jahre ein Repertoire, Auch als Handbuch für einen jungen Sänger Viele gute Talente. Ich glaube, wir haben das von Monteverdi, Händel und Mozart ist es eine sehr interessante Lektüre. heute tolle Sänger. Der Wettbewerb „Neue über die Belcanto-Komponisten Rossini, Donizetti und Bellini bis zu Berlioz, Ich hoffe es. Und mittlerweile weiß ich, dass Stimmen“ hat ein hohes professionelles Massenet, Bizet, Saint-Saëns, Verdi und es viele Menschen gekauft haben. Niveau. Da sind die richtigen Leute, die mit Wagner reicht. Parallel zu den Auftritten den jungen Sängern arbeiten. Das ist sehr in den großen Opern- und Konzerthäu- ​Ist das Singen eher Handwerk oder Kunst? wichtig, denn gerade so junge Sängerinnen sern der Welt ist eine umfangreiche Es ist Kunst. Wenn es ein Handwerk wäre, und Sänger brauchen Liebe, Ehrlichkeit, Auf- Diskografie entstanden. würde ich nicht weitersingen. Ich staune im- merksamkeit und Professionalität. Ich hatte Infos: www.kasarova.com mer wieder, ich habe mir so viel beigebracht, damals das große Glück, Menschen wie Prof. und immer noch motiviert es mich, so wei- August Everding, Prof. Dr. Gustav Kuhn oder terzuleben. Ich habe menschliche Kenntnisse Liz Mohn zu begegnen. Ich wünsche mir, durch die Musik gewonnen. Ich spüre sofort, dass dieser Wettbewerb weiter so bleibt und wenn ein Mensch nervös ist oder nur eine Sänger unterstützt. Und dass ich Teil dieses Maske trägt und Mühe hat, sich so zu zeigen, Wettbewerbs bin. Ein kleiner Teil – das ist wie er ist. Das ist unbezahlbar. Nur deswe- unvergesslich.  In diesem Jahr gen, nicht wegen der Preise oder Erfolge, erschien Vesselina Kasarovas Biografie sondern nur deswegen bin ich so dankbar. „Ich singe mit Leib und Seele“ – nicht Warum ist es so? Wo hilft Ihnen da die Mu- nur für junge sik, diese Wahrnehmung zu haben? Gesangstalente eine wichtige Lektüre Das ist Fühlen. Musik ist Fühlen. Das sind nicht die Noten. Das ist nicht nur zu zeigen, ich habe eine Stimme. Ich fühle, ich be- komme Kräfte. Ich gebe sehr viel, aber ich bekomme auch. Ohne diese Motivation hätte ich nicht so viele Jahre durchhalten und all Kasarova, Vesselina/Zelger-Vogt, Marianne die Kompromisse eingehen können. Vesselina Kasarova „Ich singe mit Leib und Seele“ Welche zum Beispiel? Über die Kunst, Sängerin zu sein. Alle Kompromisse, die wir Menschen ma- Gespräche mit Marianne Zelger-Vogt Bärenreiter Verlag, 2012 chen. Mein Sohn ist heute dreizehn Jahre 217 Seiten, gebunden, 24,95 Euro alt, und durch meinen Beruf habe ich ihn ISBN 978-3-76182-222-7 manchmal nicht sehr viel gesehen. Ich erin- nere mich noch, wie ich mit ihm zusammen gereist bin und dabei gleichzeitig gelernt habe – drei, vier verschiedene Sprachen. Dafür braucht man Motivation, Willen, Liebe. Immer wieder von vorne zu beginnen. Die Zähne zusammenzubeißen. Das ist Disziplin. Der große Moment 1989: Vesselina Kasarova gewinnt den internationalen ​Wie groß ist der Faktor Glück? Gesangswettbewerb „Neue Stimmen“ der

FOTOS: ARNE WEYCHARDT, BERTELSMANN STIFTUNG BERTELSMANN WEYCHARDT, ARNE FOTOS: Sehr groß. Ich glaube schon, dass wir mit Bertelsmann Stiftung 08 change › 2012 › Sonderheft

ERFOLGREICH Gleich beim zweiten Wettbewerb hatte sich die Zahl der Anmeldungen mehr als verdoppelt. Damals ehrten und Prof. Dr. August Everding die drei Erstplatzierten Ingrid Kertesi, Heike Thea Terjung und Izabela Labuda (von links)

Jubiläum a stand sie nun, die Sängerin. Eben hatte sie erfahren, dass sie und ihre Stimme die Jury begeistert Dhatten. Dass sie ins Finale gekom- men war. Eine große Chance – allerdings mit einem kleinen Problem. Die junge Frau 25 Jahre hatte nicht damit gerechnet, beim interna- tionalen Gesangswettbewerb „Neue Stim- men“ überhaupt so weit zu kommen – und ihr Abendkleid gar nicht erst nach Gütersloh „Neue Stimmen“ mitgenommen. Die Mitarbeiter der Bertels- mann Stiftung mussten in Windeseile eine Große Talente im Wettbewerb, große Namen in der Jury, große Robe für sie organisieren. Über 10.000 junge Momente im Finale – seit einem Vierteljahrhundert fördert der interna- Talente bewarben sich weltweit in den vergan- tionale Gesangswettbewerb „Neue Stimmen“ Qualität im Opernfach genen 25 Jahren, 833 junge Sänger durften sich schließlich in die Final-Entscheidungen dieses Text: Ursula Wilimsky Wettbewerbes begeben. Sie schafften in den Vorauswahlen den Sprung nach Gütersloh – wenn auch nicht immer klar war, wie sie die-

sen Sprung konkret bewerkstelligten. STIFTUNG BERTELSMANN FOTOS: Sonderheft › change › 2012 09

FINALE Ein Saal voller Menschen, ein großes Orchester und ein Finalist, so wie hier beim Finale 1997 der damals zweitplatzierte armenische Bass Tigran Martirossian. Talente wie er warten in aller Welt darauf, das Finale der „Neuen Stimmen“ zu erreichen

ERSTE STUNDE Angeregt durch ein Gespräch mit entwickel- ten Liz und Reinhard Mohn die Idee, junge Gesangstalente zu fördern

Dabei sein zählt burg ins damalige Westdeutschland reisen durften. Die ihre Preisgelder aufgrund der „Kleine Schritte So tauchte Ende der 1990er-Jahre recht un- politischen Verhältnisse in ihrem Heimat- verhofft ein chinesischer Bass in Gütersloh land lieber in bar ausbezahlt bekommen auf dem Weg auf, dem es gelungen war, sich völlig ohne hatten. Sänger, die bei ihrer Ankunft alle Englisch- und Deutschkenntnisse nach Ost- mitgebrachten Kleidungsstücke überein- zu besserem westfalen durchzuschlagen. Wie? Blieb bis ander zogen, um dem ungewohnten Klima heute unerklärbar. Wichtig war nur: Er war zu trotzen. Oder denen ihr Gepäck verloren- Verständnis“ da – und sang. Versäumte Flugzeuge, Sänger, gegangen war und die erst einmal bühnen- die direkt aus dem Taxi vom Flughafen auf tauglich ausstaffiert werden mussten – jedes Reinhard Mohn über die „Neuen Stimmen“ die Bühne sprinteten. Sänger, für die inner- Land und jeder Kontinent, der neu hinzu- halb von zwei Tagen ein Visum herbeigezau- kam, stellte das „Neue Stimmen“-Team vor bert werden musste. Sänger, die 24 Stunden neue Herausforderungen. „Bei Teilnehmern in der Transsibirischen Eisenbahn saßen, aus manchen Kulturkreisen war es schon ein um nach Ostwestfalen zu kommen, die – ob- großer Erfolg, sie überhaupt nach Deutsch- wohl die Mauer noch stand – mit dem Wart- land zu bringen“, erinnert sich die Lei- ›› 10 change › 2012 › Sonderheft

LEGENDEN Die „Neuen Stimmen“ lockten immer wieder die Großen des Opern- fachs nach Gütersloh. So wie hier die Jury- mitglieder und Kam- mersänger Elisabeth Legge-Schwarzkopf und Josef Metternich im Jahr 1991

PROBEN Prof. Dr. Gustav Kuhn (2. von rechts) 1999 mit Teilnehmern bei den Proben in der Stadthalle Gütersloh „Ich fühle mich hier gar nicht 80 Jahre alt. Nur 79“

Sir Peter Ustinov, Ehrenvorsitzender 2001

Förderung des Nachwuchses entwickelte. Liz Mohn nahm Kontakt zur Musikhoch- schule in Detmold auf. Und man suchte Rat bei namhaften Experten, namentlich PROMINENT Liz Mohn im Jahr 2001 bei Prof. Dr. August Everding, so erzählte es mit RTL-Moderator Peter Kloeppel, Reinhard Mohn. Der Kontakt zur Intendan- dem Musikalischen Leiter der „Neuen Stimmen“, Prof. Dr. Gustav Kuhn, und passt auch zu unserem Hause, Musikkul- tengruppe des Deutschen Bühnenvereins der 2004 verstorbenen Film-, TV- und tur zu fördern“, erinnert sich Liz Mohn, entstand. Bühnenlegende Sir Peter Ustinov die Präsidentin der „Neuen Stimmen“. Der Mohn’sche Wunsch und vor allem auch Teilnehmer aus 70 Ländern die Bereitschaft, sich für die Musik und für junge Talente zu engagieren, das Gespür für Bereits 1987 ging der „Wettstreit“ an den terin des „Neue Stimmen“-Gesangswettbe- eine gute Idee und der Mut, sie auch in die Start – mit 29 Teilnehmern! „Und ich muss werbs, Ines Koring. Tat umzusetzen, bewirkten zusammen eine sagen, was wir damals so anfingen, das war Ein Auftritt in Gütersloh kann ein Grund- der Initialzündungen für die Gründung des Herrn Everding vielleicht etwas klarer als stein sein für eine Karriere im Opernfach. Wettbewerbs. mir – aber genau wussten wir es nicht“, be- „Ich hatte ja nun nicht geahnt, dass es so fand Reinhard Mohn bescheiden. Und hat- viele gute Nachwuchstalente gibt und dass Mit Herbert von Karajan te doch bereits nicht nur die musikalische, diese Nachwuchstalente den Intendanten sondern auch die politische Ebene des Wett- und den Agenten gar nicht bekannt waren!“ Bertelsmann hatte da gerade sein 150-Jäh- bewerbs vor Augen: „Ich glaube, dass das Reinhard Mohn zeigte sich schon in den riges Jubiläum gefeiert, unter anderem mit alles kleine Schritte sind auf dem Weg eines Anfangsjahren des „Sängerwettstreites“, wie einem großen Galakonzert mit den Berliner besseren Verstehens, einer besseren Zusam- sich die „Neuen Stimmen“ zunächst nann- Philharmonikern. Man hatte sich mit Her- menarbeit auf diesem Kontinent.“ ten, beeindruckt von dem Potenzial, das da bert von Karajan zum Abendessen getrof- Der Gedanke der Völkerverständigung ist an Hochschulen ausgebildet wurde und das fen, dabei beklagte Karajan, dass es seiner auch für Liz Mohn nach wie vor ein wichti- seiner Entdeckung harrte. Meinung nach zu wenig neue Gesangstalen- ger Aspekt des Wettbewerbs: „Die ‚Neuen „Das Haus Bertelsmann hatte seit Jahr- te gebe. Zunächst kaum mehr als eine Be- Stimmen‘ sind nicht nur ein interessantes zehnten Leseförderung gemacht, mein merkung. Aus der sich eine große Idee und Sprungbrett für die nationale und interna-

Mann und ich haben dann gesagt: Es in 25 Jahren ein großartiges Instrument zur tionale Sängerkarriere, sondern auch ein STIFTUNG BERTELSMANN FOTOS: Sonderheft › change › 2012 11

ORCHESTER So wie heute die Duisburger Philharmoniker die „Neuen Stimmen“ begleiten, warteten 1993 Mitglieder des Staatsorchesters Braunschweig auf ihren Auftritt (oben)

BERÜHMT Der Jury gehören große Sänger an, wie Siegfried Jerusalem (hier mit Liz Mohn)

VORSINGEN Die Deutsche Nicola Beller wartet auf ihren Auftritt info> Neue Stimmen in Zahlen wichtiger Baustein der Verständigung und 10.146 Bewerber weltweit aus der Kommunikation. Musik gehört zur We- 70 Nationen sensart eines jeden Menschen – sie ist eine 97 Preise wurden vergeben gemeinsame Sprache, die Menschen unter- 833 Sänger wurden nach Gütersloh schiedlicher Herkunft und Kulturen über „Musik ist eine geladen alle Grenzen hinweg verbindet.“ 15.000 Mahlzeiten wurden für sie Nachwuchstalente aus über 70 Nationen Sprache, die zubereitet haben sich im Laufe der 25 Jahre beworben, 15.000 Liter Wasser wurden getrunken Hunderte wurden schließlich nach Gü- 96 Kilometer Kabel wurden verlegt tersloh geladen. Sei es zu den Finalwochen über alle Gren- 1,5 Tonnen wiegen die zusätzlichen oder zu den Meisterkursen. Sie teilen sich Lampen und Traversen pro Veranstaltung Zimmer, fungieren als Dolmetscher zwi- zen hinweg (was dem Gewicht eines Mini-Baggers schen Mitkonkurrenten. Sie erkunden zu- entspricht) sammen die Umgebung, schließen Freund- verbindet“ 2.500 Blumen werden pro Veranstaltung schaften über Ländergrenzen hinweg und Liz Mohn, Präsidentin der „Neuen Stimmen“ in die Dekoration eingearbeitet halten über Jahre hinweg Kontakt zueinan- 30 Knöpfe werden pro Jahr angenäht der (siehe Kasten Seite 13). Der Wettbewerb wurde größer, immer mehr Nachwuchssänger bewarben sich. Und dennoch gab es Stimmen, die glaubten, dass Auftrag der „Neuen Stimmen“: Es galt nicht tät zu lenken.“ Schnell hatte sich der Wettbe- es um den Nachwuchs nicht gut bestellt mehr, Nachwuchs zu finden, sondern in der werb etabliert, mussten Vorauswahlen auch sei, erinnert sich der künstlerische Leiter großen Menge von Talenten die Besten der in anderen Städten als nur in Gütersloh ab- Prof. Dr. Gustav Kuhn. So wie beim dritten Besten zu finden. gehalten werden. Zuerst in München, dann Wettbewerb, 1989: „Und das in einem Jahr, „Anfangs wurde der Erfolg auch daran europaweit. 1993 öffnete der Wettbewerb in dem später berühmte Sänger wie René gemessen, dass wir gewachsen sind“, meint sich auch für Sänger, die außerhalb Europas Pape, Vesselina Kasarova und Roman Trekel Wettbewerbsleiterin Ines Koring, „das war studierten. 1999 bewarben sich zum ersten vorsangen!“ Allerdings: Ob der Fülle und des der erste Schritt zur Langlebigkeit. Der zwei- Mal über 1.000 Nachwuchstalente. Sie ka- Niveaus der Talente, die sich da bewarben, te bestand darin, dass es uns gelang, unser men unter anderem aus Argentinien (einem änderte sich allmählich der selbstauferlegte Augenmerk von der Quantität hin zur Quali- Land, das von 2003 bis 2007 gleich ›› 12 change › 2012 › Sonderheft

dreimal hintereinander die Sieger stellte) oder auch aus Korea (einem Land, aus dem 2009 alle drei Sieger stammten). Immer wieder gibt es bewegende Momente. Wie bei den Vorauswahlen in Japan, mit dessen dor- tigen Projektpartnern die „Neuen Stimmen“ eine jahrelange Zusammenarbeit verbindet. Vier Wochen zuvor hatte der Tsunami das Land verwüstet – „und es gab Teilnehmer, die ihr Zuhause und sogar Familienangehö- rige verloren hatten“. Die Internationalisierung birgt aber auch die Chance auf „ganz viele kleine Momente der Freude“, findet „Neue Stimmen“-Wett- bewerbsleiterin Ines Koring. „Wenn ich junge Menschen, die ohne uns vielleicht gar nicht die Chance hätten, ihren Lebenstraum zu verwirklichen, bei uns auf der Bühne sehe, dann habe ich das Gefühl, wir haben das alles richtig gemacht.“ Oder sie hat sich zu- mindest zeigen lassen, wie man es vor Ort richtig macht. „Kindchen, bei uns ist das anders, bei uns kann man keine Sänger ein- fach so einbestellen – und schon gar nicht morgens um zehn Uhr!“, bekommt sie dann emotional geprägte Dinge, die in manchen Ländern vorliegen, wir können nicht strikt Design im Wandel unsere Regeln durchführen“, beschreibt Ko- ring ihre Erfahrungen. Auch Aufmachung, Farben und „Unser Ziel ist das Logo der „Neuen Stimmen“ änderten sich mit den Jahren es, immer am Talente entdecken Wobei es aber gerade auch die Regeln und Heute sind die „Neuen Stimmen“ bekannt Puls der Zeit ihre Transparenz sind, die den Wettbewerb als Marke. Beim Start als „ganz normales“ attraktiv machen für Künstler und auch Projekt der Bertelsmann Stiftung wurden zu bleiben“ eine Urkunde sowie eine Anstecknadel mit für die andere Zielgruppe – die potenziel- einem aus Noten gebildeten „N“ als Preis Ines Koring, Leiterin des Gesangswettbewerbs len Arbeitgeber der Künstler. 2003 wurde übergeben. Das „N“ diente auch als Logo „Neue Stimmen“ ein Pflichtrepertoire eingeführt, das sich des Wettbewerbs. Ab 1993 signalisierten über den gesamten Zeitraum der Opern- die Farbe Blau und ein moderner Schriftzug, geschichte erstreckt, von „Barock“ bis „ Zeit- dass sich aus dem Projekt eine Marke ent- schon einmal von den argentinischen Pro- genössisch“. Alle Vorentscheide werden in wickelt hatte. Man begann, im Wettbewerb mit anderen Wettbewerben zu stehen. „Die jektpartnern zu hören. Eigenregie durchgeführt, Jurymitglied Brian Inhalte, das Engagement, die Leidenschaft, Wer einen Wettbewerb auf internatio- Dickie reist zu allen Austragungsorten, was die wir mit unserem ‚Projekt‘ vermitteln naler Ebene ausrichtet und für die Vorent- gleichbleibende Standards schon bei der wollten und wollen, waren mit diesem scheide tatsächlich in alle Erdteile fährt, Vorauswahl sichert. „Unser Ziel ist es, durch dunklen Farbton nicht mehr zu transportie- lernt schnell, dass in Moskau die Uhren präzise Vorbereitung und Beobachtung des ren“, sagt Heike van Meegdenburg, die alle anders gehen als beispielsweise in Buenos Marktes immer am Puls der Zeit zu bleiben“, grafischen Produkte entwickelt. „Einfeuriges Aires und in Berlin anders als in Peking sagt Ines Koring. „Nur so können wir einiger- Rot wurde deshalb Hauptbestandteil unserer Markenoptik. Rot, die Farbe eines – was sich nicht nur auf die unterschiedli- maßen sichergehen, alle zwei Jahre 40 junge Bühnenvorhanges. Aber auch Rot wie Emo- chen Zeitzonen bezieht. Was die einen „auf Menschen zu entdecken, die repräsentativ tionen, Stärke, Dynamik.“ Beibehalten wurde den letzten Drücker“ machen, hätten die an- sind für die Sängergeneration dieses Zeit- die Tradition, mit Fotos von Teilnehmern deren am liebsten schon zwei Jahre vorher raumes. Und die garantiert in der Lage sind, oder Gewinnern zu arbeiten. Jedoch: Die perfekt durchorganisiert. Wo in einem Land vor jedem Haus vorzusingen.“ Dabei ist es Posen wurden dynamischer – auch das ein die Bewerber geduldig warten, bis sie auf- das Ziel der „Neuen Stimmen“, junge Talente Ausdruck der Weiterentwicklung des Wett- gerufen werden, kommen die anderen halt auf den Opernbetrieb vorzubereiten. „Neue bewerbs, der ja „neben reiner Stimmqualität schon immer Wert auf die Bühnenpräsenz irgendwann. Und beide Modelle und alle Stimmen“-Präsidentin Liz Mohn meinte legte, auf gesangliche Interpretation und den Abstufungen dazwischen funktionieren. einmal: „Ich glaube, das macht diesen Wett-

persönlichen Ausdruck.“ „Wir müssen uns eben anpassen, auch an bewerb aus, dass die jungen Menschen sich STIFTUNG BERTELSMANN FOTOS: Sonderheft › change › 2012 13

info> Neue Stimmen 2.0

Die im Ju- biläumsjahr neu gestaltete Homepage der „Neuen Stimmen“ informiert über den in- ternationalen Gesangswett- bewerb, den Meisterkurs, die Liedmeis- terklasse und die Aktivitäten zum 25-jäh- rigen Jubiläum. Dazu kommen Livestreams sowie ein Überblick über alle Wettbewerbs- jahre, Teilnehmer und Juroren. Infos: www.neue-stimmen.de INTERNATIONALE VORAUSWAHLEN Wie sehr sich die „Neuen Stimmen“ im Laufe Auf allen Kontinenten nehmen Operntalente an der Jahre zu einer weltweiten Familie ent- den Vorauswahlen teil. Ob wickelt haben, spiegelt sich auch eindrucks- bei den Vorauswahlen in voll auf facebook. Dort trifft sich regelmäßig Asien (das Plakat zu den eine große „Neue Stimmen“-Community. Auf „New Voices“ 1997, oben, einer privaten Profilseite sowie der 2011 daneben die asiatischen gegründeten Unternehmensseite www. Finalisten) oder bei den facebook.com/NeueStimmenSC tauschen Proben 2011 in der Wiener sich bereits mehr als 10.000 Fans aus: Staatsoper (rechts) Agenten, Wettbewerbe, Opernhäuser, Sänger, Musiker, Opernliebhaber. Die Seite hat eine Reichweite von wöchentlich etwa 2.000 Mu- sikbegeisterten weltweit, wobei die meisten Fans aus Italien, Mexiko, Buenos Aires, Pa- ris und Seoul stammen und im Durchschnitt zwischen 35 und 45 Jahre alt sind. einfach wohlfühlen, und dass sie doch behü- denden „Meisterkursen“ mit ihren öffentli- tet werden. Und auch, dass man sie weiter be- chen Proben. Viele sind stolz, dabei sein zu gleitet auf ihrem künstlerischen Lebensweg.“ dürfen. So wie auch Sir Peter Ustinov, der „Sowohl beim Wettbewerb, bei den Meis- 2001 den Ehrenvorsitz innehatte: „Ich woll- terkursen als auch bei der in diesem Jahr te nur sagen, wie privilegiert ich bin, hier erstmals durchgeführten Liedmeisterklas- zu sein, und wie viel Freude es mir gemacht se ist für uns das Wesentliche, die Nach- hat. Ich fühle mich hier gar nicht 80 Jahre wuchstalente gemäß ihrer stimmlichen, alt. Nur 79.“ künstlerischen und persönlichen Entwick- Was vielleicht auch an der Organisation lung zu begleiten“, betont Christian Leins, liegen mag. Mieke Eyckerman-Kölln vom Direktor des Programms „Musikalische Event-Management: „Wir bieten Full Service Förderung“. Ziel sei es, mit gleichgesinnten und decken alles ab vom Travel-Manage- und starken Partnern sicherzustellen, dass ment der Sänger bis zum Arztbesuch. Wir die jungen Sänger behutsam im Musikbe- besorgen Fahrräder, kümmern uns um das trieb Fuß fassen und eine möglichst lange Catering, Notfallnummern, morgendliche Denn auch das ist ein Ziel des Wettbe- Karriere vor sich haben. Weckrufe und vieles mehr.“ Allein in den werbs: „Die Endrunden-Teilnehmer haben Finalwochen müssten rund 250 Menschen viele positive Erlebnisse, die sie auch be- Die Gütersloher Atmosphäre versorgt werden – zu unterschiedlichen Zei- ruflich weiterbringen, die ihnen zu Engage- ten, in unterschiedlichen Räumen und mit ments und Kontakten verhelfen“, befindet Teilnehmer, Publikum und auch Macher unterschiedlichen Vorlieben. Die Erstellung Koring. Was wiederum die Reputation des schätzen die einzigartige Gütersloher Atmo- des Sicherheitskonzepts, Einsatzpositionen, Wettbewerbs stärkt, denn die Sänger „erzäh- sphäre. Bei den Wettbewerben oder bei den Briefings, kurz: Listen über Listen, die abge- len ja weiter, dass sie sich wohlgefühlt haben seit 1997 im jeweiligen Gegenjahr stattfin- arbeitet und beachtet werden müssen. – und sich die Teilnahme gelohnt hat.“  14 change › 2012 › Sonderheft

GUSTAV KUHN Ein Bild aus den Anfängen der „Neuen Die Macher Stimmen“: Der künstlerische Leiter Prof. Dr. Gustav Kuhn (rechts) mit den Pianisten Prof. Céline Dutilly und Prof. Die Kunst, junge Tito Ceccerini Künstler zu fördern

Eine international besetzte Experten-Jury, ein einfühlsames Orchester, erfahrene Pianisten, ein Bewegungs-Coach. Das Team rund um die Finalteilnehmer ist ein Garant für behutsames Fordern und Fördern

Text: Ursula Wilimsky

an kann sich dort oben sehr fe ich – mehr als irgendwo sonst – auf eine feilen mit ihnen an ihren Arien und helfen einsam fühlen …“ Pianistin Céli- außergewöhnliche Dichte von Talenten aus ihnen, ihre Chancen auf einen Einzug ins ne Dutilly weiß um die Befind- aller Welt. Junge Künstler voller Energie, Träu- Halbfinale oder gar Finale zu vergrößern. Be- Mlichkeiten, denen sich die End- me, Visionen, Ambitionen und Begeisterung, wegungstrainer John Norris erarbeitet mit runden-Teilnehmer der „Neuen Stimmen“ die das Gesicht des Opernbetriebes von mor- den Sängern neue Ausdrucksmöglichkeiten. neben allen fachlichen Herausforderungen gen prägen werden. Das ist sehr aufregend!“ Bereits beim Semifinale singen die -Nach stellen müssen. Sie gehört zu dem Kreis von wuchstalente unter Begleitung eines großen internationalen Experten, die teilweise seit Das künstlerische Team Orchesters. Seit 2005 haben die Duisburger den Anfangstagen des Wettbewerbs den jun- Philharmoniker diese Aufgabe übernom- gen Talenten zur Seite standen und sie mit Dutilly und ihre Pianisten-Kollegen und men. Und laden die Sieger regelmäßig zu Herz und Sachverstand fördern. Professoren Raffaele Cortesi, Manuel Lange, ihren Neujahrskonzerten an den Rhein ein. Die Professorin an der Hochschule für Sebastian Stoermer und Peter Nelson gehö- Folge-Engagements, neue Kontakte, das Musik und Theater in München schätzt den ren zum künstlerischen Team der „Neuen Singen vor voll besetztem Saal: Der inter- Wettbewerb sehr: „Hier kann ich junge, sehr Stimmen“. Mit korrigierenden Hinweisen nationale Gesangswettbewerb stellt „eine talentierte Sängerinnen und Sänger im ers- und wertvollen Impulsen unterstützen sie große Chance für junge Sänger dar“, sagt ten Durchgang des Wettbewerbs begleiten die Sängerinnen und Sänger, die eine Ein- der Juryvorsitzende Dominique Meyer. Der

– was ich sehr gerne mache! Denn hier tref- ladung nach Gütersloh erhalten haben. Sie Direktor der Wiener Staatsoper ist da- ›› (2) EUSTERBROCK DIRK (2), STIFTUNG BERTELSMANN FOTOS: Sonderheft › change › 2012 15

info> Der künstlerische Leiter: Prof. Dr. Gustav Kuhn

Wo vor 25 Jahren noch die Frage: „Wo steckt der Nachwuchs?“ stand, sieht sich die Jury heute meist 40 Talenten gegenüber, die – „im Grunde bereits engagementreif“ sind, erklärt der künstlerische Leiter der „Neuen Stimmen“, Prof. Dr. Gustav Kuhn. Der Dirigent, Opernre- gisseur und Intendant der Tiroler Festspiele Erl sowie Direktor der Accademia di Montegral, betont: „Jetzt geht es darum, die jungen Sänger sanft einzuführen. Wir wollen diesen jungen Leuten helfen, nicht im Kulturbetrieb verschrammelt zu werden. Darum sind die Master Classes mindestens genauso wichtig wie der eigentliche Wettbewerb.“ Nach 25 Jahren Wettbewerb und 15 Jahren Meister- kurse, die Liz Mohn und er initiierten, ist seine „Sentimentalität in die Zukunft gerichtet: Wir wissen, was wir der Zunft schuldig sind, und wollen die Dynamik, die die Opernwelt wandelt, mit vorantragen.“ Gustav Kuhn selbst besuchte die Universitäten und Akademien in Salzburg und Wien und schloss 1970 sein Studium für Komposition und Dirigieren sowie sein Doktorat in Philosophie und Psychopa- thologie ab. Seine Fähigkeiten als Dirigent perfektioniert er später durch die Zusammenarbeit mit Hans Swarowsky, Bruno Maderna und Herbert von Karajan. Später arbeitete er an zahlreichen Opernhäu- sern in ganz Europa, sowie als Musikdirektor des Orchesters und der Oper Bern, als GMD des Orchesters der Beethovenhalle und des Opernhauses Bonn und als Chefdirigent und künstlerischer Leiter an der Oper in Neapel und Rom. Seit 1986 hat Gustav Kuhn sich auch als Regisseur einen Namen gemacht. 1997 gründet er die Tiroler Festspiele Erl, deren künstle- rischer Leiter er seit 1998 ist. Seit 2003 ist er außerdem künstleri- scher Leiter des „Orchester Haydn“, Bozen/Trient. Weitere Infos: www.gustavkuhn.at

„Wir wollen die Dynamik der Opernwelt vorantragen“

Prof. Dr. Gustav Kuhn BRIAN DICKIE Der Generaldirektor des Chicago Opera Theater und Leiter der Vorauswahlen reist für die Erst-Castings um die ganze Welt 16 change › 2012 › Sonderheft

CÉLINE DUTILLY Die Pianistin begleitet die „Neue Stimmen“-Teil- nehmer bereits seit den Anfängen des Wettbewerbs und ist damit auch Ansprechpartnerin, von fachlichen Fragen bis hin zum Umgang mit dem Lampenfieber – hier mit der Sängerin Kareen Durand DOMINIQUE MEYER UND LIZ MOHN Der Direktor der Wiener Staatsoper ist seit 2009 Vorsitzender der Jury „Auf die ‚Neuen Stim- men‘ schaut

die ganze Welt“ PETER NELSON Der WDR-Moderator Holger Noltze, der durch die Finalabende führt, inter- viewt den Pianisten Prof. Peter Nelson Dominique Meyer

von überzeugt: „Wenn man dort erfolgreich Präsident a. D. der Hochschule für Musik Konkurrenz im Wettbewerb ist, weiß es gleich eine ganze Profession. Nürnberg, Musikkritiker und Autor Jürgen Auf die „Neuen Stimmen“ schaut die ganze Kesting, Nicholas Payne, Direktor Opera Eu- Doch bereits jetzt fällt die Entscheidung Welt – denn neben den vielen großen Na- ropa, und Kammersängerin Anja Silja. Ob nicht leicht. Nach Dickies Einschätzung ist men in der Jury sitzen auch im Publikum Dirigent, Sänger oder Kritiker – ihnen allen „der Wettbewerb wegen der größeren Fülle wichtige Entscheidungsträger, die ebenfalls liegt die Förderung des Nachwuchses am an starken Kandidaten deutlich konkurrenz- nach jungen Talenten Ausschau halten.“ Herzen. Seit 13 Jahren reist Brian Dickie, Ge- betonter“. Was sich unter anderem auch an Zehn Fachleute entscheiden, wer ihrer neraldirektor des Chicago Opera Theater und der Qualität der Viert-, Fünft- und Sechst- Meinung nach der beste der meist 40 End- Leiter der Vorauswahlen, für die Erst-Castings platzierten zeige, denen häufig eine große runden-Teilnehmer ist. Die international um den Globus. Er konnte beobachten, wie Karriere offenstehe. „Ein Wettbewerb ist ja besetzte Jury spiegelt ein möglichst breites zusehends Sänger aus Osteuropa oder auch nur eine Momentaufnahme im Leben eines Spektrum von Sichtweisen der Opernwelt Argentinien den Weg nach Gütersloh fanden. Sängers, der noch am Anfang steht.“ wider. Beim Wettbewerb 2011 saßen in der Erlebte, wie der koreanische Nachwuchs mit Eine Momentaufnahme, die ein „Glücks- Jury unter anderem Kammersänger Fran- Erfolg den Wettbewerb für sich entdeckte. katalysator sein kann für die Karriere“, wie cisco Araiza, Professor an der Hochschule Und wünscht sich für den kommenden Wett- es Jurymitglied Evamaria Wieser, Artistic für Musik und Darstellende Kunst Stutt- bewerb 2013 eine noch stärkere europäische Consultant Lyric Opera Chicago und Teatro

gart, Kammersänger Siegfried Jerusalem, Beteiligung – vor allem aus England. dell’Opera di Roma, formuliert. Wer zu ei- STIFTUNG BERTELSMANN FOTO: Sonderheft › change › 2012 17

DIE JURY Von links: Kammersänger Siegfried Jerusalem (Präsident a. D. an der Hochschule für Musik Nürnberg), Nicholas Payne (Direktor Opera Europa), Kammersängerin Anja Silja, der Leiter der Vorauswahlen Brian Dickie (Generaldirektor des Chicago Opera Theater), Jury-Präsident Dominique Meyer (Direktor der Wiener Staatsoper), Liz Mohn (Gründerin des Wettbewerbs), der künstlerische Leiter Prof. Dr. Gustav Kuhn (Intendant der Tiroler Festspiele Erl und Direktor der Accademia di Monte- gral), Evamaria Wieser (Artistic Consultant Lyric Opera Chicago und Teatro dell’Opera di Roma), Kammer- info> sänger Francisco Araiza (Professor an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart), Meisterkurs/Liedmeisterklasse der Musikkritiker und Autor Jürgen Kesting und Bernd Loebe (Intendant der Oper Frankfurt)

Seit 1997 richtet die Bertelsmann Stiftung in den Jahren zwischen dem alle „Eine außer- zwei Jahre stattfindenden Gesangswett- bewerb „Neue Stimmen“ internationale Meisterkurse aus. Diese bieten bis zu 15 gewöhnliche ehemaligen Teilnehmern aus aller Welt die Möglichkeit, ohne Konkurrenzdruck unter nem Wettbewerb sehr viel Fleiß und Com- Dichte von der Anleitung weltbekannter Musiker an ih- rer Stimme und musikalischen Ausdrucks- mitment mitbringe, habe gute Chancen. Talenten“ fähigkeit sowie der gesanglichen Inter- Talent sei natürlich wichtig für die Karriere, pretation und Bühnenpräsenz zu arbeiten. mache aber „nur die Hälfte, wenn nicht nur Dazu gehören Vorträge von Experten rund ein Drittel aus. Ebenso wichtig sind Tech- Prof. Céline Dutilly über die „Neuen Stimmen“ um die Themen Vorsingen, Agenturvermitt- nik, Fleiß, persönliches Auftreten, Disziplin. lung sowie Vertrags- und Steuerrecht. Neu hinzugekommen sind Interviewtraining und Und ein bisschen Glück“. Hinzu komme ein Social-Media-Beratung. weiterer wesentlicher Faktor: „Wettbewerbe Zum 25-jährigen Jubiläum der „Neuen sind immer auch ein Stresstest für die Be- Stimmen“ werden der internationale teiligten. Sie treten ja unter großem Druck Gesangswettbewerb und die Meisterkurse auf, was generell im Leben eines Sängers ein weg entwickelt hat. Man erwartet von be- nun noch um eine Liedmeisterklasse er- weitert; 2012 unter der Leitung von Kam- wesentlicher Punkt ist.“ stimmten Rollenverkörperungen auch eine mersängerin Edda Moser. Im Rahmen der Wer ihn meistert, animiert vielleicht ei- bestimmte Stimmfarbe des Sängers“. Kooperation mit dem Konzerthaus Berlin nen Verantwortlichen aus Publikum oder Loebe mahnt zur Geduld im Opernbe- wird die Liedmeisterklasse 2013 von der Jury dazu, ihn unter Vertrag zu nehmen. trieb: „Man muss als Verantwortlicher den österreichischen Mezzosopranistin und „Die habe ich mir geschnappt, weil ich ge- jungen Leuten Zeit geben. Früher war es Kammersängerin Angelika Kirchschlager und 2014 vom deutschen Bariton spürt habe, dass da ein riesiges Potenzial ist“, durchaus üblich, jahrelang dieselbe Par- Christian Gerhaher geleitet werden. schwärmt Jurymitglied Bernd Loebe über tie zu singen. Und für das Publikum ist es eine irische Sängerin, die er im Wettbewerb ja auch spannend, die Entwicklung eines WEBLINKS: für sein Ensemble entdeckt hat. Disziplin Künstlers über Jahre hinweg zu verfolgen.“ www.neue-stimmen.de sollte ein junger Sänger signalisieren und die Heute gehe es darum, die „jungen Leute www.neue-stimmen.de/liedmeisterklasse www.facebook.com/NeueStimmenSC Bereitschaft zu lernen. Wenn der Intendant durch einen komplett gewandelten Kultur- der Oper Frankfurt eine Oper neu besetze, betrieb zu bringen“, meint auch Prof. Dr. KONTAKT: Judit Schweitzer [email protected] habe er „immer den Idealtypus vor Augen, Gustav Kuhn, der künstlerische Leiter der wie er sich teilweise über Jahrhunderte hin- „Neuen Stimmen“.  18 change › 2012 › Sonderheft

Christiane Karg Erwachsen geworden

Mit den „Neuen Stimmen“ fing alles an. Damals wurde Christiane Karg bewusst, wie wichtig es ist, an sich selbst zu glauben und mutig den eigenen Weg zu gehen. Heute ist sie längst keine Nachwuchskünstlerin mehr, sondern mit Rollen an großen Häusern, gefeierten Festivalauftritten und zwei erfolgreichen Alben längst ein etablierter Star – mit Bodenhaftung

Text: Tanja Breukelchen — Fotos: Arne Weychardt

ein, es war nicht der erste Platz, orchester, dem Mozarteum Orchester Salz- oper in Dresden und der Lyric Opera in Chi- den Christiane Karg 2007 bei den burg oder dem Symphonieorchester des cago.“ – Ruhiger sei sie geworden, weil sie „Neuen Stimmen“ errang. Es war Bayerischen Rundfunks. Nicht zu vergessen bereits jetzt zahlreiche Verträge in der Ta- NPlatz sechs – und der Beginn ei- die zahlreichen Festivals, an denen sie auch sche hat: „Für die nächsten fünf Jahre habe ner großen Karriere. Dass Teilnehmer aus in diesem Sommer wieder teilgenommen ich gute Perspektiven, da wird man sicherer Deutschland bei einem internationalen Ge- hat. So sang sie die Eröffnungskonzerte des und kann den Beruf mehr genießen.“ sangswettbewerb einen Platz so weit vorn Schleswig-Holstein Musikfestival in Lübeck belegen, ist selten. „Wir Deutschen haben ja und der Styriarte in Graz, Konzerte bei den Der Schritt in die Freiheit international nicht so gute Karten bei Wett- Salzburger Festspielen, den Strauss-Tagen bewerben“, sagte Christiane Karg später. in Garmisch, dem Rheingau Musik Festi- Ganz bewusst wird sie nur noch für eine „Die Stimmqualität einer südamerikani- val, der Schubertiade Schwarzenberg, beim Saison als festes Ensemblemitglied an der schen Stimme zum Beispiel ist wärmer, die Edinburgh Musikfestival, der Wigmore Hall Frankfurter Oper bleiben. Danach arbei- Stimme ist größer, hat eine andere Farbe. in London und beim Mostly Mozart Festi- tet sie frei. „Frankfurt wird nach wie vor Natürlich will man die große italienische val in New York. ein wichtiges Haus für mich bleiben, auch Oper singen. Es gibt wenige Deutsche, die Aus der Rolle der Nachwuchskünstlerin wenn ich jetzt ganz bewusst aus dem Fest- das können. Schon gar nicht als Einstieg.“ ist die 32-Jährige längst herausgewachsen. vertrag dort aussteige“, sagt sie. „Das hat Stattdessen hat sie lieber das eine oder an- „Anfangs wirst du sehr beobachtet, aber ganz viel mit meiner Persönlichkeit ›› dere Mal in den Jahren danach deutlich Nein noch nicht so ganz für voll genommen. gesagt. Eigentlich immer dann, wenn andere Aber wenn man die 30 überschritten hat, versuchten, sie zu „verbiegen“. muss man sich anders behaupten und ernsthafter positionieren. Jetzt ist man Den eigenen Weg gehen jemand – und wird ernst und als Künstler wahrgenommen“, sagt sie und erzählt von „Jetzt ist man Ganz bewusst suchte sie sich deshalb „ihre“ ihren Plänen für die kommenden fünf Jah- Rollen aus, ging ihren Weg. Ob als festes En- re. „Ich darf gar nicht alles verraten, aber die jemand – und semblemitglied der Frankfurter Oper, als ‚Sophie‘ im Rosenkavalier wird häufig mei- Gast in der Bayerischen Staatsoper, der Ko- ne Wege kreuzen. Außerdem werde ich re- wird ernst mischen Oper Berlin, dem Theater an der gelmäßiger Gast in der Wigmore Hall und Wien, der Semperoper in Dresden oder als Schubertiade Schwarzenberg sein. Meilen- genommen“ Solistin. Begleitet von Orchestern wie der steine. Und tolle Partien kommen unter Staatskapelle Dresden, dem NDR Sinfonie- anderem in Glyndebourne, an der Semper- Christiane Karg Sonderheft › change › 2012 19

Hier steht eine kleine Bildunterschrift. at. Ut wisi Binim ad minim Veniam, quis nostud. Geum iriure dolor in Hendrerit in vulputate velit Esse molestie consequat, vel illum Dolore eu Feugiat nulla facili- sis at vero eros et Accumsan et iusto Odio

Fünf Jahre nach ihrem sechsten Platz beim internationalen Gesangs- wettbewerb „Neue Stimmen“ ist Christiane Karg aus der Rolle der Nachwuchskünstlerin herausgewach- sen. Ein gutes Gefühl, findet sie 20 change › 2012 › Sonderheft

zu tun. Ich brauche immer neue Heraus- gang Amadeus Mozart und Christoph Willi- viel französischen Barock gesungen. Die forderungen und bin kein Mensch, der bald Gluck auch Repertoire-Entdeckungen Unterschiede zu italienischem Barock sind immer an einem Ort bleibt. Ich will reisen, vom französischen Zeitgenossen André- doch sehr groß, und da wollte ich verglei- mein Leben selber in der Hand haben.“ We- Ernest-Modeste Grétry, die nun mit „Amo- chen. Dann habe ich ein wenig geforscht, niger als gezielte Karriereplanung denn als retti“ erstmals auf CD vorliegen. Dabei wird wer alles mit Mozart gelebt hat, und was Herzensangelegenheit, hat Christiane Karg Christiane Karg vom englischen Orchester man kombinieren kann. So ist das Album deshalb auch gerade bei Berlin Classics ihre Arcangelo unter dem jungen Dirigenten entstanden.“ Doch nicht nur die einzelnen zweite CD „Amoretti“ veröffentlicht – nach- Jonathan Cohen begleitet. „Die neue CD ist Arien hat Christiane Karg selbst zusam- dem sie 2010 für ihr erstes Album „Ver- absolut meine CD“, sagt sie. Mir war es wich- mengestellt, – „ich habe mir auch mein wandlung – Lieder eines Jahres“ bereits den tig, dass ich mich in allem wiederfinde. Ich Orchester, meinen Dirigenten gesucht, ich Echo Klassik bekommen hatte. stöberte in Bibliotheken, suchte mir Infor- habe Teile des Booklets geschrieben, die mationen über die Zeit und die Komponis- Fotografin und meine Stylistin ausgesucht. CD als Herzensangelegenheit ten heraus.“ Ich habe zweieinhalb Jahre an diesem Al- Am Anfang hatte sie in erster Linie das bum gearbeitet. Aber so ist es ganz meines.“ In „Amoretti“ – benannt nach der gleichna- Ziel, einen frühen Mozart aufzunehmen. Die Arien erzählen von Liebesschmerz migen Arie aus Mozarts „La finta semplice“ „Das war der erste Gedanke. Dazu kam die und Verzweiflung, von Sehnsucht und Zärt- singt die Sopranistin neben Arien von Wolf- Idee mit Gluck. Ich hatte in der letzten Zeit lichkeit. Fast könnte man glauben, Chris- Sonderheft › change › 2012 21

„Man wird sicherer und kann den Beruf mehr genießen“

Christiane Karg

gerade bin, bestimmte Sachen gibt, die mir wichtig sind: ein Schwimmbad zum Bei- spiel, eine Laufstrecke. In jeder neuen Stadt suche ich mir diese Möglichkeiten und fühle mich dann sehr schnell dort wohl. Freunde habe ich überall und kann sie auch immer besuchen.“

Immer auf dem Boden bleiben

Wichtig sei ihr ihre Familie, die daheim in Feuchtwangen ein Café in einem alten Christiane Karg im Jahr 2011 beim Treffen mit Liz Kloster besitzt: „Ganz abschalten kann ich Mohn am Rande der „Salzburger Festspiele“ nur zu Hause bei meiner Familie, da geht es nicht um mich, sondern um meine Schwes- ter. Dort steht sie im Mittelpunkt – und das tut mir wirklich gut.“ Ihre jüngere Schwes- ter Michaela ist Konditorin und gefeierte vita> Schokoladenkünstlerin im elterlichen Be- Christiane Karg trieb. Für Christiane Karg bedeutet das, dass sie bei ihren Besuchen in der Heimat nicht Die Sopranistin erhielt ihre Gesangsaus- nur das schöne Haus und ihren Garten ge- Nur noch eine Saison wird Chris- bildung am Salzburger Mozarteum. Nach tiane Karg festes Ensemblemit- nießt, sondern gelegentlich selbst noch das einem Aufenthalt am Konservatorium von glied der Frankfurter Oper sein, ein oder andere Kuchenstück serviert. „Wir Verona machte sie am Mozarteum ihren Master und den Abschluss im Fach Oper/ danach will sie ganz bewusst sind ein Familienunternehmen, da muss- frei arbeiten Musiktheater, wofür man ihr die Lilli- ten meine Schwestern und ich schon früh Lehmann-Medaille verlieh. Nach einem mithelfen.“ Erfolg bedeutet schließlich Engagement im Hamburger Opernstudio nicht, plötzlich ein anderer Mensch zu sein wechselte Karg 2008 als Ensemblemitglied an die Oper Frankfurt, wo sie seither die  oder die Bodenhaftung zu verlieren. wichtigen Rollen ihres Faches singt. Als tiane Karg habe da die eigene große Liebe Gast war sie unter anderem an der Bay- besungen. „Nein“, sagt sie. Und das klingt erischen Staatsoper, der Komischen Oper ziemlich entschieden. „Familiär gibt es bei Berlin und dem Theater an der Wien. 2009 wurde sie von der Zeitschrift „Opernwelt“ mir nichts Neues. Ich fühle mich unglaub- zur Nachwuchskünstlerin des Jahres ge- lich frei.“ wählt. 2010 erhielt sie darüber hinaus den renommierten Musikpreis „Echo Klassik“ für ihre Lied-CD „Verwandlung – Lieder Sich überall zu Hause fühlen eines Jahres“. www.christianekarg.com Schon allein einen wirklichen Lebensmit- telpunkt zu haben, sei in ihrem Beruf nicht einfach. Ihre Wohnung in Frankfurt sei deshalb auch eher deshalb eine Art Mittel- punkt, weil dort ihre Waschmaschine steht In diesem Jahr neu und die Koffer aus- und umgepackt wer- bei Berlin Classics den. Einsam fühlt sich Christiane Karg des- erschienen: Christiane Kargs CD „Amoretti“ halb aber nicht. „Ich habe festgestellt, dass mit Arien von Mozart, es mir einfach gut geht, wenn es da, wo ich Gluck und Grétry 22 change › 2012 › Sonderheft

Zauberflöte“ – es war mein erster Sarastro, René Pape den ich überhaupt gesungen habe. Und dann gleich in Salzburg! Es war eine Herausfor- derung. Das habe ich ihm zu verdanken. Und danach haben sich natürlich alle Türen Als die Wende nahte … geöffnet, ich habe nie wieder ein Vorsingen machen müssen. – Ja, und dann natürlich … setzte sich René Pape mit einem Kollegen zusammen in einen die Bekanntschaft mit Daniel Barenboim, die alten Wartburg und fuhr über die Grenze zum internationalen immer noch besteht. Das hat mich natürlich Gesangswettbewerb „Neue Stimmen“ nach Gütersloh. Heute ist der unglaublich weit gebracht – auch im Geiste ehemalige Preisträger einer der gefeiertsten Bässe weltweit und im Herzen – nicht nur beruflich.

Text: Andrea Rohden — Foto: Sebastian Pfütze Bei Ihnen gibt’s kein Lampenfieber? Lampenfieber? Nein, das habe ich als Kind schon abgelegt. Ich habe ja in Dresden im Kreuzchor gesungen. Ich bin also im Kna- benchor aufgewachsen und habe auch früh schon als Solist vorm Chor gestanden. Das as wäre gewesen, wenn die ja damals schon an der Staatsoper in Berlin Publikum hat das gemocht, meine Mitstrei- Mauer nicht gefallen wäre? engagiert war. Aber ich habe viele Leute ter hinter mir auch und mein damaliger Was wäre, wenn er nie bei den kennengelernt. Es war einfach ein weiterer Chorleiter. Dadurch hat sich automatisch „Neuen Stimmen“ gewonnen Schritt in die richtige Richtung. das Lampenfieber abgebaut. Später habe ich W hätte? Was wäre, wenn er unter Lampenfie- dann meine erste Bühnenrolle gesungen, in ber gelitten hätte? – Die Frage „Was wäre, Denkt man eigentlich manchmal „Was wäre, Dresden in der Staatsoperette im Musical wenn …?“ spielt für den weltweit gefragten wenn …?“. Zum Beispiel: Was wäre, wenn die „Cabaret“. Das war meine erste Begegnung Sänger René Pape keine Rolle. Das mag der Mauer nicht gefallen wäre? mit der Bühne. Damals war ich etwa zwölf Grund dafür sein, warum er seinen Weg seit Nein, eigentlich nicht. Das ist mühsam und Jahre alt. – Seitdem stehe ich auf der Bühne. Jahren so erfolgreich geht. Immer gerade- Zeitverschwendung, denn man kann es nicht aus. Die Gedanken nach vorn gerichtet. Und mehr ändern. Ich bin froh, dass alles so immer mit Spaß und Begeisterung für seinen gekommen ist. Und wenn die Mauer nicht Beruf: die Musik! gefallen wäre, hätte ich meine Karriere „Freundschaft, sicher auch gemacht, bestimmt anders und CHANGE: Herr Pape, es gibt ja so eine schöne vielleicht langsamer. und Liebe Geschichte von Ihnen. Kurz vor dem 9. Novem- ber 1989 haben Sie sich in Ihr Auto gesetzt, sind Sie kommen aus sehr bodenständigen Verhält- spielen eine nach Westdeutschland zu den „Neuen Stimmen“ nissen, heute sind Sie ein weltberühmter Sänger, gefahren und haben gleich gewonnen. Erzählen haben unter anderem je zwei Echos und Gram- wichtige Rolle“ Sie uns doch mal die Geschichte, stimmt sie my Awards. Wie steckt man all das weg? überhaupt? Die beiden Grammys stehen im Regal, René Pape RENÉ PAPE: Teile davon stimmen. Dass die die beiden Echos sind zu lang, die liegen. Mauer stark wackelte, ahnten wir. Daran (René Pape schmunzelt.) Ja, wie steckt können wir uns alle erinnern. Es war nicht man das weg? – Ich bin relativ locker, und Heute haben Sie einen vollen Terminkalender, mein Auto, sondern das Auto meines Freun- ich nehme mich selber nicht zu ernst, der singen überall auf der Welt. Wie viel Zeit bleibt des und Kollegen Roman Trekel. Es war auch Beruf ist ernst genug. Und ich habe gerne da noch für Familie, Freundschaften, Liebe? kein Trabant, wie immer behauptet wird, es Spaß, auch Spaß am Singen und Spaß an der Egal in welchem Beruf – Freundschaft, Liebe, war ein feuerwehrroter Wartburg. Und ja, Arbeit. Außerdem kommt es ja auch immer Beziehungen spielen immer eine wichtige wir sind dann nach Gütersloh gefahren und auf den jeweiligen Menschen an: Der eine Rolle. Das ist natürlich in unserem Beruf haben uns dort einem sportlichen Wettbe- steckt es einfach so weg, der andere bildet schwer, es auch zu pflegen. Deshalb sind werb gestellt. Der Rest ist Geschichte. sich unglaublich was darauf ein, der Dritte die Telefonrechnungen höher. Mittlerweile versucht, sein ganzes Leben lang das zu gibt’s Skype, da ist es wieder okay. Aber Haben die „Neuen Stimmen“ im Nachhinein erreichen, der Vierte, dem ist es eh wurscht. die Telefonrechnung wird extrem hoch, Ihren Weg beeinflusst? wenn man aus der ganzen Welt jeden Tag Für mich war das damals eher ein Messen Nun gibt es auch im Leben immer einen Punkt, ein-, zwei-, dreimal mit seiner Familie oder mit Gleichgesinnten, also ein sportlicher wo man jemandem begegnet, den man nicht seinen Liebsten, seinen Kindern, telefoniert. Wettbewerb. Dass es damals schon darum vergisst oder der einem etwas mit auf den Weg Aber das hält einen am Leben. ging, Agenten vorzusingen oder vielleicht ir- gibt. War das bei Ihnen auch so? gendwelche Intendanten zu begeistern, daran Das Schlüsselerlebnis war eigentlich die Sie sind als Opernsänger sehr unorthodox, habe ich gar nicht gedacht, und das war für Bekanntschaft mit Sir Georg Solti. Er hatte haben zur Musik von Rammstein ein Musikwerk mich auch überhaupt nicht die Frage, weil ich mich 1990/91 nach Salzburg geholt. „Die gemacht. Wie kam es dazu? Sonderheft › change › 2012 23

Anfang November 1989, kurz vor dem endgültigen Fall der Mauer, nutzte René Pape die neuen Möglich- keiten, fuhr in den Westen und ge- wann den 2. Preis bei den „Neuen

FOTO: BERTELSMANN STIFTUNG BERTELSMANN FOTO: Stimmen“

vita> René Pape

René Pape erhielt seine Ausbildung beim Dresdner Kreuzchor und an der Hochschule für Musik Carl-Maria von Weber in Dresden. Noch als Student debütierte er in Mozarts „Die Zauberflöte“ an derDeutschen Staatsoper Berlin. 1988 engagierte ihn das Haus als festes Mitglied des Ensembles. Dort sang er zahlreiche große Rollen seines Faches. 1994 trat er erstmals bei den Bayreuther Festspielen in Erscheinung, wo er den Fasolt im „Rheingold“ sang. 1991 besetzten ihn Sir Georg Solti und Johannes Schaaf als Saras- tro in der „Zauberflöte“ bei den Salzburger Festspielen. Hier sang er 1998 den Filippo (Don Carlos). Der zweimalige Grammy- und Echo-Preisträger sang unter anderem an der in New York, der Opéra National de Paris, der Lyric Opera Chicago, am Royal Opera House Covent Garden, an der Wiener Staatsoper, der Mailänder Scala sowie an der Semperoper Dresden. Im April 2009 gab René Pape sein Recital-Debüt in der New Yorker Carnegie Hall. Infos: www.renepape.com

Das war Zufall, ein Freund von mir, der gemacht, auch zwei Konzerte, leider nur dich ausbeuten wollen, falsches Repertoire. Produzent Sven Helbig, hatte wiederum zwei, damals gemacht. Alle merkten, es einen Freund, Torsten Rasch, der Komponist war wirklich etwas Besonderes, und es Noch ein Paar Fragen, die Sie bitte nur mit ist, und mit dem ich ganz früher auch im hat unglaublich viel Spaß gemacht. Dieses einem kurzen Satz beantworten. – Wo singen Sie Kreuzchor sang. Die beiden hatten die Idee, Projekt erschien dann sogar als CD bei der am liebsten? mit großem Hundert-Mann-Orchester nach Deutschen Grammophon. Da, wo ich gerade bin. Texten und Melodien von Rammstein einen Liederzyklus zu machen. Dann traten sie Was raten Sie jungen Sängern, wenn sie am Was singen Sie am liebsten? an mich heran und fragten, ob ich Interesse Anfang ihrer Karriere stehen? Das, was ich gerade singe. Ja wirklich, es habe. Ich kannte Rammstein, das war jetzt Ich denke, der allererste Tipp ist: Habt Spaß! ist so. nicht die Musik, die ich bis dahin von früh bis abends gehört habe. Nach einer gewis- Aber es gibt doch sicher auch Fallen … Wo sind Sie privat am liebsten? sen Zeit gewann dieses Projekt wirklich an … falsche Beratung, falscher Ehrgeiz, auf Ich bin sehr gern zu Hause, weil ich da am Substanz. Wir haben probiert, Aufnahmen Leute hören, die keine Ahnung haben, die wenigsten bin, also in Dresden.  24 change › 2012 › Sonderheft

Über Nacht ein Star Beginn einer Weltkarriere

Mit dem Sieg bei den „Neuen Stimmen“ 2007 begann die Weltkarriere des Opernstars Marina Rebeka. Heute singt sie an den größten Häusern der Welt – und schafft nebenbei den Spagat zwischen Familie und Beruf

Text: Silke Bojahr — Fotos: Axel Martens

m zarten, fast kindlichen Gesicht der Ma- und ganz groß im Geschäft. Marina Rebeka rina Rebeka ruht eine gewisse Schüch- ist bis 2018 ausgebucht.. „Wenn mir 2007 je- ternheit – doch in den großen Augen mand gesagt hätte, du wirst in zwei Jahren Ifunkelt auch immer wieder etwas Schel- an der Scala und in Salzburg singen, und mit misches. Die schlanke 32-Jährige passt in Andrea Bocelli, hätte ich geantwortet: Das keine Kategorie, schon gar nicht in das Bild kann überhaupt nicht sein.“ einer zickigen Operndiva. Künstlichkeit und Noch immer schafft es die hübsche Let- Allüren sind ihr fremd. Das harte internati- tin, regelmäßig ihre Familie in der Heimat onale Operngewerbe hat in ihrem Gesicht zu besuchen, und tritt keine Spuren hinterlassen. weiterhin häufig in auf. Eine ganz besondere Steiler Karrierestart Beziehung pflegt sie zu ihrem 89-jährigen Opa. Dass ihre Karriere nach dem Sieg bei den Denn schließlich war er „Wenn mir das 2007 „Neuen Stimmen“ 2007 so steil nach oben es, der sie mit 13 Jahren für gehen würde, hatte die Sopranistin niemals die Oper entflammte. Da jemand gesagt erwartet. Damals, mit 27 Jahren, überzeugte nahm der Hobby-Dirigent sie die Jury mit den Arien „Qual fiamma“ aus sie mit zu einer Auffüh- hätte – ich hätte der Oper „I “ von Ruggero Leonca- rung von Bellinis „“ vallo und „È strano, è strano“ aus Giuseppe in der Nationaloper: „Bis geantwortet: ‚Das Verdis „La Traviata“. Danach nahm ihre Kar- dahin wusste ich gar nicht, riere schnell Fahrt auf: Debüts bei den Salz- was eine Oper ist. Aber an kann nicht sein!‘“ burger Festspielen, am Covent Garden, an dem Abend war mir sofort Marina Rebeka der Deutschen Oper Berlin oder als Donna klar: Das will ich machen!“ Anna im „“ an der New Yorker Und so sollte es kom- Metropolitan Opera. men. Für den Besuch der staatlichen Mu- Inzwischen ist die Lettin eine der interes- sikschule war Marina damals schon zu santesten internationalen Opern-, Lied- und alt. Eine halb private Musikschule war die Konzertsängerinnen der neuen Generation Lösung. Nach vier Jahren wollte sie ›› Sonderheft › change › 2012 25

Die Engagements von Marina Rebeka reichen bereits jetzt bis ins Jahr 2018 – an den großen Opernbühnen der Welt 26 change › 2012 › Sonderheft

aufs staatliche Konservatorium wechseln, „doch das war zu schnell – ich fiel durch die Aufnahmeprüfung.“ Sie hatte Glück und konnte ihr Gesangsstudium am J. Medins Riga Music College beginnen und vier Jahre später am Konservatorium in Parma fortset- zen, schließlich noch ans Konservatorium in Rom wechseln. 2007 hatte sie in Erfurt ihr Debüt in „La Traviata“. In dieses Jahr fiel auch ihr 1. Preis beim internationalen Ge- sangswettbewerb „Neue Stimmen“ der Ber- telsmann Stiftung. „Der Wettbewerb war ein großartiges Erlebnis, auch wenn ich nicht gewonnen hätte“, sagt sie.

Erfolg mit „Neue Stimmen“

Auf die „Neuen Stimmen“ wurde sie durch eine Freundin aufmerksam: „Sie hatte schon mal teilgenommen und es bis ins Semifina- le geschafft. Sie war sehr angetan von der Organisation und Professionalität des Wett- bewerbs.“ Also probierte auch Rebeka ihr Glück und nahm sich vor, das Semifinale zu erreichen: „Ob ich es weiter schaffen würde, darüber habe ich mir keine Gedanken ge- macht. Man kann nie wissen, ob man den Geschmack der Jury trifft.“ Marina traf den Geschmack und außerdem viele begeisterte Zuhörer mitten ins Herz. Ganz besonders wohl auch ihren Großvater. Heute sei der Opa ihr größter Fan. „Er sagt, er lebt, weil ich singe.“ Das Allerwichtigste in ihrem Leben ließ sich vor fünf Jahren noch nicht vorausse- hen. Denn Marina wusste damals: „Kinder fordern viel Zeit und Aufmerksamkeit, aber sie verändern dich auch und lassen dich über viele Dinge anders denken. Wenn Gott mir diese Möglichkeit gibt, würde ich die Erfahrung sehr gerne machen, eine eigene Startete nach den „Neuen Stimmen“ eine großartige Karriere: die Sopranistin Marina Rebeka Familie zu gründen.“ Und auch diese Möglichkeit wurde Mari- na „ziemlich plötzlich“ gegeben, wie sie sagt. Vater der gemeinsamen Tochter Kathrin, die verbringen.“ Und zwischendurch sind na- Kein Wunder, dass auch dabei wieder einmal im vergangenen Jahr zur Welt kam. türlich die gemeinsamen Zeiten die schöns- die Musik eine entscheidende Rolle spielte. So bestimmt nun die eigene kleine Fami- ten. Egal wo. Es war eine Oper von Gaetano Donizetti, lie das Künstlerleben der beiden Opernsän- Demnächst zieht die Familie nach Zü- in der sie quasi ganz nebenbei ihr privates ger. Kind und zwei Karrieren, geht denn das rich, wo Marina über drei Jahre engagiert Glück und den Mann ihres Lebens fand. „Es überhaupt? Und ob! Marina hat ihre Heimat sein wird. Das macht alles ein bisschen bes- war in Lettland, wir haben zusammen den Lettland verlassen, Hauptwohnsitz des Ehe- ser planbar. Aber natürlich singt sie neben- ‚Liebestrank‘ gesungen. Und dann, na ja, paars ist derzeit Stuttgart, wo Popov fest bei immer mal wieder in anderen Ländern, wir haben wohl zu viel vom Liebestrank ge- engagiert war. „Wir müssen ja beide immer zum Beispiel an der Met in New York. trunken ...“ Ihr Bühnenpartner war der Tenor viel reisen für unsere Engagements, haben Das Gute: Es gibt immer auch ein Fami- Dmytro Popov, und es hat mächtig gefunkt es aber immer so gemacht, dass der eine frei lienleben „vor Ort“. Auf allen Dienstreisen zwischen den beiden Hauptdarstellern. hatte, wenn der andere arbeiten musste. So bleibt die Familie so gut es geht zusammen.

Heute ist der Ukrainer ihr Ehemann und konnte jeder viel Zeit mit unserer Tochter „Egal ob ich in New York oder in London oder WWW.ATELIERMUSICALE.COM, PRIVAT, MARTENS, AXEL FOTOS: AMATI-BACCIARDI STUDIO STIFTUNG, BERTELSMANN Sonderheft › change › 2012 27

„Der Wettbewerb war ein großartiges Erlebnis“

Marina Rebeka

Oben: Marina Rebeka mit Liz Mohn, die ihr zum 1. Platz bei den „Neuen Stimmen“ 2007 gratuliert Links: Marina auf der Bühne in Gioa- chino Rossinis „Maometto II“

sonst wo bin, ich suche immer eine passen- de Wohnung. Mit einem Kind ist ein Hotel unmöglich. Wir brauchen eine eigene Küche, ein richtiges Kinderbett und zum Beispiel einen Park in der Nähe. Also nehme ich auch immer einen Babysitter mit, denn mein Mann muss ja auch viel arbeiten“, beschreibt Marina ihr Leben als Mutter und Opernstar. „Und wir haben ja auch freie Zeit, dann geht die ganze Familie oft raus ins Grüne.“

Träume für die Zukunft

So einiges hat sich also verändert in Marina vita> Rebekas Leben. So viele berufliche und pri- Marina Rebeka vate Wünsche haben sich seit ihrem Sieg bei den „Neuen Stimmen“ vor fünf Jahren Die 1980 geborene Lettin begann ihr erfüllt. Was kann denn jetzt noch kommen? Gesangsstudium in Riga, ging 2002 nach Marina Rebeka muss nicht lange überlegen Parma an das Konservatorium Arrigo Boito und schloss ihr Studium 2006 in Rom und antwortet schnell und direkt: „Ein zwei- am Konservatorium St. Cecilia ab. In der tes Kind natürlich!“ Spielzeit 07/08 stand sie als Violetta in „La Und beruflich? Da freut sie sich jetzt erst Traviata“ am Theater Erfurt auf der Bühne, einmal auf ihr Debüt an der Wiener Staats- erntete in Deutschland beste Kritiken. oper im Oktober. Und darüber, dass ihre 2008 war Marina an der Komischen Oper Berlin als Agilea in Händels „Teseo“ zu Verträge für die nächsten sechs Jahre ste- sehen. Nach ihrem 1. Platz bei den „Neuen hen. „Das ist ziemlich gut, glaube ich“, sagt Stimmen“ folgten Gastengagements an den sie, wie immer sehr bescheiden. Und dank- Opernbühnen von Zürich, Hamburg, Wien, bar. Und immer konzentriert auf das für sie Chicago und Berlin. 2009 debütierte sie an Wesentliche: ihre Familie.  der Mailänder Scala, danach an der Royal Opera Covent Garden. Seit 2011 gastiert sie regelmäßig an der Metropolitan Opera in New York und ist demnächst für drei Marina Rebeka und der Tenor Dmytro Jahre am Opernhaus Zürich unter Vertrag. Popov bei ihrer Hochzeit. Inzwischen sind die einstigen Bühnenpartner Eltern einer Infos: www.marinarebeka.com kleinen Tochter 28 change › 2012 › Sonderheft

Die Rumänin Cristina- Antoaneta Pasaroiu (links), der Russe Pavel Kolgatin (rechts) und der Südkor- eaner Kihwan Sim gehörten zu den Teilnehmern der TV- Show „Stars von morgen“, die an den Sonntagen im Advent auf „Arte“ ausge- strahlt werden

Opern-Nachwuchs im TV eschickt entwendet Rolando Vil- lazón dem „change“-Reporter den Kugelschreiber aus der Hand. Mit Gein paar schnellen Strichen malt Die Stars von morgen er sich einen Schönheitsfleck über die Ober- lippe und eine mittlere Haarpracht auf die Drei ehemalige Teilnehmer des internationalen Gesangswettbewerbs Brust. „So, das ist doch viel besser!“, sagt er „Neue Stimmen“ der Bertelsmann Stiftung waren Gäste bei Rolando und schaut belustigt auf das verzierte Pla- Villazóns Show „Stars von morgen“: der Russe Pavel Kolgatin, die Rumänin kat an der Tür zu den Garderoben. Darauf wirbt der franko-mexikanische Weltstar für Cristina-Antoaneta Pasaroiu und der Südkoreaner Kihwan Sim die beiden „Stars von morgen“-Shows, die Text: Thomas Röbke — Fotos: Bernd Jonkmanns an diesem und dem folgenden Abend ›› Sonderheft › change › 2012 29

„Ich singe seit meinem fünften Lebensjahr. – Warum sollte ich nervös sein?“

Pavel Kolgatin, Tenor 30 change › 2012 › Sonderheft

„Mein Traum ist es, bis 70 auf der Bühne zu singen, überall auf der Welt“

Kihwan Sim, Bassbariton Sonderheft › change › 2012 31

Cool bleiben, auch wenn die Kamera läuft: Pavel Kolgatin (rechts) wird in der Sendung von Rolando Villazón interviewt

im Kesselhaus der Berliner Kulturbrauerei fürs Fernsehen aufgezeichnet werden. Der Popstar unter den Tenören wird acht auf- strebende Talente präsentieren. Darunter sind drei Preisträger des Wettbewerbs „Neue Stimmen“: Pavel Kolgatin (*1987) aus Russ- land, der 2009 den vierten Preis gewann, die im vergangenen Jahr mit dem vierten Preis ausgezeichnete Rumänin Cristina-Antoane- ta Pasaroiu (*1986) und Kihwan Sim (*1983) aus Südkorea. Er war 2009 der Zweitplatzier- te des Wettbewerbs.

„Ein bisschen Lampenfieber“ versteht und spricht er die deutsche Spra- Cristina-Antoaneta Pasaroiu sitzt schon che sehr passabel, aber natürlich fühlt er eine Weile geduldig in der Maske und lässt sich darin noch längst nicht so sicher wie in sich von der Maskenbildnerin „showfein“ seinem Metier. „Ich habe Rolando Villazón machen. Feuchter Kleber glänzt in ihren schon früher auf CD gehört und gedacht: Be- Wimpern, es ist warm und etwas stickig. Ir- rühmte Leute wie ihn zu treffen, wäre schon gendwoher riecht es nach Spaghetti Bolog- toll. Na ja, und jetzt ist es so weit …“, freut nese. Mit Engelsgeduld fügt sich die junge sich Kihwan. Nach dem „Neue Stimmen“- Sopranistin in die Prozedur: „So komme ich Wettbewerb 2009 schloss er sein Gesangs- doch wenigstens zur Ruhe“, sagt sie lächelnd studium in Hamburg ab, ein Engagement in fließendem Deutsch. ergab sich nach dem anderen. Jurymitglied An der Wand gegenüber dem Schmink- Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt, tisch bringt sich das ZDF in Position. Ka- holte ihn an sein Opernstudio. Im vergange- meramann, Tontechniker und Redakteur nen Jahr gewann Kihwan den hoch dotierten suchen nach der besten Perspektive. Sie 1. Preis des internationalen Concours Régine drehen die kurzen Einspielfilme, in denen Crespin. Und seit der Spielzeit 2012/13 ist er jeder Künstler vorgestellt wird. Darin darf festes Ensemblemitglied in Frankfurt. Wel- das erste Zusammentreffen mit Superstar che Träume hat er für die Zukunft? Auf wel- Rolando Villazón natürlich nicht fehlen. Der chen Bühnen würde er gern singen? „Mein biegt gerade um die Ecke, begrüßt Cristina Traum ist es, lange Zeit auf der Bühne zu „Es ist wichtig, herzlich: Handschlag, Umarmung: „Wie geht singen, mindestens bis ich 70 bin, überall es dir?“ – „Ich habe ein bisschen Lampenfie- auf der Welt.“ Eine diplomatische Antwort? mit jungen ber.“ – „Das ist gut. Toi, toi, toi!“ Das Kame- Vielleicht. Eine ehrliche Antwort? Ganz be- rateam ist zufrieden und geht raus auf den stimmt. Leuten zu Hof der Kulturbrauerei. Jeden Moment wird Im Kesselhaus bereitet sich derweil Ro- der Bassbariton Kihwan Sim erwartet, und lando Villazón mental auf seine Modera- arbeiten“ die ZDF-Leute wollen ihn dabei filmen, wie tionen und Künstlerinterviews vor. Warum Rolando Villazón er sich dem alten Backsteingebäude nähert. er als viel beschäftigter Tenor auch noch die Auf den letzten Metern wird Villazón ihm Zeit für eine Nachwuchsshow aufbringt? entgegengehen und ihn begrüßen. Der Plan „Es ist wichtig, mit jungen Leuten zu ar- geht auf, die Einstellung sitzt auf Anhieb. beiten. Das ist eine Verantwortung für die Der Koreaner ist am Vortag aus Frankfurt Künstler, die schon etabliert sind“, erklärt er. angereist. Er sei schon ein bisschen nervös, Sein größtes Vorbild sei Plácido Domingo gesteht er. Aber weniger wegen des Gesangs gewesen: „Wenn ich dann von den jungen als wegen des Interviews in der Show. Zwar Sängern höre, dass ich heute selbst ›› 32 change › 2012 › Sonderheft

Hinter der Bühne steigt die Spannung. Rolando Villazón schaut noch einmal bei Cristina-Antoaneta Pasaroiu vor- bei. In wenigen Minuten wird sie auf der Bühne stehen

Aufregung und Vorfreude backstage bei der Aufzeichnung der Fernseh-Sendung „Stars von morgen“ mit Klassik-Superstar Rolando Villazón

ein Vorbild bin, macht mich das schon ein wenig stolz. So kann ich sagen, ich habe ein bisschen zu tun mit ihrem Berufswunsch.“

„Villazón ist mein Vorbild“

„Als ich Rolando erzählte, dass er schon mein Vorbild war, als ich noch in Rumänien zur Schule ging, tat er erschrocken und rief: hat, kann man vieles schaffen“, sagt sie, und „Der Druck ist ,Oh Gott, bin ich schon so alt?‘, erzählt Cris- ihre Augen blitzen. „Doch das Besondere tina, während sie hinter der Bühne auf ihren war, dass ich mich gefühlt habe wie in einer höher. Die Auftritt in der Generalprobe wartet. „Ich Familie. Ich habe an vielen Wettbewerben habe mich schon damals in seine Stimme teilgenommen, doch die Organisation war Kamera kommt verliebt, sie hat so viel Leidenschaft.“ Auch hier einzigartig. Es war ein wunderbares Cristina wurde von Bernd Loebe sofort im Team, das mir sehr geholfen hat, Mut gege- einem so nahe“ Anschluss an die „Neuen Stimmen“ an die ben und viel positive Energie. So kann man Cristina-Antoaneta Pasaroiu, Sopranistin Oper Frankfurt verpflichtet. Mit der Spiel- auch mehr Leistung bringen.“ zeit 2012/13 nahm sie ein Engagement am Staatstheater Kassel an. Obwohl sie schon „Ich futtere danach so viel“ viel Bühnenerfahrung sammeln konnte, sei ein Fernsehauftritt eine ganz besondere Si- Kurz vor Aufzeichnungsbeginn um 19 Uhr Pünktlich um 19 Uhr geht es los mit dem tuation: „Der Druck ist höher. Die Kamera treffen wir Cristina und Kihwan in der Maske „Danse Bohème“ aus Bizets -Suite kommt dir so nahe, es sind so viele Details wieder. Die Luft ist schon jetzt verbraucht, es Nr. 2. Gleich danach singt Cristina-Antoaneta zu sehen und zu hören. Im Theater hat ist noch wärmer als vorhin. Doch die beiden Pasaroiu „Meine Lippen, sie küssen so heiß“ man viel mehr Platz, sich zu bewegen.“ An „Neue Stimmen“-Preisträger sind erstaun- aus „Giuditta“ von Lehár. Von null auf hun- mehr als 20 internationalen Wettbewerben lich cool. „Ich bin jetzt viel ruhiger als vor dert in einer Sekunde. In ihrem langen, rot- hat Cristina schon erfolgreich teilgenom- der Generalprobe. Da war die Anspannung glänzenden Kleid und mit ihrem gefühlvol- men, die „Neuen Stimmen“ seien jedoch am größten“, sagt Cristina. Kihwan geht es len Gesang gelingt Cristina ein vollendeter eine ganz besondere Erfahrung gewesen: ebenso: „Direkt vor dem Auftritt bin ich im- Vortrag. Applaus, Abgang – und dann das „Mich vor so einer wichtigen Jury vorstellen mer ruhig. Ich esse vorher nichts, dafür fut- Ganze noch einmal: Die Hintergrundpro- zu dürfen, war auch eine psychologische tere ich hinterher besonders viel.“ jektion auf die Wand des Kesselhauses hat Übung. Wie ich unter Druck reagiere, wie Im Saal warten derweil rund 300 Zu- versagt, die Sopranistin muss ihren Auftritt ich meine Stimme und Leistung möglichst schauer, die 40-köpfige Junge Sinfonie unter wiederholen. Ein Schock? „Nein, das war über- hochbringen kann. Wenn man das geschafft Leitung von Elias Grandy und sechs Kameras. haupt kein Problem“, wird sie später sagen. Sonderheft › change › 2012 33

Ganz locker: Ro- lando Villazón be- grüßt Kihwan Sim schon auf dem Weg zur Probe. Das macht Mut und lässt den gro- ßen Namen schon viel menschlicher erscheinen

Der Russe Pavel Kolgatin hat schon in seiner Heimat TV-Erfahrung gesammelt

zuvor, mehr noch: „Ich habe kein den Alfredo in ,La Traviata‘ singen, in 20 Jah- Lampenfieber.“ Pavel hat tiefes Ver- ren den Rodolfo in ,La Bohème‘ oder den Ca- trauen in sich selbst, die beste Vo- varadossi aus ,Tosca‘.“ Davor, dazwischen und raussetzung für Erfolg. Es scheint, danach will Pavel „alles singen, was es für ly- als könne ihn nichts aus der Ruhe rische Tenöre gibt. Ich liebe das Dramatische, bringen: „Ich singe seit meinem liebe es zu überraschen und neue Gefühle zu Kihwan Sims Auftritt ist der fünfte Pro- fünften Lebensjahr, warum sollte ich ner- erkunden, denn Gefühle bedeuten Leben.“ grammpunkt: „Ombre di mia prosapia“ aus vös sein? Ich habe ein gutes Gefühl vor dem Darum hat er für den heutigen Auftritt mit „La Gioconda“ von Ponchielli. Konzentriert Auftritt. Nur wenn ich mal gesundheitlich „Tradito, schernito“ aus Mozarts „Così fan steht er da. Ein dramatisches Orchester-In- angeschlagen bin und befürchten muss, tutte“ ein besonders schweres Stück gewählt: tro, dann setzt seine tiefe, dunkle Stimme dass ich nicht das leisten kann, was ich sonst „Schließlich sind wir Russen für unsere dra- ein wie ein Paukenschlag. Ein starker Auf- leiste, bin ich nervös.“ Außerdem ist Pavel matische Seele bekannt“, sagt er lachend. tritt. Der Applaus ist nicht minder herzlich sehr TV-erfahren, hat in Moskau schon häu- Dann ist der Moment des großen Auf- als bei Cristina. Zum Abschluss des Abends fig vor den Kameras des Kulturprogramms tritts gekommen. Feste Schritte. Gewinnen- singen Cristina und Kihwan ein Duett: „Là gestanden. „Die ,Neuen Stimmen‘ haben des Lächeln. Konzentration. Im Kesselhaus ci darem la mano“ aus Mozarts „Don Gio- mir bei meiner Karriere sehr geholfen. Ich gibt es jetzt nur noch Pavel Kolgatin und vanni“. Erst zweimal geprobt, tragen sie es bin so froh über die Chancen, die mir der seine Stimme. Danach braucht es einen perfekt vor. Der gelungene Abschluss einer Wettbewerb gegeben hat“, sagt er. Zahl- Moment, um wieder aufzutauchen aus der gelungenen Show. reiche Engagements bei internationalen Welt, in die er sein Publikum entführt hat.  Festivals schlossen sich an, an Theatern in Salzburg, Neapel, Rom – und nicht zuletzt „Ich liebe das Dramatische“ Ausgestrahlt werden die insgesamt vier neuen am Bolschoi-Theater. Seit September 2012 „Stars von morgen“-Sendungen an den Sonn- Am nächsten Nachmittag treffen wir Pavel ist er Ensemblemitglied an der Staatsoper tagen im Advent um 18.30 Uhr bei ARTE. An Kolgatin in der Maske. Der russische Te- Wien. Doch auch er trifft nicht jeden Tag auf welchen genau die von uns begleiteten „Neue nor sieht seinem Auftritt ebenso souverän einen großen Star wie Rolando Villazón. Sei- Stimmen“-Preisträger zu sehen sein werden, entgegen wie seine Sängerkollegen am Tag ne Traumrollen: „In zehn Jahren möchte ich stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. 34 change › 2012 › Sonderheft

Liz Mohn Ernten, was man sät

Nicht nur bei den „Neuen Stimmen“ steht für Liz Mohn die Förderung von jungen Operntalenten im Mittelpunkt. Auch bei Veranstaltungen der Bertels- mann Stiftung in aller Welt denkt die stellvertretende Vorsitzende an die jungen Talente – und lädt sie ein. So, wie dieses Jahr nach Salzburg

Text: Anna Butterbrod — Fotos: Arne Weychardt

or drei Wochen sang sie noch auf Einladung von Plácido Domingo in Covent Garden, davor in Toulouse Vund Triest. Jetzt sitzt Julia Novikova auf der Terrasse des Hotels Sacher in Salz- burg und gibt ein Interview. Bei den diesjäh- rigen Festspielen an der Salzach begeistert sie als magisch-sinnliche Königin der Nacht in Alexandra Liedtkes Neuinszenierung von „Das Labyrinth – Der Zauberflöte zweyter Theil“. Julia Novikova hat gerade die ersten Antworten gegeben, da tritt eine Frau an den Tisch. Sie hält der Russin ein Programmheft der Festspiele samt Kugelschreiber entge- gen. „Können Sie mir bitte ein Autogramm geben, Frau Novikova?“, fragt die Fremde hoffnungsvoll. „Mit ihrer wunderbaren Stimme haben Sie uns gestern einen so schönen Abend bereitet!“ „Es sind die Es ist Julia Novikovas zweites Engage- ment in Folge bei den Salzburger Festspie- Stimmen, len. Mit gerade mal 28 Jahren wird sie in Opernkreisen schon als Ausnahmetalent ge- die mich feiert. Schwungvoll unterschreibt sie in dem Programmheft und bedankt sich strahlend berühren“ für das Lob. Noch wird Julia Novikova nur ab und zu nach Autogrammen gefragt, doch es Liz Mohn über die Wirkung von Musik kann nicht mehr lange dauern, bis ihre Fans Schlange stehen. ›› Sonderheft › change › 2012 35

Freude beim Treffen in Salzburg: Liz Mohn mit Rachel Frenkel und Julia Novikova (rechts) 36 change › 2012 › Sonderheft

„Frau Mohn sagte, dass kein Mensch ohne Musik leben kann“

Julia Novikova

Schaffte es nach ihrer Teilnahme an den „Neuen Stimmen“ auf die ganz großen Bühnen: die russische Sopranistin Julia Novikova

Dass die in St. Petersburg geborene Sän- Arme, küsst sie erst auf die linke, dann auf China oder anderen asiatischen Ländern war gerin für die großen Bühnen dieser Welt die rechte Wange. „Schön, dass Sie hier sind, nicht zu denken. Ich überlegte, wie wir als entdeckt wurde, hat sie unter anderen einer wie geht es Ihnen?“, fragt sie und bittet Julia Unternehmen zu einer Besserung der Lage Frau zu verdanken – und die sitzt an diesem Novikova auf eines der Sofas im Wintergar- beitragen könnten.“ Liz Mohn zog Prof. Dr. Tag nur wenige Meter von ihr entfernt im ten des Hotels. Seit die Russin 2007 den Pu- August Everding, den damaligen Generalin- Restaurant des Hotels. Liz Mohn ist eigent- blikumspreis in Gütersloh gewann, behalten tendanten der Bayerischen Staatstheater, zu lich für den „Salzburger Trilog“ angereist. Liz Mohn und ihr Stiftungsteam die Karrie- Rate. „Er erklärte, dass es keinen Wettbewerb Mit 29 Wissenschaftlern, Ökonomen und re der Sopranistin im Auge. Am 1. Dezember mit Orchester gebe und die Sänger meist auf Politikern diskutiert sie über ein nachhalti- wird sie mit anderen „Ehemaligen“ bei der zugigen Fluren und ohne Betreuung vorsin- ges Wirtschaftswachstum. Doch während großen Jubiläumsgala 2012 auftreten. gen müssten. Das wollte ich ändern.“ die anderen Teilnehmer noch das Mittages- 1987 rief die Bertelsmann Stiftung dann sen genießen, lässt sich die stellvertretende Den Opernnachwuchs fördern erstmals zum „Neue Stimmen“-Wettstreit Vorsitzende der Bertelsmann Stiftung für auf. „Um Nachwuchstalente aufzuspüren eine Weile entschuldigen. Es geht um ihre Die Idee zu den „Neuen Stimmen“ hatte Liz und sie mit Agenten und Intendanten in Herzensangelegenheit: den Gesangswettbe- Mohn im Jahr 1985, als die Bertelsmann AG Kontakt zu bringen.“ 36 Sänger bewarben werb „Neue Stimmen“, den sie vor 25 Jahren ihr 150-jähriges Bestehen feierte. „Herbert sich seinerzeit – heute sind es jedes Jahr über durch die Bertelsmann Stiftung ins Leben von Karajan war mit seinem Orchester zu tausend. „In die Endrunde schaffen es rund rief. Drei ehemalige Preisträger sind gerade Gast, und abends führten wir bei mir zu 40, von denen haben nach dem Wettbewerb in Salzburg, und Liz Mohn will sich ein kur- Hause noch ein langes Gespräch“, erinnert 70 Prozent einen Vertrag. Eine tolle Quote!“, zes Treffen mit ihnen trotz straffen Termin- sich die 71-Jährige. „Karajan klagte darüber, freut sich die Stifterin. „Die Gesangsausbil- plans nicht entgehen lassen. dass es im Opernbereich an Nachwuchs dung ist hart und kann bis zu sieben Jahre Julia Novikova gehört auch dazu. Herz- mangele. Damals war die Welt noch klein: dauern. Es ist doch schrecklich, wenn junge lich schließt Liz Mohn die Musikerin in ihre Es gab den Eisernen Vorhang, an Talente aus Menschen danach keinen Job bekommen.“ Sonderheft › change › 2012 37

„Musik bedeutet Gemeinschaft und Toleranz“

Liz Mohn

Mezzosopranistin vom Fleck weg ein. „Und dass, obwohl ich nicht einmal einen der ers- ten Plätze ergattert hatte“, so Rachel Frenkel. „Das war eine große Chance“ – die sie nutzte. Aix-en-Provence, New York, Budapest, Tokio, Den Haag: Zusammen mit ihrem Mann, einem Komponisten, und ihrer zweijäh- rigen Tochter Ruth reist die Sängerin um die Welt. „Ich bin froh, dass meine Familie immer bei mir sein kann“, erklärt sie. „Aber ewig wird das nicht so weitergehen können. Spätestens, wenn Ruth ins Kindergartenal- ter kommt, sollten wir uns festlegen.“ Den ersten Schritt dahin wird die 31-Jährige bald machen: „Wir wollen uns eine Wohnung in Berlin mieten. Es wäre schön, ein Zuhause zu haben, in das man nach den vielen Rei- sen zurückkehren kann.“ Momentan lagern Herzliche Umarmung beim Wiedersehen: Liz Mohn und die Mezzosopranistin Rachel Frenkel ihre meisten Habseligkeiten bei Freunden, das „Neue Stimmen“-Zertifikat hüten -Ra chel Frenkels Eltern. Letztes Jahr, während ihres Debüts bei den Salzburger Festspielen, Für Julia Novikovas Karriere war der Auf- Mensch ohne Musik leben kann und das schickte sie eine Postkarte an Liz Mohn: „Ich tritt bei den „Neuen Stimmen“ entschei- Musik sogar Schlaganfallpatienten bei der war so glücklich, dabei zu sein, und wollte dend. Sie knüpfte in Gütersloh erste Agen- Genesung helfen kann. Das aus dem Mund dieses Gefühl mit ihr teilen.“ Die Unter- turkontakte und durfte wenig später an einer so wichtigen Frau zu hören, hat mich nehmerin schrieb einen Brief zurück: „Ich der Frankfurter Oper die Königin der Nacht sehr gefreut. In so einem Moment weiß ich, konnte fühlen, wie stolz sie auf meinen Er- singen. Danach folgten Engagements in warum ich auf der Opernbühne stehe.“ folg ist. Sie nimmt das sehr wichtig“, sagt die Wien, Hamburg und Berlin, wo sie die kom- Sängerin. mende Spielzeit verbringen wird. Nach Vom Fleck weg engagiert Musik spielte im Leben von Liz Mohn im- dem Treffen mit Liz Mohn ist Julia Novi- mer schon eine große Rolle. „Als Mädchen kova wie elektrisiert. Das Gespräch mit der Auch Rachel Frenkel wird an diesem Tag war ich bei den Pfadfindern, auch zu Hause Stifterin hat sie inspiriert. „Manchmal fragt von Liz Mohn begrüßt. Die gebürtige Isra- wurde viel gesungen. Noch heute kann ich man sich in unserem Beruf: Was mache ich elin belegte 2009 den sechsten Platz im die Texte vieler Volkslieder auswendig. Eines hier eigentlich? Hat das alles einen Sinn? „Neue Stimmen“-Finale. Und auch sie er- meiner liebsten ist ,Die Gedanken sind frei‘“, Wir Sänger erfinden schließlich kein Mit- hielt danach ihr erstes großes Engagement: erzählt sie. Die Mitarbeiter des Unterneh- tel gegen Krebs, backen auch kein Brot ... Dominique Meyer, Direktor der Wiener mens Bertelsmann haben einen firmenei- Aber Frau Mohn sprach darüber, dass kein Staatsoper, saß in der Jury und stellte die genen Chor gegründet, der an Weih- ›› 38 change › 2012 › Sonderheft

nachten zusammen mit dem Vorstand „Oh, du fröhliche“, singt. Liz Mohn erklärt: „Wir nennen das ,Treppenweihnacht‘, und ich glaube, es ist für die Mitarbeiter etwas ganz Besonderes. Viele junge Menschen kennen ja kein einziges Weihnachtslied mehr, bei ihnen zu Hause wird nicht gesungen. Bei Anlässen wie diesen erfahren sie, was Musik bedeutet: Gemeinschaft, Toleranz“ – und Emotionen. In der Oper kullert Liz Mohn häufig die ein oder andere Träne die Wange herunter. „Ich habe über die Wirkung von Musik schon mit Fachleuten diskutiert. Die behaupten, der Text sei so bewegend. Aber ich bin überzeugt, dass es die Stimme ist, die mich berührt. Schließlich verstehe ich oft kaum ein Wort, wenn in Italienisch oder einer anderen Sprache dieser Welt gesungen wird“, sagt sie.

Im zweiten Anlauf geschafft Die gebürtige Israelin Rachel Frenkel belegte Berührt hat sie auch die Stimme von Michael 2009 beim Finale der Volle. 21 Jahre ist es her, dass der Bariton sich „Neuen Stimmen“ den sechsten Platz. Danach in Gütersloh den zweiten Platz ersang. Der stellte Dominiqie Mey- Wahl-Schweizer erinnert sich noch genau er, der Direktor der daran, wie nervös er damals war. „Es handelte Wiener Staatsoper, sich um meinen zweiten Anlauf. Beim vori- die Mezzosopranistin sofort ein gen Wettbewerb im Jahr 1989 war ich auch dabei. Aber da öffnete sich langsam die Mau- er, und es schwappte eine Welle hochklassi- ger Teilnehmer wie René Pape, Roman Trekel oder Ute Selbig herüber. Im Vergleich mit denen sahen wir Westler alt aus. Ich ging leer aus, durfte aber beim nächsten Wettbewerb 1991 wiederkommen. Es waren viele Agenten und Intendanten da, dann das Orchester, mit dem man auftreten durfte – ich hatte wirklich wackelige Knie.“ Ganz zittrig gab er Liz Mohn nach dem Preisträgerkonzert die Hand. „Ich „Ich fühlte, war ein Jüngling, sah nur die Institution hin- hat. „Nach der Teilnahme an den ,Neuen ter ihr und die Macht, für die sie stand.“ wie stolz sie Stimmen‘ lernte ich einen Agenten kennen, Im Hotel Sacher sitzt Michael Volle nun der mir das Blaue vom Himmel versprach. ganz entspannt in Sommerhemd, Jeans und auf meinen Gerade für junge Sänger ist das gefährlich: Flip-Flops neben Liz Mohn. „Ich habe ge- Man lebt in einer Traumwelt, und die Er- lernt, dass Prominente auch nur Menschen Erfolg ist“ nüchterung danach ist hart. Aber sie muss sind. Vor einer Woche stand ich erstmals mit Rachel Frenkel über Liz Mohn kommen. Es gibt in diesem himmlischen Plácido Domingo auf der Bühne. Im ersten Geschäft viele Fallstricke und Tücken.“ Volle Augenblick bin ich vor Ehrfurcht erstarrt. hat sie erfolgreich umschifft: 2007 feierte er Aber das muss man ablegen, sonst kann sein Bayreuth-Debüt, war zuletzt in Sevilla, man diesen Job nicht machen.“ Es ist nicht Zürich und an der Staatsoper in Berlin zu die erste Lektion, die Michael Volle gelernt hören. Sonderheft › change › 2012 39

Der Bariton Michael Volle ganz leger beim Treffen in Salzburg

„Beim ersten Treffen hatte ich wirklich Links: Liz Mohn wackelige Knie“ im Gespräch mit Helga Rabl-Stadler, Michael Volle der Präsidentin des Direktoriums der Salzburger Festspiele

Viele Wettbewerbe nutzen heute von der Erfahrung. Andererseits ist nieße das voll und ganz.“ Dieses Jahr wech- er froh, inzwischen nicht mehr jede Chan- selt er erstmals die Seiten: Der Tenor sitzt Nachwuchssängern rät der vierfache Fami- ce und jedes Angebot annehmen zu müs- in der Jury des Berliner Bundeswettbe- lienvater, der vor sechs Monaten erst wie- sen. „Dieser Beruf ist familienfeindlich, werbs für Gesang. Viele ähnliche Veranstal- der Papa wurde, an möglichst vielen Wett- das muss ich klipp und klar sagen. Alles tungen hätten an Qualität verloren, findet bewerben teilzunehmen: „Es gab mir mehr unter einen Hut zu bekommen, ist höllisch er. „Aber die ,Neuen Stimmen‘ sind aus in- Sicherheit auf der Bühne. Außerdem wird schwer. Kurz nach den ,Neuen Stimmen‘ ternationaler Sicht weiterhin ein zentraler man zurechtgestutzt: Man merkt, dass wurde meine erste Tochter geboren, und Wettbewerb. Das geht natürlich nur, wenn es noch andere Sänger neben einem gibt. ich fragte mich nur: Wie werde ich dem Menschen wie Liz Mohn dahinterstehen. Konkurrenz kann sehr befruchtend sein.“ allem gerecht? Jetzt ist alles leichter. Dank Das kann man gar nicht hoch genug schät- Auch beim renommierten „Cardiff Singer meines Erfolges kann ich auch mal Nein zen. Ich hoffe sehr, dass sie das noch lange of the World“ trat Volle an und zehrt noch sagen. Ich bin viel bei meinen Kindern, ge- weitermacht.“  40 change › 2012 › Sonderheft

Edda Moser, Sopranistin und Gesangsprofesso­ rin, leitet die Lied­ meisterklasse der „Neuen Stimmen“ 2012

Edda Moser

Die Liebe zum Lied Sängerin, dass der Ruhm ihr irgendwann zu Kopfe steigt? Zum 25. Jubiläum des internationalen Gesangswettbewerb Edda Moser: Ein großes Vorbild darin ist für „Neue Stimmen“, startet neben den traditionellen Meisterkursen mich die Schauspielerin Eleonora Duse. Sie auch erstmals eine Liedmeisterklasse. Geleitet wird diese hat einmal gesagt: „Ich habe in der Kunst niemals den Ruhm gesucht, sondern die von der Kammersängerin Edda Moser. „change“ traf sie in Berlin Zuflucht.“ Für mich war das Singen meine Interview: Julia Kaiser — Foto: Arne Weychardt Zuflucht, denn dabei hatte ich immer das Gefühl, ein Teil von mir komme zum Klingen. In jedem Lied, in jeder Oper, in jeder Partie ls eine der wichtigsten Mozart- terkurs. Mit vier jungen Sängerinnen und lag ein Teil von mir, den ich offenbaren Interpretinnen ihrer Zeit galt Kam- Sängern erarbeitet sie einen Liederabend, konnte. Ob das Salome war oder die Königin mersängerin Edda Moser im Jahre der zunächst im Theater Gütersloh und der Nacht; in den Mozartpartien und dann 1977. Ihre Aufnahme der Rachearie dann im Konzerthaus Berlin zur Aufführung später vor allem in den Wagneropern. A der Königin der Nacht wurde damals auf kommt. Auf dieser Bühne hat Edda Moser die berühmte Golden Record gebannt und selbst viele Liederabende gesungen. Für die Seit mehr als 30 Jahren unterrichten Sie junge schwebt seither als Botschaft von der Erde Absolventen des Meisterkurses sei diese Sänger, als Professorin an der Musikhochschule an Bord der Raumsonde Voyager 2 durch Auftrittsmöglichkeit fabelhaft. Köln und bei vielen Meisterklassen an Opern­ das Weltall. 1995 saß Edda Moser bereits häusern in Europa. Wie wird Ihre Liedmeister­ in der Jury der „Neuen Stimmen“. Zum 25. CHANGE: Sie blicken auf eine Weltkarriere klasse in Gütersloh aussehen? Jubiläum des Wettbewerbs leitet sie den an der Metropolitan Opera und den großen Das muss sehr sorgfältig vorbereitet wer- zum ersten Mal stattfindenden Liedmeis- Bühnen Europas zurück. Wie verhindert eine den. Zunächst einmal prüfe ich die Biegsam- Sonderheft › change › 2012 41

keit der Stimme: Bis in welche Höhe klingt Das Fundament muss stimmen, nur dann das Pianissimo des Sängers? Wie laut kann kann man zaubern. ein Forte sein, ohne dass er brüllt? Und dann frage ich, sagen wir mal, bei einem Auch die Sprache ist für das deutsche Liedgut Bariton ein Stückchen aus der „Winterrei- essentiell. Sie haben 2006 das Festspiel der se“ ab. Für jedes Stimmfach gibt es solche deutschen Sprache in Bad Lauchstädt gegrün­ Prüfsteine, für einen Sopran ist das etwa „Du det. Was war der Anlass dazu? bist die Ruh“ von Schubert. Und dann fange Ich liebe die deutsche Sprache, schlicht und ich an, die Stimmen zu kneten. Was man in ergreifend. Gegen Anglizismen beispielswei- der Oper macht, muss man in gesteigertem se habe ich eine regelrechte Allergie. Selbst Maße beim Lied anbieten können. in einem Altersheim sagte man mir einmal:

Edda Moser bei gemeinsamen Proben mit dem „Dieses Event war ein Highlight.“ Da kam In Ihrer Biografie „Ersungenes Glück“ erfährt Pianisten Prof. Manuel Lange meine große Stunde, und ich antwortete: man viel über ihren mühsamen Weg als „Haben Sie dafür keine deutschen Wörter?“ junge Sängerin durch die Provinz. Und da­ Damit mache ich mich unbeliebt, aber das rüber, dass Sie sich das meiste selbst beige­ „Man muss tue ich gern. bracht haben ... Das lag an der Faulheit vieler Lehrer. Die das Publikum In diesem Jahr ist einer der größten Lied­ sagten immer: „Wunderbar“, aber ich wusste, interpreten unserer Zeit gestorben, Dietrich dass es noch wesentlich besser ging! umarmen“ Fischer-Dieskau. Sie haben oft mit ihm auf der Bühne gestanden und Schallplatten mit ihm Hatten Sie auch bei der Erarbeitung von Liedern Edda Moser aufgenommen. Was hat ihn so herausragend nie jemanden, der mit Ihnen gearbeitet hat? gemacht? Oh doch, ich hatte eine wunderbare Pianis- Beim Lied kommt es auf die Interpretation tin, Erika de Heer. Mit der habe ich Takt für an. Aber man muss auch zuhören können. Takt, Tag für Tag geübt, ein ganzes Leben Und das geht nur, wenn der Sänger gut lang. Jemanden, der einem sagt: zu hoch, Farben. Man kann darin alle Abgründe der spricht. Darin hat Fischer-Dieskau das Lied zu schnell, zu laut, zu leise. So jemanden menschlichen Seele zeigen. Man kann Nebel auf eine ganz andere Ebene gehoben. Er braucht man, das ist absolut nötig. darstellen oder Tränen, Lachen, Stöhnen. hat auch zum Zuhören erzogen. Sehr oft Alle diese Dinge sind ja im Lied machbar. begegnen mir die jungen Leute mit Tellerau- Wenn sich heute jemand dazu entschließt, Doch der Sänger muss alle diese Gefühle, gen und wundern sich, dass man überhaupt Sänger zu werden – was muss er wollen, und Sehnsucht, Abschied, Verzweiflung mit den daran arbeiten muss. Sie verstehen nicht, wovor darf er keine Angst haben? Zuschauern zusammen erleben. Nur dann dass das ungeheure Schätze sind, die wir zu Manchmal fragen mich Leute: „Und was nehmen sie ihn an. bewahren versuchen. Etwas, das ich eben- machen Sie tagsüber?“, weil sie sich nicht falls vermisse, ist der wirkliche Einsatz. Das vorstellen, wie viel Arbeit darin steckt, Wie kann ein Sänger das lernen? ist es, was man mit der ganzen Person, vom abends auf der Bühne zu überzeugen. Dazu Auswendig singen ist eine Grundbedingung. Scheitel bis zur Sohle, für den Liedgesang empfehle ich die Lektüre „Traumberuf Sänger, die sich mit einem Notenständer braucht.  Opernsänger“ von Gerd Uecker. Und man auf die Bühne stellen und in ihren Liedern muss immer Angst haben, das haben wir blättern, kann man vergessen. Man erreicht alle – wir gewöhnen uns nur daran. Anhand die Leute doch gar nicht, es muss so klingen, der Technik kann man sie aber in eine Form als fiele es mir gerade in diesem Augenblick bringen, die einen nicht mehr stört. Indem ein! Das Singen ist eine große Lust, es ist vita> man sich eine Rüstung zulegt aus Sicherheit. Erotik pur! Dieser Begriff stammt nicht von Kammersängerin Edda Moser Nur aus dieser Sicherheit heraus kann man mir; Karajan hat uns das immer gesagt, jede auf der Bühne überzeugen. Man muss das Form der Musik sei kontrollierte Ekstase. Edda Moser, Jahrgang 1938, ist Sopra- Publikum umarmen und ihm das Gefühl nistin und war Gesangsprofessorin an der geben: Ich bin bei euch. Wie findet man den Zugang zu diesem Gefühl? Musikhochschule Köln. Herbert von Kara- Das geht über die Technik. Man kann nur jan brachte sie 1968 an die Metropolitan Bei einem Liederabend rückt nicht nur der zerfließen vor Seligkeit, das ausdrücken, Opera New York, sie sang an den größten Sänger dem Publikum ganz nahe, sondern was man möchte, wenn man das technisch Opernhäusern der Welt. 2006 initiierte dieser sieht natürlich auch seine Zuschauer beherrscht. Und das bedeutet, das Unter- sie das Festspiel der deutschen Sprache in Bad Lauchstädt. 2011 erschien ihre genauer. Liegt darin die berühmte Intimität? bewusstsein zu aktivieren. Denn dort muss Biographie „Ersungenes Glück“. Seit 1980 Ja. Ich als Sängerin stelle mich mit meinem das abgelegt sein, was man 500 Stunden gibt Edda Moser Meisterkurse, im Oktober Publikum hinter das Erlebnis des Liedes. Ein lang geübt hat. Ich kann nicht auf der 2012 wird sie die Liedmeisterklasse der Lied ist wie eine ganze Oper in zweieinhalb Bühne denken: Rücken gerade halten und „Neuen Stimmen“ leiten. Minuten. Eine Oper ist ein Mosaik, das Lied Plexus Solaris aktivieren, sondern es ist das ist nur ein Stein, aber der leuchtet in allen Unterbewusstsein, das mich dann leitet. 42 change › 2012 › Sonderheft

Prominente und Fans Feiertage in Gütersloh

Ob Prominente aus Show, Wirtschaft und Politik oder einfach ganz private Klassikfans – wenn die „Neuen Stimmen“ alle zwei Jahre ihre große Final- woche in Gütersloh austragen, sind Freunde und Förderer schon Monate vorher um Karten bemüht und unterstützen den Bühnennachwuchs

Text: Ursula Wilimsky

lötzlich ist er da, der magische und zum Abschlusskonzert. So weit, dass Moment. Zwischen Künstler und er sich Arien auf seinen iPod geladen hätte, Publikum beginnt jener Dialog ging die Begeisterung zwar nicht, aber „er Paus Können und Genuss, der aus trällerte abends unter der Dusche Vivaldi. einem Konzertbesuch ein unvergessliches Daran erkennt man“, findet die musikbe- Der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Erlebnis macht. Viele Opernfans durften in geisterte Optikerin, „wie nah Oper dem Aart De Geus, mit seiner Ehefrau Ellen den vergangenen 25 Jahren solche Momen- Menschen gehen kann. Die Musik, das gan- te erleben. Ohne sie gäbe es nicht diese spe- ze Drumherum löst bei mir einfach nur zielle „Gütersloher Atmosphäre“, von der Glück aus.“ Dieses Gefühl gilt es auch in Gäste und Teilnehmer schwärmen. Zukunft zu fördern.  Viele unterstützen die „Neuen Stim- men“ durch ihre Präsenz. Oder durch Spen- den. Wie jene 61-Jährige, die mit ihrem Mann alle Konzerte besuchte, bis auf eine Ausnahme – „da konnten wir unseren Ur- laub einfach nicht anders legen“. Ansons- ten sind sie dabei, „weil man spürt, dass die Sänger getragen werden.“ Sie spenden je- des Jahr „an die 100 Euro, weil wir wissen, wie schwer es junge Sänger oft haben.“ Und wenn sie Jahre später in einer Opernfach- zeitschrift einen Namen entdecken, den sie Der Geschäftsführer des Coppenrath Verlages, Wolfgang schon in Gütersloh im Programmheft gele- Liz Mohn mit den Enkeln ihres verstorbenen Hölker, und seine Ehefrau Siggi Spiegelburg-Hölker sen haben, erfüllt sie das mit Freude. Mannes, Carsten und Thomas Coesfeld

Musiktradition bewahren Bertelsmann-Aufsichts- Auch Dr. Ursula und Dr. Stephan Panten- ratsvorsitzender burg fördern die „Neuen Stimmen“, weil es Christoph Mohn und ihnen „ein Anliegen ist, dass die klassische seine Ehefrau Shobhna Musiktradition bewahrt wird“. Sie sind da- von begeistert, „junge Leute aus vielen Na- tionen zu hören, die voller Enthusiasmus auf der Bühne stehen“. Für die Bibliotheka- rin ist der Wettbewerb „eine Kulturverbin- dung, wie man sie sich nicht besser vorstel- len kann“. Die nicht nur zwischen Nationen, son- dern auch zwischen Generationen funk- Die ehemalige Präsidentin des Deutschen Bundestages, Prof. tionieren kann. Elvira Hengst nahm ihren Dr. Rita Süssmuth, und der ehemalige Vorsitzende des Vor-

13-jährigen Sohn mit zu offenen Proben BERGMANN M. MICHALAK, K. WEYCHARDT, A. FOTOS: standes der Bertelsmann Stiftung, Prof. Dr. Gunter Thielen Sonderheft › change › 2012 43

Dr. , Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, und Schauspielerin Alexandra Marisa Wilcke. Links: das Schauspielerehepaar Leslie Malton und Felix von Manteuffel

Prominenz im Viererpack: TV-Moderatorin Birgit Schrowange, Verona Pooth, die Journalistin und Buchautorin Katja Kessler und Schauspielerin Alexandra Kamp (von links)

Dr. Dieter H. Vogel, ehemaliger Vorsitzender des Kuratoriums der Bertelsmann Stiftung, Ulla Thielen-Höll, Elektra Straub (von links).

Bildungsexperte und Vorstands- mitglied der Bertelsmann Stif- tung, Dr. Jörg Dräger, mit seiner Güterslohs Bürgermeisterin Ehefrau Dr. Antje Dräger Maria Unger und der Unter- Links: Dr. Thomas Rabe, nehmer Dr. Markus Miele Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann SE & Co. KGaA

Vorstandsmitglied der Bertelsmann SE & Co. KGaA, RTL-Chefredakteur Peter Rolf Buch, mit Ehefrau Petra Grewe-Buch Kloeppel traf den künstleri- Links: die Sänger Stefan Gwildis und Jenniffer Kae schen Leiter der „Neuen Stim- men“, Prof. Dr. Gustav Kuhn PREMIERE: www.neue-stimmen.de