Magazin der LAG Kinder- und Jugendkultur Sommer 2017

INTERVIEW Kultursenator Carsten Brosda im Gespräch FÄRBERGÄRTEN Eine Idee aus dem Ruhrgebiet geht um die Welt

SCHATZKISTEN Hanseatische Materialverwaltung und remida SCHWERPUNKT: FÖRDERUNG Was die freie Szene in Hamburg wirklich braucht NACHHALTIGKEIT

1 Inhalt

03 Annette Huber 22 Kritik Herausgeber Editorial 23 Meldungen LAG Kinder- und Jugendkultur e.V. 04 „Kinder sind ein höchst www.kinderundjugendkultur.info anspruchsvolles Publikum“ 24 Tipps und Termine Ehrenbergstraße 51, 22767 Hamburg Interview mit Carsten Brosda Telefon: 040 - 524 78 97 10

07 Mit Rotkohl malen Die LAG Kinder- und Jugendkultur vernetzt die Hambur- ger Akteure und vertritt die Interessen ihrer Mitglieder Das Prinzip der Färbergärten gegenüber Politik und Verwaltung.

10 Der Horizont-Erweiterer Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die Ralf Classen über nachhaltige gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Entwicklung Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeich- nungen gelten gleichermaßen für beiderlei Geschlecht.

12 ( Schatzkisten Redaktion: Claas Greite, Christine Weiser, Dörte NImz Die remida und die Hanseatische G r a f i k : M e i k e G e r s t e n b e r g Materialverwaltung Das nächste Heft erscheint im September 2017 14 Stadtkinder entdecken die Natur neu www.kinderundjugendkultur.info Das Programm der BaschKids Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg. 16 Freie Szene Das Beispiel des Theaters Triebwerk Bildnachweise: Titel: Tiber Schäfer, S.3 Seiteneinsteiger e.V., 18 Modelle für Kultur S.4 Jann Wilken, S.6 Jörn Kipping, S.7. 8. 9. Claas Greite, an Schule S.10. 11. Sebastian Knorr, S.12 Christine Weiser, Meike Die Stadtteilschule Horn Gerstenberg, S.14 Claas Greite, S.17 Theater Triebwerk, S.18 Christine Weiser, S.21 Sebastian Knorr, S.22 Danny 20 FSJ Kultur Merz/Sollbruchstelle, S.23 Meike Gerstenberg, S.24 DKJS/ Erleben Blinde Musik anders? Studio Good, Verein zur Förderung der Jugendarbeit, Walt Disney, Mauricio Bustamante, Elbe & Flut, BKJ

2 Von klugen Kulturwirten

TEXT: ANNETTE HUBER

„Nachhall, m., nachbleibender, nachtönender Hall, Im vorliegenden Heft erzählen wir Ihnen keine Märchen, sondern auch Wiederhall, Echo.“ geben konkrete Bespiele für nachhaltige und auch nachhalltige Arbeit in der Kinder- und Jugendkultur. Sie alle zeichnen sich durch „nachhaltig, Adj. und Adv., auf längere Zeit anhaltend und kluge Gestaltung aus. Und für alle gilt: Wenn sie nicht gestorben wirkend: nachhaltiger Ertrag des Bodens wird nur erzielt, sind, dann leben sie noch heute! wenn der Boden in gutem Stand erhalten wird.“

Den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm verdanken wir zwei der wohl nachhaltigsten Werke des deutschen Sprachraums. An ihren „Kinder- und Hausmärchen“ arbeiteten sie von ca. 1806 bis 1858 und schufen eine Sprache und eine Figurenwelt, die einen tiefen Nachhall in unserem kulturellen Speicher gefunden haben.

Ihr „Deutsches Wörterbuch“, aus dem die oben genannten Einträge stammen, brauchte bis zur Fertigstellung des letzten Bandes ganze 123 Jahre und beschäftigte Philologen in fünf deutschen Staaten. Die Instandhaltung des Wörterspeichers dauert bis heute an. Das ist „Slow Writing“ in Reinkultur!

In der Kinder- und Jugendkultur haben wir schon zielgruppenbe- dingt keine 123 Jahre Zeit. Aber jedes Projekt, groß wie klein, sollte sich gelegentlich auf die Brüder Grimm besinnen und fragen: Ist unsere Arbeit „auf längere Zeit anhaltend und wirkend“? Halten wir, als wackere Kulturwirte, unseren „Boden in gutem Stand“? Für ein ehr- ANNETTE HUBER liches „Ja“ müssen viele Faktoren bedacht und die Projektfäden klug miteinander verwoben werden. Oft hilft es, einmal über die eigene LAG-Vorstandsmitglied Annette Huber ist gelernte Germanistin und Sparte hinauszuschauen, sich von anderen Bereichen der Gesellschaft arbeitet als Lese- und Literaturpädagogin unter anderem für den Verein inspirieren zu lassen und Synergien und Querverbindungen zu finden Seiteneinsteiger. an Orten, wo vorher scheinbar nur böse Wölfe lauerten.

3 st höch m“ ein bliku sind s Pu inder volle „K ruchs ansp

Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda spricht im kju-Interview über Nachhaltigkeit, Angebote für junge Menschen – und das liebe Geld

Kinder beim Besuch einer Veranstaltung in der Elbphilharmonie

4 öchst “ h um Was möchten Sie als Senator für der Orientierung und des Dialogs zuwenden. Projekten verabreden. Dieses Engage- ein ik Kultur und Medien im Bereich Unsere Gesellschaft wird kulturell bunter. ment wollen wir nach Kräften unterstüt- bl Kinder- und Jugendkultur Um diese schöne Entwicklung allen zu öff- zen. nd u erreichen? nen, müssen wir Angebote entwickeln, die si P Hamburg muss sich mit den bereits ent- die Begegnung in Vielfalt möglich machen. Das Schwerpunktthema unseres er es wickelten Programmen und Projekten im Heftes ist Nachhaltigkeit. Wie d ll Bereich der Kinder-und Jugendkultur Welchen Beitrag kann Ihrer verstehen Sie diesen Begriff in vo auch im Bundesvergleich nicht ver- Meinung nach die Kinder- und in Bezug auf die Kinder- und K hs stecken. Es gilt, das gemeinsam Jugend­kultur aktuell für unsere Jugendkultur? „ c mit anderen Behörden, Stif- multidiverse Stadtgesellschaft Nachhaltigkeit bedeutet für mich, dass es u tungen und der Zivilgesell- uns gelingen muss, Barrieren dauerhaft r leisten? sp schaft Erreichte zu sichern Hamburg ist eine Stadt, die den Austausch abzusenken, um die Inanspruchnahme an und strukturell zu veran- der Kulturen tief in ihrer DNA verankert hat, kultureller Angebote für möglichst viele kern. Die Ansprache von die den unterschiedlichsten Lebenskonzep- zu einem dauerhaft plausiblen Bestand- Kindern und Jugend- ten und Ausdrucksformen Raum bietet. Ein teil ihrer Freizeit zu machen. Da werden lichen gehört heute Beispiel dafür ist der Fonds FREIRÄUME, den wir noch viel experimentieren müssen. selbstverständlich zur die Stadt gemeinsam mit vielen Stiftungen Mit Blick auf Kinder und Jugendliche Arbeit vieler Kultur- auf den Weg gebracht hat. Die daraus geför- kommt hinzu, dass es uns gelingen muss, einrichtungen dazu derten Projekte zeigen, wie Fremdheit in dass die Angebote verlässlich und mög- und hilft, die gesell- Neugier auf bisher Unbekanntes umgewan- lichst für jeden erreichbar sind. Dafür schaftliche Zukunft delt wird. Und zwar sowohl bei den neu zu brauchen wir die Zusammenarbeit mit zu gestalten. Ich will uns Gekommenen als auch bei den bereits den sogenannten Regelsystemen. Pro- dabei helfen, das zu Einheimischen. Davon darf es gerne mehr gramme und Strukturen auf Dauer zu stel- festigen und weiter- geben. len, die sich im Feld kinder- und jugend- zuentwickeln. kultureller Initiativen und Kultureller Sehen Sie eine Notwendigkeit, Bildung bewährt haben, bleibt eine große Gibt es Bereiche, sich durch den Dialog mit Schul- Aufgabe. in denen Sie und Sozialbehörde dafür einzuset- neue oder andere zen, dass Kulturangebote ver­­­stärkt Wie unterscheidet sich Hamburg Akzente setzen wol- auch außerhalb der Räumlickeiten in den Bedingungen für Kinder- len? von Schule und Kita wahrgenom- und Jugendkultur von anderen Ich habe ein gut bestelltes men werden? Bundesländern? Gibt es Dinge, Feld übernommen und kann die Wir arbeiten schon jetzt eng und gut mit die in Hamburg ihrer Meinung Furchen weiterziehen, die Barba- anderen Behörden und Ämtern zusammen. nach besonders gut laufen? Was ra Kisseler bereits angelegt hat. In Außerdem gibt es einen sehr aktiven Aus- könnte Hamburg von anderen unseren Zeiten finde ich es besonders tausch zwischen Kultureinrichtungen und noch lernen? wichtig, dass wir uns Fragen des Sinns, Schulen und Kitas, die sich zu konkreten Die Entstehung des Fonds FREIRÄUME

5 zeigt die vielleicht wesentlichste Besonder- anderen Behörden, zumindest zu halten, Hatten Sie als Kind oder Jugend­ heit des Stadtstaates Hamburg: Zwischen wenn nicht zu steigern. licher ein künstlerisches Hobby wie Idee und Umsetzung liegen häufig nur kurze Musik oder Theaterspiel? Falls ja, Wege, weil man sich kennt und schätzt und Eine Frage an Sie als Vater: Wie wie hat das Ihr Erwachsenenleben in der Beobachtung der künstlerisch-kultu- kann man Kinder und Jugendliche geprägt? rellen Praxis rasch neue Anregungen auf- für Kultur begeistern? Das ist so eine Sache. Die Blockflöte habe nehmen kann. Darüber hinaus können wir Man muss sich selbst dafür begeistern, dann ich nach einem Jahr aufgegeben und beim uns freuen, zahlreiche Stiftungen und Part- kann man auch andere begeistern. Und man Singen war ich eher inbrünstig als talen- ner aus Unternehmen an unserer Seite zu muss Kinder und Jugendliche in ihren Inte- tiert. Musisch ging da also wenig. Und beim wissen, für deren Engagement ich überaus ressen ernst nehmen. Dann entdeckt man Theaterspielen bin ich schnell im Souffleur- dankbar bin. übrigens auch als Erwachsener noch einmal kasten gelandet. Dann fiel der Hauptdarstel- spannende neue Perspektiven. ler aus und ich musste doch auf die Bühne. Der Gesamthaushalt der Stadt Aber das war nur einmal in meiner Jugend- Hamburg für das Jahr 2017 beträgt Nehmen Sie durch ihre Kinder die gruppe… 13 Mrd. Euro, für Kultur stehen Kulturangebote dieser Stadt noch 258 Mio. Euro (zwei Prozent) zur einmal anders wahr? Und hat sich Verfügung. Für Kinder- und Jugend- ihr Blick auf die Kultur durch ihre kultur werden 2,77 Mio. Euro aus- Kinder verändert? gegeben, das ist etwa ein Prozent Kinder sind ein höchst anspruchsvolles des Kulturhaushaltes. Halten Sie Publikum. Es macht Spaß, ihren unverstell- diese Relationen für gerechtfertigt? ten Blick auf die Dinge mit der eigenen Haben Sie Pläne, sich für eine Erhö- Wahrnehmung abzugleichen. Sie merken hung einzusetzen? sofort, wenn Angebote nur „gut gemeint“, Der reine Blick auf die Zahlen zeigt gera- aber nicht wirklich gut sind, und sie suchen INFO de bezogen auf Kinder- und Jugendliche Spielräume, um sich selber auszuprobieren. Carsten Brosda ist seit dem 1. Februar 2017 immer nur einen Teil der Wahrheit. So muss Im Übrigen ist es wunderbar, wenn man mit Senator für Kultur und Medien in Hamburg. man zum Beispiel auch auf das Angebot der seinen Kindern einfach mal mitgeht und die Brosda, geboren 1974 in , Bücherhallen verweisen, die auch in den bestimmen, was gemacht wird. studierte in Dortmund Journalistik und Poli- Stadtteilen Kinder und Jugendliche anspre- tikwissenschaft. Er arbeitete unter anderem chen und inzwischen in der Zentralbiblio- Können Sie sich an ein besonders als Pressereferent beim Parteivorstand der thek vorbildliche Angebote wie KIBI und prägendes Kultur-Erlebnis erin- Bundes-SPD und seit 2011 in der Hamburger HOEB4U aufgebaut haben. Ich könnte die nern, das Sie selbst als Kind oder Senatskanzlei. 2016 wurde Brosda Staatsrat Reihe über das Vermittlungsprogramm der Jugendlicher hatten? der Kulturbehörde sowie Staatsrat in der Elbphilharmonie, das Junge Schauspielhaus Das war der erste Besuch im Musikthea- Senatskanzlei für die Bereiche Medien und oder Angebote der Museen fortsetzen, um ter im Revier in meiner Heimatstadt Gel- Digitalisierung. Nach dem Tod von Kulturse- zu zeigen, dass Kinder und Jugendliche weit senkirchen. Das Ganze lief damals regelmä- natorin Barbara Kisseler ernannte der Erste über die Sichtbarkeit von ausgewiesenen ßig über die Schule. Ich spüre noch heute, Bürgermeister Brosda zu ihrem Haushaltsansätzen gefördert werden. Mein wie mich die Wucht des Orchesters damals Nachfolger. Ziel ist, diese Querverbindungen, auch zu getroffen hat…

6 SCHWERPUNKT Mit Rotkohl malen und die Welt verändern Das Netzwerk sevengardens initiiert weltweit Färbergärten. Die Keimzelle des Projekts ist im Ruhrgebiet

TEXT: CLAAS GREITE

7

So kam Reichenbach auf die Idee, Farben selbst herzustellen. Seine Frau Eva Schäfer arbeitete als Lehrerin in einer Grund- schule, auf dem dortigen Gelände wurde aus der Idee ein Projekt für Kinder. „Ich wusste genauso wenig wie die Kleinen über Farb- ienen summen, es duftet nach Rosmarin und herstellung. Da habe ich sie in den Lavendel, der Blick schweift über liebevoll ange- Stadtpark geschickt und gesagt, bringt legte kleine Beete, in denen es grünt und blüht. Pflanzen mit und wir schauen, was daraus Die Sonne brennt, weiter hinten ist ein Kohlekraft- wird!“ Schnell kam die Erkenntnis: Aus sehr werk erkennbar, das zurzeit stillgelegt wird. Wir vielen Gewächsen lässt sich Farbe gewinnen. Etwa befinden uns im Garten des Hofes Emschermündung in Dinslaken. aus Kornblumen und Vergissmeinnicht, aber auch aus dem Rotkohl EineB kleine Oase inmitten des Ruhrgebietes, ein beliebtes Ausflugsziel aus dem Gemüsebeet. mit Café – und noch weit mehr als das: Der Ort ist so etwas wie das Hauptquartier der Initiative sevengardens, die mittlerweile Teilnehmer Wie zufällig entstand ein Konzept, das nach und nach an weiteren in vielen Ländern der Welt hat. Es geht um die Herstellung von Farbe Schulen in der Region Anwendung fand, mit Reichenbach als aus Pflanzen, um Bildung, Integration, Umweltschutz, Nachhaltigkeit Lehrer, der zum Selbst-Lernen anregt. Reichenbach: „Die Kinder pro- – und nicht zuletzt darum, die Welt zu verändern. bieren aus, eignen sich selbstständig Wissen an und entdecken dabei die Grundlagen ihrer Kultur wieder. Und dann wird mit den Farben „Das hier ist Färberwaid. Daraus kann man blaue Farbe gewinnen“, kreativ gearbeitet.“ sagt Peter Reichenbach und zeigt auf eine Pflanze mit gelben Blüten. Die Pflanze, so Reichenbach weiter, hätten schon „die Kelten in der Immer wieder gebe es interessante Erlebnisse, wenn zum Beispiel Antike“ verwendet, ebenso wie die daneben wachsende Schwertlilie, türkisch- oder arabischstämmige Kinder plötzlich mit dem Pflanzen- aus der sich grüne Farbe gewinnen lasse. Peter Reichenbach, Jahrgang wissen ihrer Eltern oder Großeltern aufwarten könnten, das „viel 1962, ist Künstler und Initiator von sevengardens. Die Initiative legt umfangreicher ist als unseres.“ Aus einem kulturellen Projekt wird so weltweit Färbergärten an und versteht sich als Netzwerk. Der Garten auch eines der Integration. Mittlerweile werden Färbergärten auch in des Hofes Emschermündung mit 25 kleinen Beeten, darin Färberpflan- der Flüchtlingsarbeit eingesetzt, sowie in der Arbeit mit Menschen mit zen aus aller Welt, ist ein begehbares Schaufenster dieses Projekts. Behinderungen und im therapeutischen Bereich.

Dessen Geschichte ist ungewöhnlich – so wie die des Initiators. Der Das Konzept des Färbergartens wurde zu einem Lebensthema für Essener Peter Reichenbach, als Künstler Autodidakt, arbeitete in vielen Reichenbach, der schließlich auch Impulsreferate an Universitä- Jobs – unter anderem als „Bodyguard, Journalist und Zweiradmecha- ten hielt und mittlerweile um den Globus reist, als Botschafter des niker“, wie er sagt – bevor er sich Mitte der 90er-Jahre beruflich der Projekts. Ein wichtiger Meilenstein war, als 2010 mehrere Färbergärten Malerei widmete. 1998 legte er in Wuppertal den ersten Färbergarten im Ruhrgebiet – als „Seven European Gardens“ – ein offizielles Projekt an. „Ich hatte viel mit giftigen Farben zu tun. Irgendwann hat mich der „europäischen Kulturhauptstadt Ruhr“ wurden. Zwei Jahre ein Arzt über die Gefahren aufgeklärt“, erzählt Reichenbach. „Mir war später bekam die nun global gedachte Initiative sogar das auch wichtig, dass in China kein Arbeiter in einer Farbenfabrik leiden Siegel der Vereinten Nationen: Im Rahmen der UNO-Dekade muss, nur weil ich hier Kalligrafie mache.“ „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) 2005 bis 2014 wurde das

8

Färbergärten-Projekt als „Strukturschaffende Maßnahme“ anerkannt. Über den Zusammenhang zwischen dem BNE-Ziel der UNO und den Färbergärten sagt Reichenbach: „Wenn du dir ein Thema wie die Far- bherstellung von der Pike auf aneignest, ist das eine gute Vorausset- zung dafür, über andere Zusammenhänge nachzudenken. Wo kommt mein Kaffee eigentlich her, wo mein Strom, was bedeutet das für an- dere Menschen? Wenn du dir diese Fragen stellst, hast du den Sinn der Nachhaltigkeitsforderung selbst erkannt.“

Das Selbst-Lernen ist Kern des Projekts Färbergärten. Deshalb ist es anti-hierarchisch organisiert, ein Netzwerk, das sich ständig erwei- tert. Wer einen Färbergarten angelegt hat, wird zum „Dialoger“, der in seiner Region den Impuls weitergibt. Im Ruhrgebiet gebe es mittler- weile etwa 150 Färbergärten, weltweit seien es etwa 700. Färbergär- ten gibt es unter anderem in Spanien, Südafrika, den USA, Tadschikis- tan und der Türkei. Mit Blick auf Deutschland sagt Reichenbach: „In Berlin passiert gerade richtig viel, zum Beispiel auf dem Tempelhofer Feld. Aber in Hamburg haben wir noch kein Partnerprojekt.“ Wer den Anfang machen wolle, könne sich jederzeit an sevengardens wenden.

Nach der Besichtigung des Gartens führt Peter Reichenbach seinen Gast noch in das Hauptgebäude des Hofes Emschermündung. „Das hier war einmal ein Bauernhof. Er war völlig verfallen und sollte eigentlich abgerissen werden.“ Doch die Emschergenossenschaft, ein Wasserwirtschaftsverband, habe sich zur Renovierung und Neunut- zung entschieden, unter anderem steht der Hof jetzt sevengardens und dem Naturschutzbund NABU zur Verfügung. Vom ersten Stock aus fällt der Blick durch das Fenster auf den Fluss Emscher – das Ufer ist zurzeit eine Baustelle. Reichenbach: „Das war früher ein Betonfluss, er galt als der schmutzigste Europas. Nun wird er renaturiert.“ Das INFO Thema Nachhaltigkeit, hier wird es sichtbar und erlebbar. Über das Projekt ist 2017 im Pala-Verlag das Buch „Farbstark mit Auf die Frage, was eigentlich aus dem ersten Färbergarten in der sevengardens – Das Färbergärten-Netzwerk für eine bessere Welt“ Wuppertaler Grundschule geworden sei, antwortet Reichenbach: (Irmela Erkenbrecht/Peter Reichenbach) erschienen. Wer selbst „Den gibt es noch. Die Kinder, die den damals mit mir angelegt einen Färbergarten anlegen möchte, findet alle Informationen auf haben, sind heute erwachsen und gehen mit ihrem eigenen Nach - der Website der Initiative. wuchs hin.“ Das, so Reichenbach, sei ja das Tolle: „Die Sache läuft. Mich braucht man gar nicht mehr.“ WWW.SEVENGARDENS.EU

9 SCHWERPUNKT

Der Horizont-Erweiterer

Ralf Classen engagiert sich seit 30 Jahren für den Austausch zwischen Nord und Süd. Als Experte berät er zudem bei der Umsetzung einer wichtigen UN-Resolution

TEXT: SEBASTIAN KNORR

m September 2015 haben die für Erziehung, Wissenschaft und Kultur. Agentur Künstler aus dem globalen Süden in Mitglieder der Vereinten Natio- Seit 30 Jahren setzt Classen sich beruflich Austauschprogrammen nach Deutschland nen in New York geschlossen für globale Gerechtigkeit ein, sucht Partner, ein. Um die Jahrtausendwende wurde daraus eine Resolution ratifiziert, organisiert Austauschprojekte und schreibt die „KinderKulturKarawane“. Ein Projekt, die seither als Meilenstein in Anträge. Zunächst arbeitete er mit NGOs das die UNESCO im Rahmen der UN-Dekade Sachen Nachhaltigkeit gilt. Sie ist ein Ver- zusammen, später dann immer stärker direkt „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ sprechen,I die Welt gerechter zu gestalten, mit Künstlerinnen und Künstlern, die er vor (2005-2014) auszeichnete – daher die Fahne. in 17 Zielen und 169 Unterzielen: die Agen- allem an deutsche Schulen vermittelt. da 2030. Kultur leistet einen Beitrag zur „Es ist viel besser, mit den Leuten zu reden nachhaltigen Entwicklung Ralf Classen sitzt in seinem Büro in Hamburg als über sie“, sagt Classen mit Blick auf Län- Ottensen, Altbau, große Fenster. An den der des globalen Südens, „das ist uns sehr Classen ist also Praktiker, als solcher aber Schreibtischen sitzen drei freiwillige Helfer: schnell klar geworden.“ Im Grunde ging auch in theoretischen Belangen gefragt. eine junge Frau, die sich hier im Rahmen eines und geht es dabei um einen Dialog, der sich Vom Entwicklungsziel 4.7. der Agenda 2030, Freiwilligen Sozialen Jahres Kultur engagiert, durch Kultur leicht in Gang bringen lasse. das den Beitrag der Kultur zur nachhaltigen ein syrischer Flüchtling, der gerade einen Entwicklung festschreibt, kann er also aus Bundesfreiwilligendienst begonnen hat, und 1993 gründete Classen gemeinsam mit Kolle- doppelter Perspektive erzählen. So berich- eine Praktikantin. An den hohen Wänden gen das Büro für Kultur- und Medienprojek- tet er von einem jungen Schüler einer stehen Regale mit Akten und Sachbüchern. te, eine Agentur, die Kleinkunst und Kabarett Stadtteilschule, der bei einem Projekt An einem hängt eine Fahne der UNESCO, zu Themen wie Rassismus, Ökologie und Glo- mit einer Akrobatikgruppe aus Tansania der Organisation der Vereinten Nationen balisierung vermittelte. Parallel dazu lud die auf ganz neue Weise aufblühte. Und er

10

erzählt vom jüngsten Treffen einer Arbeits- Jugendliche, die an den äußersten Rän- getan, allerdings bräuchten die grundlegen- gruppe in Berlin, einem Partnernetzwerk dern ihrer Gesellschaft überlebt haben und den Veränderungsprozesse viel Zeit. Zum Bei- aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen sich dann über sozial-kulturelle Projekte spiel gebe es zwar bereits Modelle und Unter- Akteuren, das bei der deutschen Umset- wieder eine Teilhabe an der Gesellschaft richtsmaterialien für verschiedene Klassenstu- zung der Agenda 2030 helfen soll und erarbeiten“, so Classen. Kunst diene dabei als fen und Fächer. Die feste Verankerung in die Kulturelle Bildung und Bildung für nachhalti- Ausdrucksform, schaffe schnelle Erfolgserleb- Curricula der Schulen lasse aber noch auf sich ge Entwicklung zusammenführen will. nisse, steigere die Teamfähigkeit. „Zudem fin- warten. Die Umsetzung des Globalen Lernens den sie da eine Sprache für Dinge, die sie viel- in der Schule sei also auch heute noch auf Manchmal störe er sich an den Begrif- leicht gar nicht mehr aussprechen wollen oder engagierte Lehrer und Schulleiter angewiesen. fen oder an der Trägheit der Strukturen, können.“ sagt Classen, „Bildung für nachhaltige Ent- wicklung klingt wenig attraktiv.“ Dabei sei Classen ist im Rheinland geboren, hat Nachhaltigkeit ganz klar definiert. Während Pädagogik in Köln und Düsseldorf studiert und INFO sich der Begriff früher nur auf das Thema ist 1985 nach Hamburg gekommen. Hier hat Umwelt bezog, habe es in den vergangenen er gemerkt, dass Austauschprogramme mehr WWW.KLIMARETTER.HAMBURG Jahren eine Verschiebung gegeben. Mitt- helfen als politische Flugblätter oder Pamphle- lerweile stehen ökonomische und soziale te. Hier kamen seine beiden Kinder zur Welt, WWW.KINDERKULTURKARAWANE.DE Faktoren gleichberechtigt neben ökologi- die gerade ihr Studium beenden. 63 Jahre ist schen Faktoren, das ist auch in der Agen- er heute alt. Ein Berufsjugendlicher sei er, sagt WWW.GLOBALESLERNEN.DE da 2030 so. „Nur die Kultur fehlt eigentlich Classen und lacht. Ihn nerve nur manchmal immer noch“, sagt Classen mit Blick auf die der hohe Anteil an Bürokratie, den seine Arbeit knappe Erwähnung des Begriffes im Unter- noch immer ausmache – Anträge, Buchhal- punkt 4.7. tung, Finanzierungen, Abrechnungen.

Dabei seien es gerade kulturelle Pro­jekte, Teil der Bildung für nachhaltige Entwicklung die im höchsten Maße Gesellschaften ver- ist kritisches und zukunftsfähiges Denken, das ändern. Besonders gelte das für Jugend- in Handeln mündet. Aber wie steht es um die kulturprojekte, die Classen nach Deutsch- Zukunft der Kulturellen Bildung mit globalem land einlädt – unter anderem Straßenkin- Anspruch selbst? Classen ist verhalten opti- dertheater aus Südamerika. „Das sind mistisch. Es werde zwar bereits eine Menge

11 SCHWERPUNKT

Eine zweite Chance für ausrangierte Schätze Wie die Hanseatische Materialverwaltung und die remida Kunst und Nachhaltigkeit verbinden in beinahe zwei Meter langes Krokodil mit beeindruckend TEXT: CHRISTINE WEISER scharfen Zähnen im aufgeris- senen Maul bewacht den Ein- gang, neben dem ein mächti- ger hölzerner Schiffsbug in die alte Lager- halleE ragt: Schon rein optisch ist der Besuch bei der Hanseatischen Materialverwaltung im Hamburger Oberhafenquartier ein Erleb- nis.

Auf 1000 Quadratmetern lagern hier Requisiten, Möbel und Kunstobjekte, die zuvor bei Filmdrehs zum Einsatz kamen, die auf Theaterbühnen, Mes - sen oder in Museen zu sehen waren und noch viel zu gut für die Mülltonne sind. Dafür, dass Eisbergen aus Pappmaschee, ausgestopften Tieren, Biedermeiersofas und vielem mehr ein zweites Leben geschenkt wird, sorgt Petra Sommer, die seit sieben Jahren gemeinsam mit Jens Gottschau die Hanseatische Materialverwaltung leitet. Die Idee hatte die Filmausstatterin schon viel früher. „Ich habe mich immer geärgert,

12 als ich gesehen habe, wie viel weg­ge- „Alles hier ist neu, sauber, ungebraucht, schmissen wird. Es ist so eine Verschwen- ungiftig und definitiv viel zu schön für dung, denn vieles wird nur einmal genutzt. den Container“, sagt Susanne Günsch. Wie Auf Modemessen fallen zum Beispiel immer schön, das beweisen die vielen aufwändi- riesige Stoffmengen an, während einige gen, filigranen und oft farbenfrohen Skulp- Schulen nicht wissen, wo sie ausreichend turen, die Susanne Günsch und ihre Mitstrei- Stoff für einen Bühnenvorhang her-bekom- ter am Vereinssitz präsentieren. „Inzwischen men.“ haben viele Firmen unser Anliegen verstanden. Petra Sommer Susanne Günsch Außerdem profitieren sie von der Zusam- Vorhandenes nachhaltiger zu nutzen und menarbeit, weil wir die Materialien abho- dafür zu sorgen, dass möglichst viele davon Inzwischen hat sich herumgesprochen, len“, sagt Susanne Günsch. profitieren können, ist der Grundgedanke dass hier Schätze eine zweite Chance der Hanseatischen Materialverwaltung. Die bekommen. „Erst kürzlich hat sich der Haus- Derzeit nutzen rund 100 Kitas, Schu- Idee fand sowohl bei der Stadt als auch in meister einer Schule, die geschlossen wurde, len und kulturelle Einrichtungen im Jah- der Kreativbranche sofort viel Beifall. Jeder bei mir gemeldet. Er hat uns alte Schulkar- resabonnement das Angebot des Ver- darf sich aus dem reichen Fundus bedie- ten und Schultische vorbeigebracht. Die sind eins. Die Höhe der zu zahlenden Summe nen. Die abgestufte Preisgestaltung sorgt doch viel zu schade zum Wegwerfen“, sagt richtet sich nach der Zahl der Kinder, die die dafür, dass Schüler, Jugendliche, soziale Petra Sommer. Einrichtung besuchen. Dann können Erzieher und kulturelle Einrichtungen und Projekte in der remida Ideen und Material sammeln, Requisiten besonders günstig leihen oder Einen ähnlich nachhaltigen Ansatz wie die beispielsweise um spielzeugfreie Zeiten in kaufen können. „Wenn Schüler für ein Thea- Materialverwaltung verfolgt auch die remi- den Kitas zu gestalten. Lehrer, die Projekt- terstück einen Thron, eine Stehlampe und da. Der Verein hat es sich zur Aufgabe wochen zum Thema Nachhaltigkeit vorberei- einen Wolkenhimmel brauchen, dann kön- gemacht, Material, dass in der Produktion ten wollen, finden eine reiche Auswahl. „Nur nen sie alles für 20 Prozent des Wertes der in Industrie, Gewerbe und Handwerk anfällt, wenn jemand kommt, der Malpapier möchte, Objekte bei uns bekommen“, sagt Petra vor der Mülltonne zu retten. Und zwar nicht muss ich ihn enttäuschen“, sagt Susanne Sommer. Werbefilmer, andere kommerziel- nur, aber auch aus ökologischen Gründen. Günsch. „Aber wir haben hier wunder- le Projekte oder Privatpersonen zahlen den „Die Idee ist es, diese Materialien als krea- schöne, ver­wendungsoffene Materialien.“ vollen Preis. tive Ressourcen zu sehen“, sagt Susanne Günsch, Gründerin der remida und Leiterin Das Angebot wird rege genutzt. Auf einem des gleichnamigen Vereins. Die Pädagogin Kandelaber und einem Uhren­schrank klebt ein verfolgt seit vielen Jahren die Ansätze der Zettel. Darauf steht, dass eine Stadtteilschule Reggio-Pädagogik, die einen Schwerpunkt INFO die Requisiten für eine Aufführung leihen auf die ästhetische Bildung und Erzeihung Die Hanseatische Materialverwaltung ist möchte. Eine Rudolf-Steiner-Schule hat ein legt. Sie fordert einen kreativen Umgang unter Telefon 0172/433 00 55, die remida großes Porträt von Walter Ulbricht vorbestellt, mit Produktionsüberständen wie meterlan- unter Telefon 0176/51 04 57 98 erreichbar. das Theater der Welt einen Schiffsschorn- gen goldfarbenen Folienbändern, Blöcken stein und ein Gymnasium einen Kamin. aus geriffeltem Schaumstoff, Teppichmu- Theater-AGs verschiedener Schulen sammeln stern, Holzknöpfen und den vielen anderen WWW.REMIDA.DE in den beiden Lagerhallen Inspirationen für Materialien, die in den Regalen des Büro- WWW.HANSEATISCHE- Bühnenbilder, gehen auf Foto­­­s­afari oder und Ausstellungsraumes in Hamburg- nutzen das Fotostudio der Materialverwaltung. Ottensen auf ihre Verwendung warten. MATERIALVERWALTUNG.DE

13 SCHWERPUNKT Stadtkinder entdecken die Natur neu

Das Angebot BaschKids im Community Center Barmbek°Basch steht in diesem Jahr ganz im Zeichen von Umwelt und Nachhaltigkeit

TEXT: CLAAS GREITE

uis hält stolz ein Bündel mit zusammengebundenen, Der weißhaarige, fröhliche Mann leitet dieses besondere Seminar, an kurzen Schilfrohren in der Hand. „Das ist ein Hotel dem Vorschulkinder der Adolph-Schönfelder-Schule teilnehmen und in für Wildbienen“, sagt der Sechsjährige. „Dort kön- dem es um Wildbienen geht. Die Tiere sind vom Aussterben bedroht, nen sie ihre Eier hineinlegen, damit es immer wieder unter anderem deshalb, weil es immer weniger Lebensräume für sie Honig gibt.“ Luis steht auf einer sonnenbeschienenen gibt. Bei den Kindern soll an diesem Tag ein Bewusstsein für dieses Wiese im Garten des Community Centers Barmbek°- Problem geschaffen werden. Der Ausflug in die Welt der Bienen ist ein Basch.L Hinter ihm ist ein Tisch aufgebaut, auf dem Schaukästen ste- Angebot von BaschKids, dem Kinderkulturprogramm von Barmbek°- hen, die Querschnitte durch Feld- und Wiesenlandschaften zeigen. Basch. Und das steht in diesem Jahr unter einem besonderen Motto: Davor: Mikroskope, zur Beobachtung von Insekten. Auf einem ande- „BaschKids begreifen Natur und Umwelt“, so die Devise, die sich wie ren Teil der Wiese können Kinder in einen Stofftunnel krabbeln, „um ein roter Faden durch das ganze Programm zieht. sich ein bisschen so zu fühlen wie ein Insekt, das in ein Schilfrohr kriecht“, erläutert Krzysztow Wesolowski, Umweltbiologe beim Natur- „Uns ist wichtig, dass die Kinder ein Gefühl für die Zusammenhänge in schutzbund NABU. der Natur bekommen. Wenn man in der Stadt groß wird, lernt man die

14

ja nicht unbedingt kennen“, sagt Burkhard Leber. Er ist der Koordinator Für den Herbst ist eine Gemeinschaftsausstellung zum Thema Was- von Barmbek°Basch, unter dessen Dach so unterschiedliche Institu- ser im Barmbek°Basch geplant. Der Verein Viva con Agua wird eine tionen wie der Kulturpunkt, die Bücherhalle Dehnhaide das Kinder- Fotodokomentation zeigen, die KiFaz-Malwerkstatt sowie die Kirchen- und Familienzentrum (KiFaz) und die Evangelisch-Lutherische Kirchen- gemeinde Kinderkirche und ein Kindergarten oder eine Grundschule gemeinde Alt-Barmbek Platz haben. BaschKids ist das gemeinsame werden sich mit eigenen künstlerischen Arbeiten beteiligen. Weiter- Angebot mehrerer Einrichtungen im Basch. Es wurde schon bald nach hin sollen Filme zum Umweltthema gezeigt werden, geplant ist auch dem Start von Barmbek°Basch im Jahr 2010 ins Leben gerufen, mit der Auftritt eines Kindertheaters. Nicht zuletzt ist da das wöchent- dem Ziel, ein kulturelles Angebot für Kinder zu installieren, das viel- liche Basteln mit Recycling-Materialien im Barmbek°Basch. Für die- seitig, nachhaltig und verlässlich ist. Dass es nun in diesem Jahr den ses bewährte Angebot sollen neue Arbeitsutensilien gekauft wer- besonderen Schwerpunkt bekommen konnte, ist gleich zwei Geldse- den. Laut Sabine Engelhart soll auch der Jahresausklang im Zeichen gen zu verdanken. So beschloss das Hamburger Spendenparlament, des Umweltthemas stehen. „Nikolaus, Weihnachten und Silvester das Umweltthema der BaschKids mit 3000 Euro zu fördern. Die Nord- sind sehr gute Gelegenheiten, um mit Kindern Veranstaltungen zum deutsche Stiftung für Umwelt und Entwicklung unterstützt das Pro- Thema Nachhaltigkeit zu machen.“ gramm mit 7500 Euro. Noch allerdings sind die Temperaturen sommerlich im Garten des Aspekte wie Ökologie und Kultur werden verbunden Community Centers. Luis freut sich, sein Insektenhotel mit nach Hause zu nehmen, wo es einen Platz auf dem Balkon bekommen soll. Mit dem Geld können Angebote wie das NABU-Seminar finanziert Lukas hingegen, ebenfalls sechs Jahre alt, ist mit einer größeren Bau- werden. Geplant ist noch eine Menge mehr, wie Sabine Engelhart maßnahme beschäftigt. Gemeinsam mit Krzysztow Wesolowski bohrt erzählt, Kuratorin im Kulturpunkt. „Wichtig sind uns die Themen Ess- er Löcher in ein dickes Stück Buchenholz, eine regelrechte Betten- kultur und Gesunde Ernährung. Deswegen werden wir mit den Kin- burg für Wildbienen entsteht. Bald soll das Insektenhotel einen Platz dern unter anderem Mini-Gemüsegärten in kleinen Kisten anlegen, im Basch-Garten finden. Ein Grund mehr für Lukas, öfter herzukom- die sie mit nach Hause nehmen können. Wir vermitteln ihnen so auch men. Er ist schon neugierig, den Bienen-Nachwuchs „im nächsten Jahr Teilaspekte der Gartenkultur, die sich immerhin über Jahrhunderte schlüpfen“ zu sehen. entwickelt hat und in der Stadt beispielsweise durch Schrebergärten noch präsent ist.“

Die Verbindung verschiedener Aspekte wie Ökologie und Kultur ist INFO laut Sabine Engelhart prägend für dieses und viele andere Basch- „BaschKids – Kultur für Kinder“ ist ein Angebot für Kita- Vorschul- Kids-Angebote. So gab es im Frühjahr bereits den Workshop „Rosi und Grundschulkinder, es wird genutzt von vielen Einrichtungen in pflanzt Radieschen“, ein Angebot der Bücherhalle, bei dem die Kin- Barmbek Süd. Kinder können aber auch einfach so bei den Angeboten der zuerst eine Vorführung des Bilderbuchkinos zu sehen bekamen, mitmachen. Eine Übersicht darüber, was wann geboten wird, ist auf dann Blumentöpfe bastelten und schließlich selbst Radieschen aus- der Webseite des Community Centers zu sehen, das telefonisch unter säten. Für den Sommer ist ein Ausflug auf den Kattendorfer Hof 040/519 00 80 55 zu erreichen ist. geplant, gelegen zwischen Hamburg und Neumünster. Die Kinder können dort einen Einblick in die landwirtschaftliche Kultur und in ökologische Anbauweisen bekommen. WWW.BARMBEK-BASCH.INFO

15 SCHWERPUNKT

Die Mühen der Ebene Das Beispiel des Theaters Triebwerk zeigt, dass die freie Szene eine nachhaltigere Unterstützung braucht

TEXT: LUTZ WENDLER

nsgesamt 105.000 Euro Konzeptionsförderung der Theaterpreis ausgezeichnet wurde. Viel Geschleppe, anderthalb Hamburger Kulturbehörde, ausgezahlt über drei Jahre Stunden Aufbau und Tonproben mit Cello, Bass und technischem – das mag für die Kinder- und Jugendtheaterszene Equipment. Die Vorstellungen werden gut besucht sein, doch bei wie ein Lottogewinn klingen. Denn für freie ermäßigtem Eintritt und einer Abgabe für Saal und Techniker ist das Gruppen, die meist nur von einer prekär finanzierten Ganze nicht lukrativ. ProduktionI zur nächsten planen können, ist das eine komfortable Grundausstattung. Seit drei Jahren ist das Bahrenfelder Theater für Triebwerk die lange gewünschte feste Spielstätte in Hamburg. Doch auch der Lichthof Das Theater Triebwerk wurde 2015 als erstes Hamburger Ensemble im kalkuliert knapp. Das Theater betrachtet Triebwerk als Bereicherung, Bereich Kinder- und Jugendtheater für die Konzeptionsförderung aus- ist jedoch auf Kostenbeteiligung des Gastes angewiesen. Außerdem gewählt. Anfang 2018 endet die Unterstützung. Schon jetzt zeichnet hat der Lichthof keine Kapazitäten, die Auftritte der Gruppe so zu sich ab, dass die Zuwendung eine trügerische Absicherung ist, denn bewerben, wie es nötig wäre. sie wird nicht ausreichen, das selbstgesteckte Ziel einer nachhaltigen Arbeitsgrundlage zu erreichen. An sich ist die Situation kurios. Das 1995 gegründete Theater Triebwerk zählt zu den renommiertesten Hamburger Gruppen, den- „Wir wollten die drei Jahre dazu nutzen, neben neuen Stück ­ noch waren seine insgesamt 30 Produktionen meist auswärts zu entwicklungen Strukturen zu schaffen, die uns auch danach weiter ­­ sehen. Vor allem der Klassiker, „Moby Dick“ für drei Schauspieler helfen“, sagt Uwe Schade von Triebwerk. Er meint damit konkret, und Musiker, ist viel in der Welt herumgekommen. Die preisgekrönte eine feste Spielstätte zu etablieren und eine Öffentlichkeitsarbeit Produktion wurde in die USA, nach Großbritannien und Indien einge- aufzubauen, die vor allem bewirken soll, dass viele Vorstellungen laden und in New York, in Wien gespielt. In Hamburg dagegen gab gebucht werden. Obwohl Triebwerk einiges dafür investiert hat, Triebwerk meist nur kurze Gastspiele. funktioniert beides nicht wie erhofft. Schade und Sellhorn hofften, dass sich das mit der Konzeptions­­ Ein Treffen mit Schade und Heino Sellhorn am Vorabend zweier förderung grundsätzlich ändern ließe. Auch deshalb beschäftigen sie Schulvorstellungen von „Jo im roten Kleid“ zeigt den Alltag der eine Kollegin für die Vermittlung ihres Repertoires an Schulen. Doch Theatermacher, die in Doppelfunktion als Musiker und Schauspieler das Geschäft ist mühsam, weil das Interesse vieler Lehrer erst geweckt die Konstante in der Produktionsgemeinschaft Triebwerk bilden. Die werden muss. Zudem ist die Konkurrenz hart, zum Beispiel durch beiden sind ins Lichthof-Theater gekommen, um Bühnenbild und einen so starken Mitbewerber wie das von der Stadt subventionierte Technik für das Stück anzuliefern, das 2013 mit dem Hamburger Junge Schauspielhaus.

16

Uwe Schade (rechts) und Heino Sellhorn in dem Stück „Jo im roten Kleid“

Als schwierig empfindet Schade auch freie Vorstellungen. Schade findet die Konzeptionsförderung grundsätzlich gut, doch mit Be­sonders frustriert hat ihn ein Abstecher in die Burg in Barmbek, der Unterstützung einzelner Gruppen sei es nicht getan, sondern es wo Triebwerk vier Stücke vor kleinem Publikum spielte. „Ein bedürfe übergreifender struktureller Veränderungen, um die Freien Zuschussgeschäft. Theaterbesuche scheinen keine selbstverständli- besser in Szene zu setzen – etwa durch die Finanzierung fester chen Familienunternehmungen mehr zu sein.“ Spielorte. Schade: „Ich wünsche mir einen geschützten Raum, wo freie Gruppen konzentriert arbeiten können. Hilfreich wäre auch, wenn die Kulturbehörde die Vermarktung der Stücke unterstützen würde, Uwe Schade wünscht sich „strukturelle Veränderungen“ die sie gefördert hat. In Dänemark werden solche Produktionen durchs Land geschickt, in München gibt es eine Broschüre, die Triebwerk wagt es dennoch immer wieder, eigenständig-innova- über das Angebot informiert. So wird Nachhaltigkeit vorbereitet.“ tives Theater zu machen, das junge und erwachsene Menschen gleicher­maßen ansprechen soll. Dabei binden Schade und Sellhorn, für die Live-Musik gleichwertig neben Schauspiel steht, INFO gern junge Kollegen ein. Ihre neueste Produktion „Werther“ Das Theater Triebwerk ist telefonisch unter 040/38 54 28 sowie nannte ein Experte aus der Schulbehörde das Beste, was er seit 0160/794 50 36 und per E-Mail an [email protected] zu Jahren gesehen habe. An der Produktion, für die nur 15.000 Euro erreichen. Informationen gibt es auf der Webseite der Gruppe. zur Verfügung standen, sind fünf Akteure auf und hinter der Bühne beteiligt. Bislang gab es nur zehn Aufführungen. WWW.THEATER-TRIEBWERK.DE

17 MODELLE FÜR KULTUR AN SCHULE Unterricht im Proberaum Die Stadtteilschule Horn setzt in der Mittelstufe auf die Macht der Musik

TEXT: CHRISTINE WEISER

enn Nis Nöhring auf den Lichtschalter in seinem Musikraum drückt, kann es sofort losgehen. Alle Kabel stecken in den richtigen Buchsen, die Verstärker haben StromW – die Schüler müssen nur noch ihre Instrumente in die Hand nehmen und den Takt einzählen, dann kann der Unterricht beginnen. Es wird häufiger mal laut an der Stadtteilschule Horn, weil man Rocksongs, Trommelrhythmen oder Musicalmelodien eben nicht im Flüsterton einstudieren kann. Aber das stört hier niemanden – im Gegenteil, dass sich die Schüler ausprobie- ren und selber aktiv werden, ist ausdrücklich gewollt.

Die Stadtteilschule Horn liegt im Bezirk Hamburg-Mitte, verfügt über drei Standorte und wird von 1200 Kindern und Jugendlichen besucht. Kinder, die schon in der Grundschule begonnen haben, ein Instrument zu lernen, trifft Nis Nöhring selten in seinem Unterricht. „Das ist die Ausnahme. Aber nach kurzer Zeit haben viele Lust, regelmäßig zu spielen.“ Mindestens zwei Stunden Musik in der Woche stehen Jason (v.l.), Julian, Tom, Shawn und ihre Lehrer Nis Nöhring (Mitte hinten) und Christian Lenz (rechts)

18 bei allen Schülern der 5. und 6. Klassen den sich für mehr als das Pflichtprogramm. nicht perfekt ist“, sagt Nis Nöhring. Was auf dem Plan. Das Unterrichtskonzept fasst Wer Musik machen möchte, soll die nach Drill klingt, ist auch so gemeint. Das Pädagoge Nis Nöhring so zusammen: „Die Möglichkeit dazu bekommen. Deshalb gehö- Erlernen komplexer Liedstrukturen erfolgt Schüler machen die Musik. Wir haben die ren auch zahlreiche Arbeitsgruppen, Chöre schrittweise. Jeder Takt muss sitzen, bevor Instrumente und bringen ihnen bei, sie und Bands, die nach dem Unterricht pro- am nächsten gefeilt wird. So trainieren die zu spielen.“ Theoretisches Wissen, zum ben, zum Angebot. Motor der Entwicklung Kinder im Musikunterricht nebenbei noch Beispiel, wie man Noten liest, erarbeiten des Musikschwerpunktes in der Mittelstufe andere Fähigkeiten. Durchhaltevermögen sich die Schüler nebenbei. in Horn war der Lehrer Arendt Schmidt- zum Beispiel. „Manche arbeiten ein halbes Landmeier, der sich demnächst in den Jahr an einem Rhythmus, an einem Stück, Ruhestand verabschiedet. Unter seiner immer wieder. Sie geben nicht auf, sie Im Musikflügel am Standort Snitgerreihe Leitung wurde der Musikbereich mit zahl- wollen das hinkriegen.“ Außerdem stär- gibt es jede Menge Instrumente, dar- reichen Preisen ausgezeichnet. Seit mehr ke das Musizieren in einer Gruppe das unter Gitarren, Trommeln, Ukulelen und als zehn Jahren kommen zudem regelmäßig Selbstvertrauen junger Menschen und för- Keybords. Statt Tafeln und Schulbänken Studierende, Referendare und Kollegen von dere ihre Sozialkompetenz. „Ich bin immer gibt es Arbeitsplätze an Klangstationen und anderen Schulen zu Besuch, um sich anzu- wieder beeindruckt, wie die Schüler sich Computern, einen Bandraum, ein Tonstudio, schauen, wie in Horn Musik unterrichtet gegenseitig helfen. Wer etwas schon kann, eine Instrumentenwerkstatt und einen wird. zeigt es den anderen“, sagt Christian Lenz. Konzertsaal. Perfekt zur umfangreichen Ausstattung passen die drei Musiklehrer, Ein Musikprofil gibt es an der die allesamt selbst aktive Musiker sind und Schule nicht Der musikalische Schwerpunkt der Mittel­ genau wissen, wie ein Song klingen muss. stufe prägt auch die Oberstufe, in der Einer, der schon als Referendar vom praxiso- mehrere musikpraktische Kurse parallel rientierten Musik-Konzept der Schule gehört stattfinden. Ein spezielles Musikprofil in Burak, Julian, Jason, Tom und Shawn sind hatte, ist Christian Lenz. Seit vier Jahren der Oberstufe gibt es in Horn aber nicht. schon nahe dran. Sie üben gerade „Don‘t lehrt er neben Gesellschaft auch Musik in Christian Lenz erklärt, warum. „So sind wir speak“ von No Doubt. Eigentlich hätten Horn und gibt darüber hinaus an drei Tagen flexibler. Ein Musikprofil würde viel Zeit sie eine Freistunde, aber wenn E-Gitarren, in der Woche Bassunterricht. „Zurzeit kom- binden, die die Lehrer derzeit für klassen- Bass und Schlagzeug schon mal bereit- men sechs Kinder regelmäßig. Und denen stufenübergreifende Projekte zur Verfügung stünden, sei das gemeinsame Spielen im ist es ernst, denn sie kommen morgens, haben.“ Bandraum verlockend und „viel besser als vor der ersten Stunde“, sagt Lenz. Für man- Blockflöte, von der habe ich früher jedes che Schüler seien die Angebote der Schule Mal Kopfschmerzen bekommen“, sagt die einzige Möglichkeit, in ihrer Freizeit Tom. Die Oberstufenschüler mögen den Musik zu machen. „Einige Schüler gelten als Musikunterricht hier. „Klar, alles ist besser schwierig oder andere als still, bei uns blü- als Mathe“, sagt Jason. „Im Ernst, wir kön- hen viele plötzlich auf“, sagt Christian Lenz. nen hier viel ausprobieren, das macht Spaß.“ INFO Im Unterricht herrsche meist eine lockere, Ab der 7. Klasse stehen zwei, drei oder fünf aber konzentrierte Atmosphäre, vergleichbar WWW.MUSIK-IN-HORN.DE Stunden Musikunterricht pro Woche zur mit der Stimmung in einem Proberaum. „Wir Auswahl. 70 Prozent der Schüler entschei- lassen niemanden auf die Bühne, bevor es

19 Wie blinde Menschen Theater und Musik erleben In einem Projekt im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres Kultur begleiteten die Teilnehmenden die sehbehinderte Künstlerin Tamara Keitel

TEXT: SEBASTIAN KNORR

n wenigen Minuten lässt Im Mittelpunkt stand die Frage, ob das Ein ganz schmaler Grat sei das, aus- sich heute per Mausklick ein Sehen das Hören und Produzieren von Musik zuloten wieviel der Zuschauer an Tisch bei Dinner im Dunkeln verändert. Nebenbei ging es an diesem Zwischenkommentar wünsche, sagt Keitel. bestellen. Wenig später gibt Tag aber noch um vieles mehr. Startpunkt „Die einen wollen alles wissen, andere es dann gutes , serviert der Reise war die Kulturfabrik Kampnagel. stört das Gequatsche nur“, sagt sie. „Wer von einem blinden Kellner. Was ist das? Wie Hier hat die Theatergruppe Meine Damen von Geburt an blind ist, den interessiert schmecktI das? Wie fühlt sich das an? Eine und Herren, die auch zur barner 16 gehört, nicht, welche Farben die Vorhänge haben.“ Erfahrung wie gemacht für einen besonde- offene Generalprobe. Tamara Keitel soll sich Sie selbst wolle allerdings möglichst viel ren Abend. Nur gut, dass auf dem Heimweg eine Audiodeskription anhören und bewer- von der Atmosphäre mitbekommen. Eine dann wieder alle Sinne beisammen sind. ten, die Gruppe darf dabei sein. besondere Schwierigkeit bilden abstrakte Gegenstände oder Choreografien, die sich Für Tamara Keitel ist das anders. Sie hat nur Durch eine solche Audiodeskription, also schwer beschreiben ließen, ohne zu viel noch einen „Sehrest“, wie sie sagt, kann die gesprochene Beschreibung all dessen, von einer eigenen Interpretation einfließen nur noch „Farben und Umrisse“ erkennen. was der Zuschauer sieht, sollen die visuellen zu lassen. Ihre Sehbehinderung ist Alltag: im Bus, am Aspekte des Theaters für Blinde hörbar wer- Buffet und im Beruf. Einen Einblick in ihr den. Lis Marie Diehl, die auch bei der barner In Theatern gebe es eher selten eine Leben gab die 40-Jährige jetzt acht jungen 16 arbeitet, übernimmt das heute live. Vor Audiodeskription wie hier, sagt Keitel. Erwachsenen, die zurzeit in Hamburg ein der Probe haben sich Diehl und Keitel getrof- Leichter habe sie es da vor dem heimischen Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) Kultur absol- fen, haben Kulissen und Requisiten ertastet. Fernseher. Zum Beispiel beim Eurovision vieren. Konzipiert, organisiert und geleitet Jetzt sitzen sie eng nebeneinander und tun Song Contest. Bei der Übertragung wur- hat den Workshop Höbke Loof, FSJlerin in etwas, das man sonst im Theater nicht darf: den in einer zweiten Tonspur Effekte und der barner 16, einem Zentrum für inklusive Sie flüstern – und das unentwegt. Nach der Choreografien sowie die Mimik der Künstler Kulturarbeit in Ottensen. Aufführung gibt es Feedback von Keitel. kommentiert.

20 Tamara Keitel steht auch selbst auf der mit den Mitarbeitern der Kultureinrichtung Bühne. Sie ist Musikerin und singt in meh- und einer weiteren FSJlerin bereits einen reren Projekten in der barner 16. Dort soll visuellen Adventskalender produziert. Jetzt im zweiten Teil des Workshops der Leitfrage habe sie Lust gehabt, einen Workshop anzu- vom Zusammenhang vom Sehen und Hören bieten. „Hier haben wir die Möglichkeit“, nachgegangen werden. Auf dem Weg sagt Loof. Nach dem Jahr will sie in Berlin von Barmbek nach Ottensen gibt es einen Soziale Arbeit studieren. Einblick in die Orientierung von Blinden in der Stadt. Fakt ist: Wer in Hamburg im Bus In Ottensen führen Keitel und Loof sitzt, muss wissen, in welcher Linie er unter- in die Barnerstraße 16. Dort geht es zu wegs ist. Denn die Haltestellen werden nur einer gemeinsamen Jamsession in den sporadisch angesagt. Entspannter fährt es Proberaum. Einmal mit Licht, einmal ohne. INFO sich also mit der S-Bahn. „Man merkt, dass ein Dirigent fehlt“, sagt eine Teilnehmerin nach dem Musizieren Im Freiwilligen Sozialen Jahr in der Kul- Öffentlicher Raum ist oft nicht im Dunkeln, „dafür fühlt man die Musik tur (FSJ Kultur) engagieren sich Jugend- barrierefrei ganz anders.“ Sie werde intensiver, sagt ein liche zwischen 16 und 26 Jahren für ein anderer. „Wenn man nichts sieht, achtet Jahr in verschiedenen kulturellen Einrich- Tamara Keitel erklärt das Leitliniensystem man ganz anders auf die Geräusche“, sagt tungen. In Hamburg ist die LAG Kinder- und für Blinde auf dem Boden und warum sie Tamara Keitel, „das übt.“ Sie hoffe, dass die Jugendkultur der Träger des FSJ Kultur. Sie manchmal das Gefühl hat, dass bei der Gesellschaft irgendwann keinen Unterschied ist Ansprechpartner für die Einsatzstellen, Planung nicht an Sehbehinderte gedacht mehr mache. „Dass es selbstverständlich ist, begleitet die Freiwilligen und ist verantwort- wurde. „Ich war gerade in Hannover und dass der eine das gut kann und der andere lich für die Bildungsarbeit. hab mir im Reisezentrum die Nase platt das nicht“, so Keitel, „und dann ist das auch gedrückt“, erzählt Keitel. Es war nach 18 gut.“ Uhr, die Fahrscheinausgabe hatte bereits WWW.FSJKULTUR.DE geschlossen, den Automaten allerdings kann Keitel nicht bedienen. Also bleibt ihr nur, sich von Passanten helfen zu lassen. „Mein Traum ist, dass ich mich autonom bewegen kann“, sagt Keitel. „Viele denken nicht daran, dass eine Sehbehinderung keinen Feierabend hat“, sagt FSJlerin Höbke Loof. Loof ist 19, hat gerade Abitur gemacht und betreut jetzt musikalische Projekte in der barner 16. Zum FSJ Kultur, das sie hier Höbke Loof, FSJlerin in der barner 16 gerade absolviert, gehört auch, ein eigenes Projekt zu realisieren. Im Dezember hat sie

21 KRITIK

schrieb, hat unter Leitung der Regisseurin Mable Preach und mit über 30 Kindern und Jugendlichen eine großartige Performance auf die Beine gestellt. Alle vier Abende während des „Krass – Kultur Clash Nur mal kurz die Festivals“Welt auf Kampnagel rettenwaren ausverkauft. Statt einer Story gibt es einen Aufhänger, der die 90 Minuten moti- viert: In einem Ausbildungscamp für Superhelden widmen sich soge- nannte Auserwählte der Weltverbesserung. In diesen Rahmen passen zahlreiche einzelne Sequenzen, in denen die Teilnehmer ihre jewei- ligen Talente – von Mable Preach in idealer Weise in Szene gesetzt – solistisch oder gemeinschaftlich zeigen. Eine Band im Hintergrund unterstützt die einzelnen Auftritte kraftvoll live und stilistisch so unterschiedlich, wie es Flamenco, HipHop und Zeitgenössischer Tanz brauchen.

Wenn vorne an der Rampe gesungen, diskutiert oder gebrüllt wird, Die Performance „Ich.Du.Wir. geht es immer wieder um zwei große Themen: Rassismus und die Zukunft unseres Planeten. Beispiel: Ein Begriff wie Rasse sei vollkom- Supahelden“ von Lukulule hat zwar men überflüssig, denn die Gemeinsamkeiten aller Menschen liege bei keine Story, aber dafür zwei große 99 Prozent. „Wenn also Rasse nichts Biologisches ist, ist Rassismus auch nicht biologisch abbaubar!“ Themen und eine Botschaft Ob getanztes Battle oder poetische Ballade, Kampfschrei oder TEXT: DAGMAR ELLEN FISCHER Gedicht – das Beeindruckende ist die Präsenz der Mitwirkenden, die allesamt aus den (Amateur-) Kursen von Lukulule kommen. Jede(r) Einzelne steht voll und ganz hinter den Worten, hinter itunter ist die innere Stimme des Gewissens zaghaft jeder Geste und den Zeilen eines Songs – dem Publikum weht und leise. Da hilft es, wenn jemand von außen laut ein starker Wind von der Bühne ins Gesicht! Und letzten Endes und vernehmlich diese Rolle übernimmt und kritisch eine Botschaft voller Hoffnung: „Hör’ niemals auf zu träumen!“ fragt: „Fühlst du dich gut, weil du ein Video über Umweltverschmutzung geteilt hast?“ Tja, das reicht aber nicht! Denn: „Hassbotschaften sind ebenfalls INFO unterwegsM in sozialen Netzwerken. Die Welt ist kein guter Ort!“ Warum? Der Verein Lukulule mit Sitz im Hamburger Oberhafen-Quartier fördert „Nicht wegen der Bösen, sondern wegen derjenigen, die nichts gegen Kinder und Jugendliche mit Workshops, Projekten und Kursen in den sie unternehmen.“ Bereichen Musik, Tanz, Gesang und Schauspiel. Kontakt: Lukulule e.V., Stockmeyerstraße 43, Telefon 040/ 54 75 26 61 oder 040/76 99 78 39. „Ich.Du.Wir.Supahelden“ können wir alle sein. Die Botschaft des jüngsten Bühnenstücks von Lukulule ist klar: Trau’ dich! Der Verein, der sich Lust an Kunst und Lust am Leben als Motto in den Namen WWW.LUKULULE.DE

22 MELDUNGEN

Beratungsstellen. Das Material darf von derärzte im Rahmen der Vorsorgeuntersu- jedem genutzt werden und steht auf der chung U6 von Kindern im Alter von einem Website zur eigenen Anpassung zur Verfü- Jahr eine bunte Buchstart-Tasche. Darin gung. Die Broschüre ist in der Geschäftsstelle finden sich neben Bilderbüchern auch der LAG erhältlich. Informationen zu Lesegruppen im Viertel WWW.KINDERUNDJUGEND­ und ein Bücherhallen-Gutschein. Daneben gibt es über 70 „Gedichte für Wichte“- KULTUR.INFO Gruppen in verschiedenen Sprachen, in de- nen die Kleinsten Bilderbücher anschauen, singen und Fingerspiele machen. Die Kam- pagne wird vom Verein Seiteneinsteiger Gipfeltreffen der Klangstrolche organisiert und von der Hamburger Behör- in der Laeiszhalle de für Kultur und Medien, Gruner + Jahr und weiteren Partnern finanziert. Viele junge Gesichter, viel gute Laune in der Laeiszhalle: Rund 2000 Kinder stürmten am WWW.BUCHSTART-HAMBURG.DE LAG veröffentlicht Materialien 22. Juni den Großen Saal des Konzerthauses zum Kinderschutz beim Gipfeltreffen der Klangstrolche. Mode-

ratorin Singa Gätjens führte durch die Show, Was tun, wenn es in einer Einrichtung einen Special Guest war der Sänger Rolf Zuckowski. BKJ stellt Forderungen an sexuellen Übergriff gibt? Was ist die rich- Es war das sechste Gipfeltreffen der Klangs- die Politik tige Reaktion, wenn es gegen einen Mit- trolche, gefeiert wurde mit dem bunten Mit- arbeiter einen Verdacht gibt? Was sind die mach-Konzert auch der zehnte Geburtstag Verfahrensregeln im Umgang mit verletz- Die 56 in der Bundesvereinigung Kulturelle der Initiative, die Kindern eine möglichst ten Kindern? Welche Mitarbeiter benöti- Kinder- und Jugendbildung (BKJ) zusam- frühe musikalische Förderung ermöglichen gen ein erweitertes Führungszeugnis? Ant- mengeschlossenen Fachorganisationen der will. Das Projekt, geboren 2007 in Billstedt, worten auf Fragen wie diese gibt die jetzt Kulturellen Bildung, zu denen auch die LAG hat mittlerweile viele begeisterte Teilnehmer erschienene Broschüre „Materialien zum zählt, haben gemeinsame Positionen für die in der ganzen Stadt. Trägerin ist die Stiftung Thema Kinderschutz“ der LAG. Sie rich- anstehenden Bundestagswahlen erarbei- Kultur Palast Hamburg. tet sich an alle Mitarbeiter aller Einrichtun- tet. So fordern sie unter anderem von der gen, in denen mit Kindern und Jugendlichen WWW.KLANGSTROLCHE.DE künftigen Bundesregierung, sich für Diver- gearbeitet wird. Auf 60 Seiten sind wichti- sität, Inklusion und Zusammenhalt stark zu ge Informationen rund um das Thema Kin- machen. „Kulturelle Teilhabe und gerechte derschutz zusammengefasst. So gibt es Fra- Bildungschancen für alle jungen Menschen gebögen, Verfahrenspläne für Krisensitu- Buchstart feiert zehnten in Deutschland – das ist das zentrale Ziel, ationen und auch eine Verhaltensampel, Geburtstag für das die Akteure der Kulturellen Bildung die Kindern und Erwachsenen als Orientie- in einem vielfältigen Netzwerk im ganzen rung dienen kann. Weiterhin finden sich in Schon ganz kleine Kinder lieben Bücher. Land stehen“, sagt BKJ-Geschäftsführer Tom der Broschüre Musterformulare, Checklis- Darauf baut die Aktion Buchstart. Seit zehn Braun. ten und nicht zuletzt die Kontaktdaten vieler Jahren überreichen die 160 Hamburger Kin- WWW.BKJ.DE

23 Tipps von Juli bis August 2017

15.7.2017 30.7.2017

Abschlussfest der Deutscher Kitapreis Spielmobil-Karawane bundesweit Hamburg, Planten un Blomen

WWW.DEUTSCHER-KITA-PREIS.DE WWW.SPIELMOBILKARAWANE.DE

bis 31.7.2017 9.8.2017

Neues Förderprogramm lm Geld schwimmen – „jugend.kultur.austausch Finanzierungsmöglichkeiten global“ der Kulturellen Bildung bundesweit Seminar Akademie Wolfenbüttel https://bkj.nu/4ed http://bit.ly/2qIiuau 26.8.2017 27.8.2017

Familientag Sommer in der HafenCity Hamburg, Handelskammer Hamburg

WWW.HAMBURG.DE/FAMILIENTAG http://bit.ly/2sLz78Z

www.kinderundjugendkultur.info24