pen Zeitschrift für Germanistik | Neue Folge XXX (2020), Peter Lang, Bern | H. 1, S. 50–70

Hans-Georg von Arburg Die Siedlung: Wohnen im Rückzugsgebiet des modernen Hauses

„Jede Gesellschaftsschicht hat den ihr zugeordneten Raum“.1 Das diagnostizierte Siegfried Kracauer am 17. Juni 1930 in der Frankfurter Zeitung in einem Feuilleton Über Arbeits- nachweise. Die Diagnose gilt nicht nur für die nüchternen Berliner Arbeitslosenämter, sie gilt speziell auch für die Siedlung: „Als charakteristischer Ort der kleinen, abhängigen Existenzen, die sich noch immer gern dem verschollenen Mittelstand zurechnen, bildet sich mehr und mehr die Siedlung heraus“, erklärt Kracauer.2 Hier sind jene Angestellten zu Hause, denen der ausgebildete Architekt und Soziologe seine Reportage aus dem neu- esten Deutschland gewidmet hatte.3 Kracauer wusste, dass „die paar dort verwohnbaren Kubikmeter“ dem „engen Lebensspielraum dieser Schicht“ entsprechen.4 Und es war ihm klar, dass dieser Lebens- und Spielraum „auch durchs Radio nicht erweitert“ wurde.5 Er lokalisiert die Siedlung daher nicht nur soziologisch als ein Réduit des modernen Wohnens, sondern identifiziert sie auch medienästhetisch als ein Residuum. Die Siedlung ist eine Schwundstufe jenes international style, den Architekturzeitschriften und Kulturmagazine in der Öffentlichkeit propagierten und dessen traumhafte Verwirklichung das Radio zu Hause evozierte.6 Damit bringt Kracauer das Wohnen in der Siedlung und ihr Verhältnis zum modernen Haus auf eine elementare Formel. Zum einen verspricht der massenhafte Erfolg des Siedelns nach dem Ersten Weltkrieg moderne Lösungen für die dramatische Wohnungsnot in der Weimarer Republik. Zum anderen brüten gerade in der massenmedialen Verbreitung der Siedlungsbewegung gesellschaftliche Regression und technologische Illusion. Siedeln meint beides: den programmatischen Aufbruch in die Moderne und ihre praktische Ernüchterung. Und damit stellt es nicht zuletzt eine Rückfallposition für alternative Formen des modernen Wohnens zwischen progressiven Gesellschaftsentwürfen und konservativen Ideologien dar. Gesiedelt wird in der Zwischenkriegszeit also in einem Rückzugsgebiet des modernen Hauses: hinter der militanten Front des avantgardistischen Neuen Bauens und in deren Deckung, wo Haustypen und Wohnformen mit sehr verschiedenen Modernitätsbezügen gedeihen können. Im Verhältnis zum modernen Haus im emphatischen Sinne der Architekturavantgarde und der mit ihr verbündeten Architekturgeschichtsschreibung sind die Siedlung und das Siedeln daher mehrdeutig und widersprüchlich. Um diese

1 Kracauer (2011, 249). 2 Kracauer (2011, 249). 3 Kracauer (2006). „Aus dem neuesten Deutschland“ lautet der Untertitel von Kracauers soziologischer Unter- suchung. 4 Kracauer (2011, 249). 5 Kracauer (2011, 249). 6 Vgl. Eberhard (2011, 98–107), am Beispiel der Siedlungen Ernst Mays im ‚Neuen Frankfurt‘ speziell Henderson (2013–221).

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Mehrfachcodierung einer modernen Wohnform geht es in diesem Beitrag. Das Terrain ist sowohl von der älteren Literaturgeschichte als auch von der neueren Literatur- und Kulturwissenschaft kaum beachtet worden. Interessiert hat allenfalls noch die Literatur im Geiste der völkischen oder nationalsozialistischen Siedlungsideologie.7 Der Bezug zur sogenannten historischen oder klassischen Moderne dagegen ist bislang unberücksichtigt geblieben. Das Profil dieser terra incognita zwischen Architekturpublizistik und literarischer Produktion zeichnet sich am deutlichsten in der Zwischenkriegszeit ab. Hier wird das Siedeln zu einem gesamtgesellschaftlichen (Diskurs-)Phänomen, und hier akzentuieren sich auch die für die anarchische Siedlungsbewegung von Anfang an typischen weltan- schaulichen und ästhetischen Verwerfungen. Gleichzeitig differenziert sich eine Spezial- literatur aus, die das Siedeln von der Fachpublizistik bis zum Feuilleton und von ganz links bis ganz rechts popularisiert. Das Gelände, das erschlossen wird, ist unübersichtlich und die Orientierung darin ei- nigermaßen schwierig. Was heißt überhaupt siedeln? Welche Bautypen und Wohnformen gehören dazu? Und welche quantitative und ideelle Bedeutung hat die Siedlungsbewegung für die moderne Architektur in der Weimarer Republik? Neben einigen Zahlen und Fak- ten kann hier eine kleine Rundschau über die weitläufige Siedlungsliteratur einen ersten Überblick verschaffen. Einen Einblick in diese Literatur und ihre Eigentümlichkeiten gewinnt man freilich erst am Material selbst. Der Überblick soll darum um drei Fallbei- spiele von Siedlungstexten aus der Architekturmoderne ergänzt werden. Adolf Loos, der Übervater dieser Moderne, geht mit seiner Arbeit für das Siedlungsamt im ,Roten Wien‘ auf Distanz sowohl zum sozialen Wohnungsbau in städtischen Großsiedlungen als auch zur bourgeoisen Variante in den Mustersiedlungen der Avantgarde. Hannes Meyer, der spätere Dessauer Bauhausdirektor, entwirft Anfang der 1920er Jahre eine konsumgenossenschaft- liche Siedlung im Stil der regionalen Moderne und stellt diese als politisches Avantgarde- theater aus. Und , der Berliner Spezialist für Großsiedlungen im Weltformat, positioniert sich in der kosmopolitischen Weißenhofsiedlung mit einem Arbeiterwohnhaus als Außenseiter und propagiert mit seinem eigenwilligen Wohnhaus ein neues Leben zwischen geometrischen Kubaturen und Komposthaufen. Alle diese Autoren reagieren idiosynkratisch auf den Kollektivtraum vom neuen Leben im modernen Haus, und auch die ästhetische Faktur ihrer Siedlungstexte ist individuell verschieden. Ihre Visionen sind jedoch gleichermaßen radikal. Und alle beflügelt dieselbe missionarische Überzeugung: Sie haben eine Aufgabe zu erfüllen. Diese Aufgabe bringt der Antikriegsromancier Edlef Köppen 1934 in seinem humoristischen Siedlungstagebuch Vier Mauern und ein Dach auf den Punkt: „Jawohl, siedeln ist eine Aufgabe. Ist ein Dienst, nicht nur an mir und meiner Familie. Nein, ist ein Dienst an allen. Siedeln schafft Arbeit, Brot. Siedeln schafft Verbundenheit.“8 Oder wie Leberecht Migge, der Hohepriester der modernen Siedlungs- bewegung, in seinem „Evangelium des Gartens“ predigt: Siedeln „ist Kult. Echtes Siedeln ist immer mit Glauben verbunden.“9

7 Vgl. Linse (1990), Hermand (2000). 8 Köppen (1934, 8). 9 Migge (1926, 195).

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I. Überblick: Die Siedlungsbewegung in der Weimarer Republik und die moderne Architek- tur. Aber was heißt ‚siedeln‘ überhaupt, und was ist eine ‚Siedlung‘ im Sinne der histori- schen Akteure? Wasmuths Lexikon der Baukunst, das deutschsprachige Standardwerk zur Architektur des frühen 20. Jahrhunderts, definiert es 1932 wie folgt:

Siedlung bezeichnet im Sinne von Ansiedlung allgemein die Seßhaftwerdung von Menschen auf Grund und Boden. Siedlung bedeutet also zunächst die Schaffung ortsfester Wohnstätten; ist auch die wirtschaftliche Existenz an den Ort der Siedlung gebunden, so entsteht im Gegensatz zur bloßen Wohnsiedlung die Wirtschaftssiedlung. Hauptbeispiel der letztgenannten Siedlungsart (Wirtschaftsheimstätten) ist die ländliche Siedlung, zu deren ursprünglichsten Formen das Bau- ernhaus gehört; andere Beispiele sind Bergwerkssiedlungen, Fabriksiedlungen u. dgl. Eigentliche Wohnsiedlungen sind dagegen im wesentlichen neuzeitliche städtische Siedlungen, namentlich bei Trennung städtischer Wohnviertel von der City, den Industrievierteln usw. […] Träger des Bauver- fahrens waren in den Städten gemeinnützige Gesellschaften, die vom Jahre 1924 ab, veranlaßt von der leichteren Finanzierungsmöglichkeit des Mietshauses, den Flachbau zugunsten des drei- und vier- geschossigen Hauses zurücktreten ließen, und nun die Bezeichnung „Siedlung“ auf diese städtischen „Wohnblöcke“ übertrugen, ja sogar die Bezeichnung „Großsiedlung“ schufen.10

Demzufolge ist eine Siedlung und meint siedeln je nach der historischen und gesellschaft- lichen Situation wieder etwas ganz Anderes. Der Siedlungspionier Hans Kampffmeyer fasst dieses weite Bedeutungsspektrum in seiner Programmschrift Siedlung und Kleingarten von 1926 so zusammen:

Siedeln heißt, Menschen mit dem Boden in dauernden Zusammenhang zu bringen, sie in Wohnstätten seßhaft zu machen. Bei der dichten Bevölkerung unserer Kulturländer erfolgt das Siedeln zumeist in Gruppen. So entstehen städtische und ländliche Siedlungen.11

Entscheidend beim Siedeln und bei der Siedlung sind die Erschließung von Neuland und ein damit verbundener zivilisatorischer Pioniergeist, der Bezug zum eigenen, oft gemein- schaftlich genutzten Boden mit dem idealen Ziel einer Subsistenzökonomie („Wirtschafts- siedlung“) sowie die Randlage bei bestehenden Wohngebieten und daher auch der Austausch zwischen städtischen und ländlichen Zonen. Und gesiedelt wird immer kollektiv, kommunal geordnet oder genossenschaftlich organisiert. Ein Siedler ist also nie allein, auch wenn er seine Parzelle auf dem Siedlungsgelände individuell ersteht und bebaut. Diese allgemeine Phänomenologie erfährt in der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik eine historische Verschiebung. Sie verändert das Verständnis vom Siedeln von Grund auf. Was ursprünglich kolonisatorische Landnahme bezeichnete, wird nun zu einem urbanen oder periurbanen Phänomen. Wasmuths Lexikon der Baukunst lokalisiert daher die „eigentlichen Wohnsiedlungen“ an der Peripherie der Großstädte. Ende der 1920er sind diese städtischen Großsiedlungen zum zeitdiagnostischen Massenphänomen gewor- den. 1928 konstatiert eine Bestandsaufnahme des Reichsarbeitsministeriums über den Deutschen Wohnungsbau: „Begriffe wie Wohnungsnot, Siedlung und Städtebau haben in

10 Wasmuths Lexikon der Baukunst Bd. 4 (1932, 374 f.). 11 Kampffmeyer (1926, 11).

Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang Hans-Georg von Arburg: Die Siedlung | 53 unserem öffentlichen Leben eine Bedeutung gewonnen wie nie zuvor.“12 Siedeln ist in der Weimarer Republik also in aller Munde. Und es ist dort in ein epochentypisches Junktim eingespannt: zwischen die Wohnungsnot als seine materielle Basis und die Stadtplanung als sein gouvernementales Dach. Wie kommt es dazu? Historisch gesehen geht die moderne Siedlungsbewegung auf frühe Werksiedlungen im 19. Jahrhundert zurück. Diese entstanden in Deutschland seit den 1840er Jahren und sollten der Arbeiterschaft einen möglichst ,gesunden‘ (sprich: regenerativen) und ,gut gelegenen‘ (sprich: werknahen) Wohnraum bieten.13 Allerdings wurden diese Fabrik- siedlungen von vielen Wohnreformern wegen ihrer kapitalistischen Motive heftig kritisiert. Als moderne Antwort auf die dringende Wohnungsfrage gewannen Siedlungsprojekte erst durch die Wohnungsbaupolitik der um die Jahrhundertwende gegründeten gemeinnützigen Baugenossenschaften an Akzeptanz. Modellhaft wirkten hier die aus England importierten Gartenstädte, allen voran die ab 1906 gebaute genossenschaftliche Gartenstadt in Hellerau bei Dresden.14 Als lebensreformerisches Gesamtkunstwerk mit Typenhäusern von führenden Architekten wie Theodor Fischer, Hermann Muthesius, Fritz Schumacher oder Richard Riemerschmid, einem von Heinrich Tessenow entworfenen funktionalen Festspielhaus für die rhythmische Gymnastik von Émile Jacques-Dalcroze und eigenen Deutschen Werkstätten für moderne Typenmöbel wurde Hellerau zum Flaggschiff des 1907 gegründeten Deutschen Werkbundes.15 Die anarchische Variante davon sind die auf den volksgesundheitlichen Re- formideen Moritz Schrebers aufbauenden Kleingartenkolonien.16 In der Pionierphase bis zum Ersten Weltkrieg blieben diese Siedlungsinitiativen jedoch vereinzelt. Beflügelt von einem zivilisations- und gesellschaftskritischen Geist zielten sie auf eine gegenurbane Lebens- und antikapitalistische Bodenreform. Viele waren kulturkonservativ bis völkisch inspiriert wie die Vegetarische Obstbau-Kolonie Eden bei Oranienburg in der Nähe von , die ‚rassisch‘ inspirierte ‚vegetarianische‘ Kolonie von Emil Strauß und Emil Gött auf der Rheinburg am Bodensee oder ein ganzes Netzwerk von Siedlungsexperimenten zwischen Naturmystik, Jugendbewegung und arischer ‚Aufartung‘ im Dunstkreis von Hugo Höppener alias Fidus.17 Es gab aber auch die kommunistisch-anarchistischen Siedlungspläne von Gustav Landauers Sozialistischem Bund und die modernistischen Künstlerkolonien in Worpswede oder auf dem Monte Verità in Ascona.18 Und es gab last not least die proto-ökologischen Selbstversorger- und Kompostvisionen des Garten- und Landschaftsarchitekten Leberecht Migge.19 Als allgemeiner Trend mit gesellschaftlicher Breitenwirkung konnte sich die Siedlungs- bewegung allerdings erst in den frühen 1920er Jahren etablieren. Unter dem Druck der Inflation zogen die Menschen in Deutschland und Österreich in Massen vor die ruinier- ten Städte, um sich in Wohnlauben und Schrebergartenkolonien einzurichten.20 Darauf

12 Deutscher Wohnungsbau (1928, 11). 13 Vgl. Reulecke (Hrsg.) (1997, 561–587). 14 Vgl. Reulecke (Hrsg.) (1997, 587–601), Hartmann (1976, 46–101). 15 Schwartz (1996, 75–145). 16 Vgl. Kampffmeyer (1926, 1–10). 17 Vgl. Kerbs, Reulecke (Hrsg.) (1998, 227–244), Frecot, Geist, Kerbs (1997, 36–46), Linse (1990). 18 Vgl. Knüppel (2006), Aschenbeck (2016), Szeemann (Hrsg.) (1980, 26–37, 55–64, 85–98). 19 Vgl. Uhlig (1981), Haney (2010, 86–154), Gadient, von Schwerin, Orga (2019, 192–225). 20 Vgl. Kähler (Hrsg.) (1996, 305–326, 394–398), Linse (1986, 72–94), Zimmerl (2002).

Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) 54 | Hans-Georg von Arburg: Die Siedlung reagierte das Reichssiedlungsgesetz von 1919, welches das wilde Siedeln regulierte und nach dem Vorbild der preußischen Landeskulturämter zentral organisierte.21 Im Brennpunkt der Siedlungsdebatte stand fortan der kommunale Siedlungsbau in den Großstädten.22 In Frankfurt am Main entstanden zwischen 1925 und 1930 über 15.000 neue Wohnungen für 50.000 Menschen in Großsiedlungen am Stadtrand.23 In Berlin waren es im gleichen Zeitraum fast doppelt so viele.24 Das Siedeln im XL-Format machte den beispiellosen Neu- wohnungsbau in der späteren Weimarer Republik überhaupt erst möglich. Und nicht nur die städtischen Hochbauämter demonstrierten ihren Leistungsausweis in programmatischen Zeitschriften wie Das Neue Frankfurt oder Das Neue Berlin.25 Auch übergeordnete Instan- zen wie das Reichsarbeitsministerium oder der deutsche Städtebund stellten die moderne Siedlungspolitik in Wort, Zahl und Bild publikumswirksam aus.26 Diese Public Relations hatte das kommunale Siedeln aber auch dringend nötig. Denn die Siedlungspolitik im wilhelminischen Reich hatte die Mieter „staatsfeindlich gemacht“.27 Es brauchte daher bei den Adressaten dieser offiziellen Bilanzen schon „ein wenig Liebe, ein bißchen verständnisvolles Eingehen auf das Gezeigte und eine gewisse soziale Einstellung“, damit sich ihnen das „beseligende[] Gefühl auftun“ konnte: „Unter dem Druck der Woh- nungsnot ist in Deutschland ein neues Wohnen entstanden.“28 Die Propaganda für dieses neue Wohnen in den modernen Siedlungen wurde darum auch auf anderen Kanälen gefördert, vorzugsweise in großen Publikumsausstellungen.29 Ein internationales Echo löste 1927 die Werkbundausstellung Die Wohnung in Stuttgart mit der avantgardistischen Mustersied- lung Weißenhof aus. Hier leistete der Werkbund für das moderne Siedeln eine beispiellose Öffentlichkeitsarbeit.30 Aber die Ausstellungspublicity für die Weißenhofsiedlung ist nur die Spitze des Eisberges. Nach dem Krieg überschwemmte eine Flut von Siedlungsratgebern den Markt. Alle bedienten das Medium: der Heimatschützer Paul Schultze-Naumburg ebenso wie der Modernisierer Wilhelm Lotz, der Landhausreformer Hermann Muthesius wie der Industriedesigner Peter Behrens, der frühe Gartenstadtpionier Heinrich Tessenow wie der spätere Siedlungstechnokrat Leberecht Migge. Und allein die Titel sprechen Bände: Vom sparsamen Bauen: Ein Beitrag zur Siedlungsfrage; Jedermann Selbstversorger! Eine Lösung der Siedlungsfrage durch neuen Gartenbau; Hausbau und dergleichen; Das ABC des Bauens; Wie baue ich mein Haus?; Kleinhaus und Kleinsiedlung; Die wachsende Siedlung nach bio- logischen Gesetzen; Wohnlaube und Siedlerheim: Wie bau ich und was brauch ich?31 Da gab

21 Wasmuths Lexikon der Baukunst Bd. 4 (1932, 376 f.). 22 Vgl. Kähler (Hrsg.) (1996, 326–394). 23 Mohr, Müller (1984). 24 Vgl. Hüter (1988, 215–236). 25 Vgl. Hirdina (1984), Wagner (Hrsg.) (1988). 26 Vgl. Gut (1928), Deutscher Wohnungsbau (1928). 27 Gut (1928, 17). 28 Gut (1928, 17). 29 Vgl. Cramer, Gutschow (1984, 37–63). 30 Vgl. Pommer, Otto (1991, 131–144). 31 Vgl. Schultze-Naumburg (1927), Lotz (1932), Muthesius (1917), Muthesius (1918), Behrens, de Fries (1918), Tessenow (1920), Migge (1919).

Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang Hans-Georg von Arburg: Die Siedlung | 55 es Hilfreiches und Handfestes für jeden Geschmack. Siedeln wurde Gegenstand einer breit nachgefragten und rasch ausdifferenzierten Spezialliteratur.

II.1. Erstes Fallbeispiel: Adolf Loos und das Wiener Siedlungsamt. Zu den populären Sied- lungsautoren zwischen den Weltkriegen gehörte auch Adolf Loos. Das ist mindestens aus der Sicht der heroischen Selbsthistoriografie der Architekturmoderne überraschend.32 Denn Loos hatte bis zum Ersten Weltkrieg den Aristokraten unter den modernen Kultur- arbeitern vornehme Toleranz gegenüber den niederen Bedürfnissen der einfachen Leute gepredigt.33 Sein ästhetischer Elitarismus hatte den Architekturpublizisten berühmt ge- macht, von der provokativ betitelten Zeitschrift Das Andere. Ein Blatt zur Einfuehrung abendlaendischer Kultur in Oesterreich (1903) bis zu seinem skandalträchtigen Vortrag Or- nament und Verbrechen (1908). Als Innenausstatter wurde Loos durch das Design schicker Bars und durch Interieurs für einen exklusiven Kreis kaufkräftiger Kunden zum Vorreiter der Architekturmoderne. Und mit seinem ‚Looshaus‘ am Wiener Michaelerplatz schuf er dank einer beispiellosen Kampagne gegen den banalen Publikumsgeschmack eine Ikone des modernen Hauses.34 Ab 1921 ergriff Loos dann aber ebenso vehement Partei für das proletarische Fußvolk und gegen das avantgardistische Establishment. Wie kam es dazu? Und warum ließ sich nach Loos die Moderne nun auf einmal am besten im Rückzugsgebi- et des Siedlungshauses bewohnen? Mit dem Zusammenbruch der Donaumonarchie im November 1918 ging in der Haupt- stadt des Kaiserreichs die Welt unter. Im Chaos der darauffolgenden Jahre war die Re- aktion auf die katastrophale Wohnungsnot hier besonders vehement. Auf dem Boden der seit 1916 angelegten Kriegsgemüsegärten schoss die Wiener Siedlungsbewegung ins Kraut. Der Gartenstadt- und Siedlungsspezialist Hans Kampffmeyer erklärt diese „Sturm- und Drangperiode“ damit, dass „in Österreich […] in den Jahren 1918 bis 1922 die wirtschaft- liche Not sehr viel rascher als in Deutschland“ gewachsen sei:

Als dann nach der Beendigung des Krieges die ungeheure Wohnungsnot entstand, da lag es für manchen Wohnungslosen nahe, die Wände [seines] Sommerhäuschens etwas fester und dichter auszubauen und auch den Winter in der Kleingartensiedlung zu verbringen. Ohne Zutun der Gemeinde, ja ohne Erlaubnis des Grundeigentümers und der Baupolizei sind durch die Selbst- hilfe der Kleingärtner Hunderte von Dauerwohnungen geschaffen worden. Darunter sind viele massiv ausgeführte Häuser; zumeist sind es jedoch Bretterhütten, die aus allem erdenklichen billigen Material zusammengezimmert sind. Es entstand die Gefahr, daß die unermüdliche Arbeit und das bescheidene Vermögen des Kleingärtners in schlecht vorbereiteten Bauvorhaben verloren gehe und daß die ungewöhnlich schöne, landschaftliche Umgebung von Wien durch diese wilde Bautätigkeit verunziert werde.35

Um die Verslumung des Roten Wien zu verhindern, gründete der Wiener Magistrat des- halb unter dem Druck von Massendemonstrationen mit hunderttausenden von Siedlern

32 Vgl. Lampugnani (2016, 220–250). 33 Vgl. Loos (1931, 81–94). 34 Vgl. Long (2011, 96–155). 35 Kampffmeyer (1926, unpag. Vorwort, 6), vgl. die materialreiche Dokumentation von Novy, Förster (1991).

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1920 das städtische Siedlungsamt.36 Diesem stand Kampffmeyer vor, und dafür arbeitete auch der Kulturmissionar Loos: zunächst als freischaffender Berater und ab 1921–1924 als angestellter Chefarchitekt, assistiert durch die junge Architektin Margarete Lihotzky, die später durch ihre ‚Frankfurter Küche‘ berühmt wurde.37 Auf dem Wiener Siedlungsamt engagierte sich Loos „teils im Dienste der Gemeinde, teils gegen diese“, wie sich sein erster Chef Max Ermers erinnert:

[Er] war wirklich der Diener der allerärmsten Siedler, die er durch Eigenheime entproletarisie- ren und zu Gentlemen erziehen wollte. Die Fülle seiner großen Entwürfe, Einzelbauten und Verbauungpläne […] wird noch Jahrzehnte hindurch Anregungen geben. Aber niemals hat eine bauende Bevölkerung einen wahreren, hilfreicheren und verständnisvolleren Freund gehabt. Innerer Reichtum, Erleichterung des Daseins, Wohligkeit des Wohnens, Sparsamkeit vor allem in allen Dingen, waren die Leitlinien seines Baudenkens. Er wird den Titel eines Bausozialisten ablehnen, aber er war es.38

Ermers’ Bilanz bringt den Widerstand auf den Punkt, gegen den der Geistesaristokrat Loos für die Volksgenossen anarbeitete und anschrieb. Tatsächlich hatte Widerstand den Kulturpropheten bei seinem Kampf für die moderne Kultur und das moderne Haus immer schon beflügelt. Nur hatte Loos diesen Kampf früher im Namen der Moderne geführt. Nun aber wendete er sich in einer Art Guerillakrieg gegen das triumphierende funktionalistische neue Bauen selbst. Und für eben dieses guerillamäßige Operieren im Rückzugsgebiet der Moderne bot sich das Siedlungs(reihen)haus an. 1924 begann das Massenmietshaus auch in Wien das Siedlungshaus als Modell aus der kommunalen Wohnbaupolitik zu verdrängen. Wie das sozialistische Frankfurt setzte nun auch das rote Wien auf kommunistische ‚Superblocks‘. Für Loos war das ein Graus.39 Ebenso kategorisch lehnte er allerdings auch die baukünstlerische Verbürgerlichung des Siedlungshauses ab, die in der Mustersiedlung des Deutschen Werkbundes in Stuttgart-Weißenhof auftrumpfte. „Ich weiß nicht“, beginnt Loos einen allgemeinbildenden Vortrag über Die moderne Siedlung von 1926,

ob das, worüber ich sprechen werde, sich ganz mit dem deckt, was sie unter einer siedlung verste- hen. Ich bin in Stuttgart durch eine siedlung geführt worden, die dem, was ich heute als siedlung erörtern werde, in nichts ähnelt. Was ich dort zu sehen bekommen habe, waren außerordentlich schöne bürgerhäuser. Was ich aber zu sagen habe, gilt der wohnung des arbeiters, der an die fabrik gebunden ist.40

Apodiktisch und mit einem Hang zum Skurrilen erklärt der Chefarchitekt des Wiener Siedlungsamtes darum das moderne Siedlungshaus zur Sache hochleistungsfähiger Schre- bergärtner.41 Seine Retorte ist der Kleingarten nach dem System gartenwirtschaftlicher

36 Vgl. Zimmerl (1998, 71–123), Wiehsmann (2002, 100–110). 37 Vgl. Rukschcio, Schachel (1982, 243–293). 38 Zit. nach Rukschcio, Schachel (1982, 259, 261). 39 Vgl. Rukschcio, Schachel (1982, 285). 40 Loos (1926/1931, 209). 41 Vgl. Loos (1926/1931, 209–215).

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Binnen-Kolonisation von Leberecht Öko-Migge.42 „Das Siedlerhaus hat vom garten aus entworfen zu werden, denn, vergessen wir es nicht: der garten ist das primäre, das haus das sekundäre“.43 Kein Wunder, dass Loos umgekehrt für Migge „wohl der klarste Baukenner unserer Tage“ ist.44 Denn bei keinem anderen Prediger unter den modernen Architekten „führt der Glaube“ für Migge so kompromisslos „zum Garten“ und „nährt der Garten“ so buchstäblich „den Glauben“.45 When modern was green, so bringt der Migge-Spezialist David Haney dieses epochale Joint Venture nachträglich auf den Punkt.46 Avantgardistische Wohnkisten und zukunftsträchtige Komposthaufen finden dabei einträchtig zusammen.47 Für Loos bekräftigt das freilich nur eine alte Allianz. Der Siedler als moderner „gentle- man rekrutiert sich aus dem bauernstand“, dem Loos immer schon mehr getraut hat als der akademischen Konkurrenz.48 Und deshalb muss sein Siedlungshaus aus „modernen gesichtspunkten heraus“ „vor allem anderen einen abort mit dungverwertung“ haben.49 Nur beim Düngen des geruchsempfindlichen Blumenkohls rät der Feinschmecker Loos zu Zurückhaltung in der Anwendung von Migges Fäkalienwirtschaft.50 Eine solche Ökonomie von Kopf, Herz und Bauch sabotiert die Idee der modernen Wohn- maschine und verabsolutiert gleichzeitig andere modernistische Phantasmen.51 So wird im oberen Stock von Loos’ Siedlungshaus überhaupt nicht mehr gewohnt, sondern nur noch geschlafen, in kleinen Kojen mit mobilen Wänden wie in Hotelzimmern.52 Ob dieses Haus aber ein Badezimmer hat, ist nur ein Detail – das Baden kann schließlich auch „in der spüle bewerkstelligt werden“.53 Und ob ein Siedlungshaus ein flaches oder geneigtes Dach haben soll, diese moderne Gretchenfrage wird mit dem Hinweis vertagt, „der dachwinkel“ könne eben nur fallweise „nach dem material der bedachung ermittelt“ werden.54 Entscheidender ist für Loos die Frage: „Wo soll der bauer seinen apfelwein unterbringen?“55 – Gemessen an der Agenda des Neuen Bauens in den 1920er Jahren ist dieser grass roots modernism absolut idiosynkratisch.56 Von Loos’ provokativen Frühschriften her gelesen ist das Durcheinan- der von modernen und anti-modernen Klischees jedoch nur konsequent. Zur – von Loos polemisch postulierten – Einführung der abendländischen Kultur in Österreich sollte der urbane Aristokrat einst in ornamentlosen Handwerkskisten amerikanische egg-plants und englisches Roastbeef essen.57 Jetzt reicht die Mutter in der Wohnküche des Siedlungshauses

42 Vgl. Loos (1926/1931, 216, 234 f.). 43 Loos (1926/1931, 219). 44 Migge (1926, 55). 45 Migge (1926, 195). 46 Vgl. Haney (2010). 47 Vgl. Migge (1926, 46–86). 48 Loos (1926/1931, 210), vgl. auch Loos (1909/1931, 95 f.). 49 Loos (1926/1931, 219). 50 Loos (1926/1931, 220, 222). 51 Vgl. Roth (1995, 191–197), Eberhard (2011). 52 Vgl. Loos (1926/1931, 226–228). 53 Loos (1926/1931, 230). 54 Loos (1926/1931, 231). 55 Loos (1926/1931, 234). 56 Vgl. Hochhäusl (2014). 57 Vgl. Loos (1903), Loos (1908/1931, 85).

Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) 58 | Hans-Georg von Arburg: Die Siedlung amerikanisches oatmeal.58 Am Beispiel des Amerikaners mit seinen „modernen nerven“ soll der Österreicher auch jetzt Wohnen lernen! Denn das ist für Loos die Aufgabe des Siedlers, nicht mehr und nicht weniger: „Wer siedeln will, muß umlernen. Das städtische zinshaus- wohnen müssen wir vergessen. Wenn wir aufs land wollen, müssen wir beim bauern in die schule gehen und sehen, wie ers macht. Wir müssen wohnen lernen.“59

II.2. Zweites Fallbeispiel: Hannes Meyer und die Siedlungsgenossenschaft „Freidorf“. Wie der Altmeister Loos verfolgte auch der junge Schweizer Architekt Hannes Meyer eine ähnlich radikale Pädagogik bei seinem Engagement für die Siedlungsbewegung. Nur verstand der spätere Funktionalist und Dessauer Bauhausdirektor Meyer seine Mission, anders als Loos, dezidiert parteipolitisch. Seinen ‚Sitz im Leben‘ hatte Meyers modernes Siedlungshaus in einem genossenschaftlichen Kollektiv sozialistischer bis kommunisti- scher Observanz. Der gelernte Maurer und Steinmetz war seit seinen Lehrjahren in der Schweizer Genossenschafts- und Freilandbewegung sowie in der Deutschen Bodenre- formbewegung aktiv. Während seiner Wanderjahre durch verschiedene Architekturbüros in Berlin, München und Essen hatte er u. a. für Krupp Pläne zu einer Werksiedlung mit 1.400 Wohnungen entworfen.60 Nach seiner Rückkehr in die Schweiz wurde Meyer dann im Frühjahr 1919 von der Schweizerischen Gesellschaft für Ansiedelung auf dem Lande mit dem Bau der „Siedelungsgenossenschaft Freidorf“ in Muttenz bei Basel beauftragt.61 Die 150 Familien dieser „volksgenossenschaftlichen Lebensgemeinschaft“ sollten möglichst autark wohnen, konsumieren und sich erholen können.62 Dafür schlug Meyer einen archi- tektonischen Bienenstock im Stile der regionalen Moderne vor, der die Gartenstadtidee der Jahrhundertwende mit der Großsiedlungsplanung der 1920er Jahre vermitteln sollte.63 Dieses von Meyer bis ins Detail geplante „Freidorf“ begleitete der Architekt von den ersten Planskizzen bis weit über die Fertigstellung der Siedlung im Jahre 1923 hinaus mit publizistischen Statements in verschiedenen Formaten und mit variabler Rhetorik. Dabei objektiviert sich nicht nur die Sicht auf diese Wohnutopie, es radikalisiert sich auch ihre sprachliche Vermittlung. 1921 führt Meyer den Leser in einer Werbebroschüre noch zu Fuß in die „Wohnzellengruppen der Siedlung“ und lässt ihn dort in einer merkwürdigen und doch vertrauten Architekturlandschaft stehen:

Verdutzt und ratlos steht der Fremde mitunter beim erstmaligen Besuch im Freidorf: Er erwartet eine romantisch-idyllische Dorfanlage, und er findet ein Gebilde, halb Kloster und Anstalt, halb Gartenstadt und Juranest.64

58 Loos (1921/1931). 59 Loos (1921/1931, 193). 60 Vgl. Kieren (1990, 20–30). 61 Kieren (1990, 34). 62 Kieren (1990, 37). 63 Kieren (1990, 39). 64 Zit. nach Kieren (1990, 39).

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1925 pilotiert Meyer seinen Leser dann – in einem von der Schweizer Werkbund-Zeitschrift Das Werk publizierten Artikel – in ein utopisches Zielgebiet zwischen den harten Fronten eines tobenden Häuserkampfs:

Seit 1920 bietet im Osten von Basel die Siedelung Freidorf dem Flieger wie dem Volksfreund ein gleicherweise rosig schimmerndes Peilziel. Dem Erdkundigen ein neuer Ort auf der Sieg- friedkarte, dem Bourgeois rotes Nest, dem Sovjetstern nicht rot genug, dem Aestheten Kaserne, dem Gläubigen Stätte der Religionslosigkeit, dem Eigenbrödler Zwangserziehungsanstalt, dem Privathändler Todschlagsversuch an seiner Wirtschaftsform, und dem Genossenschafter die erste schweizerische Vollgenossenschaft und eine cooperative Rarität Europas: Das ist die Siedelungs- genossenschaft Freidorf.65

Mitten in der angeheizten Debatte um Neues Bauen und Neues Wohnen verortet sich der ‚rote Meyer‘ hier zwischen den Fronten. Und auch sprachlich hält dieser Siedlungstext eine Mittellage. Die Idee zur Siedlung wächst am Anfang noch neuromantisch auf der grünen Wiese: „Maifreudig woben Durlips und Ackersenf am Ankaufstage einen grünen Plan über das Siedelungsgebiet zwischen autostaubiger Landstrasse und wiesenstillem Feldweg“.66 Das Siedeln im Freidorf selbst wird dann aber neusachlich auf Kurs gebracht:

Hier ist alles Co-op. Co-op heisst Cooperation. Cooperation heisst Genossenschaft. Co-op die Menschen und alle Nahrung und Satzung und Kleidung und Zeitung. Co-op aller Bedarf und Herbstobst und Kraftfutter und Brennstoff und Volksschuh. Co-op alle Behausung und Schenke und Schule und Tanzsaal und Kaufladen. Co-op alle Einrichtung und Versicherung und Volks- chor und Scheidemünze und Bankscheck. Co-op die Bücherstube, die Bücher darin, deren Inhalt, dessen Geist… und so ist diese Siedelung ein Stein und Raum gewordenes Prinzip, allseitig und allerorts unendlich angewendet, mathematische Formel, etwa (CO-OP)3 ∽.67

Co-op! Unter diesem Label läuft Meyers Listenpoetik auf einen Kollektivsingular hinaus: das Siedlungshaus als Bienenstock. Denn die „620 Menschen“ im „bienenwabenähnlichen Zellenbau“ des Freidorf bewohnten eigentlich nur „ein gemeinsames Haus auf gemeinsa- mer Erde“.68 Dabei stimmt Meyers Co-op-Rap vom globalen Siedlungshaus bereits jenen kollektivistischen Ton an, in dem der moderne Siedlungspionier drei Jahre später mit der avanciertesten Agrotechnik die ganze Neue Welt besiedeln will:

die gartenfräse des ingenieurs k. von meyenburg und der traktor von fordson verlegen die schwer- punkte der siedelungsbestrebungen, und sie fördern durch krümelstruktur der ackererde die landwirtschaftliche intensiv-bodenkultur. die rechenmaschine befreit unser gehirn, der parlograf unsere schreibhand, handley-page unsern erdgebundenen geist, daimler den ortsgebundenen sinn! […] unsere wohnung wird mobiler denn je und ist abklatsch unsrer beweglichkeit: sleeping-car / massen-miethaus / wohn-jacht / und das „internationale hotel“ der alpen, der riviera, der oase biskra…, sie untergraben alle den herkömmlichen begriff der „heimat“. das vaterland verfällt! wir lernen esperanto! wir werden weltbürger!69

65 Meyer (1925, 40). 66 Meyer (1925, 41 f.). 67 Meyer (1925, 42). 68 Meyer (1925, 42, 49). 69 Meyer (1928, 15).

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Das skandiert Meyer 1928 in der Paradeuniform der Neuen Typografie in seinem reformu- lierten und noch einmal radikalisierten Manifest die neue welt.70 Es evoziert sein legendäres Co-op-Interieur, das dem Bürgertraum vom Wohnen ins Gesicht schlägt: ein Bett, ein Tisch mit einem Grammofon, zwei Klappstühle, ein Regal mit Gläsern, das ist alles.71 Als modulare Zelle eines Siedlungskollektivs entwirft Meyer sein Co-op-Zimmer aber auch programmatisch gegen die von der Architekturavantgarde für die moderne Kleinfamilie und den alleinstehenden urban single konzipierte Wohnung für das Existenzminimum.72 Diese radikale Wohnutopie eines eigentumslosen Zimmers mit einem eigenschaftslosen Bewohner fasziniert bis heute.73 Das Siedeln scheint damit am Nullpunkt der Moderne angelangt. Meyer selbst jedoch ist modernistischen Heilsversprechen gegenüber immer skeptisch geblieben. „[W]o bleibt die seele? wo bleibt das gemüt? wo bleibt die persönlichkeit???“, fragt er unter dem Strich seines Modernemanifests die neue welt. Die Frage ist rhetorisch gestellt, aber ironisch gemeint. Meyers Antwort lautet nämlich: „Der Traditionismus ist der Erbfeind, der Modernismus ist der falsche Freund.“74 Bis heute wird dem Funktionalisten Meyer ein blindes Vertrauen in diesen ‚falschen Freund‘ nachgesagt. Zu unrecht.75 Das Co-op-Zimmer ist zwar ganz großes Kino der Avantgarde. Aber es ist nicht das erste und nicht das letzte Wort, das Meyer zum neuen Wohnen in einer neuen Welt gesprochen hat. Vor allen Dingen aber ist dieses Zimmer Teil eines ästhetischen und gesellschaftspolitischen Projekts. Und das wird angesichts seiner ikonischen Radikalität nur allzu leicht vergessen. Meyer entwickelte dieses Projekt zuerst auf einer mobilen Theaterbühne, zusammen mit dem Genfer Schauspieler-Ehepaar Jean und Iris Bard. Im Herbst 1924 bringt er seine Idee vom genossenschaftlichen Siedeln unter dem Titel Das Theater Co-op als pantomimische Performance unters Volk.76 Die Spielorte von Meyers Co-op-Theater sind so international wie provinziell. Das Stück wird zunächst auf der Internationalen Ausstellung des Genos- senschaftswesens und der sozialen Wohlfahrtspflege im belgischen Gent gezeigt. Mit fast 100 Aufführungen werden dort in einem für den Verband Schweizerischer Konsumvereine eingerichteten Schauraum zwischen Tafelbildern und Glasvitrinen insgesamt 15 000 Zu- schauer erreicht.77 Danach folgen drei Aufführungen im Genossenschaftshaus Freidorf für eine Handvoll Bewohner und Sympathisanten aus der Umgebung.78 Angesprochen sind schlechterdings alle, Arbeiter wie Analphabeten, Waisen, Schüler und Internationale.79 Deshalb richtet sich Meyers gestisches Siedlungstheater auch „vornehmlich an das Gefühl,

70 Die erste Fassung des Artikels Die Neue Welt war 1926 ebenfalls im Werk erschienen und folgt noch der gemäßigten Groß- und Kleinschreibung. Vgl. Meyer (1926). 71 Meyers Co-op Interieur ist einzig in einer auf der Rückseite beschrifteten Fotografie überliefert. Sie wurde erst- mals 1926 in Meyers Werk-Artikel Die Neue Welt in einem reduzierten Ausschnitt (mit nur einem an der Wand hängenden Klappstuhl und ohne das Bücherregal) unter dem lakonischen Titel Die Wohnung publiziert. Vgl. Meyer (1926, 219). 72 Franklin, Aureli, Antonas (Hrsg.) (2015, 7–13). 73 Vgl. Hays (1992, 55–81), Franklin, Aureli, Antonas (Hrsg.) (2015). 74 Meyer (1928, 20). 75 Vgl. z. B. Heynen (1991, 86–88). 76 Vgl. Winkler (1989, 46–55). 77 Meyer (1924, 329). 78 Meyer (1924/1990), recto. 79 Meyer (1924, 329).

Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang Hans-Georg von Arburg: Die Siedlung | 61 nicht an das Gehirn, an das Herz, nicht an den Bildungsgrad“.80 Der Phonograph produ- ziert dazu ein „zeitgenössische[s] Tohuwabohu[] von Jazzband, Peer Gynt, Jodler, Choral, Militärmarsch, Gounod, Schweizerlied, Pariser Tingeltangelschlager und Dalcroze-Rei- gen“.81 Und durch das „Zusammenspiel menschengroßer Puppen mit dem schauspielen- den Menschen“ wird die anti-naturalistische Ästhetik gezielt mit romantischen Klischees versetzt. So werden typische Szenen aus dem schweizerischen Genossenschaftsleben mehr durcheinandergeschüttelt als aneinandergereiht. Der pantomimische Traum einer Arbei- terfamilie von der wahren Genossenschaft verwandelt sich in den projizierten Bilderbogen der Siedlung Freidorf und weiter ins Gebärdenspiel vom fairen Handel in der Freidorfer Produktions- und Konsumgenossenschaft:

Eine Schweizerlandschaft! Davor eine Verbottafel. Davor eine Sitzbank. – Eine Hausfrau. Sie strickt. Sie wird romantisch. Der Mond geht auf. – Ein Bauer. Er schneuzt. Er spuckt. Ein Licht geht ihm auf. – Zwei Menschen unter gegenseitiger Anziehung. Eine Drahtseilbahn. Zwei Kinder. Liebessehnsuchtstränenstimmung… Plumps! Der Spekulant. Plumps! Der Migroshändler. Plumps! Die Krämersfrau. Plumps! Der Musterreisende. Schreckhafte Ernüchterung des Bauern und der Hausfrau. – Er bietet ihr eine Rübe. Sie bietet ihm ein Fünffrankenstück. Nie erhielt er so viel. Nie zahlte sie weniger. Die Viere lebten auf Beider Kosten. Zwischenhandel! Die Viere tanzen. Die Beiden verjagen sie. Die Viere verduften im All. Die Beiden umhalsen sich. Der Engel Co-op: Bauer + Hausfrau = Ewige Treue! Am Phonograph: Le ranz des vaches. – Echojodel. – Entlibucher Kuhreigen. – Yes, we have no bananas. – Credo du paysan.82

1927 radikalisierte Meyer als designierter Direktor des Dessauer Bauhauses dieses „zeit- genössische[] durcheinander[]“ in der hauseigenen Zeitschrift „zur synthese des absoluten propagandatheaters“.83 In der Übergangsphase vom Siedlungsaktivisten zum Bauhausdirektor klang das alles noch viel unsicherer. „Ist das „Reklame? Propaganda?? Nein, Volkserziehung, genossenschaftliche und künstlerische!“ Diese Erklärung drückte Meyer 1924 dem Besucher seines Co-op-Theaters mit dem Programmheft in die Hand. Ob unter den Giebeldächern einer landschaftlichen Moderne gesiedelt wird oder im Design eines international style, war hier noch nicht entschieden. Wichtiger war das menschliche und politische Bekenntnis zum „Signalrot“ als materieller und symbolischer Farbe. Dieses Bekenntnis zum kollektiven Besiedeln der modernen Welt färbte den Zuschauerraum von Meyers Theater Co-op genauso ein wie die Häuser seiner Freidorf-Siedlung. Denn „Signalrot signalisierte allüberall Wärme“.84 Meyer blieb dieser Farbe auch später treu, als Bauhaus- direktor in Dessau und kommunistischer Hochschullehrer in Moskau und Mexiko. Anders als viele seiner vom Faschismus vertriebenen oder verführten Kollegen begann Meyer keine Villen und Hauptsitze für das internationale Kapital zu bauen, sondern hielt an der Siedlung

80 Meyer (1924/1990), recto. 81 Meyer (1924, 331). 82 Meyer (1924/1990), verso (Szene 6). 83 Meyer (1927, 5). 84 Meyer (1924, 329). Auch dieses Bekenntnis reduziert Meyer später in der überarbeiteten Version seines Artikels in der bauhaus-Zeitschrift auf das „propagandatheater co-op“: „signalrot signalisierte überall wärme und hetzte zur propaganda“. Vgl. Meyer (1927, 5).

Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) 62 | Hans-Georg von Arburg: Die Siedlung als elementarer Bauaufgabe für ein lokales Kollektiv fest. Nicht zuletzt deshalb wurde der als ‚schwierig‘ geltende Meyer aus der Heroengeschichte der Moderne verdrängt.85 Aus der Sicht der Siedlung und aus ihrem ambivalenten Verhältnis zum modernen Haus ist das nur konsequent. In einer Moderne, die ihren Bauprogrammen immer wieder die politische Überzeugung aufopferte, ließ sich zweifellos besser in Rückzugsgebieten siedeln.86

II.3. Drittes Fallbeispiel: Bruno Taut und die Siedlungspolitik des Neuen Bauens. Wie Han- nes Meyer war auch Bruno Taut unterwegs auf einer sozialistisch-anarchistischen Mission für das Siedeln in der neuen Welt. Als Stadtbaurat von Magdeburg baute Taut die 1913 als Gartenstadtkolonie begonnene Siedlung „Reform“ zwischen 1921 und 1924 kontinuierlich aus. Das farbige Bauen, Tauts späteres Markenzeichen, kam hier erstmals programmatisch zum Einsatz. Standardisierte und normierte Häuserzeilen wurden dabei durch kontrast- reiche Farben in den Innen- und Außenräumen belebt.87 Dieses Prinzip verfolgte Taut von 1925 bis 1932 in Berlin im großen Stil weiter. Hier plante und baute Taut zusammen mit dem Berliner Stadtbaurat Martin Wagner und einigen gleichgesinnten Architekten und Stadtplanern über ein Dutzend Großsiedlungen für fast 100.000 Menschen.88 Allein das Frankfurter Siedlungsprogramm von Ernst May konnte da mithalten. Das spektakuläre Neue Bauen für die Massen sollte sich nach Taut freilich in ein humanes Bauen für die Gemeinschaft verwandeln. Eben diese magische Funktion hatte die belebende Farbe. Sie sollte die überdimensionierten Großsiedlungen erst lebensfähig machen.89 Denn Taut ging es nicht in erster Linie um Architektur. Er wollte mit ihr modernen Lebensraum gestalten.90 Dafür sollten Architektur und Lebenspraxis kooperieren und eine neue Wohn- kultur für den Menschen des Industriezeitalters herstellen. Die vehemente Medialisierung seiner Siedlungen spielte Taut auf dieser humanitären Mission in die Karten. So machte das Berliner Tageblatt Tauts Gartenvorstadt am Falkenberg in Berlin-Grünau mit dem Spitznamen „Kolonie Tuschkasten“ als eine solche farbige Lebenswelt populär. Gleichzeitig bewies die starke mediale Präsenz seines farbigen Bauens aber auch, dass die in der Fachwelt tobende Entscheidungsschlacht um Flach- und Giebeldächer bei der Durchsetzung des Neuen Bauens und Wohnens nur eine Kampfzone unter vielen darstellte.91 Und wenn der Volksmund und die Lokalpresse die Siedlung am U-Bahnhof Onkel Toms Hütte in Berlin- Zehlendorf despektierlich „Onkel Tauts Hütten“ nannten, dann klärte das nur darüber auf, für wen diese Häuser eigentlich gedacht waren – Friede den Hütten! Krieg den Palästen!92 Am heftigsten diskutiert und dadurch am populärsten wurde Tauts Hufeisensiedlung in in Berlin-Neukölln. In diesem gigantischen Großhausring fanden 2.000 Wohnungen Platz. Auch hier dampften im vitalen Zentrum mit seinen Blumen- und Gemüsegärten die

85 In der Gründungsurkunde dieser Geschichte, Sigfried Giedions Klassiker Space, Time and Architecture (1941), fällt der Name des Bauhausdirektors Meyer kein einziges Mal. Vgl. Giedion (1941/1949, 660 Index). 86 Vgl. dazu im Überblick Miller Lane (1968), Durth (1986). 87 Vgl. Junghanns (1983, 52–66), Nerdinger u. a. (Hrsg.) (2001, 114–136). 88 Vgl. Speidel (Hrsg.) (1995, 209–240), Nerdinger u. a. (Hrsg.) (2001, 137–155). 89 Taut (1928, 29). 90 Vgl. Hüter (1988, 193–214). 91 Speidel (Hrsg.) (1995, 117 f.), vgl. Taut (1936/1974, 761 f.). 92 Taut (1936/1974, 762).

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Komposthaufen von Leberecht Migge.93 Überhaupt bildete die Symbiose von Haus und Garten das Herzstück von Tauts Siedlungsarbeit. Und noch im Exil versuchte der von den Nazis als ‚Kulturbolschewist‘ vertriebene Taut von seinem Gartenhaus in Ortaköy aus Atatürks neue Türkei zu kultivieren.94 Wie Meyer mit genossenschaftlichen Bienenhäusern, so wollte Taut mit farbigen Gar- tenhäusern die ganze Welt besiedeln. Den literarischen Grundstein dazu legte die Zusam- menarbeit mit Paul Scheerbart. Dem Kultautor fantastischer Architekturtexte verdankte Taut nicht allein die Idee, die ganze Welt mit farbigen Glashäusern zu überbauen. Er schuf auf der Kölner Werkbund-Ausstellung von 1914 mit seinem Reklame-Pavillon für die Deutsche Glasindustrie, den er mit Scheerbarts visionären Sprüchen zur Glasarchitektur verzierte, auch den Zellkern für ihre materielle Verwirklichung.95 Das große Manifest dieses Weltsiedlungsplans ist Tauts Buch mit dem (sich selbst auflösenden) Titel Die Auflösung der Städte, oder: Die Welt eine gute Wohnung, oder auch: Der Weg zur Alpinen Architektur (1920). Hatte Meyer sich seine Siedlung Freidorf als ein einziges Haus vorgestellt, so imaginiert Taut in diesem expressionistischen Bilderbuch die ganze Erde als eine große Menschen- siedlung. Diese Vision formuliert er gleichzeitig in der Zeitschrift Die Volkswohnung so aus:

Wir wollen uns entschlossen das neue Angesicht der Erde vor Augen stellen: große Güter wie heute, genossenschaftlich und so bewirtschaftet, daß mehr Menschen als heute sie beackern und von ihnen leben. Alle […] Ländereien mit Kleingütern und Gärten bedeckt, dazwischen Wälder, Wiesen und Seen. Dann eingestreut weit ausgedehnte Siedlungen mit kleinen Häusern, mit Hütten und Gärten. […] Erheben wir uns im Ballon über die Erde, so sehen wir unter uns, wie Sandkörner hingestreut, die Häuser […]. Alles ist aufgelockert, die Menschen verstehen nun erst tief die notwendige Loslösung des architektonischen Kunstwerks, und dieses erblüht hier und da wie eine seltene kostbare Blume. Die Sterne am Himmel und die Sterne auf der Erde grüßen sich.96

Das „ist natürlich nur eine Utopie“, wie Taut auf dem Umschlag seines Manifests einräumt, „und eine kleine Unterhaltung, wenn auch mit ‚Beweisen‘ versehen im Litte- ratur-Anhang“.97 Und dieser Literaturanhang hat es in sich. Zu Tauts ‚Beweisen‘ gehören neben anarchistischen Siedlungstexten von Peter Kropotkin und Gustav Landauer auch Zitate aus der Weltliteratur von Tolstoi, Nietzsche, Hölderlin, Novalis oder Whitman. Man hat Tauts expressionistische Utopie einer Besiedelung des Planeten und seine neu- sachliche Konstruktion moderner Großsiedlungen immer wieder künstlich auseinander- dividiert. Aber Theorie und Praxis, Literatur und Architektur sind für den Siedlungsautor Taut nur zwei Seiten einer Medaille. Das lässt sich vom Kölner Glashaus von 1914 und den frühen expressionistischen Buchpublikationen über die publizistische Kampagne mit dem befreundeten Kunsthistoriker Adolf Behne für ein soziales Neues Bauen in der Weimarer Republik bis zur Monografie über die Houses and People of Japan (1936)

93 Vgl. Nerdinger u. a. (Hrsg.) (2001, 363 f.), Baumann (2002, 115). 94 Vgl. Volkmann (Red.) (1980, 144 f., Abb. 197.1–6). 95 Vgl. Thiekötter (Hrsg.) (1993), Innerhofer (2019, 89–126). 96 Zit. nach Speidel (Hrsg.) (1995, 152 f.). 97 Vgl. Taut (1920, vorderer Umschlag und Textanhang 1–82).

Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) 64 | Hans-Georg von Arburg: Die Siedlung lückenlos verfolgen. Die Literatur- und Medienästhetik, die das alles zusammenhält, wäre eine eigene Untersuchung wert.98 Soviel steht fest: Das gemeinschaftliche Siedeln in den sich auflösenden Städten ist Tauts persönlicher Beitrag zum Projekt Moderne. Auch dafür ist die Hufeisensiedlung das Musterbeispiel.99 Für seine Vision vom Siedeln im modernen Haus sind allerdings zwei kleinere Projekte noch aussagekräftiger: Tauts Arbeiterhaus in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung und sein eigenes Wohnhaus in Dahlewitz im Süden von Berlin. Hier zeigt sich noch deutlicher, wie Taut dieses Siedeln im Rückzugsgebiet der Moder- ne entwirft. Beide Siedlungshäuser wurden 1926 gebaut und beide Projekte 1927 in zwei programmatischen Monografien des Neuen Bauens publiziert. Auf der Stuttgarter Werkbund-Ausstellung, die den modernistischen international style lancierte,100 stellte der eigenwillige Taut einen farbig verputzen Ziegelbau in einen Haufen weißer Wohnkisten hinein. Im Schatten von J. J. P. Ouds kubistischen Reihenhäusern aus weiß getünchtem Beton und Mies van der Rohes scharf geschnittenem Wohnblock in moderner Skelettbau- weise nimmt sich Bruno Tauts Arbeiterwohnhaus mit seinem vorkragenden Dach und seinen Sprossenfenstern reichlich altväterisch aus. In der offiziellen Begleitpublikation zur Ausstellung, Bau und Wohnung, bezeichnet es Taut „seiner Programmfassung nach“ als den „Proletarier“ unter den Musterhäusern.101 Seine Ausführungen zum Projekt sind lapidar: Eine Familie mit vier Kindern soll darin wohnen können, sind nur drei Kinder da, gibt es noch Platz für ein Kindermädchen und bei zwei Kindern noch Raum für einen Gast. Im Serienbau kostet das Haus inklusive Haustechnik nicht mehr als 12.000 Mark. Das Raumprogramm koordiniert die elementaren Lebensvorgänge Kochen, Es- sen, Wohnen und Schlafen. Und die Thermos-Bauweise reguliert die jahreszeitlichen Klimaschwankungen. Das alles hat in Tauts Projektbeschreibung in Bau und Wohnung locker auf einer Seite Platz. Wesentlich ausführlicher sind die Zitate aus Tauts Architekturbüchern, die auf der folgenden Doppelseite ausgebreitet werden. Sie besagen, dass Taut den avantgardistischen Ikonoklasmus der Weißenhofarchitekten nur soweit mitmachen mochte, als dieser Stoff für das Siedeln als neue ästhetische Lebensform lieferte. Das rhetorische Zentralorgan dieses neuen Siedelns ist für Taut – einmal mehr – der von Migge her wohlbekannte Kompost- haufen.102 „Scherben bringen Glück“, zitiert Taut aus seinem eigenen Wohnungsratgeber Die neue Wohnung: Die Frau als Schöpferin (1924):

Hier werden vor allem zwei Begriffe zerschlagen: die Kunstindustrie und das Kunstgewerbe. Es bleibt das Saubere, Klare, was die Worte Industrie und Gewerbe ausdrücken, und die Kunst wird zur Selbstverständlichkeit, weil die gesamte Disposition der Wohnung dann eben künstlerisch sein soll.

98 Für die Kunst- und Architekturgeschichte ist das von Franziska Bollerey und Kristiana Hartmann längst ge- leistet worden. Vgl. Volkmann (1980, 15–85). 99 Barykina (2018). 100 Pommer, Otto (1991, 158–166). 101 (Hrsg.) (1927, 133). 102 Vgl. Migge (1919, 17–21).

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Und er präzisiert mit einer Stelle aus seiner Architekturmonografie Bauen (1927) über den Massenwohnungsbau in der Weimarer Republik:

Diese [ältere] Architektur und diese Kunst muß tatsächlich erst einmal sterben; alles, was diesem lebenden Leichnam zu seinem endgültigen Tode verhilft, ist nützlich. Seine Verwesungsstoffe bilden den Dünger für die neue Saat, damit sie möglichst gut aufgehen und Frucht bringen kann.

Zur Vererbungsfantasie umformuliert, wird diese Kompostierungsfantasie schließlich mit einem Zitat aus Tauts Hausbuch Ein Wohnhaus (1927) zum allgemeinen Lebensgesetz erhoben:

Strammforsche Urgesundheit mit stahlgehärtetem Griff am Motorhebel – wenn sie sich mit Nach- denken und Beschaulichkeit paaren könnte, so würde das ein herrliches Kind geben, vorausgesetzt, daß es beide Eigenschaften der Eltern erbt.103

Die organizistische und biologistische (bis sexistische) Sprach- und Bildpolitik in Bruno Tauts Siedlungstexten ist höchst problematisch. Auch da wäre endlich literaturwissenschaft- liche Aufklärungsarbeit zu leisten. Hier aber geht es erst einmal nur um ihre Produktivität für die Siedlung und das Siedeln als einem schwierigen Sprössling der Moderne. Und dafür gibt es kein besseres Beispiel als Tauts Buch über sein eigenes Wohnhaus in Berlin-Dahle- witz. Das meisterhafte Design von Johannes Molzahn im Stil der Neuen Typografie macht Ein Wohnhaus zu einer Zimelie moderner Architekturpublizistik.104 Betrachtet man das Buch allerdings als Tauts vielleicht persönlichstes Statement zum Siedeln, dann entdeckt man auch hinter diesem modernen Hausbuch den Hühnerhof und die Komposthaufen von Migges Selbstversorgern. Taut platziert sein Einfamilienhaus als stereometrisches Volumen mitten in eine ländliche Idylle: ein zweistöckiges Kreissegment von 90 Grad auf längsrechteckiger Parzelle, umzin- gelt von Äckern, Gärten und Giebeldächern. Dieselbe Dramaturgie zwischen Geometrie und Garten regiert auch sein Hausbuch. Dort beschreibt Taut sein bewohnbares ‚Torten- viertel‘ aus weiß und farbig verputzten Backsteinen und transluziden Glasbausteinen ganz im Sinn der internationalen Architekturavantgarde als „handlichen Nutzgegenstand“ und „saubere[s] Maschinenstück“.105 Wie die Hausdampfer der heroischen Moderne „schiebt [es] sich in das Wiesengebiet und seine frische Luft wie ein Schiff mit seinem Bug vor“.106 Und eine herausklappbare Farbtafel, die mit einem Farbencode im Fließtext korrespondiert, belebt dieses moderne Haus und lässt es beim Lesen tatsächlich zu einer kleinen imaginären Wohnmaschine werden.107

103 Deutscher Werkbund (Hrsg.) (1927, 134). 104 Jäger (1997, 56 f.). 105 Taut (1927, 20). 106 Taut (1927, 19), vgl. Kähler (1981, 72–74, 102–112). 107 Taut (1927, unpag. Anhang [120–121]). Die ausgeklügelte Lesemechanik ist im Neudruck durch die Reduktion der Farbtabelle auf einer normalen, nicht herausklappbaren Seite leider nicht mehr nachvollziehbar – trotz der vom Herausgeber Roland Jaeger im Nachwort gezogenen Verbindung von „Bau und Buch“! Vgl. Taut (1927/1995, 119–147 Nachwort, [148–149] Farbtabelle).

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Und doch bringt das alles offenbar noch nicht genug Leben ins moderne Siedlungs- haus. Damit das „Haustier Mensch“ in seinem Bau wirklich wohnen kann, braucht es die „Übereinstimmung von Mensch und Umwelt“.108 Das moderne Haus darf gemäß Taut daher auch „nicht als die bloße Gruppierung und Einrichtung von Räumen gezeigt wer- den, sondern muss als ein Gesamtkörper mit allen seinen inneren Funktionen und äußeren Ausstrahlungen, also als Wohnhaus unter Einbeziehung seiner Umgebung, des Gartens und der Landschaft“ erscheinen.109 Keine „vorgefaßte architektonische Schönheit als Selbst- zweck“, aber auch keine „Baukultur“, die sich einfach nur aus den „inneren Funktionen wie von selbst“ ergibt.110 Tauts Wohnhaus-Prototyp ist ein environmental system in einem ganz modernen Sinn. An seinen Rändern wuchern Wiesen und Gärten.111 Erst das selbstversor- gende Siedeln bringt dieses moderne Haus über die Phrase des form follows function hinaus und macht es zum Öko-Körper. Und deshalb brütet auch in diesem bunt schillernden und fantastisch duftenden Blumen- und Gewächshaus zuinnerst Migges „Gartendungsilo“.112

III. Schluss: Wie die Siedlung das moderne Haus überlebt. Bruno Tauts Buch Ein Wohn- haus ist wohl das avancierteste Manifest für ein als Siedlung konzipiertes modernes Haus aus den 1920er Jahren. Sein Text buchstabiert das spannungsvolle Konzept aus, die Typo- und Fotografie machen es augenfällig, und die farbige Klapptafel entfaltet es quasi mechanisch. Das Buch ist vielleicht aber auch die grundsätzlichste Antwort eines moder- nen Architekten auf die Gretchenfrage der historischen Moderne: „Was ist zeitgemäßes Leben?“ Leberecht Migge hatte diese Frage 1926 in seinem ‚grünen Manifest‘ gestellt und gemeint, dieses Leben könne „nur in einem Heim werden und gedeihen, das aus dem Leben selber entstand“.113 Für Migge hätte der Baumeister dieses Lebens gut und gerne Adolf Loos, Hannes Meyer oder Bruno Taut heißen können. Loos war für Migge „wohl der klarste Baukenner unserer Tage“, und die „Siedlung Stadtbaurat Bruno Taut, Dahle- witz“ hielt er für einen der bemerkenswertesten Versuche für „klimatisches Bauen“.114 Mit dieser ‚Siedlung‘ hatte Migge das moderne Haus schlechthin im Sinn. Von nichts ande- rem als von Tauts Dahlewitzer Wohnhaus aber ist hier die Rede. Wie in Tauts Berliner Großsiedlungen konnte auch in seiner „gute[n] Gartenwohnung“ das zeitgemäße Leben keimen, dem Migge auf der Spur war.115 Sein A und O ist das Siedeln. Zwischen ‚Bau- handwerk‘ und ‚Maschinenkultur‘ gedeiht es an der Peripherie, in einem Rückzugsgebiet der Moderne. Folgt man Migge und der mit ihm verbündeten alternativen Moderne, dann ist die eigentümliche ‚Technik‘ des Siedelns allerdings radikal ‚produktiv‘. Am Ende überwindet nämlich das Leben in der „siedlungsgerechte[n] Wohnung“ das moder- ne Haus mit seiner ‚profanen‘ Haustechnik, wenn Migge ein übermodernes Leben aus der neuen Welt herbeifantasiert:

108 Taut (1927, 3 –5). 109 Taut (1927, 13). 110 Taut (1927, 13). 111 Taut (1927, 7–10). 112 Taut (1927, 105). 113 Migge (1926, 53). 114 Migge (1926, 54 f.).

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Produktive Technik beim Wohnungsbau bedeutet aber nicht nur Schnelligkeit und Sicherung, sondern auch Beweglichkeit und Erleichterung. Der Amerikaner wirft sein Auto nach drei Jahren auf den Kompost und sein Bungalow nach zehn Jahren – so lebt er […] im ‚Biwak des Lebens‘ und bleibt geistig frisch: ein Kämpfer.116

Das ‚grüne Evangelium‘ des Siedelns predigt eine super-ökologische Zersetzung.117 Der moderne Mensch, seine Maschinen und schließlich auch seine Häuser werden recycelbar. In dieser radikalen Öko-Vision, die einem Science-Fiction-Roman das Wasser reichen kann, überlebt und überflügelt die Siedlung das moderne Haus, dessen rückständige Variante es im Grunde ist. Das konservative Siedeln wird zum progressiven booster für das orthodoxe moderne Wohnen in einer entspannteren Übermoderne. Diese verblüffende Schubkraft hat sich an den Siedlungstexten aus dem Rückzugsgebiet der Moderne im Einzelnen allent- halben gezeigt. Sie zeigt sich allerdings nur dann, wenn man diese Spezialliteratur als Texte mit ihren eigenen Rhetoriken und Bildlogiken ernst nimmt. Aus dem Wust regressiver Bau- formen und Wohnideen blitzt dann auf einmal etwas Fantastisches auf. Dass durch diese fantastische Zersetzung der Welt auch die Zersiedelung des Landes droht, wie heute im Schweizer Mittelland und in Mitteleuropa überhaupt, das steht auf einem anderen Blatt.118

Literaturverzeichnis

Aschenbeck, Nils (2016): Reformarchitektur. Die Konstituierung der Ästhetik der Moderne. Basel. Barykina, Natalia (2018, 471–488): „The Dissolution of the Cities“: The Horseshoe Settlement in Weimar Berlin. In: Urban History, 45. Jg., Nr. 3. Baumann, Martin (2002): Freiraumplanung in den Siedlungen der zwanziger Jahre am Beispiel der Planungen des Gartenarchitekten Leberecht Migge. Dresden. Behrens, Peter, Heinrich De Fries (1918): Vom sparsamen Bauen. Ein Beitrag zur Siedlungsfrage. Berlin. Cramer, Johannes, Niels Gutschow (1984): Bauausstellungen. Eine Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Stuttgart u. a. Eberhard, Katrin (2011): Maschinen zuhause. Die Technisierung des Wohnens in der Moderne. Zürich. Deutscher Werkbund (Hrsg.) (1927): Bau und Wohnung. Die Bauten der Weissenhofsiedlung in Stuttgart errichtet 1927 nach Vorschlägen des Deutschen Werkbundes im Auftrag der Stadt Stutt- gart und im Rahmen der Werkbundausstellung „Die Wohnung“. Stuttgart. Deutscher Wohnungsbau (1928): Überblick über Umfang, Praxis und Aufgaben der Wohnungs- bautätigkeit deutscher Großstädte. Erste Folge. Dresden. Durth, Werner (1986): Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900–1970. Braun- schweig. Wiesbaden. Franklin, Raquel, Pier Vittorio Aureli, Aristide Antonas (2015): Hannes Meyer. Co-op Interieur. Leipzig.

115 Vgl. Migge (1926, 55–61). 116 Migge (1926, 57). 117 Vgl. Migge (1926, 195–197). 118 Vgl. exemplarisch Benedikt Loderers Streitschrift zur (post-)modernen ,Hüslipest‘ in der Schweiz, Loderer (2015).

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Abstract Die Debatte um das Neue Bauen in den 1920er Jahren konstruiert auch eine neue Ikone: das moderne Haus. Gleichzeitig propagieren Verfechter einer allgemeinen Boden- und Lebensreform eine alternative Variante: die Siedlung. Siedeln wird zum Thema einer weit verbreiteten und ausdifferenzierten Spezial- literatur über das neue Wohnen. Die Beispiele von A. Loos, H. Meyer und B. Taut zeigen, wie eigenwillig und wie radikal die Visionen vom neuen Leben in diesem Rückzugsgebiet des modernen Hauses sind. The debate on New Building in the 1920’s also constructs a new idol: the modern house. At the same time, advocates of the land and life reform movement propagate the settlement as its alternative variant. Thus, settling and settlements become the subject of a very popular and differentiated special literature on new living. The examples of A. Loos, H. Meyer, and B. Taut show how idiosyncratic and how radical the visions of a new life in this retreat area of the modern house are. Keywords: Alternative Moderne, Architektur, Neues Wohnen, Sachliteratur, Siedlungsbewegung

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Hans-Georg von Arburg, Université de Lausanne, Section d’allemand, Anthropole 4066, CH–1015 Lausanne,

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