Nr. 138 März 2016 Erscheint 4 x jährlich

«Die Tragödie eines Volkes» EDITORIAL «Die Tragödie eines Volkes»

«Trotz Entscheid des Internationalen Gerichtshofes, trotz mehrfach wieder- holten UNO-Resolutionen haben Marokko und Mauretanien die ehe- malige spanische Kolonie West­sahara militärisch besetzt und unter sich aufgeteilt. Dieser Rechtsbruch erfolgte trotz früherer Versprechungen dieser Regierungen, das Recht der Sahraouis­ Momentan versucht der UNO-Sonder­ auf Selbstbestimmung zu respektieren.» beauftragte Christopher Ross wieder ein- So konnte man im ersten Sahara-Info mal, direkte Gespräche zwischen den vom Herbst 1976 lesen. Vertretern des Königreichs Marokko und Seitdem sind 40 Jahre vergangen – und der Polisario zu organisieren. Sehr viel- kaum etwas hat sich geändert. Maure­ versprechend sieht dies nicht aus: In der tanien hat sich zwar nach wenigen Jah- Vorbereitung hatte Marokko verlangt, ren aus dem Konflikt zurückgezogen, dass die Polisario Beweise vorlegen solle, und Marokko ist heute die einzige Beset- dass sie die legitime Vertreterin des Sah- zungsmacht. Und unterdessen sind die raouis sei. Die UNO hatte dies bereits in Re­solutionen der UNO, die der sahraoui- der Resolution 34/37 von 1979(!) getan. schen Bevölkerung das Recht auf Selbst- Wie aber kann bei so viel bösartigem bestimmung zusichern, noch zahlreicher Mutwillen ein Gespräch zustande kom- geworden. Doch all dies hat nichts ge- men? Wie kann verhandelt werden, bracht: Noch immer warten die Sahraouis wenn von der Gegenseite alle vorgängi- darauf, ihr Recht ausüben zu können! gen Beschlüsse in Frage gestellt werden?

Am 27. Februar 1976 haben sie ihren Anlässlich der 40 Jahre DARS werden in Staat DARS, die Demokratische Republik Bern, Zürich und der Innerschweiz eine Sahara, ausgerufen und in den Flücht- Reihe Filme zum Thema Westsahara ge- lingslagern eine Verwaltung mit allen zeigt. Siehe Programm auf Seite 7. Institu­tionen aufgebaut. Wer vor 40 Jah- Die UA, die Union der Afrikanischen ren hierher geflüchtet ist, gehört heute Staaten, ebenso wie unsere Petition ver- zur Grosseltern-Generation. Ihre Kinder langen von der UNO, dass das Referen- sind hier aufgewachsen, haben meist im dum endlich durchgeführt werde. Ausland eine Ausbildung genossen und sind zurückgekommen. Heute gehen be- Die Tragödie des sahraouischen Volkes reits deren Kinder hier zur Schule. Und muss endlich ein Ende finden. alle warten sie auf ihr Recht. Elisabeth Bäschlin

2 Marokko und die EU

Das Freihandelsabkommen für Agrarpro- Die Reaktion von Marokko hingegen war dukte zwischen der EU und Marokko ist harsch. seit März 2012 in Kraft, war aber von In ihrer Deklaration vom 25. Februar ­Anfang an umstritten. Doch da die West­ 2016 wies die marokkanische Regierung sahara nicht explizit von diesem Abkom- den EU-Gerichtsentscheid zurück und men ausgenommen worden war, konnte prangerte dessen «unbegründete Argu- es von Marokko ungehindert auch auf mente, gewundene Logik und Schluss­ die besetzten Gebiete angewendet wer- folgerungen an, die im Widerspruch den. Dies obschon Marokko, laut den ­stehen zu internationalem Recht und Genfer Konventionen – die es ebenfalls zu den Resolutionen des UN-Sicherheits­ unterschrieben hat! – nicht über die Res- rates.» Welches internationale Recht und sourcen der von ihm besetzten Gebiete welche UNO-Resolutionen damit ge- verfügen kann.1 meint sind, wird nicht näher erklärt.3 Als Folge beschliesst die marokkanische Die Polisario hatte grosse Anstrengun- Regierung, alle diplomatischen Kontakte gen unternommen, die EU-Parlamenta­ zu den europäischen Institutionen auf­ rierInnen davon zu überzeugen, dass zukündigen. Am Schluss der Deklaration ­dieses Abkommen illegal sei, doch ver­ beschwört Marokko die EU, die bisheri- geblich: Das Abkommen wurde unter- gen guten Beziehungen «auf der Grund- zeichnet. Darauf hat die Polisario vor lage gemeinsamer Werte und gegen­ zwei Jahren beim Europäischen Gerichts- seitigen Interessen» nicht aufs Spiel zu hof Klage eingereicht. setzen. Am 10. Dezember 2015 hat der Gerichts- hof entschieden: Er hat den Vertrag zwi- Marokkos gute Beziehungen zur EU schen der EU und Marokko als ungültig Die EU und die übrigen europäischen erklärt, da er auch die besetzten Gebiete Staaten ­haben tatsächlich alles Interesse einschliesst und deren Status völker­ an guten Beziehungen zum marokka­ rechtlich umstritten ist.2 nischen Königreich! Ist das Land doch be- Dies ist ein grosser Erfolg für die Polisa- reit, für die Europäer als Bollwerk gegen rio. Verständlich, dass der Jubel bei den Flüchtlinge aus Afrika zu dienen. Daher Sahraouis gross war! hat der Entscheid auch innerhalb der EU

Nicht vergessen: Petition an UNO unterschreiben! www.westernsahara-referendum.org Unterschriftensammlung bis 15. August 2016

Wer keine eigene Mailadresse hat, kann über die Adresse von Freunden, Bekannten oder Familienmitgliedern unterschreiben. Oder Sie melden sich beimund SUKS-Sekretariat wir tragen Sie dann (Tel. auf 031 der 351 Liste 78 20),ein.

3 Besorgnis ausgelöst. Denn Marokko gilt chen, ein Berufungsverfahren gegen den nach den Attentaten von Paris für viele EU-Gerichtshof zu unterstützen! als wichtiger Verbündeter im Anti-Terror- kampf. So hat Marokko vor kurzem sig- In einem solchen Interessenmix ist die nalisiert, dass es bereit sei, seine jungen Gefahr gross, dass die legitimen Inter­ Staatsangehörigen zurückzunehmen, die essen der Sahraouis einmal mehr ge­ in Europa Schwierigkeiten mach(t)en. opfert werden. Die europäischen Staaten Marokko wurde nun von verschiede- werden erpressbar und Menschenrechts- nen europäischen Ländern zum «safe fragen treten unweigerlich in den Hin- country» erklärt, wohin Flüchtlinge aus- tergrund. geschafft werden können. Da ist keine Rede mehr von Verletzungen der Men- Ob jedoch ein deutsches «Engagement schenrechte. in der Berufsbildung die Migration ver- hindern kann, ist bei einer Jugend­ Als letzter Meilenstein in dieser Entwick- arbeitslosigkeit von 40 Prozent fraglich», lung können die Besuche der deutschen meint Ulrich Delius, Afrika-Referent der Minister Müller und de Maizière vom 27. Gesellschaft für bedrohte Völker Deutsch- resp. 29. Februar gesehen werden. Die land. Und «das Königshaus muss sich fra- deutschen Politiker erhielten die Zusiche- gen lassen, was es selbst unternimmt, um rung, dass Marokko die marokkanischen Armut und Hoffnungslosigkeit zu be- Flüchtlinge aus Deutschland zurück- kämpfen. Kontrolliert König Mohamed nimmt. Im Gegenzug will sich Deutsch- VI. doch mit zahlreichen Holdings einen land in der Berufsbildung in Marokko Grossteil der Wirtschaft des Landes. enga­gieren, um so die Migration zu Nach dem Forbes-Magazin gilt er mit verhin­dern. Und ausserdem hat die ­einem geschätzten Privatvermögen von ­deutsche Regierung Marokko verspro- 5,7 Milliarden US-Dollars als reichster Mann Marokkos.»

Warum nur stört sich kaum ein euro­ päischer Politiker, kaum eine Politikerin an solchen Verhältnissen?

Elisabeth Bäschlin

1 Nach marokkanischer Lesart ist die Westsahara eben nicht besetztes Gebiet, sondern marok­­- ka­nisches Territorium, das aus spanischer Kolo­ nialherrschaft befreit und «nach Marokko heimgeholt» wurde. 2 Eine analoge Klage gegen das Fischereiab­ kommen zwischen der EU und Marokko ist noch hängig. 3 Tatsächlich stehen das internationale Recht und die UNO-Resolutionen auf Seite der Sah­ raouis!

4 Sendung «Kassensturz» Tomaten aus Konflikt- vom 9. Februar Gebiet Westsahara 2016

In den letzten Monaten hat terre des hommes Basel intensiv nachgeforscht, welche Schweizer Detailhändler Tomaten­ und Melonen aus der besetzten West­ sahara als «Marokko» deklarierte Waren verkaufen. Dabei hat sich gezeigt, dass etwa 40 Prozent der mit der Herkunfts- bezeichnung «Marokko» exportierten Tomaten in Wirklichkeit aus der West­ sahara stammen. Bei Cherry-Tomaten ist es über die Hälfte.

Die Sendung «Kassensturz» vom 9. Febru- ar ist aufgrund dieser Untersuchungen der Frage nachgegangen. Die Tomaten stammen aus riesigen Hors-Sol-Plantagen, «so gross wie mehrere­ Dutzend Fussball- felder. Mitten­ in der Wüste – ein öko­lo­ gischer Unsinn.» Davon profitiert vor al- lem der marokkanische­ König, denn ihm gehört ein grosser Teil dieser Anlagen.

Lifosa – kein Import von Phosphat aus der Westsahara Der litauische Düngerproduzent Lifosa war seit der Besetzung der Westsahara durch Marokko einer der grössten Käufer von Phosphaten aus der Westsahara gewesen. Im Juni 2011 war das Unternehmen wegen seiner Importe aus der Westsahara von der «UNO-Liste der sozial verantwortungsbewussten Gesell- schaften» gestrichen worden. Darauf haben Lifosa und ihr Besitzer, die Gruppe EuroChem mit Sitz in der Schweiz, beschlossen, ab 2016 alle Importe aus dem Gebiet zu stoppen.

2013 hatte dies bereits die australische Gesellschaft Impact Fertilizers beschlos- sen, die ebenfalls zu einer Schweizer Gruppe gehört. Auch Düngerproduzenten aus Norwegen, Deutschland und den USA hatten die Importe aufgegeben. www.wsrw.org

5 Der Bundesrat hat bereits 2013 auf eine wissen saisonalen Zeitspanne aus der parlamentarische Anfrage gesagt: «Eine Westsahara» und sind mit Marokko de- Angabe Marokko als Herkunftsland für klariert. Bei Volg würden «Früchte und Waren, die aus dem Gebiet der West­ Gemüse aus der Westsahara nur in Aus- sahara stammen, ist nicht zulässig.» nahmefällen geführt. Diese seien ent- sprechend mit dem Hinweis ‹Westsahara› Auf Nachfrage von «Kassensturz» hat deklariert.» Coop Schweiz erklärt, sie würden den ­Import sukzessive abbauen und ab 2017 Migros hingegen «bezieht zwei Prozent keine Waren mehr aus dem Gebiet der der verkauften Melonen aus der West­ Westsahara einführen, da dessen Status sahara und will das weiterhin tun. Die umstritten sei und zudem die Produktion Melonen seien mit ‹Westsahara› dekla- nicht ökologisch sei, da fossiles, nicht riert.» Denn, so die Migros weiter: erneuer­bares Grundwasser für die Be- «Kundin­nen und Kunden können so wässerung der Gemüsekulturen verwen- ­selber wählen, aus welchen Ländern sie det werde. Produkte kaufen wollen.»

www.srf.ch/konsum/themen/konsum/tomaten- Bei Denner stammen «vereinzelt Cherry- aus-konflikt-gebiet-detailhaendler-verschleiern- und Rispentomaten während einer ge- herkunft

13 Verurteilte von Gdeim Izik im unbefristeten Hungerstreik

24 sahraouische Menschenrechtsakti­ ­ ­einen unbefristeten Hungerstreik ge- visten waren im November 2010 im treten sind. Zusam­menhang mit dem Protestlager von Gdeim Izik (besetzte Gebiete) ver- Mit dem Hungerstreik wollen sie auf haftet worden und schliesslich nach ihre Situation aufmerksam machen. mehr als zwei Jahren(!) Untersuchungs- Sie verlangen den Status als politische haft von einem marokkanischen Mili­ Gefangene und die Wiederaufnahme tärgericht­ zu langjährigen Haftstrafen ­ihrer Prozesse, diesmal vor einem Zivil- (bis 30 Jahre) verurteilt worden – gericht, wie dies das internationale ­wegen «staatsfeindlicher Bandenbil- Recht vorsieht. dung», aufgrund von «Geständnissen», die unter Folter gemacht wurden. Marokko hat sich im Programm «Part- nerschaft für Demokra­ ­tie» mit dem Am 25. Februar 2016 hat ihr Sprecher Europa­rat dazu verpflichtet,­ dass keine Naâma Asfari bekannt gegeben, dass Zivilpersonen von Militärgerichten ab- er und zwölf seiner Mitgefangenen in geurteilt werden.

6 40 Jahre DARS – 40 Jahre Exil Aktionswoche im Polit-Forum Käfigturm, Bern 11.–15. April 2016 WOHER KOMMST DU? Fotoausstellung zum Konflikt um die Westsahara Geöffnet jeweils 13.00 – 21.00 Uhr Bern Mo, 11. April, 17.30 Uhr Vernissage mit Apéro Di, 12. April, 19.30 – 20.15 Uhr «Zeltgeschichten» – Sahraouische Texte gelesen von Mirjam Furrer, Schauspielerin Mi, 13. April, 19.30 – 21.00 Uhr Vortrag: Prof. Werner Ruf, Universität Kassel Politologe, em. Professor für Internationale Beziehungen und Aussenpolitik «Die Westsahara – ein Konflikt, der leicht zu lösen wäre… Die Geschichte einer verhinderten Selbstbestimmung» Publikumsdiskussion Do, 14. April, 19.30 – 21.00 Uhr Podiumsdiskussion: «Westsahara – Auswege aus der Sackgasse?» Leitung: Alex Gschwind, Jurist / SRF-Korrespondent Iberien & Nordafrika 1985–2013 Teilnehmende: Prof. Werner Ruf, Politologe, Universität Kassel Nadjat Handi, Polisario-Vertreterin in Deutschland Murezi Michael, Rechtsanwalt, ehem. EDA; Experte für internationale Mediation Hamdi Mh. Salek, junger Sahraoui in Ausbildung in Schwerin / D Publikumsdiskussion Fr, 15. April, 21.00 Uhr Ende der Aktionswoche

Kino in der Reitschule, Bern Filme zum Konflikt um die Westsahara Fr, 20. Mai, 21.00 Uhr Life is Waiting / Das Leben besteht aus Warten Doku-Film von Iara Lee, USA, 2015, OV, dt. UT Sa, 21. Mai, 21.00 Uhr Cast in Sand / Sahraouische Frauen sind widerständig Film von Rebecca Roberts-Wolfe, USA/Algerien, 2013, OV Fr, 27. Mai, 21.00 Uhr Wilaya – Spielfilm von Pedro Pérez Rosado, E, 2011, OV, dt. UT spielt in den sahraouischen Flüchtlingslagern Sa, 28. Mai, 21.00 Uhr Die letzte Kolonie – Doku-Film von Christian Gropper, D, 2015 anschliessend Diskussion mit dem Regisseur Studentenfilmclub Cinema Politica, Universität, Zürich Di, 22. März, 19.00 Uhr Life is Waiting (OV) ZÜRICH Kulturzentrum Karl der Grosse, Kirchgasse 14, 8001 Zürich Fr, 27. Mai, 19.00 Uhr Die letzte Kolonie – Doku-Film von Christian Gropper, D, 2015 anschliessend Diskussion mit dem Regisseur Stattkino, Luzern Herbst 2016, genaues Datum steht noch nicht fest – Infos ab Juni auf www.suks.ch LUZERN

7 Kramladen

Comic im Klassensatz kostenlos erhältlich!

Musik-CDs Info-Material : Soutak 25.00 Bericht von WSRW / Emmaus Mariem : Deseos 25.00 Stockholm an die EU: «Report: Conflict Tomatoes» : Baila Sahara Die Landwirtschaftsindustrie Baila 25.00 in der besetzten Westsahara Mariem Hassan: El Aaiun Egdat 25.00 (englisch) Mariem Hassan con Leyoad – NEU Comic von M. Entrialgo: cantos de las mujeres saharauis «Der Westsahara-Konflikt Musik aus der Westsahara 25.00 in weniger als 3000 Wörtern» 3.00 Mariem Hassan: Shouka – Der Stachel 25.00 Kartenspiel «Mauerquartett» 20.00 DVDs Das Material kann beim SUKS bestellt werden. Wilaya – Regie: P. Pérez Rosado 30.00 [email protected] / Tel. 031 351 78 20

Herausgeber Auflage Nr. 138: 2500 Expl. SUKS / Schweizerisches Unterstützungskomitee Abo: Fr. 2.–/ Jahr; der Betrag wird von Ihren für die Sahraouis, Postfach, 3001 Bern Spenden einmalig abgezogen Büro SUKS: Redaktion: Elisabeth Bäschlin Tel. 031 351 78 20 [email protected] Fotos: Elisabeth Bäschlin, zVg www.suks.ch Layout: Barbara Hürzeler PC 50-9009-6 Druck: Varicolor AG IBAN: CH62 0900 0000 5000 9009 6

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