F R A N Z S C H U B E R T J O H A N N E S H E L D B A R I T O N E D A N I E L B E S K O W P I A N O

IMPRESSUM Produzent: Annette Schumacher • Tonmeister: Franz Schaden Aufnahme: 29.9.−2.10.2018, Wavegarden Studio Flügel: Steinway D 274 Konzertflügel • Stimmung: Gerald Stremnitzer Texte: Johannes Held • Übersetzungen: Lucy Van Cleef Photos: Andrej Grilc • Winterreise Staged Illustrationen: Jörn Kaspuhl, www.kaspuhl.com Der Lindenbaum (18−19), Frühlingstraum (22−23), Die Krähe (24−25), Nebensonnen (28−29), Der Leiermann (30−31) 1797 – 1828 WINTERREISE OP. 89, D 911

Gedichte von / Poetry by Wilhelm Müller

ERSTE ABTEILUNG / FIRST PART ZWEITE ABTEILUNG / SECOND PART

1. Gute Nacht 5:24 13. Die Post 2:07 2. Die Wetterfahne 1:54 14. Der greise Kopf 2:59 3. Gefrorene Tränen 2:24 15. Die Krähe 1:50 4. Erstarrung 2:45 16. Letzte Hoffnung 1:54 5. Der Lindenbaum 5:04 17. Im Dorfe 3:04 6. Wasserflut 4:07 18. Der stürmische Morgen 0:53 7. Auf dem Flusse 3:31 19. Täuschung 1:23 8. Rückblick 2:13 20. Der Wegweiser 4:36 9. Irrlicht 2:41 21. Das Wirtshaus 4:47 10. Rast 3:18 22. Mut 1:26 11. Frühlingstraum 4:14 23. Die Nebensonnen 3:17 12. Einsamkeit 2:47 24. Der Leiermann 4:26

Dauer / Length 73:53 Kunststiftung Baden-Württemberg JOHANNES HELD BARTITONE Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung. Many thanks for the generous support. DANIEL BESKOW PIANO

3 1828 beendet Franz Schubert seine Winterreise. Die Veröffentlichung des zweiten Teiles klar und allgemein, dass sie zu Symbolen werden können für uns im 21. Jahrhundert, auch ollte er schon nicht mehr erleben. Mit nur 31 Jahren stirbt er in Wien. Der Autor der Texte wenn der ursprüngliche Kontext nicht mehr gegeben ist. Wir finden unsere eigene ist schon ein Jahr vorher verstorben, ohne dass sich die beiden jemals gesehen haben. Ob Geschichte wieder in den Momentaufnahmen von den Spuren im Schnee, dem Lindenbaum, Wilhelm Müller von der Vertonung wusste, ist unklar. Und als Schuberts Freunde die ersten der Krähe, dem gefrorenen Fluss, dem Gang durch das Dorf in der Nacht, dem Wegweiser zwölf Lieder zum ersten Mal hörten, gefiel ihnen nur „Der Lindenbaum“. und dem Straßenmusiker an der Ecke. Wir kennen das, wir haben das schon gesehen, wir erinnern uns. Wir sind es selber, die durch den Schnee gehen und mit den Erinnerungen In Schuberts letztem Lebensjahr war das Kunstlied noch eine junge Gattung. 1814/1815 kämpfen − und weiter voranschreiten müssen. komponiert er „“ und „Erlkönig“ und schafft damit etwas Neues. Er vertont berühmte Gedichte von Goethe mit einem bis dahin nicht gehörtem künstlerischen Und am Ende? Da steht wieder ein Rätsel. Der Leiermann, dem wir begegnen, ist, was wir Selbstbewusstsein. Die Musik ist nicht nur Merkhilfe für den Text, sondern beleuchtet und inter- wollen, dass er ist: Er kann der Tod sein, der endlich Ruhe bringt, oder aber eine Person, pretiert ihn, nimmt Stellung zum Inhalt, beschreibt und verdeutlicht die Situation und unter- der man sich anvertrauen kann; an deren Seite es weitergeht − oder, er steht für etwas ganz streicht noch die subtilsten emotionalen Veränderungen. Anderes.

Diese Herangehensweise hören wir auch noch Jahre später, in seinen beiden großen Zyklen Weil es keine einfachen Antworten gibt, weil alles in Winterreise zu finden und verborgen Die schöne Müllerin und Winterreise. Und trotzdem steht die Winterreise alleine da, weil ist − darum fasziniert sie uns auch heute noch. Schubert das Liedhafte hinter sich lässt: Die Melodien sind komplexer und es finden sich kaum noch Strophenlieder, wie noch in Die schöne Müllerin. Das Unbedarfte, Jugendliche, das wir zumindest am Anfang von Die schöne Müllerin noch hören, gibt es nicht in Winterreise. Moll herrscht vor. Der Protagonist, der ein junger Mann sein muss, wirkt alt und wie jemand, der keine Zukunft mehr vor Augen hat, weil die Liebe in der Vergangenheit ver- loren ging. Winterreise erzählt auch keine wirkliche Geschichte, sondern zeigt vielmehr eine Abfolge von Bildern, von denen nicht immer klar ist, ob sie real sind, oder nur im Kopf des Wanderers existieren. Sie stehen unverbunden da und sind in Ihrer Reihenfolge austausch- bar: Schubert findet nach den ersten zwölf noch zwölf weitere Gedichte und vertont sie. Die Reihenfolge in seinem Zyklus ist aber nicht identisch mit der von Müller.

Und vielleicht sind das auch die Gründe, warum Winterreise auch heute noch, fast 200 Jahre nach ihrer Entstehung, die Zuhörer in ihren Bann zieht. Die Hauptfigur ist jung und doch alt, hat viel erlebt und geht ziellos durch eine Welt, die verschlossen ist und keinen Ort zum Ausruhen bietet. Es muss immer weiter gehen und die Orte und Dinge, die er sieht, sind so

4 5 After Franz Schubert finished Winterreise in 1828, he never experienced the premiere of the faded. We find our own story within the snapshots: tracks in the snow, the linden tree, the second half; at just thirty-one, he died in Vienna. Wilhelm Müller, author of the text, had crow, the frozen stream, the path through the village into the night, the signpost, and the already died a year earlier, before the two men had ever met. It is unclear whether Müller lonely street musician. We know we’ve seen all this before. We remember. We are the ones knew of his text’s musical setting. Initially, Winterreise was no great success. When pressing through the snow, battling with our memories, and forcing ourselves onward. Schubert’s friends heard the first twelve Lieder for the first time, they only liked “Der Lindenbaum.” And in the end, we uncover the ultimate riddle. The “Leiermann” is whatever we want him to be. He could be death, finally offering rest, or a trusted companion to weather the storm Art Song was still experiencing its beginnings during Schubert’s last years. In 1814 and alongside the wanderer—or, he represents something completely different. 1815, his Lieder “Gretchen am Spinnrade” and “Erlkönig” introduced this new musical genre. This musical form, set to renowned poems by Goethe, contained an artistic integrity Since there is no easy answer, and since so much can be explored, Winterreise still grips never heard before. The music not only illustrated the text, but illuminated imagery, inter- us today. preted thoughts, took positions on subject matter, and described and clarified situations by identifying the most subtle shifts in emotion.

We hear this approach in both of Schubert’s great cycles: Die schöne Müllerin and Winterreise. And yet, Winterreise stands alone. In his last , Schubert left the tra- ditional song structure behind. Melodies are more complex, and are rarely in strophic form, as they are in Müllerin. The naive, youthful tone at Mullerin’s start doesn’t exist in Winterreise, where he minor key prevails. The protagonist, evidently a young man, seems old and with- out a future after his past love has ended. Winterreise doesn’t tell a linear story; instead, it shows a progression of images without always clarifying whether they are real, or mere figments of the wanderer’s imagination. They are disjointed, and their order is interchange- able. After presenting the first twelve Lieder, Schubert found and composed twelve more of Müller’s poems. But their order is not identical to the poet’s original.

These qualities might explain why Winterreise still engages the listener almost two-hundred years after it was first composed. The wanderer is young, and yet old. He has lived through a great deal, and is now destined to roam aimlessly through a closed-off world without any resting place. He pushes onward, the places and things he encounters so clear and universal that they represent symbols to the 21st century listener, even if the original context has

6 7 Das Bühnenbild passt in eine große Schlagzeugtasche und auftreten können wir in jedem ÜBER UNSERE ARBEIT MIT SCHUBERTS WINTERREISE erdenklichen Raum. Das tun wir nun seit 4 Jahren und haben mehr als 50 Vorstellungen Für uns beide war Schuberts Winterreise sehr früh in unserem Leben präsent. Daniel erzählt gespielt. mir immer wieder, wie er mit seinem Großvater am Klavier saß und „Der Leiermann“ spielte. Ich kann mich erinnern, dass ich auf der halbstündigen Fahrt zur Probe des Hymnus-Chores Und am Ende kamen wir wieder am Anfang an − bei der Musik von Schubert und den in Stuttgart immer nur bis zum „Frühlingstraum“ kam, bevor ich aussteigen musste. Wir waren Gedichten von Wilhelm Müller. Denn bei aller Suche nach einem neuen Format wollten wir fasziniert von diesem Werk, das so viel zu wissen schien von dem, was wir fühlten, und doch immer dem Text treu sein. Und darum haben wir in dieser Zeit auch viele Stunden dessen Geschichte auch irgendwie unsere Geschichte war. geprobt, unsere Konzertmitschnitte angehört, gestritten und gerungen um jeden Ton, jeden Takt und jedes Wort. Wir haben entdeckt, wie wild, expressiv, verzweifelt, aber auch Jahre später begegnete ich Daniel in Kopenhagen an der Musikhochschule. Er hatte mich in hoffnungsvoll, melancholisch und still Schuberts Winterreise ist. Und über die Jahre reifte einem Konzert mit einigen der Lieder gehört und entschieden, dass ich der Sänger sein eine Interpretation, die wir nun in dieser Aufnahme mit Tonmeister Franz Schrader – nahe sollte, der mit ihm Winterreise aufführen würde. Ich selber war gerade dabei, den Zyklus für Wien – festgehalten haben. meinen Abschluss an der Hochschule in Freiburg vorzubereiten und hatte schon länger den Traum gehabt, eine szenische Variante zu entwickeln. Daniel war sofort dabei. Sie ist nicht unser letztes Wort zur Winterreise, nur eine Momentaufnahme.

Die Verneinung des Körperlichen im Liedgesang und der Wunsch der Wächter uber die Johannes Held Gattung, nur die Stimme für den Ausdruck zu nutzen, waren mir immer suspekt und ich wollte herausfinden, welche expressiven Möglichkeiten Schuberts Lieder offenbaren, wenn man sich erst einmal traut, das seit den 50er Jahren gebräuchliche Format uberwinden. Es war uns klar, dass wir damit nicht nur auf Gegenliebe stoßen würden, aber wir waren bereit, dieses Risiko einzugehen.

Wir konnten Jörn Kaspuhl dafür gewinnen, für uns ein Bühnenbild zu gestalten. Er schuf sieben Illustrationen, die auf großen Rahmen den Hintergrund für unsere Konzerte bilden sollten. Im Verlauf der Wanderschaft würde ich die übereinander hängenden Bilder abnehmen und so den nächsten Ort der Handlung enthüllen. Die entfernten Bilder sollten – auf dem Boden liegend – Teil einer Schneelandschaft sein, abgeworfen wie altes Laub, eine Erinnerung an das, was hinter uns liegt. Ebbe Støvring Knudsen war der Regisseur, der uns half, alles zusammenzuschnüren. Wir erforschten das Verhältnis der beiden Akteure auf der Bühne, die Reaktion auf die sich verändernde Umwelt und den Weg des Wanderers durch den Schnee.

8 9 In the end, we returned to the beginning: Schubert’s music and Wilhelm Müller’s poetry. ABOUT OUR APPROACH TO SCHUBERT’S WINTERREISE Despite our search for a new format, we have always resolved to remain true to those For both of us, Schubert’s Winterreise was present in our lives from very early on. Daniel has factors. For that reason, we’ve rehearsed for countless hours over the years. We played back often told me about sitting at the piano with his grandfather and playing through “Der recordings from concerts, and fought and wrestled over every note, every measure, and Leiermann.” I can remember the half-hour ride on the S-Bahn to rehearsal for Stuttgart Hymnus every word. We’ve discovered how expressive, desperate, and wild—yet also how hopeful, Boys’ Choir, when I’d only get as far as “Frühlingstraum” before my stop came. Back then, melancholic, and calm, Winterreise can be. Through our work, an interpretation ripened, we were fascinated by this work, and everything it seemed to reflect about our own feelings. which we recorded with the sound engineer Franz Schaden near Vienna. Somehow, the story in Winterreise seemed to mirror our own experience. This is not our last word on Winterreise. It’s a snapshot in time. Years later, I met Daniel at the Music Conservatory in Copenhagen. He had heard me sing some sections of the song-cycle in a concert, and decided that I was the singer he wanted Johannes Held to play Winterreise with. I was already working on the cycle for my graduation concert from Translation by Lucy Van Cleef the Music Conservatory in Freiburg, and had started to dream of developing a staged version.

I’ve always been suspicious of the complete rejection of physical expression in the genre’s interpretation, and of Lieder gate-keepers’ insistence on using only the voice to emote. I wan- ted to find out which opportunities for expression could be uncovered if we let go of the customary format established in the 1950s. Daniel was up for the challenge, too. We knew that in doing this, we might meet some resistance. But we were willing to take that risk.

For the set design, we enlisted Jörn Kaspuhl to create seven illustrations, which we hung on large metal frames to become our show’s backdrop. Throughout the journey, I pulled down each image to reveal the next scene. The old pictures became a winter landscape, discar- ded like frozen leaves as a reminder of what lay behind us. Director Ebbe Støvring Knudsen helped tie everything together. We explored the relationship of both actors onstage, reac- tions to our changing surroundings, and the path of the wanderer through the snow. Our set fits into a large bag meant for transporting a drum set, which allows our production to be presented in any possible setting. To date, we’ve performed Winterreise Staged more than fifty times in four years.

10 11 JOHANNES HELD

Johannes Held erhielt seine erste musikalische Ausbildung bei den Stuttgarter Hymnus- Chorknaben. Sein Gesangsstudium führte ihn nach Freiburg zu Reginaldo Pinheiro und nach Kopenhagen zu Susanna Eken. Prägend für seine Herangehensweise an Texte war sein Zusammentreffen mit Ulrich von der Mülbe. Mikael Eliasen ermutigte ihn auf dem Weg zu seiner ganz eigenen Liedinterpretation. Heute arbeitet Johannes Held als Sänger und Sprecher und leitet das Kunstlied-Festival DER ZWERG in Sindelfingen.

German born baritone Johannes Held received his first musical training with the Stuttgart Hymnus Boys’ Choir. Further studies led him Freiburg with Reginaldo Pinheiro, and finally to Copenhagen with Susanna Eken, where he graduated from the Royal Danish Opera Academy in 2013. Ulrich von der Mülbe helped foster his approach to text analysis over many years. Mikael Eliasen helped embolden him on his way to finding his own interpretation. Today, he per- forms internationally as a singer and speaker, is artistic director of the Lied festival DER ZWERG in Sindelfingen, Germany, and lives in Berlin.

www.johannes-c-held.com

DANIEL BESKOW

Seit seinem Debut 2012 in Copenhagen konnte sich Daniel Beskow als einer der heraus- ragenden skandinavischen Konzertpianisten etablieren. Er ist regelmäßig in Skandinavien und Deutschland auf Tournee. Er studierte an der Königlichen Musikhochschule und dem Edsbergs Musikinstitut in Stockholm. Anschließend erhielt er Unterricht in Norwegen bei Jiri Hlinka und in London bei Peter Feuchtwanger. Nach Studien an der Königlichen Dänischen Akademie für Musik in Kopenhagen mit Niklas Sivelöv und der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover bei Einar Steen-Nökleberg, schloss er seine Ausbildung mit dem Solistendiplom ab. 13 Since his debut concert in Copenhagen in 2012, Daniel Beskow has become recognized as one of Scandinavia’s most engaging and impelling concert pianists, and tours extensively in Scandinavia and Germany as a soloist and chamber musician. He studied at the Royal College of Music, and the Edsbergs Institute of Music in Stockholm, as well as further studies in Norway with Jiri Hlinka and in London with Peter Feuchtwanger. He received his soloist diploma at the Royal Danish Academy of Music with Niklas Sivelöv, and at the Hannover University of Music, Drama and Media with Einar Steen-Nökleberg.

www.daniel-beskow.com

LIED DUO HELD-BESKOW

Johannes Held und Daniel Beskow arbeiten seit mehreren Jahren erfolgreich zusammen. Ihre Eigenproduktion Winterreise Staged, die sie in Zusammenarbeit mit Illustrator Jörn Kaspuhl und Regisseur Ebbe Støvring Knudsen entwickelt haben, wurde seit 2015 mehr als 50 Mal zur Aufführung gebracht und war unter anderem in Schweden in der Oper Göteborg, in der Konzertserie STORM in Halmstad, in Deutschland im Theaterhaus Stuttgart und bei der Internationalen Hugo Wolf Akademie, in Dänemark bei der Schubertiade und dem Fredriksværk- Festival zu erleben.

Johannes Held and Daniel Beskow have worked together successfully for many years. Their pro- duction Winterreise Staged, developed in collaboration with director Ebbe Støvring Knudsen and illustrator Jörn Kaspuhl, has been performed over fifty times since 2015 in association with Sweden’s Gothenburg Opera, the concert series STORM in Halmstad, Theaterhaus Stuttgart and the International Hugo Wolf Akademie in Germany, and Schubertiade and the Fredriksværk- Festival in Denmark, among others.

www.winterreisestaged.com

15 1 GUTE NACHT Will dich im Traum nicht stören, 3 GEFRORENE TRÄNEN 4 ERSTARRUNG Wär schad' um deine Ruh', Fremd bin ich eingezogen, Sollst meinen Tritt nicht hören − Gefrorne Tropfen fallen Ich such' im Schnee vergebens Fremd zieh' ich wieder aus. Sacht, sacht die Türe zu! Von meinen Wangen ab: Nach ihrer Tritte Spur, Der Mai war mir gewogen Schreib' im Vorübergehen Ob es mir denn entgangen, Wo sie an meinem Arme Mit manchem Blumenstrauß. An's Tor dir: Gute Nacht, Daß ich geweinet hab'? Durchstrich die grüne Flur. Das Mädchen sprach von Liebe, Damit du mögest sehen, Die Mutter gar von Eh', − An dich hab' ich gedacht. Ei Tränen, meine Tränen, Ich will den Boden küssen, Nun ist die Welt so trübe, Und seid ihr gar so lau, Durchdringen Eis und Schnee Der Weg gehüllt in Schnee. Daß ihr erstarrt zu Eise Mit meinen heißen Tränen, Wie kühler Morgentau? Bis ich die Erde seh'. Ich kann zu meiner Reisen Nicht wählen mit der Zeit, 2 DIE WETTERFAHNE Ihr dringt doch aus der Quelle Wo find' ich eine Blüte, Muß selbst den Weg mir weisen Der Brust so glühend heiß, Wo find' ich grünes Gras? In dieser Dunkelheit. Der Wind spielt mit der Wetterfahne Als wolltet ihr zerschmelzen Die Blumen sind erstorben Es zieht ein Mondenschatten Auf meines schönen Liebchens Haus. Des ganzen Winters Eis! Der Rasen sieht so blaß. Als mein Gefährte mit, Da dacht ich schon in meinem Wahne, Und auf den weißen Matten Sie pfiff den armen Flüchtling aus. Soll denn kein Angedenken Such' ich des Wildes Tritt. Ich nehmen mit von hier? Er hätt' es eher bemerken sollen, Wenn meine Schmerzen schweigen, Was soll ich länger weilen, Des Hauses aufgestecktes Schild, Wer sagt mir dann von ihr? Daß man mich trieb hinaus? So hätt' er nimmer suchen wollen Laß irre Hunde heulen Im Haus ein treues Frauenbild. Mein Herz ist wie erstorben, Vor ihres Herren Haus; Kalt starrt ihr Bild darin; Die Liebe liebt das Wandern − Der Wind spielt drinnen mit den Herzen Schmilzt je das Herz mir wieder, Gott hat sie so gemacht − Wie auf dem Dach, nur nicht so laut. Fließt auch ihr Bild dahin! Von einem zu dem andern. Was fragen sie nach meinen Schmerzen? Fein Liebchen, gute Nacht! Ihr Kind ist eine reiche Braut.

16 17 Nun bin ich manche Stunde 5 DER LINDENBAUM Entfernt von jenem Ort, Und immer hör' ich's rauschen: Am Brunnen vor dem Tore Du fändest Ruhe dort! Da steht ein Lindenbaum; Ich träumt in seinem Schatten So manchen süßen Traum.

Ich schnitt in seine Rinde 6 WASSERFLUT So manches liebe Wort; Es zog in Freud' und Leide Manche Trän' aus meinen Augen Zu ihm mich immer fort. Ist gefallen in den Schnee; Seine kalten Flocken saugen Ich mußt' auch heute wandern Durstig ein das heiße Weh. Vorbei in tiefer Nacht, Da hab' ich noch im Dunkel Wenn die Gräser sprossen wollen Die Augen zugemacht. Weht daher ein lauer Wind, Und das Eis zerspringt in Schollen Und seine Zweige rauschten, Und der weiche Schnee zerrinnt. Als riefen sie mir zu: Komm her zu mir, Geselle, Schnee, du weißt von meinem Sehnen, Hier find'st du deine Ruh'! Sag', wohin doch geht dein Lauf? Folge nach nur meinen Tränen, Die kalten Winde bliesen Nimmt dich bald das Bächlein auf. Mir grad ins Angesicht; Der Hut flog mir vom Kopfe, Wirst mit ihm die Stadt durchziehen, Ich wendete mich nicht. Munt're Straßen ein und aus; Fühlst du meine Tränen glühen, Da ist meiner Liebsten Haus.

18 19 7 AUF DEM FLUSSE 8 RÜCKBLICK 9 IRRLICHT 10 RAST

Der du so lustig rauschtest, Es brennt mir unter beiden Sohlen, In die tiefsten Felsengründe Nun merk' ich erst, wie müd' ich bin, Du heller, wilder Fluß, Tret' ich auch schon auf Eis und Schnee, Lockte mich ein Irrlicht hin: Da ich zur Ruh' mich lege: Wie still bist du geworden, Ich möcht' nicht wieder Atem holen, Wie ich einen Ausgang finde, Das Wandern hielt mich munter hin Gibst keinen Scheidegruß. Bis ich nicht mehr die Türme seh'. Liegt nicht schwer mir in dem Sinn. Auf unwirtbarem Wege.

Mit harter, starrer Rinde Hab' mich an jeden Stein gestoßen, Bin gewohnt das Irregehen, Die Füße frugen nicht nach Rast, Hast du dich überdeckt, So eilt' ich zu der Stadt hinaus; 's führt ja jeder Weg zum Ziel: Es war zu kalt zum Stehen; Liegst kalt und unbeweglich Die Krähen warfen Bäll' und Schloßen Uns're Freuden, uns're Leiden, Der Rücken fühlte keine Last, Im Sande ausgestreckt. Auf meinen Hut von jedem Haus. Alles eines Irrlichts Spiel! Der Sturm half fort mich wehen.

In deine Decke grab' ich Wie anders hast du mich empfangen, Durch des Bergstroms trock'ne Rinnen In eines Köhlers engem Haus Mit einem spitzen Stein Du Stadt der Unbeständigkeit! Wind' ich ruhig mich hinab, Hab' Obdach ich gefunden; Den Namen meiner Liebsten An deinen blanken Fenstern sangen Jeder Strom wird's Meer gewinnen, Doch meine Glieder ruh'n nicht aus: Und Stund' und Tag hinein: Die Lerch' und Nachtigall im Streit. Jedes Leiden auch sein Grab. So brennen ihre Wunden.

Den Tag des ersten Grußes, Die runden Lindenbäume blühten, Auch du, mein Herz, in Kampf und Sturm Den Tag, an dem ich ging; Die klaren Rinnen rauschten hell, So wild und so verwegen, Um Nam' und Zahlen windet Und ach, zwei Mädchenaugen glühten. − Fühlst in der Still' erst deinen Wurm Sich ein zerbroch'ner Ring. Da war's gescheh'n um dich, Gesell! Mit heißem Stich sich regen!

Mein Herz, in diesem Bache Kommt mir der Tag in die Gedanken, Erkennst du nun dein Bild? Möcht' ich noch einmal rückwärts seh'n, Ob's unter seiner Rinde Möcht' ich zurücke wieder wanken, Wohl auch so reißend schwillt? Vor ihrem Hause stille steh'n.

20 21 Die Augen schließ' ich wieder, 11 FRÜHLINGSTRAUM Noch schlägt das Herz so warm. Ich träumte von bunten Blumen, Wann grünt ihr Blätter am Fenster? So wie sie wohl blühen im Mai; Wann halt' ich mein Liebchen im Arm? Ich träumte von grünen Wiesen, Von lustigem Vogelgeschrei.

Und als die Hähne krähten, Da ward mein Auge wach; 12 EINSAMKEIT Da war es kalt und finster, Es schrieen die Raben vom Dach. Wie eine trübe Wolke Durch heit're Lüfte geht, Doch an den Fensterscheiben, Wenn in der Tanne Wipfel Wer malte die Blätter da? Ein mattes Lüftchen weht: Ihr lacht wohl über den Träumer, Der Blumen im Winter sah? So zieh ich meine Straße Dahin mit trägem Fuß, Ich träumte von Lieb' um Liebe, Durch helles, frohes Leben, Von einer schönen Maid, Einsam und ohne Gruß. Von Herzen und von Küssen, Von Wonne und Seligkeit. Ach, daß die Luft so ruhig! Ach, daß die Welt so licht! Und als die Hähne kräten, Als noch die Stürme tobten, Da ward mein Herze wach; War ich so elend nicht. Nun sitz ich hier alleine Und denke dem Traume nach.

22 23 Doch bald ist er hinweggetaut, 13 DIE POST Hab' wieder schwarze Haare, Von der Straße her ein Posthorn klingt. Daß mir's vor meiner Jugend graut − Was hat es, daß es so hoch aufspringt, Wie weit noch bis zur Bahre! Mein Herz? Vom Abendrot zum Morgenlicht Die Post bringt keinen Brief für dich. Ward mancher Kopf zum Greise. Was drängst du denn so wunderlich, Wer glaubt's? und meiner ward es nicht Mein Herz? Auf dieser ganzen Reise!

Nun ja, die Post kommt aus der Stadt, Wo ich ein liebes Liebchen hatt', Mein Herz! 15 DIE KRÄHE Willst wohl einmal hinüberseh'n Und fragen, wie es dort mag geh'n, Eine Krähe war mit mir Mein Herz? Aus der Stadt gezogen, Ist bis heute für und für Um mein Haupt geflogen.

Krähe, wunderliches Tier, Willst mich nicht verlassen? 14 DER GREISE KOPF Meinst wohl, bald als Beute hier Der Reif hatt' einen weißen Schein Meinen Leib zu fassen? Mir übers Haar gestreuet; Da glaubt' ich schon ein Greis zu sein Nun, es wird nicht weit mehr geh'n Und hab' mich sehr gefreuet. An dem Wanderstabe. Krähe, laß mich endlich seh'n, Treue bis zum Grabe!

24 25 Und morgen früh ist alles zerflossen. Weiser stehen auf den Straßen, 16 LETZTE HOFFNUNG Je nun, sie haben ihr Teil genossen 19 TÄUSCHUNG Weisen auf die Städte zu, Hie und da ist an den Bäumen Und hoffen, was sie noch übrig ließen, Ein Licht tanzt freundlich vor mir her, Und ich wand're sonder Maßen Manches bunte Blatt zu seh'n, Doch wieder zu finden auf ihren Kissen. Ich folg' ihm nach die Kreuz und Quer; Ohne Ruh' und suche Ruh'. Und ich bleibe vor den Bäumen Ich folg' ihm gern und seh's ihm an, Oftmals in Gedanken steh'n. Bellt mich nur fort, ihr wachen Hunde, Daß es verlockt den Wandersmann. Einen Weiser seh' ich stehen Laßt mich nicht ruh'n in der Schlummerstunde! Unverrückt vor meinem Blick; Schaue nach dem einen Blatte, Ich bin zu Ende mit allen Träumen. Ach! wer wie ich so elend ist, Eine Straße muß ich gehen, Hänge meine Hoffnung dran; Was will ich unter den Schläfern säumen? Gibt gern sich hin der bunten List, Die noch keiner ging zurück. Spielt der Wind mit meinem Blatte, Die hinter Eis und Nacht und Graus Zitt'r' ich, was ich zittern kann. Ihm weist ein helles, warmes Haus.

Ach, und fällt das Blatt zu Boden, Und eine liebe Seele drin. − Fällt mit ihm die Hoffnung ab; 18 DER STÜRMISCHE MORGEN Nur Täuschung ist für mich Gewinn! 21 DAS WIRTSHAUS Fall' ich selber mit zu Boden, Wein' auf meiner Hoffnung Grab. Wie hat der Sturm zerrissen Auf einen Totenacker Des Himmels graues Kleid! Hat mich mein Weg gebracht; Die Wolkenfetzen flattern Allhier will ich einkehren, Umher im matten Streit. Hab' ich bei mir gedacht. 20 DER WEGWEISER Und rote Feuerflammen Ihr grünen Totenkränze 17 IM DORFE Was vermeid' ich denn die Wege, Zieh'n zwischen ihnen hin; Wo die ander'n Wand'rer gehn, Könnt wohl die Zeichen sein, Es bellen die Hunde, es rascheln die Ketten; Das nenn' ich einen Morgen Suche mir versteckte Stege Die müde Wand'rer laden Es schlafen die Menschen in ihren Betten, So recht nach meinem Sinn! Durch verschneite Felsenhöh'n? Ins kühle Wirtshaus ein. Träumen sich manches, was sie nicht haben, Tun sich im Guten und Argen erlaben; Mein Herz sieht an dem Himmel Habe ja doch nichts begangen, Sind denn in diesem Hause Gemalt sein eig'nes Bild − Daß ich Menschen sollte scheu'n, − Die Kammern all' besetzt? Es ist nichts als der Winter, Welch ein törichtes Verlangen Bin matt zum Niedersinken, Der Winter, kalt und wild! Treibt mich in die Wüstenei'n? bin tödlich schwer verletzt. 26 27 O unbarmherz'ge Schenke, Doch weisest du mich ab? 23 DIE NEBENSONNEN Nun weiter denn, nur weiter, Drei Sonnen sah ich am Himmel steh'n, Mein treuer Wanderstab! Hab' lang und fest sie angeseh'n; Und sie auch standen da so stier, Als wollten sie nicht weg von mir.

Ach, meine Sonnen seid ihr nicht! 22 MUT Schaut Andern doch ins Angesicht! Ja, neulich hatt' ich auch wohl drei; Fliegt der Schnee mir ins Gesicht, Nun sind hinab die besten zwei. Schüttl' ich ihn herunter. Wenn mein Herz im Busen spricht, Ging nur die dritt' erst hinterdrein! Sing' ich hell und munter. Im Dunkeln wird mir wohler sein.

Höre nicht, was es mir sagt, Habe keine Ohren; Fühle nicht, was es mir klagt, Klagen ist für Toren.

Lustig in die Welt hinein Gegen Wind und Wetter! Will kein Gott auf Erden sein, Sind wir selber Götter!

28 29 24 DER LEIERMANN

Drüben hinterm Dorfe Steht ein Leiermann Und mit starren Fingern Dreht er, was er kann.

Barfuß auf dem Eise Wankt er hin und her Und sein kleiner Teller Bleibt ihm immer leer.

Keiner mag ihn hören, Keiner sieht ihn an, Und die Hunde knurren Um den alten Mann.

Und er läßt es gehen Alles, wie es will, Dreht und seine Leier Steht ihm nimmer still.

Wunderlicher Alter, Soll ich mit dir geh'n? Willst zu meinen Liedern Deine Leier dreh'n?

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