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Schluss mit dem Gottes-Trick Diversität ist die Realität der Berliner Gesellschaft. Und die Realität der Bühnen der Stadt sollte und kann sie auch werden. Praxisbeispiele gibt es ja

Von Kevin Rittberger mit und für Menschen zu machen, die sich einen Theaterbesuch nicht uch wenn sich hier und da leisten können oder kaum Zugang die Zugangschancen ver- zu Bildungsangeboten haben. Klas- bessert haben und es so sismus kann etwa bei Vorstellungs- A aussieht, als habe sich gesprächen und innerhalb der schon viel geändert – der Berliner künstlerischen Arbeit ebenso zum Kulturbetrieb bildet die Diversität Problem werden wie Rassismus und der Berliner Bevölkerung bei weitem Sexismus, weiß die stellvertretende noch nicht ab. Auch die zweifellos Leiterin des Young Vic, Sue Emmas, internationale Tanzszene spiegelt aus ihrer langjährigen Erfahrung zu nicht die spezifische „Glokalität“ der berichten. Seit einigen Monaten ar- Berlinerinnen und Berliner (um ei- beitet sie mit dem frisch gekürten In- nen Begriff des britischen Soziolo- tendanten, dem Schauspieler und gen Roland Robertson aufzugreifen). Regisseur Kwame Kwei-Armah zu- Diese sind hier ansässig, kommen sammen, der zuvor als erster auch von hier, sind aber in eine dia- schwarzer Intendant in den Verei- sporisch globaleVielfalt verwoben. nigten Staaten das Baltimore Center Stage Theatre geleitet hatte. Vorzeigetheater Maxim Gorki Kwei Armah berichtet davon, wie Auf den Bühnen lässt sich die Aufhe- einsam der Weg an die Spitze sein bung der Trennung zwischen Eige- kann. Um so wichtiger sei es ihm in nem und Fremdem zuweilen schon seiner täglichen Arbeit, dieTüren zur erkennen. „Transkulturelles Thea- Probebühne offen zu lassen, mit ter“ nennt das der LeipzigerTheater- sämtlichen Mitarbeitern und Mitar- wissenschaftler Günther Heeg in Ab- beiterinnen im ständigen Austausch grenzung vom Multikulturalismus, zu stehen und ihre Kritik und Wün- in dem Getrenntes zusammen- sche in seine Arbeit direkt einzube- kommt. Neben dem Gorki-Theater ziehen. Mahamdallie nennt dies den und dem Ballhaus Naunynstraße, basisdemokratischen Möglichkeits- den beiden Leuchttürmen für Diver- raum des Theaters. Diversität könne sität in derTheaterszene, gibt es aber dergestalt auch andere Leitungsmo- allzu oft lediglich Projekte mit Alibi- delle bedeuten, Kollektivintendan- funktion, sprachliche Neuregelung zen etwa. (wie das All-Gender-Sternchen) Jeder dritte oder vierte Einwohner ohne strukturelle Veränderungen oder feigenblattartig vereinzelte En- Dass man hierzulande mit Diversität gagements diverser Schauspielerin- immer noch etwas Ausgedachtes nen und Schauspieler, die letztlich oder gar Oktroyiertes verbindet, ist nur betonen, dass das Bild einer wei- nicht verständlich. Denn es geht um ßen Mehrheitsgesellschaft nach wie etwas, was unsere Gegenwart in vor das bestimmende ist. Das Musical „“ im National Theater London adaptiert die Sage von und Eurydike. Die Menschen auf der Bühne sind so verschieden wie in der Stadt. HELEN MAYBANKS Deutschland längst ausmacht: In der Die US-amerikanische Feminis- Berliner Bevölkerung hat jeder vierte tin Sara Ahmed bezeichnet diese bis dritte Einwohner, jede vierte bis Form der Diversität als „institutio- der letztenTagung im November wa- übergeordnet, die das Gelingen ei- schaftlichen Realität. Der britische in Projekten oder Events von oben dritte Einwohnerin, einen nicht- nelle Politur“. Dennoch ist ein An- ren überwiegend Stellvertreterinnen ner progressiven Diversitätsentwick- Autor Hassan Mahamdallie, der für herab als Abweichungen oder Exo- deutschen Familienhintergrund. fang gemacht. Damit die Entwick- und Stellvertreter anwesend. lung der Theater über Fördertöpfe den Arts Council England den Crea- tismen. Mahamdallie nennt diesen Scheinargumentationen wie die, lung nachhaltig ist, hat die Senats- Zudem stehen die Theater auf ei- direkt honorieren kann. So macht tive Case for Diversity, eine Hand- Effekt den„Gottes-Trick“. dass man gerne mehr schwarze verwaltung für Kultur und Europa nem besonderen Prüfstand, da der etwa das National Theatre London lungsanleitung für die Umsetzung Frauen, LSBTI, Menschen mit Be- Schauspieler einstellen würde, wenn eine Konzeptions- und Beratungs- Rechtsruck der bundesdeutschen auf seiner Webseite transparent, wo von Diversität und Inklusion ge- hinderung, People of Colour sowie es sie denn gäbe, und dass man sie ja stelle für Diversitätsentwicklung ein- Medienlandschaft, wie ihn zuletzt Staatsbürgerinnen und Staatsbürger auch nicht zur Arbeitslosigkeit aus- gerichtet: Diversity Arts Culture etwa der Kulturkritiker Georg mit diasporischen Bezügen seien bilden wolle, weil da so wenige Rol- wurde im April 2017 mit dem Ziel ge- Seeßlen attestiert hat, auch die aber nie marginal, sondern würden len für sie seien, ist Kwei-Armah ge- gründet, einen diversitätsorientier- Theater unter Druck setzt. Nicht alle höchstens marginalisiert. Die Lon- wohnt. Er hat lange als Berater von ten Strukturwandel im Kulturbetrieb sind mit dem Selbstverständnis der Kwame Kwei-Armah, der Intendant des doner Theaterszene sei so reich ge- Nic Hytner, dem Intendanten des anzuregen und zu fördern. „Erklärung der Vielen“ einverstan- worden, weil es verbindliche Richtli- National Theatre London gearbeitet, Unmittelbar an die Leitungsebe- den, den Rechten keine Bühne zu ge- Londoner Young Vic, hat ein Archiv mit nien gebe und Maßgaben größten- und in dieser Zeit ein beeindrucken- nen der Berliner Theater adressiert, ben, und wünschen sich mehr Kon- 500 Stücken schwarzer Autorinnen teils eingehalten würden. Es sei nicht des Archiv von fünfhundert Stücken bietet Diversity Arts Culture immer troverse. Diversität, eine der meist- nur kultureller Reichtum, pflichtet schwarzer und PoC-Autorinnen und wiederTagungen undWorkshops an, gehassten Figuren im Drama des und Autoren: Das Black Theatre Archive. Claire Saddleton, beim Arts Council Autoren geschaffen, das Black The- um die mangelnde Umsetzung von Kulturkampfes der Neuen Rechten, England für den Bereich der Theater atre Archive. mehr Diversität und Inklusion in den kann auch schnell wieder von der verantwortlich, ihrem Kollegen Ma- Es gilt in den derzeitigen Kultur- Berliner Theatern anzusprechen Bildfläche verschwinden. Hilfreich hamdallie bei, sondern auch die Tat- debatten, die sich seit Metoo und und gezielte Lösungsvorschläge an- für die Berliner Theaterlandschaft – es in puncto Geschlechtergerechtig- schrieben hat und zur letztenTagung sache, dass sich größere Diversität Metwo immer häufiger auch auf die zubieten. Fraglich ist jedoch, wie die und nicht nur für diese – wären folg- keit vor und hinter der Bühne oder in Berlin eingeladen war, misstraut beim Kartenverkauf bezahlt mache. soziale Frage konzentrieren, Wider- Angebote von den Häusern ange- lich Strukturen, die sich nicht so ein- der Anzahl der Stücke, die aus der Fe- langsamen und freiwilligen Verän- Für den Arts Council England ist sprüche in unserer Gesellschaft aus- nommen werden, zumal diese ja an fach wieder wegkürzen lassen. der von Personen of Colour stam- derungen. Das immer noch als nor- Diversity längst kein Modewort zumachen und nicht den einen auf ihren je eigenen Profilen arbeiten Das britische Modell liegt hier auf men, im Moment steht und wo es in mal empfundene Zentrum der wei- mehr und noch weniger Zutat neoli- dem Rücken des anderen zu verhan- und ungern aufgerufen werden, er- der Hand. Mit dem Arts Council Eng- drei Jahren stehen will. Sämtliche ßen, männlichen, mittelständischen beraler Unternehmensphilosophie, deln. Es gilt, ins Gespräch zu kom- folgreiche Modelle zu kopieren. Bei land ist den Theatern eine Instanz Quoten nähern sich stetig der gesell- Mehrheit betrachtet Randgruppen da es hier auch darum gehe, Theater men und vor allem: zu handeln.