59 Bad Alchemy
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59 BAD ALCHEMY 1 Well, it's been quite a time since I have heard something that really gets me going, but there's a lot that makes me laugh, sad to say. Guido Huebner 2 hmmm daemon Ob eine schleimige oder glänzende, die Spur die Stefan BIDNER & Christian MARTI- NEK (& friends) von Friendly Fire (2004) mit seinem Pettibon-Cover über Outcast of the Universe (2005) und I love my Time, I don‘t like my Time (2007) zu hmmm daemon (Taliban Records) zogen, ist eine konsequente. Das Cover stammt diesmal von Jo- nathan Meese, kollegialerweise, vermute ich. Denn ansonsten gehn Copyright wie Aus- tropop den beiden Künstlern am Austropopo vorbei. Es wird ungeniert gesamplet, ent- führt, parodiert. Subversiv alberne Reimseuchen-Songs mit Das-kenn-ich-doch-Garan- tie wie ‚Daemons are forever‘, ‚Tanzt den Dämon!‘ oder ‚Gestern gleich heute reich‘, die vom Technosarkasmus von Ilse Gold gestreift scheinen, wechseln mit gesprochenen Texten (‚Verbale...‘), die von ‚Quantenerotik‘ und der ‚Denkseuche‘ Philipp Mainländers infiziert sind, weil sie von Freund Thomas Feuerstein stammen (-> http://daimon. myzel.net). Zwischen die Austropopobacken geklemmt wie Beckett‘sche Spieler in ihre Urnen, wirken Feuersteins philosophisch-poetischen Schwurbeleien (gesprochen von Dirk Stermann), wie Gedanken in einer derartigen Klemme nur wirken können - kako- dämonisch - das Feuer des Gottes Anus soll sich durch alle Gedärme brennen bis ein gewaltiges Universum schwarzer Löcher im Licht heller als die Sonne erstrahlt. Aus ih- ren facettengeschliffenen Rosetten sollen Diamanten leuchten, die das Licht wie nasse Fürze von einem zum nächsten spiegeln, bis eine glitzernde Wolke die Umnachtung bannt... Der Song brennt sich wie ein semantischer Wurm durch die Gedärme und ein unwiderstehlicher Zwang saugt in das tiefe Loch eines unvermeidlichen Nichts, aus dem sich die Leere der Existenz schöpft. Keine Kontingenz der Worte vermag zu retten, kein metaphysisches Opium übertönt die neuronale Koprophilie. Ha! ‚Outcast of the Universe‘ nimmt Bezug auf Feuersteins so überschriebenen Text, der an Nathaniel Hawthornes Erzählung Wakefield anknüpft und von Parallel(wes)en spricht, die sich im Paradies treffen (dem Ort mit dem Recht zu leben, mit Gefährten seiner Wahl, unter Gesetzen, die man aus Überzeugung gutheißt). Ich zitiere daraus nur das furiose Finale, das ein egofugales Anderswerden der Pop-Existenz postuliert: Für Pop ist die Zeit gekommen. Ohne Ankündigung und beinahe unwillentlich vollzieht sich der Abgang in sein exzentrisches Exil. Sein Schicksal unterscheidet sich von Modellen des dissidenten Scheiterns: Er ist kein Henry David Thoreau, kein passiver Verweigerer wie Bartleby, kein „Dämon der Möglichkeit“ wie Monsieur Teste und kein mysteriöser Frem- der wie Johan Nagel. Er teilt eine unbestimmte Passivität mit all diesen Anti-Helden, aber sein Lächeln entspringt nicht der abstrakten Negation. Die fatale Transformation vollzieht sich unbewusst und ohne Möglichkeit des Einspruchs. Er wird zur Maschine der ungelebten Möglichkeit, das Gemeinsame im Gesellschaftlichen zu finden. Wer nicht fundamentalistisch regredieren oder an der konsumistischen Aushöhlung zugrun- de gehen will, muss die Furcht, alle individuellen Eigenschaften an externe Systeme und intelligente Maschinen abzugeben, überwinden. Bis zur Selbstaufgabe wird sich Pop entsubjektivieren, um sich in der substanzlosen Leere der Subjektivität als künstliche Singularität neu zu erfinden. (www.suisite.org/ outcast/paradies.html) Dieser transhu- mane Tenor und das Lob der Entsubjektivierung lassen sich besser verstehen, wenn ei- nem die Brocken von Jonathan Meeses Pamphlet ‚Der Vulkan muss ausbrechen‘ um die Ohren fliegen, das er im Gespräch mit Feuerstein ausformuliert hat. 3 Meeses Dämonologie entlarvt als Dämonen der übelsten Sorte die ‚Ich-Dämonen‘. Die übelsten Dämonen sagen, richte dir dein persönliches, kleines mickriges pri- vates Nest ein. Genau dort bist du in der Totaldämonie gefangen. Du riechst nur mehr an deinem eigenen Dämonenfurz, der zum Maßstab von allem wird ... Ich- Dämonen sagen, spiele nicht weiter, konzentriere dich auf deine jämmerliche Existenz. Der eigene Furz wird zum Maßstab für andere, zum Dampfantrieb und sozialen Treibstoff. Es werden darauf Welten gebaut und Konstrukte geschaffen, die alle möglichen Leute versklaven sollen. Diesen Dämonen gilt es zu widerste- hen, zu widersagen und zu entkommen im Sprung nach außen. Denn die Seele ist außen, ebenso wie die Dichtung oder die Revolution. Das Ich muss zum Gegen- stand werden, Bühne und Wirt für Dämonen, Parasiten und Maschinen. Slavoj Zi- zek sieht das ähnlich, ist aber schon eine Drehung weiter: Humanity means: The aliens are controlling our animal bodies ... Our Ego is an alien force distorting, controlling our body. Feuersteins Interesse gilt dabei insbesondere dem ‚Sprachdämon‘, den Burroughs ‚Virus from outer space‘, Zizek ‚alien intruder‘ und Heideggger bereits ‚Sprachmaschine‘ titulierten. Die durch diesen Dämon oder Virus bewirkte Besessenheit oder Krankheit, nennt Feuerstein spielerisch ‚Verbale‘. Alle Unterschiede, die wir dafür halten, sind keine, konstatiert Meese in seinem Anfall von ‚verbalem‘ Delirium. Es gibt heute weltweit keine politische Partei, die radikal genug ist, einen Unterschied zu machen. Nur Kunst ist radikal, weil die Anti-Realität immer stärker als die Realität ist ... Die Diktatur der Kunst ist der Bunker der Anti-Realität, ein Sandkasten, der alle Ketten sprengt und das rituallo- se Spielen ermöglicht ... Die Kunst wird Maschine sein ... das ultimative Ding. Das ultimative Kunstwerk ist die Diktatur der Kunst. Die Diktatur der Kunst hat die Lö- schung des Individuums zum Ziel und die Erweiterung des Spielraums der Anti- Realität. Je hemmungsloser und demutsvoller man spielt, desto mehr dehnt sich dieser Raum aus, der selbstverständlich kein transzendenter ist, sondern ledig- lich ein zentrifugaler, elliptischer. Ich ≠ Ich. He/She/It aint necessarily so. Die ultimative Maschine nennt Meese Spielzeug ... Spielzeug, welches durch sich selbst für sich entstanden ist und sich selbst demutsvoll spielt. Die fatale Trans- formation, von der Feuerstein spricht, besteht offenbar darin, von intelligentem Spielzeug ergriffen und wie Nietzsche zum Krikelkrakel dieser anderen Macht zu werden. Das post- oder transhumane Sosein ist ein hemmungslos und demutsvoll verspieltes. Unter der Macht, unter der Diktatur des Spiels, dessen Reich die Anti- Realität ist, gibt es keine Gewinner und Verlierer mehr. Wie das konkret aussieht, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass es notwendig ist. Das, was Meese zufolge einzig Zukunft hat, nennt er Tierkinder ... ein Metallkind mit Tierbabygesicht. Un- sere Aufgabe ist es, den Nullpunkt zu setzen und abzudanken. Die Welt, wie wir sie kennen, wird organisiert im Symbolischen der Lettern, im Imaginären der Monumente und im Realen der Leichen (W. Ernst). Wobei die Lei- chen und Knochen, damit sie uns nicht schrecken, unter Lettern begraben wer- den, in Bildern und in Melodien verschwinden. Ohne das Umschleiertsein durch die Illusion (von lat. ludere – spielen), ohne den aus Abstraktionen, Analogien, As- soziationen, Einbildungen, Klischees, Projektionen, Routinen, Vermutungen und jede Menge Anästhesie gewebten prosaischen Zauber des Alltags, der das Ent- setzliche und Absurde des Daseins in Vorstellungen umbiegt, mit denen sich le- ben läßt (Nietzsche), egal ob als Tragödie, Komödie oder Lindenstraße, bliebe der Horror, einem elenden Eintagsgeschlecht anzugehören, unmittelbar. Enchant- ment jedoch, die Verzauberung der Welt, is the work of language; of spell and spiel. (M. Chabon) Die Welt, die uns etwas angeht, ist falsch d.h. ist kein Tatbe- stand, sondern eine Ausdichtung… Fiktion… eine Umformung der Welt, um es in ihr aushalten zu können, wie Nietzsche nicht müde wurde, ins Bewusstsein zu hämmern. Damit jedermensch sich zum Co-Autor und kreativen Mit-Spieler des Wirklich wahren Lebens aufschwingt, egal ob das Leben dabei ein ‚Gedicht’ (H. Bloom) wird, ein ‚Bildungsroman’ (C. Wackwitz) oder einfach eine möglichst rei- che ‚Inventarliste’ (R. Rorty). Reality is the page. Life is the word. (David Mitchell: number9dream) 4 Fiktionalisierung, Als ob (Vaihinger) und Fake, die ‚Fälschung der Welt’ (explizit J.L. Borges, Ph. K. Dick, William Gaddis, Bruno Schulz, Orson Welles) als ‚Mach- & Gaukelwerk’ (The Truman Show) sind die kollektive ‚Verschwörung’, die wir ständig ‚vergessen’, um ihren Pleasantville-Effekt genießen zu können. Jedes großmäulige Pochen auf ‚Realität‘ vs. ‚Fiktion‘ macht naiv nur einen Unterschied zwischen ‚Fiktionsebene 1‘ und ‚Fiktionsebene 2‘. Nietzsche plädiert statt dessen dafür, eine Autorschaft für die ‚Wirklichkeit, die uns etwas angeht‘ zu behaupten und so das Als ob einer Souveränität über den Nachteil, geboren zu sein (Cioran), zu genießen. Nähme man 'in-ludere' wörtlich in der Bedeutung von 'inneres Spiel', wäre diese Auffassung unserem Aus- druck ‚Gedankenspiel’ analog. Unter diesem Blickwinkel würde ‚Illusion’ nicht von vornherein schon Täuschung be- deuten, gleichwohl aber der Tatsache entsprechen, dass je- des Vorstellen und damit im weiteren auch jedes Denken im- mer Einbildung, schöpferische Selbstgestaltung und insofern sogar eine "creatio ex nihilo" ist (Ingo-Wolf Kittel). ‚Gedankenspiel’ (bei Arno Schmidt ‚LG’ – Längeres Gedan- kenspiel), Spiel überhaupt (Huizinga, Situationisten, Ludo- sophie), wird dabei zur menschlichen Weise, durch Simula- tion wie durch Narration die Trennung von Stoff und Form (F. Kittler), vulgo den Tod, wenn nicht aufzuheben,