FORSCHUNGSJOURNAL NSB, Je;. 8, HÜFT 3, 1995 [ '

Editorial 3

Tagungsankündigung: Soziale Bewegungen und Nicht-Regierungsorganisationen 13

Call for Papers Ethnisierung von Devianz und sozialer Kontrolle 15

Soziale Bewegungen zwischen Kontinuität und Transformation Eine Bilanz am Beispiel der Umweltbewegung 16

Otto Kallscheuer Was heißt schon Kommunitarismus? 17

Hans Joas Der Kommunitarismus - eine neue „progressive Bewegung"? 29

Hans Vorländer Ein vorläufiges Nachwort zur deutschen Kommunitarismusdebatte 39

Roland Roth Kommunitaristische Sozialpolitik? Anmerkungen zur aktuellen Debatte über Professionalität und Ehrenamt in der Sozialpolitik 44

Michael Opielka Gemeinschaft als Ressource der Sozialpolitik Zur Relevanz der Kontroverse zwischen Liberalismus und Kommunitarismus für die Wohlfahrtsstaatsdebatte 54

Martina Ullrich Kommunitarismus und Feminismus Berührungspunkte „postliberalen" Denkens 63

Werkstattgespräche:

Thomas Meyer Kommunitarismus und soziale Demokratie 73

Thomas M. Gauly Programmatik und Politik der CDU und ihr Verhältnis zu kommunitaristischen Konzepten 76 2 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Winfried Kretschmann Die Grünen und der Kommunitarismus 83

Hans Vorländer Die Haltung der FDP zum Kommunitarismus 86

Gerd Mielke Leitgedanken des Kommunitarismus und Zwänge der politischen Praxis 89

Harald Plamper Lean Administration - Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen 97

Pulsschlag Marion Becker-Richter / Beate Kortendiek „Wir kochen schon lange..." Mütterzentrum - Ein frauenpolitisches Selbsthilfeprojekt 101

Jörg Scheinpflug Ehrenamtliche Tätigkeit älterer Menschen 102

Tagungsbericht Annette Zimmer Zwischen Staat und Markt: Der Nonprofit-Sektor in Deutschland 103

Treibgut Material, Termine 108

Rezensionen 112

Ansgar Klein Rainer Forst: Kontexte der Gerechtigkeit 122

Andreas Keller/Martina Ullrich

Kommunitarismus - ein Literaturüberblick 126

Annotationen 133

Aktuelle Bibliographie 135

Abstracts 141 TV.-; •\ .1 NSB. T. . S. TT -i r IO05

Der Ruf nach mehr Gemeinsinn, bürger• demokratische und partizipatorische Bezüge schaftlichem Engagement und einer Rückbe• aufweist. sinnung aufgeteilte Werthorizonte des politi• Das politische Koordinatensystem von schen Gemeinwesens hat in Deutschland „rechts" und „links" wird in der Kommunita• derzeit Konjunktur. Die Probleme der poli• rismusdebatte von dem normativen Koordina• tisch-kulturellen Integration des vereinten tensystem von „Liberalismus" und „Republi• Deutschlands und die augenscheinlichen kanismus" überlagert: Es markiert die Pole Überforderungen des Sozialstaates angesichts der Diskussion über die Stärkung bestehender einer sich vertiefenden sozialen Ungleicheit und die Schaffung neuer „posttraditioneller" befördern das politische Interesse an der Gemeinschaften (siehe auch den Beitrag von Wertediskussion. Angeregt wird die neue Martina Ullrich über Berührungspunkte und Gemeinschaftsdiskussion von der amerikani• Differenzen von Feminismus und Kommunita• schen Kommunitarismusdebatte. Hier hat rismus). Auf der einen Seite steht das liberale sich aus der akademischen Diskussion auch Mißtrauen gegen die Einschränkungen recht• eine politische Intellektuellenbewegung for• lich geschützter individueller Handlungs• miert und ein erstes politisches Reformpro• spielräume im Namen von Gemeinschaftsan• gramm entwickelt (siehe dazu den Beitrag sprüchen, auf der anderen Seite in Anschluß von Joas). Einschränkungen hinsichtlich an die Kritik des individualistischen Libera• einer direkten Übertragung der amerikani• lismus, der die soziale und politische Integra• schen Debatte in den bundesrepublikanischen tion gefährdet, die Forderung nach einer Kontext und deren Ertrag sind allerdings Stärkung sozialer und politischer Gemein• angebracht (dazu die Beiträge von Otto schaftsbindungen. Kallscheuer und Hans Vorländer). Auffällig - und wohl auch ausschlaggebend Die bislang vor allem akademische Rezeption für die Aufmerksamkeit, die die Kommunita• des Kommunitarismus in der Bundesrepublik rismusdebatte im politischen Diskurs erfährt - scheint nunmehr mit einiger Verzögerung sind die zeitdiagnostischen Überschneidun• auch in den politischen Bereich auszustrahlen gen von Wertkonservatismus, Linksliberalis• (siehe dazu die „Werkstattgespräche" zu den mus und Republikanismus: Sie befürchten Anregungen des Kommunitarismus für die übereinstimmend eine Gefährdung der sozial- Programmatik der politischen Parteien).' integrativen und politisch-kulturellen Be• Eine stabile politisch-kulturelle Westbindung standsvoraussetzungen der liberalen Demo• ist die Voraussetzung dafür, daß in Deutsch• kratie und sehen sich zugleich mit dem Pro• land - eingedenk aller historischen Hypothe• blem konfrontiert, daß eine Erneuerung ken des Gemeinschaftsdenkens in seiner dieser Voraussetzungen nur sehr begrenzt völkisch-nationalen Ausprägung - die Frage möglich erscheint. Vor diesem gemeinsamen nach den Möglichkeiten einer Stärkung des Hintergrund trennen sich freilich die Argu• politischen Gemeinsinns von einer liberalen mentationsstrategien in der neueren Gemein• Ausgangsbasis her wieder gestellt werden schaftsdiskussion, werden unterschiedliche kann. Die deutsche Rezeption des amerikani• Sichtweisen von politischer Gemeinschaft, schen Kommunitarismus verdankt sich nicht Bürgertugend und den zu ergreifenden Maß• zuletzt der Tatsache, daß das amerikanische nahmen deutlich, aber eröffnen sich auch Gemeinschaftsdenken traditionell starke neue Konstellationen und Anschlußfähigkei- ten innerhalb der demokratietheoretischen FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEIT 3, 1995

Diskussion. Die Kommunitarismusdebatte hat blikanismus, mittels einer Ausweitung der dazu beigetragen, normative Modelle der Betätigungsfelder bürgerschaftlichen Han• Demokratie deutlicher zu unterscheiden2. Es delns angestrebt werden. Dezentralisierung zeichnen sich mittlerweile einige grundlegen• und die partizipative Öffnung politischer de demokratietheoretische Argumentationsfi• Institutionen, allgemein gesprochen: mehr guren in Zusammenhang mit der kommunita- Demokratie gilt hier als wesentliche Voraus• ristisch inspirierten Zeitdiagnose ab. setzung für eine hinreichende Reproduktion von Bürgersinn. Doch während die liberale Der Wertkonservatismus fordert die Stärkung Demokratie mit ihren elitedemokratischen bestehender Gemeinschaften, Werte und Formen politischer Repräsentation die Indivi• Traditionen. Häufig am Modellfall der Fami• duen als Bürger unterfordert, läuft der Repu• lie entwickelt und dann vor allem auf die blikanismus Gefahr, die Bürger mit zu hohen Schule übertragen, nehmen Traditionsbe- Tugendzumutungen und übertriebenen Parti• wußtsein, Gehorsam, Autorität und Verant• zipationserwartungen zu überfordern und wortung die oberen Ränge der Tugendhirar- zudem die Möglichkeiten direkter Demokratie chie ein3. Im Zusammenspiel mit einer Liste zu überschätzen. Zudem ist der Republikanis• von Sekundärtugenden soll die Revitalisie• mus mit seiner Aufwertung der politischen Gemeinschaft gegenüber den einzelnen und rung dieser Tugenden den gemeinsamen Gruppen nicht vor der Akzentuierung ethisch Werten der politischen Gemeinschaft und der partikularer Gemeinschaftsbindungen gefeit. Identifikation mit der Nation wieder das Maß Darauf haben die Liberalen in der amerikani• an Geltungskraft verleihen, das im Zusam• schen Kommunitarismusdebatte hingewiesen menhang mit der Kulturrevolution von 1968 und demgegenüber betont, daß sich eine und einem hedonistischen Wertewandel, der politische Gemeinschaft unter Bedingungen als Wertezerfall gedeutet wird, verloren ge• des kulturellen Pluralismus bewähren müsse5. gangen sein soll. Der für autoritäre Zuspit• Dies haben Vertreter eines liberalen Republi• zungen durchaus offene Wertekonservatismus kanismus anerkannt. (dazu auch Michael Opielka in diesem Heft) kann allerdings nicht deutlich machen, wie unter der Voraussetzung des von ihm drama• Der Linksliberalismus und das Modell delibe- tisch skizzierten Wertezerfalls eine Stärkung rativer Demokratie nehmen eine vermittelnde traditionaler Gemeinschaften aussichtsreich Stellung zwischen Liberalismus und Republi• angestrebt werden kann. Diese Einsicht hat kanismus ein und markieren auch das Terrain eine Suchbewegung ausgelöst, die den Blick neuerer Einigungsversuche in der amerikani• auch auf die im Gefolge des sozialen Wandels schen Kommunitarismusdebatte. Die zentrale entstandenen neuen Gemeinschaftsformen Bedeutung gleicher Freiheiten und Rechte gilt richtet und die Ausbildung „post-traditiona- hier als unverzichtbares liberales Erbe, aber ler" Gemeinschaften als produktive Heraus• gegen den individualistischen Liberalismus forderung des Wertkonservatismus aner• wird die „ Gleichursprünglichkeit von Men• kennt4. schenrechten und Demokratie " (Habermas) hervorgehoben. Der Bürger als Autor des Bürgertugenden stehen seit seinen klassi• Rechts tritt gleichrangig neben den Bürger schen Anfängen im Zentrum des Republika• als Adressat des Rechts. In Konzeptionen nismus. Deren Stärkung soll, folgen wir der einer „ deliberativen Demokratie " kommt der Argumentation eines demokratischen Repu• institutionellen Öffnung der politischen Wil- FORSCHUNGSIOURNAL NSB, JG. 8, Hl-FT 3, 1995 •Ol

lensbildung und Entscheidungsfindung für Mißerfolge der von Clinton angestrebten das argumentative Zusammenspiel von Laien Reform des Gesundheitswesens und eines und Experten, Bürgern und Repräsentanten, weiteren Abbaus sozialer Leistungen des Betroffenen und Entscheidern eine wichtige Staates - erst neuerdings schärfer akzentu• Rolle zu. Der Einbau deliberativer Momente iert. Ganz anders die deutsche Diskussion: in die Institutionen und Prozeduren des politi• Die Krise des Sozialstaats steht hier von schen Prozesses soll die Rationalität der vornherein im Zentrum und mit dem Subsidia- Politik sicherstellen und die Bürger in den ritätskonzept liegt ein deutungsoffenes sozial• politischen Prozeß involvieren, ohne an sie zu politisches Begründungsmuster bereit, das - hohe Tugenderwartunge zu stellen6. Institutio• das politische Lagerdenken übergreifend - nelle Reformen7 sollen Spielräume bürger• Anschlüsse an die Debatte über die „ Wohl• schaftlicher Partizipation eröffnen und zu• fahrtsgesellschaft" bietet (dazu auch die gleich sicherstellen, daß Staatsbürgerqualifi• Beiträge von Roland Roth und Michael kationen eingeübt und vernünftige politische Opielka). Die Diskussion über eine Entwick• Entscheidungen getroffen werden. lung vom „Sozialstaat" zur „Wohlfahrtsge• sellschaft" greift, wie Adalbert Evers an In den Beiträgen des Themenheftes werden anderer Stelle mit Recht betont hat, auf die Anschlüsse an die zuvor nur knapp skiz• „wichtige Elemente sozialer Bewegungen wie zierten Diskussionen normativer Demokratie• Selbstorganisation und Selbsthilfe, solidari• theorie nicht systematisch verfolgt. Auch die sche Kooperation, Engagement und Beteili• moralphilosophische Argumentation des gung " zurück. Zugleich muß sie mit einer amerikanischen Kommunitarismus, die sich geschwundenen politischen Schubkraft der in über eine Kritik des liberalen Vertragsden• die Jahre gekommenen „neuen" sozialen 8 kens - v.a. John Rawls „ Theorie der Gerech• Bewegungen rechnen. tigkeit" - entwickelt hat, wird nur gestreift (dazu die Rezension des Buches von Rainer Die Kommunitarismusdebatte trifft im deut• Forst: „Kontexte der Gerechtigkeit"). Ausge• schen Kontext auf eine ebenso ausgedehnte leuchtet wird hingegen das reformpolitische wie bedeutungsvielfältige Diskussion über Anregungspotential der Kommunitarismusde• Subsidiarität und soziale Gerechtigkeit. Sub• batte vor dem Hintergrund von Problemen sidiäre Reformkonzepte des Sozialstaates, die der transkulturellen Rezeption des amerikani• sich einer zivil- und wohlfahrtsgesellschaftli• schen Kommunitarismus in dem anders gela• chen Terminologie nicht nur aus rhetorischen gerten politisch-kulturellen Kontext der deut• Gründen bedienen, müssen das Wechselver• schen Diskussion. Interessanterweise scheint hältnis von politischer Demokratisierung und hierzulande vor allem die Diskussion über die Sozialpolitik berücksichtigen. Sozialpolitik Demokratisierung des Wohlfahrststaates schafft zum einen erst die Voraussetzungen („ Wohlfahrtsgesellschaft") und die Neukon• von mehr Bürgerbeteiligung: Sozialstaatliche zeption sozialer Subsidiarität von den Anre• Maßnahmen gegen die voranschreitende gungen der amerikanischen Kommunitaris• Exklusion breiter Bevölkerungsschichten musdebatte politisch zu profitieren. bilden die notwendige Bedingung dafür, daß die betroffenen Gruppen ihre Interessen auf Sozialpolitische Fragestellungen sind in der dem Wege verstärkter Bürgerbeteiligung zu amerikanischen Diskussion bislang eher artikulieren vermögen. Zum anderen kann unterentwickelt und werden - angesichts der erst eine institutionelle Öffnung für Beteiii- FORSCHUNGSJOURNAL NSB, Je. 8, HEFT 3, 1995

gung bei Staat und Wohlfahrtsverbänden seitens des völkischen Nationalismus und bewirken, daß an Stelle eines dominierenden seiner nationalsozialistischen Durchführung sozialpolitischen Klientelismus neue Formen liegt der deutschen Rezeption des amerikani• der Bürgerbeteiligung in der „ Wohlfahrtsge• schen Gemeinschaftsdenkens ein prinzipielles sellschaft" treten. Bei dieser Ausrichtung der Mißtrauen zugrunde. Demgegenüber weist sozialpolitischen Reformdiskussion berühren Kallscheuer auf die demokratischen und sich Kommunitarismus und Demokratietheo• partizipatorischen Konnotationen der ameri• rie mit Fragen des „ Dritten Sektors " ( dazu kanischen Diskussion hin. Drei Diskussions• auch den Tagungsbericht von Annette Zimmer kontexte des amerikanischen Kommunitaris• in den Rubriken dieses Heftes)9, der Reform mus gilt es zu unterscheiden, um Mißver• des sozialen Ehrenamts'" und der Selbsthilfe ständnisse der Rezeption zu vermeiden: In der (dazu auch den Beitrag von Roland Roth). amerikanischen Religions- und Kultursozio• logie steht der „communitarianism" für ge• Die deutsche Rezeption der amerikanischen genkulturelle und utopische Gemeinschaften; Kommunitarismusdebatte erfordert, so Otto im Kontext von Republikanismus und ziviler Kallscheuer, zum einen eine ideengeschicht• Gesellschaft steht der Begriff für die Suche lich sensibilisierte Verortung der neueren nach einem republikanischen politischen Gemeinsinn und dessen Voraussetzungen in Gemeinschaftsdiskussion in den älteren Tra• ausgebauten Möglichkeiten demokratischer ditionen des europäischen Denkens. Zum Partizipation; in Ethik und Sozialwissenschaft anderen müssen die Besonderheiten des schließlich steht der Kommunitarismus für amerikanischen Gemeinschaftsdenkens be• eine „Familie" rationalismuskritischer Argu• rücksichtigt und dessen jeweilige Verwen• mente gegen den methodologischen Indivi• dungskontexte unterschieden werden, um dualismus und Systemfunktionalismus und Mißverständnisse der Rezeption zu vermei• gegen ein wissenschaftsgläubiges Selbstver• den. ständnis der Moderne. Der Kommunitarismus stellt, so das Resümee, keinen traditionalisti• Die europäischen Traditionen des Gemein• schen Rückfall, sondern eine Rückkehr zu schaftsdenkens reichen ideengeschichtlich den vernachlässigten skeptischen, historisti- weit zurück. Gemeinschaftlichkeit als Legiti• schen und sensualistischen Seiten der Aufklä• mitätskriterium des Gemeinwesens wird rung dar. bereits bei Augustinus (radikale Demokratie) und Thomas von Aquin (soziale Subsidiarität) thematisiert. Bei den Vorläufern der Soziolo• Die politische Programmatik und die Reform• gie (Montesquieu, Rousseau, Herder) nimmt ansätze des amerikanischen Kommunitaris• die Frage nach den Möglichkeiten und Gren• mus als einer sich formierenden Intellektuel• zen der Vergemeinschaftung unter den Bedin• lenbewegung stehen im Zentrum des Beitrags gungen moderner Gesellschaften einen zen• von Hans Joas." Diese Bewegung entwickelt tralen Stellenwert ein. Im 19. Jahrhundert sich über die doppelte Kritik sowohl des strukturieren sich die politischen Konflikte individualistischen Liberalismus als auch entlang der identitätspolitischen Optionen von einer staatszentrierten Reformpolitik. Unter Konfession, Nation und sozialer Klasse. dem Schlüsselbegriff einer „Remoralisiening" der Politik stehen die Themen Familie und Angesichts autoritärer und/oder harmonisti- Schule, die Revitalisierung bestehender und scher Konzeptionen der „Volksgemeinschaft" Schaffung neuer Gemeinschaften, die Struk- FORSCHUNOSJOURNAL NSB, JG. 8, HlTPT 3, 1995

turen des politischen Willensbildungsprozes• Debatte repräsentiert sie ein brisantes zeitdia• ses sowie die Reform des Wohlfahrtsstaates gnostisches Potential. Der Kommunitarismus im Zentrum der politischen Programmatik. sensibilisiert für die soziomoralischen Voraus• Darüber hinaus gibt der Kommunitarismus setzungen moderner Gesellschaften und auch Impulse für neue Konzeptionen der macht auf die Folgen von Individualisie- Außenpolitik und die Gestaltung der interna• rungsschüben und Wertewandel ebenso auf• tionalen Beziehungen im Sinne einer „post- merksam wie auf die prekären Anforderungen Hobbesschen Ordnung". an die politische Kultur liberaler Demokrati• en. Beunruhigend, so Vorländer, sei freilich Vor dem Hintergrund der Darstellung von die Kluft zwischen Problemwahrnehmung Programmatik und Politikfeldern des Kom• und fehlenden politischen wie gesellschaftli• munitarismus wertet Joas diesen als einen chen Antworten. eliten-initiierten Versuch, das Ideal der De• mokratie in einer hochdifferenzierten moder• In der sozialpolitischen Diskussion hat ein nen Gesellschaft im Bewußtsein der Auswir• kommunitaristisch-zivilgesellschaftlicher kungen eines freigesetzten Individualismus Perspektivenwechsel stattgefunden und zu neu zu formulieren. Dabei wird zugleich einer Aufwertung von Formen des freiwilli• versucht, die Fehler vorangegangener staats• gen sozialen Engagements beigetragen. Be• zentrierter Reformkonzeptionen zu vermei• stehende begriffliche und theoretische Un• den. Die traditionellen Frontverläufe zwi• klarheiten in der Diskussion über „Bürgerge• schen den politischen Lagern geraten in sellschaft", „Gemeinschaft" und „Wohlfahrts• Bewegung. Wertkonservative Gegenwartskri• gesellschaft" können, so Roland Roth, nur tik und basisdemokratische wie sozialpoliti• auf dem Wege einer Präzisierung ihrer Ob• sche Ziele verbinden sich zu einem neuen jektbereiche und empirischen Bezüge sowie Konzept. Der Kommunitarismus in den USA, ihrer gesellschaftstheoretischen Reichweite, so Joas, ist eine neue „progressive Bewe• politischen Zielsetzungen und reformpoliti• gung", von der wichtige Impulse auch für die schen Konsequenzen geklärt werden. europäische Politik ausgehen könnten.

Im Felde sozialer Arbeit ist ein Professionali- Eine vorläufige Bilanz der deutschen Kom• sierungsschub zu verzeichnen, der Speziali• munitarismusdiskussion unternimmt Hans sierung, Kommerzialisierung und zunehmen• Vorländer. In eigentümlicher Sterilität sei de Arbeitsteilung begünstigt und einer Margi- diese über den engeren theoretisch-wissen• nalisierung ehrenamtlicher Arbeit Vorschub schaftlichen Diskurs nicht hinausgelangt und leistet. Informelle Hilfen in Gemeinschaften bisher politisch folgenlos verlaufen. Ein sind jedoch nach wie vor ein wichtiger Be• Grund dafür liegt - so Vorländer - darin, daß standteil der Produktion sozialer Sicherheit. die deutsche Kommunitarismusdiskussion mit In Deutschland sind über 2 Millionen Men• versetzten intellektuellen und kulturellen schen in ca. 55.000 Selbsthilfegruppen aktiv. Fronten operiert: Nicht eine Dominanz des Neben Staat und Markt bildet Gemeinschaft Liberalismus, wie sie der amerikanischen einen festen und unverzichtbaren Bestandteil Debatte zugrunde liegt, sondern eher ein des Wohlfahrtsdreiecks. Vor dem Hintergrund Defizit liberaler Wertorientierungen bildet einer zunehmenden Schere zwischen einem den Kontext der deutschen Diskussion. Trotz steigenden Bedarf an sozialen Diensten und einer politisch mageren Bilanz der deutschen den verfügbaren Finanzressourcen, einer FORSCHUNCSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Kritik an negativen Folgen der Professionali• knappen Skizze der kommunitaristischen sierung sowie der Impulse aus Alternativpro• Zeitdiagnose einen Überblick zu den sozial• jekten und Selbsthilfeinitiativen gewinnt die politischen Rückgriffen auf kommunitaristi• Frage einer stärkeren Verschränkung von sche Argumente. Die politische Aktivierung freiwilligem Sozialengagement und professio• gesellschaftlicher Solidarität gewinnt auch bei nellen sozialen Dienstleistungen an Bedeu• den sozialdemokratischen Verfechtern des tung. Es zeichnen sich Konturen einer neuen europäischen Sozialversicherungs-Staatsmo- Ehrenamtlichkeit ab. Zu deren Kennzeichen dells an Gewicht. Gemeinschaft als Steue• zählen Offenheit, Wahlmöglichkeiten, eine rungsmedium und als Alternative zu staatli• stärkere Berücksichtigung eigener Fähigkei• chen Regelungen wird vor allem bei den ten, neue Tätigkeitsfelder und demokratische Konservativen und im Umfeld der Grünen Entscheidungsformen. Doch die institutionel• diskutiert. Trotz dieser Gemeinsamkeit und len Rahmenbedingungen sind ungünstig und vermittelnden Zwischentönen bleiben jedoch es fehlen auch angemessene soziale Sicherun• wichtige Differenzen. Während die einen die gen des Ehrenamtes. Pflichten gegenüber der Gemeinschaft her• vorheben, betonen die anderen die Erweite• Die sozialpolitischen Voraussetzungen einer rung der Rechte von Mitgliedern der politi• Stärkung des freiwilligen sozialen Engage• schen Gemeinschaft. ments müssen realistisch beurteilt werden. Angesichts des institutionellen Beharrungs• Autoritär-paternalistische Rückgriffe auf vermögens der etablierten sozialen Siche• Gemeinschaft verbinden sich sozialpolitisch rungssysteme, des Trends zur Professionali• mit Konzepten des „workfare State", die eine sierung sozialer Dienste und des nach wie vor sozialstaatliche Absicherung auf eng um• dominierenden Einflusses der korporatistisch schreibbare Gruppen wirklich „Bedürftiger" agierenden Wohlfahrtsverbände sind optimi• beschränken wollen. Auch die Diskussionen stische Erwartungen unangebracht. Wesentli• über einen obligatorischen sozialen Pflicht• che Voraussetzung einer kommunitären Sozi• dienst lassen sich hier zuordnen. Demgegen• alpolitik bleiben flankierende sozialstaatliche über dominiert im Umfeld der Grünen ein Maßnahmen gegen die sich verschärfende links-libertäres Gemeinschaftsdenken, das an soziale Exklusion. Die Pallette eines sozial• ein republikanisches Konzept der Bürger• staatlichen „Garantismus" reicht vom er• schaft anschließt. In der sozialpolitischen werbsunabhängigen Grundeinkommen bis zu Debatte bildet das „garantierte Grundeinkom- Formen negativer Einkommenssteuer. Eine men" einen wichtigen Focus. politische Einmischung zur Schaffung der erforderlichen Voraussetzungen, so Roth, Insgesamt kommt dem Kommunitarismus als bleibt den Verfechtern kommunitärer Sozial• gemeinsamen politischen Bezugspunkt unter• politik nicht erspart. schiedlicher politischer Lager bei der Bildung zukünftiger gesellschaftspolitischer Reform• Markt und Staat, Ökonomisierung und Büro- koalitionen eine hohe strategische Bedeutung kratisierung gelten - so Michael Opielka - zu. Die Konkretisierung der politischen dem Kommunitarismus als mitverantwortlich Schlußfolgerungen bleibt jedoch ebenso zu für soziale Auflösungserscheinungen, Ent• leisten wie die Fortführung der philosophi• wurzelung und den Verlust von Gemein• schen Grundsatzdebatte über differierende schaftsbindungen. Opielka gibt nach einer Menschenbilder, von der letztlich die ameri- FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HnFT 3, 1995

kanische Debatte zwischen Kommunitaris• Möglichkeiten der Ausbildung posttraditio• mus und Liberalismus ihren Ausgang genom• neller Gemeinschaftlichkeit zwischen Femi• men hat. nismus und Kommunitarismus geführt wer• den. Wie wird der Kommunitarismus vom Femi• nismus wahrgenommen und bewertet? Inner• Die Kommunitarismusdebatte liefert auch den halb des Feminismus, so Martina Ullrich, Programmtheoretikern der Parteien wichtige muß zur Beantwortung dieser Frage zunächst Anregungen. Ohne an dieser Stelle den Stel• zwischen einer nachholend-liberalen und lenwert von Programmdiskussionen für die einer post-liberalen Strömung unterschieden praktische Politik überbewerten zu wollen12, werden. Während erstere das liberale Pro• hat sich die Forschungsgruppe Neue Soziale gramm auf seine geschlechtsspezifischen Bewegungen bemüht, im Rahmen einer mit Engführungen kritisch befragt - zentral sind der Gustav-Heinemann-Akademie der Fried• dabei die Kategorien „privat" und „öffent• rich-Ebert-Stiftung in Freudenberg veranstal• lich" - und das Ziel individueller Rechts• teten Tagung eine Bestandsaufnahme der gleichheit kritisch reformuliert, stellt die post• Kommunitarismusrezeption in der deutschen liberale Strömung die weibliche Differenz in Parteienlandschaft zu unternehmen. An die• den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. sem Bemühen haben sich namhafte Pro• grammtheoretiker der Parteien beteiligt: Berührungspunkte zwischen Kommunitaris• Thomas Meyer (SPD), Thomas M. Gauly mus und Feminismus können die Verlaufsfor• (CDU); Winfried Kretschmann (Grüne) und men von Konflikt, Kolonialisierung und Hans Vorländer (als kritischem Beobachter Kompromiß annehmen. Das im Kommunita• der FDP). Die Ergebnisse sind in geringfügig rismus häufig gepflegte idealisierte Bild der überarbeiteter Form als „Werkstattgespräche" Familie blendet den Hintergrund geschlechts• in diesem Heft nachzulesen. Als Abteilungs• spezifischer Benachteiligung aus. Dies führt leiter im Beratungsstab der rheinland-pfälzi• zu Konflikten mit dem liberalen Flügel des schen Staatskanzlei beschäftigt sich Gerd Feminismus. Eine Kolonialisierung - also Mielke mit den Implementationsproblemen instrumenteile Indienstnahme - feministi• des kommunitaristischen Projekts. Harald scher Argumente seitens des Kommunitaris• Plamper von der Kommunalen Gemein• mus stützt sich auf die im post-liberalen schaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung in Feminismus geführte Debatte über weibliche Köln hat sich mit dem Stichwort der „lean Ethik (Carol Gilligan): Die „Fürsorglichkeit" administration" auseinandergesetzt. Sein als wiederentdeckte Gemeinschaftstugend Beitrag liefert Anschauungsmaterial für kon• dient dann der Konservierung des Status quo zeptionelle und praktische Reaktionen der geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. Ein Kommunen auf den enormen Rationalisie• Kompromiß beider Denkströmungen setzt rungsdruck, dem sie ausgesetzt sind. Nicht voraus, daß das Spannungsfeld zwischen nur hier muß sich erst noch entscheiden, ob Gemeinschaftsanforderungen und dem indivi• die Suche nach neuen Formen der Bürgerbe• dualistischen Liberalismus in der kommunita• teiligung und Dezentralisierung sowie insge• ristischen Diskussion hinsichtlich ge• samt die Debatte über eine Vergesellschaftung schlechtsspezifischer Zuweisungen und Pro• des Sozialstaats13 mehr als eine willkommene jektionen kritisch hinterfragt wird. Erst dann, Begleitrhetorik anstehender Rationalisie• so Ullrich, könne ein echter Dialog über die rungsmaßnahmen bietet. EH F'-'P^CHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Gesondert hingewiesen sei auf eine Literatur• tiefgreifenden sozialen Wandels als einen we• recherche zur Kommunitarismusdebatte in sentlichen Bestandteil eines zeitgenössischen den Rubriken des Themenheftes, die wir als Konzepts „Radikaler Politik" beschrieben: An• thony Giddens, Beyond Left and Right. The besonderen Service unseren Leserinnen und Future of Radical Politics, Cambridge 1994, S. Lesern anbieten. 22-50. 5 Auch Thomas Meyer weist in seinem Beitrag Wir hoffen, daß das vorliegende Themenheft auf das Risiko des „Tugendterrors" hin. zur Klärung der Anschlußfähigkeit des Kom• 6 Für einen Überblick: Hubertus Buchstein, Die munitarismusdebatte an die deutsche Reform• Zumutungen der Demokratie. Von der normati• diskussion beizutragen vermag. ven Theorie des Bürgers zur institutionell vermit• telten Präferenzkompetenz, unveröffentlichtes Manuskript, September 1995; für die Diskussion Ansgar Klein/Thomas Leif über citizenship die Beiträge des Sammelbandes: Ronald Beiner (Hrsg.): Theorizing Citizenship, Albany 1995; v.a. der Beitrag von Will Kymlik- ka/Wayne Normen: Return of the Citizen. A Anmerkungen Survey of Recent Work on Citizenship Theory, ebda., S.283-321. 1 Angesichts zahlreicher Kongresse und Konfe• 7 Für die institutionentheoretische und reformpo• renzen scheinen Nachrufe auf die deutsche litische Zuspitzung deliberativer Demokratie: Kommunitarismusdebatte - siehe Vorländers Rainer Schmalz-Bruns, Reflexive Demokratie. Beitrag - möglicherweise verfrüht. Die demokratische Transformation modemer 2 Dazu Jürgen Habermas, Drei normative Model• Politik, Baden-Baden 1995. Bemerkenswert in le der Demokratie: Zum Begriff deliberativer diesem Zusammenhang auch die Anmerkungen Politik, in: Herfried Münkler (Hrsg.):Die Chan• von Hans Joachim Giegel: Erfordert grüne Poli• cen der Freiheit. Grundprobleme der Demokratie, tik neue Politikformen?, in: Schrägstrich. Zeit• München 1992, S. 11-24; Bert von den Brink, schrift des Bündnis 90/Grüne, Heft 5/6 1995, S. Die politisch-philosophische Debatte über die 24-26. Die Reform der Politikformen ist bei den demokratische Bürgergesellschaft, in: ders./ Grünen immer mehr an den Rand der Aufmerk• Willem van Reijen (Hrsg.): Bürgergesellschaft, samkeit gerückt. Recht und Demokratie, Frankfurt/M. 1995, S. 7- 8 Dazu Adalbert Evers, Sozialstaatliche Traditio• 28; für die moralphilosophische Differenziemng nen, Institutionen und neue soziale Bewegungen. von Liberalismus, Republikanismus und delibe• Über das politische Defizit der Wohlfahrtsgesell• rativer Demokratie: Rainer Forst, Kontexte der schaft", Vortragsmanuskript für den wissen• Gerechtigkeit. Politische Philosophie jenseits von schaftlichen Kongreß „Was hält die moderne Liberalismus und Kommunitarismus, Frankfurt/ Gesellschaft zusammen?" der Landesregierung M. 1994 (siehe die Rezension in diesem Heft). Baden-Württemberg vom 6.-7. April 1995 in 3 Dazu auch der Beitrag von Maren Witthoeft, Stuttgart. „Welcher Zukunft zugewandt? Wolfgang Schäu• ' Das Wachstum des Dritten Sektors kann sicher• bles Weltbild und Politikkonzept im Lichte lich nicht per se als Beleg einer Stärkung kom- neokonservativer Modernisierungsversuche", in: munitärer Formen sozialen Engagements dienen. Frankfurter Rundschau vom 3. August 1995, Gefragt werden muß vielmehr nach der Stärkung S. 12. direkter Kommunikationsbeziehungen und dem 4 In diesem Sinne hat Anthony Giddens die institutionellen Formwandel der sozialen Arbeit, Neukonzipierung des konservativen Schlüsselbe• die im Dritten Sektor geleistet wird. Schafft der griffs der Tradition unter den Bedingungen eines Dritte Sektor Gegengewichte zur Kommerziali- NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

sierung von Freizeitangeboten und der individua• sozialen Bewegungen zur Ausbildung neuer lisierten Mitgliedschaft in Großorganisationen? Nonprofit-Organisationen beigetragen. Offen (dazu Roland Roth in diesem Heft) bleibt in der Kritik, ob diese Entwicklung nur• Als Kriterien für die Organisationen des „Dritten mehr zum Ausbau einer neuen Expertokratie Sektor", die einer internationalen Bestandsauf• oder zu einer „Erweiterung des politischen nahme des Johns Hopkins Institute for Policy Handlungsrepertoires des einzelnen" über „dau• Studies zugrunde liegen, gelten a) formelle erhafte und jederzeit mobilisierbare Netzwerke" Strukturierung; b) organisatorische Staatsunab• von Bewegungen geführt habe (Annette Zimmer, hängigkeit; c) eine Nonprofit - Orientierung; d) a.a.O.: S.13) eigenständige Verwaltung; e) teilweise Finanzie• 10 Zu den Reformmöglichkeiten des Ehrenamtes rung durch freiwillige Beiträge. 1990 betrugen für die Beteiligung alter Menschen siehe den die Gesamtausgaben dieses Sektors 100 Milliar• Forschungsbericht von Jörg Scheinpflug in der den DM bei einem Anteil von 3,7 Prozent an der Rubrik „Pulsschlag". Gesamtbeschäftigung. Schwerpunkte des Dritten " Hans Joas kann als wichtiger Vertreter des Sektors in Deutschland sind das Gesundheitswe• amerikanischen Kommunitarismus in Deutsch• sen und der Sozialbereich (60 Prozent der Ausga• land gelten.

ben) bei einer starken Stellung der freien Wohl• 12 Zu einer skeptischen Bilanz neuerer parteipoli• fahrtsverbände. 70 Prozent der Einnahmen tischer Programmdiskussionen siehe etwa Gunter kommen aus öffentlichen Mitteln. Im internatio• Hofmanns Beitrag „Die Wertediskussion in den nalen Vergleich sind die Tätigkeitsbereiche Parteien", in: Ansgar Klein (Hrsg.): Wertediskus• Bildung und Wissenschaft sowie Kunst und sion im vereinten Deutschland, Köln-Bonn Kultur innerhalb des Dritten Sektors in Deutsch• 1995:109-113. land unterentwickelt (vgl. zu diesen Angaben den 13 Zu einem ersten Eindruck über die kommunale Forschungsbericht „Der Dritte Sektor" in den Suche nach Effizienz und Einsparungsmöglich• WZB-Mitteilungen Nr. 67, März 1995: 34-37; keiten, die gleichwohl Bürgerbeteiligung und Helmut Anheier/Eckhard Priller: The non-profit Dezentralisierung nicht ausschließt, siehe Carl- sector in East Germany; before and after unifica• Christian Kaisers Bericht „Frischer Wind in den tion, in: Voluntas - International Journal of Amtsstuben",in: Die ZEIT vom 21. April 1995: Voluntary and Non-Profit-Organisations, Volu• 33-34. Zu den engagierten Propagandisten einer me 2, Number 1: 78-94; LesterM. Salamon/ Vergesellschaftung des Sozialstaates mit Rück• Helmut K. Anheier: The Emerging Sector: The griff auf das Anregungspotential der Kommuni• Non-Profit-Sector in Comparative Perspective - tarismusdebatte zählt Warnfried Dettling, zuletzt: An Overview, The Johns Hopkins University, Sozialisiert den Wohlfahrtsstaat, in: Die ZEIT Baltimore 1994 und Manchester 1995; sowie den vom 21. Juli 1995: 6. Forschungsbericht von Annette Zimmer: „The Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Projekt: Public-Private Partnership: Staat und Dritter Sektor in den 1980er Jahren. Zusammen• fassung der Ergebnisse der Policy-Analyse des deutschen Teilprojekts", Manuskript für die Konferenz „ Zwischen Staat und Markt. Der Dritte Sektor in Deutschland" vom 16. Juni 1995 im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialfor• schung.

Insbesondere in den Bereichen der Umwelt- und Frauenpolitik, so Annette Zimmers Bilanz zum Dritten Sektors in Deutschland, haben die neuen IWl • '•"::] FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

In eigener Sache

Die Redaktion des Forschungsjournals bietet den interessierten Lesern die elektronische Fassung eines strukturierten Registers des Forschungsjournals (Jahrgänge 1988 bis 1995) an. Das Register (siehe unten) wird fortlaufend auf den neuesten Stand gebracht.

Vom 3.-5. November 1995 veranstaltet die Forschungsgruppe Neue Soziale Bewegungen in Saarbrücken eine Tagung zum Thema „ Soziale Bewegungen und Nicht- Regierungsorga• nisationen. Die Tagungsankündigung befindet sich in diesem Heft. Die Arbeitsgruppe Soziale Bewegungen der „Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft" (DVPW) ruft für die Tagung „ Kontinuität und Transformation der neuen sozialen Bewegungen. Eine Bilanz am Beispiel der Umweltbewegung" zu Beiträgen auf. Die Tagung wird vom 24.-26. Mai 1996 in Leichlingen stattfinden. Der Call for Papers findet sich ebenfalls in diesem Heft.

Wegen der Aufnahme der „Werkstattgespräche" ist das vorliegende Themenheft etwas umfangreicher als gewöhnlich. Für den eingeräumten Mehrumfang danken wir dem West• deutschen Verlag und für zusätzliche technische Hilfestellungen Susanne Appelt/Digitale Manufaktur Berlin. Der Gustav-Heinemann-Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung danken wir für die guten Arbeitsbedingungen bei unserer Anfang April in Freudenberg veranstalte• ten Tagung über den Kommunitarismus.

Die Redaktion

Das Register Die Redaktion des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen hat ein elektronisches Register aller bislang erschienenen Beiträge, Artikel und Rezensionen der Themenhefte von 1988 bis 1995 zusammengestellt. In dem Register werden die bibliographischen Nachweise der einzelnen Texte in alphabetischer Reihenfolge, nach Heftrubriken und Themengebieten sortiert aufgelistet. Das Register ist ein umfassendes Nachschlagewerk für die Leserinnen und Abonnentinnen, welches die Recherche für eigene wissenschaftliche und journalisti• sche Texte zu allen journalspezifischen Fragestellungen erleichtert. Komplettiert wird das Register durch umfassende Abstracts der einzelnen Themenhefte der acht Jahrgänge. Das Register kann auf 5W- und SW-Disketten in allen gängigen Textverarbeitungssyste• men - in jeweils aktualisierter Version - bereitgestellt werden. Es kostet 15 DM (inkl. Porto und Verpackung) und kann bei folgender Adresse bestellt werden: Michael Hasse, Dorofheenstr. 85, 53111 Bonn, Tel.: 0228/696243. FORSCHUNGSJOURNAL NSB, .TG. 8, HEFT 3, 1995

Soziale Bewegungen und Nicht-Regierungsorganisationen

Jahrestagung der Forschungsgruppe Neue Soziale Bewegungen in Zusammenarbeit mit der Elisabeth-Selbert-Akademie der Friedrich-Ebert- Stiftung, Saarbrücken, 03. bis 05. November 1995

Die Lösung globaler Probleme kann nur in internationaler Zusammenarbeit erfolgen. Ausdruck findet diese Erkenntnis neben den internationalen UNO-Konferenzen zu Umwelt- und Sozial• politik, Weltbevölkerungs-, Menschenrechts- und Frauenpolitik in der zunehmenden Vernet• zung sozialer Bewegungen zu transnationalen Bewegungsnetzwerken und NRO. Während jedoch Enthusiasten die Tatsache, daß über 1500 NRO ständig bei der UN akkreditiert sind, als Zellkern der internationalen Zivilgesellschaft im global village abfeiern, kritisieren Zweifler die politische Einflußlosigkeit der barfüßigen Revolution, die sich - wie zuletzt auf der Klimakonferenz in Berlin - in den enttäuschenden Ergebnissen internationaler Konferenzen manifestiert. NRO - ernstgenommene Lobbyisten auf internationalem Konferenzparkett oder ohnmächtige Hobbyisten der außerkonferenziellen Opposition? Ziel derTagung ist es, die anstehenden Herausforderungen und die politischen Einflußmöglich- keiten internationaler Bewegungsnetzwerke kritisch zu beleuchten. Mit kompetenten Referen• tinnen werden Aspekte der transnationalen Vernetzung von NRO, der Grenzen nationaler Reformprojekte und die Organisationsformen der internationalen Zivilgesellschaft und erör• tert. Neben der Vorstellung einer politischen Praxis von nationalen grassroots-movements anhand ausgewählter Länderstudien werden insbesondere die Aktivitäten der NRO's auf internationaler UNO-Konferenzen diskutiert sowie deren Ergebnisse von Vertreterinnen inter• nationaler NRO kritisch bilanziert.

I. Dimensionen internationaler NRO:

Fr, 03.11.1995

18:00 Uhr: Abendessen

19:30 Uhr: PD Dr. Dieter Rucht (WZB, Berlin): Die Grenzen nationaler Reformprozesse und transnationale Bewegungsorganisationen

Sa, 04.11.1995

9:30 Uhr: Prof. Dr. Reinhart Kößler (peripherie, Bochum; angefragt): NRO und internationale Zivilgesellschaft FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

10:45 Uhr: Kaffee-Pause

11:00 Uhr: PD Dr. Annette Zimmer (Johns-Hopkins-Projekt Deutschland, Kassel): Dritte-Sektor-Forschung, intemationale NRO und Bewegungsnetzwerke

12: 30 Uhr: Mittagessen

14:00 Uhr: Manfred Lesea, („Fünfte Macht"-Symposium, Strassbourg): Infrastruktur internationaler Vernetzung: NRO und neue Medien

15:15 Uhr: Kaffee-Pause

II. Fallbeispiele, Aspekte politischer Praxis

15:30 Uhr: Prof. Dr. Gudrun Lachenmann (Bielefeld): NRO und entwicklungspolitische Arbeit - Fallbeispiel der Bauernbewegung in Afrika

16:45 Uhr: Dr. Hildegard Scheu (Bad Homburg): Die politische Praxis nationaler grass-roots-movements und internationaler Kooperation - Fallbei• spiel der Frauenbewegung in Indien

18:00 Uhr: Abendessen

III. Internationale Konferenzen und NRO-Foren

So, 05.11.1995

9:30 Uhr: Dr. Christian Lahusen (Düsseldorf): Chancen und Grenzen internationaler Kampagnen

10:45 Uhr: Kaffee-Pause

11:00 Uhr: Kurzreferate von NRO-Vertreterinnen zu den UNO-Konferenzen: Ines Holthaus (Terre des Femmes, Münster): Internationale Frauenbewegung und Menschenrechte - Erfahrungen aus Wien und Peking Daniel Jannet (Berlin): Zur Strategiefähigkeit von Bewegungsnetzwerken - Beobachtungen währen des Klimaforums in Berlin

Teilnahmegebühr bei Ankunft zu zahlen: DM 60 für Studierende/ Arbeitslose, DM 120 für alle anderen Teilnehmerinnen. In der Teilnahmegebühr sind Unterbringung und Verpflegung enthalten. Anmeldungen und Fragen an: Markus Rohde • Dorotheenstr. 85 « 53111 Bonn • 0228/691043 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Veranstaltung der Sektion „Soziale Probleme und soziale Kontrolle" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

Ethnisierung von Devianz und sozialer Kontrolle

29. und 30.06.1996 Berlin, Humboldt-Universität, Fakultätsinstitut für Sozialwissenschaften, Universitätsstr.3b

Warum diesesThema? In Deutschland werden Menschen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit angegriffen, inner- und interethnische Konflikte werden in der Bundesrepublik ausgetragen (z.B. der türkisch-kurdische Konflikt), die Diskussion um die Lösung der deutschen Staatsan• gehörigkeit von der ihr zugrunde liegenden Idee der Ethnie wird heftig diskutiert - um nur einige Beispiele zu nennen. Die Soziologie sieht soziale Konflike in immer stärkerem Maß von Ethnisierung bestimmt, soziale Bewegungen auf der Basis von ethnischen Identitäten werden in stärkerem Maße für möglich gehalten, aber auch eine Veränderung der sozialen Kontrolle durch eine zunehmende Ethnisierung des Rechts wird diskutiert. Kurzum, das in funktional differenzierten Gesellschaften überkommen geglaubte (askriptive) Merkmal der Ethnie scheint an Bedeutung zu gewinnen - vielleicht gerade weil es über eine besondere Integrationskraft verfügt. Die anvisierte Veranstaltung möchte diesen Trend in der Diskussion aus verschiedenen Perspektiven (inhaltlicher, theoretischer und methodischer Art) untersuchen. Wir laden ein zu empirischen und konzeptionellen Beiträgen - z.B. aus so unterschiedlichen Bereichen wie der Ungleichheitsforschung, der Migrationsforschung, der Forschung zu fremdenfeindlicher, rechts• radikaler Gewalt, aber auch der Täter- und Opferforschung mit Befragten aus verschiedenen Ethnien. Reisekosten können leider nicht erstattet, preisgünstige (Universitäts-)Unterkünfte jedoch können vermittelt werden.

Anmeldungen von Beiträgen bitte bis zum 31.11.1995 (Programmversand, Anmeldungen und Vermittlung von Unterkünften, all das geschieht Anfang 1996) an: Dr. Wolfgang Kühnel, Humboldt-Universität zu Berlin, Fakultätsinstitut für Sozialwissen• schaften, Universitätsstr.3b, 10099 Berlin, Tel. 030/20315-200/333 (d); 4422575 (p), Telefax: 20315223; oder an

Dr. Thomas Ohlemacher, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KEN), Lützero- destr.9, 30161 Hannover, Tel. 0511/34836-13 (d); 05136/894523 (p); eMail [email protected] Uni FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Soziale Bewegungen zwischen Kontinuität und Transformation Eine Bilanz am Beispiel der Umweltbewegung

Jahrestagung des DVPW-Arbeitskreises 'Soziale Bewegungen' 25. bis 27. Mai 1996, Leichlingen (NRW)

Seit den 68er bis zu den 90er Jahren haben die sozialen Bewegungen unterschiedliche Phasen und Formen des Wandels durchgemacht. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit es sich dabei um bewegungsdynamische Entwicklungs- und Lernprozesse, um Anpassungsprozesse an politi• sche, ökonomische und soziale Bedingungen der Akteure, um vorübergehende Phänomene oder um eine übergreifende und langfristige Entwicklung innerhalb des vielfach konstatierten Prozesses der Verschiebung des Politischen handelt.

Die geschilderten Veränderungen haben alle neuen sozialen Bewegungen erfaßt, ob es sich um die Friedens-, die Antiatomkraft-, die Alternativ- oder die Frauenbewegung handeln mag. Insofern geht es bei dem beobachteten Phänomenen um keinen singulären Fall, sondern um eine Erscheinung, die den gesamten Bereich des Politischen erfaßt hat und in veränderten Formen des Protestverhaltens der neuen sozialen Bewegungen nur deutlich zum Ausdruck kommt.

Ob diese Beobachtungen zutreffen und wie sich diese Veränderungen deuten lassen, soll anhand einer neuen sozialen Bewegung, nämlich der Umweltbewegung, exemplarisch überprüft werden. Insofern zielt der Titel der Tagung 'Bilanz der Umweltbewegung: Geschichte, Gegen• wart und Zukunft' auf einen Vergleich, der die Umweltbewegung nicht als solche in den Mittelpunkt des Interesses stellt, sondern als eine unter anderen.

Inhaltlich wird es vor allem um unterschiedliche Aspekte des Wandels der Organisations-, Mobilisierungs- und Aktionsformen gehen. Ferner sind Fragen von Interesse, die einen Themenwandel im Protestverhalten untersuchen, den Bereich der Medientechniken und - Wirksamkeit der Umweltbewegung kritisch reflektieren, auf veränderte Binnenstruktaren zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Aktivisten, Anhängern und Sympathisanten der Umweltbewegung eingehen sowie die generelle Diffusion eines entsprechenden Umweltbe- wußtseins in der Bevölkerung insgesamt, aber auch in Bereichen wie Politik, Wirtschaft oder Recht als Fragestellung aufnehmen.

Wer Interesse hat, einen Beitrag zur Tagung zu liefern (Frist: 31.12.95) oder auch nur daran teilzunehmen, ist herzlich eingeladen, sich bei folgender Adresse zu melden:

Dr. Ruud Koopmans, Wissenschaftszentrum Berlin, Reichpietschufer 50, 10785 Berlin, Tel: 030-25491-310 (Sekretariat), Fax: 030-25491-308. FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 17

Otto Kallscheuer

Was heißt schon Kommunitarismus?

1. Eine Definition und ihre Probleme ster sehen wollen; an amerikanische Nativi- sten (übrigens oft die Nachkommen derselben Kommimitarismus, bekanntlich ein amerika• schottischen Presbyterianer, die sich ebenfalls nisches Lehnwort (von 'communitarianism'), vor einigen hundert Jahren in Nordirland nie• ist eine neuere Bezeichnung für 'Gemeinsinn'- dergelassen haben), oder an Schweizer Über• Orientierung oder 'Gemeinschaftssinn', sei es fremdungsinitiativen, die meist zugleich recht als diagnostische Kategorie soziologischer Ana• basisdemokratisch auftreten. lyse, sei es als normatives Ziel politischer Theo• rie. Ebendieser Doppelsinn, wie er typisch für Man kann hingegen sehr wohl gleichzeitig politisch 'geladene' Begriffe aus der Sozial• 'kosmopolitisch' in seinen moralischen Grund• philosophie ist, macht natürlich ebenso den auffassungen sein (oder sagen wir besser 'uni• Reiz, die Anziehungskraft dieses Konzepts versalistisch' - denn eine Kosmopolis, einen (oder dieser Begriffsfamilie) aus wie er zu• Welt-Staat, dessen Bürger wir sein könnten, gleich eines der Probleme der Debatte um den gibt es ja nicht1) und dennoch nach mehr bür• Kommunitarismus darstellt. gerlichem, zivilem oder patriotischem Gemein• sinn rufen, weil nur in einem Milieu von ge• Es macht nämlich durchaus einen Unterschied, meinschaftlich geteilten (und das kann auch ob man sozusagen wertfrei feststellt, daß alle heißen: umkämpften) Werten, Traditionen und funktionierenden Demokratien so etwas wie Praktiken ein auf politisches Handeln ausge• einen Humus an gemeinschaftlichen Werten, richteter Bürgersinn wachsen kann und eine Traditionen und Praktiken benötigen, damit sie zivile Solidarität gedeiht, die nicht sofort nach als aktive Gesellschaften oder Gemeinwesen dem Staate ruft, wo der Nachbar oder die Fa• funktionieren können (der Mensch lebt schließ• milienangehörigen gefragt sind. Typisch für lich nicht von idealen Sprechsituationen al• die meisten Aufklärer des 18. Jahrhunderts (d.h. lein), oder ob man diesen wünschenswerten vor der Erfindung des Nationalismus) war ein gemeinsamen Humus an Werten, Traditionen solches wohltemperiertes Gleichgewicht von und Praktiken darüber hinaus auch zur einzi• Patriotismus und Weltbürgertum, am schön• gen moralischen Berufungsinstanz erhebt. Die• sten vielleicht vertreten durch Montesquieus se zweite Alternative könnte eine ethisch hoch• Maximen eines Kosmopoliten: „Wenn mir et• integrierte, aber eben deshalb fremdenfeindli• was bekannt wäre, das mir nützte, aber nach• che Bürgergemeinde sein - denken wir nur an teilig wäre für meine Familie, so verbannte irische Protestanten, die keine Papisten in Ul• ich es aus meinen Gedanken. Wenn mir etwas 18 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

bekannt wäre, das meiner Familie nützlich zwar in der Kirchengeschichte ebenso wie in wäre, aber nicht meinem Vaterland, so würde der Debatte um den Kommunitarismus (aus• ich mich bemühen, es zu vergessen. Wenn mir führlicher dargestellt in Kallscheuer 1994). etwas bekannt wäre, das meinem Vaterland nützen, aber Europa schaden oder Europa nüt• Augustinus' Kritik an Ciceros Staatsauffassung zen, aber der Menschheit schaden würde, so lautete, daß es nach dessen eigener Definition sähe ich dies wie ein Verbrechen an." (Mon• niemals eine res publica Romana gegeben habe, tesquieu, Mes Pensees) wenn er nämlich res publica als res populi, als die Sache des Volkes definiert (Cicero, Über Zurück zu den 'Kommunitaristen' .2 In der aka• den Staat: 2, 42): Einer civitas terrena, welche demischen Öffentlichkeit der USA (welche be• wie die römische Republik bloße Rechtsord• kanntlich, anders als in Europa, recht wenig nung ist, fehle die wahrhafte Gerechtigkeit, mit der wirklichen Welt gemein hat) werden die erst aus einer beliebig zusammengewürfel• u.a. die Philosophen Alasdair Maclntyre und ten Menge (multitudo) ein Volk (populus) Charles Taylor zu den Kommunitaristen ge• macht. „Wo demnach keine wahre Gerechtig• rechnet, die Soziologengruppe um Robert Bel- keit ist, kann es auch keine durch Rechtsgleich• lah, der Ökonom Amitai Etzioni3, der kürzlich heit verbundene Menschengemeinschaft geben verstorbene Historiker Christopher Lasch und und also kein Volk. Wenn aber kein Volk, so der politische Theoretiker Michael Walzer. In auch keine Volkssache, sondern nur Sache der ihrer ethischen Kritik an einem individuali• Menge, die den Namen Volk nicht verdient" stisch verengten 'Liberalismus' und ihrer so• (Vom Gottesstaat: XIX.21). Über den radika• ziologischen Kritik an einem rationalistisch len Flügel der Reformation sollte diese 'augu• verkürztem Gesellschaftsbild plädieren sie für stinianische' Sensibilität - insbesondere über eine stärker an sozialem 'Gemeinsinn' und le• die Politisierung der „Bundestheologie" des bensweltlich erfahrbaren 'Gemeinschaften' ori• Alten Testamentes bei Calvinisten und Purita• entierte neue politische Sensibilität. nern - dann auch zur Frage an die Legitimität der Herrschaftsordnung werden.

2. Christliche Tradition und romanti• sche Soziologie Die „moralökologische" Frage nach der ange• messenen sozialen „Einbettung" von Eigen• Doch die Suche nach einer spezifischen Inten• tumsordnung und politischen Institutionen - sität und moralischen Qualität „politischer Ver• in der katholischen Soziallehre bekannt als gemeinschaftung" (Max Weber) steht in einer „Subsidiaritätsprinzip" - geht insbesondere auf weitaus älteren Tradition. Die ethisch-politi• die „Soziologie" des Hl. Thomas von Aquin sche Frage nach dem Grad an Gemeinschaft• zurück, die sich um eine differenzierte Inte• lichkeit als Kriterium für die Legitimität des gration von gesellschaftlicher Ordung und in• Gemeinwesens läßt sich bis auf die beiden dividueller Freiheit auf der Grundlage des als großen Kirchenlehrer der abendländischen vernünftig erkennbaren „Naturgesetzes" be• Christenheit zurückverfolgen - auf Augusti• müht. In diesem Sinne ist die Kontextgebun• nus und Thomas von Aquin. Allerdings gera• denheit der Person (im Unterschied zum ato- ten beide Dimensionen von Gemeinschaft - mistischen „Individuum"- dazu Maritain 1925: die 'augustinianische' der radikalen Demokra• 29 ff.; vgl. Taylor 1985), die zu Recht von tie und die 'fhomistische' der sozialen Subsi• Rainer Forst (1994) zur Ausdifferenzierung der diarität - häufig in Konflikt miteinander, und amerikanischen Debatten über Rawls und sei- FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 19

ne Kritiker herausgearbeitet wird, schon je eine Anthropologie Montesquieus und Rousseaus Selbstverständlichkeit für gute thomistische und dann später die romantische Reflexion der Dialektiker gewesen. Mit thomistischen Argu• sozialen und politischen Moderne. menten kritisierten im 19. Jahrhundert die ka• tholischen Ultramontanen und dann Papst Leo Eine der Fragestellungen, die etwa Johann Xni. in seiner Enzyklika „Rerum novarum" Gottfried Herder lebenslang beschäftigte - „Ha• (1891) ebenso den ökonomischen wie den po• ben wir noch das Publikum und Vaterland der litischen Liberalismus und die demokratische Alten?" - zielt auf den Zusammenhang zwi• Volkssouveränität. Im 20. Jahrhundert plädier• schen der historisch veränderten Struktur der te hingegen der thomistische Philosoph Jac• sozialen und literarischen Kommunikation (das ques Maritain - eher von 'links' - für eine „Publikum" der Hebräer, Griechen, Römer ...) zugleich kommunitaristische wie „personali- und dem jeweiligen Grad an politischer Inte• stische" Demokratie, für eine Integration von gration bzw. „Patriotismus". Und auch Rous• Freiheit und Gemeinsinn (Maritain 1936). Und seaus Forderung nach einer republikanischen 'rechte' wie 'linke' Aspekte der katholischen „Bürgerreligion" ist die Konsequenz aus sei• Soziallehre - Johannes Pauls II. Enzyklika ner Diagnose der moralischen Desintegration „Centesimus Annus" (1991) wie die Sozialkri• der neuzeitlichen Gesellschaften und großen tik U.S.-amerikanischer Bischofskonferenzen Territorialstaaten. Nach der Französischen Re• - werden noch heute in den Vereinigten Staa• volution wird der ethische Kontrast zwischen ten unter dem Etikett 'Kommunitarismus' dis• Egoismus und Bürgertugend von Benjamin kutiert. Hierzulande könnte man auch an die Constant (1819) reformuliert und neu bewer• Diskussionen um ein gemeinsames Wort der tet: als politisch-soziologische Differenz zwi• beiden großen christlichen Kirchen „Zur wirt• schen der direkten Demokratie der Alten und schaftlichen und sozialen Lage in Deutsch• der repräsentativen Demokratie der Moderne, land" denken (in von Auer/Segbers (Hrsg.) der Marktgesellschaft und des Territorialstaats.4 1995). G.W.F. Hegel und Karl Marx schließlich ha• ben die Chancen zu sozialer Gemeinschafts• bildung (den Grad an „Sittlichkeit") unter Be• Kritikern, ich nenne etwa Stephen Holmes oder dingungen der modernen bürgerlichen Gesell• Derek L. Philips, gilt die kommunitaristische schaft auch mit der Identitätsbildung, der Her• Diagnose einer Erosion sozialer Solidarität als ausbildung von „Selbstbewußtsein" und Konsequenz von Liberalismus und Industria- „Selbstgefühl" in Zusammenhang gebracht: lismus häufig als bloß rückwärtsgewandte „Nur dies Gefühl, welches mit den Griechen Nostalgie oder freiheitsfeindliche „Gemein• aus der Welt und mit dem Christentum in den schaftsfalle" (Holmes). Ein solches Verdikt blauen Dunst des Himmels verschwindet, kann läuft allerdings Gefahr, auch einen Großteil aus der Gesellschaft wieder eine Gemeinschaft der soziologischen Reflexion der Moderne der Menschen für ihre höchsten Zwecke, ei• selbst zu verabschieden. Denn die Diagnose nen demokratischen Staat machen." (Marx der Schwerpunktverlagerung sozialer Integra• 1974: 338 f.) tion von der „Gemeinschaft zur Gesellschaft" (Ferdinand Tönnies) und des Zusammenhangs zwischen der „Ausdehnung der sozialen Grup• Die Inhalte, mit denen im Europa des 19. Jahr• pe und der Erweiterung von Individualität" hunderts eine Vergemeinschaftung kollektiver (Georg Simmel) geht zurück auf die Anfänge Identitäten in modernen Gesellschaften - als der Soziologie überhaupt: auf die politische Gegengewicht zur mit der Entstehung der In- 20 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

dustriegesellschaft und dann der Massende• „Community" ein präzises demokratietheore• mokratie einhergehenden „sozialen Entropie" tisches Problem: Die „Great Community", die (Ernest Gellner) - angestrebt wurde, sollten John Dewey 1927 forderte (Dewey 1980), war allerdings auch für die politischen Bewegun• - um hier einmal den deutschen soziologi• gen und „cleavages" des 20. Jahrhunderts be• schen Jargon zu bedienen - die linke Antwort stimmend bleiben. Die wichtigsten waren: die auf die Schere, die sich nach dem Ersten Welt• Konfessionalität, also die Politisierung der Ge• krieg auch in der amerikanischen Massenge• meinschaft der Gläubigen; die Nationalität, als sellschaft (der „Great Society") zwischen 'sy• Bewegung der „Nationalisierung der Massen" stemischer Integration' und 'Sozialintegration' (George L. Mosse) zur Volksgemeinschaft; die geöffnet hatte. Damals kamen „realistische" soziale Frage, als soziale Bewegung zur soli• Demokratietheoretiker wie Walter Lippmann darischen Klassengemeinschaft. zu dem Schluß, die Vorstellungen einer aktiv partizipierenden Öffentlichkeit, auf der ja die 3. Deutsch-Amerikanische Ideale der U.S.-amerikanischen Demokratie be• Mißverständnisse ruhten, seien auf das Amerika des zwanzig• sten Jahrhunderts mit einem amorphen, durch Massenmedien desinformierten und politisch In Deutschland, trotz oder wegen der Wieder• desinteressierten Massenpublikum nicht mehr vereinigung, stößt heute die Rede von einer anwendbar: Statt einer „Phantom-Öffentlich• mehr als bloß politischen Gemeinschaft, eines keit" nachzujagen, sollten daher die linken In• nicht nur „verfassungspatriotischen", sondern tellektuellen besser an der Entwicklung von gar „sittlichen Staats" (Böckenförde) zumeist Politikberatung (policy-sciences) arbeiten. Weit auf Mißtrauen, wenigstens auf Seiten der Lin• eher als die demokratische Beteiligung der ge• ken - schon aufgrund der verhängnisvollen wöhnlichen Bürger seien nämlich politikwis• Tradition der nationalsozialistischen „Volks• senschaftliche Experten bei der politischen Ent• gemeinschaft". Das hat gewiß gute Gründe. scheidungsfindung vonnöten.5 Übersehen wird dabei aber zumeist, daß „Com• munity" in der amerikanischen politischen Um• gangssprache eine vorrangig demokratische John Dewey bestritt nun diesen Theoretikern und partizipatorische Bedeutungstradition hat. einer durch Experten angeleiteten „demokrati• (Darauf hat in der deutschsprachigen Literatur schen Elitenherrschaft" nicht ihre Diagnose, vor allem Hans Joas zu Recht insistiert.) Frei• daß ein industrieller Kontinentalstaat im Zeit• lich wird Alexis de Tocquevilles idealisierte alter moderner Massenmedien nicht mehr mit Sicht auf das „Jacksonianische", nachrevolu• den Methoden der Town-meetings der ameri• tionäre Amerika von vielen 'communitarians' kanischen Gründerzeit zu regieren sei: „We immer noch für bare Münze genommen. have inherited, in short, local town-meeting practices and ideals. But we live and act and Zutreffende Kritiken an solchen Idealisierun• have our being in a Continental national State. gen vergangener politischer Gemeinschaften We are held together by non-political bonds, widerlegen allerdings die aktuelle Erfahrung and the political forms are stretched and legal nicht, daß ohne gemeinschaftliche Formen der institutions patched in an ad hoc and improvi- Bürgersolidarität der lebensweltliche Humus sed manner to do the work they have to do." auch (und gerade) für eine entwicklungsfähige (Dewey 1980: 113f.) Damit aber stelle sich liberale Demokratie schwindet. In der ameri• erst das eigentliche Problem: Die Schaffung kanischen Zwischenkriegszeit vertritt die einer öffentlichen Sphäre, die an Ausmaß, Dif- FORSCHUNGSJOURNAL NSB. JG. 8. HEFT 3, 1995 21

ferenziertheit und Komplexität der Massende• ge auch Bernstein 1985: 48ff.) Die „Great mokratie bzw. einer „Great Society" gewach• Community" der Demokratie setzt sich als eine sen sein muß, ist die Bedingung dafür, die „Community of communities" aus vielen kon• Ideale demokratischer Partizipation den Be• kreten Nachbarschaftsgemeinschaften, freiwil• dingungen der modernen Industriegesellschaft ligen Vereinigungen, Teilöffentlichkeiten usw. anzupassen, statt sie wie Walter Lippmann zu zusammen. verabschieden. Wenn die Massengesellschaft durch neue und vielfältigere Formen wechsel• 4. Drei Kontexte von seitiger sozialer, technologischer, institutionel• Kommunitarismus ler Abhängigkeit ihrer Mitglieder gekennzeich• net ist, dann muß die Aufgabe der Sozialwis• Die soziologische Diagnose eines demokrati• senschaften darin liegen, zur Ausbildung einer sches Defizits und die ethische Therapie hän• gemeinsamen Sprache, von Kommunikations• gen, ich habe es eingangs bereits angedeutet, medien und Interaktionsformen beizutragen, im Kommunitarismus eng zusammen. Kom• die zum Verständnis und zur demokratischen munitaristen diagnostizieren die mit fortschrei• Kontrolle dieser systemischen Abhängigkeit tender funktionaler Differenzierung moderner taugen. Industriegesellschaften und der Abnahme tra- ditionaler sozialer Bindungen steigende 'Indi• „Till the Great Society is converted into a Great vidualisierung' sowie die anwachsenden geo• Community, the Public will remain in eclipse. graphischen, sozialen, Beziehungs- und politi• Communication can alone create a great Com• schen „Mobilitäten" (Michael Walzer) der Bür• munity. Our Babel is not one of tongues but of ger zugleich als normatives Manko: Das Feh• the signs and symbols without which shared len von Gemeinschaftssinn in modernen De• experience is impossible." (Dewey 1980: 142) mokratien stelle prospektiv eine ernsthafte Ge• Diese „Great Community" ist gerade keine au• fahr für demokratische Gemeinwesen selbst toritäre oder harmonistische Lösung - im Sin• dar. Welcher Gemeinsinn allerdings an die Stel• ne der „Volksgemeinschaft", wie sie zur sel• le der sich zersetzenden moralischen Routinen ben Zeit in deutschen Landen inauguriert wur• (von der Familie bis zur Arbeitswelt) treten de -, sondern die Problemformulierung: (Wie) könne, bleibt unter Kommunitaristen umstrit• ist partizipatorische Demokratie in einer kom• ten. plexen Gesellschaft möglich? „Regarded as an idea - schreibt Dewey - democracy is not an Dies liegt auch an terminologischen Unschar• alternative to other principles of associated life. fen. Rene König hat auf die „sprachlichen Pro• It is the idea of Community life itself." (De• bleme" des gleichzeitig deskriptiv wie norma• wey 1980: 148) tiv verwandten englischen Wortes „Communi• ty" mit oft religiösem Bedeutungshorizont hin• Eine der entscheidenden Einsichten John De- gewiesen, „indem (der Begriff) einmal die Ge• weys bestand nun darin, daß in einer Massen• meinde im spezifischen Sinne, dann aber auch gesellschaft die Erziehung zur Demokratie und Gemeinschaft im allgemeinsten Sinne sozialer die Praxis der Demokratie eine Verankerung Verbundenheit überhaupt meint" (König 1958: in kleineren, lokalen Einheiten („face to face 21). Bis vor gut einem Jahrzehnt etwa - m.a.W. communities") erfordert: „Democracy must bevor er zum akademischen Markenzeichen begin at home, and its home is the neighborly der Kritiker bzw. schöpferischen Weiterent• Community". (Dewey 1980: 213 zu dieser Fra• wickler der „Rawls-Schule" wurde - war in 22 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

den U.S.A. der Ausdruck 'communitarianism' Quäker und Baptisten in der Neuen Welt her• vornehmlich in der Religions- und Kulturso• vorgegangen. ziologie gebräuchlich und wurde hier für uto• pische und gegenkulturelle Gemeinschaften in 4.2 Republikanismus oder zivile den U.S.A. verwandt. Seit den achtziger Jah• Gesellschaft ren hingegen wird 'Kommunitarismus' eher als Sammelbegriff für ein Erkenntnisinteresse Unter 'Republikanismus' wird eine in hohem der Moralphilosophie und Sozialwissenschaf• Maße auf Bürgertugend (also die aktive Aus• ten verstanden. Mitunter geht damit die Beru• übung politischer Freiheit) aufbauende Kon• fung auf ein spezifisches normatives Politik• zeption des politischen Gemeinwesens verstan• verständnis einher: den 'Republikanismus'. den. Als Bezugspunkte gelten schon für Mon• Diese drei Bedeutungen von 'Kommunitaris• tesquieu neben der Tradition der griechischen mus' werden in der deutschen Debatte aller• Polis und des republikanischen Rom der Bür• dings häufig vermengt. gerhumanismus frühneuzeitlicher Stadtrepubli• ken. Über die „atlantische Tradition" (John 4.1 Religiöse Gegenkultur G.A. Pocock) ist dieser Republikanismus auch für die Geschichte der U.S.A. von Bedeutung. Neben Lebensreformern und utopischen So• Gegenüber einem rein „besitzindividuali- zialisten, oft Filiationen der Owen'schen und stisch"-liberalen Selbstverständnis der ameri• Fourier'schen Schulen, wurden in den U.S.A. kanischen Republik, wie es charakteristisch unter 'communitarians' vor allem religiöse für die Jahre des Kalten Krieges war, ist die Gruppen verstanden, millenaristische Sekten Tradition eines (neo-)klassischen Republika• und Gemeinden, die sich nach der zweiten nismus in den letzten Jahren deutlich rehabili• großen Erweckungsbewegung zu Anfang des tiert worden. 19. Jahrhundert als „Enklaven der Differenz" bildeten (Fogarty 1993). Die vielleicht bekann• Die Neubewertung des Republikanismus be• testen und ob ihrer „Komplex-Ehen" pikante• schränkt sich jedoch keineswegs auf die Ide• sten waren die von John H. Noyes um die engeschichte (wengleich sie manchmal diese Jahrhundertmitte im Staate New York gegrün• Form annimmt). Auch in aktuellen Arbeiten dete „perfektionistische" Oneida Kommune zur Demokratiefheorie finden sich verstärkt „re• und der anfängliche theokratische Kommunis• publikanische", kommunalistische, basisdemo• mus der Mormonen. Aber es gab im Amerika kratische Akzente von „starker Demokratie" des 19. Jahrhunderts, „zwischen Pfingsten und (Barber 1994): Die Partizipation der Bürger Armageddon" (Perry Miller), zahllose religiö• am politischen Prozeß soll den republikani• se 'communitarians' und diverse Propheten, schen Gemeinsinn festigen (oder stiften) - die Religionsgründungen und Königreiche Gottes Teilhabe an einer gemeinsamen kulturellen Tra• (siehe die schöne Fallstudie von Johnson/ dition soll Partizipation befördern (oder erst Wilentz 1994). Deren Nachfolger finden sich ermöglichen). heute in der New Age Bewegung und den Kommunen diverser synkretistischer Religi• Schon Hannah Arendt hatte die freiwilligen ons- und Bewegungsgründer vom Schlage ei• Assoziationen der neuenglischen Revolutionäre nes Baghwan, Jim Jones oder David Koresh. als Basis politischer Freiheit - also der „vita Immerhin waren die Vereinigten Staaten sel• activa" im emphatischen Sinne - betrachtet. ber aus den Kolonien dissidenter Puritaner, Ihre These vom Gegensatz zwischen der Fran- FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 23

zösischen (sozialen) und der Amerikanischen Separatismus einen Riegel vorschieben. Die (republikanischen) Revolution hat - auch als U.S.A. sind somit - im Gegensatz zur „kom• Konsequenz der Rolle von Bürgerkomitees bei munalen", basisdemokratischen Tradition des den antitotalitären 'Revolutionen' Osteuropas - frühen Republikanismus - kein neues Athen in der politologischen Diskussion beiderseits oder Rom und kein Rousseau'sches „Korsika" des Atlantik eine neue Aktualität erhalten. oder „Polen" geworden, sondern ein starker Bundesstaat mit einer institutionalisierten li• Stärker an moralisch-politischen Grundwerten beralen Gewaltenteilung. Seitdem beherrscht des Gemeinwesens und Vorstellungen des 'gu• der Gegensatz von „Republikanismus" und „Li• ten Lebens' ausgerichtet ist die Interpretation beralismus" auch verfassungspolitisch die ame• der republikanischen Idee von Michael Sandel rikanische Politik und Rhetorik, wobei die re• (Sandel 1995). Am öffentlichen Streit über die publikanische Tradition nicht nur für die anti• Grenzziehungen zwischen öffentlicher und pri• zentrale direkte Demokratie in „our small vater Moral, zwischen Religion und Politik - town", sondern auch für eine populistische Kri• von der Familienpolitik und Sexualmoral bis tik an der Moderne in Anspruch genommen hin zu Fragen medizinischer Ethik: also Fra• wurde.6 gen, die ein klassischer Liberalismus in die Privatsphäre verbannt hatte - nehmen natur• Zum anderen warnen Kritiker des Republika• gemäß auch neo-konservative Rechte und wert• nismus auch vor den Gefahren einer freiheits• konservative Liberale ('Linke') teil, nicht zu• feindlichen Diktatur „tugendhafter" lokaler letzt im U.S.-amerikanischen Katholizismus. Mehrheiten. Nicht die sittlich vereinigte ho• Akademisch äußert sich dies in einer Renais• mogene Republik, sondern die pluralistische sance des aristotelischen und thomistischen Arena der „civil society" bildet hier das Leit• politischen Denkens in den U.S.A. Der wich• bild - nicht die republikanische Militanz, son• tigste postmoderne Thomist ist wohl Alasdair dern die zivile Toleranz gilt als Bürgertugend Mclntyre (1987). (Walzer 1992). Der liberale Gedanke, mehr als ein diverse moralische oder religiöse Tra• Doch wäre es falsch, solche „Engführungen" ditionen „überlappender Konsens" (John (Habermas) von moralischer und politischer Rawls) sei in modernen Gesellschaften weder Loyalität als die einzig plausible politische wahrscheinlich noch wünschenswert, wird auch Konsequenz aus kommunitaristischer Sozial• von oft dem Kommunitarismus zugerechneten philosophie anzusehen. Dies aus zwei Grün• politischen Theoretikern wie z.B. Michael Wal• den: Zum einen hat das „römische", neoklas• zer betont. Allerdings setzt diese „zivile" To• sische Republikideal, das für puritanische Far• leranz keinerlei spezifische - z.B. irgendwie mer-Bürger aus Neu-England oder auch Tho• universalistische - philosophische Konzeption mas Jeffersons republikanischen Agrarstaat Vir• voraus. Walzers kulturell-pfuralistischer Libe• ginia bestimmend gewesen sein mag, den U.S. ralismus ist vielmehr wie auch die Rawls'sche Verfassungskonvent von Philadelphia der Jah• Theorie der Gerechtigkeit als Fairneß „poli• re 1787/8 keineswegs unbeschadet überstan• tisch, nicht philosophisch" begründet: Weil in den. Auf diesem setzten sich bekanntlich die der Einwanderungsgesellschaft U.S.A. auch die Verfasser der Federalist Papers gegen die „an• ethnischen und kulturellen, die moralischen tiföderalistische" Kritik durch: Die Gründungs• und religiösen Identitäten (insbesondere) kul• väter wollten jeder Gefahr von „factionalism", tureller Mehrheiten und Minderheiten das öf• sektoralen Eigeninteressen und (nicht zuletzt) fentliche Leben bestimmen, könnte jede Staat- 24 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG, 8, HEFT 3, 1995

liehe Befestigung bestimmter (herkunfts-)grup- mistischen", d.h. ursprünglich un- oder vorge• penspezifischer Sittlichkeiten in moralische Be• sellschaftlichen Individuums - mit Argumen• vormundung und ethnische Dominanz um• ten, die man natürlich auch schon beim heili• schlagen. Das heutige Amerika muß somit die gen Thomas von Aquin oder dem weniger Hei• Bürgertugenden der Partizipation wiederent• ligen Karl Marx aus Trier hätte nachlesen kön• decken, ohne dabei den einfachen sozial-mo• nen. Aber in den U.S.A. sind die verschiede• ralischen Code des neuenglischen Puritanis- nen akademischen Departments (Divinity, Phi• mus und neoklassischen Republikanismus noch losophy, English Department, Government) gesamtgesellschaftlich als verbindlich voraus• häufig durch einen nicht immer philosophi• setzen zu können.7 schen „Schleier der Unwissenheit" (John Rawls) voneinander getrennt. Diese Fiktion Zudem ist - historisch betrachtet und policy- bestimmte nämlich die in den Philosophy-De- bezogen - der Gegensatz von Republikanis• partments dominanten Moralauffassungen der mus und Liberalismus, zwischen „populisti• Gegenwart: ob in der utilitaristischen Version scher Rhetorik" (anti-government) und dem eines rational kalkulierenden Bedürfnissubjekts Ausbau der Kompetenzen der „public admini- oder in der kantianischen Variante eines a priori stration" (pro-government), eher ideologischer regelgeleiteten Vemunftsubjekts. als realer Natur: „American public institutions were shaped through the political dynamics of Kommunitaristen kritisieren also ein indivi• American populist myth".8 Auf Phasen kom• dualistisches und szientistisches Selbstverständ• munaler Partizipation können Phasen des pri- nis der Moderne, freilich aus einer Tradition vatistischen Rückzugs folgen, in denen man solidarischer Normen heraus, der gerade die sich stärker auf das rechtsstaatliche liberale Aufklärung sich ursprünglich verpflichtet wuß• Minimum verläßt (und in denen in der öffent• te. Das übergreifende Charakteristikum des lichen Philosophie wieder der Liberalismus Kommunitarismus in der Moralphilosophie vorherrscht); auf Phasen des Engagements für liegt dabei wohl in seiner stärker soziologi• das „public good" des Staates folgen Phasen schen Einbildungskraft. Diese weiß um den der Revitalisierung lokaler, ethnischer usw. „Kontextualismus" der Begründung von Nor• communities. men und Tugenden sozialer Solidarität und um die „dichten Beschreibung" (Clifford Geertz) 4.3 Kontextualismus in Ethik und ihrer Bedeutung in sozialer Praxis. Auch ge• Sozialwissenschaften haltvolle Sozialkritik ist schließlich darauf an• gewiesen, an die moralischen Standards der Fachphilosophisch kann der Kommunitarismus kritisierten Gesellschaft anzuknüpfen. Im Ge• in die „post-analytische" Phase der anglo-ame- gensatz zur Idee einer 'reinen' Vernunftmoral rikanischen Philosophie eingeordnet werden, bedarf solch „interne" Gesellschaftskritik (Wal• zu der im weiteren Sinne auch der Neoprag- zer 1993) daher einer historischen Hermeneu• matismus in der Erkenntnistheorie und Demo• tik ethischer Wertvorstellungen. Gleichzeitig kratieauffassung gehört (Rajchmann/West wird sie - gegenüber rationalistischen Moral• 1985; Rorty 1987). Doch bilden die 'commu• prinzipien - die Schlüsselrolle moralischer nitarians' weniger eine Denk-'Schule' als viel• Empfindsamkeit rehabilitieren. Beide Akzente mehr eine 'Familie' rationalismuskritischer sind allerdings weder antiliberal noch antiauf• Argumente: Methodisch konzentrieren sie ihre klärerisch, sondern eher die Rückkehr zu ver• Kritiken insbesondere auf die Fiktion des „ato- nachlässigten skeptischen, historistischen und FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8. HEFT 3, 1995 25

sensualistischen Seiten der Aufklärung selbst: lismus und seiner „spiel- und entscheidungs• zu einer Moderne von Montaigne und Mon• theoretischen" Modelle einerseits und des Sy• tesquieu, von Hume, Rousseau oder Herder. stemfunktionalismus andererseits verstanden werden. Ausgehend von einer Kritik am mo• Damit läßt sich auch der 'Relativismus'-Vor• delltheoretischen Ansatz der neoklassischen wurf leicht abweisen, dem sich die Vertreter Ökonomie bemüht sich Amitai Etzioni, auch des Kommunitarismus im Dialog mit 'univer• die institutionellen und kulturellen Bedingun• salistischen' Moralbegründungen häufig aus• gen des Wirtschaftshandelns zum Gegenstand gesetzt sehen: Was Freiheit des einzelnen heißt, der ökonomischen Theorie zu machen. Alan was es bedeutet, sein eigener Herr zu sein, Wolfe plädiert in seinem kritischen Panorama läßt sich gar nicht jenseits der gesellschaftlich der zeitgenössischen Soziologie für die stärke• geteilten Bedeutungen von Ehre, Würde, Un• re Berücksichtigung der Medien moralischer abhängigkeit, Solidarität und Ungerechtigkeit Regulierung von sozialen Beziehungen - im bestimmen. Was wir selbst sind - und sein Gegensatz zur marktförmigen und staatlich• wollen -, gewinnt seine Bedeutung nur durch administrativen Steuerung. In den Debatten um „tiefe" Wertorientierungen, „die untrennbar mit Republikanismus - die für Rawlsianer „poli• uns als Handelnden verknüpft sind", so daß tisch korrekte" Bezeichnung wäre: deliberati- wir uns ohne solche Werte uns selber (unsere ve Demokratie -, um politische Partizipation „Identität") gar nicht vorstellen können und zivile Toleranz geht es um die Bedingun• (Charles Taylor). gen der ethisch-politischen Integration kom• plexer Gesellschaften - nicht zuletzt unter den Auch die gerechte Verteilung sozialer Güter - Bedingungen wachsender Inter- und Multikul- Ressourcen und Lebenschancen - läßt sich turalität. „weder verstehen noch beurteilen und kritisie• ren, bevor wir deren Bedeutung für das Leben Der gemeinsame Nenner dieser Ansätze, So• jener Männer und Frauen begriffen haben, un• ziologie, Ökonomie, Politikwissenschaft wie• ter denen diese Güter verteilt werden sollen" der als „moral sciences" zu praktizieren, ließe (Walzer 1992: 11). Dies gilt auch - und insbe• sich ebenfalls als „Kontextualismus" bestim• sondere - dann, wenn die Gerechtigkeit der men: Es geht darum, die formal ausdifferen• jeweiligen Verteilungsordnung umstritten ist. zierten Systemrationalitäten moderner Gesell• Es sind dann die Kämpfe um die „Kunst der schaften - das Markthandeln, das Verwaltungs• Trennung", die Deutungskonflikte und Aus• handeln usw. - mit ihrem institutionellen und handlungsprozesse um die symbolischen Ab• kulturellen Kontext zu verbinden, aus diesem grenzung von Wertsphären, die das „soziale Kontext zu verstehen und vor diesem Kontext Apriori" (Georg Simmel) aller Beteiligten erst zu kritisieren. Das Plädoyer für die Rücknah• konstituieren. Daß auch der geregelte Konflikt me unkontrollierter Verselbständigungen von eine Form der sozial-moralischen Integration Teilrationalitäten (in Wirtschaft, Verwaltung, komplexer Gesellschaften darstellen kann, dar• Wissenschaft) fordert mithin keine Rückkehr auf hat zuletzt erneut Albert O. Hirschman zu vormodernen Gemeinschaftsformen. In Mi• hingewiesen (Hirschman 1993). chael Walzers Gerechtigkeitstheorie wird der Pluralismus der Interessen und Identitäten so• In den Sozial- und Politikwissenschaften kann gar noch durch den Pluralismus der Wertsphä• der Kommunitarismus als Reaktion auf ein ren ergänzt (und kompliziert): „komplexe Ge• Übergewicht des methodologischen Individua• rechtigkeit" bezieht sich nicht nur auf die Ver- 26 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

teilung von Gütern und Chancen, sondern auch rikanische Sozial- und Kulturgeschichte. Doch auf die Hierarchie von Kriterien der Bewer• die Zersetzung traditioneller sozial-moralischer tung von Menschen und ihren Fähigkeiten. Milieus und die wachsende Mobilität der Indi• Auch die Vorherrschaft eines Rationalitätsmu• viduen haben nicht nur zur Zerstörung von sters (z.B. die neoliberale Ablehnung jeglicher Gemeinschaften geführt, sondern auch zu ih• Regulierung des Marktes) widerspricht dem rer Neukonstituierung, zu wandelnden Mustern Ziel der freien Gesellschaft: das in vielfache in der community-Bildung selbst: etwa zu ei• Rollen, Interessen, Gruppenidentitäten und nem für die Theoretiker des amerikanischen Handlungssphären eingebundene Individuum „Schmelztiegels" unerwarteten Boom der Rolle von der Dominanz bestimmter „Sphären" zu der Ethnizität in den sechziger und siebziger befreien, es zur eigenständigen ethisch-politi• Jahren (Glazer/Moynihan 1974); oder heute schen Urteilskraft gegenüber allen Dimensio• zu einer Verlagerung spiritueller und karitati• nen der modernen Gesellschaft zu ermächti• ver Religiosität aus den konfessionellen Kir• gen. chengemeinden in Selbsthilfegemeinschaften.

5. Rhetorik und Politik In Deutschland muß das amerikanische Kon• glomerat des 'Kommunitarismus' zwiespältig Der Kommunitarismus ist schließlich - und aufgenommen werden: So vertraut die Dia• nicht zuletzt! - ein Topos amerikanischer poli• gnose auch klingt - Krise der politischen Par• tischer Rhetorik: der Identifikation mit „Ame• tizipation, Zerfall sozialer Solidarität, Erosion rika" als der Gemeinschaft der Freien (Kall• von politischer Öffentlichkeit, selbstdestrukti• scheuer 1994: 112ff.). Die von der biblischen ve Tendenzen des Individualismus -, so vage Bundestheologie inspirierte amerikanische „zi• mutet oft die Therapie an. Das unterscheidet vile" oder „Bürgerreligion" (Bellah) ist ein den U.S.-amerikanischen Kommunitarismus Grundmuster symbolischer Politik in den zwar nicht grundsätzlich von alteuropäischen U.S.A. Die „kommunitaristische" Rhetorik und sozialphilosophischen Einstellungen - inhalt• der demokratische Populismus, welche sowohl lich wäre er aber in deutschen Landen wohl den Präsidentschaftswahlkampf Bill Clintons zwischen katholischer Soziallehre und refor• als auch den des unabhängigen Kandidaten mierter kritischer Theorie einzuordnen. Ross Perot bestimmten, bilden zugleich das symbolische Gegengewicht zum radikalen In• Dennoch bleibt eine Irritation: die häufig zu• dividualismus der amerikanischen Ideologie. gleich wertkonservative und demokratische Rhetorik, die aus der populistischen und pro• Die industrielle Moderne, die Einwanderungs• testantischen „Seele" der amerikanischen Re• wellen, der Urbane Lebensstil, die wachsende publik spricht, ist in der Alten Welt paradox Mobilität der Bevölkerung, die Desintegration und ungewohnt. In Europa kommt der Popu• der Familien ... - kurz: die Massendemokratie lismus ja in der Regel nationalistisch daher. oder „Great society" (John Dewey) - haben die traditionellen Formen solidarischer Ge• Otto Kallscheuer ist Philosoph und Politolo• meinschaft in den U.S.A. längst untergraben. ge. Zuletzt lehrte und forschte er in Princeton Kulturpessimistische Warnungen vor den Fol• (Institute for Advanced Study) und in Wien gen des Zerfalls moralischer Bindungen in Fa• (Institut für die Wissenschaften vom Menschen) milie, lokaler Gemeinde und politischem Ge• meinwesen begleiten daher die gesamte ame• FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 27

Anmerkungen Literatur

1 Vgl. darüber die jüngst in der Boston Review Barber, Benjamin 1994: Starke Demokratie. Über geführte Debatte zwischen Martha Nussbaum, die Teilhabe am Politischen. Reihe RATIONEN, Antony Appiah, Amy Gutman, Charles Taylor Hamburg und Michael Walzer über „Patriotism and Cos- Bernstein, Richard 1985: Dewey, Democracy: The mopolitism", hier zitiert nach Beilage zu RESET, Task Ahead of Us, in: Rajchmann/West (Hrsg.) N. 14/1995. Constant, Benjamin 1980: De la liberte des mo• 2 Auf eine Bibliographie kann ich hier verzichten dernes. Ecrits politiques (Textauswahl), Paris und stattdessen auf meine Literaturübersicht in Dewey, John 1980: The Public and its Problems Zahlmann (1992) verweisen. (1927), Reprint, Athens/Ohio 3 Etzioni ist auch der Gründer des kommunitari• Fogarty, R.S, 1993: Communitarians and Coun- stischen Netzwerks, der Initiator einer kommuni• terculturists, in: Encyclopedia of American Social taristischen Plattform „Rights and Responsibili- History, Bd. 3, New York ties", Herausgeber der Zeitschrift „The Responsi- Forst, Rainer 1994: Kontexte der Gerechtigkeit, ve Community" und Initiator der Society for the Frankfurt/M. Advancements of Socio-Economics. Glazer, Nathan/Mbynihan, Patrick (Hrsg.) 1974: 4 Vgl. J.G. Herder (1985ff.): Bd.I: 40 ff.; Bd.VII: Ethnicity, Cambridge/Mass. 301ff.; J.J. Rousseau (1964ff.): Bd.III: 460-470. Hirschman, Albert O. 1993: Wieviel Gemeinsinn - Der Text von Benjamin Constants berühmter braucht die liberale Gesellschaft? In: Begrgedor- Rede „De la liberte des modernes comparee avec fer Gesprächskreis, Protokoll Nr. 100 celle des ancients" (1819) findet sich in Constant Holmes, Stephen 1993: The Anatomy of Antüibe- 1980. ralism, Cambridge/Mass. (das Buch wird dem• 5 Für eine Darstellung der von Walter Lippmann nächst in der Reihe RATIONEN auch auf deutsch mit seinen beiden Büchern Public Opinion (1922) erscheinen) und The Phantom Public (1925) eingeleiteten Kon• Johnson, P.J./Wilentz, Sean 1994: The Kingdom troverse mit John Dewey siehe die Darstellung of Matthias, New York-Oxford von Robert B. Westbrook (1991: 293 - 318). Noch Kallscheuer, Otto 1994: Gottes Wort und Volkes stärker akzentuiert elitentheoretisch sollte Lipp• Stimme, Frankfurt/M. mann dann nach dem Zweiten Weltkrieg argu• König, Rene 1958: Grundformen der Gesellschaft: mentieren. Vgl. Lippmann 1955. Die Gemeinde, Reinbek 6 Eine wichtige Quelle dafür ist das (unter der Lasch, Christopher 1991: The True and Only Hea- politsch korrekten Linken natürlich höchst) um• ven. Prigress and Its Critics, New York strittene Buch des 1994 verstorbenen Historikers Lippman, Walter 1955: The Public Philosophy, Christopher Lasch (1991): ein Versuch einer lin• Boston ken Rehabilitierung des fortschrittskritischen Po• Maclntire, Alesdair 1987: Der Verlust der Tu• pulismus, der Wachstums- und regierungsfeindli• gend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, chen Tugenden einer frühindustriellen Arbeiter• Frankfurt/M.-New York und „unteren Mittelklasse" gegen den kulturellen Maritain, Jacques 1925: Trois Reformateurs, Pa• Radikalismus der „neuen Klasse" der 68er Intelli• ris genz (der „civilized minority"), für den Lasch Maritain, Jaques 1936: L'Humanisme integral, (vor allem von feministischer Seite) viel Prügel Paris bezogen hat. Es ist eine alternative Ideengeschichte Marx, Karl 1974: Briefe aus den „Deutsch-Fran• eines populären „Middle America" und auch für zösischen Jahrbüchern" (1844), in: Marx-Engels- Leser informativ, die der populistische Therapie Werke, Berlin (DDR) 1956ff, Bd.I nicht zustimmen würden. Monroe, James A. 1991: The Democratic Wish. 1 Vgl. meine Einleitung zu Walzer 1992. Populär Participation and the Limits of American 8 Dies jedenfalls ist die These von Monroe 1991. Government, New-York \28 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Pocock, John CA. 1975: The Machiavellian Mo• von Auer, Frank/Segbers, Franz (Hrsg.) 1995: ment. Florentine Political Thought and the Atlan• Markt und Menschlichkeit, Reinbek tic Republican Tradition, Princeton Walzer, Michael 1992: Sphären der Gerechtig• Rajchmann, John/West, Cornell (Hrsg.) 1985: keit, Frankfurt/M.-New York Post-Analytical Philosophy, New-York Walzer, Michael 1992: Zivile Gesellschaft und Rorty, Richard 1987: Solidarität und Objektivität, amerikanische Demokratie, Reihe RATIONEN, Stuttgart Berlin Rousseau, Jean-Jaques 1964ff: Oeuvres Com- Walzer, Michael 1993: Kritik und Gemeinsinn, pletes, Paris Frankfurt/M. Sandel, Michael 1995: Liberalismus oder Repu• Westbrook, Robert B. 1991: John Dewey and Ame• blikanismus, Wien rican Democracy, Ithaca-New York-London Taylor, Charles 1985: Atomism, in: ders.: Philo• Zahlmann, Christel (Hrsg.) 1992: Kommunitaris• sophy and the Human Sciences. Philosophical Pa- mus in der Diskussion, Berlin pers 2, Cambridge/U.K.

Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen - Lieferbare Hefte:

1990 1/90 Gegenexperten in der Risikogesellschaft 2/90 Soziale Bewegungen und politischer Wandel im Osten Europas 3/90 Strukturwandel und neue soziale Milieus 4/90 Großstadt und neue soziale Bewegungen

1991 2/91 Bewegung, Cegenbewegung und Staat 3/91 Triumph der Verbände? Bewegungen zwischen Gesellschaft und Staat 4/91 Power in der Provinz - Ländlicher Raum und neue soziale Bewegungen

1992 1/92 Von der DDR zu den FNL - Soziale Bewegungen vor und nach der Wende 2/92 Perspektiven der Bewegungsforschung 3/92 Gewerkschaften zwischen Morgen und Grauen

4/92 Zwischen Markt und Staat - Dritter Sektor und Neue Soziale Bewegungen

1993 1/93 Europa im Umbruch - Neue Soziale Bewegungen im Schatten des europäischen Binnenmarktes 2/93 Osteuropa in der Krise - Bewegungen ohne Einfluß 3-4/93 Die herausgeforderten Kirchen - Religiosität in Bewegung 1994 1 /94 Zivilgesellschaft und Demokratie 2/94 Soziale Bewegungen und soziologische Theorie 3/94 Solidaritätsbewegungen 4/94 Bewegungen von rechts?

1995 1 /95 Soziale Bewegungen und kollektive Identität 2 /95 Subkultur und Subversion FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3. 1995 29

Hans Joas

Der Kommunitarismus - eine neue „progressive Bewegung"?

Plötzlich sprechen alle vom Kommunitarismus. Hegemonie des individualistischen Liberalis• Während der achtziger Jahre, als sich in den mus in allen seinen Formen dienen soll (etwa USA die moralphilosophische Debatte um Ver• Etzioni 19931). Aus den Kreisen der sich so dienste und Grenzen von John Rawls' „Theo• formierenden Intellektuellenbewegung des rie der Gerechtigkeit" entwickelte, interessier• Kommunitarismus gehen derzeit wichtige Stu• ten sich in Deutschland nur wenige Fachleute dien zur Entwicklung von Gemeinschaftsbin• der Sozialphilosophie und der Amerikakunde dungen und Partizipationsbereitschaft in den für die immer subtiler werdenden Argumenta• USA hervor: Vorschläge zu prinzipiellen Neu• tionen der beteiligten amerikanischen Philoso• ansätzen in den Wirtschafts- und Sozialwis• phen (vgl. Honneth 1991, Kersting 1992). Nach senschaften und Ideen zu einer politischen Pro• dem Ende der achtziger Jahre, als die ameri• grammatik, die unter dem Zeichen einer Re• kanische Debatte in ihrem moralphilosophi• moralisiening des politischen und gesellschaft• schen Kern praktisch an ihr Ende gelangt war lichen Lebens zu neuen Perspektiven in vielen - und dies in der wünschenswertesten Weise, Politikfeldern führt.2 nämlich durch beiderseitige Selbstrevision und eine sich abzeichnende Einigung auf eine Syn• Ich möchte in diesem Beitrag weder die Grund• these -, begann man auch in Deutschland, die• züge der moralphilosophischen Kontroverse ein se Debatte unter großer öffentlicher Aufmerk• weiteres Mal reflektieren3 noch - was mir fach• samkeit zu führen. Irritiert durch spezifisch lich ja näher läge - auf unser empirisches Wis• deutsche Empfindlichkeiten gegenüber jeder sen über Gemeinschaftszerfall und -neubildung, „Gemeinschafts'-Rhetorik (vgl. Joas 1993), Werteverlust und Wertewandel eingehen (vgl. werden gegenwärtig die Argumente der ame• hierzu Joas 1995), sondern mich ganz auf die rikanischen Kontrahenten hierzulande vielfäl• politische Seite des Kommunitarismus kon• tig nachvollzogen oder auch erweitert. zentrieren. Nach einigen kurzen Reflexionen über die Gründe für das plötzlich einsetzende In den USA dagegen wurde der vage Konsen• starke Interesse am Kommunitarismus in sus, der sich am Ende der philosophischen Deutschland, werde ich die Grundzüge der po• Kommunitarismus-Debatte ergab, zum Aus• litischen Programmatik der amerikanischen gangspunkt für etwas Neues: zu einer Platt• Kommunitaristen darzustellen versuchen. Da• form nämlich, auf der sich Philosophen, Sozi• bei möchte ich nicht umstandslos mit jeder al- und Rechtswissenschaftler sowie aktive der von mir dargestellten Positionen oder For• Politiker treffen konnten, um ein Netzwerk zu derungen identifiziert werden. Wie so häufig schaffen, das der praktischen Überwindung der in den USA, sind die meisten Programmpunk- 30 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

te der Kommunitaristen innenpolitischer Art. Nach den Verbrechen des Dritten Reiches im Für uns Europäer ist es aber wohl unumgäng• Namen einer „Volksgemeinschaft" haben Be• lich, ergänzend auch die Frage nach Konse• griffe wie „nationale Solidarität", „Vorrang der quenzen des Kommunitarismus in der Dimen• Gemeinschaft" und „Opfer" hierzulande ver• sion internationaler Beziehungen zu beantwor• ständlicherweise stark negative Konnotationen. ten. Danach werde ich schließlich meine Haupt• Andererseits wurde das Gefühl stärker, daß these begründen, die in einer Deutung des die Aufgaben der Wiedervereinigung nicht auf Kommunitarismus als einer neuen „progressi• der Grundlage eines individualistischen Libe• ven Bewegung" besteht, welche aus den Feh• ralismus gelöst werden könnten. Dies bereite• lern der Demokratisierungsbestrebungen der te den Boden für das Interesse am amerikani• sechziger Jahre gelernt hat. schen Kommunitarismus als einer, wie Albert Hirschman (1993) sagte, „Reinigung" der deut• 1. Das deutsche Interesse am ameri• schen Tradition. kanischen Kommunitarismus Der zweite Grund liegt wohl darin, daß trotz Ich sehe drei Gründe für die interessante Wen• aller verbreiteten Abneigung gegen den real de im intellektuellen Klima der Bundesrepu• existierenden Sozialismus viele Intellektuelle blik, die zum Interesse am Kommunitarismus in ihm eine bloße Abweichung von einem ur• führte. Der erste Grund liegt in den Problemen sprünglich attraktiven Pfad sahen. Selbst die der Wiedervereinigung selbst. Der größte Teil schärfsten antikommunistischen Sozialdemo• der westdeutschen Bevölkerung hatte in den kraten in Deutschland teilten mit dem offiziel• Jahren der Teilung seine emotionale Verbun• len Marxismus die Betonung auf den Staat als denheit mit den Ostdeutschen verloren. Die dem Hauptakteur für soziale Reformen. Erst Westdeutschen waren stolz geworden auf ihre wenn die utopischen Hoffnungen auf eine prin• Zugehörigkeit zur westlichen Welt und deren zipiell vom demokratisch-kapitalistischen We• politische und kulturelle Traditionen. Als in sten verschiedene Ordnung verblassen, wer• Ostdeutschland aus der anti-autoritären Parole den wohl die amerikanischen Debatten als „Wir sind das Volk" der Vereinigungsslogan wirklich wesentlich empfunden. Wer würde „Wir sind ein Volk" wurde, reagierten die mei• heute noch wie Werner Sombart fragen: „War• sten Westdeutschen mit äußerst gemischten um gibt es keinen Sozialismus in den Verei• Gefühlen. Zwar begrüßte man einen Sieg der nigten Staaten?" Wäre es heute nicht ange• Demokratie im Osten, aber die Vereinigungs• messener zu fragen: „Warum war der Libera• parole gab auch Ängsten Nahrung, die Kosten lismus (ob individualistisch oder kommunita- und die wirtschaftlichen Auswirkungen eines ristisch) immer so schwach in Deutschland?" solchen Schrittes seien unkalkulierbar und Und diese Frage führt direkt zu einem Interes• Deutschland werde wieder auf die Bahn euro• se an weniger staatszentrierten und mehr ge- päischer Hegemonialansprüche gesetzt. Vor al• meinschafts-orientierten Typen sozialen Han• lem nach Vollzug der Vereinigung im Oktober delns und sozialer Reform. 1990 stieg die Spannung zwischen einer eth• nisch begründeten „nationalen Identität" und Drittens schließlich erlaubt es der Bezug auf einem normativ fundierten „Verfassungspatrio• den Kommunitarismus, Probleme zu bündeln, tismus" in dem Maße, in dem langfristige öko• die analytisch unabhängig sind von den Fol• nomische Opfer für die westdeutsche Bevöl• gen der Wiedervereinigung. Die Zukunft des kerung nach einer Rechtfertigung verlangten. Wohlfahrtsstaats unter neuen demographischen FORSCHUNGSJOURNAL NSB, Jo. 8, HEFT 3, 1995 31

Bedingungen und im Angesicht internationa• risten geeignet, die mögliche Tragweite ihrer len Wettbewerbs, die Neustrukturierung des Programmatik zu beurteilen. Ich wähle aus ih• Arbeitsmarkts angesichts hoher struktureller ren Forderungen einige Bereiche aus, um in Arbeitslosigkeit, die zunehmende Zahl von aller Kürze ein anschauliches Bild der Lage Wechselwählern - bei all diesen Fragen schiebt zu vermitteln. sich mit dem Kommunitarismus eine neue Sichtweise zwischen die der individualistischen Am Anfang stehen in den meisten Dokumen• Liberalen und die staatszentrierter Reformer. ten familienpolitische Forderungen. Diese star• ke Betonung der Familie und die uneinge• 2. Die politische Programmatik der schränkte Bejahung ihrer Notwendigkeit für amerikanischen Kommunitaristen die optimale Entwicklung der Kinder stellen schon an sich eine bemerkenswerte Tatsache Der Schlüsselbegriff für die politische Kon• dar. Dabei wäre es ein Mißverständnis, hier zeption der Kommunitaristen scheint mir der eine mangelnde Kenntnis der Familiensozio• Begriff der Remoralisiening der Politik zu sein. logie mit ihrem Nachweis der innerfamiliären Die Kommunitaristen bestreiten die Vorstel• Mißstände und der Verbreitung zerfallender lung, das Verhalten der Staatsbürger oder gar Familien oder bewußt gewählter alternativer der Inhaber politischer Ämter sei schlicht in Lebensformen zu unterstellen. Es geht ja nicht Kategorien einer rationalen Verfolgung von um Idealisierung der Familie oder dogmati• Eigeninteressen zu analyiseren und entziehe schen Ausschluß von Lebensformen, die von sich damit jeder moralischen Bewertung. Da• den überbrachten Formen abweichen. Die Ziel• mit reden sie nicht staatlicher Gesinnungspoli• richtung ist eine andere, in zwei Hinsichten tik, uneingeschränkter Herrschaft von Mehr• ganz unzweideutige. Es geht darum, aus den heiten oder einer Rückwendung zur puritani• Grenzen öffentlicher Kinderbetreuung und aus schen Gesinnungskontrolle das Wort. Sie wol• den negativen Folgen der Ehescheidung für len auch nicht in engstirniger Weise Vorschrif• die Kinder Konsequenzen zu ziehen. In bei• ten für die Gestaltung des Privatlebens der den Hinsichten wollen die Kommunitaristen Bürger erlassen oder heuchlerisch aktive Poli• gegen die scheinbare Selbstverständlichkeit ar• tiker über außereheliche Affären oder irgend• gumentieren, mit der heute Paare ihre Kinder welche anderen Petitessen stolpern lassen. Re• vom zartesten Alter an der Betreuung anderer moralisiening zielt vielmehr auf eine Orientie• überlassen oder mit der das Wohl des Kindes rung am „Gemeinwohl" oder „public interest"; bei der Scheidung hinter das Wohl der Eltern dessen genauer Inhalt mag zwar umstritten sein, zurücktritt. Revisionen am Scheidungsrecht, der Begriff überhaupt gibt aber eine notwendi• wie obligatorische Wartefristen, die Konzen• ge Orientierung für die Versuche ab, Politik tration steuerlicher Begünstigungen auf eine nicht als bloße Aggregation von Partikularin• Familien- statt eine Ehepaarförderung und die teressen oder als Spiel nach eigenen Code- konsequente Durchsetzung der Unterhaltsan• Regeln, weitab von denen der Moral, aufzu• sprüche werden hier gefordert. fassen.

Einen zweiten Themenkomplex stellt die öf• Besser als jede abstrakte Erörterung über die fentliche Erziehung in den Schulen dar. Auch Problematik einer solchen Remoralisiening der hier dürften die Alarmglocken all derer schril• Politik scheint mir eine konkrete Auflistung len, die sich an die Debatten über „Mut zur der politischen Forderungen der Kommunita• Erziehung" in Deutschland erinnern. Erneut 32 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

wäre es ein MißVerständnis, hier Forderungen gunsten sozialer, ökologischer, entwicklungs• nach der Indoktrination bestimmter Werte zu politischer und militärischer Zwecke. unterstellen. Gerade der Soziologe Amitai Et- zioni als Spiritus rector des kommunitaristi• Ein dritter Komplex von Forderungen betrifft schen Netzwerks ist sich in aller Klarheit be- die Revitalisierung existierender Gemeinschaf• wußt, daß die Bindung an Werte nicht durch ten und Bemühungen zur Schaffung neuer und Strafe, Zwang und Drohung, sondern nur durch andersartiger Gemeinschaften. Das im eigene Erfahrung an Vorbildern und in begei• Schwang befindliche Mißverständnis, es gehe sternden Erlebnissen gelingen kann. Aber die• den Kommunitaristen um eine Rückkehr zu se Betonung auf einer echten Verinnerlichung traditionellen Gemeinschaftsformen, läßt sich von Werten zielt eben doch zugleich gegen an den Texten besonders leicht zerstreuen. Eine eine Reduktion des öffentlichen Bildungswe• bloße Rückkehr wird explizit schon aus öko• sens auf Leistung und Qualifikation. Auch in nomischen Gründen für unmöglich erklärt, zu• Deutschland hat die Debatte über rechtsradi• dem aber auch als gar nicht wünschenswert kale und ausländerfeindliche Gewalttaten Ju• befunden wegen des einengenden, oft autori• gendlicher neuerdings die Bereitschaft erhöht, tären und übermäßig homogenen Charakters über Defizite in der Werte-Erziehung nachzu• traditioneller Gemeinschaften. Gerade die For• denken. Aus den Äußerungen der Kommuni• schungen über neue Formen von Gemeinschaft, taristen möchte ich hier dreierlei hervorheben. etwa Selbsthilfegruppen (vgl. Wuthnow 1994) Zum einen wird die Schule als Erfahrungs• oder neue Ersatzformen (wie Telefonnetzwer• raum dargestellt, in dem die Chancen zur Mit• ke älterer Menschen, vgl. Fischer 1992), sind bestimmung der Schüler und zur dauerhaften hier soziologisch enorm aufschlußreich. Die Bindung an Lehrer-Persönlichkeiten entschei• politischen Forderungen zielen auf die ver• denden erzieherischen Einfluß ausüben kön• stärkte Einbringung kommunitaristischer Ge• nen. Die genauere Gewichtung der sozialen sichtspunkte in Architektur und Stadtplanung, und partizipatorischen Seiten des Schulbetriebs die staatliche Unterstützung freiwilliger Akti• gegenüber den leistungs- und konkurrenzori• vitäten (etwa das Programm Seattles zur Aus• entierten Seiten bleibt allerdings vorläufig noch weitung von Erste-Hilfe-Kenntnissen), die Ein• unklar. Des weiteren wird versucht, den ge• richtung von Service Centers für spontane ge• samten Erfahrungsraum von Kindern und Ju• meinschaftsbildende Aktivitäten und, wie zu gendlichen unter dem Gesichtspunkt der Wer• erwarten war, erneut Einflußnahme auf die all• te-Bildung zu untersuchen. Die in den USA täglichen Einstellungen gegenüber Gemein• verbreiteten Arbeitsplätze von Jugendlichen im schaft. fast-food-Bereich, in Video- und Musikge• schäften oder Sporthallen werden unter die• sem Gesichtspunkt sehr skeptisch beurteilt. Die Die gemeindebezogenen Forderungen gehen Forderungen gelten einer verstärkten Kontrol• bruchlos über in die Erörterung zweier Poli• le dieser Arbeitsplätze durch Repräsentanten tikfelder, die in der innenpolitischen Diskussi• der Schulen und Schulaufsichtsbehörden. on der USA besonders wichtig sind: „public Schließlich gehört in diesen Bereich der auch safety" und „public health". In der Sicht der unter den Kommunitaristen umstrittene Vor• Kommunitaristen lassen sich die Gefahren der schlag eines „national Service", eines nationa• Hegemonie des individualistischen Liberalis• len Pflichtdienstes für alle Jugendlichen zu• mus auf dem Gebiet der Verbrechensbekämp• fung und der Kontrolle des Schußwaffener• werbs besonders gut illustrieren. Man denke FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3. 1995 33

etwa an die Auseinandersetzungen um die sy• den enormen Einfluß finanzstarker Unterneh• stematische Durchsuchung von Wohnungen men, Verbände oder Einzelpersonen auf die nach Waffen in großen, von bewaffneten Ju• politische Willensbildung in den USA beden• gendbanden terrorisierten „housing projects" ken. Die Rolle der Wahlkampffinanzierung, in Chicago. Die Frage ist, ob auf den deutlich die Schwäche der politischen Parteien, die Un• geäußerten Wunsch einer Mehrheit der Bewoh• geniertheit, in der Gesetzesvorlagen durch Par• ner hin eine solche Durchsuchung auch ohne tikularinteressen verwässert oder zur Grundla• konkreten Tatverdacht im Einzelfall erlaubt ge von Gegengeschäften gemacht werden und sein soll. Es geht den Kommunitaristen nicht das Ausmaß von Korruption unterscheiden sich um eine Rücknahme individueller Freiheits• wohl doch deutlich von der Lage in Deutsch• rechte, wohl aber um eine veränderte Balance land. Entsprechend klingen einige der Forde• zwischen diesen und dem Interesse der Ge• rungen für deutsche Ohren merkwürdig pha• meinschaft am Schutz vor Verbrechen. Wäh• senverschoben. Die Kommunitaristen befür• rend auf der Seite des individualistischen worten beispielsweise eine Verstärkung öffent• Liberalismus Aktivitäten zur Verbrechensbe• licher Wahlkampffinanzierung und eine Stär• kämpfung wie „neighborhood watch" und ver• kung der politischen Parteien, während wir in stärktes „Community policing" oder die Versu• Deutschland eher über eine Relativierung der che zu Sicherheitspartnerschaften u.ä. in deut• Rolle der überstark gewordenen Parteien nach• schen Ländern rasch als gefährliche Stärkung denken. Auf der lokalen und einzelstaatlichen des Überwachungsstaates gedeutet werden, tre• Ebene, so die Diagnose der Kommunitaristen, ten die Kommunitaristen gerade für die sei die Lage nicht besser. Gerade zukunftsori• verstärkte Verantwortlichkeit der Gemeinschaft entierte und verantwortungsvolle Politik kom• aller Bürger für ihre Sicherheit ein. Im Be• me dadurch völlig unter die Räder des extrem reich der Gesundheitspolitik sind ähnlich dem partikularistischen Politikbetriebes. An dieser Bereich der inneren Sicherheit Vorschläge ei• Stelle sind v.a. die Vorschläge Benjamin Bar- nerseits zur Stärkung einer gemeinschaftsbe- bers zu neuen basisdemokratischen Formen zu zogenen Gesundheitspflege und andererseits nennen (Barber 1984) - ein nationales System zu einer stärkeren Berücksichtigung von All• von „neighborhood assemblies", eine verstärkte gemeininteressen festzustellen. Hier geht es Rolle von Lotterieverfahren bei der Besetzung um Fragen wie die Zulässigkeit von Kontrol• öffentlicher Ämter, von Referenden u.ä. und len auf Alkohol- oder Drogenmißbrauch oder Formen der Mitbestimmung am Arbeitsplatz. in Hinsicht auf die Verbreitung von AIDS.

Als letzten innenpolitischen Themenkomplex In einem vierten Bereich geht es um die Struk• möchte ich die Diskussion über eine Reform turen der politischen Willensbildungsprozesse des Wohlfahrtsstaates erwähnen. In Etzionis selbst, insbesondere auf bundesstaatlicher Ebe• Schriften findet sich dazu erstaunlich wenig. ne. Hier ist das Bild vom Zustand der ameri• Diese Tatsache löste auch bereits den Vorwurf kanischen Demokratie in den Schriften der aus, es handle sich beim politischen Programm Kommunitaristen zumeist sehr düster. Die Kri• der Kommunitaristen um ein gegenüber sozia• tik gilt v.a. der zersetzenden Wirkung lobby• len Problemen blindes Dokument. In Etzionis istischer Partikularinteressen auf die bloße Idee Fall sind aber wohl eher taktische Gründe maß• der Formung eines Konsenses über das öffent• gebend, da er in seinem wissenschaftlichen liche Interesse. Um die große Emphase an die• Werk ja zu den entschiedensten Befürwortern ser Stelle zu verstehen, müssen wir natürlich einer wirtschafts- und sozialpolitischen Markt- 34 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG, 8, HEFT 3, 1995

regulation gehört (Etzioni 1988). Am deutlich• Mein eigener Versuch ist hier am Begriff einer sten wird die kommunitaristische Position hier post-Hobbesschen Ordnung ausgerichtet (vgl. wohl in Alan Wolfes scharfer Kritik an einer etwa Joas 1994). Während die Debatte über unsozialen, den Markt fetischisierenden Poli• eine „international society" in Abrede stellt, tik ebenso wie an einer übermäßig staatszen• daß wir jemals in der Welt des machtpoliti• trierten, direkte gemeinschaftsbezogene Hilfs• schen Realismus lebten, in der alle Außenpoli• bereitschaft auslöschenden Wohlfahrtsstaatlich• tik von rational ihre Interessen kalkulierenden keit (Wolfe 1989). Diese Kritik ist in einer souveränen Staaten betrieben wurde, zielt der gründlichen Kenntnis dysfunktionaler Folgen Gedanke einer post-Hobbesschen Ordnung dar• des skandinavischen Wohlfahrtsstaats fundiert. auf, daß jedenfalls heute diese Beschreibung Aus dieser Kritik folgt eine normative Befür• nicht mehr zutrifft. Die historische Frage, wann wortung des Subsidaritätsprinzips, etwa auch Hobbes' Naturzustand zwischen den Staaten bei Robert Bellah, und eine deutliche Befür• gegolten habe, muß uns hier nicht beschäfti• gen. Der Begriff einer post-Hobbesschen Ord• wortung der Reform des amerikanischen Ge• nung entstammt den Versuchen, die Europäi• sundheitswesens sowie der sogenannten work- sche Union als eine neue Form politischer Herr• fare-Experimente zur Verknüpfung von Sozi• schaft zu begreifen (etwa Schmitter 1991). Tra• alhilfe mit Arbeitspflichten. Eine programma• ditionelle Begriffe wie Föderation und Konfö• tische Klärung ist aber erst in Arbeit. Bemer• deration sind diesem Gebilde nicht angemes• kenswert scheint mir, daß sich die Rezeption sen. Die Europäische Gemeinschaft (oder Uni• des Kommunitarimus in Wolfgang Schäubles on) als bloße „intergovernmental Organizati• jüngstem Buch (1994) fast ausschließlich auf on" zu behandeln, würde ebensowenig über• die Thesen zur Austrocknung des Gemeinsinns zeugend sein wie umgekehrt eine Betrachtungs• durch den Wohlfahrtsstaat bezieht, dabei aber weise, die die Integrationsproklamationen zu etwas unterstellt, was die Kommunitaristen wörtlich nähme und vorschnell die Herausbil• nicht annehmen: daß nämlich die Rücknahme dung einer neuen Nation oder eines neuen Staa• wohlfahrtsstaatlicher Leistungen selbst eine tes unterstellte. Es handelt sich wohl viel eher Zunahme des Gemeinsinns auslösen könne. um eine neue Spezies, deren charakteristisches Merkmal in einer erfolgreichen Lösung des Konsequenzen aus dem Kommunitarismus für Hobbesschen Sicherheitsdilemmas besteht. die Außenpolitik und die Gestaltung der inter• Militärische Sicherheit gegenüber den ande• nationalen Beziehungen werden von den ame• ren verliert hier ihre zentrale Bedeutung; ent• rikanischen Autoren erst in letzter Zeit gezo• sprechend mindert sich die Bedeutung der Ter• gen. Vorausgegangen waren freilich die Uber- ritorialität. Es gibt in dieser post-Hobbesschen legungen Michael Walzers über den gerechten Ordnung keinen eindeutig identifizierbaren Krieg und gerechtfertigte militärische Inter• Souverän mehr, sondern „eine Vielzahl von ventionen (Walzer 1977). Robert Bellahs Grup• Autoritäten auf verschiedenen Ebenen der Ag• pe kritisiert die verbliebenen Reste von Impe• gregation, teils territorial, teils funktional, mit rialismustheorie und begründet ein positives mehrdeutigen oder geteilten Kompetenzen an Verhältnis der USA zu internationalen Institu• der Spitze einander überlappender und hetero• tionen (Bellah et al. 1991). Besonders interes• gener organisatorischer Hierarchien. Politiken sant ist gegenwärtig der Brückenschlag zwi• werden hier nicht mehr definitiv verkündet und schen der schon länger währenden Debatte über vertikal durchgesetzt; sie werden vielmehr stän• eine „international society" und dem Kommu• dig neu ausgehandelt und indirekt implemen- nitarismus. FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 35\

tiert Außerdem gibt es mehrere Zentren mit übrigen Anstrengungen vergeblich sein. Aber unterschiedlichen Graden von Durchsetzungs• zur Herstellung dieser Vernetzung und zu ih• fähigkeit - und keineswegs alle von ihnen sind rer Aufrechterhaltung wird die Welt eine glo• 4 öffentlich oder staatlich." (Schmitter 1991) bale „kommunikative Infrastruktur" im selben Sinne brauchen wie dies der Kommunitaris• Diese Idee einer post-Hobbesschen Ordnung mus für die inneren Verhältnisse der Staaten hat ihre Aktualität zunächst darin, daß sie uns empirisch beschreibt und normativ verteidigt. die Erfolge der westeuropäischen Friedensord• nung zu begreifen erlaubt und doch Abstand 3. Eine neue progressive hält von der Vision eines sich herausbildenden Bewegung? europäischen Megastaats. Die Realisierung des Integrationsziels könnte hier ja ein Schuß nach Diese Forderungen bilden zusammen gewiß hinten sein: Im schlimmsten Fall könnten Kon• noch kein umfassendes Programm. Auch die flikte zwischen den Staaten auf dem Weg dort• vorliegenden Fragmente eines solchen Pro• hin und das demokratische Defizit Europas gramms sollten aber nicht - wie es gerade in den erreichten Grad der Integration gefährden, Deutschland mit der hier üblichen Semantik zu einer Renationafisierung von Wirtschafts• des Gemeinschaftsbegriffs häufig geschieht - und Außenpolitik und damit einer Wiederauf• als ein nostalgischer Versuch mißverstanden erstehung des Sicherheitsdilemmas führen. werden, zu traditionellen Gemeinschaften zu• Weniger wäre hier mehr - eine post-Hobbes- rückzukehren oder einen übergreifenden mo• sche Ordnung ist einer Integration vorzuzie• ralischen Konsensus für die Gesellschaft im hen, die die demokratische Kontrolle politi• ganzen mit staatlichem Zwang durchzusetzen. scher Entscheidungen und die Sicherheit so• Ich sehe im Kommunitarismus vielmehr den zialer Rechte vermindert und einen Wall ge• Versuch, das Ideal der Demokratie in einer gen ihre Umwelt errichtet. Aber die Bedeu• modernen, hoch differenzierten Gesellschaft tung dieser Konzeption geht weit über den im Bewußtsein der zerstörerischen Wirkungen westeuropäischen Fall hinaus. Empirisch hilft eines freigesetzten Individualismus neu zu for• sie uns beim Verständnis erfolgreicher Her• mulieren, dabei aber eben den Hauptnachdruck stellung von Friedenszonen wie Skandinavien auf politische und vorpolitische Institutionen und Nordamerika. Sie gibt eine Leitlinie für und Prozeduren staatsbürgerlicher Beteiligung die mögliche Rolle der Vereinten Nationen und zu legen. Damit befindet sich der Kommunita• potentieller regionaler SubOrganisationen wie rismus heute sozusagen in guter Gesellschaft. der KSZE (jetzt: OSZE). Und schließlich er• In sehr verschiedenen Gesellschaftssystemen laubt sie die Einbeziehung nicht-staatlicher und von sehr verschiedenen intellektuellen Akteure in das Bild. In Bereichen wie Ökolo• Ausgangspunkten aus lassen sich nämlich in gie, Menschenrechten, Schutz bedrohter Völ• den letzten Jahren zumindest neue theoreti• ker und Abrüstung hat sich längst ein die Staats• sche, manchmal auch praktische Versuche in grenzen überschreitendes Netzwerk von Ak• dieser Richtung beobachten. teuren, Organisationen und Bewegungsmilieus herausgebildet. Wie Dieter Senghaas (1992) in seinem „integrierten Friedenskonzept" wür• Vor allem in Ostmitteleuropa gab es während de ich die vielfältige Vernetzung der Staaten der späten siebziger und der achtziger Jahre für einen Grundbestandteil einer stabilen Frie• etwa die Debatte über die sogenannte „Zivil• densordnung halten; ohne diese werden alle gesellschaft". Mit diesem traditionsreichen Namen einer vom Staat unabhängigen Selbst- 36 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Organisation der Bürger war einst die Verselb• such dar, die in den sechziger Jahren so viru• ständigung der „Gesellschaft" gegenüber dem lenten Demokratisierungsbestrebungen wieder• absolutistischen Staat bezeichnet worden. Jetzt aufzunehmen und doch zugleich aus den unin- wurde daraus im östlichen Mitteleuropa das tendierten Wirkungen und den Fehlern dieser Codewort für die Einsicht, daß die Bekämp• früheren Welle von Demokratisierung zu ler• fung des Kommunismus nicht nur die Beset• nen. Mindestens in zwei Hinsichten sehe ich zung der obersten Positionen der Staatsmacht hier eine deutliche Differenz zu den sozialen durch eine andere Elite bedeuten konnte, son• Bewegungen der sechziger Jahre. Zum einen dern die umfassende Rekonstruktion einer in wird der Wert der Effizienz heute viel explizi• sich differenzierten und pluralistischen Gesell• ter akzeptiert; Demokratisierung versteht sich schaft erforderte. Diese Debatte fand wieder• nicht mehr in einem Gegensatz zu den Institu• um ihre Resonanzen im Umfeld der neuen tionen des Marktes und der Bürokratie, wo sozialen Bewegungen des Westens und in ei• diese sich demokratischen Mechanismen als nigen Ländern der Dritten Welt. instrumenteil überlegen erweisen. Es geht nicht um die Abschaffung von Markt und Staat, son• dern um die Chancen der Marktregulation und In den Sozialwissenschaften wiederum häufen einer Einbettung der Bürokratie in die demo• sich Diagnosen von den immer enger werden• kratische Kultur. den Grenzen staatlichen Handelns durch stei• gende weltwirtschaftliche Vernetzung, durch die technisch jetzt mögliche Herstellung einer Zum zweiten löst der Kommunitarismus die wirklichen Weltöffentlichkeit oder durch die unglückliche Liaison, die der ältere Progressi• Handlungsmacht von Verbänden und Interes• vismus mit einer Kultur individualistischer Per- sengruppen, die den Staat im nationalen Rah• missivität eingegangen war. Eben diese Ver• men eher zum Moderator und im internationa• knüpfung hatte manchen engagementwilligen len Feld eher zum Spielball als zum Hobbes- Intellektuellen seinerzeit den Demokratisie• schen souveränen Akteur machen. rungsbestrebungen entfremdet. Um es altmo• disch auszudrücken: Der Kommunitarismus hat In den USA bildete sich als dritte einschlägige die Einsicht wiedergefunden, daß Selbstregie• Strömung eben der „Kommunitarismus" her• rung die Tugend der Bürger voraussetze. Ohne aus. Die „Zivilgesellschaftsdebatte" scheint mir Selbstkontrolle und soziale Kontrolle und ohne mit dem Zusammenbruch des Kommunismus intensive Gefühle der Verpflichtung gegenüber ihren Focus verloren zu haben. Die staatstheo• konkreten partikularen Gemeinwesen ist retischen Debatten enden oft in bloßem de• Selbstregierung unmöglich. Die Befreiung von struktiven Steuerungspessimismus oder sie ver• solchen Verpflichtungen und die Lockerung weisen selbst auf die Dimension der Partizipa• der Kontrollen führen meist nur zur Diffusion tionsbereitschaft. Diese aber haben die Kom• von Verantwortlichkeiten und nicht zu effizi• munitaristen, die von den Problemen einer fort• enter und verantwortungsvoller Selbstregie• geschrittenen westlichen Gesellschaft ausge• rung. Diese kritische Sicht auf einen Teil des hen, von vornherein ins Auge gefaßt. kulturellen Erbes der sechziger Jahre macht es zeitgenössischen Beobachtern oft so schwer, den Kommunitarismus in den Schemata von Ein solcher Versuch muß keineswegs vom My• links versus rechts, liberal versus konservativ thos moralischen Niedergangs, um sich grei• zu klassifizieren. Das Insistieren auf einer Re• fenden Werteverlusts und allgemeiner Politik• moralisiening der Politik und auf institutionel- verdrossenheit ausgehen. Er stellt einen Ver• FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 37

len Konsequenzen solcher Remoralisierung Hans Joas ist Professor für Soziologie unter entgeht diesen einfachen Dichotomien. besonderer Berücksichtigung Nordamerikas an der FU Berlin. Wenngleich ich es nicht für richtig halte, dar• aus auf ein völliges Veralten der politischen Anmerkungen Unterscheidung von links und rechts zu schlie• ßen, trifft es doch zu, daß der Kommunitaris• 1 Deutsche Teilübersetzung in: Frankfurter Allge• mus die traditionellen Frontverläufe zwischen meine Zeitung vom 8. März 1994. den politischen Lagern zu verändern geeignet 2 Zu den politischen Forderungen vgl. neben Et• ist. Entsprechend versuchen kreative politische zionis Buch v.a. die Zeitschrift „The Responsive Köpfe der verschiedensten Orientierung: Wolf• Community". gang Schäuble und Kurt Biedenkopf, Tony 3 Zumal dies so ausgezeichnet geleistet wurde von Blair und Jacques Delors, Impulse dieser Be• Forst (1994). 4 wegung für sich zu nutzen. Mit welchem Recht Ins Deutsche übersetzt von mir, HJ. 5 dies im einzelnen geschieht, darüber läßt sich Im Sinne der Bewegung, die Anfang des 20. sicher streiten. In den USA selbst kann aus Jahrhunderts das öffentliche Leben der USA so stark beeinflußte. Zur Information vgl. etwa Ro• dem Kommunitarismus das entscheidende pro• bert H. Wiebe(1967). grammatische Gegengewicht zu dem Gebräu aus christlichem Fundamentalismus, Marktdog• matismus, amerikazentrierter Außenpolitik und Literatur Science-fiction werden, das die Weltsicht der republikanischen Kongreßmehrheit bildet. Er Barber, Benjamin 1984: Strong Democracy, Ber• nimmt berechtigte Seiten wertkonservativer keley: 261 ff. Gegenwartskritik auf und fügt diese mit basis• Bellah, Robert et al. 1991: The Good Society, demokratischen und sozialpolitischen Zielen New York zu einem neuen Ganzen zusammen. Soziale Etzioni, Amitai 1988: The Moral Dimension. To• Träger dieses programmatischen Neuansatzes ward a New Economics, New York können dabei per definitionem nicht nur dieje• Etzioni, Amitai 1993: The Spirit of Community, nigen sein, um deren Interessen es geht - es New York: 253-267 soll ja gerade die verstärkte Berücksichtigung Fischer, Claude 1982: To Dwell Among Friends. Anderer, der Verzicht auf eigene Rechte und Personal Networks in Town and City, Chicago Interessen nahegelegt werden. Hoffnungen auf Forst, Rainer 1994: Kontexte der Gerechtigkeit; eine sozialreformerische Bewegung der Be• Frankfurt/M. nachteiligten in den USA halte ich für illuso• Hirschman, Albert 1993, in: 100. Bergedorfer Ge• risch; die politischen Ausdrucksformen einer sprächskreis. Wieviel Gemeinsinn braucht die li• vom politischen Leben weitgehend abgekop• berale Gesellschaft?: 20 pelten „underclass" sind meist eher destruktiv. Honneth, Axel 1991: Grenzen des Liberalismus. Zur ethisch-politischen Diskussion um den Kom• Im Sinn einer eliten-initiierten Veränderung des munitarismus, in: Philosophische Rundschau 38 gesellschaftlichen Klimas und eines neuen Re• (1991), 83-102 formprogramms könnte der Kommunitarismus Joas, Hans 1993: Gemeinschaft und Demokratie aber zu einer neuen „progressiven Bewegung" in den USA, in: Micha Brumlik/Hauke Brunk- in den USA5 und vielleicht auch hierzulande horst (Hrsg.): Gemeinschaft und Gerechtigkeit, beitragen. Frankfurt/M.: 49-62. Joas, Hans 1994: Der Traum von der gewaltfrei• en Moderne, in: Sinn und Form 46, 309-318 38 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Joas, Hans 1995: Was hält die Bundesrepublik Juan March de Estudios e Investigaciones, Ma• zusammen? Alte und neue Möglichkeiten sozialer drid Integration, in: Friedhelm Hengsbach/Matthias Senghaas, Dieter 1992: Friedensprojekt in Euro• Möhring-Hesse (Hrsg.): Solidarität in der Krise, pa, Frankfurt/M. Frankfurt/M. (im Druck) Walzer, Michael 1977: Just and Unjust Wars, New Kersting, Wolf gang 1992: Die Liberalismus-Kom• York munitarismus-Kontroverse in der amerikanischen Wiehe, Robert H. 1967: The Search for Order, politischen Philosophie, in: Politisches Denken. New York Jahrbuch 1992, 82-102 Wolfe, Alan 1989: Whose Keeper? Social Science Schäuble, Wolf gang 1994: Und der Zukunft zu• and Moral Obligation, Berkeley gewandt, Berlin Wuthnow, Robert 1994: Sharing the Journey. Sup• Schmitter, Philippe 1991: The European Commu• port Groups and America's New Quest for Com• nity as an emergent and novel form of political munity, New York domination. Working paper 26 of the Instituto FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 39

Hans Vorländer

Ein vorläufiges Nachwort zur deutschen Kommunitarismusdebatte

Intellektuell lebt Deutschland bisweilen gerne Einbindung des einzelnen zu kritisieren. Der aus zweiter Hand. Die Kommunitarismusde• Kommunitarismus, in seinen kulturkritischen batte ist ein Import aus Nordamerika. Dort wie sozialtheoretischen Varianten, war damit begann sie in den frühen 80er Jahren, entzün• intellektueller Ausdruck eines grundlegenden dete sich sozialtheoretisch an dem epochalen Krisenbewußtseins über den amerikanischen Werk von John Rawls und gewann intellektu• Entwicklungsweg im allgemeinen und das po• ellen Schwung in einem politischen und kul• litische Gemeinwesen in den achtziger Jahren turellen Umfeld, das in den Reagan-Jahren zu• im besonderen. nehmend (neo-)konservativer geworden war. Traditionell 'linke' Politik, in den USA ohne• Im wiedervereinigten Deutschland war, nach• hin eher linksliberal denn marxistisch, suchte dem die Sprachlosigkeit über die revolutionä• eine Neubestimmung und fand sie in jenen ren Umbrüche des Jahres 1989 überwunden amerikanischen Traditionen, die aus der repu• war, das Empfinden der Orientierungslosig• blikanischen Gründungssituation und den reli• keit unter Intellektuellen weit verbreitet. Die giös motivierten Siedlungsbewegungen stamm• alten Muster, die sich in den späten sechziger ten. Dies war jedoch keineswegs eine utopi• Jahren herausgebildet hatten, hier die Apolo• sche Flucht in die Vergangenheit. Jene ver• geten der liberalen Demokratie, dort ihre neo• schütteten Strömungen wurden wieder ans Ta• marxistischen oder kritisch-theoretischen Kri• geslicht gehoben, die für eine Kritik der ame• tiker, besaßen keine Erklärungskraft mehr. Dies rikanischen Gegenwartsgesellschaft am Ende war zwar schon Ende der achtziger Jahre deut• des 20. Jahrhunderts tauglich erschienen. Die• lich geworden, andere Problemlagen, wie die se Traditionen, die in der amerikanischen Ge• ökologische, hatten sich in den Vordergrund schichte nie verloren gegangen waren, stellten geschoben, doch war der Zusammenbruch des das Vokabular zur Verfügung, um Egoismus realen Sozialismus letztlich der Schlußstein in und Rücksichtslosigkeit, um überbordenden In• dieser Entwicklung, an deren Ende die lange dividualismus und kruden Kapitalismus im Zeit für gültig gehaltenen Großideologien ob• Lichte der alten Vorstellungen von Tugend und solet wurden. Waren die alten richtungsideo• Gemeinwohl, von Gemeinschaft und sozialer logischen Frontlinien verbraucht, tat sich ein 40 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

ideenpolitisches Vakuum auf, das konkurrie• tische Prozesse durch die Renaissance von al• rende Deutungsversuche zu besetzen suchten. ten Nationalismen und die Wiederkehr ethni• Auf der traditionell 'konservativen' Seite wur• scher Konflikte, bis hin zum Bürgerkrieg wie de, allerdings mit begrenztem Erfolg, versucht, im ehemaligen Jugoslawien, jäh enttäuscht den Begriff der Nation als identitätsstiftendes wurde. Zudem hatte der politisch-administra• Projekt wiederzubeleben. Auf der anderen, sich tive Weg der staatlichen Vereinigung Deutsch• selbst als progressiv kennzeichnenden Seite lands nicht viel Platz gelassen für eine zivilge• des intellektuellen Diskurses wurde nun, nach sellschaftliche Neugründung der Bundesrepu• dem Ende der großen sozialistischen Utopien, blik, wie sie vielfach erhofft worden war. nach jenen philosophischen Programmen und Theorieangeboten Ausschau gehalten, die, in In dieser Situation konnte die in Nordamerika der Tradition kritischer Gesellschaftsanalyse, geführte Kommunitarismusdebatte das deut• nicht bloß zur Apologie des neuen gesellschaft• sche Augenmerk auf sich ziehen. Diese De• lichen und politischen Status quo taugten. batte konnte jenseits des Atlantiks bereits als 'ausgereizt' und deshalb abgeschlossen gel• 1. Von der „Zivilgesellschaft" zum ten. Gleichwohl wurde sie in Deutschland noch Kommunitarismus einmal nachgestellt, wobei neue Erkenntnisse aber nicht mehr gewonnen wurden. Wer die Jenseits der deutschen Diskursgrenzen wurde Debatte in den USA in den achtziger Jahren die Debatte bereits auf zwei Gleisen geführt. genau verfolgt hatte, konnte hierüber auch nicht Zum einen hatte der aus älteren Denktraditio• verwundert sein. Was in Deutschlands impor• nen stammende Begriff der „Zivilgesellschaft" tierter Kommumtarismus-Debatte zunächst ein• eine Renaissance erfahren. Von den Dissiden• mal auffiel, war, daß die Diskussion ohne Be• ten und Oppositionsbewegungen Ost- und Mit• rücksichtigung ihres nordamerikanischen Ent- teleuropas als ein Konzept formuliert, das in• stehungs- und Begründungskontextes geführt dividuelle Freiheit und gesellschaftliche Auto• wurde, deshalb aber letztlich oberflächlich und nomie gegen einen in der Tendenz totalitären ohne konkrete politische Auswirkungen blei• kommunistischen Staat durchzusetzen suchte, ben mußte. um so auf evolutionärem Wege eine Liberali• sierung kommunistischer Regime zu erzwin• Wo der Ansatz des Kommunitarismus in Nord• gen, war das Konzept der civil society über amerika auf die vielfältigen, zum Teil vorhan• den Nordatlantik gewandert, um von dort, nicht denen, zum Teil imaginierten Gemeinschaften zuletzt über die Achse New York (New School politischer, nachbarschaftlicher wie auch reli• for Social Research) und Frankfurt (Kritische giöser Art rekurrieren konnte, wo die amerika• Theorie), nach Deutschland reimportiert zu nische Geschichte starke Traditionen von Pa• werden. Hier wurde das Projekt der Zivilge• triotismus und bürgerschaftlichem Engagement sellschaft als ein radikaldemokratischer, von kennt, wo kurzum republikanische und religi• Bürger- und Protestbewegungen getragener ös-puritanische Tradition zumindest noch als Erneuerungsimpuls auch für die bundesrepu• „Erinnerungsgemeinschaften" (Bellah) präsent blikanische Demokratie verstanden. Doch so sind, da blieb die deutsche Diskussion seltsam plötzlich wie diese Diskussion anhob, so steril. Weder hat es eine „kommunitaristische schnell war sie auch wieder verschwunden. Plattform" wie in den USA - als öffentlich• Das lag vor allem daran, daß jene Hoffnung keitswirksames Manifest von Intellektuellen, auf autonome gesellschaftliche und demokra• Wissenschaftlern und Politikern - gegeben, FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 41

noch konnten in Deutschland die Diskussio• bestand nie ein Zweifel darüber, daß die viel• nen um Tradition, die Bedeutung von Gemein• fältigen Gemeinschaften und politischen As• schaft und die Grenzen der Individualisierung, soziationen die Grundlage einer aktiven und über Moral, Tugend und Gemeinsinn eine über stabilen Demokratie bilden. Liberalismus, De• den theoretisch-wissenschaftlichen Diskurs hin• mokratie wie auch der Gedanke der Gemein• ausgehende politische Bedeutung erlangen. Das schaft von Bürgern - unerheblich, ob diese mag nicht zuletzt daran liegen, daß der histori• sich aus religiösen oder politischen Motiven sche und kulturelle Resonanzboden für eine zusammengefunden haben - gehören im repu• kommunitaristische Debatte um die Grenzen blikanischen Selbstverständnis der englischen von Individualismus und Liberalismus in wie der amerikanischen Demokratie elemen• Deutschland sehr ungünstig ist. Denn zum ei• tar zusammen. Dabei wird keineswegs überse• nen kennt Deutschland keine der anglo-ameri- hen, daß es zwischen primären Formen kanischen Entwicklung vergleichbare starke li• menschlicher Gemeinschaft und den Imperati• berale Tradition, um deren Defizite eine ernst• ven moderner Organisationsgesellschaft erheb• hafte Debatte zu führen sich lohnte. Die deut• liche Spannungen gibt. Doch werden die Ent- sche Geistes- wie auch die politische Geschich• fremdungs- und Individualisierungsschübe des te kennt nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwe• industriell-kapitalistischen Zeitalters keines• nig an Liberalismus und liberaler Werteorien• wegs in einem romantischen Gegenentwurf vermeintlich guter, völkisch homogener Ge• tierung. Noch in Weimar, und dann erst recht meinschaft aufzufangen versucht, wie das in in den Jahren nach 1933 war der - westliche, der deutschen Geistesgeschichte mehr als ein• demokratische - Liberalismus ein Anathema. mal, von den Romantikern bis zu den „konser• vativen Revolutionären" der Zwischenkriegs• 2. Verschobene intellektuelle und zeit, der Fall gewesen ist. So litt die deutsche kulturelle Fronten der deutschen Kommunitarismusdebatte von vornherein an Kommunitarismusdiskussion der Vorgabe verschobener intellektueller wie kultureller Fronten. Andererseits waren und sind die Schlüsselbe• griffe des Kommunitarismus auch nicht ein• fach auf die deutsche Erfahrung übertragbar, 3. Soziomoralische Voraussetzun• ja sie sind im deutschen Kontext mit einer gen moderner Gesellschaften und antimodernen und antiwestlichen, wenn nicht liberaler Demokratie gar antidemokratischen Tradition verbunden. Denn nur zu oft diente die Gegenüberstellung Zeigt diese Debatte einmal mehr, daß die trans• von „Gemeinschaft" und „Gesellschaft", die kulturelle Rezeption von Theorien und Ideen Tönnies innerhalb der deutschen Diskussion an kontextuelle Schranken stößt, so hat doch auf den Begriff gebracht hatte, der Perhorres- die Diskussion um den Kommunitarismus zierung westlicher Zivilisation und liberaler zweifelsfrei ihre eminente Bedeutung darin, Demokratie. Begriffe wie Gemeinschaft, Tu• daß sie die von Ökonomismus wie Utilitaris- gend und Gemeinwohl wurden vielmehr als mus beiseitegeschobenen soziomoralischen Prinzipien der kulturellen Homogenität des Grundlagen moderner Gesellschaft und libera• deutschen Volkes und damit als Antithese zu ler Demokratie thematisiert. Dabei lassen sich Liberalismus und Demokratie westlicher, vor vier Monita benennen, die der Kommunitaris• allem anglo-amerikanischer Provenienz ver• mus der westlich geprägten Gegenwartsgesell• standen. Im anglo-amerikanischen Kontext aber schaft vorhält. Erstens legt der Kommunitaris- 42 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

mus den Finger in die Wunde der Auflösung 4. Beunruhigende Zeitdiagnose traditioneller sozialer Milieus und Bindungen. Er sieht die Tndividualisierungsschübe' als ei• Die Kritik der Kommunitaristen an der mo• nen Prozeß der Auflösung von natürlichen zwi• dernen Gesellschaft ist nicht neu. Sie ist eine schenmenschlichen Gemeinschaften. Diese Fortführung jenes Diskurses der Aufklärung - Tendenz führt nicht nur zu Anomie und Depri• nicht nur der kontinentaleuropäischen, sondern vation des einzelnen, sondern auch zu einer auch, ja besonders der schottischen Aufklärer generellen Lockerung des gesellschaftlichen - aus dem 18. Jahrhundert, als es um die Zusammenhalts. Zweitens folgt daraus ein Pro• Grundlagen der neuen, im Entstehen begriffe• blem gesellschaftlicher Moral. Moral kann sich nen Gesellschaft ging. Recht und Markt wur• in den Augen der Kommunitaristen nur im den langsam, aber doch sehr nachdrücklich, Kontext von Gemeinschaften und der durch die Organisationsprinzipien moderner Gesell• sie überlieferten Vorstellungen über das gute schaften und schienen alte Traditionen, Ge• und gerechte Leben ergeben. Mit dem Verlust wohnheiten und soziale Bindungen zu erset• von Gemeinschaft und Tradition geht der „Ver• zen, ja in der anhebenden ökonomischen und lust der Tugend" (Maclntyre) einher. Die An• industriellen Dynamik auch zu zersetzen. Hin• nahme von Aufklärung und Idealismus, daß zu kam, daß die alte Lebensführungsmacht der sich eine Moral auf eine abstrakte Pflichten• Religion schon von der Aufklärung, vor allem ethik gründen lasse, ist in den Augen der Kom• aber von diesseitigen utilitaristischen Lebens• munitaristen trügerisch. Jede Moral, so das Ar• maximen entthront wurde. So sind jene Struk• gument, ist in Lebensweisen und Lebensge• turen, auf die der Kommunitarismus letztlich fühlen verwurzelt, ohne diese ist jene nicht reflektiert - kleinräumliche Gemeinschaft, kul• tragfähig. Daraus folgt drittens für Kommuni• turelle und ökonomische Homogenität, intakte taristen, daß die Hoffnung der Aufklärung und und tradierte Sozialmoral -, schon lange brü• des Liberalismus, nur die universelle Geltung chig, wenn nicht gar hinfällig geworden. Doch des Rechts könne die Freiheit und das „Welt• haben moderne Gesellschaften wie auch frei• bürgerrecht" (Kant), könne den zivilisierten heitliche Demokratien von den 'alten' sozia• Umgang der Staaten miteinander verbürgen, len und moralischen Restbeständen gelebt, ha• illusorisch ist. Recht und Gerechtigkeit sind ben die Imperative der Industrie- und Organi• ohne eine ihr vorangehende, von allen Mit• sationsgesellschaft balanciert: Der 'heilige Ego• gliedern der Gemeinschaft geteilte Vorstellung ismus', Konkurrenz und Durchsetzungswille, über die gute Gesellschaft weder vorstellbar ökonomisches und Privatinteresse, die Maxi- noch durchsetzbar. Viertens brauchen politi• mierung von Glück und Geld, Funktionalität sche Gemeinwesen, damit sie sich als solche und Effizienz von industriellen und admini• verstehen, einen Vorrat an gemeinsamen Vor• strativen Systemen - diese dynamischen Lo• stellungen und Traditionen, einen common sen• giken modemer Gesellschaft wurden lange im• se, der das soziomoralische Fundament, den mer noch von Institutionen wie Familie, so• sozialen Kitt einer jeden Gemeinschaft von zialen und moralischen Milieus (Kirchen, Glau• freien und gleichen Bürgern bildet. Geht die• bensgemeinschaften, Gewerkschaften), Asso• ser Sinn für das Gemeinsame an Vorstellun• ziationen, auch Zusammenschlüssen in Partei• gen und Werten verloren, dann zerbricht eine en, also von vielfältigen Aktivitäten und Ein• politische Gesellschaft, oder aber sie ist nur richtungen in der Bürgergesellschaft eingefan• mit autoritären oder bürokratisch-administra• gen und abgefedert. tiven Mitteln zusammenzuhalten. FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 43

Das Beunruhigende an der derzeitigen Kom• Technologiegesellschaft nicht mehr Aufklä• munitarismusdebatte aber ist, daß sie eine Ver• rung, sondern Entertainment betreibt und des• mutung nahelegt, die erschrecken mag: Mo• halb weder vernünftiges Räsonnement noch derne Gesellschaften scheinen an einem Punkt verantwortliches Handeln in einer komplexer angekommen zu sein, an dem sie die sozialen und interdependenter werdenden Welt zuläßt, und moralischen Voraussetzungen aufgezehrt dann gewinnt der Modernisierungsprozeß eine haben, die für ihren inneren Zusammenhalt Beschleunigung, dem die sozialen und morali• wesentlich sind. Wenn es aber so ist, daß das schen Grundlagen liberaler Demokratie kaum Konkurrenzprinzip das Gefühl mitmenschli• standhalten können. Der Kommunitarismus cher Solidarität abgewertet hat, daß die Kom• wird diese Entwicklung nicht aufhalten kön• merzialisierung aller Lebensbereiche die Ge• nen. Aber er besteht zu Recht darauf, daß Ge• meinschaftsfähigkeit des einzelnen zerstört, daß sellschaften ihren inneren Zusammenhalt nicht die Globalisierung der Lebenszusammenhän• verlieren dürfen, wollen sie freiheitliche und ge Überschaubarkeit und Kleinräumlichkeit stabile Demokratien bleiben. überholt, daß die Logik der Wettbewerbsge• sellschaft eine kollektive ökologische Ratio• Hans Vorländer ist Professor für Politikwis• nalität nur schwer zuläßt, daß die Medien- und senschaft an der TU Dresden. 44 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Roland Roth

Kommunitaristische Sozialpolitik?

Anmerkungen zur aktuellen Debatte über Professionalität und Ehrenamt in der Sozialpolitik

Das Interesse an Gemeinschaften und Formen gen, das - jenseits von Staat und Markt ange• der gegenseitigen Hilfe von Bürgerinnen hat siedelt - diese gleichsam sozial „einbettet", im letzten Jahrzehnt eine politische und ge• deren negative Folgen abfedert und ihr Funk• sellschaftstheoretische Belebung erfahren. Po• tionieren allererst gewährleistet. Solidarität, litisch stimuliert von den „friedlichen Revolu• Vertrauen, Toleranz, Gemeinsinn und andere tionen" in Osteuropa und ihren postrealsozia- zivile Tugenden sind unverzichtbar, können listischen Transformationsproblemen sind Kon• aber - so die gleichgerichtete Argumentation zepte der Zivil- bzw. Bürgergesellschaft zu po• beider Konzepte - weder staatlich verordnet litischen Visionen und philosophischen Mo• und durchgesetzt werden, noch entstehen sie den geworden. Die negativen Folgen der radi• einfach aus marktwirtschaftlichen Transaktio• kalen sozialen Austeritätspolitik im Westen, nen. Vielmehr schaffe erst ein reiches, auf die in den achtziger Jahren mit den Namen Gleichheit und wechselseitige Anerkennung ge• Reagan und Thatcher verbunden war, provo• stimmtes Beziehungsgeflecht aus Bürgerenga• zierten im Westen eine kommunitaristische gement, Nachbarschaften, Bürgerinitiativen, Gegenbewegung. Gemeinsam ist beiden Strö• sozialen Bewegungen, Vereinen, Parteien und mungen die Vorstellung von einem zu stärken• Verbänden die Grundlage für eine demokrati• den eigensinnigen Bereich des Bürgerengage• sche politische Kultur und eine solidarische ments. Freiwilliges soziales Engagement soll „Wohlfahrtsgesellschaft". nicht länger zum sozialpolitischen Notnagel in Krisenzeiten verkümmern, sondern avanciert 1. Kritische Anmerkungen zum korn- zur Voraussetzung und zum Wesenszug einer munitaristisch-zivilgesellschaftli- „starken" Demokratie und sozial integrierten

1 chen Perspektivenwechsel „guten" Gesellschaft.

Der kommunitaristisch-zivilgesellschaftliche Daher ist es nicht verwunderlich, daß zur Zeit Perspektivenwechsel beerbt einerseits die viel• kommunitaristische Ideen und Ideale in der fältigen Kritiken am Markt- und Staatsversa• sozialpolitischen Diskussion hoch im Kurs ste• gen in den westlichen Demokratien, die in den hen.2 Ihre Karriere geht Hand in Hand mit letzten Jahrzehnten aufgelaufen sind. Anderer• Konzepten der „Zivilgesellschaft".3 Beide seits bleibt diese Kritik gerade durch ihre Fo• Denkrichtungen teilen ein starkes Interesse an kusverschiebung eigentümlich begrenzt. An jenem Feld von Aktivitäten und Vereinigun• FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 451

einige grundsätzliche Nachfragen und Einwän• 6. Wer sich für die Ideale ziviler Gemeinschaf• de sei zunächst erinnert: ten mit solidarischen und demokratischen 1. Haben wir es bei Konzepten, die auf Be• Grandzügen zu erwärmen vermag (und wer griffe wie „Bürgergesellschaft" und „Gemein• täte dies nicht), gerät in Verlegenheit, wenn schaft" zurückgreifen, nicht mit Ladenhütern die Sprache auf die Mittel und Wege kommt, zu tun, deren größte Überzeugungskraft vor mit denen zivilgesellschaftliche und kommu• der Durchsetzung „moderner" Gesellschaften, nitaristische Wünsche Wirklichkeit werden sol• also vor der Durchsetzung kapitalististischer len. Dies liegt vermutlich nicht nur daran, daß Marktwirtschaft und liberaler Demokratie lag?4 diese Ideale noch nicht reformpolitisch „klein• 2. Die „altmodische" Begriffswahl steigert die gearbeitet" worden sind. Zur Förderung von Schwierigkeit, die ins Visier genommenen Ob• „civic communities" müßten wir - paradoxer• jektbereiche genauer zu fassen. Welche aktu• weise -just auf jene Steuerungsmedien (Recht ellen Einrichtungen und Gesellungsformen sol• und Geld) zurückgreifen, deren destruktives len z.B. komrnunitaristisch als „Gemeinschaf• Übergewicht gerade die Suche nach zivilge• ten" geadelt werden: Kleinfamilien, Sportver• sellschaftlichen Gegengewichten stimulierte. eine, Greenpeace-Unterstützer und National• staaten gleichermaßen? 2. Das Verhältnis von Ehrenamt und 3. Nachhaltige Zweifel existieren am empiri• professionellen sozialen Diensten schen Gehalt der Konzepte, wenn sie aus ih• rem angestammten philosophischen Terrain mit Ohne diese Nachfragen auf allgemeiner Ebene seinen Idealwelten und Modellannahmen ge• zu vertiefen, soll der Versuch unternommen holt und zur gesellschaftsanalytischen Aufklä• werden, an einem Bereich sozialen Engage• rung eingesetzt werden. Setzt die programma• ments der Frage nachzugehen, ob und unter tische Selbstbegrenzung der Kritik bereits bei welchen Umständen er zu einer kommunitari• der Realitätswahrnehmung ein? stischen Sozialpolitik beitragen kann. Ehren• 4. Strittig ist die gesellschaftskritische Reich• amtlichkeit bzw. freiwilliges Sozialengagement weite der Konzepte. Beziehen sie sich affir• und bürgerschaftliche Selbsthilfe sind für die mativ auf Entwicklungstendenzen in den avan• Idee einer von Gemeinsinn durchdrungenen cierten westlichen Demokratien (z.B. als Ori• „guten Gesellschaft"6 sicherlich von zentraler entierung für aktuelle Transformationsprozes• Bedeutung. Das Gegenstück zur „guten Ge• se in Osteuropa), oder lassen sich aus den kom• sellschaft" ist ein staatlich und/oder privat re• munitaristischen und zivilgesellschaftlichen gulierter Sektor professioneller sozialer Dien• Diskursen kritische Funken für eine gehaltvol• ste, der primäre Solidaritäten oder wechselsei• le Zeitdiagnose schlagen? tige Hilfen weitgehend ersetzt und zudem ohne 5. Besonders in den kommunitaristischen Bei• moralische Unterfutter wie Gemeinsinn und trägen wird eine politische Ambivalenz regi• bürgerschaftliches Engagement auskommt. Ei• striert, die auch deutlich konservative Züge nige Thesen sollen die Entwicklungsdynamik einschließt. Dies gilt nicht nur für den zuwei• zwischen beiden Bereichen verdeutlichen, len sorglosen Umgang mit regressiven Ele• e Wir erleben gegenwärtig einen machtvollen menten historischer Gemeinschaften, sondern und ungebrochenen Trend zur Professiona• auch für die Ausblendung herrschaftlicher lisierung der sozialen Hilfe Grundzüge in gegenwärtigen Sozialformen In der Beschreibung der Entwicklungsrichtung (z.B. das Lob der Familie als Ort traditionaler sozialer Sicherungssysteme sind sich die mei• 5 Rollenzuweisungen). sten Beobachter einig. Angesagt ist auch in 46 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

diesem gesellschaftlichen Bereich die zuneh• fachlichen Qualifikationen, das zur Zugangs• mende Arbeitsteilung, Verberuflichung, Spe• barriere für ehrenamtliches Engagement wird. zialisierung, Kommerzialisierung und funktio• nale Differenzierung. Es gilt, den Rationali• In der Folge prägen sich divergierende Wis• sierungsrückstand im Bereich der personenbe• sensbestände und Handlungsmuster aus. Das zogenen sozialen Dienste aufzuholen. Dauer• wissenschaftlich begründete Wissen der Hoch• hafte Arbeitslosigkeit treibt in Richtung sozia• schulabsolventen trifft auf das Alltagswissen le Exklusion. Gleichzeitig schwindet - zumin• der Laienhelfer. Die „Profis" drängen in Rich• dest in benachteiligten Milieus und Regionen - tung unpersönlicher, fachlich-sachlicher Klien• die Einbettung in stabile Gemeinschaften und tenbeziehungen, während im Ehrenamt Ver• ,.naturwüchsige'' Solidarbeziehungen.7 trauen und Sympathie zu den Hilfsbedürftigen Soziale Sicherheit versprechen stattdessen So• noch eine zentrale Rolle spielen darf. Schon zialversicherungen und helfende Berufe. Ihre die Zuwendungsbedingungen der öffentlichen Entwicklung zu Professionen, die ihren ge• Hand tragen häufig dazu bei, Ehrenamtliche sellschaftlichen Status durch ein einschlägiges bei sozialpolitischen Leistungsträgern zu mar- wissenschaftliches Studium sichern, ist - ge• ginalisieren. Neue Managementprinzipien stärkt durch parallele Entwicklungen in ande• (Controlling, „schlanke" Verwaltung etc.) ren Berufsbereichen - ein machtvoller Ent• trocknen zudem in den Wohlfahrtsverbänden wicklungstrend in modernen Gesellschaften. und öffentlichen Eimichtungen jene sozialen „Das Schlagwort von der 'Hilfe zur Selbsthil• (Frei-)Räume - wie z.B. ein lebendiges loka• les Vereinsleben - aus, die für freiwilliges En• fe', das die Sozialarbeit seit den Anfängen ih• gagement besonders wichtig sind. Laienhilfe rer fast 100jährigen Berufsgeschichte beglei• und ehrenamtlicher Arbeit sind von Prestige• tet, hat so faktisch den Ausbau eines weitläufi• verlust und Randständigkeit bedroht. gen Fremdhilfe-Appartes legitimiert."3 Der „Hilfe von Mensch zu Mensch" haben sich machtvolle Großorganisationen angenommen. e Professionelle soziale Dienste sind nicht al• les. Vielmehr bietet erst die Berücksichti• In den Wohlfahrtsverbänden führte die Expan• gung informeller Hilfen in Gemeinschaften sion professioneller sozialer Arbeit dazu, daß ein vollständiges Bild von der Produktion „das Ehrenamt immer stärker ausgeblendet und sozialer Sicherheit innerhalb der Verbände marginalisiert wird".9 Weiterbildungsangebote - orientiert an den Trotz des mächtigen Trends zur Verberufli• neuesten gesetzlichen Regelungen - verstär• chung und Professionalisierung sozialer Ar• ken diesen Trend in Richtung Professionalität. beit mündet nicht alles soziale Engagement in Die Mobilisierung von freiwilligem Engage• sozialstaatlich oder marktwirtschaftlich orga• ment scheitert nicht selten an den festgefügten nisierte Professionalität. Faktisch wird nur ein Strukturen von Wohlfahrtsverbänden. Dem Eh• kleiner Ausschnitt sozialer Probleme von pro• renamt geht scheinbar die Arbeit aus. Freiwil• fessioneller Sozialarbeit und Sozialpädagogik lige Helfer werden „tendenziell Störenfriede bearbeitet. So wird zum Beispiel die häusliche sozialer Arbeit".10 Die zunehmende Kompli• Pflege im Alter auch heute weit überwiegend ziertheit von rechtlichen Regelungen, konzep• unentgeltlich von weiblichen Familienangehö• tionellen Anforderungen, politischen Zustän• rigen geleistet. digkeiten, Finanzierungswegen und Abrech• nungsmodalitäten erfordert ein Ausmaß an FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Neben dem Staat sind Markt (privatwirtschaft• Für eine angemessene Lagebeurteilung ist liche soziale Dienste) und Gemeinschaften wichtig, daß die negativen Motivquellen deut• weitere Instanzen der Produktion sozialer Si• lich überwiegen. In erster Linie stimulieren cherheit. Erst dieses Wohlfahrtsdreieck bietet die spürbaren Grenzen des Sozialstaats die Su• einen angemessenen Analyserahmen gegenwär• che nach - kostengünstigen - Alternativen. tiger Sozialpolitik. Dabei gibt es einen deutli• Sie ergeben sich aus dem Zusammenspiel von chen Trend in Richtung „Wohlfahrtsmix", d.h. Expansionsgrenzen des Sozialbudgets (z.B. die konkrete sozialpolitische Programme bestehen kommunale Finanzmisere angesichts gestiege• - wie jüngst die Pflegeversicherung - zumeist ner Kosten für Sozialhilfe und soziale Dien• aus einer Kombination aller drei Elemente". ste), wachsenden sozialen Problemen (Dauer• Gesucht werden heute Modelle, denen es ge• arbeitslosigkeit, Verarmung, zunehmender Ob• lingt, die jeweiligen Vorteile der spezifischen dachlosigkeit etc.) sowie demographischen und Form der Wohlfahrtsproduktion (Staat - Si• sozialstrukturellen Umbrüchen (u.a. „Vergrei• cherheit, Markt - Wahlfreiheit, Gemeinschaft - sung", Schrumpfen der Erwerbsbevölkerung, Sorge/Solidarität) zu kombinieren. Daß ohne• Trend zur „Individualisierung", etwa gemes• hin jeder Eckpunkt des Wohlfahrtsdreiecks auf sen an der wachsenden Zahl von Einpersonen• die beiden anderen verwiesen und von ihnen haushalten). Die Folge ist eine Scherenent• abhängig ist, wird kaum mehr bestritten. wicklung zwischen dem steigenden Bedarf an sozialen Hilfen einerseits und seiner Finan• zierbarkeit durch die öffentliche Hand bzw. Freiwilliges und ehrenamtliches soziales En• die Sozialversicherungsträger andererseits. gagement bilden einen wichtigen und selbst• verständlichen Ausschnitt des Pols „Gemein• schaft". Heute sind in Deutschland z.B. über 2 Eine weitere Quelle kommt aus dem Unbeha• Millionen Menschen in 55.000 Selbsthilfegrup• gen und der Kritik an der professionellen So• pen und -initiativen aktiv. Das sind rund 3 zialarbeit. „Funktionaler Dilletantismus", „hilf• Prozent der Erwachsenenbevölkerung. In den lose Helfer", „professionelle Bevormundung" neuen Ländern wurden 1993 in solchen Initia• lauten einige der Schlagworte aus der einschlä• tiven 130.000 Menschen gezählt12. Immerhin gigen wissenschaftlichen Debatte. Die alltäg• 6.500 Jugendliche machten 1993 ein freiwilli• liche Klage über die „Arroganz der Behörden" ges soziales Jahr13. Verglichen mit anderen Län• verstärkt bei vielen den Wunsch nach mehr dern des Westens mit einer ausgeprägteren Mit- und Selbstbestimmung, nach einem Aus• Selbsthilfekultur sind diese Anteile freilich ge• stieg aus jener Klientenrolle, die Ämter und ring. So sind in den Niederlanden 25 Prozent professionelle Dienste vorhalten. der Erwachsenen als Freiwillige im Durch• schnitt 15,5 Stunden pro Monat aktiv - in Aber es gibt auch positive Quellen, die sich einem Gesamtwert, der etwa 8 Prozent des nicht nur aus den Krisen und der Kritik der Bruttosozialprodukts entspricht14. bestehenden Sozialstaatspolitik speisen. Gera• de in vergleichsweise neuen Arbeitsfeldern der © Das verstärkte sozialpolitische Interesse an sozialen Arbeit (Aids-Hilfen, Hospizvereine den Leistungen von „Gemeinschaften" im etc.) machen verstärkt, innovativ und häufig allgemeinen und Ehrenamtlichkeit im be• stilbildend freiwillige Helferinnen auf sich auf• sonderen verdankt sich sehr unterschiedli• merksam. chen Motiven FORSCHUNGSJOURNAL NSB, Jo. 8, HEFT 3, 1995

Neue soziale Bewegungen, Bürger- und Selbst• dem zweiten Arbeitsmarkt, die Förderung von hilfebewegungen haben neue Formen, Kom• Selbstorganisation in der Altenpolitik oder Ini• petenzen und Visionen im Umgang mit indivi• tiativen für eine „neue" Ehrenamtlichkeit sind duellen und gesellschaftlichen Problemlagen heute eher selbstverständlich als spektakulär16. eingeklagt und in Ansätzen auch selbst ent• Dafür spricht auch die Aufnahme der Förder• wickelt15. Aus diesen bewegten Anstößen hat möglichkeit von Selbsthilfegruppen in das sich ein eigener Bereich von sozialen Initiati• Krankenkassenrecht (1993). ven und Projekten gebildet, der zumindest in Parallel entfaltete sich eine intensive sozialpo• den größeren Städten - wie zahlreiche „Statt• litische Debatte, in der selbst tastende Kon• bücher" dokumentieren - eine breite Palette zepte - wie „neue" Subsidiarität oder „neue" von Diensten bietet. Gemessen am Umfang Ehrenamtlichkeit - als Versuche einer gesell• und an der Prägekraft von staatlichen und ver• schaftlichen Aufwertung unentgeltlicher sozia• bandlichen Einrichtungen ist dieser „alternati• ler Hilfen, kleiner Lebenskreise, Nachbarschaf• ve" Bereich freilich bislang marginal. ten und anderen gemeinschaftlicher Solidari• Immerhin hat inzwischen an vielen Orten eine täten gelesen werden können. Die Suche nach politische Anerkennung und Institutionalisie• „Vernetzungen" und „Brücken" zwischen pro• rung dieses neuen Feldes sozialer Einrichtun• fessioneller Sozialarbeit, Selbsthilfegruppen, gen jenseits der klassischen professionellen Alternativprojekten und freiwilligem sozialen Sozialarbeit eingesetzt. Kommunale Selbsthil• Engagement gehört zu den Standardthemen der feförderung, Kontakt- und Informationsstellen letzten Jahre17. für Selbsthilfegruppen und für Initiativen auf

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Abwicklung des Sozialstaates FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 49

• Während die „klassischen" Motive schwin• an einem neuen Berufseinstieg über die Zu• den, zeichnen sich Merkmale einer „neuen" satzqualifikationen und Zugänge, die durch Ehrenamtlichkeit ab ehrenamtliches Engagement geboten werden, Christliche Nächstenliebe und Kulturen der bildet unter den gegenwärtigen Arbeitsmarkt• Solidarität, wie sie sich vor allem in den ver• bedingungen eine wichtige Motivquelle20. schiedenen Milieus der Arbeiterbewegung ent• 3. In der alten Bundesrepublik hat die „neue" falten konnten, sind die wohl wichtigsten Quel• Ehrenamtlichkeit zu einer Gewichtsverlagerang len, aus denen sich gegenseitige soziale Hilfe in den Arbeitsfeldern geführt. Das „traditio• und Ehrenamtlichkeit in diesem Jahrhundert nelle" Engagement für behinderte, alte und gespeist haben. Individualisierungsprozesse kranke Menschen hat etwas nachgelassen, wäh• und der Verlust an traditionellen Milieubin- rend soziale Hilfen für Kinder, mit ökologi• dungen haben diese „klassischen" Motivquel• schen Komponenten oder im Bereich interna• len sozialen Engagements weitgehend ausge• tionale Solidarität Zuwächse erfahren21. trocknet18. Gegen alle Unkenrufe gilt es je• 4. Ein weiteres Merkmal „neuer" Ehrenamt• doch festzuhalten, daß es heute insgesamt nicht lichkeit ist der gesteigerte Anspruch an die weniger soziales Engagement und nicht weni• demokratische Ausgestaltung des Arbeitsfel• ger Solidarität gibt als noch vor einigen Jahr• des. Dies gilt besonders für die alltägliche Ko• zehnten. Im Vordergrund stehen heute aber operation mit den professionellen Kräften und weder die karitativ orientierte Nächstenliebe die Offenheit der Vereins- und Verbandsstruk• noch die Solidaritätsressourcen der Arbeiter• turen, in die ehrenamtliche Arbeit eingebun• bewegung. Vielmehr zeichnet sich heute eine den ist, wirkt sich aber auch auf den Umgang „neue" Ehrenamtlichkeit mit folgenden Kon• mit den Hilfesuchenden selbst aus22. turen ab: 5. In dieses Bild paßt auch das verstärkte In• 1. Ehrenamtliche fordern heute Offenheit und teresse der Laienhelfer an Bildung und Quali• Wahlmöglichkeit in ihrem Engagement. Sie fizierung, an der Kooperation mit professio• wollen weder Lückenbüßer sein, noch „lebens• nellen Kräften sowie an laufender fachlicher lang" auf ihr ehrenamtliches Engagement fest• Unterstützung und Fortbildung. Die soziale gelegt werden. Auch die Berücksichtigung des Praxis ist daher längst durch unscharfe Gren• subjektiven Faktors „Sympathie" in den Inter• zen zwischen professioneller und ehrenamtli• aktionen von Freiwilligen und „Klienten" wird cher Hilfe gekennzeichnet. eingefordert. 6. Verzicht und Aufopferung im Dienst am 2. Selbstbezug, individuelle Sinnressourcen Nächsten kann von den „neuen" Ehrenamtli• und eigensinnige biographische Motive (Ver• chen weniger denn je eingefordert werden. Ge• letzungen, Verluste) stehen heute bei freiwilli• fordert sind materielle und/oder symbolische gem sozialen Engagement stärker im Vorder• Gratifikationen, die von der kleinen Aufwands• grand, als dies die klassisch geforderte „Selbst• entschädigungen bis zur Berücksichtigung des losigkeit" je zuließ. Dies trifft nicht nur für ehrenamtlichen Engagements in der Renten• junge Menschen zu, sondern kennzeichnet auch bemessung reichen sollen. viele Altenprojekte19. Das Anknüpfen an eige• • Gerade für die gestiegenen Ansprüche „neu• ne Fähigkeiten und Erfahrungen, die Stärkung er" Ehrenamtlichkeit fehlt es hierzulande des Selbst- und Kompetenzbewußtseins ver• an institutioneller Unterstützung schränken sich mit altruistischen Motiven. Bei• Auch das „neue" ehrenamtliche Engagement des zugleich zu wollen, wird dabei nicht (mehr) befindet sich - angesichts der beschriebenen als Gegensatz empfunden. Auch das Interesse Entwicklungen - in einer ambivalenten Positi- 50 FORSCHUNGS JOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

on. Es ist sozialpolitischer Lückenbüßer und meindenahe Hilfsangebote für das ehrenamtli• Hoffnungsträger zugleich. Seine strukturelle che Engagement, kommt dabei zu kurz. Ver• Randständigkeit gegenüber den Polen Markt netzungseinrichtungen, die freiwilliges sozia• und Staat begünstigt „trade-offs" im Sinne der les Engagement unterstützen, wie z.B. das instrumenteilen Fremdnutzung von Ehrenamt• IKEM (Informations- und Koordinationsstelle lichkeit und Selbsthilfe als wohlfeile Innovati• für ehrenamtliche Mitarbeit) in Hannover oder onsquelle für die professionelle und verband• der „Treffpunkt Hilfsbereitschaft" in Berlin- liche Tätigkeit. Mitte23. Was fehlt, sind institutionelle Sicherungen für Auch die verbandliche Arbeit ist in der Ge• die Entfaltung von „neuer" Ehrenamtlichkeit, fahr, das vorhandene Potential freiwilligen En• wie sie z.B. in vorbildlicher Weise die nieder• gagements zu vernachlässigen, wenn sie sich ländischen kommunalen Freiwilligenzentralen nicht auf offenere, moralisch weniger aufgela• bieten. Gemessen daran, können wir in der dene Formen des Engagements einstellt und Bundesrepublik allenfalls von einer margina• mit den biografischen Motiven und Sinnres• len Institutionalisierung kommunaler Selbst• sourcen ihrer freiwilligen Helferinnen pfleg• hilfeförderung sprechen. Zumeist werden le• lich umgeht. Für die Verbandspolitik hieße dies, diglich einige der am lautesten im lokalen daß sie gegen den allgemeinen Trend ihre as• Raum vorgebrachten Forderungen berücksich• soziativen Funktionen - wie z.B. das lokale tigt, aber es fehlt an Konzeptionen, die sich an Vereinsleben - stärken und nicht zugunsten einer neuer Kultur des Ehrenamts orientieren. ihrer Dienstleistungsaufgaben und sozialpoli• Eine weitere unabdingbare Voraussetzung wäre tischen Funktionen austrocknen. Sozialpoliti• eine angemessene soziale Sicherung der eh• schen Einfluß wird dieser gemeinschaftsorien- renamtlichen Axbeit, soll sie nicht auf jene tierte Pol sozialer Unterstützung allerdings nur Schichten beschränkt bleiben, die selbst über dann gewinnen, wenn seine Akteure die kon• entsprechende Ressourcen verfügen. Daß es - fliktträchtige politische Einmischung riskieren, unter heutigen gesellschaftlichen Bedingun• sich vor Ort als Anwälte sozial Benachteiligter gen - eine wachsende Bereitschaft für ehren• profilieren und gemeinsame Visionen des So• amtliches Engagement zum Nulltarif geben zialen entwickeln. könnte, ist ein noch immer verbreiteter Irrtum. Gefordert sind zudem dezentrale, überschau• 3. Durchsetzungschancen und Vor• bare, d.h. vor allem lokale Kooperationsstruk• aussetzungen für eine Stärkung turen. Eine starke kommunale Selbstverwal• „neuer" Ehrenamtlichkeit tung böte hierfür eigentlich gute Vorausset• zungen. Rechtliche Überregelungen und ent• Wenn diese thesenhafte und thematisch be• sprechende Vorgaben von der Europäischen schränkte Bestandsaufnahme nicht völlig da• Gemeinschaft bis zu den Ländern bleiben im• neben liegt, dann hängen die Trauben für eine mer häufiger ohne finanzielle Deckung. Kom• kommunitaristische Sozialpolitik recht hoch. munaler Sozialpolitik fehlt es in der Regel an Sicher, es gibt eine Wirklichkeit, die zum Ge• den notwendigen Ressourcen und damit auch danken drängt. „Neue" Ehrenamtlichkeit ent• an Gestaltungsspielräumen für den Bereich der spricht in wesentlichen Ausprägungen den de• freiwilligen Aufgaben. Angesichts ihrer Finanz• mokratischen Ansprüchen post-traditionaler misere sind viele Kommunen froh, wenn sie Gemeinschaften. Absolutistische Strukturen ihre gesetzlichen Pflichtaufgaben erfüllen kön• sind ihr ebenso fremd wie die autoritären Be• nen. Alles Zusätzliche, wie zum Beispiel ge• stände deutschen Gemeinschaftsdenkens in die- FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8. HEFT 3, 1995 51

sem Jahrhundert24. Aber wie kann aus der Ni• williges soziales Engagement in einem Um• schenexistenz eine sozialpolitisch prägende fang und quer durch die Gesellschaft fordern Kraft werden? Die Aufgaben, die dabei zu und fördern, der kommunitaristische Visionen schultern sind, haben Herkules-Dimensionen. nicht von vornherein blamierte27. Einige seien abschließend hervorgehoben: 4. Aus dem gesteigerten Veränderungsbedarf 1. Kommunitaristisch inspirierte Sozialpolitik und den erwartbaren Widerständen folgt, daß kann sich nur gegen schier übermächtige und sich kommunitaristische Alternativen radika• gut etablierte Gegenspieler entfalten. Lohnar- ler und utopischer positionieren müssen, als beitszentrierte sozialstaatliche Sicherungssyste• sie es bislang zumeist getan haben. Als bloß me, korporatistische Wohlfahrtsverbände und korrigierende Ergänzung zu Markt und Staat professionelle soziale Dienste sind strukturel• können sie allenfalls folgenlos das Vokabular le Antipoden einer Stärkung zivilgesellschaft• von Sonntagsreden bereichern oder jenen „Ge- licher Formen solidarischer Hilfe. Im Regel• legenheitskommunitarismus" inspirieren, wie fall ist nur gegen sie und nicht mit ihnen jener er in den jüngsten Überlegungen des bayeri• Raum zu erobern, in dem das „soziale Kapi• schen Innenministers zum Kirchenasyl durch• tal" der kleinen Netze und Assoziationen zählt schimmerte. Kirchengemeinden werden dazu und zudem vermehrt werden kann. Die zu• ermuntert, auf eigene Kosten einige jener Här• nächst erbitterten Widerstände gegen Selbst• tefälle zu versorgen, die ein restriktives Asyl• hilfeinitiativen mögen daran erinnern. recht und seine besonders unmenschliche frei• 2. Die Krisen der etablierten wohlfahrtsstaatli• staatliche Umsetzung erst produziert. chen Sicherungssysteme begünstigen keines• 5. Gefordert ist politische Einmischung28. Ohne wegs progressive Alternativen. Erstaunlich ist die geforderte analytisch-konzeptionelle Zu• vielmehr das institutionelle Beharrungsvermö• spitzung ist sie nicht zu haben. Gerade zivil• gen der etablierten sozialen Sicherungssyste• gesellschaftliche und kommunitaristische me bei wachsenden Funktionsverlusten - selbst Denkfiguren gewinnen erst an Konturen und in jenen Ländern, in denen austeritätspolitisch politischer Eindeutigkeit, wenn sie sich ins in• orientierte Regierungen zum Generalangriff tellektuelle Handgemenge begeben. Welche geblasen hatten25. An den oberen und unteren Gemeinschaft, wo, wieviel und für wen, mit Rändern der Sicherungssysteme steigt folgen• welchem menschemechtlich-demokratischen reich die soziale Exklusion, aber der ge• Fundament, das wüßten auch die Freunde und schrumpfte Kern bleibt vergleichsweise sta• Freundinnen dieses Denkens sicherlich ganz bil26. gerne. 3. Ohne eine flankierende egalitäre Bewälti• gung der Exklusionsdynamik (Verweigerung Roland Roth ist Professor für Politikwissen• sozialer Bürgerrechte für Flüchtlinge, Asylsu• schaft an der Fachhochschule Magdeburg. chende, Dauerarbeitslose, Sozialhilfeempfän• ger, Arme, Obdachlose etc.) muß kommunitä- Anmerkungen re Sozialpolitik entweder als zynische Zumu• tung für ohnehin Benachteiligte und/oder als ' Zwei programmatische Titel aus der Literatur• zusätzliches Luxusgut für privilegierte Schich• flut mögen genügen: Benjamin Barber, Starke De• ten enden. Erst auf der Basis eines erwerbsun• mokratie, Hamburg 1994; Robert N. Bellah et al., abhängigen garantierten Grundeinkommens, The Good Society, New York 1991. 2 negativer Einkommenssteuer und ähnlichen Einige Hinweise auf das gestiegene Interesse: Die „Deutsche Gesellschaft für Sozialarbeit" kün- Varianten des „Garantismus" ließe sich frei• 52 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

digt für den Herbst 1995 einen stark „kommunita- Frankfurt/M. 1986, S. 310f. ristisch" gestimmten Kongreß zur „Standortbe• 9 So das Fazit einer neueren Untersuchung der stimmung" mit dem Titel „Bürgerschaftliches En• Caritas, in der religiös motivierte Ehrenamtlich• gagement. Perspektiven im Ehrenamt, in Sozialer keit noch am ehesten vermutet werden konnte - Selbsthilfe, in Gemeinschaftsinitiativen" an. Warn• Gisela Jakob/Thomas Olk, Professionelles Han• fried Dettling, Vordenker des sozialreformerischen deln und ehrenamtliches Engagement - ein „neu• Flügels der CDU, fordert in der „Zeit" (Nr. 30 er" Blick auf ein „altes" Problem, in: Sozialmaga• vom 21.7.1995) kommunitaristisch inspiriert „So• zin 3/1995, S. 20. zialisiert den Wohlfahrtsstaat!". Im April dieses 10 Bernd Halfar/Adrea Koydl, Geht dem Ehren• Jahres versammelte die baden-württembergische amt die Arbeit aus? in: Blätter der Wohlfahrts• Landesregierung zahlreiche Wissenschaftlerinnen, pflege 6/1994, S. 119. um Antwort auf die bange Frage zu erhalten: „Was 11 Zu dieser Perspektive siehe Adalbert Evers, Plu• hält die moderne Gesellschaft zusammen?". ralismus, Fragmentierung und Vermittlungsfähig• 3 Exemplarisch hierfür das Konzept der „civic keit. Zur Aktualität intermediärer Aufgaben und Community" von Robert D. Putnam - vgl. ders., Instanzen im Bereich der Sozial- und Gesund• Making Democracy Work. Civic Traditions in Mo• heitspolitik, in: Alf Trojan/Helmut Hildebrandt dern Italy, Princeton 1993, S. 86ff. (Hrsg.), Brücken zwischen Bürgern und Behör• 4 Georg Vobruba hat jüngst auf die paradoxe den. Innovative Strukturen für Gesundheitsförde• Grundstruktur kommunitaristischen Denkens auf• rung, Asgard 1990, S. 27-40. merksam gemacht: „Gemeinschaft ist ein moder• 12 Ulrich Kettler, Selbsthilfeförderung: Förderbe• ner Begriff, der sich auf Vormodernes bezieht, darf, Empfehlungen und Perspektiven, in: Sozial• um das moderne Problem der Gestaltung der Ge• magazin 3/1995, S. 31. sellschaft zu bewältigen."(ders,. Gemeinschaft 13 Otto Haug, Das soziale Lernen muß neu organi• ohne Moral. Theorie und Empirie moralfreier Ge• siert werden, in: Blätter der Wohlfahrtspflege 6/ meinschaftskonstruktionen, Wien 1994, S. 20) 1994, S. 111. 5 Daran hat sich vor allem die feministische Kritik 14 Heinz Janning, Ehrenamtlichkeit fällt nicht vom entzündet - vgl. Herlinde Pauer-Studer, Das Rech• Himmel. Über das niederländische Freiwilligen• te oder das Gute? Feministische Kritik am Kom• system, in: Sozialmagazin 3/1995, S. 29. munitarismus und Liberalismus, in: Das Argu• 15 Roland Roth, „Sozialpolitik von unten". Sozia• ment Nr. 206, H. 4/5 1994, S. 775-784. le Bewegungen und sozialpolitische Reformen in 6 Die Programmschrift der US-Communitarians der Bundesrepublik Deutschland, in: Forschungs• ruft zwar zur erhöhten Aufmerksamkeit für die journal Neue Soziale Bewegungen, 1/1991, S. 41- Nöte von Familien, Nachbarschaften und lokalen 56. Gemeinschaften auf, läßt aber übergreifende sozi• 16 Fast vergessen sind z.B. die heftigen politi• alpolitische Überlegungen vermissen. schen Kontroversen um die einschlägigen Berli• 7 Ein üppiges Vereinswesen und das Wachstum ner Projekte (SEKIS, BBJ-Consult, „Erfahrungs• des Dritten Sektors insgesamt widersprechen die• wissen älterer Menschen nutzen", „Treffpunkt sem Befund nur scheinbar. Kommunitäre Quali• Hilfbereitschaft" etc.), die oft schon ihr zweites täten gehen in dem Maße verloren, wie dauerhaf• Jahrzehnt begonnen haben - vgl. SEKIS, Selbst• te und direkte Kommunikationsbeziehungen durch hilfe Kontakt- und Informationssstelle und Paritä• kommerzielle Freizeitangebote oder individuali• tischer Wohlfahrtsverband (Hrsg.), Versionen und sierte Mitgliedschaften in Großorganisationen er• Visionen für das Soziale. Diskussionen über setzt werden - zu diesem Trend für die USA s. Selbsthilfe und Sozialpolitik aus Anlaß des zehn• Robert D. Putnam, Bowling Alone: America's De- jährigen Bestehens von SEKIS in Berlin, Berlin clining Social Capital, in: Journal of Democracy, 1993. 1/1995, S. 65-78. 17 Statt vieler s. Heiner Keupp/Bernd Röhrle 8 Christoph Sachße, Mütterlichkeit als Beruf, (Hrsg.), Soziale Netzwerke, Frankfurt/M 1987; FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 53

Bernd Dewe/Norbert Wohlfahrt (Hrsg.), Netz• 23 Zu IKEM s. Runheide Lisner, Am Morgen klin• werkförderung und soziale Arbeit, Bielefeld 1991. gelt das IKEM-Telefon..., in: Sozial Extra 4/1995, 18 Daß gerade mit den neuen sozialen Bewegun• S. 2ff; zum „Treffpunkt Hilfsbereitschaft" siehe gen Milieubildungen verbunden waren, in denen Carola Schaaf-Derichs „Eine Agentur für 'Social- nicht nur Abgrenzungen, sondern auch neue Soli• Profit"', in: Sozialmagazin 3/1995, S. 25ff. darnormen entwickelt wurden, hat eine For• 24 Zu den gesellschaftsspezifischen Konnotatio• schungsgruppe um Michael Vester in empirischen nen von „Gemeinschaft" und den daraus resultie• Studien herausgearbeit und gegen allzu schlichte renden Mißverständnissen in der transatlantischen Individualisierungsthesen gesetzt - vgl. Michael Kommunitarismusdiskussion s. Micha Brumlik, Vester u.a., Soziale Milieus im gesellschaftlichen Die Gemeinschaft, das Neue und die Demokratie Strukturwandel. Zwischen Integration und Aus• - Leitmotive einer modernen Sozialpädagogik, in: grenzung, Köln 1993; zur Debatte über entspre• Hans-Uwe Otto u.a. (Hg.), Zeit-Zeichen sozialer chende Werteverschiebungen verschiedene Bei• Arbeit, Neuwied 1992, S. 43-48.

träge in Ansgar Klein (Hrsg.), Wertediskussion 25 Gängige Wahrnehmungen über staatliche Sozi• im vereinten Deutschland, Köln 1995. Wie stabil alpolitik unter Krisenbedingungen korrigiert z.B. diese neuen Milieubildungen sein werden und wie Paul Pierson, The New Politics of the Weifare sich dabei ihre sozialmoralische Substanz verän• State, Bremen 1995 (ZeS-Arbeitspapier 3/95). dern wird, dürfte sich erst im Rückblick zeigen. 26 Dies auch die Botschaft der grundlegenden Ren• " Programmatisch und konzeptionell berücksich• ten-Studie von Frank Nullmeier/Friedbert W. Rüb, tigt werden diese Motive zum Beispiel im Berli• Die Transformation der Sozialpolitik. Vom Sozi• ner Projekteverbund „Erfahrungswissen", der von alstaat zum Sicherungsstaat, Frankfurt/M-New der „Wissensbörse", über das „Erzählcafe", das York 1993. „Werkhaus Anti-Rost" bis zum „Stadtführer mit 27 Auf diesen Zusammenhang hat jüngst noch ein• Erfahrungswissen" reicht. mal Claus Offe nachdrücklich aufmerksam ge• 20 Vgl. Thomas Olk, Sozialengagement als Le• macht: „Freiwillig auf die Teilnahme am Arbeits• bensstil, in: Blätter der Wohlfahrtspflege 9/1993, markt verzichten. Arbeitslosigkeit, Gewerkschaf• S. 270ff. ten und gesellschaftspolitische Innovation", in: 21 Heinz Bartjes, Die etwas andere Professionali• Frankfurter Rundschau vom 19.7.1995. tät. Thesen, Überlegungen und offene Fragen zum 28 Auf diese politische Dimension des „social citi• „Neuen Ehrenamt", in: Sozialmagazin 3/1995, S. zenship" hat immer wieder Adalbert Evers auf• 15; Bernd Halfar/Adrea Koydl, Geht dem Ehren• merksam gemacht - so zuletzt in einem Referat amt die Arbeit aus? in: Blätter der Wohlfahrts• mit dem Titel „Sozialstaatliche Traditionen, Insti• pflege 6/1994, S. 120. tutionen und neue soziale Bewegungen. Über das 22 Eindrucksvoll dokumentieren diese Verände• politische Defizit der Wohlfahrtsgesellschaft" auf rung für die Altenpolitik Adalbert Evers u.a., Alt dem eingangs erwähnten wissenschaftlichen Kon- genug, um selbst zu entscheiden. Internationale greß der Landesregierung Baden-Württemberg (6.1 Modelle für mehr Demokratie in Altenhilfe und 7. April 1995). Altenpolitik, Freiburg 1993. 54 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Michael Opielka

Gemeinschaft als Ressource der Sozialpolitik

Zur Relevanz der Kontroverse zwischen Liberalismus und Kommunitarismus für die Wohlfahrtsstaatsdebatte

Der Kommunitarismus ist ein Kind der achtzi• Der Kommunitarismus stellt eine wohlfahrts• ger Jahre. Sein Ausgangsthema war die Reali• staatliche Kultur in den USA zur Rede, die sierung von „Gerechtigkeit" als Problem der individuelle Bürgerrechte hoch und sozialstaat• praktischen Philosophie in einer (westlichen) liche Interventionen gering schätzt. Von An• Gesellschaft, die zugleich universalistisch (li• fang an ging es den kommunitaristischen Au• beral) wie partikularistisch (kommunitär) zu toren und Akteuren nicht nur um eine sozial• funktionieren scheint. Die Diskussion füllt zwi• philosophische Perspektive, vielmehr um die schenzeitlich ein mittleres Bücherregal, und Formulierung eines „Dritten Weges" zwischen das ist gut so. Zum einen ist es gut, weil es der Markt-Ideologie des Kapitalismus und der sich bei der Kontroverse zwischen „Liberalis• sozialstaatlichen Utopie eines bürokratisierten mus" und „Kommunitarismus" um eine not• Sozialismus. „Wir Kommunitarier sind der wendige Dialektik handelt. Michael Walzer hat Meinung, daß die große Frage nicht Staat oder die kommunitaristische Kritik nicht ohne phi• Markt lautet, sondern 'Community'", formu• losophischen Realismus „als eine unbeständi• lierte Amitai Etzioni, einer der kommunitari• ge Begleiterscheinung des Liberalismus" (Wal• stischen Wortführer, die dialektische Antwort.1 zer 1993, S. 157) bezeichnet, „gleichermaßen Gibt der Kommunitarismus tatsächlich rele• vergänglich, erwacht sie mit der gleichen Ge- vante Antworten auf die wohlfahrtsstaatlichen wißheit zu neuem Leben." Zum anderen ist Debatten der Gegenwart, so wäre seine prakti• die Kontroverse zwischen den beiden Theo• sche Bedeutung erheblich. Wir wollen dieser riegefährten gut aus einem politischen Grund, Vermutung im folgenden in drei Schritten nach• dem ich mich im folgenden zuwenden möch• gehen. te: Die Kontroverse verspricht erhellende Ein• blicke, wenn nicht sogar Ausblicke auf grund• Der erste Schritt beleuchtet die kommunitari• legende Optionen der Entwicklung moderner stische Krisendiagnose der entwickelten Wohl• Wohlfahrtsstaaten. Das ist nicht nur für den fahrtsstaaten. Die Diagnose ist hart: trotz sozi• Sozialpolitikwissenschaftler interessant. Die alpolitischer Systeme fühlen sich die Menschen Frage nach der Zukunft des Wohlfahrtsstaates nicht gemeinschaftlich integriert und folglich betrifft alle. Und was alle betrifft, können auch unsicher. In einem zweiten Schritt wird die nur alle lösen. kommunitaristische Therapie untersucht. Sie FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 55]

besteht vor allem in einer neuen Balance von dert nichtsdestotrotz moralische und politische „rights and responsibilities", von Rechten und Bindungen, um das „soziale Kapital" - die Verantwortlichkeiten. Der dritte Schritt ver• Menschen - und schließlich sich selbst nicht sucht, den sozialtheoretischen Hintergrund des zu zerstören. An diesen Bindungen aber man• Kommunitarismus zu verstehen. Gemeinschaft gelt es zunehmend. soll als Ressource der Sozialpolitik neue Be• achtung finden. Was aber bedeutet das? Konsequent ist die kommunitaristische Sozi• alkritik zuerst Kulturkritik. Sie klagt Moralität 1. Die kommunitaristische Diagnose ein. Allerdings scheiden sich hier die kommu• nitaristischen Geister: Wie in der weiten Welt, Neue Antworten erfordern, daß die alten ver• spiegeln sich auch im kommunitaristischen sagt haben. Trotz zahlreicher sozialstaatlicher Diskurs die politischen Lager von links bis Hilfesysteme nimmt, so die kommunitaristi• rechts (soweit damit bereits alle Lager erfaßt sche Anamnese der modernen westlichen Ge• wären). Es gibt konservative Kommuni tarier, sellschaften, die soziale Anomie zu. Als Indi• sozialistische und selbst liberale. Bei dem Be• katoren der Krise werden Drogenprobleme und griff des „Kommunitarismus" handelt es sich die Zunahme der Alleinerziehenden genannt, nicht um ein geschütztes Markenzeichen. So Jugendkriminalität und die fehlende Autorität sei Marx ein Kommunitarier gewesen, Bill der Älteren, Gewalt in Schulen und Armut, Clinton, Ralf Dahrendorf (weil er für das Verteilungsungerechtigkeit oder die grassieren• Grandeinkommen eintritt), auch Joschka Fi• de Arbeitslosigkeit herangezogen. Soziale Auf• scher und Wolfgang Schäuble werden als sol• lösung prägt im Krisenszenario das Bild. Ver• che gehandelt. Die hier erwähnten Männer so• sagt haben Markt(-wirtschaft) und Staat. Ent• wie die wenigen Kommunitarierinnen2 sind wurzelung und Entgemeinschaftung sind das sich über den Kontext und den Inhalt der Mo• Problem. ral uneins; einig sind sie nur darin - und inso• weit sind sie eben Kommunitarier und nicht Marktliberale oder Staatsapologeten - daß ihre Im Zentrum der kommunitaristischen Krisen• Herzenshaltung (habits of their hearts) mehr diagnose stehen die Kinder: „The missing child oder weniger ausdrücklich dem Gemeinschaft• in liberal theory" fokussiert ein kanadischer lichen in der Gesellschaft gehört. Autor (O'Neill 1995). Es ist der Kult des Indi• vidualismus, der unbegrenzten Selbstverwirk• lichung der einen auf Kosten der Bedürftig• Mißverständnisse sind bei einer derart breiten keit der anderen: der Kinder und Jugendlichen Koalition unvermeidlich. Das hat nicht nur po• in Familie und Gesellschaft. An der Vernach• litisch-ideologische Gründe, sondern mit der lässigung sowohl der familialen (Mikro-) wie Wirklichkeitswahrnehmung, der Diagnose der der gesellschaftlichen (Makro-)Sorge gegen• sozialen Situation zu tun. Michael Walzer über den Kindern zeigt sich die Kontextver• machte in seinem bereits erwähnten, die Kon• gessenheit, die Kurzfristigkeit von Zielen. Dem troverse zwischenresümierenden Beitrag auf Wertewandel hin zu individualistischen Selbst• eine für den Kommunitarismus konstitutive verwirklichungswerten korrespondiert der Paradoxie aufmerksam. Zugleich behaupte die• durchgreifende Siegeszug der Markt- und Kon• ser nämlich gegenüber dem Liberalismus zwei sumlogik einer globalen Ökonomie, die lokale widersprüchliche Sachverhalte. Einerseits sei Gemeinschaftsformen auf Teilmärkte reduziert. die liberale Theorie das exakte Spiegelbild ei• Die Kultur des kapitalistischen Marktes erfor• ner bedauerlichen gesellschaftlichen Praxis: 56 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

„radikal voneinander isolierte Individuen (le• doch beachten solle, daß es Mit-Menschen ben) als rationale Egoisten und Impressarios gebe, auf die man sich beziehen müsse. ihrer selbst" (Walzer 1993, S. 159), einer Welt der Heimatlosigkeit und der „Abwanderung" Der „Wertverlust" wie die Notwendigkeit, (Albert O. Hirschman). Andererseits aber be• (neue) Werte zu erringen, bezieht sich auf so• hauptet der Kommunitarismus, „die liberale ziale Gemeinschaftswerte, damit auf Moral. Theorie verdrehe und verzerre die Realität von Axel Honneth hat dies als „schwache" Form Gmnd auf (...). In Wahrheit gehöre es zum des Kommunitarismus bezeichnet. „Schwach" innersten Wesen einer menschlichen Gesell• insofern, als sowohl die Krisendiagnose wie schaft, die in ihr aufwachsenden Individuen in die Antwort auf weitgeteilten empirischen An• Beziehungsstrukturen, Machtnetze und Sinn• nahmen über die kollektive Wertbindung in gemeinschaften einzubinden und zu verstrik- modernen Gesellschaften des Westens fußt. ken" (ebd., S. 162f.) Walzer versucht diese Gemeinschaftswerte orientieren sich hier zu• Kontroverse zwischen Geltungsansprüchen und gleich am universalistisch-ethischen Gut der empirischer Beobachtung dialektisch aufzulö• Freiheit des einzelnen und an seinem grund• sen, indem er auf die kommunitaristischen rechtlich verbürgtem Schutz.3 Werte in der liberalen Idee - nämlich der Idee der „freiwilligen Assoziation" - verweist: „Da Demgegenüber argumentiert eine „starke" der Liberalismus eine selbstzerstörerische Leh• Form des Kommunitarismus stärker ethisch re ist, braucht er die periodische kommunitari• als moralisch, eher religiös als säkular. Deren stische Korrektur (...). Die amerikanischen bekannteste Repräsentanten sind Alasdair Mac- Kommunitaristen müssen einsehen, daß es (...) Intyre und Charles Taylor. Die bei diesen Au• nichts gibt als voneinander getrennte, mit Rech• toren formulierte Krisendiagnose bezieht sich ten ausgestattete, freiwillig sich zusammen• zwar auch auf die moralischen Regeln des Zu• schließende, in freier Rede sich äußernde, li• sammenlebens bzw. ihren Verlust, sie reicht berale Individuen. Und dennoch wäre es gut, aber weiter auf ontologische Fragen der Ge• wenn wir diese Individuen lehren könnten, sich sellschaftsanalyse. In der dialektisch-reflexi• als soziale Wesen zu begreifen, als die histori• onstheoretischen Tradition von Hegel stehend schen Produkte und partiell auch die Verkör• geht es beispielsweise Taylor um eine Aner• perungen von liberalen Werten. Denn die kom• kennung des Allgemeinen, die Menschen im munitaristische Liberalismuskorrektur kann geistigen Sinne Verbindende, das jedes wirkli• nichts anderes sein als eine selektive Verstär• che Gespräch wie gemeinsames Leben trägt. kung eben jener Werte oder (...) ein Streben Offensichtlich ist, daß ein solches, religiös• nach Einlösung der Gemeinschaftspostulate in spirituell interpretierbares Konzept auch kon• ihnen." (ebd., S. 170) servative Konnotationen zuläßt.

An diesen analytischen Bemerkungen fällt ein 2. Die Therapie des spezifisches Konzept von „Wert" auf. Der be- Wohlfahrtsstaates wußt jüdische Philosoph Walzer argumentiert radikal säkular. Der Mensch wird analysiert Die Unterscheidung in „schwache" und „star• als „homo sociologicus", als liberales Indivi• ke" Formen des Kommunitarismus ist freilich duum mit Rechten etc., das aus moralischen noch nicht genau genug, um sich im Gemen• Gründen und auch aus Gründen der Überein• gelage der Argumentationen zurechtzufinden. stimmung mit der empirischen Wirklichkeit Es gibt noch weitere Sortierungsversuche. Bei- FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 57^

spielsweise die von Charles Taylor entwickel• Im Kontext einer theoretischen Reflexion über te doppelte Dichotomie: Individualismus vs. die Bedingungen eines „garantierten Grund• Kollektivismus und Atomismus vs. Holismus, einkommens" als Reformprojekt der westli• die in Form eines Vierfelderschemas bzw. in chen Wohlfahrtsstaaten unterscheidet Claus einer XY-Achse kombiniert werden können. Offe vier strategische Optionen als Antwort Auf der ersten Achse wird die normative (mo• auf die Ungewißheiten und Unsicherheiten, die ralische) Frage gestellt, ob den einzelnen Indi• die modernen westlichen Wohlfahrtsstaaten viduen (Individualismus) oder sozialen Ge• kennzeichnen (vgl. Offe 1992, S. 69 ff.). meinschaften (Kollektivismus) der Vorzug zu geben sei. Die andere Achse trägt das ontolo- Die erste Option ist die ökonomisch-liberale gische Kontinuum auf, wie erklärungskräftige Position, die aufgrund der empirischen Verän• Grundbegriffe für die soziale Welt zu beschrei• derung in Richtung auf Pluralisierung und Auf• ben seien. Hier unterscheidet Taylor eine Di• lösung von seit über 100 Jahren gültigen struk• chotomie zwischen Atomismus bzw. metho• turelle Voraussetzungen in Arbeitsmarkt und dologischem Individualismus und Holismus Familie dafür plädiert, generöse Standards und (Taylor 1993, S. 103ff.). Honneth sieht die sozialpolitische Versprechen auf Sicherheit zu interessantesten Probleme heute dort, wo die• verabschieden und den Markt entscheiden zu jenigen Liberale und Kommunitaristen aufein• lassen. Diese liberale Position ist durchaus nicht ander treffen, die die ontologische Prämisse völlig deckungsgleich mit der Position des phi• des Holismus teilen. Hier stimmen beide La• losophischen Liberalismus, wie sie in der stark ger darin überein, daß ohne übergreifende Wer• amerikanisch geprägten Kontroverse zwischen te, ohne einen ethischen (Minimal-)Konsens liberals und communitarians zum Ausdruck die Funktionsfähigkeit einer Gesellschaft nicht kommt. In der philosophischen Kontroverse zu gewährleisten ist. Auf dieser Ebene sieht haben sich vor allem die politischen Liberalen Axel Honneth die Kontroverse zwischen „Ge• zu Wort gemeldet, die sich an Bürgerrechten meinschaft" und „Gesellschaft" aufgehoben in orientieren und ihr Profil in der Abgrenzung dem von beiden Denkrichtungen geteilten An• zu staatlichen Wohlfahrtsansprüchen formulie• ren. Wirtschaftsliberale Positionen wurden in spruch, „den Begriff einer post-traditionalen, der Kontroverse auf philosophischer Seite demokratischen Gemeinschaft zu formulieren"

4 kaum vertreten. Diesen Relativierungen zum (Honneth 1993, S.16). Trotz läßt sich die Perspektive hberalistischer Sozialphilosophie und Sozialpolitik durchaus Eine pragmatische und intuitiv überzeugende• auf das Konzept eines „minimal State" redu• re Unterscheidung der verschiedenen Ansätze zieren. in der Diskussion Kommunitarismus-Libera• lismus findet sich, wenn wir weder die Kri• sendiagnose noch die Theoriekontroversen, Die zweite strategische Option ist die sozial• sondern die Therapievorschläge untersuchen. demokratische Version, die zwar die sozial• Legen wir die kommunitaristisch-liberale Dis• strukturellen Veränderungen anerkennt, ange• kursfolie nämlich auf die Diskussion um die sichts der dramatischen Realität sozialer Un• Zukunft des Wohlfahrtstaates, so ergibt sich gleichheit jedoch bestreitet, daß eine grundle• die überraschende Beobachtung, daß die Welt5 gende Umorientierung der Sozialpolitik erfor• mehrheitlich aus Kommunitaristen besteht. derlich sei. Vielmehr sollten die produktivisti- schen Grundannahmen (Wachstum, Erwerbs• arbeitsorientierung) des europäischen Sozial- 58 FORSCHUNGSIOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

versicherungs-Staatsmodells fortgeschrieben aufstellen kann, das für alle Gemeinschaften und möglichst sogar ausgeweitet werden. Er• gelte, in denen die Mitglieder zumindest dem forderlich dafür sei „nur" die politische Akti• Anspruch nach (Christentum, Menschenrech• vierung solidarischer und universalistischer te) alle als Gleiche betrachtet werden: „Prinzip Überzeugungen in der Bevölkerung. Nicht nur I: Jede politische Gemeinschaft muß den Be• im letztgenannten Punkt wird deutlich, daß dürfnissen ihrer Mitglieder in der ihnen von sich Sozialdemokraten (und Sozialisten) - trotz allen gemeinsam beigelegten Bedeutung nach• ihrer starken auf den Staat und dessen Re• kommen. Prinzip II: Die zur Verteilung gelan• formpotenz für die Herstellung von Gleichheit genden Güter müssen gemäß den Bedürfnissen gerichteten Ambitionen - durchaus dem kom• verteilt werden. Prinzip III: Die Verteilung muß munitaristischen Lager zurechnen lassen. die allem zugrundeliegende Gleichheit der Mit• glieder anerkennen und bewahren." (Walzer Dies geschieht zum Teil ganz ausdrücklich. 1992, S. 134). In diesem Zusammenhang ist Beispielsweise dort, wo Robert N. Bellah in schließlich erwähnenswert, daß sich der „Ur• seinem 1991 erschienenen Buch „The Good heber" der ganzen Kontroverse, John Rawls, Society" für eine Übernahme sozialdemokra• zwischenzeitlich in einer interessanten Zwi• tischer Wohlfahrtsstaatsmodelle für die Verei• schenposition zwischen dem liberalen und dem nigten Staaten von Amerika plädiert - aus der sozialdemokratischen Lager zu befinden kommunitaristischen Erkenntnis, daß auch auf scheint. Mit guten Gründen könnte man die gesellschaftlicher Ebene gemeinschaftliche strategische Option des Sozialdemokratismus Handlungsorientierungen erforderlich sind. folglich auch mit dem Label Kommunitaris• Ähnlich sieht Michael Walzer in modernen in• mus I versehen. Es handelt sich hierbei um dustriellen Demokratien die Bürger so eng ver• eine Form des „schwachen" Kommunitarismus. woben, daß er ein Bündel von drei Prinzipien

Schaubild: Kommunitarismus im politischen Kontext

Liberalismus Kommunitarismus I Kommunitarismus II Kommunitarismus III

Politischer Kontext dito Sozialdemokratie Konservativismus „Grüne"

Bevorzugtes Markt Staat Moral Ethik Steuerungssystem (soziale (geistige Gemeinschaft) Gemeinschaft)

Sozialstaatliches „minimal State" (mehr) Sozialver• „workfare State" - Garantiertes Reformprojekt sicherungs-Staat aber auch: Grandeinkommen „Sozialdienst"

Vertreter in der Charles Larmore, Robert N. Bellah, Nathan Glazer, Claus Offe, Kommunitarismus- Ralf Dahrendorf Michael Walzer Wolfgang Schäuble Amitai Etzioni, Debatte Charles Taylor FORSCHUNGSIOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 59

Die dritte strategische Option für die Zukunft auf materielle Teilhabe an der Gesellschaft. des Wohlfahrtstaates zeichnet Claus Offe als Ich möchte diese Position auch als Kommu• die konservative Strategie. Sie empfiehlt zu• nitarismus III bezeichnen. Während die Po• gleich Bestrafung und Belohnung von Einstel• sition des Liberalismus auf die steuernde Kraft lungen zu Arbeit, Erziehung, Gesundheit, öf• des „Marktes" abzielt, die sozialdemokratische fentlicher Ordnung und Familie. Gegenüber Vision auf das Steuerungssystem „Staat", set• liberalen Wünschen, beispielsweise die Ge• zen die beiden letztgenannten Ansätze auf ge• werkschaften zu schwächen oder die Steuer• meinschaftliche Steuerungssysteme. Die Posi• einnahmen des Staates deutlich zu reduzieren, tion des Kommunitarismus II (konservativ) betonen Konservative die Stärkung der mora• betont eher die Steuerungskompetenz sozialer lischen Aufrüstung der Gesellschaft und be• Gemeinschaftsformen: inklusive soziale Syste• stehen darauf, im Bereich der sozialpolitischen me wie die Familie, die Nation und andere, Leistungssysteme deutlich zwischen „Bedürf• durch Abgrenzung oder Differenz entstehende tigen" und „Nichtbedürftigen" zu unterschei• Gemeinschaften. Das Ergebnis sind Regeln, den. Ein konservatives Modell des Sozialstaa• ist Moral, sind Sitten, die Sicherheit geben, tes ist der „workfare State". In konservativen aber zwangsläufig andere ausschließen. Sozialpolitik-Modellen spricht eine moderni• sierte, technisierte Form des Patemalismus. Ge• Demgegenüber setzt die Position des Kom• meinschaft spielt eine große Rolle. Die Ge• munitarismus III auf das Steuerungsystem ethi• meinschaft der Nation, die Gemeinschaft der scher, geistiger Gemeinschaftsbildung. Hier Familie, gegebenenfalls auch die ethnische oder gibt es natürlich Binnendifferenzierungen. So gar die rassische Gemeinschaft des Volkes. In• wie es bei den Kommunitaristen II mehr und soweit ist auch diese Position durchaus dem weniger konservative (d.h. mehr oder weniger kommunitaristischen Lager zuzurechnen bzw. autoritäre) Vertreter gibt, lassen sich im Be• sind Überlappungen zu beobachten. Ich möchte reich des Kommunitarismus III säkulare und hier das Label Kommunitarismus II verge• eher religiös-spirituell orientierte Vertreter un• ben. Der Fokus hier ist auf Moral, die Tendenz terscheiden. Politisch entspricht die Position autoritär. des Kommunitarismus III dem, was sich in den vergangenen 15 Jahren als „grünes" poli• Eine vierte strategische Option bezeichnet tisches Spektrum herausgebildet hat. Hier be• Claus Offe als links-libertär, zugehörig zu ei• steht eine eigentümliche Verschränkung zwi• ner „postindustriellen Linken". Allerdings be• schen Allgemeinem und Besonderem, zwischen tont er, daß es sich hierbei um ein noch wenig universalistischen Postulaten allgemeiner Men• definiertes und theoretisch höchst dürftig for• schenrechte und der radikalen Anerkennung muliertes Konstrukt handele. Diese sozialpoli• des Individualitätsprinzip einerseits - anderer• tische Option will gleichzeitig Sicherheit und seits einer gleichfalls radikalen Anerkennung Autonomie, gemeinschaftliche Einbindung und des Hergebrachten in Form von Natur, kultu• individuelle Handlungsoptionalität erreichen. rellen Sitten und Gebräuchen. Letzteres führt Im Mittelpunkt steht hier ein modernes, repu• logisch zur Kritik einer Individualisierung als blikanisches Konzept von Bürgerschaft (citi• Versingelung der Gesellschaft. zenship). Ein besonders prominentes Beispiel eines Reformvorschlages in dieser strategischen Erwähnenswert erscheint ein Bezug dieser Ty• Option ist die Idee des „garantierten Grund• pologie zur Debatte um die Stärkung der „ci• einkommens", eines positiven Grundrechtes vil society" bzw. einer „Wohlfahrtsgesell- 60 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

schaff. Ihr geht es einerseits um eine Emanzi• Dies ist im übrigen auch der durchgängige pation des Bürgers von staatlichem Zugriff, Tenor eines Manifestes der kommunitaristi• andererseits um die Vitalisierung einer auf frei• schen Bewegung, das im Jahr 1992 von Ami• willigen Assoziationen basierenden gesell• tai Etzioni entworfen und zwischenzeitlich von schaftlichen Kohäsion. Vertreter dieser Debat• Hunderten vor allem amerikanischer Wissen• te finden sich in allen politischen Lagern, vor schaftler, Politiker und Geschäftsleute unter• allem bei der Bewältigung totalistischer Tradi• zeichnet wurde. Die Lösungsorientierung die• tionen, wie derzeit in Mittel- und Osteuoropa. ser Plattform beginnt in der Familie. Im Mit• Man könnte das Plädoyer für eine „civil socie• telpunkt steht die Botschaft: „Was wir brau• ty" insoweit als eine „ganz schwache" Form chen, ist ein Bewußtseinswandel sowohl bei des Kommunitarismus bezeichnen. Eltern wie in der Arbeitswelt. Das Aufziehen von Kindern ist eine wichtige, wertvolle Ar• Die theoriegeleitete Brechung der kommuni• beit, Arbeit die belohnt werden muß und nicht taristischen Perspektive in ihre Spektralfarben abgewertet werden darf, weder von den Eltern hilft auch bei der Erklärung, warum beispiels• noch von der Gemeinschaft." (Responsive weise das Konzept eines „garantierten Grund• Communitarian Platform 1995, S.14). Nun einkommens" (noch) nicht zum Gemeingut des können solche Formulierungen von vielen un• kommunitaristischen Wohlfahrtsreformpakets terschrieben werden. Die Pointe liegt jedoch gehört. Ich möchte in diesem Zusammenhang darin, daß diese Plattform die traditionelle noch einen zweiten und damit durchaus zu• Zwei-Elternfamilie als erstrebenswertes Hand• sammenhängenden Vorschlag erwähnen, der lungsmodell betont. Argumentiert wird dabei im kommunitaristischem Diskurs zunehmend empirisch: Familien mit einem einzigen Haus• auftaucht. Es ist die Idee eines „allgemeinen haltsvorstand „experience particular difficul- Sozialdienstes", eines obligatorischen Dienstes ties". So lege „das Gewicht der historischen, im sozialen oder ökologischen Bereich, der soziologischen und psychologischen Forschun• entweder für junge Menschen oder auch in gen nahe, daß im Durchschnitt die Zwei-El• Lebenszeitperspektive gedacht wird. Die Idee ternfamilien besser in der Lage sind, ihren des „Sozialdienstes" ist eine eher „konservati• Pflichten im Bereich der Kindererziehung ve" Antwort - auch wenn sie von „Linken" nachzukommen." Vor allem Scheidungen in gegeben wird. Sie ist eine Antwort des Kom• Ehen mit kleinen Kindern sind ein ernstzu• munitarismus II. Sie stellt dabei ein mögli• nehmendes soziales Problem. Viele Scheidun• cherweise hochattraktives Komplement zur gen seien sowohl vermeidbar als auch keines• Forderung nach einem garantierten Grundein• wegs im Interesse der Kinder: „Das Schei• kommen (Kommunitarismus III) dar. Während dungsrecht sollte deshalb modifiziert werden, nämlich das garantierte Grundeinkommen auf nicht um Scheidung zu verhindern, sondern ein positives Grundrecht auf Teilhabe in der um die Betroffenheit der Gesellschaft zu si• Gesellschaft zielt, also eine zeitgemäße Wei• gnalisieren" (ebd., S. 15). terentwicklung von sozialen Grundrechten, nimmt die Idee des „Sozialdienstes" die ande• re Seite des Gemeinschaftlichen in den Blick: Weitere Vorschläge der Plattform beziehen sich Die Seite der Verantwortung, der Pflichten des auf die Schulen, „the second line of defense". einzelnen in der kleineren oder größeren Ge• Das gesamte Bildungswesen hat einen morali• meinschaft. schen Auftrag und zwar in einer klaren Rich• tung: „We ought to teach those values Ameri- cans share". Diese Werte sind beispielsweise: FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 61

die Würde des Menschen, Toleranz als Tu• Voraussetzung für sozialstaatliche (Groß-)Sy- gend, die Verabscheuung von Diskriminierun• steme sind, hat bereits die Dienstleistungs- und gen, die Tatsache, daß die friedliche Lösung Professionalisierungskritik in den frühen acht• von Konflikten derjenigen überlegen ist, die ziger Jahren demonstriert. Vor allem die Selbst• zu Gewalt greift, das Wahrheit moralisch der hilfediskussion lehrte, daß es nicht um ein Ent- Lüge überlegen sei, daß demokratisches Re• weder-Oder zwischen gemeinschaftlichen und gieren moralisch wertvoller ist als Totalitaris• staatlichen Lösungen geht, sondern um eine mus und Autoritarismus usw. Es ist das westli• intelligente Rekombination der jeweiligen Stär• che Normengerüst seit der Aufklärung, mögli• ken. Der kommunitaristische Diskurs akzen• cherweise sind es universalistische Normen, tuiert in dieser Tradition die Partei der ge• die sich durch alle Hochkulturen hindurch und meinschaftlichen Ressourcen der Sozialpoli• selbst in sogenannten primitiven Gesellschaf• tik, wertet sie sozialtheoretisch auf. ten mehr oder weniger kodifiziert vorfinden lassen. Nun ist die Sichtung der sozialpolitischen Re• formoptionen und die Zuordnung des kommu• Die Plattform als Konsenspapier von Kom• nitaristischen Diskurses hierzu erhellend und munitaristen vermeidet Kontroversen, mit Aus• belegt die hohe strategische Bedeutung des nahme der genannten Position im Bereich Kommunitarismus für gesellschaftspolitische Scheidung und Familie. Das Konzept eines Reformkoalitionen. Er könnte zu einem Eini• „minimal State" kann freilich nicht herausge• gungsfokus werden. Je konkreter die Diskus• lesen werden. Dies verbleibt außerhalb des sion jedoch wird, umso deutlicher tritt zutage, kommunitaristischen Konsenses von Kommu• daß die dahinterliegenden philosophischen nitarismus I bis Kommunitarismus III. Nichts• Grundfragen ungeklärt geblieben sind. Die in destotrotz stellt die Plattform als Konsenspa• der kommunitaristischen Theoriediskussion pier selbst eine „schwache Form" von Kom• immer wieder geführte Kontroverse um das munitarismus dar, insoweit ein sozialdemokra• Konzept des „Selbst" und damit um das Men• tisches Dokument mit konservativen und „grü• schenbild, das sich zwischen Liberalismus und nen" Einsprengseln. Eine kommunitaristische Kommunitarismus so deutlich unterscheidet, Therapie des Wohlfahrtsstaates ohne „garan• erweist sich keineswegs als Scheindebatte, son• tiertes Grundeinkommen" und „Sozialdienst" dern verweist auf grundlegende Fragen an der würde jedoch auf mittlere Sicht wesentliche Schwelle zur globalen Informationsgesell• institutionelle Makro-Antworten auf die Frage schaft. Was nämlich den Menschen ausmacht, nach einer gemeinschaftlichen Moral in der kann auch zum Gegenstand politischer und Gesellschaft versäumen. sozialer Mobilisierung werden. Das mag man• chen bedrohlich erscheinen, eröffnet aber ganz 3. Gemeinschaft als Ressource neue Konfliktchancen.

Die Diagnose wie die Therapievorschläge ver• Wenn der Mensch in seiner Ganzheit von sei• suchten eine Bündelung der kommunitaristi• ner biologisch-körperlichen Manifestation bis schen Strömungen innerhalb der großen poli• hin zur geistig-religiösen Wirklichkeit aner• tischen Lager (daß es auch bei den Liberalen kannt wird, läßt sich trefflich mit den ver• „sanfte" Kommunitaristen gibt, beweist in letz• schiedenen theoretischen Ansätzen und den ter Zeit Ralf Dahrendorf6). Daß gemeinschaft• skizzierten strategischen Optionen leben. Sie liche Handlungssysteme eine unverzichtbare repräsentieren schlichtweg verschiedene 62 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Aspekte des Menschlichen. Jedes politische 5 Die Doppeldeutigkeit des Begriffs „Welt" zielt „Lager" lebt durch die Vereinseitigung eines auch darauf hin, daß eine globale Gesellschaft Aspektes. Eine ganzheitliche Lösung wird im• ohne eine neue Kombination von individual defi• mer eine demokratische sein, da eben nur alle nierten Menschenrechten mit damit kompatiblen (kulturellen) Gemeinschaftsnormen und (religiö• lösen können, was alle angeht. Sie wird aber sen) Gemeinschaftswerten nicht integrationsfähig eher kommunitaristisch sein als liberal, da der ist. Mensch in dieser Welt auf den anderen Men• 6 Vgl. das Gespräch in „Der Spiegel" 11/1995, in schen zwingend angewiesen ist. dem Dahrendorf auf die Frage, wo das gesell• schaftspolitische Neue wachse, feststellt: „Bei der Michael Opielka ist Sozialwissenschaftler und Suche nach einem haltbaren Netz sozialer Sicher• leitet den Arbeitsbereich „Programmentwick• heit, verbunden mit einer Wiederkehr von gemein• lung und Evaluation" am Staatsinstitut für Fa• schaftlicher Selbsthilfe". milienforschung an der Universität Bamberg.

Anmerkungen Literatur

1 Interview in „Tagesanzeiger" v. 6.12.1994. Etzioni, Amitai 1993: The Spirit of Community. 2 Abgesehen von der üblichen männlichen Über• Rights, Responsibilities, and the Communitarian präsenz in öffentlichen Diskursen wäre zu beden• Agenda, New York: Crown Publishers ken, inwieweit - folgen wir beispielsweise Carol Honneth, Axel (Hrsg.) 1993: Kommunitarismus. Gilligan - für Frauen die gemeinschaftliche Hand• Eine Debatte über die moralischen Grundlagen lungsorientierung „Sorge" selbstverständlicher, modemer Gesellschaften, Frankfurt/M.-New York: eine kommunitaristische Neu-Orientierung daher Campus weniger spektakulär ist. (Siehe dazu auch den Bei• O'Neill, John 1994: The Missing Child in Liberal trag von Martina Ullrich in diesem Heft, die Red.) Theory. Towards a Covenant Theory of Family, 3 Die Verwendung der Begriffe „Moral" und Community, Weifare and the Civic State, Toron• „Ethik" erfolgt hier genau entgegengesetzt zur der• to et al.: University of Toronto Press zeit dominierenden deontologischen bzw. Kan- Offe, Claus 1992: A Non-Productivist Design for tianischen Begriffspraxis. Dort wird als „Moral" Social Policies, in: Philippe van Parijs (ed.), Ar- die universalistische Geltung von Sollenssätzen guing for Basic Income, London-New York: Ver- und Gerechtigkeitsannahmen bezeichnet, als so, S. 61-78 „Ethik" das konkrete, partikulare „Ethos" des gu• Taylor, Charles 1993: Aneinander vorbei: Die ten Lebens. Die hier verwendete Unterscheidung Debatte zwischen Liberalismus und Kommu• versteht im Anschluß an die Hegeische Tradition nitarismus, in: Axel Honneth (Hrsg.) 1993, S. unter „Moral" die durch Traditionen entwickelten 103-130 Normen des gemeinschaftlichen sozialen Lebens; unter „Ethik" wird ein System von Werten ver• The Responsive Communitarian Platform: Rights standen, die sich letztlich transzendental begrün• and Responsibilities, in: Amitai Etzioni (ed.): den. Rights and the Common Good. The Communita• rian Perspective, New York: St. Martin's Press, 4 Ein weiterer Sortierungsversuch wurde von Rei• S. 11-23 ner Forst in einem Aufsatz im von Axel Honneth Walzer, Michael 1992 (1983): Sphären der Ge• herausgegebenen Sammelband zum Kommunita• rechtigkeit, Frankfurt/M.-New York: Campus rismus vorgelegt (Honneth 1993), ausführlicher ders., 1993, Die kommunitaristische Kritik am in seiner 1994 erschienenen Dissertation „Kon• Liberalismus, in: Axel Honneth (Hrsg.) 1993, S. texte der Gerechtigkeit". 157-180 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 63

Martina Ullrich

Kommunitarismus und Feminismus1

Berührungspunkte „postliberalen" Denkens

Es gibt „den" Feminismus ebenso wenig wie Bei der Art und Weise des Bezuges auf den „den" Kommunitarismus. So ist es nicht wei• Liberalismus kann zwischen „liberalen" und ter verwunderlich, daß die Rezeption kornmu- „postliberalen" Lesarten unterschieden werden. nitaristischer Ideen auf Seiten der feministi• Liberal in diesem Sinne soll heißen, daß der schen Theorie sehr unterschiedlich ausfällt. Ei• Liberalismus als Theorie bejaht wird, in der nerseits, so läßt sich argumentieren, sind Kom• gesellschaftlichen Praxis jedoch noch nicht als munitarismus und Feminismus zwei völlig un• für alle Gesellschaftsmitglieder verwirklicht terschiedliche Ansätze. Der Kommunitarismus angesehen wird. Daraus ergibt sich als vorran• propagiert in einer einflußreichen konservati• giges Ziel eine Ausweitung liberaler Prinzipi• ven Lesart einen (Rück-) Bezug auf Gemein• en auch auf bisher ausgeschlossene Gesell• schaft und tradierte Wertvorstellungen, der Fe• schaftsmitglieder. Postliberal soll dementspre• minismus als emanzipatorischer Ansatz strebt chend eine Haltung kennzeichnen, für die nicht gerade deren kritische Reflexion und die Auf• mehr die Verwirklichung liberaler Versprechun• hebung der klassischen Verteilung der Ge• gen im Vordergrund steht, sondern die sich schlechterrollen in Familie und Gesellschaft vielmehr innerhalb liberaler Gesellschaften dar• an. Insofern liegt auf der Hand, daß einige Va• um bemüht, Defizite, die sich aus der libera• rianten von Kommunitarismus und Femi• len Theorie für die Praxis ergeben, aufzudek- nismus nicht miteinander in Einklang zu brin• ken bzw. auszugleichen. Der Kommunitaris• gen sind. Zwischen Positionen, wie sie etwa mus ist nach dieser Unterscheidung eindeutig von Alaisdair Mclntyre als einem der konser• postliberal. Er setzt den Liberalismus voraus vativsten Vertreter des Kommunitarismus ver• und entwickelt seine Thesen und Konzepte aus treten werden, und denen feministischer Prot• der kritischen Auseinandersetzung mit diesem agonistinnen wie beispielsweise Judith Butler (Walzer 1994: 157f.). Innerhalb des Feminis• gibt es keine wesentlichen Berührungspunkte. mus finden sich sowohl liberale als auch post• Andererseits existieren moderate feministische liberale Positionen und Ansätze. und kommunitaristische Ansätze, die eine ge• meinsame Basis haben: den Liberalismus. Nur im Hinblick auf den Bezug zum Liberalismus 1. Liberaler Feminismus macht es Sinn, die Frage nach dem ob und wie eines Verhältnisses zwischen Feminismus und Mit liberal soll hier diejenige Position bezeich• Kommunitarismus überhaupt zu stellen.2 net werden, deren vorrangiges Ziel es ist, die Frauen mit den Argumenten des Liberalismus 64 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

als Subjekte in die liberale Gesellschaft einzu• sieht den Zusammenhang zwischen der Situ- bringen, d.h. in erster Linie durch gesetzliche iertheit der Frauen in diesem Bereich mit ihrer Regelungen, welche die Familie betreffen oder weitgehenden Absenz in der politischen Sphä• die besondere Lebenssituation von Frauen be• re. So wird einerseits nicht wahrgenommen, rücksichtigen. Zu nennen sind hier rechtliche daß die einseitige Verantwortung für die Fa• Maßnahmen gegen Vergewaltigung in der Ehe, milie die Frauen daran hindert, den Status ei• Quotenregelungen, Ansprüchen an staatliche nes autonomen liberalen Subjekts einzuneh• Hilfen bezüglich Kinderbetreuung, Hinweise men. Andererseits wird in der liberalen Theo• auf die Geschlechtsblindheit scheinbar ge• rie die Leistung für die Gesellschaft überse• schlechtsneutraler Gesetze oder Vorschriften hen, die in der Familie erbracht wird: Auch etc. Selbstverständlich gibt es auch hier unter• liberale Individuen müssen irgendwo soziali• schiedliche Ansätze und Schwerpunkte. Ge• siert werden und sprießen nicht, wie Hobbes meinsame Basis ist jedoch ein Festhalten am bemerkte, wie Pilze aus dem Boden. Liberalismus und die Uberzeugung, daß mit den Argumenten, die die liberale Theorie zur Der Ausschluß der Frauen aus der Sphäre der Verfügung stellt, eine Emanzipation der Frau Öffentlichkeit bildet sich schon in den Anfän• bzw. eine Gleichstellung von Frau und Mann gen des Liberalismus heraus. Mit der Indu• prinzipiell möglich ist, daß es nur notwendig strialisierung ging eine Trennung von Arbeits• sei, die Möglichkeiten des liberalen Rechts• platz und Wohnort einher, in deren Folge sich staates voll auszuschöpfen. ein Kontrast zwischen Erwerbsarbeit und Haus• arbeit herausbildete. Vor allem im gebildeten Das heißt nun nicht, daß Verrechtlichung der Bürgertum wurden die Erziehung der Kinder Endpunkt der Debatte sein muß. Sie ist jedoch und die Hausarbeit den Frauen übertragen, den das vorrangige Ziel. In diesem Punkt laufen Männern hingegen die Sicherung des Famili• feministische Einwände zusammen mit Argu• eneinkommens durch Erwerbsarbeit. Diese menten, die auch von linksgerichteten Libera• Aufgabenteilung wurde mit einer „natürlichen len gegen traditionelle Spielarten des Libera• Geschlechterdifferenz" erklärt: Die Bestim• lismus angeführt werden. Es geht um die Kri• mung zur Hausfrau und Mutter entspricht der tik an der starren Grenzziehung zwischen Staat weiblichen Natur, folgerichtig wird dieser Tä• und Gesellschaft. So wie die Linke behauptet, tigkeit der Charakter der Arbeit abgesprochen daß „das Ökonomische politisch ist", so pro- und zum weiblichen Liebesdienst erklärt. blematisieren Feministlnnen die Trennung zwi• schen Öffentlichkeit und Privatsphäre mit dem Gleichzeitig mit der liberalen Parole der Argument, daß „das Private politisch ist" (Okin Gleichheit findet eine mit größtem Aufwand 1993a: 76). betriebene Bestimmung weiblicher Differenz statt, die mit Hilfe von Ärzten, Lehrern und Von feministischer Seite wird gegen die beste• Geistlichen an den Mann bzw. an die Frau hende Variante des Liberalismus der Vorwurf gebracht wird (Frevert 1994: 72). Der Aus• einer doppelten Blindheit erhoben, die ihre Ur• schluß der Frauen aus der öffentlichen Sphäre sache in der prinzipiellen Ausgrenzung der Fa• erscheint somit als folgerichtig und natürlich. milie aus der liberalen Theorie hat (Klinger 1994: 36). Die prinzipielle Nichtthematisie- Der Mann, als das eigentliche liberale Sub• rung der Familie, als zum Bereich des „Priva• jekt, ist sowohl in der öffentlichen als auch in ten" gehörend, seitens des Liberalismus über• der privaten Sphäre präsent, denn hier in der FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 65

häuslichen Sphäre kann er sich von den de• der Machtverteilung, Hierarchien und der Ge• struktiven Tendenzen der Moderne erholen. walt. Das öffentliche Subjekt benötigt sein Schat• tensubjekt, das ihm zu Hause den Rücken frei• Zu den Vertreterinnen eines liberalen Ansat• hält. Männer haben im Privaten eine Ressour• zes zählt etwa Susan Moller Okin. Der Schwer• ce, Frauen sind diese Ressource. „To a large punkt der Debatte liegt hier auf dem Bemühen extent, contemporary theories of justice, like um eine Verrechtlichung der Privatsphäre, um those of the past, are about men with wives at dadurch den Frauen den Status liberaler Sub• home" (Okin 1989: 13). jekte erst einmal zu verschaffen. Zu diesem Zwecke wird aktives Agieren von Politik und Wenn dem so ist, dann erklärt dies auch die Gesetzgebung z.B. mir Hilfe von Quotierungs• Probleme, die auftreten, wenn Frauen tatsäch• politiken gefordert. lich auf die Idee kommen, der liberalen Einla• dung in die öffentliche Sphäre zu folgen. Spä• 2. Postliberaler Feminismus testens dann zeigt sich nämlich, daß die glei• chen Zutrittsbedingungen eben gerade nicht Mit postliberal sollen hier alle diejenigen An• die gleichen sind, daß auch Gesetze oder Vor• sätze feministischer Theorie bezeichnet wer• schriften, die auf den ersten Blick geschlechts• den, die gegenüber dem liberalen Ansatz eine neutral erscheinen, tatsächlich geschlechtsblind Verschiebung der Akzente vorgenommen ha• sind. ben. Der Schwerpunkt der Debatte liegt auf der Frage, wie unterschiedliche Lebenserfah• Die unterschiedliche Situiertheit der Frauen rungen von Frauen auch in den öffentlichen im häuslichen Bereich hat für sie zur Folge, Bereich einfließen können. z.B. „Mütterlich• daß die Zugangsvoraussetzungen für die öf• keit", „caring", feministische Ethik. Es geht fentliche Sphäre erschwert sind (Benhabib nicht mehr darum, Frauen den gleichen Status 1987, 9f.) - einerseits aus rein zeitlichen Grün• wie Männern zu verschaffen, sondern betont den, denn die ungleiche Verteilung häuslicher wird die Andersartigkeit, die Differenz. Die Pflichten entscheidet auch über die Möglich• unterschiedlichen Lebenserfahrungen von keiten „öffentlicher" Aktivitäten, andererseits Männern und Frauen gilt es zu respektieren. aus den schon angesprochenen strukturellen Diesen Ansatz vertreten sowohl ein Teil der Gründen.3 Frauen werden immer als potentiel• sogenannten Differenztheoretikerlnnen, die le Hausfrauen und Mütter gesehen, auch wenn dem liberalen Feminismus vorwerfen, daß sie weder verheiratet sind noch Kinder haben Frauen in ihrer Andersheit nicht gesehen wer• (Okin 1993b: 277). Die formale rechtliche den können und daß liberale Ansätze Frauen Gleichstellung reicht nicht aus. Daraus folgt zu defizitären Männern machen. Zudem sol• die feministische Forderung nach Gleichheit, len unter dem Begriff postliberal auch diejeni• die manchmal gerade nur durch Ungleichbe• gen Ansätze gefaßt werden, die zwar mit libe• handlung erreicht werden kann (siehe Debatte ralen Gleichheitsforderungen übereinstimmen, um Quotierung), sowie nach Gerechtigkeit in• dabei aber betonen, daß diese an ihre Grenzen nerhalb der Privatsphäre, wenn Familie „nicht gestoßen sind und daher nach Wegen außer• weiterhin als Institution zur Sanktionierung halb der Gleichheits-/Differenzdebatte zu su• ungleicher gesellschaftlicher Freiheiten funk• chen sei. Argumentiert wird hier nicht mit der tionieren soll" (Rössler 1992: 96). Familie ist Differenz der Geschlechter, die in eine proble• nicht nur der Ort der Gefühle, sondern auch matische Dichotomisierang führt, sondern mit 66 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Differenzen individueller Subjekte in pluralen Kommunitarismus lassen sich unterscheiden: Gesellschaften. Bei aller Unterschiedlichkeit Konflikt, Kolonialisierung oder Kompromiß. und Vielschichtigkeit dieser Debatte sind doch gewisse Übereinstimmungen im Bezug auf den Diese potentiellen Beziehungen sollen im Fol• Liberalismus vorhanden und nur diese sollen genden näher betrachtet werden. hier von Interesse sein. Einerseits handelt es sich um eine Debatte, die in liberalen Staaten 3.1 Konflikte zwischen liberalem Fe• der westlichen Welt geführt wird und die sich minismus und Kommunitarismus in erster Linie als Diskussion weißer Mittef• und Oberschicht(-sfrauen) darstellt - mit allen Liberale Feministlnnen nehmen die Thesen und Defiziten, die sich daraus ergeben, wie bei• Sichtweisen der Kommunitaristen als Provo• spielsweise die Kritik farbiger Amerikanerin• kation wahr. Die meisten Kommunitaristen ge• nen zu Recht betont. hen von einem idealisierten Bild der traditio• nellen Familie aus (Etzioni 1994). Die Familie Für die Frage nach dem Verhältnis von Femi• gilt als unproblematisch und wird daher nicht nismus und Kommunitarismus ist dies zunächst hinterfragt. Im Gegenteil: Die Familie soll als als rein formale Gemeinsamkeit festzuhalten, Vorbild dienen für andere Formen der Gemein• denn auch die kommunitaristische Debatte wird schaft, indem gezeigt wird, daß Werte der Ge• auf liberalem Terrain geführt. meinschaft, wie z.B. Fürsorglichkeit und Al• truismus, höher zu bewerten sind als Prinzipi• Aber auch inhaltlich gibt es gewisse Überein• en der Gerechtigkeit. Problematisiert wird Fa• stimmungen. So betonen sowohl die postlibe• milie aus kommunitaristischer Sicht nur dann, ral-feministische als auch die kommunitaristi• wenn sie nicht diesem Idealbild entspricht und sche Sicht Probleme des Liberalismus. Mo• nicht in der Lage ist, in ausreichendem Maße dernen Gesellschaften fehlt aus dieser Perspek• moralische Werte zu vermitteln.4 tive die Einbindung der Individuen in soziale Gemeinschaften, die gerade nicht durch for• Auch wenn wir annehmen, daß die Kommuni• male Rechte zusammengehalten werden kön• taristen, zumindest in ihrer moderaten Varian• nen. Gefragt sind nicht formale, abstrakte te, von einer „völligen Gleichberechtigung" Rechte, sondern kontextbezogene Wertvorstel• von Mann und Frau ausgehen (Etzioni 1994), lungen. ist nicht von der Hand zu weisen, daß sie sich auf traditionelle Gemeinschaftswerte berufen, Es deutet sich an, daß an dieser Stelle mögli• die gerade auch die traditionellen Geschlech- cherweise eine Brücke zum Kommunitarismus terrrollen miteinschließen. Es reicht nicht aus, geschlagen werden kann. eine geschlechtsneutrale Sprache zu verwen• den, aber ansonsten das Problem der Ungleich• 3. Berührungspunkte von Feminis• behandlung entlang der Geschlechtergrenze mus und Kommunitarismus unthematisiert zu lassen. Daß formale Gleich• heit nicht faktische Gleichheit bedeutet, daß Wir haben also eine moderate Form des Kom• sich traditionelle Rollenbilder nicht einfach munitarismus und zwei Varianten des Femi• auflösen, bloß weil wir sagen, daß wir keine nismus, die hinsichtlich ihrer Berührungs- bzw. dichotomen Rollenklischees mehr wollen, hat sich ja bereits hinreichend gezeigt. Es scheint Reibungspunkte untersucht werden sollen. Drei vielmehr so zu sein, daß die Tatsache der fak- mögliche Relationen von Feminismus und FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 67

tischen Ungleichheit zwischen den Geschlech• chalen Formen der Gemeinschaft aus. Für sie tern für die Kommunitaristen gar kein Pro• muß Gemeinschaft freiwillig und egalitär sein blem darstellt. Daher suchen wir bei ihnen und soll gerade nicht auf männlich geprägten auch vergeblich nach Handlungsanweisungen, Traditionen beruhen (Rössler 1992). Mari• diese Ungleichheit aufzuheben. lyn Friedman spricht in diesem Sinne von ei• ner „Community of choice" (Friedman 1992). Michael Sandel etwa sieht die Familie als Be• leg dafür, daß es ein höheres Gut als Gerech• 3.2 Kolonialisierung des postliberalen tigkeit gibt und idealisiert sie als Ort gegen• Feminismus durch den Kommuni• seitigen Wohlwollens und der Freundschaft mit tarismus Vorbildcharakter für andere Formen von Ge• meinschaft (Sandel 1982). Dabei vermeidet Mit dem Begriff Kolonialisierung soll eine Sandel eine nähere Untersuchung der realen mögliche Beziehung von Kommunitarismus zu Familie. So wird leicht übersehen, daß Fami• einem postliberalen Feminismus charakterisiert lie nicht nur aus Fürsorglichkeit und Gleich• werden. Gemeint ist damit, daß der Kommu• klang der Interessen aufgebaut ist. Sie ist eben nitarismus die Argumente der Debatte zur fe• auch ein Ort, der auf Machtverhältnissen und ministischen Ethik aufgreift und in seine Ar• Hierarchien beruht, die „vor allem vom Stand• gumentation einbaut, ohne dabei das Ge• punkt der Frauen und Kinder her das Idealbild schlechterverhältnis als Problem zu erkennen, der harmonischen Gemeinschaft schwer be• was zu der falschen Annahme führen kann, einträchtigen" (Klinger 1994, 43). daß die bestehende Verteilung der Geschlech• terrollen nicht korrekturbedürftig sei. Der Konflikt zwischen feministischen und kommunitaristischen Positionen entsteht an Von feministischer Seite besonders prädesti• zwei Punkten: niert für solcherart Kolonialisierung ist die De• batte um Carol Gilligan in ihrer ersten Phase: 1. Feministinnen streben die Verrechtlichung Um die sogenannte Gilligan-Debatte kurz ins der Privatsphäre an, weil sie davon ausgehen, Gedächtnis zu rufen: Carol Gilligan hat im daß sich die Position der Frauen dadurch so• Anschluß bzw. als Kritik an Lawrence Kohl• wohl in der privaten, als auch in der öffentli• bergs Untersuchung zur Moralentwicklung bei chen Sphäre verbessert. Die Kommunitaristen Männern und Frauen, in denen Frauen eine halten dagegen, daß wir die Existenz der Fa• niedrigere Stufe der Moralentwicklung beschei• milie aufs Spiel setzen, wenn wir versuchen, nigt wurde, eigene empirische Untersuchun• sie zu verrechtlichen. Sie plädieren vielmehr gen angestellt, deren Ergebnis in einem Buch für eine Intimisierung der Öffentlichkeit. mit dem Titel „In a different voice", zu deutsch „Die andere Stimme", erschienen ist (Gilligan 2. Die Kommunitaristen gehen von der Not• 1982). Sie vertritt hier die These, daß es zwei wendigkeit der Einbindung in eine bestimmte unterschiedliche Formen der Moral gibt: eine Gemeinschaft aus, von der keine Distanzie• an Recht bzw. Gerechtigkeit orientierte, die rung möglich ist. Die Ausbildung einer gelun• sie als männlich bezeichnet, und eine an Für• genen Identität ist nur durch „Entdeckung" sorglichkeit und Kontextbezogenheit orientier• (Sandel 1982) innerhalb bestehender Gemein• te, die sie als weiblich bezeichnet. schaften möglich. Feministinnen brechen aber gerade aus diesen angestammten, da patriar- 68 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG, 8, HEFT 3, 1995

Als Folge dieser Untersuchung entstand, nicht folgenlos ist. Die ihnen zugewiesene Sphäre nur in feministischen Kreisen, eine breite De• erfordert diametral entgegengesetzte Eigen• batte darüber, ob Frauen und Männer sich hin• schaften als die öffentliche Sphäre: „Empathie sichtlich ihres moralischen Urteilens tatsäch• und Altruismus statt Autonomie und Egois• lich unterscheiden und wenn ja, warum. Daß mus, Fürsorge statt Selbstsorge, Liebe statt man mit einer solchen Debatte Geister rufen Kalkül, Gemeinschaftlichkeit statt Konkurrenz, kann, die man nur schwer wieder los wird, konkrete Situationsbezogenheit statt abstrak• liegt auf der Hand. Denn jeder Versuch, aus ter Normorientierung usw." (Klinger 1994: 37). körperlichen Merkmalen auf bestimmte Cha• rakterzüge zu schließen, hieße, einem biologi• Die Betonung der Verantwortung für die Ge• schen Determinismus das Wort zu reden, der meinschaft (die Modelle gegenseitiger Hilfe mit jeglicher Bemühung um Emanzipation un• in Nachbarschaft, Gesundheitssystem, Kinder• vereinbar ist. Wenn sich Frauen darauf einlas• betreuung etc.) haben nicht nur, wie Micha sen, als das „Andere der Vernunft" charakteri• Brumlik betont, illiberale Konsequenzen siert zu werden, hieße dies, daß sie ihrem Aus- (Brumlik 1992), sondern in erster Linie unter• schluß aus rationalen EntScheidungsprozessen schiedliche Folgen für die beiden Geschlech• zustimmen. Dementsprechend kontrovers wird ter. Es wird selten der erwerbstätige Mann sein, diese Debatte auch geführt (Nagl-Docekal/Pau- der die Kinder der alleinerziehenden Nachba• 5 er-Studer 1993) rin betreut, sondern eher dessen Ehefrau. Au• ßerdem können die Argumente der Kommuni• Sowohl von kommunitaristischer als auch von taristen bestens dazu verwendet werden, den postliberal-feministischer Seite wird morali• Frauen ihren angestammten Platz am heimi• sches Handeln unter Fürsorglichkeitsaspekten schen Herd (wieder) zuzuweisen bzw. dadurch als überlegene Perspektive dargestellt, die aku• schmackhafter zu machen, daß auf die große ten globalen Problemen - wie der ökologi• Verantwortung und den Vorbildcharakter für schen Krise, der Friedenssicherung sowie in• die Gemeinschaft hingewiesen wird. Dies hie• ße allerdings, statt Verhältnissen nur Interpre• nergesellschaftlichen „Zerfallserscheinungen" tationen zu ändern (Fach 1994: 53), und kann - eher gerecht wird als ein rein formales, an daher nur als unzulässige Vereinnahmung fe• Prinzipien der Gerechtigkeit orientiertes Han• ministischer Argumente angesehen werden. deln.

Dies sieht bereits aus wie ein Kompromiß. 3.3 Ein möglicher Kompromiß Jedoch stellt sich aus feministischer Sicht die Frage, ob diese traditionell weiblichen Tugen• Wie bereits angedeutet, ist die Debatte um die den nicht einfach nur aufgewertet werden sol• feministische Ethik nicht stehengeblieben und len, um so eine Situation zu zementieren, die wurde auch von Carol Gilligan selbst dahin• von Frauen Selbstaufopferung und Altruismus gehend relativiert, daß moralisches Handeln verlangt. Denn die angeblich weibliche Seite unter Fürsorglichkeitsaspekten nicht auf Frau• der Moral ist unter bestimmten gesellschaftli• en beschränkt sei, sondern für beide Geschlech• chen Bedingungen entstanden und dies ist der ter möglich sei (Gilligan/Wiggins 1993). Der Punkt an dem feministische und kommunitari• Weg der bisherigen Debatte führt also von ei• stische Geister sich scheiden. Es ist wiederum ner empirischen Untersuchung weiblicher Tu• die unterschiedliche Situiertheit in privater bzw. genden zu einer für Frauen und Männer glei• öffentlicher Sphäre, die für die Frauen nicht chermaßen relevanten Moralkonzeption (Nagl- FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 69

Docekal/Pauer-Studer 1993). An dieser Stelle Walzer erkennt das Problem, aber er schreckt scheint ein Kompromiß zwischen Kommuni• zurück vor den Konsequenzen: Bei seinem tarismus und Feminismus denkbar, wenn wir Rückblick auf die Wahlrechtsbewegung der davon ausgehen, daß beide Ansätze sich dar• Frauen meint er: „Tatsächlich dürften die Anti- auf verständigen können, daß fürsorgliche Zu• stimmrechtler der Wahrheit sogar näher ge• wendung zu Individuen als allgemeines Ge• kommen sein, wenn sie sagten, daß die mas• setz geboten ist. An diesem Punkt stimmen senhafte Partizipation von Frauen an der Poli• feministische mit kommunitaristischen Argu• tik neue Formen des Konflikts, neue Interes• menten überein in ihrer Kritik am Liberalis• senkalkulationen in das Verwandtschaftssystem mus, der die Notwendigkeit solcher Verhält• induzieren werde." (Walzer 1992: 345) nisse übersieht. Eine Seite später heißt es: „Die Familie wird Damit wird es aus feministischer Sicht mög• sich natürlich verändern, wenn sie nicht mehr lich, die Diskriminierung von Frauen als ein der Ort des exklusiven Wirkens der Frau moralisches Problem wahrzunehmen, das uns ist...Und dennoch ist die Sphäre der persönli• alle angeht und gemeinsam anzuerkennen, daß chen Beziehungen, des häuslichen Lebens, der eine Überwindung des hierarchisch verfaßten Reproduktion und der Kinderaufzucht selbst Geschlechterverhältnisses notwendig ist (Nagl- in unserer heutigen Gesellschaft nach wie vor Docekal/Pauer-Studer 1993). Der Kommuni• das Zentrum von enorm wichtigen Verteilun• tarismus müßte das bestehende Verhältnis der gen. Die Regel »des präskriptiven Altruismus« Geschlechter erst einmal als Problem der Un-/ ist eine Norm, auf die die meisten Menschen Gleichheit wahrnehmen und anerkennen. nur ungern verzichten mögen..." (Walzer 1992: 346). Daß die Verteilungen entlang der tradi• Michael Walzer ist als liberaler Kommunita• tionellen Geschlechterrollen vorgenommen rist und noch dazu als einer der wenigen Theo• werden, wird von Walzer geflissentlich über• retiker, die explizit feststellen, daß das beste• sehen. hende Geschlechterverhältnis von Ungerech• tigkeit geprägt ist (Walzer 1992), dazu präde• Ähnlich bei der Frage der Arbeitsteilung: Wal• stiniert, auf eine solche Kompromißfähigkeit zer plädiert im Anschluß an Ghandi für eine hin untersucht zu werden. In „Sphären der Ge• Einbeziehung aller in „harte Arbeit" oder rechtigkeit" beschäftigt er sich vor allem im „Dreckarbeit". Dabei entkräftet er auch hier Kapitel „Die Frauenfrage", aber auch in „Har• sein Argument sofort wieder, in dem er ein• te Arbeit" mit dem Problem der Geschlechter• schränkt, „zumindest in einem partiellen oder hierarchie. Dabei scheint er in einem gewissen symbolischen Sinne". Dagegen muß von fe• Dilemma zu stecken: Auf der einen Seite er• ministischer Seite eingewendet werden, daß kennt er zu Recht, daß im Bereich persönli• es nicht darum geht, durch symbolische Ge• cher Beziehungen Ungleichheit nicht vermeid• sten die Hausarbeit aufzuwerten, sondern dar• bar ist. Andererseits übersieht er, daß dies kei• um, die Arbeitsteilung entlang der Geschlech• nen Freibrief darstellt, jede bestehende Un• tergrenze aufzuheben. gleichheit in der Familie als unvermeidbar hin• zunehmen. Es gibt in realen Familien sehr vie• le Ungleichheiten, die ihren Ursprung nicht in persönlichen Beziehungen haben, sondern im Problem der Geschlechterhierarchie.6 70 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG, 8, HEFT 3, 1995

4. Wie könnte ein Kompromiß tung nur eine Überschneidung der Themen, aussehen? nicht der Zielsetzungen.

Das Ergebnis wäre ein Liberalismus, der so• Daß die Verantwortung, die die Mitglieder der wohl kommunitaristische als auch feministi• Gemeinschaft zu tragen haben, sich auf Frau• sche Einwände aufnehmen würde. Es geht dar• en und Männer in unterschiedlicherweise ver• um, die Idee der Gemeinschaft zu verbinden teilt, solange die beiden Geschlechter nicht mit der Idee individueller Freiheit, d.h. anzu• tatsächlich gleichberechtigt sind, daß Versu• erkennen, was Beate Rössler den „liberalen che, Aufgaben und Kosten von staatlicher Sei• Konflikt zwischen Liebe und Gerechtigkeit" te auf die Betroffenen zurückzuverlagern, Frau• (Rössler 1992: 110) nennt. Der Liberalismus en gegenüber Männern benachteiligt, wurde müßte die Notwendigkeit von Anerkennungs• bereits thematisiert. verhältnissen, die auf Liebe und Zuneigung beruhen, erst einmal wahrnehmen. Gleichzei• Amy Gutman verdanken wir den Hinweis, daß tig müßte die kommunitaristische Position da• auch übereinstimmende politische Aktionen, hingehend korrigiert werden, daß der Gefahr wie das Verbot pornographischer Buchläden, eines Umschlagens solcher Verhältnisse in Do• aus völlig unterschiedlichen Gründen von fe• minanzverhältnisse offensichtlich nicht anders ministischer und kommunitaristischer Seite als mit der Garantie von Rechten zu begegnen gefordert werden könnten. Sie verweist auf ist. ein Beispiel Michael Sandels: „Kommunitari• sten ließen es wahrscheinlich eher als Liberale Dies gilt in modifizierter Form nicht nur für zu, daß eine Stadt pornographische Buchläden intime Gemeinschaften wie die Familie, son• mit der Begründung verbietet, die Pornogra• dern auch für plurale Gesellschaften, da die phie verstieße gegen ihre Lebensweise sowie Betonung des Gemeinschaftsideals als uner• die Werte, die sie aufrechterhält." (Sandel, zit. wünschte Konsequenz die Gefahr des Aus• n. Gutman 1993) Auch der Feminismus setzt schlusses aller Nicht-Mitglieder in sich birgt. sich immer wieder mit dem Problem der Por• nographie auseinander, jedoch aus anderen Gemeinschaft ist auf Konsens angewiesen, Gründen. Das kommunitaristische Argument Konsens kann aber sehr schnell umschlagen heißt ja nichts anderes, als daß eine konven• und ist als politische Basis für plurale Gesell• tionelle Moralvorstellung der Majorität vertre• schaften zu vage. Daher sind liberale Rechte ten wird (Pauer-Studer 1994: 775). Die Fol• unverzichtbar, die es auch möglich machen, gen, die solcherart Rückbezug auf die „guten divergierende Auffassungen des guten Lebens Sitten" haben kann, werden von kommunitari• zu verfolgen. stischer Seite geflissentlich übersehen. Ihre Meinung lautet: „Intoleranz blüht am meisten Ob sich die Kommunitaristen mit einem sol• dort, wo Lebensformen erschüttert, Wurzeln cherart kommunitaristisch reformierten Libe• herausgerissen und Traditionen aufgehoben ralismus zufrieden geben könnten, soll dahin• werden." (Sandel, zit. n. Gutman 1993: 79) gestellt bleiben. Dagegen soll die Frage ge• stellt werden, ob dem feministischen Anliegen wirklich damit gedient ist, kommunitaristische Den liberalen und feministischen Einwänden, Anleihen zu machen. Was sich als möglicher daß die republikanischen Tugenden große Tei• Kompromiß darstellt, ist bei näherer Betrach• le der Männer und Frauen ausgeschlossen ha• ben, begegnen die Kommunitaristen mit ei- FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 71

nem erstaunlichen Maß an Optimismus; dies 3 Daß die liberale vertragstheoretische Konstruk• jedoch blendet historische Tatsachen völlig aus. tion auf dem Ausschluß der Frauen basiert, zeigt Es waren gerade historische Gemeinschaften Pateman 1988. mit tiefer Verwurzelung und fester Tradition, " Vgl. Die Stimme der Gemeinschaft hörbar ma• die in Salem zur Hexenjagd geblasen haben. chen. 5 Solcherart Gemeinschaften sind nicht eo ipso Zur Problematik geschlechteressentialistischer tolerant (Gutman 1993). Für die feministische Ansätze vgl. Butler 1991. 6 Debatte bedeutet dies, auch bei scheinbarer Zur Kritik an Michael Walzer siehe Nagl-Doce- kal 1993. Übereinstimmung, die Notwendigkeit, kom• munitaristische Argumente sehr genau zu über• prüfen und vor allem erhöhte Aufmerksamkeit Literatur auf das zu richten, was von den Kommunitari• sten zwar nicht thematisiert wird, jedoch ge• Benhabib, Seyla/Drucilla Cornell 1987: Beyond wollt oder ungewollt zwischen den Zeilen zu the Poltitics of Gender, in: Benhabib, Seyla/Dru• lesen ist. Denn es handelt sich im besten Falle cilla Cornell (Hg.): Feminism as Critique. Essays um eine Kompromißfähigkeit an einigen we• on the Politics of Gender in Late-Capitalist Socie• nigen Punkten. Ingesamt jedoch mag Marilyn ties, Cambridge. Friedman nicht unrecht haben mit ihrer Aussa• Brumlik, Micha 1992: 'Der Kommunitarismus'. ge: „However, communitarian philosophy as a Letzten Endes eine empirische Frage?, in: Zahl• whole is a perilous ally for feminist philoso• mann, Christel (Hg.): Kommunitarismus in der phy." (Friedman 1992) Diskussion. Eine streitbare Einführung, Berlin, 94- 101. Butler, Judith 1991: Das Unbehagen der Ge• Martina Ullrich studiert Politikwissenschaf• schlechter, Frankfurt/M. ten, Soziologie und Philosophie an der Uni• Die Stimme der Gemeinschaft hörbar machen versität Konstanz. 1994: Ein Manifest amerikanischer Kommunita• rier über Recht und Verantwortung in der Gesell• schaft, in: FAZ, 8. März 1994. Anmerkungen Etzioni, Amitai 1994: Kommunitarismus - Ant• worten auf die Sinnkrise der neunziger Jahre? Amitai Etzioni im Gespräch mit Thomas Rüst, in: Tagesanzeiger, 6. Dezember 1994. 1 Überarbeitete Version eines Vortrages auf der Fach, Wolf gang 1994, Not der Tugend - Tugend Tagung der Forschungsgruppe Neue Soziale Be• der Not. Frauenalltag und feministische Theorie, wegungen zum Thema „Kommunitarismus und Opladen. Gerechtigkeit" vom 7. bis 9. April 1995 in der Gustav-Heinemann-Akademie in Freudenberg. Frevert, Ute 1994: Frauen - bewegt Euch! Die

2 'Weibs-Bilder' der bürgerlichen Frauenbewegung An dieser Stelle möchte ich Otto Kallscheuer im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Blum, danken, für seinen Hinweis auf die italienische Mechthild/Thomas Nesseler (Hg.): Weibsbilder: feministische Debatte, die sich wiederum an die das neue Bild der Frau in Gesellschaft und Poli• französische v.a. an die Arbeiten von Luce Iriga- tik, Freiburg, 60-78. ray anschließt. Ich stimme mit ihm überein, daß sich hier möglicherweise feministische und kom• Friedman, Marilyn 1992: Feminism and modern munitaristische Argumente eher in Einklang brin• Friendship: Dislocating the Community, in: Avi- gen ließen. nery, Shlome/Avner De-Shalit 1992 (Hg.): Com- munitarianism and Individualism, New York. 72 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Gilligan, Carol 1982: In a Different Voice - Psy• Okin, Susan Moller 1993a: Für einen humanisti• chological Theory and Women's Development, schen Liberalismus, in: Transit 1993, 5, 74-89. Cambridge. (Dt.: Die andere Stimme - Lebens• Okin, Susan Moller 1993b: Verletzbarkeit durch konflikte und die Moral der Frau, München, 1984.) die Ehe, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie Gilligan, Carol/Grant Wiggins 1993: Die Ursprün• 41/1993,2, 277-320. ge der Moral in den frühkindlichen Beziehungen, Pateman, Carole 1988: The Sexual Contract, Stan• in: Nagl-Docekal, Herta/Herlinde Pauer-Studer ford. (Hg.): Jenseits der Geschlechtermoral. Beiträge Pauer-Studer, Herlinde 1994: Das Rechte oder zur feministischen Ethik, Frankfurt/M., 69-104. das Gute? Feministische Kritik an Liberalismus Gutman, Amy 1993: Die kommunitaristischen Kri• und Kommunitarismus, in: Das Argument 1994, tiker des Liberalismus, in: Honneth, Axel (Hg.): 206 (4/5), 748-782. Kommunitarismus. Eine Debatte über die morali• Rössler, Beate 1992a: Der ungleiche Wert der schen Grundlagen moderner Gesellschaften, Frank• Freiheit, in: Analyse & Kritik 1992, 14, 86-113. furt/M. Rössler, Beate 1992b: Gemeinschaft und Freiheit Klinger, Cornelia 1994: Die politische Theorie- - Zum problematischen Verhältnis von Feminis• diskusssion der Gegenwart in einer feministischen mus und Kommunitarismus, in: Christel Zahlmann Perspektive, in: Schweizerische Vereinigung für (Hg.), Kommunitarismus in der Diskussion, Ber• Politische Wissenschaft: SVPW-Jahrbuch 34. lin, 74-85. Frauen und Politik - Femmes et politiques, Bern, Sandel, Michael 1982: Liberalism and the Limits 33-50. of Justice, Cambridge. Nagl-Docekal, Herta 1993, Die Kunst der Grenz• Walzer, Michael 1992: Sphären der Gerechtigkeit ziehung und die Familie, in: Deutsche Zeitschrift - Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit, Frank• für Philosophie 41/1993, 6, 1021-1033. furt/M. Nagl-Docekal, Herta/Herlinde Pauer-Studer 1993 Walzer, Michael 1994: Die kommunitaristische (Hg.): Jenseits der Geschlechtermoral. Beiträge Kritik am Liberalismus, in: Honneth, Axel (Hg.): zur feministischen Ethik, Frankfurt/M. Kommunitarismus. Eine Debatte über die morali• Okin, Susan Moller 1989: Justice Gender and the schen Grundlagen moderner Gesellschaften, Frank• Family, New York. furt/M. FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 73

Thomas Meyer

Kommunitarismus und soziale Demokratie

1. Die amerikanische Debatte dieser Richtung in Deutschland zu nutzen. Da• als Anregung für eine für sprechen vor allem drei Gründe: gesellschaftliche Politik 1. Auf vielen Feldern ist der Zentralstaat fi• Der amerikanische Kommunitarismus ist eine nanziell, verwaltungsstrukturell und in seinen gute Sache, wenn auch keine Erfindung der Handlungsmöglichkeiten überfordert, wenn er Gegenwart und kein Kunstprodukt politischer alle in der Gesellschaft entstehenden politi• Philosophen. Gestützt auf die große amerika• schen Probleme bearbeiten wollte. Das gilt nische Tradition einer politischen Gesellschafts• ganz besonders für die von den Kommunitari• kultur, in der die Bürgerinnen und Bürger eher sten in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit dazu neigen, sich zusammen zu tun, um ein gestellten Fragen nach der Zukunft von Fami• Problem gemeinsam zu lösen, als nach staatli• lie und Schule. chen Instanzen zu rufen und Lösungen anzu• mahnen, antwortet die Neubelebung des kom• 2. Viele dieser Aufgaben, insbesondere wie• munitaristischen Gemeinschaftsgeistes auf eine derum im Bereich von Familie, Schule und politische Grunderfahrung der Gegenwart, daß Lebenswelt, können aber auch politisch ange• nämlich die politischen Institutionen des Staa• messener behandelt und erfüllt werden, wenn tes vielfältig überfordert sind, wenn es um die die betroffenen Bürgerinnen und Bürger selbst Lösung der sich unbegrenzt muliplizierenden die Beratung und die Praxis der gefundenen politischen Probleme der Gesellschaft geht. Mit Lösungen in die Hand nehmen. Oft kann der anderer Akzentsetzung und Reichweite hat es Staat dabei eine moderierende, flankierende solche Tendenzen politischer Selbstorganisati• oder subsidiäre Rolle spielen, ohne daß er selbst on und politischer „Eigenarbeit" auch in Eu• die Initiative ergreifen muß oder die Lösung ropa und in der deutschen Tradition immer der Probleme übernehmen sollte. gegeben. 3. Die Orientierung vieler politisch interes• Es kann für die Belebung, Erweiterung und sierter Menschen an einem Engagement in ih• Neufundierung gesellschaftlicher Politik in der rer sozialer Nahwelt hat, verglichen mit dem Bundesrepublik Deutschland von beträchtli• Engagement in den großen bürokratischen Or• chem Nutzen sein, die Diskussionszusammen• ganisationen, im letzten Jahrzehnt erheblich hänge und praktischen Initiativen der ameri• zugenommen. Neue Politikformen müssen sich kanischen Kommunitaristen genau zu studie• den veränderten Partizipationswünschen anpas• ren und als einen Hebel für Bewegungen in sen, wenn es nicht zu wachsender Entfrem- 74 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

dung zwischen politischem System und Bür• gene Kampagnen dürften eher eine abschrek- gergesellschaft kommen soll. Gleichzeitig kann kende als eine aufklärende Wirkung haben. auf diese Weise ein Sog entstehen, der die bei Teilen der Bevölkerung verbreitete politische In der philosophietheoretischen Kontroverse Staatskundenmentalität abbauen hilft oder zu• zwischen den Kommunitaristen und den Libe• mindest sichtbar aus der Gesellschaft heraus ralen geht es um die Frage, ob vorgängige entlegitimiert. gemeinsame Formen gelebter Sittlichkeit die Voraussetzung dafür sind, Gesellschaftsmoral 2. Ein Hauch von Tugendterror: zur Entfaltung zu bringen, oder ob sich ver• Schattenseiten des nünftige Individuen auf einen solchen Rah• Kommunitarismus men gemeinsamer politischer moralischer Re• geln verständigen können. Für die praktisch• Der amerikanische Kommunitarismus versucht politische Seite kommunitaristischer Projekte einen missionarischen Feldzug für einen neu• dürfte es jedoch unerheblich sein, für welche en Geist der Gemeinschaft mit der Förderung Seite ein Befürworter solcher Praxis Partei er• und Initiierung zahlreicher praktischer kom• greift. Zumindest müßte das eine offene Frage munitaristischer Projekte zu verknüpfen. Er bleiben. Es könnte gezeigt werden, daß für geht an einigen entscheidenden Punkten je• das praktische kommunitaristische Engagement doch, wie es scheint, einen Schritt zu weit und eine vorgängige Antwort auf die philosophi• ist durch einen Hauch von Tugendterror ge• sche Frage ohne Bedeutung ist. Nach der poli• kennzeichnet. Kaum akzeptabel erscheinen tisch-moralischen Grundregel zweiter Ordnung, Versuche, durch direkten moralisch politischen daß im politischen Handeln die größtmögliche Druck auf einzelne Menschen politisch er• Gemeinsamkeit gesucht werden soll, wenn es wünschtes Verhalten herbeizuführen, indem um moralisch wichtige Fragen geht, sollte die• etwa durch persönliche Kampagnen Raucher se Debatte daher in einer deutschen kommuni• unter Druck gesetzt werden oder Menschen, taristischen Initiative bewußt unthematisiert die auf andere Weise ungesund zu leben schei• bleiben. nen, in persönlichen Sozialkontakten auf die hohen Kosten verwiesen werden, die sie mit 3. Nur ein Element einer ihrer Lebensweise verursachen u.a.m. Da in neuen Gesamtpolitik der deutschen politischen Kultur die illibera• len Elemente ohnehin die längere und stabile• Kommunitarisüsche Politikprojekte können ein re Tradition haben, wäre bei einer Belebung wesentliches Element einer neuen Gesamtpo• kommunitaristischer Initiativen hierzulande auf litik sein, sie sind aber nicht selbst die neue solche Anflüge illiberaler Kampagnen gezielt Gesamtpolitik. Veränderte Rahmensetzungen, zu verzichten. Regulierungsformen und Interventionen des Staates bleiben, auch in den hochkomplexen Die Erinnerung an die Tugenden der Bürger• Gesellschaften der Gegenwart, zwingend er• gesellschaft und die Verpflichtung zur Solida• forderlich. Eine liberalistische Deutung des rität sowie Aufklärungskampagnen darüber, Kommunitarismus, die ihn an die Stelle un• daß individuelle Freiheit und Entfaltungsräu• verzichtbarer staatlicher Regelungen setzen me ohne gesellschaftliche Grundsolidarität möchte, ist aus der Sicht einer an den Grund• letztlich für niemanden zu sichern wären, sind sätzen der sozialen Demokratie orientierten nützlich und notwendig. Aber personenbezo• Politik nicht akzeptabel. FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 75

Gesellschaftliche Politik ist heute notwendig, Debatten in neue Formen kommunitaristischer um die in die Gesellschaft verlagerten Politik• praktischer Projekte überspringt, damit die Be• gehalte demokratisch bearbeiten und entschei• wegung nicht eine abgehobene Sache akade• den zu können. Kommunitaristische Initiati• mischer Missionare wird, sondern eine soziale ven können aber auch auf diesem Feld nur ein Bewegung in vielen gesellschaftlichen Berei• Element sein. Neue Politikformen, wie etwa chen. institutionalisierte politische Öffentlichkeiten in den gesellschaftlichen Teilsystemen (Wirt• 5. Exemplarische Praxisfelder: schaft, Technik, Soziales, Bildung) oder poli• Schule, Familie, Lebenswelt tische Verhandlungssysteme zwischen Wirt• schaft, Gewerkschaften, Umweltverbänden und Es scheint sinnvoll, Schule, Familie und Le• Anwohnern, die vom Staat nur noch mode• benswelt exemplarisch als Praxisfelder kom• riert, aber nicht mehr in eigener Regie über• munitaristischer Initiativen zu wählen. In die• nommen werden, und eine Reihe weiterer In• sen Bereichen kann gleichzeitig vieles von itiativen bleiben notwendig. dem, was heute staatlich geregelt wird, in ei• gener Regie geregelt werden, teils durch neue 4. Anregungen für eine soziale Formen staatlicher Unterstützung. In diesen Bewegung in den Feldern entscheidet sich zugleich mit der Lö• gesellschaftlichen Teilbereichen sung politischer Probleme in Eigenarbeit, ob die Bürgerinnen und Bürger noch ein zurei• Wenn die kommunitaristische Initiative zum chendes Bewußtsein demokratischer Kompe• Anlaß genommen wird, auf diesen weiteren tenz in Bezug auf das politische System im Horizont einer neuen Politik zu verweisen, ganzen entwickeln können, das nicht durch könnte sie für die Bundesrepublik Deutsch• passiven Konsum elektronischer Massenme• land von besonderem Nutzen sein. Zum Pro• dien so deformiert ist, daß es jeden Zusam• blem müßte sie werden, wenn sie sich selbst menhang zur wirklichen Politik verliert. dogmatisch-sektenförmig verengt und zu ei• ner Art Schule würde, die mit anderen Versu• Thomas Meyer ist Professor für Politikwissen• chen gesellschaftlicher Politik oder Politikre• schaft an der Universität Dortmund und Leiter form konkurriert. Wichtig ist vor allem auch, der Akademie der Politischen Bildung der daß der Funke aus den kommunitaristischen Friedrich-Ebert-Stiftung. 76 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Thomas M. Gauly

Programmatik und Politik der CDU und ihr Verhältnis zu kommunitaristischen Konzepten

Als John Rawls seine „Theorie der Gerechtig• nen, die zum Teil sehr unterschiedlich, ja ge• keit" formuliert hatte und damit den aktuellen gensätzlich und in sehr unterschiedlichen Kon• Herausforderungen für die praktische Philoso• texten verwandt werden. Ihnen allen ist ge• phie eine weitere hinzufügte, griff er ein The• mein, daß Sie einem typisierenden Sammelbe• ma auf, das in den Vereinigten Staaten bereits griff unterstellt sind, nämlich dem des Kom• mit den Händen zu greifen war. Aber erst die munitarismus. Kritik seines Buches durch Michael Sandel im Jahr 1982 durch sein Buch „Liberalism and 1. Das zeitdiagnostische Potential the Limits of Justice", die elf Jahre nach der der kommunitaristischen Frage• Publikation von Rawls Buch veröffentlicht stellung wurde, brachte die Diskussion, über die wis• senschaftliche Ebene hinaus, recht in Gang. Am 8. März 1994 wurde in der Frankfurter Es schlossen sich Veröffentlichungen im ame• Allgemeinen Zeitung ein „Manifest amerika• rikanischen Bereich (Taylor, Maclntyre, Wal• nischer Kommunitarier über die Rechte und zer) an. Von den USA schwappte eine neue Verantwortung in der Gesellschaft" veröffent• geistige Strömung nach Europa über, die Kom• licht, das in meinen Augen ein Kernproblem munitarismus genannt wurde und die sich in der derzeitigen Debatte ungewollt auf den den unterschiedlichsten Kleidern präsentierte. Punkt bringt. Zu den Hauptautoren dieses Ma• nifestes gehört Amitai Etzioni, einer der Wort• Wenn wir heute über Kommunitarismus spre• führer der amerikanischen Kommunitaristen. chen, dann kommen sehr schnell Vokabeln ins In diesem Manifest wird von einer „starken Spiel, die zunächst sehr sympathisch erschei• Demokratie" gesprochen, ist viel von der oben nen und im konservativen Spektrum durch• erwähnten Vokabel „Verantwortung" und von weg positiv besetzt sind. Kaum einer wird et• „moralischen Werten" die Rede und wird am was gegen Gemeinsinn, gegen Verantwortung, Ende der „gute Staatsbürger" beschworen, der gegen Werte an sich einzuwenden haben. Be• seine „Selbstverantwortung" und seine „Ver• trachtet man die einzelnen Diskussionssträn• antwortung" für das bonum commune wahr• ge, so wird man aber schnell feststellen, daß nimmt. es sich bei dem Kommunitarismus um kein festumrissenes Theoriekonzept handelt, son• Dieser Text läßt jedoch zentrale Fragen offen: dern um unterschiedliche normative Positio• Was ist ein „guter Staatsbürger"? Ist das einer, FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 77

der regelmäßig zur Wahl geht oder gehört zu schuldungen oder die Probleme im sozialen dieser Beschreibung zwingend das soziale En• Bereich. Die Ursachen aber reichen tiefer. gagement dazu? Oder: Was ist eine „morali• sche Erziehung"? Erziehe ich meine Kinder Schauen wir einmal in unsere Gesellschaft hin• moralisch, wenn ich sie streng nach den Re• ein, so werden wir feststellen, daß die Frage geln der Katholischen oder Evangelischen Kir• nach der Zukunftsfähigkeit von sehr unter• che erziehe? Oder erziehe ich meine Kinder schiedlichen „Parteien" im weiteren Sinne des moralisch, wenn ich sie in keiner Kirche auf• Wortes gestellt wird: von den christlichen Kir• wachsen lasse, sondern sie so erziehe, daß sie chen, von den großen Verbänden, von Banken selbst später einmal entscheiden können, ob und Unternehmen, von privaten und öffentli• sie in eine Kirche eintreten wollen oder nicht? chen Institutionen, aber auch von Einzelperso• Welche Wertmaßstäbe sind gemeint, welche nen. Zusammengenommen kann man in dem Moral wird beschworen, welche Anthropolo• allgemeinen Nachdenken über unsere Zu• gie liegt ihr zugrunde? kunftsfähigkeit eine Suche nach neuen Zielen, man könnte auch sagen, nach dem Sinn unse• Diese Fragen deuten an, was in vielen Veröf• rer Gesellschaft erkennen. Sie mündet in die fentlichungen von sogenannten Kommunitari• Frage: „Wofür sind wir eigentlich gut?" sten deutlich wird: Der Kommunitarismus ist eine Strömung, die sehr breit interpretierbar Ich spreche an dieser Stelle bewußt nicht von ist, die politisch gesehen sowohl „Linke" als einer religiösen Sinnsuche. Ich meine damit auch „Rechte" begeistern kann. In den USA vielmehr jene Verunsicherung und Orientie• beispielsweise gibt es in der rechten Ecke der rungslosigkeit, die in besonderer Weise seit Republikaner nicht wenige politisch exponier• dem Zusammenbruch des „Reiches des Bö• te Repräsentanten, die den Kommunitarismus sen", wie Ronald Reagan einmal ironisch die dazu nutzen wollen, autoritärere Gesellschafts• Länder des Sozialismus genannt hat, bei uns und Staatsstrukturen einzuführen. Auch in zum Vorschein kommt. Es ist geradezu aufre• Deutschland wird viel über die „Rückbesin• gend zu sehen, daß mit dem Ende des Kalten nung auf traditionelle Werte" geredet - leider Krieges in nahezu allen Gesellschaften des oftmals ohne den Hinweis, auf welche histori• Westens plötzlich solche Sinnfragen gestellt sche Situation sich diese Rückbesinnung be• werden. Es mag auch daran liegen, daß mit ziehen soll. einem Mal die Demokratien des Westens nach dem Verlust ihres ideologischen Gegners auf Dennoch: Es scheint symptomatisch für unse• sich selbst verwiesen sind und ihr Ziel nun aus re Zeit zu sein, daß der Kommunitarismus in• sich selbst heraus finden und definieren müs• nerhalb relativ kurzer Zeit eine große Verbrei• sen. tung gefunden hat, und daß er in nahezu allen westlichen Gesellschaften rezipiert wird. Ich Die Frage nach dem Sinn wird jedoch nicht habe den Eindruck, daß die sogenannten west• ausschließlich mit dem Ende des Kalten Krie• lichen Gesellschaften an einem Punkt ihrer ges zu erklären sein. Wenn ich von Sinnkrise Entwicklung angelangt sind, wo sie sich ver• und Orientierungslosigkeit spreche, dann mei• stärkt die Frage ihrer Zukunftsfähigkeit stel• ne ich damit auch eine Entwicklung, die auf len. Dies hat sicherlich auch finanzielle Hin• subtile Weise schon seit Jahrzehnten im Gan• tergründe, insbesondere die hohen Staatsver• ge ist und die eine tiefgreifende innergesell• schaftliche Dimension hat. Ich meine die Be- 78 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

findlichkeit von Menschen, die bei vielen da• scheidungen zu treffen, die sie früher nicht durch gekennzeichnet ist, daß es ihnen materi• einmal innerhalb von zehn Jahren treffen muß• ell gesehen zwar gut geht, sie sich aber gleich• ten. zeitig mit einer Reihe grundlegender persönli• cher Krisen und Zukunftsängste konfrontiert Der Schreiber Sallust hat im Untergang des sehen, zum Beispiel dem Verlust von Sozial• Römischen Reiches diesen Vorgang einmal so kontakten oder den Folgen von Trennungen kommentiert: „Wenn das Glück zu rasen be• sowie einer allgemein neurotischen Mentali• ginnt". Der französische Architekt Paul Virilio tät, zum Beispiel der des „Keine-Zeit-Habens". spricht an dieser Stelle von der „Beschleuni• Diese Befindlichkeiten münden in einem dif• gung unserer Gesellschaft". Politisch denken fusen Gefühl in der Magengegend, einer der und handeln, so Virilio, heiße heute, die Tech• Geburtsstätten des Kommunitarismus. Meines nik der Beschleunigung und der Geschwin• Erachtens hat dieses Gefühl vor allem damit digkeit zu analysieren. Er plädiert gegen die zu tun, daß sich der Lebensstil unserer Gesell• rasende Geschwindigkeit technischer und ge• schaften in den vergangenen Jahrzehnten dra• sellschaftlicher Abläufe und Entwicklungen matisch gewandelt hat. Der Lebensstil ist heu• und für eine „demokratische Geschwindigkeit", te durch eine neue Vielfältigkeit geprägt, die in der zu einer „wirklichen Politik" zurückge• viele zu überfordern scheint. funden werden könne, die Zeit brauche (Paul Virilio, Der negative Horizont, München 1989). Bei vielen Menschen kann man beobachten, daß sie die Vorteile unserer Multi-Options-Ge- Zu diesem Themenkomplex, der Frage nach sellschaft, beispielsweise in bezug auf die freie dem Sinn des Ganzen - oder übersetzt: der Berufs- oder Partnerwahl, nicht für sich nut• Sinnhaftigkeit unseres Gesellschaftsvertrages zen können. Nicht von ungefähr kommt es zu -, gibt es eine schöne Geschichte von Tom der Diskrepanz, daß zwar weit über 80 Pro• Wolfe, dem amerikanischen Essayisten und No• zent der jungen Menschen Familie und Kinder vellisten. Er erzählt die Geschichte eines typi• wünschen, doch immer weniger den Weg in schen Geschäftsessens in Amerika, in diesem die Bindung einer Ehe oder einer festen Part• Falle gegeben vom Time-Magazine, das eine nerschaft finden. Tradition hat, von Zeit zu Zeit außerordentli• che Gäste einzuladen. Der Ehrengast ist der Freiheit - ein Stichwort, das mir persönlich im Abt eines japanischen Zentempels. Er ist ha• Kommunitarismus zu wenig reflektiert wird - ger und in schwarz gekleidet, also der unüber• wird heute von vielen Menschen nicht mehr sehbare Kontrast zu der eloquenten Üppigkeit als etwas verstanden, worüber man sich freut seiner Gastgeber. Am Ende des Essens nun oder worauf man stolz ist. Freiheit wird heute wendet sich der Herausgeber des Magazins an als gereizte Forderung an die Gesellschaft ver• den Zen-Abt und sagt: „Well, any questions standen. Dies kann man in Deutschland sehr you would like to ask us about our magazi- ne?" Darauf antwortet der Abt: „Yes, I have gut in den Neuen Bundesländern beobachten. one. Why do you published it?" Wie man sich Die Menschen dort sind in hohem Maße von vorstellen kann, sind die Gentlemen ein paar der Schnellebigkeit unseres Lebensstils verun• Minuten unter Schock, das Herausgeberteam sichert und oftmals von dem erdrückenden In- steckt seine Köpfe zusammen und berät sich formations- und Konsumangebot unserer Mul- einigermaßen konsterniert. Schließlich rafft ti-Options-Gesellschaft überfordert. Sie haben sich der Chefredakteur auf, sammelt sich, stot- mit einem Mal innerhalb kürzester Zeit Ent• FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 79

tert einige Wortfetzen, die in den Satz mün• 2. Das neue CDU-Grundsatz• den: „We do it for the good of the people." programm als politische Antwort Auf diese gleichermaßen gestotterte, unpro• auf kommunitaristische fessionelle wie gleichsam doch professionell Fragestellungen klingende Antwort sieht ihn der Abt eine Wei• le nachdenklich an und sagt schließlich: „Yes, Die CDU Deutschlands hat sich im Februar but good for what?" 1994 ihr erstes gesamtdeutsches Grundsatz• programm gegeben. Dem ging ein dreijähriger In meinen Augen ist der Kommunitarismus Diskussionsprozeß voraus. Ich selbst habe als ein Versuch, die Frage nach dem Sinn des Sekretär der Grundsatzprogramm-Kommissi• Ganzen indirekt zu beantworten. Er ist gleich• on viele Veranstaltungen miterlebt, in denen zeitig eine Reaktion auf unsere Befindlichkei• der Ruf nach Werten, nach neuen Verbindlich• ten als überreizte Wohlstandsmenschen und auf keiten, nach Tugenden nur allzu laut wurde. den Zustand der sogenannten „öffentlichen Und ich habe dabei festgestellt, daß die soge• Ordnung". Er ist damit gleichsam eine Reakti• nannte Wertedebatte ein beliebter Topos weit on auf den Individualismus und eine offene über die Grenzen der Union hinaus ist. In ge• Infragestellung des „American dream". Denn wisser Weise ist dies eine gewisse Rezeption der Kern des „Amerikan dream" sagt, daß je• des Kommunitarismus in Deutschland, man der von uns es schaffen kann, reich und ange• kann es aber auch anders herum deuten: Es ist sehen zu werden. Das Problem dabei ist nur, der Ausdruck einer gesellschaftlichen Krise, daß immer deutlicher die Verlierer des „Ame• die sich auch im wiedervereinigten Deutsch• rican dream" hervortreten. Übertragen könnte land artikuliert und in die Frage mündet: „Auf man sagen: Der „American dream" ist nach welches Ziel hin leben wir, was hält uns zu• außen betrachtet ein wunderbarer Vertrag, bei sammen?", kurz: „Wofür sind wir gut?" dem es keine Verlierer geben kann. Allerdings gibt es auch bei diesem so schön klingenden Die Tatsache, daß der Ruf nach mehr Gemein• Vertrag das sogenannte Kleingedruckte. Na• sinn oder einer größeren Verantwortung für türlich ist richtig, jeder kann reich und angese• die Gesellschaft in allen westlichen Industrie• hen werden. Das Kleingedruckte aber lautet: gesellschaften immer lauter wird, ist meines Er muß stark, gut gebildet, materiell abgesi• Erachtens der stärkste Beleg dafür, daß allen chert, nicht behindert, möglichst weder schwarz westlichen Gesellschaften bestimmte Entwick• noch homosexuell sein. lungen immanent sind: Die offene Gesellschaft ist keine wertfreie Gesellschaft Aber sie ist Die Kommunitaristen gehen über die Einzel• eine Gesellschaft, in der es keinen Status quo person jedoch noch einen Schritt hinaus und an Werten gibt. Sie ist durch einen ständigen stellen die Frage nach der Überlebensfähigkeit Werteffuß gekennzeichnet. einer offenen Gesellschaft als Ganzes. Ihre The• se ist plausibel: Eine offene Gesellschaft kann Im Grundsatzprogramm der CDU haben sich nur so lange überleben, wie sie auch eine soli• diese Überlegungen wie folgt niedergeschla• darische Gesellschaft ist. Eine solidarische Ge• gen: Als Reflektion und Reaktion auf einen sellschaft lebt nicht allein von der Leistungs• einseitig verstandenen Individualismus haben fähigkeit des einzelnen, sondern ebenso vom wir die Beziehung der Grundwerte Freiheit, Verantwortungsbewußtsein des einzelnen ge• Solidarität und Gerechtigkeit untereinander neu genüber den anderen. bewertet. Nicht von ungefähr kommt, daß der 180 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Titel des Programmes „Freiheit in Verantwor• rität, nach dem Staat und Gemeinden auf die tung" lautet. Der Grundwert der Freiheit wur• Übernahme von Aufgaben verzichten, die von de, im Unterschied zum 78er Programm der den einzelnen Bürgern oder jeweils kleineren CDU, weiter interpretiert. Hierzu heißt es im Gemeinschaften erfüllt werden können. Um• Programm, in Ziffer 14: „Der Mensch entfal• gekehrt verlangt dieses Prinzip der Subsidiari• tet sich in der Gemeinschaft. Freiheit verwirk• tät natürlich auch, daß die größeren Gemein• licht sich durch Selbstverantwortung und Mit• schaften, zuletzt auch die staatliche Ebene, tä• verantwortung. Jeder Bürger soll... Freiheit in tig werden müssen, wenn gesellschaftspoliti• Familie, Nachbarschaft, Arbeitswelt und Frei• sche Entwicklungen die Leistungskraft des ein• zeit sowie in Gemeinde und Staat erfahren zelnen oder kleinerer Gemeinschaften über• und verwirklichen können. Die Verwirklichung fordern. der Freiheit des einzelnen ist ohne die Über• nahme von Verantwortung für sich und die In bezug auf die Solidarität haben wir gemäß Gemeinschaft ethisch nicht möglich. Wir wen• unserer Anthropologie formuliert, daß sie ein den uns gegen einen falsch verstandenen Indi• Ausdruck der sozialen Natur des Menschen ist vidualismus auf Kosten anderer. Wir wollen und dem Gebot der Nächstenliebe folgt. Ihren den Sinn für Verantwortung und Gemeinwohl, ethischen Maßstab gewinnt die Solidarität aus für Pflichten und Bürgertugenden stärken." der Würde des Menschen. Im Programm heißt es hierzu: „Das Ziel, ein menschenwürdiges Dieser Ziffer vorangestellt ist ein Absatz, der Leben für alle zu ermöglichen, verpflichtet uns die freie Entfaltung der Person als Recht jedes zu solidarischem Handeln. Solidarität muß des• einzelnen konstatiert. Hierzu heißt es: „Als halb vor allem den Menschen gelten, die ihre sittliches Wesen kann der Mensch vernünftig Rechte nicht selbst vertreten können." Neu für und verantwortlich entscheiden und handeln. den Grundwert der Solidarität ist folgende Pas• Es ist Aufgabe der Politik, den Menschen den sage, die in Anlehnung an Oswald von Nell- notwendigen Freiheitsraum zu sichern." Breuning formuliert ist: „Solidarität ist ohne Opfer nicht denkbar. Wer Hilfe und Solidarität In bezug auf das Verhältnis zwischen Einzel• von anderen erwartet, muß selbst bereit sein, person und Gemeinschaft bzw. Gesellschaft anderen zu helfen. Wer sich davon ausschließt heißt es im Grundsatzprogramm: „Der freien und nur für seinen persönlichen Vorteil wirt• Entfaltung der Person entspricht unsere plura• schaftet und lebt, entzieht der Gemeinschaft le Gesellschaft. Sie ist Ausdruck der Vielfalt die Grandlage für den sozialen Frieden." der Meinungen, Bedürfnisse und Interessen der Bürger und damit Grundlage unserer freiheit• Auch die Grundformulierang des Wertes der lichen Demokratie. Nur eine freiheitliche, so• Gerechtigkeit wird von dieser Anthropologie lidarische und gerechte Gesellschaft und ein abgeleitet. Hier heißt es im Programm: „Grund• nach diesen Grundwerten handelnder Staat lage der Gerechtigkeit ist die Gleichheit aller werden der Würde des Menschen gerecht." Menschen in ihrer von Gott gegebenen Würde und Freiheit. Gerechtigkeit bedeutet gleiches Aus beiden Zitaten wird deutlich, daß für die Recht für alle. Recht schützt vor Willkür und CDU die Verwirklichung der Freiheit einer ei• Machtmißbrauch. Es sichert Freiheit auch für genverantwortlichen Lebensgestaltung bedarf. den Schwächeren und schützt ihn." In Ziffer Aus ihr ergibt sich für die Ordnung des gesell• 29 beschreiben wir soziale Gerechtigkeit und schaftlichen Lebens das Prinzip der Subsidia• deren politische Relevanz: „Gerechtigkeit FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8. HEFT 3, 1995 81

schließt die Übernahme von Pflichten entspre• werden. Dazu gehört, daß im gesamten Be• chend der Leistungsfähigkeit des einzelnen reich der Sozialpolitik stärkere Eigenvorsorge, zum Wohle des Ganzen ein. Soziale Gerech• Eigenverantwortung und Selbstbeteiligung ver• tigkeit verlangt, vor allem denjenigen Men• wirklicht werden müssen. schen zu helfen, die nur unzureichend zur Selbsthilfe fähig sind und allein ihre Belange Eigene Leistungen oder durch Aufopferung für nicht wirkungsvoll vertreten und durchsetzen die Gemeinschaft erworbene Rechtsansprüche können. Für uns gilt, niemanden fallen zu las• verdienen besonderen Schutz. Wie in allen Be• sen und jedem in unserer Gesellschaft men• reichen der Politik, muß aber auch in der Sozi• schenwürdige Lebensverhältnisse zu sichern." alpolitik die Frage nach den Prioritäten neu gestellt werden. Wer neuen Aufgaben, wie zum 3. Grundkonsens und Kompromiß- Beispiel der häuslichen Pflege, nachkommen bereitschaft als Voraussetzungen will, muß Altleistungen auf den Prüfstein stel• für die Gestaltung von Staat und len. Um neue Aufgaben erfüllen und die Fol• Gesellschaft gen der demographischen Entwicklung bewäl• tigen zu können, brauchen wir also einen neu• In den vergangenen Jahren ist viel vom „Um• en finanziellen Handlungsspielraum, den wir bau des Sozialstaates" die Rede gewesen. Aus nicht durch Beitrags- oder Steuererhöhungen, Sicht der CDU muß das bisherige Sozialsy• sondern nur durch Umschichtungen innerhalb stem umstrukturiert werden. Dies aus zwei des Systems gewinnen können. In diesem Sin• Gründen: Zum einen, weil aufgrund der finan• ne ist nicht der Ausbau, sondern der Umbau ziellen und demographischen Entwicklungen des Sozialstaates eine vordringliche Aufgabe. die Sozialleistungen in der jetzigen Form und auch in ihrem Umfang in Zukunft nicht mehr Im Bereich des Gesundheitswesens und der finanzierbar sind; zum anderen, weil sich die Sozialleistungen wird bereits über Modelle staatlichen Sozialleistungen nicht mehr aus• nachgedacht, die in diese Richtung gehen könn• schließlich auf die wirklich Hilfsbedürftigen ten. Aus meiner persönlichen Sicht müßten konzentrieren. angesichts der demographischen Entwicklung auch im Hinblick auf unser Rentensystem neue Deshalb vertritt die CDU die Auffassung, daß Wege beschritten werden, wenn unser heuti• eine zukunftsorientierte Sozialpolitik vorbeu• ges System nicht zu Lasten unserer Kinder gen muß, will sie Wirtschaftlichkeit und Hu• und Kindeskinder gehen soll. Die aktuelle Dis• manität miteinander verbinden. Unserer Mei• kussion über diese Pläne zeigt, daß in bezug nung nach sind in den vergangenen Jahrzehn• auf das Ziel, nämlich den Sozialstaat effizien• ten der Gemeinschaft viele Leistungen aufge• ter und gleichzeitig zukunftsfähig zu gestal• bürdet worden, die der einzelne heute selbst ten, ein breiter Konsens besteht. Über die kon• erbringen kann (z.B. Medikamente, Kuren etc). krete Ausgestaltung aber könnte der politische Weil aber staatliche Sozialleistangen wieder und auch gesellschaftliche Dissens in man• auf die wirklich Hilfsbedürftigen in unserer chen Bereichen kaum größer sein. An dieser Gesellschaft konzentriert werden müssen, sol• Stelle komme ich zu meinem eingangs erho• len soziale Leistungen, die nicht durch eigene benen Zweifel in bezug auf die Durchsetzungs• Beiträge, sondern aus Steuermitteln finanziert kraft kommunitaristischer Konzepte und Be• werden, künftig grundsätzlich nur noch ein- griffe. Diese entscheidet sich nämlich letzt• kommens- und vermögensabhängig gewährt endlich daran, ob wir bereit sind, Begriffe wie 82 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Verantwortung oder Gerneinsinn zu konkreti• schaft den meisten so geht, wie dem Zugreis• sieren und sie konsensfähig zu machen. enden in folgender Geschichte: Er sitzt einer älteren Dame in einem Zugabteil gegenüber. Begriffe wie Gemeinsinn oder Verantwortung Jedesmal, wenn der Zug einen Bahnhof durch• werden hohl, wenn es keinen Grundkonsens fährt und man das jeweilige Ortsschild erken• über deren Inhalte und unabdingbare Konse• nen kann, schüttelt der Herr resignierend den quenzen mehr gibt. Wenn es aber keinen Kopf. Nach einer Weile fragt ihn die Dame: Grundkonsens über bestimmte zentrale Begriff• „Warum schütteln Sie denn jedes Mal den lichkeiten unserer Gesellschaft mehr gibt, dann Kopf, wenn wir an einem neuen Ortsschild werden wir über kurz oder lang die Fähigkeit vorbeikommen?" Darauf antwortet der Herr: zum Kompromiß verlieren. Alle diese Begrif• „Weil ich festgestellt habe, daß ich im fal• fe, die auf das große Ziel einer gerechteren schen Zug sitze!" Die Dame schaut ihn eine Gesellschaft gerichtet sind, setzen eine innere Weile lang skeptisch an, dann fragt sie: „War• Haltung als Grundbedingung voraus: nämlich um steigen Sie dann nicht aus dem Zug aus?" die Bereitschaft, zu teilen. Gerade hier aber „Das will ich ja", entgegnet ihr der Herr, „aber scheint eines der Hauptprobleme in unserer jedes Mal, wenn ich an der Türe bin, kehre ich Wohlstandsgesellschaft zu liegen. Wie oft um, weil es doch hier so schön warm und schon ist „Verantwortung" eingeklagt worden, gemütlich ist." wie oft schon wurde von „Umstrukturierung" und dem „Abbau von Besitzständen" gespro• chen? Die Antwort war allzu oft die Unfähigkeit Thomas M. Gauly ist Mitarbeiter der CDU- zu Korrektur und die Verweigerung von Reform. Bundesgeschäftsstelle; er war Sekretär der Gmndsatzprogramm-Kornmission für das 1994 Ich hatte in den vergangenen Monaten mehr• verabschiedete erste gesamtdeutsche Grund• fach das Gefühl, daß es in unserer Gesell• satzprogramm der CDU Deutschlands. FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3. 1995 83

Winfried Kretschmann Die Grünen und der Kommunitarismus

Sind die Grünen von ihrer Weltanschauung, für die Idee des Gemeinsinns. Die Forderung ihren Wurzeln und ihrer Mitgliederstruktur her nach Gemeinsinn und Gerechtigkeit als eine für koramunitaristisches Gedankengut offen, traditionell soziale Fragestellung hat hier von sind sie kommunitaristisch? einer neuen Seite - der Frage des Umgangs mit unseren Mitgeschöpfen und unseren na• 1. Vorbemerkung türlichen Lebensgrundlagen - einen neuen, starken Impuls erhalten. Die Haltung von Bündnis 90/Die Grünen zum Kommunitarismus ist nicht darstellbar. Mir 3. Bürgerinitiativen: ein kommunitä- wäre nicht bekannt, daß sich meine Partei ge• rer Gründungsmythos der Grünen legentlich oder gar systematisch mit dem Kom• munitarismus beschäftigt hat. Der erste Punkt Dieser Impuls bezieht sich allerdings erst ein• des Problems ist damit benannt: Ebenso wie mal auf die Menschheit, die bekanntlich auf die anderen Parteien führen auch die Grünen dieser allgemeinen Ebene keineswegs ein Ge• keine gesellschaftlichen Grundsatzdebatten meinwesen darstellt (von Vorformen, wie der mehr. Überlegungen, wie die großen Proble• UNO und anderen internationalen Organisa• me und Krisen der modernen Gesellschaft an• tionen abgesehen). gegangen oder gar gelöst werden können - Überlegungen, die außerhalb des klassischen Folgerichtig entstand die Ökologiebewegung politischen Sektors in Hülle und Fülle gemacht aus der Gründerlosung heraus: „Global den• werden -, dringen kaum mehr in die Parteien, ken - lokal handeln". Für ihre lokal und regio• jedenfalls nicht in deren Machtzentren ein, da• nal agierenden, hauptsächlich ökologisch ori• mit auch nicht in Parlamente und Regierun• entierten Protestgruppen wurde das Wort „Bür• gen. Reformen bedeuten heute in der Politik gerinitiativen" erfunden, ein wahrlich sehr mehr oder weniger vom Status quo, also mehr kommunitaristischer Begriff, der mit zum oder weniger vom Gleichen, vom schon Vor• Gründungsmythos der Grünen gehört. handenen.

4. Ein zweiter Gründungsmythos: 2. Ökologie und Gemeinsinn Small is beautiful

Andererseits stehen die Grünen mit ihrem Damit einher geht eine zweite Gründerparole, Grundanliegen, das ökologische Wirkungsge- die ebenfalls fester Bestandteil unseres Grün• füge der Natur und seinen Schutz zu einem dungsmythos ist: E. F. Schuhmachers „small Anliegen der Politik zu machen, ganz originär 84 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

is beautiful". Also auch ideologisch eine durch• rechtigkeit orientiert, während der baden-würt• aus kommunitaristische Wurzel der Grünen. tembergische Landesverband eher staatsabge• neigt und auf dezentrale und kommunale, also 5. Schattenseiten der Moralisierung subsidiäre Umbaustrategien ausgerichtet ist. der Politik 7. Starke kommunale Orientierung Auch die ganze wachstumsfeindliche und an- tikonsumistische Grundhaltung dieser Grün• Die meisten Grünen sind - über alle Strömun• derphase und das damit einhergehende „Sein- gen hinweg - leidenschaftliche Kommunalpo• statt-haben-Ethos" hat einen sehr moralischen litiker. Allein in Baden-Württemberg stellen Grundzug in die Politik der Grünen getragen. sie ca. 1500 Kommunalpolitiker (bei 6000 Par• Dieser moralisierende Grundzug begegnet uns teimitgliedern!). Allerdings sind nicht alle von ja auch bei den meisten Kommunitaristen ihnen auch Mitglieder der Partei. Die Aufstel• (ebenso auch bei vielen Gründervätern der lung kommunalpolitischer Listen gleicht hier Marktwirtschaft in Deutschland). eher offenen Bürgerforen. Ganz im Gegensatz zur FDP sind die Grünen eine außerordentlich Noch heute gleichen Kandidatenbefragungen stark kommunal orientierte und verankerte Par• auf grünen Parteitagen eher einem Abfragen tei, eine Dame mit kräftigem Unterleib. „grüner" Glaubensbekenntnisse denn einer Be• fragung über politische Strategien. Daß diese 8. Die Grünen als Adressaten eines beachtliche moralische Grundhaltung auch in liberalen Kommunitarismus Fundamentalismus und Gesinnungsterror aus• geartet ist, dürfte bekannt sein. Somit haben Mitglieder und Wählerschaft der Grünen sind die Grünen auch schon ein Stück praktische ganz überwiegend die akademisch gebildeten Kritik an einem Gemeinwohlgedanken gelie• neuen Mittelschichten (besonders auch Frau• fert, der individuelle Freiheit diesem Gedan• en), die meist emanzipatorisch und sozial den• ken rigoros unterordnet, und komme er auch ken und einen modernen, individualistisch ge• im Gewände der Rettung der Welt daher. prägten Lebensstil pflegen - bei gleichzeitig hohem gesellschaftlichen Engagement. Sie sind 6. Zwischen graswurzel- also weltanschaulich, von ihrem Status und demokratischen Ursprüngen und ihren politischen Grundauffassungen wie von Traditionssozialismus ihrem moralischen Impetus her durchaus die Adressaten eines liberalen Kommunitarismus. Durch den sehr frühen Einmarsch traditions• sozialistisch orientierter Linker in die Grünen 9. Kommunitaristische Ansätze bei und ihre Dominanz über fast zehn Jahre wur• den Grünen den diese graswurzeldemokratischen Ursprün• ge stark mit klassisch linkssozialdemokrati• Sind kommunitaristische Konzepte nur Notlö• schen, etatistischen politischen Vorstellungen sungen für eine zeitweilige Krise des Sozial• überformt. Allerdings immer gebrochen durch staats ? Politik reagiert überhaupt nur auf ge• die Gründungsmythen, ökologisch eingefärbt sellschaftliche Krisen. Das ist schließlich ihre und regional uneinheitlich. So ist z.B. der Lan• Aufgabe. Und im Kern hat Politik nie eine desverband NRW eher linkssozialdemokratisch andere Aufgabe, als Freiheit und Gerechtig- auf klassisch sozialstaatlichs Verteilungsge• FORSCHUNGS JOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 85

keit im Gemeinwesen zu sichern und herzu• mehr Möglichkeiten, Zuständigkeiten und stellen. Rechte für die kommunale Selbstverwaltung und natürlich der dazu notwendige Finanzrah• Ich bin überhaupt nicht der Ansicht, daß die men, also eine stärkere Dezentralisierung der Krise des Sozialstaats - sehr umfassend ge• Steuern bei gleichzeitiger Verringerung der meint - eine temporäre Angelegenheit ist. Für Subventionen der Gemeindeaufgaben. temporär halte ich den unglaublichen materi• ellen Wohlstand in den westlichen Industrie• - Mehr demokratische Bürgerbeteiligung staaten. Er ist schon aus ökologischen Grün• den nicht verallgemeinerbar und nachhaltig Eine gemischte Verfassung, bei der bei Beibe• auch nicht haltbar. Allein eine Internalisierung haltung der repräsentativen Grundstruktur mehr aller externen ökologischen Kosten würde un• direkte Demokratie, Bürgerbegehren und Bür• ser Alltagsleben ungemein verteuern, z.B. 5- gerentscheide und eine Brechung des Partei• DM pro Liter Benzin.Trotz riesiger Altschul• enmonopols auf die Politik erreicht wird. den und ungebrochener Neuverschuldung ha• ben wir eine nie dagewesene Höhe von Steu• - Mehr Eigenverantwortlichkeit der Wirtschaft ern und Abgaben. Allerdings nicht durch Appelle, sondern durch - Kommunitarismus und Sozialstaat? eine Steuerreform, die soziales, kulturelles und ökologisches Wirtschaften fördert. Bei einer Wir leben in Deutschland im Gegensatz zu Globalisierung der Märkte müssen solche Vor• den USA in einer festen Tradition des Sozial• haben auf große Wirtschaftsräume abzielen. staats. Diese Tradition betrachte ich als außer• Gemeinwohlorientierung muß zuallererst das ordentlich wertvoll. Sie hat unsere Gesellschaft ökonomistische Denken und die „Tyrannei der im Gegensatz zur amerikanischen bisher da• Ökonomie" in allen Lebensbereichen brechen! vor bewahrt, daß wir in relevantem Ausmaß sozial ausgegrenzte Minderheiten haben. - Mehr Gemeinsinn durch eine Remoralisie• ning der Politik ? Also: Den Sozialstaat umbauen, nicht abbau• en! Was heißt das? Er muß wieder zielgenauer Ja, wenn damit drei Fragen wieder von Politi• denen helfen, die diese Hilfe brauchen, also kern beherzigt werden: Was kann ich bewir• z.B. Menschen mit Kindern, nicht kinderlosen ken? (was sind überhaupt die Möglichkeiten Ehepaaren, wie es derzeit beim Ehegattensplit• von Politik?) Wofür bin ich zuständig? Was ting oft der Fall ist. Er muß weniger bürokra• darf ich versprechen (d.h. überhaupt etwas ver• tisch sein und mehr Eigeninitiative fördern, sprechen, aber nur, wenn man es auch halten daher die Forderung nach einem Grundein• kann)? kommen. Winfried Kretschmann ist als Mitglied des ba• - Sozialstaat versus Privatisierung? den-württembergischen Landesverbandes der Grünen an den Grundsatzdebatten der Partei Nein. Tertium datur: Mehr Subsidiarität, mehr beteiligt. Föderalismus, mehr Gemeindefreiheit, also |86 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Hans Vorländer

Die Haltung der FDP zum Kommunitarismus

Die FDP hat keine Haltung zum Kommunita• kommunitaristischen Diskurs „anschlußfähig" rismus. Sie hat bisher auch keine Stellung ge• sind. Umgekehrt kann ebenfalls plausibel be• nommen. Seit ihrem elektoralen Einbruch bei gründet werden, daß die FDP im Dialog zwi• Landtagswahlen in den letzten beiden Jahren schen Liberalismus und Kommunitarismus die hat die Sicherung ihrer Existenz im Vorder• Seite des Liberalismus besetzt hält und eine grund tagespolitischer Aktivitäten gestanden, kommunitaristische Reformulierung ihrer li• programmatische Fragen hatten sich dem Über• beralen Programmlage tunlichst unterlassen lebensimperativ unterzuordnen. sollte. Die Unterschiede liegen, wie immer, im Detail, besonders aber in den theoretischen Generell ist aber auch die programmatische Begründungszusammenhängen und - last but Arbeit vor und nach der Herstellung der deut• not least - in den politischen Opportunitäten. schen Einheit zum Erliegen gekommen, weil das Vorhaben der Konstituierung einer Per- Dabei läßt sich die Programmlage der FDP, spektiv- oder Grundlagenkommission über das wie sie sich seit dem „Liberalen Manifest" aus Stadium der Planung kaum hinausgekommen dem Jahre 1985 entwickelt hat und in den ist. So kann es nicht verwundern, daß eine Bundestagswahlprogrammen von 1990 und Auseinandersetzung mit kommunitaristischen 1994 sowie im Europawahlprogramm von 1994 Ideen oder der politischen Plattform der Kom• dokumentiert ist, folgendermaßen skizzieren: munitaristen nicht stattgefunden hat. Dies gilt Im Vordergrund steht eine wirtschaftsliberale auch für das Um- und Vorfeld der Partei. We• Emphase. Die FDP versucht sich als „Partei der war der Kommunitarismus explizites The• der marktwirtschaftlichen Erneuerung" zu pro• ma der der FDP nahestehenden Friedrich-Nau• filieren. Erneuerung wird dabei doppelt ver• mann-Stiftung noch findet sich etwa eine Pu• standen: einmal im Sinne einer Transformati• blikation zum oder über den Kommunitaris• on des Staats- und planwirtschaftlichen Systems mus in der Theoriezeitschrift „liberal". der DDR, zum anderen als Innovationsstrate• gie für die Industriegesellschaft der alten, west• lichen Bundesrepublik, die als verkrustet, vor Der Bericht über die „Haltung der FDP zum allem aber vom wohlfahrtsstaatlichen Büro• Kommunitarismus" ist also kurz und könnte kratismus überformt dargestellt wird. Die FDP hier enden. Gleichwohl kann mit guten Grün• versucht die Abkehr von einem etatistischen den argumentiert werden, daß die Programm• Politikmodell zu propagieren, die in der Zu- lage der FDP „Module" enthält, die für den FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 87

rückdrängung staatlicher Aktivitäten die Chan• Abkehr vom Etatismus, Stärkung von Subsi• ce für die Freisetzung individueller, marktwirt• diarität und Eigenverantwortung, von Selbst• schaftlicher und subsidiärer Kräfte sieht. Das verwaltung und Selbstorganisation, da sind die Bundestagswahlprogramm von 1994 spricht Begründungszusammenhänge doch deutlich hier vom „schlanken Staat" und fordert Dere• verschieden. gulierung und Bürokratieabbau. Als Leitsatz gilt, so das Europawahlprogramm von 1994: Das war, so könnte argumentiert werden, bei „Was durch Eigenverantwortung der Bürger der FDP nicht immer so. In der zweiten Hälfte oder Selbstverwaltung der Wirtschaft selber der sechziger Jahre und in den siebziger Jah• geregelt werden kann, bedarf keiner Interven• ren, als die FDP sich selbst als Reformpartei tion des Staates". Hier finden die klassisch- verstand, besaßen ihre Programme einen star• liberalen Grundsätze von gesellschaftlicher ken bürgerschaftlichen Akzent. Der Bürger, wie Autonomie und politischem Minimalismus ih• ihn die FDP verstand, war nicht nur Wirt• ren zeitgenössischen Ausdruck. schaftsbürger, sondern auch Citoyen. Die Meh• rung von Freiheitsräumen und die Stärkung Die FDP bleibt aber hier stehen. Marktwirt• der Partizipationspotentiale gehörten zum fe• schaftliche Erneuerung bedeutet die Entfesse• sten Programmkanon, die Forderung nach di• lung der Wettbewerbs- und Selbstheilungskräf• rekten demokratischen Beteiligungsformen, te des Marktes. Eigeninitiative, Leistung und nach einer Reform des Wahlrechts, die dem wirtschaftliches Wachstum sind die Zielgrö• Bürger die Auswahlmöglichkeiten des Pana• ßen. Ein Stück des Weges würde der Kommu• schierens und Kumulierens gab sowie - last nitarismus hier mitziehen. Auch er kritisiert but not least - die Stärkung der Mitsprache den wohlfahrtsbürokratischen Etatismus, sieht und Mitbestimmungsmöglichkeiten in Betrie• hierin aber zuallererst die Gefahr einer büro• ben und Unternehmen - getreu dem Naumann- kratischen Entmündigung des Staatsbürgers schen Ideal der Umwandlung des Industrieun• und die Tendenz der Substituierung solidari• tertanen in den Industriebürger - waren feste scher Leistungen in Primärgemeinschaften Bestandteile. Alle diese Programmpunkte stan• durch anonyme Wohlfahrtsbürokratien. Hinter den in der gesamtliberalen Perspektive einer dieser Argumentation der Kommunitaristen Gesellschaft freier und gleicher Bürger. Sie steht ein partizipatorisches und emanzipatori- entstammten dem reformerischen Umfeld der sches Ideal. Es geht, wie bei vielen anderen sechziger und beginnenden siebziger Jahre und Punkten, um die Freisetzung von staatsbürger• traten mit dem Ende der Reformeuphorie in schaftlichem Engagement und individueller der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, voll• Verantwortung. Im Fadenkreuz kommunitari• ends dann mit der koalitionspolitischen Wen• stischer Kritik hingegen steht der egoistische, de von der SPD zu den Unionsparteien 1982, allein seine ökonomischen Interessen verfol• mehr und mehr auch wieder in den Hinter• gende Wirtschaftsbürger. Dieses Zielbild aber grund. Daß dies auch und besonders für das scheint exakt in manchen Passagen hinter den umweltpolitische Thema galt, das die FDP zu• programmatischen Forderungen der FDP zu erst „entdeckt" und bereits 1971 in den Frei• stecken. Das mag auch nicht verwundern, ist burger Thesen in einem eigenen Kapitel auf• doch der mittelständische und freiberufliche genommen hatte, interessiert in diesem Zu• (Wirtschafts-)Bürger der wesentliche Adressat sammenhang nur am Rande, zeigt aber, daß der FDP-Politik. Wo Kommunitaristen und die FDP für eine gewisse Zeit eine program• FDP-Liberale das gleiche fordern, nämlich matische Avantgardeposition eingenommen 88 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

hatte, die sie in der Folge schnell wieder auf• Reformulierungsbemühungen durchaus auch gab - aufgrund der Handlungszwänge, die der Wege aufgezeigt, auf nichtstaatlichem Wege, Überlebensimperativ bot, vielleicht auch auf• durch die Stärkung von Assoziationen und Ge• geben mußte. meinschaften, die gesellschafüichen Selbsthei• lungskräfte zu unterstützen und gleichzeitig Die achtziger Jahre stehen, soweit sie program• Freiheit und soziales Verantwortungsgefühl zu matisch dokumentiert sind, eindeutig im Zei• stärken. Nur rudimentär finden sich in den chen eines erneuerten Wirtschaftsliberalismus. Programmen der achtziger und neunziger Jah• Das „Umdenken" in der Wirtschafts- und So• re Erinnerungsposten an diese sozial-liberale zialpolitik hatte bekanntlich ja auch zur Auflö• Programmtradition. Ihr aber wären konzeptio• sung der sozial-liberalen Koalition im Jahre nelle Ausgangspunkte zu entnehmen, die den 1982 geführt. Doch was der FDP nicht mehr vielbeschworenen und häufig angekündigten gelang, das war die Einbettung der wirtschafts• „Umbau des Sozialstaates" in eine vernünftige liberalen Emphase in ein gesamtliberales Kon• und ausgewogene Perspektive setzen könnten, zept. Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik ohne in vordergründiger Klientelpolitik zu ver• bedeutete gesellschaftspolitisch die Strategie harren. Die Diskussion um das „Bürgergeld" der Mehrung von individuellen Optionen, wo• oder eine „negative Einkommenssteuer", wie sie sich als Forderung im Bundestagswahlpro• mit aber das Problem der sozialen Ligaturen, gramm 1994 finden, wären dann als Instru• wie Ralf Dahrendorf warnend anmerkte, un• mente zu werten, die einen bürgergesellschaft• terschätzt wurde. Wo Leistung, Wettbewerb und lichen Ausweg aus dem wohlfahrtsbürokrati• individuelles Wohlergehen ganz obenauf stan• schen Etatismus aufzeigen. den, wo es um die Reprivatisierung und Rein- dividualisierung von sozialen und politischen Risiken ging, da schimmerte der bourgeoise Noch ist die FDP also nicht für den Kommu• Atomismus einer libertären Eigentümergesell• nitarismus verloren. Ihre eigene Programmtra• schaft durch, der dem Zerrbild eines auf den dition böte Ansatzpunkte, das kommunitaristi• Besitzindividualismus restringierten Liberalis• sche Anliegen - dort, wo es Sinn macht - mus alle Ehre machte, aber die verantwortli• aufzunehmen, um gegenwärtige Schieflagen che Bürgergesellschaft aus den Augen verlor. zu korrigieren.

Die thematische Wende ging einher mit der Hans Vorländer ist Professor für Politikwis• Abstreifung der sozial-liberalen Programmtra• senschaft an der TU Dresden. In zahlreichen dition, die ihrerseits eine Reaktion auf den Publikationen hat er sich mit Fragen des Libe• verkürzten Individual- und Wirtschaftslibera• ralismus und Problemen der FDP kritisch aus• lismus des 19. Jahrhunderts gewesen war. Hier einandergesetzt. hatte aber der Liberalismus begonnen, soziale Existenzsicherung, moderate Umverteilung durch eine progressive Einkommenssteuer, staatliche Rahmengestaltung und gemischte Ökonomie als Mittel der Mehrung von indivi• dueller Freiheit und als Instrumentarium zur Wahrung der sozialen Kohäsion zu fordern und politisch auch einzusetzen. Und dabei hatten vor allem die englischen und amerikanischen FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 89|

Gerd Mielke

Leitgedanken des Kommunitarismus und Zwänge der politischen Praxis

1. Zur Krise des Staatsinterven• neue unterstützungsbedürftige Gruppen umzu- tionismus als Hintergrund der justieren. Der Einfluß der für die traditionel• Kommunitarismusdebatte len Empfängerklientele eintretenden Verbän• de, das Bemühen, keine Verteilungskonflikte Das Aufkommen kommunitaristischer Ideen aufkommen zu lassen, sowie die Furcht vor und Projekte und ihr Vordringen im europäi• politischem Liebesentzug starker Wählergrap• schen Kontext fallen zeitlich zusammen mit pen haben bislang diese dringend gebotene einer Krise der für die europäischen Staaten, Korrektur verhindert. insbesondere auch für Deutschland, klassischen Vorstellungen einer staatsinterventionistischen Zum andern ist die staatsinterventionistische Theorie und Praxis, die sich beide der Beför• Tradition durch einige Wesenszüge des gesell• derung sozial befriedeter und demokratisch le• schaftlichen Wandels in den modernen Indu• gitimierter Gesellschaften verschrieben haben. strienationen in die Krise geraten. Eine deut• lich angestiegene Pluralisierung und Fragmen• Die Krise dieser staatsinterventionistischen Tra• tierung von Lebens- und Soziallagen und eine dition geht zumindest auf drei Ursachen zu• fast ebenso schnell angewachsene Mobilität rück. Zum einen und ganz vordergründig hat und Dynamik auch der Risikolagen hat zur der Ausbau des Wohlfahrts- und Daseinsfür• Folge, daß die schweren Geschütze des klassi• sorgestaats die öffentlichen Haushalte an den schen Staatsinterventionismus sich oftmals Rand des Ruins gebracht. In der Bundesrepu• schwer tun, die vielen neuen, kleinen und be• blik haben die Folgen der Vereinigung diesen weglichen Ziele staatlicher Hilfe ins Visier zu Vorgang noch einmal dramatisch beschleunigt. bekommen. Erschwerend tritt hinzu, daß Mo• Im wesentlichen liegt die Schuld für die Ero• bilität und Pluralisierung auch eine kontinu• sion der budgetären Grundlagen des Staatsin- ierliche und zielstrebige Interessenvertretung terventionismus in der Unwilligkeit und Unfä• der neuen Bedürftigen beeinträchtigen und auf higkeit der jeweiligen politischen Klassen, die diese Weise die beherrschende Position der Instrumente und Leistungen der Staatstätig• „Platzhirsche" im Verbandswesen kräftigen. keit von den im Laufe der Jahrzehnte aus ei• nem Zustand der Bedürftigkeit herausgewach• Hinzu kommt drittens, daß sich während der senen traditionellen Empfängergrappen auf letzten Jahre eine bedeutsame Veränderung im 90 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Verhältnis zwischen Staat und den Empfän• der Kommunitarismus als ein wichtiger neuer gern staatlicher Leistungen bzw. den Adressa• Denkanstoß. Er könnte einen möglichen Aus• ten staatlicher Interventionen vollzogen hat. weg aus der Krise des Staatsinterventionismus Der soziale Wandel und der mit ihm einherge- weisen, weil er zwar die Hinwendung zu ge- hende Wertwandel sind zugleich von einem meinschaftsorientierten Projekten propagiert spürbaren Anstieg der Partizipationsbedürfnisse und damit das Fürsorgeelement des Staatsin• und -erwartungen begleitet worden. Die sich terventionismus funktional übernimmt, ohne so ausbreitende Überzeugung, Staatsinterven• jedoch auf der instrumenteilen Ebene einen tionen dürften nicht einfach weitgehend pas• weiteren Ausbau des Staatsapparats zum Ziel siv hingenommen werden, eröffnet eine zu• zu haben. Zudem bündeln sich in dem kom• sätzliche und in der Alltagspraxis sehr heikle munitaristischen Projekt auch Teile des Parti• Frontstellung gegen die klassischen Traditionen zipationspotentials. Der Kommunitarismus ver• des Staatsinterventionismus. Ohne die Eingriffe schafft diesen neu augekommenen Teilhabe• von staatlicher Seite - etwa im neoliberalen wünschen ein wichtiges und konstruktives Be• Sinne - grundsätzlich in Frage zu stellen oder tätigungsfeld und steht somit für ein Modell auf ein niedrigeres Maß zurückschrauben zu des partizipatorischen Sozialstaats. wollen, können die Repräsentanten der ge• steigerten Teilhabeansprüche gleichwohl die Ziel dieser kurzen Betrachtung ist, einige Pro• Legitimationsgrundlagen der Staatstätigkeit er• bleme aufzuzeigen, die sich beim Einbau des heblich untergraben. Vor allem im kommuna• Kommunitarismus als Stützpfeiler in das ein• len Bereich hat dies zu einem grundlegenden sturzgefährdete Gebäude des Staatsinterven• Wandel in vielen Bereichen und zu massiven tionismus stellen können. Dabei möchte ich Akzeptanzkrisen geführt.1 zunächst einige analytische Bemerkungen zum Kommunitarismus voranstellen, um auf der Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwun• Grundlage dieser Vörklärungen die praktischen derlich, daß sich auch demokratietheoretische Fragen der Implementation kommunitaristi• und normative Ansätze schwer tun, die kollek• scher Projekte besser erörtern zu können. tives gesellschaftliches Handeln und einen auf breite Empfängerschichten ausgerichteten 2. Analytische Dimensionen Staatsinterventionismus begründen wollen. der Debatte Dies trifft in besonderer Weise die Linke, und will man die gegenwärtige Situation überspitzt Kommunitarismus wird auf drei analytisch beschreiben, so ist der europäischen Linken in deutlich zu unterscheidenden Ebenen zum The• den letzten Jahrzehnten Zug um Zug nicht nur ma der wissenschaftlichen und praktisch-poli• das kollektive, handelnde Subjekt, sondern tischen Diskussion. Zum einen gibt es die auch ihr liebstes politisches Instrument - der Kommunitarismusdebatte als Teil einer bereits Staat - abhanden gekommen. langen und gewundenen Tradition der Kontro• versen zur Demokratietheorie. Dabei geht es In dieser Situation einer allgemeinen geistig• insbesondere um die Frage, in welchem Maße theoretischen Unübersichtlichkeit, vor allem Gemeinschaftsbezüge und ein Spektrum all• aber angesichts der praktischen Schwierigkei• gemein verbindlicher und vorgängiger ethischer ten, die modernen Gesellschaften zusammen• Normen in das theoretische System eines zuhalten und auf einen Satz breifhin akzeptier• durchaus weit gefaßten Verständnisses von Li• ter ethischer Normen zu verpflichten, erscheint beralismus zu integrieren sind. Sodann gibt es FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 91

die Kommunitarismusdebatte als Teil der For• Unterschieden im einzelnen liegt den Werken schung zur politischen Kultur sowohl einzel• der Kommunitaristen die Leitidee zugrunde, ner Nationen als auch umfassender Systemty• „daß es immer der vorgängigen Rückbesin• pen, wie wir sie etwa unter den Oberbegriffen nung auf einen Horizont gemeinschaftlich ge• „moderne westliche Industriegesellschaften" teilter Werte bedarf, wenn über Fragen der oder „liberal-demokratische politische Syste• gerechten Ordnung sinnvoll entschieden wer• me" kennen. Drittens schließlich gibt es die den soll".' Das Verdienst der kommunitaristi• Kommunitarismusdebatte auf der Ebene prak• schen Autoren besteht vor allem darin, ein Ver• tisch-politischen Handelns, auf der es um die ständnis von Liberalismus kritisiert zu haben , Durchsetzung konkreter kommunitaristischer das das Spannungsverhältnis zwischen den Projekte geht. Zwischen diesen drei Ebenen Freiheitsrechten des Individuums und den Ge- gibt es natürlich zahlreiche Zusammenhänge meinschaftsverpflichtungen einseitig zugunsten und Rückkoppelungen. Kommunitaristische eines ungebremsten Individualismus aufgelöst Projekte haben weitaus bessere Start- und Über• hatte. Der Kommunitarismus ist mithin keine lebenschancen in einer politischen Kultur, in Gegenposition zu dem Modell liberaler De• der Traditionen des Gemeinschaftslebens le• mokratie, sondern der Kommunitarismus kann bendig sind, als in einer Kultur, die ihre Prä• uns - in den Worten von Amy Gutmann - „potentiell helfen, eine Politik zu entdecken, gung durch einen rigiden Etatismus oder durch die Gemeinschaft mit einer Verpflichtung auf die Dominanz individueller Selbstverwirkli• grundlegende liberale Werte verbindet. ... Das chungsgebote erfährt Andererseits kann eine Potential des Kommunitarismus liegt meiner breite öffentliche Diskussion wiederum die Meinung nach darin, uns zu zeigen, wie wir Akzeptanz allgemeiner kommunitaristischer nicht nur die Verwirklichung von Gerechtig• Ideen und konkreter Projekte steigern, was mit• keit, sondern durch die vielen gesellschaftli• telfristig nicht ohne Auswirkungen auf die po• chen Vereinigungen Gemeinschaft anstreben litische Kultur insgesamt bleibt. könnten, wobei der liberale Staat die umfas• sendste gesellschaftliche Vereinigung wäre".10 3. Beitrag zu einer Theorie sozialer Gerechtigkeit und Verantwortung Thematisch ist der Kommunitarismus - und Als demokratietheoretisches Thema ist der mit ihm ganz eng verknüpft - der Bereich der Kommunitarismus seit den frühen 80er Jahren Theorien zur Gerechtigkeit - in Europa und im Zuge einer Auseinandersetzung um das mitt• besonders in der Bundesrepublik vor allem des• lerweile schon klassische Werk von John Rawls halb reizvoll, weil er bei seinen herausragen• „Theorie der Gerechtigkeit"2 entstanden. Au• den Vertretern, ganz im Sinne Amy Gutmanns, toren wie Michael Sandel3, Charles Taylor"1, mit seiner grundsätzlichen Akzeptanz der po• Alasdair Maclntyre5, Amitai Etzioni6 und nicht litischen und sozialen Autonomie des Indivi• zuletzt Michael Walzer7 haben mit ihren kriti• duums nicht schon von vornherein im offen• schen Beiträgen zur Theorie und Soziologie kundigen Widerspruch zu den empirischen Be• des modernen Liberalismus eine Art von „the• funden einer stetig fortschreitenden Individua- matischer Wahlverwandtschaft" begründet, „die lierung moderner Gesellschaften steht. Die es in den folgenden Jahre erlaubte, die höchst Gemeinschaftsverpflichtung in den Kommu- disparaten Autoren unter dem Sammelbegriff nitarismusansätzen erwächst aus einigen plau• des „Kommunitarismus" zu einem theoreti• siblen anthropologischen Annahmen und nor• schen Kreis zusammenzufassen".8 Bei allen mativ-ethischen Standards.11 So setzt sich etwa \92 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Amitai Etzioni, wie auch schon Michael San• Denken mit vielen Vorbehalten und Vorurtei• del vor ihm, mit dem Menschenbild des „un• len gegenübersteht, ist freilich die Rezeption tersozialisierten Individuums" als Grundlage des kommunitaristischen Ansatzes gerade in des vorherrschenden neo-liberalen Individua• dem politischen Spektrum schwierig, in dem lismus auseinander.12 Robert Bellah und seine er eine seit geraumer Zeit beklagte theoreti• Mitarbeiter versuchen die Rekonstruktion ei• sche Lücke schließen könnte. ner politisch-öffentlichen Ethik unter dem Mot• to „Democracy means paying attention".13 4. Politisch-kulturelle Kontext• abhängigkeit der Kommuni• Damit geht der Kommunitarismus nicht - wie tarismusdebatte etwa die traditionellen Theorien der Gemein• schaftsverpflichtung auf der Linken - von ei• Als Gegenstand der Forschung zur politischen ner mehr oder minder mechanistischen, sozio- Kultur lenkt der Kommunitarismus die Auf• ökonomisch bedingten und in ihrer Zwangs• merksamkeit auf gemeinschaftsbezogene und läufigkeit sehr fragwürdigen Gemeinschafts• partizipatorische Traditionen und Potentiale in bindung aus, die beispielsweise bei Marx das den jeweiligen nationalen und übergreifenden Industrieproletariat als „Klasse an sich" auch politischen Kulturen. Es ist ja keineswegs zu• zur „Klasse für sich" macht. Auch eine andere fällig, daß die Kommunitarismusdebatte aus landläufige Variante einer erkenntnistheoretisch dem amerikanischen Umfeld hervorgegangen begründete Einsichtsfähigkeit via Diskurs und ist, in dem gemeinschaftsorientierte Traditi• Aufklärung , die fast allen Spielarten im Um• onselemente der „grass root democracy", der „participant culture" und der religiösen Ge• feld der „Frankfurter Schule" eigen ist, braucht meinschaften noch sehr lebendig sind und sich in ihrer erkenntnistheoretischen Fragwürdig• mit der ebenfalls ungebrochenen liberalen Tra• keit nicht strapaziert zu werden. Als geistige dition vermischen. Hans Joas verweist in Strömung, die sehr stark von der pragmati• seinem Vergleich zwischen den USA und schen Tradition des amerikanischen politischen Deutschland zurecht auf diesen Rahmencha• Denkens durchwirkt ist, stellt der Kommuni• rakter der politischen Kultur: „...der Diskurs tarismus mithin ein demokratietheoretisches über Gemeinschaft in den USA ( war und ist) Modell dar, das zunächst weder durch zwei• Bestandteil der Selbstverständigung einer li• felhafte theoretische Prämissen noch durch of• beralen Gesellschaft..., während er in Deutsch• fenkundige Widersprüche zur gesellschaftli• land - und das ist unabhängig von der Gesin• chen Wirklichkeit belastet ist. nung der einzelnen Beiträger - über einen lan• gen Zeitraum im Rahmen einer im wesentli• Für politische Bewegungen wie die Sozialde• chen illiberalen Gesellschaft stattfand"." Auch mokratie, deren überkommenes theoretisches die Akzeptanz einzelner kommunitaristischer Arsenal durch die Veränderungen der letzten Projekte hängt ganz wesentlich davon ab, ob Jahrzehnte stärker in Mitleidenschaft gezogen und wie sie sich in das über die politische worden ist als das eher konservativer Parteien, Kultur geprägte Weltbild einfügen. Projekte erscheint der Kommunitarismus zusammen mit wie etwa die „neighbourhood watches", die den Theorien der Gerechtigkeit als die vom sich in den Vereinigten Staaten breiter Beliebt• systematischen Ansatz her bedeutsamste prä- heit erfreuen und überdies auch durchaus effi• skriptive Theorie sozialer Gerechtigkeit und zient sein können, werden vor dem Hinter• Verantwortung. Da andererseits die europäi• grund unseliger „Blockwart-Traditionen" aus sche Linke dem amerikanischen politischen FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 93

der Zeit des Dritten Reiches in Deutschland Die ironische Pointe, daß sich das kommuni• mit massiven Vorbehalten rechnen müssen: Sie taristische Potential auf eben den Politikfel• haben hierzulande eine ganz andere Kulturbe• dern tummelt, auf denen die Rotstifte der Haus- deutung. haltssanierer die deutlichsten Spuren hinter• lassen, geht auf den zu weiten Teilen zwi• 5. Finanzielle Restriktionen schen den Generationen verlaufenden Gegen• kommunitaristischer Projekte satz zwischen Bürgern mit einer „subject ori- entation" - im Sinne von Almond und Verbas Wenden wir uns nunmehr aber der dritten, hier Klassifikation politischer Kulturen - und Bür• analytisch unterschiedenen Ebene, der Ebene gern mit einer „participant orientation" zurück. der konkreten kommunitaristischen Projekte, Aus der Sicht der kommunitaristischen Ansät• zu und betrachten wir, mit welchen Zwängen ze kommt erschwerend hinzu, daß nicht nur und einengenden Randbedingungen diese Pro• ein schwächeres Potential an Partizipations• jekte konfrontiert sind. Diese Zwänge werden willigen und -fähigen in den älteren Jahrgän• langfristig gleichermaßen von zwei Größen gen vorhanden scheint, sondern daß auch die bestimmt, die wechselweise aufeinander ein• traditionellen Organisationen und Verbände den wirken: die jetzt schon erkennbaren finanziel• neuen und offenen Projekten oftmals skeptisch len Restriktionen in den öffentlichen Haushal• bis ablehnend gegenüberstehen. Dabei haben ten und die politisch-kulturellen Legitimati• die traditionellen Verbände im übrigen große onsgrundlagen. und wachsende Schwierigkeiten, sich als An• sprechpartner für soziale oder kulturelle Be• dürfnisse und Interessen außerhalb ihrer seit Dabei zeichnet sich eine schwierige Gemen• Jahren stagnierenden und langsam veralten• gelage mit einer beinahe ironischen Pointe ab. den Mitgliederschaft zu profilieren. Vielfach Wichtige Politikfelder im Bereich der Sozial• klaffen die verbandsinternen Mitwirkungsnor• politik und Daseinsfürsorge, in denen sich kom• men und vor allem Mitwirkungspraktiken und munitaristische Projekte sinnvoll ansiedeln las• die Standards im gesellschaftlichen Umfeld sen und in denen traditionellerweise auch be• deutlich auseinander. trächtliche Haushaltsmittel zur Verfügung ste• hen, sind wegen der eher schwach ausgepräg• ten Partizipationspotentiale der in diesem Be• Hingegen erscheinen die Gruppen und Orga• reich vorherrschenden politischen Subkultur nisationen, die Mitglieder und Anhänger mit für die kommunitaristischen Projekte ein stei• einem ausgeprägten kommunitaristischen Po• niger Acker. Die quasi-behördlichen Traditio• tential vertreten, als Neulinge auf der Verbands• nen der Wohlfahrtsverbände und die oftmals ebene und haben entsprechend gegenüber den prekäre Lebenssituation der Klientelgruppen etablierten Interessenverbänden einen schwe• wirken einer Verbreitung kommunitaristischer ren Stand. Die Politikfelder, auf die sie und Ideen und Praktiken erheblich entgegen. Um• ihre Anhänger sich konzentrieren, gelten bei gekehrt stehen vor allem die Politikfelder un• den Haushaltsaufstellungen mit ihren Vertei• ter besonders massiven Kürzungs- und Spar• lungskämpfen zwischen den verschiedenen auflagen, in denen das komunitaristische Po• Politikbereichen als die klassischen „Streich• tential mit seinen „participatory skills" in hoff• reviere". Hierzu zählen etwa die offene Sozi• nungsvoller Stärke versammelt scheint. alarbeit, die Förderung sozio-kultureller Pro• jekte, weite Bereiche der Frauenarbeit sowie der Kinder- und Jugendarbeit, aber auch die 94 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

„weichen" Komponenten etablierter Förderpro• chen Aufgaben und der daraus folgenden Tä• gramme wie zum Beispiel die Dorferneuerung. tigkeitsfelder der öffentlichen Verwaltung; zweitens geht es um eine Verbesserung der Bei den Vergabeprozeduren wirken politische, betrieblichen Effizienz; und drittens soll die fiskalische und kulturelle Faktoren zusammen: „Bürgerfreundlichkeit" gesteigert werden. Zu die Lobbymacht der etablierten Verbände, nicht diesem letzten Bereich gehören widerum eine zuletzt das Muskelspiel und die „Drohpoten• ganze Palette von Einzelzielen, von der Trans• tiale" hinsichtlich ihrer Anhängerschaft; die parenz des Verwaltungshandelns über die Re- Vergaberoutinen in der Verwaltung, die sich sponsivität der Verwaltung bis zu Möglichkei• strukturell den meisten Neuerungen zunächst ten gesellschaftlicher Teilhabe und Kontrolle. einmal wiedersetzen; und ein Verständnis von Staatlichkeit und Interessenvertretung, das Es ist ganz offenkundig, daß die Erfolgsaus• kommunitaristische Projekte noch immer weit• sichten von kommunitaristischen Ansätzen in gehend als leicht anrüchige Protagonisten der starkem Maße davon abhängen, ob diese Re• „neuen Politik" und der „unkonventionellen formbestrebungen Erfolg haben bzw. in wel• Partizipation" erscheinen läßt. chem „Mix" sich die Ziele der Verwaltungs• modernisierung erreichen lassen. Die kommu• 6. Verändertes Verständnis von nitaristischen Projekte wären auf die Koopera• Staatlichkeit und behördlichen tion mit einer öffentlichen Verwaltung ange• Organisationen wiesen, die sich nicht nur von den überkom• menen Prinzipien obrigkeitsstaatlicher Wohl• Neben diesem Syndrom aus eher traditionel• fahrt emanzipiert hat, sondern darüber hinaus len politischen und kulturellen Faktoren, daß auch eine allzu strikte Ausrichtung auf das ein Vordringen kommunitaristischer Projekte Modell einer zwar effizienten, aber immer noch erschwert, gibt es einen zweiten Problemkreis vorwiegend auf verwaltungsinterne Abläufe bei der Implementation kommunitaristischer ausgerichteten Organisation zugunsten einer Vorhaben, der bislang nur wenig Beachtung mit dem Umfeld kooperierenden Partner• gefunden hat, weil er selbst von der Aura der schaftsorganisation vermeidet. Der Verände• Reform, ja, der Modernisierung umgeben ist, rung im Selbstverständnis müßten dann aber nämlich den Bereich der Reformbestrebungen auch Änderungen in der behördlichen Organi• in den öffentlichen Verwaltungen. Reformbe• sation entsprechen. In gewisser Hinsicht hätte strebungen im Blick auf die öffentlichen Ver• sich an der Schnittstelle zwischen dem staatli• waltungen hat es in den letzten Jahrzehnten chen Bereich und den kommunitaristischen immer wieder gegeben. Die derzeitige neue Projekten eine Art „street working bureaucra- Welle an Reformansätzen ist im wesentlichen cy" zu etablieren, die mobil und auf Bedarf von der Kostenlawine ausgelöst worden, die Hilfestellungen leistet und insgesamt eine takt• in Zeiten stark beanspruchter Haushalte schon volle und flexible Beratungs- und Supervisi• jetzt, vor allem aber in den nächsten Jahrzehn• onsrolle ausfüllt. Damit ist ein anderes Priva• ten, auf die öffentlichen Haushalte zurollt. Die tisierungsmodell angesprochen als die in der Ziele, die im Zusammenhang mit den neuen Verwaltungsmodernisierungsdebatte zumeist Reformbestrebungen genannt werden, sind sehr gemeinte Überantwortung staatlicher Bereiche breit gefächert. Etwas vereinfacht lassen sie an private Anbieter, die dann die Leistungen sich in drei größere Gruppen gliedern: Erstens gemäß betriebswirtschaftlicher Kalküle erbrin• geht es um eine Neubestimmung der staatli• gen sollen. Eine Privatisierung im Sinne der FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 95

Übertragung staatlicher Leistungen an kom• Bereich der jüngeren, partizipationsorientier- munitaristische Projekte hätte allerdings ohne ten Generationen in absehbarer Zeit durchaus Zweifel den Vorteil, daß mit der Förderung realistisch; dies umso mehr, als traditionelle von Projekten nach dem Grundsatz „Hilfe zur bürokratische Lösungen in diesem Milieu auf Selbsthilfe" nicht nur die pathologischen Sym• immer wieder neue Legitimationsbarrieren sto• ptome moderner Gesellschaften kuriert wür• ßen. den, sondern zugleich auch ein Beitrag zur Bekämpfung der Ursachen für die Pathologien Längerfristig könnte sich der kommunitaristi• geleistet werden könnte. Man denke hier etwa sche Ansatz, bei aller Akzeptanz liberaler Rech• an Projekte im Bereich der Altenarbeit und - te und Freiheiten, nach Möglichkeiten der Ver• pflege, an Kinder- und Jugendprojekte, aber gemeinschaftung zu suchen, als die einzig sinn• auch an begleitende Projekte der offenen volle und praktikable Alternative zu einer Theo• Psychiatrie, um nur ein paar Beispiele zu nen• rie und Praxis eines vorbehaltlosen Individua• nen. lismus erweisen. Sowohl als Beitrag zur de• mokratietheoretischen Debatte als auch in sei• Wir können daher unschwer erkennen, daß.für nen politisch-praktischen Beispielen ist der den Erfolg kommunitaristischer Ansätze nicht Kommunitarismus mithin ein höchst reizvol• nur eine entsprechende Bereitschaft und Men• ler Gegenstand der Betrachtung, vor allem für talität im gesellschaftlichen Bereich vorhan• die politischen Strömungen und Parteien, zu den sein muß, sondern auch eine gerade in deren Tradition und Ambition das Einstehen Deutschland weitreichende Veränderung der für soziale Gerechtigkeit und breite politische Behörden- und Verwaltungsmentalität um sich Teilhabe zählt. greifen sollte. Wenn man es auf eine einpräg• same Kurzformel bringen möchte, so besagt Gerd Mielke arbeitet im Planungsstab der diese, daß der Kommunitarismus als geistige Staatskanzlei Rheinland-Pfalz in Mainz. und politisch-praktische Strömung nur in ei• ner „kulturellen Schneise" zwischen den bei• Anmerkungen den Polen einer traditionellen Obrigkeitsstaat• lichkeit und einer efftzienz- und leistungsori• 1 Siehe hierzu die sehr anschaulichen Beispiele entierten Ökonomisierung gesellschaftlicher aus der Freiburger Stadtpolitik, in der das partizi- Bereiche Durchsetzungschancen besitzt. patorische und kommunitaristische Element be• sonders spürbar ist: Rolf Böhme: Je mehr wir 7. Zur Zukunft kommunitaristischer haben, desto mehr haben wir zu wenig. Bemer• kungen aus dem politischen Alltag, Bonn 1993. Projekte 2 John Rawls: A Theory of Justice, Cambridge 1971 (in deutscher Übersetzung: Theorie der Ge• Die politisch-kulturellen und bürokratischen rechtigkeit. Frankfurt/M. 1975). Eine bereits kom• Voraussetzungen für die erfolgreiche Imple• munitaristische Kritiken berücksichtigende Wei• mentation kommunitaristischer Projekte sind terentwicklung seiner Vorstellungen findet sich in der Bundesrepublik mithin erst in Ansätzen in: John Rawls: Die Idee des politischen Libera• gegeben. Ein zügiges und auf breiter Front lismus. Aufsätze 1978-1989, Frankfurt/M. 1992, erfolgendes Vordringen des Kommunitarismus insbesondere in dem Beitrag: „Gerechtigkeit als ist folglich nicht zu erwarten. Allerdings er• Fairneß: politisch und nicht metaphysisch". 3 scheint das Szenario eines lose verknüpften Michael Sandel: Liberalism and the Limits of Archipels kommunitaristischer Projekte im Justice, Cambridge 1982. 96 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

4 Siehe besonders: Charles Taylor: „Cross-Purpo- lich in mancherlei Hinsicht an frühere demokra• ses: The Liberal-Communitarian Debate", in: Nan• tietheoretische Diskurse und auch an wissen• cy Rosenblum (Hrsg.): Liberalism and the Moral schaftstheoretische Fragestellungen etwa um Fra• Life, Cambridge 1989. gen des klassischen und modernen Naturrechts 5 Alasdair Maclntyre: After Virtue, 2nd ed., Lon• an, wie sie sich im Zusammenhang mit Leo don 1985; ders.: Three Rival Versions of Moral Strauss' Studien zu „Naturrecht und Geschichte" Enquiry, Notre Dame 1990. stellen. Zur Entwicklung der kommunitaristischen 6 Amitai Etzioni: Jenseits des Egoismus-Prinzips. Positionen siehe: Rainer Forst: „Kommunitaris• Ein neues Bild von Wirtschaft, Politik und Ge• mus und Liberalismus - Stationen einer Debatte"; sellschaft, Stuttgart 1994. in: Axel Honneth (Hrsg.): Kommunitarismus. (An• 7 Michael Walzer: „The Communitarian Critique merkung 8), S. 181 - 212. of Liberalism", in: Political Theory. 18/1990, S. 12 Amitai Etzioni: Jenseits des Egoismus-Prinzips 157- 180. (Anmerkung 6), S. 27 ff. 8 Axel Honneth: „Einleitung", in: ders. (Hrsg.): " Robert N. Bellah / Richard Madsen / William Kommunitarismus. Eine Debatte über die morali• M Sullivan / Ann Swidler / Steven M. Tipton: schen Grundlagen moderner Gesellschaften. Frank• The Good Society. New York 1991, insbes. S. furt/M. - New York 1993, S. 7. 254 - 286. 9 Honneth, a.a.O., S. 8. 14 Hans Joas: „Gemeinschaft und Demokratie in 10 Amy Gutmann: „Die kommunitaristischen Kri• den USA. Die vergessene Vorgeschichte der Kom• tiker des Liberalismus"; in: Axel Honneth (Hrsg.): munitarismus-Diskussion"; in: Micha Brumlik / Kommunitarismus. (Anmerkung 8), S. 81. Hauke Brunkhorst (Hrsg.): Gemeinschaft und Ge• " Die Kommunitarismus-Debatte schließt natür• rechtigkeit. Frankfurt 1993, S. 51. FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 97

Harald Plamper

Lean Administration - Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen

Der Titel läßt vermuten, daß sich die „Lean"- konsolidierung betreiben und Leistungen für Bewegung in öffentlichen Verwaltungen eben• die Bürgerschaft aufgeben. so breit machen könnte wie in Privatunterneh• men. Das ist nicht so klar. Die öffentliche Hand Kommunen vor großen kann und muß ihre Leistungskraft erhöhen. Herausforderungen Auf diesem Gebiet gehen die Kommunen dem Bund und den Ländern voran. Deshalb be• Die Finanzkrise allein hätte möglicherweise schränken sich die folgenden Ausführungen den Reformprozeß noch nicht ausgelöst. Es auf den Kommunalbereich. traten in den letzten Jahren aber Herausforde• rungen hinzu, mit denen die Kommunen fertig Kommunen in tiefgreifender werden müssen. Diese Herausforderungen Finanzkrise - des Wettbewerbs mit anderen Städten und Seit Jahren leben die meisten Kommunen in Regionen und mit Privaten, wenn diese tra• einer tiefgreifenden und nicht enden wollen• ditionelle kommunale Leistungen erbringen den Finanzkrise. Heute sind sogar früher als (Beispiel Müllabfuhr) oder substituieren, reich betrachtete Großstädte (Frankfurt, Stutt• d.h. ersetzen oder Alternativen anbieten gart, München) davon ergriffen. Auf der Ein• (Rockkonzerte, Musicals etc. anstelle von nahmenseite ist es das mangelhafte Steuerauf• Oper, klassischer Musik und den Angebo• kommen (vor allem die wichtige Gewerbe• ten in Kulturläden), steuer sprudelt nicht mehr), auf der Ausgaben• seite ist es die Explosion der Ausgaben für die - des Anwachsens und schnelleren Wandels Sozialhilfe (dieser Posten im Etat verhält sich der Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger wie ein Kuckucksküken im Nest eines Zeisigs durch die Globalisierung der Märkte, - es wirft die anderen Küken hinaus). Es dro• hen Akte des Bundesgesetzgebers, die die Ge• - die Auswirkungen globaler Umweltbeein• werbesteuer weiter aushöhlen und die Ausga• trächtigungen und der Bevölkerungswande• ben für die Sozialhilfe weiter aufblähen. rung,

So nimmt es nicht wunder, daß die Kommu• - der abnehmenden Legitimationskraft der po• nen seit Anfang der achtziger Jahre Haushalts• litischen Prozesse, 98 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

- der neuen und höheren Ansprüche der Mit• lich Qualität und Menge den sich wandelnden arbeiterinnen und Mitarbeiter (vor allem der Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger und jüngeren) an ihre Arbeitgeberin Kommune den sich wandelnden kommunalpolitischen (bessere Führung, gute Fortbildungsmög• Zielsetzungen anzupassen, ist der Leistungs• lichkeiten, gute Ausstattung des Arbeitsplat• abbau kein Ausweg für die Kommunen. Die zes, flexiblere Arbeitszeiten) Bürgerinnen und Bürger, übrigens auch die Wirtschaft, erwarten nämlich eine funktionie• sind gewaltig und verschwinden, bei allem rende Infrastruktur. Sie in Frage zu stellen wäre Konjunkturaufschwung, nicht. töricht. Bürgerinnen und Bürger stellen immer nur die Leistungen in Frage, die sie selbst nicht Ausweg Privatisierung? in Anspruch nehmen, nicht aber die, an denen sie Interesse haben. Den Kommunen wird als Reaktion auf die tiefgreifende Finanzkrise und auf die genann• Hinzu kommt die Tatsache, daß die Politiker• ten Herausforderungen von interessierter Seite innen und Politiker den Leistungsabbau scheu• (Bund, Länder, Wirtschaft) empfohlen, doch en wie der Teufel das Weihwasser. Sie wollen zu privatisieren, d. h. Leistungen nicht mehr nämlich wiedergewählt werden und brauchen selbst zu erbringen, sie vielmehr von Privat• dazu eine Vielzahl von sie unterstützenden unternehmen erbringen zu lassen oder Töchter Gruppen und Grüppchen, die für ihre durch• in privater Rechtsform zu gründen, die kom• aus wichtigen Aktivitäten von der Kommune munale Leistungen erbringen. Diese Empfeh• profitieren. lung findet ihre Widersacher in den Gewerk• schaften des öffentlichen Dienstes und in den Schließlich ist mit dem Leistungsabbau schnell Personalräten. Eine ideologisch geführte De• das Ende der kommunalen Selbstverwaltung batte! erreicht, zumal die Gesetzgeber des Bundes und der Länder immer mehr Aufgaben auf die Die schier unerschöpfliche Literatur zum The• Kommunen abwälzen, ohne ihnen die dazu ma Privatisierung liefert eine ernüchternde Er• nötigen Ressourcen zu überlassen (zuletzt beim kenntnis: Die meisten Autoren operieren mit Recht auf einen Kindergartenplatz von 1996 unbewiesenen Behauptungen für oder gegen an). Privatisierung. Sie sind festgelegt und variie• ren die immer gleichen Argumente. Die Wis• Ausweg: Verwaltungsreform? senschaft dagegen liefert nur einen Beleg, und zwar für folgende Aussage: Die Frage, ob eine Diesen Ausweg wählen immer mehr Kommu• Leistung privat oder durch die öffentliche Hand nen. Heute gibt es einen breiten Strom der erbracht wird, ist für die Effizienz nicht aus• Verwaltungsreform. Die Kommunen beschrei• schlaggebend. Daß es in diesem Bereich Wett• ten zwar unterschiedliche Wege, doch laufen bewerb gibt, ist dagegen der entscheidende diese Wege zusammen. Grundlage für die mei• Hinweis auf Effizienz. sten Reformbewegungen ist das Neue Steue• rungsmodell der KGSt (Bericht 5/1993). Es Ausweg Leistungsabbau? muß sich jetzt in der kommunalen Praxis oe- währen. Bei aller Notwendigkeit, das kommunale Lei• stungsangebot zu überprüfen und es hinsicht• FORSCHUNGSJOURNAL NSB, Jo. 8, HEFT 3, 1995 99

Was steckt hinter dem Neuen Steuerungsmo• politische Ziele wie Recht, soziale Gerechtig• dell? Zunächst einmal geht es um die Verant• keit, Umweltschutz auftun, ist nicht verges• wortung in einer Kommune. Sie ist heute ato- sen, steht aber auf einem anderen Blatt. misiert. Für die Leistungen an die Bürgerschaft sind die Fachbereiche zuständig. Sie erteilen Dieser Begriff ist deshalb zentral, weil er Trans• Baugenehmigungen, holen verwahrloste Kin• portmittel für die unterschiedlichsten Erforder• der von der Straße, stellen Sportplätze zur Ver• nisse im Neuen Steuerungsmodell ist. fügung und halten die Straßen sauber. Die da• mit verbundene Fachverantwortung reicht aber a) Der neue Haushaltsplan enthält Informatio• nicht aus, weil die Fachbereiche nicht über die nen zu Qualität und Menge wichtiger Produk• Ressourcen (Personal und Sachmittel) verfü• te oder von Produktbereichen und enthält eine gen können. Sie werden ihnen (mehr oder we• Aussage zu den Kosten. Er ist output-orien- niger losgelöst von ihrem Auftrag) zentral vor• tiert. Die Politikerinnen und Politiker können gegeben. Die Ressourcenverantwortung liegt viel besser entscheiden als heute. demnach bei den Querschnittseinheiten. Das Neue Steuerungsmodell führt Fach- und Res• b) Die Fachbereiche erhalten Vorgaben zu Pro• sourcenverantwortung zusammen zur Ergeb• dukten und deren Kosten. Dafür sind sie ver• nisverantwortung, indem es In- und Output• antwortlich, was durch Controlling sicherge• vorgaben in den Fachbereichen zusammenführt stellt wird. Ansonsten sind sie - von wenigen - mit der Folge, daß die Querschnittseinheiten zum Aufrechterhalten der Einheit der Kom• ihre Rolle als Zuteiler von Ressourcen verlie• mune nötigen Rahmenvorgaben abgesehen - ren. Querschnittseinheiten wird es nur noch frei. als Steuerungsdienst zur Unterstützung der Po• litik und der Verwaltungsspitze und in Form von zentralen Serviceeinheiten geben. Letzte• c) Die Diskussion mit den Bürgerinnen und re liefern gegen interne Verrechnung Dienste, Bürgern über die Notwendigkeit und über Güte, die vor Ort nicht wirtschaftlich zu erbringen Menge und Preis ist besser als heute zu füh• sind. ren.

d) In Bereichen, in denen die Kommunen als Auf dem Weg zur neuen Kommunalverwal• Monopolisten auftreten, lassen sich bei gleich tung wird uns auf längere Zeit ein Begriff be• definierten Produkten Kennzahlen zum inter• gleiten, den wir früher nicht verwendet haben: kommunalen Vergleich bilden. Damit kommt das Produkt und auch die Leistung. Darunter auch hier das Wettbewerbselement zum Tra• verstehen wir das hinsichtlich Menge und Güte gen, allerdings in Form des sportlichen Wett• von den Bürgerinnen und Bürgern in Anspruch bewerbs. genommene Angebot. Eine Leistung ist der Reisepaß, die Trauung, die Unterbringung ei• e) Die Leistungskraft von Mitarbeiterinnen und nes behinderten Kindes in einem Heim, das Mitarbeitern oder aggregiert von Teams, Ab• Leeren der Mülltonne, die Vermietung der Fest• teilungen oder Ämtern läßt sich messen, be• halle an eine Firma und vieles andere mehr. werten und anerkennen. Damit wird Führung Kein Privatunternehmen, keine andere öffent• auf eine solide Grundlage gestellt. liche Hand hat eine solche Produktpalette wie eine kreisfreie Stadt. Daß sich hinter diesen f) Produktionsprozesse lassen sich verbessern, Produkten bzw. Leistungen große kommunal• wenn wir sie genau durchleuchten. Dieses un- 100 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

ter dem Modebegriff Reengineering laufende können, also zu aktiven Bürgern nicht nur bei Vorgehen ist zwar aufwendiger, verspricht aber der Beeinflussung der Kommunalpolitik oder größere Bürgernähe und größere Effizienz. als Zahler von Abgaben, sondern auch auf der Seite der Leistungserbringung werden. Ist das Wer sich die Ausführungen zum Produkt vor möglich? Kritiker werden sagen, daß die Bür• Augen führt, wird zwei weitere Elemente des gerinnen und Bürger schon heute sehr aktiv Neuen Steuerungsmodells erkennen: Qualität seien und daß für die Übernahme vieler Auf• und Wettbewerb. In Fragen der Qualität sind gaben die Bereitschaft fehlen würde (so ste• die üblichen Kriterien der Effizienz und der hen die Sportvereine hoch im Kurs, doch will Effektivität zu benennen und zu messen, beim keiner den Vorsitz übernehmen). Wettbewerb geht es darum, daß ihn die Kom• mune als Element der Leistungssteigerung Gleichzeitig ist aber zu bedenken, daß es ne• nutzt, sich also wo immer möglich auf den ben der immer mehr um sich greifenden Ar• Markt begibt und sich dem Wettbewerb stellt mut immer mehr Menschen gibt, die sozial bzw. intern Wettbewerbselemente herausbildet, abgesichert Zeit haben. Was machen die vie• die zur Leistungssteigerung beitragen. len Vorruheständler, die vielen gesunden Rent• ner? Sie haben Zeit, haben Kenntnisse und Die von der KGSt in den Begriff „Neues Steue• Fertigkeiten, haben Interessen. Läßt sich dies rungsmodell" gegossene Vorstellung von der alles für die Kommunen nutzen? Stadtverwaltung der Zukunft leistet einen ei• genständigen Beitrag zur Bewältigung der Fi• Zugleich gibt es Bürgerinnen und Bürger, die nanzkrise. Wenn die Prinzipien der Kosten- bei aller Anspruchsmentalität kommunale Lei• und Leistungstransparenz und der persönlichen stungen immer weniger schätzen, weil sie sich Ergebnisverantwortung (weg von der angepran• bei der Finanzkrise (schleichend) verschlech• gerten „organisierten Unverantwortfichkeit") tern, weil sie nur Empfängerinnen und Emp• zum Tragen kommen, lassen sich Prioritäten fänger dieser Leistungen, nicht aber Beteiligte besser setzen und die Haushalte besser steu• sind, weil die Politik zu wissen scheint, was ern. Auch wenn dieser Beitrag einen massiven für die Bürgerinnen und Bürger gut ist. Leistungabbau nicht ersparen kann, so führt er zu weniger Leistungsabbau und zu einer ver• Diesen Bürgerinnen und Bürgern den Wind nünftigen Diskussion über sein Wo? und Wie? aus den Segeln zu nehmen - durch selbst akti• ve Bürgerinnen und Bürger - erscheint als loh• Damit ist bereits klar, daß weder Privatisie• nende Aufgabe. Vermutlich wird dieser Weg rung noch Leistungsabbau noch Verwaltungs• in den nächsten Jahren immer intensiver dis• reform allein oder auch zusammen ausreichen, kutiert werden. um mit der Finanzkrise und mit den genann• ten Herausforderungen fertig zu werden. Harald Plamper ist Mitarbeiter der Kommu• nalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsver• Ausweg: Bürgerinnen und Bürger einfachung in Köln. erbringen kommunale Leistungen?

An dieser Stelle bleibt nur noch die Erkennt• nis, daß die Bürgerinnen und Bürger selbst zur kommunalen Leistungserbringung beitragen FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 Li' ' ''MSii

punkt gleiches Honorar für alle lichkeiten zur Entlastung (Kin• FORSÜ JUNC/S beinhaltet die Forderung nach derbetreuung, Mittagstisch), zu BERICHTE Bezahlung sonst ehrenamtlich Austausch und Bildung (Kurse/ geleisteter Arbeit und nach einer Veranstaltungen zu Lebens- und „Wir kochen Gleichbewertung unterschiedli• Erziehungsfragen) und zur Kom• cher Formen von Arbeit. Kinder munikation (Cafe-Betrieb, Fei• schon lange..." gehören dazu, sie können jeder• ern) und treten somit dem Aus- zeit mit ins Zentrum kommen und schluß von Müttern und Kindern Mütterzentrum - werden dort betreut. aus dem öffentlichen Leben ak• Ein frauenpolitisches tiv entgegen. Selbsthilfeprojekt Nach Beendigung der Modell• „Das Private ist politisch" - aber projektphase Anfang der 80er Welche Mütter sind es, die sich die „privaten" Lebensbedingun• Jahre entwickelte sich eine ei• in Mütterzentren zusammen• gen erschweren eine politische genständige Mütterzentrumsbe• schließen? Die Mehrheit der Mobilisierung, dies gilt beson• wegung. Durch die bundesweite Mütter, die das Duisburger Müt• ders für Frauen, wenn sie Müt• Gründung von Zentren, ein• terzentrum nutzen und gestalten, ter werden. Die Gründung von schließlich der neuen Bundeslän• läßt sich folgendermaßen kenn• Mütterzentren als Selbsthilfepro• der, wurde sie zu einer schnell zeichnen: 30 bis 35 Jahre, ver• jekte knüpft an den Lebensbe• wachsenden sozialen Bewegung heiratet, 2 kleine Kinder, gute dingungen von Frauen mit Kin• im Selbsthilfebereich. Mittler• schulische und berufliche Aus• dern an, die besonders durch ei• weile gibt es mehr als 200 Zen• bildung. Auffällig ist der hohe nen hohen Grad an Belastung und tren im gesamten Bundesgebiet. Anteil (27%) alleinerziehender Isolation gekennzeichnet sind. Sie Diese Zentren sind in vielfälti• Frauen und die geringe Nutzung sind eine Antwort auf ein gesell• ger Weise untereinander ver• durch ausländische Frauen. Nach schaftliches Defizit und heben netzt: auf Landes- und Bundes• der „ersten Familienphase" stre• sich inhaltlich und organisatorisch ebene und im internationalen Zu- ben die meisten Frauen wieder von den traditionellen - vor al• sammenschluß von Basisfrauen in den Beruf. Nach unseren Be• lem kirchlichen - Angeboten im GROOTS (grass root women). fragungsergebnissen im Duisbur• Mutter-Kind-Bereich ab. ger Mütterzentrum stimmen die Die Vernetzung der Mütterzen• Klischeevorstellungen über Müt• Die Arbeit der Mütterzentren trumsbewegung erfüllt verschie• ter nicht überein mit den „neu• gründet sich auf ein Konzept, dene Ziele: zum einen die Bera• en" Müttern, die die Mütterzen• welches Anfang der 80er Jahre tung beim Aufbau neuer Zen• tren gestalten und nutzen. Die vom Deutschen Jugendinstitut in tren vor Ort und zum anderen „neuen" Mütter sind geprägt Zusammenarbeit mit betroffenen die Schaffung einer politischen durch eine Doppelorientierung Müttern entwickelt wurde und Plattform zur Artikulation von auf Familie und Erwerbstätig• auf vier Eckpfeilern beruht: Das Mütterinteressen. Als Vertretung keit. Dies wird bestätigt durch Laien-mit-Laien-Prinzip unter• nach außen bieten die Zentren die Anzahl von erwerbstätigen stellt den Betroffenen grundsätz• die Möglichkeit, politische For• Müttern, die das Duisburger lich die Kompetenz zum eigen• derungen zur Verbesserung der Zentrum besuchen (41,8%) und verantwortlichen Umgang bzw. Lebensbedingungen von Frauen dem hohen Anteil von Frauen, zur eigenverantwortlichen Lö• mit Kindern einzufordern, wie die in der Befragung für ihre sung ihrer Belange. Das Prinzip z.B. nach ausreichenden Kinder• weitere Lebensplanung eine be• der freien Angebote impliziert betreuungseinrichtungen, An• rufliche Orientierung angeben eine möglichst ganztätige Öff• rechnung von Erziehungszeiten (60%). Frauen erhalten für ihre nung der Zentren und die selb• auf die Rentenversicherung. weitere Lebensplanung im Müt• ständige inhaltliche Gestaltung Nach innen schaffen die Zen• terzentrum entscheidende (beruf• des Angebotes. Der Konzept• tren den Frauen vorrangig Mög• liche und familiäre) Impulse. Das 102 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Zentrum gleicht einer Börse, was Einsatzwillen und das Aktivitäts• zungsleistungen angeboten. den Austausch an Informationen potential der Alten in das ehren• Auch Weiterbildungs- oder Su• angeht. Unsere Untersuchungser• amtliche Engagement der tradi• pervisionsangebote sind die Aus• gebnisse weisen darauf hin, daß tionellen Trägerstrukturen zu ka• nahme. Aus Dienstbesprechun• Frauen, die gemeinsam mit ihren nalisieren. Bisher zeigt sich aber gen werden die Alten systema• Kindern aktiv das Mütterzentrum gerade bei den Alten ein gerin• tisch ausgeblendet. gestalten und nutzen, besser mit ger Beteiligungsgrad in diesen den Widersprüchen/Ambivalen• Organisationen. Die Ursachen Die Wohlfahrtsverbände kalku• zen rund um die Mutterschaft hierfür liegen jedoch nicht in ei• lieren bei den Alten mit einer umgehen können. ner mangelnden Hilfsbereitschaft altruistischen Motivstruktur, die der Alten, sondern in strukturel• sie zum Ehrenamt bringt. Mit Der komplette Forschungsbericht len Barrieren auf organisatori• dem allgemeinen Einstellungs• „'Wir kochen schon lange...' scher und politisch-gesamtgesell• und Wertewandel haben sich je• Mütterzentrum: Entwicklung, schaftlicher Ebene. doch bei einem immer größer Konzept und Besucherinnen am werdenden Anteil der Alten die Beispiel des 'Cafe Mütterauflauf' Organisatorische Barrieren Motivationen stark verändert: in Duisburg" kann gegen 4 DM Stand früher das aus gesell• Versandkosten (in Briefmarken) Die Verbände der freien Wohl• schaftlichen und/oder religiösen bestellt werden im: Mütterzen• fahrtspflege haben sich zu Bindungen gespeiste altruistische trum, Albertstr. 40, 47059 Duis• Dienstleistungsgroßorganisatio• Motiv im Vordergrund, das die burg, Tel.: 0203/312191. nen gewandelt. Die ehrenamtli• Alten das traditionelle Ehrenamt che Tätigkeit ist eingebunden in als befriedigende Tätigkeit wäh• Marion Becker-Richter/ ein System professioneller Hil• len ließ, so gewinnt mit dem Beate Kortendiek fen und wird wesentlich von der Wertewandel die Motivkonstel• Rollen- und Aufgabenverteilung lation von Selbstentfaltung und § in den Organisationen bestimmt. -Verwirklichung verstärkte Rele• Die Ehrenamtlichen haben sich vanz. Die Anforderungskriteri• Ehrenamtliche in die Zeit-, Struktur- und Ar• en, an denen eine ehrenamtliche Tätigkeit älterer beitspläne einzufügen, oder eher: Tätigkeit nun gemessen wird, diesen unterordnen zu lassen. bestehen in ihrem Beitrag zur Menschen Damit wird eine Anbindung der Schaffung von individueller Le• ehrenamtlichen Tätigkeit an be• bensqualität. Das soziale Ehrenamt ist ein un• rufsähnliche Tätigkeiten - Kon• verzichtbares Element im sozia• stanz, Verbindlichkeit und Mo• Bei weiterem Ignorieren dieser len System. Der Schwerpunkt bilität - erzwungen. Selbstver• neuen Ansprüche verlieren die des sozialen Ehrenamts, der in antwortung und Autonomie wird Wohlfahrtsverbände nicht nur den traditionellen Wohlfahrtsor• nur zugelassen, solange der tra• einen Teil der schon jetzt bei ganisationen liegt, ist jedoch in dierte Arbeitsablauf nicht gestört ihnen beschäftigten ehrenamtli• eine Mitgliederkrise geraten. wird. Für individuelle Anforde• chen Alten, sondern minimieren Gleichzeitig wächst die Zahl der rungen an das ehrenamtliche En• auch ihre Chance, dauerhaft die 'jungen Alten' - über 60jähri- gagement herrscht in den Wohl• 'neuen Alten' für das Ehrenamt gen Personen, die aus dem Be• fahrtsverbänden nur ein äußerst zu gewinnen. rufsleben ausgeschieden sind -, beschränkter Freiheitspielraum. für die ein 'reines Rentnerdasein' ohne sie fordernde Aufgaben ein Notwendige organisations• Horrorszenario darstellt. Ein Ausgleich für diese Restrik• strukturelle Reformen tionen existiert nicht: Auf der Angesichts dieses Kontrasts materiellen Ebene werden kaum Beispielhaft für notwendige Ver• scheint es nahe zu liegen, den Gratifikationen oder Unterstüt• änderungen stehen neue Träger- 103

strukturen, die die Wahrung der werden. Neue Gratifikations• Die Überwindung der bisherigen Alteninteressen an die erste Stel• modelle, die den Eigennutz kulturellen Stereotypisierungen le ihrer Prioritätenliste setzen. eventuell auch nur symbolisch des Alters stellt die Vorausset• Diese gehen zunächst von den unterstreichen, müssen zu• zung dafür dar, daß die Fähig• Tätigkeitsinteressen, -fähigkeiten nächst auf ihr Konkurrenzpo• keiten, Kompetenzen und An• und -bedürfnissen der Alten aus tential zur regulären Erwerbs• sprüche der Alten als wichtige und suchen dann adäquate Um• einkunft geprüft werden. gesellschaftliche Ressourcen, setzungsmöglichkeiten, wo die aber auch als Fordemngen nach einzubringenden Qualifikationen • Die Teilnahmemöglichkeit an Nutzung durch die Gesellschaft im Rahmen der sonstigen An• .Fortbildungsmaßnahmen ge• verstanden werden können. Die forderungen der Alten an eine nießt für Ehrenamtliche einen Modifizierung des gesellschaft• Tätigkeit gemeinnützig einge• hohen emotionalen Stellen• lichen Altersbildes obliegt je• setzt werden können. wert. doch auch den Alten selbst.

Nur exemplarisch können hier Notwendige politisch-gesamt• Der komplette Forschungsbe• einige Dimensionen genannt gesellschaftliche Reformen richt 'Beschäftigungsansprüche werden, die zur Attraktivierung und -möglichkeiten von alten des Ehrenamts für Alte beitra• Gefordert ist die Verlagerung auf Menschen bei ehrenamtlicher gen: eine partizipative Politik mit den Tätigkeit' kann kostenlos bei der Alten, die nur auf der Basis ei• Friedrich-Ebert-Stiftung, For• e Wichtigste Dimension ist die nes materiell gesicherten Alters schungsinstitut, Godesberger Al• Beachtung der divergenten In• erfolgen kann, statt einer ent• lee 149, 53175 Bonn, bestellt teressengebiete der Alten. mündigenden Politik für die Al• werden. ten. Wesentlicher Baustein für e Die aktive Beteiligung der Al• eine die Erhaltung bzw. Förde• Kontakt: Dr. Jörg Scheinpflug, ten an der Konzeption von rung der Kompetenzen im Alter Auf Staffeis 1, 53619 Rhein• Einsätzen und die gleichbe• anstrebende Altenpolitik ist die breitbach. rechtigte Stellung in der Zu• allgemeine Attraktivierung der sammenarbeit mit hauptberuf• Rahmenbedingungen der ehren• lichen Mitarbeitern ist unver• amtlichen Tätigkeit. Gleichzei• TAQUNC/S zichtbar für eine befriedigen• tig müssen neben der bisherigen de und damit dauerhafte eh• Förderung der großen Organisa• BERICHT renamtliche Tätigkeit. tionen die eigeninitiativen Frei• willigenorganisationen und die Zwischen Staat © Das Bedürfnis der Alten nach kleineren sozialen Netzwerke und Markt: Zeitsouveränität muß respek• stärker unterstützt werden. tiert werden. Gerade bei den Der Nonprofit- 'jungen Alten' ist Zeit zu ei• Auf gesellschaftlicher Seite ist ner knappen Ressource gewor• zunächst die Relativierung des Sektor in den. Stellenwertes der Erwerbsarbeit Deutschland in der Sinnzuschreibung unum• e Die 'neuen Alten' gehen mit gänglich. Erst durch die gesell• Auf der gemeinsam vom Wis• einer weniger altruistischen schaftliche Aufwertung alterna• senschaftszentrum Berlin und und stärker belohnungsorien- tiver Tätigkeitsformen, die nicht der Johns-Hopkins-University tierten Haltung an das Ehren• in den eigentlichen Erwerbsbe• veranstalteten Konferenz am 16. amt heran. Zumindest die Er• reich eingegliedert sind, kann in• Juni 1995 im WZB wurden er• stattung der Auslagen muß dividueller Sinn auch im Ehren• ste Ergebnisse des international eine Selbstverständlichkeit amt gefunden werden. vergleichenden Forschungspro- FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HLIT 3, 1995

jektes zum Nonprofit Sektor vor• Personen beschäftigt als in den sich Unterschiede feststellen. Dies gestellt. Im Mittelpunkt der Ber• größten Firmen dieser Länder. gilt insbesondere für die Finan• liner Tagung stand der Nonpro• Im Dienstleistungsbereich geht zierung. So kommt öffentlichen fit Sektor der Bundesrepublik. sogar jeder achte Arbeitsplatz Mitteln als Finanzierungsquelle Erstmals wurde den mehr als 100 auf das Konto einer Nonprofit von NPOs in Großbritannien eine Teilnehmern der Tagung jedoch Organisation, Darüber hinaus wesentlich geringere Bedeutung auch ein Überblick über die Er• sind Nonprofit Organisationen zu als in Deutschland. Im Unter• gebnisse des internationalen Ver• als Arbeitgeber eindeutig auf schied zur Bundesrepublik rekur• gleichs vermittelt sowie ein Ein• Wachstumskurs. Der Anteil der rieren NPOs in Großbritannien in druck von der Strukturierung des Beschäftigten im Nonprofit Sek• weitaus stärkerem Maße auf Ein• Nonprofit Sektors des Nachbar• tor an der Gesamtzahl der Be• nahmen aus Gebühren und Ent• landes Frankreichs gegeben. schäftigten ist in den 1980er Jah• gelten. ren international im Durchschnitt Seit 1990 wird unter Federfüh• um 13% gestiegen. Hinsichtlich Edith Archambault (Universite rung des Institute for Policy Stu• der Finanzierung von NPOs Paris I. Sorbonne) stellte in Ber• dies der Johns Hopkins Univer• kommt der öffentlichen Hand lin den Nonprofit Sektor des sity der Nonprofit Sektor in eine zentrale Bedeutung zu. Der Nachbarlandes Frankreich vor zwölf Ländern (acht Industrie- Nonprofit Sektor ist daher auch und ging in ihrem Referat auf und vier Entwicklungsländern) im internationalen Vergleich die im Vergleich zu Deutschland sowohl quantitativ erfaßt als kein „independent sector". Der sehr unterschiedliche historische auch in der internen Strukturie• Anteil privater Mittel - Spen• Entwicklung ein? Anders als in rung analysiert. Darüber hinaus den, Mitgliederbeiträge oder Deutschland war in dem von werden in den Länderstudien die Sponsorengelder - an der Ge• Zentralismus und Etatismus ge• historische Entwicklung des je• samtfinanzierung von NPOs fällt prägten Frankreich lange Zeit weiligen Sektors, seine politisch• eher gering aus. Die Hauptein• kein Platz für private gemein• administrative Einbettung sowie nahmequellen sind international nützige Initiativen, die subsidi- die landesspezifischen rechtli• betrachtet öffentliche Mittel so• tär tätig sind. Dies hat sich in• chen Rahmenbedingungen be• wie in zunehmenden Maße Ein• zwischen geändert. Unter dem handelt. Die Vergleichbarkeit nahmen aus Gebühren und Ent• Leitmotiv der Economie Socia• 1 der Ergebnisse der Länderstudi• gelten. le läßt sich spätestens seit den en ist durch eine strikt kompara- 1960er Jahren ein Gründungs• tistisch angelegte Vorgehenswei• Trotz vieler Gemeinsamkeit las• boom von Nonprofit Organisa• se gewährleistet. Die Koordina• sen sich im internationalen Ver• tionen in Frankreich feststellen. tion der Landesarbeitsgruppen gleich aber auch deutliche Un• Inzwischen verfügt Frankreich erfolgt durch regelmäßige Ar• terschiede festzustellen. So hält über einen Nonprofit Sektor von beitstreffen. quantitativ betrachtet der Nonpro• beachtlicher Größe. Hinsichtlich fit Sektor der USA mit Ausga• der Finanzierungsstruktur des Als zentrales Ergebnis des in• ben von 340,9 Mill. $ die Positi• Sektors sowie der Tätigkeitsfel• ternationalen Vergleichs, so der on des Spitzenreiters unter den der seiner Organisationen lassen Projektleiter Lester Salamon untersuchten Ländern. Mit deut• sich für die beiden Nachbarlän• (Johns Hopkins Universität, Bal• lichem Abstand folgen Japan der viele Gemeinsamkeiten auf• timore), ist die herausragende (94,9 Mill. $) sowie die EU-Län• zeigen. Private Zuwendungen wirtschaftliche Bedeutung von der Deutschland (53,7 Mill. $), spielen in Frankreich und NPOs festzuhalten. Dies gilt im Großbritannien (46,6 Mill. $) und Deutschland insofern kaum eine besonderen für den Arbeits• Frankreich (39,9 Mill. $). Zwar Rolle, als die Nonprofit Sekto• markt. So sind in den untersuch• verfügen die EU-Länder über ren beider Länder überwiegend ten Industrieländern in Nonpro• Nonprofit Sektoren vergleichba• öffentlich finanziert sind; ferner fit Organisationen deutlich mehr rer Größe, doch auch hier lassen sind NPOs in Frankreich wie in FORSCHUNGSIOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 105

Deutschland schwerpunktmäßig Hinsichtlich seiner Finanzie• desrepublik erreicht. Allerdings in den Bereichen Gesundheit, rungsstruktur ist der Nonprofit weisen NPOs in den neuen und Soziale Dienst und Erziehung Sektor der Bundesrepublik nicht alten Ländern noch Unterschie• tätig. Allerdings findet man im anders als staatslastig zu bezeich• de hinsichtlich der strategischen Unterschied zu Deutschland in nen. Öffentliche Zuwendungen Dimension der Ressourcenbe• Frankreich deutlich mehr NPOs machen rund 70% der Gesamt• schaffung und -mobilisierung im Bereich Kunst und Kultur. einnahmen aus. Demgegenüber auf. Wolfgang Seibel (Universi• kommt Einnahmen aus Gebüh• tät Konstanz) führte in seinem Nach dem internationalen Ex• ren und Entgelten aber auch aus Vortrag aus, daß NPOs der al• kurs und dem Blick ins Nach• privaten Spenden eine ver• ten Länder in Zeiten leerer öf• barland Frankreich stand der gleichsweise nachgeordnete Be• fentlicher Kassen die Kontakt• Nonprofit Sektor der Bundesre• deutung zu, die im internationa• aufnahme zur Politik favorisie• publik im Zentrum des Interes• len Vergleich deutlich unter dem ren, während ostdeutsche eher ses. Die Ergebnisse der Struk• Durchschnitt liegt. auf die Mobilisierung der öffent• turanalyse des deutschen Teil• lichen Meinung sowie auf die projektes referierte Helmut An- Wie Eckhard Priller (Eckhard Unterstützung durch ihre Dach• heier (Johns Hopkins University Priller, WZB) in seinem Referat verbände setzen. und Rutgers University).3 Ge• feststellte, lassen sich zwischen messen an den Ausgaben, dem den NPOs der alten und neuen Policy und Politics des Nonpro• Anteil am Bruttosozialprodukt Länder noch Unterschiede fest• fit Sektors der Bundesrepublik sowie an der Zahl der Arbeits• stellen. So ist der Anteil kleiner standen im Mittelpunkt der Aus• plätze verfügt Deutschland von Organisationen mit wenigen Be• führungen von Annette Zimmer den untersuchten Ländern über schäftigten in Ostdeutschland (Universität-Gesamthochschule den drittgrößten Nonprofit Sek• noch verhältnismäßig hoch. Im Kassel) sowie der von Wolfgang tor. In der Bundesrepublik sind Vergleich zu den alten Ländern Zapf (Wissenschaftszentrum in Nonprofit Organisationen findet man in Ostdeutschland ein Berlin) geleiteten Podiumsdis• knapp viermal so viele Perso• wesentlich stärkeres Engagement kussion.4 Vertreter aus Wissen• nen beschäftigt als beim größ• von NPOs in den Bereichen Bil• schaft, Praxis und Politik nah• ten deutschen Automobilherstel• dung und Forschung sowie in der men eine kritische Bestandsauf• ler VW. Auch der deutsche Non• Kultur. Zwar wirken der Um• nahme der historisch gewachse• profit Sektor befindet sich auf bruch der DDR-Gesellschaft so• nen und überkommenen Struk• Wachstumskurs. Im internatio• wie der im Anschluß an die Ver• turen des Nonprofit Sektors in nalen Vergleich sind insbeson• einigung stattgefundene Institu• Deutschland vor, zogen eine er• dere die Wachstumsraten seiner tionentransfer immer noch prä• ste vorläufige Bilanz der jüng• Organisationen in den Bereichen gend auf den Nonprofit Sektor sten Deregulierungsmaßnahmen Gesundheit und Soziales signi• der neuen Länder, gleichwohl und prognostizieren die zukünf• fikant; ebenso bemerkenswert lassen die Selbsteinschätzung der tige Entwicklung des Sektors. war in den 1980er Jahren der Einrichtungen und die wachsen• Zuwachs an Arbeitsplätzen im de Bereitschaft zu ehrenamtli• Danach arbeiten Staat und Non• Nonprofit Sektor. Der Tätig• chem Engagement auf einen po• profit Sektor bei der Erstellung keitsschwerpunkt deutscher sitiven Entwicklungstrend des sozial- und wohlfahrtsstaatlicher NPOs liegt eindeutig auf dem Sektors schließen. Entsprechen• Leistungen in Deutschland tra• Gebiet der sozialen Dienstlei• des gilt für den Boom des Ver• ditionell eng zusammen. Wäh• stungen sowie im Bereich Ge• einswesen in den neuen Ländern. rend der Staat durch Transfer• sundheit. Im internationalen Ver• Dieser hat sich inzwischen zwar zahlungen sowie durch gesetzli• gleich unterdurchschnittlich ver• etwas abgeschwächt, in einigen che Rahmen vorgaben die Finan• treten sind NPOs in Deutschland Bereichen wird aber durchaus zierung sicherstellt, wird die dagegen im Politikfeld Kultur. schon das Niveau der alten Bun• konkrete Dienstleistungsproduk- 106

tion durch NPOs übernommen. nähe seiner Organisationen wird schen Managements- und Mar• Diese Public-Private-Partnership nicht mehr nur als vorteilhaft ketings, die stärkere Marktori• hatte in der Vergangenheit für empfunden. Mehrheitlich bekla• entierung, die Neubestimmung den Nonprofit Sektor viele Vor• gen NPOs die zu starke Abhän• von Ehrenamtlichkeit sowie teile. Seine Organisationen ver• gigkeit von öffentlichen Zuwen• nicht zuletzt eine aktive Loslö• fügten über gesicherte Ressour• dungen bei einem Übermaß an sung vom Staat durch die Inten• cen und eine privilegierte Markt• staatlicher Kontrolle und Ver- sivierung der Lobbyaktivitäten position. In zentralen Bereichen, rechtlichung. Von der Mehrheit zu nennen. Nach übereinstim• wie etwa im Sozialwesen, wa• der Bevölkerung als quasi-staat- mender Meinung der Experten ren sie sogar in der Lage, die licher Bereich wahrgenommen, besteht daher kein Zweifel, daß Preise zu diktieren und den stehen dem Nonprofit Sektor bei der Nonprofit Sektor auch in Zu• Marktzutritt zu kontrollieren. stark zurückgehenden öffentli• kunft in Deutschland nicht an chen Zuwendungen kaum alter• Bedeutung verlieren wird. Frag• Aktuell wird diese traditionsrei• native private Finanzierungs• lich ist allerdings, wie die auf• che Zusammenarbeit in Frage quellen zur Verfügung. Denn der grund leerer öffentlicher Kassen gestellt. Angesichts leerer öffent• Bürger ist kaum bereit, diese entstehende Finanzierungslücke licher Kassen ist nicht nur kon• halb-staatlichen Organisationen geschlossen werden soll. Wird sequentes Sparen angesagt, son• mit Spenden, freiwilligen Lei• auch hier der amerikanische oder dern auch die Deregulierung der stung und ehrenamtlichen Enga• britische Weg beschritten, bei geschützten Nonprofit-Sektor- gement zu unterstützen. Insofern dem in Form von Gebühren und Märkte hat bereits begonnen. So blickt der Nonprofit Sektor auch Entgelten die Leistungsempfän• wurde im Anschluß an die Skan• mit Skepsis in die Zukunft. Die ger stärker zur Kasse gebeten dale um die Neue Heimat die Diskussion über die Modernisie• werden? Oder wird es den deut• Wohnungsgemeinnützigkeit rung des Staates, gekoppelt mit schen NPOs gelingen, das Auf• (1990) schlicht abgeschafft. Das drastischen Kürzungsmaßnah• kommen an Spenden- und Spon• Subsidiaritätsprinzip wird nicht men, erzeugt Irritationen. Die sorengeldern drastisch zu erhö• mehr als Schutzwall der privile• politischen Rahmenbedingungen hen, so daß der Rückgang der gierten Stellung der Wohlfahrts• werden als äußerst unsicher ein• öffentlichen Zuwendungen mit verbände interpretiert. Vielmehr geschätzt. Dies gilt auch für die privaten Mitteln ausgeglichen sind im BSHG im KJHG und in EU-Ebene, deren rechtliche Re• werden kann? Fraglich ist auch, der Pflegeversicherung andere gelungen als problematisch an• inwiefern die von betriebswirt• frei-gemeinnützige und sowie gesehen werden. schaftlichen Effiziensdenken ge• kommerzielle Anbieter den Ein• tragenen Modernisierungskon• zepte der Einzelorganisationen richtungen der Wohlfahrtsver• Gleichzeitig ist angesichts die• greifen werden, und ob diese bände gleichgestellt. Sportverei• ses Krisenszenarios der Nonpro• nicht doch zu Lasten der Lei• ne haben sich schon längst auf fit Sektor in Deutschland der• stungsempfänger gehen werden. die Konkurrenz der kommerzi• zeit äußerst aktiv. Mit gezielten Zweifellos sind bei vielen der ellen Anbieter einstellen müssen. Maßnahmen versuchen seine großen und allzu bürokratischen Und in der Kultur bekommen Organisationen, sich auf die ver• NPOs Reformen angesagt, doch die öffentlichen Einrichtungen - änderten Bedingungen einzustel• sollten diese auf keinen Fall mit die Trias von Stadttheater, Mu• len und vor allem das Vertrauen Abstrichen an den Wertbindun• seum und Konzerthalle - die der Bürger wiederzugewinnen. gen und ideellen Zielsetzungen Konkurrenz durch freie Grup• Konkret sind in diesem Zusam• der Einrichtungen erkauft wer• pen, Initiativen und soziokultu- menhang die aktuelle Leitbild• den. relle Zentren zunehmend zu spü• diskussion und Profilierung der ren. Somit steht der Nonprofit Organisationen, die Verschlan- Sektor in der Bundesrepublik kung der Verwaltungsstrukturen Als vorläufiges Zwischenergeb• derzeit unter Stress. Die Staats• sowie die Einführung strategi• nis der Berliner Tagung ist da- FORSCHUNGSJOURNAL NSB, Je, 8, HEFT 3, 1995 MlBl

her festzuhalten: Der Nonprofit Ergebnisse der Policy-Analyse Der DJHT bietet ein Forum für Sektor in Deutschland befindet des deutschen Teilprojektes, (Ta• den Diskurs innerhalb der Ju• sich derzeit in einer massiven gungsunterlage) gendhilfe, sucht den Dialog mit Umbruchs- und Modernisie• den jugendpolitischen Verant• rungsphase. Auf die Fortsetzung wortlichen und dient der Dar• des Projektes und die Ergebnis• stellung der Jugendhilfe in der se der zweiten Phase darf man TAQUNQS Öffentlichkeit. Der DJHT ist ein daher gespannt sein. Die deut• HINWEISE Fachkongreß für und mit Ver• sche Teilstudie ist beim WZB anstaltern aus dem Gesamtspek• angesiedelt und wird von Eck• trum der Jugendhilfe und wen• hard Priller und Annette Zim• Einladung zum det sich an ehren- und haupt• mer geleitet. amtliche Mitarbeiterinnen aller Sozialpoliti• Träger der Jugendhilfe und ihre Annette Zimmer Kooperationspartner. schen Forum Der fachpolitische Diskurs der 10. DJHT soll unter vier ausge• Tagungsmaterialien und nähere Der AG SPAK lädt vom 1. bis wählten Themenschwerpunkten Informationen sind zu erhalten 3. Dezember 1995 zum Sozial• geführt werden: Lebenssituation bei: politischen Forum (SPF) an der und Entwicklungschancen, Par• Dr. Eckhard Priller Universität Gesamthochschule tizipation, Fachlichkeit und Wissenschaftszentrum Berlin Kassel ein. Schiffbauerdamm 19 Wirtschaftlichkeit in der Jugend• 10117 Berlin Das SPF wir zum einen unter hilfe und Mitarbeiterinnen im Dr. Annette Zimmer den Vorzeichen '25 Jahre AG Netzwerk Jugendhilfe. GhK, FB 07 SPAK' stehen, zum anderen Einen Überblick über alle Akti• Nora-Platiel-Str. 4 wäre es problematisch erschie• vitäten — Rahmenprogramm, 34109 Kassel nen, das SPF zu einer Nostal• Fachveranstaltungen, Ausstel• gieveranstaltung zu machen. Da• lungsstände, Messeplan - gibt her ist das Thema bewußt zu• der Veranstaltungskalender, der im Februar 1996 erscheint. Er Anmerkungen kunftsorientiert gehalten: 'Per• spektiven einer sozialpolitischen kann gegen Zahlung einer 1 Zu den Ergebnissen des inter• Arbeit der nächsten 25 Jahre'. Schutzgebühr von 5 DM bereits nationalen Vergleichs vgl.: Sa- jetzt bei der AGJ bestellt wer• lamon, Lester M./Anheier, Hel• Kontakt: Rolf Schwendter, FB den. Der Besuch aller Veranstal• mut K, 1994: The Emerging Sozialwesen, Arnold-Bode-Stra• tungen des 10. DJHTs ist grund• Sector: An Overview, Baltimore ße 10, 34127 Kassel, Fax: 0561/ sätzlich offen; eine Teilnahme• 2 Zum Teilprojekt Frankreich 9043388. gebühr wird nicht erhoben. vgl.: Archambault, Edith, 1995: Kontakt: AGJ - Arbeitsgemein• The Nonprofit Sector in France, schaft für Jugendhilfe, Haager f Manchester Weg 44, 53127 Bonn, Tel.: 3 Anheier, Helmut K./Priller, 0228/91024-0. Eckhard, 1995: Der Nonprofit- 'Jugend macht Sektor in Deutschland: Eine so• Zukunft' zial-ökonomische Strukturbe• schreibung, (Tagungsunterlage) Vom 30. Mai bis 1. Juni 1996 4 Zimmer, Annette, 1995: Pu- findet in Leipzig der 10. Deut• blic-Private Partnership: Staat sche Jugendhilfetag (DJHT) un• und Dritter Sektor in den 1980er ter dem Motto 'Jugend macht Jahren. Zusammenfassung der Zukunft' statt. FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3,1995

Dietz Verlag herauskom• erscheint bis jetzt unregel• MATERIAL men. Er wird sich schwer• mäßig und hat noch finanzi• punktmäßig mit neuen An• elle und personelle Engpäs• sätzen zur Lösung der welt• se. Umso mehr freuen sich weit zunehmenden Flücht• die Herausgeberinnen über lingsproblematik auseinan• Mitarbeit, die auch aus dem Transfer - dersetzen. interessierten Ausland stam• men kann. Zeitschrift des EGI Neben detaillierten Analysen der zentralen politischen Kontakt: Libertäre Liga, Das Forschungsinstitut des Herausforderungen der Redaktion Vogelfrei, Europäischen Gewerk• nächsten Jahre liefert der Thomas Sohmidinger, schaftsbundes (EGI) gibt seit neue UNHCR-Report eine Letzestr. 9b, Januar des Jahres die Zeit• Vielzahl grundlegender A-6800 Feldkirch. schrift 'Transfer - European Daten, Statistiken, Karten Review of Labour and Rese• und Grafiken, die die Lage arch' heraus. Die vierteljähr• der Flüchtlinge der Welt lich erscheinende Zeitschrift erfassen. Außerdem enthält hat sich in den drei bislang er eine umfangreiche Über• vorliegenden Ausgaben mit sicht über Hilfsaktionen und Leipziger der Modernisierung der Repatriierungsoperationen, Besetzerinnenkongreß Gewerkschaften in Europa, die eine Abschätzung des den Europäischen Betriebs• Vom 12. bis 14. Mai 1995 Erfolgs der neuen Ansätze in räten sowie den Arbeitsbe• fand in Leipzig ein bundes• der Praxis ermöglichen. ziehungen und Gewerk• weiter Besetzerlnnen-Kon- schaften in den mittel- und greß statt. Der Kongreßrea- osteuropäischen Ländern der ist noch erhältlich. Eine beschäftigt. Das vierte Heft Castor - das Buch Broschüre mit Kongreß- und (Oktober 1995) widmet sich Ein aktueller Bildband be• Demoeinschätzung, Arbeits• dem Themenschwerpunkt richtet über den Widerstand gruppenergebnissen, den Beschäftigungsförderung in gegen den Castor-Transport Texten der Einleitungsrefe• Europa. nach Gorleben zwischen rate, Pressestimmen, etc. ist Sommer 1994 und März in Planung. Kontakt: Transfer, 1995. Das 148seitige Buch Bld. Emile Jacqmain 155, Kontakt: Besetzerinnen• kostet 24,80 - zzgl. Ver• 1210 Brüssels. kongreß, Koburger Str. 3, sandkosten - und kann 04227 Leipzig, bezogen werden über: Tem- Tel. & Fax: 0341/311044. pel/Stay, Landstr. 6, 29462 Güstritz. Zur Lage der Flücht• linge in der Welt Aufbruch '95 Am 15. November des Jah• Über 500 Studentinnen aus res wird der neue Report der Vogelfrei siebzig Hochschulen trafen Hohen Flüchtlingskommissi• Eine Gruppe gewaltfreier sich Mitte Juni in München, on der Vereinten Nationen in Anarchistinnen aus Öster• um sich in einem viertägigen Verbindung mit der Deut• reich hat begonnen, eine Workshop in etwa 100 Semi• schen Stiftung für UNO- eigene Zeitschrift herauszu• naren mit Problemen der Flüchtlingshilfe im Bonner bringen. Die 'Vogelfrei' Hoohschulpolitik, feministi- FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEF-T 3, 1995

scher, antifaschistischer, Reader zum Berli• beim Bundesministerium für antirassistischer und interna• ner Autonomie-Kon- Familie, Senioren, Frauen tionalistischer Politk, Ökolo• und Jugend, Postfach gie sowie Gesundheits- und greß 1995 201551, 53145 Bonn ange• Sozialpolitik auseinanderzu• Die Kongreßini des Berliner fordert werden. setzen. Autonomie-Kongreß Ostern Die Ergebnisse der Semina• 1995 hat zwei Reader vorbe• re und Workshops werden in reitet: 'Eat it' (7 DM) enthält einer ausführlichen Doku• die Thesenpapiere aller Fachinformations• mentation zusammengefaßt. AGs; 'Autonomie-Kongreß' dienst allgemeine Texte und Infos Kontakt: freier zusammen- zu den Vorbereitungstreffen. Die Arbeit & Ökologie-Briefe schluß von studentlnnen- Außerdem sind sechs Aus• sind ein Fachinformations• schaften (fzs), Tel. 0228/ gaben der Kongreßzeitung dienst für die Arbeitswelt. 262119. 'Konpress' erschienen. Zur Sie werden von Betriebs• Nachbereitung ist eine Do• und Personalräten, Gewerk• kumentation geplant. schaftlern und Beschäftigten gelesen, die täglich mit Alles zu bestellen bei: Kon• Materialien zum Fragen des Arbeits- und greßini, c/o Mehringhof, Thema Frieden Umweltschutzes in Betrieb Gneisenaustr. 2a, 10961 und Büro zu tun haben. Die Der Pazifix-Materialversand Berlin. Briefe berichten vierzehntä• der DFG-VK Baden-Würt• gig u.a. über aktuelle temberg hat sein Angebot Rechtsänderungen, betriebli• aktualisiert und neue Ver• chen Umweltschutz, ökologi• zeichnisse zu verschiedenen sche Büros und Gesund• Bereichen der Friedensthe• Informationen und heitsrisiken am Arbeitsplatz. matik herausgegeben: Ge• Ratschläge für über• waltfreiheit, Kriegsdienstver• schuldete Familien Ein kostenloses Probeheft weigerung, Rüstung, Frie• oder ein unverbindliches denserziehung, etc. Wer die In aktualisierter Neuauflage Schnupperabo (drei Hefte Bücher, Broschüren, Flug• erscheint eine Broschüre, für 10 DM in bar oder als blätter, Plakate, Aufkleber, die überschuldete Familien Scheck) können bestellt Anstecker näher kennenler• über Möglichkeiten infor• werden bei: nen möchte, sollte den miert, einen Ausweg aus neuen Material-Prospekt ihrer kritischen wirtschaftli• Arbeit & Ökologie-Briefe, kostenlos anfordern: chen und sozialen Lage zu Uhlandstr. 58, 60314 Frank• finden. Sie umreißt die furt/M., Fax: 069/430189. Pazifix, Alberichstr. 9, 76185 Rechtslage im Überschul- Karlsruhe, Tel.: 0721/ dungsfall und enthält ein 552270, Fax: 0721/558622. Verzeichnis der Schuldner• beratungsstellen und der Netzwerke Beratungsstellen der Ver• braucherinitiativen. für Frauen Wer weiß eigentlich, daß es Die kostenlose Broschüre ein 'Netzwerk archäologisch 'Was mache ich mit meinen arbeitender Frauen' gibt? Schulden' kann schriftlich Wer ahnt, was die 'Frauen- na FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3,1995

akademie München' treibt? Arbeitsmarkt für Soziologin• Künftig wird das Blatt, das Keine Sorge, das ist alles nen heraus. Das Heft be• monatlich Dinge des tägli• nachzulesen in dem Hand• schreibt Möglichkeiten, wie chen Gebrauchs unter Um• buch von Ulla Dick 'Netzwer• sie sich vor allem auf dem welt- und Gesundheits• ke und Berufsverbände für Arbeitsmarkt außerhalb aspekten untersucht, ver• Frauen' (Rowohlt: Hamburg, wissenschaftlicher und stärkt allgemeine Themen rororo-Sachbuch 9771). Wer öffentlicher Institutionen und auch einzelne Firmen Kontakt, Rat oder Hilfe durch Zusatzqualifikationen unter die ökologische Lupe sucht, wird hier fündig. Die und unter Einbeziehung von nehmen, um auch weiterhin Adressen sind 1994 vollstän• Praktika in die Ausbildung - so Chefredakteur Jürgen dig überarbeitet und erwei• erfolgreicher präsentieren Stellpflug - 'das Gegengift tert worden. können. im vergifteten Alltag' zu bleiben. Die Broschüre richtet sich an Abiturientinnen, Studentin• nen und Hochschulabsol• Umweltdaten ventinnen. Zu beziehen ist Deutschland sie über: ZAV, Arbeitsmarkt• Ethik-Fonds informationsstelle, Fachbe• Wie haben sich die Umwelt• reich 10.20, Postfach Mit einem 'Ethik-Fonds' belastungen in Deutschland 170545, 60079 Frankfurt, können Sparer jetzt nach entwickelt? Wer sind die Tel.: 069/7111291. Angaben des UN-Kinder- Verursacher? Wie belastet hilfswerks Unicef notleiden- sind Rhein und Elbe, wie den Menschen in Entwick• entwickelt sich die Luftquali• lungsländern helfen, ohne tät in den Städten? Und vor ihr eingezahltes Kapital allem: Was kostet das alles? Der Tor des Monats anzugreifen. Ziel des DKU- Diese und andere Fragen Fonds der von den genos• „Gegen Sozialismus hilft werden in einer 45seitigen senschaftlichen und einigen garantiert das gleiche Mittel Broschüre 'Umweltdaten kleineren privaten Banken wie bei Heroin-Sucht: die Deutschland 1995' des getragenen Kapitalanlage• Überdosis!" Umweltbundesamtes umris• gruppe Union Investment sei sen. Anzeige des CDU-Stadtbe• es, eine attraktive Rendite zirksverbandes im Nauroder bei begrenztem Risiko mit Kontakt: Umweltbundesamt, Bürgerbrief. einer Spende an Unicef zu Zentraler Antwortdienst, verbinden. Postfach 330022, 14191 Berlin, Tel.: 030/23145534-536. Zeitschrift Oko-Test Vor zehn Jahren aus der 'Europa 2000' Öko-Bewegung heraus Eine neue Broschüre, 'Euro• Wissenswertes für gegründet, geht das Frank• pa 2000', informiert über die Soziologen furter 'Öko-Test-Magazin' mit Europäische Union, ihre einer Auflage von 85.000 Institutionen und alle wichti• Die Arbeitsmarktinformation- verkauften Heften ins zweite gen EU-Politikbereiche. Mit stelle bei der Zentralstelle für Jahrzehnt. neuesten Daten und Fakten Arbeitsvermittlung (ZAV) gibt wird die Lage der 15 EU- eine Broschüre über den FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3,1995

Mitgliedstaaten erläutert. Leitfaden zu gruppen (SHG) engagiert; Bilder, Grafiken und Tabel• 30% der erwachsenen Be• len lockern den verständlich Jugendräten völkerung sehen darin für geschriebenen Text auf. Die Der Europäische Jugendrat sich einen Weg, ihre persön• 70seitige Broschüre kann hat einen Leitfaden zu den lichen Probleme zu lösen. kostenlos bezogen werden nationalen Jugendräten als Auch die Anzahl der SHG in bei: Europäisches Parla• Arbeitshilfe für die europäi• den neuen Bundesländern ment, Informationsbüro für sche Zusammenarbeit der steigt. In den letzten zwei Deutschland, Bundeskanz• Jugendverbände herausge• Jahren hat sich die Zahl von lerplatz, 53113 Bonn. geben. Er informiert über die SHG um 50% vergrößert - in nationalen Jugendräte in 35 7.500 SHG sind 200.000 Ländern und Kontaktorgani• Menschen aktiv. sationen in weiteren vier Jugend-Presse• Staaten. Beschrieben wer• den u.a. die Zielsetzungen datenbank und die Struktur eines jeden Broschüren der Die Jugend-Pressedaten• nationalen Jugendrates, bank ist als Instrument für seine Aktivitäten sowie die Deutsche Aids-Hilfe Beziehungen zu staatlichen die gezielte Vertretung der Die Deutsche Aids-Hilfe hat und nicht-staatlichen Organ- Interessen Jugendlicher in zwei neue Broschüren her• siationen. Ferner sind kurze der Öffentlichkeit und in den ausgegeben: 'Unkonventio• Hinweise auf die jeweilige Medien gedacht. Sie enthält nelle Therapie bei HIV und Jugendpolitik und auf die Anschriften sowie zusätzli• Aids von H. D. Wolfstädter Finanzierung der vorgestell• che Informationen zu Medi• und den Ratgeber 'Men• ten Jugendorganisationen en und Journalisten, die sich schen mit Aids und die enthalten. Die englischspra• mit Jugendthemen befassen. Pflegeversicherung'. Mit dieser Computer-Daten• chige Broschüre 'National bank können Themen und Youth Committees Informati• Beide Broschüren können aktuelle Inhalte der Jugend• on Handbook' kann bei bei der Deutschen Aids- arbeit gezielt an die Medien CENYC, Chaussee de Wav- Hilfe, Postfach 149, 10921 vermittelt und so in der re, 517-519, B-1040 Bruxel- Berlin, kostenlos bestellt Öffentlichkeit dargestellt les, bestellt werden. werden. werden. Das Programm ist anwenderfreundlich, läuft auf PCs und MAC-Ftechnern, kostet 40 DM und wird halb• jährlich aktualisiert. Selbsthilfe und Initiativen Der Vertrieb liegt bei der Stiftung Demokratische Die Zahl der Menschen, die Jugend, Grünberger Straße bereit sind, sich partner• 54, 10245 Berlin, Tel.: 030/ schaftlich in verschiedenen 2945289. Formen der Selbsthilfe zu engagieren, ist groß. Zwei bis sechs Prozent der Men• schen, die von einem Pro• blem betroffen sind, haben sich aktuell in Selbsthilfe• FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3,1995

lismus" (52). Ihre Kritik gilt Sie selbst definieren Zivilge• REZENSIONEN einerSolidarität, die nicht durch sellschaft „als ein Netzwerk von Interessen motiviert, sondern Organisationen und informel• der bloßen Orientierung an len Zusammenhängen, das ge• Menschenrechten und Gerech• Kößler, Reinhart/Mel- eignet ist, als Widerlager und tigkeit geschuldet ist. Widerpart gegenüber dem je• ber, Henning: Ihr eigener Vorschlag zur Be• weiligen Staatsapparat aufzu• Chancen stimmung eines tragfähigen So• treten" (93). Ihr Konzept der lidaritätskonzeptes greift auf Zivilgesellschaft schließt als internationaler das Internationalismuskonzept weiteres Element das Postulat Zivilgesellschaft. der Arbeiterbewegung zurück, einer Gesellschaft der Freien das auf einer gemeinsamen ge• und Gleichen ein, die die Chan• Frankfurt/M: Suhrkamp 1993. sellschaftlichen Lage beruhte. ce zur effektiven Partizipation Angesichts der zunehmenden aller gewährt. Dies impliziere Internationalisierung von Un• Die Publikation von Reinhart - so Kößler und Melber - die ternehmen und der daraus fol• Kößler und Henning Melber öffentliche Gewährleistung der genden Standortkonkurrenz ist der Versuch einer grundle• materiellen Grundlagen effek• „gibt es gute und handfeste genden B es timmung vornehm• tiver Partizipation. Angesichts materielle Gründe, für soziale lich nicht-staatlicher „Formen der real sich vollziehenden Glo• und politische Rechte anderer und Möglichkeiten aktiver Ein• balisierung ökonomischer Pro• einzutreten. Deren Verweige• wirkungen auf die Beziehun• zesse und ökologischer Pro• rung trägt mittelfristig dazu bei, gen zwischen dem Norden und bleme charakterisieren sie die diese Rechte im eigenen Land dem Süden" als auch des „Cha• gegenwärtige Beschränkung zu gefährden (...) Es geht also rakters dieser Beziehungen" politischer Teilnahmerechte nicht primär um vordergründi• (11) nach dem Ende der Block• und ziviler Solidarität auf die gen Altruismus, sondern um konfrontation. Dabei gehen Einwohner von Nationalstaa• wohlverstandene ureigenste Kößler und Melber von der ten aber als willkürlich und Interessen" (56). 'sich formierenden Weltgesell- fragwürdig. „Konsequent Operiert die Situationsanalyse schaft' aus, die sich für sie in drängt sich damit die Frage mit dem Begriff der Weltge• erster Linie durch den kapitali• nach einer internationalen Zi• sellschaft, so knüpfen Kößler stischen Weltmarkt konstitu• vilgesellschaft als materieller und Melber ihre normativen iert, aber auch durch weltweite Einlösungbestehender weltge• Überlegungen an den sich ge• Überlebensprobleme, insbe• sellschaftlicher Zusammen• genwärtig einer ungeheuren sondere die mit dem herrschen hänge auf" (94), die die Auto• Konjunktur erfreuenden Be• Produktionsparadigma ver• ren zwar als utopische, aber griff der Zivilgesellschaft. Den knüpften ökologischen Krisen• keineswegs irreale Perspekti• Ausgangspunkt bildet das ana• erscheinungen, die vom Nor• ve auszeichnen. Dieses norma• lytische Konzept der Zivilge• den allein nicht mehr gelöst tive, auf intersozietärer Ebene sellschaft bei Gramsci „als Feld werden können. Die solcher• egalitäre Konzept und seine politischer und gesellschaftli- maßen gestiftete Interdepen• zentralen Bestandteile, die un• cherAuseinandersetzungenum denz veranlaßt die Autoren ter dem Begriff der Menschen• den Grundkonsens, der wie• schließlich zu einer Kritik am rechte zusammengefaßten per• derum Entwicklungsziele und „Verlust der Reziprozität in der sönlichen Freiheits-, politi- -Prioritäten bestimmt" (80f). Konstruktion von Internationa- schenTeilnahme- und sozialen FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

Teilhaberechte, werden von einer weiteren Hinsicht bedeut• solches Kriterium formulieren Kößler und Melber anschlie• sam: sie werden als Partner zi• die Autoren die Regel, „ob das ßend gegen den Vorwurf der vilgesellschaftlicher Strategien Befördern oder Behindern ge• Partikularität verteidigt (Kap identifiziert. Demokratisierung sellschaftlich-politischer Pro• 4.). 'von unten' ist in diesen Ge• zesse in einem anderen Land Dabei bieten sie die sich in den sellschaften zwar in besonde- Rechte und Lebensmöglichkei• neunziger Jahren in allen Tei• rerWeise prekär, weil sie in der ten negiert, die die Eingreifen• len der Dritten Welt formieren• Regel unter wirtschaftlich un• den selbst für sich in Anspruch den Demokratisierungsbewe• günstigen Bedingungen ab• nehmen und bewahren möch• gungen als Kronzeugen dafür läuft. Gleichwohl halten die ten" (200). Doch selbst unter auf, daß diese Standards nicht Autoren als Ergebnis ihrer Beachtung solcher Regeln kann nur vom Norden propagiert, Überlegungen, die sie durch und wird praktizierte interna• sondern auch vonAkteuren des vier Fallstudien ergänzen, fest: tionale zivilgesellschaftliche Südens in ihren eigenen Ge• „Die Gesellschaften der Drit• Solidarität tiefgreifende Kon• sellschaften eingefordert wer• ten Welt verhalten sich nicht troversen zur Folge haben, den, wobei ihre jeweilige passiv, und die in politisch-so• weshalb sich auch solche For• Durchsetzung oder Verallge• zialen Bewegungen artikulier• men der Einmischung „nicht meinerung - wie übrigens auch ten Forderungen sind ernst zu nur der Probleme sozioökono- in den Gesellschaften des Nor• nehmen, auch gegenüber Be• mischerAbhängigkeit, sondern dens - in gesellschaftlichen zugnahmen auf Modelle der auch der Differenzen in Ge• Kämpfen erfochten werden Bevormundung von außen..." sellschaftsbild und soziopoli- muß. Umgekehrt lassen sich (14). tischer Orientierung bewußt" die in vielen Teilen der Dritten (205) sein sollten. Zudem kann Dieser Tatbestand muß nach Welt sich formierenden funda• derAustrag solcher Interessen- Kößler und Melber Konsequen• mentalistischen Bewegungen und Wertekonflikte gerade ein zen für das Problem der Inter• nicht als Argument für den Eu• Stück gegenseitiger Einmi• vention haben. Gegen militäri• rozentrismus menschenrecht- schung konstituieren. sche Interventionen führen sie licherStandards anführen, weil Am Beispiel der ökologischen die These ins Feld, daß diese solcher Fundamentalismus sich Problematik machen sie gerade dann ineffektiv, verant• auch in Gesellschaften des schließlich noch einmal deut• wortungsethisch nicht akzep• Nordens beobachten läßt. „Es lich, daß eine „Thematisierung tabel und ungeeignet seien, geht also in weit geringerem der fremden wie der eigenen wenn als ihre Zielsetzung und Ausmaß um kulturelle Unter• Verhältnisse ... der entschei• Rechtfertigung die Wahrung schiede ... Vielmehr haben wir dende Unterschied [ist], der von Freiheits- und Menschen• es mit politischen Auseinan• einen solchen Ansatz über das rechten angegeben wird dersetzungen um gesellschaft• Niveau von Interventionen hin• (Kap.7). Doch auch internatio• liche Weichenstellungen in je• ausheben würde, die letztlich nale zivilgesellschaftliche So• weils unterschiedlichen Kon• die hierarchischen Beziehun• lidarität bedeutet unweigerlich texten zu tun, mit Kämpfen um gen zwischen Gesellschaften eine Form der Einmischung die Neudefinition des Grund• reproduzieren" (208). Zugleich und ist nicht von vornherein konsenses..." (114f). ist damit eine der wesentlichen unproblematisch (Kap. 6). Ge• Die Demokratisierungsbewe• Voraussetzung für die Entwick• fordert sind deshalb gleichsam gungen in der Dritten Welt sind lung einer internationalen Zi• Kriterien der 'Zivilgesell• für Kößler und Melber noch in vilgesellschaft bezeichnet: „So- schaftsverträglichkeit' .Als ein FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3,1995

lange diese politische und mo• Perspektive halten dieAutoren würde, und der damit verbun• ralische Umorientierung [d.h. denn auch fest, „daß 'Zivilge• denen Veränderung der Gesell• die grundlegende Revision des sellschaft' nicht per se 'gut' schaften des Nordens scheint weltweit dominierenden Ent• oder 'böse' und sicher auch die Motivierung zivilgesell• wicklungsmodells, U.W.] in nicht 'demokratisch' ist; ihre schaftlicher Solidarität in der den dominanten Gesellschaf• Existenz und Stärkung bietet Bevölkerung des Nordens ten ausbleibt, sind zivilgesell• jedoch eine Chance und eine durch den Verweis auf materi• schaftlichen Beziehungen im unverzichtbare Voraussetzung elle Interessen keine sehr über• internationalen Bereich enge für den Erfolg von Demokra• zeugende Strategie. Dies gilt Grenzen gesetzt durch die be- tiebewegungen" (186).Auf der auch für eine Argumentation s timmende Rolle der B eziehun- anderen Seite steht das norma• mit gemeinsamen Überlebens• gen zwischen Staaten als we• tive Postulat einer Gesellschaft interessen, gehört die Bevöl• sentlicher Form des weltgesell• der Freien und Gleichen, die kerung des Nordens doch zu schaftlichen Verkehrs, zumin• zivilgesellschaftliche Solidari• einem großen Teil zu den Pro• dest auf der Ebene der Politik" tät in der Form der Herstellung fiteuren der die Überlebenspro• (219). Was dies jedoch für die der materiellen Voraussetzun• bleme verursachenden Wirt• Chancen derpolitischen Reali• gen effektiver Partizipation al• schaftsweise, so daß zumindest sierung einer internationalen ler impliziere. Wie die Vermitt• von der Existenz widerstrei• Zivilgesellschaft bedeutet, de• lung dieser beiden Elemente tender Interessen auszugehen ren wesentliches Merkmal die zu denken ist, wird nicht mit• ist (und der Ausgang solcher Praxis internationaler 'ziviler geteilt. Allerdings liefert ihre interner Interessenkonflikte Solidarität' wäre, darüber klä• Kritik am herkömmlichenVer- keineswegs prognostizierbar ren dieAutoren ihre Leserschaft ständnis von Solidarität, dem ist). So ist es denn wohl auch leider nicht auf. Zwar präsen• das Moment der Reziprozität kein Zufall, daß dieAutoren im tieren sie Überlegungen zu fehle, zumindest einen Hin• oben präsentierten Zitat von S. Kriterien 'zivilgesellschafts- weis. Wie referiert, verweisen 219 auf die Notwendigkeit ei• freundlichen' Verhaltens in den die Autoren darauf, daß der ner 'moralischen Umorientie• Beziehungen zwischen Nord Einsatz für die Rechte anderer rung' verweisen. Mit Blick auf und Süd, doch es bleibt vage, angesichts der weltwirtschaft• die Chancen muß das eher skep• welcher Weg von den Interes• lichen Interdependenz im ei• tisch stimmen. Dadurch ver• sen- und Wertekonflikten des genem Interesse läge. Doch liert die Kritik am Solidaritäts• gegenwärtigen weltgesell• solcher Einsatz für die Rechte verständnis der Solidaritätsbe• schaftlichen Zusammenhangs anderer ist nur solange plausi• wegung jedoch einiges an ihrer zu einer internationalen Zivil• bel mit Klugheits- bzw. Inter• Plausibilität. gesellschaft führen könnte. Das essenargumenten zu rechtfer• Konzept der Zivilgesellschaft tigen, solange damit Vorteile hilft hier nicht weiter, insofern erlangt oder zu erwartendeVer- Ulrich Willems, Darmstadt. dieses selbst in eine empirisch• schlechterungen der eigenen analytische und eine normati• Lage abgewehrt werden kön• m ve Komponente zerfällt. Auf nen.Angesichts desAusmaßes der einen Seite wird Zivilge• der Umverteilung zwischen sellschaft bestimmt als Feld der Nord und Süd, das die Reali• Auseinandersetzung um Hege• sierung einer internationalen monie und Konsens. In dieser Zivilgesellschaft erfordern FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HÜFT 3, 1995

Institut für Sozialfor• grenzt man damit eine gesell• polarisierter Thesen und Ge• schung (Hrsg.): schaftliche Marginale von ei• genthesen zu systematisieren. ner mutmaßlich liberal-demo• Die einzelnen B eiträge verdeut• Rechts• kratischen Mitte der Gesell• lichen, daß sich die polarisier• extremismus schaft ab. Bereits im Ansatz ten Erklärungsansätze nicht kann so die Bedeutung der all• immer ausschließen müssen, und Fremden- täglichen Verbreitung latenter sondern oftmals als sich ergän• feindlichkeit. autoritärer und fremdenfeind• zende Optionen verstanden licher Einstellungen in der werden können. Studien zur aktuellen Ent• durchschnittlichen Bevölke• wicklung. rung und deren politische Funk- So können die Motive der Tä• Frankfurt/M: Campus 1994 tionalisierung heruntergespielt ter ideologietheoretisch erklärt werden. Von der konzeptionel• werden. Damit lassen sich aber len Einbindung des Extremis• schwerlich Gewaltakte von musbegriffs hängt also einiges Skinheads erklären, die nur im Wank, Ulrich (Hrsg.): ab. Zusammenhang mit der „Sub• Der neue alte Auch die Diskussion über Ras• kulturbildung deprivierter Ju• Rechts• sismus, Ausländerfeindlichkeit gendlicher" zu verstehen sind oder Fremdenfeindlichkeit und entsprechend - ohne sie radikalismus. zeigt an, daß die Begriffswahl verharmlosen zu wollen - als für die Problemwahrnehmung „vorpolitische Affekthandlun• München/Zürich: Piper 1993 entscheidendist. DieBandbrei- gen" (16) aufgefaßt werden te von Dimensionen der Ver• können. Von der Diskussion über schiedenheit (Ethnie, Religion, Laufende Diskussionen um ei• Rechtsextremismus erwartet Kultur), die die Opfer der Ge• nen „Extremismus der Mitte" man u.a.Aufschlüsse über Hin• walttaten von den Tätergrup• machen deutlich, daß hinsicht• tergründe und Ursachen der Ge• pen unterscheidet, läßt es, so lich der Bedingungen im so• das Frankfurter Institut für So• walttaten gegen Ausländer in zialen Raum sowohl das strate• zialforschung (IfS), sinnvoll der Bundesrepublik. Stattdes• gische Kalkül der Machterhal• erscheinen, in einem umfas• sen fällt auf, daß die Frage nach tung politischer Eliten (vgl. senderen Sinn von einem Phä• dem Zusammenhang beider etwa die Instrumentalisierung nomen der „Fremdenfeindlich• Phänomene in einem durch po• der Asylfrage) als auch keit" zu sprechen. Der Band litische Motive und unter• die Ausgrenzung soziokultu• versammelt Berichte über ei• schiedliche theoretische Stand• reller Fremder in kollektiven nige im Umfeld des IfS erstell• punkte stark polarisiertem Dis• Identifizierungsprozessen eine te (und teilweise noch laufen• kussionsfeld erörtert wird. Die Rolle spielen. Außerdem wi• de) Forschungsarbeiten. Be• daraus resultierenden Kontro• dersprechen die Ergebnisse der sonders verdienstvoll erscheint versen werden schon an der vorgestellten Studien nicht zu• hierbei der Versuch des IfS, die Begriffswahl deutlich: Spricht letzt der Auffassung, daß Bil• man aus der Warte einer ihre kontroverse Diskussion um dung vor rechtsextremen und Verfassung schützende, „wehr• Rechtsextremismus und Frem• fremdenfeindlichen Einstellun• haften Demokratie" von denfeindlichkeit mithilfe von gen feie. „Rechtsextremismus" (statt sechs verschiedenen analyti• Historische Erklärungsansätze von „Rechtsradikalismus"), so schen Dimensionen in Form unterstreichen oftmals die spe- 1116 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEKJ 3, 1995

zifisch deutsche vordemokra• waltakten ausschließlich um aus denen sich das „rechtsex• tische Vergangenheit, in deren die Folgen sozialer Ungleich• tremistische Syndrom" zusam• Tradition rechtsextremistische heit, bei den Tätern demnach mensetzt, in ihren ideologi- Einstellungen und Gewaltakte um deprivierte Jugendliche. schenAspekten im inneren Zu• verwurzelt sind. Andere setzen Eine differenziertere Analyse sammenhang einer „gene• den Akzent gerade auf das Neu• kommt an der Annahme eines ralisierten Verfolgungsbereit• artige der Phänomene und be• Identitätskonfiiktes in Prozes• schaft" stehen, die sich gegen schreiben es als Problem der sen sozialer Selbst- und Fremd• völlig unterschiedliche Minder• Herausbildung einer neuen hi• verortung nicht vorbei. Diese heiten richten kann. Insofern storischen Etappe Deutsch• sind durch einen „kulturellen läßt sich eine historische Kon• lands und insbesondere als Filter von ständischer Ehre tinuität feststellen: „Die ideo• „dramatische Geburtswehe" (Max Weber) oder sozialer logischen Teilelemente ändern (19) der multikulturellen Ge• Anerkennung (Hegel) vermit• sich. Doch ihre Verlaufsmuster sellschaft. telt" (21). Entsprechende sym• (...) reproduzieren auf immer Bezüglich der Bedeutung des bolisch-habituelle Grenzzie• neuen Stufenleiter die generali- kulturellen Hintergrundes der hungen werden innerhalb der siserte Verfolgungsbereitschaft Problematik wird häufig argu• säkularisierten Gesellschaft sowohl der Eliten wie von Tei• mentiert, die autoritätskriti• zum Motor der Politik. len der Bevölkerung" (34). schen Verhaltensstile der 68er Schließlich wird besonders der Mit der Infragestellung und hätten einen Werteverfall in Umgang mit Rechtsextremi• Auflösung des „wohlfahrts• Gang gesetzt, der eine „theore• sten kontrovers diskutiert. Soll staatlichen Kompromisses" tische wie praktisch-pädago• auch mit verhaßten Gegnern sind einem neuenTyp des rech• gische Hinausschiebung nor• gemäß eines libertären Demo• ten Intellektuellen Tür und Tor mativer Grenzlinien" (19) be• kratieverständnisses Kommu• geöffnet, „vorpolitischen" Ju• wirkt habe. Hierbei ist es aller• nikation gepflegt werden, oder gendprotest zu ideologisieren, dings fraglich, ob nicht die 68er ist die „wehrhafte Demokra• gesellschaftliche Tabus und selbst auf eine schon vorhan• tie" zu repressiven Maßnah• S anktionen zu überwinden und dene normative Desintegrati• men der Exklusion aufgefor- somit den Rechtsextremismus on reagierten, die sich unter dert?Wo die Grenzen zwischen als eine politische Kraft zu fe• anderem auf die zunehmende beiden Strategien gezogen wer• stigen. Für die Konsolidierung Unglaubwürdigkeit demokra• den, hängt einerseits von der einer rechten Bewegung spie• tischer Grundsätze (militäri• Stabilität demokratischer Insti• len demnach rechte Eliten eine sche Interventionen des 'Vor• tutionen und ihrerVerankerung entscheidende Rolle. Folge• bildes' USA) sowie auf eine im öffentlichen Bewußtsein ab, richtig befassen sich Alex De• unzureichende staatliche wie andererseits aber auch davon, mirovic und Gerd Paul mit Stu• gesellschaftliche Abgrenzung welche spezifische Aufgaben dierenden im Spannungsfeld von der eigenen, vorrangig der diesen Institutionen zukommt. von linksliberalen demokrati• nationalsozialistischenVergan- Alex Demirovic zeigt in sei• schen und nach rechts tendie• genheit gründete (vgl. auch nem Überblicksbeitrag zum renden Ideologemen. Schily, in: Wank 103). „Rechtsextremismus in der Eine Studie fremdenfeindlicher Was die Ursachenanalyse be• Bundesrepublik" unter Bezug• Einstellungsmuster in der städ• trifft, so widersprechen empi• nahme auf den derzeitigen For• tischen Mittelklasse legen Sa• rische Daten dem Standpunkt, schungsstand auf, daß die un• bine Grimm und Klaus Ronne- es handele sich bei den Ge• terschiedlichen Einstellungen, berger vor. Die Befragung von FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HlilT 3, 1995 Hü

Dienstleistungsangestellten die Defizite einer Bekämpfung größen im gesellschaftlichen kommt zu dem Ergebnis, das des Rechtsextremismus durch Zusammenhang analytisch er• auch die „sogenannten Moder• eine Politik, die sich vorrangig faßt. Vielleicht könnte dies der nisierungsgewinner" (91) nicht auf Instrumente der inneren B egriff der sozialen B ewegung gegen fremdenfeindliche Ein• Sicherheit stützt, deutlich. als soziologische (und wert• stellungen resistent sind. Die Der vorliegende Band liefert freie) Strukturkategorie in An• vorherrschende Auffassung einen interessanten Einblick in wendung auf den Rechtsextre• von Multikulturalismus be• die laufenden Diskussionen mismus leisten, wie ihn z. B. schränkt sich auf eine „post- und den aktuellen Forschungs• Bergmann/Erb (FJ NSB 4/94, fordistische Variante des Gast• stand bezüglich Rechtsextre• 26-34) verwenden. arbeitermodells", in dem „nicht mismus und Fremdenfeindlich• Ganz in der Tradition des „Hi• allein dieArbeitskraft, sondern keit. Die Systematisierung des storikerstreits" stand eine von auch die kulturellen Ressour• IfS ist hierbei besonders hilf• Ernst Piper ins Leben gerufene cen der Migranten und Migran• reich, die Relevanz der Dimen• Vortragsreihe mit dem Ziel, tinnen ausgebeutet werden" sionen für die Diskussion steht Rechtsextremismus und Anti• (124). Eine eindeutige Veror• außer Frage. Auffällig sind je• semitismus in ihrer historischen tung rechtsextremistischer und doch die Interdependenzen der Kontinuität zu sehen. Dabei fremdenfeindlicher Einstellun• herausgearbeiteten Dimensio• zeigte nicht zuletzt die Kontro• gen im sozialen Raum wird nen und der daraus resultieren• verse in der Presse, die Ernst damit zum fragwürdigen Un• de Mangel anTrennschärfe: Be• Nolte mit seiner Stellungnah• terfangen. Die Verstrickung trachtet man die historische me zum Gesetz gegen die von Verteilungs- und Identi• Dimension, so bleibt es nicht „Auschwitzlüge" auslöste, wie tätskonflikten wird auch im aus, sich mit dem kulturellen bedeutsam die historische Di• Beitrag von Thomas Freytag Hintergrund der Problematik mension innerhalb der Diskus• deutlich, der ethnische Kon• zu befassen, Geschichte und sion noch immer ist, wenn• flikte am Arbeitsplatz (Frank• Kultur sind für die Herausbil• gleich Bassam Tibi in seiner furter Müllabfuhr) offenlegt. So dung von kollektiven Identitä• Gegenüberstellung von Anti• kommt Freytag zu dem Schluß, ten bedeutsam. Das IfS legt semitismus und „Ausländer• daß sich Identitätskonflikte zwar argumentative Wider• feindlichkeit" nureine Gemein• durch Verteilungskonflikte auf• sprüchlichkeiten offen, und die samkeit feststellt [„Beide sind laden („Ethnisierung sozialer Forschungsergebnisse deuten große Belastungen für die jun• Konflikte"). die S tärkung bestimmter S tand• ge deutsche, auf der Verwestli• punkte innerhalb der polarisier• chung Deutschlands basieren• Fremdenfeindliche Übergriffe ten Kontroverse an, doch die de Demokratie" (146)]. der Polizei, wie sie letztes Jahr sozialwissenschaftlich analyti• Seiner historischen Anlage in Berlin zur Suspendierung sche Position des IfS verharrt entsprechend beginnt der B and von vier Beamten führten, ver• letztlich im „goldenen Käfig" mit einem Beitrag von Julius weisen auf die Brisanz der Stu• der kontrovers geführten poli• H. Schoeps, der den Transfor• die von Hans-Gerd Jaschke tischen Rechtsextremismus- mationsprozeß von einem über den Umgang der Polizei Diskussion. Was fehlt, ist ein christlichen Antijudaismus mit Rechtsextremismus und theoretisches Konzept, das die über die Antithese Judentum- Fremdenfeindlichkeit. Wenn• einzelnen Ansätze integriert Deutschtum bis hin zur Para- gleich Jaschke hinsichtlich der und das Wechselspiel traditio• doxie eines gegenwärti• Überforderung der Beamten neller und moderner Einfluß- gen Antisemitismus be- moderat argumentiert, werden mm FORSCHUNGSJOURNAL NSB, .TG. 8, HEFT 3, 1995

schreibt, der keiner lebenden unserer Gesellschaft selbst Kowalsky, Wolfgang/ Juden mehr bedarf, um sich zu durch eine vorrangig an Um• Schroeder, Wolfgang artikulieren. Die Mitverantwor• satz und Konsum orientierten (Hrsg.): tung des Christentums am Lei• Marktlogik untergraben wer• densweg der Juden erfordere den. Ähnlich argumentiert Tho• Rechts• eine „Re-Theologisierung" des mas Schmid, wenn er die Dif• extremismus. jüdisch-christlichenVerhältois- ferenzen zwischen neuem und ses. alten Rechtsradikalismus be• Einführung und Gegenstand der Beiträge von tont, um einer Sichtweise ent• Forschungsbilanz. gegenzutreten, die voreilige Ernst Piper und Peter Longe• Opladen: Westdeutscher Ver• Beurteilungen nahelegt und rich sind die Entstehung, Ver• lag 1994 netzung und Aufstieg der na• damit den Blick auf notwendi• tionalsozialistischen Bewe• ge Fragen verstellt. Der neue gung sowie die Machtergrei• Rechtsradikalismus benutze Bergmann, Werner/ fung durch die Nazis inVerbin• zwar Symbole des alten, ent• Erb, Rainer (Hrsg.): dung mit dem Antisemitismus wickelte sich jedoch an neuen Neonazismus dieser Zeit. Themen (z.B. Asyldebatte) und verfügt weit weniger über ein Als „deutscher Ausländer" ver• und rechte klar umrissenes Ziel als sein tieft BassamTibi die Diskussi• Vorgänger. Er sei ein „Produkt Subkultur. on um Fremdenfeindlichkeit, der Nachkriegsmoderne": indem er auf die Bedrohung Berlin: Metropol 1994 Durch Prozesse wieWertewan- der Demokratie durch extre• del, Individualisierung und Plu• mistische Migranten hinweist: ralisierung der Lebensstile ent• Im Zuge der Ausschreitungen Die Ghettoisierung des 'Euro- stehe eine neue Unübersicht• rechtsextremer Gewalttäter Islams' könnte von extremisti• lichkeit, die mit der Abnahme nach der Wende 1989 hat die schen Muslimen genutzt wer• der Bindungskraft demokrati• Rechtsextremismusforschung den, „um islamische Zentren scher Institutionen einhergehe. eine unverhoffte Renaissance in Europa in Speerspitzen des Dies führe (nicht nur) in erfahren, und Publikationen zu Fundamentalismus zu verwan• Deutschland zuTendenzen, die Themen wie Gewalt, rechtem deln" (159). Hieraus ergibt sich soziale Umwelt durch sozialdar• Gedankengut und Rechtsruck die Notwendigkeit einer wech• winistische, wohlstandschauvi• der Gesellschaft sind in hoher selseitigen, aktiven Integrati• nistische Ausgrenzungen zu Zahl auf den Markt geworfen onspolitik: Nicht nur die Deut• strukturieren. worden. Die Ausbeute ist schen sollten bereit sein zu in• gleichwohl ambivalent. Zum tegrieren, sondern auch die Abschließend ist freilich fest• Teil sind es Erfahrungsberich• Muslime müßten ihrerseits die zuhalten, daß es diesem Band te, Zeitschriften im Stile von Werte des demokratischen im collagenartigen, durchaus Zeitdiagnose, politische Panik• Westens (Pluralismus, Tole• lebendigen Nebeneinander der mache, moralischeAufrüstung; ranz, Säkularität) akzeptieren. Beiträge allerdings an neuen zum Teil schließen die Arbei• stellt in seinen Be• Anstößen für die Diskussion ten an die etablierte Extremis• trachtungen zur „Bundesrepu• und ihre Systematisierung er• musforschung an, mit der Kon• blik in ihrer ersten Krise 1965- mangelt. zentration auf Organisations• 1968" fest, daß die normativen soziologie (Parteien, Verbän• (demokratischen) Grundlagen Ludger Klein, St. Augustin de, Vereine etc.) oder die Ge- CQ FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

nealogie und Analyse rechts• Kapitel. In einem ersten Pro- um ein Puzzle handelt, dessen extremer Ideologien. Nicht zu• blemaufriß beschäftigt sich Teile erst noch zu einem Gan• letzt gibt es Untersuchungen, Richard Stöss mit der Frage zen zusammengesetzt werden die nach Ursachen und Grün• nach Forschungs- und Erklä• müssen. So ist unabweisbar, den für das Aufkommen rech• rungsansätzen und bietet dabei daß eine nachvollziehbare Kon• ter Gewalt forschen, und das einen sehr übersichtlich struk• tinuität von Ideologien und sowohl auf der gesamtgesell• turierten Überblick auf den Organisationen nach dem schaftlichen als auch auf der Stand der Forschung. Das zwei• ZweitenWeltkrieg bis heute be• individuellen Ebene. Hier hat te Kapitel geht auf die histori• steht, wobei der Grad der welt- besonders der Jugendaspekt sche Entwicklung des Rechts• weitenVerflechtung unzweifel• Aufmerksamkeit gefunden, mit extremismus in Deutschland haft zugenommen hat. Dieser der häufig dahinter stehenden ein (Jürgen Winkler, Juliane Zusammenhang ist aber wenig Frage, ob es sich bei diesen Wetzel und Heinz Lynen von erhellend für dieTatsache rech• Formen rechter Gewalteskala• Berg), ergänzt um internatio• ter Gewalt, wie sie vorrangig tion bloß um ephemere Ereig• nale Aspekte des Rechtsextre• von Jugendlichen ausgeübt nisse, 'schmerzhafteEpisoden' mismus in Europa (Franz Greß, wird, die größtenteils keine fe• handelt, die allein auf die Um• Benno Hafeneger, Dietmar ste Parteibindung aufweisen, bruchsituation der Wendezeit Loch und Rolf Lessler im 4. oder für die Beobachtung, daß zurückzuführen sind und inso• Kapitel). Im dritten Kapitel nicht nur Männer, sondern auch fern einmalig bleiben, oder um werden die Themen Jugend, Frauen rechtsradikal denken den Beginn einer neuen sozia• Frauen und Neue Rechte be• und handeln. Daß der Staat len Bewegung von rechts, die handelt (Arno Klönne, Gertrud nicht unschuldig ist, wenn es nicht nur an die Anfänge der Silier und Armin Pfahl- um die Eskalation rechter Ge• NSDAP in den zwanziger Jah• Traughber), während die bei• walt geht, ist kein Geheimnis, ren erinnert, sondern auch län• den letzten Kapitel gesell• erklärt aber nur zum Teil, wie• ger anhält und das wiederver- schaftliche und staatliche Re• so es überhaupt zur Gewaltan• einigte Deutschland als feste aktionen (Peter Dudek und wendung kommt.Auch die Fra• Institution begleiten wird. Hans-Gerd Jaschke im 5. Ka• ge, ob es sich bei diesen For• Erwartungsgemäß kam es nach pitel) sowie übergreifende For• men rechter Gewalteskalation einer kleinen Verzögerung zur schungsansätze und-diskussio- um kollektive Episoden oder Veröffentlichung von Sammel• nen (Claus Leggewie und Eike eine neue soziale Bewegung bänden, die dem Phänomen Hennig im 6. Kapitel) themati• von rechts handelt, findet Be• Rechtsextremismus als sol• sieren. SeinenAbschluß findet achtung, wird jedoch unter• chem, vom Begriff wie von der Band durch eine Chronolo• schiedlich beantwortet: Wäh• seiner Vielfalt her, auf den gie des Rechtsextremismus in rend Stöss nicht zu erkennen Grund zu gehen suchten, um Deutschland und Europa seit vermag, „daß es sich bei dem das Feld abzustecken, Bilanz 1945 (von Anne Schmidt) so• weit verbreiteten Gewaltpoten• zu ziehen und weitere For• wie eine Auswahl wichtiger tial unter Jugendlichen (und schung anzuleiten. Dazu ge• Forschungsliteratur im An• nicht nur dort) um eine Bewe• hört auch das Buch Rechtsex• hang. gung handelt" (54), spricht tremismus, herausgegeben Leggewie sogar von einer 1994 von Wolfgang Kowalsky Die Übersicht der Kapitelfolge „Anti-Bewegungs-Bewegung" und Wolfgang Schroeder. Der zeigt den Umfang der For• (335), die zwar Strukturmerk• Sammelband umfaßt sechs schungslage, macht aber auch male links-libertärer B ewegun- deutlich, daß es sich gleichsam FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3,1995

gen aufweist, aber diametral sie aus dem Studium der neuen tagskultur, die wenig auffällig zu deren politischen Emanzi• sozialen Bewegungen Ende der und doch stabil genug ist, um pationsbestrebungen steht. 70er/Anfang der 80er Jahre Angriffen von außen zu wider• Das Buch von Kowalsky/ bekannt sind. Interessiert man stehen, kann als eine der zen• Schroeder ist, obgleich es ge• sich für diese Fragestellung, so tralen Ressourcen spontaner wissermaßen eine Reihe von bietet insbesondere der Sam• Mobilisierung verstanden wer• Fragmenten versammelt, deren melband von Werner Berg• den, „so daß ein mobilisierba• Zusammenhang noch nicht er• mann und Rainer Erb eine an• res Netzwerk von Netzwerken, sichtlich ist, als Einführung in regende Lektüre, sowohl vom also das Potential für eine sozia• die neuere Rechtsextremismus• Material her als auch aus theo• le Bewegung entsteht." (ebd. 8) forschung gut geeignet, da es retischer Perspektive. Aber auch die anderen Arbei• einen repräsentativen Über• Der Band gliedert sich in drei ten zu Vemetzungstendenzen blick verschafft und mit wich• Teile. Zuerst geht es um rechte im deutschen Rechtsextremis• tigen Forschungsfragen be• Subkultur, woran sich fünf Bei• mus (Ernst Uhrlau, siehe auch kannt macht Was dem Band träge zur Gewaltfrage anschlie• Bernd Wagner), zur Analyse jedoch gut getan hätte, wäre ßen, um schließlich durch Auf• der Interaktions- und Eskalati• eine Einleitung gewesen, die sätze zur rechten Szene ergänzt onsprozesse zwischen Bewe• sich neben eigenen Vorschlä• zu werden, die den Abschluß gung und Gesellschaft (Hel• gen und Ansätzen (in Anleh• von Nazismus und rechte Sub• mut Willems, siehe auch Soja nung an Scheuch/Klingemann kultur bilden. Von besonderem Beck-Niederkirchner), die em• 1967) noch stärker auf die Zu• Gewinn sind dabei die Studien pirisch orientierten Studien zur sammenführung und Zusam• zur Subkultur und Szene rech• Gewalt rechtsradikaler Jugend• menschau der einzelnenArbei- ter Gewalttäter und gewalttäti• licher (Heinz Steinert, Joachim ten eingelassen hätte, um dem ger Jugendlicher, da sie der Kersten, Sigrun Anselm, Uwe Leser zumindest andeutungs• sozialstrukturellen Veranke• Markus) sowie zu Fragen nach weise zu zeigen, weshalb das rung dieses Phänomens, sei• dem Einfluß des gesamtgesell• Buch gerade so aufgebaut ist, nen latenten Strukturen und schaftlichen Umfeldes (Tho• und ob es nach all der Aufre• Prozesse nachgehen, die auch mas Lau/Hans-Georg Soeffner) gung nicht einen übergreifen• dann da sind, wenn nicht gera• und zumAntisemitismusinder den Zusammenhang gibt. de wieder ein telegenes Spek• rechten Jugendszene (Rainer takel die Aufmerksamkeit der Erb) vermitteln über weite Öffentlichkeit darauf richtet. Strecken einen interessanten Für die Bewegungsforschung „Wenn eine Szene sich in der Einblick in das Phänomen ju• stellt das Phänomen rechter beschriebenen Weise etabliert gendlicher Gewalt. Gewalt eine faszinierende Her• hat, wird sie sich nach Mobili• Inwiefern es sich bei dem Phä• ausforderung dar, da es eine sierungsphasen auch nicht ein• nomen rechter Gewalt tatsäch• Reihe von Merkmalen auf• fach wieder auflösen, sondern lich um eine neue soziale Be• weist, die für eine neue soziale kann als latentes Bewegungs• wegung handelt, kann allein Bewegung von rechts sprechen. milieu weiterbestehen." (Berg• aufgrund der in diesem Sam• Hierzu gehören der Grad der mann/Erb 1994: 9) Denn gera• melband veröffentlichten Ar• Vernetzung, heterarchische de diese'unsichtbaren'Voraus- beiten nicht entschieden wer• Organisationsstrukturen, sym• setzungen, dieses Eingelassen• den. Der Band von Kowalsky/ bolische Integrationsmechanis• sein von Einstellungen und Schroeder hat die Diskussion men sowie Interaktionsmuster Verhaltensweisen in eine All• um die Einheit von B egriff, Ge- und Eskalationsprozesse, wie FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995 121

genstand und Fach Rechtsex• umfassendenWerk sein außen• fekt der Geschichte nicht allzu tremismus allenfalls vorange• politisches Programm dar: hoch veranschlagen; minde• trieben, aber nicht abgeschlos• „Krise und Zukunft der deut• stens genauso groß, wenn nicht sen. Gleichwohl ist festzuhal• schen Politik". Im Mittelpunkt größer sei ihrVerführungseffekt. ten, daß mit dem Buch von seiner Betrachtung steht dabei Fischer warnt vor einer dro• Bergmann/Erb wichtige Bei• die Rolle Deutschlands nach henden Renationalisierung träge vorliegen, um entschei• dem Zusammenbruch der al• deutscher Außenpolitik. den zu können, ob das Phäno• ten Weltordnung, an deren Stel• Deutschlands zukünftige Rol• men rechter Gewalt Zukunft le eine große Unordnung mit le sei „unklar und zweideutig hat oder nur ein zeitlich befri• Risiken und Chancen getreten schwankend einerseits zwi• stetes Erbe der Wendezeit dar• sei. Nach dem Untergang der schen einer Kehrtwende in die stellt. Sowjetunion, dem überra• Vergangenheit, in die erneute schenden „Sieg wider Willen geopolitische 'Mittellage', in Kai-Uwe Hellmann, Berlin für den Westen" und der deut• einen erneuten 'deutschen Son• schen Vereinigung stellt sich derweg', und andererseits dem CQ für Fischer die Frage, ob Festhalten an jener vierzigjäh• Fischer, Joschka Deutschland zum Stabilitäts• rigen Politik hin zu einer voll• faktor einer neuen Ordnung ständigen europäischen Inte• Risiko oder, wie bereits mehrfach in gration." (S. 41) Vor allem in• Deutschland. der Geschichte, zum Risiko• nerhalb der intellektuellen und faktor in Europa wird. politischen Eliten gebe es den Krise und Zukunft der Mit Hilfe ausführlicher und de• Wunsch, die neugewonnene deutschen Politik. taillierter Rückblenden in die Souveränität der „Berliner Re• Kiepenheuer&Witsch: Köln deutsche und europäische Ge• publik" deutschnational zu nut• 1994. schichte sucht der „grüne Au• zen. Dieser „nationalistische ßenpolitiker" nach Kontinuitä• Revisions versuch" sei eine „ge• ten und Brüchen in der histori• fährliche Politgroteske", die Bücher von Politikern, zumal schen Entwicklung Deutsch• nicht weiter von Belang wäre, in Wahljahren geschrieben, lands. Sein Buch ist dahernicht „wenn in Deutschland nicht haben meist nur einen niedri• nur außenpolitische Analyse, jenes Vakuum bei den Traditi• gen Haltbarkeitswert. Um so sondern auch Geschichtsbuch. onsbeständen bestünde, das bemerkenswerter ist es, wenn Es „handelt vor allem von der jene anhaltende und unbefrie• diese Regel durchbrochen wird Vergangenheit, von deutscher digte Sehnsucht nach Sinnge• und es einem politischen Ak• Geschichte und den Irrungen, bung durch nationale Politik teur gelingt, ein Buch vorzule• j a dem Irrsinn deutscher Macht• hervorbringt." (S. 201) gen, das über den begrenzten politik." (S.12) In der Wieder• Fischer gibt auf diese „deut• Horizont der Tagesaktualität kehr dieser Vergangenheit liegt sche Frage" eine europäische hinweg Aufschluß gibt über für Fischer das gegenwärtige Antwort. Die beste Versiche• seine Grundsatzpositionen. „Risiko Deutschland". Der rung gegen einen neuen deut• Geglückt ist dies Joschka Fi• Blick auf die Geschichte über• schen Sonderweg sei der wei• scher mit seinem Buch „Risiko zeugt vor allem, weil Fischer tere Ausbau der gewachsenen Deutschland". Bislang vorwie• sich vorschnelle Analogie• Bindungen mit demWesten und gend als Umweltpolitiker in schlüsse verbietet. Zurecht be• die Fortsetzung der europäi• Erscheinung getreten, legt der tont er, man sollte den Lernef• schen Integration. Fischer be- Grüne in einem 340 Seiten 122 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3,1995

kennt sich in seinem Buch nicht kratisierung meint, erscheint punkt, da sie bereits von der nur zur politischen Integration zumindest auf den ersten Blick „Russischen Frage" abgelöst Europas im Rahmen der EU, rätselhaft. erscheint. die er mit Blick auf die erste Klarer wird seine Motivation, Fischer unterstreicht zu Recht, Hälfte des 20. Jahrhunderts als wenn man sich vergegenwär• daß das 21. Jahrhundert ein nahezu „revolutionäre Verän• tigt, daß dieses Buch, unmittel• Jahrhundert der Globalisierung derung" und „unglaubliche hi• bar vor der Bundestagswahl werden wird, indem sich die storische Leistung" würdigt, 1994 erschienen, natürlich eine Politik weiter internationalie- sondern er lobt auch ausdrück• politische Zielsetzung verfolgt. ren muß, um den globalen Her• lich die militärische Integrati• Dem Realpolitiker erschien es ausforderungen gerecht zu on. Durch sie sei ein wichtiger offensichtlich notwendig, Re• werden. Das späte Bekenntnis Kriegsgrund in der Geschichte gierungsfähigkeit auf Bundes• zur Westintegration und „Ver• der europäischen Mächte ent• ebene zu signalisieren. Eine westlichung" Deutschlands mit fallen, nämlich deren strategi• Partei, derim politischen Spek• der am Ende des Buches eher sche und machtpolitische Ri• trum mehr und mehr die Rolle unvermittelt vorgetragenen valität. Daher sei auch die mi• der FDP zufällt, muß auch au• Forderung nach Schaffung ei• litärische Integration durch die ßenpolitisch Profd gewinnen. nes gesamteuropäischen Si• NATO „eine erstaunliche, hi• Fischer - der „grüne Gen• cherheitssystem greift daher zu storisch zu nennende Leistung" scher"? kurz. Den Versuch einer Ant• (S. 23). wort auf die zentrale Frage, Fischers Analyse der „Krise wie solch eine „umfassende Fischer macht die Begriffe deutscher Politik" ist ebenso Sicherheitsstruktur für ganz „Westbindung" und „Verwest• informativ wie zutreffend. Sein Europa" auf der Basis der be• lichung" zu Schlüsselbegriffen außenpolitischer Blick ist frei• stehenden Interessenlage und seiner Analyse. Dabei handele lich verengt auf die deutsche mit Hilfe der Instrumente des es sich nur um eine außen- und Situation. Fischer stellt jedoch Kalten Krieges zu schaffen bündnispolitische, sondern zentrale Fragen: „Was wird aus wäre, bleibt Fischer schuldig. auch um eine innenpolitisch Rußland? Und wohin wird sich normative Frage. Der Grüne Deutschland wenden?" (S. 39) Andreas Vogtmeier, Berlin unterstreicht die „historisch Antwortversuche unternimmt überragende Bedeutung der er indes nur für die zweite Pro• CQ Westintegration für die deut• blemstellung. Wenn der „grü• Rainer Forst sche Demokratie" (S. 196) und ne Außenpolitiker" von West• kommt zu dem Schluß, „daß bindung und Integration Kontexte der die Westbindung die zentrale spricht, meint er Deutschland. Gerechtigkeit. raison d'etre der zweiten deut- Nur unzureichend berücksich• schenDemokratieist"(S.208). tigt Fischer die Tatsache, daß Politische Philosophie jenseits von Liberalismus Warum Fischer jedoch gerade es in der momentanen histori• und Kommunitarismus. nach Beendigung des ideolo• schen Situation Europas aber gischen Ost-West-Konflikts die vielmehr um die Bindung und Schlagworte „Westbindung" Integration Rußlands gehen Frankfurt/M.: Suhrkamp 1994 und „Verwestlichung" zu zen• muß, um Sicherheit und De• tralen Kategorien seiner Ana• mokratie in Europa zu sichern. Den Beginn der amerikani• lyse macht, wenn er in Wirk• Der Grüne entdeckt die „Deut• schen Kommunitarismusdebat• lichkeit Integration und Demo• sche Frage" zu einem Zeit• te markierte 1982MichaelSan- FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

dels Buch „Liberalism and the „Kontexte der Gerechtigkeit", raltheoretischen Dichotomisie- Limits of Justice". In ihm wur• dies soll vorweg festgestellt rung. Sie ist vielmehr erst die den die moralphilosophischen sein, ist eine argumentativ Voraussetzung für eine ange• und anthropologischen Grund• kunstvoll differenzierte und messene und reichhaltige Kon• annahmen des Liberalismus in bestens informierte Bilanz der zeption sozialer Gerechtigkeit. Frage gestellt. Bezugsfolie der Kommunitarismusdebatte. Sie Der Nachweis für diese These Kritik war die 1971 erschiene• gibt in einer auch stilistisch wird mit Hilfe analytischer Dif• ne „Theorie der Gerechtigkeit" ansprechenden Weise Aus• ferenzierungen von Problem• von John Rawls, die in ihrer kunft nicht nur über die zentra• kontexten der Kommunitaris• Reformulierung sozialvertrag• len Fragestellungen und Ant• musdebatte geführt, deren licher Denkfiguren mit den wortstrategien, sondern auch wechselseitige Verschränkung Mitteln analytischer Philoso• über die nuancierten Differen• sich einer prozeduralistischen phie für die praktisch-philoso• zen der Argumente zwischen Moraltheorie erschließt. Die phische Argumentation des und innerhalb der beidenTheo- Differenzierung dieser Kontex• politischen Liberalismus gera• rielager. Sie zeichnet so ein te der Gerechtigkeit ist selber dezu paradigmatische Präge• ebenso detailliertes wie syste• entlang der Unterscheidung kraft erlangt hat. Dieser Um• matisch strukturiertes Bild der von Ethik und Moral aufge• stand verdient allein schon des• im Mittelpunkt der Untersu• baut. In einer vereinfachten wegen besondere Beachtung, chung stehenden moraltheore• Wiedergabe der Forst'schen weil damit nicht der ökonomi• tischen Kontroverse. Argumentation bezieht sich die sche oder utilitaristische Libe• Darüber hinaus vertritt Forst, kommunitaristische Kritik vor• ralismus (etwa Friedman oder dessen Arbeit als Frankfurter nehmlich auf den Typus der Nozick), sondern die maßgeb• Dissertation bei Habermas ent• ethischen Gemeinschaft und lichen Vertreter eines sozialen standen ist, in Anlehnung an entwickelt in Orientierung dar• Liberalismus zum Bezugs• Habermas moraltheoretischen an ihre Vorstellung von Ge• punkt der Kritik wurden. Auto- Prozeduralismus ein an• rechtigkeit, während die libe• ren wie Michael Sandel, spruchsvolles Theoriepro• rale Theorie den Kontext mo• Charles Taylor, Michael Wal• gramm, das eine vermittelnde ralischer Gemeinschaften mit zerund AlasdairMacIntire ent• Position „jenseits von Kom• dem der Rechtsgemeinschaft wickelten über die Kritik an munitarismus und Liberalis• kurzschließt und dieses Mo• Rawls und den an ihn anknüp• mus" anstrebt. Forst argumen• dell als Bezugspunkt der Ge• fenden Autoren - wie Ronald tiert mit der im Verlaufe der rechtigkeitstheorie verallge• Dworkin, Thomas Nagel oder Kommunitarismusdebatte prä• meinert. Für Forst kann jedoch Bruce Ackerman - die Kontu• zisierten Unterscheidung von nur eine solche Gesellschaft ren ihrer politischen Philoso• Ethik und Moral: Dieuniversa- gerecht genannt werden, die phie. Als Sammelbegriff die• listische Geltung der Moral die differierenden Kontexte der ser Kritiker des politischen Li• wird von der partikulären Gel• Gerechtigkeit in ihrer Eigenart beralismus hat sich trotz zahl• tung ethischer Werthorizonte berücksichtigt und auf ange• reicher bestehender Unter• unterschieden, in denen die messene Weise vereinigt. schiede in den Positionen der Mitglieder der Gemeinschaft Die eigentliche Pointe, die sich einzelnen Autoren der Begriff ihre Vorstellung vom „guten" aus der Unterscheidung von des „Kommunitarismus" ein• Leben verkörpert sehen. Doch Rechtfertigungskontexten, Ge• gebürgert. versteht Forst diese Unterschei• meinschaftskonzepten, Perso• dung nicht im Sinne einer mo• nen- und Autonomiebegriffen Rainer Forsts Studie über die 124 FORSCHUNCJSJOURNAL NSB, JG. 8, HlilT 3.1995

ergibt, liegt in dem Nachweis, nen". Individuen, so die kom• des Neutralitätsanspruchs libe• daß an die Stelle der wechsel• munitaristische Gegenthese, raler Gerechtigkeits- und seitigen Vorwürfe von „Kon• wachsen als Personen in be- Rechtsprinzipien und des Kon• textvergessenheit" und „Kon• stimmtenTraditionen, Wertho• zepts der Rechtsperson ermög• textversessenheit", die die rizonten und Gemeinschafts• licht die Präzisierung des Kon• Kommunitarismusdebatte po• bezügen auf, die sich über die textes der Rechtsgemeinschaft: larisiert haben, eine Position Praxis der Gemeinschaft und In Rechtsgemeinschaften setzt zu treten vermag, die den libe• ihre Institutionen reproduzie• die rechtlich-persönliche Auto• ralen Anspruch einer universa• ren. Gerechtigkeit erschließt nomie Gleichbehandlung und listischen Moralbegründung sich erst, wenn man die konsti• Respekt voraus (Kap.2). Die mit Bezug eben auf deren spe• tutiven Gemeinschaftsbezüge Diskussion des kommunitari• zifischen Kontext erneuert. der Person, den internen Zu• stischen Vorwurfs mangelnder Bevor die argumentativen Be• sammenhang von Identitätsbil• sittlicher Kraft der liberalen gründungsschritte knapp skiz• dung und Moral anerkennt. politischen Gemeinschaft führt ziert werden, soll mit Rainer Gegen diese kommunitaristi• zum Kontext der politischen Forst die Ausgangskontrover• sche These hat die liberale Gemeinschaft der Bürger: In se kurz rekapituliert werden. Gegenkritik den Vorwurf der politischen Gemeinschaften Die kontraktualistische Be• „Kontextversessenheit" erho• geht es um die Fähigkeit zur gründungeiner Theorie der Ge• ben und darauf hingewiesen, SelbstbestimmungunterBedin- rechtigkeit sieht bei der Kon• gungen der Gleichberechtigung daß damit einem moral theore• struktion eines hypothetischen als Bürger (Kap.3). Die kom• tischen Partikularismu sTür und Vertragszustands von jeglicher munitaristische Kritik an dem Tor geöffnet würde - mit Situiertheit der Individuen ab. universalistischen Anspruch li• schwerwiegenden Konsequen• Die Gesellschaft wird als Sum• beraler Moraltheorie führt zum zen für die allgemeinen Gel• me rational urteilsfähiger Indi• Kontext der moralischen Ge• tungsansprüche der Moral. viduen verstanden, die über die meinschaft und dem Konzept Bedingungen einer gerechten der moralischen Person: In der In vier Kapiteln diskutiert Forst Gesellschaft einen sozialver• moralischen Gemeinschaft al• die kommunitaristische Kritik traglichen Konsens erzielen. ler Menschen geht es um die an den Grundannahmen der li• Die modellhafte Konstruktion allgemeinen Möglichkeiten ei• beralen Gerechtigkeitstheorie dieses hypothetischen Aus- nes autonomen Lebens inner• und die Erwiderungen der libe• gangszustands soll gerade halb moralischer Grenzen, um ralen Autoren. Den Anfang durch Abstraktion von konkre• die moralische Autonomie von macht die Erörterung der Kritik ten Kontexten die allgemeine Personen alsAutoren undAdres- des atomistischen Personenkon• Geltung des Sozialvertrags im saten des Rechts (Kap.4). Im zepts und das strittige Konzept Sinne einer universalistischen abschließenden 5. Kapitel wer• der ethischen Person: In ethi• Moraltheorie begründen, in den die Ergebnisse dieses kriti• schen Gemeinschaften, die par• deren Zentrum die Individual• schen Durchgangs bewertetund tikulare Vorstellungen des „gu• rechte stehen. Auf diese Argu• wird die Theorieperspektive ei• ten Lebens" ausbilden, geht es mentationsfigur beziehen sich ner normativ-prozeduralenVer- der ethischen Person um die die kommunitaristischen Vor• schränkung der analytisch un• Verwirklichung selbstbestimm• würfe der „Kontextvergessen• terschiedenen Kontexte der ter ethischer Identität (Kap.l). heit" und eines verzerrten Bil• Gerechtigkeit zusammenfas• Die Auseinandsersetzung mit des atomistischer „Unperso- send erläutert. der kommunitaristischen Kritik FORSCHUNGSJOURNM. NSB, JG. 8, HEIT 3, 1995

Universalistische Begrün• politischen Integration einer zeduralismus) und Walzer (in dungsansprüche der Moral• politischen Gemeinschaft (Ge• selbständiger Anknüpfung an theorie, so Forst, müssen, um schichte, Traditionen, Institu• dessen Unterscheidung von die B ezüge der Gerechtigkeits• tionen etc.) und den morali• Sphären der Gerechtigkeit). theorie auf die divergierenden schen Anforderungen politi• Mit dem vorläufigen Abschluß Kontexte der Gerechtigkeit of• scher Legitimation. Entspre• der moraltheoretischen Kontro• fenzuhalten, auf einen proze- chend anspruchsvoll fällt denn verse verlagert sich der S chwer- duralistischen Formalismus der auch das Konzept des Bürgers punkt der Diskussion zuneh• Normbegründung (allgemein aus, das ethische Differenz, mend auf das sozialwissen• und reziprok) zurückgenom• rechtliche Gleichheit und poli• schaftliche und politische Ter• men werden und jede Substan- tische wie soziale Inklusions• rain. Dort werden die normati• tialisierung vermeiden. In der ansprüche kombiniert. Libera• ven Impulse der Kommunita• Begründungsstrategie von le wie kommunitaristische rismusdebatte zunehmend auf• Forst nehmen die Rechtsge• Konzepte politischer Gemein• gegriffen, müssen aber freilich meinschaft und die politische schaft verfehlen den Zusam• auch in empirische und analy• Gemeinschaft die wesentliche menhang einer ethisch imprä• tische Fragestellungen über• Funktion der normativen Ver• gnierten politischen Integrati• setzt werden. Das für eine ge• schränkung der Kontexte der on und einer auf moralische rechte Gesellschaft von Forst Gerechtigkeit auf jeweils ver• Gründe gestützten politischen in seiner Bedeutung hervorge• schiedene Weise praktisch Legitimation. Konzeptionen hobene Zusammenspiel von wahr. der „civil society" und der „de- Rechtsgemeinschaft und der liberativen Demokratie" grei• Die Rechtsgemeinschaft setzt politischen Gemeinschaft der fen dagegen Momente beider die Fähigkeit ethischer Bürger bedarf daher der einge• Seiten auf. Selbstrelativierung voraus, henderen Diskussion. Ange• sichts verbreiteter Tendenzen ohne von der ethischen Einbin• Im Laufe der Kommunitaris• zunehmender sozialer, natio• dung von Personen abzusehen. musdebatte haben sich die nalistischer und ethnischer Das Recht garantiert vielmehr Fronten geklärt, sind wechsel• Exklusion stößt eine elaborier- als „Schutzhülle" dieMöglich- seitige Annäherungsversuche te Gerechtigkeitstheorie hin• keit ethischer Selbstbestim• und Vermittlungsvorschläge sichtlich ihrer praktischen Vor• mung unter Bedingungen gemacht worden. Neuere aussetzungen durchaus auf ethisch-kultureller Pluralität. Schriften von John Rawls oder Skepsis. Ob die politische Ge• Die Rechtsgemeinschaft ist die Arbeiten von Michael Wal• meinschaft der Bürger ihre in- über das Prinzip politischer zer sind in diesem Zusammen• tegrative Rolle gegen alle zen- Legitimation mit der politi• hang zu nennen. DieArbeit von trifugalenTendenzen wird aus• schen Gemeinschaft intern ver• Rainer Forst geht diesen Ver• füllen können, dürfte nicht zu• bunden und hält über den mo• suchen kritisch nach und macht letzt von institutionellen Um• ralischen Kern der Rechtsbe• einen eigenständigen Vermitt• bauten der liberalen Demokra• gründung auch Anschluß an lungsvorschlag von Moralität tie abhängen, die bürgerschaft• den Rechtfertigungskontext der und Sittlichkeit, von individu• liches Handeln ermutigen und moralischen Gemeinschaft. ellen Rechten und dem Guten, stärken. Die politische Gemeinschaft von konkreten Kontexten und der Bürger als Autoren des abstrakter Vernunft. Sie rekur• Rechts vermittelt zwischen den riert dabei vor allem auf Haber• Ansgar Klein, Berlin ethischen Anforderungen der mas (moraltheoretischer Pro• a 126 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3,1995

Kommuni• tik an John Rawls und Kritik an sichtlichkeit in der Literatur bei. der Diskursethik erweitert: Pu• Und daß unter dem Etikett tarismus - blikationen von M.Sandel, „Kommunitarismus" das Prin• ein Literatur• A.MacIntyre, R.Bellah u.a., zip der neuen „Subsidiarität" C.Taylor, M.Walzer, aber auch für den Ab- und Umbau des überblick vcn A.Etzioni, R.Rorty und Sozialstaats hoffähig gemacht R.Dworkin. Englischsprachige wird, zeigt die Bedeutung der „Kommunitarismus" ist ein Texte wurden nur in die Liste Debatte für die Praxis auf. Terminus, der in deutschen aufgenommen, insofern sie bis Fachlexika und Handbüchern heute nicht ins Deutsche über• Weitgehend unberücksichtigt der Politikwissenschaft im setzt wurden (vgl. Honneth bleibt hier die nicht unwesent• Sachregister bisher vergeblich 1993). liche Debatte um den Kommu• gesucht1 wird und selbst in (Li• nitarismus in der Moral- und teratur-) Datenbanken (SOLIS, Inhaltlich war die Abgrenzung Subjektphilosophie sowie die FORIS) nicht „verschlagwor- weit schwieriger, da die Diskussionen um die politische tet" ist.Trotzdem soll hier eine Kommuni tarismus"debatte" in Ethik und (Bürger-) Tugenden. Literaturliste angeboten wer• mehreren Kontexten geführt Ebenso außer acht bleibt die den, die sich aus einer dreijäh• wurde und wird. So zwischen Übertragbarkeit des Konzepts rigen Beschäftigung mit der der Suche nach dem (aristoteli• auf deutsche Verhältnisse, wo Rezeption des Begriffs und schen) Guten und dem (libera• unter „Community" bisher eher Konzepts in der Bundesrepu• len) Gerechten, zwischen Mo• Volksgemeinschaft verstanden blik Deutschland ergeben hat. derne und Postmoderne, zwi• wurde, so daß aber auch Kon• Einem solchen „Unternehmen" schen (egoistischem, von Nut• zeptionen von H. Plessner, F. sind natürlich Grenzen gesetzt: zenkalkülen geleiteten) Indivi• Tönnies (s.a. „Geschichtliche erstens in zeitlicher Hinsicht, duum und Gemeinschaft, zwi• Grundbegriffe") u.a. hier keine d.h. es wurde vor allem nach schen Gesellschaft und Ge• Erwähnung finden. meinschaft, zwischen univers• deutschsprachiger Literatur re• alistischen und partikularisti- cherchiert, die seit 1990 er• Was bleibt, ist der Versuch ei• schen Werten und Maßstäben, schienen ist; zweitens in in• ner (fast vollständigen) Zusam• zwischen Liberalismus und haltlicher Hinsicht, d.h. es wur• menstellung von Literatur, die Kommuni tarismus(-kritik) den vor allem Publikationen an ein wenig die Rezeptions- usw. Zudem scheinen die Gren• der „Schnittstelle" zwischen „geschichte" des Kommunita• zen zum Konzept der „Zivilge• Politikwissenschaft und (poli• rismus in der Bundesrepublik sellschaft", zumindest US- tischer) Philosophie berück• Deutschland erhellen und für amerikanischer Couleur sichtigt. Diese „Auswahl" wur• eine (erste) Diskursanalyse die• (M.Walzer), fließend zu sein. de um inzwischen „klassische" nen könnte. Daß sich mittlerweile mehrere Texte der (Liberalismus-) Kri- Disziplinen theoretisch mit Abschließend soll explizit auf dem Forschungsgegenstand einige in der Liste erwähnten 1 Eine Ausnahme stellt die Neu• „Kommunitarismus" beschäf• informativen (teilweise wei• ausgabe des „Wörterbuch Staat tigen, so die Politikwissen• terführende) Bibliographien und Politik", hrsg. von Dieter schaft, die (politische) Philo• (Kallscheuer, in: Zahlmann Nohlen und der Bundeszentrale sophie, aber auch die Soziolo• 1992; Rieger 1993; Honneth für politische Bildung in Bonn, gie, trägt zur weiteren Unüber• dar 1993; Forst 1994) und zwei FORSCHUNGSJOURNAI. NSB, JG. 8, HEFL 3, 1995

Themenhefte von Zeitschriften schen November 1991 und März Moujfe, Chantal/Michael Walzer (Transit: Gute Gesellschaft, 1992; zusammengefaßt in: 1992: „Man muß nicht nur tole• Heft 5, 1993; Deutsche Zeit• Zahlmann, Christel 1992 (Hrsg.): rant sein, sondern auch demü• schrift für Philosophie: Sym• Kommunitarismus in der Diskus• tig", in: Prokla 22/1992, 87 (2), sion - eine streitbare Einführung, posium zu Michael Walzer 286-297 Berlin „Sphären der Gerechtigkeit", Heft 6, 1993) hingewiesen II. Monographien oder Die insgesamt etwa 50 Einzel• werden. Aufsatzsammlungen eines beiträge in diesen Sammelbän• Autors: den werden im folgenden nicht Bell, Daniel 1993: Communita- Deutschsprachige „klassi• aufgeführt! rianism and its Critics, Oxford sche" Standardwerke - Bellah, Robert u.a. 1987: Ge• vier Sammelbände: IV. Monographie mit Kurzbio• wohnheiten des Herzens - Indivi• graphien der wichtigsten Kom• dualismus und Gemeinsinn in der I. Beiträge (Referate) auf einem munitarier bzw. Kommunitari• amerikanischen Gesellschaft, vom Gründungssekretariat der sten: Köln Frankfurter Akademie der Wis• Reese-Schäfer, Walter 1994: Was Benhabib, Seyla 1995: Autono• ist Kommunitarismus?, Frank• senschaft und Künste im Mai mie, Moderne und Gemeinschaft furt/M. 1992 veranstalteten Kongreß: - Kommunitarismus und kriti• sche Gesellschaftstheorie im Dia• 1.1. Brumlik, Micha/Brunkhorst, Zeitschriftenaufsätze, log, in: Benhabib, Seyla: Selbst Hauke 1993 (Hrsg.): Gemein• Beiträge in Sammelbän• im Kontext - Kommunikative schaft und Gerechtigkeit, Frank• den, Artikel in Zeitungen, Ethik im Spannungsfeld von Fe• furt/M. Periodika, Interviews usw.: minismus, Kommunitarismus 1.2. Frankenberg, Günter 1994 und Postmoderne, Frankfurt/M., (Hrsg.): Auf der Suche nach der 76-95 I. Interviews: gerechten Gesellschaft, Frank• Brunkhorst, Hauke 1994: Ge• Etzioni, Amitai 1994: im Ge• furt/M. meinschaft und Gerechtigkeit: spräch mit Peter-Erwin Jansen, Michael Walzer, in: Brunkhorst, in: Die Neue Gesellschaft/Frank• II. Erstmals ins Deutsche über• Hauke: Demokratie und Diffe• furter Hefte 41/1994, 3,254-258 setzte „klassische" Texte der renz - vom klassischen zum mo• Etzioni, Amitai 1994: im Ge• Debatte um Kommunitarismus dernen Begriff des Politischen - spräch mit Thomas Rüst: Kom• und Liberalismus in den Verei• Egalitäter Individualismus, munitarismus - Antworten auf die nigten Staaten von Amerika (Mit• Frankfurt/M., 117-132 Sinnkrise der neunziger Jahre? - te der achtziger bis Anfang neun• Cladis, MarkS. 1992: Dürkheim Die traditionellen Kategorien von ziger Jahre): Among a Company of Critics: links und rechts überwinden - Honneth, Axel 1993 (Hrsg.): Rawls, Walzer, Maclntyre, and „Community" heisst das Zauber• Kommunitarismus - eine Debat• Rorty, in: Cladis, Mark S.: A wort von Amitai Etzioni, in: Ta• te über die moralischen Grundla• Communitarian Defense of Libe• gesanzeiger vom 6. Dezember gen moderner Gesellschaften, ralism - Emile Dürkheim and the 1994 Frankfurt/M. (mit sehr guter Bi• contemporary social theory, Stan• Axel Honneth 1992: Über Micha• bliographie und Sachregister). ford, 256-286 el Walzer - Die Versöhnung von Etzioni, Amitai 1987: Aktive Freiheit und Gleichheit: Thema: III. Auftakt der Diskussion um Gesellschaft, Frankfurt/M. Das Ende des amerikanischen den Kommunitarismus in der Etzioni, Amitai 1993: The Spirit Traums?, in: Die Neue Gesell• Bundesrepublik Deutschland im of Community - Rights, Respon• schaft/Frankfurter Hefte 39/1992, „Forum Humanwissenschaften" sibilities, and the Communitari- der Frankfurter Rundschau zwi• 1, 16-26 128 FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HHFT 3,1995

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von Symbolik, kollektiver Iden• kalen Gruppengewalt aus un• Schacht, Konrad / Leif, tität und politischer Kultur, der terschiedlichen Perspektiven. Thomas / Janssen, in der Bundesrepublik erneut Hannelore (Hrsg.): zu einem zentralen Thema ge• ca worden ist. Die ästhetische und Hilflos gegen philosophische Diskussion the• Rebensdorf, Hiike: Rechts• matisiert die Wechselwirkung von Medien, öffentlicher Kunst Die politische extremismus? und Wirklichkeitswahrneh• Ursachen, Handlungs• mung in der Informationsge- Klasse. felder, Projekterfahrungen. sellschaft. Zur Entwicklung und Re• produktion einer Köln: Bund Verlag 1995 Funktionselite. CQ Frankfurt/M: Campus 1995 Viele Initiativen und Jugend• Erb, Rainer (Hrsg.): gruppen tun etwas gegen die Bedrohung durch Rechtsextre• Wer ist die politische Klasse? Bock auf mismus und Antisemitismus. Die Autorin nimmt eine kriti• Die dabei gewonnenen Erfah• Randale. sche Bestandsaufnahme der rungen werden einem breiten wichtigsten Paradigmen in der Gruppengewalt und Publikum zugänglich gemacht. theoretischen Diskussion um Rechtsextremismus. Namhafte Autoren plädieren Funktionseliten vor, um dann außerdem dafür, daß in der Frankfurt/M: Fischer 1995 mit Hilfe des Klassenmodells Auseinandersetzung mit von Pierre Bourdieu zu einer Rechtsextremismus und Anti• tatsächlichen Bestimmung des• Für rechtsextremistische Ge• semitismus ein realistischer sen zu kommen, was wissen• walttaten werden gewöhnlich Weg zwischen Verharmlosung schaftlich und nicht nur per gesellschaftliche Umstände und Übertreibung, Aufwer• Schlagwort als politische Klas• oder die biographische Situati• tungsgefahr undTotschweigen se bezeichnet werden kann. Das on der Gewalttäter verantwort• eingeschlagen wird. theoretische Modell wird durch lich gemacht. Bisher wenig reichhaltiges Datenmaterial untersucht wurde hingegen die untermauert .Am Ende gewinnt CQ Bedeutung der Gruppe, in der die politische Klasse der Bun• sich die Schläger stets bewe• desrepublik eindeutige Konta• gen. Gewalt wird zur Lebens• ren. form, d.h. letztlich zum Selbst• zweck ohne wirkliches Motiv. ca Das wird von den hier verhäng• nisvollen Einfluß gewinnenden Rechtsextremisten meist erst 'nachgeliefert'. Die fünf Bei• träge des Bandes untersuchen das Phänomen der rechtsradi• FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 8, HEFT 3, 1995

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Otto Kallscheuer: What is Communitarianism?, FJ NSB 3/1995, pp. 17-28. To avoid misinterpretations of theAmerican discussion of communitarianism, both communitarian thought in the European tradition and the particular features of American philosophy must be taken into account. German reception of American communitarianism is characterized by a fundamental suspicion of authoritarianresp. harmonistic conceptions of a „Volksgemeinschaft". In contrast, the author emphasizes three democratic and participative contexts of the American discussion: in American sociology of religion and culture „communitarianism" points to countercultural and utopian societies; in the context of civil society models the term refers to the quest for a political, republican common sense, including extended possibilities of democratic participation; in ethics and social sciences communitarianism applies to a number of critical objections against an individualist, functional and purely scientific understanding of modernity. Communitarianism means no traditionalist set-back, but a return to neglected aspects of Enlightenment.

Hans Joas: Communitarianism - a new „progressive movement"?, FJ NSB 3/1995, pp. 29 - 38 The author, himself an eminent promoter of American communitarianism in Germany, sets out to analyse communitarianism's political programmes and concepts of reform. The intellectual movement emerged from a criticism of both individualist liberalism and governmental politics of reform. The key term is „re-moralisation" of politics, referring to family, school, the structures of political participation, the welfare State, and even to new ideas for a foreign policy in the sense of a „post-Hobbesian" international order. For Joas, communitarianism as a new „progressive movement" is an intellectual attempt to revive the ideal of democracy in modern societies considering the effects of unfettered individualism.

Hans Vorländer: A preliminary epilogue to the German debate on communitarianism, FJ NSB 3/1995, pp. 39-43 The German debate on communitarianism can be characterized as merely theoretical, even sterile, without direct implications for practical politics. The reason is that the context of the discussion in Germany is defined rather by a lack of liberal convictions than by a dominance of liberalism as in the United States. However, the German discussions draw attention to social and moral conditions of modern societies. The effects of individualisation and value change set new demands for the political culture of liberal democracies. The gap between the perception of fhese problems and the lack of political and social strategies is alarming.

Roland Roth: Communitarian social politics?, FJ NSB 3/1995, pp. 44-53 There has been a change of perspective in social politics: forms of voluntary social activism are highly appreciated from a communitarian, civil society point of view. At the same time the sector of social work is professionalised, even commercialised. In the light of a growing disproportion between increasing needs for social Services and declining financial means, the question of a combination of voluntary activities and professional social Services is becoming highly relevant. However, there are no favourable institutional conditions for these voluntary activities, e.g. an 142 FORSCHUNGS JOURNAL NSP» T, S. TTl 1 lniJ^

appropriate System of social security. Central to communitarian social politics would be suppor- ting measures of the welfare State and its established Systems of social security. These measures could consist of a basic income, independent from employment, and forms of negative income taxes.

Michael Opielka: Communitarian impulses for social politics?, FJ NSB 3/1995; pp. 54-62 Communitarian ideas are increasingly taken into consideration in the fteld of social politics. A political activation of social solidarity is discussed even by social democrats; Community as an alternative to governmental regulations, however, is debated predominantly by the conservatives and the Green Party. Authoritarian, paternalist interpretations of Community are referring to concepts of a „workfare" State, i.e. social security is offered only to those „actually" in need; on the other hand, the Greens are putting forward a republican idea of a civil society that is based upon a libertarian concept of Community. Communitarianism will be the focus for future social reform coalitions, and thus of high Strategie importance to all parties.

Martina Ullrich: Communitarianism and feminism - the focus of „post-liberal thought", FJ NSB 3/1995, pp. 63-72 There are several points of contact between communitarianism and feminism, subsumed as „conflict", „colonialisation" or „compromise". The communitarian image of an ideal family does not take gender-speeifie discriminations into account. A colonialisation of feminist arguments by communitarianism may instrumentalise the post-liberal feminist idea of a female ethics (C. Gilligan): Caring as a virtue of Community could serve to maintain the actual Status quo of gender- speeifie divisions of social labour. A compromise between communitarian and feminist thought would presuppose a critical analysis of communitarian social demands concerning gender- speeifie attributions and projections.

Workshop discussions: The influence of communitarianism on party programmes and politics, FJ NSB 3/1995, pp. 73-75 Distinguished party theorists, „Vordenker" in their parties, analyse the appreciation of communi• tarian ideas in their respective political parties: T. Meyer (SPD), T.M. Gauly (CDU), W. Kretschmann (Green Party), H. Vorländer (as a critical observer of the FDP).

G. Mielke discusses problems of implementation of the communitarian project from his point of view as an adviser of the government of the German federal State of Rhineland Palatinate.

H. Plamper outlines the effects of „lean administration" on communal self-administration; the question is whether the communitarian search for new forms of political participation and for decentralisation can be more than pure rhetorics to support rationalisation measures, f.e. the privatisation of public Services. Thema 5/95: IV N,-II.' (li'M'ikh.ilt Gespenster der Vergangenheit I ranklürlcr Hifli' Diether Posser Plädoyer für eine begrenzte Amnestie Gespräch mit Thomas Krüger Tolerierung oder Subversion der PDS? Volker Mauersberger Spanien als demokratisches Vorbild Stephan Reinhardt Der FaU Globke Außerdem: Karin Priester Don Benito Schmitt

Thema 6/95: Du' Neue Nach-68er lesen linke Klassiker Cif-i llsdi.ilt IT.IIII- .lurti'i I k-lte Bauer; de Beauvoir; Bebel; Bernstein; Club of Rome; Engels; Gramsci; Kautsky; Korsch; Luxemburg; Marx; Neumann; Reich; Sering/Löwenthal; Trotzki Kulturthema: .6 Architektur und Stadtplanung Gerd de Bruyn Die Unwirtlichkeit der Trabantenstadt Gespräch mit Dieter HoflEmann-Axthelm Neu im Programm Politikwissenschaft

Peter Dudek drucksmöglichkeiten. Die Parteiju- „Der Rückblick auf die gend der vier klassischen bürgerli• chen Parteien (DDP, Zentrum, DVP, Vergangenheit wird DNVP) fand zu individuellen Stand• sich nicht vermeiden punkten, die zwischen „Rekruten• lassen" depot" und politische Alternative changierten. Zur pädagogischen Verarbeitung des Nationalsozialismus in Andreas Dörner Deutschland (1945-1990) Politischer Mythos und 1995. 346 S. Kart. symbolische Politik DM 62,-/öS 484,-/SFr 62- ISBN 3-531-12777-2 Sinnstiftung durch symbolische Formen am Beispiel Thema des Buches istdie Kommuni• des Hermanns-Mythos kation der Pädagogen in der Bun• desrepublik und der DDR über die 1995. 421 S. Kart. NS-Vergangenheit. In der Kombi• DM 72-/öS 562.-/SFr 72- nation von quantitativen und quali• ISBN 3-531-12697-0 tativen Methoden untersucht der Mythen sind ein wichtiges Medium Autor erstmals systematisch und an der politischen Sinnkonstruktion. Um Fallbeispielen den Verlauf der päd• dies zu belegen, wird zunächst in agogischen Verarbeitung des Na• DIE GESCHEITERTE ZUKUNFT Auseinandersetzung mit diversen DER ERSTEN REPUBLIK tionalsozialismus in beiden deut• kulturwissenschaftlichen Mythos- schen Staaten, so wie er sich in der Konzepten ein Analyseinstrument pädagogischen, fachdidaktischen entwickelt. Die empirische Anwen• Publizistik und den einschlägigen dung erfolgt dann in einer ausführ• Hochschulschriften zwischen 1945 lichen Fallstudie zum Hermanns- und 1990 darstellt. Mythos in Deutschland. Im Miltei- punkt stehen dabei die politischen Wolfgang Krabbe Funktionen derMobilisierung in den Die gescheiterte Befreiungskriegen, der Vergemein• Zukunft der Ersten schaftung im Kaiserreich, der Waf• Republik fe im „symbolischen Bürgerkrieg" der Weimarer Republikund schließ• Jugendorganisationen bürgerli• lich der Reflexion nach 1945. Der cher Parteien im Weimarer Staat Schwerpunkt der Analyse liegt bei (1918-1933) Heinrich von Kleists Drama „Die 1995. 353 S. Kart. Hermannsschlacht" und beim Det• DM 64-/ÖS 499,-/SFr 64- molder Hermannsdenkmal. ISBN 3-531-12707-1

POLITISCHER MYTHOS Die Einrichtung von Jugendorgani• UND SYMBOLISCHE POLITIK sationen wurde für die Parteien interessant, als die parlamentari• sche Demokratie sie zu Trägern des politischen Geschehens machte und ihre Umformung zu Massen- und Apparatparteien verlangte. Die von der Jugendbewegung mobilisierte WESTDEUTSCHER junge Generation andererseits such• te zu Beginn der Weimarer Repu• VERLAG blik auch nach politischen Aus• OPLADEN • WIESBADEN

II Was haben sie sich eigentlich dabei gedacht?

Politikerinnen und Wissenschaftlerinnen schreiben über Spektakel und tieferen Sinn der Reichstagsverhüllung: Ina Albowitz, Elisabeth Altmann, Klaus von Beyme, Rüdiger Bubner, Peter Conradi, Michael S. Cullen, Friedrich Dieckmann, Eberhard Diepgen, Dan Diner, , Stefan Engelniederhammer, Peter Fuchs, Hermann Glaser, Bernd Guggenberger, , Volker Hassemer, , Hans-Jürgen Heß, Marhild Hoffmann, Andreas Krautscheid, Silke Maaßen, Peter Marx, Thomas Meyer, Herfried Münkler, Joachim Naw- rocki, , Karl H. Pohl, Ulrich Roloff-Momin, Volker Rühle, Ulrich Sarcinelli, Wolfgang Schäuble, Jürgen Schmädeke, Rolf Schörken, Wolf Jobst Siedler, Rudolf Speth, Rita Süssmuth, Gerd R. Ueberschär, Rüdiger Voigt, Wolfgang Volz Kunst, Symbolik und Politik Die Reichstagsverhüllung als Denkanstoß Herausgegeben von Ansgar Klein, Ingo Braun, Kai-Uwe Hellmann und Christiane Schroeder 384 Seiten, viele Bilder. Farbtafeln. Kart. 29,80 DM. ISBN 3-8100-1507-5

Leske+Budrich Information: Pf. 30 05 51 • 51334 Leverkusen

III Aktuelle Neuerscheinungen

Karl-Dieter Opp haben sich in dieser Hinsicht in den Methodologie der letzten Jahren ereignet? Und wel• che Transformationsprozesse haben Sozialwissenschaften sich in den neuen Bundesländern Einführung in Probleme ihrer mit welchen Folgen vollzogen? Die• Theorienbildung und praktischen se zentralen Fragen werden in die• Anwendung sem Band für ausgewählte Themen• komplexe auf der Grundlage neuer 3., völlig neubearb. Aufl. 1995. empirischer Studien behandelt. 260 S. Kart. DM 34,-/öS 265,-/SFr 34- Ulrich von Alemannn (Hrsg.) ISBN 3-531-12759-4 Politikwissenschaftliche Dieses Buch bietet eine elementa• Methoden re, kritische und leicht verständliche Einführung in die zentralen Proble• Grund riß für Studium und Forschung me der Methodologie der Sozial• 1995. 408 S. Kart. wissenschaften. Dabei wird ein Ein• DM58,-/öS453,-/SFr58- blick in die konkrete Arbeitsweise ISBN 3-531-12761-6 und die Probleme einer modernen empirisch-theoretischen Sozialwis• Dieses neue Lehrbuch der politik• senschaft gegeben. U. a. werden wissenschaftlichen Methoden be• folgende Fragen behandelt: Wie tritt Neuland in einem doppelten geht man bei einer Erklärung kon• Sinn: erstens existiert in Deutsch• kreter sozialer Sachverhalte vor? land kein aktuelles Einführungsbuch Welche Probleme treten bei einer in die politikwissenschaftlichen Prognose auf? Wie definiert man Methoden und zweitens werden Begriffe? Welche Rolle spielen Lo• nur in einem ersten Teil systematisch gik und Mathematik in den Sozial• die methodologischen Grundlagen wissenschaften? Sollen und können abgehandelt; danach folgen fünf Sozialwissenschaften wertfrei sein? Kapitel aus der Werkstatt der For• Wie diskutiert man Werte? Inwie• schung. Wissenschaftler zeigen hier weitsind Ergebnisse der Sozialwis• einzelne Methoden - Umfragefor• senschaften für die Lösung prakti• schung, Dokumentenanalyse, In• scher Probleme verwendbar? haltsanalyse, Experteninterviews und Aggregatdatenanalyse - an• hand ihrer eigenen Arbeiten auf. Karl-Heinz Reuband/Franz Urban Das Lehrbuch verpflichtet sich dem Pappi/Heinrich Best (Hrsg.) Leitbild „kritisch-empirische Politik• Die deutsche Gesell• forschung", das pragmatisch quan• schaft in vergleichender titative und qualitative empirische Perspektive Methoden verknüpft. Festschrift für Erwin K. Scheuch zum 65. Geburtstag 1995. 367 S. Kart. DM66,-/öS515,-/SFr 66- ISBN 3-531-12722-5 Wie unterscheidet sich die Bundes• republik von anderen Ländern auf WESTDEUTSCHER der Ebene der Sozialstruktur, der Verhaltensweisen und Wertorien• VERLAG tierungen? Welche Veränderungen OPLADEN • WIESBADEN Niklas Luhmann Soziologische Aufklärung 6 Die Soziologie und der Mensch 1995. 275 Seiten. Kartoniert DM 39-/öS 304-/SFr 39- Rechtspolitisches ISBN 3-531-12727-6 Magazin für Uni und soziale Bewegungen! SOZIOLOGISCHE Erscheint vierteljährlich AUFKLÄRUNG 6 Einzelheft: 4,00 + 1,50 Mark Porto Jahres-Abo: 16,00 Mark Heft 4/1994 Schwerpunkt: Wirtschaft und Recht DIE S07DLOGIE UND DER MENSCH • Die emanzipierte Belegschaft • Der deregulierende Zeitgeist • Tarifautonomie trockengelegt Das Thema des Verhältnisses von Individuum • Kleineres Übel Staatsschulden und Gesellschaft begleitet die Soziologie seit • Analyse & Kritik der Neoliberalen ihren Anfängen, aber es scheint immer noch Weitere Themen: eine „soziologische Aufklärung" zu bedürfen. • Polit. Justiz, §ammel§urium, Juri• Gegenwärtig geht der Streit hauptsächlich um stische Ausbildung, Recht Kurz. Ver• die Frage, ob das Individuum auf der Untersei• te des Begriffs der Handlung in die Gesell• brechensbekämpfungsgesetz '94. schaft eingeschmuggelt werden könne oder Grundgesetz verteidigt, Staat ge• ob es mit Hilfe der Unterscheidung von System schützt. Recht gebeugt und Umwelt resolut aus der Gesellschaft auszu• Probe-Abo schließen sei. Das eine Argument lautet: nur (ohne Verlängerung): Menschen können handeln, das andere: wenn man Individuen empirisch ernst nehmen will, 3 Hefte für 10 Mark könne man sie gerade nicht als Komponente Schein oder Scheck an: von Handlung, als Handelnde, in die aus RECHT & BILLIG VERLAG Handlungen bestehende Gesellschaft einfüh• Falkstr. 13, 33602 Bielefeld ren. Der angekündigte Band stellt Beiträge des Verfassers zu diesem Thema zusammen.

WESTDEUTSCHER VERLAG _ OPLADEN • WIESBADEN _

v PEImi ' =-: iRIE ZEITSCHRIFT FÜR POLITIK UND ÖKONOMIE IN DER DRITTEN WELT Forum theoretisch orientierter Analyse und Diskussion zu Fragen der Dritten Welt PERIPHERIE versteht sich als Forum der Diskussion über Unterentwicklung, die Beziehungen zwischen den Industrieländern und der »Dritten Welt« sowie über die Solidarität mit Emanzipationsbewegungen. Unser Interesse richtet sich insbesondere auf:

- Problembereiche, die in der »Dritten Welt« wieauch in den Industrieländern Anstöße zu sozialen Bewegungen gegeben haben (Ökologie, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, Frauen• diskriminierung) - die Neuformierung von Weltwirtschaft und Weltpolitik nach dem Ende der Blockkonfrontation - Umweltkrisen als gobale und lokale Herausforderung - regionale Differenzierung und soziale Polarisierung innerhalb der Peripherie - Demokratisierungsprozesse und Menschenrechte - Geschlechterverhältnisse - Kulturelle Bewegungen und Prozesse

Als zentrale Aufgabe wissenschaftlicher Diskussion in den Industrieländern sehen wir es an, einen Beitrag zur Orientierung politischer Praxis zu leisten sowie die Diskussion mit Autorinnen und Autoren aus der »Dritten Welt« zu fördern.

Bezug: Vierteljahreszeitschrift (112 S.) LN-Vertrieb Einzelheft DM 13,- / Doppelheft DM 25,- Gneisenaustraße 2 Abo Einzelperson DM 45,- / Abo Institutionen DM 80,- 10961 Berlin Überseeabo (Luftpost) DM 65,- (DM 100,-)

Friedhelm Neidhardt (Hrsg.)

Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen soziale Bewegungen

I994. 444 S. (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 34) Kart. DM 66-/öS 5I5-/SFr 66- ISBN 3-53 l-l 2650-4

Öffentlichkeit entwickelt sich unter den Bedingungen der Massenkommunikation zum zentralen Forum gesellschaft• licher Selbstbeobachtung. In diesem Band werden die Bedingungen, Strukturen und Funktionen von Öffentlich• keit beschrieben und die relevanten Öffentlichkeitsakteu• re (Sprecher, Medien, Publikum) untersucht. Die Analyse ihrer Interaktionen ermöglicht die Bestimmung von Prozes• sen und Wirkungen öffentlicher Meinungsbildung. Dabei WESTDEUTSCHER erfahren jene Mobilisierungen des Publikums, die sich als VERLAG soziale Bewegungen formieren, besondere Aufmerksam• OPLADEN • WIESBADEN keit. vi