Mannheimer Geschichtsblätter remmagazin 19/2010

Herausgeber Prof. Dr. Hermann Wiegand Prof. Dr. Alfried Wieczorek Dr. Claudia Braun PD Dr. Wilhelm Kreutz Mannheimer Geschichtsblätter remmagazin 19/2010 Editorial

Vorwort der Herausgeber

Was gibt es Neues? heißt es oft, eine mögliche Antwort lautet: Kennen Sie das Alte? Der allzu Neu-Gierige vergißt, dass die Vergangenheit immer noch ein Buch mit sieben Siegeln ist. Ihrer fortschreitenden Erhellung widmen sich Mannheimer Altertumsverein und rem auch in diesem Band, wiederum mit Beiträgen, die sich ganz aktuellen, interdisziplinären Forschungsansätzen ver- danken und hier zum ersten Mal publiziert werden. Bilder des Selbst und ihre Vermittlung im näheren und weiteren Umkreis sind seit der Schule der Annalisten ein wichtiges Thema der Historiographie. Wie ein Landesherr den Technologietransfer zum Wohl seiner Untertanen und gleichzeitig für seine Darstellung als aufgeklärter Fürst einsetzte – und wie wenig ihm dies letztendlich im Urteil der Nachwelt nutzte –, wird hier erläutert. Die „biographischen Bruchstücke” Collinis lenken das Augenmerk auf eine wei- tere, lange gebräuchliche Form der Eigenpräsentation, das persönliche Siegel. Selbstdarstellung durch Kleidung ist einerseits selbstverständlich, stand aber andererseits lange im Verdacht unziemlicher Eitelkeit. Erst spät wurde sie deshalb zum Gegenstand historischer Forschung. Der Bedeutung des The- mas angemessen, gelang es den rem, ein großzügig gefördertes EU-Projekt zu initiieren, unter der Bezeichnung „Clothing and Identities. New Perspectives on Textiles in the Roman Empire (DressID)” widmet es sich dem Verhältnis von Kleidung und Identität im römischen Reich. Multinationale Arbeitsgruppen tagen in regelmäßigen Abständen, die Egebnisse der Tagung in Sheffi eld sind in diesem Band versammelt. Wir wünschen Ihnen erhellende Lektüreerlebnisse und einen hoffentlich schönen, langen und heißen Sommer.

Mannheim, im Juni 2010

Prof. Dr. Alfried Wieczorek Prof. Dr. Hermann Wiegand Dr. Claudia Braun PD Dr. Wilhelm Kreutz

3 Mannheimer Geschichtsblätter remmagazin 19/2010 Inhalt

Editorial

Vorwort der Herausgeber | 3 Mumienporträts und ihre kulturellen Bezugssy- | 81 steme - Formen der Selbstdarstellung und des Totengedenkens im römischen Ägypten MAV-Wissenschaft Annette Paetz gen. Schieck

Fürstenreisen und Technologietransfer | 6 Wer steckt dahinter? Fragen zur römischen Identität | 99 Carl Theodor von Pfalz-Bayern, Stephan von Stengel am Beispiel von Reiterhelmen und die Trockenlegung des Donaumooses Sylvia Mitschke Eine kritische Betrachtung zum Forschungsstand Monika Groening Der Gürtel als Standeszeichen der römischen | 114 Soldaten Kurfürst Carl Theodor im Totenreich | 21 Stefanie Hoss Eine Satire Günther Ebersold Klassenunterschiede in einem römischen Kastell: | 129 das Zeugnis der Textilreste und Dokumente aus Biographische Bruchstücke: die Briefsiegel | 35 Vindolanda Cosimo Alessandro Collinis John Peter Wild Jörg Kreutz Römische Identität und parthische Kleidung | 132 Manel García Sánchez und Manuel Albaladejo rem-Wissenschaft Vivero

Tagung der Arbeitsgruppe Self and Society im | 41 Mediterrane Identität und indische Kleidung | 141 Rahmen des EU-Projektes DressID am 27. und 28. Manuel Albaladejo Vivero und Manel García Februar 2009 am Department of Archaeology an der Sánchez Universität Sheffi eld

rem-aktuell Vorwort | 42 Maureen Carroll Die Rekonstruktion von eng anliegenden, antiken | 147 Einführung in das Thema | 43 Bekleidungsstücken Michael Tellenbach Dagmar Drinkler

Götter, Sterbliche und ethnische Identität am | 45 Archäologie und Bauforschung in Mannheim B 4, 13 | 152 Niederrhein: die Aussage der römischen Weihe- Klaus Wirth denkmäler Maureen Carroll Der katholische Friedhof von K 2, 6 in Mannheim | 155 Benedikt Stadler Kleidungselemente an römischen Tonfi guren | 55 Maria Schmitt Impressum

Gallische Frauenkleidung in römischer Zeit | 65 Ursula Rothe Impressum | 159

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Fürstenreisen und Technologietransfer

Abb. 1 Künste und Wissen- schaften in Verehrung ihres Protectors Carl Theodor Joseph Fratrel d. Ä. 1777 Radierung rem

Die Grafi k spiegelt das Selbstverständnis eines aufgeklärten Fürsten wider: Athena und die Musen huldigen ihm, ein Putto zeichnet seine Taten im Dienst von Wis- senschaft und Kunst auf.

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Monika Groening

Fürstenreisen und Technologietransfer Carl Theodor von Pfalz-Bayern, Stephan von Stengel und die Trockenlegung des Donaumooses Eine kritische Betrachtung zum Forschungsstand

Forschungsstand zum Begriff der Technologie Es soll versucht werden, die Ergebnisse des nach- am Ende des 18. Jahrhunderts stehenden Berichtes in diesem Sinne zu interpre- Die Wissenschaft1 konstatiert für das Ende des 18. tieren. Erweiternd wird auf die mentalitätsspezi- Jahrhunderts ein wachsendes Interesse der kame- fi schen Ausführungen Stephan von Stengels zum ralistischen Fachleute der deutschen Fürstentümer Donaumoosprojekt eingegangen werden, die die an der Technologie, das mit der Herausbildung eines Einbindung philosophischer Fragenkomplexe in eigenständigen Typs der „technologischen Reise“ die Erkenntnis technologischer Zusammenhänge innerhalb der europäischen Länder verbunden war. deutlich machen. Im Rahmen der Ausbildung dieses Fachpersonals und einer dringend notwendigen Systematisierung Aufgabenstellung innerhalb der zuständigen Verwaltungen der deut- Das umfangreiche Quellenmaterial7, das im Rah- schen Fürstentümer kam offenbar der Technologie, men des Forschungsprojekts „Die enzyklopädischen also der Lehre von der Produktion, geradezu die Europareisen der politischen Funktionsträger des Funktion einer „Lenkungswissenschaft des spätab- Alten Reiches: Praktizierter Kulturtransfer 1750- solutistischen Staates“ zu2. 1800“ entstanden ist, weist auf eine wissenschaft- Die Technologie ist hier als Lehre von den liche Neuorientierung bezüglich der Ende des 18. „gewerblichen Produktionsverfahren unter Ein- Jahrhunderts unternommenen Fürstenreisen hin. schluss der Material- und Warenkunde“3 defi niert. Es wurde unter anderem ein zunehmender Anteil Sie umfasste ebenso die Gewerbeförderung wie von spezialisierten Fachbeamten im Reisegefolge die Wohlfahrtspolitik4. Speziell für den Technolo- des Fürsten festgestellt. Die fachlich orientierte, gietransfer als Teil des Kulturtransfers wurde wei- ressortabhängige Fürstenreise ist daher als Rei- terhin gefunden, dass die Initiative zum Transfer setypus mit möglichen Rückwirkungen auf die in der Regel vom Empfängerland ausging, in dem spätere Regierungspraxis in den Mittelpunkt der die Entwicklungsrückstände unter anderem auf Aufklärungsforschung gerückt worden und kann wirtschaftlichem Gebiet die Orientierung an Neu- demnach zur Bewertung der aufgeklärten Denk- erungen in anderen Ländern notwendig machten. weise des Regenten und seiner Berater herangezo- Normalerweise folgte dann die Planung der Reise gen werden8. vornehmlich durch das Fachpersonal, mit einem Dies ist eine Feststellung der Forschung, die ausführlichen Reisebericht nach der Rückkehr und geeignet zu sein scheint, unter anderem die dem Besuch möglicher Einsatzorte für die festge- umstrittene Persönlichkeit Carl Theodors als auf- stellten Innovationen im Inland5. geklärten Regenten näher zu untersuchen. Grundlegend für die Ausarbeitung dieser Stu- Es wurde weiterhin festgestellt, dass allein die die ist die Erkenntnis der Forschung, dass die persönliche Reise des Fürsten als Maßstab für Umsetzung der aufgefundenen Innovationen im seine Teilhabe am aufgeklärten Denkprozess nur Sinne aufklärerischer Vorstellungen durchgeführt teilweise berücksichtigt werden kann. Vor allem wurde6, sei es nun durch die Initiative des Regenten die der Aufklärung nahe stehenden Beamten, die selbst und/oder in Verbindung mit seinen Mitarbei- entweder selbständig oder als Reisebegleiter an der tern. Die Forschung geht von einem Wirkungs- und Reise teilnahmen, waren für die Reformpraxis des Einfl ussfeld von europaweiten Aufklärungsideen aufgeklärten Fürsten verantwortlich. Man muss und -prozessen im Umkreis der politischen Funk- also zwischen aufgeklärter Gesinnung des Fürsten tionsträger aus, die es zu untersuchen gilt (Abb.1). und dem praktizierten aufgeklärten Absolutismus

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Fürstenreisen und Technologietransfer

seiner Berater unterscheiden. Beide ergänzten sich rechtslehre und der späteren Verpfl ichtung des jedoch in vielfältiger Weise9 , so dass von der unge- aufgeklärten Fürsten, für die Glückseligkeit seiner wöhnlich vertrauensvollen Zusammenarbeit Carl Untertanen zu sorgen13. Weiterhin ist dazu zu rech- Theodors mit Stephan von Stengel möglicherwei- nen der persönliche Umgang des Regenten mit den se auf die aufgeklärte Regierungspraxis des Kur- der Aufklärung nahe stehenden Philosophen, wie fürsten geschlossen werden kann. Voltaire14 , und der geistige Austausch mit den in Es ist daher zunächst zu fragen, in welcher Bezie- der Regierung tätigen, aufgeklärten, akademisch hung die hier besprochene Reise Carl Theodors zu gebildeten Fachbeamten und Physiokraten. Inwie- den Pontinischen Sümpfen zu seinen Reformab- weit trafen diese Merkmale auf Carl Theodor zu? sichten in Bayern stand. Ist die Einstellung Carl Weiterhin ist zu fragen, in welchem technischen Theodors zu seinem Reformwerk im Donaumoos Zusammenhang die Reiseerfahrung Carl Theodors am besten mit dem Terminus des „Gewährenlas- und seines Fachbeamten Stephan von Stengel sens“ seines Fachberaters Stephan von Stengel zu zu ihrem Reformprojekt der Trockenlegung des umschreiben, was dem Kurfürsten von der Historio- Donaumooses gestanden hat. War der Besuch der graphie bisweilen vorgeworfen wird? Diente die Pontinischen Sümpfe hilfreich und wesentlich für Trockenlegung des Donaumooses, die schließlich die Nutzbarmachung eines öden Sumpfgebietes erst einige Jahre nach der Besichtigung des päpst- in Bayern, wie in der Forschung behauptet wird (J. lichen Reformwerkes in Italien in Angriff genom- Rees, W. Siebers)? men wurde, lediglich der von seinem aufgeklärten Verfügten Bayern und die Pfalz nicht schon seit Fachberater dringend angeratenen Verbesserung längerem über Fachwissen zumindest auf den der landwirtschaftlichen Produktion? Oder sah der technischen Gebieten des Kanalbaus und über Kurfürst darin auch eine Möglichkeit des Aufklärers, geschultes Wasser-, Brücken- und Straßenbauper- die persönliche „Glückseligkeit“ seiner Untertanen sonal, über Ingenieure und Bauzeichner, die in der im Sinne einer naturrechtlichen Gleichstellung – Lage waren, auch ohne Hilfe aus dem Ausland die dies war eine Idee der damaligen Aufklärer – zu Trockenlegung des Donaumooses zu planen und verbessern? Nahm Carl Theodor am aufgeklärten durchzuführen? Hat es darüber hinaus eine Rezi- Denkprozess seiner Zeit teil, indem er bestimmte prozität im Erfahrungsaustausch gegeben, das aufgeklärte Ideen rezipierte und unter anderem heißt, entstand nach dem Besuch der Pontinischen durch das Projekt der Trockenlegung des Donau- Sümpfe eine Art Gedankenaustausch zwischen den mooses zu verwirklichen suchte? In welchem beiden Regenten und ihren Fachbeamten?15 Maße trug sein einfl ussreicher Wirtschaftsberater Sollte es nicht zu einem Technologietransfer der Stephan von Stengel dazu bei, diese Ziele zu ver- oben beschriebenen Art gekommen sein, und sollte wirklichen10? die diesbezüglich aufgeklärte Gesinnung Carl Theo- Für Harm Klueting11 defi niert sich das Aufge- dors und Stephan von Stengels auch ohne das Hilfs- klärtsein eines Fürsten am Maßstab der Aufklä- mittel der Fürstenreise nachgewiesen werden kön- rung selbst, also am Prozess der Emanzipation des nen, dann müssen andere Gründe für den Besuch Regenten von den Bindungen der Religion und der der Pontinischen Sümpfe vorgelegen haben. Tradition. Zur Beantwortung der vorstehenden Fragen Zu den Grundzügen der Aufklärung in Bezug erscheint es sinnvoll, die Biographie Stengels hier auf die Regentschaft eines Fürsten am Ende des 18. kurz vorzustellen. Jahrhunderts gehörte die Anthropozentrik, d.h. der Mensch und seine irdische Glückseligkeit rückten Kurzer Abriss der Biographie Stephan von in den Mittelpunkt12 der Regierungstätigkeit, die Stengels beispielsweise durch die Vermittlung von privatem Stephan von Stengel (Abb. 2) wurde am 6. Oktober Eigentum und damit von privater Freiheit an die 1750 in Mannheim als Sohn des Kanzleidirektors Untertanen verwirklicht werden sollte. Ferner und Staatsrats Johann Georg von Stengel (1721- gehörte dazu die Prinzenerziehung im Sinne der 1798) geboren. Als sein natürlicher Vater gilt Carl Vermittlung der Grundzüge der rationalen Natur- Theodor von Pfalz-Bayern (1724-1799).16 Kurz nach-

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Monika Groening dem Stengel sein juristisches Studium an der Hei- Abb. 2 Stephan Freiherr von delberger Universität abgeschlossen hatte, über- Stengel nahm der Kurfürst, ein pfälzischer Wittelsbacher, Heinrich Carl Brandt infolge des Aussterbens der bayerischen Linie die (1724-1787) 1776 Regierung auch in Bayern. Stengel gehörte ab 1778 Öl auf Leinwand zum pfälzischen Beamtenstab, der Carl Theodor rem nach München folgte. Als Kabinettssekretär und engster Vertrauter arbeitete Stengel in den folgenden zwei Jahr- zehnten in fast allen Ressorts eng mit dem Kur- fürsten zusammen. Insbesondere setzte ihn dieser zunehmend für Sonderaufgaben ein. Der Kurfürst ernannte ihn im November 1789 zum Leiter des Finanzdepartements für das Kurfürstentum Bayern und 1794 zum Leiter des Finanzreferats für die ver- einigten Herzogtümer Oberpfalz, Neuburg und Sulzbach, nachdem sich Stengel in einer Art Selbst- studium in die Gebiete Finanzen und Wirtschaft eingearbeitet hatte. Im Dezember 1789 übernahm Stengel als Direk- formen in Bayern eingeleitet und bereits teilweise tor die Leitung der Kommission für die Trockenle- durchgesetzt zu haben. Diese Reformen hatten das gung des Donaumooses.17 Im gleichen Jahr erhielt Ziel, durch unbeschränkte Getreideausfuhren die er zusätzlich das wichtige Referat in Landschafts- fi nanzielle Lage des bayerischen Staates zu verbes- und Schuldenwerkssachen, das sich vor allem mit sern, Monopole abzubauen und die Bauern durch den bayerischen Landständen in langwierigen Ver- die Überführung ihrer Felder in den Eigenbesitz handlungen über die jährlichen Steuerzahlungen fi nanziell und politisch zu stärken. Durch die Kapi- an die Regierung zu einigen hatte. 1798 übernahm talisierung von Grund und Boden sollte die Geld- Stengel außerdem den Vorsitz in der Kommissi- umlaufmenge im Staat vermehrt werden. Außer- on zur Erfassung der geistlichen Güter in Bayern, dem plante man, die Ständeprivilegien des Adels wodurch bereits vor der Montgelas-Periode die Zug um Zug aufzuheben. Säkularisation des Kirchenbesitzes in Bayern ein- Zur Vorbereitung dieser wirtschaftspolitischen geleitet wurde. Reformen hatte sich Stengel mit Zustimmung des Die Fülle der Berufungen Stengels ab 1789 steht Kurfürsten bereits in Mannheim mit den neuesten im Zusammenhang mit dem Ausbruch der Franzö- Erkenntnissen der Staatsphilosophen Christian sischen Revolution, zumal sich die politische Lage Wolf, Adam Smith und Friedrich Heinrich Jaco- auch in Bayern zugespitzt hatte. Die städtische bi auseinandergesetzt. Zu dieser Vorbereitung Bevölkerung wurde wegen vermeintlich zu hoher gehörte auch die Besichtigung der auf Anweisung Getreidepreise unruhig, und die Landstände droh- des Papstes Pius VI. trockengelegten Pontinischen ten, mit ihren oppositionellen Forderungen an die Sümpfe im Jahre 1783 während einer gemeinsamen Öffentlichkeit zu gehen. Es kam in den neunziger Italienreise mit dem Kurfürsten. Die Nutzbarma- Jahren vor allem darauf an, durch eine straffere chung der Pontinischen Sümpfe diente als eine Art Reformpolitik Landstände und Untertanen von den „Vorbild“ für die Kultivierung des Donaumooses in nur schwer durchführbaren wirtschaftspolitischen den Jahren von 1790 bis 1793. Die Trockenlegung des Maßnahmen der Regierung zu überzeugen und in Donaumooses (Abb. 3 und 6) gilt heute als eines der ihre Pläne einzubinden. Stengel kommt das Ver- herausragenden Reformwerke des ausgehenden 18. dienst zu, mit den unruhigen Landständen einen Jahrhunderts. Konsens herbeigeführt und nach 1789 auf Veran- Carl Theodor entließ seinen engen Vertrauten lassung des Kurfürsten zunehmend Wirtschaftsre- Stephan von Stengel im Jahr 1797 aus politischen

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Gründen.18 Stengel wurde von der nachfolgenden heit in der Beurteilung seiner Regierungszeit wird Regierung unter Max IV. Joseph (1756-1825) und nunmehr in der Erforschung der Tätigkeit seiner dem Freiherrn Maximilian von Montgelas (1759- Beamten gesehen.22 Dieser Weg ist bereits beschrit- 1838) zum Finanzreferendar sämtlicher Erbländer ten worden, ohne dass es zu einem abschließenden und Staatsrat sowie schließlich zum Generalkom- Urteil über Persönlichkeit, Regierungsstil und missar des neu gegründeten Mainkreises mit Sitz Reformwillen des Kurfürsten kommen konnte. in Bamberg ernannt. Er starb im Jahr 1822 mit 72 Erst in jüngster Zeit wird das Bild Carl Theodors Jahren. als aufgeklärter und reformbewusster Monarch durch das Heranziehen neuer Quellen positiver Carl Theodors Stellung als aufgeklärter Fürst in gesehen. der Forschung Für seine Pfälzer Regierungszeit in den Jahren Carl Theodors Stellung als aufgeklärter Fürst ist in von 1742 bis 1777 wird ihm eine zumindest ambi- der Forschung umstritten und wurde lange Zeit valente Einstellung zu Reformen und zur Aufklä- überwiegend negativ beurteilt. rung attestiert.23 Wie nach 1778 in Bayern, so trieb Der Kurfürst galt als zu schwach und indolent19, Carl Theodor vorher auch in der Pfalz vor allem die zu furchtsam und zurückhaltend, um wichtige Industrie-, Landwirtschafts- und Infrastrukturpo- politische Entscheidungen treffen zu können. litik in der Absicht voran, den Staat im Sinne des Reformansätze im Sinne der Aufklärung wurden Gemeinwohls fi nanziell zu sanieren. Zur Konkreti- für Bayern zunächst lediglich in den Münchener sierung des Staatsausbaus habe der Kurfürst die Anfangsjahren Carl Theodors festgestellt. Diese vom rationalen, absolutistisch-aufgeklärten Staat frühen Reformen seien jedoch meist eingeschlafen angestrebte Kontrolle über Kommunen, Kirchen oder formell widerrufen worden.20 und Universitäten verwirklicht. Insgesamt habe Die unübersichtliche Quellenlage sowie die feh- Carl Theodor an einer Art geheimem Regierungs- lenden Selbstzeugnisse wurden schließlich für den stil aus dem Kabinett heraus ohne Ressorttrennung Mangel an einer klaren und eindeutigen Charakte- und mit nur geringer Einbindung der Minister, aber ristik der Persönlichkeit Carl Theodors als aufgeklär- unter Bevorzugung von Fachbeamten, festgehal- ter Fürst verantwortlich gemacht.21 Ein möglicher ten.24 Betont wird für die pfälzischen Regierungs- Weg zu mehr Übersichtlichkeit und Abgewogen- jahre des Kurfürsten zudem der Widerspruch zwi-

Abb. 3 Das Donaumoos Kupferstich und Land- karte von Adrian Riedl und Johann Michael Mettenleitner 1792 Stadtmuseum Neuburg an der Donau

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Monika Groening schen dem „Ziel der Vollendung absolutistischer war, stellt die nachfolgende Schilderung der poli- Herrschaft und dem Ziel aufgeklärter Politik – dem tischen Bedeutung der Trockenlegung des Donau- Hervortreten des Menschen aus seiner selbstver- mooses dar. schuldeten Unmündigkeit“, dem sich auch Carl Theodor nicht habe entziehen können.25 Die Ausgangskultur: zum Stand der Moorkultivie- Die Untersuchung der frühen Reformpolitik des rung in Bayern um 1783 und später Kurfürsten in Bayern in den Jahren 1778/79, die der „Man kultiviere die vielen großen Möser, lege Höfe Bildung einer Wirtschaftsunion in seinen sieben und Dörfer an, wo jetzt für Menschen und für Thiere Erbländern diente, macht die mangelhafte Vorbild- ungesunde Sümpfe sind und erwerbe so neue Pro- funktion Carl Theodors als Integrationsfi gur für die vinzen. Dies sind die Wohltaten, die gewiß erkannt bayerische Politik deutlich. Sie zeigt Carl Theodor werden, das Vertrauen der Nation auf die Staats- aber andererseits als Realisten und versierten Politi- Verwaltung aufl eben machen und noch bey der ker der kleinen, aber machbaren Schritte26, wodurch Nachkommenschaft gesegnet werden müssen.“30 – anknüpfend an die Regierungszeit seines Vorgän- Stephan von Stengel erinnert in seinem Schrei- gers Max III. Joseph – wichtige Grundlagen für die ben vom 23. November 1788 Carl Theodor an das weitere Entwicklung Bayerns zum modernen Staat mehrfach in Aussicht genommene Werk der Moos- gelegt werden konnten27. kultivierung in Bayern, nachdem inzwischen fünf Die Untersuchung der Reformpolitik Carl Theo- Jahre seit dem Besuch der Pontinischen Sümpfe in dors in Bayern in den Jahren 1780 bis 1799 zeigt, dass Italien vergangen waren. Während der Reise vom der Kurfürst gemeinsam mit seinem Wirtschafts- 2. Mai bis zum 18. Juli 1783 hatte Stengel ein aus- experten Stephan von Stengel den Staatsausbau, führliches Tagebuch verfasst, wonach die Hofge- die Staatssanierung und die Landwirtschaftspolitik sellschaft von München über den Brenner, Verona, wiederum zum Mittelpunkt seiner Reformpolitik Pisa, Livorno und Florenz nach Rom und von dort zu machte. Zur Verbesserung der Kontrolle des Staates den Pontinischen Sümpfen gereist war.31 über die so genannten „Mittelmächte“ betrieb Carl Kurz vor seiner Reise nach Italien, nämlich am 10. Theodor eine gemäßigte bis teilweise radikale anti- April 1783, hatte Carl Theodor noch ein Mandat über ständische Politik, die bereits die Säkularisation der die Kultivierung aller Moore in Bayern erlassen32, geistlichen Güter und die vollständige Einbindung in dem unter anderem von den aufzubringenden der Landstände in den Untertanenverband vorsah Finanzmitteln und Vorschüssen der einzelnen Insti- und einleitete. Auch im Hinblick auf die Bauernbe- tutionen, wie der Hofkammern in München und freiung und die Privatisierung der Eigentumsrechte, Neuburg, die Rede war. Das Donaumoos war vor die letztlich zu einer auch politischen Freiheit der der Erbfolge Carl Theodors im Jahr 1778 durch die Untertanen führen mussten, ging Carl Theodor Staatsgrenze zwischen Pfalz-Neuburg und Bayern nach 1789 neue Wege, die über seine Reformpolitik in zwei Teile geteilt gewesen. Nun sah man durch in der Pfalz hinauswiesen. die Vereinigung beider Länder eine neue Chance Der Blick der historischen Forschung auf die für dessen Trockenlegung und Kultivierung. Die Regierungszeit Carl Theodors in Bayern wurde lange unklare Finanzsituation war aber wohl der Haupt- Zeit beeinfl usst durch die mehr oder minder idea- grund dafür, dass die Kultivierungspläne Carl The- listische Einschätzung der Landstände als dasjeni- odors und Stengels noch nicht ausgeführt worden ge Gremium, das den Parlamentarismus in Bayern waren. Der Besuch der Pontinischen Sümpfe sollte vorbereitet habe.28 Eine eingehendere Erforschung möglicherweise die Planungen wieder in Gang set- der Bedeutung der Landstände und der Fachbe- zen und befl ügeln. amten sowie der Auswirkungen der Französischen Zwei Jahre nach der Rückkehr aus Italien plante Revolution auf die politischen Entscheidungen des Stengel eine Rede vor der Akademie der Wissen- Kurfürsten29 könnte zukünftig den Weg frei machen schaften über die Austrocknung der Pontinischen für eine noch genauere Einschätzung der Stellung Sümpfe33, die er jedoch nicht hielt. Es ist vorstellbar, Carl Theodors als aufgeklärter Fürst. Einen Beitrag dass Stengel mit diesem Vortrag das gebildete und zu der Frage, wie aufgeklärt Carl Theodor wirklich einfl ussreiche Publikum über das geplante Donau-

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moosprojekt genauer informieren und um weitere Er erließ darüber hinaus 1790 ein weiteres allge- Zustimmung werben wollte. meines Kulturmandat, worin insbesondere gegen 1788 legte Stengel dem Kurfürsten einen Vor- die Fahrlässigkeit, „so viele und grosse Strecken schlag zur Einführung einer „Weidesteuer als Fonds Landes länger ungebauet liegen zu lassen“ ange- und Antrieb zur Landeskultur mittels Einführung gangen, Neuregelungen unter den Gemeinden der Stallfütterung“ vor, der dem Kurfürsten die angeordnet und steuerliche und rechtliche Ver- Dringlichkeit einer Reform der Landwirtschaft in günstigungen den zur Kultivierung entschlossenen Bayern noch einmal vor Augen führen sollte. Unter Untertanen zuerkannt wurden.35 anderem gehörten dazu die Einführung der Stall- Welche technologischen Kenntnisse im Straßen- fütterung zur Schonung der Weiden und die Förde- und Wasser- bzw. Kanalbau fand Carl Theodor nun rung des Ackerbaus ganz allgemein. in Bayern vor, die ihm – ohne Technologietransfer Im November 1789 unternahm Carl Theodor von auswärts – für das geplante Trockenlegungs- schließlich gemeinsam mit Stengel, dem Staats- projekt von Nutzen sein konnten? Es muss fest- rat Benjamin Thompson und dem Außenminister gehalten werden, dass die kurfürstliche Landes- Matthäus Graf Vieregg eine Reise durch das nörd- regierung in der Pfalz bereits über weitreichende liche Bayern und das Donaumoos. Erst im Dezem- Kenntnisse in der Straßen-, Brücken- und Kanalbau- ber 1789 konnte das große Werk der eigentlichen technologie verfügte, die Carl Theodor und seine Trockenlegung in Angriff genommen werden, Beamten ohne weiteres in die Regierungsgeschäfte nachdem Stengel durch die Ernennung zum Direk- in Bayern mit einbringen konnten. tor der Donaumooskommission die Gesamtver- Carl Theodor hatte in den Jahren von 1742 bis 1777 antwortung für das Unternehmen übernommen nach anfänglichem Zögern das Verkehrssystem hatte. „Carl Theodor drang unablässig in mich, in der Pfalz aus handelspolitischen Erwägungen dieses Werk, an dem seit seinem Regierungsantritt besonders gefördert. 1753 wurde der Ingenieur- ohne Erfolg gearbeitet worden war, bald vollendet leutnant von Pfi ster zum „Directeur des Chemins et zu sehen“, schrieb Stengel an Max IV. Joseph, den Chaussées“ ernannt, doch kam der Bau der gerad- Nachfolger Carl Theodors.34 Daraus ist zu erse- linigen, mit solidem Unterbau und Abzugsgräben hen, wie wichtig Carl Theodor die Kultivierung des versehenen und von Bäumen gesäumten Chaus- Abb. 4 Mooses nahm, die über die Erhöhung der landwirt- seen nach französischem Vorbild erst nach Been- Mooraustrocknung aus 36 „Geschichte Bayerns" schaftlichen Produktion hinaus auch als Prestige- digung des Siebenjährigen Krieges 1763 in Gang . Schulbuch von 1851 objekt des bayerischen Staates gelten konnte. 1776 waren von den Hauptstraßen der Pfalz bereits etwa 370 km befestigt. Der Chausseebau sowie der zunehmend sorgfältiger kontrollierte Unterhalt der Straßen wurden fi nanziert durch Chausseegelder, die für die Benutzung des Straßennetzes erhoben wurden. Auch sorgte Carl Theodor für den Wasserver- kehr, indem er einen Verbindungskanal zwischen der „Industrie“-Stadt Frankenthal und dem Rhein bauen ließ.37 1773 schritt er bei einem Besuch per- sönlich die gesamte Trasse ab, bevor diese 1777, also ein Jahr vor seinem Regierungsantritt in Bayern, vollendet war. Die Gesamtausgaben allein für die Löhne sollen rund 500.000 Gulden betragen haben.38 Im Grunde war also Carl Theodor bereits bei seinem Regierungsantritt in Bayern gemeinsam mit seinen Fachleuten für ein so bedeutendes Pro- jekt wie die Trockenlegung des Donaumooses (Abb. 4) gut gerüstet.

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Monika Groening

Auch in Bayern hatte man Erfahrungen gesam- man das Land in Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt, melt. Unter Max III. Joseph (1745-1777), dem Vorgän- wobei Castulus Riedl für Inn und Salzach, Adrian ger Carl Theodors, war der Straßen- und Kanalbau Riedl für Donau, Isar und Loisach verantwortlich durch den Straßenbaudirektor Castulus Riedl (1707- war.42 1783) vorangetrieben worden. Aus staats- und wirt- Im Jahre 1790 verschärfte Carl Theodor die Richt- schaftspolitischen Erwägungen war 1752 Riedl auch linien für den Unterhalt der Chausseen. Er erließ die die dringend benötigte und mit dem Straßen- und „Instruction, wie künftighin diejenigen Chausseen Wasserbau eng verbundene Vermessung Bayerns in Bayern, welche dem gnädigsten Landesherrn bis- nach französischem Vorbild übertragen worden, heriger Verfassung gemäß zu unterhalten obliegen, die jedoch an den recht vordergründigen Argu- von den Churfürstlichen Cameral-Straßen-Inspec- menten der Ständevertretung, der so genannten tions-Ämtern [...] unterhalten werden sollen“43, die Landschaft, zunächst gescheitert war. die Stellung Adrian Riedls als Straßen- und Wasser- Leitlinien für die Straßenbaupolitik wurden dage- baudirektor noch weiter ausbaute und ihm größt- gen 1751 mit der Gründung der Straßenbaudirekti- mögliche Verantwortung in diesem Fach übertrug. on festgeschrieben und fortlaufend eingesetzt. Aus der lesenswerten, den damaligen Straßenbau Straßen- und Kanalbau wurden immer wichtiger, in allen Einzelheiten schildernden Verordnung geht weil man gegenüber den Nachbarstaaten als Tran- hervor, dass Riedl über einen festen Stamm von sitland konkurrenzfähig bleiben und durch die Straßenarbeitern verfügte, die auch im Donaumoos Errichtung möglichst vieler Mautstellen an den eingesetzt werden konnten. Grenzübergängen der Staatskasse Einnahmen Ferner zeigt die Verordnung, dass die dort zukommen lassen wollte. geschilderte Technik des Straßenbaus und der In Riedls Sohn, Adrian (1746-1809), erwuchs der Anlage von Gräben auch nach heutigen Maßstä- Landesvermessung sowie dem Straßen- und Kanal- ben als fortschrittlich bezeichnet werden kann. An bau in Bayern eine kongeniale Persönlichkeit. Die den größeren schiff- und fl oßbaren Flüssen war die Bitte des Vaters, den Sohn zu seiner Entlastung als eigentliche Wasserbauinspektion angesiedelt, die ordentlichen Landgeometer und Wasserbaumei- Straßeninspektoren hatten aber laut Verordnung ster zu verpfl ichten, wurde 1765 von weiterer Praxis auch für den Brückenbau zu sorgen. Man war also, im Wasserbau abhängig gemacht, die er sich auf was den Straßen- und Wasserbau anging, für die Reisen, insbesondere in die Niederlande, erwer- seit 1789 in Gang gekommene Trockenlegung des ben sollte.39 Hätte sich Adrian Riedl dieser Reise Donaumooses gut gerüstet.44 unterzogen, dann würde es sich hier sicherlich um Carl Theodor plante darüber hinaus gemäß eine Reise mit dem Hintergrund des modernsten Verordnung vorausschauend den Ankauf von Technologietransfers gehandelt haben. 1772 wurde Kiesgruben auf „uncultivierten oder doch nur mit Adrian Riedl zum Wasser-, Brücken- und Straßen- unnützen Stauden- und Buschwerk bewachsenen baukommissar ernannt. Er entwickelte sich in den Weidplätzen“. Eine Fahrt durch das Donaumoos nachfolgenden Jahrzehnten zum maßgeblichen, zeigt, dass der Abbau von Kies aus den damaligen fortschrittlich denkenden Fachmann für die hier unkultivierten Weidefl ächen dort noch heute mit diskutierte Technologie. Erfolg praktiziert wird. Carl Theodor ernannte ihn 1790 zum Direktor Ferner verfügte die Verordnung, dass „wie und wo des bereits von Max III. Joseph 1767 gegründeten es immer thunlich ist, das militaire bey den Chaus- und der Hofkammer zugeordneten Generalbaudi- sée-Arbeiten gebraucht, und denselben bey der rektoriums40, des Vorläufers der heutigen Obersten Arbeiter-Anstellung und Auswahl caeteris paribus Baubehörde des Freistaats Bayern. Zum Aufga- die preference gegeben werde, als weßwegen sich benbereich dieses Direktoriums gehörte seit 1767 die Inspections-Beamte bey dem Commandanten neben dem Straßenbau auch das Wasser- und Brü- der nächst entlegenen Garnisionen zu melden ckenbauwesen.41 Bereits seit 1767 gehörten Vater haben“. Das Militär setzte Carl Theodor von 1790 bis und Sohn Riedl diesem Generalbaudirektorium als 1792 auch für die Trockenlegung des Donaumooses Geometer an. Hinsichtlich des Wasserbaus hatte ein. Der nordwestliche Umfassungskanal, der des-

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wegen Militärkanal heißt, wurde durch Soldaten Man verfügte in Bayern über genügend Erfahrung gebaut. Aus fi nanziellen Gründen griff man jedoch und Fachkräfte. Hätte man auf die Technologie später auf bezahlte Arbeiter zurück.45 eines Bayern benachbarten Landes zurückgreifen Als Carl Theodor Adrian Riedl 1789 zum Mitglied wollen, so wären wohl eher Frankreich und seine der Donaumoosdirektion ernannte, berief er den in modernen Ingenieursschulen sowie die Niederlan- Bayern zu seiner Zeit profi liertesten Mann sowohl de in Frage gekommen. Es mussten also noch ande- für den Straßen- als auch für den Kanalbau. Wäh- re Gründe vorgelegen haben, die Carl Theodor und rend man im darauf folgenden Jahr mit der Her- Stengel zu dem Besuch veranlasst haben. beischaffung der fi nanziellen Mittel unter ande- Es ist bekannt, dass es mit den möglichen tech- rem durch die Errichtung einer Aktiengesellschaft nischen Kenntnissen bezüglich des Straßen- und beschäftigt war, wurde der eigentliche Plan für die Wasserbaus bei einem so bedeutenden Projekt wie Trockenlegung des Moores von Adrian Riedl entwi- der Trockenlegung des Donaumooses allein nicht ckelt46. getan war. Die fi nanz- und wirtschaftspolitischen Der Donaumoosdirektion gehörten ferner an der sowie der Aufklärung nahe stehenden, philoso- Obere-Landes-Regierungsrat und Oberste Lehens- phischen Fragen, wie die gerechte Eigentumsver- hof-Kommissar Karl Freiherr von Aretin sowie als teilung unter den Staatsbürgern und der Abbau der Donaumoos-Gerichts-Administrator Georg Freiherr Ständestruktur und damit der Privilegien des Adels, von Aretin. 1795 schrieb dieser in seinem Bericht spielten bei den Entscheidungen Carl Theodors und „Aktenmäßige Donaumoos-Kulturs-Geschichte“, Stengels eine weitaus größere Rolle. Zur Klärung dass die Kommission in zweifacher Weise kei- dieser Fragen nutzten beide Politiker jedoch nicht nen Vorgänger in einem ähnlichen Unternehmen die Informationen, die sie im Zusammenhang mit gehabt habe: „Wir hatten, wenn wir es nach der der Besichtigung der Pontinischen Sümpfe erhalten Größe des Flächeninhalts messen, kein Beispiel in hatten. Deutschland, wenn wir es nach dem Zeitraume, in welchem wir es vollführt haben, keines in unserem Die Vermittlungsinstanzen Welttheile“.47 Den Besuch der Pontinischen Sümp- Carl Theodor und Stengel besuchten vermutlich die fe erwähnte Aretin in seinem 164 Seiten langen Pontinischen Sümpfe, um – nach der damaligen Bericht an keiner Stelle. Auffassung von Technologie – nicht nur die eigent- Man kann also davon ausgehen, dass bezüglich liche Technik der Trockenlegung kennen zu lernen, der eigentlichen Technik der Trockenlegung des sondern darüber hinaus die mögliche Motivation Donaumooses ein Technologietransfer aus dem Kir- des Papstes und die daraus entstehenden fi nan- chenstaat und somit der Besuch der Pontinischen ziellen und sozialen Folgen der Urbarmachung für Sümpfe eigentlich nicht notwendig gewesen war. den Kirchenstaat in Erfahrung zu bringen.

Abb. 5 Vorder- und Rückseite der Gedenkmedaille des Kurfürsten Carl Theodor zur Trockenlegung des Donaumooses: Paludes ad Danubium exsiccatae reduci Cereri s. MDCCX- CIV (Die ausgetrockneten Sümpfe an der Donau führte ich der Ceres zurück. 1794) Aus: Kollektaneenblatt, Jahrbuch 130, 1977 des Historischen Vereins Neuburg an der Donau (Sonderdruck)

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Um die Überlegungen des Kurfürsten und Stengels heit aller zu kultivierenden Sümpfe in Bayern die- richtig einschätzen zu können, muss man auf die nen sollte51, denn, so klagte schon der 1779 kurzfri- wirtschaftspolitischen Themen zurückgreifen, mit stig nach Bayern berufene Wirtschaftstheoretiker denen sich beide bereits einige Jahre vor der Tro- und Philosoph Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819): ckenlegung des Donaumooses beschäftigt haben. „Der traurige Zustand vom Lande Bayern ist jedem Bayern hatte, wie auch andere deutsche Staaten, Auge sichtbar. Mehr als der dritte Teil dießes schö- drei Hauptprobleme zu lösen. nen Herzogthums lieget unangebauet, und die Ver- Das waren erstens: Die Produktion der landwirt- ödung greift immer weiter um sich.“52 schaftlichen Güter musste ausgeweitet werden, Die im kultivierten Donaumoos geplanten Maß- um über den Export den Geldumlauf im eigenen nahmen, nämlich Gewinnung einer dem Export Land zu erhöhen. Erhöhter Geldumlauf bedeutete zuzuführenden Mehrproduktion von Getreide, Steigerung der Produktivität und damit wachsen- Öffnung der Landesgrenzen für den Freihandel53, der Wohlstand für den Staat und die Bürger. Verkauf von Grund und Boden an die Landbevölke- Zweitens: Es mussten die Eigenverantwortung rung54, Förderung der ökonomischen Eigenverant- und der Erwerbssinn der Bürger geweckt werden. wortung der Bauern55, Bildung eines Staatsbürger- Das ließ sich am besten durch die Überführung tums, gerechte Vermögensverteilung, Ansiedlung von Grund und Boden in das Eigentum der Bauern von Kolonisten sowie die Einführung der Stallfütte- bewerkstelligen. rung zur Vermehrung der Getreideproduktion und Drittens: Es mussten die Privilegien der führen- des Viehbestandes gehörten bereits seit längerem den Stände aufgehoben und die Errichtung eines zum allgemeinen Wissensstand der aufgeklärten Staatsbürgertums angegangen werden, in wel- Wirtschaftstheoretiker und Physiokraten in Bayern. chem die Beteiligung aller „gleich welchen Stan- Diese Theorien, die nicht über den Kirchenstaat, des und gleich welcher Würde“ an der Produktion sondern über die Erbländer des Kurfürsten, nämlich und die Gleichstellung aller vor der Steuer sicher die Pfalz und das Fürstentum Berg, sowie über gestellt waren. Frankreich und England bzw. Schottland nach Mün- Ohne dem Ergebnis dieser Untersuchung vor- chen gelangt waren, wurden zum Teil auch schon greifen zu wollen, sei schon jetzt so viel gesagt, von der vorangegangenen Regierung unter dem dass Carl Theodor und Stengel beim Besuch der Kurfürsten Max III. Joseph und nach 1778 vor allem Pontinischen Sümpfe nicht von einem dort vor- von den der Aufklärung nahe stehenden Fachbe- gefundenen technologischen Fortschritt im wei- amten Carl Theodors diskutiert. testen Sinn profi tierten, sondern – im Gegenteil – Mit der Zielkultur Italien hatten sie an sich sie lernten aus den Fehlern des Papstes48 und seiner nichts zu tun. Man kann davon ausgehen, dass Regierung. Das „aufklärerische“ Potential Bayerns, weder im Bereich der eigentlichen Technologie des das inzwischen dort diskutiert wurde, war nämlich Straßen- und Kanalbaus noch auf dem Gebiet der aus verständlichen Gründen wesentlich größer als wirtschaftlichen und sozialen Verwertung eines so das des Papstes und seiner Berater. großen trockengelegten Sumpfes der bayerische Stephan von Stengel hatte sich – wie bereits Staat gegen Ende des 18. Jahrhunderts zumindest oben geschildert wurde – mit Zustimmung des theoretisch irgendwelche Probleme gehabt hätte. Kurfürsten mit den wirtschaftspolitischen Theo- Es sei denn, das „an dergleichen weit aussehenden rien der damaligen Aufklärer und Physiokraten ver- ökonomisch politische Unternehmungen noch traut gemacht.49 Diese Persönlichkeiten waren die ungewöhnte Publicum“56 hätte daran Anstoß eigentlichen „Vermittlungsinstanzen“, die für die genommen, was es später auch tat57. Motivation zur Trockenlegung des Donaumooses Aus dem Reisetagebuch Stephan von Stengels verantwortlich waren. Stengel griff in seinen geht hervor, dass das Projekt der Pontinischen Ansprachen, Gutachten und Reskripten diese Theo- Sümpfe des Papstes für den bayerischen Fachbe- rien in vielfältiger Weise auf.50 Aus den Äußerungen amten Stengel und den Kurfürsten hinsichtlich der Stengels geht hervor, dass das trockengelegte eigenen Pläne keine große Hilfe war, wie nachfol- Donaumoos als eine Art Prototyp für die Gesamt- gend gezeigt wird.

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Die Zielkultur: Beschreibung der Reise zu den ehelosen hier bemit fi ndet, nichts abgeben kann, ist Pontinischen Sümpfen anhand des Reisetage- handgreifl ich. Man scheint auch hierauf gar nicht buches zu zählen, sondern sezt seine ganze Hofnung auf Einen Teil seines Reisetagebuches widmete Stengel Auswanderungen aus den nächst angränzenden schon vorab seinen wirtschaftspolitischen Interes- gebürgichten und unfruchtbaren Gegenden des sen. So geht er an der Grenze zu Österreich auf die Königreichs Neapel“63. „in Baiern seit 15 Jahren in Verfall geratene“ Vieh- Im Folgenden spart Stengel nicht mit Kritik an zucht58 ein, beklagt die überhöhten Tiroler Zollta- dem päpstlichen Unternehmen. So meint er, dass rife59, bewundert eine über den Apennin geführte, sich nur wenige Menschen an einem wegen seiner mit Wasserleitungen und Brücken versehene „kost- unangenehmen Ausdünstungen bekannten Ort bare“ Straße60 und den einfachen, schikanelosen niederlassen würden. Auch würden die Menschen, Livorner Zoll61 und er erwähnt die geschickte Wirt- die in dieser Gegend generationenlang dem Fisch- schaftspolitik des Großherzogs Leopold der Toska- fang nachgegangen wären, sich zukünftig wohl nur na (1747-1792): „In seinen Regierungsgeschäften ist wenig um den Unterhalt der Gräben, Dämme und seine erste Sorge der Ackerbau. Er schätzt deswe- Schleusen bemühen. gen den Bauernstand und macht sich desto weni- Besonders interessant ist jedoch, dass Stengel den ger aus dem Adel, deßen alte Verfassung, deßen auf hauptsächlichen Nachteil für den Kirchenstaat als Vorurteil sich gründende Freiheiten und Vorzüge Nutznießer eines so bedeutenden Unternehmens ohne hin in die heutige Verfassung nicht mehr tau- wie die Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe in gen und nur mehr als eine Last des Nährstandes dem Unvermögen seiner Bewohner sieht, mit den sind, der sich des wegen in Florenz zwar noch mit Religionsgesetzen maßvoll umzugehen und sich an einigem Glanze erhält, auf dem Lande aber entwe- moderne, eben aufgeklärte Zeiten anzupassen. Dies der zu emsiger Verwaltung seiner Güter greifen, war ein Problem, dessen sich später Carl Theodor mithin zum Reichtume des Landes beitragen mus und Stengel auch in Bayern angenommen haben, oder verarmt. [...] Seine Geseze zielen meistens auf indem sie die in ihren Augen übergroße Anzahl an die Cultur seines Landes.“62 Nachdem Stengel in sei- kirchlichen Feiertagen und die langen Gebetsauf- nem Tagebuch anschließend sowohl die neue, von enthalte in den Kirchen einschränkten. Papst Pius VI. geschaffene Anlage der Pontinischen Stengel führte hierzu in seinem Tagebuch aus, Sümpfe und ihre 1.200 Jahre andauernde, wechsel- „dass es weit gemächlicher ist, in Klöstern Himnen volle Geschichte in allen Einzelheiten geschildert zu singen oder in einem Mantel und Kragen auf die hat, geht er zunächst auf die positiven Seiten des Abfälle von frommen Stiftungen zu leben, als eine „würklich grosen Werkes unseres Papstes“ ein: „Pius brachliegende Erde umzureisen, […], daß es noch VI hatte aber nicht blos die Gewäßer zu überwälti- Jahrhunderte erfodern wird, ehe die Gesinnungen gen, er muste den Eigennuz und die Mißgunst der anderer Mächte in Ansehung der nach Rom strö- Einzeln und Vorurteile, die Dummheit des großen menden Geldfl üsse die Römer nöthigen werden, Haufens bekämpfen. Man murrte laut in Rom, daß das quaesite primum regnum Dei64 etc. weniger man so vieles Geld, so viele Menschen in diesen Buchstäblich zu nehmen, und wir glauben, daß das Morästen vergraben wolle, eben da der Staat an erste göttliche Gebot, im Schweise deines Ange- beiden Mangel hätte. […] Die Helfte dieser Einwür- sichts sollst du dein Brod eßen, auch ihnen gegolten fe ist durch die Standhaftigkeit des Pabstes bereits habe, […] daß der römische Adel, der so weichlich ist, gehoben, allein“ – und hier wirft Stengel ein auch daß es dem grösten Teile unbegreifl ich scheint, wie für das Donaumoos und für die Wirtschaft Bayerns man in Deutschland in einer so mühseligen und insgesamt sehr wichtiges Problem in die Debat- beschwerlichen Beschäftigung, als die Jagd ist, ein te – „es bleibt die wichtige Frage noch, wie dieser Vergnügen suchen könne, nicht die geringste Anla- neu erworbene Erdstrich bevölkert werden solle. ge zur Kultur habe, so daß er selbst seine Felder, die Das der Kirchenstaat von seiner ohnehin magern vor den Thoren Roms gelegen sind, zur Wüstung Bevölkerung, die bei den Gemächlichkeiten und werden lässt“65. Stengel ist davon überzeugt, dass Vorteilen, welche die unverhältnismäsige Zahl der der Gewerbesinn sämtlicher Bürger, auch derjeni-

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Monika Groening ge des Adels, geweckt und für die Volkswirtschaft sen Gleichgewicht vorhanden sein, bevor man ein eingesetzt werden müsste. so schwieriges und riskantes Projekt in Angriff Am Ende seiner Ausführungen wettet Stengel nahm. Man gewinnt den Eindruck, als ob Stengel Zehn zu Eins, dass in fünfzig Jahren in den Ponti- hier eine Art Regierungsprogramm vorstellte, das er nischen Sümpfen wieder der Fischerkahn fahren am Beispiel der Donaumoostrockenlegung verwirk- würde, wo der neue Pfl ug die ersten Furchen gezo- lichen wollte. Das war keine leichte Aufgabe, denn gen hat. immerhin sollten so schwierige Vorhaben eines Stengel kritisiert also das Bevölkerungsproblem aufgeklärten Fürsten und seines Beraters wie die sowie die Indolenz des Adels und er bemängelt Neuordnung der Ständegesellschaft, die Verhältnis- die fehlende Bereitschaft der Einwohner des Kir- mäßigkeit der Vermögensverteilung zwischen Arm chenstaates, sich generell mit modernen Sachfra- und Reich sowie die Identifi kation des Bürgers mit gen auseinander zu setzen. Im Grunde hält Sten- dem Staat in Angriff genommen werden, wobei das gel den Kirchenstaat für denkbar ungeeignet, das trockengelegte, kultivierte und bevölkerte Donau- Unternehmen der Urbarmachung der Pontinischen moos als Modell zu dienen hatte. Sümpfe mit Leben zu erfüllen. Genau an diesem Problem knüpfte Stengel an, Umsetzung der Ergebnisse in die Praxis als er seine Rede „Von der Austrocknung der Ponti- Stengel und Carl Theodor kehrten mit überwiegend nischen Sümpfe“66 nach seiner Rückkehr vorbereite- negativen Eindrücken von den Pontinischen Sümp- te, die er eigentlich im Jahr 1785 vor den Mitgliedern fen nach Hause zurück. Was sie in Italien ange- der Akademie der Wissenschaften halten wollte. troffen hatten, war nicht dazu geeignet, in Bayern Aus seinen Aufzeichnungen geht hervor, dass er umgesetzt zu werden. Sowohl die technische als fest davon überzeugt war, einen besseren Plan für auch die philosophisch-aufklärerische Entwicklung die Trockenlegung des Donaumooses zu besitzen, in Bayern war offenbar derjenigen des Kirchen- als der Papst ihn für sein Unternehmen im Kirchen- staates weit überlegen. staat eingesetzt hatte. Warum haben sie dann den für den kränkelnden Stengel geht es in seiner Rede um die „phisischen Kurfürsten allemal beschwerlichen Besuch der Pon- und moralischen Kräfte“, die bei einem solchen tinischen Sümpfen überhaupt auf sich genommen? großen Unternehmen in Einsatz gewesen sein Studiert man die Korrespondenzen, die Stengel müssen, soll es später erfolgreich arbeiten können. sowohl mit den bayerischen Landständen als auch Zu den physischen Kräften zählt er „blühenden mit der Hofkammer und der Oberlandesregierung Ackerbau, Gewerbe, hinlängliche Volksmenge, führte, dann wird klar, dass das eigentliche Problem Verhältnis im verteilten Eigentum, Verhältnis und der dringend notwendigen Reform der bayerischen Ebenmaß unter den verschiedenen Ständen sowie Landwirtschaft in einer Art fehlender politischer wenige gute, gewisse, unangetastete, heilig gehal- Übereinstimmung zwischen dem Kurfürsten und tene Gesetze“. Stengel meint damit, dass sich die Stengel einerseits und den offi ziellen bayerischen Trockenlegung des Donaumooses nur dann „aus- Landesstellen andererseits bestanden haben zahlen“ würde, wenn bestimmte wirtschaftspoli- muss. Obwohl alle Voraussetzungen für die Tro- tische, zeitgemäße und „aufgeklärte“ Anforderun- ckenlegung des Donaumooses vorlagen – sowohl gen durch dieses Projekt erfüllt werden, wie bei- technisch als auch staatsphilosophisch – , kam das spielsweise die Gleichheit aller vor der Steuer oder Werk doch nur sehr langsam in Gang. Man gewinnt die Akzeptanz von gesetzmäßiger Staatsgewalt den Eindruck, als ob offi zielle Stellen aus Unkennt- durch die Untertanen. Beides lag aber bezüglich der nis und Eigennutz das Unternehmen in den Perio- Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe nicht vor. den der Planung und der Durchführung verzögert Unter den „moralischen Kräften“ verstand Stengel haben. „Freiheit, Nationalgeist, Vertrauen der Untergebe- Auf Unverständnis und Eigennutz war aber auch nen auf die Obrigkeit, Vertrauen der Fremden und der Papst mit der Urbarmachung der Pontinischen Nachbarn auf den Staat“. Diese Kräfte mussten Sümpfe gestoßen. Nach Hause zurückgekehrt nach Auffassung Stengels im Staat in einem gewis- konnten Carl Theodor und Stengel sagen: Wir haben

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Fürstenreisen und Technologietransfer

es mit eigenen Augen gesehen, da hat jemand die politisch Getreuer und möglicher Finanziers moti- schwersten politischen Hindernisse weggeräumt, vieren konnte. So ähnlich sah es wohl auch Stephan ist das Wagnis eines risikoreichen Unternehmens von Stengel, wenn er in seinem Redeentwurf „Von eingegangen und hat obsiegt. Möglicherweise der Austrocknung der Pontinischen Sümpfe“67 vom haben ja mit dieser Erfahrung der Kurfürst und Scheitern des Plans der Nachbarn spricht, das im Stengel die letzten Zweifel eines Kreises aufgeklär- eigenen Land dazu verführen könnte, von der Ver- ter und wohlmeinender Interessenten zerstreuen wirklichung der eigenen Vorstellungen aus Kosten- können. gründen ganz abzusehen. Er erkennt die Gefahren Die Beantwortung der obigen Frage hat aber für Bayern, wenn das schlechte Beispiel der Ponti- noch einen anderen Hintergrund. Papst Pius VI. nischen Sümpfe Schule macht und er ermuntert und schließlich Carl Theodor nahmen bei ihren das Publikum, auf dem einmal eingeschlagenen Unternehmungen ganz einfach ihre bestehenden Weg weiter voranzugehen. Staatsrechte wahr. Das verband das päpstliche Unter dem Begriff „Technologietransfer“ müsste Unternehmen mit dem bayerischen. Beide Staats- neben der Verbreitung von Produktionsverfahren, männer wussten, dass „es Pfl icht des Staates und von Kenntnissen in der Materialkunde, der Gewer- des Regenten ist, Alles, was die Kraft und den Wohl- beförderung und der Wohlfahrtspolitik noch die stand des Staates hindert, zu entfernen, und da er Motivationsstrategie (Marketing) subsumiert wer- vorzüglich in einem Lande, dessen wesentliche und den, die in dem einen oder anderen Fall die Verwirk- beinahe einzige Hilfsquelle der Ackerbau ist, zu lichung von im eigenen Land bereits vorhandener befehlen das Recht hat, dass jedes Grundstück so moderner Technologien angestoßen und belebt vollkommen, wie möglich, zum Besten des Ganzen hat. benutzt werde“ (Abb. 5). Was nun die eingangs gestellte Frage nach der Glaubwürdigkeit Carl Theodors als aufgeklärter Resumée Fürst angeht, so kann diese Frage aufgrund der Liegt im Falle der Reise zu den Pontinischen Sümp- stringenten Aufklärungsarbeit Stephan von Sten- fen demnach ein wirklicher Technologietransfer gels nur positiv beantwortet werden. Es ist undenk- vor? Unter den Aspekten technischen und poli- bar, dass Stengel ohne Zustimmung des Kurfürsten tisch-aufgeklärten Fortschritts ist die Frage zu gehandelt hat und es ist undenkbar, dass der hoch verneinen. Hierfür waren die Vorgaben aus dem gebildete, mit den Philosophen seiner Zeit korres- Kirchenstaat nicht geeignet. Carl Theodor und pondierende Fürst, der zudem noch im Sinne der Stengel holten sich aber in Italien eine Art psy- Aufklärung erzogen worden war68, die Arbeit Sten- chologische Schützenhilfe, die einen kleinen Kreis gels etwa nicht kontrolliert und unterstützt hätte.

Abb. 6 Das Donaumoos heute Foto: M. Fanck

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1 W. Siebers: Technologietransfer durch Reisen politischer Funktionsträger im 18. Jahrhundert. Überlegungen zu einer interdisziplinären Forschungsaufgabe, in: T. Fuchs und S. Trakulhun (Hrsg.): Das eine Europa und die Vielfalt der Kulturen. Kulturtransfer in Europa 1500-1850, Berlin 2003, S. 83-106. 2 Ebenda S. 85. 3 Ebenda S. 83. 4 Ebenda S. 85. 5 Ebenda S. 88f. 6 Ebenda S. 105. 7 J. Rees und W. Siebers: Erfahrungsraum Europa. Reisen politischer Funktionsträger des Alten Reichs 1750-1800. Ein kommentiertes Verzeichnis handschriftlicher Quellen, Berlin 2005, hier Reise 38, Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz und von Bayern. 8 J. Rees, W. Siebers und H. Tilgner: Reisen im Erfahrungsraum Europa. Forschungsperspektiven zur Reisetätigkeit politisch-sozialer Eliten des Alten Reiches (1750-1800), in: Das Achtzehnte Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Sonderdruck, Jg. 26, Heft 1, Wolfenbüttel 2002, 44, S. 56f. 9 Ebenda S. 45. 10 H. Klueting: Der aufgeklärte Fürst, in: W. Weber (Hrsg.): Der Fürst. Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte, Köln 1998, S. 137-167, hier: 165. 11 Ebenda S. 145ff. 12 Ebenda S. 146. 13 S. Richter, Weisheit und Thorheit – Zwei Gutachten zum Regierungsantritt Karl Theodors und ihr Einfl uss auf seine Politik, Mannheimer Geschichtsblätter, Neue Folge 4, Sigmaringen 2004, S. 89-157. 14 H. Rall, Kurfürst Karl Theodor. Regierender Herr in sieben Ländern, Mannheim 1993, S. 65-67, 70, 71, 103, 260, 309. 15 Rees, Siebers, Tilgner, wie Anm. 8, S. 47f. 16 Rall, wie Anm. 14, S. 64, sowie M. Groening: Karl Theodors stumme Revolution. Stephan Freiherr von Stengel (1750-1822) und seine staats- und wirtschaftspolitischen Innovationen in Bayern, Mannheimer Geschichtsblätter, Neue Folge 4, Sigmaringen 2001, S. 28ff. 17 Carl Theodor an das Schrobenhauser Moos-Cultus Direktorium, 31. Dezember 1789, Hauptstaatsarchiv München, MInn 18184/IV, 102. 18 Groening, wie Anm. 16, S. 204-214. Zu seinen Aufgaben in der Regierung Carl Theodors siehe S. 96-204. 19 A. Kraus: Probleme der bayerischen Staatskirchenpolitik 1750-1800, in: H. Klueting u.a. (Hrsg), Katholische Aufklärung: Aufklärung im katholischen Deutschland, Hamburg 1993, S. 141. – Vgl. auch E. Weis: Montgelas 1759-1799. Zwischen Revolution und Reform. 2. unv. Aufl . München 1988, S. 17f., 18f., 32. 20 Ebenda S. 18. 21 H. Hübner: Das Bild Karl Theodors, Kurfürst von Pfalz-Bayern, in der kurpfälzischen Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts, Mannheimer Geschichtsblätter, Neue Folge 4, Sigmaringen 1997, S. 326. 22 Kraus, wie Anm. 17; Groening, wie Anm. 16, S. 222. 23 S. Mörz: Aufgeklärter Absolutismus in der Kurpfalz während der Mannheimer Regierungszeit des Kurfürsten Karl Theodor (1742-1777), Stuttgart 1991, S. 85, 430. 24 Ebenda S. 425-433. 25 Ebenda. 26 J. Käse: Dynastische Einheit und staatliche Vielfalt – die frühe Reformpolitik Kurfürst Karl Theodors in Pfalz-Bayern 1778/79, Diss. Aachen 1999, S. 268-275. 27 Groening, wie Anm. 16, S. 217-222. 28 L. Hammermayer: Staatliche Herrschaftsordnung und altständische Repräsentation, in: M. Spindler (Begr.), A. Kraus (Hrsg.): Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 2: Das alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jh. bis zum Ausgang des 18. Jh., 2. überarb. Aufl . München 1988, S. 1236-1266. – J. Seitz: Die landständische Verordnung im Übergang von der altständischen Repräsentation zum modernen Staat, Göttingen 1999, S. 11-26. 29 Rall, wie Anm. 14, S. 271. 30 Stengel an Carl Theodor, 25. November 1788, Hauptstaatsarchiv München, GR 336/22. 31 Rees, Siebers, wie Anm. 7, Reise 38, S. 315-318. 32 H. v. Pechmann: Geschichte der Austrocknung und der Cultur des Donaumooses, München 1832, S. 32.

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Fürstenreisen und Technologietransfer

33 St. v. Stengel, Von der Austrocknung der pontinischen Sümpfe, eine philosophische Abhandlung, in der Akademie der Wissenschaften zu München abgelesen, den 1785, unvollendeter Entwurf, Hauptstaatsarchiv München, Geheimes Hausarchiv, Stengel Via1, A7. 34 Stengel an Max IV. Joseph, 5. Oktober 1804, Abschrift, Hauptstaatsarchiv München, Geheimes Hausarchiv, Stengel VIa1, Teil 1. 35 G.K. Mayr: Samml. der Kurpfalzbaierischen allgemeinen und besonderen Landes-Verordnungen, München 1784-1799, Bd. 6, S. 204-210. 36 Mörz, wie Anm. 23, S. 278. 37 W. v. Hippel: Die Kurpfalz zur Zeit Carl Theodors – wirtschaftliche Aspekte, in: A. Wieczorek, H. Probst und W. König (Hrsg.): Lebenslust und Frömmigkeit – Kurfürst Carl Theodor (1724-1799) zwischen Barock und Aufklärung. Regensburg 1999, S. 183-192, hier: 190. 38 Mörz, wie Anm. 23, S. 278. 39 D. Schlögl: Der planvolle Staat. Raumerfassung und Reformen in Bayern 1750-1800, München 2002, S. 172. 40 Ebenda S. 173. Im gleichen Jahr wurde Adrian Riedl in den erblichen Adelsstand erhoben. 41 Ebenda S. 181. 42 Ebenda S. 187. 43 Gedruckte Dienstinstruktion vom 31. Mai 1790. 44 Siehe auch die Ausführungen Friedrichs II. von Preußen (1712-1786) zu seinen diesbezüglichen Unternehmungen in: G. B. Volz (Hrsg.): Die Werke Friedrichs des Großen. Altersgeschichten. Staats- und Flugschriften, Bd. 5, Berlin 1913, S. 60f. 45 Pechmann, wie Anm. 32, S. 47. – Pechmann beschreibt ausführlich die Begradigung der Donau (S. 46-47), die Anlage der einzelnen Kanäle und Straßen (S. 38-44) sowie die politischen Hintergründe, die zu Störungen und Aufständen im Moos führten (S. 49-56). 46 Ebenda S. 38.- Siehe auch das von dem bayerischen Kurfürsten Max Emanuel (1662-1726) errichtete Kanalsystem zwischen den Schlössern Nymphenburg und Schleißheim mit Lustheim. Dieses System diente unter anderem als Verkehrsweg für die Herbeischaffung von Materialien für den Schlösserbau durch Lastschiffe. Max Emanuel, der in den Jahren 1692-1701 und 1704-1715 Statthalter der Niederlande gewesen war, besaß dort einige Kanäle und diente dem Technologietransfer, indem er seine diesbezüglichen Kenntnisse bei seinen Bauvorhaben in Bayern einsetzte. 47 G. v. Aretin: Aktenmäßige Donaumoos-Kulturs-Geschichte, Mannheim 1795, IV. 48 „Große Beispiele erheben des Menschen Herz und erwecken auch oft unter den fernsten Völkerschaften den Funken zur Nachahmung, aber oft leitet der blendende Schimmer, der sie umgibt, in die Irre“, S. v. Stengel: Von der Austrocknung der Pontinischen Sümpfe, wie Anm. 33. 49 Groening, wie Anm. 16, S. 50-84. 50 Groening, wie Anm. 16, S. 63-84. 51 Aretin, wie Anm. 47, IV. 52 M. Brüggen u.a. (Hrsg.): Friedrich Heinrich Jacob. Briefwechsel 1775-1781. Kommentar. Stuttgart 1997, S. 176. 53 Groening, wie Anm. 16, S. 91. 54 Groening, wie Anm. 16, S. 67. – Aretin, wie Anm. 47, VII. – S. v. Stengel: Die Austrocknung des Donaumooses. An dem Jahrestage der akademischen Stiftung in einer öffentlichen Versammlung vorgetragen, München 1791, S. 14. 55 Aretin, wie Anm. 47, S. 41. 56 St. v. Stengel an Carl Theodor, 31. Juli 1791, Staatsarchiv Augsburg, Donaumoosakten 514, 91. 57 Groening, wie Anm. 16, S.137-142. 58 St. v. Stengel: Kurfürst Karl Theodor in Rom. Tagebuch seiner zweiten Romreise 1783, herausgegeben von G. Ebersold, Mannheim 1997, S. 11. 59 Ebenda S. 17. 60 Ebenda S. 22. 61 Ebenda S. 31. 62 Ebenda S. 42. 63 Ebenda S. 74. 64 „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes“. 65 Stengel, wie Anm. 58, S. 75. 66 Stengel, wie Anm. 33. 67 Stengel, wie Anm. 33. 68 Rall, wie Anm. 14, S. 13; Richter, wie Anm. 13.

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Günther Ebersold

Kurfürst Carl Theodor im Totenreich Eine Satire

Am 12. Februar 1799 abends gegen 21 Uhr erlitt Kur- Zweifellos war Carl Theodor in Bayern denkbar fürst Carl Theodor beim Kartenspiel einen Schlag- unbeliebt, ja verhasst, und so bot sich dem Unbe- anfall. Eilends wurde der selbst erkrankte Leibarzt kannten jetzt die Chance, des Kurfürsten verfehl- Lorenz von Fischer herbeigeholt und in einem te Regierungstätigkeit, aber auch seine Bigotterie, Tragsessel zu dem Ohnmächtigen gebracht. Hel- seine Sittenlosigkeit und das zur Schau getragene fen konnte er nicht. Sein Krankenbericht endet mit Desinteresse an seinen bayerischen Landeskindern dem Abend des 15. Februar. Am folgenden Tag ist einer scharfen Kritik zu unterziehen, die um so här- Carl Theodor um 15 Uhr 20 Minuten verstorben. ter ausfi el, als sie sich im Gespräch mit dem ver- Kurz darauf schon erschien das nachfolgend herrlichten Vorgänger, dem guten Max III. Joseph, abgedruckte „Gespräch im Reich der Todten“. entfaltete. „Totengespräche“ bildeten im 18. Jahrhundert eine Der damalige österreichische Gesandte in Mün- beliebte Literaturgattung. Es handelte sich dabei chen, Graf Joseph Johann Friedrich von Seilern und nach dem Vorbild Lukians (um 120- nach 180 n. Chr.), Aspang (1752-1838), schickte das „Gespräch“ zusam- Fontanelles (1657-1757) und vieler anderer um den men mit dem Bericht des Leibarztes nach Wien ein, fi ktiven Dialog zweier berühmter geschichtlichen wo beide zu den Akten genommen wurden. Heute Persönlichkeiten in der Unterwelt, im Totenreich, werden sie im österreichischen Haus-, Hof- und Elysium oder Hades, wo Zeit und Raum aufgeho- Staatsarchiv unter der Bezeichnung „Staatskanzlei ben waren. So konnten sich Gesprächspartner aus Bayern“ aufbewahrt. Ein weiteres Exemplar dieser verschiedenen Jahrhunderten und aus weit von Flugschrift, die den Hohn und Spott, den die baye- einander entfernten Ländern wie zum Beispiel Karl rischen Zeitgenossen über Carl Theodor ausgossen, und Alexander der Große miteinander unterhalten. prägnant widerspiegelt, fi ndet sich auch in den

Ihrer Untaten brauchten sie sich nicht zu schämen, Sammlungen des Mannheimer Altertumsvereins Abb. 1 weil das Urteil der Nachwelt ohne Bedeutung für von 1859 (B 529 k, Abb. 1). Da sie bis heute nur in Titelblatt der Toten- sie war. Höfi sche Schmeicheleien erwiesen sich wenigen, zudem aus dem Kontext herausgeris- gespräch-Ausgabe im Besitz des Mannheimer zugunsten der Wahrheit als überfl üssig. senen Zitaten publiziert worden ist, wird sie im Altertumsvereins Einer, der nicht weniger als 240 solcher Toten- Folgenden vollständig und um die notwendigen rem gespräche verfasste, war der heute völlig verges- Erläuterungen ergänzt abgedruckt. sene David Fassmann (1683-1744). Zwischen 1718 und 1739 veröffentlichte er diese „Entrevues“ in der „Moralischen Wochenschrift“, in der er sein frühaufklärerisches Gedankengut verbreitete. Aus Angst vor Verfolgung und Bestrafung war er aller- dings gezwungen, Rücksicht auf die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit zu nehmen. Das hatte unser Verfasser nicht nötig, denn er schrieb als Anonymus, der die Gelegenheit wahr- nahm, satirisch mit Carl Theodor „abzurechnen“. Dabei erwies er sich als hervorragend informierter und kenntnisreicher Zeitgenosse des Kurfürsten. Wenn Hans Rall einen ehemaligen Illuminaten dahinter vermutete, so äußerte er eine Meinung, die letztlich nicht weiterhilft, den Schreiber ding- fest zu machen, denn in München war fast jeder, der auf sich hielt, Illuminat.

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Kurfürst Carl Theodor im Totenreich

„Gespräch im Reich der Todten zwischen Karl Theodor, Kurfürsten von Pfalzbaiern, und Max Joseph, seinem Regierungsvorfahrer, 1799.”

Abb. 2 (links) Kurfürst Carl Theodor in seiner Münchener Zeit Moritz Kellerhoven zuge- schrieben Nach 1785 Öl auf Leinwand Privatbesitz

Abb. 3 (rechts) Kurfürst Max III. Joseph, der Regierungsvorfahr Carl Theodors Foto: http://www.royalty- guide.nl/images-families/ wittelsbach/bavariakur- fursten2 (März 2010)

Max Joseph so schnell zu uns gebracht, denn vor drey Tagen Seh´ich auch recht? Ist´s nicht bekamen wir zwar Nachricht, daß du plözlich mein Vetter1, dem Herr Charon2 hier so mühsam sehr krank geworden sey´st, doch sagte man, ans Ufer hilft? Er ist es in der That. du würdest besser.3 Willkommen Vetter in der Unterwelt. Carl Theodor Carl Theodor Freylich schmeichelte Welch Trost ist es für mich, daß Euer Liebden ich mit der Hoffnung mir, noch diesesmal der Erste sind, den ich bey meinem Eingang davon zu kommen, doch das Schicksal wollte ins Schattenreich zu sehn das Glück geniesse. es anders. Eine Indigestion4, die einen Schlagfl uß nach sich zog, mein hohes Max Joseph gebeugtes Alter, häuslicher Verdruß5, Ich bitte dich, mein Vetter! Setz mich nicht des Vaterlands bedrängte Lage6 – Alles mit deinen Komplimenten in Verlegenheit; stürmt´ auf mich ein, und die entkräftete ich bin hier lange schon davon entwöhnt. Natur mußt´ endlich weichen. Das Reich der Schatten ist das Reich der Wahrheit, aus dem die Titel all verwiesen sind. Max Joseph Wir nennen uns hier nicht mehr Euer Liebden, Armer Vetter! betrügen uns nicht mehr durch Schmeicheley´n Dein Krankenlager war dann doppelt wohl und durch Verstellungen: wir leben schlicht bejammernswerth, da du es fühlen mußtest, auf du und du und sagen unverblümt wie leicht von dir dein Baiern Abschied nahm.7 die Wahrheit uns ins Gesicht. Das wird dir Mühe kosten, nicht wahr, doch Geduld, Carl Theodor es wird schon gehen. Sag mir jezt, was dich Wer sagt mir das? Wer kann mir das behaupten?

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Günther Ebersold

Max Joseph ich eine Paralelle zwischen meiner Gemach, mein lieber Vetter! Sicher hast du und Euer Liebden letzten Krankheit zieh´n, vergessen, wo wir sind. – Zwey alte Männer die eben nicht sehr schmeichelhaft mir war. von München kamen heut zu uns hinunter. Man sprach von nichts als von der allgemeinen Sie sagten, daß bey deiner Krankheit man Betrübniß, die zu jener Zeit geherrscht das Volk nicht weinen sah, welches vielmehr und von Gebeth, das unter öffentlichen in Schmerz versank, da deine Besserung Wehklagen angestellet ward und von verkündigt ward. der Wuth des Volkes auf den ersten Leibarzt.13 Die mein´gen, glaub ich, hätte man gesteinigt, Carl Theodor wär´ich durch sie zur Besserung gekommen. Nun, wenn du es schon weißt, Kurz Jedermann gab deutlich seinen Wunsch so will ich´s dir gleichwohl selbst eingestehn. Zum baldigsten Regierungsantritt meines Ach leider mußten, als am zweyten Tag Successors14 zu erkennen. ich mich erholte, meine eignen Söhne8 mir sagen, daß man mich nicht sehr betraure. Max Joseph Ich sah nur muntre oder wenigstens Was mag wohl gleichgültige Gesichter um mich her. die Ursach dieser Aeusserungen seyn? Die Damen strickten, eine schwäzte auch sehr laut dabey, und ein paar Kammerherrn Carl Theodor beschäftigten sich gar mit Zeitungslesen. Der allgewalt´ge Trieb zur Aenderung, Kein Auge sah ich naß als meiner Söhne der unumschränkt den Pöbel aller Art und Herrn von Lipperts.9 und jedes Stands beherrscht. Man huldigt stäts der neuaufgehenden Sonne. Max Joseph Dieser Mann, und einer Max Joseph der ersten mögen wohl für sich mehr als Täusch dich nicht, um dich geweinet haben. oVetter! tiefer liegt der wahre Grund. Die Schriften, die einst über dich das Licht Carl Theodor Der Welt erblicken werden, sollen dich Warum könnt´ es bald besser unterrichten, und vielleicht nicht aus Anhänglichkeit für mich geschehen, zum erstenmal die Wahrheit dir enthüllen. da doch in Thränen die auswärtigen Minister10 zur Beschämung aller Baiern sich badeten. Abb. 4 Max Joseph Maria Leopoldine, die zweite, Jahrzehnte jün- Dem Abgeordneten gere Gemahlin Kurfürst der höchsten weltlichen und dem der einst Carl Theodors gewes´nen höchsten geistlichen Gewalt Foto: http://de.wikipedia. org/wiki/Datei: Leopoldi- 11 mag wohl die Trauer Ernst gewesen seyn. ne von Österreich-Este (März 2010) Carl Theodor Ihr Jammer war so rührend, daß man sie ersuchen musste, aus dem Kabinet zu gehen. Die andern aber schienen kaum den längst gewünschten Augenblick erwarten zu können. In der Antichambre12 hörte

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Kurfürst Carl Theodor im Totenreich

Carl Theodor Max Joseph Die Wahrheit? Wenn es Wahrheit ist, warum In Zeitungen wird man wohl freylich lesen, hat man sie zu mir selber nicht gesagt? man habe ganz unendlich dich beweint. Der philosophische Historiker Max Joseph wird aus der Quelle schöpfen, glaube mir. Sie wurde oft und laut gesagt, allein du achtetest gar nicht darauf, und manches Carl Theodor bekannt zu machen, wagte man noch nicht. Er lese nur, was Iffl and16 von mir schrieb, denn dieser Mann beurtheilt mich ganz wahr. Carl Theodor Das ist einmal das Schicksal der Regenten, Max Joseph daß sie nach ihrem Tod gelästert werden. Er nennt dich zwar in seiner neusten Schrift Der Pöbel, der sie sklavisch erst verehrt, den wärmsten Menschenfreund und einen will dann durch Schmähungen für seine tiefe erfahrnen Herzensspäher und so weiter. Erniedrigung sich schadlos halten. Doch Doch was zu seinen Freunden insgeheim die Nachwelt wird gerechter an mir seyn, er von dir sagt und sagte, klingt ganz anders. sie hört auch meine Panegyriker.15 Vielleicht wollt´er in deine Dienste wieder Max Joseph zurücketreten oder sich bey seinem Doch nicht die schwer bezahlten oder die Monarchen durch Diskretion empfehlen. schon durch dein Ansehen sich bestechen ließen? Carl Theodor Carl Theodor Du giebst doch Allem eine falsche Wendung. Nein, nein! ausländische Autoren, die Wohlan! Wenn meine Panegyriker Die einzigen sind, die kein Partheygeist blendet. dir nicht genügen, so will ich jetzt Thaten Abb. 5 nur sprechen lassen: War ich nicht in ganz S. 43 aus „Anekdoten Europa als Mäcen17 der Wissenschaften zur Todesgeschichte des Und Künste allgemein verehrt? verfolgten Pater Nonos Gschall", 1781 Der Beginn von Kapi- Max Joseph tel 10 legt nahe, dass Das warst du in der Pfalz, in Baiern aber that´st Gschall sich noch unter der Regentschaft Max III. du grad das Gegentheil. Du schränktest alle Joseph umbrachte. Denkfreiheit ein und legtest Sklavenfesseln Bayerische Staatsbiblio- Dem Geiste der Unterthanen an. thek München Foto: google books (März Erhob sich irgendwo ein denkender 2010) und aufgeklärter Mann, so wurde er gedrückt, verfolgt, beschimpft und dadurch andre den Wissenschaften sich zu weihn zu schüchtern. Und Baiern, das bey mir mit Riesenschritten vorwärts gerückt war, gieng durch deine Leitung, die du doch mäcenatisch nennen willst, noch mehr zurück als vor Jahrhunderten. Was meine Akademiker18 im Druck der ganzen Welt ins Angesicht erzählten, das durfte man bey dir zu seinen Freunden nicht im Vertrauen sagen, ohne als ein Ketzer untersucht und zum Auto da fé19 verdammt zu werden. So gelang dir, der Baiern biedern offenen Charakter

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Günther Ebersold zum Gegentheil ganz umzumodeln: sie, zurückzurufen. Wenn zum Theil die Schuld die ehmals sprachen, wie sie es empfanden auf deine damals allvermögende und über die Erhebung ihrer Brüder Geheime Räth’ und ihren unglücksschwangern sich herzlich freuten, wurden nun Verläumder Partheygeist und Personenhaß auch fällt, und Achselträger und Denunzianten.20 so kann man doch dich gänzlich nicht hierinn Der Baier schwärzte frech den Baier an, entschuldigen. Genug, die Stimme Deutschlands und wenn er so den alten Landes-Schutzgeist hat längst hierüber schon entschieden. geschändet hatte, hob er unverschämt So hast du auch am Anfang gleich die Schulen, sich auf den Trümmern brüderlichen Glücks für welche ich so viele Sorgfalt trug, und eigner Schand´ empor. durchaus zu Grund gerichtet und die Güter der Jesuiten, die dazu bestimmt Carl Theodor gewesen, dem neueingeführten Orden Dies alles war sehr nöthig in dem gegenwärtigen von Müssiggängern zugewandt.26 Die schlaue so krit´schen Zeitpunkte. Hätte man in Frankreich dem Schein nach aufgehobene Gesellschaft die Schreibsucht der Autoren mehr in Zügel umknüpfte dich vom Anfang bis zu Ende gehalten, all das nachgefolgte Unglück mit unsichtbaren aber festen Fäden. wär` sicher nicht geschehn. Der weltberüchtigte Herr P. Frank27 Abb. 6 und sein Successor in der Inquisitors-Stelle, Andreas Dominikus Zaupser (1748-1795) Max Joseph Herr Lippert waren nur Marionetten Jurist, Philosoph, Schrift- Davon hernach. Mit Frankreichs Revolution kannst von schlauern Händen eines Welfi ngers28 steller und Mitglied der du den Druck doch nicht entschuldigen, der lange und unbekannter Obern dirigirt. Illuminaten Foto: http://www.badw. zuvor von deinem Despotismus zeugte. de/mitglieder/v (März Gschall21 wurde zur Verzweifl ung und zum Selbst- Carl Theodor 2010) mord durch deine Inquisition getrieben, Verzeihen, Euer Liebden, wären diese weil er von der mosaischen Geschichte ehrwürd´gen Männer nicht mein Schutz gewesen, der Schöpfung dachte, was der wackre Eichhorn22 so hätte längst mein Fürstenthron gewankt. und andere Gelehrte öffentlich Nur ihrer unermüdeten Bemühung bekennen und auch lehren. Zaupser23 schwur verdanke ich die zeit´ge Wissenschaft der Obern Landsregierung das Bekenntniß der schwarzen Machinationen, die des Glaubens an die christkatholische Kirche, man gegen mich stäts anzuzetteln wagte. weil er ein Buch vom Fanatismus und der Inquisition geschrieben hatte. Max Joseph Noch überdas war dein Befehl, so sehr Dieß ließen sie dich glauben, um bey dir mit Arbeit ihn zu überhäufen, daß beliebt und groß und nöthig sich zu machen, die Lust zum Schreiben ihm vergehen sollte. und du giengst spornstreichs in die Falle ein. Er schrieb nichts mehr – doch bald erdrückte ihn Sie nützten deine Schwäche allerbeßtens erzwungner Arbeit Last und Noth und Kummer. für ihre Kassen, denn hierzu war stäts Den Hillesheim24 hast du, weil man ihn zieh, dein Geld bereit. An fremde Abentheurer er habe als Jurist den heil´gen Geist und Konvertiten, die dir als Spionen und Christi Mutter freventlich gelästert sich anerbothen, hast du reichliche nach langer Zeit, obwohl er schon einmal Besoldungen aus der Schatull´vergeudet, hierüber losgesprochen worden war, die nur der Ehrlichkeit und Armuth stäts als Gotteslästrer ewig eingesperrt. verschlossen blieb. Zur grössern Sicherheit Wie viele wackre Männer endlich bey ward strengere Censur durch dich befohlen, Verfolgung der Illuminaten25 und und dem Kollegium ein Jesuit noch später unter dem erdachten Vorwand zum Obscuriren vorgesetzt.29 Um auf des Illuminatismus Ehr´und Gut den höchsten Punkt des Despotismus noch verlohren, brauch´ ich dir nicht in das Gedächtniß zu steigen, schuffest du ein heimliches

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Kurfürst Carl Theodor im Totenreich

in einem landesväterlichen Schreiben nicht klar den Geist des wildsten Despotismus?

Carl Theodor Ich bin erstaunt zu sehen, daß Euer Liebden dem Eifer, den ich für Religion bezeigte, gar so sehr verkennen wollen, da Sie doch selbst als musterhafter Christ gestorben und gelebt.

Max Joseph Religion im Herzen und im Mund. Du hattest, fürchte ich, die letzte nur. Du hieltest genau den äußerlichen Prunk Und vorgeschriebne Ceremonien, weil man dir sagte, nur dadurch allein begründe jeder Herrscher seinen Thron. Nur Schein war die Religion, der du Abb. 7 gehorchtest, nicht Gefühl des warmen Herzens. Emblem der Illuminaten Die Geheimgesellschaft Erinnre dich der Worte, die du einst wurde der Verschwörung Gericht, das ohne einen Kläger, ohne dem Pater Frank zu Mannheim sagtest, als verdächtigt. Verantwortung und ohne höhern Richter er gegen Bücher und Theaterstücke Foto: http://msi.alien.de/ illuminaten (März 2010) Gesetze und Natur mit Füßen tretend den Bannstrahl deiner Macht erbetteln wollte. die Opfer seines Irrwahns schlachtete.30 „Wir sind hier nicht in Bayern“, sagtest du Der Seelenhirt von Deggendorf, der einen das heißt: „das dumme Bayern soll und muß aus Fanatismus und aus Aberglauben in tiefe Finsterniß gehüllet bleiben. geknetteten Gesang aus seiner Kirche Am Rhein kann ohnedas kein Bannstrahl mehr zum Beßten der Religion verbannte, das Licht vertilgen.“ – Waren in der That ward durch dies Tribunal der Pfründ´ entsetzt die Bücher gegen die Religion, und ewig aus dem Vaterland verwiesen.31 so mußten sie so wenig deiner Pfalz Ein Münchner Bürger ward für Kupplerey als deinem Bayerland gestattet seyn, zehn Jahre lang im Zuchthaus eingesperrt, Religion ist ja nicht relativ. und seine Frau, die eigentlich allein das saubere Gewerb getrieben hatte Carl Theodor und noch treibt, wurde gänzlich freygesprochen. Es scheint mir, Euer Liebden werden sich Ein Oberschreiber aus der obern Pfalz im Punkte der Religion nicht leicht kam auf zwey Jahre auf die Festung, weil, mit mir verstehn. – Passons à d´autres choses! wie dein höchstgnädigstes Rescript besagt, die untrüglichen Lehren der allein – Max Joseph nur seligmachenden katholischen Nun ja ! ich breche ab ; und will von deiner Religion er anzugreifen wagte. Moralität auch ein paar Wörtchen sprechen. Wie weit dies Tribunal die Rachsucht trieb, Daß ich sie eben nicht sehr schätze, kannst zeigt das im Junius des vor´gen Jahrs du aus der Meinung sehn, die ich von deinen In Priesters Königs Sach´erlassene Religionsbegriffen äußerte. Rescript, in welchem man dich sagen ließ, Laß hören, wie du deine Pfl icht als Fürst, er soll wie der gewesne Seelenhirt als Vater deiner Unterthanen thatst! von Deggendorf auf stäts das Land verlassen. Hast du stäts ihre Klagen angehört, Bezeichnet diese tückische Anspielung selbst untersucht und abgestellt? hast du

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Günther Ebersold die Lasten ihnen je erleichtert? hast du der Reihe nach an sich bewundern, stäts das Beyspiel eines reinen Lebenswandels durch neue Kunst sie zu verbessern suchen: vom Thron´ herabgegeben? Hast du auch -- So schuff für dich auch dieses schändliche am hellen Tage plündernde Gesindel Carl Theodor die wonnevollsten Abendstunden durch Gemach, gemach! Ersticken Euer Liebden Erzählung all´ der Ränke, wie sie die mich nur mit Ihren vielen Fragen nicht! Einfältigen berückt und angelogen; Sie fordern ja so viel von einem Fürsten, und schlummerten dein durchleuchtig Gewissen daß einem angst und bange wird, den Szepter durch schwere Rollen blut´gen Goldes, zu führen oder einst geführt zu haben. das seit der lezten unterthänigsten Wie kann man denn begehren, daß der Fürst Aufwartung zu erbeuten, sie das Glück die Kleinigkeiten, die ermüdenden gehabt. Ein gnädig Lächeln lohnte sie, Details anhören soll, die ihm ein jeder indessen du in deinem Herzen dachtest: Handwerker oder Bauer vorzuschwätzen Ihr seid doch ausgemachte Schurken. das Recht zu haben glaubt? Wie kann einer fordern, Jenes zu Göttern uns erhebende Gefühl, daß er allein nur sehn und untersuchen das uns durchströmet, Menschen, viele Menschen und aus dem Stegreif gleich entscheiden soll? durch uns beglückt zu sehen, war dir fremd. Dafür hat man ja seine Räthe, die Dir weinte nie ein dankbar Aug entgegen, man theuer gnug bezahlen muß. Und was nie konntest du auf andre Art als nur der Unterthanen Lasten anbetrifft, mit Menschenhaß und Mißtrau´n um dich so ist es wohl nicht meine Schuld, wenn sie schauen. Abb. 8 so unerträglich drückend waren, nur Der Kronen Ruhm, die Freuden deines Lebens Reichsgraf Franz Albert Leopold von Oberndorff die Zeitumstände brachten das mit sich. verpachtetest du irrgeführter Fürst Heinrich Carl Brandt an Miethlinge und dem Meistbiethenden zugeschrieben Max Joseph gabst du des Thrones schönstes Vorrecht Preiß. Nach 1782 Öl auf Leinwand Die Zeitumstände waren anfangs nicht. Als Bettschardt endlich es zu bunt gemacht, rem Die Sorgfalt nur für deine Kinder, die als dieses kleinen Sultans Tyranneyen durch feiler Schurken Schändlichkeit genährt das Volk zu lauten Klagen geiselten am Ende sich in Habsucht wandelte, und du erfuhrst, was du schon in der ersten die wars allein, die deine Länder drückte.32 Minute hättest wissen können, daß Sie zeugte die Bestehlung aller Kassen er wie ein Schelm mit dir getheilet habe, und Dienstverkauf mit seinen Jammerfolgen.33 da preßtest du den Schwamm und warfst ihn weg.37 Man kaufte sich durch ein Geschenk das Recht Wie vieles aus des Landes Kassen in zu stehlen und zu plündern und sein Geld die deinige gefl ossen ist, wird einst sobald als möglich wieder zu erobern. die Zeit am besten lehren. Ein gewisser Du sahst es Jedem nach, so lang er nicht Minister in der Pfalz war nur dadurch an deinen eignen Geldern sich vergriff. im Stande, seinen Posten zu behalten, Daher kam die verächtliche Idee, daß er von Zeit zu Zeit aus Landesgeldern die du von deinen Dienern immer hegtest. die unersättliche Schatulle füllte.38 Das süsse ehrenvolle Band, das Fürsten Dem ohnehin durch Einquartierungslasten und Diener aneinander kettet, kanntest bis zur Verzweifl ung ausgesaugten Landmann du nicht, denn dein Verhältniß gegen einen ward statt Erleichterung stäts neuer Druck. Kastell34 und Oberndorf35 und Bettschardt36 war Sogar die Flucht nach Sachsen mußte dir für beide Theile tief erniedrigend. das Land bezahlen, das nichts hatt´, indeß Wie falsche Spieler in der fi nstern Mitternacht in deinem Schatze Millionen lagen.39 sich Rechenschaft von den des Tages über Die ungeheuren Forderungen an vollbrachten Diebs- und Schelmenstreichen geben die Landschaft wird die Welt vielleicht einst durch und ihre Feinheit und Erfi ndungskraft die Akten selbst erfahren.40 Statt wie Sachsens

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Kurfürst Carl Theodor im Totenreich

Regent zum Wohl der Unterthanen eignes Max Joseph Privatvermögen zu verwenden, wolltest O hättest du den Hilfsbedürftigen, du mit den Ständen deines Landes hadern, die sich dir nahten, nur ein Wort des Trostes, Abb. 9 Familienbild der Kinder weil sie dir standhaft deine Forderungen ein väterliches Wort ans Herz gesprochen, Kurfürst Carl Theodors verweigerten. Fängst du nun noch nicht an sie hätten dich geliebt wie einen Vater. Johann Baptist zu sehen, warum man dich nicht beweinte? Allein wie viele Hindernisse hatten Hoechle 1790 sie zu besiegen, um zu dir zu kommen! Öl auf Leinwand Carl Theodor Und waren sie erst da, so fanden sie rem Was Euer Liebden seither sagten, wäre ein troziges Gesicht, das ihnen alles Der Maler versammelte noch nicht genug gewesen, mir den Haß schon voraus sagte, und erhielten weder in diesem Bild die Kinder des ganzen Landes zuzuziehn, wenn ich dein Ohr noch auch dein Herz, noch eine Antwort. des Kurfürsten aus zwei durch Popularität die Herzen hätte Man wußte, daß du selbst nichts untersuchtest, außerehelichen Bezie- hungen. In der Mitte gewinnen können. Doch die Schüchternheit, kein einziges Geschäft selbst unternahmst Fürst Carl August von mit Fremden umzugehn, ein Fehler, der und nur den Schlüssen deiner Referenten Bretzenheim neben sei- mir noch von der unfürstlichen Erziehung zum Siegel dientest. Ich will dir hierüber ner schwarz gekleideten Schwester, der Fürstäbtis- anklebte, war mir jederzeit ein Anstoß, nichts weiter sagen, da wir noch von andern sin von Lindau den zu besiegen ich nicht mehr vermochte.41 Materien zu sprechen haben.

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Günther Ebersold

Carl Theodor Und als ihm das Gefängniß zur verdienten Fast muß ich befürchten in die Hände eines Belohnung ward, da ließest du sie ohne fanatischen Bußpredigers gerathen vorausgegangne Scheidung, welche selbst zu seyn, so streng gehen Euer Liebden mit nie vor sich hätte gehen können, mit mir um. dem Grafen Chamisso48 auf ähnliche Bedingnisse vermählen. Als sie starb Max Joseph und nach ihr dein vermeintes Kind, da hättest Ich sage dir die Wahrheit, du du den rechtmäß´gen Erben ihre Erbschaft mußt dich bey Zeiten hier daran gewöhnen. Durch einen Machtspruch gern geraubt, wenn Ich fragte dich vorhin, ob du dem Land nicht das höchste Landsgericht dein sträfl iches das Beyspiel eines reinen Lebenswandels Beginnen standhaft abgewehret hätte. gegeben habest? Ich will hier nichts mehr Was muß dein Volk, in dessen Angesicht von deiner Habsucht sprechen, auch von deiner all dies geschah, sich dabey denken? muß Verstellungskunst schweig´ich, in welcher du Es nicht in seinem Glauben irre werden Tiberen42 übertrafst und die du gegen und die Gebothe der Religion gefallne Günstlinge und in Gefahr und Sittenlehre nur für Blendwerk achten? des Tods im höchsten Grade ausgeübt. Nur mußt du mir erlauben, über deine Carl Theodor Ausschweifungen ein Wörtchen noch zu sagen. Ach! Euer Liebden reißen mir durch diese Geschichte eine alte Wunde auf. Carl Theodor Ich war in peinlicher Verlegenheit. Da Euer Liebden diesen Punkt berühren, Die Gräfi nn wollte durchaus einen Namen; so bitt ich Sie, zwey Sachen zu bedenken: man konnte sie doch nicht mehr Fräulein nennen, den Haß, den meine erste Frau mir zeigte, da sie mit Kindern schon versehen war, (denn meiner zweyten bin ich treu geblieben) und Bettschard wollt sie nicht mehr heißen, weil und dann die Forderungen der Natur.43 sie vorgab, daß der Fluch des Lands auf diesem verhaßten Namen liege. Was war nun Max Joseph zu thun? In der Geschwindigkeit mußt´ich Wenn du auf Rechnung dieser beyden Punkte gleichwohl den Entschluß fassen, einen andern auch noch so Vieles schreibest, kannst du doch Gemahl ihr zu verschaffen, und des guten die Folgen nicht vertilgen, die dein grosses Fürstbischofs49 freundliche Gefälligkeit vom Thron herabgegebenes Beyspiel eines benahm mir damals die Gewissenszweifel. authorisirten Ehbruchs zeugen mußte. Sie kamen freylich später manchmal wieder, Die gegen das Gesetz erzeugten Kinder allein die Sache war einmal geschehn hat alles, was auf Erden hoch und groß und, wie ich sicher glaube, auch vergessen. ist, anerkannt. Dein letztes Kind, die Gräfi nn von Warenberg44 erröthetest du nicht Max Joseph in einem gnädigsten Rescript, das von uns Dergleichen Sachen werden nie vergessen, (Ja wohl: uns) „mit der Gräfi nn Chamisso besonders wenn wir sie von ähnlichen erzeugte Kind“ zu nennen und dadurch begleitet sehen. Deine Kuppler haben dem Land ein öffentlich Geständniß eines durch ihre glänzenden Versprechungen damnati coitus45 zu geben. Fräulein Viel hundert Frauen und Mädchen wohl verführt. von Schenk hast du an den zuvor infam Du hast durch deiner Buhlerinnen Lohn, kassirten und aus höchster Gnade von der immer auf des Landes Kosten in des Stranges Strafe noch verschonten Bettschard Gehalten und in Dienstverleihungen mit der Bedingniß trauen lassen, daß er gegeben ward, dem Laster einen Schimmer wie unter Louis Quinze46 der Abentheurer geliehen, der es reizend machte: dein Dubarry47 die Mätresse nie berühre. Gewissen treffen dieser Thaten böse Folgen.

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Kurfürst Carl Theodor im Totenreich

Carl Theodor Max Joseph Ich kann hier Euer Liebden kühn versichern, Du hast sehr viel gethan, um deinen Kindern Abb. 10 Kurfürst Max IV. Joseph, daß von Verführungskünsten wenig oder ein glänzendes, doch wenig, um für sie Carl Theodors Regie- gar keine angewendet worden sind. ein glücklich Loos zu schaffen. rungsnachfolger, hier als Im Luxus und der Eitelkeit der Weiber König Maximilian I. von Bayern im Krönungsornat und in der Ehrsucht und dem Geiz der Männer Carl Theodor Karl Joseph Stieler fand ich die beßten Kuppler. Doch genug! Wie? Sind sie 1822 Am Ende werden Euer Liebden doch nicht überhäuft mit Gütern aller Art? Foto: http://commons. wikimedia.org/wiki/File Gerechtigkeit mir widerfahren lassen. MaxI. (März 2010) War ich nicht guter Vater meiner Kinder? Max Joseph Macht das allein zufrieden?

Carl Theodor Nun an mir ist wahrlich nicht die Schuld, wenn sie´s nicht sind. Mein Sohn50 ist durch mich Reichsfürst, meine Töch- ter vermählte ich an Fürsten und an Grafen vom ältsten Adel.51 Wollen sie noch mehr?

Max Joseph Du hobst sie auf zu hohe Plätze, als daß sie Zufriedenheit genießen könnten. Vielleicht verfl ucht dein Sohn jetzt diese Höhe, auf die du ihn gestellt hast, ohne daß du immer ihn darauf erhalten konntest. Zwey deiner Töchter sahen sich gezwungen, mit Männern ihre Loose zu verbinden, die sie theils wegen Alter, theils auch wegen despotischer Behandlung nicht zu lieben vermochten. Beyde sind nun deinem Ehrgeiz geopfert, beyde liebten andre Männer; sie standen nicht so hoch, doch hätten sie dir deine Töchter glücklicher gemacht. Die dritte mußte sich mit Millionen zur Reichsäbtissinn machen lassen und mit größerm Aufwand noch zur Frau und Mutter gewandelt werden.52 Karolinchen endlich hast du durchaus vergessen, erst vor Kurzem bekam sie in der obern Pfalz ein Gütchen.53

Carl Theodor Der Himmel gebe, daß sie es behalte. Ich muß gestehen, Euer Liebden haben mich ganz bestürzt gemacht. Ich glaubte meine geliebten Kinder glücklicher. Fast fange ich einzusehen an, daß Vieles anders Und Vieles besser hätte gehen sollen. – Von meiner Politik getrau ich mir

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Günther Ebersold nun gar nichts mehr zu sagen, denn ich merke, Zum Theil hast du die übeln Folgen dieser daß Euer Liebden auch in diesem Punkt unsel´gen Politik noch selbst erlebt, noch viel an mir zu tadeln fi nden werden. und deine letzten Augenblicke mußten durch den Gedanken noch viel trüber werden, Max Joseph in welche Lage du dein Land gesetzt. Ich kann fürwahr nichts angenehmes dir Ich breche ab. Es könnte der Verdruß darüber sagen. Deine Politik mich sonst zu bitter machen. Wäre nicht war nichts als sclavische Abhängigkeit der edle Max ein Mann nach meinem Herzen, vom Oesterreich´schen Kabinet. Von allen den die Natur mit ihren schönsten Gaben Departements war keins so schlecht besetzt zum Fürsten ausgestattet hat, so müßte als das auswärtige.54 Du wußtest nicht, ein Blick auf Baiern mir das Herz zerreißen.56 was vorgieng, glaubtest durch Verstellung stäts Leb wohl, Carl Theodor! Dein rächendes und durch Temporisiren55 durchzukommen. Gewissen zeige dir zur stäten Strafe Die große Nation, die hätte dich das Glück, das du mit Füssen von dir stießest. ganz sicher eines Besseren belehrt, Die Wohlfahrt Bayerns unter einem guten Fürsten! wärst du nicht noch zur rechten Zeit gestorben.

1 Unabhängig vom Verwandtschaftsgrad Anredeform unter gleichrangigen männlichen Adligen. 2 Charon: in der griechischen Mythologie Fährmann der Toten, der die Verstorbenen über den Acheron, den Unterweltfl uß, ins Reich des Hades übersetzt. 3 Die Erkrankung begann am Abend des 12. Februar 1799. Am 14. schien sich der Zustand des Kurfürsten zu bessern. Näheres ist aus dem Krankheitsbericht des Leibarztes zu entnehmen. „Kranckheits Geschichte . Ihre kurfürstliche Durchlaucht zu Pfalzbaiern sind ohne die mindesten Vorbothen einer bevorstehenden Krankheit am verwichenen Dienstag als den 12. dieses zwischen 8 und 9 Uhr Abends plözlich von dem Anfalle eines Schlagfl ußes befallen worden, der auf der Stelle mit Lähmung der Zunge, des rechten Arms und Fußes vergesellschaftet war. In der nähmlichen Nacht gegen 2 Uhr brachen ganz unvermuthet heftige gichterische Zuckungen aus, welche sich anfänglich nur über den Unterleib, bald darauf aber über den ganzen Körper verbreiteten und gegen 3 Uhr in der Nacht nach einigen erfolgten Darmausleerungen sich dermaßen in ihrer Heftigkeit minderten, daß sie in der Folge sich nur an dem gelähmten rechten Arme, jedoch unter abwechselndem Nachlassen einstellten. Des andern Morgends als an dem 13 dieses gegen 6 Uhr ließen auch diese abwechselnden Zuckungen ganz nach. Aber nach einer zweistündigen Ruhe äusserte sich um 8 Uhr neuerdings ein sehr heftiger Ausbruch gichterischer Bewegungen in allen Gesichtsmuskeln, welche mit öfterem Knirschen der Zähne begleitet bis gegen halb 11 Uhr Morgends andauerte und eine solche Entkräftung und Abspannung zuruckliese, daß auch dem äußerst schwachen kleinen, beinahe unfühlbaren Pulse und dem verkürzten, mühsamen und röchelnden Athemholen und der Kälte der äußersten Gliedmaßen, dem kalten klebrichten Schweise und anderen sehr bedenklichen Kennzeichen das nahe Lebensende zu besorgen war. Gegen 12 Uhr Mittags stellten sich wieder Wärme in den äußersten Gliedmaßen, ein gleiches, freieres Athemholen und ein mehr erhöhrter, merklich fühlbarer und würksamer Puls, aber auch zugleich ein anhaltender tiefer Schlaf ein, aus welchem Ihre Kurfürst- liche Durchlaucht mit Mühe zu erwecken waren und in den Sie bei einem augenblicklichen taumelnden Erwachen ohne einige Kennt- niß von Gegenständen zu haben, bald wieder neuerdings verfallen sind. Dieser tiefe Schlaf dauerte den ganzen Nachmittag ohnunter- brochen fort, und obwohl Höchstdieselben auch die darauf folgende Nacht vom 13. auf den 14. dieses meistens mit Schlafen zuge- bracht haben, auch den gestrigen ganzen Tag hindurch starke Neigung zum Schlafe verspüren ließen, so war derselbe doch so

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Kurfürst Carl Theodor im Totenreich

sanft, daß Sie leicht daraus zu erwecken waren und öfters selbst ohne einigen Veranlaß erwachten, auch halbe Stunden lang wach- sam und munter blieben. Die am gestrigen Tage sich wieder einstellende Gegenwart des Geistes sogar augenblicklich nach jedes- maligem Erwachen, die wiederhergestellte Kenntniß aller auch der geringsten Gegenstände, das Bestreben zum Reden, die wür- kliche Aussprache mehrerer Worte in Hinsicht auf die vorherige Sprachlosigkeit, nicht minder die Deutung einer ganz angemessenen Antwort auf die gestellten Fragen mit ja oder nein und endlich die bereits eingetrettene merkliche würkliche Bewegung der gelähm- ten Glieder gaben allerdings den merklich geminderten Druck auf das Gehirn zu erkennen und ließen bei der beharrlichen Thätigkeit der Lebenskräften hoffen, daß sich die Krankheit bei Ihrer Kurfürstlichen Durchlaucht in der Folge von Tag zu Tag zu mehrerer Bes- serung neigen würde. Allein der gestern Abends mit dem Eintritte des 3. Tages der Krankheit zugleich eintrettende Fieberanfall und die damit neuerdings verbundene tiefere Schlafsucht macht die Krankheitsumstände leider noch sehr bedenklich. München, den 15. Februar 1799 Lorenz von Fischer, Kurfürstlicher geheimer Rath und Leibmedikus“. 4 Indigestion: Verdauungsstörung. 5 Carl Theodor hatte in zweiter Ehe eine Enkelin Maria Theresias, die achtzehnjährige Erzherzogin Maria Leopoldine, geheiratet. Die junge Frau, die es ihrer Familie zeitlebens nie verzieh, dass man sie zu dieser politischen Konventionsehe mit einem 52 Jahre älteren Mann zwang, entzog sich nicht nur ihren ehelichen Pfl ichten so gut es ging, sondern ging auch darüber hinaus ihre eigenen Wege, sodass die ersehnte Geburt eines Thronfolgers ausblieb. 6 Nach dem Friedensschluss von Campo Formio am 17. Oktober 1797 stand bei seinem Tod im 75. Lebensjahr der Zweite Koalitionskrieg unmittelbar vor dem Ausbruch. 7 Die Bayern, allen voran die Münchner, machten aus ihrer Freude über das Ableben des Kurfürsten keinen Hehl, ja sie befürchteten geradezu nichts mehr als seine Gesundung. 8 Zu Carl Theodors natürlichem Sohn Karl August Fürst von Bretzenheim (1769-1823) zählt der Anonymus noch zwei Schwiegersöhne (die Grafen Holnstein und Leiningen) als Söhne hinzu. 9 Lippert, Johann Kaspar Edler von (auf Tandern) (1729-1800), Prof. d. Rechte, Rektor der Universität Ingolstadt, Mitglied der Akademie, Direktor der historischen Klasse, Hofbibliothekar, Bücherzensurrat, Oberlandesregierungsrat, Geheimer Referendär in geistlichen Sachen, Geheimer Rat, Kurator des bayerischen Schulwesens und seit 1797 Kabinettsekretär. Für ihn bedeutete der Tod des Kurfürsten das Ende seiner Karriere. Fürst Bretzenheim fl oh bald danach aus Bayern nach Wien. 10 Unter auswärtigen Ministern sind die bei der Regierung akkreditierten Gesandten (heute Botschafter) zu verstehen. 11 Der Gesandte der höchsten weltlichen Gewalt (=Kaiser) war Graf von Seilern und Aspang, der der höchsten geistlichen (=Papst) der Nuntius Emidio Graf Ziucci (1750-1802). 12 Unter „Antichambre“ ist eines der Vorzimmer vor dem Aufenthaltsraum des Herrschers zu verstehen. Antichambrieren bedeutet, demütig im Vorzimmer zu warten, bis man vielleicht ins Allerheiligste vorgelassen wurde. 13 Der Leibarzt des Kurfürsten Max III. Joseph war Dr. Johann Joseph de Deo Senftl (Saenfftel) (1708-1786). Er tat angeblich gut daran, sich ungesehen vom Totenbett des Kurfürsten davonzuschleichen, weil ihn sonst die Münchner, die ihn für dessen Tod verantwortlich machten, gelyncht hätten. Der Leibarzt Carl Theodors war der schon erwähnte Dr. Lorenz von Fischer. 14 Mit dem Successor (=Nachfolger) ist Max IV. Joseph gemeint. Ab 1806 war er als Max I. Joseph der erste König Bayerns. 15 Panegyriker sind (übertreibende) Lobredner. 16 Iffl and, August Wilhelm (1759-1814) Schauspieler, Theaterleiter und Autor. Von 1779 bis 1795 am Mannheimer Nationaltheater enga- giert. 17 Carl Theodors Mäzenatentum kam vor allem seiner Hauptstadt Mannheim zugute. Die Münchner erkannten seine Kulturschöp- fungen nicht an. 18 Die bayerische Akademie der Wissenschaften war 1759, die pfälzische 1763 gegründet worden. Carl Theodors Wunsch, sie zu vereini- gen, ging nicht in Erfüllung, so dass beide bis 1800 nebeneinander fortbestanden. 19 Öffentliche und feierliche Verbrennung von Abtrünnigen der kirchlichen Glaubenslehre. 20 Über das in Bayern grassierende Denunziantentum wunderte sich schon Stephan von Stengel in seinen „Denkwürdigkeiten“. 21 Nonos Gschall, Benediktinerpater zu Oberaltaich, galt als Jesuitenfeind und wollte Kirche und Schule im Sinne der Aufklärung refor- mieren, was ihm offenbar viele Feinde schuf. Er beging ca. 1778 Selbstmord. Wenn auch seine genauen Lebensdaten nicht ermittelt werden konnten, gehört seine Geschichte doch eher in die Epoche von Carl Theodors Vorgänger. 22 Johann Gottfried Eichhorn (1752-1827) war Professor für orientalische Sprachen und Geschichte in Göttingen. Zwischen 1780 und 1783 erschien seine dreibändige „Historisch-kritische Einleitung in das Alte Testament“. Mosaisch ist jüdisch.

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Günther Ebersold

23 Zaupser, Andreas Dominikus (1748-1795), Hofkriegsratssekretär, Prof. der Philosophie, Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissen- schaften. Der aufklärerische Publizist erregte mit seiner „Ode auf die Inquisition“ großes Aufsehen und wurde schwer bestraft. 24 Hillesheim, Aloys Friedrich Wilhelm von (1756-nach 1804), 1780 kurf. Hofkammer-, Bücherzensur- und Fiscalatsrat, Landculturs- und der Schwaig Schleißheim Commissaire. Er wurde der Gotteslästerung geziehen. Im Mai 1785 wurden ihm das Landesculturscommis- sariat und die Polizey-Geschäfte genommen. Seine Besoldung wurde um 600 fl gekürzt. Die Bestrafung genügte Pater Frank und Graf Leiningen nicht. Deshalb wurde er am 24. September 1785 erneut verhaftet, auf die Festung Rothenberg verbracht und schließlich auf die Festung Otzberg verlegt. Nach knapp elfjähriger Gefangenschaft gelang ihm am 17. März 1796 die Flucht. Sein Prozess gegen Carl Theodor, den er beim Reichskammergericht in Wetzlar, nach dem Tod des Kurfürsten beim Hofrat in München um Wiedergut- machung anstrengte, kam zu keinem Ende. 25 Der von Adam Weishaupt 1776 gegründete Geheimbund der Illuminaten wollte gegen den Jesuitenorden die Grundsätze der Auf- klärung fördern. Einzelne Mitglieder traten für die Republik ein. Carl Theodor, der in den Bestrebungen des Ordens eine Gefahr für seine Herrschaft sah, zerschlug den Orden seit 1784. 26 Malteser: Name des Johanniterordens nach seiner Verlegung von Rhodos nach Malta 1530. Die von Carl Theodor gegründete baye- rische Zunge erhielt die Güter des 1773 aufgehobenen Jesuitenordens und wirkte als Versorgungsanstalt für den Adel, besonders für seinen Sohn Karl August. 27 Frank, Ignaz (1725-1795) Hofpfarrer, kurpfälzischer und zweibrückischer Geheimer Rat. Sein politischer Einfl uss am Hof war nicht gering. 28 Über Welfi nger konnte nichts in Erfahrung gebracht werden. 29 An der Spitze des Zensurkollegiums stand Direktor Franz Xaver (seit 1790) Freiherr von Schneider (1757-1827), Reichsvika- riatsassessor, Oberlandesregierungsrat, Geh. Archivar in München und Archivinspektor zu Neuburg, Geh. Rat. Obskurie- ren ist verdunkeln. 30 Eine Anspielung auf das so genannte „Gelbe Zimmer“ in der Residenz, wo das Geheime Gericht unter Vorsitz des Grafen Leiningen zusammen mit dem Edlen von Lippert u.a. tagte, das mittels Folterungen Geständnisse erpresste und erha- ben über Gesetze und Gerichte Strafen verhängte. Ob auch Todesstrafen ausgesprochen wurden, ist fraglich. Immerhin verschwand der Angeklagte Franz Anton von Unertl (1760- ?) 1798 spurlos. In diesem Zusammenhang fehlt dann auch nie die Erwäh- nung der „Eisernen Jungfrau“, eines umstrittenen Folterinstruments. 31 Der erwähnte „Seelenhirt“ von Deggendorf Johann Baptist Heinrich Golling (gest. 1802) war hier von 1785 bis 1794 Pfarrer. Die Degen- dorfer Wallfahrt zur „Gnad“ geht zurück auf eine Legende. Danach schändeten jüdische Einwohner mehrere Hostien, worauf eine grausame Judenverfolgung einsetzte. Die Wiederauffi ndung der verschwundenen Hostien begründete als „Wunder“ die Wallfahrt zur im 14. Jahrhundert erbauten Grabkirche. Als Golling gegen eine antijüdische Litanei Stellung bezog, wurde er verhaftet, nach München gebracht und aus Bayern verwiesen. 32 Von den illegitimen Kindern Carl Theodors sollen hier erwähnt werden: 1. Die älteste Tochter des Kurfürsten aus der Verbindung mit der Tänzerin Françoise Desprès-Verneuil Karoline Franziska Dorothea Josepha Gräfi n von Parkstein (1762-1816) sowie die Kinder aus der Verbindung mit Josepha Seiffert (Gräfi n Heydeck) (1748-1771): 2. Karoline Josepha Philippina (1768-1786) 3. Karl August Friedrich Joseph (1769-1823) 4. Eleonore Karoline Josephine (1771-1832) 5. Friederike Caroline Josephine (1771-1816). 33 Ämterverkauf sowie der Verkauf von Anwartschaften auf Ämter (Adjunktionen) prägten die Regierungspraxis Carl Theodors in der Pfalz wie in Bayern. 34 Castell, Johann Sebastian von (seit 1753), Freiherr von (seit 1773) (1714-1791), Hofgerichts- und Regierungsrat (1748), Geh. Rat, Oberap- pellationsgerichtsrat, Konferenzreferendär (1755), Geh. Staatsrat (1773), bayerischer Finanzminister von 1779-1788. 35 Oberndorff, Franz Albert Leopold Fortunat Freiherr von, seit 1790 Graf (1720-1799), Geh. Rat, Kammerherr, Hofrichter, Intendant des Salinen-Departements, der Jagdschiffe, der Chaussée-, Kommerzien- und Seidenbaukommission, Oberamtmann zu Boxberg, Präsi- dent der Akademie der Wissenschaften, Staats- und Konferenzminister. Nach dem Wegzug des Kurfürsten nach München Statthalter der Pfalz, seit 1788 Finanzminister von Kurpfalzbayern. 1795 wegen Übergabe Mannheims an die Franzosen entmachtet. 36 Bettschart, Carl Theodor Freiherr von, seit 1790 Graf (1754-1820), Wirkl. Geh. Regierungs- und Hofkammerrat, Landrichter zu Sulzbach und Lehenpropst, Wirkl. Geh. Referendär in Neuburgischen und Sulzbachischen Sachen, Kämmerer 1775.

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Kurfürst Carl Theodor im Totenreich

37 Als Carl Theodors Mätresse Maria Elisabeth Freiin Schenk von Castell (gest. 1798) schwanger wurde, verheiratete sie der Kurfürst mit Bettschard in einer Josephsehe. B. hielt sich wahrscheinlich nicht an die Abmachung. Darauf bezieht sich die Bemerkung „mit dir getheilet“. 38 Der Verfasser meint wahrscheinlich den Grafen Oberndorff. 39 Im Verlauf des Ersten Koalitionskrieges drangen die Franzosen unter Moreau 1796 bis nach Bayern vor. Carl Theodor fl oh nach Sachsen, wo er im Schloss Pillnitz Aufnahme fand. 40 Die Landstände (Landschaft genannt) schlossen am 7. September 1796 den Waffenstillstand zu Pfaffenhofen. 41 Carl Theodor lebte bis zu seinem zehnten Lebensjahr vorwiegend bei seiner Urgroßmutter in und bei Brüssel. Wahrscheinlich war das die „unfürstliche Erziehung“. 42 Tiberius, eigentlich Tiberius Claudius Nero (42 v.- 37 n. Chr.), römischer Kaiser seit 14 n. Chr. In seinen späteren Jahren Urbild des ver- schlossenen, unnahbaren und grausamen Herrschers. 43 Elisabeth Maria Augusta (1721-1794), Enkelin des Kurfürsten Karl Philipp, Gemahlin Carl Theodors seit 1742. Wegen ihrer Kinderlosigkeit verlor die herrschsüchtige und hochfahrende Kurfürstin mehr und mehr an Einfl uss. Die Ehe bestand schließlich nur noch auf dem Papier. 44 Warenberg, Maria Eleonore Elisabetha Walburga Gräfi n von (1790-1797), Tochter Carl Theodors aus der Verbindung mit der Freiin Schenk von Castell. Als diese ihrer Ehe mit Bettschard überdrüssig geworden war, forderte sie dessen Tod wegen seiner vielen im Amt begangenen Verbrechen. Carl Theodor beschränkte sich darauf, Bettschard auf Lebenszeit in der ungarischen Festung Munkacz ein- zukerkern. Ohne vorangegangene Scheidung heiratete die Schenk den Grafen Maria Louis Eugène Ullric von Chamisso (gest.1810). 45 „Coitus damnatus“ heißt wörtlich übersetzt „verdammter Beischlaf“. Die von der katholischen Kirche geduldete Mätressenwirtschaft erregte Anstoß, wenn die Mätresse eine verheiratete Frau war, also (doppelter) Ehebruch vorlag. 46 Ludwig XV. (1710-1774), französischer König seit 1715. Bekannt für seine Günstlings- und Mätressenwirtschaft. 47 Dubarry (Du Barry), eigentlich Bécu, Marie Jeanne (1743-1793), seit 1769 Mätresse Ludwigs XV. 48 S. Anm. 44. 49 Bei dem erwähnten Fürstbischof handelt es sich wahrscheinlich um den Fürstbischof von Freising. 50 Karl August Graf Heydeck nannte sich seit Erwerb der Herrschaft Bretzenheim mit kaiserlicher Erlaubnis Graf und seit 1790 Fürst von Bretzenheim. 51 Karoline Josepha mußte den brutalen Gouverneur der Oberpfalz Maximilian Joseph Grafen von Holnstein (1760-1838), Eleonore Gräfi n von Bretzenheim (1771-1832) 1787 den 34 Jahre älteren Grafen Wilhelm Karl von Leiningen-Guntersblum (1737-1809) heiraten. Sie hätte viel lieber den Infanteriehauptmann und Mentor ihres Bruders Freiherrn von Pfeil geheiratet, mit dem sie vielleicht ein Verhältnis hatte. 52 Die erwähnte Reichsäbtissin war Friederike Carolina Josephine Gräfi n Bretzenheim (1771-1816). Sie resignierte 1796 und heiratete den Grafen von Westerholt und Gysenberg (1772-1854). 53 Maria Anna Gräfi n von Leiningen (1741-1809) wurde fünfundzwanzigjährig mit ihrem Vetter Franz Friedrich Graf zu Sayn-Wittgen- stein-Hohenstein-Vallendar (1702-1769) verheiratet. Noch zu Lebzeiten ihres Ehemannes war sie Mätresse des Kurfürsten. Eine Tochter aus dieser Verbindung, Carolina von Etzenreith (1770-1828), erkannte er nicht an, versprach ihr aber 1798 die Anwartschaft auf das Gut Schönau in der Oberpfalz. Nach dem baldigen Tod Carl Theodors bewilligte ihr sein Nachfolger, Kurfürst Max IV. Joseph, das Lehen nicht. 54 Die auswärtige Politik lag formell in den Händen des Freiherrn (seit 1790 Grafen) Mathäus von Vieregg (1719-1802), dem Adelsstolz und Geiz, aber keine großen Geistesgaben nachgesagt wurden. Er war Kämmerer seit 1748, Direktor der französischen Komödie, Intendant der Hofoper in Mannheim von 1748-1750, 1775 Minister ohne Geschäftsbereich und ab 1777 Außenminister. 55 Temporieren heißt Zeit gewinnen oder aussitzen. 56 Der „edle Max“ ist Carl Theodors Nachfolger Maximilian IV. Joseph.

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Jörg Kreutz

Biographische Bruchstücke: die Briefsiegel Cosimo Alessandro Collinis* Gewidmet meinem Bruder Wilhelm zu seinem 60. Geburtstag am 11. Mai 2010

Wenngleich Wirken und Werk des Florentiner Abb. 1 Gelehrten Cosimo Alessandro Collini mittlerwei- Porträt von Cosimo Alessandro Collini 1 le gut erforscht sind, existieren – sieht man von Elfenbeinminiatur den verstreut überlieferten schriftlichen Quellen Ehemals im Familien- ab – heute kaum noch bildliche bzw. gegenständ- besitz Fotografi e von Wilhelm liche Zeugnisse des 1806 in Mannheim verstor- Pöllot benen ehemaligen Weggefährten Voltaires, der rem als Geheimer Sekretär, Hofhistoriograph, Direktor des Naturalienkabinetts und als Mitglied der Aka- demie der Wissenschaften zu den wichtigen Pro- tagonisten der Kulturpolitik des Kurfürsten Carl Theodors zählte. Selbst das einzig bekannte Porträt Collinis – eine lange Zeit im Familienbesitz befi nd- liche Elfenbeinminiatur – ist nicht mehr im Original vorhanden, sondern nur noch als Schwarzweißfo- tografi e des Darmstädter Hoffotografen Wilhelm Pöllot aus den späten 1880er Jahren überliefert (Abb. 1).2 Vor diesem Hintergrund rücken deshalb andere gegenständliche Quellen und „Überreste" in den Blickpunkt, allen voran die äußerst selten überlieferten Briefsiegel Collinis, die, über allgemei- ne kunsthistorische und heraldisch-sphragistische Mehrzahl seiner Briefe ist heute nur noch ohne Sie- Aspekte hinaus, interessante biographische Rück- gel erhalten, da diese in den meisten Fällen beim schlüsse auf ihren Besitzer erlauben. Öffnen der Briefe zerstört wurden. Dennoch lassen Wie seine Zeitgenossen benutzte Collini zum sich anhand unterschiedlicher Funde mindestens Verschließen seiner Briefe ein eigenes Wachssie- drei verschiedene Siegelvarianten auf rotem Siegel- gel. Entsprechend den repräsentativen Formen der lack erkennen, die Collini zwischen 1755 und 1777 in neuzeitlichen Briefkultur, mit denen der Sekretär Gebrauch hatte. Voltaires und Geheime Sekretär des pfälzischen Der erste Nachweis eines Siegels von Collini Kurfürsten bestens vertraut war, waren diese stammt aus dem Jahr 1755 und fällt damit in die funktionellen Wachsverschlusssiegel, die seit dem Zeit seines „séjour auprès de Voltaire“.4 So sind 12. Jahrhundert in Gebrauch waren,3 bei aller Nor- alleine aus diesem Jahr zwei recht gut erhaltene, mierung künstlerisch ansprechend gestaltet und weitgehend unzerstörte Exemplare eines ovalen weitgehend unverwechselbare Erkennungszei- Siegels mit Briefen an den Pariser Buchhändler- chen ihrer Besitzer. Bei der Wahl der Siegelbilder Verleger Michel Lambert überliefert, die heute in griff man – wie bei den im Mittelalter als Beglau- der Bibliothèque Nationale in Paris verwahrt wer- bigungsmittel verwendeten Urkundensiegeln den.5 Das Siegelbild (Abb. 2) rekurriert eindeutig – auf eine in ganz Europa verbreitete Bildsprache auf die vornehme patrizische Abstammung des und heraldische Symbolik zurück, deren emblema- Florentiners: Es zeigt über dem phantasievoll ver- tische Formen auf vielfältige Weise adaptiert und zierten, nicht eindeutig konturierten Schild, der stilistisch variiert wurden. Zwar ist Collinis Nach- keine inhaltliche Aussage zulässt, eine mit neun lass – und damit auch sein Siegelring bzw. sein Pet- auf dem Reif aufl iegenden Perlzinken ausgestat- schaft – verloren gegangen, und die überwiegende tete Rangkrone, die nur von Angehörigen europä-

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Die Briefsiegel Cosimo Alessandro Collinis

ischer Grafenhäuser geführt wurde.6 Unterhalb des Schildfußes sind die Umrisse einer Maske bzw. einer Fratze auszumachen, die jedoch keine Identi- fi zierung bzw. schlüssige Zuordnung ermöglichen. Die unbekümmerte und selbstbewusste Art und Weise, mit der der Sekretär Voltaires damit seine soziale Stellung reklamierte, die freilich nicht den Tatsachen entsprach, verwundert auf den ersten Blick, um so mehr, als Collini nach seiner Flucht aus Italien 1749 und den Enttäuschungen am preu- ßischen Hof, wo er zwischen 1750 und 1752 vergeb- lich auf eine adäquate Anstellung gehofft hatte, alles andere als ein standesgemäßes Leben füh- ren konnte. Vielmehr war er, nachdem er im April 1752 als Kopist und Vorleser in den Dienst Voltaires getreten war, ausschließlich auf das Wohlwollen des Schriftstellers angewiesen, der seinen Sekretär einerseits stark in Anspruch nahm. Andererseits aber war sich Voltaire der besonderen Qualitäten und Herkunft Collinis bewusst, wie er seinem Jugendfreund Nicolas Claude Thieriot anvertraute, dem er am 27. Mai 1756 geschrieben hatte, dass sein Abb. 2 (oben) Abb. 3 (unten) Florentiner Sekretär ein äußerst liebenswürdiger Erstes Siegel Collinis, ab Zweites Siegel Collinis, Mensch sei, der aus gutem Hause stamme und 1755 in Gebrauch ab 1760 in Gebrauch Brief an Friedrich Samuel Brief an Voltaire vom noch mehr als er verdiente, Mitglied der Akademie von Schmidt zu Rossens 13. April 1760 de la Crusca zu sein.7 Diese hohe Wertschätzung vom 7. November 1765 BHV Paris sollte Voltaire aber dennoch nicht davon abhalten, GLA KA/GFA seinen Sekretär nach dessen brüskierendem Fehl- verhalten nur zwei Wochen später „von heute auf morgen“ aus seinem Dienst zu entlassen. Auf den zweiten Blick belegt das Führen eines repräsentativen Siegelbilds zugleich den ungebro- chenen Stolz und das gesellschaftliche Auftreten des Patriziersohnes, der trotz seiner subalternen Stellung und der Unzufriedenheit über seine Situ- ation fern der Heimat, die er wiederholt in seinen Briefen an seine Freunde Johann Friedrich Schöpf- lin, Sébastien Dupont und Hieronymus von Salis zum Ausdruck brachte,8 nach außen unverändert die Form und den Schein wahrte und seinen eli- tären Anspruch unterstrich. Die Frage, ob Collini mit der neunzackigen Rangkrone bewusst gegen heraldische Regeln verstieß, da er ja keiner Grafen- familie entstammte, ist angesichts des sich im 18. Jahrhundert abzeichnenden Verfalls heraldischer Regeln ebenso wenig zu beantworten, wie die Frage, seit wann er dieses ovale Siegel benutzte.9 Daneben stellt sich zudem die Frage, wer diesen

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Jörg Kreutz

„Verstoß“ außerhalb des Großherzogtums Toskana das frühere, bekannte ovale Siegel zurückgriff, das überhaupt hätte feststellen sollen, zumal Collini er, wie auch weitere Funde in den nachfolgenden durch die Verwicklung in den Malaspina-Skandal Jahren unterstreichen,14 parallel zu seinem gesell- und seine Flucht 1749 ohnehin in seiner Heimat zur schaftlichen Aufstieg am Mannheimer Hof bis Persona non grata geworden war. in die Mitte der 1770er Jahre fortführte (Abb. 4). Im Gegensatz zu dieser ovalen Form steht ein Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass er beide Rundsiegel, das sich mit einem Brief Collinis vom Siegel abwechselnd benutzte. Dies könnten indes 13. April 1760 an Voltaire in der Bibliothèque Histo- nur neue Brieffunde beweisen. rique de la Ville de Paris erhalten hat, in dem er Als unmittelbare Folge seiner Italienreise von ihn über den Tod des einfl ussreichen Kammerdie- 1775/76 und seiner glanzvollen Rückkehr in seine ners des pfälzischen Kurfürsten, Nikolaus Pierron, Vaterstadt Florenz, die er seit seiner Flucht 1749 informierte, der maßgeblichen Anteil an Collinis Berufung nach Mannheim hatte (Abb. 3).10 So sym- bolisiert die fünfzackige Rangkrone, die aus einem Stirnreif mit drei spatenähnlichen Zinken und je einer mit drei Perlen besetzten Perlzinke dazwi- schen besteht, über dem gerauteten Schild nun in zutreffender Weise seine patrizische Herkunft.11 Und die drei heraldischen Lilien auf der rechten Seite des Hauptes bzw. der rechten Oberstelle neh- men zusätzlich unmittelbaren Bezug auf seine Hei- matstadt Florenz, die in ihrem Wappen die heral- dische Lilie zeigt. Als Schildhalter fungieren zwei zurückschauende, entgegen der Körperhaltung in die andere Richtung blickende Löwen.12 Die dem kurpfälzischen Wappentier nachempfundenen Löwen und der gerautete Schild deuten unmiss- verständlich auf Collinis neue Funktion am Mann- heimer Hof hin, die der – nach einem dreijährigen Intermezzo als Hofmeister des jungen steirischen Grafen Cajetan von Sauer in Straßburg – im Februar nicht mehr besucht und wo man den Weggefährten Abb. 4 1760 ernannte „Geheime Sekretär“ des Kurfürsten Voltaires und international anerkannten Gelehrten Brief Collinis an Voltaire vom 6. Januar 1768 mit mit dem Verweis auf seine fl orentinische Her- begeistert empfangen hatte, legte sich Collini erstem Siegel kunft nun mit einem neuen Siegel selbstbewusst schließlich ein neues repräsentatives Siegel zu, das Institut et Musée Voltaire zur Schau stellte. Unterhalb des Schilds sind eine die beiden früheren Formen endgültig ablöste. Genf Muschel und fl orale Ornamente auszumachen, die Es ist in mindestens zwei – allerdings beschä- aber nicht eindeutig zu bestimmen sind. Dieses digten – Exemplaren nachzuweisen. Das eine ist in runde rote Wachssiegel, das deutlich stilistische der Bibliothèque Nationale mit einem Brief Collinis Anleihen am Wappen Carl Theodors nimmt und an Voltaire vom 1. Januar 1777 überliefert (Abb. 5),15 Collinis gesellschaftlichen Erfolg in Mannheim das andere befi ndet sich mit einem Brief Collinis unterstreicht, wo er zum wichtigen Bindeglied an Voltaire vom 29. Dezember 1777, dem letzten zwischen Voltaire und dem Kurfürsten avancieren bekannten Schreiben des Florentiners an seinen sollte, ist bisher nur ein einziges Mal aufgetaucht. Lehrmeister, im Stadtarchiv Mannheim (Abb. 6).16 Es scheint allerdings – aus welchen Gründen auch Beide Fragmente ermöglichen aber zusammen eine immer – nur vorübergehend für kurze Zeit in aussagekräftige Rekonstruktion und Interpretation Gebrauch gewesen zu sein. Denn ein unvollständig des Siegelbildes. erhaltenes Siegel an einem Brief vom 7. September Im Gegensatz zu den beiden früheren Varianten 1762 belegt,13 dass Collini bald schon wieder auf nimmt das Signet in Schildform und -gestaltung

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Die Briefsiegel Cosimo Alessandro Collinis

über alleine das Bekenntnis zu den familiären Wur- zeln für die Motivwahl ausschlaggebend gewesen zu sein, das er nach der erfolgten Einigung mit seinen Brüdern um das väterliche Erbe und der offi ziellen Wertschätzung durch Großherzog Leo- pold, der ihn persönlich empfangen und ihm eine vergoldete Tabatière geschenkt hatte,19 nun mit der demonstrativen Übernahme des alten Familien- wappens in seinem Siegelbild selbstbewusst nach außen zur Schau stellte. Die Umschrift SEMPER IDEM macht in diesem Kontext nicht nur den eige- nen biographischen Bruch und das Zerwürfnis mit der Familie und der Heimat vor mehr als 25 Jahren vergessen, das nun endgültig ausgeräumt worden war, sondern ist ein ebenso stolzes Bekenntnis des „verlorenen Sohns“ zur Familie wie zur eigenen – ungebrochenen – Identität, die mit der Aufnahme des alten Familienwappens in das Siegelbild nun ihre ebenso formgerechte wie sinnfällige Entspre- chung fand. Die familiäre Rückbesinnung des fast Fünfzigjährigen, der allen Widrigkeiten zum Trotz seine Wurzeln nie vergessen und stets seine elitäre Abb. 5 nun unmittelbar direkten Bezug auf das ange- Herkunft betont hatte, wird auch dadurch unter- Drittes Siegel Collinis, stammte Familienwappen Collinis: Es zeigt im strichen, dass er seit dieser Italienreise ebenso seit Mitte der 1770er Jahre in Gebrauch (barocken) Schild das alte Wappenbild seiner Fami- konsequent auf der richtigen Schreibweise seines Brief an Voltaire vom lie, eine über einem Dreiberg aufgehende Sonne. Familiennamens mit doppeltem „l“ – anstelle der 1. Januar 1777 Zusätzlich zu diesem Wappenbild der Familie, für nicht nur von Voltaire bevorzugten Schreibweise BN Paris das sich sowohl im Staatsarchiv Florenz als auch im mit einem einfachen „l“ – bestand, wie er in sei- Familienarchiv Barazetti-Woltersom übereinstim- nen familiengeschichtlichen Notizen und seinen mende Hinweise fi nden,17 trägt es über der Helm- 1807 postum veröffentlichen Memoiren „Mon zier die Umschrift SEMPER IDEM (Immer Derselbe). séjour auprès de Voltaire“ darlegte.20 Dies spiegeln Deutlich ist mit dieser Devise, die als Wahlspruch zugleich seine Korrespondenz und die Titelblätter der Beständigkeit gilt, die intellektuelle Anlehnung seiner wissenschaftlichen Schriften seit den aus- an den griechischen Philosophen Sokrates genom- gehenden 1770er Jahren – wie das „Journal d’un men, dessen Gesichtsausdruck stets „derselbe“ voyage, qui contient différentes observations miné- gewesen sei, wie Cicero eine Äußerung der Xanthip- ralogiques […]“ von 1776 beispielhaft belegt – im pe in den „Tusculanae disputationes“ überliefert.18 Gegensatz zu den früheren Jahren deutlich wider.21 Die Vermutung, dass Collini mit dieser Anlehnung Ob sich Collini in späteren Jahren noch ein an den „Gleichmut des Weisen“ seiner Reputati- anderes Siegel für seine Korrespondenz zulegte, on als anerkannter Gelehrter Ausdruck verleihen ist abschließend nicht zu beantworten, erscheint wollte, ist zwar nicht von der Hand zu weisen, angesichts der Übernahme des alten Familienwap- erscheint jedoch eher unwahrscheinlich. Und dass pens in das Siegelbild jedoch eher unwahrschein- diese Devise womöglich alleine auf sein Verhältnis lich. Da für diese Jahre keine Siegelfunde bekannt zu Voltaire zu beziehen sei und als sinnfälliger Aus- sind, muss diese Annahme gleichwohl hypothe- druck seiner stets gleichbleibenden Unterstützung tisch bleiben. Festzuhalten gilt jedoch, dass alle drei für den Schriftsteller zu gelten habe, die er immer überlieferten Siegelvarianten Collinis künstlerisch wieder in seinen Briefen nach Ferney beteuerte, ist ansprechend gestaltet waren und augenscheinlich ebenso Spekulation. Vielmehr scheint demgegen- die Intention ihres Besitzers unterstreichen, seiner

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Jörg Kreutz

Korrespondenz einen gleichermaßen repräsenta- wie heraldisch-sphragistischen Aspekt, der indirekt tiven wie individuellen Rahmen zu verleihen. Vor auch soziale wie biographische Rückschlüsse auf diesem Hintergrund gewinnt nicht nur die Korres- die jeweiligen Korrespondenten eröffnet. Gleich- pondenz Collinis sondern der Gelehrtenbriefwech- wohl bleiben diese Erkenntnisse nicht zuletzt auf- sel im 18. Jahrhundert insgesamt neben der inhalt- grund der ebenso fragilen wie fragmentarischen lichen Dimension einen bislang nur wenig in den Überlieferung ihrer sphragistischen „Überreste“ Blick genommenen kunsthistorisch-ästhetischen aber in den meisten Fällen nur äußerst begrenzt.

* Allen Institutionen, die mit ihren Bildvorlagen den Beitrag großzügig unterstützt haben, danke ich herzlich. Abb. 6 Brief Collinis an Voltaire vom 29. Dezember 1777 1 Vgl. jetzt grundlegend J. Kreutz: Cosimo Alessandro Collini (1727-1806). Ein europäischer Aufklärer am kurpfälzischen Hof, Mannheimer mit gebrochenem Siegel historische Schriften, Band 3, Ubstadt/Weiher-Heidelberg-Neustadt a.d.W.-Basel 2009. StadtA MA 2 Vgl. Reiss-Engelhorn-Museen: E 33g u. Kreutz, wie Anm. 1, S. 37f., Anm. 51. 3 Vgl. H. Maué: Verschlossene Briefe – Briefverschlusssiegel, in: H.-D. Heimann und I. Hlaváček (Hrsg.): Kommunikationspraxis und Korrespondenzwesen im Mittelalter und in der Renaissance, Paderborn-München-Wien-Zürich 1998, S. 205-231 u. ders.: Siegel zum Verschließen von Briefen, in: G. Signori (Hrsg.): Das Siegel. Gebrauch und Bedeutung, Darmstadt 2007, S. 181-188. Er unterscheidet dabei drei verschiedene Gruppen mittelalterlicher Briefverschlusssiegel: Siegel, die zu Verschwiegenheit und Sorgfalt verpfl ichten, anonyme Verschlusssiegel für Liebesbriefe und anonyme Verschlusssiegel mit religiösen Texten. 4 So lautet der Titel der 1807 postum in Paris erschienenen Memoiren Collinis, in denen er über seine gemeinsame Zeit mit Voltaire zwischen 1752 und 1756 berichtet. Vgl. hierzu jetzt die neue kommentierte Edition: C. A. Collini: Mon séjour auprès de Voltaire, édition présentée et annotée par R. Trousson, Bibliothèque des correspondances, mémoires et journaux, Band 57, Paris 2009. 5 Es handelt sich dabei um folgende Briefe: Collini an Michel Lambert, D 6511, 22. September 1755 (BN Paris, NAF 24338, fol. 338v) und Collini an Michel Lambert, D 6549, 24. Oktober 1755 (BN Paris, NAF 24338, fol. 341). Auch die beiden – allerdings nur fragmentarisch erhaltenen – Siegel mit Briefen an Sébastien Dupont vom 4. Februar 1755 (D 6134) in der Bibliothèque Nationale (BN Paris, F 12900, .

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Die Briefsiegel Cosimo Alessandro Collinis

fol 281v) bzw. an Michel Lambert vom 10. Oktober 1755 (D 6534) im Institut et Musée Voltaire in Genf (Th B CD 282) sind mit diesem Briefsiegel identisch. Vgl. freundliche Auskunft von Catherine Walser (Institut et Musée Voltaire) vom 6. März 2010. Aus Platzgründen werden die in der von Theodore Besterman in 51 Bänden besorgten ‚defi nitiven’ Ausgabe der Gesamtkorrespondenz Voltaires „Cor- respondence and related documents (Genf-Toronto-Banbury-Oxford 1968-1977)“ bereits erfassten Briefe Collinis ohne entsprechende Bandangaben nur mit ihrer – in der Voltaire-Forschung geläufi gen – Ordnungsnummer ‚D’ angegeben. 6 Vgl. Artikel „Grafenkrone“ u. „Rangkrone“, in: G. Oswald: Lexikon der Heraldik, Leipzig 1984, S. 167 u. S. 319-322, Abb. Nr. 23. 7 Vgl. Voltaire an Nicolas ClaudeThieriot, D 6875, 27. Mai 1756: „Ce secrétaire par parentèse est un fl orentin très aimable, très bien né, et qui mérite mieux que moy d’être de l’académie de la Crusca”. 8 So beklagte sich Collini wiederholt darüber, dass ihn Voltaire über Gebühr beanspruche und ihn sogar wie einen Sklaven behandle. Vgl. Kreutz, wie Anm. 1, S. 150 u.ö. 9 Hierfür müsste die zeitlich früher einsetzende Korrespondenz mit Hieronymus von Salis, die für die Forschung nur auf Mikrofi lm im Staatsarchiv Graubünden in Chur vorliegt, noch einmal im Original im Familienarchiv von Salis-Bondo überprüft werden. Vgl. Kreutz, wie Anm. 1, Quellenanhang, S. 572-605. Ein weiterer Beleg für dieses Siegel fi ndet sich an einem Brief an Dupont vom 19. Januar 1758, D 7594, in der Bibliothèque Historique de la Ville de Paris (BHV Paris, Ms Res. 57, Nr. 23). 10 Vgl. Collini an Voltaire, D 8849, 13. April 1760 (BHV Paris, Ms Res. 57, Nr. 54). 11 Vgl. Artikel „Patrizierkrone“ u. „Rangkrone“, in: Oswald, wie Anm. 6, S. 300 u. S. 319-322, hier: Abb. Nr. 46. 12 Ein anderes Beispiel eines zurückschauenden Löwen als Schildhalter fi ndet sich bei einem späteren Wappen Carl Theodors, vgl. F. Walter: Die Siegelsammlung des Mannheimer Altertumsvereins, Mannheim 1897, S. 45 (C 95) u. Tafel II, Nr. 1. Vgl. auch H. Drös: Heidelberger Wappenbuch. Wappen an Gebäuden und Grabmälern auf dem Heidelberger Schloß, in der Altstadt und in Handschuhs- heim, Buchreihe der Stadt Heidelberg Band 2, Heidelberg 1991, hier besonders Kapitel 3 „Die Entwicklung des pfalz-bayerischen Wap- pens von den Anfängen bis 1803, S. 371-396“. 13 Vgl. Collini an Voltaire, D 10694, 7. September 1762 (BN Paris, NAF 24338, fol. 346v). 14 Weitere Belege für dieses Siegel fi nden sich gemeinsam mit folgenden Briefen: Collini an Voltaire, D 10938, 22. Januar 1763 (BN Paris, NAF 24338, fol. 349); Collini an Friedrich Samuel von Schmidt zu Rossens, 7. November 1765 (vgl. Abb. 2, Generallandesarchiv Karlsruhe/ Großherzogliches Familienarchiv, 5a Korrespondenz Karoline Luise); Collini an Voltaire, D 13869, 20. Januar 1767 (BN Paris, NAF 24338, fol. 352); Collini an Voltaire, D 14009, 2. März 1767 (BN Paris, NAF 24338, fol. 355); Collini an Voltaire, 29. Juni 1767 (StadtA MA, KE 494); Collini an Voltaire, D 14424, 14. September 1767 (BN Paris, NAF 24338, fol. 358v); Collini an Voltaire, D 14504, 28. Oktober 1767 (BN Paris NAF 24338, fol. 361); Collini an Voltaire, D 14652, 6. Januar 1768 (Institut et Musée Voltaire Genf, Th. B. CD 582); Collini an Voltaire, D 15347, 1. Dezember 1768 (BN Paris, NAF 24338, fol. 364); Collini an Voltaire, D 16992, 31. Januar 1771 (BN Paris, R 12900, fol. 279). 15 Vgl. Collini an Voltaire, D 20498, 1. Januar 1777 (BN Paris, NAF 24338, fol. 367). 16 Vgl. Collini an Voltaire, D 20962, 29. Dezember. 1777 (StadtA MA, KE 510). 17 Vgl. Archivio di Stato di Firenze, Raccolta Sebregondi Nr. 1741 (Collini di Firenze); Raccolta Ceramelli Papiani Nr. 1596; Dep. sopra la nobil- tà e cittadinanza Nr. 92 u.a.; B. Casini: I „Libri d’oro” della nobiltà fi orentina e fi esolana, Florenz 1993 (Abb. 177). Vgl. auch Familienarchiv Barazetti-Woltersom, Seconde Partie de la généalogie et des armoires de la famille Barazetti, de leurs aïeux, descendants et de leurs parentés, ainsi que le[s] branches, par Ferdinand Barazetti-Freyenried (historio-héraldicien) [Familienbuch Barazetti, Format: DIN A 5]. Ein nahezu identisches Wappen ist auch in Rietstaps „Armorial général” für eine lothringische Familie „Colin“ bzw. „Collin” im Jahr 1720 verzeichnet: „D’azur à un mont d’or, surm[onté] d’un soleil du même“. Vgl. J. B. Rietstap: Armorial général, Bd. 1, Berlin 1934 (= Verbesserter Nachdruck der 2. Aufl age, Gouda 1884), S. 446 u. 448 u. J. B. Rietstap und V. Rolland: Planches de l’Armorial général, Band 2 (C-F), Paris [1906], CIX u. CXI. 18 Vgl. G. Büchmann: Gefl ügelte Worte. Der klassische Zitatenschatz, unveränderte Taschenbuchausgabe der 43. neu bearbeiteten und aktualisierten Ausgabe von W. Hofmann, 2. Aufl age, Berlin 2010, S. 332. 19 Vgl. Kreutz, wie Anm. 1, S. 349. 20 Vgl. ebenda, S. 351. 21 Die auf Italienisch geführte Korrespondenz an Salis zwischen 1750 und 1757 zeigt, dass er seinen Namen stets mit doppelten „ll“ schrieb. Demgegenüber unterzeichnete er seit dem Beginn seines „séjour auprès de Voltaire“ seine anderen – überwiegend in fran- zösischer Sprache verfassten Briefe – mit nur einfachem „l“. Dies gilt auch für seine ab 1761 gedruckten Schriften. Nach seiner Itali- enreise behielt er alleine nur noch in seiner bis Dezember 1777 andauernden Korrespondenz mit Voltaire die unkorrekte Schreibweise seines Familiennamens bei.

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Tagung der Arbeitsgruppe Self and Society im Rahmen des EU-Projektes DressID, veranstaltet von Maureen Carroll und Ursula Rothe am 27. und 28. Februar 2009 am Department of Archaeology an der Universität Sheffi eld

Die folgenden Beiträge beruhen auf den bei dieser Tagung gehaltenen Vorträgen.

„This project has been funded with support from the European Commission. This publication refl ects the views only of the author, and the Commission cannot be held responsible for any use which may be made of the information contained therein.”

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Maureen Caroll

Vorwort

In Rahmen des von der Europäischen Union geförderten Forschungsprojektes „Clothing and Identities: New Perspectives on Textiles in the Roman Empire” bildete sich eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema „Selbst und Gesellschaft” beschäftigt. Eine erste Diskussion über Umfang und Ziele dieser Arbeitsgruppe fand im Dezember 2008 an der Universität von Kreta in Rethymnon statt. Im Anschluss an diese Veran- staltung organisierte am 28. Februar 2009 das Archäologische Institut der Universität von Sheffi eld eine internationale Arbeitstagung über Kleidung und Identitäten in der römischen Welt. Die Tagung wurde von Dr. M. Carroll (Sheffi eld) und Dr. U. Rothe (Edinburgh) geleitet. Mit Ausnahme des Aufsatzes von S. Hoss stellen die hier präsentierten Beiträge die schriftliche Version der in Sheffi eld gehaltenen Vorträge dar. Ich freue mich sehr, dass wir nun die Forschungsergebnisse dieser breitgefächerten Projekte der Teilnehmer der Arbeitsgruppe „Selbst und Gesellschaft” der Öffentlichkeit vorstellen können. Dafür schulden wir den Mannheimer Geschichtsblättern einen großen Dank. Unter dem Titel „Selbst und Gesellschaft” untersuchen wir die Rolle von Kleidung und Tracht in der Zurschaustellung von verschiedenen Aspekten der Identität von einzelnen Personen oder Gruppen in der römischen Gesellschaft. Kleidung kann als nicht-verbale Sprache fungieren, durch die Menschen diverse Aspekte ihres „Selbst” wie Geschlecht, Alter, Status, Bürgerschaft, Bildung, Beruf, Religion, ethnische Her- kunft und vieles mehr kommunizieren. In der römischen Welt konnte Bekleidung alle diese Identitäts- schichten zur gleichen Zeit ausdrücken. Darüber hinaus konnten sich Leute mit ihrer Bekleidung als Mit- glied einer Gruppe identifi zieren und dadurch eine Gruppenidentität vermitteln. Andererseits konnte eine andersartige Kleidung fremd wirken und den Träger als gesellschaftlichen oder kulturellen Außenseiter kennzeichnen. Was man trug, konnte auch situationsbedingt sein; wie man sich einerseits im öffentlichen Leben präsentierte und andererseits zu Hause gab, mag unterschiedlich gewesen sein. Dies ist besonders bei den Bewohnern der römischen Provinzen der Fall, wo sich Menschen sehr unterschiedlicher ethnischer Ursprünge in diversen Lebensbereichen in einer nun unter römischer Herrschaft stehenden Welt arran- gieren mussten. Hier bei den Römern und einer mehr oder minder romanisierten Provinzbevölkerung war ethnische Tracht auch ein Mittel, durch das die alten vorrömischen Stammestraditionen hartnäckig am Leben gehalten wurden. Die in diesem Band besprochenen Themen reichen von der ethnischen Tracht der Frauen am Nieder- rhein, am Mittelrhein und an der Mosel über die Bekleidung von Indern und Persern jenseits der östlichen Reichsgrenze bis hin zu Soldatentracht und militärischer Ausrüstung im römischen Westen und den im römischen Ägypten zu Lebzeiten gemalten und später als Bildnis im Grab verwendeten Porträts. Diese Beiträge zum Thema „Selbst und Gesellschaft” stellen einen ersten Versuch dar, interdisziplinäre, praktische und theoretische Methoden bei der Erforschung von Kleidung und Habitus anzuwenden, um zu erkennen, wie die Menschen mittels ihrer Körper ihren gesellschaftlichen, kulturellen und ethnischen Platz in der römischen Welt auszudrücken suchten.

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Michael Tellenbach, Koordinator des EU-Projektes DressID

Einführung in das Thema

Dem Mannheimer Altertumsverein und der Direktion der rem verdanken wir, dass das Symposium der Arbeitsgruppe „Self and Society” des EU-Projekts DressID, das M. Carroll und U. Rothe am 27. und 28. Februar 2009 an der Universität Sheffi eld durchgeführt haben, hier veröffentlicht werden kann. Die Projektleitung ist stolz darauf, dass die Arbeitsgruppe wesentliche Ergebnisse präsentieren kann, entscheidende Einblicke in Transformationen von Identität im römischen Imperium. An der Kleidung lässt sich erkennen, dass in römischen Provinzgesellschaften neue Identitäten entstehen, die offenbar mit dem Dialog mit Rom in Zusammenhang stehen. So kann zum Beispiel M. Carroll für die Rheinlande aufzeigen, wie die Identität regionaler keltisch-germa- nischer Kleidung erst durch die Übernahme von Traditionen mediterraner Bildträger zur Darstellung fi ndet. Die nichtrömische Kleidung der Frauen und die römischen Togen der Männer interpretiert sie als Ausdruck der Geschlechterrollen in der Kleidungswahl. Als einzige der lokalen Götter wurden die Matronen und die Meeresgöttin Nehalennia dargestellt. Im Umfeld letzterer wurden Opfernde jedoch nicht abgebildet, im Unterschied etwa zu den Matronensteinen der Ubier. Man kennt daher nur die Kleidung der Nehalennia und kann keine Rückschlüsse darauf ziehen, ob sich die Kultgemeinde einheimisch oder römisch kleidete. Eine umfangreiche und wichtige Quelle zur Frage nach der Identität sind die Terrakotten im Rheinge- biet aus römischer Zeit, denen sich M. Schmitts Studie widmet und die, wie ihre Untersuchung ergibt, aus religiösem Grab- und Tempelkontext stammen. Einzelne Menschen oder Gruppen sind im gallischen Kapuzenmantel dargestellt. Eine eigene provinzialrömische Identität zeigt sich daran, dass – anders als in Rom – meist weibliche, mediterran gekleidete Gottheiten dargestellt sind. Weiterhin erkennt man die einheimisch gekleideten „Matronen“-Göttinnen aus der Region Köln und die „un-römische“ Pferdegottheit Epona. Diese Gottheiten verschwinden aus der Darstellungswelt, als die Römer abziehen. Es ist ein Hinweis darauf, dass die Eigenheit der Provinz in Zusammenhang mit der gesamtrömischen Identität steht. Mit umfassender Systematik erschließt U. Rothe die Komplexität der Beziehungen zwischen einheimi- scher und römischer Identität. Bis zum Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. bringt Kleidung Stammesidentität zum Ausdruck. Dies ist eine vorrömisch-keltische Tradition, wie sich am Kleidungs- und Fibelensemble der Trierer Gegend, dem so genannten „Menimane“-Ensemble, zeigen lässt. An seine Stelle tritt, nicht allein im Gebiet der Treverer, sondern im gesamten Nordwestteil des Reiches, in ganz Gallien, den Rheinlanden und Großbritannien, mit der Integration ins römische Reich das Fibel-lose „gallische Ensemble“: die Tunika, die anders als im zeitgenössischen Rom körperbetont sowie langärmelig war und gegürtet getragen wurde. Der typisch mediterrane, rechteckige Umhang wurde im Norden zumeist symmetrisch getragen, je nach Klima konnte auch eine Haube dazu kommen. Rothe vergleicht die neue Kleidungssitte mit anderen histo- rischen Situationen, beispielsweise dem Aufkommen des Sari im späten 18. Jahrhundert, was ein Ausdruck gesamtindischer Identität in Abgrenzung zum englischen Kolonialimperium war. Sie interpretiert den ver- änderten Kleidungstypus im Nordwesten des römischen Reiches analog als Ausdruck des neuen Selbstbe- wusstseins, das mit einer Blüte von Produktion, Handwerk und Handel seit dem Ende des 1. Jahrhunderts erwachsen ist und u. a. auch in anderen Dingen zum Ausdruck kommt: man schreibt nun in lateinischen Lettern gallische Inschriften, baut Tempel, in denen sich römische und gallische Traditionen verbinden. Rothe zeigt, dass regionale Identität in der römischen Provinzialgesellschaft im Kontext römischer Identität zu sehen ist. Dies gilt vielleicht, so ihre These, nicht nur für den Nordwestteil des Reiches. Was eine solche regionale Identität in der Provinz am Nil charakterisiert, untersucht A. Schieck anhand der reichen Bildwelt der ägyptischen Mumienporträts. Hier lassen sich Elemente ägyptischer Integration in die römische Welt zeigen. Verstorbene gehen nicht mehr in Osiris auf, vielmehr lässt sich an Attributen der Erscheinung – Kleidung, Frisur und Schmuck –, wie sie auf einem zu Lebzeiten gefertigten Bild erkenn- bar sind, bei Frauen der Familienstand ablesen. Hier kennzeichnet die jeweilige Aktualität der Frisur und der Schmuckformen die Nähe zu Rom. Gleiches gilt bei Männern für Rang und Status, ja sogar für einen Beruf, jenen des Soldaten. Bei letzterem kann man hohen militärischen Rang an der Tragweise und Farbe

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Michael Tellenbach, Koordinator des EU-Projektes DressID

der „zivilen“ Kleidungsteile erkennen. Das Bild vollkommener römischer Identität beschränkt sich jedoch vermutlich auf eine bestimmte Schicht ägyptischer Bevölkerung. Die römischen Porträts füllen nur den Gesichtsbereich der Mumien aus. Bekannt sind jedoch auch Leichentücher, auf welchen die Gestalt des Verstorbenen in mediterraner Gewandung, fl ankiert von seinem Osiris-Wesen und dem schakalköpfi gen Totengott Anubis, gemalt sind. Sie bestätigen, dass ägyptische und römische Identität nebeneinander Bestand haben. Offenbar gibt es einzig im militärischen Bereich eine Einheitlichkeit römischer Kleidungsform gleicher Zeitstellung. Dies ergeben S. Mitschkes Untersuchungen der Reiterhelme aus dem römischen Reich im Licht ihrer Detailanalysen der „batavischen“ Reiterhelme aus Nijmegen und Xanten. Die zahlreichen Beobach- tungen zu Technik und Herstellung zeigen, dass die Überregionalität dieser Waffen, obwohl sie nachweis- lich lokal gefertigt waren, was wegen der erforderlichen individuellen Anpassung des Helms notwendig war, den Reiter in eine reichsweit einheitliche römische Tradition einreiht. Auch die Untersuchung von S. Hoss bestätigt, dass die Bekleidung der Legionen Roms überall ein ein- heitliches Bild vermittelt. Sie ruft uns allerdings in Erinnerung, dass dem römischen Soldaten die gleich- machende Uniform völlig unbekannt ist. Jedem Einzelnen ist daran gelegen, als mutiger Kämpfer aufzu- fallen, sein Feldherr soll ihn unter den anderen erkennen. Anhand von Darstellungen unterschiedlicher Zeitstellung beschreibt Hoss die jeweils differierende Kleidung des Soldaten in militärischem oder zivilem Kontext. Konstanten sind Tunika, Mantel, genagelte Sandalen – später Schuhe – insbesondere aber der aufwendig metallverzierte Gürtel – in jüngerer Zeit Schultergurt – mit dem Schwertgehänge. Vor allem der prestigeträchtige Gürtel unterscheidet den Soldaten vom Zivilisten. Sein Verlust ist eine schwere Strafe und bedeutet Schande. Militärgürtelmoden sind reichsweit einheitlich. Offenbar ist der Gürtel Ausdruck gemeinsamer Identität aller Soldaten im ganzen römischen Reich. Vor dem Hintergrund dieser Bedeutung des Militärs als Träger römischer Identität gewinnt der Beitrag von J. P. Wild zu Kleidung und Lebenssituation römischer Lagerpräfekten und Soldaten am Hadrianswall eine überragende Bedeutung. Das verdanken wir den einzigartigen gegenständlichen und schriftlichen Quellen, die er auswertet. Es sind die vortreffl ich erhaltenen Schriftzeugnisse auf Holz und die vielfältigen sonstigen organischen Funde, insbesondere Textilien aus Tierfasern, die sich im humosen Feuchtboden des Kastells Vindolanda in Nordengland erhalten haben. Dazu gehören Listen und Stoffreste von Jagd- und Bankettkleidung, die der Lagerkommandant Cerealis und seine Frau Lepidina möglicherweise getragen haben. Der dritte Teil der Studien versucht, aus den römischen Berichten über fremde Länder und Völker eine Vorstellung zu gewinnen, wie sich die Römer davon absetzen, und somit indirekt zu erfahren, was das Idealbild römischen Kleidungswesens ausmacht. M. García Sánchez stellt römische Identität und Selbst- verständnis anhand des Kontrasts zum Bild der Parther dar, seit augusteischer Zeit bis ins 4. Jahrhundert Urbild der Feinde Roms. Parthische Kleidung, die kurze, oft verzierte Reitertunika mit langen Ärmeln und die am Knöchel eng anliegenden Hosen, beschreibt man als Prunk-überladen, verweichlicht und weibisch, Aus- druck von Laster und Luxus. Die Feinde Roms werden dementsprechend in exotischem, buntem Marmor gemeißelt. Aus römischer Sicht entspricht offensichtlich einer sachlichen und disziplinierten Lebensweise die schlichte Kleidung als Ausdruck römischer Identität. Andere Facetten dessen, was man in Rom als fremd wahrnimmt, treten deutlich im Beitrag von M. Alba- ladejo hervor. Er beschreibt die Sicht der Römer auf Indien, ein anderes wichtiges Gegenbild: nicht feindlich, aber fremd und zudem hochbedeutsam, ein Land, aus dem viele attraktive Waren, wie zum Beispiel chine- sische Seide, ins römische Imperium gelangen. Die römischen Beschreibungen der Vielfalt indischer Klei- dungsgewohnheiten verbinden sich mit dem Bild eines Schlaraffenlandes. Die Faszination des Exotischen besteht für die Römer im Kontrast von Schönheitskult der Männer und ihrer genügsamen Lebensform. Die Entscheidung des asketischen Bramahnen, Kleidung zu tragen, wird zum Ausdruck der Übernahme mediterraner Lebensweise. Gespenstisch wirkt die Beschreibung von Luxus und Dekadenz, als wüssten die frühen Quellen schon von den später so katastrophalen wirtschaftlichen Auswirkungen des Indienhandels.

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Maureen Carroll

Götter, Sterbliche und ethnische Identität am Niederrhein: die Aussage der römischen Weihe- denkmäler

Während der kriegerischen Auseinandersetzungen des Gaius Iulius Caesar in den Jahren 58-50 v. Chr. in Gallien und Germanien trafen die Römer verschie- dene Bevölkerungsgruppen – viele zum ersten Mal – mit regionalen Territorien und örtlichen Macht- zentren. Für Caesar stellte der Rhein eine wichtige ideologische und kulturelle Grenze dar, die die Ger- manen im Osten von den Kelten oder Galliern im Westen trennte, in Wirklichkeit jedoch hatte der Strom nie Völkerwanderungen oder den transrhei- nischen Güteraustausch verhindert, auch nicht in der Zeit nach Caesar. In den Jahrzehnten nach sei- ner Rückkehr nach Rom fanden im nordwestlichen Grenzbereich des römischen Reiches Neugruppie- rungen von Völkern statt, die sich den veränderten Verhältnissen unter der neuen römischen Herr- schaft anpassen mussten. Unter Kaiser Augustus im späten ersten vorchristlichen und frühen ersten nachchristlichen Jahrhundert wurden als Bestand- teil seiner Grenzpolitik ganze Stämme sowie Teile davon aus ihren rechtsrheinischen Heimatge- genden ausgehoben und in neue linksrheinische Regionen versetzt, wobei die strategischen Interes- sen der römischen Herrscher und die Schutzbedürf- tigkeit und Loyalität der Stämme den genauen Ort und Umfang der Umsiedlung bestimmten1. (Abb. 1) Die römerfreundlichen Ubier aus dem Lahntal östlich des Rheins beispielsweise durften sich unter römischer Aufsicht am westlichen Ufer niederlas- sen, wo die 51 v. Chr. durch Caesar eroberten Ebu- ronen einst beheimatet waren. Die Ubier scheinen geschlossen ihr altes Stammesterritorium verlas- sen zu haben, denn von rechtsrheinischen Ubiern eingewanderten linksrheinischen Sugambrer Teile Abb. 1 hören wir danach nichts mehr2. Nach wiederholten der Bevölkerungsgruppen der Cugernen und Bae- Nordgallien und Germa- nien und die Territorien Auseinandersetzungen mit den Sugambrern im tasier, die in der römischen Kaiserzeit das Gebiet der einheimischen Bevöl- Lipperaum führten die Römer 8 v. Chr. 40.000 Men- gegenüber der Lippemündung kontrollierten3. Auch kerung beiderseits des schen dieser Gruppe ins linksrheinische Gebiet und Teile der Chatten aus dem Taunus, möglicherweise Rheins unter römischer Herrschaft im frühen siedelten sie dort an. Diese Maßnahme scheint mit nur die Elite dieser Gruppe, ließen sich im späten 1. Jahrhundert n. Chr. Einverständnis einiger Teile des Stammes gesche- ersten vorchristlichen Jahrhundert im Rheindel- Plan: M. Carroll hen zu sein, wobei andere sugambrische Gruppen ta nieder, wo sie dann in der Folgezeit unter den im alten rechtsrheinischen Kerngebiet zurückblie- Namen Bataver und Cananefaten bekannt wurden4. ben. Möglicherweise bildeten in der Folgezeit die Die restlichen Teile der Chatten blieben weiterhin

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Götter, Sterbliche und ethnische Identität

Abb. 2 im rechtsrheinischen Taunus beheimatet, wo sie im sind die anderen Völker nur Teilgruppen rechtsrhei- Weihealtar an die drei in späten ersten nachchristlichen Jahrhundert Krieg nischer Stämme oder vielleicht als Gefolgschaften ubische Tracht geklei- deten Matronae Aufaniae gegen den römischen Kaiser Domitian führten. Die anzusehen. Diese Situation wird das Selbstverständ- LVR Rheinisches Landes- Menapier, die die Küstengebiete unmittelbar süd- nis dieser Gruppen und den Ausdruck ihrer Identi- museum Bonn lich des Rheins bewohnten, mussten möglicherwei- tät beeinfl usst haben. Manche davon übernahmen Foto: LVR Rheinisches Landesmuseum Bonn se einige ihrer Gebiete räumen, um Platz für die aus auf nur sehr oberfl ächliche Art und Weise römische den Ländern jenseits des Stroms eingewanderten Bräuche, andere jedoch verinnerlichten sie relativ Frisavonen zu machen. schnell und wandelten ihre eigenen einheimischen Alle hier besprochenen Gruppen waren ethnisch Sitten in Anlehnung an die römische Gesellschaft Germanen oder Kelten/Gallier, obwohl ihre Sprache um. In diesem Beitrag möchte ich insbesondere das und ihre materiellen Hinterlassenschaften gele- Stiften von römischen Weihedenkmälern unter den gentlich darauf hindeuten, dass sie Elemente von oben genannten niederrheinischen Stämmen und beiden ethnischen Gruppen besassen und deshalb Bevölkerungsgruppen untersuchen, um zu erken- Mischvölker waren. Ihr Erscheinen und ihre zukünf- nen, wie solche Votivgaben ethnische Identitäten tige Stabilität und Sicherheit am Niederrhein hin- durch die bildliche Darstellung von Göttern und gen engstens mit der Anwesenheit und Macht der ihren menschlichen Verehrern vermitteln. Dabei Römer zusammen. steht die stammesbezogene Kleidung und Tracht Mit Ausnahme der Ubier, die wohl einheitlich in im Mittelpunkt dieser Untersuchung. Dies ist ein die linksrheinischen Gebiete eingewandert sind, wichtiger Aspekt der Zurschaustellung von Ethnizi-

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Maureen Carroll

Heiligtum waren wohl lokal rekrutierte römische Abb. 3 Soldaten der in Bonn stationierten Legio I Minervia, Fragmentarisch erhal- tener Kopf einer Matrona die vermutlich vor ihrem Einsatz gegen die Parther von einem Kultbild aus im mittleren Osten den Göttinnen eine Weihung Köln versprachen, wenn sie für eine erfolgreiche und Zeichung: J. Willmott gesunde Wiederkehr der Truppen an den Nieder- rhein sorgen würden. Eine solche Handlung ent- spricht dem römischen Ritus des Votums7.. Vielleicht hatten die in den Krieg ziehenden Soldaten auch ihre am Rhein zurückgebliebenen Familien unter die Obhut der schützenden Matronen gestellt. Mit der Rückkehr der Legion an den Rhein wurden als Einlösung des Gelübdes der Tempel errichtet und eine ganze Serie von Weihedenkmälern an die Matronen aufgestellt. Erst unter römischem tät, denn die absichtliche und wohl überlegte Wahl Einfl uss nahm diese göttliche Triade menschliche von Kleidung sagte dem römischen Betrachter aus- Form an, und erst dann wurden die Matronen auf sagekräftig und unverkennbar, wer man war und steinernen Denkmälern abgebildet. Einer der quali- wie man gesehen werden wollte5. tätvollsten Weihesteine in diesem Zusammenhang Der ubische Götterhimmel schloss an gehobener gehört den Matronae Aufaniae an, auf dem die drei Stelle die Matronen ein, jene Ahnen- und Schutz- Göttinnen wohl in Anlehnung an das Kultbild im göttinnen, die fürs Segnen der Gemeinden und der Bonner Tempel abgebildet sind (Abb. 2)8. Das Bon- Familien zuständig waren. Die Matronen hatten ner Kultbild selbst ist nicht erhalten, jedoch sind viele Beinamen, z.B. die Matronae Boudunnehae, von einem etwas jüngeren, ins späte 2. oder frühe die Matronae Aufaniae, oder die Matronae Vetera- 3. Jahrhundert zu datierenden Exemplar von einem nehae, ihre Beinamen spiegelten wohl die Namen Matronentempel in Köln kostbare Fragmente erhal- von lokalen Gemeinden, Bevölkerungsgruppen ten geblieben (Abb. 3)9. Offensichtlich typisch für und Sippenverbänden im Ubiergebiet wider. Ein die Matronen aus Bonn und Köln sind die Dreizahl wichtiges römisches Heiligtum der Matronen am der Göttinnen und die nicht-römische Kleidung der Niederrhein wurde kurz nach 160 n. Chr. in Bonn Figuren. im Bereich des heutigen Münster gebaut, obwohl Alle drei Matronen tragen ein fast bodenlanges der rheinische Matronenkult höchstwahrscheinlich gegürtetes Gewand, das auf der Brust mit einer schon seit dem späteren ersten nachchristlichen Fibel oder Brosche gehalten wird, darunter ist Jahrhundert existierte6. Verantwortlich für dieses ein Unterrock zu erkennen10. Die beiden äusseren

Abb. 4 Weihrelief mit einer Prozession von ubischen Frauen am Kultbild der Matronen LVR Rheinisches Landes- museum Bonn Foto: LVR Rheinisches Landesmuseum Bonn

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Götter, Sterbliche und ethnische Identität

nen, auf denen die Gläubigen Opfer in Gegenwart der Götter im heiligen Bezirk darbringen, sind die opfernden Frauen in der Matronentracht – mit und ohne Haube – zu sehen. Solche Bildwerke stehen voll in der Tradition der Weihedenkmäler der klas- sisch griechischen und römischen Welt des Mittel- meers und sie weisen hier darauf hin, dass unter den Völkern am Niederrhein zumindest die Ubier diese Form der Opfergabe aus der römischen Kult- praxis ableiteten. Das Sichtbarwerden der ubischen Tracht ist also der römischen Bildersprache auf Steindenkmälern zu verdanken. Auch wenn sie anderen Göttern im Heiligtum opfern, tragen Ubierinnen ihre landesübliche Bekleidung. Auf einem Bornheimer Weihealtar für Merkur aus dem frühen 3. Jahrhundert n. Chr. sehen wir zwei ubische, mit dieser Aufgabe beschäftigte Frauen beiderseits eines opfernden Knaben (Abb. 5)12. Das Denkmal wurde von Iulius Tertius und Iulia Nativa gestiftet, zwei uns sonst unbekannten Bewohnern der Stadt. Beide Frauen tragen ubische Tracht und Halsschmuck, jedoch mag die rechte Frau (Iulia Nativa?) mit ihrer großen Haube eine ältere sein, während die linke Figur mit offenen Haaren wohl ein Mädchen ist. Eine Frau, ein Mann Abb. 5 Frauen tragen eine große auffallende Kopfbede- und ein Knabe stehen opfernd am Altar auch auf Weihealtar für Merkur mit ckung, die mittlere Figur jedoch trägt keine und ihre der Basis einer großen Jupitergigantensäule des 2. zwei opfernden ubischen Frauen und einem Haare fallen frei über die Schultern. Die eine Haube Jahrhunderts aus Köln (Abb. 6). Die Frau mit langem Knaben tragenden Figuren gelten als ältere, vielleicht ver- Aus Bornheim heiratete Frauen, die barhäuptige Frau dagegen Zeichnung: J. Willmott stellt möglicherweise ein jüngeres, unverheira- tetes Mädchen dar. Alle drei haben Halsschmuck, entweder eine Kette mit einem halbmondförmigen Anhänger (lunula) oder einen Halsring (torques). Bei einer Untersuchung anderer Weihedenkmäler und auch Grabsteinen aus dem Ubiergebiet stellt es sich deutlich heraus, dass die Göttinnen genau die ethnische Tracht tragen, mit der sich ihre menschlichen, ubischen Verehrerinnen kleideten. Ein großes mehrfi guriges Weihedenkmal aus der Abb. 6 Zeit um 220 n. Chr. aus Bonn zum Beispiel zeigt die Weihrelief von der Basis drei auf einem Sockel sitzenden Matronen als Kult- einer Jupitergiganten- bild, dem sich mehrere Ubierinnen nähern (Abb. 4)11. säule mit einer opfern- den ubischen Frau Götter und Sterbliche sind eindeutig vom gleichen und zwei männlichen Gewand umhüllt, die versammelten Frauen jedoch Begleitern tragen keine Haube, vielleicht deshalb, weil sie Foto: M. Carroll, mit Ge- nehmigung der Archäolo- alle jung und unverheiratet sind, wie die mittlere gischen Zone, Köln Matrona im Kultbild. Auf vielen anderen Weihestei-

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Maureen Carroll

Abb. 7 (links) Weihealtar an die Matro- nae Aufaniae aus Bonn. Oben sitzen die Matro- nen, unten opfern eine Frau in ubischer Kleidung und ein Mann in einer römischen Toga. Foto: M. Carroll, mit Genehmigung des LVR Rheinisches Landes- museum Bonn

Abb. 8 (rechts) Weihealtar an die aufanischen Matronen aus Bonn. Oben hinter den Matronen ist eine ubische Frau zu sehen, unten opfert ein in eine Toga gekleideter Mann. Foto: M. Carroll, mit Genehmigung des LVR Rheinisches Landes- museum Bonn

Gewand und großer Haube ist unschwer als Ubie- der vom römischen Staatsbürger Quintus Caldini- rin zu erkennen, während der Mann einen Mantel us Celsus an die Matronae Aufaniae gestiftet wor- oder vielleicht Kapuzenmantel trägt. Dieses Klei- den ist (Abb. 7). Unterhalb des Kultbildes der drei dungsstück ist nicht als ethnische Tracht, sondern Göttinnen opfern der Stifter selbst und eine Frau, als eine für die gallischen Provinzen typische männ- vermutlich seine Ehefrau. Er trägt die Toga, das liche Bekleidung anzusehen. römische Kleidungsstück schlechthin, das den Trä- Ließ man sich auf einem steinernen Denkmal in der Landestracht darstellen, war dies eine Aussage über die Verbundenheit mit tradtionellen Bräuchen und die ethnische Identität. Die äusserliche Erschei- nung in prachtvollen und festlichen Gewändern und Schmuckstücken drückte sicher auch etwas über den gesellschaftlichen Rang der Person aus. Die geschlechtspezifi sche Wahl von einheimisch- ethnischer oder italisch-römischer Kleidung ver- rät außerdem etwas über die gesellschaftlichen Verhaltensrollen von Männern und Frauen in den Provinzen. Es scheint oft so, dass Männer, die ihr Tätigkeitsfeld im öffentlichen, römisch geprägten Leben hatten, Wert darauf legten, als Römer beklei- det zu sein, während die Frauen, die eher im Pri- vaten die Traditionen des Stammes und der Familie Abb. 9 hüteten, sich in alter landesüblicher Tracht zeigten. Grabrelief aus Bad Müns- Auf jeden Fall wurden die typischen statusvermit- tereifel (Pesch) mit der telnden Gewänder der römischen Frau, die wir in Darstellung von ubischen Frauen (oben) und Italien kennen, nicht gewählt. In diesem Zusam- togatragenden Männern menhang können wir den Weihealtar aus der 2. (unten) Hälfte des 2. Jahrhunderts aus Bonn heranziehen, Zeichnung: J. Willmott

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Götter, Sterbliche und ethnische Identität

Abb. 10 des ersten nachchristlichen Jahrhunderts oder kurz Traiana Herodiana in danach (Abb. 9 )15. Wie bei den oben besprochenen ubischer Tracht und ihr Mann Weihedenkmälern mit männlichen und weiblichen Bild auf einem Sarkophag Figuren gibt es auch in der Grabkunst Unterschiede aus Köln in der aufs Geschlecht bezogenen Bekleidung. Auf Zeichnung: J. Willmott dem Stein aus Bad Münstereifel tragen nur die zwei Frauen ethnische Kleidung, die Männer dagegen sind in der römischen Toga zu sehen. Auch über zwei Jahrhunderte später drückten ubische Frauen in Form von Grabstatuen und Porträts auf Sarko- ger als Mann mit römischem Bürgerrecht auswies, phagen immer wieder ihre ethnische Identität und die Frau jedoch ist mit der ubischen Frauentracht gesellschaftliche Stellung durch die Status vermit- bekleidet13. Ein aus Köln stammender Weihestein telnde Bekleidung aus (Abb. 10)16. des gleichen Zeitraumes zeigt auch in dieselbe Solche Denkmäler befi nden sich fast ausschliess- Richtung (Abb. 8)14. Der Stifter, ein hochgestellter lich auf ubischem Gebiet, jedoch ein mit zwei Grab- römischer Magistrat aus dem Rheinland namens porträts versehener Grabstein aus dem niederlän- Gaius Candininius Verus, opfert den aufanischen dischen Heerlen (Coriovalum) im ehemaligen Ter- Matronen, und er tut dies in seiner römischen Toga. ritorium der Baetasier weist vielleicht darauf hin, Während die drei Figuren neben ihm alle kurze dass die Ubier auch außerhalb ihrer Heimat ihre Tuniken tragen und einfache Kultdiener darstellen, stammesbezogene Identität betonen wollten (Abb. steht oben hinter den Matronen eine weibliche 11)17. In diesem Falle handelt es sich wieder um eine Figur, die ganz deutlich durch ihre Tracht als Ubierin weibliche Vertreterin dieses Stammes. Die große Haube der Frau hinterlässt keinen Zweifel daran, Abb. 11 dass vor uns eine Ubierin steht. Möglicherweise Ausschnitt eines Grabre- lebten diese Frau und ihr auf dem Grabstein eben- liefs aus Heerlen mit der Darstellung einer Frau, falls dargestellter Ehemann in der baetasischen die die ubische Haube Straßensiedlung Coriovalum, als sie starb. Ob sie trägt selbst schon vor ihrem Tode oder ihr Mann erst Zeichnung: J. Willmott danach den Stein in Auftrag gab, ist unbekannt, jedoch jemand in ihrem engeren Kreis legte deut- lichen Wert auf die Darstellung der ethnischen Identität der Frau. Außer den Matronen gab es eine Reihe von ande- ren germanischen und einheimischen Göttern am Niederrhein, jedoch wurden sie sehr selten in Stein- denkmälern dargestellt. Die germanische Göttin Vagdavergustis zum Beispiel erhielt um 160 n. Chr. in Köln ein Weihedenkmal mit der Darstellung des Stifters Titus Flavius Constans und anderer männ- zu erkennen ist. Ihre Beziehung zum Kölner Magi- licher Figuren, wir sehen jedoch die Göttin nicht strat ist unsicher, jedoch könnte sie durchaus eine und wir können sie uns nicht bildlich vorstellen18. weibliche Verwandte sein, die ihn als Verehrerin der Hier fehlt die Interpretatio romana, bei der die ein- Matronen ins Heiligtum begleitete. heimische Götterwelt menschliche und deshalb Die Ubierinnen lassen sich auch gelegentlich auf römische Form annimmt. Die germanische Göttin ihren Grabdenkmälern in ihrer Stammestracht dar- Hludana, die von den Cugernern und Batavern ver- stellen. Der älteste uns bekannte Grabstein mit der ehrt wurde, ist ebenfalls nirgends abgebildet, und Darstellung ubischer Tracht stammt aus Bad Müns- auch Hurstrga, Rura und Viradecdis, um nur einige tereifel (Pesch) und datiert in die Zeit um die Mitte andere einheimische Göttinnen am Niederrhein zu

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Maureen Carroll

satz zu den ubischen Denkmälern jedoch werden Abb. 12 keine Sterblichen abgebildet, die ein Opfer an die Weihealtar aus Colijns- plaat mit der Darstellung Gottheit bringen. Aus diesem Grunde können wir der Göttin Nehalennia nicht mit Sicherheit sagen, ob die landesübliche in der ethnischen Tracht Tracht der örtlichen Bevölkerung auf den Altären des Küstengebietes Zeichnung: J. Willmott widergespiegelt wird. Eigentlich ist es unklar, in wessen Stammesgebiet die Nehalenniaheilig- tümer lagen. Die Cananefaten, Menapier und Fri- siavonen sind alle schon mal als Bewohner dieses Küstenstreifens vorgeschlagen worden, obwohl am häufi gsten Colijnsplaat als Ganuenta, die mögliche Hauptstadt der Frisiavonen, identifi ziert wird20. Hier im Norden an der römischen Reichsgrenze bildeten sich keine großen Städte römischer Art und nur selten identifi zierbare Hauptstädte der Stämme, da die römischen Stadtideale nie von der einhei- mischen Elite der Bataver, Cananefaten oder Frisia- vonen enthusiastisch aufgegriffen wurden21. Diese nennen, wurden nicht auf römischen Denkmälern Gruppen adoptierten generell die römische Form dargestellt. Ohne solche Darstellungen und ohne der Monumentalisierung nicht, ob bei Bauwerken bildliche Szenen von opfernden Menschen im Hei- oder bei Weihedenkmälern. Sich selbst auf einem ligtum, wie denjenigen auf Weihedenkmälern im steinernen Grabdenkmal für die Ewigkeit abzubil- Ubiergebiet, sind wir nicht in der Lage zu erkennen, den, blieb außerdem weitgehend fremd in dieser welche stammesbezogene Tracht viele nordgal- Region. Männer aus den Bevölkerungsgruppen der lische und germanische Stämme trugen und auf Cananefaten, Bataver und Friesen zum Beispiel sind ihre Göttinnen übertrugen. Die einzige Ausnahme hier ist die Göttin Nehalennia, deren Heiligtümer Abb. 13 an der Scheldemündung an der niederländischen Darstellung der Göttin Nehalennia aus Köln, die Nordseeküste bei den heutigen Gemeinden von einen ubischen Man- Domburg und Colijnsplaat lagen. tel, aber keine ubische Hier vor der Küste wurden seit dem 17. Jahrhun- Haube trägt Zeichnung: J. Willmott dert zahlreiche Weihealtäre aus dem 2. und 3. Jahr- hundert n. Chr. ans Tageslicht gefördert, die einst als Dankopfer von vielen Händlern und Seefahrern nach einer erfolgreichen Schifffahrt über das Meer nach Britannien und zurück aufgestellt wurden19. Alle sind der Nehalennia geweiht. Sie trägt immer ein langärmeliges Gewand unter einer Tunika und darüber auch noch einen kurzen, in der Mitte mit einer Fibul oder Brosche festgehaltenen Schulter- mantel (Abb. 12). Manchmal scheint sie eine Kopf- bedeckung zu tragen, doch oft ist sie ohne Haube oder Ähnliches dargestellt. Statuen von Neha- lennia sind auch erhalten, die die gleiche Tracht zeigen. Wie bei den ubischen Matronensteinen bekommt diese Nordseegöttin nur menschliche Gestalt, indem sie auf römischen Denkmälern mit lateinischen Inschriften dargestellt wird. Im Gegen-

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Götter, Sterbliche und ethnische Identität

beauftragten tungrischen Bildhauer keine Vorlage hatten oder weil das Erscheinungsbild der Neha- lennia für sie nicht von Belang war. Interessanterweise gibt es jedoch Darstellungen der Nehalennia weit weg von ihren Kultstätten an der Küste, und zwar in der niedergermanischen Provinzhaupstadt Köln. Hier wird die Göttin scheinbar in ubischer Tracht, aber ohne die grosse Haube, dargestellt (Abb. 13)24. Der für Nehalennia typische kurze Schultermantel fehlt auch. Weiter- hin rätselhaft ist eine aus Colijnsplaat stammende Darstellung der Nehalennia in Anlehnung an die Matronen als Triade (Abb. 14)25. Auch hier erschei- nen die drei weiblichen Figuren in ubischer Tracht ohne Schultermantel und ohne große Haube. Es ist wahrscheinlich, dass die im Rheindelta agierenden Bildhauer, die die Weihedenkmäler an Nehalen- nia schufen, wohl Kölner Künstler waren, die ihre Werkstätten nahe den Kultstätten der Nehalennia etablierten. Der Einfl uss der ubischen Matronen- darstellungen auf sie ist deutlich zu erkennen. Die Tracht der Nehalennia jedoch unterscheidet sich von der der Ubier. Auch wenn Nehalennia und die Matronen ähnliche langärmelige Untergewänder und gegürtete Mäntel tragen, sind einerseits der Abb. 14 gelegentlich fern ihrer Heimat in Grabinschriften Schulterumhang der Nehalennia und anderer- Weihealtar aus Colijns- genannt oder in Porträts dargestellt, jedoch sind seits die voluminöse Haube den Matronen eigen. plaat mit der Darstellung von Nehalennia als Tri- sie allesamt römische Soldaten und werden als Es ist nur schwer vorstellbar, dass diese Göttin der ade (wie die Matronen) solche in militärischer Ausrüstung gezeigt22. Die Seefahrt nicht in der landesüblichen Tracht eines in ubischer Tracht, aber Zugehörigkeit zu den römischen Streitkräften wird lokalen Stammes gekleidet ist, jedoch können wir ohne ubische Haube Zeichnung: J. Willmott in den Vordergrund gestellt. Über irgendeine Art zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur sagen, dass als von ethnischer Kleidung wird nichts verraten. Die Trägerinnen dieser Bekleidung die Frauen einiger Tracht der Nehalennia ist deswegen sehr schwer Gruppen im Küstenbereich in Frage kommen. einer spezifi schen niederrheinischen Gruppe zuzu- Im Allgemeinen stellten die germanischen und schreiben. gallischen Stämme am Niederrhein nur zögernd Soweit wir das erkennen können und die eth- behauene Denkmäler römischer Art für ihre Göt- nischen Ursprünge der Dedikanten der Nehalennia- ter auf. Stattdessen spielten in manchen Gebieten altäre genannt werden, sind die Steine von Händ- andere Verehrungsformen eine weitaus wichtigere lern und Geschäftsleuten aus und Köln sowie Rolle. Die Bataver zum Beispiel legten große Heilig- aus den gallischen Stammesgebieten der Tungrer, tümer für ihren Stammesgott Herkules Magusanus Veliocassen und Sequaner geweiht23. Einige Denk- nicht in den städtischen Siedlungen, sofern sie exis- mäler aus schwarzem Basalt, einem Gestein, das tierten, sondern in abgelegenen Gegenden an, wo nicht am Niederrhein oder im Küstenbereich vor- die Macht der batavischen Elite ausgedrückt und kommt, sind sogar von tungrischen Händlern aus zur Schau gestellt wurde. An solchen Kultplätzen ihrer Heimat mitgebracht und im Heiligtum der und an Flüssen, Bächen und Wasserquellen stif- Nehalennia aufgestellt worden. Auf diesen Stei- teten die Gläubigen eine Reihe von Votivgaben, nen wird lediglich eine Inschrift, aber kein Bildnis jedoch spielten steinerne Denkmäler keine große der Göttin dargestellt, vielleicht deshalb, weil die Rolle26.

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Maureen Carroll

Eine deutliche Ausnahme von diesem generellen Die ubischen Heiligtümer und Tempel standen kultischen Verhalten der niederrheinischen Völ- nicht nur in ländlichen Gebieten, sondern auch ker stellen die Praktiken der Ubier dar. Nach der in den Siedlungen und städtischen Zentren, ein- Umsiedlung der Ubier ans linksrheinische Ufer schliesslich der Provinzhauptstadt. In allen heiligen wurde in den Jahren um Christi Geburt Köln als Bezirken der Ubier gab es zahlreiche Kultbilder und Hauptstadt ihres neuen Territoriums mit römischer mit Bild und Schrift verzierte Weihealtäre. Die ange- Hilfe und nach römischem Muster angelegt27. Für beteten Göttinnen stellte man in der Tracht vor, in das römische Stadtideal waren sie sehr empfäng- der sich auch ihre menschlichen Verehrerinnen klei- lich. Die Ubier der römischen Kaiserzeit hatten ein deten. Dank der römisch beeinfl ussten Votivbräu- ausgeprägtes Selbstverständnis als Bündnispartner che der Ubier wird uns ein Fenster geöffnet, durch mit gemischten römischen und ubischen Vorfah- das die ethnische Tracht dieser niederrheinischen ren. In der ubischen Gesellschaft manifestierte sich Volksgruppe sichtbar wird. Wir können auch besser dieses Selbstverständnis stärker als in allen ande- die Bemühungen der Ubier erkennen, ihre Identität ren ethnischen Gruppen am Niederrhein. Auch ihre durch Kleidung und Tracht auszudrücken. Dies ist ethnische Identität ist am deutlichsten in den bil- Teil ihrer Selbstinszenierung. Wir bekommen auch denden Künsten aller Gebiete am Niederrhein spür- Einblicke in die Landestracht eines nicht näher zu bar, was vielleicht als Folge der Übersiedlung der bestimmenden Küstenvolkes an der Scheldemün- Ubier als geschlossener Stamm ins römische Reich dung, widersprüchlicherweise jedoch wird dieses anzusehen ist. Die enge Verbindung der Ubier mit Fenster nur durch die steinernen Weihungen von römischen Lebensweisen und Bräuchen zeigt sich auswärtigen Händlern und Geschäftsleuten geöff- auch im religiösen Bereich. Es ist deshalb nicht ver- net. wunderlich, dass die Weihung von römischen Wei- Überall sonst am Niederrhein, wo römische Wei- hesteinen als Bestandteil eines Votums römischer hedenkmäler kein Bestandteil von lokalen Kult- Art bei ihnen relativ weitverbreitet war. Der Aus- praktiken waren, ist uns dieser Blick auf ethnische druck der ubischen ethnischen Identität durch den Tracht und den damit verbundenen Ausdruck von äusseren, auf diesen Weihesteinen dargestellten ethnischer Identität verschlossen. Habitus fügt sich hier als weitere Manifestierung von stammesbezogenem Selbstverständnis ins Bild.

1 Für die politischen und ethnischen Verhältnisse am Niederrhein s. die Untersuchungen von N. Roymans: Tribal Societies in Northern Gaul. An anthropological perspective, Amsterdam 1990; M. Carroll: Measuring Time and Inventing Histories in the Early Empire, in: M. Carruthers, C. Van Driel-Murray, A. Gardner, J. Lucas, L. Revell and E. Swift (Hrsg.), TRAC 2001. Proceedings of the Eleventh Annual Theoretical Roman Archaeology Conference, Glasgow 2001, Oxford 2002, S. 104ff.; R. Wolters: Germanische Mobilität und römische Ansiedlungspolitik: Voraussetzungen und Strukturen germanischer Siedlungsbewegungen im römischen Grenzland, in: T. Grünewald (Hrsg.): Germania inferior. Besiedlung, Gesellschaft und Wirtschaft an der Grenze der römisch-germanischen Welt, Berlin 2001, S. 146ff. 2 H. Galsterer: Von den Eburonen zu den Agrippinensern, in: Kölner Jahrbuch 23, 1990, S. 117ff.; Wolters, wie Anm. 1, S. 159ff.; M. Carroll: Romans, Celts and Germans. The German Provinces of Rome, Stroud 2001, S. 123ff. 3 J. Heinrichs: Zur Umsiedlung protocugernischer Gruppen 8 v. Chr., in Grünewald, wie Anm. 1, S. 54ff.; Wolters, wie Anm. 1, S. 162ff. 4 J.E. Bogaers: Civitas en stad van de Bataven en Canninefaten, in: Berichten van de Rijksdienst voor het Oudheidkundig Bodemonder- zoek 10/11, 1960/1961, S. 263ff.; N. Roymans: Romanization, Cultural Identity and the Ethnic Discussion. The integration of Lower Rhine Populations in the Roman Empire, in: J. Metzler, M. Millett, N. Roymans and J. Slofstra (Hrsg.): Integration in the Early Roman West. The role of culture and ideology, Luxembourg 1995, S. 47ff. 5 Wichtige Studien über Kleidung und Identität sind: J. L. Sebesta and L. Bonfante (Hrsg.): The World of Roman Costume, Madison 1994; J.B. Eicher (Hrsg.): Dress and Ethnicity: Change Across Space and Time, Oxford and Washington 1995; L. Cleland, M. Harlow and L.

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Götter, Sterbliche und ethnische Identität

Llewellyn-Jones (Hrsg.): The Clothed Body in the Ancient World. Oxford 2005; J. Edmondson and A. Keith (Hrsg.): Roman Dress and the Fabrics of Roman Culture, Toronto 2008. 6 G. Bauchhenss und G. Neumann (Hrsg.): Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas, Köln 1987; G. Woolf: Local Cult in Imperial Context: The Matronae Revisited, in: P. Noelke (Hrsg.): Romanisation und Resistenz in Plastik, Architektur und Inschriften der Provinzen des Imperium Romanum. Neue Funde und Forschungen, Mainz 2003, S. 131ff. 7 T. Derks: The ritual of the vow in Gallo-Roman religion, in: Metzler et al., wie Anm. 4, S. 111ff. Für Studien allgemein zur Religion in Nordgallien s. P. Herz: Einheimische Kulte und ethnische Strukturen. Methodische Überlegungen am Beispiel der Provinzen Germania Inferior, Germania Superior und Belgica, in: H.E. Herzig and R. Frei-Stolba (Hrsg.): Labor omnibus unus. G. Walser zum 70. Geburtstag, Stuttgart 1989, S. 206ff.; C.B. Rüger: Pagane Religiosität in den Städten der Nordwestprovinzen des römischen Kaiserreiches, in: W. Eck und H. Galsterer (Hrsg.): Die Stadt in Oberitalien und in den nordwestlichen Provinzen des römischen Reichs, Mainz 1991, S. 227ff.; T. Derks: The perception of the Roman pantheon by a native elite: the example of votive inscriptions from Lower , in: N. Roy- mans and F. Theuws (Hrsg.): Images of the Past. Studies on ancient societies in Northwestern Europe, Amsterdam 1991, S. 235ff.; T. Derks: Gods, Temples and Ritual Practices. The transformation of religious ideas and values in Roman Gaul, Amsterdam 1998. 8 H.G. Horn: Bilddenkmäler des Matronenkultes im Ubiergebiet, in: Bauchhenss und Neuman, wie Anm. 6, S. 35, Taf. 2. 9 H. Gregarek: Monumentale Votive im römischen Köln, in: Kölner Jahrbuch 37, 2004, S. 51ff. 10 J.P. Wild: Clothing in the North-West Provinces of the Roman Empire, in: Bonner Jahrbuch 168, 1968, S. 210ff.; J.P. Wild: Die Frauentracht der Ubier, in: Germania 46.1, 1968, S. 67ff.; J.P. Wild: The Clothing of Britannia, and Germania Inferior, in: H. Temporini und W. Haase (Hrsg.): Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II. 12.3, Berlin 1985, S. 401ff. 11 Horn, wie Anm. 8, S. 42, Taf. 6,3; Gregarek, wie Anm. 9, S. 55, Abb. 16. 12 B. Galsterer und H. Galsterer: Die römischen Steininschriften aus Köln, Köln 1975, S. 34, Kat.-Nr. 117, Taf. 25; G. Bauchhenss und E. Yeo: Wie Zuccalmaglio der Stadt Köln einen Mercuriusaltar schenkte, in: Archäologie im Rheinland 1989, S. 120ff., Abb. 69. 13 Horn, wie Anm. 8, S. 43, Taf. 6,2. Zur männlich-römischen Ideologie der Toga s. A.T. Christ, The Masculine Ideal of ‘The Race that Wears the Toga’, in: Art Journal 56, 1997, S. 24ff.; J. Edmondson: Public dress and Social Control in Late Republican and Early Imperial Rome, in: J. Edmondson and A. Keith (Hrsg.), Roman Dress and the Fabrics of Roman Culture, Toronto 2008, S. 21ff. 14 Horn, wie Anm. 8, S. 43, Taf. 5. 15 G. Bauchhenss: Germania Inferior. Bonn und Umgebung. Zivile Grabdenkmäler. Corpus Signorum Imperii Romani Deutschland III,2, Bonn 1979, Kat.-Nr. 3, Taf. 2,3; Horn, wie Anm. 8, S. 37, Taf. 3,1. 16 Für den in Abb. 10 wiedergegebenen Sarkophag s. Galsterer, wie Anm. 12, S. 84, Kat.-Nr. 364, Taf. 81; Horn, wie in Anm. 8, S. 37, Taf. 1,4. 17 E. Espérandieu: Recueil général des bas-reliefs, statues et bustes de la Gaule Romaine (Band 9), Paris 1925, S. 51, Cat. No. 6635; L. Hahl: Zur Matronenverehrung in Niedergermanien, in: Germania 21, 1937, S. 254, Taf. 51,1. 18 Der Stein wird von Galsterer, wie in Anm. 12, S. 40, Kat.-Nr. 146, Taf. 32, beschrieben. 19 A. Hondius Crone: The temple of Nehalennia at Domburg, Amsterdam 1955; P. Stuart und J.E. Bogaers: Nehalennia. Römische Stein- denkmäler aus der Oosterschelde bei Colijnsplaat, Leiden 2001. 20 J.E. Bogaers and M. Gysseling: Nehalennia, Gimio en Ganuenta, in: Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudhe- den te Leiden 52, 1971, S. 79ff. 21 M. Carroll: The Genesis of Roman Towns on the Lower Rhine, in: P. Wilson (Hrsg.), The Archaeology of Roman Towns. Studies in Honour of J.S. Wacher, Oxford 2003, S. 22ff. 22 Siehe z.B. den Friesen Sextus Valerius Genialis, der in Corinium (heute Cirencester) in Britannien gestorben ist: R.G. Collingwood and R.P. Wright: The Roman Inscriptions of Britain, Vol. 1: Inscriptions on Stone, Stroud 1995, S. 33, Kat.-Nr. 109, Taf. IV. 23 Stuart and Bogaers, wie Anm. 19, S. 32ff. 24 Ebd. S. 46; H. Borger: Das Römisch-Germanische Museum Köln, München 1977, S. 138, Abb. 133. 25 Stuart und Bogaers, wie Anm. 19, S. 46, 98f., Kat.-Nr. A71, Taf. 51. 26 J.E. Bogaers: De Gallo-Romeinse tempels te Elst in de Over-Betuve, ‘s-Gravenhage, Amsterdam 1955; N. Roymans und T. Derks: Der Tempel von Empel. Ein Hercules-Heiligtum im Batavergebiet, in: Archäologisches Korrespondenzblatt 23, 1993, S. 479ff. 27 Carroll, wie Anm. 1, S. 123ff.

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Maria Schmitt

Kleidungselemente an römischen Tonfi guren

Im römischen Germanien und dem Gebiet der Tre- Römische Terrakotten sind vor allem aus Grab- verer haben sich nur in Ausnahmefällen und dann funden und Heiligtümern bekannt. Seltener sind nur fragmentarisch römische Textilien erhalten1. Siedlungsfunde, ganz vereinzelt lassen sich Töpfe- Daher muss auf andere Quellen zurückgegriffen rei- oder Ladenfunde nachweisen. Schon die Fund- werden, um die Kleidung der römischen Provinzbe- zusammenhänge geben oft Hinweise auf einen wohner zu rekonstruieren. religiösen Kontext, so können Brunnenfunde auf Zur Frage nach der Fortführung einheimi- kultische Handlungen oder Deponierungen hin- scher Kleidungstraditionen bzw. der Übernahme weisen5. römisch-hellenistischer Elemente können Beob- Viele Altfunde wurden dagegen ohne oder mit achtungen an römischen Terrakotten Aufschlüsse sehr knapper Beschreibung der Fundumstände geben. Diese Materialgruppe, die heute meist ohne geborgen, wie der Depotfund aus Bingen6. Bemalung als weiße oder rötliche Figuren erhalten Die Fundkontexte von neueren Grabungen wie ist, wurde als Massenware in den römischen Nord- zum Beispiel im Isistempel in Mainz oder einem westprovinzen hergestellt2. Depot innerhalb eines Gräberfeldes in Duppach- Zwei Regionen waren für die Produktion von Weiher erlauben eine bessere Rekonstruktion des Bedeutung: Mittelgallien und die Rhein-Mosel- Fundspektrums und zudem eine genauere Interpre- Region3. Wenige Jahrzehnte nach den ersten Töp- tation der Verwendung der Tonfi guren7. fereien in Mittelgallien begannen etwa ab 80 n. Dem Vorherrschen der Funde aus religiösem Chr. die Töpfer am Mittelrhein bzw. im Rhein-Main- Kontext entspricht auch das Typenspektrum der Gebiet Figuren aus Modeln zu formen. Kurze Zeit Terrakotten. Zumeist wurden Götterfiguren in später wurden Terrakotten in Köln in Massen her- der Rhein-Mosel-Region hergestellt8. Weibliche gestellt. Die Produktion nahm hier in den achtziger Gottheiten wie Venus, Fortuna, Minerva und die Jahren des 2. Jahrhunderts stark ab, dann übernah- verschiedenen Matres oder Muttergottheiten men Töpfereien im Trierer Raum bis ins 3. Jahrhun- wurden hier bevorzugt. Die Kleidung dieser weit dert n. Chr. den größten Teil des Absatzmarktes4. verbreiteten, z. T. auf lokale religiöse Vorstellungen Somit umfasst der Produktionszeitraum dieser Ton- zurückgehenden Göttinnen eignet sich am besten, fi guren genau die Epoche der römischen Kaiserzeit. um die Kleidungsgewohnheiten der römischen Kai-

Abb. 1 (links) Stehende Fortuna Rück- und Vorderseite H. 15, 3 cm Aus Kretz, Mayen- Koblenz LVR Rheinisches Landes- museum Bonn Foto: nach Schauerte 1985, wie Anm. 9, Taf. 48

Abb. 2 (rechts) Stehende Fortuna Vorder- und Rückseite H. 13, 4 cm Aus Bingen Landesmuseum Mainz Foto: M. Schmitt

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Kleidungselemente an römischen Tonfiguren

Abb. 3 (links) geschwungen. Dabei bildet der obere eingerollte Stehende Fortuna Mantelsaum vor dem Körper einen Wulst, ein Teil Aus Groß-Gerau, des Stoffes hängt nach unten über das Knie des Gräberfeld "Auf Esch", Brandgrab 50 Spielbeins10. Stadtmuseum Groß- Ein weiteres Exemplar aus Mainz zeigt nur noch Gerau eine sehr fl aue Ausformung dieses Typs (Abb. 2). Foto: Stadtmuseum Groß-Gerau Die Gürtung ist nur noch zu erahnen. Der über den linken Arm gelegte Mantel ist vor dem Bauch in einem fl achen Wulst mit parallelen Falten wieder- gegeben11. Abb. 4 (rechts) Eine Fortuna mit ungegürteter Tunika fand sich Thronende Fortuna, in einem vespasianisch-trajanisch datierten Brand- Fibel in der Gewandmitte durch Kästchen hervor- grab aus Groß-Gerau (Abb. 3). Der gerade fallende gehoben Mantel der Göttin wird nur durch schräge und H. 14 cm senkrechte Falten, der eingerollte Mantelsaum Aus Bingen unrealistisch tordiert wiedergegeben12. Landesmuseum Mainz Foto: M. Schmitt Stehende Fortunastatuetten des gleichen Bildty- pus sind auch aus dem Depotfund von Bingen und serzeit zu erfassen. Die in großer Zahl produzierten aus der Sammlung Fremersdorf bekannt. Letztere einheimischen Muttergottheiten spielen hier eine zeigt eine Ausformung aus einem so stark abge- wichtige Rolle. Aber auch die keltische Pferdegöttin nutzten Model, dass die Gewandfalten nachträg- Epona ist bezüglich ihrer Kleidung zu betrachten. lich eingeritzt werden mussten.13 Anhand dieser weiblichen Gottheiten kann Im Binger Fund sind neben den stehenden gezeigt werden, wie in den Provinzen die römischen Figuren auch zahlreiche auf einem Thron sitzende Kleidungstraditionen übernommen und inwieweit Göttinnen vertreten, darunter auch eine Fortuna sie verändert wurden. (Abb. 4). Göttinnen aus dem römischen Pantheon wie For- Die sitzenden Figuren sind ebenfalls mit Unter- tuna und Minerva lassen die hellenistisch-römische gewand und Mantel bekleidet und haben letzte- Kleidungsweise mit Tunika und Palla erwarten. Hier ren in einem Wulst über den Schoß gelegt14. Der ist also besonders auf Götterdarstellungen zu ach- Mantelsaum fällt in einem großen Bogen vom lin- ten, die davon abweichen. ken Knie zum rechten Fuß. Darunter erscheint das Die beliebte Fortuna ist in einem großen Typen- Untergewand in senkrechten Falten. spektrum überliefert. Sie wurde bereits von den Allerdings zeigt hier der Faltenwurf am Oberkör- ersten Werkstätten am Mittelrhein gefertigt9. Hier- per einen V-förmigen Ausschnitt. Der Stoff wird in bei wurden die stehenden Göttinnen sowohl mit der Mitte zusammengehalten und fällt nach unten gegürteter als auch ungegürteter Tunika in helle- wieder seitlich auseinander. Bei dieser Figur lässt nistisch-römischer Tragweise dargestellt. sich in der knopfartigen Verdickung in der Mitte Das erste Beispiel ist eine sehr feine Figur mit noch eine Fibel erkennen und somit die einheimi- Gürtel aus Kretz, Mayen-Koblenz (Abb. 1). Nach dem sche Drei-Fibel-Tragweise rekonstruieren. Sie wird Vorbild griechischer Statuen scheinen Brüste und nach der Frauendarstellung auf dem bekannten Bauchnabel durch die Kleidung. Das Untergewand Mainzer Blussus-Grabstein als Menimanetracht liegt um den runden Halsausschnitt in V-förmigen bezeichnet15. Falten und reicht am rechten Arm etwa bis zum Eine andere Variante dieser Fortunastatuet- Ellenbogen. Unter dem Bauch ist es vom Mantel ten ist in römischer Weise mit Tunika und Mantel bedeckt. Am linken Bein und über den Fußspitzen gekleidet. Festzuhalten bleibt, dass diese typisch erscheint es noch einmal in senkrechten Falten. Der römische Göttin in sitzender Position mit den Mantel dieser stehenden Fortuna ist schräg von der ersten mittelrheinischen Produktionen auch in linken Schulter zur rechten Hüfte um den Körper lokaler Kleidung erscheint16.

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Maria Schmitt

Die einheimische Menimanetracht wird in der Fol- breiten Wulst wiedergegebene Torques am Hals21. gezeit immer mehr vereinfacht dargestellt, so dass Darunter ist noch der Ansatz des langärmeligen schließlich nur noch ein kreuzförmiges Muster zwi- Untergewandes zu erkennen. Schließlich tritt deut- schen den Brüsten erkennbar ist. Dies ist etwa bei lich der mit einer Fibel hoch über der Brust zusam- der Muttergottheit mit Hund, ebenfalls aus dem mengehaltene Mantel hervor. Er ist um beide Schul- Binger Depotfund, zu beobachten (Abb. 5). Diese tern und Ellenbogen gelegt. Dazwischen wird die Statuette weist zwar einige feingliedrige Details bandartige Gürtung des Untergewandes sichtbar. auf, die Kleidung ist jedoch stark stilisiert wieder- Diese ubische Tracht ist auch auf vielen Wei- gegeben, mit einer Betonung von Rändern, die im hesteinen überliefert. Hierbei tragen jeweils die Stoffverlauf nie so erscheinen können17. außen sitzenden Matrones die große ubische Die Produktion von Muttergottheiten, deren Haube, während in der Mitte eine jüngere Frau Verehrung besonders in den gallischen und ger- ohne Haube sitzt. Solche Dreiergruppen wurden manischen Provinzen des römischen Reiches eine etwa ab der Mitte des 2. Jahrhunderts in Köln eben- große Rolle spielte, in Ton setzte in der Rhein-Mosel- so als Terrakotten produziert (Abb. 8). Bei diesen ist Region erst mit der Wende zum 2. Jahrhundert n. im Gegensatz zu den Weihealtären auch die Rück- Chr. ein, als das Figurenspektrum der Terrakotten seite der ubischen Hauben zu sehen22. stark vergrößert wurde18. Die so genannten Matres Auf der Rückseite der Bank, oder bei Einzelfi guren machten schnell die Hälfte der Terrakottenproduk- auf der Haubenrückseite, ließen die Töpfer, wie hier tion aus. Diese Figuren waren nicht an ein festes Fabricius, ihren Namen einritzen oder in erhabener Schema gebunden und variieren stark in der Dar- Schrift erscheinen. stellung. In der Mehrzahl sind sie auf einem Thron Bei diesen Dreiergruppen halten die Matronen sitzend dargestellt. Die Attribute Hund, Füllhorn Schalen und Früchte auf dem Schoß23. Alle tragen oder Früchte in ihrem Schoß sind nur bei Göttinnen ein Halsband mit lunula- oder schmetterlingsför- aus der Rhein-Mosel-Region bekannt. migem Anhänger. Das Untergewand füllt nur als Bei diesen einheimischen Muttergottheiten ungegliederte Fläche die Bereiche zwischen den sind ebenfalls beide Kleidungsweisen zu beobach- Mantelteilen. Dieser ist in breiten, stilisierten Fal- ten. So zeigt die sitzende Muttergöttin mit nach ten wiedergegeben. Vor der Brust ist er durch eine rechts gewandtem Hund auf dem Schoß aus dem etwa rechteckige Fibel zusammengehalten, danach Tempelbezirk von Dhronecken ein sehr stilisiertes, schwingt der Saum nach außen, um die Früchte auf römisch-hellenistisches Gewand (Abb. 6). Am Hals- dem Schoß der Göttinnen zu betonen. Über den ausschnitt sind noch die oberen Gewandfalten der ungegürteten Tunika zu sehen, bevor der um Abb. 5 (links) Muttergottheit mit Hund beide Schultern geschlungene Mantel die Brüste auf dem Schoß bedeckt. Unterhalb des Schoßes fällt der Mantel H. 14, 9 cm vom rechten Knie in bogenförmigen Falten zum Aus Bingen Landesmuseum Mainz linken Fuß, über dem rechten Fuß schaut noch ein Foto: M. Schmitt Ende der Tunika hervor19. Die weiteren Attribute, in der rechten Hand ein Zweig und in der linken Hand ein Apfel, sind nur noch zu erahnen. Abb. 6 (rechts) Eine besondere Variante von sitzenden Mutter- Muttergottheit mit Hund auf dem Schoß gottheiten mit Früchten und Ähren auf dem Schoß H. 17, 3 cm ist auf das Stammesgebiet der Ubier um das heu- Aus dem Tempelbezirk tige Köln begrenzt. Es sind die so genannten Matro- von Dhronecken Rheinisches Landes- nen mit ubischer Haube, die in ihrer speziellen museum Trier Tracht gezeigt werden (Abb. 7). Bei dem Exemplar Foto: T. Zühmer aus Jülich fällt sofort die große Haube, die nach H. v. Petrikovits wahrscheinlich aus Leinen war, auf20. Eine weitere Besonderheit ist der durch einen

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Abb. 7 Rhein (Abb. 10)28. Die Göttin sitzt im Damensitz auf Muttergottheit mit einem Pferd. Ihre Kleidung besteht in römisch-hel- Früchten Vorder- und Rückseite lenistischer Weise aus einem gegürteten, langen H. 15, 1 cm Untergewand und einem Mantel29. Die Ränder von Aus Jülich Tunika und Palla sind farblich hervorgehoben, eben- Museum Zitadelle Jülich Foto: Museum Zitadelle so Haar, Diadem und das Pferdehaar. In der rechten Jülich Hand hält sie wohl eine Frucht. Im Zuge der Vereinfachung wurde dieser Bildty- pus auch aus zwei Figuren, der eines Pferdes und der einer thronenden Muttergöttin, hergestellt, indem beide Teile in ein Model hineingedrückt wur- den. Die Göttin wirkt dadurch „aufgesetzt“, teilwei- se ist sogar der Sockel des Thrones noch vor dem Pferd zu erkennen wie bei der Statuette aus Mainz- Kastel (Abb. 9). Hier erscheint die Göttin zudem überproportional groß im Vergleich zum Pferd. Die Füßen schließt sich der Mantel dann wieder leicht sehr fl au ausgeformte Figur ist massiv. Als Stütze und reicht bis zu den Fußspitzen24. ist der Zwischenraum zwischen Standplatte und Eine weitere in den Provinzen beliebte Göttin, die Pferd als Platte weitergeführt. Auf der Vorderseite ebenso auf Weihealtären erscheint, war Epona (Abb. ist der Göttinnenthron unten noch gut zu erken- 9). Diese keltische Göttin beschützte die Pferde und nen. Die Kleidung der Göttin ist sehr stilisiert und die mit diesen agierenden Menschen. Obwohl sie scheint am Oberkörper nachgearbeitet zu sein. Das in den römischen Götterhimmel integriert und Untergewand ist nur durch zwei halbkreisförmig durch die berittenen Teile des Heeres weithin im um den Hals laufende kleine Wülste wiedergege- römischen Reich bekannt wurde, wurde sie niemals ben. Der Mantel ist über beide Schultern gezogen. mit einer römischen Gottheit gleichgesetzt25. Die breiten, schräg zur Mitte hinführenden Falten Die Tonstatuetten dieser reitenden Göttin wurden nachgezogen. Auf dem Schoß hält sie erscheinen in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts in einen Korb mit Früchten in blütenförmiger Anord- Ostgallien26. Hierbei wurde die Göttin im Rhein- nung. Ob der waagrechte Wulst über dem Korb Mosel-Gebiet fast immer mit Attributen der Mut- eine Mantelschließe darstellen soll, lässt sich nicht tergottheiten, Früchten oder Hund, dargestellt27. entscheiden30. Die Göttin hält wohl den Mantel Eine qualitätvolle Arbeit ist die noch mit Farb- mit den Händen auf den Knien. Darunter fällt der resten erhaltene Eponastatuette aus Boppard am Mantel in sehr fl auer Ausprägung, aber realistisch im Faltenwurf von der rechten Seite herunter zum linken Fuß31. Neben den Götterfi guren geben auch Votivfi - guren oder andere menschliche Darstellungen Auskunft über die Kleidung. Speziell in den gal- lischen und germanischen Provinzen fi nden sich hier Figuren mit dem so genannten gallischen Abb. 8 Kapuzenmantel. Dreiermatronen Bis jetzt ohne Vergleichsfund ist die rottonige H. 12, 7 cm Statuette eines Mannes aus dem Weisenauer Stein- Aus Köln Römisch-Germanisches bruch (Abb. 11). Von der nur in Fragmenten erhal- Museum der Stadt Köln tenen Figur fehlt die Basis32. Die vorhandenen Teile Foto: Römisch-Germa- lassen eher ein Cape als einen Mantel erkennen. nisches Museum der Stadt Köln/Rheinisches Charakteristisch ist die auf dem Rücken liegende Bildarchiv Kapuze, deren Mittelnaht wulstig hervorgehoben

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ist. Vorne ist der Beginn des Mantelverschlusses Alle Personen tragen den gallischen Mantel, bei Abb. 9 (links) senkrecht verdickt. Darüber ist ein fester, um den den beiden linken weiblichen ist er gegürtet. Um Aus zwei Elementen zusammengesetzte Hals geschlungener Schal in den Mantel gesteckt. den Hals der drei rechten Figuren (Männer) liegen Epona Ganze Familien oder Adorantengruppen wurden jeweils V-förmige Schals, die vorne in die Mäntel H. 11, 3 cm in Kapuzenmänteln dargestellt. Da es sich bei dem gesteckt sind. Die Mäntel sind, soweit erkennbar, Aus Mainz Landesmuseum Mainz nächsten Beispiel um Mann, Frau und drei Kinder glatt gearbeitet, vorne ist nur der Mantelverschluss Foto: M. Schmitt handelt und diese Figuren im Gebiet der Treverer durch zwei senkrechte Einkerbungen gekennzeich- hauptsächlich verbreitet sind, wird diese Figuren- net. Bei der mittleren großen Figur endet der Man- gruppe auch als Trevererfamilie bezeichnet. Eine tel über den Knien, der Saum ist wulstig verdickt. Abb. 10 (rechts) solche kam aus einem Grab in Kärlich bei Koblenz Beine und Füße sind ungenau von den Zwischen- Reitende Epona Aus Boppard zu Tage (Abb. 12). räumen abgesetzt und ausgeformt. Der Mantel des GDKE Amt Koblenz kleinen Jungen rechts reicht fast bis auf die Füße, Foto: GDKE Amt Koblenz genauso wie bei dem kleinen Mädchen links, des- sen Mantel gegürtet ist. Das Gewand der hinteren Frau ist fast vollständig verdeckt33. Insgesamt 14 dieser Figurengruppen kamen allei- ne bei den Grabungen im gallorömischen Tempel- bezirk vom Trierer Altbachtal zu Tage.34 Auch Tonfi guren von Zwergen oder Menschen mit grotesken Gesichtszügen konnten in gallischer Kleidung dargestellt werden. In der Rhein-Mosel- Abb. 11 Region weit verbreitet waren Statuetten von Zwer- Figur im Kapuzenmantel gen auf einer runden, mit ein oder zwei Randleisten Rück- und Vorderseite versehenen Basis. Der Eindruck entsteht durch die H. mindestens 9, 9 cm Aus Mainz sehr kleinen Füße, die unter dem Mantel hervor- Landesmuseum Mainz schauen. Besonders viele dieser Statuetten wurden Foto: M. Schmitt

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Abb. 12 (oben) betonte Hakennase lässt in der Figur die Karikatur Trevererfamilie eines Semiten vermuten. Auf der Stirn liegen drei H. 10, 5 cm horizontale tiefe „Denkfalten“. Seitlich hinter den Aus Kärlich LVR Rheinisches Landes- großen, wulstig ausgearbeiteten Ohren und hinten museum Bonn ist ein unregelmäßig strukturierter Haarkranz zu Foto: LVR Rheinisches sehen. Im Gesicht stehen die Augenbrauen wulstig Landesmuseum Bonn über den mit Lidern und Pupillen ausgearbeiteten Augen. Der Mann ist mit der Toga bekleidet. Am Hals sind noch die oberen Falten des Tunikaaus- schnitts zu sehen. Der im Vergleich zum Kopf klei- ne Arm schaut aus der Toga heraus, die in verschie- denen Bahnen um den Oberkörper geschlungen Abb. 13 (unten) ist. Seiten und Rücken geben fast keine Kleidungs- Zwerg mit Schriftrolle struktur wieder. Vorder- und Rückseite Im Mainzer Landesmuseum werden zudem Ton- H. 12, 6 cm Landesmuseum Mainz büsten von jugendlichen Männern in römischer Foto: M. Schmitt Militärkleidung (Abb. 15) verwahrt. Auch sie sind als Rasseln gearbeitet39. in den Heiligtümern der Treverer gefunden. Manche Die fl au ausgeformten Männerbüsten geben nur halten eine teilweise aufgerollte oder geschlossene grobe Gesichtszüge wieder, um die in einzelnen Schriftrolle in einer Hand, wie das Exemplar aus Strähnen angedeutet das Haar liegt. Von der Klei- Mainz (Abb. 13)35. Hier zeigen zwei runde Ritzungen dung ist nur das Sagum, ein kurzer Militärmantel, am unteren Halsansatz, dass nachträglich ein ande- zu erkennen. Der Stoff ist im Bogen um den Hals rer Figurenkopf angebracht wurde. Dieser ist glatz- gelegt und an der rechten Schulter mit einer nur als köpfi g, wie die meisten Darstellungen. Am Hinter- Verdickung angegebenen Fibel zusammengesteckt. kopf befi ndet sich ein langer Schlitz, innen liegt ein An den Seiten sind die Gewandfalten durch Kerben Stein oder eine Tonkugel zum Rasseln. nachgearbeitet. Charakteristisch ist der ungegürtete gallische Bei einer weiteren Soldatenbüste lässt sich nicht Mantel, der von den Oberarmen und Ellbogen in mehr entscheiden, ob sie eine Rassel war, denn der breiten, tiefen, vertikalen Falten zu den Beinen fällt Kopf ist abgebrochen (Abb. 16). Wieder zeigen sich und dort in einem geraden Saum endet. Die Man- die groben Falten des um die Schultern gelegten telärmel bedecken die Oberarme bis über die Ell- Militärmantels und auf der rechten Schulter eine bogen. Darüber liegt ein dreieckiges Cape, dessen Verdickung für die Fibel. Da hier der untere Bereich Spitze hinten bis zum Mantelsaum reicht. Es wurde inklusive der runden Basis erhalten ist, lassen sich seitlich hoch gerafft, so dass es vorne und hinten am unteren Ende des Mantels Fransen erkennen. nur noch in großen V-förmigen Falten nach unten Es handelt sich hierbei also um ein Sagum frimbia- hängt. Bei dem Mainzer Zwerg liegt die Kapuze hin- tum40. Von der linken Schulter hängt das in schräge ten auf dem Rücken, angedeutet durch die Mittel- Falten gelegte Mantelende senkrecht hinunter41. naht und seitlich davon wulstig nachempfundenen Nach Tonzusammensetzung, Machart und Frisur Stoffpartien. Bei manchen Figuren ist die Kapuze dieser Büsten ist ihre Produktion ins 3. Jahrhundert über den Kopf gezogen36. Vorne zeigen zwei wul- n. Chr. zu setzen. stig ausgearbeitete, senkrechte Streifen unter dem So lassen sich an römischen Terrakotten verschie- Halsansatz den Ausschnitt des Umhangs37. dene Bekleidungselemente beobachten. Die Interpretation eines anderen, als Rassel gear- Die Beispiele geben einen ersten Überblick über beiteten Einzelstückes aus Mainz ist schwierig. die Darstellung von Kleidung auf Tonfi guren der Dargestellt ist ein bärtiger alter Mann mit Halb- Rhein-Mosel-Region. glatze, der sich mit dem Kinn auf die Schriftrolle Hierbei zeigt sich, dass bei den Götterbildern die in seiner rechten Hand stützt (Abb. 14)38. Die stark Kleidung nicht immer ausschlaggebend für die

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Weihe- oder Grabsteine zurückgegriffen werden. Abb. 14 (links) Hinter beiden Bildgattungen steht derselbe reli- Alter Mann mit Schrift- rolle giöse Gedanke der Verehrung; allerdings waren Vorder- und Seitenan- die Tonstatuetten einfacher und volkstümlicher sicht gehalten und somit wesentlich preiswerter für den H. 11, 4 cm Landesmuseum Mainz Weihenden. Dank der großen Zahl der Tonfi guren Foto: M. Schmitt und ihrer Verbreitung lässt sich der Einfl ussbereich einer Gottheit oder eine spezielle Kleidung klarer fassen als mittels der Steinskulpturen oder -reliefs. Anders liegt der Fall bei den Darstellungen von gewöhnlichen Sterblichen. Die meisten Figuren und Darstellung der entsprechenden Gottheit war. Die Büsten müssen wegen der vielen Funde in Tempel- beigefügten Attribute waren das primäre Erken- bezirken als Dedikanten oder Genii, um deren Hilfe nungsmerkmal der Gottheit. Die Töpfer waren man bat, angesehen werden. Sie wurden in dem für frei, die Göttinnen in römisch-hellenistischer oder die gallischen Provinzen typischen Kapuzenmantel einheimischer Kleidung darzustellen. Dies richtete gezeigt, der von Männern und Frauen, bei letzteren sich nicht zuletzt nach den zur Verfügung stehen- immer gegürtet, getragen wurde. In religiösem den Vorlagen. Zusammenhang zeigten sich die Menschen also in Die Mehrheit der Gottheiten aus dem römischen einheimischer Kleidung43. Pantheon ist römisch-hellenistisch gekleidet. Dies Die Funde von Soldatenbüsten verweisen auf gilt vor allem für die stehenden Göttinnen. Die den besonderen Einfl uss des römischen Militärs im Abb. 15 (oben) thronenden Statuetten des 2. und 3. Jahrhunderts Rheinland. Junger Mann im Solda- tenmantel zeigen vorwiegend die einheimische Drei-Fibel- Schwierig ist die Interpretation der als Rasseln H. 9 cm Tracht der Menimane in stilisierter Form. In dieser gebrauchten Figuren und Büsten44. Karikaturen und Landesmuseum Mainz Zeit überwiegt mit der Darstellung der einheimi- Rasseln sind von den ägyptischen Figurinen der hel- Foto: M. Schmitt schen Muttergottheiten auch die stilisierte Fibel- lenistischen Periode bekannt45. In römischer Zeit tracht42. sind sie ein wichtiger Bestandteil im Isis-Kult. Aber Eine nur auf das Stammesgebiet der Ubier ist diese Interpretation auch auf die Tonfi guren in begrenzte Bekleidungsart zeigen die dort verehrten den Nordwest-Provinzen des römischen Reiches zu Matronen. Der mit einer Fibel geschlossene Mantel übertragen? Was bedeuten hier die gallischen Män- und besonders die großen Hauben sind Kennzei- tel im Zusammenhang mit Attributen wie Schrift- chen dieser nur in der Kölner Region produzierten rollen oder dem zwergenhaften Erscheinungsbild? Statuetten. Konnten solche Rasseln auch als Spielzeug produ- Die Ausformung der Statuetten wurde bei allen ziert worden sein? Figuren im Laufe der Massenproduktion des 2. Jahr- Es wird weiterhin zu untersuchen sein, wie weit hunderts immer einfacher und stilisierter. sich das Verbreitungsgebiet der einzelnen Figu- Daneben wurden aus einzelnen Figuren neue rentypen erfassen lässt: Welche Unterschiede sind Typen kreiert, wie zum Beispiel aus einer Mutter- bereits in der Moselregion erkennbar und wie setzt gottheit zu Pferd eine Epona werden konnte. Als sich hiervon wiederum der zentralgallische Bereich einheimisches Kleidungselement kann ein capear- ab? Lassen sich dort auch noch Figuren in Kapuzen- Abb. 16 Junger Mann im Solda- tiger Mantel über einem langärmligen Unterge- mänteln nachweisen? Und welche Darstellung ist tenmantel, der Kopf der wand angesehen werden. dort für die verschiedenen Göttinnen typisch? kleinen Büste ist abge- Bei den gesondert ausgearbeiteten Eponafi gu- Dank der Betrachtung der Kleidung römischer Ter- brochen. H. 9, 2 cm ren besteht die Bekleidung aus einer gegürteten rakotten lässt sich die Vermischung von römischen Landesmuseum Mainz Tunika und einer Palla. und einheimischen Vorstellungen und Traditionen Foto: M. Schmitt Für die Interpretation der einzelnen Kleidungs- fassen. Sie gibt uns Einblicke in das religiöse Leben elemente muss wegen der fl auen Formen der der Provinzbewohner und zeigt, wie darin göttliche Terrakotten auch auf Statuen und vor allem auf und menschliche Figuren dargestellt wurden.

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1 A. Böhme-Schönberger und S. Mitschke: Die römischen Stoffe aus Mainz, Baustelle Große Langgasse / Ecke Emmeranstraße. Arch. Textiles Newsletter 42, 2005, S. 22-44. 2 Anhand der römischen Tonfi guren können allerdings keine Detailaussagen zur Kleidung gemacht werden. Bereits die Größe (etwa acht Zentimeter bei Büsten und bis zu zwanzig Zentimetern bei stehenden Figuren) schränkt die Wiedergabe von Details ein. Da bei der Massenproduktion meist nur zwei Modelhälften verwendet wurden, musste auf weitere Feinheiten verzichtet werden. Gut ausgearbeitete Figuren fi nden sich in den germanischen Provinzen und der Gallia Belgica eher in Fundzusammenhängen vom Ende des 1. bis zum frühen 2. Jahrhundert n. Chr. Um die Mitte des 2. Jahrhunderts werden viele Typen weiter vereinfacht. Zudem erschwert die oft fl aue Ausprägung, entstanden wegen der Wiederverwendung von Terrakotten als neue Modelvorlage, eine genaue Beschrei- bung. Daher lassen sich Terrakottafi guren nur zum Nachweis bestimmter Kleidungselemente und -traditionen anführen. 3 G. M. E. C. van Boekel: Roman Terracotta Figurines and Masks from the , Groningen 1987, S. 203. Ausgangspunkt dieser Arbeit sind die Terrakotten des Mittelrheinischen Landesmuseums in Mainz. 4 Die Terrakottenproduktion endet in Köln in der 1. Hälfte des 3. Jahrhunderts, siehe H. Lange: Die Koroplastik der Colonia Claudia Agrip- pinensum. Untersuchungen zu Typologie, Technik, Werkstattfunden, Betrieben, Signaturen und Produktionszeit. Kölner Jahrbuch 27, 1994, S. 117. Durch die Werkstattfunde in Köln Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand diese Region lange Zeit im Zentrum der deutschen Terrakottenforschung. Charakteristisch ist für diese Massenware ein feiner weißer Pfeifenton. Vereinzelt fi nden sich in der so genannten Mittelrheingruppe auch Figuren aus rötlichem, etwas gröberem Ton. Die Figurinen aus dem Trierer Raum sind vorwiegend aus rötlichem Ton hergestellt und mit einem weißen Überzug versehen. Selten lassen sich fl ächige Bemalungen nachweisen. Meistens wurden einzelne Körperteile oder Attribute mit heute dunkelbraun erscheinender Bemalung hervorgehoben. 5 Beispiele Brunnenfunde: Mainz: Fortuna, Minerva, Venus, weibliche Büste und Taube: Mainzer Zeitschr. 60/61, 1956/66, S. 171-173 und Taf.28f.; Augst: Mann im Kapuzenmantel: S. Fünfschilling:Das Quartier „Kurzenbettli“ im Süden von Augusta Raurica. Forschungen in Augst Band 35/1, 2006, 1/192f. und 2/340f. 6 Bereits 1895 wurde bei Bauarbeiten in der Binger Hasengasse ein Lager mit vielen Terra-sigillata- und Terrakottenfunden entdeckt und ausgegraben. Das Spektrum der Figuren umfasst die Göttinnen Fortuna, sitzend und stehend, Minerva, Muttergöttinnen mit Hund, Venus und Diana sowie Liebespaare und männliche Büsten mit Lunula-Anhänger. Von fast jedem Typus gelangte ein Exemplar in das mittelrheinische Landesmuseum. Wie viele Figuren insgesamt gefunden wurden, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren, da die Stücke zumeist fragmentiert waren und zudem unter den Ausgräbern verteilt wurden. Die Brandschicht, in der die Tonprodukte lagen, lässt sich nach einer neuen Grabung in unmittelbarer Nähe in die siebziger Jahre des 2. Jahrhunderts n. Chr. datieren. im Depotfund von Bingen zeigen alle sitzenden Göttinnen, Fortuna, Minerva und die Muttergottheiten mit einem Hund im Schoß, das gleiche Kleidungsschema. Hier konnte auch eine Grundfi gur entsprechend ihrer Bedeutung mit Diadem, Helm und den jewei- ligen Attributen zusätzlich ausgestattet worden sein. 7 Nach einer statistischen Auswertung der im Bereich Niedergermanien,Belgica, nördliche Germania superior, Raetien und Noricum gefundenen Terrakotten mütterlicher Gottheiten von G. Schauerte 1985 ergibt sich folgende Fundverteilung: Von 1000 TK stammen 70 % aus einem bekannten Kontext und sind nach ihrer Fundstelle grob einzuordnen: Von 1000 TK entfallen auf Heiligtümer 33,5 %, auf Militär- und Zivilsiedlungen 15, 7 % und auf Gräberfelder 14, 9 % und auf Töpfereibezirke 5, 9 %. Vor allem bei Siedlungsfunden ist jedoch auch eine profane Bedeutung (Spielzeug) in Betracht zu ziehen. Der Fundkomplex aus Duppach-Weiher wird zur Zeit von P. Henrich publiziert. 8 Dabei können allerdings nicht die Statuetten des sehr beliebten und auch mit keltischen Gottheiten verbundenen Merkur berück- sichtigt werden, da er aufgrund seiner traditionellen Darstellung, genauso wie Venus, Apollo, Bacchus und andere, keine Aussagen zur Kleidung geben kann. 9 G. Schauerte: Darstellungen mütterlicher Gottheiten in den römischen Nordwestprovinzen, in: Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuro- pas, Beihefte der Bonner Jahrbücher Band 44, Köln – Bonn 1987, S. 88.; G. Schauerte: Terrakotten mütterlicher Gottheiten. Formen und Werkstätten rheinischer und gallischer Tonstatuetten der römischen Kaiserzeit, Beihefte der Bonner Jahrbücher Band 45, Bonn 1985, Typ F 2.1.1 und F 2.1.2. 10 Schauerte 1987, wie Anm. 9, Taf. 48. Der Mantel fällt bei frühen Figuren in einem hohen Bogen bis unter das Knie des linken Spiel- beins, bevor er über den linken Arm gelegt wird. Die Rückseite ist hier etwas gröber wiedergegeben. Der Mantel ist jedoch klar vom Untergewand abgesetzt und fällt in breiten Schräg- und Längsfalten bis zu den Knöcheln nach unten. Darunter reicht in etwas

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feineren Längsfalten die Tunika bis auf den Boden. Datierung: 1. Viertel 2. Jahrhundert n.Chr. Höhe 15,3 cm. Rheinisches Landesmuseum Bonn Inv. Nr. 37,479r. 11 Auf der Rückseite gehen vom Haaransatz ab unnatürlich verlaufende Schrägfalten des Untergewandes nach unten. Bei diesem Exem- plar fi nden sich schwarze Farbreste am Mund und in drei Streifen an der linken Hand. Höhe 13,4 cm. Landesmuseum Mainz Inv. Nr. R 5882. 12 Schauerte 1985, wie Anm. 9, Typ 2.1.3, Nr. 412, Gräberfeld „Auf Esch“, Brandgrab 50. Eine aus Mainz-Weisenau stammende Figur der Sammlung Fremersdorf (Inv.-Nr. F 4419) entstammt dem gleichen Modeltyp, ist jedoch viel grober ausgeformt und nachgearbeitet. 13 Der untere Bereich ist ergänzt. Im Unterschied zu dem Exemplar aus Groß-Gerau sind hier die Falten des Mantelwulstes parallel und nicht tordiert nachgeritzt. Das mondsichelförmige Diadem, das unter dem Schleier hervortritt, weist wie Mund und oberes Füllhorn- ende schwarze Farbreste auf. Am Füllhornansatz haben sich rötliche Farbspuren erhalten. Höhe 14,7 cm. Landesmuseum Mainz Inv. Nr. F 4419. 14 Schon bei der ersten Gruppe dieser Variante von Fortunastatuetten entspricht die Linienführung nicht der ursprünglichen Gewand- fältelung. Teilweise wird der Mantelwulst auf dem Schoß auch noch schräg gekerbt, was nie dem natürlichen Faltenwurf entsprechen kann. Schauerte 1985, wie Anm. 9, S. 195. Diese Figur hat wie alle Exemplare des Binger Fundes eine fl aue Ausprägung. Erhalten haben sich am Diadem bläulich-schwarze, evt. am Mund und an der Basis bzw. am Thron schwarze Farbreste. Höhe 14 cm. Landesmuseum Mainz Inv. Nr. R 3198 15 Die Fibeln auf der Schulter sind nicht ausgearbeitet. Bei vielen Figuren lässt sich auch die Mittelfi bel auf der Brust nicht mehr genau nachweisen, sondern nur noch im Stoffverlauf nachvollziehen. 16 Dabei ist mir bis jetzt keine Figur aus einem nachgewiesenen Fundzusammenhang vor dem 2. Jahrhundert n. Chr. bekannt. Eventuell wurde zuerst mit der Produktion von stehenden Figuren begonnen, bevor die Masse der Göttinnen auf einem Thron sitzend darge- stellt wurde. 17 Auch an dieser Figur sind schwarze Farbreste an dem haubenartigen Diadem, der Lippe und den Thronseiten erhalten: Landesmuseum Mainz: Inv. Nr. R 3196 und R 3197. 18 Schauerte 1987, wie Anm. 9, S. 88f. 19 Das Heiligtum von Drohnecken wird in das Ende des 4. Jahrhundert datiert. Höhe 17, 3 cm. Rheinisches Landesmuseum Trier, Inv. Nr. 99,787. Schauerte 1985, wie Anm. 9, S. 283f. Nr. 727, Taf. 86, 1-3. 20 H. von Petrikovits: Matronen und verwandte Gottheiten, in: Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas, Beihefte der Bonner Jahrbücher Band 44, Köln – Bonn 1987, S. 246f. 21 Jülich/Juliacum (Düren), Mariengartenstr. 1a, röm. Gräberfeld, Grab 3, datiert etwa 2. Drittel 2. Jahrhundert, Höhe 15,1 cm. RGM Köln Inv. 68, 1. Nach den Details der Attribute, der Manteldrapierung und -falten und der Form des Thrones lassen sich mehrere Serien dieser Matrone unterscheiden: Lange 1994, wie Anm. 4, S. 260. 22 Demnach war die Haube wohl in der Mitte durch ein weiteres eingezogenes Band, das einen Mittelknopf bildete, nochmals am Kopf befestigt. Die mittlere Göttin zeigt mit ihrem offenem Haar und dem teilweise zu erkennenden Scheitelschmuckband, dass sie noch unverheiratet bzw. jungfräulich ist. 23 Auf der Rückseite in großen erhabenen Buchstaben Signatur: CCAA IPSE / FABRICIUS F(ecit). FO: Köln, Bonner Str. 261/Matthias- Kirchplatz, bei Aushub des Kellers für Neubau 1923. Datierung: 2. Hälfte 2. Jahrhundert, Höhe 12,7 cm. RGM Köln: Inv.-Nr.: 23,35. Lange 1994, wie Anm. 4, S. 259f. 24 Die Mantelschließe ist bei der mittleren Figur hier nicht zu erkennen. Auf der Rückseite ist die gefl ochtene Bank, mit in drei Rundbögen endender Rückenlehne, zu erkennen, auf der die Matronen sitzen. 25 R. Geschlößl, Antike Welt 38. Jahrgang, 1/2007, S. 91 ff.; Van Boekel 1987, wie Anm. 3, S. 301. 26 Mit dem Rückzug der römischen Truppen aus den verschiedenen Reichsteilen verschwinden die bildlichen Darstellungen der Epona in Stein sowie in Bronze, ebenso die entsprechenden Tonstatuetten: M. Euskirchen: Epona, Ber. RGK 74, 1993, S. 623. 27 Euskirchen 1993, wie Anm. 26, S. 627. Dabei greift sie die Typologisierung von W. Schleiermacher auf, der die gallischen Denkmäler der Epona bereits in einen mittelgallischen Typ mit Füllhorn und patera und einen ostgallisch-rheinischen Typus mit Früchten unterteilte. Nur die rhein-moselländische Variante mit Hund auf dem Schoß wird bei Schleiermacher noch nicht erwähnt. 28 Sie wurde zusammen mit einem eisernen Pferdeschuh in einem Haus des römischen Bodobriga geborgen. Datierung 1. bis 3. Jahr- hundert n. Chr. Denkmalpfl ege Koblenz. Van Boekel 1987, wie Anm. 3, S. 305.

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Kleidungselemente an römischen Tonfiguren

29 Euskirchen 1993, wie Anm. 26, S. 711ff. 30 Auf dem Kopf sitzt ein Diadem oder ein Strahlenkranz. Darunter umspielen bis auf die Schulter fallende Locken den Kopf der Göttin, in der Mitte des Hinterkopfes sitzt ein Knoten. Die Gestaltung des rundlichen Gesichtes mit knopfartigen Locken und einer dicken Nase ist kennzeichnend für die Produktion im Moselgebiet. Gestützt wird diese Annahme durch den karminroten, grob gemagerten Ton mit weißem Überzug. Höhe 11,3 cm. Landesmuseum Mainz: Inv.-Nr.: R 5914. 31 Dieser Teil ist nicht nachgearbeitet. Die Rückseite der Figur bleibt fast ungestaltet und zeigt keine Kleiderstruktur. 32 Auf dem Ton sind noch Reste eines weißen Überzugs erhalten. Ein nicht anpassendes Fragment der Vorderseite schließt unten ganz gerade ab, sodass es nicht sicher ist, ob hier noch eine Basis zu ergänzen ist. Mainz-Weisenau, Grabung im Steinbruch 1949/1952. Höhe max. 9,9 cm. Landesmuseum: Inv.-Nr.: 70/133. 33 Kärlich (Mayen-Koblenz), Gräberfeld „Am guten Mann“, Grab 74/b. Datierung: 2. Jahrhundert n. Chr. Höhe, 10,5 cm. LVR Rheinisches Landesmuseum Bonn Inv.-Nr.: 38,1229c. Lange 1994, wie Anm. 3, S. 289 Serie 248. Nr. 3. Eine Mainzer Figurengruppe ist eventuell eine fl aue Ausformung aus dem gleichen Model. 34 E. Gose: Der gallorömische Tempelbezirk im Altbachtal zu Trier. Trierer Grabungen und Forschungen Band 7, 1972, S. 203 Abb. 387, 7. 35 Es wurde leider ohne Fundzusammenhang aus dem Innenstadtbereich geborgen. Die Beine sind hier nur vorne aus einer zylindrischen Form herausgearbeitet, die Rückseite bleibt glatt. Ton blaßrötlich, weißliche Überzugsreste. Landesmuseum Mainz: Inv.-Nr.: 0,3921 = 61/109 36 So z.B. bei einem Exemplar aus Augst: Fünfschilling 2006, wie Anm. 5, S. 192. Bei dem Mainzer Zwerg ist die Kapuze viel zu klein für den Kopf. Aus dem Tempelbezirk Trier Altbachtal ist ein entsprechender Zwerg mit bärtigem Kopf bekannt: Gose 1972, wie Anm. 34, Abb. 287, 4. 37 Van Boekel interpretiert diese Wülste als Riemen zum Befestigen des Capes: Van Boekel 1987, wie Anm. 3, S. 297. Eindeutig entscheiden lässt sich dies nicht. Auf der Schulter des Mainzer Zwerges kann ein Riemen angedeutet sein, der den Umhang zusammenhält, dies ist jedoch erst noch an anderen Statuetten zu verifi zieren. 38 Ein Modelfehler zeigt sich in einem kleinen Wulst neben dem Daumen, unter der Nase ist der Übergang zum Mund nicht richtig ausgearbeitet oder nach dem Entnehmen aus dem Model verstrichen. Durch den gelblichen, mittel gemagerten Ton ist eine Produk- tion der Rhein-Mosel-Region ausgeschlossen. Höhe max. 11,4 cm. Landesmuseum Mainz: Inv.-Nr.: 0,5570. 39 Beide Exemplare sind aus rötlichem, braun-grau verbrannten Ton, eines zeigt ursprünglich weiße Überzugsreste. Das besser erhaltene Exemplar ist abgebildet, auch hier fehlt jedoch der untere Abschluss. Bei beiden Köpfen befi ndet sich im Nackenbereich ein aufge- setzter, schlecht verstrichener Tonklumpen. Hier wurde wohl die Tonkugel zum Rasseln eingelassen und das Loch danach verschlossen. Um eine dreieckige Büstenform zu erhalten, wurde die rechte Seite grob mit dem Messer nachbearbeitet. Landesmuseum Mainz: Inv.-Nr.: R 5894 (Höhe max. 9,2 cm) und 0,5538 (Höhe max. 8,2 cm, nicht abgebildet). 40 Dieses meist rechteckige, oft an einer Längsseite mit Fransen verzierte Wolltuch war der Mantel des einfachen Soldaten. Nachdem es im 1. Jahrhundert von der Paenula verdrängt worden war, kam das sagum im frühen 3. Jahrhundert wieder in Gebrauch und wurde zum Standardmantel der späten Kaiserzeit: M. Junkelmann, Die Legionen des Augustus, Mainz 1986, S. 157. 41 Durch Kriegsschäden ist die Figur komplett schwarz, laut Inventarbuch war sie rottonig mit einem weißen Überzug. Höhe max. 9,2 cm. Landesmuseum Mainz: Inv.-Nr. R 5895. 42 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass keltische Gottheiten erst mit der Romanisierung der Bevölkerung in dieser Weise dargestellt wurden. Aus vorrömischer Zeit sind in den nordwestlichen Provinzen vorwiegend Figuren aus Holz überliefert. Die Kleidung spielte bei der Darstellung jedoch keine Rolle. 43 Die Interpretation des Toga tragenden Semiten muss hier außen vor gelassen werden, da diese Figur eindeutig als aus einem ande- ren Kulturkreis kommend gekennzeichnet ist. 44 Im Mainzer Landesmuseum sind neben Löwen folgende Figuren als Rasseln gearbeitet: Frauenkopf mit Diadem, Zwerg mit Schrift- rolle, Büste junger Männer im Soldatenmantel und Büste eines alten Mannes mit Schriftrolle. 45 Ägyptische Karikaturen von Zwergen aus der hellenistischen Periode konnten einen lesenden Priester darstellen. Das Rasseln mit der Figur sollte vielleicht böse Geister fernhalten: Van Boekel 1987, wie Anm. 3, S. 298.

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Ursula Rothe

Gallische Frauenkleidung in römischer Zeit

Ein wertvolles Ergebnis der neusten Forschungen mit einer vertikalen Öffnung für das An- und Aus- zur Kultur der römischen Provinzen ist das allmäh- ziehen. Diese Öffnung wurde mit einer oder mehre- liche Ablehnen der Idee, dass die Begriffe einhei- ren kleinen Fibeln verschlossen. Über dem Unterge- misch und römisch Gegensätze sind. Es ist schon wand wurde ein lockeres, ärmelloses, knöchellanges für viele Situationen und Regionen gezeigt wor- Obergewand getragen. Es bestand aus einem Stoff- den, wie einheimische Kulturelemente im Zusam- zylinder, der auf den Schultern mit einem Paar gro- menleben mit römischer Kultur gedeihen konnten ßer Fibeln, getragen mit dem Kopf nach unten, und (zuletzt Hingley 2005, bes. S. 91-116), und dass dies an der Brust mit einer weiteren Fibel zusammen- eine kulturelle Identität solcher Bevölkerungen gehalten wurde. Dank letzterer entstand ein w-för- widerspiegelt, die sich aus einem römischen und miger Faltenwurf, der die Identifi zierung dieses einem weiterbestehenden, einheimischen Teil Ensembles in Darstellungen wesentlich erleichtert2. zusammensetzten. Der vorliegende Beitrag möchte Das peplosartige Obergewand wurde wohl meist diese Sicht anfechten, oder, besser gesagt, ergän- gegürtet getragen, denn ein Gürtel vermindert das zen mit einem etwas komplexeren Bild, gezeichnet Gewicht des Stoffes an den Schulterfi beln wesent- anhand des Bekleidungsverhaltens.1 Die Geschich- Abb. 1 te der Frauenkleidung in Nordgallien und vor allem Grabstein für Blussus und beim Stamm der Treverer weist auf eine neue, brei- Menimane (Detail) ter gefächerte einheimische Identität hin, die unter Aus Mainz-Weisenau Landesmuseum Mainz römische Herrschaft entstand. Foto: Landesmuseum Mainz, U. Rudischer Vorrömische Kleidung im Trevererraum Die Quellen für Kleidung im römischen Europa fließen bekanntlich spärlich. Der Trevererraum wurde als Teil einer größeren Studie (Rothe 2009) ausgewählt sowohl wegen seines reichen Quellen- materials als auch wegen dessen chronologischer Kontinuität von der vorrömischen (vor allem Fibeln) bis zur spätrömischen Zeit (vor allem Grabdarstel- lungen). Trotz offensichtlicher Probleme mit der Lückenhaftigkeit in der Überlieferung und der unterschiedlichen Interpretation von Grabkunst und Fibelfunden ist es dennoch möglich, eine Chro- nologie der weiblichen Kleidung in der Region vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. zu postulieren. Die Kleidung, die von Frauen auf den frühsten Grabporträts der Region getragen wird, zeigt zusammen mit Fibelfunden in vor- und frührö- mischen Gräbern, dass die Trevererinnen dieser Zeit ein Kleiderensemble trugen, das heutzutage oft Menimanetracht genannt wird, nach dem Namen einer Frau auf einem claudischen Grabstein aus Mainz (Abb. 1) (Espérandieu VII 5815 = CIL XIII 7067; Boppert 1992, Nr. 2). Es bestand aus einem engen Untergewand von unbekannter Länge mit engen, langen Ärmeln und einem engen Halsausschnitt

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Gallische Frauenkleidung in römischer Zeit

lich. Darüber kam ein großer, rechteckiger Umhang, 15) listet 32 Fundstellen auf, dreißig innerhalb des der auf vielfältige Art drapiert werden konnte und Treverergebietes und zwei außerhalb. Sie zeigte, oft auf der Schulter mit einer großen Fibel gehal- dass dies eindeutig eine treverische Form war und ten wurde. Auf dem Kopf saß eine runde Haube wie dass „Kragenfi beln sehr wohl einen ethnischen eine Baskenmütze. Accessoires waren oft ein Schal, Indikator darstellen und wir sicher davon ausge- ein Torques und/oder ein großer, scheibenförmiger hen können, dass sich hinter diesen beiden hier Anhänger am Hals. vorgestellten Kragenfi belformen unterschiedliche Es gibt einige Belege für dieses Ensemble in Stammesgruppen verbergen“ (Böhme-Schönber- Grabkomplexen, aber die zeitliche und räumliche ger 1994, S. 125). Während diese Theorie auch von Verteilung ist etwas schwerer zu erfassen. Die ein- Böhme-Schönberger dazu verwendet wurde zu zige bekannte Darstellung des Ensembles außer- argumentieren, dass die einheimische Bevölke- halb des Trevererraumes trägt ein Grabstein aus rung von Rheinhessen zwar eng verwandt, aber Xanten. Dort ist es an einer Frau zu sehen, deren doch unabhängig von den Treverern war, eine The- Bruder Silvanus, mit dem sie abgebildet ist, ein Rei- orie, die sowohl mit der Sicht Caesars in „De Bello ter in der Ala Vocontiorum und, laut Inschrift, ein Gallico“ (bes. Caes., B Gall. 3.11; 6.29; 6.32.) als auch Treverer war (CIL XIII 8655; Espérandieu IX 6592). mit der von mehreren modernen Gelehrten8 bricht, Auf der Grundlage der Grabsteindarstellungen doch sind die Schlussfolgerungen aus so klar grup- scheint Menimanes Ensemble sich auf das 1. Jahr- pierten Fibeln eindeutig: Stammesidentitäten wur- hundert n. Chr. und auf den Teil des Treverergebiets den in der Kleidung ausgedrückt und Menimanes entlang des Rheins zu beschränken, wo die ersten Ensemble ist ein Beispiel dafür9. zivilen Porträts aus der Region einheimische Frauen Gegen Ende des 1. Jahrhunderts verschwand in diesem Ensemble darstellen (zum Beispiel, Bop- Menimanes Ensemble aus den Grabporträts und pert 1992, Nr. 2, 3, 5, 12; Espérandieu VII 5770, 5815; wurde durch ein neues, das so genannte gallische VIII 6138, 6184; XI 7758, 7759; XIV 8524, 8527)3. Aber Ensemble, ersetzt. Zu bedenken ist, dass dieses diese Kleidung kann wohl auch für den Rest des neue Ensemble keine Metallbestandteile hatte10, so Trevererraumes vermutet werden, denn die zivilen dass es archäologisch schwer fassbar ist. Zur glei- einheimischen Porträts im Westen des Trevererge- chen Zeit, als Menimanes Ensemble verschwand, bietes beginnen ein oder zwei Generationen später begegnet man auch den entsprechenden Fibeln als am Rhein, wo die lokale Bevölkerung zum ersten (und Fibeln im Allgemeinen) nicht mehr in Grab- Mal mit römischem Grabbrauch durch die militä- kontexten (Leifeld 2007, S. 259; Wild 1985, S. 399, rischen Steinmetzen in Berührung kam. Darüber 412). Es scheint, dass die Aufgabe der vorrömischen hinaus zeigen die Fibelfunde, die auf Menimanes Stammeskleidung zugunsten eines Ensembles Ensemble hindeuten, eine klare örtliche Verteilung. ohne Fibeln ein allgemeines Phänomen des späten In der Menimane-Kombination erscheinen sie in 1. und des frühen 2. Jahrhunderts war, was dazu Grabkomplexen von der jüngeren Eisenzeit bis ins verlockt, es mit der Integration dieser Region ins späte 1., in einigen wenigen Fällen bis ins 2. Jahr- römische Reich zu verbinden. hundert n. Chr. (Decker 1968, S. 41ff.; Wild 1985, S. 399, 412; Martin-Kilcher 1993, S. 185ff.)4. Die räum- Das weibliche gallische Ensemble liche Verteilung dieser Funde, wie Wild sie 1985 Das gallische Ensemble bestand aus einem lang- darstellte, ist eindeutig auf das Gebiet der Treverer ärmeligen, knöchellangen, ungegürteten Körper- konzentriert, läuft aber auch ins Gebiet der Medio- gewand, einem rechteckigen Umhang, der ver- matrici, eines Stammes mit besonders engen Ver- schieden drapiert werden konnte, und manchmal bindungen zu den Treverern5, und das der Remern6. einer runden Haube ähnlich der von Menimane. Ein noch deutlicheres Bild liefert die räumliche Gewandform und Umhangdrapierungen variierten Verteilung des Fibeltyps, der von Menimane getra- zeitlich und regional. Zum Beispiel unterscheiden gen wird: die Kragenfi bel7 (Trier-Wincheringen) Wild und Böhme zwischen einem ungegürteten wird fast ausschließlich bei den Treverern gefun- Gewand mit kurzen Ärmeln (Abb. 2)11 und einem mit den. Böhme-Schönberger (1994, S. 124, dort Abb. langen, engen Ärmeln (Abb. 3)12. Allerdings gibt es

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Ursula Rothe eine beträchtliche Grauzone dazwischen, es scheint zeitliche Entwicklung ist eine andere. Ich habe an sich um Variationen des gleichen Kleidungsstücks anderer Stelle ausgeführt, dass die Tunika der Män- zu handeln. Böhmes Klassifi kation der schmaleren ner und der Kapuzenmantel eine Fortsetzung der Ärmel als ausschließlich treverisch ist nicht rich- eisenzeitlichen männlichen Kleidung waren (Rothe tig; Wilds Modell trifft eher zu: der Gewandschnitt 2009). Männer erscheinen in dieser Kleidung in den scheint im Laufe der Zeit schmaler geworden zu Porträts, von den frühesten bis zu den spätesten sein. Da es manchmal schwer ist, Grabmäler zu Stelen und auf den Sarkophagen (Espérandieu V datieren, ist dies nicht sicher nachzuweisen. Im 4088; VI 4974, 4989, 5012 (= CIL XIII 3714); Freigang Großen und Ganzen lässt sich aber feststellen, dass 1997, Kat. Nr. Trev. 59). Im Gegensatz dazu erscheint Frauenbilder mit langen, ungegürteten Gewän- das gallische Ensemble der Frauen, wie oben ausge- dern von unterschiedlicher Weite und variierenden führt, erst am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. Das Ärmellängen in ganz Gallien und dem Rheinland heißt, auch wenn die männliche Tunika das Vorbild vom späten 1. bis zum frühen 4. Jahrhundert vor- für das neue weibliche Kleidungsstück war, bedarf Abb. 2 (links) kommen. die Übernahme und Anpassung der Tunika für Grabporträt Aus Arlon, Belgien Wie hat sich dieses Ensemble entwickelt? Wäh- Frauen und ihre Integration in ein neues Ensemble Frühes 3. Jahrhundert rend sowohl Haube als auch rechteckiger Umhang einer Erklärung. Das weibliche gallische Ensemble n. Chr. wohl mit den Kleidungstücken von Menimane in erscheint im Wesentlichen als ein neues einheimi- Musée national d´histoire et d´art, Luxembourg, Inv. Verbindung stehen, hat die Hauptkomponente des sches Ensemble. Nr. 524 Ensembles, die gallische „Tunika“, keine direkte Ent- Doch ebenso wichtig ist, dass es keine römische Foto: Musée national sprechung in der eisenzeitlichen keltischen Frauen- oder romanisierte Kleidung ist13. Gewand und d´histoire et d´art, Luxembourg kleidung. Die Frauentunika ist der gallischen Män- Zubehör sahen ausdrücklich einheimisch aus und nertunika sehr ähnlich (die von der Mehrheit der unterschieden sich deutlich von der Kleidung Männer in Gallien und dem Rheinland während der weiblicher Figuren in der zeitgenössischen Kunst Abb. 3 (rechts) römischen Zeit getragen wurde), nur dass sie bis des römischen Reiches. Das gallische Gewand war Grabporträt Aus Arlon, Belgien zum Knöchel anstatt bis zur Wadenmitte reichte manchmal eng an die Körperform angepasst, die Zeichnung: A. de Wilt- (Wild 1985, S. 388). Wild sieht sie sogar als eine län- Ärmel reichten immer bis zum Handgelenk und heim in Esperandieu V gere Version der männlichen Tunika an, aber die waren oft sehr schmal, ganz im Gegensatz zu den 4094

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Galliische Frauenkleeidung in rrömischer Zeit

fehlenden oder sehr kurzen Ärmeln der römischen erhöhten sich im frühen 2. Jahrhundert, zur glei- Pendants, und, vielleicht am wichtigsten, es chen Zeit, in der das weibliche gallische Ensemble wurde ungegürtet getragen, was für die Damen erschien. Das ist kein Zufall: Beide Phänomene sind in Rom undenkbar gewesen wäre14. Der recht- Produkte eines tiefgreifenden sozialen Wandels zu eckige Umhang, eine gemeinsame Komponente dieser Zeit im römischen Nordwesten. aller weiblichen Kleiderensembles der Antike im Forscher haben auf das schnelle Wachstum einer gesamten Mittelmeerraum und in Europa15, war städtischen Mittelschicht in Gallien im späten 1. manchmal asymmetrisch drapiert, wie es in Rom Jahrhundert hingewiesen und Theorien dazu ent- beliebt war (und was die Unterscheidung von wickelt, besonders anhand des treverischen Mate- der römischen palla in bildlichen Darstellungen rials (Wightman 1970, S. 51; Drinkwater 1978; Heinen erschwert), häufi ger aber symmetrisch, wie es nur 1985, S. 168ff.; Gabelmann 1987, S. 305; Ternes 1992, im Norden bekannt ist und was vermutlich einer S. 32; Goethert 2002, S. 36). Edith Wightman war einheimischen Ästhetik entsprach (etwa umhän- eine der ersten, die eine Diskontinuität in der Ono- gen wie ein großes Tuch, ein Stil, der vor allem im mastik der Inschriften der Region entdeckt hat: bis frühen 3. Jahrhundert populär war, zum Beispiel zum Bataveraufstand 69 n. Chr. trug die Mehrheit Espérandieu V 4178; VI 5155; VIII 6382) (Abb. 2). In der Elite im Trevererraum und in Gallien allgemein der Tat ist ein Hauptmerkmal des Ensembles der die tria nomina, beginnend mit Gaius Julius, was gallischen Frauen, dass es fl exibel genug war, regi- darauf hinweist, dass sie die Staatsbürgerschaft onalen Unterschieden16 und praktischen Aspekten von Caesar oder Augustus erhalten hatte. Nach 70 wie der Anpassung an die Witterung gerecht zu n. Chr. verschwanden diese Julii nahezu aus den werden: die Haube wird immer nur im kalten Nor- epigraphischen Quellen, wie zum Beispiel aus den den getragen17, während im wärmeren Süden der Priesterlisten des kaiserlichen Heiligtums in Lyon21. Umhang oft ganz aufgegeben wird (zum Beispiel Diese Julii wurden oft als einstige Landadlige Espérandieu II 1128, 1132, 1168). angesehen, die verarmten und vertrieben wurden Die frühsten Darstellungen des weiblichen gal- oder noch Schlimmeres erlebten als Strafe für ihre lischen Ensembles datieren ins späte 1. Jahrhun- Beteiligung am Aufstand von 69/70. Es ist nicht dert18, doch bald verteilte es sich über ganz Gallien, ganz klar, wo die neue Elite herkam, und ob es über- das Rheinland und Großbritannien19, dabei ersetzte haupt so viel Diskontinuität in Familien gab. Ternes es vermutlich, wie im Trevererraum, langsam die zum Beispiel glaubt, die neue Elite stammt von den einheimische Kleidung. Und diese große Verbrei- Handwerkern ab, die die ehemalige Aristokratie tung war nicht nur geographisch: es wurde von eingesetzt hatte, während Wightman und Drink- Frauen fast aller Schichten getragen, einschließ- water vermutet haben, dass einige der Landadligen lich der Ehefrauen von reichen treverischen Kauf- einfach damit begonnen haben, Handel zu treiben leuten, Haussklavinnen und einer Amme20. Natür- (Ternes 1992, S. 32 und Anm.109; Wightman 1970, S. lich sind die Grabporträts nicht repräsentativ für 51; Drinkwater 1978). die gesamte Bevölkerung: Nicht jeder konnte sich Zumindest scheint die Bedeutung des Grund- eines leisten. Doch zeigen die obigen Beispiele, dass besitzes zugunsten neuer Einkommensquellen Bäuerinnen und Sklavinnen oft in den Alltagszenen abgenommen zu haben, wie der Warenproduktion vorkamen, die die Seiten einiger der größeren Grab- und vor allem dem Handel. Die neue ökonomische steine schmücken. Sie sind keine Porträts, da die Elite22, für die, wie Drinkwater sagt, „the adjective dargestellten Menschen wahrscheinlich keine Rolle really has to be ‘bourgeois’“ (Drinkwater 1978, S. bei der Wahl der Darstellungsart spielten, wenn es 837), präsentierte stolz die Quelle ihres Reichtums sich überhaupt um bestimmte Individuen handelt. und den Lebensstil, den sie sich nun leisten konnte, Doch damit der antike Betrachter die Szenen richtig in den Szenen auf ihren Grabmälern. Der Wunsch, interpretierte, müssen die Bauern beispielsweise dort ein lebendiges Bilderbuch ihres Lebens zu prä- in eben der Kleidung zu sehen sein, die Bauern oft sentieren, zusammen mit dem offensichtlichen getragen haben. Anzahl und Größe der Porträtgrab- Talent der Bildhauer des nördlichen Galliens im 2. steine in Gallien und den germanischen Provinzen und frühen 3. Jahrhundert führte zu etwas, das mit

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Ursula Rothe

Recht als ein regionales âge d'or bezeichnet wurde, die oben erwähnten Gründe lassen keinen Zweifel dessen Zeugnisse sogar die private Skulptur im Ita- daran, dass die Kleidung, die zumindest von den lien der gleichen Periode übertreffen (Koethe 1937, Frauen dieser Gruppe getragen wurde, eine Neu- bes. S. 199f., und Hatt 1966; 1986). Besonders beliebt entwicklung dieser Zeit war, nicht eine, die zuvor waren Szenen, in denen Männer an Tischen sitzen, für Archäologen nur unsichtbar gewesen war. Der auf die Angestellte Münzen stapeln, sowie Szenen, Versuch, die Ursachen dieser Entwicklung zu ver- in denen Kunden Waren vorgeführt werden (vor stehen, kann zum Schlüssel für das Verständnis der allem Tuch und Wein), oder aber Waren geprüft, kulturellen Ausrichtung dieser Menschen im Rah- verkauft, gewogen oder per Schiff oder Karre trans- men des römischen Reiches führen. portiert werden23. Beliebt war auch das Bild des Großgrundbesitzers, der seine Pächter empfängt, Die kulturelle Bedeutung des weiblichen gal- die ihm Pachtgeld oder landwirtschaftliche Erzeug- lischen Ensembles nisse bringen (zum Beispiel Espérandieu V 4102; VI Was bedeutet es, wenn Frauen im römischen Nord- 4974, 5268 = CIL XIII 4206). Dass die letztgenannten westen ihre traditionelle Kleidung für ein neues Szenen in der Regel auf dem gleichen Denkmal wie einheimisches Ensemble aufgeben? Was bedeutet die des Verkaufes und Transportes von Waren sind, dieses neue Ensemble bezüglich der kulturellen bestätigt, dass viele der reichsten Familien sowohl Identität? Um Antworten zu erhalten können wir Handel trieben als auch Grundbesitz hatten. Der nicht, wie moderne Anthropologen, unsere Infor- Gewinn daraus wurde, wie weitere Szenen zeigen, manten befragen, und aus literarischen Quellen ler- für solche Dinge ausgegeben wie Friseure für die nen wir auch sehr wenig: römische Autoren sagen Damen des Hauses, üppige Bankette, Jagdpferde, kaum etwas über die Kleidung im römischen Nord- Wildhüter und Tutoren für die Kinder24. Doch auch westen und überhaupt nichts über die hier disku- Handwerker sind in ihren Werkstätten dargestellt tierten Kleidungsstücke26. Es ist daher wichtig, ein oder halten ihre typischen Werkzeuge in Händen, wenig weiter zu suchen, sowohl thematisch als so dass kein Zweifel an der Quelle ihres Einkom- auch chronologisch, um Licht auf die Bedeutung mens besteht. Solche Darstellungen deuten auch des gallischen Ensembles zu werfen. Wir fi nden darauf hin, dass es dem Zeitgeist entsprach, auf die in Gallien zahlreiche Beispiele für spezifi sche loka- eigene wirtschaftliche Tätigkeit stolz zu sein25. le Reaktionen auf die römische Kultur, aus denen Wie bereits erwähnt, ist es sicherlich kein Zufall, neue Kulturformen resultierten: Gallo-lateinische dass das frühe 2. Jahrhundert n. Chr. auch einen Inschriften aus dem 1. Jahrhundert zum Beispiel, in raschen Anstieg der Zahl der Porträtgrabmäler denen das lateinische Alphabet und epigraphische sah. Sie boten das perfekte Mittel, materiellen Konventionen für gallische Texte verwendet wur- Erfolg zu zeigen. Interessant ist, dass im Treverer- den (Woolf 1994, S. 95). Römische Götter wurden raum in der Zeit bis 70 n. Chr. die Hauptfi guren auf oft mit einheimischen synkretisiert, während ein- den größeren Grabsteinen römische Kleidung tru- heimische Gottheiten mit Weiheinschriften im gen. Nach 70 n. Chr. blieb die Zahl der Togaträger römischen Stil verehrt wurden, allerdings darge- absolut gesehen klein, aber konstant bis in die 2. stellt in unverwechselbar einheimischer Kleidung. Hälfte des 3. Jahrhunderts, relativ gesehen jedoch Religiöse Gebäude entwickelten eine eigene Form schrumpfte dieser Anteil sehr schnell, da die Zahl aus römischen und einheimischen Elementen: Ton der Denkmäler überhaupt stieg. Die Mehrzahl Derks hat gezeigt, dass gallo-römische Tempel sich der Menschen auf diesen Denkmälern trug gal- im 1. Jahrhundert n. Chr. aus der einfachen, recht- lische Kleidung. Es wurde vermutet, dass dies eine eckigen cella entwickelten, die häufi g in der Region Art Back-to-the-roots-Bewegung darstellte, nach in der vorrömischen Zeit anzutreffen war, durch Generationen der Romophilia (zum Beispiel Noelke Hinzufügung eines klassizierenden Portikus (Derks 1998, S. 413f.). Aber man sollte nicht vergessen, dass 1998, S. 182f.). So war der gallo-römische Tempel, die rasche Zunahme der Zahl der Grabsteine neue wie das Ensemble der gallischen Frauen, eine loka- und größere Gruppen von Menschen in den Blick le einheimische Innovation als Folge der Integrie- rückte, die früher weniger sichtbar waren. Dennoch, rung ins römische Reich. Er bestand, wie auch die

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Gallische Frauenkleidung in römischer Zeit

gallo-römische Religion und Epigraphik, aus einem bles irgendwie mit dieser Bewegung zu verbinden, vorrömischen einheimischen Teil und einem neuen, aber dies zu tun bedeutet nicht unbedingt, das Phä- römischen. Was das weibliche gallische Ensemble nomen besser zu verstehen. Es ist auch fraglich, das davon abhebt, ist, dass es weder eine klare Fort- gallische Ensemble als eine invention of tradition setzung der vorrömischen Kleiderpraxis noch eine anzusehen. Es scheint tatsächlich neu zu sein, aber Annahme des römischen Kleidungsstils darstellt, es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es vorgab, sondern etwas Neues. alt zu sein, wie die Beispiele in Hobsbawm und Ran- Die Bildung neuer, größerer ethnischer Identi- ger (1983) es tun. Um es so zu interpretieren, hätte täten aus kleineren Stammeseinheiten ist eine es bewusst als etwas Traditionelles vermarktet häufi ge Reaktion von Menschen auf eine impe- werden müssen, und wir haben keinen Grund zu riale Macht, aber nicht immer aus den gleichen glauben, dass dies der Fall war29. Gründen27. Bei den Tswana im südlichen Afrika Die zweite Möglichkeit, nämlich dass eine regi- und den australischen Aborigines bildeten sich onale Identität in Gallien vom römischen Zentrum zum Beispiel größere einheimische Gruppen auf aus administrativen Gründen geschaffen wurde, Kosten der kleineren Stammesidentitäten aus der ist eine komplizierte Angelegenheit. Der Bau des Notwendigkeit heraus, eine einheitliche politische Altars der Drei Gallien in der Nähe von Lyon durch Front gegen die Kolonialmacht zu bilden (Comaroff Augustus zusammen mit dem Pendant in Köln für und Comaroff 1992; Tonkinson 1990)28. In anderen die geplante rheinübergreifende Provinz Germa- Fällen, wie etwa bei den Tsonga in Südafrika und nia30 könnte als Versuch der römischen Behörden den Kayapo in Brasilien, wurden übergreifende kul- angesehen werden, eine breite regionale Identi- turelle Identitäten von der Kolonialverwaltung ein- tät zu stiften durch die Schaffung von zentralen geführt, um zuvor vereinzelte Gruppen wirksamer Anlaufstellen für die Ausübung des Kaiserkultes. kontrollieren zu können (Harries 1989; Turner 1991). Nach Strabon wurden in den Altar in Lyon auch die Aber haben wir Beweise für eines dieser Sze- Namen der sechzig Stämme Galliens graviert – eine narien im römischen Nordwesten? Das erste visuelle Darstellung der gallischen Einheit, wenn es mögliche, dass gallische Identität eine politische jemals eine gab (Strabon 4.3.2). Aber weitere ähn- Widerstandsbewegung gegen Rom symbolisiert, liche Maßnahmen sind nicht belegt, und wir kön- kann mit der Begründung verworfen werden, dass nen nicht einmal sicher sein, dass der Altar in Lyon der Zeitraum, in dem sich das gallische Ensemble eine nennenswerte Auswirkung auf die regionale entwickelte und blühte (vom Ende des 1. bis zur Identität hatte. Darüber hinaus und im Gegen- Mitte des 3. Jahrhunderts) genau der war, in dem satz zur Neukartierung des gleichen Landes durch die römische Herrschaft in dieser Region sich nach die Assemblée constituante im Jahre 1790 stellte mehr als einem Jahrhundert regelmäßiger Rebelli- Rom sich der „kartographischen“ Fortsetzung der onen konsolidierte, und der von nahezu ununter- Stammesidentitäten nicht entgegen – die meisten brochenem Frieden und stetig wachsendem wirt- civitates Galliens behielten die ehemaligen Stam- schaftlichen Wohlstand geprägt war. In diesem mesnamen und -grenzen (mehr oder weniger) Zusammenhang ist die immer auffl ammende Dis- bei. Das Verschwinden der Stammeskleidung und kussion von MacMullens Theorie einer keltischen ihr Ersetzen durch das gallische Ensemble müs- Renaissance in der Mitte des 2. Jahrhunderts rele- sen jedoch nicht durch politische Konfrontation in vant (MacMullen 1965), doch geriet die Idee einer einem direkten Sinne verursacht worden sein, wie allgemeinen kulturellen Back-to-the-roots-Bewe- das leuchtende Beispiel der Kleidergeschichte in gung in Gallien immer wieder unter schweren Indien zeigt. Beschuss (zum Beispiel Reuter 2003). Man kann sich anscheinend nur dahingehend einigen, dass es Der Sari und der Shalwar Kameez eine gewisse Wiederbelebung latènoider Stile und Zwei Kleiderensembles Indiens sind besonders Formen in einigen Bereichen der materiellen Kultur hilfreich für das Verständnis der gallischen Klei- gab. Problematisch bleibt, was das bedeutet. Es ist dung: der Shalwar Kameez und der Sari. Der Shal- gerechtfertigt, die Erfi ndung des gallischen Ensem- war Kameez, manchmal auch Punjabi-Kleidung

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Ursula Rothe

genannt, besteht aus einer lockeren Hose (Shalwar), Abb. 4 einer langen Tunika (Kameez) mit Schlitzen an den Gujarati-Frau beim Navratifest Seiten für mehr Bewegungsfreiheit und einem Foto: Tourism Corporati- schalartigen Schleier (Dupatta). Er entstand unter on of Gujarat Ltd. der Mogulherrschaft, entwickelte sich aber schon im 19. Jahrhundert zur Alltagskleidung in einem gro- ßen Teil des nördlichen Indiens sowohl für Muslime als auch für Hindus und ist die übliche Kleidung der Männer und Frauen in Pakistan (Ramanujan 1984, S. 31). Obwohl als klassisch indisch angesehen, ist der Sari in seiner jetzigen Form auch ein vergleichswei- se modernes Gewand31. Er entwickelte sich Ende des 18. Jahrhunderts in Nordindien aus einem kürzeren Schal, der ursprünglich mit einer Bluse und einem Rock von einigen Hindufrauen getragen wurde, zum langen, drapierten Hauptkleidungsstück, das wir heute kennen. Der Rock wurde nun zum Unter- rock unter dem Sari, die Bluse ist geblieben. Der Sari kann auf verschiedene Weise drapiert werden, je nach regionalem Geschmack32. In der Vergan- genheit war er aus Seide oder Baumwolle, je nach Vermögen der Trägerin, doch seit kurzem werden synthetische Stoffe, die keiner Appretur und keines Bügelns bedürfen, immer beliebter33. Der Prozess der Verwestlichung von Bildungssys- tem und Wirtschaft in Indien, der bis heute anhält, begann unter der britischen Herrschaft. Er bringt Kleidung gilt als unangemessen für Schülerinnen mit sich, dass immer mehr Frauen in Städten leben an städtischen Schulen, weil sie Rückständigkeit oder zumindest dort zur Schule gehen (Dar 1969, S. und ländliche Herkunft konnotiert, also Analpha- 75f.). Tarlos Studie über die Kleidung in Nordwestin- betismus und Engstirnigkeit (Ghurye 1951, S. 148; dien, besonders in Gujarat, zeigt, wie diese Entwick- Tarlo 1996, S. 28, 130-34, 145, 186, 243). Der Sari wird lung die Notwendigkeit geeigneter Kleidung für aus ähnlichen Gründen getragen, aber eher von Frauen in den Städten schuf, also für diejenigen, die verheirateten Frauen oder zu besonderen Anlässen nicht in einem ländlichen Gebiet mit lokaler Klei- (Banerjee und Miller 2003, S. 65-67)35. dung lebten. Sowohl der Shalwar Kameez als auch Als gesamtindische Kleidung stehen sowohl der Sari erfüllten und erfüllen weiterhin diese Rolle der Shalwar Kameez als auch der Sari in starkem (Ghurye 1951, S. 150; Tarlo 1996, S. 131, 198, 295). Es Kontrast zu den verschiedenen lokalen Kleideren- gibt verschiedene Gründe, warum manche Frauen sembles, wie sie in anthropologischen Studien den Shalwar Kameez tragen und andere den Sari. beschrieben werden. Sie bestehen in Nordwestin- Der Shalwar Kameez ist längst kein muslimisches dien aus schweren, reich verzierten Röcken, kom- Kleiderensemble mehr und wird heutzutage als ein plizierten Gewändern und viel Schmuck (Abb. 4) allgemein indisches Gewand angesehen, das eine (Ghurye 1951, S. 150, 160, 169, 175, 212; Ramanujan moderne, progressive Alternative zu den verschie- 1984, S. 32; Tarlo 1996, S. 128)36. Das macht die Dorf- denen dörfl ichen Ensembles darstellt34. Deshalb ist kleidung sehr auffällig, und die Symbolik ihrer ver- es die normale Alltagskleidung der jungen Frauen schiedenen Bestandteile sorgt dafür, dass die Klei- in den Städten im Norden Indiens und wird auch dung relativ statisch in Form und Ausführung ist37. von Mädchen aus den Dörfern getragen, wenn sie Sari und Shalwar Kameez lassen sich dagegen in in den größeren Städten zur Schule gehen. Dörfl iche verschiedenen Stilen gestalten und so den Launen

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der Mode anpassen (Tarlo 1996, S. 331, 337)38. Der Grabreliefs erhalten, und tatsächliche Textilfunde Shalwar Kameez ist eine ideale Wahl für jüngere sind äußerst selten, so dass wir kaum etwas von Frauen, da seine Schlichtheit und Zweckmäßigkeit Farbe und Eigenschaft der Textilien wissen, die von ein Gefühl von Fortschritt und Modernität ver- den Frauen im römischen Gallien getragen wurden. mitteln, das zu modernen und gut ausgebildeten Der informativste Aspekt von Sari und Shalwar Frauen in den Städten passt (Tarlo 1996, S. 133f. mit Kameez liegt in ihrer Aussage über die kulturelle Anm. 8, 200, 281)39. Beide Ensembles können aus Orientierung der Trägerinnen. Viele Beispiele aus jeder Stoffart gearbeitet werden, so dass ihre Träge- Tarlos Studie zeigen, dass das Tragen des Saris mit rinnen westlichen Moden in Stoff und Muster unter Modernität und Fortschritt verbunden wurde (zum Beibehaltung eines indischen Stils folgen können. Beispiel Tarlo 1996, S. 46, 128, 145, 147, 250, 256). Für Geschmack und Status können auch mittels ver- Frauen im ländlichen Raum und aus den unteren schiedener Stoffqualitäten ausgedrückt werden Kasten war es auch mit sozialem Aufstieg verbun- (Abb. 5 und 6) (Tarlo 1996, S. 185f., 192-94, 281, 323f.; den und stellte ein Mittel dar, sich von der beschei- Ramanujan 1984, S. 32)40. Letzteres ist besonders denen Vergangenheit zu entfernen41. Tarlo traf viele interessant, weil das gallische Ensemble in den junge Frauen in Dörfern, die sich wünschten, ihre Grabdarstellungen von Frauen verschiedener Klas- lokale Kleidung gegen den Sari tauschen zu dür- sen getragen worden zu sein scheint. Es ist möglich, fen, denn „[f]or them, being dressed in saris was Abb. 5 dass, wie in Indien, der Status in der Qualität des a means of participating in a modern world that Junge indische Frauen im Shalwar Kameez verwendeten Stoffes zum Ausdruck kam. Leider ist extended beyond the limited confi nes of the villa- Foto: M. Nijdam sehr wenig von der ursprünglichen Bemalung der ge” (Tarlo 1996, S. 249)42. Über die Wahl der Kleidung in Nordindien schrieb Tarlo: „Quite apart from the fact that synthetic saris and shalwar kamizes are relatively cheap and easy to maintain, […] their adoption is part of a process by which [women] can distance themselves from the backward asso- ciations of local dress and join the ranks of the ‘pro- gressive’. Adopting such clothes becomes one of the many strategies through which a social group is able to upgrade itself.“ (Tarlo 1996, S. 324) Die Begriffe Fortschritt und Moderne waren nicht immer präsent in der indischen Gesellschaft. Sie wurden aus dem von technischem und kulturellem Fortschritt besessenen kolonialen England einge- führt und leben weiter im modernen westlichen Begriff der Entwicklung. Es ist sehr bezeichnend, dass in beiden Fällen die Kleidung, die gewählt wurde, um diese neue Orientierung zu symbolisie- ren, nicht die Kleidung der imperialen Macht war, die eigentlich die Quelle dieser Werte war, sondern dass bewusst einheimische Kleidung gewählt wurde. Das Beispiel Indien zeigt, dass die materi- elle Kultur einer imperialen Macht von den Ideen und Werten getrennt werden muss, die sie den er- oberten Völkern vermittelt. Weit davon entfernt, ein Dialog zwischen zwei materiellen Kulturen zu sein, wurden Shalwar Kameez und Sari als Folge eines Dominoeffekts von Erwartungen und Werten ange- nommen, der durch den kulturellen Einfl uss der

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britischen Herrschaft in Bewegung gesetzt wurde. Abb. 6 Tarlo sagt: „colonial values were not only invasive Model im Sari Foto: Shaadi Times but pervasive”. Die Dominanz der britischen Kul- tur bedeutete, dass die Werte, die sie propagierte, aus dem indischen Denken nicht mehr entfl ochten werden konnten43. Die Idee vom Fortschritt war so allgegenwärtig, dass sie selbst in dem kleinen Dorf, in dem Tarlo ihre Hauptuntersuchung durchführte, ein wichtiges Thema war. Obwohl Indien als eines der verwestlichsten aller nichtwestlichen Länder gilt, hat es sich als besonders resistent gegenüber westlicher Klei- dung erwiesen (Plamenatz 1960; Mazrui 1970, S. 23; Tarlo 1996, S. 24)44. Unter der britischen Herrschaft ebneten viele Inder ihre kulturellen Unterschiede ein und erfanden Kleidung als gemeinsamen Nen- ner für die einige Front gegen die Engländer (Tarlo 1996, S. 331f.), während sie gleichzeitig verschiedene Aspekte und Ideen von den Briten übernahmen. Diese beiden Dynamiken waren und sind im Tragen von Sari und Shalwar Kameez aufgelöst, Kleidungs- stücken, durch die die Menschen „reveal through their dress that they are content to be Indian but that they also participate in trends that transcend national boundaries.” (Ebenda S. 335)

Der Sari, der Shalwar Kameez und das weibliche gallische Ensemble Es gibt eine ganze Reihe signifi kanter Unterschiede zwischen dem weiblichen gallischen Ensemble und den besprochenen Beispielen der indischen Klei- führten Kleiderensemble. Doch im 20. Jahrhundert dung. Erstens herrscht lokale und kastenspezifi sche galten sie beide schon als im Wesentlichen indisch, weibliche Kleidung nach wie vor im ländlichen so dass, obwohl der Sari größere Ähnlichkeiten mit Indien vor, auch nach mehreren Jahrhunderten dem weiblichen gallischen Ensemble zeigt, ihre westlichen Einfl usses, während das weibliche gal- kulturelle Bedeutung in der modernen Zeit gleich lische Ensemble nicht auf eine städtische Umge- groß ist. Schließlich ist es auch unklug, zu große bung beschränkt war und sich in ganz Gallien in Ähnlichkeiten zwischen römischem und britischem nur wenigen Generationen verbreitet zu haben Imperialismus und den jeweiligen Rollen von Galli- scheint. Darüber hinaus ist das Tragen des Shalwar en und Indien in den beiden imperialen Systemen Kameez, und alternativer Kleidung im Allgemeinen, zu postulieren. eng mit Veränderungen in der Stellung der Frauen Dennoch erbringt die Geschichte der Kleidung in in Indien und ihrer zunehmenden Freiheit von Pur- Indien sehr wichtige Erkenntnisse über die Komple- dah verbunden, ein Kontrast, für den es keine Pa- xität kulturellen Wandels und die möglichen Motive rallele in der römischen und gallischen Gesellschaft für die Herausbildung der gallischen Identität, wie gab. Während der Sari sich aus früheren traditio- sie sich in der Kleidung der Frauen widerspiegelt. nellen Gewändern entwickelte, macht seine spezi- In Indien wie in Gallien war die Veränderung in elle Mogulherkunft den Shalwar Kameez zu einem Kleidung und kultureller Orientierung eng mit ursprünglich von einer Invasionsmacht einge- der Entwicklung einer städtischen Mittelschicht

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Gallische Frauenkleidung in römischer Zeit

verbunden. Die dramatischen Veränderungen in Widerstands und die Integration ins römische Reich der gallischen Gesellschaft im späten 1. Jahrhun- stattfanden. Dennoch war das neue Ensemble nicht dert n. Chr. resultierten aus einer stadtbasierten römisch. Während der ganzen römischen Zeit hin- ‚Bourgeoisie’ mit Einkommen aus Produktion und durch hat sich sogar die überwiegende Mehrzahl Handel, deren kulturelle Orientierung sich so dra- der Menschen auf den Grabporträts im römischen matisch veränderte, dass sie eine neue Garnitur von Nordwesten in einheimischer Kleidung darstellen Kleidung erforderte. In Indien „the middle classes lassen. Wenn wir also akzeptieren, dass die Klei- in towns and villages seemed to be formulating a dung die Identität eines Menschen zum Ausdruck shared sartorial image in which the synthetic sari bringt, war die einheimische Identität in diesem and shalwar kamiz had a central place” (Tarlo 1996, Raum stark genug, um im Großen und Ganzen dem S. 324). Vielleicht suchten die Treverer und andere römischen Einfl uss in diesem höchst persönlichen im römischen Nordwesten am Ende des 1. Jahrhun- Kulturbereich standzuhalten. Damit stellt sich das derts n. Chr. auch ein gemeinsames Erscheinungs- umstrittene Thema Widerstand in die Debatte um bild. die Romanisierung (zuerst Lambrechts 1966, dann Das lokale Kleiderensemble mit seinen auf- z. B. Bénabou 1976, Pippidi 1976, Raafl aub et al. 1987; fälligen Broschen, anderem sperrigen Schmuck, Drinkwater und Vertet 1992, Webster 1997, Hingley Haube und Schal, das stolz von Menimane noch in 1997, Woolf 1998, S. 20f.; Raepsaet-Charlier 1998, S. claudischer Zeit getragen wurde, wurde vielleicht 195f.). Ein Teil des Problems mit dem Begriff Wider- aus ähnlichen Gründen allmählich aufgegeben stand ist der Mangel an Konsens in seiner Defi ni- wie die der Gujarati-Frauen es sind, die ihre lokalen tion, oder vielleicht genauer, eine Verwechslung Kleider ablegten. Die Auffälligkeit, die Verbindung zwischen dem, was der Begriff bedeutet und dem, mit einer kleinen Region und mit der Vergangen- was er suggeriert. Versuche wurden unternom- heit ließen diese in zunehmendem Maße unange- men, das Problem in einer differenzierteren Art messen werden in einer sich verändernden Welt, in anzugehen, indem man etwa zwischen offenem der Kommunikations- und Handelsbeziehungen und verdecktem Widerstand unterschied (Hingley zur Ausweitung des geographischen Horizontes 1997, S. 88). Aber vielleicht sollte man in Betracht führten, und in der das Wachstum der Städte eine ziehen, dass Widerstand auch ein gewisses Maß dynamische und weltoffene Bevölkerung hervor- an Gleichgültigkeit gegenüber Neuem bedeuten brachte. Mit anderen Worten, für diese Frauen erfor- kann. In Indien wurden verschiedene Gründe dafür derte die Zugehörigkeit zum römischen Reich nicht genannt, westliche Kleidung nicht anzunehmen, die Übernahme der Kleidung, und damit der Identi- etwa ihre Untauglichkeit für das indische Klima, tät, von Menschen einer italischen Stadt. Vielmehr der hohe Preis, die Unvereinbarkeit mit einheimi- scheint angesichts der Teilhabe an einer neuen, schen Idealen weiblichen Anstands, ihre Verbin- umfassenderen Welt die lokale Stammestracht kei- dung mit der Erwartung, sich anders zu verhalten, nen Platz mehr gehabt zu haben. Die Bewohner der und natürlich die Tatsache, dass dies eine Aufgabe römischen Provinzen wurden in gewissem Umfang, der eigenen Kultur symbolisiert hätte. In Botswana wie ihre indischen Kollegen, von einem Ideal des bedingt ein völlig anderes weibliches Schönheits- Fortschritts und der Zivilisation angesteckt, das von ideal, dass westliche Kleidung bei Herero-Frauen der römischen Elite in der Kaiserzeit in Form von als unschmeichelhaft und unanständig gilt (Dur- patriotischer Dichtung, Mythologie und Rhetorik ham 1999, S. 401). Es ist denkbar, dass alle diese propagiert wurde. Es wird am ehesten mit Begrif- Faktoren in Gallien eine Rolle gespielt haben. Auch fen wie humanitas umschrieben und diente unter das Konzept der persönlichen Entscheidung, das so anderem dazu, die provinzielle Führungsschicht umstritten ist bei einem Thema wie Widerstand psychisch in eine reichsweite Elite einzubinden45. in vormodernen Gesellschaften, könnte als weit- Nicht zufällig entwickelte sich das gallische gehend unerheblich betrachtet werden, denn in Ensemble in der Zeit, die in Gallien von wirtschaft- Indien, wo der Begriff des Selbst als weniger aus- lichem und sozialem Wandel geprägt war, einer Zeit, geprägt als in der westlichen Welt betrachtet wird, in der die endgültige Unterdrückung des gallischen gibt es starke Gruppenidentitäten und diese sind

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Ursula Rothe gleichermaßen in der Lage, kulturellem Druck zu Zusammenfassung widerstehen und kulturellen Wandel zu durchlau- Das geschilderte komplizierte kulturelle Szenario fen (Ramanujan 1984, S. 32 mit weiterer Literatur). hat vielfältige Konsequenzen. Das römisch-einhei- Im Lichte dessen ist eine Interpretation des weib- misch-Paradigma ist weiterhin von Nutzen, wenn lichen gallischen Ensembles als einfacher Akt nati- Ersteres als von außen importiert und das Zweite vistischen Widerstands oder, auf der anderen Seite, als aus der Gruppe selbst entstammend verstan- als ein romanisiertes Ensemble, das versucht und den wird. Doch die Idee, dass einheimische Kultur weitgehend darin versagt, den Stil der Kleidung in unbedingt statisch und vergangenheitsorientiert Rom nachzuahmen, zu stark vereinfacht. Die Beklei- sein muss, ist endgültig aufzugeben. Die Frauen des dung änderte sich schon als Folge der Integration römischen Nordwestens entwickelten Gewänder ins römische Reich, aber der Grund dafür war eher mit neuem und dynamischem Charakter, aber von die Verbreitung von neuen Werten und geogra- entschieden einheimischem Aussehen. Der Gedan- phischen Perspektiven und weniger die Annahme ke, dass kulturelle Veränderungen in den römischen oder Ablehnung von Elementen der römischen Provinzen lediglich die Annahme oder Ablehnung materiellen Kultur. Die Beispiele aus Indien zeigen, römischer materieller Güter oder die Kombinati- dass die Menschen in einem imperialen Umfeld on von alten mit neuen Produkten bedeutet, ist Aspekte der dominanten Kultur auswählen und nur teilweise richtig. In Indien waren die tiefsten andere verwerfen können, und, was entscheidend Veränderungen das Ergebnis von Veränderungen ist, dass dies sowohl für Ideale und Werte als auch in den Wertvorstellungen und Perspektiven, verur- für Elemente der materiellen Kultur gelten kann. sacht von neuen wirtschaftlichen Strukturen und Ab der Wende des 1. Jahrhunderts erlebte der Tre- der Annahme von fremden Ideologien. Dies ergab vererraum eine starke Beeinfl ussung von Seiten der in Sachen Kleidung die Entwicklung neuer Klei- mediterranen Kultur (einschließlich der Übernah- dungsstücke, für die wir eine auffallende Parallele me von Grabmälern im römischen Stil) zusammen im römischen Gallien fi nden, was darauf hindeu- mit einem wirtschaftlichen Aufschwung, der sich tet, dass auch hier die Veränderung der Kleidung der Begabung der Einwohner für kommerzielle komplizierte Änderungen in der Weltanschauung Unternehmen verdankte. Zusammen mit dem widerspiegelt. Nur weitere Forschung ähnlicher Art Kleiderverhalten zeigt dies, dass die Gallier einen in anderen Regionen wird zeigen, ob dies speziell Platz für sich im reichsweiten Kontext aushandeln für Gallien und den Nordwesten gilt, oder ob, wie konnten, auf dem es möglich war, die Vorteile der die Verfasserin glaubt, es ein weit verbreitetes Phä- eingeführten wirtschaftlichen und politischen nomen der römischen Provinzialgesellschaft war. Institutionen zu nutzen und gleichzeitig Stolz auf eine neue, breitere einheimische Identität zu ent- wickeln.

1 Das Wort „Tracht“ wird bewusst vermieden, konnotiert es doch, wie das englische Wort „costume“, etwas Besonderes und Traditio- nelles. Es spricht nichts dagegen, dass der Hauptteil der Kleidungsstücke, die man beispielsweise auf provinziellen Grabporträts sieht, nicht auch im Alltag getragen wurde. Zu einer Ausnahme in der Verbreitung der Toga im Trevererraum siehe Rothe 2009. Ähnlich wie in der Anthropologie, wo das Wort Tracht etwas verniedlichend wirkt, oder in der Volkskunde, wo es einen altertümlichen und statisch- regionalen Symbolismus trägt, deutet es in der Altertumswissenschaft eine Zeitlosigkeit und eine Unveränderlichkeit an, die nicht vorhanden waren. 2 Aus unbekannten Gründen ist Menimane mit einem links herab gerutschten Gewand abgebildet, eine einmalige Darstellung. 3 Die spätere civitas Treverorum war nur ein Teil des ursprünglichen Stammesgebiets der Treverer. Der östliche Teil um Mainz herum wurde im 1. Jahrhundert n. Chr. abgetrennt, als die beiden Militärzonen am Rhein gebildet wurden, und war ab Domitian Teil von Germania Superior, während der Rest des treverischen Gebietes ein Teil von Gallia Belgica wurde. 4 Für einige späte Beispiele siehe Wild 1968, S. 205 Anm.156. Angesichts der vielen geborgenen Fibeln überrascht es, dass bis jetzt nur

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ein Scheibenanhänger gefunden wurde, in einem Silberschatzfund in Bonn (Lehner 1924, Taf. 29). Vielleicht wurden solche Schmuck- stücke immer an die nächste Generation weitergegeben und nicht mit bestattet. 5 Deshalb behandelt Freigang 1997 diese beiden civitates zusammen. Für den Trevererraum lassen sich Fibelfunde über längere Zeiträu- me gut untersuchen: Die Ausgrabungen, unter anderem in Wederath-Belginum (4. Jahrhundert v. bis 4. Jahrhundert n Chr.), haben wertvolle Studien nach sich gezogen, wie zum Beispiel die von Leifeld über die Fibeln des Trevererraumes aus der späten Latène- und der frührömischen Zeit: Leifeld 2007. Siehe auch die Zusammenfassung bei Freigang 1997, S. 111 Anm.20. 6 Die sehr wenigen Beispiele von außerhalb dieses Raumes gehörten vermutlich Frauen, die, wie die Schwester von Silvanus, ursprüng- lich aus dem Trevererraum stammten, obwohl auch eine andere Möglichkeit denkbar wäre: die Eburonen, die ursprünglich das Gebiet nördlich der Treverer bewohnt haben, waren ein Klientelstamm derselben (Caesar, B. Gall. 4.6). 7 Leifeld 2007, S. 124ff., nennt diese Schildfl ügelfi bel. Er weist zu Recht darauf hin, dass Zeltheringe sich auch unter den Grabfunden in Wincheringen befunden haben, doch, wie er auch sagt, war das Grab vielleicht ein Doppelgrab für einen Mann und eine Frau. Es gibt keinen Grund, Böhme-Schönberger’s Schlussfolgerung, dass diese Fibeln von einer Frau getragen wurden, anzuzweifeln, zumal solche Fibelpaare meist mit Frauenkleidung verbunden sind. 8 Böhme-Schönberger begründet dies mit der Verteilung eines zweiten Kragenfi beltyps mit einem menschlichen Gesicht, der so genannten Kragenfi bel mit Maskenzier, der sich auf den Osttrevererraum beschränkt. Die Aresaces waren die Hauptstammesgruppe in diesem Gebiet in der vor- und frührömischen Zeit (Boppert 1992, S. 11, fasst die epigraphischen Belege zusammen); eine weitere Gruppe, die Cae(t)racates, müssen noch lokalisiert werden (Tacitus, Historien 4.70; Wightman 1970, S. 126f.). Obwohl Böhme-Schöne- berger die frühere Idee von Schumacher (1983, S. 32ff.) aufgriff, dass die Aresaces eine kleine, autonome Gruppe waren, werden sie all- gemein für einen Teilstamm der Treverer gehalten. Die Epigraphik unterstützt diese These: eine Inschrift aus Mainz-Weisenau, inner- halb des Territoriums der Aresaces, erwähnt nachdrücklich die Mitgliedschaft in der natio Treverensis (Boppert 1992, Nr. 34; CIL XIII 11888). Die Debatte ist gut zusammengefasst in Boppert 1992, S. 10f. Siehe auch Klumbach 1959, S. 70-75, Decker/Selzer 1976, S. 463f., Krier 1981, S. 91, 103f.; Kronemayer 1983, S. 182. 9 Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass Menimanes Ensemble nur die regionale Variation eines Grundensembles bildet, das von Frauen in der Latènezeit im Großteil von Zentraleuropa getragen wurde, und das aus einem Untergewand, einem Obergewand, das an den Schultern mit Spangen gehalten wurde, und einem rechteckigen Umhang bestand (siehe Láng 1919 und Čremošnik 1964 für Pannonien, Noricum und Illyricum). Es erscheint auch auf archaischen griechischen Vasen (Čremošnik 1964, dort Abb. 8) und war ver- mutlich das Ur-Ensemble, aus dem sich die römische tunica und stola entwickelten (Čremošnik 1964, S. 771). Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, auf die kontroverse These Čremošniks einzugehen, dass es ursprünglich aus Griechenland stammt (Čremošnik 1964, S. 773). Ethnische und regionale Differenzierung zeigte sich vor allem im Schmuck aus Metall, weniger in der Form der Kleidungsstücke. 10 Der Scheibenanhänger bildet die einzige Ausnahme: er erscheint bisweilen auf Grabporträts bis in die Spätantike, oft mit sonst gänzlich römischer Kleidung. Manche solcher Beispiele sind von außerhalb des Trevererraums: wie es scheint, war er auch ein wich- tiger Bestandteil der Kleidung in den Nachbarregionen. 11 Wild’s „Gallic coat“: 1985, S. 388 und Böhmes „Tunika“: 1985, S. 431-432. 12 Wild’s „long-sleeved“ tunic: 1985, S. 399-401 und Böhmes „Tunika“ im Treverergebiet während des 3. Jahrhunderts n. Chr.: 1985, S. 432. 13 Vgl. Freigang 1997, S. 306f. Obwohl es nicht möglich ist, zwischen dem einheimischen Umhang und der römischen palla zu unter- scheiden, wenn ersterer in römischer Art und Weise drapiert wurde, wie man oft vermutet. 14 Wenn dieses Ensemble wirklich lediglich romanisierte Kleidung wäre, bzw. so römisch, wie man sich bekleiden konnte ohne zu frieren, hätte man doch als erstes die römische Sitte des Gürteltragens angenommen: gegürtete Kleidung hält wärmer als ungegürtete. Die gallische Tunika wurde in der Tat manchmal gegürtet dargestellt, doch nur in Alltagsszenen mit arbeitenden Menschen. Es scheint eine praktische Angelegenheit gewesen zu sein. Doch hat der einzige Textilfund eines solchen Ensembles aus Gallien verwirrender Weise einen Gürtel (eine junge Frau in Les Martres-de-Veyre bei Clermont-Ferrand aus dem 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. (Audollent 1922; Fournier 1956)). 15 Dies sollte nicht überbewertet werden: ein rechteckiges Stück Stoff ist das Grundprodukt jedes geraden Webstuhles. 16 Zum Beispiel die Krause oder herunterhängende Untertunika im Raum Dijon-Langres: Espérandieu IV 3280; 3483. 17 Separate Kopfbedeckungen für Frauen waren an sich sehr unrömisch, nicht zuletzt, weil sie es unmöglich machten, die stadtrö- mischen Frisuren zu tragen, die einen so erheblichen Teil der römischen Mode ausmachten. 18 Grabporträts aus Arlon (Espérandieu V 4110) und Köln (CIL XIII 8267a = Espérandieu VIII 6449; Galsterer und Galsterer 1975, 196a).

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19 Eine Auswahl von Beispielen: Bordeaux: Espérandieu II 1123 (= CIL XIII 748), 1124 (= CIL XIII 844), 1128 (= CIL XIII 664), 1194 (= CIL XIII 747); Bourges: Espérandieu II 1449 (& Saint-Ambroix-sur-Arnon: Espérandieu IX 6993-7002, 7016, 7017); Lyon: Espérandieu III 1783; Langres: Espérandieu IV 3280, 3483; Amiens: Espérandieu V 3945-49; Burgund: Espérandieu III 1907, 1938 (Autun), 2122 (Meursault); Alsace: Espérandieu VII 5640 (Marlenheim), 5672 (Saverne); Bourgogne: Espérandieu IV 2787, 2803, 2804, 2834 (Sens), 3457, 3470, 3502 (= CIL XIII 5493), 3509 (= CIL XIII 5576) (Dijon); Nijmegen: Espérandieu IX 9663; Köln: Galsterer und Galsterer 1975, Nr. 331 (= CIL XIII 8267a; Espérandieu VIII 6449); Bonn: Bauchhenß 1979, 36, 43 (= CIL XIII 8130; Espérandieu VIII 6288). Für Beispiele aus Britannien siehe Wild 1985, S. 388 Anm.98. Das gallische Ensemble war am Rhein allgemein verbreitet, besonders in Köln, allerdings etwas weniger populär als sonst im Nordwesten. Dort war die bevorzugte einheimische Kleidung die so genannte Ubiertracht. Die Umstände der von Agrippa durchgeführten Übersiedlung dieser Menschen ins linksrheinische Gebiet scheinen bei ihnen den Wunsch hervorgerufen zu haben, diesen Teil ihrer ursprünglichen Kultur zu erhalten. Ubische Kleidung wird von Frauen in Porträts vom 1. (z.B., Espérandieu VIII 6286, 6364, 6395) bis zum 3. Jahrhundert getragen (z.B. Galsterer und Galsterer 1975, 196b = CIL XIII 8267b). 20 Ehefrauen von Kaufl euten: Espérandieu V 4044 (= CIL XIII 4027; ILB 119); VI 5268 (= CIL XIII 4206); Sklavinnen: Espérandieu VI 5142, 5168; Hebamme: Galsterer und Galsterer 1975, Nr. 331 pl. 73. 21 Wightman 1970, S. 50f.; Drinkwater 1978, S. 822f. Drinkwater behauptet, dass die Gallic Julii selbst eine neue Elite waren, die von Caesar eingesetzt wurde: Drinkwater 1978, S. 818-26. 22 Und, kann man annehmen, die politische Elite. Vgl. eine Inschrift aus Lyon, die einen treverischen Weinhändler erwähnt, der auch Mitglied des ordo decurionum war (CIL XIII 1911). 23 Kontorszenen: Espérandieu V 4043, 4075, 4098; VI 5149, 5175, 5268 (= CIL XIII 4206); Warenszenen: Espérandieu V 4043; VI 5149, 5184, 5193, 5198, 5268 (= CIL XIII 4206); XIV 838. 24 Friseurszenen: Espérandieu V 4102, 4156 (= CIL XIII 4285), 4237; VI 5142/5168, 5145/5222 (= CIL XIII 4172), 5189; X 7597; Bankettszenen: Espérandieu VI 5149, 5145, 5222 (= CIL XIII 4172), 5268 (= CIL XIII 4206); Jagdszenen: Espérandieu VI 5142, 5168, 5172, 5267; X 7599; Schulszene: Espérandieu VI 5149. 25 Langner 2003. Z.B. der Schmied aus Hentern, abgebildet mit einer Zange (Freigang 1997, Kat. Nr. Trev 129) und die Schreinerei in Espé- randieu V 4221 (= CIL XIII 4103). 26 Caesar sagt enttäuschend wenig über die gallische Kleidung, über die Germanen sagt er, dass sie Tierhäute trugen und sonst nackt waren (Caes., B. Gall. 4.1; 6.21). Tacitus beschreibt die Kleidung der Germanen als lediglich aus einem Umhang bestehend, der an der Schulter befestigt wurde; nur die Reicheren trügen Gewänder, „die nicht locker sind, [...] sondern eng, und zeigen alle Gliedmassen”. Er sagt auch, dass sie Tierhäute trugen, und dass die Frauen die gleichen Gewänder trugen, außer dass ihre Kleidung bestickt war und ohne Ärmel, so dass „ihre Arme und der anschließende Teil ihrer Brust nackt sind” (Tac., Germ. 17). Diodorus und Strabon sagen, dass die Gallier Hosen trugen (Strabo 4.4.3; Diod. Sic. 5.30.1-2). 27 Eisenstadt 1973, S. 328, hat festgestellt, dass traditionelle Gesellschaften nur unter großem kulturellen Druck – als Beispiele führt er die Ausbreitung der großen Religionen und imperiale Eroberungen an – „new symbols of collectivity” entwickeln. 28 Siehe auch die nordamerikanischen Ureinwohner, die in den letzten Jahrzehnten allmählich ein gesamtindianisches Erscheinungsbild in ihrer Kleidung zeigen (Thompson Miller 1979, S. 329). 29 Es ist wahrscheinlicher, dass dieses Ensemble zukunfts-, nicht vergangenheitsgerichtet war. Ramanujan schrieb zum Sari: „India has as many costumes as languages. The sari serves as a link costume, just as English serves as a link language. Neither existed in India two hundred years ago” (1984, S. 30). 30 Siehe zum Beispiel Rives Schlussfolgerungen, basierend auf Angaben in Tacitus, Ann. 1.57.2: Rives 1999, S. 238. 31 Fabri 1960, S. 7: „There is another fallacious belief that should be corrected here. This is the wide-spread belief that the sari of today is of hoary antiquity. It is true that the word sari occurs in very ancient texts, but the word used there meant a very different garment from that worn today.” 32 Für eine detaillierte Zusammenfassung siehe Lynton 1995. 33 Fabri 1960, S. 7f., 90 pl. XXIX; Ramanujan 1984, S. 30. Für die regionalen Varianten des Saris siehe Ghurye 1951, S. 156, 160-64, 169, 175, 190f., 199f., 212 und Dar 1969, S. 90f. Für eine Geschichte des Saris und ein detailliertere Übersicht siehe Fabri 1960, S. 9, 26, 88-91 und pl. XXVIII und XIX. Für die neueste anthropologische Studie dazu siehe Banerjee und Miller 2003. 34 Der Shalwar Kameez hat sich nun auch nach Südindien ausgebreitet und gewinnt dort an Popularität aus denselben Gründen wie im Norden. Siehe Ramachandra Guha in der Zeitung „The Hindu“, 24. October 2004: „Why has the salwar become so ubiquitous in a region where it was unknown only a generation before? The answer must be that this is a dress not seen as „Western" or immodest,

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Gallische Frauenkleidung in römischer Zeit

and yet a dress that allows one to go to school or college, and to participate in the work force. Jeans and tops can be worn in cosmo- politan Bangalore, but in Dodballapur they would be quite unacceptable. The salwar is suitably „decent", yet it allows far more mobi- lity than either the pavade or the sari. One can walk in it, one can bicycle in it, one can even run a 100-metre race in it.” 35 Es gibt aber auch Ausnahmen. Manche verheirateten Frauen in der Studie von Banerjee und Miller zum Beispiel trugen nach der Hochzeit weiterhin den Shalwar Kameez, weil es so praktisch ist, obwohl einige Sariträgerinnen dies missbilligen. Manche Autoren gehen sogar davon aus, dass der Shalwar Kameez den Sari ganz verdrängen wird (Banerjee und Miller 2003, S. 245-52). 36 Vgl. auch Dar 1969, S. 79: „In the midst of all these distinctly local styles, the sari stands today as the principal national costume of the Indian woman. The only other garment which approaches it in popularity is the trousers [the shalwar kameez].” Ghurye entdeckte Röcke in Nordindien, die aus zwanzig Metern Stoff bestanden (Ghurye 1951, S. 158). 37 Siehe Tarlos Beschreibung von Gujurati-Dorfkleidung: 1996, S. 202-83. 38 Siehe Dar 1969, S. 79-81 für eine detaillierte Übersicht der Entwicklung und Modevariationen des Shalwar Kameez. 39 Siehe Dar über den Shalwar Kameez im Punjab: „Gradually the wide-bottomed trousers rose to the very height of fashion in the whole of the Punjab, and elegant women of all castes and creeds began to vie with one another in the length of their tunics and the width of the leg-endings of their ample shalwar trousers. Young women with visions of a changing world were repelled by the look of advanced age which greeted them in the heavy petticoats of their elders.” (Dar 1969, S. 79). Für eine neuere Übersicht über die indischen regionalen Kleiderensembles und den Schmuck siehe Bhandari 2005. 40 Ghurye 1951, S. 152 (über Nordindien): „The difference between the richer and the poorer classes shows itself more in the material of the garments than in their pattern.” Das war auch in Indonesien der Fall, wo der sarong „essentially the same for all classes, with status being indicated by quality of cloths worn, their designs, and by jewellery” war (Gelman Taylor 1997, S. 93). 41 Tarlo 1996, S. 147, zum Beispiel die Kanbi Kaste in dem Dorf, das Tarlo untersuchte (Tarlo 1996, S. 250). 42 Siehe auch Mehta 1990, S. 124, der die Übernahme des Sari bei den Oswal-Frauen im Folgenden als „the symbol of […] entry into a new world” beschreibt. Den Grund dieser Veränderung nach Bhandari fi ndet man in der Ausbreitung der Schulbildung, im Zusam- menbruch der traditionellen Wirtschaft (mit ihrer berufspezifi schen Kleidung), in der Urbanisierung, der Binnenmigration, den Aus- wirkkungen der neuen Medien und in der sozialen Mobilität (Bhandari 2005, S. 24). Vgl. auch die Dorfbewohner im Java der Jahrhun- dertwende, die zunehmend in die Städte gezogen sind, und deren „increasingly neutral outfi t” ihnen „access to a strange new space” gab (Mrázek 1997, S. 119). 43 Tarlo 1996, S. 200. Siehe Fabri 1960, S. 14f. für eine Diskussion ähnlicher Vorgänge unter der Mogulherrschaft in Indien. Ramanujan weist darauf hin, dass von allen 28 historischen Einfällen in Indien nur zwei davon Kolonialreiche zur Folge hatten, und dass nur diese die Kleidung grundlegend beeinfl ussten: Ramanujan 1984, S. 31. Vgl. auch die Unterscheidung zwischen Werten und materieller Kultur unter den Siona in Kolumbien, die aufgrund der Durchdringung mit christlichen Ideen von Anstand anfi ngen, ihre Körper in größe- rem Umfang zu bedecken. Doch war die Kleidung, die dazu diente, nicht westlich, sondern eine lokal neu erfundene Tunika, die cusma (Langdon 1979, S. 303-311). 44 Bhandari 2005, S. 24: „Although the British brought some westernisation of dress, […] most Indians resisted any change in their regular attire, which was, and is, closely related to the identity and culture.” 45 Für eine Diskussion des Begriffes humanitas in der römischen Gesellschaft siehe Braund 1997.

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Ursula Rothe

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Gallische Frauenkleidung in römischer Zeit

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Annette Paetz gen. Schieck

Mumienporträts und ihre kulturellen Bezugs- systeme – Formen der Selbstdarstellung und des Totengedenkens im römischen Ägypten

Einleitung Mumienporträts haben als Teil der dekorativen präsentiert, Personen asiatischer, zentralasiatischer Hülle von Mumien die Zeiten überdauert. Sie sind in oder äthiopischer Herkunft sind nicht vertreten. Enkaustik und/oder Tempera auf Holzpaneele oder Heute sind etwa eintausend Porträts bekannt. Leinwand gemalt und zeigen die Büste einer Person. Die Gesichter sind dem Betrachter zugewandt, die Zum antiken Umgang mit den Vorfahren Abb. 1 Leichentuch eines Schultern leicht ins Profi l gerückt, wobei sie nach Die wichtigste Quelle zur Erschließung der Bestat- Mannes rechts oder nach links ausgerichtet sein können, tungspraxis im römerzeitlichen Ägypten sind die 185 x 130 cm eine bevorzugte Richtung ist nicht festzustellen. Veröffentlichungen von William Flinders Petrie, der Memphis Als Teil der äußeren Umhüllung waren die Porträts in den Jahren 1886 bis 1889 in Hawara im Fayum Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, Staat- 3 auf der Höhe des Kopfes in die textile Umwicklung grub. Petrie fand Bestattungsgruben, die ober- liche Museen zu Berlin eingebunden, ob sie jedoch ursprünglich als Bild- irdisch nicht markiert waren und somit nicht als Inv. Nr. ÄM 11651 nisse für den funerären Kontext konzipiert waren, Ort des Gedenkens fungierten. In diese Gruben Foto: bpk / Ägyptisches Museum und Papyrus- 1 das wird allgemein diskutiert. Hier wird von min- waren bis zu sechs Mumien verschiedener Zeit- sammlung, SMB / Jürgen destens zwei antiken Nutzungsphasen für die Por- stufen hineingeworfen und zum Teil unsanft pas- Liepe träts ausgegangen: Als primäre Bestimmung wird die Darstellung einer lebenden Person angesehen, die sich an ein zeitgenössisches Publikum wende- te. In sekundärer Verwendung wurden die Bildnisse in ein anderes Format gebracht, mit Jenseitsbezug belegt, in ihrem Erscheinungsbild verändert und in anderer Weise rezipiert.2 Im Folgenden geht es um das Verhältnis von Mumie zu Bild, von besonderem Interesse sind dabei die Selbstdarstellung und Inszenierung des Einzelnen und die Verwendung von Chiffren, die gesellschaftliche Werte und Normen in einem römisch-hellenistisch-ägyptisch geprägten Umfeld zum Ausdruck bringen. Ob sich die Bewohner einer Gegend wie dem Fayum als Ägypter, Griechen oder Römer verstanden, ob ihnen die jeweiligen kultu- rellen Anteile und Einfl üsse in Lebensstil, Kleidung oder Bestattung bewusst waren, und inwieweit sie situationsbedingt mehr von dem einen als von dem anderen zeigten, das gilt es für Porträts und Mumien zu betrachten. Vorweg sei betont, dass Porträtmumien das Produkt der gesellschaftlichen Oberschicht Ägyptens in römischer Zeit waren. Aus- gräber berichten, dass nur ein bis zwei Prozent aller Mumien römischer Zeit mit solchen Bildnissen ver- sehen waren, so dass sie als dekorative Sonderform anzusehen sind. Deren Besitzer werden als homo- gene Gruppe in mediterranem Selbstverständnis

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Mumienporträts und ihre kulturellen Bezugssysteme

Abb. 2 etiketten geschuldet sein, hölzernen Etiketten in Vergoldetes Bildnis eines Form einer tabula ansata, die an das Mumienpa- Mannes 7 41 x 20,2 cm ket gebunden wurden. Sie gingen häufi g verloren, Antinoopolis zumal die Mumien für ihre Beisetzung auch ver- Ägyptisches Museum und schickt worden sind. Dass aber Mumienetiketten Papyrussammlung, Staat- liche Museen zu Berlin zur regelhaften Ausstattung gehören, belegen die Inv. Nr. ÄM 17900 Beobachtungen von Daniel M. Fouquet, der im April Foto: bpk / Ägyptisches 1887 eine Höhle besuchte, in der zahlreiche Mumien Museum und Papyrus- sammlung, SMB / Georg abgelegt waren. Unter den Köpfen fand er Etiketten Niedermeiser mit Namen, Berufsangabe und Geburtsort.8 In den Holztäfelchen mit geschweiften Enden spiegelt sich ein römisches Element des Totengedenkens wider, die tituli, die als meist in Marmor gefertigte Inschriftentafeln Gräber in Rom markierten.

Die Transformation ägyptischer Traditionen Mumifi zierung war für die ägyptische Jenseitsvor- stellung von zentraler Bedeutung, denn es galt, alle Elemente, die einen Menschen ausmachten, zu erhalten.9 Dieses Konzept war trotz diverser kul- send gemacht worden.4 Starke Verschmutzungen tureller Einfl üsse von solcher Kraft, dass die Mumi- und Beschädigungen führt Petrie darauf zurück, fi zierung noch in der Spätantike praktiziert wurde dass die Körper vor ihrer Bestattung über lange und sich Brandbestattungen nicht durchsetzten. Zeit in stehender Position dem Wetter ausgesetzt Wesentlicher Bestandteil der pharaonischen Aus- waren. Fliegendreck und Staub waren durch Regen stattung war eine idealisierte Mumienmaske mit gebunden, Stuckelemente abgebrochen und der den Zügen des Osiris, die dazu diente, den Verstor- Fußbereich beschädigt. Zudem bemerkte er auf benen an Osiris anzugleichen, zu dem er im Jenseits den Umwicklungen Kinderzeichnungen, aus denen werden sollte.10 er schloss, dass die Mumien in einem viel genutzten In ptolemäischer Zeit setzte ein Transformations- Raum aufgestellt waren. Er stellte daher die These prozess ein, der in der Verschiebung vom Osirisbild auf, dass sie im Atrium der Wohnhäuser verwahrt zum individuellen Abbild der verstorbenen Person wurden, und stützte sich dafür auf die Berichte Ausdruck fi ndet, was einen grundlegenden Wandel antiker Autoren wie Cicero und Lukian.5 Dominic im religiösen Verständnis markiert. Das Individuum Montserrat geht von Anbauten an Wohnhäusern rückt in den Vordergrund und der ursprüngliche, aus, wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Mumien ägyptische Aspekt des „Werdens zu Osiris“ tritt in speziellen Grabkapellen aufgestellt waren, wie zurück. An den Masken verdrängen Darstellungen sie für Hawara und er-Rubayat im Fayum, Kom el- zeitgenössischer Frisuren das ägyptische Kopf- Shaqafa, Alexandria, und Marina el-Alamein, west- tuch und die Gesichter erhalten individuelle Züge. lich von Alexandria, nachgewiesen sind.6 Diese Zugleich wird der Kopf aus der liegenden Position unterirdischen Gebäude haben Innenhöfe für angehoben und in römischer Zeit rundplastisch Opferhandlungen und umlaufende Bänke, die bei modelliert. In dieser Zeit fi nden auch die Mumien- Totenbanketts genutzt werden konnten. Die Besto- porträts Eingang in die Umhüllung und es entwi- ßungen und Kritzeleien mögen den Umhüllungen ckelt sich, davon angeregt, noch eine dritte Bildgat- während der Festlichkeiten zu Ehren der Ahnen tung im Bestattungskontext, die bemalten Leichen- zugefügt worden sein. tücher (Abb. 1). Insbesondere diese Gruppe führt Mumien sind nur selten mit Namen, Datum oder die Vermischung ägyptisch-römischer Traditionen, einer Bestimmung beschriftet. Die Namenlosigkeit Formen und Vorstellungen vor Augen, indem sie mag der Verwendung von separaten Mumien- links die zu Osiris gewordene Mumie des Verstor-

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Annette Paetz gen. Schieck benen zeigt, im Zentrum den Verstorbenen noch zu tierten. Um dennoch zu einer zeitlichen Einord- Lebzeiten und in zeitgenössischer Präsentation und nung der Bildnisse zu gelangen, sind gattungsim- rechts den Totengott Anubis, der den Sterbenden manente Ansätze verfolgt worden, die immer auf empfängt und geleitet.11 einer stilistischen Einordnung der Bilder bzw. des Mumienensembles beruhten. Die Betrachtungen Gold im ägyptischen Totenkult richten sich auf den Malstil, die Qualität und die Aus pharaonischer Tradition leitet sich die Ver- technische Ausführung der Malerei, auf die Anleh- wendung von Gold im Totenkult ab. Das promi- nung an römische Vorbilder und auf die Gestal- nenteste Beispiel ist die Totenmaske des Tut-Anch- tung des Gesamtpaketes von Mumie und Porträt.17 Amun. Hautpartien sollten golden erscheinen. Im Wesentlichen ist man sich darüber einig, dass Gold galt als „das Fleisch der Götter“, als Zeichen Mumienporträts in der Zeit vom 1. bis zum 3. Jahr- von Unsterblichkeit und Wiedergeburt, und es hundert n. Chr. entstanden sind, wobei manch einer herrschte die Vorstellung, dass vergoldete Körper- sie im späten 1. Jahrhundert v. Chr. einsetzen lassen partien nicht vergingen. Dieser Hoffnung wurde will und manch anderer sie mit dem Verbot der noch in ptolemäischer und römischer Zeit Aus- heidnischen Kulte durch das Edikt des Theodosius druck verliehen, indem Kartonage- und Stuckmas- im Jahr 392 auslaufen lässt. Für zukünftige Unter- ken, aber auch Mumienporträts und Leichentü- suchungen wäre der Einsatz der 14C-Analyse erfolg- cher vergoldet wurden.12 Schwarze Clavi wurden versprechend, bislang wurde nur ein Porträt auf gold gefasst, die Büste bis zur Kinnlinie bedeckt, diese Weise datiert, eine systematische Untersu- oder der Bildhintergrund fl ächig vergoldet. (Abb. chung an einer Reihe von Bildnissen in Verbindung 2) Zudem wurden die Lippen mit Gold belegt und mit der stilistischen Analyse wäre vielversprechend goldene Kränze aufs Haar aufgebracht. Derartige und eine spannende Ergänzung zu den bereits lau- Blattkränze verkörpern im Bestattungskontext ein fenden Untersuchungen an koptischen Mumien.18 hellenistisches Element. Urnen der Verstorbenen wurden Efeu-, Weinblatt- oder Lorbeerkränze aus Das gesellschaftliche Umfeld dünnem Goldblech beigegeben.13 Deren Abbildung Ägypten kam mehrfach unter fremde Herrschaft, auf den Mumienporträts schließlich bestätigen die doch wirkte sich keine dieser Phasen so deutlich auf diversen kulturellen Einfl üsse im römischen Ägyp- die kulturellen Hinterlassenschaften aus wie der ten. Dass das Gold nachträglich aufgebracht wurde, Hellenismus. Mit Alexander und den ihm folgenden verdeutlicht die unsaubere Verarbeitung des Mate- Ptolemäern wurde das letzte Kapitel der Pharaonen rials, das häufi g die Ränder der eingesetzten Bild- eingeleitet, das mit der Niederlage Kleopatras bei nisse auf die Mumienumwicklung überlappte.14 Actium 31 v. Chr. sein Ende fand. Von da an war die Gold ist somit ein wesentlicher Ausdruck der Jen- Provinz Ägypten unmittelbar dem römischen Kai- seitsvorstellungen und wurde in der Spätantike ser unterstellt.19 sogar unmittelbar auf die Haut aufgebracht, wie In ptolemäischer und römischer Zeit entwickelte unter anderem ein abgetrennter Frauenkopf mit sich eine multiethnische Gesellschaft, die sich aus vergoldeter Gesichtshaut und der Körper der Leu- einheimischen Ägyptern verschiedener Klassen und kyôné zeigen.15 zahllosen Zuwanderern zusammensetzte. Manche waren als Söldner und Veteranen Alexanders im Zur Datierung der Mumienporträts Land verblieben, andere kamen als Händler und Je enger der Datierungszeitraum gefasst werden Fabrikanten, angelockt von der wirtschaftlichen kann, umso klarer schält sich ein Bild von typo- Kraft Alexandrias, und wieder andere als römische logischen und stilistischen Entwicklungen einer Soldaten und Beamte. Während in ptolemäischer Objektgattung heraus. Im Fall der Mumienporträts Zeit die regionale Herkunft den Ausschlag für die stellt sich die Chronologie jedoch als schwierig gesellschaftliche Eingruppierung gab, verhielt es dar, da die frühen Ausgräber – mit Ausnahme von sich in römischer Zeit anders20: Die Oberschicht William Flinders Petrie16 – häufi g wie Schatzgräber bildeten die Inhaber des römischen Bürgerrechts, agierten und die Fundkontexte nicht dokumen- gefolgt von den Bewohnern der drei bzw. später

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Mumienporträts und ihre kulturellen Bezugssysteme

vier griechischen Städte, die nicht als Römer son- aufgedeckt. Sie lagen am Boden und wohl an der dern als Griechen angesehen wurden, aber den- Stelle, auf die sie von der Wand, an der sie einmal noch Staatsbürger waren. Die dritte Kategorie gehangen hatten, herabgefallen waren. Von dem stellten Ägypter, die als fremde, nicht-römische wiedergegebenen gerahmten Bilde fand man die Bewohner des Landes galten. In römischer Zeit trat Fragmente vereint daliegen.“ Und die skizzenhafte die ethnische Herkunft hinter der Bedeutung des Zeichnung an den Innenwänden eines Sarkophags Wohnortes zurück. Zusätzlich gab es Abstufungen aus Kertsch in St. Petersburg bildet ein Maleratelier zwischen Stadt- und Landbewohnern, Bewohnern ab, an dessen Wand eine Porträtbüste im Achten- wirtschaftlicher Zentren auf dem Land, oder Frei- denrahmen hängt, was für eine Verbreitung der- gelassenen. artiger Bilder auch außerhalb Ägyptens spricht.26 Unter den Funden aus Ägypten gibt es auch runde Zum primären Verwendungszweck der Mumien- Bilder mit Büstenporträts. porträts Sowohl für die quadratische Form mit mono- Bei einer Reihe von Holzpaneelen lässt sich fest- chromer, rahmender Leiste als auch für die runden stellen, dass sie ursprünglich quadratisch waren Bildfelder ohne Rahmen fi nden sich Vergleiche in und dass sie, nachdem das Bild aufgetragen war, der pompejanischen Wandmalerei. Das Bildnis des auf eine schmale Form reduziert worden sind.21 Die Terentius Neo und seiner Frau aus dem Vestibül Gemälde weisen häufi g grobe Spuren der mehr- eines Privathauses bietet in vielerlei Hinsicht enge fach angesetzten Säge auf. Im Fall zweier Män- Parallelen und schließlich Aufschluss für die ägyp- nerbilder fanden sich die abgesägten Seiten in der tischen Mumienporträts27 (Abb. 4), ebenso wie das Mumienwicklung. Ein Mumienporträt in Dresden rechteckige Frauenporträt in Mosaiktechnik aus ist wiederverwendet worden, es zeigt auf der Rück- dem Tablinum h des Hauses VI, 15, 14, das runde seite ein versetzt angebrachtes Frauenbild und Sapphobildnis und das eines jungen Mädchens aus auf der Schauseite ein vollständiges Männerbild.22 dem Haus des Loreius Tiburtinus, das heute zerstört Der bedeutendste Fund dieser Art ist ein Porträt ist. Sowohl die quadratischen Bilder als auch die von quadratischer Grundform, das sich in seinem runden haben ähnliche Maße, die bei den eckigen originalen Achtendenrahmen befi ndet, an dem Bildern zwischen fünfzig und sechzig Zentimetern noch die Aufhängeschnur befestigt ist. (Abb. 3) im Quadrat liegen, bei den runden zwischen zwan- Dieses Bild fand sich in einem Grab in Hawara und zig und dreißig Zentimetern im Durchmesser. Doch war auf die Mumie ohne Porträt gelegt worden.23 fi nden sich vergleichbare Präsentationen auch als Diese Praxis scheint häufi ger angewendet worden Miniaturmalereien hinter Glas, in einem Fall inte- zu sein, wie ebenfalls aus dem Bericht von Daniel griert in ein Goldamulett und in einem anderen als M. Fouquet aus dem Jahr 1887 hervor geht24: „Der ovale Scheiben in einem Rahmen. Boden war bedeckt mit Leichen, die einen mumi- fi ziert, die anderen nur in mehrere übereinander- Zum Realitätsbezug der Porträts liegende Leichentücher eingewickelt […] Die Wände Ein wichtiges Thema in der Diskussion um Mumi- der Grotte waren mit einer sehr großen Zahl von enporträts ist ihr Bezug zum Verstorbenen, die auf Holz gemalten Porträts geschmückt, […]“. Auch Frage, ob sie reale Abbilder oder idealisierte Bilder Abb. 3 Otto Rubensohn berichtete über solche gerahmten sind.28 Trotz starker Standardisierung in Wahl des Frauenporträt im Bilder- Gemälde, die er in den Ruinen von Privathäusern in Bildausschnittes, Darstellung, der Körperwendung rahmen 45, 5 x 41 cm Tebtynis fand. Seine Berichte sind bei Werner Ehlich und besonders in Kleidung und Schmuck zeigen Hawara überliefert25: „In einem der Häuser war eine ganze Mumienporträts realistische Bilder von Personen British Museum London Anzahl von Einzelfunden zu verzeichnen, deren mit individuellen Zügen, wie Kopfform oder eigen- Inv. Nr. GRA 1889.10-18.1 Nach R. P. Hinks: Catalo- wichtigste Holztafelbilder waren […]. Das betref- williger Haar- oder Barttracht. Beispiele hierfür sind gue of the Greek Etruscan fende Haus war jedoch derart zerstört, daß sich ein Männerbildnis mit energischer Kopfwendung, and Roman Paintings and darin nur noch drei in einer Flucht gelegene Zim- kantigen Augenbrauen, starken Nasolabialfalten, Mosaics in the British Museum, Oxford 1933, Nr. mer untersuchen ließen. In dem mittelsten wurden und geröteter Haut, das Bild eines dunkelhäutigen 85 Taf. XXIV die in zahlreiche Fragmente zerbrochenen Bilder jungen Mannes mit großen Augen, rundlicher

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Nase, vollen Lippen, einem wollig fl aumigem Voll- Aufnahmen an, nach denen 3D-Modelle gefertigt bart, angedeutetem Oberlippenbart und kurzem werden, auf die, wie im Fall der Hermione und des lockigem Haar, oder das Bildnis eines Mannes mit Artemidoros, das Gemälde projiziert wird. Für zwei nacktem Oberkörper, dessen Vollbart zu einer Spit- Mumienköpfe aus Hawara wurden am Museum ze geformt ist. Damit erfüllen Mumienporträts die der Universität Manchester basierend auf Kennt- erforderlichen Kriterien, um als Porträts angesehen nissen über Muskelverläufe und Gewebedicke pla- zu werden.29 Immer kommen auch zeitbedingte stische Modelle erarbeitet, wobei zu betonen ist, stilistische Einfl üsse und Einzelformen hinzu wie dass die Gesichtsrekonstrukteure die Mumienpor- Inkarnat oder Nase. Die Bilder können in idealisie- träts nicht kannten.34 Beide rundplastische Rekon- render Weise geschönt, geglättet oder begradigt struktionen sind den abgebildeten Personen sehr sein, und es ist auffällig, dass nie asymmetrische ähnlich. Bei der Frau entsprechen sich Kopfform, oder verletzte Gesichter gezeigt werden, auch keine Lippen und Frisur, ebenso das individuelle Detail der krummen Nasen, Narben oder gar Blindheit. Den- stark gebogenen und langen Brauen, die über der noch sind Mumienbildnisse als Refl exe anzusehen, Nasenwurzel zusammen gewachsen sind. Auch das die zumindest eine Ähnlichkeit mit der dargestell- Männerbild weist enge Parallelen zum Modell auf: ten Person aufwiesen, da sie dem direkten Vergleich ein fülliges Gesicht mit Stirnfalten, starken Augen- standhalten mussten und der Erinnerung dienten, brauen und dem hohen Ansatz des kurz geschnitte- sei es als einzeln aufgehängtes Porträtgemälde im nen Haares, einer etwas unebenen Nase und vollen, Haus, als im Leichenzug durch die Stadt getragenes geschwungenen Lippen. Allerdings scheint zwi- Abbild oder während der Aufstellung in der Begräb- schen der Porträtsitzung und dem Tod des Mannes niskapelle. eine gewisse Zeitspanne gelegen zu haben. Medizinische und forensische Untersuchungen wurden bislang nur an einzelnen Porträtmumien Inkarnat und Frisur vorgenommen, erste Schritte unternahm bereits Abgesehen von der Physiognomie spielen bei der William Flinders Petrie.30 Röntgenverfahren und Gestaltung der Porträts auch Zeitstil und Zeitge- Computertomographie erbrachten, dass äußerlich schmack eine Rolle. Im Fall der Mumienporträts sorgsam präparierte Mumien ungeordnete Kno- hat man sich an römischen Vorbildern orientiert, chenbündel enthalten können, und dass gelegent- wie Vergleiche mit Kaiser- und Privatbildnissen lich ein Bildnis dem falschen Körper zugeordnet zeigen.35 Vor allem Barbara Borg hat Frisuren- war, wie das Beispiel einer äußerlich männlichen formen und -moden sowie die Auffassung der Mumie zeigt, die einen weiblichen Körper enthält.31 Gesichtszüge verglichen, die Übereinstimmungen Bezüglich des Alters entspricht das Sterbealter als Datierungskriterien genutzt und eine zeitnahe häufi g dem Alter des Abgebildeten, ebenso häufi g bzw. zeitgleiche Herstellung vorausgesetzt. Frisur- aber bestehen Diskrepanzen zwischen dem eher formen und -moden wurden durch Konterfeis der jugendlichen Bild und dem gealterten Körper.32 Kaiser und ihrer Familien geprägt. Bei ihrem Amts- Untersuchungen an der Porträtmumie der Her- antritt ließen die Herrscher Bildnistypen gestalten, mione im Ghirton College, Cambridge, erbrachten die vielfach kopiert in die Provinzen verschickt und unter anderem, dass die im Bild angegebene Fri- als offi zielle Repräsentanten des Kaisers an öffent- sur mit der tatsächlichen Frisur der Mumie über- lichen Plätzen aufgestellt wurden. Die charakteri- Abb. 4 einstimmt, was die These bestätigen könnte, dass stischen Bildnisse sorgten zum einen für eine klare Terentius Neo und die Bildnisse nach dem Tod angefertigt wurden.33 Erkennbarkeit des neuen Herrschers, zum anderen seine Frau Dagegen spricht jedoch, dass der Verwesungspro- vermittelten Gesichtsausdruck und Ausstattung 52 x 52 cm Wandmalerei zess bereits weit fortgeschritten war, als die Tote deutliche Botschaften zur politischen Grundhal- Aus Pompeji mumifi ziert wurde. Somit ist anzunehmen, dass tung und zu gesellschaftlichen Leitbildern. Zu 3. Viertel 1. Jahrhundert ein realistisches Porträtgemälde bei dem stark ver- besonderen Anlässen wie Jubiläen, Triumphen und n. Chr. gangenen Körper kaum noch möglich gewesen ist, militärischen Erfolgen konnten neue Typen geprägt Museo Archeologico Nazionale Neapel das Bild also zu Lebzeiten angefertigt wurde. und verbreitet werden, bei Kaiserinnen waren Nach K. Gschwantler, Heute bieten sich computertomographische Hochzeiten oder Kindsgeburten und bei Prinzen die S. 42 Abb. 5

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Mumienporträts und ihre kulturellen Bezugssysteme

Erhebung zum Thronfolger Anlass zu neuen Bild- im Wechsel zusammensetzen, gefl ochtene Gold- typen.36 Diese Elemente, die als Charakteristika für ketten mit Lunula-Anhängern oder Münzmedail- jeweilige „Zeitgesichter“ gelten, wurden in den Pro- lons mit durchbrochenem Rand. Der Ohrschmuck vinzen rezipiert und haben auf Privatporträts wie beschränkt sich auf S-förmige Drähte mit zwei oder Mumienbilder gewirkt. Möglicherweise verbanden drei Perlen, einzelne Ringe mit hängenden Perlen die Porträtierten eine gewisse Zugehörigkeit mit und Smaragden, goldene Querstäbe mit zwei bis der Angleichung an bestimmte Herrscherbilder vier hängenden Goldstäbchen und abschließender und brachten Loyalität zum aktuellen oder zum Perle sowie einzelne große Goldkugeln. Seltene nicht mehr amtierenden Kaiser zum Ausdruck. Ausnahme ist eine unter der Brust gekreuzte Kette, Grundsätzlich ist aber zu bedenken, dass die die um Hals und um Taille getragen wird.39 (Abb. 6) Wahl der Frisur auch eine Typfrage und es nicht zu An den Bildnissen, aber auch in den Schriftquel- klären ist, ob man sich für eine Frisur entschied und len Ägyptens wird deutlich, dass man bemüht war, sie ein Leben lang beibehielt, ob man sie je nach keine einheitlichen Schmucksets aus zusammen- Mode änderte, oder ob man sie nur zu offi ziellen gehörenden, gleichförmigen Elementen zu besitzen Anlässen trug, im Alltag aber eine ganz andere, und zu präsentieren, sondern vielmehr Zusammen- möglicherweise praktischere wählte. Für die Kon- stellungen verschiedener Einzelstücke.40 Fast ist tinuität bei offi ziellen Anlässen spricht die Über- man geneigt, hierin einen Code zu sehen, der dem einstimmung von abgebildeten und tatsächlich an Betrachter mitteilte, welche Lebensabschnitte die den Mumien nachweisbaren Frisuren wie bei Her- abgebildete Dame bereits absolviert hat. Schmuck mione sowie den plastisch rekonstruierten Köpfen. verkörperte den Status einer Frau und war unver- Für modische Einfl üsse sprechen die Bildnisse des zichtbarer Teil ihrer Ausstattung im repräsentativen Mannes in Manchester, der in drei Phasen seines Bild. Er war Symbol für Wohlstand und Schönheit, Lebens und zugleich in zwei Gruppenzugehörig- zugleich aber auch persönliches Eigentum der Frau, keiten präsentiert wird: als Jüngling mit fl aumig das sie mit in die Ehe brachte und, wenn nötig, auch gelocktem Kinnbart, leichtem Oberlippenbart und wieder mitnahm. voluminösen Locken, als gereifter Mann mit kurzer Alle abgebildeten Schmuckformen lassen sich Haarkappe und gestutztem Bart und als Mann mit im Fundrepertoire Ägyptens, aber auch in Pompe- nacktem Oberkörper, Dreitagebart und lockiger ji nachweisen, entsprechen also einem homogen Haarkappe.37 römischen Formenschatz.

Realia – der Schmuck Bekleidungskonventionen Einen realen Bezug zu römischen Vorbildern weisen Wenn auch die Schulterpartie in eher expressiver auch die abgebildeten Schmuckstücke auf.38 Wäh- Malweise angelegt und der Bildausschnitt begrenzt rend Männer gelegentlich mit einem goldenen Fin- ist, so sind den Bildern doch wesentliche Informa- gerring, oder einer Fibel ausgestattet sind, tragen tionen zu Bekleidungsbestandteilen, ihrer Anord- Knaben eine rundliche Bulla oder eine zylindrische nung und vor allem zur Farbigkeit zu entnehmen. Amulettkapsel. Frauen sind dagegen mit reichlich Es lassen sich vier Gewandelemente feststellen, Schmuck angetan, stets mit zwei, drei oder mehr die von Männern und Frauen gleichermaßen getra- Ketten verschiedener Typen, mit einer großen Haar- gen werden: Als Übergewand diente ein Mantel, nadel, sowie Ohr- und Scheitelschmuck. In den Fäl- der aber auch weggelassen werden konnte. In der len, in denen die Arme ins Bild ragen, fi nden sich Regel verläuft er über die linke Schulter und wird Schlangenarmreife und Fingerringe. im Rücken bzw. Nacken weiter geführt. Bei Frauen Trotz der üppigen Ausstattung ist das Reper- handelt es sich um ein rechteckiges Tuch, bei Män- toire der Typen und Formen begrenzt. Unter den nern könnte es eine Toga sein. Halsketten fi nden sich einreihige Perlenketten, Das Hauptkleidungsstück ist ein Obergewand Kolliers aus zylindrischen Smaragden im Wechsel mit schmalem Halsausschnitt, das in der Forschung mit kleinen Goldkugeln, solche, die sich aus ova- einmal mit „Tunika“ und einmal mit „Chiton“ len, goldgefassten Amethysten und Smaragden bezeichnet wird. „Chiton“ bietet sich insofern an,

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Annette Paetz gen. Schieck als die Schriftsprache Ägyptens Griechisch war und len. Die weiße Farbe und die Art der Fransen spre- in Kleiderlisten Chitone erwähnt werden. Traditio- chen erneut für die Verwendung von Leinen. Das nell ist unter einem Chiton ein griechisches Frauen- Tuch wird diagonal von der linken Schulter über die gewand zu verstehen, das aus einer textilen Röhre Brust geführt. Es scheint die Funktion eines Brust- besteht, deren obere Ränder auf der Armoberseite tuches zu haben, das sich aber von dem horizontal zusammen geknöpft sind. Die Zwischenräume zwi- gewickelten Busenband unterscheidet. Die Mumi- schen den Knöpfen klaffen auf und gewähren Ein- enporträts lassen keine Aussagen darüber zu, ob blicke in das darunter Liegende; im Römischen wird sich dieses Wickeltuch allein auf den Oberkörper dieses Gewandmodell Calasis genannt.41 beschränkt oder ob es ein langes Gewand gewesen Die in den Porträts gezeigten Gewänder haben ist. Die asymmetrische Wicklung geht möglicher- jedoch geschlossene Schulterpartien und ein- weise auf pharaonische Gewänder zurück.45 gewebte Clavi – beides Charakteristika für eine Nacktheit bzw. partielles Unbekleidetsein wird Tunika. Tuniken waren zunächst aus zwei Gewebe- ausschließlich bei männlichen Porträts themati- bahnen gefertigt, die an den Körperseiten und den siert, was auf eine gesellschaftliche Gruppenzuge- Schultern durch Nähte geschlossen wurden. Diese hörigkeit schließen lässt. Abgebildet sind Männer sind in den Mumienporträts als gestrichelte Lini- aller Altersstufen ohne Attribute und Beischriften, en angegeben.42 In der Kaiserzeit änderte sich die so dass eine Identifi zierung der Gruppe schwierig Fertigungsweise, das Gewand wurde nun mitsamt ist.46 Zu sehen sind nackte Schultern, ob hier ledig- Ärmeln und Dekor in Form gewebt und schließlich lich ein nackter Oberkörper oder sogar ein vollstän- nur noch an den Körperseiten vernäht. Die Clavi, dig unbekleideter Körper gemeint ist, muss unbe- die, wenn sie in echtem Purpur ausgeführt sind, bei antwortet bleiben. Dominic Montserrat interpre- Männertuniken die Funktion von Standeszeichen tiert die Dargestellten als Mitglieder einer gesell- haben, sind bei der Masse der Bevölkerung schlich- schaftlichen Gemeinschaft, deren verbindendes te Schmuckstreifen. Sie markieren den Anfang einer Element ein absolvierter Initiationsritus gewesen spezifi sch römischen Dekorationstradition, die mit ist. Doch steht die Nacktheit möglicherweise auch monochromen Streifen beginnt, die zunehmend für körperliche Ertüchtigung und Trainiertheit im fi gürlich ausgestaltet werden. Sinne des griechischen Bildungsideals. Unter der Tunika wird häufi g eine zweite ange- geben, deren Ausschnitt in der Halsöffnung der Frauendarstellungen Obertunika zum Vorschein kommt.43 Diese Gewän- Frauenkleidung ist hinsichtlich ihrer Bestandteile der sind immer weiß, was auf Leinen schließen und Farbigkeit recht einheitlich, ungeachtet des lässt, ein angenehm auf der Haut zu tragendes Alters der Dargestellten (Abb. 5 bis 7). Die Mehrzahl Material, das bei höheren Temperaturen kühlt. der Porträts zeigt eine Tunika von roter bzw. purpur- Zudem schirmt es die Haut von der leicht kratzigen farbener Grundfarbe mit schwarzen Clavi. In der Wolle der Obergewänder ab, auf die aufgrund der Öffnung des Halsausschnittes erscheint häufi g die Farbigkeit der Frauengewänder geschlossen wer- weiße Untertunika, und als Übergewand dient ein den muss. Untertuniken sind ebenfalls mit Clavi Mantel. In der Regel bilden Tunika und Mantel ein versehen, die unmittelbar am Zwickel des Halsaus- farblich abgestimmtes Set. Die Varianten zu dieser schnittes ansetzen und als je zwei schmale Linien Standardkleidung liegen vor allem in der Schattie- parallel über die Vorder- und Rückseite vertikal am rung des Rottons (er kann zwischen Rot, Rosa und Gewand entlang laufen. Zusätzlich kann der Rand Violett variieren), im Weglassen des Mantels oder von einer farbigen Zackenlinie eingefasst sein. auch in der Wahl ganz anderer Farbkombinationen Was bislang noch nicht erkannt wurde, ist ein für Tunika und Mantel. Solche Bildnisse sind jedoch Bekleidungselement, das als unterste Schicht in der Minderzahl, zudem lassen sie keine Systema- offenbar unmittelbar am Körper getragen wurde, tik erkennen.47 und das ebenfalls bei Männern und bei Frauen Vereinzelt werden die dunkelroten Tuniken, wenn auftritt.44 (Abb. 5) Es handelt sich um ein Tuch mit sie ohne Mantel getragen werden, mit ungewöhn- Fransen, die aus dem Ausschnitt auf die Tunika fal- lichen Accessoires kombiniert: Ein Porträt präsen-

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Mumienporträts und ihre kulturellen Bezugssysteme

tiert auf jeder Schulter eine goldgefasste Fibel mit Palmyra, gefertigt in Leinen und Baumwolle.49 Wäh- je vier Knubben und einem ovalen Schmuckstein, rend das Mumienporträt eine Frau in der üblichen die einem in Ägypten gefundenen Schmuckstück Tunika zeigt, hat ursprünglich nur ihr Haarknoten in London entspricht.48 Andere Bildnisse zeigen ein mit zwei Bändern darauf hingewiesen, dass sie dem Tuch mit Fransen, im Nacken aufl iegend. Die weiße Isiskult nahe stand. Nachträglich, im Rahmen der Farbe und die Form der Fransen legen wiederum Bestattungsvorbereitungen, wurde dieser Sach- nahe, dass es sich um ein Leinengewebe handelt, verhalt zusätzlich durch eine Reihe von in Gold das jedoch schmal gearbeitet ist und sich von dem aufgelegten Schmuckstücken wie einer Kopfbinde üblichen Mantel unterscheidet. Die Fransen sind mit sternförmigem Einsatz über der Stirn hervor- charakteristisch und führen den für Leinentextili- gehoben. en typischen Gewebeabschluss aus gebündelten Lediglich ein Frauenbildnis in Baltimore und Kettfäden vor. Das schmale Textil ist hier als eine ein weiteres in der Sammlung M. Nahmann wei- Art Schleiertuch zu deuten, das auch über dem Hin- chen vollkommen von den anderen ab. Das lange, terkopf getragen werden konnte, wie ein einzelnes im Nacken offen getragene Haar und das weiße, Bildnis belegt. abgesehen von einem Isisknoten unspezifi sche Eine andere Drapierung führt eine mit vergol- Kleidungsstück fallen unter den gleichförmigen detem Stuck gestaltete Porträtmumie in Kairo Bildnissen auf und haben zu der Deutung geführt, vor: Vor der Brust sind die Enden zu einem Isiskno- dass es sich hier um eine Priesterin des Isiskultes ten geschlungen, die Gewebeabschlüsse sind als handelt,50 was in einem Fall durch die Angabe eines gezwirnte, zu Schlaufen gewundene Kettfaden- Sistrums bestärkt wird. bündel wiedergegeben. Vergleichbare Gewebeab- Bemerkenswerterweise zeigen Frauenbildnisse schlüsse fi nden sich bei originalen Textilfunden aus keine weiteren Attribute, die Aufschluss geben Abb. 5 könnten über die Ausübung von religiösen Kultprak- Frau mit Brusttuch tiken, über berufl iche Tätigkeiten oder die Fähigkeit 40 x 16, 7 cm zu lesen. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass auf Fundort unbekannt Ägyptisches Museum und keinem Porträt die bei Frauenbildern typischen Papyrussammlung, Staat- Motive Spindel und Rocken abgebildet sind, die sich liche Museen zu Berlin in römischer Zeit in Regionen wie Pannonien und Inv. Nr. ÄM 22606 Foto: bpk / Ägyptisches Germanien als Symbol für das weibliche Lebensum- Museum und Papyrus- feld herausbildeten. sammlung, SMB / Georg Insgesamt vermitteln Frauenbildnisse den Ein- Niedermeiser druck von Etabliertheit, Ruhe und Sittsamkeit, ver- deutlicht durch verschiedene Bildelemente: Das Haar ist auf dem Hinterkopf zusammen gebunden und mit einer dominant in Erscheinung tretenden Haarnadel gesichert. Die Frisur kann nach einer zeitgenössischen Mode gestaltet sein, doch scheint von wesentlicher Bedeutung der Aspekt des Geord- neten zu sein, denn weder Strähnen noch Löckchen lösen sich an den Schläfen oder im Nacken. Darüber hinaus wirkt die Kleidung wie eine vorgeblendete Folie, in der sich selten Körperformen abzeichnen. Jegliche Rundung ist von Mantel, Tunika, Untertuni- ka und Brusttuch verdeckt und der Halsausschnitt versperrt den Blick ins Dekolleté. Ausnahmen sind lediglich zwei Bildnisse mit schräg verlaufenden Halsöffnungen, die an einer Seite etwas tiefer bli- cken lassen. Nur ein Bildnis zeigt eine entblößte

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Schulter. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, Vorzeichnung trägt, in die Angaben für die Farbfas- dass moderne Retuschierungen für den offenher- sung hineingeschrieben wurden.52 Über der einen zigen Eindruck verantwortlich sind.51 Schulter steht porphyra, was sich auf das Gewand Nur ein Frauenporträt regt an, sich vorzustellen, bezieht. dass unter der Kleidung noch etwas Attraktives zu Neben dem Aspekt von Luxus und Wohlstand, fi nden sein könnte: Ein breites goldenes Band führt den diese kostbare Farbe verkörpert, wurde derar- möglicherweise zu einem goldenen Brustband, so tig gefärbten Frauengewändern auch eine andere wie bei der marmornen Venusstatuette aus der Bedeutung beigemessen, und es fi ndet sich hierfür Casa del Venere in Pompeji, oder es war Teil einer im römischen Kontext eine Vorlage: die Stola. Sie goldenen Oberkörperkette, deren untere Teile um galt als Kennzeichen der weiblichen Romanitas, als die Taille geschlungen sind. (Abb. 6) Es muss also Symbol für die moralische Integrität, sie war das davon ausgegangen werden, dass bei dieser Art weiblich besetzte Pendant zur männlich besetzten von Selbstinszenierung der Eindruck von Freizügig- römischen Toga. Teil ihrer Symbolkraft war dabei die keit und der Anfl ug von Erotik vermieden werden rote bzw. purpurne Farbe. Ihre Form war die einer sollten – zumindest stellt sich das dem heutigen stoffreichen Röhre, die an einer Seite geschlossen, Betrachter so dar. durch fi ligrane Träger gehalten und zusätzlich gegürtet wurde. In Kombination wurde stets ein Die Damen in Rot-Violett (Abb. 5 bis 7) weißes Untergewand getragen, das zunächst aus Die porträtierten Frauen bilden auch hinsichtlich der Calasis bestand. Seit neronischer Zeit konnte des Alters eine homogene Gruppe: Frauen, deren statt ihrer auch die Tunika angelegt werden und Ausstattungskanon den beschriebenen Schmuck- die Gewandtypen wurden austauschbar. und Kleiderkonventionen folgt, sind „in ihren Als sich das Purpurverbot Neros durchsetzte, besten Jahren“ angegeben, als gereifte Frauen, sel- wurde die Stola abgelegt und Calasis und Tuni- ten mit kindlichen Züge oder grauem Haar. Gezeigt ka selbst entwickelten sich zum charakteristisch werden Frauen einer bestimmten Schicht, in einem römischen Frauengewand, zu dem ein Mantel gewissen Lebensstadium, vermittelt wird der Ein- getragen wurde. Diese Verschiebungsprozesse hat druck von gehobenem gesellschaftlichem Status Birgit I. Scholz dargelegt und festgestellt, dass der und Etabliertheit. Dabei haben die Bildkomposition, rote bzw. purpurne Farbton der Stola auf die Tunika der Bildausschnitt, die Position der Abgebildeten, übertragen und dass diese nun nach dem Wegfall aber auch Einzelelemente wie die Schmuckformen Abb. 6 und Frisuren gezeigt, dass man sich an römischen Frau mit Oberkörper- kette Vorbildern orientierte und es ist anzunehmen, dass 37 x 20 cm sich auch die Formen und Farben der Gewänder auf Hawara römische Vorbilder beziehen. Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, Staat- Die bestimmende Grundfarbe für Frauenklei- liche Museen zu Berlin dung ist eine irgendwie geartete Schattierung Inv. Nr. ÄM 10974 von Rot, die leuchtend dunkelrot, fl iederfarben, Foto: bpk / Ägyptisches Museum und Papyrus- hellrosa oder dunkelviolett ausfallen kann. Sehr sammlung, SMB wahrscheinlich ist mit diesen Grundfarben eine Färbung mit Purpur gemeint, dem teuersten und begehrtesten Farbstoff für Textilien, den sich nur wenige, sehr wohlhabende Personen leisten konn- ten. Färbeexperimente haben gezeigt, dass echter Schneckenpurpur die aufgeführte Bandbreite von Farbschattierungen ergeben kann. Als Beleg dafür, dass die Mumienporträts tatsächlich purpurne Gewänder präsentieren sollen, ist ein unfertiges Mumienporträt aus Tebtynis anzuführen, das eine

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Mumienporträts und ihre kulturellen Bezugssysteme

Abb. 7 Darstellung der Gattin des Terentius Neo auch hin- Ältere Frau sichtlich der Bekleidungselemente ermöglichen es, 38 x 12 cm Fayum diesen Ansatz auch auf die Deutung der Mumien- Antikensammlung, Staat- porträts zu übertragen. Somit erklären sich die Bild- liche Museen zu Berlin nisse als Darstellungen von ägyptischen Damen in Inv. Nr. 31161, 10 Foto: bpk / Antikensamm- ihrem Selbstverständnis als römische Matrone. Sie lung, SMB / Johannes führen die Wertvorstellungen vor Augen, die die Laurentius Anforderungen an römische Matronen prägten, indem sie ein sittsames, angemessenes Verhal- ten zeigen, das sich in bedeckender Kleidung und geordnetem Haar ausdrückt. Genannt wurde dieses Verhalten Pudicitia, ein moralischer Wert, der sogar in Frauengestalt personifi ziert und verehrt worden ist. Mumienporträts spiegeln somit den Konsens einer Gesellschaft auf römische Verhaltensnormen. Bei Frauen sind es ausschließlich diese sittlichen Aspekte, die das angemessene Verhalten einer ehr- baren Matrone ausmachen und in Grabinschriften und anderen Texten hervorgehoben wurden. Auf- fällig ist jedoch, dass zwischen den Mumienport- räts, den in Texten aufgelisteten Objekten und tat- sächlichen Textilfunden eine Diskrepanz besteht.54

Die Herren in Weiß (Abb. 8 bis 10) Wie bei den Frauenbildnissen ist auch bei Männer- porträts die Gewandfarbe für den repräsentativen Kontext fest zugewiesen und unabhängig vom Alter des Dargestellten. Auch Männer tragen ein abgestimmtes Set aus Tunika und Mantel, Weiß ist die bestimmende Farbe. Auf der Tunika können dunkelrote Clavi angegeben sein. Der Mantel fällt als voluminöser Bausch über die linke Schulter, gele- gentlich sind diagonale Falten über der Brust ange- deutet. Bausch und Schultergestaltung zeigen eine Unschärfe: Es bleibt unklar, ob hier ein griechischer Mantel oder die römische Toga wiedergegeben ist, die als das Symbol der männlichen Romanitas zu werten ist. Nur bei wenigen Porträts sind die Man- telfalten mit einem erläuternden Detail versehen, das einen Mantel griechischen Typs kennzeichnet. der Stola zum Kennzeichen einer römischen Matro- Zu erkennen sind die gegabelten Enden eines in den na wurde. Scholz macht diesen Wandel am Bild der Stoff gewirkten Schmuckelementes, eines Gam- Frau des Terentius Neo in Pompeji deutlich53: „Letz- madions55 (Abb. 1), das aus einem rechtwinklig teres wird seinen Grund sicher darin haben, dass abknickenden Balken mit gleich langen Schenkeln diese Bäckers- oder Advokatengattin in vespasia- und gegabelten Enden besteht. Variationen können nischer Zeit die stola nicht mehr tragen durfte und einzelne Balken mit zweiseitig gegabelten Enden deswegen nun wenigstens für ihre tunica eine rote sein, oder Formen, die nach dem griechischen Farbe wählte.“ (Abb. 4) Die engen Parallelen in der Buchstaben Eta gestaltet sind. Unter den Beklei-

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Annette Paetz gen. Schieck dungselementen sind ausschließlich Mäntel mit tens bedeuten, dass das Himation als Ausdruck solchen Ornamenten versehen, die sich in die Ecken von Bildung und „savoir vivre“ gewählt wurde. Der fügen. Zahlreiche originale Textilien mit eingewirk- römische Anteil mag dabei auf die römische Staats- ten Gammadien haben sich vor allem im östlichen bürgerschaft hinweisen. Insgesamt könnte das, Mittelmeerraum erhalten, so in Dura Europos und was am Brüdersarkophag in Neapel an derselben Palmyra, Syrien, Qasr Ibrim und Khirbet Qazone, Jor- Person in vierfacher Variation vor Augen geführt danien, und auch am Mons Claudianus, Ägypten.56 wird, bei den Mumienporträts und Leichentüchern Nimmt man für die Betrachtung ergänzend die in einer Figur zusammen gezogen worden sein.57 bemalten Leichentücher hinzu, so zeigt sich, dass Somit wäre die Unschärfe bzw. das Vexieren inner- das, was im Schulterbereich eine Toga sein könnte, halb eines Bildes ein beabsichtigtes Stilmittel und im Hüftbereich zu einem griechischen Mantel mit ein Spielen mit der Form. Ebenso wahrscheinlich eckiger Grundform umbricht und mit Gammadien ist aber, dass man in den Regionen außerhalb von versehen ist. Alexandria keine vollständige Toga als Modell vor Ausgehend von den Frauenporträts kann auch Augen hatte, möglicherweise weil nur Büsten- für die Männerbilder vorausgesetzt werden, dass darstellungen von Kaisern und Beamten dorthin man sich an römischen Vorbildern orientierte, und gelangten. auch hier zeigen sich enge Parallelen zu dem Bildnis Zu der beschriebenen Standardkleidung tritt des Terentius Neo aus Pompeji, das ebenfalls eine eine Variante, die sich in der Drapierung des Man- Deutung des Übergewandes offen lässt. Über den tels zeigt. Sie beschränkt sich auf den religiösen Grund der verunklärten Manteldarstellung lässt Kontext, der auch durch Haartracht und Attribute sich nur mutmaßen: Handelt es sich um eine Frage formuliert wird. Jugendliche Isismysten sind durch der Mentalität, dann könnte ein eher griechisch zusammengebundene Nackenzöpfe mit zwei Band- geprägtes Selbstbild der römischen Bürger Ägyp- enden, durch seitlich am Kopf ansetzende Horuslo- cken oder durch nahezu kahl geschorene Köpfe cha- Abb. 8 rakterisiert. Der einzige als Mumienbild bekannte Bildnis eines Mannes Serapispriester ist durch ein an der Stirn getragenes 43 x 22, 4 cm Hawara Sternmotiv gekennzeichnet.58 Beim Mantel ist eine Ägyptisches Museum und sorgsame Faltung des Saums in fl ache, gleichblei- Papyrussammlung, Staat- bend breite und steife, wohl gestärkte Bahnen liche Museen zu Berlin Inv. Nr. ÄM 19722 bemerkenswert. Die Gestaltung der Falten erin- Foto: bpk / Ägyptisches nert an eine spätere Drapierungsform der Toga, die Museum und Papyrus- Contabulation, doch zeigt die Führung der Säume, sammlung, SMB / Jürgen Liepe dass es sich hier nicht um eine Toga handelt, wie Hans R. Goette annimmt, denn der vertikal von der linken Schulter des Dargestellten herab laufende Gewandteil ist über den diagonal über die Brust gespannten Teil drapiert und nicht darunter, wie es für eine Toga angemessen wäre.59 Besonders ein Leichentuch in London macht deutlich, dass der senkrechte Faltensturz über den gewickelten Man- tel drapiert ist und dass der Saumverlauf eher ein rechteckiges Tuch markiert. Der Zusammenhang, den Goette zwischen dieser Art der Gewanddra- pierung und dem Serapiskult herstellt, ist einleuch- tend, und junge Männer ohne Attribute können als Novizen dieses Kultes angesehen werden. Der Sera- piskult, eine erst in hellenistischer Zeit entstandene Variante des Osiriskultes, legt zudem nahe, dass bei

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Abb. 9 Zeit zu datieren ist. (Abb. 11) Die Männer tragen Isismyste weiße Tuniken mit dunkelblauen Clavi, auf ihrer 32 x 16 cm Fayum linken Schulter ruht in ungetragenem, aber gefi - Antikensammlung, Staat- beltem Zustand ein dunkelblauer Mantel. Die Fibel liche Museen zu Berlin selbst ist eher expressiv ausgeführt, aber als sil- Inv. Nr. 31161, 41 Foto: bpk / Antikensamm- berfarbene Bogenfi bel zu erkennen, ein Typus, der lung, SMB / Johannes charakteristisch ist für das römische Militär. Das Laurentius wichtigste Attribut ist der schräg über der Brust verlaufende rote Gurt mit goldfarbenen Nieten, der von einer Schulter zur jeweils gegenüberliegenden Körperseite getragen wird. Dieser Balteus führt zu einer rundlichen Form in der Bildecke, einem Schwertknauf. Schwertgurt und Schwert geben schließlich die entscheidende Information, die die Person als Soldaten charakterisiert. Klaus Parlasca geht davon aus, dass es sich hier um eine aus dem Militär entstandene Polizeitruppe handelt, Michael P. Speidel interpretiert sie wegen der weißen Tunika und des roten Schwertgehänges als Offi ziere. Die zweite, bislang nicht als zusammengehörend wahrgenommene Gruppe von Bildnissen stammt ebenfalls aus El-Hibe und umfasst derzeit zehn Por- träts.62 (Abb. 12) Dass sie bislang nicht als Soldaten gedeutet wurden, mag daran liegen, dass die Dar-

Abb. 10 seinen Priestern eher griechisch-hellenistische Klei- Bildnis eines älteren dung zu erwarten ist, wie es auch die Reliefdarstel- Mannes 60 24, 5 x 19 cm lung eines Serapispriesters in Kairo vorführt . Fayum Antikensammlung, Staat- Berufsidentität und Männerbund liche Museen zu Berlin Inv. Nr. 31161, 15 Im Gegensatz zu den Frauenbildnissen fi ndet sich Foto: bpk / Antikensamm- unter den Männerbildnissen eine Gruppe von lung, SMB / Johannes Personen, die sich in ihrer berufl ichen Identität Laurentius abbilden lässt61 (Abb. 11 und 12). Sie sind durch ihre uniforme Kleidung und Ausstattung als Einheit charakterisiert, die auch für ihr berufl iches Umfeld kennzeichnend gewesen ist. Durch Haar- und Bart- tracht, durch die Form ihrer Bekleidungselemente und deren Farbgestaltung sowie durch ihre Attri- bute geben sie sich als Angehörige des römischen Militärs zu erkennen und setzen sich von Privatbild- nissen ab. Bislang wurde nur ein Typ von Soldaten- bildnissen erkannt, hier kann erstmals ein zweiter vorgestellt werden. Die bekannte Gruppe stammt im Wesentlichen aus El-Hibe, dem Fayum, und umfasst etwa neun Bilder von Männern im besten Alter, mit Vollbart und gelocktem Haar, wodurch sie in vorseverische

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Annette Paetz gen. Schieck gestellten nicht mit Schwertgurt und Waffe wie- dergegeben sind. Die Uniformität ihrer Kleidung ist jedoch auffallend und entspricht der der Offi ziere in der Opferdarstellung des Tribun Terentius in Dura Europos aus der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. Sie besteht aus einer weißen Tunika mit rot oder dun- kelblau eingefasstem Halsausschnitt. Dort, wo der Ausschnitt zusammentrifft, fl ießen die Schmucklei- sten ineinander und formen einen gegabelten Fort- satz nach Art der Gammadien. Gelegentlich wer- den die Ausschnitte zusätzlich durch eine gezackte Bordüre gesäumt, wie sie bei syrischen Obergewän- dern in Palmyra zu fi nden ist. Die bekannteste Darstellung dieser Art ist die des jüngeren von zwei Brüdern auf einem runden Holztafelgemälde aus Antinoopolis in Kairo. Wäh- rend sein Mantel rot angegeben ist, tragen die in den Mumienporträts Dargestellten einen ocker- farbenen kurzen Mantel, meist mit Fransen. Es handelt sich dabei um das Sagum, den klassischen Soldatenmantel aus gefärbter oder auch naturfar- bener Wolle, der angelegt und mit einer goldfar- um das Focale, das Halstuch des römischen Solda- Abb. 11 (links) benen Fibel auf der rechten Schulter präsentiert ten, das vor dem Scheuern des Panzers an Hals und Soldatenbildnis Typ 1 41, 5 x 19 cm wird. Anders als bei der ersten Gruppe ist auf die Nacken schützte. er-Rubayat Gestaltung der Fibel hier besonderer Wert gelegt Ein weiteres Leichentuch aus Antinoopolis, in Antikensammlung, Staat- worden. Sie hat eine ovale Form und trägt einen Paris, zeigt einen Mann in weißer Tunika mit Orbi- liche Museen zu Berlin Inv. Nr. 31161/2 66 großen, glänzenden Edelstein. Eine derartige Fibel culi in ornamentaler Purpurwirkerei. Der Ober- Foto: bpk / Antikensamm- mit geschliffenem Sardonyx, umgeben von einer körper ist zudem in einen ockerfarbenen Mantel lung, SMB / Ingrid Geske- edelsteinbesetzten Goldfassung, wurde in der gehüllt, in eine Paenula, worauf die V-förmige Heiden Gegend von Aleppo gefunden.63 Solch eine Fibel Halsöffnung und die senkrecht und mittig vor dem Abb. 12 (rechts) repräsentiert einen enormen Materialwert, und die Körper verlaufende Naht hinweisen, von der charak- Soldatenbildnis Typ 2 Genauigkeit der Abbildung legt nahe, dass auch ein teristische Falten ausgehen. Zu beiden Seiten der 32, 5 x 19, 5 cm er-Rubayat großer ideeller und symbolischer Wert mit ihr ver- Ausschnittspitze sind scheibenförmige Elemente Martin-von-Wagner- bunden war. Die Schmucknadel könnte zu einem festzustellen, deren Form und Funktion nicht näher Museum Würzburg bestimmten Anlass von der Heeresführung verlie- zu bestimmen sind. Dieses Gewand ist in Ägypten Inv. Nr. H 2196 Foto: Martin-von-Wagner- hen worden sein, und es ist wahrscheinlich, dass unüblich. Museum Würzburg sie das Rangabzeichen für einen hohen Dienstgrad war, wohl einen höheren, als die andere Gruppe ihn Schlussbetrachtung innehatte. Ägyptische Porträtgemälde und der Kontext ihrer Zusätzlich zu den beiden Gruppen sind noch Erhaltung offenbaren zweierlei kulturelle Bezugs- drei einzelne Bilder dem militärischen Kontext systeme: Im Angesicht des Todes und im Hinblick zuzuordnen: Ein Leichentuch in Luxor zeigt einen auf das Jenseits waren die ursprünglichen, ägyp- römischen Offi zier in weißer Tunika mit purpurfar- tischen Vorstellungen von solcher Überzeugs- benen, pfeilförmigen Clavi, die als Kennzeichen für kraft, dass man noch in römischer Zeit den Körper eine syrische Einheit gewertet werden können.64 mumifi zieren und mit anthropomorphem Bildnis Ein Mumienporträt in Chicago zeigt einen Mann versehen ließ. Eine stilisierte Maske sicherte das mit einem Halstuch, das mit einem Knoten auf der Aufgehen des Verstorbenen in Osiris. In helleni- Brust zusammengehalten wird.65 Es handelt sich stischer Zeit trat an diese Stelle ein menschliches

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Mumienporträts und ihre kulturellen Bezugssysteme

Bildnis, das nun das Weiterleben des menschlichen deren Trageweise und Farbigkeit, und es lassen sich, Individuums sichern sollte, was einen grundle- obwohl die Ausführungen der Bilder individuell genden theologischen Wandel markiert und eher sind, Charakteristika herausarbeiten, die einerseits den mediterranen Vorstellungen entspricht. Eine von beiden Geschlechtern getragen wurden, ande- kleine Gruppe der Mumienbildnisse mit zeitge- rerseits durch die Farbigkeit nach männlichen und nössischen Zügen wurde mit einem Porträtge- weiblichen Trägern differenziert sind. Männer und mälde ausgestattet, das das Individuum in den Frauen tragen ein diagonal gewundenes weißes Mittelpunkt rückt. Hierfür verwendete man bereits Brusttuch, eine weiße Untertunika und Obertunika existierende Bildnisse, die der diesseitigen Selbst- und einen Mantel im farblich abgestimmten Set. darstellung von Personen gedient haben. Bevor sie Frauengewänder sind purpurfarben mit schwar- aus ihren hölzernen Rahmen herausgelöst, grob zen Clavi, was zum Einen Wohlstand verdeutlicht, zugeschnitten, mit Elementen aus Blattgold verse- zum Anderen aber den Bezug zur Gewandung der hen und in die Mumie eingepasst wurden, waren römischen Matrone herstellt, die bereits im 1. Jahr- sie ursprünglich in den öffentlichen Räumen pri- hundert n.Chr. von Stola und Calasis zur Tunika mit vater Häuser aufgehängt und wendeten sich an Mantel gewandelt wurde. Die purpurrote Farbe der den zeitgenössischen Betrachter. Als nahezu qua- Stola, die das Symbol der weiblichen Romanitas dratische Bilder zeigen sie die Büste einer Person in war, wurde dabei auf die Tunika übertragen, wie leichtem Profi l, versehen mit römischem Schmuck, es bereits die Gattin des Terentius Neo in Pompeji römisch geprägten modischen Frisuren und einem vorführt. Das pompejanische Bildnis kann somit als nach herrscherlichem Vorbild gestalteten Inkarnat, Schlüssel zur Deutung der ägyptischen Frauenbild- zudem fehlt jegliche Jenseitssymbolik. Aus diesen nisse gewertet werden. Die purpurfarbene Tunika Bestandteilen ist zu schließen, dass die Porträts verkörpert von nun an die gleichen Werte für eta- für den diesseitigen Kontext geschaffen und sich blierte römische Frauen wie früher die Stola, Werte, hierfür an römischen Idealen, Wertvorstellungen die vor allem Sittsamkeit und Ehrbarkeit umfassten und Konventionen orientierten. Neben den Realia und mit Pudicitia verbunden waren. Männerklei- kommt das auch in der Form und Komposition der dung war dagegen weiß. Auch die Männerbilder Bilder zum Ausdruck, die in weiten Teilen römischen führen ein römisches Rollenverständnis vor Augen, Gemälden wie dem des Terentius Neo aus Pompeji doch zeigt gerade die Trageweise des Mantels eine nahe stehen. gewisse Unschärfe. Die über der linken Schulter Alle Porträtierten sind in ihren besten Jahren, verlaufenden Falten können oft nicht eindeutig in mittlerem Alter, wiedergegeben, und es liegt als Hinweis auf die römische Toga interpretiert nahe, dass die Bilder zu einem Zeitpunkt im Leben werden, das Symbol der männlichen Romanitas. gefertigt wurden, der dadurch markiert war, dass Nur wenige Bilder zeigen eingewirkte Gammadien die Dargestellten mit Selbstbewusstsein gesell- und charakterisieren den Mantel als rechteckigen schaftlichen Status, Etabliertheit und Lebens- griechischen Mantel. Mit der Ausnahme zweier in standard nach römischem Vorbild präsentieren sich uniformer Bildgruppen, die römische Soldaten konnten. Ein wesentlicher Bestandteil ist auch die abbilden, präsentieren die Bilder zivile Personen, es Gestaltung der Kleidung, die bislang nur wenig sind keine Hinweise auf ihre berufl iche Tätigkeit zu Beachtung fand, was daran liegen mag, dass nur entnehmen. Auch die Ausübung religiöser Kulte ist die Schulterpartie abgebildet ist. Trotz des klei- nur an sehr wenigen Beispielen nachzuvollziehen, nen Ausschnittes vermittelt auch diese wesent- diese beziehen sich allein auf die ägyptischen Kulte liche Informationen zu Bekleidungsbestandteilen, um Isis und Serapis.

1 Z. B. B. Borg: Mumienporträts, Chronologie und kultureller Kontext, Mainz 1996; E. Doxiadis: The Fayum Portraits: ‚They Are Not Art, They Are Truth, in: J. Picton, A. Quirke und P. C. Roberts (Hrsg.): Living Images. Egyptian Funerary Portraits in the Petrie Museum, London 2007, S. 146-148.

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2 Anders: Borg, wie Anm. 1, S. 2. 3 W. M. Flinders Petrie: Hawara, Biahmu, and Arsinoe, London 1889; W. M. Flinders Petrie: Roman Portraits and Memphis (IV), London 1911. Zu den Tagebüchern und schriftlichen Dokumenten: J. Picton, S. Quirke und P. C. Roberts (Hrsg.): Living Images. Egyptian Funerary Portraits in the Petrie Museum, London 2007. 4 Flinders Petrie 1889, ebenda S. 15, 20; Flinders Petrie 1911, ebenda S. 2-3, 6. Vergleiche auch die Bitte um die Verwahrung des väterlichen Leichnams, 2.-3. Jh. n. Chr.: J. Hengstl (Hrsg.): Griechische Papyri aus Ägypten als Zeugnisse des öffentlichen und privaten Lebens, München 1978, S. 151-152 Nr. 58. 5 Flinders Petrie 1911, wie Anm. 3, S. 2, 3 Taf. XIII,1, vgl. B. Borg: The Dead as a Guest at Table? Continuity and Change in the Egyptian Cult of the Dead, in: M. L. Bierbrier (Hrsg.): Portraits and Masks, Burial Customs in Roman Egypt, London 1997, S. 26-32, besonders 29. Cicero: Tusc. I 45, (106- 43 v. Chr.); Lukian: De Luctu 21 (2. Jahrhundert n. Chr.), siehe: Borg, wie Anm. 1, S. 197; D. Montserrat: Death and Funerals in the Roman Fayum, in: M. L. Bierbrier (Hrsg.): Portraits and Masks, Burial Customs in Roman Egypt, London 1997, S. 33-44. 6 Montserrat, ebenda S. 38-39; vgl. Borg, ebenda S. 26; S. E. C. Walker: Mummy Portraits and Roman Portraiture, in: S. Walker und M. Bierbrier (Hrsg.): Ancient Faces. Mummy Portraits from Roman Egypt, London 1997, S. 14-16, besonders 14. Vgl. B. Borg: „Der zierlichste Anblick der Welt“ Ägyptische Porträtmumien, Darmstadt 1998, S. 13, S. 28-30. 7 M.-F. Aubert, R. Cortopassi, G. Nachtergael et al.: Portraits funéraires de l’Égypte romaine. Cartonnages, linceuls et bois, Paris 2008, S. 55-56, S. 68-72 Nr. XII–XIV, S. 82-88 Nr. 3-6; W. Seipel (Hrsg.): Bilder aus dem Wüstensand. Mumienportraits aus dem Ägyptischen Museum Kairo, Ausstellung Kunsthistorisches Museum Wien, Wien 1999, S. 180-187 Nr. 60-64; M. F. Aubert und R. Cortopassi: Portraits de l’Egypte romaine, Paris 1998/1999, S. 160-161, Nr. 109a-e; M. L. Bierbrier (Hrsg.): Portraits and Masks. Burial Customs in Roman Egypt, London 1997, S. 180-183 Nr. 235-241. Z.B. Papyrus, Louvre Inv. Nr. N 2341, P. Par. 18 bis, aus Theben 2.-3. Jahrhundert. n. Chr., Senpamonthes schickt ihrem Bruder den mumifi zierten Körper ihrer Mutter. Sollte das Etikett verloren gehen, ist die Mumie an charakteristischen Stuckrosen zu erkennen. Hengstl, wie in Anm. 4, S. 152-153, Nr. 59; K. Parlasca und H. G. Franz: Repertorio d’Arte dell’Egitto Greco-Roma- no, Ritratti di Mumie Serie B Bd. IV, Rom 2003, S. 65 N. 780 Taf. 173,5. 8 A. Bernhard-Walcher: Theodor Graf und die Wiederentdeckung der Mumienportraits, in: Seipel 1999, wie Anm. 7, S. 26-35, bes. 27. 9 J. Taylor: Before the Portraits: Burial Practices in Pharaonic Egypt, in: S. Walker und M. Bierbrier (Hrsg.): Ancient Faces. Mummy Portraits from Roman Egypt, London 1997, S. 9-13. 10 D. Montserrat: ‚Your name will reach the hall of the Western Mountains’: some aspects of mummy portrait inscriptions, in: D. M. Bailey (Hrsg.): Archaeological Research in Roman Egypt. The Proceedings of the Seventeenth Classical Colloquium of the Department of Greek and Roman Antiquities, British Museum, 1-4 December, 1993, Ann Arbour 1996, S. 177; G. Schenke: Mumienporträts im römischen Ägypten: Totenbildnisse oder Privatporträts?, Chronique d’Égypte LXXVI, 2001, Fasc. 151-152, S. 281-282. G. Grimm: Die römischen Mumi- enmasken aus Ägypten, Wiesbaden 1974; M.-F. Aubert und R. Cortopassi (Hrsg.): Portraits funéraires de l’Égypte romaine 1. Masques en stuc, Paris 2004. 11 Männerbildnis: K. Parlasca: Bedeutung und Problematik der Mumienporträts und ihr kulturelles Umfeld, in: K. Parlasca und H. See- mann (Hrsg.): Augenblicke. Mumienporträts und ägyptische Grabkunst aus römischer Zeit, Ausstellung der Schirn Kunsthalle Frank- furt, München 1999, S. 23-48, bes. 25, Abb. 2, vgl. Detail: K. Parlasca: Mumienporträts und verwandte Denkmäler, Wiesbaden 1966, Taf. 36,1; Frauenbildnis: Parlasca und Seemann, ebenda S. 246-249 Nr. 154; junger Mann: Aubert, Cortopassi, Nachtergael et al., wie in Anm. 7, S. 137-141 Nr. 23. 12 Aubert, Cortopassi, Nachtergael et al., wie Anm. 7, S. 14, S. 90-91 Nr. 7, S. 98-114 Nr. 11-14, S. 275-278 Nr. 70; Parlasca und Seemann, wie Anm. 11, S. 124, Nr. 27, S. 182-183, Nr. 83, S. 223 Nr. 131 (Schmuck, Kranz, Lippen), S. 276-277, S. 279, Nr. 180, 181, S. 339, S. 341, Nr. 233; Walker und Bierbrier, wie Anm. 1, S. 41-42, Nr. 50, S. 45, Nr. 19, S. 65-66, Nr. 42, S. 94, Nr. 84, S. 108-109, Nr. 103. Borg, wie Anm. 6, S. 72 Abb. 72. 13 Kränze siehe z.B.: S. D’Auria, P. Lacovara und C. H. Roehrig (Hrsg.): Mummies & Magic. The Funerary Arts of Ancient Egypt, Boston 1988, S. 197-198, Nr. 145 (4. Jahrhundert v. Chr.); G. Platz-Horster: Altes Museum. Antiker Goldschmuck. Eine Auswahl der ausgestellten Werke, Mainz 2001, S. 58-60 (Ende 4. Jahrhundert v. Chr.). Bildnisse mit aufgetragenen Goldkränzen: Parlasca und Seemann, wie Anm. 11, S. 124, S. 149-151, Nr. 49, 50, S. 158-159, Nr. 57, S. 162-163, Nr. 60, S. 174, Nr. 74, S. 182-183, Nr. 81, S. 210, Nr. 117, S. 214-215, Nr. 122, S. 236, Nr. 143, S. 258, Nr. 164; Walker und Bierbrier, wie in Anm. 1, Frontispiz, S. 56-57, Nr. 32; S. 40-41, Nr. 13, 14; S. 71-72, Nr. 48; S. 75-76, Nr. 53; S. 108-109, Nr. 103; S. 112-113, Nr. 108. 14 M. Laubenberger: Bildnisse aus dem Wüstensand. Zum Phänomen der Mumienportraits im römischen Ägypten, in: Seipel 1999, wie Anm. 7, S. 47-53, bes. 48-49 Abb. 2, 3; Walker und Bierbrier, wie in Anm. 1, Frontispiz. 15 Datiert 2. Jahrhundert n. Chr., Inv. Nr. AF 12533, das Haar ist mit Henna gefärbt und in Locken gelegt, siehe: Aubert und Cortopassi,

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Mumienporträts und ihre kulturellen Bezugssysteme

wie Anm. 7, S. 46-47, Nr. 9; F. Calament: La révélation d’Antinoé par Albert Gayet. Histoire, archéologie, muséographie, Institut Français d’Archéologie Orientale Bibliothèque d’Études Coptes 18, 1/2, 2005, S. 38 fi g. 38 a-b. 16 Flinders Petrie 1889, wie in Anm. 3; Flinders Petrie 1911, wie in Anm. 3; W. M. Flinders Petrie: Hawara Portfolio. Paintings of the Roman age found by W. M. Flinders Petrie 1888 and 1911, London 1913. Siehe auch: P. C. Roberts: An Archaeological Context for British Discoveries of Mummy Portraits in the Fayum, in: J. Picton, A. Quirke und P. C. Roberts (Hrsg.): Living Images. Egyptian Funerary Portraits in the Petrie Museum, London 2007, S. 13-72, bes. 20-21. 17 Zur Forschungsgeschichte: Borg, wie in Anm. 1, S. 19-27; H. Zaloscer: Die Mumienbildnisse und die Geschichte ihrer Rezeption, Enchoria 24, 1997/1998, S. 103-124; H. Drerup: Die Datierung der Mumienporträts, Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums, Paderborn 1933; Parlasca, wie in Anm. 11; L. H. Corcoran: Portrait Mummies from Egypt (I – IV Centuries A.D.) with Catalogue of Portrait Mummies in Egyptian Museums, Chicago 1995. 18 National Cultural History and Open-Air Museum at Pretoria, South Africa, siehe: D. L. Thompson: Mummy Portraits in the J. Paul Getty Museum, Malibu 1982, S. 10-11 Abb. 14. D. Bénazeth und M. van Strydonck: Carbone 14 et archéologie copte: La sépulture de Thaïas à Antinoé, in: A. Boud’hors, J. Gascou und D. Vaillancourt (Hrsg.): Études coptes IX, Onzième journée d’études, Strasbourg 12–14 Juin 2003, Paris 2006, S. 45-65. Jüngste Untersuchungen zur Datierung der Euphémiâan und ihrer Beigaben wurden am 1. Oktober 2009 von M. van Strydonck auf der Tagung der „Textiles from the Nile Valley“ Arbeitsgruppe in Antwerpen vorgestellt. Der Tagungsband erscheint im Herbst 2011. 19 G. Hölbl, Ägypten im Römischen Reich. Einführung in die Geschichte der römischen Provinz Aegyptus bis zum Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr., in: Seipel 1999, wie Anm. 7, S. 15-25. 20 R. S. Bagnall: The People of the Roman Fayum, in: M. L. Bierbrier (Hrsg.): Portraits and Masks. Burial Customs in Roman Egypt, London 1997, S. 7-15. Walker, wie Anm. 6, S. 3-4. 21 Corcoran, wie Anm. 17. Sie deutet die Formen der Zuschneidung als Kennzeichen regionaler Verarbeitung; Seipel 1999, wie Anm. 7, S. 170-171, Nr. 55. 22 Flinders Petrie 1911, wie Anm. 3, S. 7-8, Taf. VII Nr. 27; Laubenberger, wie Anm. 14, bes. S. 50 Abb. 7; Parlasca, wie Anm. 11, S. 42-43. 23 Flinders Petrie 1889, wie Anm. 3, S. 10 Taf. 12; siehe auch: Parlasca und Seemann, wie Anm. 12, S. 122-123 Nr. 25; Walker und Bierbrier, wie Anm. 1, S. 121-122 Nr. 117; Parlasca und Franz, wie Anm. 7, N. 807 Taf. 178,2. 24 Bernhard-Walcher, wie Anm. 8, S. 27. 25 Als Fundort werden auch Batu Harit und Um el-Barakat angegeben. Rubensohn brachte es aus Ägypten nach Berlin, wo es im Zweiten Weltkrieg zerstört worden ist. Siehe: W. Ehlich: Bild und Rahmen im Altertum. Die Geschichte des Bilderrahmens, Leipzig 1954, S. 80-81, vgl. auch 83. Siehe auch: M. Rassart-Debergh: Trois icônes romaines du Fayoum, Chronique d’Égypte LXVI, 1991, Fasc. 131-132, S. 349-355; H. Willems und W. Clarysse (Hrsg.): Keizers aan de Nijl, Kat. Ausst. Tongeren, Leuven 1999, S. 171-172 Nr. 52. 26 K. Gschwantler: Antike Portraitmalerei, in: Seipel 1999, wie Anm. 7, S. 37-45, bes. S. 43 Abb. 7. Hölzerne Bildtafeln aus Ägypten: Parlasca, wie Anm. 11, S. 43 Abb. 39; Gschwantler, ebenda S. 45 Abb. 10. 27 Terentius Neo, Pompeji, 3. Viertel 1. Jahrhundert n. Chr., Neapel siehe: Gschwantler, ebenda S. 42 Abb. 5, vgl. auch S. 45 Abb. 10; vgl. Frauenporträt, Mosaik, 2. Hälfte 1. Jahrhundert n. Chr., Neapel. Goldmedaillon mit Frauenbüste: Parlasca, wie Anm. 11, S. 218 Nr. 125. 28 Z.B.: B. E. Borg: Mumienporträts und Mumienmasken, in: H. Beck (Hrsg.): Wissenschaftliche Kataloge. Liebieghaus- Museum Alter Plastik Frankfurt a.M., Ägyptische Bildwerke III, Melsungen 1993, S. 403-413, bes. S. 403; D. Montserrat: The Representation of Young Males in ‚Fayum Portraits’, The Journal of Egyptian Archaeology (JEA) 79, 1993, S. 215-219; Montserrat, wie Anm. 10, S. 184; Montserrat, wie Anm. 5, S. 37. 29 E. Doxiadis: The Mysterious Fayum Portraits. Faces from Ancient Egypt, London 1995, S. 35, S. 50, Nr. 32, S. 65, Nr. 51, S. 76, Nr. 68, S. 161, Nr. 95; Parlasca und Seemann, wie Anm. 12, S. 114-115, Nr. 14; T. Hölscher: Klassische Archäologie Grundwissen, Darmstadt 2006, 2. Aufl age, S. 235. 30 Flinders Petrie 1911, wie Anm. 3, S. 8; B. Bier und C. Wilkinson: A Preliminary Study on the Accuracy of Mummy Portraits, ZÄS 132, 2005, S. 107-111; J. M. Filer: If the Face fi ts … A Comparison of Mummies and their Accompanying Portraits Using Computerised Axial Tomography, in: M. L. Bierbrier (Hrsg.): Portraits and Masks. Burial Customs in Roman Egypt, London 1997, S. 121-126. 31 Filer, ebenda S. 121-122; J. M. Filer: Ein Blick auf die Menschen hinter den Porträts, in: Parlasca und Seemann, wie Anm. 11, S. 79-86. 32 Filer, wie Anm. 30, S. 122; Filer, wie Anm. 31, S. 79-86, bes. 82-83. 33 Filer, wie Anm. 31, S. 79-86, bes. 79-82. 34 Diese Methode ist von P. C. Roberts, R. Neave und J. Prag am Manchester angewendet worden. Der weibliche Kopf wurde farbig

96 Mannheimer Geschichtsblätter remmagazin 19/2010 rem-Wissenschaft

Annette Paetz gen. Schieck

rekonstruiert, der männliche in einem Bronzefarbton. Filer, wie Anm. 31, S. 79-86, bes. 83-85, S. 115-116, Nr. 15, 118-119, Nr. 19; vgl. Bier und Wilkinson, wie Anm. 30, S. 107-111; Roberts, wie Anm. 16, S. 13-72, bes. 31 Abb. 1.11–1.12; siehe auch: Filer, wie Anm. 30, S. 121-126. 35 Borg, wie Anm. 1, bes. Taf. 56, 58, 59, 62-66, 68, 76-80, 84, 85. 36 K. Fittschen: Katalog der antiken Skulpturen in Schloss Erbach, Berlin 1977, S. 6-7. 37 Parlasca, wie Anm. 11, S. 42-43 Abb. 35-37. 38 Schmuck allgemein: Borg, wie Anm. 1, S. 167-172; Walker und Bierbrier, wie Anm. 1, S. 162-176, Nr. 183-220; Parlasca und Seemann, wie Anm. 11, S. 102-102, Nr. 1, 2; S. 110-115, Nr. 9-13, S. 117-119, Nr. 16-19, S. 138-139, Nr. 40, 41, S. 146-147, Nr. 46, 47, S. 164-165, Nr. 63-64, S. 166-167, Nr. 65, 66, S. 169-170, Nr. 68, 69, S. 196-199, Nr. 101-106, S. 218-219, Nr. 126, S. 246, Nr. 152; R. Stamm (Hrsg.): Paula Modersohn-Becker und die ägyptischen Mumienportraits. Eine Hommage zum 100. Todestag der Künstlerin, Katalog Ausstellung Bremen 2007 – Köln 2008, München 2007, S. 107-113; Seipel 1999, wie Anm. 7, S. 220-237, Nr. 142-185; G. Platz-Horster: Römischer Schmuck bei Mumienporträts aus Ägypten, in: Parlasca und Seemann, wie Anm. 11, S. 89-91. 39 Parlasca und Seemann, wie Anm. 11, S. 218-219 Nr. 126.; Aubert, Cortopassi, Nachtergael et al., wie Anm. 7, S. 184-187, Nr. 45 (= Parlasca, wie Anm. 11, S. 127 Fußn. 2, S. 137-138 Nr. 2; K. Parlasca und A. Adriani: Repertorio d’Arte dell’Egitto Greco – Romano, Ritratti di Mumie Serie B Bd. II, Rom 1977, N. 271 Taf. 65,4. 40 G. Schenke: Schein und Sein. Schmuckgebrauch in der römischen Kaiserzeit. Eine sozio-ökonomische Studie anhand von Bild und Dokument, Leuven 2003, S. 73-74, S. 145-157. 41 B. I. Scholz: Untersuchungen zur Tracht der römischen matrona, Köln – Weimar – Wien 1992, Abb. 69. Ich danke Berit Hildebrandt für den Hinweis. 42 Z.B.: Parlasca, wie Anm. 11, S. 134, Nr. 35, S. 136, Nr. 37, S. 138-139, Nr. 41, etc. 43 Parlasca und Seemann, wie Anm. 11, S. 142, Nr. 44, S. 158, Nr. 56, S. 166-167, Nr. 66, S. 189, Nr. 91, S. 193, Nr. 96, S. 226, Nr. 135, S. 280-281, Nr. 182, S. 283-284, Nr. 184, S. 287, Nr. 187, S. 291, Nr. 190, S. 293-295, Nr. 192, 193. 44 Männer: Aubert, Cortopassi, Nachtergael et al., wie Anm. 7, S. 174-179, Nr. 42, S. 197-200, Nr. 47, S. 279-281, Nr. 71; Parlasca und Seemann, wie Anm. 11, S. 227, Nr. 136; Parlasca und Franz, wie Anm. 7, N. 752 Taf. 169,8. Frauen: Aubert, Cortopassi, Nachtergael et al., wie Anm. 7, S. 256-258, Nr. 64, S. 282-283, Nr. 72, S. 306-308, Nr. 80; Parlasca und Adriani, wie Anm. 40, N. 256 Taf. 63,1; N. 263 Taf. 63,8; K. Parlasca und A. Adriani: Repertorio d’Arte dell’Egitto Greco – Romano, Ritratti di Mumie Serie B Bd. III, Rom 1980, N. 527-529 Taf. 128, 1-3; N 557 Taf. 135,2; N 564, 566 Taf. 137,1 & 3; N 622 Taf. 148,1; N 645 Taf. 152,4; Parlasca und Seemann, wie in Anm. 11, S. 134, Nr. 35, S. 140, Nr. 42, S. 168-169, Nr. 67, S. 215, Nr. 123; Parlasca und Franz, wie Anm. 7, N. 705 Taf. 161,4; N. 732 Taf. 167,2; N. 823 Taf. 180,3; Picton, Quirke und Roberts, wie Anm. 3, S. 204-205, Nr. 21; Seipel, wie Anm. 7, S. 132-133, Nr. 36. 45 G. Vogelsang-Eastwood: Pharaonic Egyptian Clothing, Leiden – New York – Köln 1993, S. 88-89, Abb. 6,1, S. 107, Abb. 7,9, S. 162-163 Abb. 9,6-8. 46 Parlasca und Seemann, wie Anm. 11, S. 120-121, Nr. 23, S. 127, Nr. 30, S. 140-141, Nr. 43; Aubert und Cortopassi, wie Anm. 7, S. 106, S. 108 Nr. 56, S. 110-111, Nr. 58, S. 142-143, Nr. 87; Parlasca, wie Anm. 11, S. 40, Nr. 51 Taf. 13,3; S. 41, Nr. 56 Taf. 15,2; S. 79-80, Nr. 195 Taf. 48,1; S. 83, Nr. 211 Taf. 52,3; Parlasca und Adriani, wie Anm. 40, S. 53, Nr. 339 Taf. 82.4, S. 53-54, Nr. 342 Taf. 83.3, S. 57, Nr. 359 Taf. 86.4; etc. ;Montserrat, wie Anm. 28, S. 215-225. 47 Parlasca und Seemann, wie in Anm. 11, S. 136, Nr. 37 (weiße Tunika, roter Clavi und roter Mantel); S. 143, Nr. 45 (weiße Tunika, purpurfar- bener Mantel); S. 162-163, Nr. 60 (blaue Tunika, gelbe Halseinfassung, gelber Clavi und weißer Mantel); S. 226, Nr. 135 gelbe Tunika mit gelbem Mantel), etc.; Parlasca und Franz, wie Anm. 7, N. 314 Farbtaf. VII. Vgl. Scheitelschmuck: Walker und Bierbrier, wie Anm. 1, S. 170-171, Nr. 208. 48 Parlasca und Adriani, wie Anm. 47, N. 560 Taf. 136,1; N. 572 Taf. 138,5; N. 622 Taf. 148,1; N. 653 Taf. 154,4; Parlasca und Franz, wie Anm. 7, N. 695 Taf. XIV,1, 159,2; N. 500 Taf. 177,3; N. 962 Taf. 196,2. Ausnahme: Frauenbildnis mit Schleier: Parlasca und Franz, wie Anm. 7, N. 731 Ta. 167,1. 49 A. Schmidt-Colinet, A. Stauffer und K. Al-As’ad: Die Textilien aus Palmyra. Neue und alte Funde, Mainz 2000, S. 152, 160, 164 Nr. 276, 329, 362, Taf. 28a-c, 29 a, b. 50 Borg, wie Anm. 1, Taf. 20,1; Borg, wie in Anm. 11, S. 69-70, Nr. 83, 84. 51 Parlasca und Seemann, wie in Anm. 11, S. 156, Nr. 54, S. 131, Nr. 32, S. 215, S. 217, Nr. 124. Zu Oberkörperkette und Venus aus der Casa del Venere siehe: Schenke, wie Anm. 41, Taf. III,1; Taf. IV,2; Taf. XI,1. 52 Inv. Nr. 6/21378b, 36 x 24 cm, Dat. 2. – 3. Jahrhundert n. Chr.; Walker und Bierbrier, wie Anm. 1, S. 122, Nr. 118; siehe auch: J.-L. Fournet: Deux textes relatifs à des couleurs: Un portrait avec des indications destinées au peintre (révision), in: H. Harrauer, R. Pintaudo (Hrsg.):

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Mumienporträts und ihre kulturellen Bezugssysteme

Gedenkschrift Ulrike Horak (P. Horak) I, Papyrologica Florentina XXXIV, Florenz 2004, S. 91-99, bes. 95-99. 53 Scholz, wie Anm. 43, S. 84, bes. S. 96, S. 98-100. 54 U. Horak: Textilien aus Ägypten, in: H. Buschhausen, U. Horak und H. Harrauer (Hrsg.): Der Lebenskreis der Kopten. Dokumente, Texti- lien, Funde, Ausgrabungen, Katalog zur Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien 1995, S. 78-93, bes. S. 79: P. Hamb. 10 aus Theadelphia, Fayum, 2. Jahrhundert n. Chr., Liste von geraubten Gegenständen: „Kleider 13 weiße für Erwachsene, darunter zehn breit gestreifte Frauenkleider, und zwei für Kinder und weitere bunt gefärbte, ein spanisch-weißes, ein spanisches, ein rosafarbenes, ein milchfarbenes und ein spanischweißer Kapuzenmantel für einen Erwachsenen mit breiten Streifen lakonischer Machart und Frauenkleider: zwei purpurfarbene, darunter eines mit Gürtel, und ein Pallion veilchenfarbig und ein krokosfarbenes und ein scharlachfarbenes und ein smaragdgrünes mit Gürtel [...] und ein anderes, rosenfarbenes und vier weitere Mäntel: zwei weiß, einer krokosfarben, einer veilchenfarben und ein einfaches purpurfarbenes [… ]“. 55 Männer: Parlasca und Seemann, wie in Anm. 11, S. 24 Abb. 2, S. 158-159, Nr. 57, S. 178-179, Nr. 80, S. 232-233, Nr. 140, S. 260-261, Nr. 165; Parlasca und Adriani, wie Anm. 40, N. 357 Taf. 86,2; N. 475 Taf. 115,3; N. 481 Taf. 117,1; Parlasca und Franz, wie Anm. 7, N. 929 Taf. 193,9; N. 943 Taf. 194,3. Frauen: Parlasca und Seemann, wie in Anm. 11, S. 226 Nr. 135; Parlasca und Franz, wie Anm. 7, N. 743 Taf. 168,5. Vgl. auch Vexillum, Moskau: Parlasca und Seemann, wie in Anm. 11, S. 186-187 Nr. 89. 56 Z.B.: Schmidt-Colinet, Stauffer und Al-As’ad, wie Anm. 52, Taf. 46a, 47a-c, 50, 51, IIIb, d, IVb; N. K. Adams und E. Crowfoot: Varia Romana: Textiles from the Roman Army Dump, in: P. W. Rogers, L. B. Jorgensen und A. Rast-Eicher (Hrsg.): The Roman Textile Industry and its Infl uence. A Birthday Tribute to John Peter Wild, Oxford 2001, S. 30-37; D. Cardon, J. Wouters, I. Vanden Berghe, G. Richard und R. Breniaux: Dye Analyses of selected textiles from Maximianon, Krokodilo and Didymoi (Egypt), in: C. Alfaro, J. P. Wild und B. Costa (Hrsg.): Purpureae Vestes. Actas del I Symposium Internacional sobre Textiles y Tintes del Mediterráneo en época romana, Ibiza, 5 al 10 de noviembre, 2002, Valencia 2004, S. 145-154, bes. 151 Abb. 4; H. Granger-Taylor: The textiles from Khirbet Qazone (Jordan), in: D. Cardon und M. Feugère (Hrsg.): Achéologie des textiles des origins au Ve siècle. Actes du colloque de Lattes, Octobre 1999, Monta- gnac 2000, S. 149-162, bes. S. 157 Abb. 12; R. Pfi ster und L. Bellinger: The Excavations at Dura-Europos II. The Textiles, London 1945, S. 10-11, S. 20-23, Nr. 18-25, S. 33 Taf. X-XII. 57 H. R. Goette: Studien zu römischen Togadarstellungen, Mainz 1990, Taf. 74, 2. 58 Borg, wie Anm. 1, S. 112-126. Zusammenstellung und Diskussion der Serapisbildnisse siehe: H. R. Goette: Kaiserzeitliche Bildnisse von Serapis-Priestern, MDAIK 45, 1989, S. 173-186. Borg, wie Anm. 12, S. 71 Abb. 85. 59 Parlasca und Seemann, wie in Anm. 11, S. 138-139 Nr. 41, S. 230-231, Nr. 139; Borg, wie Anm. 1, Taf. 21; Taf. 87,2; siehe auch: Goette, ebenda S. 173-186. Vgl. dazu Borg, wie Anm. 1, 164-167; vgl. Leichentuch London: Borg, wie Anm. 12, S. 71 Abb. 85, S. 50 Abb. 62; Goette, wie Anm. 63, Taf. 16a. 60 Goette, wie Anm. 62, S. 71-74 (zur Herkunft der Contabulatio). 61 Borg, wie Anm. 1, Farbtaf. 14,1; 32; 157; Borg, wie Anm. 12, S. 54 Nr. 68; Doxiadis, wie Anm. 29, S. 22-24, Nr. 15-19, S. 34, Nr. 2; Parlasca und Seemann, wie in Anm. 11, S. 149-151, Nr. 49, 50, S. 184-185, Nr. 86; Stamm, wie Anm. 42, S. 22, Nr. 10, S. 28, Nr. 22, S. 55, Nr. 20. Parlasca, wie in Anm. 11, S. 84-85; Parlasca, wie in Anm. 11, S. 39-40; M. P. Speidel: Bildnisse römischer Offi ziere aus dem Fayum, in: Parlasca und Seemann, wie Anm. 11, S. 87-88. F. Cumont: Fouilles de Doura-Europos (1922–1923), Atlas, Paris 1926, Taf. L; S. James: The Community of Soldiers: a major identity and centre of power in the Roman Empire, in: P. Barker, S. Jundi und R. Witcher (Hrsg.): TRAC 98: Proceedings of the Eighth Annual Theoretical Roman Archaeology Conference Leicester 1998, Oxford 1999, S. 14-25; James, wie Anm. 67. 62 Borg, wie Anm. 1, Taf. 50,1; Parlasca und Adriani, wie Anm. 40, N. 326 Taf. 78,3; N. 354 Taf. 85,7; N. 364 Taf. 88,2; N. 372 Taf. 90,2; N. 389 Taf. 94,4; N. 409 Taf. 101,1; Parlasca und Adriani, wie Anm. 47, N. 546 Taf. 132,3; Parlasca und Seemann, wie in Anm. 11, S. 194, Nr. 97, S. 204, Nr. 113, S. 238, Nr. 145; Parlasca und Franz, wie Anm. 7, N. 917 Taf. 192,4; N. 932-934 Taf. 194,2-4; N. 976 Taf. 196,15; Seipel, wie Anm. 7, S. 168-169, Nr. 54. Parlasca, wie Anm. 11, S. 84–85; Parlasca, wie Anm. 11, S. 39-40; Speidel, wie Anm. 66, S. 87-88. 63 Parlasca und Seemann, wie in Anm. 11, S. 164 Nr. 63 Mitte (3. Jahrhundert n. Chr.), vgl. römische Kaiserfi beln. 64 Siehe dazu: A. Paetz gen. Schieck: A Late Roman Painting of an Egyptian Offi cer and the Layers of its Perception – On the Relation between Images and Textile Finds, in: Konferenzakten zur “International Conference on Military and Textiles”, Kopenhagen, 20. Mai 2008, im Druck. 65 Parlasca und Adriani, wie Anm. 40, N. 345 Taf. 84,2. 66 Aubert, Cortopassi, Nachtergael et al., wie Anm. 7, S. 210-213, Nr. 50..

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Sylvia Mitschke

Wer steckt dahinter? Fragen zur römischen Identität am Beispiel von Reiterhelmen

Wenige Dinge konfrontieren uns so sehr mit der Herstellung und Tragweise römischer Masken- Identität einer Person wie Masken. Durch die Ver- helme auf dem Gebiet der Bataver, einem westger- hüllung wird zunächst das eigene Gesicht ver- manischen Volksstamm. borgen und geschützt. Gleichzeitig kann so dem Die in diesem Zusammenhang an den rem mit Gegenüber auf der Grundlage konventioneller dem Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie (CEZA) Bedeutungsmuster bewusst ein bestimmter Aus- in Mannheim analysierten Helme gehören zu der druck signalisiert werden. Demnach ist die korrekte Gruppe der frühen römischen Reiterhelme des Lesart einer Maske erst in der Ergründung ihrer ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Sie bestan- geistigen Vorbilder und somit in der Einbettung in den üblicherweise aus der eigentlichen Maske, der ihren jeweiligen kulturellen und sozialen Kontext den Hinterkopf bedeckenden Kalotte mit einem möglich. kurzen Schild im Nacken und eventuell seitlich Auch in der frühen und mittleren römischen befestigten Wangenklappen. Damit schützte die Kaiserzeit waren in der militärischen Reiterei Mas- mehrteilige Konstruktion den Kopf des Trägers kenhelme im Einsatz, die den Kopf des Trägers vollständig. Lediglich Augen und Nase des Helms eng umhüllten. Im Rahmen des Projekts „Clothing waren durchbrochen gearbeitet, für eine verbes- and Identities. New Perspectives on Textiles in the serte Atmung wurde auch der Mund leicht geöff- Roman Empire (DressID)“ soll nun versucht werden, net. Um das Hören zu ermöglichen, waren die aus- vor allem von technischer und materialkundlicher geformten Ohrmuscheln zumeist durchbohrt. Seite der Frage der Herkunft dieser Objektgruppe Im archäologischen Zusammenhang ist eine nachzugehen und damit einen Beitrag zum Ver- Bewahrung nicht immer vollständig, und so ist ständnis römischer Identität zu leisten, nachste- beispielsweise von dem ältesten erhaltenen hend ein Zwischenbericht. Maskenhelm aus Kalkriese2, der in das Jahr der Abb. 1 Vorder-, Seit- und Varusschlacht, also 9 n. Chr., datiert wird, nur der Rückansicht eines der „Hinter der silbernen Maske“ Gesichtsschutz erhalten. Nijmegener Helme – so lautete der Titel einer in den Jahren 2006/ Entdeckt werden die Maskenhelme zumeist als (Tabelle 1, 1) Foto: Ronny Meijers, 2007 durchgeführten deutsch-niederländischen Hortfunde oder Grabbeigaben. Gelegentlich wer- Museum Het Valkhof, Forschungsarbeit1. Untersucht wurden dabei die den sie mit traditionellen Niederlegungen nach Nijmegen/ NL

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Wer steckt dahinter?

der Beendigung des Militärdiensts in Verbindung Die Masken wurden ebenfalls zumeist über Schar- gebracht3. Einige Stücke stehen auch direkt in mili- niere mit der Kalotte verbunden, vereinzelt wurden tärischem Zusammenhang. So kam aus dem Legi- sie aber auch einfach über einen winkligen Versatz onslager von Haltern eine halbfertige oder gerade am oberen Ende unter die Kalotte geschoben. Zur in Reparatur befi ndliche Maske aus dem Beginn des seitlichen Fixierung dienten vom Hinterkopf aus- 1. Jahrhunderts n. Chr. zum Vorschein, die an einem gehende Lederriemen, die sich mit im Kinnbereich Amboss angerostet war4. montierten Nietköpfen verbinden ließen. Da sich allein aus dem römischen Militärlager Vorstellung der Helmtypen auf dem Kops Plateau in Nijmegen sechs Vertreter Nur die frühen Maskenhelme bis etwa zur Mitte dieser Gruppe erhalten haben, wird diese als „Typ des 1. Jahrhunderts n. Chr. besaßen Wangenklap- Nijmegen/ Kops-Plateau“ bezeichnet. pen. So konnten die schmalen Visiere beim Tragen Die oft nur in Fragmenten vorliegenden Helm- fi xiert oder bei Bedarf auch weggelassen werden. bestandteile lassen eine klare typologische Zuord- Üblicherweise waren die Masken zudem mittels nung nicht immer zu. Dadurch können sich men- einer Scharnierverbindung an der Stirnmitte hoch- genmäßig innerhalb der Gruppen gewisse Schwan- klappbar und an der Kalotte zu fi xieren. Die Ohren kungen ergeben5. waren dabei in jedem Fall abgedeckt, da ein Schutz Vom Typ Kalkriese sind derzeit ein Dutzend Ver- für sie ihrer Form entsprechend in die teilweise ver- treter bekannt, zwei davon sind komplett erhalten. zierten Wangenklappen eingearbeitet wurde. Zu Die Gruppe Nijmegen/ Kops-Plateau zählt knapp dieser Gruppe gehört auch das Stück aus Kalkriese, über dreißig Stücke. Dabei handelt es sich bei zwei die Gruppe wird entsprechend mit „Typ Kalkriese“ Dritteln der identifi zierten Objekte jeweils nur um bezeichnet. Maske oder Kalotte mit oder ohne Wangenklappen, Bei den späteren Helmen, etwa ab der 2. Hälfte das verbleibende Drittel umfasst elf vollständige des 1. Jahrhunderts n. Chr., wurden die Masken seit- Helme. lich erweitert und der Ohrenschutz darin integriert. Beide Helmtypen wurden zumeist aus Eisen In diesem Bereich an die Kalotte angefügte kleine gefertigt, das in Blechstärken zwischen zwei und Schilde erhöhten zusätzlich die Schutzwirkung. drei Millimetern ausgeschmiedet wurde. Diese Helmform machte die Wangenklappen unnö- Dabei stellte der gut passende Sitz des Helms auf tig, zum Schein wurden sie aber dennoch gelegent- dem Kopf die Voraussetzung dafür dar, dass der Trä- lich auf dem Visier dargestellt. ger noch eine gute Sicht hatte. Während der Her-

Tabelle 1: Übersicht zu den Maskenhelmen mit textilen Resten auf der Kalotte (Abb. 1-6)

Nr. Objekt Inv. Nr. Datierung Fundort Sammlung Maße (in mm)

1 Maskenhelm KH.401/199 Mitte Nijmegen, Museum Het Valkhof, H. 257, B. 219 1. Jh. n. Chr. Kops-Plateau/ NL Nijmegen/ NL 2 Maskenhelm KH.401/198 Mitte Nijmegen, Museum Het Valkhof, H. 223, B. 225 1. Jh. n. Chr. Kops-Plateau/ NL Nijmegen/ NL 3 Maskenhelm KH.429/039041 Mitte Nijmegen, Museum Het Valkhof, H. 275, B. 196 1. Jh. n. Chr. Kops-Plateau/ NL Nijmegen/ NL 4 Helmkalotte RMX 91,21.003 1. Jh. n. Chr. Xanten, LVR-Archäologischer Park H. 185, B. 200 Wardt/ D und LVR-RömerMuseum, Xanten/ D 5 Maskenhelm 7024 Frühes Homs/ SYR Archäologisches Museum, H. 240, B. ? 1. Jh. n. Chr. Damaskus/ SYR 6 Maskenhelm 19 1. Viertel Plovdiv/BG Archäologisches Museum, H. 250, B. 190 1. Jh. n. Chr. Plovdiv/ BG

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Abb. 2 Vorder-, Seit- und Rückansicht eines der Nijmegener Helme (Tabelle 1, 2) Foto: Ronny Meijers, Museum Het Valkhof, Nijmegen/ NL

Abb. 3 Vorder-, Seit- und Rückansicht eines der Nijmegener Helme (Tabelle 1, 3) Foto: Ronny Meijers, Museum Het Valkhof, Nijmegen/ NL

stellung war es daher notwendig, die individuelle An den rem mit dem CEZA durchgeführte Analy- Kopfform des Trägers auf das Werkstück zu übertra- sen der drei Maskenhelme aus Nijmegen sowie gen. Die hierfür angebrachten Markierungspunzen dem Xantener Stück (Tabelle 1, 1-4) konnten zeigen, fi nden sich noch heute an manchen Helmen. dass die Außenseiten der Kalotten ehemals prunk- Als wesentliches Gestaltungsmerkmal der voll mit textilen Applikationen dekoriert gewesen Gesichtspartie wurden die Masken abschließend waren. Der Maskenhelm aus Homs (Tabelle 1, 5) zumeist mit einem dünnen Silberblech oder einem wird ebenfalls als mit textilen Resten auf der Ober- feuerversilberten bzw. -vergoldeten Blech aus Kup- fl äche beschrieben, die bis dato aber noch nicht ferlegierungen überzogen, das sich aber nur selten näher bestimmt wurden. Eine Sonderstellung erhalten hat. Gelegentlich wurde die Oberfl äche nimmt in der obigen Aufl istung der Helm aus Plov- zusätzlich verzinnt. div (Tabelle 1, 6) ein. Hier wurden die Verzierungen In einigen Fällen wurden im Gesicht weitere auf der Kalotte in Eisen getrieben, die erhaltenen punktförmige oder mehrpässige Dekorationen textilen Reste werden auf ein Tuch zurückgeführt, eingefügt. Diese schmückten als Niello-Einlagen, in das der Helm ehemals eingeschlagen war6. Er Punzierungen oder Durchbruchsarbeiten die Par- wird daher im Weiteren nicht berücksichtigt. tie unterhalb der Augen und in einem Fall auch die Nase. Des Weiteren wurde im Stirnbereich Zur Funktion der Maskenhelme der Kalotte gelegentlich ein separat gearbeiteter Basierend auf den Erkenntnissen aus den bishe- Metallreif aufgesetzt. rigen Untersuchungen an den Reiterhelmen mit Vereinzelt zeigen sich auf den Hinterhaupthel- textilen Überzügen wird derzeit in Mannheim die men oberfl ächlich textile Reste (Tabelle 1). Nicht Nachbildung des Helms mit den wohl aufwen- ganz auszuschließen ist jedoch, dass in anderen Fäl- digsten Verzierungen (Tabelle 1, 1, Abb. 1) vorberei- len etwaige textile Aufl agerungen bei der Bergung tet, diese Kopie soll dann im Museum Het Valkhof oder Restaurierung nicht aufgefallen und entspre- in Nijmegen gezeigt werden. Doch auch bereits chend nicht erhalten sind. früher angefertigte Rekonstruktionen7 vermitteln

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Abb. 4 Seiten- und Rückansicht des Xantener Helms (Tabelle 1, 4) Foto: Petra Becker, LVR- Archäologischer Park, Xanten

einen Eindruck vom ehemaligen Aussehen der auf Die nachstehend erläuterten technischen Analysen diese Weise mit Edelmetall und Textilien luxuriös der textilen Verzierungen auf den erhaltenen Origi- ausgestatteten Maskenhelme (Abb. 7). nalhelmen deuten nun auch auf ein grundlegend Aus diesem Grund wurde bisher auch häufi g anderes Dekorationskonzept. davon ausgegangen, dass diese Helmvarianten für Paraden oder Übungszwecke, nicht aber für den Zur Erhaltung der Maskenhelme mit textilen Ver- eigentlichen Kampfeinsatz gedacht waren. zierungen Infolgedessen wurden sie mit dem Reitertraktat Bereits vor 12 v. Chr. errichteten römische Truppen- des römischen Geschichtsschreibers Flavius Arria- verbände in Nijmegen auf dem Hunerberg ein nus in Verbindung gebracht. In der im Jahre 135 n. großes Truppenlager für zwei Legionen. Dies diente Chr. entstandenen Schrift berichtet Arrian unter zwischen 12 und 9 v. Chr. dem römischen Feldherrn anderem von den Reiterspielen des römischen Mili- Drusus als Stützpunkt für seine Feldzüge gegen tärs, die sowohl dem Training als auch der Unter- germanische Verbände auf der rechten Rheinseite. haltung der Soldaten dienten. Dabei wurden, oft Später wurde das große Lager durch eine kleinere auch in Verkleidung, Scheinkämpfe durchgeführt. Anlage auf dem benachbarten Kops Plateau ersetzt, Die Reiter trugen Helme, von denen gelbe Haar- in dem eine Reitereinheit stationiert war. Drei der büsche herunterhingen, „die keinen praktischen vier in Mannheim untersuchten Helme stam- Zweck haben, sondern nur zur Zierde dienen. Sie men aus diesem Lager (Tabelle 1, 1-3, Abb. 1 bis 3). fl attern beim Treiben der Pferde, auch wenn nur Sie wurden dort Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. ein schwacher Luftzug besteht, und bieten einen zusammen mit teilweise unbrauchbar gemachten netten Anblick“. Arrian erklärt weiter, dass der Waffen, Sätteln, Geschirr oder Speisen im Boden Kopfschutz, der zu diesen Gelegenheiten getragen deponiert und im Zuge mehrerer Grabungskampa- wurde, sich von dem im Kampf unterschied: Die gnen zwischen 1989 und 1992 geborgen10. Paradehelme bedeckten das ganze Gesicht, wäh- Auch in dem nur siebzig Kilometer entfernten rend bei den Kampfhelmen nur der Bereich der Xanten befand sich auf dem Fürstenberg unweit Wangen mit geschützt wurde (Ars tactica 34, 1-4)8. des Rheins ein seit 13/12 v. Chr. wahrscheinlich von Doch in der neueren Forschung konnte sich ver- Drusus errichtetes Militärlager, das als Basis für die mittels Schlüssen aus der experimentellen Archä- Vorstöße römischer Truppen nach Germanien vor ologie in Verbindung mit materialkundlichen allem entlang der Lippe diente11. Untersuchungen die Erkenntnis durchsetzen, dass Etwa sechs Kilometer nördlich in Xanten-Wardt Konstruktion und Zuschnitt zumindest der frühen wurde in den achtziger Jahren des 20. Jahrhun- Maskenhelme vom Typ Kalkriese und Nijmegen/ derts bei Auskiesungsarbeiten in einem Altrhein- Kops-Plateau eine ausreichende Funktionalität arm der vierte Helm (Tabelle 1, 4, Abb. 4) gefunden, und Stabilität für den Einsatz in Gefechtsituationen der ebenfalls in das 1. Jahrhundert n. Chr. datiert gewährleisten9. wird12. Obwohl von dem Xantener Stück nur der

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Hinterhaupthelm überkommen ist, kann ange- sich textile Reste jedoch nur in einem Fall erhalten nommen werden, dass auch hier ehemals ein Visier (Tabelle 1, 2). Denkbar wären auch Auskleidungen vorhanden war, da die Kalotte ohne Wangen- oder mit Leder, wie sie etwa auch an einer Maske aus Gesichtsschutz nur unzureichend am Kopf zu befe- Dormagen17 nachgewiesen werden konnten. stigen wäre. Vermutlich erfolgte die Fixierung in Auf der Außenseite der Helme zeigen sich im der Art der Kalkrieser Maske über ein separat mon- Bereich von Gesicht und Stirn unter Befestigungs- tiertes Scharnier13 oder über die oben beschriebene nieten verschiedentlich Reste von Silberblechaufl a- Steckverbindung, so wie auch bei einem der Nijme- gen, die vor der Niederlegung entfernt wurden. Eine gener Helme (Abb. 3). an einem der Nijmegener Helme (Tabelle 1, 1) durch- Der Helm aus Homs (Tabelle 1, 5, Abb. 5), dem geführte Analyse18 der Bleiisotopenverhältnisse antiken Emesa, stammt aus einem reich ausgestat- des unter einem Niet befi ndlichen Rests eines als teten Grab der Königsfamilie Sampsicerami im Tell Stirnreif verwendeten Silberblechs deutet auf eine Abu-Sabun14. Diese regierte in der Zeit von 64 v. bis mögliche Lagerstätte in Aachen-Stolberg. Der Helm 254 n. Chr. die Region von Homs bis Arethusa nahe aus Homs (Tabelle 1, 5) ist mit noch vorhandenen, Apamea im mittleren Orontestal als weitgehend vergoldeten Silberblechen ausgestattet. unabhängige Enklave in der syrischen Provinz. Der Die textilen Überzüge auf den Außenseiten Helm wird in das frühe 1. Jahrhundert n. Chr. datiert der Kalotten sind fragmentiert und stellenweise und fällt damit in die Amtszeit von Sampsiceramus nur mehr an den fein gezeichneten Strukturen in II. (11 v.-42 n. Chr.).15 den Korrosionsschichten des Eisens zu erkennen. Der Zustand der zum Teil nur unvollständig Besonders schlecht erscheint die Erhaltung bei erhaltenen Objekte erscheint fragil. Unter den den Helmen aus Nijmegen und Xanten (Tabel- Korrosionsschichten ist stellenweise kaum mehr le 1, 1-4) jeweils im Bereich des Nackens und der metallisches Eisen vorhanden. Dementsprechend Stirn. Grundsätzlich stellt aber bereits der bloße liegen die Metallbestandteile zumeist gereinigt Umstand der Erhaltung eine Besonderheit dar, er und gefestigt vor (Tabelle 1, 1-3), der Helm aus Xan- setzt außerordentlich günstige Bedingungen wäh- ten (Tabelle 1, 4) wurde vollständig restauriert. Das rend der archäologischen Lagerung voraus19. Dabei Homser Exemplar (Tabelle 1, 5) war wegen der stetig entstanden zuerst relativ mobile Verbindungen der fortschreitenden Eisenkorrosion seit der Bergung eisernen Kalotten mit in der Umgebung vorhan- Abb. 5 mindestens zweimal Gegenstand restauratorischer denem Wasserstoff und Sauerstoff, die dann auf Vorder-, Seit- und Rück- Maßnahmen16. den textilen Werkstoff zogen und dort zu weniger ansicht des Helms aus Es steht zu vermuten, dass die Helme aus Grün- gut löslichen Verbindungen aufoxidiert wurden. Homs/ SYR (Tabelle 1, 5) Foto: nach Junkelmann den einer verbesserten Tragbarkeit auf der Innen- Auf diese Weise kam es im Laufe der Zeit zu einer 1996, S. 24, Abb. 35, 36, seite ehemals gepolstert waren. Inwendig haben mehr oder minder vollständigen Ersetzung des 37

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Abb. 6 Vorder- und Seitenan- sicht des Helms aus Plov- div/ BG (Tabelle 1, 6) Foto: Vorderansicht: nach http://www.romanarmy. com/cms/component/ option,com_helmets/ task,view/cid,232/Ite- mid,96/ [31. Dezember 09] Seitenansicht: nach Junkelmann 1996, S. 31, Abb. 50

organischen Materials, gleichzeitig wurde seine Stellenweise hat sich nur mehr das Negativ des Struktur durch die Tränkung mit den Metallkorrosi- Faseräußeren als Abdruck in der Korrosion erhal- onsprodukten konserviert. Dieser Vorgang wird als ten. In der Längsansicht wurde eine geschuppte Mineralisierung bezeichnet20. Oberfl äche sichtbar, das charakteristische Leitele- Bedingt durch den Erhaltungszustand lassen ment von Menschen- und Tierhaaren. Im Vergleich sich an keinem der Helme eindeutige Gebrauchs- mit rezenten Materialien konnte die Mehrzahl spuren nachweisen, lediglich die Deformation im der Fasern schließlich als Pferdehaar identifi ziert Stirnbereich des Xantener Helms (Tabelle 1, 4) wird werden (Abb. 8). Die festzustellende Feinheit von als antike Beschädigung interpretiert21. knapp 100 μm in Verbindung mit der technisch bedingten Länge von bis zu 35 cm spricht für die Die Bestimmung der Fasern Verwendung ausgesucht feiner Schweifhaare. Über Die verschiedenen pfl anzlichen und tierischen deren ursprüngliche Färbung oder Pigmentierung Faserrohstoffe, die für Textilien verwendet wer- kann wegen der fortgeschrittenen Mineralisierung den, weisen in der Längs- und Queransicht jeweils nichts gesagt werden. typische Merkmale auf. Daher bedient man sich bei der Analyse in der Regel vergleichend-optischer Die Konstruktion der textilen Verzierungen Bestimmungsmethoden. Bei archäologischen Fun- Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass die den ist die Lesbarkeit jedoch oftmals infolge der Außenseiten der Helmkalotten aus Nijmegen und Bodenlagerung oder restauratorischer Überprä- Xanten (Tabelle 1, 1-4) vollständig mit einer linear gung erschwert. Entsprechend aufwendig gestal- angelegten Verzierung aus schmalen Flechtbän- tet sich dann eine Präparation. dern dekoriert sind, die mehr oder minder durch An den rem wird seit bald zehn Jahren intensiv Füllmuster aufgebrochen wird. Die vorgefertigten an archäologisch überlieferten Textilien geforscht. Bänder wurden dabei fl ach und seitlich aufgestellt Im Zuge von DressID wurde nun am CEZA ein eige- zu einer reliefi erten Konturlinie angeordnet. Tech- nes Labor zur Faserbestimmung eingerichtet. Hier nisch betrachtet handelt es sich zum einen um wurden Proben der Überzüge eines der Nijmegener Wulsthalbgefl echte, dabei wird ein aktiver Flecht- Helme (Tabelle 1, 1) sowie des Xantener Stücks faden in Form einer Acht um zwei passive Flechtfä- (Tabelle 1, 4) zunächst auf- und durchlichtmikrosko- den herum geschlungen. Zum anderen fi nden sich pisch begutachtet und dann unter dem Rasterelek- echte Gefl echte aus drei aktiven Fadensystemen in tronenmikroskop näher bestimmt. der Art eines Zopfs. Alle untersuchten Fasern zeigten sich dabei stark Der textile Überzug ist in Schichten aufgebaut. gealtert und sehr weit bis vollständig mineralisiert. Bei den Helmen aus Nijmegen (Tabelle 1, 1-3) lassen

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Sylvia Mitschke sich in Auswertung der festgestellten Stratigraphie Bereich an den übrigen Helmen erfolgte, kann nicht die folgenden Arbeitsschritte ableiten: Zunächst gesagt werden. wurde um die Kalotte herum ein mehrlagig gefal- Wegen des gleichmäßig körnig strukturierten tetes Gewebe aus Schafwolle geführt, das später Aussehens der Oberfl äche der Helmkalotte aus die Grundlage für die wulstige Verdickung des Homs (Tabelle 1, 5) ist anzunehmen, dass sie frü- Kopfbands bilden sollte. her wohl vollständig mit einem leinwandbindigen Vollfl ächig darüber wurde eine Schicht glatter Gewebe bezogen war. Wäre der Helm, wie das Pferdehaare angeordnet, die erst durch Kämmen Stück aus Plovdiv (Tabelle 1, 6), in ein Tuch einge- parallelisiert und dann, in kleinere Strähnen zerteilt, schlagen gewesen, hätten sich die Kontaktstellen Abb. 7 mittig verwebt wurden. zur eisernen Kalotte nicht derart fl ächig und ent- Der rekonstruierte Xan- Nachfolgend wurde das gewebte Band mit den sprechend der beiden Fadensysteme orientiert in tener Reiterhelm vermit- nun geordneten Fasern vertikal entlang der Hinter- der Korrosion erhalten. Die heute rötliche Färbung telt einen Eindruck von der ehemals prachtvollen hauptmitte auf die Kalotte montiert. Die überste- des Überzugs geht aller Wahrscheinlichkeit nach Erscheinung der Masken- henden Enden passte man genau an den Helm an, ebenfalls auf das Rosten des Eisens zurück. helme. Das angesetzte indem man sie entlang der vorderen Helmkanten in Die vertikale Hinterhauptmitte wird mittels Maskenfragment dient als Vorlage für die derzeit Schlaufen legte und in dieser Lage fi xierte. eines vergoldeten Scheitelbandes markiert, das an in Arbeit befi ndliche 22 Entlang der Längsachse des Helms wurden dann der Stirn mit einer Rosette verziert wurde. Seyrig Gesichtsmaske. in gleichmäßigen Abständen parallel verlaufende beschreibt ferner die Erhaltung eines Flechtbands Foto: Frank Willer/ LVR Gefl echtstreifen appliziert und die Zwischenräu- an der rechten Schläfe, das er als Abdeckung des Rheinisches Landes- museum, Bonn, Ronny me mit verschiedenen, in festgelegten Mustern Bereichs von der Stirn zur Kalotte interpretiert, und Meijers/ Museum Het angeordneten Flechtbandornamenten gefüllt. Es vermutet ein ehemals zweites Band an der Verbin- Valkhof, Nijmegen/ NL fi nden sich S-, brezel-, mäander- und zickzackför- mige Motive, die entlang des Scheitels gespiegelt wurden. Der Helm aus Xanten (Tabelle 1, 4) zeigt ebenfalls einen streng linearen Aufbau in der von der Stirn bis in den Nacken reichenden Dekoration, allerdings wurden hier zwei Kopfbänder ausgeführt. Außer- dem wurde auf eine Unterfütterung mit Haaren verzichtet, ebenso wie auf Füllmuster in der Flä- che. Nur innerhalb des äußeren Kopfbands wurde ein Mäander angelegt. Technisch abweichend von den Nijmegener Helmen fi ndet sich hier zusätzlich entlang des Scheitel- und des Kopfbands eine groß- zügig ausgeführte Überstickung, die spitzwinklige Motive und kleine Rauten bildet. Aufgrund der unzureichenden Erhaltung konnte nur mehr an einem der Nijmegener Stücke (Tabel- le 1, 3) festgestellt werden, dass die Flechtbänder um die Kante des Nackenschilds herum auf die Unterseite geführt wurden. Reste eines verzierten Silberblechs und die partielle Verpressung des tex- tilen Überzugs entlang der Vorderkante lassen fer- ner zumindest für einen der Helme aus Nijmegen (Tabelle 1, 1) annehmen, dass die Stirn ehemals wie bei dem Objekt aus Homs (Tabelle 1, 5) durch einen Metallreif abgedeckt war, der vor der Niederle- gung entfernt wurde. Wie der Abschluss in diesem

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Abb. 8 Bereich zu schlecht, um eine genaue Überprüfung Haare von einem der Nij- zu ermöglichen. megener Helme (Tabelle Da sich an den Helmen weiterhin keine Spuren 1, 1) unter dem Raster- elektronenmikroskop einer herstellungs- oder nähtechnischen Verbin- Die eng zueinander ste- dung fi nden lassen, kommt für die Fixierung der henden, fein gezähnelten textilen Verzierungen nur eine Verklebung in Frage, Schuppenkanten weisen im Vergleich mit rezenten und tatsächlich werden verschiedentlich zwischen Materialien auf die Ver- den Lagen Reste einer bläulichen Substanz sichtbar. wendung von Pferdehaar Bei den am Institut Collectie Nederland in Amster- als Rohstoff. Foto: Curt-Engelhorn- dam durchgeführten gaschromatographischen Zentrum Archäometrie, Analysen wurde diese als Baumteer bestimmt24, ein Mannheim Gemisch verschiedener organischer Substanzen, dung vom Hinterhaupt zum Nackenschild. Mög- das bei der Pyrolyse von Holz entsteht. Es ist davon licherweise handelt es sich dabei aber auch um auszugehen, dass die zähviskose Konsistenz des den Rest eines ehemals mustermäßig angelegten Holzteers eine gute Applikation der Flechtbänder Überzugs mit Flechtbändern, die hier offenbar auf bei gleichzeitig geringer Penetration (Durchschla- einen Gewebegrund appliziert waren. Anhand der gen des Klebstoffes durch die textilen Flächen) Abbildungen meint man zumindest auch seitlich ermöglichte. ein von der Stirn schräg in den Nacken verlaufendes Auf der Basis durchgeführter Experimente ist ins- Kopfband zu erkennen. Eine tiefer gehende Analy- gesamt für die Herstellung und Montage der tex- se der Konstruktion des Überzugs des Helms aus tilen Applikationen, je nach Ausführung, von um die Homs steht allerdings noch aus. 150 Arbeitsstunden auszugehen25.

Die Befestigung der textilen Verzierungen Zur Wirkung der Maskenhelme Offenbar zur Fixierung der textilen Applikationen Die Ergebnisse der technischen Analysen der tex- auf dem eisernen Träger wurden bei den Helmen tilen Verzierungen unterstützen die Hinweise, dass aus Nijmegen und Xanten (Tabelle 1, 1-4) an mehre- hinsichtlich der frühen Maskenhelme des 1. Jahr- ren Stellen kupferne Niete durch den textilen Über- hunderts n. Chr. eine kritische Sichtweise der Bezü- zug geschlagen. So zeigt sich etwa mittig am Hin- ge auf die Beschreibungen in Arrians Reitertraktat terkopf der Xantener Helmkalotte (Tabelle 1, 4) ein angebracht ist. Belege für die dort erwähnten, Nietstift, mit dem möglicherweise das Kopfband von den Helmen herabhängenden Haarsträhnen befestigt gewesen sein könnte. Die Kleinteiligkeit konnten im Rahmen der durchgeführten Untersu- der Verzierungen lässt jedoch nicht den Schluss zu, chungen nicht gefunden werden. Da die Applikati- dass alle Einzelelemente vermittels der wenigen onen an den Seiten enden bzw. im Nacken um den festgestellten Niete montiert wurden. Denkbar Schild herum geführt wurden, steht auch keine von wäre allerdings, dass sie dort, wo ohnehin vor- den Helmkanten ausgehende Langhaarfrisur zu handen, wie etwa im Bereich des Ohrschutzes, für erwarten. Ebenso fi nden sich keine Anzeichen für besonders feste Verbindungen mitbenutzt wurden. etwaige, ehemals in der Fläche eingeknüpfte Haar- Röntgenaufnahmen23 von einem der Nijme- büschel, die die kleinteilig ausgeführten Muste- gener Helme (Tabelle 1, 3) zeigen außerdem auf rungen nur überdeckt hätten. den Seiten und im Nacken Reihen kleiner Löcher. Die kompakte Konstruktion der textilen Appli- An den übrigen Objekten waren keine derartigen kationen würde sich demnach auch bei Starkwind Lochungen zu erkennen. Möglicherweise stehen nicht regen. Möglicherweise handelt es sich daher diese im Zusammenhang mit der Befestigung der in Arrians Ausführungen um einen ganz anderen Flechtbänder auf dem Helm, vielleicht zeigen sie Helmtyp. aber auch, wie bei dem Stück aus Homs (Tabelle 1, Eine treffendere Beschreibung der von den 5), die ehemalige Position hier nicht überkommener Maskenhelmen ausgehenden Wirkung fi ndet sich Zierbleche an. Die Bewahrung ist aber in diesem daher möglicherweise nur in der wesentlich später

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Abb. 9 Im Vergleich der Darstel- lung des Reiters rechts neben dem Pilaster auf dem Eckblock, 2. Hälfte 1. Jahrhundert n. Chr., im Musée Luxembour- geois, Arlon/ BE, mit der Xantener Rekonstruktion wird die mittig geschei- telte Anlage der Helmde- koration deutlich. Foto: Eckblock mit drei Reitern bei: Gabelmann 1973, S. 149-151, Abb. 17 Rekonstruktion des Xantener Helms: Frank Willer/ LVR Rheinisches Landesmuseum, Bonn, Ronny Meijers/ Museum Het Valkhof, Nijmegen/ NL

entstandenen Schilderung des Einzugs von Kaiser Überlegungen zur Gestaltung von Reiterhelmen Constantius II. in Rom von Ammianus Marcellinus Die Erscheinung der Reiter war also in jedem Fall (um 330 - nach 395) in der „Römischen Geschichte“ etwas Besonderes, jedenfalls fi nden sich keine (Buch 16, 10): „Zu beiden Seiten des Kaisers schrit- Hinweise, die den verschiedentlich geäußerten ten in doppelter Reihe Bewaffnete mit Schild und Zusammenhang mit den auf Alexander den Groß- Helmbusch, strahlend im Glanz der schimmernden en zurückgeführten „Fellhelmen“29 rechtfertigen. Panzer, dazwischen Panzerreiter, die sogenannten Im Gegenteil belegen die technischen Analysen an Clibanarier, mit Helmvisier, geschützt durch Har- den Maskenhelmen mit textilen Verzierungen, dass nisch und mit ehernem Wehrgehenk gegürtet. anstelle des wilden, ungeordneten Eindrucks eines Man hätte sie für Standbilder halten können, die Fells von einer kunstvollen und streng linear ange- des Praxiteles Hand geglättet hatte, nicht aber für legten Frisur auszugehen ist. Männer.“26 Für die Reiterhelme müssen daher unterschied- Ganz offensichtlich machten die Reiter demnach liche Gestaltungsprinzipien zugrunde gelegt wer- einen äußerst stattlichen Eindruck. Die festgestellte den. Entsprechend lassen sich im Abgleich der prachtvolle Ausstattung diente wohl vor allem der erhaltenen Helme mit den Bildwerken, die Reiter- Verdeutlichung von Reichtum und Stand des Trä- darstellungen zeigen, drei Kompositionsschemata gers – ein Aufwand, wie er für die römische Reiterei ableiten, die auch an anderer Stelle belegt ist27. Möglicherwei- - symmetrische se sollte zudem mit den Flechtbandverzierungen - runde oder über den vermeintlich ungeschützten Hinterkopf in - freie Kampfhandlungen eine besondere Mannhaftigkeit Anlage des Dekors, wobei jede mit umlaufenden ausgedrückt werden. Gelegentlich wird in Kombi- Kopfbändern und/oder Stirnreifen kombiniert wer- nation mit den silberglänzenden Masken auch von den kann. einer abschreckenden Wirkung ausgegangen28, Das erstgenannte Schema lässt sich, wie an den passender wäre sie vielleicht mit „Ehrfurcht einfl ö- Helmen aus Nijmegen, Xanten und Homs (Tabelle 1, ßend“ umschrieben. 1-5), auch auf einem Grabmonument aus Arlon/ BE

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(2. Hälfte 1. Jahrhundert n. Chr.) nachweisen, wo der dem Kopf- und Scheitelband in Form stark stilisier- im Bild neben dem Pilaster dargestellte Reiter einen ter Lorbeerblätter ausgeführt wurden (Abb. 11). Für Helm trägt, von dessen Stirn entlang des Scheitels die kreuzweise mit ineinandergestellten Hexen- zwei parallele Streifen ausgehen (Abb. 9). stichen ausgeführte Stickerei entlang des Kopf- Ansonsten stellt erhaltungsbedingt die man- bands des Xantener Helms fi nden sich im Übrigen gelnde Detailgenauigkeit auf Grabmonumenten zwei Entsprechungen aus Privatbesitz (Abb. 12). häufi g eine Schwierigkeit dar. Besser eignen sich Dagegen geht bei der runden Anlage des Dekors zum Vergleich hier die Maskenhelme, bei denen die Frisur von einem Scheitelpunkt am Hinter- der Dekor ausschließlich in Metall angelegt wurde. kopf aus und wird von dort gleichmäßig in Locken Demnach wäre dem ersten Schema auch der Helm durchgestuft. Diese Form der Haartracht wird rela- aus Rapolano/ I aus der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts tiv häufi g dargestellt, ausgeführt sowohl in Metall n. Chr. hinzuzufügen, bei dem die Frisur entlang des als auch in Stein. Als Beispiel kann die Reiterdar- Hinterkopfs gescheitelt wurde. Diese Darstellung stellung auf dem Grabstein des Togitio aus Mainz gleicht der Ausführung des Haargrunds an den Nij- (Mitte 1. Jahrhundert n. Chr., Abb. 13) angeführt megener Helmen (Tabelle 1, 1-3), lediglich der Winkel werden. Auch der Helm aus Plovdiv (Abb. 6) und variiert leicht (Abb. 10). der so genannte „Helm des Bassus“ (Abb. 12) folgen Als ein späteres Beispiel für die symmetrische diesem Muster. Anlage des Dekors sind noch zwei Helme aus Eining Die freie Komposition arbeitet mit im Relief ange- Abb. 10 aus der 1. Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. zu nen- legten, fi gürlichen Motiven und basiert im Grunde Vergleichende Darstel- 30 lung zur Anlage des nen . Möglicherweise kann die an dem Xantener auf den ersten beiden Gestaltungsprinzipien: Dabei Mittelscheitels Helm (Tabelle 1, 4) festgestellte Stickerei mit schräg werden die verschiedenen Bildelemente von einem Links: Helmrückteil gestellten Stichen entlang der vertikalen Hinter- Scheitelpunkt auf dem Hinterkopf ausgehend an aus Rapolano, 2. Hälfte 1. Jahrhundert n. Chr., hauptmitte als Nachahmung eines wie dort darge- die Geometrie des Helms angepasst, gelegentlich Museo Archeologico, stellten Scheitelzopfs verstanden werden (Abb. 11). zeigen sie seitlich auch eine im Prinzip gespiegelte Florenz Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Anlage (Abb. 14). Dargestellt werden Szenen aus der Rechts: Rückansicht auf den Helmen verschiedentlich in Metall ausge- Mythologie oder aus dem Zusammenhang kriege- eines der Nijmegener Helme (Tabelle 1, 1) mit führten Gravuren als vereinfachte Darstellungen rischer Auseinandersetzungen. ausschnittvergrößertem von Flechtbändern zu interpretieren sind, wie sie Detail der vertikalen auf den Exemplaren aus Nijmegen und Xanten in Fragen zur römischen Identität Hinterhauptmitte Fotos: Helm aus Rapola- Pferdehaar ausgeführt wurden31. Gewisse Ähnlich- Die Frage nach der Herkunft der römischen Mas- no nach Garbsch 1978, S. keiten in der Anlage der Xantener Stickerei ergeben kenhelme und damit nach der Identität ihrer Träger 59, 60, Taf. 15.4 sich außerdem auch zu einem Helm aus der 2. Hälf- war bereits mehrfach Gegenstand der Forschung32. Nijmegener Helm: Ronny Meijers, Museum Het te des 2. Jahrhunderts / Anfang des 3. Jahrhunderts Abhängig vom jeweiligen wissenschaftlichen Valkhof, Nijmegen/ NL n. Chr. der ehemaligen Sammlung Guttmann, bei Schwerpunkt der Bearbeiter wird ein orientalischer, hellenistischer, thrakischer, etruskisch-italischer oder römisch-italischer Ursprung hergeleitet. Auf der Basis der erhöhten Funddichte von Masken- helmen auf niederrheinischem Gebiet werden gelegentlich auch Verbindungen zu den Batavern hergestellt, die als Auxiliarreiter in den römischen Reitereinheiten ihren Dienst verrichteten33. Insgesamt scheint es zum jetzigen Zeitpunkt allerdings so, als ließe sich die Sache allein auf der Basis der bisherigen, vor allem typologischen und stilistisch argumentierenden Ansätze nicht endgültig klären. Fraglich ist außerdem, ob man aus der insgesamt weiten Verbreitung der Funde im römischen Imperium auf verschiedene Pro-

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Abb. 11 (oben) Vergleiche zur Ausfüh- rung des Scheitelbands Links: Helmrückteil aus Eining mit in Metall gear- beitetem Scheitelzopf, 1. Hälfte 3. Jahrhun- dert n. Chr., Archäolo- gische Staatssammlung München, Inv. Nr. 1978, 121-140 Mitte: Scheitelband des Xantener Helms (Tabelle 1, 4), mit spitzwinkligen Motiven überstickt Rechts: Stilisierte Lorbeerblätter entlang des Scheitelbands eines Helms aus der ehemaligen Sammlung Guttmann, 2. Hälfte 2. Jahrhundert/ Anfang 3. Jahrhundert n. Chr. (AG 461) Fotos: Eining nach Garbsch 1978, S. 45, 46, Taf. 1.4 Rückansicht Xanten: Petra Becker, LVR-Archäo- logischer Park, Xanten Detail Rückansicht Xan- tener Helm: rem Helm Sammlung Gutt- mann nach Junkelmann duktionsstätten34 schließen darf oder ob sie von eine entsprechend spezialisierte Produktionsstätte 2000, S. 159, Abb. 86 umherziehenden Handwerkern35 bzw. den unter- angenommen werden. schiedlichen Heimatorten der allerorten rekru- In das Bild einer möglicherweise lokalen Tradi- Abb. 12 (unten) tierten Reiter36 zeugt. tion fügt sich die festgestellte Bleiisotopensigna- Vergleiche zur Ausfüh- rung des umlaufenden In diesem Zusammenhang könnte es sich als tur eines der Nijmegener Helme, die auf eine Ver- Kopfbands hilfreich erweisen, die verschiedenen, bei den sorgung aus dem Rheinland deutet. Neuerdings Links: Rückansicht eines Helmen eingesetzten Materialien und Techniken werden auch mit Isotopenanalysen an Eisen und Helms aus Vechten, 2./ 3. Jahrhundert n. Chr., auf ihre jeweilige Herkunft und Tradition zu Haaren vielversprechende Ergebnisse bei der Her- Privatbesitz überprüfen. Diese Forschungen stehen erst am kunftsbestimmung erzielt38. Künftig durchzufüh- Mitte: Rautenförmiges Anfang, dennoch sollen einige Überlegungen rende Reihenuntersuchungen von Materialien und Muster der Stickerei am Kopfband des Xantener dazu kurz vorgestellt werden: Verarbeitungstechnik auch der anderen Masken- Helms (Tabelle 1, 4) Entgegen früherer Betrachtungen, die von helme könnten daher weitere Hinweise auf den Rechts: so genannter standardisierten Verfahrensweisen37 bei der Fer- Ursprung der verwendeten Rohstoffe und damit „Helm des Bassus“, 2. Hälfte 1. Jahrhundert n. tigung der Gesichtshelme ausgingen, belegen möglicherweise Rückschlüsse auf die Lokalisierung Chr., Privatbesitz die metallverarbeitungstechnischen Untersu- von Werkstätten ergeben. Fotos: Vechtener Helm chungen an den Helmen aus Nijmegen und Xan- In diesem Zusammenhang wurde zwar die Ver- nach Junkelmann 1996, S. 36, Abb. 68 ten einen individuellen Zuschnitt auf ihren Träger. klebung von Metallen mit organischen Substan- Xantener Helm: Petra 39 Die dafür erforderlichen Anproben machen eine zen im römischen Kontext bereits nachgewiesen , Becker, LVR-Archäolo- Produktion vor Ort notwendig. Auf Basis der beo- dennoch scheint zu dieser Zeit keine der festgestell- gischer Park, Xanten Detail Rückansicht Xan- bachteten, komplexen Abläufe bei der Herstel- ten textilen Techniken, weder das Halb-, noch das tener Helm: rem lung der Maskenhelme kann zudem eine räum- Echte Flechten oder die Stickerei, eine große Rolle „Helm des Bassus“ nach liche Nähe von Metall- und Textilgewerken oder gespielt zu haben40. Für das Halbfl echten ließen Fischer 2008

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Wer steckt dahinter?

Sha’ar in Ägypten47 – um verschiedene Kettenstich- varianten. Soweit bisher erkennbar, scheint es sich somit bei der in Hexenstich ausgeführten Stickerei an dem Xantener Helm um den ersten Nachweis dieses Stichtyps zu handeln. Häufi g werden auch die verschiedenen Drehrich- tungen beim Spinnen als technische Überlieferung eines bestimmten Kulturkreises interpretiert48. Bei dem am Xantener Helm für Kopf- und Scheitelband eingesetzten Stickfaden handelt es sich um einen z/S-gedrehten Zwirn. Die festgestellte z-Drehung im Garn kann für die Zeitstellung ebenfalls als lokal typisch gewertet werden, allgemein werden s-Drehungen als Indiz für eine Herkunft aus dem östlichen Mittelmeerraum angenommen. Grundsätzlich lassen auch die festgestellten Übereinstimmungen in Anlage, Technik und Quali- Abb. 13 sich bisher nur Belege aus dem Bereich technischer tät der Verzierung an eine gemeinsame handwerk- Auf dem Grabstein Textilien, wie etwa Körben, fi nden41. Ein Beispiel für liche Tradition denken. Eine Sonderstellung nimmt des Togitio aus Mainz- Gustavsburg, Mitte 1. ein Gefl echt kommt aus Mainz, Fundstelle Große hier – schon alleine aufgrund seiner exzeptionellen Jahrhundert n. Chr., rem, Langgasse/ Ecke Emmeranstraße. Die von dort Herrichtung – der Helm aus Homs ein. Dennoch Inv. Nr. Haug 39, wurden stammende Schnur, die in mehrere Richtungen scheint sich auch dieser Helm nach den bisher vor- die Helmfrisuren von gearbeitet wurde, wird in die Zeit um ca. 5 v. Chr. liegenden Daten auf eine vergleichbare technische einem Scheitelpunkt aus- gehend rund angelegt. datiert42. Aus der Emmeranstraße 8 in Mainz ist Überlieferung zu stützen. rem auch eine Stickerei dokumentiert, die allerdings im Ob daher tatsächlich wegen der Konzentration Krieg verloren ging43. Die wenigen sonstigen Evi- der Helmfundorte auf niederrheinischem Gebiet denzen für Stickerei des 1. und 2. Jahrhunderts n. auf eine lokal-batavische Tradition geschlossen Chr. kommen aus Palmyra/ SYR44, Rom/ I45 und Soko- werden kann, kann wohl erst nach einer Untersu- lova Mohyla/ UA46. Sie wurden allerdings in Gold chung des Helms aus Homs abschließend beurteilt oder Seide gefertigt. Technisch betrachtet handelt werden. Dies soll Aufgabe künftiger Forschungen es sich im ersten Fall um Anlegearbeiten, ansonsten auch im Rahmen von DressID sein. – wie auch bei den spätrömischen Funden aus ‘Abu

Abb. 14 Vorder- und Seitenan- sicht des Maskenhelms mit Schnauzbart aus Tell Oum Hauran/ SYR, 2. Jahr- hundert n. Chr., National- museum Damaskus, Inv. Nr. 7364ff. Foto: Hauck 1988, S. 348, Abb. 1 und 2

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Sylvia Mitschke

1 Meijers und Willer 2007. 2 Franzius 1993, S. 131-135, Abb. 24 a und b. 3 van Driel-Murray 2000, S. 307; van Enckefort 2007, S. 12-15. 4 Kropatscheck 1909, S. 351, Nr.12, Taf. 39, 2.- Diskussion der Fundumstände bei Hanel et al. 2000, S. 268, 269. 5 Basierend auf den Stücken in der Literatur bei Garbsch 1978, Waurick 1988, Feugère 1994, Junkelmann 1996 und 2000, Hanel et al. 2000, Meijers und Willer 2007, Fischer 2008.- Drei Stücke sind nur im Internet publiziert, die Angaben werden derzeit noch überprüft (CSD 28, 29 und 38 unter http://www.romanarmy.com/cms/component/option,com_helmets/Itemid,96/ [31. Dezember 09]). 6 Garbsch 1978, S. 62, Abb. 17.1+2. 7 Z.B. bei Junkelmann 1996; Mitschke und Willer (in Vorbereitung). 8 Übersetzung nach Junkelmann 1996. 9 Junkelmann 1996, S. 53–56; Geiß und Willer 2007, S. 67, 68; Meijers et al. 2007, S. 74-76. 10 van Enckefort 2007, S. 12, 13. 11 Weiterführende Beschreibung bei Hanel 1995. 12 Schreiter 1993, S. 48. 13 Willer und Meijers 2007, S. 36, Abb. 5.7. 14 Da dieser Helm bisher nicht zur Analyse vorlag, beruhen die Angaben im Text auf entsprechenden Informationen aus der Literatur (Seyrig 1952 und 1958, Garbsch 1978) sowie auf Interpretationen des publizierten Bildmaterials. 15 Vgl. Bowman et al. 2000, S. 637. 16 Seyrig 1958, S. 10. 17 Hanel et al. 2000, S. 259. 18 Pernicka et al. 2007, S. 52- 55. 19 Fischer 1997, S. 13-18 (mit weiterführender Literatur). 20 Mitschke 2001, S. 29-31. 21 Schreiter 1993, S. 49. 22 Seyrig 1958, S. 7. 23 Willer und Meijers 2007, S. 45-48, Abb. 5.12, 5.13. 24 Willer et al. 2008, S. 35-37. 25 Vgl. Mitschke und Willer (in Vorbereitung). 26 Übersetzung bei Seyfarth 1970, S. 176, 177. 27 Kemkes 2007, S. 110, 111. 28 Junkelmann 1996, S. 52, 53. 29 Z.B. bei Künzl 1999. 30 Archäologische Staatssammlung München, Inv. Nr. 1978, 121-140 bei: Garbsch 1978, S. 45, 46, Taf. 1.3+4. 31 Z.B. Gesichtsmaske aus Visegrád aus dem 2. Drittel des 2. Jahrhunderts n. Chr. (Inv. Nr. 65.81.1) mit in Metall gearbeiteter, symmetrisch angelegter Flechtfrisur bei: Garbsch 1978, S. 70, Taf. 24.4; vgl. auch angedeutete Zöpfe bei der Kalotte aus Vechten (2./ 3. Jahrhundert) in Abbildung 12. 32 Ausführliche Darstellung der gängigen Forschungsmeinungen bei: Junkelmann 1996, S. 24-26. 33 van Enckevort und Willems 1994, S. 134, 135; van Enckevort 1995, S. 55–57. 34 Hanel et al. 2000, S. 269. 35 Garbsch 2000, S. 56. 36 Reinert 2000, S. 46. 37 Franzius 2000, S. 138. 38 Den Hinweis auf das Verfahren zur Bestimmung der Herkunft von Eisenartefakten auf Basis einer Kombination von Spurenelement- analysen (mittels Neutronenaktivierung) mit Osmium-Isotopenanalysen (NTIMS) verdanke ich Dr. Michael Brauns, CEZA Mannheim.- Zur Strontiumisotopie an Haaren vgl. Frei et al. 2009. 39 Paparazzo 2003. 40 Vgl. Wild 1970. 41 Wulsthalbgefl ochtene Körbe aus der Gegend von Cartagena/E bei Alfaro Giner 1984, S. 170, 171, Taf. LV, LVI.

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Wer steckt dahinter?

42 Böhme-Schönberger 2009, S. 11, Abb. 17. 43 Wild 1970, S. 119. 44 Schmidt-Colinet et al. 2000, S. 30, 31, Abb. 31. 45 Bedini et al. 2004, S. 79. 46 Gleba 2008, S. 67, Abb. 1, 2. 47 Bender Jørgensen 2006, S. 172, Abb. 5 und 6. 48 Die Theorie feststehender Spinnereitraditionen wird in der Archäologie vor allem von Lise Bender Jørgensen vertreten (z.B. Bender Jørgensen 1992). In der Ethnologie wird das Phänomen dagegen kontrovers diskutiert (z.B. Minar 2000).

Literatur Alfaro Giner 1984: C. Alfaro Giner: Tejido y cestería en la Península Ibérica: historia de su técnica e industrias desde la prehistoria hasta la romanización, Bibliotheca praehistorica Hispana 21, Madrid 1984 Bedini et al. 2004: A. Bedini, I.A. Rapinesi, D. Ferro: Testimonianze di fi lati e ornamenti in oro nell´abbigliamento di età romana, in: C. Alfaro et al. (Hrsg.): Purpureae vestes I. Textiles y tintes del Mediterráneo en época romana, Valencia 2004, S. 77-88 Bender Jørgensen 1992: L. Bender Jørgensen: North European textiles until AD 1000, Aarhus 1992 Bender Jørgensen 2006: L. Bender Jørgensen: The late roman fort at ‘Abu Sha’ar, Egypt: Textiles in their archaeological context, in: S. Schrenk (Hrsg.): Textiles in situ: their fi nd spots in Egypt and neighbouring countries in the fi rst millennium CE. Riggisberger Berichte 13, Riggisberg 2006, S. 161-173 Böhme-Schönberger 2009: A. Böhme-Schönberger: Hautnah: römische Stoffe aus Mainz, Mainz 2009 Bowman et al. 2000: A.K. Bowman, P. Garnsey, D. Rathbone: The Cambridge : The High Empire, A.D. 70 -192, Cambridge11 2000 van Driel-Murray 2000: C. van Driel-Murray: A late Roman assemblage from Deurne (Netherlands), Bonner Jahrbücher 200, 2000, S. 293 -308 van Enckevort 1995: H. van Enckevort: Das Lager auf dem Kops Plateau. In: J.-S. Kühlborn (Hrsg.): „Germaniam pacavi“ – Germanien habe ich befriedet. Archäologische Stätten augusteischer Okkupation, Münster 1995, S. 42-58 van Enckevort 2007: H. van Enckevort: Geopferte und verborgene römische Gesichtshelme aus Nijmegen, in: R. Meijers, F. Willer (Red.): Hinter der silbernen Maske, Nijmegen – Bonn 2007, S. 9-16 van Enckevort und Willems 1994: H. van Enckevort, W.J.H. Willems: Roman cavalry helmets in ritual hoards from the Kops Plateau at Nijmegen, The Netherlands, Journal of Roman Military Equipment Studies 5, 1994, S. 125-137 Fischer 1997: A. Fischer: Reste von organischen Materialien an Bodenfunden aus Metall. Diplomarbeit Institut für Museumskunde an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart 1997 Fischer 2008: Th. Fischer: Der Helm des Bassus, Antike Welt 5/08, 2008, S. 28, 29 Feugère 1994: M. Feugère: Casques antiques. Les visages de la guerre de Mycènes à la fi n de l´Empire romain, Paris 1994 Franzius 1993: G. Franzius: Die römischen Funde aus Kalkriese. In: W. Schlüter (Hrsg.): Archäologische Forschungen zur Varusschlacht, Bramsche 1993, S. 107-192 Franzius 2000: G. Franzius: Maskenhelme, in: W. Schlüter, R. Wiegels (Hrsg.): Rom, Germanien und die Ausgrabungen von Kalkriese, Osna- brücker Forschungen zu Altertum und Antike-Rezeption Band 1, Osnabrück 1999, S. 117-148 Frei et al. 2009: K. M. Frei, R. Frei, U. Mannering, M. Gleba, M. L. Nosch, H. Lyngstrøm: Provenance of Ancient Textiles. A Pilot Study Evaluating the Strontium Isotope System in Wool, Archaeometry 51, 2009, S. 252-276 Gabelmann 1973: H. Gabelmann: Römische Grabmonumente mit Reiterkampfszenen im Rheingebiet, Bonner Jahrbücher 173, 1973, S. 132-200 Garbsch 1978: J. Garbsch: Römische Paraderüstungen, Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 30, München 1978 Garbsch 2000: J. Garbsch: Römische Paraderüstungen, in: L. Wamser (Hrsg.): Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer. Schriftenreihe der

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Sylvia Mitschke

Archäologischen Staatssammlung Band 1, Mainz 2000, S. 53-57 Geiß und Willer 2007: E. Geiß, F. Willer: Experimentelle Archäologie: Schmiedeexperimente zu den römischen Gesichtsmasken aus Nij- megen, in: R. Meijers, F. Willer (Red.): Hinter der silbernen Maske, Nijmegen - Bonn 2007, S. 61-67 Gleba 2008: M. Gleba: „Auratae vestes“: Gold textiles in the ancient Mediterranean, in: C. Alfaro, L. Karali (Hrsg.): Vestidos, textiles y tintes. Purpureae vestes II, Valencia 2008, S. 61-77 Hanel 1995: N. Hanel: Vetera I. Die Funde aus den römischen Lagern auf dem Fürstenberg bei Xanten, Rheinische Ausgrabungen 35, Köln 1995 Hanel et al. 2000: N. Hanel, U. Peltz, F. Willer: Untersuchungen zu römischen Reiterhelmmasken aus der Germania inferior, Bonner Jahr- bücher 200, 2000, S. 243-274 Junkelmann 1996: M. Junkelmann, Reiter wie Statuen aus Erz, Mainz, 1996 Junkelmann 2000: M. Junkelmann: Römische Helme, Sammlung Axel Guttmann 8, Mainz 2000 Kemkes 2007: M. Kemkes: Die Reiter Roms – treue Diener des Imperiums, in: A. Wieczorek, M. Tellenbach (Hrsg.): Pferdestärken. Das Pferd bewegt die Menschheit, Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen 23, Mannheim 2007, S. 109-114 Kropatscheck 1909: G. Kropatscheck: Ausgrabungen bei Haltern. Die Fundstücke der Jahre 1905-1907 (mit Ausnahme der keramischen Funde), Mitteilungen der Altertums-Kommission für Westfalen 5, 1909, S. 323-375 Künzl 1999: E. Künzl: Fellhelme. Zu den mit organischem Material dekorierten römischen Helmen der frühen Kaiserzeit und zur „imitatio Alexandri“ des Germanicus, in: W. Schlüter, R. Wiegels (Hrsg.): Rom, Germanien und die Ausgrabungen von Kalkriese, Osnabrücker For- schungen zu Altertum und Antike-Rezeption Band 1, Osnabrück 1999, S. 149-168 Meijers et al. 2007: R. Meijers, H.-J. Schalles, F. Willer: Schussexperimente mit einer rekonstruierten römischen Torsionswaffe auf defi nierte Metallbleche, in: R. Meijers, F. Willer (Red.): Hinter der silbernen Maske, Nijmegen - Bonn 2007, S. 68-76 Meijers und Willer 2007: R. Meijers, F. Willer (Red.): Hinter der silbernen Maske, Nijmegen - Bonn 2007 Minar 2000: C.J. Minar: Spinning and Plying: Anthropological Directions, in: P. Ballard Drooker: Beyond Cloth and Cordage, Salt Lake City 2000, S. 85-99 Mitschke 2001: S. Mitschke: Zur Erfassung und Auswertung archäologischer Textilien an korrodiertem Metall, Kleine Schriften des vorge- schichtlichen Seminars der Philipps-Universität Marburg 51, Marburg 2001 Mitschke und Willer (in Vorbereitung): S. Mitschke, F. Willer: Rekonstruktion eines römischen Reiterhelms aus Xanten-Wardt, in: Th. Otten et al. (Hrsg.): Fundgeschichten – Archäologie in Nordrhein-Westfalen, Mainz 2010 (in Vorbereitung) Paparazzo 2003: E. Paparazzo: Organic substances at metal surfaces. Archaeological evidence and the elder Pliny´s account, Archaeometry 45, 2003, S. 615-624 Pernicka et al. 2007: E. Pernicka, R. Schwab, F. Willer: Die Analyse eines Silberblechfragments an Helm Kat. Nr. 1, in: R. Meijers, F. Willer (Red.): Hinter der silbernen Maske, Nijmegen - Bonn 2007, S. 51-56 Reinert 2000: F. Reinert: Das Reitergrab eines Veteranen aus Hellingen in Luxemburg, in: L. Wamser (Hrsg.): Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer. Schriftenreihe der Archäologischen Staatssammlung Band 1, Mainz 2000, S. 44-46 Schmidt-Colinet et al. 2000: A. Schmidt-Colinet, A. Stauffer, K. al-As´ad: Die Textilien aus Palmyra: neue und alte Funde, Damaszener Forschungen 8, Mainz 2000 Schreiter 1993: C. Schreiter: Die Militaria, in: H.-J.Schalles, C. Schreiter (Hrsg.): Geschichte aus dem Kies. Neue Funde aus dem Alten Rhein bei Xanten, Xantener Berichte Band 3/ Führer des Regionalmuseums Xanten 34, Köln 1993, S. 220-226 Seyfarth 1970: W. Seyfarth: Ammianus Marcellinus. Römische Geschichte, Buch 14-17, Darmstadt 1970 Seyrig 1952: H. Seyrig: Le casque d´Émèse, Les annales archéologiques de Syrie 2, 1952, S. 101-108 Seyrig 1958: H. Seyrig: Antiquités syriennes, Band V, Paris 1958 Waurick 1988: G. Waurick: Römische Helme, in: A. Bottini (Hrsg.): Antike Helme. Sammlung Lipperheide und andere Bestände des Anti- kenmuseums Berlin, Monographien des Römisch-Germanischen-Zentralmuseums 14, Mainz 1988, S. 327-364 Wild 1970: J.P. Wild: Textile manufacture in the northern Roman provinces, Cambridge 1970 Willer et al. 2008: F. Willer, R. Meijers, S. Mitschke: Hinter der silbernen Maske. Ein deutsch-niederländisches Forschungsprojekt zu Fragen antiker Herstellungstechniken an römischen Reiterhelmen des 1. Jahrhunderts n. Chr. aus Nijmegen/ NL und Xanten/ D, Restaurierung und Archäologie 1, 2008, S. 19-41 Willer und Meijers 2007: F. Willer, R. Meijers: Herstellungstechnische Untersuchungen der eisernen Gesichtshelme aus Nijmegen, in: R. Meijers, F. Willer (Red.): Hinter der silbernen Maske, Nijmegen – Bonn 2007, S. 31-50

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Der Gürtel als Standeszeichen der römischen Soldaten

Abb. 1 Statue eines Soldaten 1. Hälfte 1. Jahrhundert H. 1,41 m n. Chr. Aus Gustavsburg rem

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Stefanie Hoss

Der Gürtel als Standeszeichen der römischen Soldaten

Die Kleidung eines Menschen und seine soziale und Letzteres galt für die römische Armee offensicht- politische Identität waren in der antiken Welt direkt lich nicht, und nur im Bürgerkrieg trafen römische miteinander verbunden. Die Toga war gleichzeitig Truppen in der Schlacht auf einen Gegner, der ihnen Privileg und Symbol des römischen Bürgers, was selbst ähnlich sah. Alle anderen Feinde – von den schon durch die Selbstbezeichnung der Römer als Briten, Germanen, Galliern und Hispaniern über gens togati zum Ausdruck kommt.1 In ähnlicher die Nomaden der Steppen Osteuropas, Nordafrikas Weise deuteten auch andere Kleidungselemente und des Nahen Ostens bis zu den Armeen der Par- auf Status und Position des Trägers: Senatoren tru- ther und Sassaniden – waren auf dem Schlachtfeld gen breite Purpurstreifen (lati clavi) auf der Tunika, mühelos von römischen Truppen zu unterschei- Ritter nur schmale (angusti clavi). Selbst die Schuh- den.6 arten der Oberklasse waren in drei Ranggruppen Des Weiteren verlangen Uniformen ein einheit- aufgeteilt.2 liches Design, eine einheitliche, koordinierte Ferti- Auch unterhalb dieser Ränge waren bestimmte gung und eine ebensolche Verteilung an alle Sol- Kleidungsstile typisch für bestimmte Bevölke- daten. Die Voraussetzungen für eine solche Stan- rungsgruppen. dardisierung waren im römischen Reich mit seinem Dies gilt auch für die römischen Soldaten, das Stand von Technik und Kommunikation und seinen heißt für die Ränge von Rekrut bis einschließlich Ressourcen nicht gegeben.7 Centurio. Diese militärische Kleidung der Solda- Schließlich ist es fraglich, ob die römischen Sol- ten kennzeichnete den Berufsstand. Es handelte daten Uniformen überhaupt akzeptiert hätten. sich hierbei um die Kleidung, die ein Soldat ohne Die römische Armee hatte eine lange Tradition von Rüstung im Alltag trug.3 Angemerkt sei, dass auch wagemutigen Aktionen Einzelner.8 Solche Taten römische Soldaten wie andere Menschen verschie- geschahen nicht im Verborgenen, im Gegenteil. Es dene soziale Rollen inne hatten. Für einige (zum Bei- war Absicht, durch eine außergewöhnliche Akti- spiel Priester einer Gottheit oder römischer Bürger) on den Vorgesetzen – im besten Fall dem Kaiser kleideten sie sich dann nicht in ihre „Berufstracht“, – aufzufallen, denn dies brachte nicht nur mili- sondern in die nach Aussage der Quellen der Rolle tärische Auszeichnungen, sondern oft auch eine jeweils angemessene Kleidung (das dem Gottes- Beförderung ein.9 Zudem darf der Statuszuwachs dienst entsprechende Kultgewand beziehungswei- (Zuwachs an Ehre) innerhalb der peer group nicht se die Toga). unterschätzt werden. Wegen der modernen Aspekte der römischen Eine Voraussetzung dafür war, individuell erkenn- Armee (sie war ein stehendes Heer, hatte eine feste bar zu sein, so dass die Identität des Soldaten auch Rangordnung, absolvierte regelmäßiges Training von weitem deutlich war. Polybios beschreibt, dass und ähnliches) ging man lange davon aus, dass die Velites (Plänkler) der römischen Armee im 2. römische Soldaten Uniformen, mindestens jedoch Jahrhundert v. Chr. ihre Helme aus Gründen der uniformähnliche Trachten getragen hätten. Dies individuellen Erkennbarkeit mit Wolfsfellen und geht von völlig falschen Voraussetzungen aus.4 Ähnlichem bedeckten, „so dass die Offi ziere der Denn solche Uniformen waren gar nicht notwen- Einheit sehen können, ob er [in der Schlacht] Mut dig. Moderne Armeen haben Uniformen entwickelt, oder das Gegenteil zeigt“.10 Für die Kaiserzeit nennt um Freund und Feind schnell voneinander unter- Cassius Dio einen General des Domitian, der in scheiden zu können. Die Notwendigkeit dazu ergab den dakischen Kriegen einführte, dass die Solda- sich aus der Ähnlichkeit im Aussehen der Angehö- ten ihren Namen und den ihres Centurio auf den rigen der verschiedenen Armeen, dem dank des Schilden trugen, um sie erkennbar zu machen.11 Schießpulvers möglichen Gefecht auf Entfernung Das Weiterleben derselben Idee bis in die Spätan- und dem zusätzlichen Hindernis des Pulverrauchs.5 tike bestätigt die Beschreibung der Belagerung von

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Der Gürtel als Standeszeichen der römischen Soldaten

Bezabde von Ammianus Macellinus, bei der Solda- tungen (Legionäre, Auxiliare) kaum Unterschiede ten trotz der Gefahr von Seiten der Bogenschützen nachweisen, ebenso wenig wie in der der Flotten- ihre Helme abnahmen, um für den Kaiser individu- soldaten. Dies fällt auf, da es zwischen den Legio- ell erkennbar zu sein.12 Ob diese Beispiele alle wahr nären und den anderen beiden Gruppen bedeu- und so geschehen sind, ist für unsere Zwecke zweit- tende rechtliche und soziale Unterschiede gab. rangig, bedeutungsvoller ist, dass die Schriftsteller Im Gegensatz zu den Legionären hatten weder den hohen Wert der individuellen Erkennbarkeit so die Auxiliaren noch die Flottensoldaten römisches selbstverständlich fi nden. Bürgerrecht, zudem wurden sie deutlich schlechter Die individuelle Erkennbarkeit des Soldaten war bezahlt.16 Die Reiter lassen sich völlig anders dar- demnach ein wichtiger Grund für die Vermeidung stellen; sie sind regelhaft auf ihren Grabsteinen zu von Uniformität in der römischen Armee.13 Ange- Pferde bzw. mit Pferden abgebildet. Ich möchte die sichts der Motivierung der Soldaten durch den Reiter hier ausklammern, da sie bereits anderweitig Wettbewerb um Ehre ist es außerdem wahrschein- behandelt wurden.17 lich, dass sie versuchten, sich auch mit Kleidung Das Motiv des frontal stehenden Soldaten in mili- und Rüstung gegenseitig zu überbieten.14 Hierbei tärischer Tracht (Abb. 1) kommt zunächst in Italien gilt, dass in der Kleidung – wie heute noch – Unter- auf und erreicht seine erste Blüte in tiberischer Zeit schiede zwischen Soldaten betreffend Rang und bei der Rheinarmee.18 Es ist während des gesamten Ehre erkennbar werden sollten. 1. Jahrhunderts verbreitet, wird jedoch im 2. unge- bräuchlich. Ab severischer Zeit nimmt die Zahl der Die Quellen Grabsteine mit fi gürlicher militärischer Darstellung Neben schriftlichen Überlieferungen, deren Aussa- wieder deutlich zu. Dies zeugt sowohl von der grö- gekraft zum Aussehen der Kleidung eher indirekt ßeren fi nanziellen Potenz der Soldaten als auch von ist, stehen uns an Quellen zur militärischen Klei- ihrem deutlich gestiegenen Selbstbewusstsein.19 dung hauptsächlich die bildlichen Darstellungen Mit den Truppenverlegungen fand das Motiv zur Verfügung. Die meisten sind Reliefs auf Grab- schon im 1. Jahrhundert n. Chr. weite Verbreitung in steinen. Daneben gibt es noch Reliefs an offi ziellen den anderen Stationierungsorten. So sind Darstel- Staatsmonumenten und einige wenige Malereien lungen aus den meisten Grenzprovinzen bekannt und Mosaike.15 und auch aus solchen Orten, die an oft benutzten Die Grabsteine von Soldaten konnten aniko- Heeresstraßen lagen. Ein von Cornely bearbeitetes nische Formen haben oder zivile Darstellungen Beispiel für eine solche Region ist die Propontis, die umfassen, zu denen unter anderem die so genann- vor dem Hintergrund der Kriege gegen die Parther ten Totenmahlszenen und Büsten der Familien- und Sassaniden als Truppenumschlagplatz fungier- angehörigen zu zählen sind. Hier wichtig sind die te. Die aus den Nordwestprovinzen zusammenge- Grabsteine, die den Verstorbenen in militärischer führten Truppen durchquerten diese Region auf Tracht zeigen. Der allgemeine Aufbau der Grab- dem Weg nach Osten. Wie einige Grabsteine bezeu- steine ist provinzübergreifend stereotyp: Die Män- gen, starben Soldaten auf dem Weg.20 Auch in Rom ner stehen frontal und breitbeinig, gekleidet in die fi nden sich Grabsteine mit dem Motiv des frontal Standard-Soldatentracht aus Tunika, Mantel und stehenden Soldaten, sie sind kaiserlichen Elitetrup- Caligae. Die meisten sind nur mit einem Schwert pen (Equites Singulares Augusti) zuzuschreiben, die und einem Dolch bewaffnet. Seltener werden auch diese Sepulkralform aus ihrer Heimat mitbrachten.21 Schild und Lanze oder der Helm dargestellt. Wäh- Interessant ist, dass sich die Unterschiede in rend einfache Soldaten neben ihren Waffen oft den für den Grabstein bevorzugten Darstellungen auch Tesserae beziehungsweise einen Codex ansa- auch durch die Situation des Soldaten zum Todes- tus als Bildungsnachweis mit sich führen, halten zeitpunkt erklären lassen.22 Darstellungen, die den höhere Ränge rangspezifi sche Abzeichen wie die zivilen Aspekt betonen, wie die genannten Toten- Standarten oder die Vitis in der Hand. mahldarstellungen, Büsten von Familienangehö- Interessanterweise lassen sich in der Darstellung rigen oder Freunden und Opferdarstellungen fi n- der Infanteristen der verschiedenen Truppengat- den sich ab dem 2. Jahrhundert besonders häufi g,

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Stefanie Hoss wenn die Soldaten zu einer Zeit starben, in der sie in hatte kurze Ärmel, so dass Arme und Beine nackt ihrem zivilen und familiären Umfeld eingebunden blieben.24 waren, also an ihrem üblichen Stationierungsort. Während des Trainings für Kampf, Marsch und Verstarben sie jedoch auf dem Feldzug, ist eine Dar- Aufbau des Feldlagers und natürlich während der stellung in voller militärischer Tracht bei weitem die Feldzüge selbst trugen die Soldaten ihre Rüstung. häufi gste. Dies kann mit den jeweiligen Stiftern der Unter der Rüstung war eine Tunika, aber vielleicht Grabdenkmäler in Verbindung gebracht werden: nicht dieselbe, die der Soldat normalerweise trug.25 Abb. 2 In der Heimat wurden die meisten Soldaten von Die Schuhe können dieselben gewesen sein – was Grabmonument des Firmus, Auxiliarinfan- ihren Verwandten bestattet, die bei den Grabstei- zumindest das „Nagelgeld“ (Claviarium) andeutet, terist nen offenbar den zivilen und verwandtschaftlichen das den Soldaten für längere Strecken zustand – Mitte 1. Jahrhundert Aspekt stärker betont sehen wollten. Auf dem aber Soldaten konnten auch mehrere Paar Schuhe n. Chr. Aus Andernach Feldzug wurden die Soldaten meist von Kollegen haben.26 Sowohl Tunika als auch Schuhe waren LVR Rheinisches Landes- bestattet, diese scheinen besonderen Wert auf die jedenfalls von selbem Schnitt und ähnlicher Mach- museum Bonn Darstellung des Verstorbenen als Angehöriger ihrer art wie die für den täglichen Gebrauch. Der typische Foto: P. Franzen Berufsgruppe gelegt zu haben. Der Soldat sollte sofort als solcher erkennbar sein, seine Position innerhalb der Armee und sein berufl icher Erfolg wurden oft ikonographisch besonders hervorgeho- ben. Die Grabsteine der Soldaten beweisen dem- nach durch ihre augenscheinlich simple Darstel- lung des Verstorbenen in seiner Berufskleidung die Aussagekraft dieser Tracht, die offenbar ausreichte, um den Dargestellten als Soldaten zu identifi zieren.

Das Aussehen der Tracht Die höheren Ränge des Militärs (vom Auxiliarprä- fekten bis zum Kaiser selbst) trugen bis in das 3. Jahrhundert n. Chr. die hellenistische Traditionsklei- dung für höhere militärische Ränge. Sie bestand aus einem Muskelpanzer, darunter auf der Haut eine Wolltunika und darüber eine spezielle, mit Leder verstärkte Tunika. Ein Stoffband war auf Brusthöhe um den Panzer geschlungen und mit einem auf- wendigen Knoten vorne geschlossen. An ihm war ein zeremonieller Dolch befestigt. Knöchelhohe, offene Lederschuhe und ein weiter Militärmantel komplettierten das Bild.23 Diese Tracht war für Feld- züge und andere militärische Anlässe üblich. Im zivilen Alltag waren die höheren Offi ziere römische Bürger, Ritter oder Senatoren und trugen die ihrem Rang entsprechende nicht-militärische Kleidung. Einfache römische Soldaten (die Ränge Rekrut bis einschließlich Centurio) trugen im 1. Jahrhundert n. Chr. normalerweise eine gegürtete Tunika, genagel- te Sandalen (Caligae) und einen langen, schweren Wollmantel, der auf der rechten Schulter von einer Fibel zusammengehalten wurde. Die Tunika fi el gegürtet nur bis zum oder knapp über das Knie und

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Der Gürtel als Standeszeichen der römischen Soladten

Soldatenmantel wurde nicht in der Schlacht getra- Ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. gab es eine leichte gen, war aber auf dem Marsch und beim Wacheste- Veränderung, die Paenula ersetzte den einfachen hen unentbehrlich, da er der einzige Regenschutz Wollmantel.28 Die Gürteltracht scheint bis zur Mitte und auf dem Feldzug auch die Decke des Soldaten des 2. Jahrhunderts n. Chr. aus einem Gürtel bestan- war. Die Gürtung bestand im vorfl avischen 1. Jahr- den zu haben, der mit deutlich weniger Metallplat- hundert n. Chr. aus zwei überkreuz getragenen und ten beschlagen war und an dem rechts das Schwert mit Metallplatten beschlagenen Gürteln (Abb. 2).27 hing. Der innen am Gürtel befestigte Hängeschurz Die Metallplatten waren mit Mustern verziert, auch wird über den Gürtel geschlagen getragen (Abb. die Schnallen oft aufwendig dekoriert. Der Soldat 3). Die Darstellungen von Soldaten in militärischer trug am oberen Gürtel rechts das Schwert und am Tracht auf Grabsteinen brechen in der Mitte des 2. unteren links den Dolch. Unter den Gürteln scheint Jahrhunderts n. Chr. ab, und die aus der zweiten er entweder eine Schärpe oder den gefalteten Tuni- Hälfte des Jahrhunderts erhaltenen Staatsmonu- Abb. 3 Grabmonument des kabausch getragen zu haben. Dahinein konnten mente mit Darstellungen dieser Art sind nicht sehr P. Aelius Mestrius, Optio Schreibtäfelchen gesteckt werden. Der Schurz, der aussagekräftig.29 der Legio II Adiutrix innen am unteren Gürtel befestigt war, hatte meist Die Grabsteine des 3. Jahrhunderts n. Chr. zeigen Mitte 2. Jahrhundert n. Chr. vier Riemen. Sie waren im oberen Teil manchmal mit eine deutlich veränderte Tracht (Abb. 4). Die gegür- Aus Budapest (Aquin- hülsenförmigen Metallbeschlägen und im unteren tete Tunika hat nun lange, enganliegende Ärmel cum) mit fl achen, runden Nieten beschlagen. Die Riemen und fällt bis zum Knie über enganliegende Hosen. Aquincumi Museum Budapest reichten mindestens bis zur Mitte der Oberschenkel Es lässt sich eine beträchtliche Zunahme der Kör- Foto: S. Hoss und endeten in blattförmigen Anhängern. perbedeckung beobachten; waren Arme und Beine des Soldaten im 1. Jahrhundert noch nackt, waren die seines Kollegen im 3. Jahrhundert bedeckt.30 Besonders auffällig sind die Hosen. In der späten Republik und der frühen Kaiserzeit war der Begriff „Bracati”31 noch eine Bezeichnung für Gallier und andere Barbaren. Im 3. Jahrhundert waren die Hosen Teil der soldatischen Tracht geworden, selbst der Kaiser (Severus Alexander) schenkte Soldaten Hosen und Stiefel.32 An die Stelle der genagelten Sandalen traten geschlossene, relativ hohe Lederschuhe.33 Auch in dieser Periode trugen die Soldaten einen auf der rechten Schulter mit einer Fibel zusammengehal- tenen schweren Wollmantel, der meist bis zum Knie fi el und an der Unterkante mit Fransen verziert war. Während wir für die Farbigkeit von Soldatentuniken für die ersten beiden Jahrhunderte n. Chr. kaum Nachweise haben, deuten Wandmalereien und Mosaike an, dass im 3. Jahrhundert Soldaten weiße oder cremefarbene Tuniken mit bunten Clavii tru- gen.34 Die Gürteltracht des 3. Jahrhunderts ist durch das Ringschnallencingulum bestimmt, das immer getragen wurde und auch ohne Schwert seinen Träger als Soldaten kennzeichnete. 35 Die Gurtenden wurden von beiden Seiten durch den Ring geführt und mit Nieten seitlich der Schnalle festgesetzt. Die restliche Riemenzunge war sehr lang, sie konnte von dort aus auf der rechten Seite lang herabhän-

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Stefanie Hoss

gen oder im Bogen seitlich der Körpermitte unter Abb. 4 den Gürtel zurückgesteckt werden. Der Schurz ist Grabmonument des L. Septimus Valerinus, verschwunden. Die wichtigste Änderung fi ndet sich Praetorianus in der Schwerttrageweise. Ab antoninischer Zeit 3. Jahrhundert n. Chr. wurde das Schwert auf der linken Seite am Schulter- Aus der Salaria-Nekropo- le, Rom gurt getragen. Ob dieser Wechsel zum Schultergurt Museo Nazionale Roma- durch den Ersatz von zwei Gürteln mit einem nötig no delle Terme, Rom oder durch die Nutzung längerer Schwerter (Spa- Foto: S. Hoss tha) ausgelöst wurde, ist nicht deutlich. Interessant ist, dass auch nachdem das Schwert zum Schulter- gurt kam, der um die Hüften getragene Gürtel seine Symbolfunktion nicht verlor. Im Gegenteil, die Dar- stellungen sind im 3. Jahrhundert häufi g auf den Soldaten in Tracht reduziert; ein Schwert war als Symbol der Berufszugehörigkeit nicht mehr nötig. Diese Tracht und insbesondere das Ringschnal- lencingulum waren nun bis in die höchsten Ränge des Staates verbreitet, sie werden in einer Reihe von Jagdszenen auf Sarkophagen von Angehörigen der Oberklasse getragen. Dies wird durch Bilder von Kai- sern mit Ringschnallencingulum bestätigt: Auf drei in den Fels gehauenen persischen Triumphalreliefs in Bishahpur und Naqsh-i-Rustam im heutigen Iran sind die besiegten römischen Kaiser (vermutlich Gordian III, Philippus Arabs und Valerian) in dieser Tracht zu sehen.36 Eine weitere Gruppe von Monumenten, die wichtige Informationen zu den Gürteln liefert, sind te mit einer Schnalle versehen ist. Während die mei- Wandmalereien und Mosaike. Diese stammen zwar sten Gürtel braun dargestellt sind, sind einige rot erst aus dem 3. Jahrhundert n. Chr., aber sie können abgebildet und somit offenbar gefärbt. Es scheint im Gegensatz zu Reliefs Hinweise auf mögliche Far- zudem, als ob diese nur auf einer Seite gefärbt sind, ben der Gürtel liefern. da die umgeschlagenen Teile des Gürtels farblos Hierbei kommt einer Wandmalerei aus dem erscheinen.38 Die Soldaten auf den Mosaiken der Tempel des Bel in Dura Europos besondere Bedeu- Villa del Casale in Piazza Amerina auf Sizilien, die tung zu.37 Das Gemälde stellt Soldaten der Cohors wilde Tiere fangen und auf Schiffe verladen, tragen XX Palmyrenorum mit ihrem Tribun Terentius bei braune Gürtel.39 einer Opferhandlung dar und wird rund 230 n. Chr. datiert. Terentius, benannt durch eine Beischrift, Die soziale Aussage der Kleidung steht neben einem kleinen Opferaltar, auf den er Untersucht man den Aussagewert der verschie- mit der rechten Hand libiert. Seine Männer stehen denen Kleidungsstücke der Soldaten, so lässt sich in zwei Reihen neben und hinter ihm, während der feststellen, dass Tunika und Mantel sich nach der Standartenträger auf der anderen Seite des Altars bisherigen Forschung nicht wesentlich von der Klei- steht. Alle Soldaten tragen weiße Tuniken über dung der Zivilisten unterscheiden. Freilich handelte dunklen, enganliegenden Hosen; die Tuniken des es sich hierbei um die Kleidung wohlhabender Zivi- Tribuns und des Standartenträgers sind mit Pur- listen.40 Die (allerdings erst für das 3. Jahrhundert n. purstreifen versehen. Die einfachen Soldaten tra- Chr.) bekannten Farben der Soldatentuniken – weiß gen mittelbraune Mäntel, der Mantel des Tribuns ist oder wollweiß bzw. ecru/cremefarben – entspre- weiß. Alle tragen einen Gürtel, der in der Bauchmit- chen den Farben der Tuniken wohlhabender Män-

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Der Gürtel als Standeszeichen der römischen Soldaten

ner auf Mumienporträts, Mosaiken und Wandma- und Gürtel. Die Schwertscheide war relativ dauer- lereien.41 haft mit dem Gürtel verbunden und konnte nur auf Lediglich bei den Sandalen und dem Gürtel kann zeitraubende Art entfernt werden.51 Wollte man also von soldatenspezifi schen Kleidungsstücken gespro- das Schwert ablegen, legte man meist das Ensem- chen werden, die den Träger auch dann als Miles ble „Waffe an Schwertgurt“ ab. auswiesen, wenn er keine Rüstung trug.42 Die Einheit von Schwertgurt und Schwert lässt Obwohl Caligae auch von Zivilisten getragen sich auch indirekt aus verschiedenen Textstellen wurden, galten sie doch als typisch für Soldaten.43 erschließen: Tacitus berichtet, Corbulo habe einen In literarischen Texten wie Inschriften werden Sol- Soldaten, der beim Schanzen gar nicht, und einen daten expressis verbis als Caligati oder als in Caligae anderen, der nur mit dem Dolch gegürtet gewesen dienend beschrieben.44 sei, töten lassen.52 Wie dargelegt, waren Uniformen Auch in sub-literarischen Hinweisen wie unter in der römischen Armee unbekannt; die Unvollstän- anderem bei Josephus und Juvenal werden die digkeit der Uniform kann demnach nicht die Ursa- genagelten Sandalen mit ihren Trägern gleichge- che für die Strafe gewesen sein. Die Maßnahme des setzt.45 Sowohl das Geräusch wie die Spuren der Corbulo bezog sich offensichtlich auf das Schwert, genagelten Soldatenschuhe waren offenbar so eng nicht auf den Gürtel, an dem es getragen wurde. mit der Anwesenheit von römischen Soldaten ver- Das heißt, der Soldat sollte auch bei der Arbeit das bunden, dass es zu einem Verbot genagelter Sanda- Schwert zur Hand haben, um gegen Überraschungs- len für Juden in der jüdischen Gesetzgebung kam: angriffe gerüstet zu sein. Der Gürtel ist hier wegen man wollte als Jude nicht den Unterdrückern glei- der festen Verbindung mit der Schwertscheide als chen.46 Auch der Spitzname Caligula, den die Solda- pars pro toto genannt; wer ihn trug, hatte sein ten dem kleinen Sohn des Germanicus gaben, lässt Schwert einsatzbereit. Genauso gedeutet werden erkennen, wie sehr das Schuhwerk den Berufsstand muss die Vorschrift des Vegetius, dass die Soldaten symbolisierte.47 Die offenen Caligae wurden im beim Aufwerfen des Lagerwalls mit dem Schwert Laufe der Zeit durch geschlossenere Schuhe ersetzt, gegürtet (cincti gladio) zu sein hatten.53 die auch weiterhin genagelt waren.48 Die besondere Bedeutung des Gürtels wird auch Sichtbarer und daher vermutlich noch wichtiger dadurch illustriert, dass Soldaten, die im Triumph- als die Schuhe war der Gürtel als Symbol und kenn- zug durch Rom marschierten, ihre Waffen nicht tra- zeichnendes Kleidungsstück. Der Gürtel war Erken- gen durften, wohl aber ihre Gürtel.54 nungszeichen und „Statussymbol", dessen Verlust Auch werden die Soldaten in der bereits als ehrenrührig empfunden wurde. Diese Bedeu- erwähnten Satire Juvenals bündig als bewaffnete tung leitete sich von seiner Einheit mit dem daran und gegürtete Männer beschrieben.55 hängenden Schwert, der Hauptwaffe der römischen Die Einheit von Schwertgurt und Schwert bele- Soldaten, ab. gen auch Funde: ein Mann aus Herculaneum, der, Der Verlust des Schwertes wurde als ausgespro- vom Vulkanausbruch getötet, einen Gürtel um chen unehrenhaft betrachtet: Der von einem Zivi- den Körper trug und sein Schwert an einem wei- listen verprügelte Soldat in Apuleius’ Metamorpho- teren, um das Schwert geschlungenen Gürtel in der sen fürchtet nach dem Verlust seines Schwertes die Hand hielt,56 und ein weiterer Fund eines Gladius Strafe des Genius des militärischen Treueeides.49 mit darum gewickeltem Gürtel in einer Grube mit Die große Bedeutung des Schwertes übertrug weiteren Gegenständen in Windisch-Königsfelden sich auf den Gürtel, an dem das Schwert getragen (Vindonissa) sowie eine Spatha mit Gürtelschnalle wurde. Dieser Prozess scheint sich zeitgleich mit mit anhängendem Beschlag in einer Grube des frü- dem Wandel des Bürger-Soldaten zum professio- hen 2. Jahrhunderts n. Chr. im Kastell Niederberg.57 nellen Soldaten in der späten Republik vollzogen Auch ist das Schwert (wie der Dolch), wenn es als zu haben und ging so weit, dass der Gürtel zum „Stilleben" auf Reliefs erscheint, am Gürtel befestigt, typischen Bekleidungsstück des Soldaten wurde.50 wie auf Altären und Grabsteinen von Soldaten in Neben der symbolischen Bedeutung gab es prak- Oberitalien oder wie die am Tropaion aufgehängten tische Gründe für die Gleichsetzung von Schwert Schwerter auf dem augusteischen Triumphbogen

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Stefanie Hoss von Carpentras oder dem tiberischen Bogen von Archäologie hat allerdings inzwischen nachge- Orange.58 wiesen, dass das Gegenteil der Fall ist: Bei heftigen Selbst als das Schwert am Schultergurt getragen Bewegungen (etwa beim Laufen) sind die zwischen wurde, blieb der Symbolwert des Gürtels erhalten, den Beinen schwingenden, mit Metall beschwerten ja er scheint sich paradoxerweise noch zu steigern: Riemen eher eine Gefahr für die schutzbedürftigen Allein die Darstellung eines Mannes in Tunika, Man- Körperteile.64 Wahrscheinlicher ist, dass der Schurz tel und Schuhen mit einem Gürtel mit Ringschnal- weniger einem praktischen Zweck diente, sondern len kennzeichnet ihn als Militär. eher als Statussymbol des Soldaten gelten muss, das das charakteristische Klingeln des Gürtels noch Der Gürtel verstärkte.65 Die metallenen Beschläge auf dem Leder der Gürtel Auch nach der Aufgabe des Schurzes wurden haben zwei Gründe: Zum einen sollen sie den Gür- klingelnde Symbole verwendet. Das Riemenende tel versteifen und das Aufrollen des Leders in der des Gürtels war bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. mit Querrichtung verhindern, was besonders häufi g einem Anhänger verziert. Über die genauere Gestal- geschieht, wenn am Gürtel schwere Gegenstände tung lässt sich aus Mangel an Bildquellen im 2. Jahr- hängen. hundert n. Chr. nicht viel sagen, aber wir begegnen Der zweite Grund gilt für alle dekorativen Gegen- ihm im 3. Jahrhundert n. Chr. wieder: Inzwischen ist stände, die an auffälligen Stellen am Körper getra- das Riemenende sehr lang, oft geschlitzt und mit gen werden, und beinhaltet eine Reihe komplexer zwei Anhängern versehen. Es wird auf der rechten Botschaften an die Betrachter, zu denen der Status Seite unter den Gürtel gesteckt, von wo es bis zum des Träges und seine Gruppenzugehörigkeit(en) Knie hängt. Auch diese Anhänger müssen bei jeder gehören – beides wichtige Teilbereiche von Identi- Bewegung leise geklingelt haben.66 tät. In antiken Gesellschaften (wie auch in moder- Der neue „Sound” war sicherlich weniger beein- nen) waren Artefakte nicht allein funktionell, son- druckend als der des Schurzes, auffällig ist dennoch, dern auch aktive Elemente zur Konstruktion von dass hörbare Signale der Anwesenheit von Soldaten Identität, deren physischer Erfahrung und visueller weiterhin beliebt waren. Wichtig scheint mir, dass Bedeutung.59 Die aus der theoretischen Archäolo- es sich hierbei um akustische Signale handelte, die gie stammende Auffassung, dass Identität (auch) in der Masse besonders beeindruckend sind (wenn Abb. 5 durch den Gebrauch und die physische Erfahrung eine ganze Einheit vorbei marschierte), die aber Detail der Soldatenstatue von Objekten konstruiert und ausgelotet wird, ist auch wahrgenommen wurden, wenn nur ein Ein- aus Gustavsburg 1. Hälfte 1. Jahrhundert 60 inzwischen allgemein anerkannt. zelner vorbeiging. Zusammen mit dem Klang der n. Chr. Der Militärgürtel war mit aufwendigen Schnal- genagelten Sandalen war das Klingeln des Gürtels rem len, Beschlägen, Riemenzungen und anderen Anhängern aus Metall versehen, die ihn sowohl schwer als auch teuer und auffällig machten und selbst bei kleinen Bewegungen für ein klingelndes Geräusch sorgten.61 Sicherlich der auffälligste Teil des Gürtels war im 1. Jahrhundert n. Chr. der so genannte Schurz: Ein Satz von vier bis acht, mit schmalen Plättchen und runden, fl achen Nieten verzierten Lederriemen mit blatt-, herz- oder mondförmigen Anhängern am Ende (Abb. 5).62 Soweit es die Darstellungen auf Monumenten erkennen lassen, wurde der Schurz am unteren der beiden Gürtel innen befestigt.63 Die- sem Schurz wurde in der Forschung oft eine echte oder zumindest psychologische Schutzwirkung für den Unterleib zugesprochen. Die experimentelle

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Der Gürtel als Standeszeichen der römischen Soldaten

wohl typisch für Soldaten, ein charakteristisches deuten, dass die Soldaten als Gruppe schon auf- Geräusch als Zeichen ihrer Anwesenheit. grund ihrer Bekleidung zu einer breitbeinig-wie- genden Art des Gehens und Stehens neigten. Als Der Habitus Vergleich können verschiedene Gürtel der Neuzeit Nach den Vorstellungen der römischen Elite war dienen, die durch die an ihnen befestigten Werk- der ideale militärische Habitus ein Anspannen von zeuge (Zimmermannsgürtel), Waffen (Pistolengurt) Körper und Geist, das das Eindringen von Sinnesein- oder eine Kombination von beidem (Polizeigurt) drücken und Gefühlen verhinderte. So konnte der wohl im Gewicht vergleichbar sind und ebenfalls Soldat Hunger, Müdigkeit und Kälte trotzen und zu einer recht breitbeinig-wiegenden, oft überheb- sich durch eine stoische Haltung gegen Angst und lich wirkenden Gangart und Haltung ihrer Träger Schrecken wappnen.67 Diese straffe Haltung lässt führen. sich gut auf den Grabsteinen der Soldaten ablesen, wo sie aufrecht, breitbeinig und alert da stehen. Die Gürtelmode Aus der experimentellen Forschung ist bekannt, Die wechselnden Moden in der Gürtelverzierung dass die Kleidung eines Menschen seine Haltung mit Beschlägen entstanden vermutlich in den beeinfl usst. Für den römischen Soldaten bedeutet unteren Rängen (vom Centurio abwärts), spontan dies, dass auch ohne Rüstung nur die Schwere des und ohne bewusste Organisation. Da sowohl der Gürtels eine bestimmte Art und Weise der Bewe- Gürtel um die Taille wie auch der ab dem 3. Jahr- gung und des Stehens hervorbrachte.68 Der schwere hundert um die Schulter getragene Gurt nur mini- Mantel und das ebenfalls schwere Schwert an der malen funktionalen Voraussetzungen genügen Hüfte unterstützten dies noch. Solche Ausrüstungs- musste, war die Verzierung dieser Gürtel vermut- gegenstände verhindern im Normalfall schnelle lich die beste Möglichkeit für den Soldaten, seine und ungestüme Bewegungen (insbesondere Ren- Individualität auszudrücken. Dieser Umstand lässt nen) und führen dazu, dass ihr Träger aufrecht und Vielfalt bei den Gürtelbeschlägen erwarten. Doch breitbeinig steht und auf sehr charakteristische, die Gürtelmoden einer Zeitstellung zeigen große breitbeinig-wiegende Weise geht.69 Homogenität quer durch das gesamte römische Auch die antiken Quellen weisen auf eine Reich, vom Hadrianswall bis zum Euphrat und von bestimmte, erkennbare Körpersprache der Solda- Marokko bis Rumänien. Dies wurde wahrscheinlich ten hin, charakterisiert durch stolzierenden Gang, durch niemals direkt ausgesprochene, aber verdeckt angeberische Forschheit und eine hochmütige Pose, wirksame Vorstellungen von Identität und Selbst- die zu ihrer Einschüchterungstaktik gegenüber wert des römischen Soldaten verursacht.73 Zivilisten gehörten.70 Römische Soldaten waren im Nach einer Theorie von Pierre Bourdieu funktio- Durchschnitt wohl größer als Zivilisten und sicher niert „[taste] as a sort of social orientation, a ‘sense trainierter, was vermutlich zu ihrer spezifi schen Hal- of one’s place’, guiding the occupants of a given […] tung betrug.71 social space towards the social positions adjusted Die sehr selbstbewußte Haltung erscheint auf to their properties, and towards the practices or verschiedenen Grabsteinen des 3. Jahrhunderts goods which befi t the occupants of that position”.74 n. Chr. noch verstärkt durch eine Geste: der Soldat Danach ist symbolisches Kapital (zum Beispiel hält das lange Ende der Riemenzunge in der rech- Prestige oder Ehre) eine wichtige Quelle der Macht, ten Hand. Es ist wahrscheinlich, dass es sich dabei die es dem Besitzer ermöglicht, symbolische Gewalt um einen täglich auf der Straße zu beobachtenden über Andere auszuüben. Um diese zu bekommen, Vorgang handelte, dem Herumwirbeln des Riemen- muss man gewissen sozialen Erwartungen entspre- zungenendes des Soldatengürtels. Die überhebliche chen. Dazu gehören die „richtige“ Art zu sprechen, Bedrohung durch das surrende Riemenende mit sei- zu essen oder zu laufen und die korrekte Art der nen aneinander klickenden Metallenden ist augen- Kleidung und der Einrichtung des Hauses. fällig.72 Bourdieu wollte mit seiner Theorie erklären, wie Zusammen mit den Erfahrungen aus der experi- Eltern ihren Kindern beibringen, diesen Erwar- mentellen Archäologie scheint alles darauf hin zu tungen zu entsprechen. Es erscheint einleuchtend,

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Stefanie Hoss dass vergleichbare Mechanismen auch in ande- wusstsein: Jeder einzelne Soldaten ist bemüht, sich ren sozialen Gruppen wirken. Gerade enge und vor seinen Kameraden nicht zu blamieren und sie hierarchisch aufgebaute Gemeinschaften wie es nicht im Stich zu lassen. So werden Kameradschaft, Armeeeinheiten sind, bilden Gruppen, in denen eine der unabdingbare gegenseitige Respekt und das Reihe von Regeln von den Älteren und/oder Höher- gegenseitige Vertrauen sehr effektiv gefördert.80 rangigen an die Jüngeren weitergegeben wird.75 Im Gegensatz zu diesen kleinen Einheiten, die Diese Regeln schließen natürlich das berufl iche mit dem Ausscheiden Einzelner ihren Charakter – Wissen ein (Kampftechniken, Lagerbau, Reinigen Centurien sogar ihren Namen81 – verlieren konnten, der Rüstung, usw.), dazu kommen aber noch weitere hatten größere Einheiten (Auxiliarkohorten, Legi- mit mehr sozialem Charakter, vom korrekten Grü- onen) wegen ihrer Dauerhaftigkeit eine sehr deut- ßen Höherrangiger über die „richtige“ Art zu laufen liche eigene Identität und waren dadurch geeig- und zu essen bis zur „richtigen“ Kleidung. neter, Traditionen, einen Ésprit de corps sowie die In einer traditionellen Gesellschaft wie der zugehörige Rivalität zu entwickeln.82 In der Literatur römischen ist zu erwarten, dass die Älteren und/ der Zeit werden viele Beispiele für Identitäten von oder Höherrangigen den Ton in ihrer Einheit fest- Legionen genannt, auch Hinweise auf die Reputati- legten und bestimmten, welche Moden akzepta- on von Auxiliareinheiten tauchen auf.83 bel sind und welche nicht. Diese Vorgaben wurden Der Ruf einer Einheit beruhte hauptsächlich auf dann wohl durch peer pressure durchgesetzt.76 ihren Einsätzen im Kampf oder bei der Belagerung Die überraschende Gleichartigkeit zeitglei- und Eroberung von Städten.84 In geringerem Maße cher römischer Militärgürtel war demnach nicht trugen sicher auch die militärischen und zivilen von oben angeordnet, sondern ein Produkt des Bauprojekte (Belagerungsbauten, Lager, Strassen, Wunsches nach Konformität von Seiten der Solda- Aquädukte, usw.) zum Renommee bestimmter ten selbst. In einer seltenen Interaktion zwischen Einheiten bei. Zudem waren sie ein Instrument zur dem internem Druck, sich den Traditionen und Stärkung der Disziplin und Erzeugung von Gemein- Gebräuchen der eigenen Einheit anzupassen und schaftssinn durch Kohäsion und Ésprit de corps.85 dem Wunsch nach Neuem entwickelten sich die Sowohl beim Kampftraining als auch beim Bau Gürtelmoden als Ausdruck der gemeinsamen Iden- von Befestigungen, infrastrukturellen und zivilen tität römischer Soldaten.77 Bauten wurden Einheiten von den Befehlshabern bewusst in Wettbewerb zueinander gesetzt.86 So Der Wettbewerb um Ehre konnte zum einen die vorhandene Kommando- Die Armee war eine eigene soziale Gruppe inner- struktur optimal genutzt und zum anderen die halb der römischen Gesellschaft, die noch stärker Gruppenkohäsion und die Identifi kation mit der als diese durch einen Wettbewerb um Ehre und das Gruppe gefördert werden.87 Gleichzeitig sorgte damit verbundene starke Gefühl für Scham und der Wettbewerb zwischen den Einheiten für einen Schande gekennzeichnet war. erfolgreichen Feldzug bzw. eine schnelle Fertigstel- Der kompetitive Charakter der beiden Eigen- lung von Bauprojekten. schaften Virtus und Disciplina galt sowohl für den Neben der anekdotischen Überlieferung der Hel- einzelnen Soldaten wie für ganze Einheiten, von den- und Schandtaten einzelner oder ganzer Ein- der kleinsten des Contuberniums über die Kohorte heiten wurden Gewinn und Verlust von Ehre auch und Legion bis zur Armee eines Feldherrn.78 Hierzu institutionalisiert, während der republikanischen trug die ausgeprägte Durchstrukturierung stark bei. Zeit zunächst nur für den Einzelnen durch Aus- Während die kleinste Einheit des acht Mann starken zeichnungen wie Torques, Phalerae und Armillae Contuberniums sicherlich den größten Einfl uss auf für die niedrigeren Ränge sowie die Hasta pura, das den Einzelnen hatte, waren die Centurie und die Vexillum und verschiedenen Coronae für die Ränge Legion die hauptsächlichen Fokuspunkte der Iden- oberhalb des Centurio.88 Formelle, institutionalisier- tifi kation für die Soldaten.79 Kleine Einheiten – in der te Auszeichnungen für Einheiten waren in republi- modernen militärischen Psychologie buddy-groups kanischer Zeit noch unüblich, da diese im Idealfall genannt – erzeugen im Idealfall ein hohes Pfl ichtbe- nach Kriegsende aufgelöst wurden. Mit der Bildung

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Der Gürtel als Standeszeichen der römischen Soldaten

einer stehenden Armee seit dem Prinzipat wurden Für den einzelnen Soldaten war das Leben in der auch die Traditionen der größeren Einheiten (Auxili- Armee geprägt durch das schrittweise Durchlau- arkohorten, Legionen) institutionalisiert und durch fen der komplexen internen Rangstruktur mit den die Einführung von Nummern, Namen und Feld- dazugehörigen, teilweise nur subtilen Statusunter- zeichen geformt; sie empfi ngen Ehrennamen und schieden.97 Dies wird in der Aufzählung der Karrie- Auszeichnungen, die an den Standarten der Ein- reschritte mit der genauen Nennung der innege- heiten angebracht wurden und sich gelegentlich habten Ränge auf vielen Soldatengrabsteinen deut- auch im Legionsnamen wiederfi nden.89 lich.98 Neben ihren Rangstufen nennen und zeigen Ähnlich wurde auch die Schande institutiona- die Soldaten auch Orden und Auszeichnungen. lisiert. Die für viele Fälle aus republikanischer Zeit Diese sind als Rangabzeichen zu verstehen, deren noch überlieferte Todesstrafe für manche Vergehen Wichtigkeit durch die Darstellung betont wird.99 wurde durch Strafen ersetzt, die den Täter öffent- Auch dies kann als Zeichen einer kompetitiven lich beschämten und dem allgemeinen Spott aus- Interpretation des Status „Soldat-sein“ gedeutet setzten.90 Dazu gehörte, die Soldaten zu entlassen, werden. die Einheit aufzulösen und der Damnatio memo- Man daher zusammenfassend sagen, dass riae preiszugeben, die Soldaten ihr Zelt außerhalb römische Soldaten vorwiegend durch einen Wett- des Schutzes des Lagers aufschlagen zu lassen, ihre bewerb in Sachen Ehre motiviert wurden, der sich Getreiderationen auf Hafer zu setzen (Hafer galt als auch in Äußerlichkeiten ausdrückte. Hier muss Tierfutter) und sie teilweise oder völlig zu entklei- neben den militärischen Auszeichnungen eben- den.91 falls an besonders verzierte Waffen und Rüstungen Die häufi gste beschämende Strafe scheint das gedacht werden. Discingere gewesen zu sein, bei dem den Soldaten Das hauptsächliche Merkmal eines ehrenhaften der Gürtel abgenommen wurde und sie oft inner- Soldaten, das er bereits mit der Indienststellung halb des Lagers – für alle Commilitonen gut sichtbar erhielt, war sein Gürtel. Ihm kommt Bedeutung als – Wache zu stehen hatten.92 Zu der Schande, ohne Standessymbol für die gesamte Berufsgruppe zu. Schwert zu sein, kam, dass die Tunika ohne Gürtel So wie die Toga Symbol und Vorrecht des römischen locker bis zum Knie fi el, was bei zeitgenössischen Bürgers war, so war der Militärgürtel Symbol und Betrachtern Assoziationen an Frauentuniken oder Vorrecht des römischen Soldaten; ein klassisches die voluminösen und weich fallenden Tuniken ver- Beispiel für ein „emblematisches“ Kleidungsstück, weiblichter Männer auslöste.93 Der Gürtel konnte das einer ausgewählten Zielgruppe eine deutliche bei einer unehrenvollen Entlassung aus der Armee Botschaft über die „concious affi liation“ und Iden- auch dauerhaft abgenommen werden.94 tität seines Trägers übermittelt.100 So ergaben sich sowohl für Ehre wie für Schande Der Erfolg der römischen Armee lag hauptsäch- starke Bilder: Der ehrenvolle Soldat im Schmucke lich in der koordinierten Kooperation vieler Einzel- seiner Auszeichnungen und mit seinem prachtvoll ner. Dies machte den Erfolg – und damit das Über- beschlagenen Gürtel mit Schwert auf der einen leben des Einzelnen – von der Solidarität und dem Seite, und auf der anderen der ehrlose Soldat, der Gefühl von Gemeinsamkeit aller Soldaten abhän- ohne Gürtel und Schwert in langer Tunika im Lager gig. Der römische Militärgürtel war die äußerliche dem Spott seiner Kameraden ausgesetzt war. Manifestation dieser Solidarität, ein zentraler Fokus Dieses System von Ehre und Schande ist in engen, der Identität römischer Soldaten und einzigartig in hierarchischen Gruppen besonders wirksam.95 dieser Funktion bis zu den Uniformen der moder- Zudem verstärkt eine Strafe durch Beschämung nen Zeit. den Zusammenhalt zwischen den nicht Bestraften durch die Betonung ihres ehrenhaften Status im Gegensatz zu dem der Bestraften.96

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Stefanie Hoss

1 Virgil, Aeneis 1.282. S. Stone: The Toga: From National to Ceremonial Costume, in: J. L. Sebesta, L. Bonfante (Hrsg.): The world of Roman Costume, Madison WI 1994, S. 13-46; J. Edmonson: Public Dress and Social Control in Late Republic and Early Imperial Rome, in: J. Edmonson, A. Keith (Hrsg.): Roman dress and the fabrics of Roman culture, Toronto 2008, S. 21-46; A. Wallace Hadrill: Rome’s Cultural Revolution, Cambridge 2008, S. 41-57. Das weibliche Gegenstück zur Toga war die Stola, die nur von verheirateten Bürgerinnen getra- gen werden durfte. J. L. Sebesta: Tunica Ralla, Tunica Spissa: The Colors and Textiles of Roman Costume, in: J. L. Sebesta, L. Bonfante (Hrsg.): The world of Roman Costume, Madison WI 1994, S. 65-76. 2 Calcei patricii, senatorii und equestrii. N. Goldman: Roman foortwear, in: J. L. Sebesta, L. Bonfante (Hrsg.): The world of Roman Costume, Madison WI 1994, S. 101-132. 3 In der provinzialrömischen Archäologie wird diese Soldatentracht meist camp dress genannt. M. P. Speidel: Eagle-Bearer and Trumpe- ter. Bonner Jahrbücher 176, 1976, S. 125ff.; M. C. Bishop, J. C. N. Coulston: Roman Military Equipment from the Punic wars to the fall of Rome, London, 2. Aufl age, 2006, S. 253. 4 Im Folgenden nach J. C. N. Coulston: Military Identity and personal Self-Identity in the Roman Army, in: L. de Ligt, E. A. Hemelrijk, H. W. Singor (Hrsg.): Roman Rule and Civic Life: Local and Regional Perspectives. Impact of Empire 4, Amsterdam 2005, S. 133-152, hier 143-146. 5 J. Childs: Armies and Warfare in Europe, 1648-1789, Manchester 1982, S. 73-74, 185-190, 200; J. Black: European Warfare, 1660-1815, London 1994, S. 39-41,225. 6 Coulston, wie Anm. 4, S. 146; A. K. Goldsworthy: The Roman Army at War 100 BC – AD 200, Oxford 1999, S. 48-51, 58-59, 66-67. 7 Coulston, wie Anm. 4, S. 144-146. 8 J. E. Lendon: Soldiers & Ghosts. A History of Battle in Classical Antiquity. New Haven (USA) 2005, S. 242. 9 Goldsworthy, wie Anm. 6, S. 147, 205-206; A. K. Goldsworthy: Community under pressure: the Roman army at the siege of Jerusalem, in: A. Goldsworthy, I. Haynes: The Roman Army as a Community. Journal of Roman Archaeology Supplementary Series 34, Portsmouth, Rhode Island 1996, S. 197-210., 264-271, 276-277. 10 Polybios Hist. 6, 22. 11 Dio Cassius, Hist. 67, 10. 12 Ammianus Macellinus, Hist, 20,11,12. 13 Auch die Landsknechte der frühen Neuzeit zogen es vor, individuell gekleidet zu sein. Ihre Offi ziere erklärten in ähnlicher Argumen- tation, dass die individuelle Kleidung der Soldaten ihren Kampfesmut stärke. Coulston, wie Anm. 4, S. 145. 14 B. Rankov: Military forces, in: Ph. Sabin, H. van Wees, M. Whitby: The Cambridge History of Greek and Roman Warfare, Vol. II: Rome from the late Republic to the late Empire, Cambridge 2007, S. 30-78, hier 58. 15 Die Gruppe der Grabdenkmäler ist mit Abstand die größte. Siehe S. Hoss (in Vorbereitung): Studien zum römischen Militärgürtel im 1. – 3. Jh. n. Chr. Rechnet man jedoch die Darstellungen der Soldaten einzeln, so sind natürlich auf den Staatsmonumenten viel mehr Soldaten zu sehen, schon die Trajanssäule zeigt 1732 römische Soldaten. Allerdings hat schon allein diese Menge vermutlich zu einer gewissen schematischen Darstellung geführt. J. C. Coulston: Art, Culture and Service: The Depiction of Soldiers on Furnerary Monuments of the 3rd Century AD, in: L. De Blois, E. Lo Cascio: The Impact of the Roman Army (200 BC – AD 476). Economic, Social, Political, Religious and Cultural Aspects. Proceedings of the Sixth Workshop of the International Network Impact of Empire (Roman Empire, 200 BC – AD 476), Capri, March 29 – April 2, 2005, Leiden, 2007, S. 529. 16 Bezahlung: M. A. Speidel: Sold und Wirtschaftslage der römischen Soldaten, in: G. Alföldy, B. Dobson, W. Eck (Hrsg.): Kaiser, Heer und Gesellschaft in der römischen Kaiserzeit. Gedenkschrift für Eric Birley. Heidelberger althistorische Beiträge und epigraphische Studien, Stuttgart 2000, S. 22-58. Rechtlicher Status: F. Vittinghoff: Römische Bürgerrechts- und Integrationspolitik in der hohen Kaiserzeit, in: W. Eck, H. Wolff (Hrsg.): Heer und Integrationspolitik. Die römischen Militärdiplome als historische Quelle. Passauer Historische Forschungen 2, Köln 1986, S. 535-555. 17 S. Hoss : The military belts of the equites, in: H.-J. Schalles und A. W. Busch (Hrsg.): Waffen in Aktion. Akten des 16. Internationalen Roman Military Equipment Conference (ROMEC). Xanten 13. bis 16. Juni 2007, Xantener Berichte 16, S. 313-322. 18 W. Boppert: Militärische Grabdenkmäler aus Mainz und Umgebung, CSIR Deutschland Bd II, 5, Mainz 1992, S. 48-50. 19 Die Solderhöhungen unter Septimius Severus führten dazu, dass viele Soldaten nach Speidel „in ansehnlichem Maße über Geld und Vermögen verfügten“. Zudem verlieh ihnen Septimius Severus unter anderem das Eherecht während ihrer Dienstzeit, wodurch ihre Kinder ihre legale Erben wurden. Auch nach Ablauf ihrer Dienstzeit erleichterten ihnen diverse Privilegien (Erlassung der munera) das Leben in der zivilen Gemeinschaft. Dadurch war das Militär zu einer neuen Elite geworden. M. A. Speidel: Sold und Wirtschaftslage der römischen Soldaten, in: G. Alföldy, B. Dobson, W. Eck (Hrsg.): Kaiser, Heer und Gesellschaft in der römischen Kaiserzeit. Gedenk-

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schrift für Eric Birley. Heidelberger althistorische Beiträge und epigraphische Studien, Stuttgart 2000, S. 22-58, 91-93; M. Grant: The Severians. The changed Roman Empire, London 1996, S. 35. 20 A. Cornely: Römische Soldatengrabsteine im griechischen Osten. Ikonographische Untersuchungen. Unpublizierte Magisterarbeit, Universität zu Köln 2003, S. 70. 21 M. P. Speidel: Die Grabdenkmäler der Kaiserreiter. Equites Singulares Augusti, 1994. 22 Im Folgenden nach Cornely, wie Anm. 20, S. 103-106. 23 Rankov, wie Anm. 14, 62. Allerdings trugen manche Kaiser zu einigen Anlässen aus propagandistischen Gründen die Kleidung der einfachen Soldaten. 24 Im Folgenden nach Hoss, wie Anm. 15. 25 Es ist möglich, dass man für den camp dress die beste Qualität verwendete, die man sich leisten konnte. Für den Einsatz unter der Rüstung kann auch an alte Tuniken oder solche von schlechterer Qualität gedacht werden. 26 Mit Nagelgeld ist eine einmalige Zahlung gemeint, die den Soldaten die Abnutzung der genagelten Sandalen auf langen Märschen vergüten sollte. Tac. Hist. 3,50. 27 Im Folgenden nach Hoss, wie Anm. 15. 28 Paenula: ein wollener Kapuzenmantel, dessen Zipfel vorne oft bis zur Mitte des Oberschenkels fallen. Im Folgenden nach Hoss, wie Anm. 15. 29 Es handelt sich um die Markussäule, einige ungefähr gleichzeitige Paneele, die am Konstantinsbogen wiederverwendet wurden, und ein Relieffragment. Die Darstellungen sind schematisch und ungenau, der Gürtel wird wie eine der Schienen des Schienenpanzers dargestellt und war vermutlich farblich abgesetzt. Hoss, wie Anm. 15. 30 S. James: The Excavations at Dura-Europos conducted by Yale University and the French Academy of Inscriptions and Letters 1928 to 1937. Final report VII: The Arms and Armour and other Military Equipment. British Museum Press, London 2004, S. 246, 249. 31 Die Behosten, von bracae, Hose. 32 M. Harlow: Clothes make the man: power dressing and elite masculinity in the later Roman world, in: L. Brubaker, J. M. H. Smith (Hrsg.): Gender in the Early Medieval World, East and West, 300-900. Cambridge 2004, S. 44-69, hier 47, 64-65. 33 C. Van Driel-Murray: Footwear in the Northwestern provinces of the Roman Empire, in: O. Goubitz, C. van Driel-Murray, W. Groenman- van Waateringe (Hrsg.): Stepping through time: archaeological footwear from prehistoric times until 1800, Zwolle 2001, S. 362-402, hier 364-366. 34 Wandmalerei: James, wie Anm. 30, S. 39, fi g. 18; Mosaiken: A. Carandini, A. Ricci, M. de Vos: Filosofi ana. The villa of Piazza Armerina, the image of a Roman aristocrat at the time of Constantine, Palermo 1982, fi gs. 17, 119, 121, 122, 125, 126, 130. Tuniken: Harlow, wie Anm. 32, S. 54-62. Siehe auch den Artikel A. Paetz gen. Schieck in diesem Band S. 81ff. 35 Im Folgenden nach Hoss, wie Anm. 15. 36 Andreae 1980, S. 31-32; R. Göbl: Der Triumph des Sassaniden Šahpuhr über die Kaiser Gordianus, Philippus und Valerianus, in: Denk- schriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse 1116, 1974; M. Meyer: Die Felsbilder Shapurs I., in: Jb DAI 105, 1990, S. 237-302. 37 James, wie Anm. 30, S. 39, Abb. 18. 38 Dies kann allerdings auch mit der Erhaltung des Gemäldes zusammenhängen. James, wie Anm. 30, S. 61. 39 A. Carandini, A. Ricci, M. de Vos, Filosofi ana, wie Anm. 34, Abb. 17, 119, 121, 122, 125, 126, 130. 40 Coulston, wie Anm. 4, S. 142; A. Paetz gen. Schieck, in M.-L. Nosch, A. M. Carstens: Military and Textile Conference, Copenhagen 2008 (im Druck). 41 Mosaiken: K. M. D. Dunbabin: The mosaics of Roman North Africa. Studies in iconography and patronage. Oxford 1978, fi g. 22-30, 33, 40, 42, 44, 46-49, 53, 55, 75, 88, 109, 114; K. M. D. Dunbabin: Mosaics of the Greek and Roman world, Cambridge 1999, Pl. 116, 118,122-24, 137-8, 142-3, 160-1, 227; Wandmalerei: R. Ling: Roman Wallpainting, Cambridge 1991, pl. 203, 206; K. M. D. Dunbabin: The Roman Banquet – Images of Conviviality, Cambridge 2003, pl. VII, IX, X, XII, XIII, XV; fi g. 52-53,58,75, 90, 102-108, 111, 119-120; Mumienportraits: B. Borg: Mumienportraits – Chronologie und kultureller Kontext, Mainz 1996, 161-163. Bis auf zwei Ausnahmen tragen alle dargestellten Männer eine weißliche Tunika mit clavii. Diese datieren von der julisch-claudischen Periode bis in die Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr., mit dem Schwerpunkt im 2.-3. Jahrhundert n. Chr. 42 S. E. Phang: Roman Military Service. Ideologies of Discipline in the Late Republic and Early Principate. Cambridge, USA, 2008., S. 84; Coulston, wie Anm. 4, S. 141.

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Stefanie Hoss

43 Goldman, wie Anm. 2, S. 122-123. 44 S. F. Gilliam: Milites Caligati. Transactions and Proceedings of the American Philological Association 77, 1946, S. 183-191. Reprinted in: Roman Army Papers. MAVORS II, 1986, 43-191, 171 (37), 183 (43). 45 Josephus Bell.Jud. 6:85, Juvenal, Satires 3.248, 16:25. 46 In der Mishnah, einer Unterabteilung des Talmuds. Siehe L. Roussin: Costume in Roman Palestine: archaeological remains and the evidence from the Mishnah, in: J. L. Sebesta, L. Bonfante (Hrsg.): The world of Roman costume. Madison 1994, S. 182-190 und G. Stiebel: The militaria from Herodium, in: G. C. Bottini, L. Di Segni, L. D. Chrupcala (Hrsg.): One Land – Many Cultures. Archaeological Studies in Honour of Stanislao Loffreda OFM. Studium Biblicum Franciscanum, Collectio maior 41, Jerusalem, S. 215-244, hier: 223, Anm. 108. 47 Gilliam, wie Anm. 44, S. 185 (45); Sueton, De Vita Caesarum, Caligula 1,1; Seneca, Dialoge, 2, 18, 4. 48 Van Driel-Murray, wie Anm. 33, S. 364-366. 49 Apuleius Metamorphosen, IV, 41. 50 Bishop und Coulston, wie Anm. 3, S. 107; Coulston, wie Anm. 4, S. 141; Hoss, wie Anm. 15. 51 Obwohl die genaue Befestigung der Schwertscheiden des 1. Jahrhundert n. Chr. am Gürtel noch nicht vollständig geklärt ist, scheint doch fest zu stehen, dass sie nicht wie beim Dolch „abknöpfbar“ gestaltet war. Ein kurzfristiges Entfernen der Schwertscheide war demnach wohl nicht möglich. Hoss, wie Anm. 15. 52 Tacitus Ann. XI, 18. 53 Vegetius, De re militari III, 8. 54 Rankov, wie Anm. 14, S. 44. 55 Juvenal Satirae, 16. 56 R. Gore: The dead do tell tales at Vesuvius, in: National Geographic 1984, 572-625; Bishop und Coulston, wie Anm. 17, S. 107; R. D’Amato: From Herculaneum’s ashes, in: Ancient Warfare 2009, III, 2, S. 42-47. 57 Vindonissa: E. Deschler-Erb: Vindonissa : Ein Gladius mit reliefverzierter Scheide und Gürtelteilen aus dem Legionslager. Jahresberichte Gesellschaft Pro Vindonissa 1996, S. 13-31; Koblenz-Niederberg: C. A. Jost: Vorbericht zu den Ausgrabungen 2002-2004 im Limeskastell Niederberg bei Koblenz, in: A. Thiel (Hrsg.): Forschungen zur Funktion des Limes. Beitrage zum Welterbe Limes 2, Stuttgart 2007, S. 49-55. 58 Hoss, wie Anm. 15. 59 James, wie Anm. 30, S. 257. 60 Siehe zum Beispiel die Session zur Identität von Artefakten im römischen Britannien in G. Davies, A. Gardner, K. Lockyear (Hrsg.): TRAC 2000: Proceedings of the Tenth Annual Theoretical Roman Archaeology Conference, University College London, April 2000, Oxford 2001. 61 S. James: The community of the soldiers: a major identity and centre of power in the Roman empire, in: P. Baker, S. Jundi, R. Witcher (Hrsg.): TRAC 98: Proceedings of the Eighth Annual Theoretical Roman Archaeology Conference, Leicester 1998, Oxford 1999, S. 14-25, 21. 62 Mit wenigen Ausnahmen wurden die verschiedenen metallenen Schurzverzierungen einzeln gefunden, was zu einer noch andau- ernden Diskussion führte, welche Typen zum Schurz zu rechnen sind und welche zum Pferdezaumzeug. Hoss, wie Anm. 15. 63 Der untere Gürtel war nach Aussage der Darstellungen gleichzeitig auch der Gürtel, an dem der Dolch befestigt war. Es ist wahr- scheinlich, dass darin Absicht lag: Das Gürtelgeklingel konnte durch Ablegen des Dolchgürtels schnell minimiert werden. Da der Dolch schnell vom Gürtel „abknöpfbar“ war, konnte man ihn trotzdem mitführen. Hoss, wie Anm. 15. Eine der wenigen Ausnahmen hiervon ist der hier abgebildete Grabstein aus Gustavsburg (Abb. 1 und 5). 64 Bishop und Coulston, wie Anm. 3], S. 110. 65 Ein Statussymbol, da bronzene Beschläge relativ teuer waren. Während Anschleichen durch den Schurz unmöglich gemacht wurde, war das Geräusch einer vorbei marschierenden Legion vermutlich sehr beeindruckend. Bishop und Coulston, wie Anm. 3, S. 110. 66 James, wie Anm. 30, S. 61. 67 J. E. Lendon: Empire of Honour. The Art of Government in the Roman World. Oxford 1997, S. 243-252, 249; Phang, wie Anm. 42, S. 100. 68 Petronius, Satyricon, 82; Bishop und Coulston, wie Anm. 3, S. 254; James, wie Anm. 30, S. 257; Phang, wie Anm. 42, S. 82. 69 James schränkt ein, dass diese Haltung im Kampf natürlich nicht eingehalten wurde. Während einer Schlacht waren die Soldaten gepanzert und ohne Mantel, was vermutlich zu einer anderen Haltung führte. Sie ist jedoch zum Verständnis der Bewegungsmuster des stehenden und laufenden ungepanzerten römischen Soldaten unabdinglich. Zudem können diese Bewegungsmuster zum habi-

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Der Gürtel als Standeszeichen der römischen Soldaten

tus des Soldaten gerechnet werden. Siehe James, wie Anm. 30, S. 257. 70 Zum Beispiel Apuleius, Metamorphosen IX, 39. 71 J. P. Roth: The Logistics of the Roman Army at War (264 B.C. - A.D. 235), Leiden 1999, S. 9-10; Tac. Hist. 4,1. 72 Coulston, wie Anm. 4, S. 151. 73 James, wie Anm. 30, S. 261. 74 P. Bourdieu: Distinction: a Social Critique of the Judgment of Taste. (transl. by Richard Nice), Cambridge, USA, 1984, S. 466. 75 Goldsworthy, wie Anm. 9, S. 249, 251-252. 76 James, wie Anm. 30, S. 252. 77 James, wie Anm. 30, S. 261. 78 Lendon, wie Anm. 66, S. 250. 79 Goldsworthy, wie Anm. 9, S. 256-257;. Goldsworthy, wie Anm. 6, S. 201. 80 Goldsworthy, wie Anm. 6, S. 202; B. Campbell: War and Society in Imperial Rome 31 BC – AD 284. London 2002, S. 36. 81 Da die Centurien ihre Namen vom Centurio erhielten, wechselte dieser, wenn der Centurio wechselte. Rankov, wie Anm. 14, S. 64. 82 Goldsworthy, wie Anm. 9, S. 253; Campbell, wie Anm. 70, S. 37; Rankov, wie Anm. 14, S. 65. 83 Goldsworthy, wie Anm. 9, S. 253; Lendon, wie Anm. 66, S. 250; Goldsworthy, wie Anm. 6, S. 200-201. Das Beispiel des Auftretens der batavischen Auxiliareinheiten gegenüber der 14. Legion zeigt, dass auch Auxiliareinheiten eine bestimmte Reputation hatten. Tac. Hist. II, 66. 84 Lendon, wie Anm. 66, S. 251. 85 Goldsworthy, wie Anm. 6, S. 202-203; M. Driessen: Bouwen om te blijven. De topografi e, bewoningscontinuïteit en monumentaliteit van Romeins Nijmegen. Rapportage Archeologische Monumentenzorg 151, Amersfoort 2007, S. 16-23, 170-173 (178-181). 86 Kampf: Lendon, wie Anm. 66, S. 251; Training: Phang, wie Anm. 42, S. 39-40, 61; Bauten: ebenda S. 244; Goldsworthy, wie Anm. 6, S. 202. 87 Goldsworthy, wie Anm. 6, 202. – Campbell, wie Anm. 71, S. 37. 88 Goldsworthy, wie Anm. 6, S. 249; Campbell, wie Anm. 71, S. 40; Lendon, wie Anm. 9, S. 247-248; Phang, wie Anm. 42, S. 197-198. 89 Lendon, wie Anm. 67, S. 262-265; Goldsworthy, wie Anm. 6, S. 253-255; Campbell, wie Anm. 70, S. 37-38; Rankov, wie Anm. 14, S. 65-66. 90 Phang, wie Anm. 42, 140-143. 91 Phang, wie Anm. 42, 142. – Goldsworthy, wie Anm. 6, S.206; Roth, wie Anm. 71, S. 18; Hafer: Front. Strat. 4.1.25; Liv. XXVII, 13, 9; Plut., Marc. 24,6; Plut. Ant. 38,7; Polyb. 6,38,4; Polyaenus 8.24.1; Suet., Aug. II, 24; Entkleiden: Val. Max. II, 7. 92 Liv., XXVII, 13, 9; Front., Stratag. IV, I, 26-27, 43; Val. Max. II, 7, 9; Plut. Luc. 15, 7; Suet. Aug. 24; Herod. Hist. II, 13, 8-9; HistAug Avidius Cassius 6. 93 Harlow, wie Anm. 32, 54;. – Phang, wie Anm. 42, S. 198. Zum Makel der Verweichlichung, bzw. Verweiblichung: Lendon, wie Anm. 66, S. 241-242. 94 Herod., Hist. II, 13, 8-10; Festus 104; Cod. Theodos. XII, 1, 181 §1. 95 Phang, wie Anm. 42, 143. 96 Phang, wie Anm. 42, 140. 97 Goldsworthy, wie Anm. 5, S. 252. 98 Als Beispiel kann der Grabstein des Tiberius Claudius Maximus dienen, dieser wurde durch die Gefangennahme des Dakerkönigs Decebalus berühmt. Siehe M. P. Speidel: The captor of Decebalus, in: M. Speidel: Roman Army Studies I. Mavors I, Amsterdam 1984, S. 173-187 (Ursprünglich in: Journal of Roman Studies 60, 1970, S. 142-153). 99 V. A. Maxfi eld: The Military Decorations of the Roman Army, London 1981, S. 47-49. 100 Wallace-Hadrill, wie Anm. 1, S. 41-42.

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John Peter Wild

Klassenunterschiede in einem römischen Kastell: das Zeugnis der Textilreste und Dokumente aus Vindolanda

In der Forschung zum römischen Militär ist unter und Textilien aufgelistet (Bowman, Thomas 1983; Althistorikern und Archäologen die Frage nach 1994; 2003; Bowman 2003) (Abb. 1). Rang und Status stets von zentraler Bedeutung. Seit Dazu kamen in denselben feuchten Schichten über einem Jahrhundert ist die Pionierarbeit von Überreste der Gewänder selbst zu Tage, die von den Alfred von Domaszewski, „Die Rangordnung des Garnisonsmitgliedern getragen worden sind (Wild römischen Heeres“ aus dem Jahr 1908, ein unent- 1977; 1993; Wild, Walton Rogers 2007). Eine solche behrliches Nachschlagewerk. Fundsituation ist in den römischen Westprovinzen Wie kann man also den Begriff Rangordnung in einmalig. Bezug auf archäologische Textilreste verstehen? Auf den Tintenblättern taucht der Name des Um die verschiedenen Möglichkeiten zu veran- Präfekten Flavius Cerealis, Befehlshaber der in den schaulichen, möchte ich als Beispiel die Funde vom Jahren 101 bis 104 n. Chr. im Lager stationierten römischen Auxiliarkastell Vindolanda vorführen. neunten Bataverkohorte, öfter auf (A.R. Birley Das Kastell Vindolanda liegt in der Nähe der 2002, S. 125-135). Als Präfekt einer Doppelkohorte Hadriansmauer in Nordengland, wurde aber schon (und Angehöriger des ordo equester) hat Cerealis um 85 n. Chr. gegründet, also fast dreißig Jahre vor 36.000 Sestertii im Jahr verdient – fast vierzigmal Hadrians Besuch in eigener Person in der Provinz so viel wie die unter ihm dienenden Mannschafts- Britannia und seinem Befehl, eine Mauer zu errich- mitglieder (Holder 1982, S.144; Speidel 1992, S. 92, ten (R.E. Birley 2009). Zweck der Gründung von Abb. 1 Vindolanda war es, eine etwas frühere Grenzlinie, Vindolanda. Tintenblatt das Stanegate, die einige Kilometer südlich der spä- Nr. 596 teren Mauer verläuft, zu verteidigen. In den letzten vier Zeilen sind vela, Vorhänge, mit Bei den neueren Ausgrabungen in Vindolanda ihren Preisen erwähnt. hat man vier Perioden von aus Holz konstruierten Foto: Vindolanda Trust Bauten aus vorhadrianischer Zeit identifi ziert (A.R. Birley 2009, S. 267; R.E. Birley 2009, S. 41-112). Bei jeder neuen Garnisonsverlegung wurde nämlich die befestigte Anlage etwas weiter ausgebaut, dabei konnte man es schließlich nicht mehr vermeiden, ein nahe gelegenes, teilweise sumpfi ges Gelände 103; A.R. Birley 2002, S. 46). Cerealis wohnte mit ins Kastellareal mit einzubeziehen. Um sich vor der seiner Frau Sulpicia Lepidina, seinen Kindern und ständigen Bodenfeuchtigkeit in diesem Gebiet zu seinen Haussklaven im Praetorium, dem Hauptge- schützen, haben die Truppen dicke, hauptsächlich bäude des Kastells, einem vornehmen Peristylhaus aus organischen Materialien bestehende Abfall- im mediterranen Stil. Der gewöhnliche Infanterist und Strohschichten teppichartig auf den Boden dagegen teilte ein paar sehr enge Zimmer in einer gelegt. Die dabei entstandenen Strata blieben an- Mannschaftsbaracke mit fünf bis sieben Kollegen aerobisch, was die Erhaltung sonst leicht vergäng- (contubernales) (A.R. Birley 2002, S.46). licher Funde besonders begünstigte. Unter diesen Im Wohnquartier des Präfekten und seiner Fami- Funden befanden sich viele pfl anzliche Reste, auch lienmitglieder hat man eine erstaunlich große Textilfragmente und hölzerne Beschreibstoffe. Letz- Menge Abfall unter die Füsse fallen lassen, der tere waren meistens sehr dünne Holzblätter, auf gleich in den feuchten Boden getreten wurde: denen man mit Tinte schreiben konnte: Auf den Schreibtafelbruchstücke, Tintenblätter, Stofffetzen entdeckten Dokumenten sind allerlei Kleiderwaren aus Wolle und eine Reihe ähnlichen organischen

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Klassenunterschiede in einem römischen Kastell

Materials. Aus seinem Abfall erfahren wir vieles Auf den Tintenblättern sind udones, Beinkleider, über den Lebensstil des Cerealis. erwähnt (Bowman, Thomas 1994, S. 335-336, Nr. Wir wissen zum Beispiel, dass er oft mit seinem 346). Solche Gewänder dürften beim Militär im All- Kollegen Aelius Brocchus, dem Präfekten eines tag selbstverständlich in Gebrauch gewesen sein: Nachbarkastells, auf die Jagd ging. Er schrieb näm- Doch ein Blick auf die aus Neumagen im Moseltal lich an Brocchus und äußerte die Bitte, er solle ihm stammenden Grabdenkmäler zeigt, dass man dort Jagdnetze zuschicken, aber auch darauf achten, udones auch bei der Jagd regelmäßig trug (Wild dass sie schon vollends repariert seien (Bowman, 1968, S. 184-185, dort Abb. 11,1). In Vindolanda wäre so Thomas 1994, S. 206-208, Nr. 233). Cerealis besaß ein Beinkleid wahrscheinlich aus einem schweren auch selbst Netze, die zum Fangen von Dros- Wollköper oder sogar aus Filz gefertigt gewesen. seln, Enten und Fischen benutzt wurden, ebenso Für Cerealis und Lepidina war es gute Sitte – wie Fangvorrichtungen für Schwäne (Bowman, Tho- auch in kolonialen Kreisen späterer Jahrhunderte – mas 2003, S. 47-48, Nr. 593). Als Jagdbeute beson- Personen von gleich hohem sozialen Stand zu fest- ders hochgeschätzt war das Wildschwein. In der lichen Banketten nach Vindolanda einzuladen (A.R. Berglandschaft unweit von Vindolanda stellte ein Birley 2002, S. 128-135). anderer, ebenfalls die Jagd liebender Kommandant Dort wurden auf dem eigenen Anwesen gezüch- einen Altar auf, aus Freude und zum Dank, dass er tete Hähnchen und Gänse zusammen mit Ferkeln einen aprum eximiae formae, ein Wildschwein von und Schinken serviert, nach einer erfolgreichen herausragender Schönheit, gefangen hatte (Col- Jagd kam manchmal noch Rehbraten hinzu. Die lingwood, Wright 1965, Nr. 1041). Küche von Lepidina war, so erfahren wir aus den Unter den Textilfunden von Vindolanda gibt es Dokumenten, die im Praetorium entdeckt wurden, nur ein einziges sehr kleines Netzfragment. Die mit Gemüse, Kräutern und Gewürzen (z.B. Pfeffer meisten Netze waren wahrscheinlich aus pfl anz- aus Indien) reichlich versorgt. Zugegeben, Cerea- lichen Fasern hergestellt. Weil sich solche Fasern lis Bankette sind nicht mit dem Gastmahl des Tri- in den mit Huminsäuren durchtränkten Abfall- malchio zu vergleichen. Sie boten aber erheblich schichten in Vindolanda kaum erhalten haben, sind Besseres als Brot, Brei und gekochtes Rind- oder sie unter den Funden nicht zu erwarten. Schaffl eisch, wie es der Mannschaft zur Verfügung

Abb. 2 (links) Vindolanda. Textilfrag- ment Nr. T 545 mit gammaförmigem Motiv Foto: J. P. Wild

Abb. 3 (rechts) Vindolanda. Textilfrag- ment Nr. T 545 in Umris- sen Zeichnung: J. P. Wild

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John Peter Wild stand. Eins aber hatten alle Einwohner des Kastells ursprünglich vielleicht purpurne, Farbe auf (Wild gemeinsam: Sie brauten und tranken Bier. 1993, S. 79-80). Die Wirkarbeit des Gammas ist aber Bei Gastmählern war es wichtig, sich festlich so nachlässig und fehlerhaft ausgeführt, dass man anzuziehen. Es existiert ein leider nur fragmenta- den Mantel kaum für ein exotisches Importgut aus risch erhaltenes Verzeichnis der in Cerealis’ Klei- einem fernen Teil des Reiches halten darf! derkiste aufbewahrten Kleidungsstücke: Darunter Eine besonders schwere Herausforderung für gab es eine synthesis, einen Satz formeller, für Fest- den Präfekten und seine Familie stellte das Bestre- mahlzeiten bestimmter Einzelgewänder, Tuniken ben dar, den Schein eines ihrer gesellschaftlichen für das Speisezimmer, dazu auch laenae, etwas alt- Position entsprechenden Lebensstils aufrechtzu- modische Mäntel, und paenulae, Kapuzenmäntel erhalten. Dabei spielte ihre Kleidung eine wichtige (Bowman, Thomas 1994, S. 166-170, Nr. 196). Rolle. Unsere Aufgabe ist es, die uns zur Verfügung Spiegelt sich diese feierliche, im Kleiderwort- stehenden Quellen im Zusammenhang miteinan- schatz nachgewiesene Atmosphäre auch in den der zu studieren, so dass wir die Vorlieben und erhaltenen Textilresten? Auf diese Frage gibt es zur Gedankengänge von Cerealis und Lepidina in ihrer Zeit keine befriedigende Antwort. Im Abfall unter textilen Umwelt besser verstehen können. dem Boden von Lepidinas Küche befanden sich zwei zusammengenähte Stofffragmente, die von einem leichten, in feiner Halbpanamabindung gewebten Danksagung: Mantel stammen: Der Mantel war mit einem gam- Besonderer Dank gilt Frau Dr. Ursula Rothe, die mir maförmigen Motiv (Abb. 2 und 3) in jeder Ecke manche sprachliche Verbesserung des Textes vor- gemustert, es weist heute eine dunkelbraune, aber geschlagen hat.

Literatur Birley 2002: A.R. Birley: Garrison Life at Vindolanda: A Band of Brothers, Stroud 2002 Birley 2009: A.R. Birley: Some writing tablets excavated at Vindolanda in 2001, 2002 and 2003, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigra- phik 170, 2009, S. 265-293 Birley R.E. 2009: Vindolanda: A Roman Frontier Fort on Hadrian’s Wall, Stroud 2009 Bowman 2003: A.K. Bowman: Life and Letters on the Roman Frontier: Vindolanda and its People, London 2003 Bowman, Thomas 1983: A. K. Bowman, J. D. Thomas: Vindolanda, the Roman Writing Tablets, Britannia Monograph 4, London 1983 Bowman, Thomas 1994: A. K. Bowman, J. D. Thomas: The Vindolanda Writing Tablets (Tabulae Vindolandenses II), London 1994 Bowman, Thomas 2003: A. K. Bowman, J. D. Thomas: The Vindolanda Writing Tablets (Tabulae Vindolandenses III), London 2003 Collingwood, Wright 1965: R. G. Collingwood, R. P. Wright: Roman Inscriptions of Britain I, Oxford 1965 von Domaszewski 1908: A. von Domaszewski: Die Rangordnung des römischen Heeres, Bonn 1908 Holder 1982: P. A. Holder: The Roman Army in Britain, London 1982 Speidel 1992: M. A. Speidel: Roman army pay scales, in: Journal of Roman Studies 82, 1992, S. 87-106 Wild 1968: J. P. Wild: Clothing in the north-west provinces of the Roman Empire, in: Bonner Jahrbücher 168, 1968, S. 166-240 Wild 1977: J. P. Wild: The Textiles from Vindolanda 1973-1975, Vindolanda III, Bardon Mill 1977 Wild 1993: J. P. Wild: Vindolanda 1985-1988: the textiles, in: C. van Driel-Murray, J.P. Wild, M. Seaward, J. Hillam: Vindolanda Research Reports NS III: The Early Wooden Forts: Preliminary Reports on the Leather, Textiles, Environmental Evidence and Dendrochronology, Bardon Mill 1993, S. 76-90 Wild, Walton Rogers 2007: J. P. Wild, P. Walton Rogers: A knotted-pile mat from the Roman fort at Vindolanda near Hadrian’s Wall, in: A. Rast- Eicher, R. Windler (Hrsg.): NESAT IX: Archäologische Textilfunde – Archaeological Textiles: Braunwald, 18.-21. Mai 2005, Glarus 2007, S. 71-78

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Römische Identität und parthische Kleidung

Abb. 1 Panzer der Statue des Augustus von Primaporta 19 v. Chr. Vatikanische Museen Foto: H. R. Goette

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Manel García Sánchez und Manuel Albaladejo Vivero

Römische Identität und parthische Kleidung

Bis zum Beginn des 1. Jahrhunderts v. Chr. war „Par- konnte nicht hinnehmen, dass sie die Vorrangstel- ther“ für die Römer wenig mehr als der Name eines lung in der Geschichte mit irgendeinem anderen orientalischen Volkes, in politischer Hinsicht eine Imperium teilen sollten, zumal sie sich als Erben unbekannte Größe1. Das Desaster des Feldzugs von Griechenlands und Alexanders verstanden und es Carrhae 53 v. Chr. änderte dies grundlegend. Rom als zwingend ansahen, ihre Einzigartigkeit zum nahm danach einen sehr mächtigen Nachbarn an Weltmaßstab zu machen und durch die Erfahrung der östlichen Grenze seines Imperiums wahr, des- mit dem Barbarentum ein neues Selbstbewusst- sen Könige schnell zum Symbol für Despotismus, sein zu entwickeln7. Zu all dem können wir ein öko- Grausamkeit, Prahlerei und Luxus wurden und des- nomisches Motiv hinzufügen: Das Partherreich war sen Heere seit damals gefürchtet waren. ein Vermittler – wenngleich weder der einzige noch Bedauerlicherweise verfügen wir über keine zeit- der eine Monopolstellung anstrebende8 – für Presti- genössischen römischen Berichte über die Kata- gegüter aus dem Osten, aus China und aus Indien, strophe von Carrhae. Unsere Hauptquelle ist „Das und als solcher ein Hindernis, das den römischen Leben des Crassus” von Plutarch, ein Werk, in dem negotiatores in hohem Maße missfi el9. wir einigen Topoi begegnen, die in der römischen Dank des diplomatischen Geschicks von Augus- Literatur bei den Darstellungen der Parther häu- tus gelang 20 v. Chr. die Rückgewinnung der Feld- fi g auftauchen: der verschwenderische Luxus, die zeichen, die Crassus schmählich verloren hatte Eunuchen und der Harem eines gewissen Surena. (Aug., Anc. 6, 40-42), aber im Sinne der Herrschafts- Er galt als tapferer Krieger, war jedoch übertrieben ideologie musste dem römischen Volk ein anderes weiblich gekleidet und geschmückt wie die Meder Bild vermittelt werden, das nicht von den Fein- – im Kontrast zu seinen Leuten, die sich wie Skythen heiten der internationalen diplomatischen Bezie- kleideten. Er ließ sich bei jedem seiner Züge von hungen geprägt war. Für das Volk brauchte man tausend Kamelen begleiten, die sein Gepäck trans- eine direktere und einfachere Sprachregelung, portierten, und von zweihundert Wagen für seine auch für den Imperator war es erforderlich, seine Konkubinen (Plut., Cras. 21, 6; 24, 2), ein gebräuch- Alleinherrschaft zu legitimieren. Sein Ziel war es, liches Bild in den Beschreibungen von Persern und die Vorstellung zu vermitteln, dass Rom alle Völker der orientalischen Welt, das in der griechischen von West bis Ost beherrscht und nun, anders als Überlieferung und ihrer Darstellung der Achäme- nach dem misslungenen Versuch von Marc Anton niden Vorläufer hat2. Aber das neue Motiv, das nach 36/35 v. Chr.10, die Tore des Janustempels erstmals Carrhae entstanden war und sich in einen Topos seit vielen Jahren endgültig schließen kann. der römischen Literatur insbesondere der auguste- Der barbarische Parther wird zum Inbegriff für ischen Epoche verwandelte, war der Ruf nach Rache die Fremdvölker, die gentes externae oder nationes und nach der Rückeroberung der Feldzeichen, die externae. Augustus hat diesen Bildtypus geschaf- Crassus bei seiner Niederlage verloren hatte. Dies fen11, dabei spielte die Macht der Bilder und der war ein in der Ikonographie weit verbreitetes Motiv, gefl ügelten Worte eine führende Rolle. Münzen, das uns einen Eindruck vermittelt von der Darstel- Statuen, Architekturreliefs, öffentliche Zeremonien lung der Parther in der römischen Vorstellungswelt und vor allem die Literatur hatten den Auftrag, dem als der eines wilden Volkes mit Bart und wirrer römischen Volk ein Bild und eine patriotische Bot- Mähne (Plut., Cras. 24, 3)3 in Reiterkleidung4. Dazu schaft zu vermitteln: Auch Rom hat, wie vor ihm kommt, dass sie seit dieser Zeit als ein sprichwört- Sparta, Athen oder Alexander, die Perser besiegt. lich grausames Volk galten5. Rom war seit Augustus das einzige Weltreich12. Auf den rex Parthicus fi el nicht nur der Makel, Bei der Entwicklung des durch die Arsakiden den der Titel rex in der republikanischen Tradition verkörperten Gegenbildes sollte die Kleidung eine verkörperte, sondern auch das überlieferte Bild, das herausragende Rolle in der Darstellung von Bar- die Arsakiden mit den Achämeniden in Verbindung baren, von Orient und Okzident, Freund und Feind brachte6. Das Ego der Römer, die römische Identität, spielen13: laxas vestes und fl uxa velamenta (Luc.

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Römische Identität und parthische Kleidung

8, 362-387; Trog. 41, 2, 4; Tac., Ger. 17, 1), Hosen oder im Hinblick auf die Darstellung des Orients in der eng anliegende Beinkleider der Barbaren, manch- griechisch-römischen Welt eine Langzeitwirkung mal prahlerisch verziert (Hdn. 4, 11, 3; 4, 11, 6), kurze entfalteten20. Spannungen bestimmten dauerhaft tunikaartige Obergewänder (tunica manicata et die Beziehungen zwischen Rom und den Parthern, succincta) mit langen Ärmeln und V-förmigem Aus- und zu den literarischen und ikonographischen schnitt oder rundem Kragen, Kaftan (κάνδυς)14 oder Stereotypen der augusteischen Zeit traten neue auf persische, also weibliche Art geknotete Gürtel Varianten hinzu, beeinfl usst von den Tendenzen der (Curt. 3, 3, 17-19). jeweiligen historischen Gegebenheiten, mit zahl- In heftigem Widerspruch zur diplomatischen reichen Höhepunkten in den julisch-claudischen, Klugheit des Augustus steht die Racherhetorik des fl avischen oder severischen Dynastien. Nicht weni- ideologischen Programms, das durch literarische ge der Kaiser wollten sich ihren Untertanen als oder ikonographische Quellen angeregt ist15. Es neuer Alexander darstellen, als Sieger über die per- ergab sich zudem, dass die römischen Autoren auf sischen Barbaren, über die Parther. eine Vorlage zurückgriffen: das persisch-achäme- Einige Informationen über die Parther hätten nidische Gegenbild zur griechischen Vorstellung. die römischen Autoren dem Werk des Polybios Dazu kam zweifellos eine Mode, die spätestens entnehmen können (10, 28-31) – der tatsächlich auf die Zeit des Pompeius zurückging und bei den den ersten Bericht über die Parther verfasst hat, römischen Kaisern fest verwurzelt war: die imitatio den man in hellenistischen Quellen fi ndet – oder Alexandri16. dem von Poseidonios, der Hauptquelle des Diodor Die Römer hatten ihre erste unmittelbare Begeg- von Sizilien oder des Athenaios von Naukratis, so nung mit den Parthern erst um das Jahr 92 v. Chr., den Haupttopos in den Orientdarstellungen der das Jahr der Gesandtschaft von Orobasus, des klassischen Geisteswelt, die Bankettszene am Hof Repräsentanten des Partherkönigs Mitridates II., der arsakidischen Könige (Edelstein-Kidd F. 57 und und seiner Gespräche mit Sulla (Liv., Per., 70, 7; siehe F. 64). Strabon, einem anderen Autor der auguste- Vell. 2, 24, 3; Plut., Sull., 5, 8). Aus ihr entwickelte ischen Zeit, der mit großer Aufmerksamkeit die par- sich einer der dornenreichen Grenzkonfl ikte der thischen realia aufgezeichnet hat (Str. 2, 5, 12; I, 2, römisch-parthischen Beziehungen: die armenische 1; 11, 6, 4)21, können wir entnehmen, dass einige der Frage17. Die Politik bestimmte zu einem beträcht- römischen Autoren die Parthica des Apollodor von lichen Teil das Thema der Partherdarstellung in Artemita (FGrHist. 779)22 gelesen haben. Ihnen dürf- der römischen Wahrnehmung. Gerade die Berichte ten weitere, heute verschollene graeco-parthische über die Kriege zwischen beiden Imperien, über die Autoren bekannt gewesen sein, die vermutlich Gesandtschaften (Lucullus 69 v. Chr.; Pompeius 66 Werke im Stil der Σταθμοί Παρθικοί des Isidor von v. Chr.) oder über die Eingliederung von Palmyra ins Charax geschrieben haben, eines Autors der Zei- römische Reich seit dem Jahre 19 v. Chr.18 lieferten tenwende, der den westlichen Teil der Seidenstraße eine Fülle von Informationen, ausreichend, um ein beschrieben hat23. Bild jenes iranischen Volkes mit skythisch-noma- Man muss auf die Epoche des Augustus warten, discher Vergangenheit herauszuarbeiten19, das zu um einen besseren Quellenstand zu fi nden, wenn gleichen Teilen aus Tatsachen und aus ethnogra- man die Darstellung des parthischen Gegenbildes phischen und orientalisierenden Klischees zusam- in der römischen Welt erhellen möchte. Da die- mengesetzt war. jenigen Bücher des Titus Livius verloren sind, in Jedenfalls beeinfl usst die Literatur häufi g im denen über die Resümees der Periochae hinaus Voraus das Bild von der Wirklichkeit, und die über die römisch-parthischen Beziehungen berich- römischen Autoren fanden in den griechischen tet wird, und da Diodor oder Strabon in Griechisch Quellen viele stereotype Aussagen zu den Persern, geschrieben haben, war Pompeius Trogus der erste die sie auf die Parther übertrugen: die Tyrannei, die lateinischsprachige Autor, der in seinen Historiae Grausamkeit, der verschwenderische Luxus – auch Philippicae ausführlich über die Parther berichtet im Hinblick auf die Kleidung –, die Verweichlichung, hat, überliefert von Justinus im 2. Jahrhundert n. der Harem. Es sind zweifellos Denkkategorien, die Chr.24 Kehren wir in die augusteische Zeit zurück,

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Manel García Sánchez und Manuel Albaladejo Vivero so ist es sehr wahrscheinlich, dass das tatsächliche dass er erreichen würde, was seinem politisch- ideologische Programm der augusteischen Parther- militärischen Feind Marc Anton im Jahre 36 v. Chr. darstellung im Kreise des Maecenas und von den nicht gelungen war. Schließlich ging es drittens Dichtern Vergil, Properz, Horaz und Ovid geprägt darum, dass man nur nach der Rückgewinnung wurde, und zwar sowohl vor als auch nach der Rück- jener Feldzeichen die Prophezeiung erfüllt sah, das gewinnung der Feldzeichen von Carrhae 20 v. Chr. In Goldene Zeitalter sei wiedergekehrt: Letzteres war der Glanzzeit des Reiches fi nden wir Hinweise auf eines der Hauptmotive der Literatur und des ide- die Parther in den Werken der Historiker Tacitus25, ologischen Programms der augusteischen Epoche. Velleius Paterculus, Flavius Josephus26 , Florus, Appi- Außerdem verkündeten die Sibyllinischen Bücher, an, Herodian, Fronton, Sueton, Frontinus und vor das Goldene Zeitalter kehre nicht nach Rom zurück allem Cassius Dio und in den Parthica des Arrian27. ohne die Rückgewinnung der verlorenen Stan- Unter den nicht historiographischen Quellen sind darten von Carrhae31. Tatsächlich ist der Anbruch Pomponius Mela, Plinius der Ältere, Lucan, Seneca, des Goldenen Zeitalters erst zu den Säkularspielen Dionysius Periegetes, Philostratos und die Romane des Jahres 17 v. Chr. verkündet worden. Aber, als ob des Chariton von Aphrodisias oder Heliodor und all dies noch nicht genug wäre, erlangte Augustus andere zu nennen. zusätzlich einen unerhörten Erfolg, als er erreichte, Man hat gesagt, die ersten zehn Jahre der Herr- dass Phraates ihm – ohne dass der römische Kaiser schaft des Augustus seien geprägt von der Konti- dies vorher überhaupt auch nur gefordert hätte nuität der republikanischen Topoi bezüglich der – im Jahre 10 v. Chr. seine neun Söhne und Enkel Aufrufe zur Eroberung des parthischen Reiches28. geschickt hat (Str. 6, 4, 2; Trog. 42, 5, 12; Tac., Ann. 2, 1, Üblicherweise fi nden wir bei den Dichtern die 2; Jos. AJ. 18, 41-42), und zwar als Geiseln (Aug., Anc. Berufung Roms zur Weltherrschaft, was nicht 33). Vielleicht sind zwei davon jene beiden orienta- nur durch die Unterwerfung der Parther – die lisch gekleideten Kinder, die auf den Reliefs der Ara man unterschiedslos Parther, Meder oder Perser Pacis wiedergegeben sind32. genannt hat – sondern auch anderer Barbarenvöl- Das diplomatische Geschick des Augustus und ker wie der Britannier oder der Germanen erreicht seine Fähigkeit, die Spannungen innerhalb des werden soll. Bei Vergil (Verg., G. 3, 30-33) prophezeit Arsakidenreiches auszunutzen, führten dazu, dass man, mit Augustus würden die Parther besiegt man im Jahre 20 v. Chr. die römische Ehre zurücker- und vor den Römern fl iehen. In der Aeneis (Verg., langt und im Jahre 2 v. Chr. einen dem Mars Ultor Aen. 7, 601-606) wird man an die moralische Pfl icht geweihten Tempel sowie zusätzlich einen Triumph- erinnert, die von Crassus verlorenen Feldzeichen bogen auf dem Forum errichtet hatte (DC 54, 8, 3)33. zurück zu gewinnen, der Verlust war eine Schande, Weder vom einen noch vom anderen Gebäude die der neue Herrscher brandmarken solle29. Diesel- haben sich Reste erhalten, aber ihr Bild ist auf Mün- be Idee fi nden wir bei Horaz (Hor., Carm. 3, 6, 9-12; zen zu sehen. Das Motiv der Rückgewinnung der Hor., Carm. 1, 29, 1-4; Hor., Carm. 1, 12, 53-56), obwohl Feldzeichen schmückte Münzen und den Panzer bei Properz diese Aufforderung zur Rache auf die des Augustus von Primaporta (Abb. 1), der ins Jahr poetisch schönste Art formuliert ist (Prop. 3, 4, 1-10; 19 v. Chr. datiert wird34. Auf diesem Panzer sehen wir siehe Prop. 4, 6, 79-86). einen Parther mit wirrem Bart und wildem Ange- Wie bereits aufgezeigt wurde30, gab es wenigs- sicht, wie er gerade die schmählich verlorenen Feld- tens drei Gründe, weshalb man die Partherfrage in zeichen übergibt. Er ist in eine kurze Reitertunika das ideologische Programm des Augustus einge- mit langen Ärmeln gekleidet (tunica manicata et fügt hat. Erstens hatte er als Erbe Caesars die Pfl icht, succincta; χιτών; auf altpersisch *sarapiš und grie- den Wunsch seines Adoptivvaters zu erfüllen und chisch σάραπις oder καπυρις - Pollux 7, 58 und 61 und die von Crassus verlorenen Feldzeichen zurück zu Hesychios; Str. 15, 3, 1935), mit dem typischen V-Aus- gewinnen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Julius schnitt und den Laschen der parthischen Tunika, die Caesar vor seinem Tod einen Feldzug gegen die Par- rechte Lasche über die linke gekreuzt wie bei den ther vorbereitet hatte. Zweitens wollte Augustus Prinzen und Adligen des Shami (siehe den Mar- vor dem römischen Volk den Nachweis erbringen, morfries von Ephesus im Museo Nazionale Roma-

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Römische Identität und parthische Kleidung

no). Die langen Barbarenhosen liegen am Knöchel sind39. In ihrer Haltung symbolisieren sie Unter- eng an άναζυρίδες; auf altpersisch *šara-vãra-; auf worfene, dabei ahmte man zweifellos ähnliche griechisch σαράβαρα; auf lateinisch sarabara. Isidor griechische Darstellungen achämenidischer Perser spricht von fl uxa ac sinuosa vestimenta. Analog nach (Vitr. 1, 1, 6). Rom hingegen wurde als caput zum Kommentar des Curtius Rufus über die Klei- mundi dargestellt40. dung von Dareios III. könnten wir die Knotung des Die Verse des Ovid könnten nicht deutlicher sein Gürtels als muliebriter, als „weiblich“ bezeichnen und sein Lobpreis des Augustus und des Gaius Cae- (Curt. 3, 3, 17-19). An den Füßen trägt der Parther sar nicht unmissverständlicher (Ov., Ars. 1, 177-182)41; Lederstiefel (zancae) (SHA Cl. 17, 6). vielleicht fasst jedoch die domina Roma des Horaz Auf den Münzen erscheint die Legende „signis (Hor., Carm. 4, 14, 44) am besten das Identitätsge- Abb. 2 receptis“ (CAESAR AUGUSTUS SIGN RECE) oder ein fühl des römischen Volkes zusammen und seinen Ein kniender Parther die Feldzeichen übergebender kniender Parther, Glauben an Augustus als denjenigen, der das ver- übergibt die Feldzeichen. Rückseite der Münze bekleidet mit einem Umhang, einer Tunika und Rei- lorene Goldene Zeitalter wieder herstellt. RSC 1 485 terhosen (Abb. 2)36. Seit dieser Zeit ist der kniende Herausragendes Interesse verdient die Historiae Augusteische Zeit und gedemütigte Barbar von außerordentlicher Philippicae des Pompeius Trogus. Die ethnogeo- Foto: H. R. Goette politisch-ideologischer Aussagekraft37. Und als ob graphische Beschreibung der Barbarenvölker in das noch nicht genug wäre, bot der Kaiser im Jahre der klassischen Literatur wird hier zu einer mora- 2 v. Chr. bei der Einweihung des Augustusforums lisierenden Völkerkunde, einer Beschreibung von und des Marstempels eine Seeschlacht als Schau- Land und Klima Asiens oder des Orients, die den spiel dar, und zwar keine größere und keine kleinere Charakter der Völker verweichlichen. So schätzte als die von Salamis38. Typisch für die Römer ist dabei man Perser und Parther eigentlich hoch, solange der Versuch, sich als Erben der Griechen darzustel- sie die Lebensweise eines bescheidenen Nomaden- Abb. 3 len, insbesondere im Hinblick auf ihren Kampf volks beibehielten und sich wie skythische Jäger in Asiatische Orientalen aus gegen die Perser. Augustus ließ in diesem Zusam- gegerbtes Leder kleideten, die typische Kleidung Buntmarmor Links: Ny Carlsberg menhang auch einen Dreifuß anfertigen, ähnlich iranischer Völker42. Sobald sie aber mit dem Luxus Glyptotek Kopenhagen jenem, den man nach dem Sieg von Platäa nach und der Verweichlichung des Orients in Kontakt Foto: H.R.Goette Delphi geschickt hatte. Darauf sind drei orienta- gekommen seien, mit der τρυφή der medischen Klei- Rechts: Museo Archeolo- gico Nazionale Neapel lische Barbaren kniend dargestellt, gekleidet nach dung des Surena (Plut., Cras. 24, 2) oder jener von Augusteische Zeit Art der Partherfi guren (Abb. 3), die aus exotischem Pompeius Trogus erwähnten (Trog. 41, 2, 4), habe ein Kopf und Hände renais- orientalischem Marmor von rötlicher, weißer und Verfall ihrer Sitten eingesetzt, der die Zukunft ihres sancezeitlich ergänzt von Guillermo de la Porta schwarzer Farbe (lydischer und phrygischer oder Reiches in fataler Weise gefährdet habe. Bei Trogus/ Foto: M. García S. Pavonazzetto-Marmor; siehe Paus. I, 18, 8) gefertigt Justinus taucht auch der Topos von Feindseligkeit und Misstrauen im Verhältnis zu den Parthern auf: ingenia genti tumida, seditiosa, fraudulenta, proca- cia (Trog. 41, 3, 7); ... fi des dicti promissique nulla nisi quatenus expedit (Trog. 41, 3, 10). Das Parthermotiv war in der römischen Vorstel- lung auch während der gesamten Glanzzeit des Reichs ein Gemeinplatz in der kaiserlichen Ideolo- gie, Literatur und Ikonographie. Diese Darstellung erschien auf Münzen, Triumphbogen und Propylä- en wie jenen des Augustus in Antiochia in Pisidien43, auf Elfenbeinfriesen (Ephesus, Selçuk Museum), auf Gemmen (der Grand Camée de ), auf Gefäßen wie dem Silberbecher im Nationalmuse- um Kopenhagen (DK 06/89 FVA 4538, Abb. 4), auf Panzern und Sarkophagen wie dem kleinen Ludo- visi-Schlachtensarkophag im Palazzo Altemps in

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Manel García Sánchez und Manuel Albaladejo Vivero

Rom44. Offensichtlich waren die politischen Bezie- Abb. 4 hungen durchaus wechselhaft: Von Tiberius bis Priamos kniet vor Achill. Silberbecher von Hoby Nerva erlebte man eine Epoche, in der der Status Nationalmuseet Kopen- quo und die diplomatischen Kontakte erhalten und hagen unterhalten wurden. Unter Trajan erwachte aufs Augusteische Zeit Foto: H.R. Goette Neue der Wunsch, das Partherreich zu erobern, eine kriegerische Politik der römischen Kaiser, die, außer unter Hadrian und Antoninus Pius, bis zum Ende der Arsakidendynastie andauerte. Gerechterweise muss man sich allerdings ins Gedächtnis rufen, dass seit der Thronbesteigung des Artabanos II. im Jahr 10/11 bei den Arsakiden der Wunsch bestand, römischer Herrschaft gestanden hätte (SHA, AP 9, die Grenzen des alten Achämenidenreiches wieder 6)48. zu gewinnen. Das musste die Römer notwendiger- Unter Marc Aurel und Lucius Verus setzte von weise beunruhigen (Tac., Ann., 6, 31, 1)45 und Span- Neuem eine Politik der Eroberung des Arsaki- nungen an den Grenzen hervorrufen. denreiches ein. Man gab beiden Kaisern den Titel Während der Regierungszeit von Tiberius und Parthicus und sie ließen sogar Triumphbogen wie Claudius wurden die Politik der Diplomatie fort- jenen von Tripolis49 errichten, auf denen sie Parther gesetzt und Geiseln der parthischen Königsfamilie darstellen ließen. Dieses ideologische Programm nach Rom gesandt. Man darf jedoch nicht aus dem setzte sich unter Septimius Severus, dem Parthicus Blick verlieren, dass die offi zielle Sprachregelung Maximus, fort, nachdem er Ktesiphon im Jahr 197 darauf bestand, dass die Römer die Parther unter- n. Chr. erobert hatte, er ließ das Parthermotiv wie- worfen hätten. Die Verwendung von Worten wie derum auf Münzen, Triumphbogen, dem römischen reverentia oder obsequia zur Defi nition der Bezie- Forum und in Leptis Magna wiedergeben, wobei er hungen zwischen beiden Großmächten zeigt, dass immer an ein und demselben Bild des barbarischen man die Parther in Rom wie ein Klientelvolk ein- Parthers in iranischem Kleidungsstil festhielt50. schätzte (Tac., Ann., 12, 11, 1)46. Seit dem Partherfeld- Unter ihm und Caracalla erreichte das römische zug des Trajan tauchte allenthalben in Inschriften Reich seine größte Ausdehnung im Osten, wobei und auf Münzen der Beiname Parthicus auf. Noch viele der Kaiser von gloria und cupiditas [Ruhm und weitaus aussagekräftiger sind die Münzen, die 116 n. Gier] (SHA, SS 18, 2; DC 68, 17, 1) angetrieben und vom Chr. geprägt wurden: Auf den Sesterzen, die an die Wunsch beseelt waren, mit Alexander gleich zu zie- Thronbesteigung des Parthamaspates erinnern, ist hen durch die Unterwerfung der Parther. Gerade in dargestellt, wie der Partherkönig sein Diadem aus dieser Zeit hat man das Bild des besiegten Parther- den Händen des Trajan empfängt und wie Parthien kriegers in der kaiserlichen Ikonographie verwen- die Knie beugt (Abb. 5)47. Die Beischrift lautet REX det. Die Belege hierfür sind zumeist verloren. Sie PARTHIS DATUS, und auf den Aurei steht PARTHIA hatten vielfach die Orientfeldzüge zum Thema. Am CAPTA. Wegen der Anwesenheit der Geiseln aus der berühmtesten sind die Parthica des Arrian, aber parthischen Königsfamilie in Rom selbst konnte es auch jene des Appian (App., Syr., 52) oder des C. Asi- sich seit augusteischer Zeit tatsächlich als Welt- nius Quadratus (FGrHist. 97), einige von ihnen sind macht bestätigt sehen. Es sah offenkundig so aus, allerdings von so geringer Qualität, dass Lukian von dass die Arsakiden Klienten Roms waren, und die Samosata (Luc., V. H. 31; cf. Polyaen., Praef., 2) sie gna- Vorstellung gerechtfertigt war, dass der Partherkö- denlos kritisiert hat. Abb. 5 nig für die Römer nur ein weiterer rex datus war. Wir könnten somit von einer Ethnographie der Ein kniender Parther empfängt ein Diadem Wie vor ihm Hadrian entschied sich Antoninus Parther in der römischen Wahrnehmung sprechen. von Trajan. Pius für den diplomatischen Umgang mit den Par- In erster Linie ist es üblich, dass in den Quellen Rückseite eines Sesterz thern. Doch er ließ eine Münze mit der Beischrift Exkurse über den Ursprung der Parther erscheinen. Trajanische Zeit Privatsammlung John PARTHIA prägen, auf der Parthia, das Sinnbild des Gewöhnlich bringt man sie mit den Skythen in Ver- Jencek Partherreiches, ihre Krone anbietet, als ob sie unter bindung (Amm. 31, 2, 20) oder man hält sie, genauer Foto: John Jencek

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Römische Identität und parthische Kleidung

gesagt, für skythische Flüchtlinge (Trog. 41, 1, 1-2). die sagittiferi Parthi (Catul. 2, 6), und die vorge- Man könnte diese Angabe mit einer Passage von täuschte Flucht (simulatione fuga) der Parther als Strabon ergänzen, der uns von ihren nomadischen einer militärischen Taktik (Tac., Ann., 13, 40, 1; Trog. 41, Ursprüngen, ihrer Ankunft in Parthien und ihrem 2, 7; Prop. 3, 9, 53; Sen., Apoc., 12, 3)54. Hinzu kommt früheren Namen „Parnoi“ berichtet (Str. 11, 9, 2-3). der Schreck, den das Aussehen der Panzer und der Üblicherweise betrachtet man Arsakes, den Grün- militärischen Kleidung bei den Römern verursachen der der Dynastie, als Räuber zweifelhafter Abkunft musste (Trog. 41, 2, 9): ferreus cataphractus (Prop. 3, (Trog. 41, 4, 6-7). Ihre Abstammung von den noma- 12, 12). Aber das Bild der wilden Parther (Hor., Carm., dischen Skythen trug dazu bei, dass man die Parther 1, 2, 22) verbindet sich mit der nulla comminus als raues, kriegerisches und wildes Volk darstellte, audacia (Tac., Ann., 15, 4, 3), mit der Schwäche im als Leute, die nimio fervore solis arderunt und rige- Nahkampf, was man in der Bildwelt immer wieder rent frigoris inmanitate (Trog. 42, 6-9), die sich in dargestellt fi ndet, wobei der Parther stets besiegt extremen klimatischen Bedingungen bewegten, und erniedrigt gezeigt wird. Auch dies ist ein lang- aufgrund derer das Überleben sehr schwierig war. lebiger Topos, der in der griechischen Literatur mit Wir müssen aus der Hyperbole Plinius des Älteren dem Bild des feigen achämenidischen Bogenschüt- hinzufügen, dass sie auf allen Seiten von Wüsten zen beginnt, der dem unmittelbaren Kampf mit umgeben sind, undique desertis cincta (Plin., Nat. 6, dem griechischen Hopliten aus dem Weg geht (Tac., 113). Dieser geographische Determinismus spiegelt Ann., 13, 39, 2), dem des heimtückischen Bogens, sich ganz offenkundig wider in der Art sich zu klei- arcus subdolus, der Parther (Prop. 4, 3, 66), und den: in Felltuniken ähnlich dem Kaftan der Skythen dem ihrer bellum fugax, wozu auch noch die laxas (Trog. 41, 2, 4), mit Hosen oder Unterhosen, an den vestes und die fl uxa velamenta kamen (Luc. 8, 362- Beinen mal breit, mal eng, mit eng anliegenden Rei- 387; Trog. 41, 2, 4), mit denen man außerdem das terbeinkleidern und hohen Stiefeln (zancae) oder barbarische Kleidungsstück per se der klassischen Reitschuhen aus Leder (SHA Cl. 17, 6), mit Mützen Vorstellungswelt kombinierte, die Hose55. (πίλος/pileus) ebenfalls aus Fell oder Filz und mit Endlich zog die frevelhafte Religion der Parther Ohrenschützern (Str. 15, 3, 19; Mart. 10, 72), die für die die Aufmerksamkeit der Römer auf sich, insofern, Darstellung von Orientalen in der römischen Vor- als man den Magiern inzestuöse Ehen erlaubte stellung typisch sind, sie trugen Diademe, die man (Catul. 90), die magicae vanitates duldete (Plin., mit Hilfe einer Schlinge von hinten festknotete. Nat. 26, 18; 28, 47; 30, 1), die Toten unbestattet und Wenden wir uns dem Feld der Politik zu: Müssten unbedeckt im Freien liegen ließ, die Polygamie wir das politische System der Parther, wie es die praktizierte (Luc. 8, 397-404; 410-411) oder dem römische Literatur darstellt, mit einem Wort Luxus und der Verweichlichung bei Hofe frönte, wo beschreiben, so wäre der Begriff Despotismus der man ständig Gastmähler abhielt und die Eunuchen angemessene (Trog. 41, 3, 9), denn es ist von grau- (Philostr., Ap.1, 34; 36; 37)56 sowie die Konkubinen57 samen und arroganten Tyrannen vom Typ Artaba- bunte Kleidung trugen. nos, Vardanes, Gotarzes und Vologaeses die Rede, Zweifellos hat man die Parther für das ideolo- bei denen sich luxuria und vanitas (Sen., const. 13, gische Programm der Kaiser verwendet, mittels 4; ep. 4, 7)51 der Achämeniden mit der feritas und der Literatur und der Macht der Bilder, als litera- ferocia der Parther verbinden52. Hinzu kommt der rische und ikonographische Topoi zur Darstellung Topos, die Parther seien, wie vor ihnen die achäme- des Gegenbildes der Römer, des Bilds der anderen nidischen Perser, ein Volk von Sklaven, über das ihr Welt, des alius orbis und des orbis alter58, der Ver- König außergewöhnlich grausam herrscht (Tac., weichlichung, der Grausamkeit und der Feigheit, Ann., 6, 31, 1; Tac., Ann., 11, 10, 3; Tac., Ann., 11, 10, 4). die der orientalischen Welt eigen sei, und des Bilds Der häufi gste Parthertopos in der römischen des Feindes jenseits der Grenzen. Bei der Entwick- Literatur steht jedoch in Zusammenhang mit ihrer lung der römischen Identität im Kontrast zum Bild militärischen Strategie. Besondere Aufmerksamkeit des Barbaren war die Kleidung von entscheidender wird auf die berittenen Bogenschützen (barbarus Bedeutung, um den Unterschied von Barbarei und eques) verwandt (Hor., epod. 16, 11-14; 7, 9-10)53, auf Zivilisation darzustellen59.

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Manel García Sánchez und Manuel Albaladejo Vivero

Übersetzung: Virginia und Michael Tellenbach 1 H. Sonnabend: Fremdenbild und Politik. Vorstellungen der Römer von Ägypten und dem Partherreich in der späten Republik und frühen Kaiserzeit, Frankfurt am Main 1986, S. 157. 2 M. García Sánchez: El Gran Rey de Persia. Formas de representación de la alteridad persa en el imaginario griego, Barcelona 2009. 3 A. Landskron: Parther und Sassaniden. Das Bild der Orientalen in der römischen Kaiserzeit, Wien 2005, S. 147-149. 4 G. Widengren: Some Remarks on Riding Costume and Articles of Dress among Iranian Peoples in Antiquity, in: A. Furumark et alii (Hrsg.): Arctica V, Uppsala 1956; V. Sarkhosh Curtis: The Parthian Costume and Headdress, in: J. Wiesehöfer (Hrsg.): Das Partherreich und seine Zeugnisse. Beiträge des Internationalen Colloquiums, Eutin (27-30 Juni 1996), Stuttgart 1998, S. 61-73. 5 J. Wiesehöfer: Die Sklaven des Kaisers und der Kopf von Crassus. Römische Bilder des Ostens und parthische Bilder des Westens in Augusteischer Zeit, in: Ph. Freeman et alii (Hrsg.): Limes XVIII. Proceedings of the XVIIIth International Congress of Roman Frontier Studies, Amman 2000, Oxford 2002, S. 293-300. 6 E. Paratore: La Persia nella litteratura latina, in: Atti del Convegno sul tema: La Persia e il Mondo Greco-Romano (Roma 11-14 aprile 1965), Rom 1966, S. 509. 7 Y.-A. Dauge: Le Barbare. Recherches sur la conception romaine de la barbarie et de la civilisation, Brüssel 1981, S. 31f., 57ff. 8 G. K. Young: Rome's Eastern Trade. International Commerce and Imperial Policy 31 BC- AD 305, London 2001, S. 26ff. 9 Sonnabend, wie Anm. 1, S. 246-253. 10 H. Bengtson: Zum Partherfeldzug des Antonius, München 1974. 11 C. B. Rose: The Parthians in Augustan Rome, AJA 109, 2005, S. 21-75. 12 P. Zanker: Augusto y el poder de las imágenes, Madrid 1992, S. 129. 13 R. M. Schneider: Bunte Barbaren. Orientalenstatuen aus farbigem Marmor in der römischen Repräsentationskunst, Worms 1986; ders.: Friend and Foe: the Orient in Rome, in: V. Sarkhosh Curtis (Hrsg.): The Age of the Parthians, London 2007, S. 51; R. M. Schneider: Die Faszination des Feindes. Bilder der Parther und des Orients in Rom, in Wiesehöfer, wie Anm. 4, S. 113-116. 14 E. R. Knauer: Ex oriente vestimenta. Trachtgeschichtliche Beobachtungen zu Ärmelmantel und Ärmeljacke, ANRW 12. 3, 1985, S. 623, 625-628. 15 E. Paratore, wie Anm. 6, S. 540. 16 D. Michel: Alexander als Vorbild für Pompeius, Caesar und Marcus Antonius, Brüssel 1967; O. Weippert: Alexander-Imitatio und römische Politik in republikanischer Zeit, Augsburg 1972; A. Kühnen: Die Imitatio Alexandri in der römischen Politik (1. Jh. v.Chr.-3. Jh. n. Chr.), Münster 2008. 17 M. G. Angeli Bertinelli: Roma e l'Oriente: strategia, economia, società e cultura nelle relazioni politiche fra Roma, la Giudea e l'Iran, Rom 1979; M. L. Chaumont: L'Arménie entre Rome et l'Iran. De l'avènement d'Auguste à l'avènement de Dioclétien, ANRW II.9.1, 1976, S. 71-194. 18 M. Sartre: El oriente romano. Provincias y sociedades provinciales del Mediterráneo oriental, de Augusto a los Severos (31 a. C-325 d. C.), Madrid 1994, S. 340; T. Gnoli: Identità complesse. Uno studio su Palmira, in T. Gnoli und F. Muccioli (Hrsg.): Incontri tra culture nell'Oriente ellenistico e romano, Ravenna 11-12 marzo 2005, Mailand 2007, S. 167-198. 19 F. Muccioli: La rappresentazione dei Parti nelle fonti tra II e I secolo a. C. e la polemica di Livio contro i levissimi ex graecis, in Gnoli und Muccioli, wie Anm. 18, S. 87-115; Ch. Lerouge: L'image des Parthes dans le monde gréco-romain. Du début du Ier siècle av. J.-C. jusqu'à la fi n du Haut-Empire romain, Stuttgart 2007, S. 21. 20 M. García Sánchez: Los bárbaros y el Bárbaro: identidad griega y alteridad persa, Faventia 29/1, 2007, S. 33-49; R. Fowler: 'Most fortunate roots': Tradition and legitimacy in Parthian royal ideology, in O. Hekster-R. Fowler (Hrsg.): Imaginary Kings. Royal Images in the Ancient Near East, Greece and Rome, München 2005, S. 133-151. 21 J. W. Drijvers: Strabo on Parthia and the Parthians, in J. Wiesehöfer (Hrsg.): Das Partherreich und seine Zeugnisse, S. 288-292. 22 M. L. Chaumont: Apollodorus of Artemita, EncIr 2, 1987, S. 160-161; J. M. Alonso-Núñez: Un historien entre deux cultures: Apollodore d'Artémita, in Mélanges Pierre Lévêque 2, Besançon, 1989, S. 1-6. Zur hellenistischen Historiographie über die Parther siehe Sonnabend, wie Anm. 1, S. 229-235. 23 W. H. Schoff: Parthian Stations by Isidore of Carax, an Account of the Overland Trade Route between the Levant and India in the First Century B. C., Philadelphia 1914. 24 Th. Liebmann-Frankfort: L'histoire des Parthes dans le livre XLI de Trogue Pompée: essai d'identifi cation de ses sources, Latomus 28, 1969, S. 894-921; B. van Wicke-voort Crommelin: Die Parther und die Parthische Geschichte bei Pompeius Trogus-Iustin, in J. Wiesehöfer

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Römische Identität und parthische Kleidung

(Hrsg.):Das Partherreich und seine Zeugnisse, S.59-277. 25 G. Walser: Rom, das Reich und die Fremden Völker in der Geschichtsschreibung der frühen Kaiserzeit. Studien zur Glaubwürdigkeit des Tacitus, Baden-Baden 1951, S. 72-74 und 136-154; N. Ehrhardt: Parther und parthische Geschichte bei Tacitus, in J. Wiesehöfer (Hrsg.): Das Partherreich und seine Zeugnisse, S. 295-307. 26 T. Rajak: The Parthians in Josephus, in J. Wiesehöfer (Hrsg.): Das Partherreich und seine Zeugnisse, S. 309-324. 27 F. A. Lepper: Trajan's Parthian war, Chicago 1948. 28 Lerouge, wie Anm. 19, S. 99f. 29 M. Wisseman: Die Parther in der augusteischen Dichtung, Frankfurt am Main 1982, S. 14-46. 30 Lerouge, wie Anm. 19, S. 102. 31 Zanker, wie Anm. 12, S. 222-229. 32 Rose, wie Anm. 11, S. 40; Landskron, wie Anm. 3, S. 111-113. 33 Th. Schäfer: Spolia et signa. Baupolitik und Reichskultur nach dem Parthererfolg des Augustus, Göttingen 1998, S. 49-56. 34 Zanker, wie Anm. 12, S. 223; Schäfer, wie Anm. 33, S. 84-92; R. A. Gergel: Costume as Geographic Indicator: Barbarians and Prisioners on Cuirassed Statue Breastplates, in: J. L. Sebesta und L. Bonfante (Hrsg.): The World of Roman Costume, Madison 2001, S. 191ff.; Landskron, wie Anm. 3, S. 103-110; R. M. Schneider: Friend and Foe: the Orient in Rome, S. 54f. 35 G. Widengren, wie Anm. 4, S. 237. 36 A. Caló Levi: Barbarians on Roman Imperial Coins and Sculpture, New York 1952, S. 7f. 37 Zanker, wie Anm. 12, S. 225. 38 Vell. 2, 100; Plin., Nat. 16, 190; 210; Tac., Ann. 15, 15; Suet., Aug. 43, 3; Suet. Tib. 7, 3; DC 55, 10, 7; Ov., Ars. 1, 171-201. Siehe A. Spawforth, Symbol of unity? The Persian-Wars Tradition in the Roman Empire, in: S. Hornblower (Hrsg.): Greek Historiography, Oxford 1994, S. 233-269. 39 Schneider, wie Anm. 13, S. 29-96, 133f.; ders.: Nuove immagini del potere romano: sculture in marmo colorato nell'impero romano, in M. de Nuccio-L. Ungaro (Hrsg.): I marmi colorati della Roma imperiale: Roma Mercati di Traiano, 28 settembre 2002-19 gennaio 2003, Venedig 2002, S. 86. 40 R. M. Schneider: Friend and Foe: the Orient in Rome, S. 70-75; ders.: Die Faszination des Feindes. Bilder der Parther und des Orients in Rom, S. 98f. 41 Wissemann, wie Anm. 29, S. 111-123. 42 Widengren, wie Anm. 4, S. 276; S. A. Matheson: Artesanía de la piel en la antigua Persia, Vic 1978, S. 106. 43 Rose, wie Anm. 11, S. 57. 44 Landskron, wie Anm. 3, S. 57ff. 45 J. Neusner: Parthian Political Ideology, IA 3, 1963, S. 40-50; E. Dabrowa: Les rapports entre Rome et les Parthes, Syria 58, 1981, S. 187-204; Lerouge, wie Anm. 19, S. 136f. 46 E. Badian: Foreign Clientelae (264-70 B. C), Oxford 1959, S. 41-42, 53-54 und 68; J. Rich: Patronage and Interstate Relations, in: A. Wallace-Hadrill (Hrsg.): Patronage in Ancient Society, London–New York, 1989, S. 117-135; Lerouge, wie Anm. 19, S. 136f. 47 Caló Levi, wie Anm. 36, S. 19; Landskron, wie Anm. 3, S. 117-119. 48 F. Salcedo: Parthia, LIMC VII, Zürich/München 1994, S. 192. 49 Landskron, wie Anm. 3, S. 124-126. 50 Landskron, wie Anm. 3, S. 129-134. 51 M. García Sánchez, Séneca y la educación del príncipe: el contramodelo aqueménida, in J. F. González Castro et alii (Hrsg.): Perfi les de Grecia y Roma. Actas del XII Congreso Español de Estudios Clásicos. Valencia, 22 al 26 de octubre de 2007, Madrid 2009, S. 755-762. 52 Dauge, wie Anm. 7, S. 135 und 187. 53 H. Fugier: Horace et les Parthes, B.F.S. 46, 1967, S. 283-291. 54 Virg., G. III, 31; cf. Virg., En., XII, 856-858; Virg., G. III, 313-314; Virg., B. X, 59-60; Prop. III, 4, 17; Hor., Carm. II, 13, 17-19; Ov., Rem. 155; Ars., 1, 208-211; Fast., V, 591-593; Pers. V, 4; Stat., Theb. VI, 597. Vid. E. Paratore, op. cit., S. 530. 55 J. P. V. D. Balsdon: Romans and aliens, London 1979, S. 221. 56 P. Guyot, Eunuchen als Sklaven und Freigelassene in der griechisch-römischen Antike, Stuttgart 1980, S. 101. 57 Paratore, wie Anm. 6, S. 515. 58 Schneider, Friend and Foe, wie Anm. 13, S. 60. 59 Schneider, Friend and Foe, wie Anm. 13, S. 51.

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Manuel Albaladejo Vivero und Manel García Sánchez

Mediterrane Identität und indische Kleidung

Die Vorstellungen, die man in Rom mit Indien ver- Muziris zu erreichen oder sogar jene von Bekarê band, gehen auf das Bild zurück, das sich die grie- auf der Suche nach dem schwarzen Pfeffer7. Für die chische Kultur von diesem Land im Osten gemacht Rückreise lud man Färbemittel, Gewebe und Stoffe hatte. Indien war auch weiterhin eher ein Wunder- – Baumwolle, Leinen, Seide aus China8 –, Edelsteine, land als ein reales Gebiet, obwohl die Römer durch- Perlen, Parfüms und Arznei. All diese und weitere aus Gelegenheit gehabt hatten, die indischen cor- Handelsgüter aus Südostasien sind in einem Steu- nacas (Elefantenführer) kennen zu lernen, als der eredikt von Kaiser Commodus aufgeführt9. Söldnerführer Xanthippos im Ersten Punischen Diese Produkte kamen in der römischen Gesell- Krieg 255 v. Chr. dank seiner asiatischen Kriegsele- schaft rasch in Mode. Die Exportwege in das fanten die von M. Atilius Regulus gesandten Trup- römische Reich umrundeten auch Kap Comorin: In pen besiegte. Ihre Tapferkeit und Geschicklichkeit Aricamedu, bei Pondicherry, fand man Terra sigillata war so bemerkenswert, dass diese indischen corna- aus verschiedenen mediterranen Produktionsstät- cas bis zum Ende des Zweiten Punischen Krieges ten der beiden Jahrhunderte vor und nach der Zei- integraler Bestandteil des karthagischen Heeres tenwende, aber auch Lampen, Glas und Gemmen blieben1. mit dem Kopf des Augustus10. Die Eroberung des Mittelmeerraumes brachte Die Überlieferung berichtet, der heilige Thomas die Römer in direkten Kontakt mit den Königreichen habe in Indien den Märtyrertod erlitten. Dorthin der Diadochen. Der Sprachwissenschaftler Alexan- sei er mit Kaufl euten an Bord eines Frachtschiffs der Polyhistor, ein Sklave aus Milet und Freigelasse- gelangt11. Plinius schrieb, in der Zeit von Kaiser Clau- ner des Sulla, schrieb ein Buch über Indien, in dem dius sei ein Freigelassener des Annius Plocamus er unterschied zwischen einerseits Brahmanen, die aufgrund eines Sturms nach Sri Lanka gekommen, große Fastenübungen vollbrachten, an die Wie- das bei griechischen und römischen Geographen dergeburt glaubten sowie Herakles und Dionysos als Taprobanê bezeichnet wird12. Androsthenes aus verehrten, und andererseits den Semnoi oder bud- Thasos schrieb ein Werk mit dem Titel „Die Fahrt dhistischen Mönchen, die unbekleidet lebten und nach Indien“. Ein Mann namens Alexander umrun- eine Pyramide verehrten, in der man die Überreste dete Malacca und gelangte zum Hafen von Katti- eines Gottes verwahrte2. gara13, und Abgesandte des Maes Titianus kamen Marc Anton war ganz verliebt in die Idee, als bis nach China14. ein neuer Dionysos den gesamten Orient bis nach Die indischen Händler ihrerseits pfl egten Bezie- Indien zu unterwerfen3 und Kleopatra erwog nach hungen mit der Insel Socotra, den südpersischen der katastrophalen Niederlage von Actium, nach sowie arabischen Häfen und mit der somalischen Indien zu fl iehen4. Küste15. Klagen und Vorhaltungen Plinius des Die Pax Romana des Augustus bildete die Grund- Älteren16 besagen, dass die Handelsbilanz für Rom lage für einen neuen Wohlstand in allen Bereichen negativ war. Nach seinen Angaben in VI, 101 hat der des Imperiums. Im 1. Jahrhundert v. Chr. begannen Handel mit Indien mindestens fünfzig Millionen viele Kaufl eute mit Hilfe von Sklaven und Freige- Sesterzen im Jahr gekostet. Laut Tacitus17 hat auch lassenen im großen Stil Indienhandel zu treiben, Tiberius die Verschwendungssucht seiner Zeit kri- sowohl von Palmyra und Syrien aus als auch von tisiert. Ägypten. Seit der Herrschaft des Augustus brachen Aus dem Handel entwickelten sich schließlich Schiffe von Myos Hormos5 und Adulis6, den Häfen diplomatische Beziehungen. In den Res Gestae 31, 1 der afrikanischen Küste und jenen der arabischen und im Werk von Sueton18 heißt es, Augustus habe Halbinsel, Okêlis, Muza oder Kanê, auf, um inner- die Ankunft verschiedener Botschafter aus Indien halb von vierzig Tagen mit dem Monsun die Küste aufgezeichnet, z. B. die des Königs Pandion. Wiede- von Malabar oder die – aufgrund des Piratenun- rum laut Plinius19 bot der Gesandte Rachias Kaiser wesens in Südwestindien weit gefährlichere – von Claudius die Freundschaft der Herrscher von Ceylon

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Mediterrane Identität und indische Kleidung

an. Weitere Gesandtschaften gelangten zu Trajan20, seinen Reichtum zu preisen. Es ist interessant, diese Hadrian21 , Antoninus Píus22 und Heliogabal23. Passage mit einer anderen aus der Historia des Seit diesen Jahrzehnten war Indien Gegenstand Herodot zu vergleichen, in welcher er erwähnt, dass von Untersuchungen römischer Gelehrter, wenn- der persische Großkönig sich nur und ausschließ- gleich diese immer – im Wesentlichen für Seefahrt lich zu seinem Geburtstag die Haare wasche31. und Handel – auf Sekundärquellen zurückgegriffen Bezüglich der Kleidung der Bewohner Indiens haben, außer jenem Kaufmann in der Mitte des 1. hatten bereits die Griechen auf die Verwendung Jahrhunderts n. Chr., der den „Periplus des Eriträ- von Rohstoffen wie Baumwolle und Leinen hin- ischen Meeres“ verfasste24. gewiesen. Strabon hat berichtet, Leinen werde in Die wichtigsten Informationen der Kaufleu- der Regenzeit gepfl anzt32, was nun die Baumwolle te und Gesandten fanden ihren Niederschlag in betreffe – und hier bezog er sich auf das Werk des der Kartographie. Im Werk des Ptolemäus wurde Megasthenes – so wachse dort auf einigen Bäumen Indien vom Ganges in zwei Teile geteilt, während Wolle33. die Umrisse von Sri Lanka, einer für den Seehandel Laut Nearchos von Kreta, dem Admiral der Flotte hochbedeutsamen strategischen Enklave, bereits Alexanders, fertigten die Makedonen aus dieser so auf einer Karte eingetragen waren25. In der Glanz- genannten Baumwolle Gewebe aus feinen Fäden, zeit des römischen Reiches war die beste Quelle die sie für Kissen und Satteltücher verwendeten34. zur Ethnographie Indiens sicherlich die Geographia Auch Strabon verwechselte Baumwolle und Seide; von Strabon26. Zum Abfassen seines Buchs 15 hat er letztere erhalte man, indem man Baumwolle die Werke verschiedener griechischer Autoren ver- durchhechle. wendet, hauptsächlich jene der Geschichtsschrei- Weitere wichtige Hinweise zur indischen Textil- ber Alexander des Großen und des Megasthenes herstellung verdanken wir Strabon, der aus dem – jenes Botschafters von Seleukos I. am Hof von Werk des Onesikritos zitiert35, einem der Historio- Chandragupta einige Jahre nach dem Alexander- graphen Alexanders, dessen große Bedeutung auf zug – mit dem Ziel, ein umfassendes Bild Indiens seine Gespräche mit den gymnosophistai oder zu erstellen, wobei Kleidung und persönliches unbekleideten Weisen in der Stadt Taxila zurück- Erscheinungsbild der Einwohner wesentliche Iden- geht36. Er erwähnte, dass es in Indien einen Über- titätsmerkmale darstellen. fl uss an medizinischen Substanzen und Wurzeln Strabon erwähnte beispielsweise die Sydrakai27, gebe, wohltuende und schädliche sowie tausend vermutete Nachfahren des Gottes Dionysos, deren Färbepfl anzen. Könige den Beginn ihrer Feldzüge und sonstige Bedeutsam wurde auch die Beschreibung der in- Aufmärsche außerhalb des Palastes in Form eines dischen Region Katea37, in der Eigenartiges gesche- dionysischen Festes begingen, mit Pauken und bun- he: es gäbe dort einen übertriebenen Schönheits- ten Gewändern. Er berichtet auch, dies sei in ganz kult der Männer, als handle es sich um Pferde oder Indien Sitte. Hunde. Laut Strabon hat Onesikritos bestätigt, dass In einem späteren Kapitel schrieb Strabon, mit der schönste Mann zum König gewählt wurde. Die der persönlichen Betreuung der Könige seien Einwohner von Katea würden sich auch den Bart Frauen betreut, die man ihren Eltern abgekauft vielfältig bunt einfärben, einzig und allein um habe. Wenn ein König Gericht hielt und sich einen schöner zu sein. Viele andere Inder täten dasselbe ganzen Tag Auseinandersetzungen anhören muss- in vortreffl icher Qualität mit Haaren und Kleidung, te, so würden ihn vier Masseurinnen, jede von einer da die Erde außerordentliche Farben hervorbringe, Seite, mit kleinen Stäben behandeln28. Quintus Cur- und die Männer, die in allem Übrigen schmucklos tius Rufus berichtete von Audienzen beim König, seien, hätten eine Vorliebe für ein gepfl egtes Äuße- während derer er gekämmt werde29. res. Eine weitere Besonderheit von Katea bestehe Auf die Gestalt des Königs bezieht sich ein wei- darin, dass sich die Brautleute gegenseitig auswäh- teres interessantes Fragment30: Jedes Mal, wenn der len38 während eines dionysischen Festes. Wir ver- König sein Haar wusch, beging man ein großes Fest. muten, dass es angesichts ihrer großen Schönheit Seine Untertanen sandten kostbare Geschenke, um nicht schwierig war sich zu verlieben.

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Insgesamt kann man trotz der von Strabon ide- und mussten auf die Freuden der Sexualität und alisierend hervorgehobenen Genügsamkeit der des Weines verzichten. Inder aus seinem Bericht ersehen, dass sie alle sich Ein weiterer Geschichtsschreiber Alexanders ist gerne herausgeputzt haben: Sie verwendeten Gold- der bislang nicht erwähnte Aristobulos von Cäsa- schmuck, schmückten sich mit Edelsteinen, klei- rea, dessen Werk ebenfalls von Strabon verwendet deten sich in leuchtend eingefärbtes Leinentuch worden ist. Er sagte, er habe zwei der Weisen gese- und ließen sich von Sonnenschirmträgern beglei- hen, die in Taxila gelebt hätten45. Beide waren Brah- ten; all dies, weil sie die Schönheit hoch schätzten manen: der Ältere hatte einen kahl geschorenen und alles dafür taten, ihr Aussehen nach Kräften zu Kopf, während der Jüngere lange Haare trug. Beiden verschönern. folgten ihre jeweiligen Schüler. Besondere Erwäh- Noch etwas hat die Aufmerksamkeit Strabons nung verdiente nach Aristobulos ihre Lehre im auf sich gezogen: Beim Opfern hätte keiner eine ausdauernden Leiden, die sie Alexander anboten, Krone getragen, weder beim Verbrennen von Weih- wenngleich der Jüngere nach kurzer Begleitung des rauch noch beim Trankopfer39. Herrschers nach Hause zurückgekehrt ist. Auf die Wie bereits erwähnt, hatte Alexander Onesikri- Forderung nach seiner Anwesenheit hatte er den tos zum Gespräch mit den gymnosophistai oder König aufgefordert, ihn aufzusuchen, falls er etwas unbekleideten Weisen gesandt, einer Gruppe von von ihm wolle. Der alte Brahmane hingegen beglei- Brahmanen, die ca. zwanzig Stadien (3, 69 km) ent- tete Alexander und blieb bis zu seinem Lebensende fernt von der Stadt Taxila lebte, denn sie wollten bei ihm. Solange er am Hof blieb, passte er sich in nicht dorthin kommen, wo sich der makedonische Kleidung und Lebensweise an. Auf Kritik an dieser König aufhielt. Onesikritos traf auf eine Gruppe von Lebensweise entgegnete er, dass er sein einstiges fünfzehn nackten Männern, jeder in einer ande- Gelübde – vierzig Jahre lang in strenger Disziplin zu ren Körperhaltung: stehend, sitzend, liegend, alle leben – bereits erfüllt habe46. Hier wird ganz deut- jedoch unbewegt bis zum Einbruch der Nacht. Einer lich, dass gerade der Wandel der Kleidungssitte ein von ihnen, Kalanos genannt40, bemerkte, dass sein wichtiges Merkmal des Wandels in der Lebenswei- Besucher einen Mantel, einen Filzhut (kausía) und se dieses Brahmanen war, denn auf diese Weise Stiefel trug, woraufhin er in Gelächter ausbrach machte er für alle sichtbar, dass er seine indische und eine fl ammende Rede über die zyklischen Welt- Identität aufgab zugunsten einer griechischen untergänge hielt. Anschließend forderte er Onesi- Lebensform, um Teil des Hofstaats von Alexander kritos auf, sein Zaumzeug abzulegen und sich nackt dem Großen zu werden. auf die Steine zu legen, wenn er seine Lehren hören Im Kontext seines Berichts über die Brahmanen wolle. schrieb Strabon auch über weitere Priester aus Weitere Berichte über die Brahmanen verdanken Indien, die Pramnae, eine Gruppe, die sich für Disput wir dem bereits erwähnten Megasthenes41. Dank und Debatte begeisterte47. Sie nennen sich Berg- Strabon ist sein Bericht über das Leben voll Verzicht Pramnae, Nackt-Pramnae oder Stadt-Pramnae. Jene und Entbehrung überliefert, das diese Männer 37 aus den Bergen bedeckten sich mit Hirschfellen, die Jahre lang ertrugen42. Anschließend zog sich ein Nackten machten ihrem Name Ehre, verbrachten jeder von ihnen auf seine Besitzungen zurück und zudem die meiste Zeit im Freien und übten sich 37 lebte freier und entspannter: Sie kleideten sich in Jahre lang im ausdauernden Ertragen der Leiden48. Leinentuch und trugen zuweilen Goldschmuck im Die Stadt-Pramnae hingegen trugen Leinen- Ohr und an den Händen, ganz so wie es auch die gewänder und lebten in der Stadt. Laut Strabon „Gesetze des Manu“ erlauben43. trugen alle Inder weiße Gewänder aus Leinen Im gleichen Zusammenhang hatte Megasthenes oder Baumwolle. Dies steht im Gegensatz zu den auch berichtet, dass andere geistige Menschen, die Informationen anderer Schriftsteller, wonach die Hylobioi, eine sehr harte Lebensweise hatten: Sie Bewohner Indiens bunte Gewänder trugen. In bei- lebten im Urwald und ernährten sich von Blättern den Fällen hätten alle Haare und Bart wachsen und wilden Früchten, kleideten sich in Baumrinde lassen, außerdem hätten sie ihre Haare gefl ochten (sicherlich dachte der Autor an die Baumwolle44) und hoch gebunden.

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Ein weiteres für den Gegenstand der vorliegenden an die Malabarküste, auf dem Ganges. Es sei nicht Studie bedeutsames Werk –wenngleich von gerin- leicht gewesen nach Thina zu gelangen, und selten gem literarischem Wert – ist der erwähnte Peri- reisten Menschen von dort nach Indien. plus Maris Erythraei, die „Küstenfahrt des Roten Die Nachrichten in der Historia Naturalis des Pli- Meeres". Diese Abhandlung ist von einem Händ- nius über Indien sind keineswegs zuverlässiger als ler in fehlerhaftem koiné-Griechisch geschrieben, jene des Strabon, obwohl zwischen beiden Auto- einem Ägypter, wie man aus seiner Bezugnahme ren viel Zeit vergangen und das Handelsvolumen und Verwendung von Flora und Kalender Ägyptens zwischen Rom und Indien weit größer geworden ersieht. Der unbekannte Autor bereiste die afri- war. Im Hinblick auf letzteres erklärte der römische kanische Ostküste mindestens bis nach Opônê49, Admiral, die ersten Menschen, von denen man dem heutigen Hafun in Somalia, und gelangte wisse, seien die so genannten seres57. Sie seien auch nach Indien. Zugänglich waren ihm auch berühmt aufgrund ihrer Bearbeitung der „Urwald- einige vage Hinweise auf die Chryse-Insel50 , die so Wolle“ durch Auskämmen des Flaums, der auf den genannte goldene Insel, die man mit der Halbinsel Blättern wachse. Später müssten die römischen Malacca, mit Sumatra, ja sogar mit China identifi - Frauen mit viel Mühe von neuem alles ausfädeln zieren wollte, wie wir im Folgenden sehen werden. und die Fäden neu verweben. Plinius glaubte offen- Die Beschreibung Indiens beginnt im Kapitel 41 bar tatsächlich, die Seide sei eine Art weißer Flaum, des Periplus; erwähnt werden das Königreich Nam- den man dem Laub der Bäume entnahm58. banos51, der Golf von Barygaza52, das heutige Bha- Nach der Beschreibung in der Corographia des ruch oder Broach im Staat Gujarat, und die Küste Pomponius Mela, eines Zeitgenossen des Plinius, der Region von Ariakê. In diesem Gebiet baute man war Indien einmal mehr das Wunderland: Auf sei- Baumwolle an, aus der man grobes indisches Tuch nen fruchtbaren Böden strömte Honig aus dem herstellte. Hauptstadt der Region war Minnagar, im Laub. Die Wälder spendeten Wolle (d.h. Baumwolle), Königreich der Saka gelegen, üblicherweise identifi - und aus Schilf fl ocht man Boote, die zwei oder drei ziert mit Bahmanabad, von wo man große Mengen Menschen aufnehmen konnten59. von Baumwolltuch nach Barygaza brachte. Die Kleidungsgewohnheiten und Sitten der Inder In der Region von Barygaza, etwas weiter östlich, seien mannigfaltig gewesen: Die einen kleideten befand sich eine Stadt namens Ozênê53 (auf Eng- sich in Leinen, andere in Wolle, in Federkleid oder lisch Ujjain genannt), wo sich bereits lange vor der Tierfell, wieder andere liefen unbekleidet herum Abfassung des Periplus der Königspalast der Saka oder bedeckten sich nur die Schamteile60. befunden hat. Ujjain exportierte Leinentuch, Malve Wie wir sahen, wurden sowohl die Kleidung und beträchtliche Mengen grober Baumwolle. selbst als auch die Herstellung und Vermarktung Auch von den Märkten der Hafenstadt Barygaza der für Textilien verwendeten Rohstoffe von den verschiffte man große Mengen grober Baumwolle, klassischen Autoren neben anderem verwendet, Leinenstoffe jeder Art und Malvenstoff. um die Identität Indiens in der Antike darzustel- Der Autor des Periplus schrieb auch über die len. Es gab natürlich andere kulturelle Eigenheiten, berühmte Insel Ceylon oder Taprobanê54, wo man wie zum Beispiel die Lebensweise, die Sitten und Perlen und Gemmen sowie Leinenstoffe und Schild- Gebräuche, die Religion, die politische und gesell- patt erwerben konnte. schaftliche Ordnung. Verschiedene griechische Nördlich der Gangesmündung soll nach einer und römische Schriftsteller richteten aber ihre Auf- ziemlich konfusen, vielleicht sogar der Phantasie merksamkeit auch auf Reichtum und Vielfalt Indi- entsprungenen, geographischen Beschreibung eine ens hinsichtlich der Textilien und Färbemittel, um gewaltige Stadt namens Thina gelegen haben55. jenes Bild dieses Landes zu erschaffen, dessen rei- Von dort habe man Wolle und Seide als Faden oder che natürliche Ressourcen und außergewöhnliche Gewebe bis nach Barygaza transportiert, und zwar Exotik bis in unsere Tage überkommen sind. zu Fuß durch Baktrien und bis nach Limyrikê56, d.h.

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Übersetzung: Virginia und Michael Tellenbach 1 G.T.Griffi th: The Mercenaries of the Hellenistic World, Cambridge 1935, S. 214-215; Warmington: The Commerce between the Roman Empire and India, 2. Aufl age London-New York 1974, S. 151. 2 FGrHist 273 F 18. J. Gil: La India y el Catay. Textos de la Antigüedad clásica y del Medievo occidental, Madrid 1995, S. 43. 3 Dio Cass. 39, 42, 3. 4 Plut., Antonius 81. 5 Dieser ägyptische Hafen am Roten Meer befi ndet sich beim heutigen Quseir al-Qadim. J. Desanges: Pline l’Ancien. Histoire Naturelle. Livre VI 4e partie (L’Asie africaine sauf l’Égypte, les dimensions et les climats du monde habité), Paris 2008, S. 56-59. 6 Dazu J. Desanges: Pline l’Ancien. Histoire Naturelle. Livre VI 4e partie, S. 78-81. 7 Dies wird berichtet bei Plin., HN VI, 105. Dieser Hafen wird auch erwähnt in PME 55; 58 und bei Ptol., Geog. VII, 1, 8. 8 E.J.W. Barber: Prehistoric Textiles, Princeton 1991, S. 30-33. 9 Digesta 39, 4, 16, 7. 10 Eines der neuesten Werke zum Handel zwischen Rom und Indien ist R. Tomber: Indo-Roman Trade. From Pots to Pepper, London 2008. Interessant ist auch die Arbeit von G. Parker: Ex Oriente luxuria: Indian commodities and Roman experience, JESHO, 45.1, 2002, S. 40-95. 11 Zum Wahrheitsgehalt dieser Überlieferung: A. Dihle: Neues zur Thomas Tradition, in V. Pöschl und H. Petermann (Hrsg.): Antike und Orient. Gesammelte Aufsätze, Heidelberg 1984, S. 61-77; É. Lamotte: History of Indian Buddhism. From the Origins to the Saka Era, Louvain-La-Neuve 1988, S. 466-467. 12 HN VI, 84. Annius Plocamus hatte die Steuereinkünfte aus dem Roten Meer gepachtet. Ein Freigelassener dieses Mannes, Lysas genannt – man weiß nicht, ob es derselbe ist, der nach Taprobanê gelangte –, taucht auf zwei Inschriften aus dem Jahre 6 n. Chr. auf, die man im Wadi Menih gefunden hat, an jenem Weg, der Koptos mit dem Hafen Berenike in Ägypten verband. F. de Romanis: Cassia, Cinnamomo, Ossidiana: uomini e merci tra Oceano Indiano e Mediterraneo, Rom 1996, S. 211-212. 13 Ptol., Geog. I, 14, 1 ff.; VII, 3, 3. Es könnte sich um Hanoi, Zhangzhou, Guangzhou oder sogar um einen Ort bei Singapur handeln. 14 Ptol., Geog. I, 11, 3ff.. 15 PME 14, 21, 27, 31, 32, 36. 16 In HN XII, 84, legte er dar, der Handel Roms mit Indien, den seres und Arabien koste im Jahr hindert Millionen Sesterzen. 17 Annales III, 53. 18 Suet., Aug. 21, 6. 19 HN VI, 85-91. Der Name Rachias kommt vielleicht von racha, auf Sanskrit: König. 20 Dio Cass. LXVIII, 15, 1. 21 Dio Cass. LXIX, 16, 1. 22 Aurelius Victor, Epitome de Caesaribus 15, 4. 23 Laut dem syrischen Theologen Bardesanes von Edessa, FGrHist 719 F 1, 1; F 2, 1. 24 L. Casson: The Periplus Maris Erythraei, Princeton 1989; S. Belfi ore: Il Periplo del Mare Eritreo di anonimo del I sec. d.C. e altri testi sul commercio fra Roma e l'Oriente attraverso l'Oceano Indiano e la Via della Seta, Rom 2004. 25 Ptol., Geog. VII, 4, 1 berichtete, die Bewohner von Kap Taprobanê bedeckten sich den Kopf mit Geweben wie die Frauen. 26 Zur Bedeutung der Ethnographie im Werk des Strabon: F. Prontera: Prima di Strabone: Materiali per uno studio della geografi a antica come genere letterario, in F. Prontera (Hrsg.): Strabone: Contributi allo studio della personalità e dell'opera I, Perugia 1984, S. 187-256; J. Engels: Augusteische Oikumenegeographie und Universalhistorie im Werk Strabons von Amaseia, Stuttgart 1999; D. Dueck: Strabo of Amasia. A Greek Man of Letters in Augustan Rome, London-New York 2000. 27 Str. XV, 1, 8. J.W. McCrindle: Ancient India as described in classical literature, Westminster 1901, S. 120; N. Biffi : L’Estremo Oriente di Strabone. Libro XV della Geografi a. Introduzione, traduzione e commento, Bari 2005, S. 148. 28 Str. XV, 1, 55. Biffi , wie Anm. 27, S. 221-222. 29 Curt. VIII, 9, 27. 30 Str. XV, 1, 69. Biffi , wie Anm. 27, S. 239-240. 31 Hdt. IX, 110. 32 Str. XV, 1, 13. Diese Passage weist Parallelen auf mit Curt. VIII, 9, 15 und Plin., HN XII, 25. 33 Str. XV, 1, 20. Der Begriff Baumwolle geht auf die griechische Geschichtsschreibung seit Herodot zurück. Hdt. III, 47; III, 106; VII, 65. P. Schneider: L’Éthiopie et l’Inde. Interférences et confusions aux extrémités du monde antique, Rom 2004, S. 202-204; Biffi , wie Anm.

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27, S. 171. 34 FGrHist 133 F 19 = Str. XV, 1, 20. 35 T.S. Brown: Onesicritus: a study in Hellenistic Historiography, Berkeley 1949. 36 FGrHist 134 F 17a = Str. XV, 1, 63-65; F 17b = Plut., Vit. Alex. 65. G. Zuntz: Zu Alexanders Gespräch mit den Gymnosophisten, Hermes, 87, 1959, S. 436-440; R. Stoneman: Naked Philosophers: the Brahmans in the Alexander Historians and the Alexander Romance, JHS, 115, 1995, S. 99-114; M. Albaladejo Vivero, La India [y Etiopía] en la literatura griega. Un estudio etnográfi co, Alcalá de Henares 2005, S. 72-81. 37 FGrHist 134 F 21 = Str. XV, 1, 30. L. Pearson: The Lost Histories of Alexander the Great, New York 1960, S. 106; Biffi , wie Anm. 27, S. 188-189. 38 Dasselbe berichtet Curt. IX, 1, 26. 39 Str. XV, 1, 54. 40 Die Geschichte seines tragischen Endes hat Strabon berichtet Str. XV, 1, 68; Diod. Sic. XVII, 107, 1-6; Plut., Vit. Alex. 69, 6-7 y Arr., Anab. VII, 2, 4 – 3, 1-6. N.G.L. Hammond: Sources for Alexander the Great, Cambridge 1993, S. 130-133. 41 FGrHist 715 F 33 = Str. XV, 1, 59-60. K. Karttunen: India and the Hellenistic World, Helsinki 1997, S. 57-59; Biffi , wie Anm. 27, S. 226-229. 42 Die von Kalanos erwähnten vierzig Lehrjahre stimmen überein mit den sechunddreißig, welche die Gesetze des Manu III, 1 für die erste Phase des brahmanischen Lebens empfehlen. 43 Genauer gesagt das Kapitel IV, 36. 44 Dies ist der Fall bei J. Gil: La India y el Catay, S. 231 Anm. 249. 45 FGrHist 139 F 41 = Str. XV, 1, 61. A.B. Bosworth: Alexander and the East. The Tragedy of Triumph, Oxford 1996, S. 93; Biffi , wie Anm. 27, S. 229-230. 46 Es handelt sich um den oben erwähnten Kalanos. 47 In diesem Fall hat Strabon seine Quelle nicht genannt XV, 1, 70-71. 48 Siehe Anm. 40. 49 PME 13. 50 PME 56, 60, 63. L. Casson: The Periplus Maris Erythraei, S. 235-236. Ebenfalls erwähnt bei Plin., HN VI, 55, 80 und Solin 52, 17. 51 Nahapana Regierungszeit 49 und 59 d. C. 52 J. Desanges: Pline l’Ancien. Histoire Naturelle. Livre VI 4e partie, 91. Siehe auch Str. XV, 1, 73 und Ptol., Geog. VII, 1, 62. 53 PME 48. Ebenfalls erwähnt in Ptol., Geog. VII, 1, 63. 54 PME 61. Zu letzterem: S. Faller: Taprobane im Wandel der Zeit: das Srî-Lankâ-Bild in griechischen und lateinischen Quellen zwischen Alexanderzug und Spätantike, Stuttgart 2000. 55 PME 64, 65. Der Name scheint sich über das Sanskrit, aus Ch’in, dem Namen jener Dynastie entwickelt zu haben, die China im 3. Jahrhundert v. Chr. geeint hat: J. Needham: Science and Civilisation in China I, Cambridge 1954, S. 168-169. Dies ist die erste Erwähnung dieses asiatischen Landes in der klassischen Literatur. 56 L. Casson:The Periplus Maris Erythraei, 213-214; F. de Romanis: Cassia, Cinnamomo, Ossidiana, S. 196-197. 57 Plin., HN VI, 88. Der Beschreibung des Plinius nach wiesen diese seres keineswegs ein asiatisches Ausstehen auf, da sie größer als die normalen Menschen gewesen seien mit blondem Haar, blauen Augen und Stimmen mit ausgesprochen tiefem Klang. In seiner Arbeit “Who were Pliny’s blue eyed Chinese?”, CPhil, 52, 1957, 174-179, hat D. Liebermann diese “Chinesen” als mögliche Bewohner von Westturkestan, Baktrien und Nordindien identifi ziert, die zwischen 200 v. Chr. und 200 n.Chr. Teil eines chinesischen Reiches gewesen seien. Siehe auch P. Schneider: L’Éthiopie et l’Inde, S. 66-68. 58 Ammianus Marcellinus XXIII, 6, 67 wiederholt diese Vorstellung. 59 Mela III, 62. Dieser letzte Hinweis auf die Schifffahrt erinnert an vergleichbare Passagen in Hdt. III, 98; Plin., VII, 21; Solin. 52, 48 und Heliod., Aethiop. X, 4, 6. 60 Mela III, 63. Vergleichbares in Arr., Ind. 16; Curt. VIII, 9, 14; Dionys., Per. 1116.

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