Architekturführer

von MartinWörner, Karl-Heinz Hüter, Paul Sigel, Doris Mollenschott

mit einer Einleitung von Wolfgang Schäche

Siebte, überarbeitete und erweiterte Auflage

Reimer BibliografischeInformationder DeutschenNationalbibliothek DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnet diesePublikation in derDeutschen Nationalbiblio- grafie;detaillierte bibliografischeDatensindimInternetüberhttp://dnb.d-nb.deabrufbar. DieEinleitungvon Wolfgang Schächebasiert in Teilen aufeiner Arbeit,die derAutor unterdem Titel „Baugeschichteund Stadtbildbis 1945“ fürdas Berlin-Handbuchdes Informationszentrums Berlin anfertigte. Kartengrundlagen: Übersichtskartevon Berlin 1:50.000 mitGenehmigung derSenatsverwaltungfür Stadtentwicklung undUmwelt Lektorat undBildredaktion:Janine Krentz,Berlin Umschlaggestaltung:Bayerl&Ost, FrankfurtamMainunter Verwendung vonFotografien von Karl-Heinz Hüterund Janine Krentz Redaktionsschluss: Juni2013 7.,überarbeiteteund erweiterte Auflage2013 Alle Rechte vorbehalten PrintedinGermany ISBN 978-3-496-01380-8 Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung derAutoren ...... 7 Einführung ...... 9

Mitte(Nr.1–192) Bezirkskarte...... 30 Objekte...... 32 (Nr. 193–275) Bezirkskarte...... 136 Objekte...... 138 (Nr. 276–299) Bezirkskarte...... 186 Objekte...... 188 (Nr. 300–419) Bezirkskarte...... 200 Objekte...... 202 (Nr.420–460) Bezirkskarte...... 262 Objekte...... 264 (Nr.461–530) Bezirkskarte...... 284 Objekte...... 286 (Nr. 531–551) Bezirkskarte...... 322 Objekte...... 324 (Nr. 552–577) Bezirkskarte...... 336 Objekte...... 338 (Nr. 578–596) Bezirkskarte...... 352 Objekte...... 354 Weißensee(Nr.597–607) Bezirkskarte...... 365 Objekte...... 366 Schöneberg (Nr. 608–631) Bezirkskarte...... 372 Objekte...... 374 (Nr.632–650) Bezirkskarte...... 385 Objekte...... 386 Neukölln (Nr. 651–688) Bezirkskarte...... 396 Objekte...... 398 (Nr.689–720) Bezirkskarte...... 418 Objekte...... 420 (Nr. 721–748) Bezirkskarte...... 438 Objekte...... 440 /Hohenschönhausen (Nr. 749–779) Bezirkskarte...... 454 Objekte...... 456 Treptow(Nr.780–810) Bezirkskarte...... 474 Objekte...... 476 Köpenick (Nr. 811–830) Bezirkskarte...... 496 Objekte...... 498 /(Nr.831–841) Bezirkskarte...... 508 Objekte...... 510 (Nr. 842–868) Bezirkskarte...... 516 Objekte...... 518 (Nr. 869–937) Bezirkskarte...... 532 Objekte...... 534

Architektenregister...... 570 Baugattungsregister...... 581 Historisches Register...... 591 Straßenregister...... 602 Objektregister ...... 610 Bildnachweis ...... 619 Verfasserregister...... 622 WeiterführendeLiteratur ...... 623 Glossar...... 625 Übersichtsplan mitObjektnummern ...... 628 DieAutoren...... 632 Vorbemerkung derAutoren

DerArchitekturführerBerlinstelltinder nunvorliegendensiebten,grundlegend überarbeiteten underweiterten Auflage937 Gebäudevor.Neu aufgenommenwurdenneben aktuellenund inter- national Aufsehen erregenden Beispielen undProjekten wieden Planungenzum Berliner Schloss – Humboldt-Forum,dem Grimm-Zentrumder Humboldt-Universität oder derPhilologischenBiblio- thek derFreienUniversität zahlreiche weitereprägendeund geschichtsträchtigeBautenaus vergan- genenJahrzehnten,wie etwa der „Tränenpalast“ in Berlin-,das ehemaligeRotaprintgelände im Wedding, dieehemalige Verkehrskanzel am KurfürstendammaberauchzahlreicheWohnhäu- serund Wohnquartiereaus unterschiedlichstenEpochen.Bei derAuswahl derObjekte wurdeein möglichstbreites Spektrum ausverschiedenenBezirken, Baugattungen und-epochenangestrebt, dasdie Vielschichtigkeitder faszinierenden Geschichte undGegenwart Berliner Baukulturaufzei- gensoll. Trotzdem musste dieAuswahl zwangsläufigsubjektiv bleiben; dieLeserinnenund Leser werden hierfürumVerständnisgebeten. Seit demFallder MauerimNovember1989ist Berlin nach jahrzehntelanger politischerSpaltung wieder in seiner Gesamtheit erlebbar.Die städtebauliche undarchitektonischeEntwicklungbeider Stadthälften untergegensätzlichen politischenSystemenhat erhebliche Unterschiede im Stadtbild entstehenlassen, dieindiesemArchitekturführer in seinem breitenund systematisch angelegten Überblicküberdie Berliner Bezirkeausführlich dargestelltwerden. Dabeiliegt – historisch begrün- det – einSchwerpunkt derObjektauswahl aufder historischen BausubstanzinBerlins Mittesowie aufden westlichen Zentrumsbereichen, einweiterer aufden vor1933errichteten Siedlungsbauten. Besonderes Augenmerkwurde auch aufdie zeitgenössischeArchitekturgelegt, istBerlindochin Zusammenhang mitdem Ausbau alsRegierungssitzund durchdie Neubebauunggroßflächiger städtischerQuartiere in derNachwendezeit zu einemMekka derinternationalen Architekturszene geworden.Dochneben denspektakulären Bauten derNachwendezeit sind es heutevor allemauch kleinere Bauprojekte – oftauch vonjungenArchitekturbüros geplant undrealisiert –,die,wie etwa zahlreiche Baugruppenprojekte oder dasmarkanteTreptower Badeschiff,von derungebrochenen Vitalitätder Berliner Architekturzeugen. MitseinemAufbaufolgt derArchitekturführerder Einteilung BerlinsinBezirke undderen Ortsteile, wiesie beider Eingemeindung1920festgelegtwurden; dabeiwurde die2001imRahmeneiner Verwaltungsreformvom Berliner SenatbeschlosseneZusammenlegungeinzelner Bezirkeberück- sichtigt.Das ordnet dievorgestellten Gebäudeentlang vonRouten, sodass beim Lesen – und vorallem beim Spazierengehen – dieArchitektur Berlinsinall ihrenFacettenSchritt fürSchritt so- wieimtopografischenund städtebaulichenKontext erschlossenwerdenkann. JedemObjektist einFotobeigegeben,das – bisauf Ausnahmefälle – dengegenwärtigen Zustandder Häuser doku- mentiert.Die Beifügung vonGrundrissen,Lageplänen, Schnittenu.ä.soll dasbessere Verständnis vonarchitektonischenZusammenhängenfördern.Die Textemit ihrenausführlichen Bauanalysen und –beschreibungen eröffnenhoffentlichvielenLeserinnenund Lesern immerwiederneueZu- gängezur Berliner Stadt- undArchitekturgeschichte. Aufdie Nennungder Mitarbeiterinnen undMitarbeiter derArchitekten musste ausPlatzgründen leider verzichtet werden;die AutorenmöchtenandieserStellejedochdaraufhinweisen,dassein Gebäudeinden seltensten Fällen dasWerkeines Einzelnenist.Wichtig erschien,inzahlreichen Fällen aufdie Bauträgerhinzuweisen,besonders aufdie städtischenodergewerkschaftlich-genos- senschaftlichenWohnungsbaugesellschaften.Ihnen istimWesentlichendie Vielfalt und – im dop- pelten Sinne – dieFarbigkeitder Berliner Architekturzuverdanken. Alle Objektesindindie Bezirkskarten eingetragen, diesobei derStandortbestimmunghelfen. Ein Architekten-,Baugattungs- undStraßenregister sowieein historisches undein Objektregister er- möglicheneinen raschenZugriff aufgewünschte Informationen.

9Einführung

Wolfgang Scha¨ che Zurbaulichen EntwicklungBerlins

Vonden Anfa¨ ngen bisindie Gegenwart

DieStadt sucht, noch ohne genauzuwissen, wassie sucht. Sich selbst?Die Zukunft? IhrenPlatz in der Zukunft, so unerkennbarsie auch ist? DieseUnsicherheitist fast dieVerheißungihrer Zukunft, denn immer warenesEpochenschöpferischerUnruhe, diedie Stadtvoranbrachten.

Wolf JobstSiedler

1. Vorbemerkung

Obwohl diebaulicheEntwicklungder Stadtmehr als800 Jahreumfasst,wirdihr heutiger Stadt- raum strukturellwie physiognomisch im Wesentlichen vonden Überbauungen derbeidenletzten Jahrhunderte geprägt.Weitmehrals diealten europäischen Metropolen Paris, London undWien istBerlindie Stadtdes 19.Jahrhunderts.Als Parvenüunter denmächtigen Hauptstädten vollzoges vorallem in denletzten Jahrzehntenbis zurWende zum20. Jahrhundertseinenatemberaubenden Aufstieg.Bis heuteblieben Tempound Schnelllebigkeit dabeiseine augenfälligenCharakteristika. Damiteinhergehendentfaltetesichbaulich eine „Traditionder Traditionslosigkeit“.Inder Rigidität allenfalls mitden Metropolen derNeuen Welt,Chicago undNew York vergleichbar,gingBerlin stetsbedenkenlos mitseinergeschichtlichen Substanz um undopferte sieeinem rastlosenFort- schrittsglauben. Kein Quartier,keinOrt,keinGebäude,keinMonument warder Stadtheilig. Beinahemit jederGe- neration veränderte sieihrePhysiognomie.Das preußisch-barockeBerlinging in demklassizisti- schenKarlFriedrich Schinkelsauf;die Industrielle Revolution tilgte dasklassizistische Antlitzder Stadtund brannteihr mitseinenFabriken, Bahnhöfen, Warenhäusern,Banken- undVersiche- rungspalästenihren bürgerlichen Stempelein.Das Berlin derJahrhundertwendefandseinenAus- druckdarin,gleichzeitiggrößteVillen-und Mietskasernenstadt derWeltzusein. In den1920erJah- renbildete sich dann dermetropolitane HabitusavantgardistischerArchitektur heraus.Der Rausch dernationalsozialistischenWelteroberungspläne rächte sich in unübersehbaren Trümmerfeldern. DieNachkriegszeitentwickelte schließlichunter demBannerdes „Wiederaufbaues“ eine Tabula-ra- sa-Haltung gegendie beschädigteStadt.Die „Stadtvon Morgen“ gedieh so,durch diepolitische Teilungihres Zusammenhangs beraubt, in zwei konkurrierenden Neubau-Versionen. Währendviele derstädtebaulichen GlanzpunkteimBombenhagel desZweiten Weltkriegeserlo- schen, bliebendie ungeliebtenMietskasernenviertel, diesichwie einundurchdringlicherRingum diealteCityschlossen,zum größtenTeilbestehen. Siewurdenzum charakteristischsten Erbe des Stadtraumes, dessen AnnahmejedochüberJahrzehnte verweigert wurde. Ihre Erhaltungund Revi- talisierungist dahereineder zentralenAufgabenvon Gegenwartund Zukunft. So wiedie Entwicklungdes ausgehenden19. undbeginnenden 20.Jahrhunderts diestädtebauli- chen Voraussetzungenfür dasheutige Berlin herausbildeten,ist dieGeschichtedes Umgangsmit denhistorischen Stadtrestennach 1945 dieunmittelbareGeschichte derbis zumNovember1989 geteiltenStadt.Bis in die1970erJahre bliebdabei die „Traditionder Traditionslosigkeit“ aufbeiden Seiten derMauer konstituierendesMomentder Stadtentwicklung.Sie paarte sich im westlichen Teil mitder vonder politischenRealitätlange Zeit abgehobenenWunschvorstellung einerwieder- vereinigtenHauptstadt, wasjeglicheübergeordnete Planungfolgenschwerbefrachtete.Inder so er- zeugtenDivergenz vonpolitisch determiniertem Planungsanspruch, derstets aufdie Gesamtstadt gerichtetwar,und derRealentwicklung,die dentatsächlichenwirtschaftlichenund sozialen Bedin- gungen derHalbstadt folgte,wurde dieIdentitätder Stadt, dasheißt ihre Struktur,ihreGestalt und ihrurbaner Zusammenhangbis heuteauf eine harteProbe gestellt. Auföstlicher Seitewaren dieaus Planenund BauenresultierendenBelastungen vergleichbar schwer, jedoch vonanderer Natur. Alle Modendes sich als „sozialistisch“ gebärdendenStädtebaues wur- denwährend der40-jährigen DDR-Existenz an derHauptstadt erbarmungslosausprobiert.Vor allemdie geschichtliche Dimensionder Stadt, welche sich allein nuraus demGesamtzusammen- hang ableitbarmacht,wurde dabeiinder Pathologie derstaatlichen Abgrenzung zumTeilbis zur Unkenntlichkeitverzerrt. Einführung 10

So unterschiedlichdie Entwicklungen in denHalbstädten jedoch auch gerieten,verbindet sich im Ergebnis dasuneingelösteVersprechen aufeine „neue Stadt“. Denn im Gegensatzzuden exzessiven Phasen derjüngerenGeschichte, beginnendmit derhitzi- gen „Gründerzeit“ in derzweiten Hälfte des19. Jahrhunderts,bei derenexplosionsartigen Erweite- rungen undVeränderungen dasverworfeneAltestets durchNeues ersetztwurde,blieben dieAbris- se beschädigter Einzelbauten wieganzerStadtteileinder Nachkriegszeit in Ostwie in West oft ohne adäquatenGegenwert.Die bauliche Restitutionund dieStabilisierungder alteninnerstädti- schenGebiete , ihre Reurbanisierungmüssendeshalb nebender behutsamen Sanierungdes Mietskasernengürtelsauchweiterhindas zentrale Problemfeldkünftiger Stadtentwicklungsplanung bleiben. DievornehmsteAufgabe aber wird in Zukunftdarin bestehen,die strukturell-räumliche Verknüpfungbeider Halbstädte wiederdurchgängig herzustellen,welcheMauer undTodesstreifen mehr als29Jahre gewaltsamauseinanderkeilten. Sie – nachder vollzogenenpolitischen Vereini- gung undmehrals 20 Jahren größterAnstrengungen – vollends zu einemBerlinzusammenwach- senzulassen, istganzsichermehrals nureinestädtebaulich-architektonischeAufgabe.Insofern seivor allzuforschen Planungsstrategien gewarnt, die „Jahrhundertchancen“ beschwören undsie mitden großen „Jahrhundertlösungen“ zu beantwortensuchen. Denn Stadtplanung vermochte im 20.Jahrhundert vieles zu bewegenund hatMannigfacheshervorgebracht. Nureinen entschei- denden Nachweis bliebsie bisdatoschuldig, nämlich daszuermöglichen undhervorzubringen, waswir vordem Hintergrundder bürgerlichen Kultur unterStadt verstehen. Siewürde an derhier zu bewältigendenAufgabe einweiteresMal jähscheitern,wollte siedas umfassende Konzeptent- wickeln, nachdem dann diestädtischen Hälftenzusammenzufassensind. DieKomplexität und Ungleichzeitigkeit derverschiedensten Stadträume zu vermitteln,verlangtnachdifferenzierten, je- weilsauf denkonkreten Ortbezogenen Antwortenund kleinteiligerenLösungsansätzen,wobei sich dieStadtplanungdaraufbeschränken sollte,die jeweiligen städtebaulichenOrdnungselemente vorzugeben. DieLösungenkönnenjedochnur dann befriedigend gelingen,wennman – wiedie Entwicklung dermehr alszweiJahrzehnteseitder Wiedervereinigunglehrt – dieGeschichte derStadt annimmt unddie noch greifbaren historischen Bestandteile desStadtraumes zu seinen strukturellen wie maßstabgebendenOrientierungender Erneuerungmacht.Dennder bewusste Umgang mitder Ge- schichte unddie offensive Auseinandersetzung mitihr istintegralerBestandteil desstädtischen Entwicklungsprozesses. Er istkonstituierendfür städtische Identitätund Kultur undbildetzugleich dieBasis qualitativer Erneuerung.

2. Vonder Doppelstadtzur Residenz

Folgtman wissenschaftlichenGrabungen,die sowohl nach demZweiten Weltkriegals auch in den letztenJahrendurchgeführtwurden, geht dieGründungder DoppelstadtBerlin-Cöllnauf dieMitte des12. Jahrhunderts zurück.Esist zu vermuten,dassdie Anlegung derStädtegleichzeitiggeschah, unbekanntist jedoch,inwelcher Form dieGründungenvollzogen wurden. OhnehinsindgesicherteKenntnisseüberEntstehungund Frühzeit Berlin-Cöllnsgering, da der großeStadtbrandvon 1380 dasgemeinsameRathaus zerstörteund mitihm dendortbefindlichen Dokumentenbestandder Schwesterstädte.Esist anzunehmen,dassdie mittelalterliche Gestaltder Doppelstadtdabei derostdeutscherKolonialstädteentsprach,wobei Doppelgründungen im märki- schenRaumnichtsUngewöhnlichesdarstellten. Begünstigt wurdedie Ansiedlung in Berlin undCölln durcheinevon SüdwestennachNordwesten führende Fernhandelsstraßesowie denkreuzendenWasserlaufder . Hier,etwaauf halbem Wege zwischen Spandauund Köpenick,nähernsichBarnimund Teltow aufca. 4km. Vier Talsand- kuppen prägen an dieser Stelle dieTopografiedes Warschau-BerlinerUrstromtals,wobei eine Furt denkräftigen Mittelarmdes geteiltenSpreelaufsdurchzog, wasdie Entstehung vonzweieigenstän- digenSiedlungskernenohneZweifel mitbedingte.Als Siedlungskernauf CöllnerSeite istdabei die Gegend um St.Petri anzunehmen, aufBerlinerSeite dasGebietumSt. Nikolai. Diemittelalterliche Doppelstadtumfasstedie vonSpree undspäteremKupfergrabenumschlossene Insel, diedas Territoriumvon Cöllndarstellte,sowie aufder rechtenSeite desmittleren Spreearms daswenig größereAreal vonBerlin. Bebaut warhierzunächstnur dersüdlicheTeil, denn dernörd- lichebestand ausunzugänglichemSumpfgelände. Dieeinzige Verbindung derDoppelstadt bildete derMühlendamm. Im 13.Jahrhundert kamschließlichdie Neue oder LangeBrückehinzu,auf der sich seit ca.1307das bereitserwähntegemeinsameRathaus befunden habensoll. Eine Stadtmauer fasste dieimgleichenJahrzusammengeschlossenen Städte zusammen. „Oberbaum“ und „Unter- 11 Einführung baum“ sperrten denZugangzum mittlerenSpreelauf.Die Seitenarme umschrieben dieFortifika- tion.FünfStadttore,das Spandauer-,Georgen-, Stralauer-,Köpenicker- undGertraudentor schufen dieVerbindungenzum umliegenden Land. Warender Alte Markt, später Molkenmarkt, unddie St.Nikolaikirche (Nr. 8) zunächst diestädti- schenMittelpunkteBerlins,bildetensichauf CöllnerSeite dieGegenddes späteren Köllnischen Fischmarktes sowiedie PfarrkircheSt. Petrials zentrale Punkte heraus. Sowohl in Cöllnwie in Berlin gabesNiederlassungen derBettelorden.InBerlinwar dieamEnde des13. Jahrhunderts vonden Franziskanernerrichtetedreischiffige Pfeilerbasilikamit einschiffi- gemChorinder KlosterstraßesichtbaresZeichenihrer Anwesenheit. DieKlosterkirche stand dabei in unmittelbarerräumlicherVerbindungzur eigentlichen Klosteranlage. In Cöllnwaren es dagegen dieDominikaner, welche ihrKonventshausund diedazugehörigeKirchedicht an derStadtmauer erbauten.Erinnertandie Berliner Anlage nurnochdie gesicherte Ruineder Klosterkirche (Nr. 17), so istdas CöllnerKloster, einstmalswestlicherAbschluss desspäterenSchlossplatzes, völlig aus demStadtbild verschwunden.SeinAbbruch erfolgte bereitsim18. Jahrhundert. Alseines derbemerkenswertestenBauwerkedes 13.Jahrhundertsist schließlich noch dasander Spandauer Straße in derum1230angelegtenBerlinerNeustadterrichteteHeiliggeistspitalzunen- nen. 1272 erstmals erwähnt, zeugtdie noch bestehende gotische Spitalkapellevon seiner Exis- tenz.ImJahre 1905 säkularisiertund in denNeubauder damaligenHandelshochschule einbezo- gen, dientsie heutedem WirtschaftswissenschaftlichenInstitutder Humboldt-Universität als Mensa. ZumEndedes 14.Jahrhundertswar Berlin-Cölln einblühendes Gemeinwesen, dessen Entwicklung auch durchden schweren Brand von1380keine wesentlicheUnterbrechung erfuhr.Umfangreiche Landkäufe(vonReinickendorfimNordenbis im Süden) ließen dasWeichbild derDop- pelstadt sich um einVielfachesausdehnen,wobei diestadtgrundrissliche Anlage dervon derStadt- mauerumgebenen Kernbereiche zu diesem Zeitpunktdem Aufbau einergotischen Idealstadt nahe- kam: Einnahezu geradliniges,überschaubaresStraßenraster warvon in derRegel giebelständigen Häusernüberbaut, wobeidie stattlichen Türmevon St.Petri undSt. Nikolaidie malerische Sil- houettebestimmten. Dassichinder bisdahin vollzogenenEntwicklungspiegelnde starke städtische Regiment wurde dann jedoch jähdurch dieKurfürstendes Hauses Hohenzollern zunichte gemacht, die1442und schließlich1447/48 derstädtischen Selbständigkeit einEndebereiteten, indemsie Berlin und CöllnzukurfürstlichenResidenzenvon Brandenburgmachten.Damit warzugleichder Zusam- menschluss beider Städte formellwiederaufgehoben. DieWahlder Ratsmitglieder beider Gemein- denbedurftefortankurfürstlicherBestätigung,sämtliche Bündnissemit anderenmärkischenStäd- tenwurdenuntersagt. Sinnfälliger baulicherAusdruckder neuenresidenzlichenFunktionwar dieErrichtungeines Was- serschlosses aufCöllner Gebiet.Das sogenannte Hohe Haus,welchesbis dahinlandesherrlicher Sitz warund denalten markgräflichenHof (ab1261: Aula Berlin)inder Klosterstraße schonim 14.Jahrhundert ablöste, hattesichfür dieneueAufgabe alsungeeigneterwiesen. Schon1443be- gonnen,wurde dasneueSchloss seit 1538 durchCasparTheyß undspäterdurch andere zu einem prächtigen Fürstensitzder Renaissanceausgebaut,auf densichdie kommunal geteilten, jedoch baulichmehrund mehr zusammenwachsenden Städte nunräumlichauszurichten begannen.Bis zumfrühen17. Jahrhundertgediehendie Schwesterstädtesozueinem reputierlichen Markt- und Handelsmittelpunkt im brandenburgisch-mitteldeutschenRaum. Erst derDreißigjährigeKrieg un- terbrach dieseEntwicklung.Belagerungen, Einquartierungen,Kontributionen,vor allemaberPest- epidemienbeeinträchtigtendas städtische Lebenwiederholtauf dasSchwerste. Aber schon1642, noch eheder Kriegbeendet war, begann unterKurfürstFriedrich Wilhelmder planmäßige Auf- undUmbau derdurch denKriegstark verwüstetenStadt,deren Einwohnerzahl vonca. 14.000 im Jahre1590auf wenigerals 7.500zurückgegangenwar.Vor allemdie Vorstädte galt es wiederherzustellen.Sie warenaus Verteidigungsgründen 1640 (BerlinerVorstadt) und1641 (Cöllner Vorstadt)niedergebranntworden. In diesem Zusammenhang fiel alswichtigstestädtebau- licheEntscheidung derAusbaudes ReitwegeszwischenSchloss undTiergartenzueiner breiten, mitsechs Lindenreihen bepflanztenAllee,der späteren Straße Unterden Linden. Ab 1658 wurdeBerlin, dessen Name sich nunendgültig fürdie Doppelstadt durchgesetzthatte, nach Plänen vonGregorMemhardt(1607–1678)zur Festungsstadtausgebaut, Garnisonsstadt war es schonzuvor geworden.Die Ausführung derfortifikativen Anlagennahm25Jahre in Anspruch. AufBerlinerSeitewaren dieFestungswerke vorder altenStadtmauerangelegt, aufCöllner Seite wurden derStadtgraben,der Friedrichswerdersowie diekleineGemeindeNeu-Cölln am Wasser miteinbezogen. Noch heuteerinnern Namenund Lage vonOberwall-,Niederwall- undWallstraße an dieeinstigen Bastionen. IhrVerlauf standjedochschon zumZeitpunkt desEntstehensimWi- Einführung 12

„Grundriß derBeydenChur[fürstlichen] ResidentzStätte Berlin undCölln an derSpree“ vonJohannGregorMemhardt, um 1650 derspruchzuden ab 1662 einsetzenden planmäßigenStadterweiterungen. Während dieFriedrich- werdersche Neustadt – alserste Erweiterung – noch innerhalb derursprünglichgeplanten Festungs- werkelag unddamit unmittelbarandas alte Stadtgebietangebundenwar,befandsichdie ab 1674 zwischen Spreeund derLindenallee (StraßeUnter denLinden) angelegteDorotheenstadtbereits außerhalbder Fortifikation. DieAnlegungder südlichdavon gelegenenFriedrichstadt, ab 1688 in direkter stadträumlicherBeziehung zurDorotheenstadtkonzipiert, wardementsprechend ebenfalls eine Erweiterung „vorden Torender Stadt“.IhrerasterartigeGrundrissfigurgeradliniger, scheinbar unendlicherStraßenfluchten zeigte aber zugleich diekommendeDimension desBauensanund dieneuenstadtbaukünstlerischen Qualitäten,welche sich dann mitder Regentschaft Friedrichs III. am Ende des17. Jahrhunderts vollends durchsetzensollten.

3. DiepreußischeKapitale

Berlin avancierte 1701 zurHauptstadt desKönigreichs Preußen, nachdemsichKurfürstFriedrich III. vonBrandenburg in Königsberg selbst zumKönig FriedrichI.inPreußen gekrönthatte.Schon zuvorbereitete er dieStadt baulichauf ihre neue Funktion vor. Dermachtpolitischeund damitver- bundenestadtkulturelle Aufstieg,durch dieplanmäßigen Stadterweiterungen diesseitsund jenseits der „Linden“ eingeleitet,wurde nundurch bedeutende Einzelbauten,welcheder Stadtsowohl einenneuen Maßstabals auch einneues Profil gaben, sichtbar untermauert. Verbandensichdie erwähntenStadterweiterungennamentlich vorallemmit Johann Arnold Nering (1659–1695)und PhilippGerlach (1679–1748), so waresvor allemdie PersönlichkeitAndreas Schlüters(1659?–1714), diedie künstlerischeQualitätdes barocken Berlinsentscheidendprägte. SchlütersWerke stellten dieerstenherausragendenLeistungeninternationalen Ranges dar, dieinder Stadthervorgebracht wurden,und formulierten einenästhetischenAnspruch, derfür langeZeitzum Maßstabworden sollte.1694nachBerlinberufen,schuf Schlüter alsBildhauer-Architekt währendseinerhiesigen Schaffenszeitbis 1713 u. a. so bedeutende Bau- undKunstwerkewie dasGießhaus(1698–1705), dasPalaisWartenberg(1701–1706)und dasLandhausKamecke (1711/12), welche heutealle nicht mehr vorhandensind. Diefür dieGestalt derStadt bestimmenden Arbeiten aber warenschließlich dasZeughaus(1695 vonNeringund Martin Grünberg begonnen;1699–1710 durchJeandeBodt vollendet; Nr.36) an derStraßeUnter denLinden, dieumfassendeBarockisierung,verbunden mit 13 Einführung

Aus- undUmbau desStadtschlosses(Nr.25) zwischen 1698 und1706(1950/51teilbeschädigtab- gerissen)sowie dieAusgestaltungder Langen Brücke mitdem Reiterstandbilddes „Großen Kurfürs- ten“.War es am Zeughaus dieGestaltungder kolossalen Fassaden mitdem überreichenSchmuck, dieneue ästhetischeDimensionen offenbarte, so beeindruckte dasgeniale Reiterstandbild aufder Langen Brücke (nachPlänenvon Nering alserste steinerne Brücke Berlins1694fertiggestellt) durch seinesensibleBalance zwischen dynamischerKraft undwürdevoller Haltung. DasSchloss mitsei- nerneuen Palastfront, bestimmt durcheinen triumphalenSäulenrisalit – zu derdie LangeBrücke städtebaulichinBeziehung stand –,wurde zumeindeutigen Kraftzentrum derStadt,zum baulichen Mittelpunkt, derden Stadtraumauf langeZeitordnend zusammenfassen sollte. Dasabsolutistische Berlin des18. Jahrhunderts brachteschließlich, in derFolge Schlüters, einen vornehmlichniederländischbzw.französisch beeinflusstenBarockklassizismushervor, derfür das Stadtbildprägend wurde. Architektonisch setzte vorallem unterder RegentschaftFriedrichsII. der Baumeister GeorgWenzeslausvon Knobelsdorff (1699–1753)glanzvolleAkzente.Mit demBau des KöniglichenOpernhauses (heute Staatsoper,Nr. 42)ander Straße Unterden Linden,1740–43,ent- standdas ForumFridericianum (abNr. 45)als neuerstädtebaulicher MonumentalplatzinKorres- pondenzzum Schlossbezirk. DemOpernhaus folgtenseit1748das Palais desPrinzenHeinrichvon Johann Boumann(1706–1776,Nr. 46)sowie dieHedwigs-Kathedrale (Nr. 43), die1773fertigge- stellt wurde. Die(Alte)KöniglicheBibliothek(Nr.44),nachEntwürfen vonChristian Unger(1743– 1812)1775–80 errichtet, vervollständigte schließlichdie Platzumbauung. Mitder Bibliothek wurdezugleichein Hauptwerkdes friderizianischenBarockinBerlinverwirk- licht, welchesfür dieletzten Jahrzehnte des18. Jahrhunderts nach demVorgriff aufden Klassizis- musnocheinmalbestimmend geworden war. Namentlich nach demSiebenjährigenKrieg kames seit 1769 zu einerregen Bautätigkeit,die vorallemder Verschönerungder Stadtdiente. AufKosten desKönigs entstanden eine großeAnzahlsogenannter Immediatbauten – besondersinder Dorot- heenstadtund derFriedrichstadt –,denen (nachrömischem Vorbild ausKupferstichkatalogen) fest- licheFassadenvorgehängtwurden. Großartige Schauarchitekturenwie dieKolonnadenander Mohrenstraße (1787; Nr.97),die am Spittelmarkt (1774) unddie Königskolonnaden (1777–1780) entstanden.Letzterewaren SchöpfungenCarlvon Gontards (1731–1791), dermit denimposanten Turmbauten am Gendarmenmarkt (inZuordnung zurDeutschen undFranzösischen Kirche,Nr. 98)dem StadtraumzweimarkanteAkzentehinzufügte, diegeradezucharakteristischfür dieStadt- silhouette wurden. Städtebaulichwar dieunter GerlacherfolgteErweiterung derFriedrichstadtdie bedeutendste Leis- tung desJahrhunderts. Mitdem umfangreichenAusbaunachSüden 1732–1738 wurdezugleich diealte, viel zu enggewordene Bastionsbefestigunggeschleiftund durcheinedie bestehenden VorstädteeinschließendeZollmauerersetzt.Der erweiterte Stadtgrundriss wurdenun vondrei Torplätzen bestimmt,dem „Quarre“ (Pariser Platz, Nr.72),dem „Octogon“ (Leipziger Platz, Nr.113)imWestenund dem „Rondel“ (Belle-Alliance-Platz, heute: Mehringplatz,Nr. 499) im Süden. Hauptmotiv derErweiterungbildete einStraßenfächer:Lindenstraßeund Friedrichstraße, beideinder Trassierungschon existent,wurdenauf denRundplatz („Rondel“)innerhalb dessüd- lichen Toresder neuenZollmauerzugeführt.Eineneu angelegtedritte Straße,die Wilhelmstraße, vervollständigte dieFächerfigur.Die oftzitierteÜbernahme desPlatzmotivs vonder Piazza del Popolo in Romblieb dabeiimFormalenunvollständig,denneineähnlich monumentaleAusstat- tung wiedie desVorbildes – mitzweiKirchen zwischen denStraßenmündungen – warhiernie intendiert. Außerhalbder Stadtwar derplanmäßigeUm- undAusbaudes westlich BerlinsgelegenenTiergar- tens zu einem „Lustpark fürdie Bevölkerung“ durchKnobelsdorff bedeutsam. Ebenso dieErrich- tung einerReihe vonSchlössern, diesichwie einGürtelumdas Weichbilddes städtischenUmlan- deslegten, wobeiCharlottenburg(Nr.379–381),schon 1695 unterNeringbegonnenund seit 1702 vonJohannFriedrich Eosander vonGöthe (1669–1728)erweitert(undspätervon Knobelsdorff ausgebaut),dabei ohne Zweifeldie herausragendsteAnlagedarstellte. Dasausgehende18. Jahrhundertbrachte,inspiriertvon dengesellschaftlichenEreignissen der FranzösischenRevolution undunter demEindruckder beginnendenIndustrialisierung, auch in derBaukunsteinschneidendeVeränderungen.InBerlinverband sich dieser Aufbruch in eine neue Architekturmit derPersonFriedrich Gillys (1772–1800). Allzujungverstorben undsozum Mythos geworden,stand er füreinen „revolutionären Klassizismus“,getragenvon denbürgerlichenIdealen derRevolutionund durchdrungenvon derPhilosophie derAufklärung. Bliebsein kühner Entwurf einerbürgerlich-emanzipiertenArchitektur,kulminierendinder alsGesamtkunstwerk angelegten Konzeption eines „Denkmals fürFriedrich denGroßen“ am Leipziger Platz, erhabene Utopie,of- fenbarte Karl Gotthard Langhans (1732–1808) – in Gillys Nachfolgestehend – mitseinen Werken fürBerlinderen ästhetischeDimensionimstadträumlichen Kontext. Geradezu alsdafür emblema- Einführung 14

Übersichtzum Hobrechtplan von1862 tischist derBau desBrandenburger Tores(1788–1791;Nr. 71)zubegreifen;als Anspielung aufdie Propyläen, denEingangsbau derAkropolis vonAthen, istesdie Vergegenständlichung desbürger- lich-intellektuellen Sehnsuchtsbildes von „Spree-Athen“. Karl FriedrichSchinkel(1781–1841)aberblieb es vorbehalten, dasklassizistische Berlin „zu bauen“ undder Stadtdamit fürmehr alsein halbes Jahrhundertdie charakteristischen Züge zu verleihen. DerWandel Berlinszueiner bürgerlichenStadt,inder dergroßgrundbesitzende Adel seinepoli- tisch-militärischeKommandofunktion behauptenkonnte, wurde – gerade im Innenstadtbereich – in SchinkelsWerkenmanifest. Bauten wiedie Neue Wache(1816–18;Nr. 37)ander Straße Unter denLinden, das(Alte)MuseumamLustgarten(1822–25;Nr. 28)sowie derUmbau desdortigen altenDoms(1817 und1820–22;Nr. 26), dieBauakademie (1831–35;Nr. 91)und dieFriedrichswer- derscheKirche(1824–30;Nr. 90)bildetenhierbei diearchitektonischen Glanzpunkte. Mitden Stadterweiterungsplänenfür Moabitund dasKöpenickerFeld(im heutigen Kreuzberg) wirkte schließlichauchSchinkelsstädtebauliches Schaffen unmittelbarindie zweite Hälfte des19. Jahr- hunderts hinein. Dasreale Wachstumder Stadtvollzog sich indesbis zurMitte desJahrhundertsnochvornehmlich innerhalbder Stadt- undZollmauernund führte zu einerenormen Verdichtung, diesichschließ- lich auch in diespäterenStadterweiterungenübertrug. Denn die1851verabschiedeteneueKom- munalverfassungenthieltneben demDreiklassenmodusals bedeutsamesund zugleich folgen- schweres Instrument dasHausbesitzerprivileg, wonach 51 %der Stadtverordneten Haus-und Grundbesitzerseinmussten, wasdie Bau- undBodenspekulationenorm begünstigte. Vordiesem Hintergrundentstand1853die „Baupolizeiordnungvon Berlin“,welche in derFestlegung brand- schutztechnischer Minimalforderungen dieMietskasernenviertelermöglichte,die aufder Grund- lage des1862inKraft gesetztenHobrecht’schenBebauungsplanes fürBerlinund Charlottenburg sich in derFolgezeit biszur Jahrhundertwendegürtelartig um dieStadt legten,die „größte Miets- kasernenstadtder Welt“ entstehenließenund denRuf des „steinernenBerlins“ (WernerHege- mann)provozierten. 15 Einführung

4. DieHauptstadtdes Kaiserreiches

Mitder Reichsgründung 1871 wurdeBerlinzur Reichshauptstadt befördert. Beeinflusstvon derra- santen industriellenEntwicklung, dieBerlinschon zuvorzur größtenund wichtigsten Industrie- stadtDeutschlandsgemacht hatte,vollzog sich einexplosionsartiger Aus- undUmbau derStadt, derenStrukturund Gestaltdabei vollkommen verändertwurden. Um denTransport vonGütern undPersonensicherzustellen,entstandenNah-und Fernverkehrsnetze,Wasserstraßen wurden ka- nalisiertund Chausseengebaut. Bahnhöfe,Häfen,Markthallen,Waren-und Kaufhäuser sowieHo- tels bildeten dieneuen Orte großstädtischerKonsumtionund Distribution;Fabrikanlagen wurden ausder Erde gestampft. Undmit derindustriellen Arbeit kamdas ländlicheProletariat in denstädti- schenBallungsraumumBerlinund verlangtenachbilligemWohnraum. Seit ca.1890beganndie Stadtmit densichgleichzeitigausdehnendenNachbarstädten undGemeinden wiezum Beispiel Charlottenburg,Wilmersdorf,Schönebergund Rixdorf(später Neukölln)zusammenzuwachsen. Das „steinerneBerlin“ verdichteteseine Baublöckebis zurSättigungsgrenze, vorallem in denArbei- terviertelnder heutigen BezirkeFriedrichshain, Lichtenberg, Weddingund Kreuzbergmit ihren lichtlosen,engen Hinterhöfenmit Quergebäuden undSeitenflügeln.Inden beengten Wohnungen hausteninder Regelmehrere Familien,die oftzusätzlichnochSchlafburschen undUntermieter aufnahmen. DieBevölkerungimAgglomerationsraum Berlin expandiertezwischen1871und 1900 vonca. 900.000auf mehr als2.700.000 Einwohner. DieKritikanden unhaltbarenZuständen in denMassenquartierenführteschließlich 1892 zu einer differenzierteren „Baupolizeiordnungfür dieVororte Berlins“,die dasweitere Wachstum derStadt besser regulieren sollte.Einen weiteren bedeutsamenSchritt zurVerbesserungder großstädtischen Verhältnisse stellteder 1907 ausgeschriebeneWettbewerb „Groß-Berlin“ dar, dessen Aufgabees war, deninzwischenauf ca.3.500.000 Einwohnerangewachsenen städtischenRaumdes späteren Groß-Berlinneu zu ordnen undihm einzusammenhängendesGefügezugeben.Die bedeutsamen Ergebnisse dieser Ausschreibung, dieinder AllgemeinenStädtebauausstellungvon 1910 (der ersten großen Berliner Bauausstellung mitinternationaler Beteiligung) vorgestelltund diskutiert wurden, warenzugleicheineKampfansage an dasSpekulationsobjektMietskaserne. Wenn auch diedirekte Umsetzungder Vorschläge durchdie Kriegsereignisseversagt blieb, stellten dieThemenund Er- gebnisse derAusstellung doch dieinhaltlichenWeichen fürden Berliner Städtebauder 1920er Jahre. Gleichwohl bleibt festzuhalten,dassBerlinimZeitraum zwischen 1890 und1910seinefür das 20.Jahrhundert bestimmenden städtebaulichenCharakteristika herausbildete. Währenddie Innenstadt,vor allemdie Friedrichstadt,sichzueinem dichtenGeschäfts-und Ver- waltungsviertelentwickelte, setzte sich zugleich derschon in derMitte des19. Jahrhunderts begon- nene „ZugnachWesten“ verstärktfort. DieHerausbildungneuer Stadtviertel fürmittlereund ge- hobenere Bürgerschichtenwar dieFolge.Die Luxusbebauungendes Kurfürstendammesund seiner Nebenstraßen sind hierfürexemplarisch, wieauchdie Wohngegend um denLietzenseeund am Kaiserdamm in Charlottenburg oder dasBayerischeViertel in Schöneberg sowiedas Rheinische Viertel(Nr.426)inWilmersdorf. Parallel zu denstädtischen Wohnvierteln bildeten sich vonGrunewald über bisnach WannseeweiträumigeLandhaus- undVillenviertelheraus, in denenander Peripherie derStadt das „Lebenauf demLande“ gepflegt wurde. Berlin verkörpertezur Jahrhundertwendegleichermaßen die „versteinertste wiegrünste Millionenstadt desKontinents“. DieArchitektur dieser Epoche wardabei schnelllebig undvielgesichtigwie diegesellschaftliche Si- tuation. Zwischen Rückschrittund Aufbruch,zwischenHistorismus undModerne spanntesichein grandioser Bogenbaulicher Formen-und Gestaltwelten. DieWidersprüchlichkeitender Zeit offen- barten sich zumBeispielimWerkFranz Heinrich Schwechtens(1841–1922). MitseinemAnhalter Bahnhof(1876–80;Nr. 524),der „Mutterhöhleder Eisenbahn“–wieihn Walter Benjamin einmal bezeichnete –,schuf er eine Architekturdes technischen Aufbruchswie gleichermaßenmit der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (1891–95;Nr. 304) höfischelmponierbaukunst. Ludwig Hoff- mann (1852–1932), zwischen 1896 und1924Stadtbaurat vonBerlin, prägte dagegenwie kein Zweiterdas „kommunaleBerlin“ derKaiserzeit miteiner Vielzahl vonSchulen,Krankenhäusern, Feuerwachen, Badeanstaltensowie städtischenVerwaltungsbauten.Mit seinem Rudolf-Virchow- Krankenhaus(1898–1906;Nr. 279),dem Märkischen Museum (1896–1908:Nr. 130),dem NeuenStadthaus (1902–11;Nr. 11)und demMärchenbrunnen(1901–13)setzteHoffmann be- stimmendeAkzente in dieStadtlandschaft.Erund Alfred Messel (1853–1909), derArchitektdes Wertheim-Warenhauses am LeipzigerPlatz (1896, 1899/1900) undSchöpferdes Pergamon-Mu- seums (1909–30;Nr. 32), gingen in ihrer „Architekturder Reduktion“ denerstenentscheiden- denSchritt aufdem Wege zu einerneuen Architektur, diedie Geschichte produktivfortzuschrei- Einführung 16 benvermochte.Ihr standen diepathetische Monumentalbaukunst desneuen Berliner Domes (1893–1905;Nr. 26)amLustgartenvon Julius Raschdorff (1823–1914)sowie Paul Wallots (1841–1912)gewaltigerReichstagsblock (1883–94;Nr. 273) gegenüber, dessen Platzierungam Königsplatz(heutePlatz derRepublik) zugleich denVersuch darstellte,der Stadteineneue, eine republikanischeMitte zu geben. PeterBehrens (1868–1940)schließlich weistmit seinen epoche- machendenBautenfür dieAEG an derBrunnenstraße(1910–12;Nr. 295) sowieder Turbinen- halleander Huttenstraße (Nr. 248) in (1908–11)den Wegzur Architekturdes 20.Jahr- hunderts.Erwurde damitzum „Vaterder Moderne“,die dann später vieleNamen hatte.

5. Vonder Hauptstadt zurWeltstadt:das republikanischeBerlin

DieNot derNachkriegszeitforcierte dieschon seit 1908 verfolgteIdeeder administrativenZusam- menfassung desverstädtertenBallungsraumesBerlin. 1920 erfolgte schließlichder Zusammen- schlussder dieStadt umgebenden 93 Städte,Landgemeinden undGutsbezirke zurEinheitsgemein- de „Groß-Berlin“ undließdiese – hinter London – zurflächenmäßigzweitgrößtenStadt Europas aufrücken. In den1920erJahrenentwickeltesichjene „neue“ StadtBerlinaus derNachkriegs- depression zu dervitalen,weltoffenen Metropole, dienochheute gern beschworen wird. In Ermangelungfinanziellerund wirtschaftlicher Möglichkeiten bliebdas Baueninden ersten Jah- rennachKriegsende aber aufdas Abenteuerdes Entwurfs beschränkt.Dabei entwickeltesichdie StadtbinnenkurzerZeitzum „avantgardistischen Nabelder Welt“.Hierwirkten undbautenu.a. Hugo Häring (1882–1958), (1883–1969), Ludwig Mies vander Rohe (1886–1969), Brunound MaxTaut(1880–1938 und1884–1967), Martin Wagner (1885–1957)und Hans Scha- roun (1893–1972)neben dengroßenMeisternexpressionistischer Baukunst wieErich Mendelsohn (1887–1953)und Hans Poelzig(1869–1936). Eine stattliche Anzahl vonEinzelbautender genann- tenProtagonisten,wie zumBeispieldas Haus desRundfunks (1929–31;Nr. 345) vonPoelzig, MaxTauts Verbandshaus derDeutschen Buchdrucker(1925;Nr. 487),das StrandbadWannsee (1929/30;Nr. 923) vonWagnerimZusammenwirkenmit RichardErmisch (1885–1960)sowie das 1926–28 errichtete ehemaligeUniversum-Kino(heuteSchaubühneamLehninerPlatz;Nr. 460) vonMendelsohnzeugennochheute vonder enormenVielfältigkeitund demhohen gestalteri- schenNiveaudieserZeit. So ästhetisch wiefunktionalfortschrittlichdie architektonischenund städtebaulichenUtopien der Avantgarde warenund wieintensivsie dienachfolgende internationale Debatteauch anregten undbefruchteten, erfasstensie in ihrertotalen Ablehnungder Geschichte diekonkreten Probleme derGroßstadt jedoch nurunzureichend. Auch undgeradeauf demGebietdes Wohnungsbaues zieltendie Ansätzeinihren Ergebnissenanden eigentlichen sozialen Aufgabenstellungen derZeit vorbei.Denndie beispielhaften Lösungen derdurchgrünten, luftigen undmit Gemeinschaftsein- richtungen (wie Waschküche,Trockenraum etc.)ausgestattetenMustersiedlungen derWeimarer Republik,die vonden genossenschaftlichen bzw. gewerkschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften alsAntwort aufdie „Stadtdes 19.Jahrhunderts“ nach denPrinzipien „Licht, Luft undSonne“ an derstädtischen Peripherie errichtetwurden, ignoriertendie Problematikder real existierendenMas- senquartiere derArbeiterviertel undvermochtenderen Verhältnisse um keinen Deut zu verbessern. Die „Onkel-Tom-Siedlung“ (Nr. 893) in Zehlendorf,die „WeißeStadt“ (Nr. 689) in Reinickendorf, die „Ringsiedlung“ (Nr. 383) in unddie „Hufeisen-Siedlung“ (Nr. 675) in Britzgelten heutewie damals dennochals hervorragendesoziale wiestädtebaulicheund architektonische Leis- tungen.Demgegenüberrufen dieaus ökonomischen Gründenunrealisiertenrigorosen Neu- und Umbaupläne fürdie zentralenBereicheder Innenstadt (Wettbewerbefür Alexanderplatzund Pots- damerPlatz sowieden Platzder Republik unddie Straße Unterden Linden)dieserZeitheute zu- nehmende Skepsishervor. Darüber hinaus bleibt festzuhalten,dassesander Realität vorbeigehenwürde,die bauliche Ent- wicklung Berlinsinder Weimarer Republik aufdie Avantgarde zu verengen.Sie hatteamGesamt- baugeschehen nureinen bescheidenen Anteil.Dagegen wardas „alltägliche Baugeschehen“ durchgängigvon konservativ-traditionalistischen Bauauffassungen geprägt,wie siebeispielsweise im „Zehlendorfer Dächerstreit“ in derBebauungamFischtalgrund (Nr. 895) programmatisch gegenBruno Tauts, Hugo Häringsund Otto R. SalvisbergsSiedlungshäuserzum Ausdruck kom- men. 17 Einführung

6. VonBerlinnach„Germania“: dienationalsozialistischeReichshauptstadtund ihre Zersto¨rung

Mitdem 30.Januar1933, demTag dersogenannten Machtergreifungder Nationalsozialisten, setz- te fürBerlineinePhase ein, dieschließlich mitder physischen VernichtungweiterTeile derStadt endete.Ausgerechnetdie Stadt, derenBevölkerungder NSDAPbis 1933 (und zumTeilauch noch danach)bemerkenswerten Widerstand entgegensetzte,hatte in derFolgezeit des „DrittenReiches“ (und letztlichinden Auswirkungen bisindie Gegenwart) am schwersten unterder Hypothek der NS-Herrschaftzuleiden. Zunächst jedoch bliebdie politische ZäsurimBereich derBau-und Planungsentwicklungohnedi- rekteAuswirkungen. Im Baubefindliche Objektewurdenweitergeführt,zurückgestellte Vorhaben ausder Zeit vor1933imRahmender Arbeitsbeschaffungspro-gramme reaktiviert. Daskonzeptio- nellewie formaleSpektrumder Architekturwar dabeibreiter gefächert, alsvon derNS-Propaganda suggeriert undvon derBaugeschichts-schreibungpostumbehauptet wurde. Gleichwohl hattedas Baugeschehen insgesamtzunächst einvergleichsweise bescheidenes Volumen. DerHochbau-

Modell derNord-Süd-Achse, demKernbereichder „Neugestaltungsplanungenfür dieReichshaupt- stadtBerlin“ („Germania“), 1942 Einführung 18 bereicherschöpftesichvornehmlich in einigenpropagandawirksamen Großbauten wiedem Reichsbankerweiterungsbau(heuteKernbereich desAuswärtigen Amtes, 1934–40;Nr. 93)von Heinrich Wolff,dem Reichsluftfahrtministerium (heute Bundesfinanzministerium,1935–36;Nr. 115) unddem ZentralflughafenBerlin-Tempelhof(1935–39;Nr. 632) vonErnst Sagebiel sowieden Anlagendes sogenanntenReichssportfeldes mitdem Olympiastadion (1934–36;Nr. 359) vonWer- nerMarch.Der Wohnungsbauspielte hingegen eine untergeordnete Rolle. Mitder ab 1937 zumTragenkommenden,auf Expansionabzielenden Außenpolitik vollzogsich auch eine nachhaltige Veränderungdes Berliner Baugeschehens. Siefindetihren administrativen Ausdruck in derEinsetzung Albert Speers als „Generalbauinspektorfür dieReichshauptstadtBerlin“ (GBI). UnterseinerLeitung wurdeimVorgriff aufdie Raubkriege Berlin planerisch zurWelthaupt- stadt „Germania“ ausgebaut. DieindiesemZusammenhang entwickelteArchitektureiner mons- trösen Nord-Süd-Achse vollzogdabei inhaltlich wieformaleinen qualitativen Sprung.Kennzeich- nend war, dass sie, im Gegensatzzuden Bauten dererstenPhase,weitgehend keinen praktischen Gebrauchswertmehrhatte,sondern primär herrschaftstechnischeFunktion. Dersoziale Auftrag bliebhierbei ausgeklammert. DieArchitekturwar aufStaats- undParteibautenmemorialenCharak- ters konzentriert, diedie Kulissen fürdie kultischen Inszenierungen desNationalsozialismus bilden sollten. Währenddie GBI-Planungensichbis aufwenigeBeispiele(einige BotschaftsgebäudeimTiergarten- viertel) aufdie Zerstörung desBestehenden beschränkten, initiiertedie Stadtverwaltungbis in die 1940er Jahrehinein dienochheute im StadtbilderfahrbareNS-Architektur.Diese istinihrer Aus- richtung im Prinzipals Teil einersichfortschreibendenEntwicklung zu begreifen, diesich – wur- zelndinden Konventionen traditionalistischer Baukultur – bereitszuBeginndes 20.Jahrhunderts herausbildeteund schließlich über 1945 hinaus ihre Gültigkeit behielt. Exemplarisch dafür stehen dienochheute existierende,zwischen 1935 und1943entstandene Bebauung desFehrbelliner Platzes(Nr.456)inWilmersdorf sowiedie bereitserwähntenBautendes Flughafens Tempelhof (Nr. 632) unddes ehemaligen Reichssportfeldes(Nr.359)inCharlottenburg. Bliebendie Zerstörungen des „kaiserlichen Berlins“,bezogen aufdie Innenstadt,unter demBanner desFunktionalismusder 1920er Jahrenur planerischer Fiebertraum, begannen dieSpeerschenAb- rissspezialisten bereitsrealmit derDemontage ganzer Stadtteile wiedem Bereichdes heutigen „Kul- turforums“ (Nr. 205) oder desSpreebogens am ReichstaginTiergarten. Diebewusst geplante Liqui- dierungdes bestehendenBerlins zugunsten „Germanias“ fand im Bombenkriegihreungeplante grausame Fortsetzung. DiePolitikdes Weltenbrandesendeteschließlich in dertotalen Kriegsniederlage und, alsderen Re- sultat,inder TeilungDeutschlandsund seiner Hauptstadt Berlin.

7. DieNachkriegszeit: Wiederaufbau oder Neubau?

Dieerste Phaseder NachkriegsentwicklungBerlins umfasste denZeitraumzwischen 1945 und 1949.Während dieser vier Jahrenachdem politisch-gesellschaftlichen Zusammenbruchdes natio- nalsozialistischen TerrorstaatesexistierteBerlinnochals Einheit. DaswiedererwachendeLeben in derzertrümmertenStadt vollzogsichzunächstunter derKontrolle derRoten Armee, diedie militä- rische Niederlage der „FestungBerlin“ vonaußen herbeiführte,ohnevon innenHilfe erwarten zu können.AbSommer1945waren es dann nebenden Sowjetrussen Amerikaner,Britenund Franzo- sen, dieals Besatzungsmächte nach Berlin kamen. DieStadt wurdedementsprechend hoheitlich in vier Sektoren aufgeteilt. Dassobesetzte Berlin glichzudiesemZeitpunkt in vielen Teilen einerTrümmerlandschaft:Von denca. 245.000Gebäudender Stadtwaren 11,3 %total zerstört und8,2 %schwerbeschädigt. Wei- tere 9,3%wurdenals mittelschwer beschädigt,aberaufbaubar eingestuft;als nurleichtbeschädigt undweitgehenduneingeschränktnutzbar galten hingegen 70,1 %der gesamten Bausubstanz. Die höchsten Schadenswertewiesendabei dieInnenstadtbezirkeMitte undTiergartensowie Kreuzberg auf. DerAufbaueiner zivilenAdministrationbegannbereitswenigeTagenachder Kapitulation.Unter derÄgide derRoten Armeewurde einneuer Berliner Magistratgebildet; zumerstenLeiterder Abtei- lung Bau- undWohnungswesen bestellteman Hans Scharoun. Angesichts derverheerendenZerstörungengaltes, grundlegende Aufbauplänezuentwickeln, die diekünftigen städtebaulichenOrientierungen vorgeben sollten. Gleichwohl warangesichtsder po- litischenSituation diekünftigeRolle Berlinsnochkaumdefinierbar.Für dieArchitekten undPlaner bedeutetedie Unsicherheit über diekünftigeEntwicklung diekonkreteChance, ihre Ideale der 19 Einführung

„Stadtder Zukunft“ aufdem Plan voll entfaltenzukönnen. DieseZeitstellte sich deshalb alseine fürstädtebaulicheExperimente bzw. radikale Neuerungen fruchtbare Phasedar.Indem dieavant- gardistischenLeitbilderder 1920er Jahrewiederzur planerischenMaximegemacht wurden,glaub- te manjedochbereits,das gesellschaftliche Erbe desNationalsozialismus (städtebaulich-architekto- nisch) „bewältigt“ zu haben. DerVorstellung deraufgelockertenund entmischtenStadt,die gegen dieMietskasernenstadtdes 19.Jahrhundertsgesetzt wurde, kamendie Kriegszerstörungendabei durchausentgegen. DerBombenhagel desZweiten Weltkriegs hatte „willkommene Vorarbeit“ ge- leistet. Hans Scharoun sahindem, „wasblieb,nachdem Bombenangriffeund Endkampf eine me- chanische Auflockerung vollzogen(haben),[…]die Möglichkeit, eine Stadtlandschaftzugestalten“. Hans JosefZechlin frohlockte,dass „erfreulicherweise […]zur Fülleder Verlusteauchdie Mengedes Verfehlten undHäßlichen (gehört),sodassder Städtebauermanches Ruinenfeld mitwehmütigem Lächelnbegrüßt“. Betrachtet mandiese Planungennachder oftbeschworenen „Stunde Null“,soist festzustellen, dass,obschon vongraduellunterschiedlichen Ansätzen getragen,sie alle nichtWiederaufbau, son- dern Neubau meinten! Der altenverdichtetenStadt wurdedie neue unversöhnlichentgegen- gestellt.Sowohlder 1946 unterLeitung Scharounserarbeitete „Kollektivplan“ alsauch dersoge- nannte „Zehlendorfer Plan“ vonWalterMoest undWilli Görgen belegendies: Propagiert dereine dieaufgelockerte „Stadtlandschaft“,setzt derandereauf dieverkehrsgerechteStadt,wennerauch vonseinenAutoren als „Sanierungsplan“ begriffen wird.Auch andere Vorschläge,wie diearchitek- tonischambitioniertenAufbaupläne MaxTauts,bewegtensichqualitativimvergleichbarenRah- men. Nurder 1947 vonKarlBonatz(Nachfolger vonScharounals Leiter derAbteilung Bau- und Wohnungswesen) undRichard Ermischvorgelegte „Neue Plan vonBerlin“ botdazueinescheinba- re Alternative: In derEinschätzungder absehbaren wirtschaftlichen Möglichkeitenbezog er die überkommene Stadtweitgehendmit ein. Aber auch Bonatz undErmisch bejahten dasVorhandene nichtkonzeptionell,sondern fanden sich in pragmatischer Abwägung derbeschränktenGegeben- heiten nurmit ihmab. „Dassteinerne Berlin“,das Werner Hegemann schon1930sounerbittlichpauschalisierendanden Pranger stellte, hatte in diesen Jahren keinen ernsthaftenFürsprecher. Allein ErnstRandzio warnte angesichts derradikalenNeubaupläne vorder allzuleichtfertigenZerstörung derkriegsverschonten Teileder Stadt, besondersder nurwenig beschädigten unterirdischenStadtstruktur. Alldie großen Pläneder ersten Nachkriegsjahremussten letztlichaufgrundder bescheidenen wirt- schaftlichen MöglichkeitenMakulaturbleiben.Inder Realität setzte sich weitgehend dieInstand- setzungdes Überkommenendurch.Neben Enttrümmerungenbestimmtenallerorts in derStadt die „Herstellungvon Schutzabdeckungen, Notdächern,(das) Schließenvon Einschussöffnungen undVernageln vonFensteröffnungen“ dasalltägliche Baugeschehen.Für Neubautenfehlte es noch an Geld,Baumaterialienund funktionierendenBaubetrieben. DiezweitePhase derNachkriegsentwicklung wurdedann durchdie politische Spaltung derStadt eingeleitet. Londoner Konferenz(1947), Währungsreform undBlockade (1948) bildeten dieent- scheidendenEreignisse, dieder politisch-administrativenTeilung 1949 vorausgingen.Obwohl Berlin seinen stadträumlichenZusammenhangals Ganzes behielt, entwickelten sich dieTeilstäd- te,jeweils ihrengesellschaftlichunterschiedlichenPrämissen folgend, nunbaulich voneinander weg. Politischund wirtschaftlich koppelte sich Berlin (West) an diesoebengegründeteBundesrepublik an.Der Hauptstadtfunktionberaubt undvom Hinterland abgeschnitten, erlebteesinder Folgezeit denrasantenAusbauzum „Schaufenster derfreienWelt“,wirtschaftlichdie Einbeziehung in den Marshallplan,die Grundlagedes „Wiederaufbaus“.Seine Politikwurde dabeistets vonder gegen denOsten gerichtetenwestlichenAußenpolitikbestimmt. WährenddieserPhase des „Kalten Krie- ges“ zwischen denentzweitenGroßmächtenblieb es „Hauptstadt in Wartestellung“. VonsolchenPrämissen wurdeauchdie Bau- undPlanungspolitik undderen Realisierung be- stimmt.Waren dieerstenJahre,aufgrundder wirtschaftlichen undsozialenVerhältnisse, darauf reduziert, Instandsetzungen zu betreiben, wurdedie Improvisationnun durchden propagierten „Wiederaufbau“ abgelöst.Die unterdem Leitbild der „aufgelockerten undgegliedertenStadt“ aus- gerichtetenBauprogramme, dieimRahmendes Sozialen Wohnungsbaus entwickelt wurden,ver- wirklichtennun städtebaulichdie bereitsinden späten 1940er Jahren angekündigtenPlanungs- strategien widerdie Mietskasernenstadt. Vordem Hintergrundeiner sich sozial gebärdendenArchitekturverknüpftesichder Kampfgegen dieStadt des19. Jahrhunderts mitder ästhetisch zumTeilunreflektierten Adaption desVokabu- lars derModerne bzw. derenunkritischer, zumeistepigonenhafterFortschreibung.Siedlungenwie dieErnst-Reuter-Siedlung im Wedding, dieOtto-Suhr-SiedlunginKreuzberg,die Siedlung - SüdinNeuköllnund,inbeschränktemMaße, auch dasBayerischeViertel in Schöneberg zeugen Einführung 20 noch heutedavon. Einzig derstädtebaulicheAnsatzHansScharouns mitseiner Idee derWohn- gehöfte in Siemensstadt (1957–60)stellte dazu eine wirkliche Weiterentwicklungder Siedlungs- konzepte der1920erJahre dar, ohne jedoch vollends derenhohegestalterischeQualitätzuerrei- chen. Zeitlich parallel zu derartigen Siedlungsprojekten wurden flächenräumendeAbrisskampagnen durchgeführt,die unterdem Motto „Abriss fürden Wiederaufbau“ zumeistohnemateriellen Ge- genwertfür dieStadt blieben. DerrealenDemontage der(beschädigten) Stadtund derdamit ver- bundenen Zerstörung ihrerurbanen Identitätstand allein daspolitischbestimmende Versprechen einerneuen Hauptstadt,der Hauptstadt eineswiedervereinigtenDeutschlandsgegenüber. Währendalsodie in Berlin (West) gelegenentraditionellenKerngebiete währendder 1950er Jahre abgeräumtwurden(Tiergartenviertel, Friedrichstadt), um siefür künftige Hauptstadtaufgaben vor- zubereiten,auf diesichdie Planungprimärkonzentrierte,entstand,den verändertenstädtischen Gegebenheitenfolgend, eine kommerzielle,kulturell durchwirkteWest-City um Kurfürstendamm, BahnhofZoologischerGarten(Nr.303), Hardenbergstraße undErnst-Reuter-Platz (Nr. 404),die vonoffiziellerSeite nurhalbherzigakzeptiertwurde.Als historisch entwickeltes Subzentrum wurde siehingenommen, manvermied es aber hartnäckig,sie auch unterGesichtspunkten derStadtent- wicklung zurneuen West-BerlinerMitte zu erklären unddamit diepolitisch-inhaltlichen Vorgaben füreineentsprechende Entwicklungsperspektivefestzulegen.Demzufolgeinitiierten privatwirt- schaftlicheInteressengruppen diegroßenimpulsgebenden Wettbewerbsverfahren, welche Teil- bereiche desWest-City-Gebieteszum Planungsgegenstand hattenund denenzum Teil bemerkens- werteBebauungenfolgten. Exemplarisch sind dazu dervon derDOB veranstalteteWettbewerb „Rund um denZoo“ vomEnde der1940erJahre,das 1952 ausgelobte Verfahrender Allianz-Versicherung,welchesdie Neugestal- tung derEckeJoachimstaler Straße/Kurfürstendamm(Nr.314)zum Ziel hatte, sowieder 1954–55 durchgeführteWettbewerbzur Bebauung dessogenanntenVictoria-Arealsmit demKranzler-Eck (Nr. 313) unddem Bilka-Kaufhaus (heute Karstadt-Sport,Nr. 312) zu nennen. Beiall diesen Initiativenerwiessichdie zuständige Bauadministrationaufgrundihrer politischde- terminiertenGesamtstadt-Perspektive alsunbeweglich. Diesichdarin offenbarendeUngleichzeitigkeitvon Planungsanspruchund Realentwicklungcha- rakterisiert dabeisinnfälligdie damals politischbestimmte StadtentwicklungsproblematikBerlins (West).Sie fand ihreninstrumentalisiertenAusdruckindem fürdie ganzeStadt angelegten mons- trösen Schnellstraßenkonzept, dasseit1956verfolgtwurde. In diesem Zusammenhang wurdeauchdie 1957 veranstaltete „“ alsein Demonstrations- vorhaben mitModellcharakterinszeniert. Propagandistisch warsie in Anlage undarchitekto- nischerAusformungprogrammatische Antwortauf dieStalinallee(heuteKarl-Marx-Allee,Nr. 537) des „Nationalen Aufbauprogrammes“ Berlin (Ost); stadtplanerisch dieGeneralprobe der „Stadtvon morgen“,die im Wettbewerb „Hauptstadt Berlin“ desgleichenJahresihreendgültigeAusformulie- rung finden sollte. Im Gegensatzzuden vorausgegangenen Bauausstellungen von1910und 1931 – aufderen Traditi- on mansichexplizitberief, diejedochihreIdeen undKonzepteinZeichnungen undModellen präsentierten – wurdeder „Interbau“ dieRealisierungihres Konzeptesermöglicht. Vondem postu- lierten „Wiederaufbau“ Berlinsthematischnicht zu lösen, sollte dieAusstellung zur „größtenarchi- tektonischen undbauwirtschaftlichen Schau seit Jahrzehnten(werden)und […]zeigen, wo wirste- henund wohinwir wollen“.AmAufbaueines zerstörten Stadtviertelssolltedemonstriertwerden, wieman sich denkünftigen Umgang auch mitbestehenden Stadtstrukturendachte. DieAusstel- lung sollte „sich über allesGeweseneund Bestehende hinwegsetzen undein kühnes,sicherbei- spielhaftesExperiment“ zeigen. AlsAusstellungsgebiet wählte mandas nahezu vollständig zerstörteHansaviertel(Nr.240)inTier- garten aus. FürdessenstädtebaulicheNeuordnungwurde 1953 einWettbewerbausgeschrieben, dersichnicht nurmit derbaulichen Gestaltung auseinandersetzte,sondern auch eine realisierbare Bodenneuordnungeinbeziehen sollte.Die Planungsah dieAuflösung derehemaligenBlockstruk- turenvor,die Anordnungvon verstreutplatzierten Einzelgebäuden, dieden Tiergarten in das Wohngebiet integrierte. DenKonzepten der1920erJahre folgend, sollte derengen Stadtdes 19.Jahrhunderts eine weitläufige, gutbesonnteund belüfteteSiedlungimGrünenentgegengestellt werden. 54 Architektenaus 13 Ländernwaren aufgerufen,das Hansaviertel baulichzugestalten.Die beauf- tragtenArchitekten verkörperten diedamaligeinternationalePlanerelite.Sobautenu.a.Alvar Aalto (Nr. 242),WalterGropius (Nr. 241),Oskar Niemeyer (Nr. 243),ArneJacobsenund Pierre Vago. Auch außerhalb desAusstellungsarealswurdenbeispielhafte Bauprojekterealisiert, dieindie Schau miteinbezogenwordensind. Nach Plänen Le Corbusiers entstand am Olympiastadion dieUnité 21 Einführung d’habitation „TypBerlin“ (Nr. 358),und Hugh Stubbins bauteinZusammenarbeit mitWerner Düttmann alsBeitrag derUSA zurAusstellung dieKongresshalle (jetzt:Hausder Kulturen derWelt; Nr.271)imTiergarten. Darüberhinausfandenu.a.der Wiederaufbau desSchillertheaters(Nr.406), derNeubauder Amerika-Gedenkbibliothek (Nr. 484) am Blücherplatz in Kreuzberg, dieBautenfür dieFreie Universität(Henry-Ford-Bau undMensa;Nr. 892, Nr.889), das17-geschossigeGebäude desSenatorsfür Bau- undWohnungswesen unddas 15-stöckige Wohnhochhaus am Roseneck (Nr. 434) noch besondereBeachtung. Im Ostteilder Stadthingegen wurdeineiner massiven Folgevon Projektenund Wettbewerben das Zentrumder „Hauptstadt derDDR“ thematisiert.Inder offiziellenplanerischenBeschränkungauf dasstädtischeTeilterritorium lagjedochder qualitativeUnterschied derpolitischen Prämissen. Freilich bliebenauchdiese PläneinErmangelung ausreichenderwirtschaftlicherPotenzzunächst Papier.Priorität hattender Aufbau derIndustrie unddie Schaffungvon Wohnraum an derstädti- schenPeripherie. Eine Ausnahme bildetedie schonerwähnteAnlegung derdamaligen Stalinallee (heute Karl-Marx-Alleeund FrankfurterAllee;Nr. 539, 540, 537) alsherausragendesDemons- trationsobjekt,welches architektonischund städtebaulichden adaptiertenMustern sowjetischer Stadtbaukunststalinistischer Ausprägung folgte.Grundlage dafürbildetendie im Aufbaugesetz vom6.September 1950 formulierten zehn Grundsätze desStädtebaues.Selbstkritische Diskussion um eine künftige Architekturfandjedochhüben wiedrübennichtstatt. DieDebatte reduzierte sich aufdie Kritik an denKonzepten undProgrammender jeweilsanderen Seite. DerStreitumNeubauoderWiederaufbauder Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche(Nr.304)markierte dann am Ende der1950erJahre in derTat dieerste bewegte, öffentlichgeführteAuseinanderset- zung im Rahmen des „Wiederaufbaues“.Mit Emotion undsachlichemEngagementwurde um Standort undArchitektur derKirchegestritten, wobeidie Spannweiteder Argumentevom werk- gerechtenWiederaufbaubis zumAbrissund totalenNeubaureichte. DerKonfliktblieb jedoch Ein- zelfallund wurdenicht zumAnlasseiner grundsätzlichen, permanentgeführten architekturkriti- schenbzw.stadtentwicklungspolitischenDebatte.

8. DasgeteilteBerlinbis zumFallder Mauer

DieSchließung derGrenzen am 13.August1961leitete eine neue Entwicklungsphaseein.Eswar daseinschneidendsteund folgenschwersteEreignisder Berliner Geschichte seit 1945 unddas sub- stanziellbestimmendeMomentfür dieFolgezeit biszum Fall derMauer im November 1989.Die politisch-administrative Trennung erhieltdurch dienunmehr vollzogene stadträumliche Teilung eine andere Qualität.Wirtschaftlichwirktesichdie Sperrung derGrenzen vorallem aufden Ar- beitsmarkt aus. Dienahezu50.000Arbeitskräfte, dieals Grenzgängertäglich ausdem Ostteilder Stadtinden Westen kamen, warender West-BerlinerWirtschaftauf einenSchlagentzogen. Durch umfangreiche Anwerbungsmaßnahmenwestdeutscher Arbeitnehmer versuchteman dieschmerz- licheLücke wieder zu schließen. „Hauptattraktion“ derAnwerbungen warneben Steuervergüns- tigungen,der sogenanntenBerlin-Zulage,Umzugsprämien undzinsgünstigen Darlehen vorallem dieversprochene „NeubauwohnungimGrünen“.Vor diesem Hintergrundsinddennauchdie um- fangreichenWohnungsbauprogrammezusehen,die in den1960erund 1970er Jahren im Bauvon Trabantenstädten wiedem Märkischen Viertel(Nr.699), derGropiusstadt (Nr. 686) unddem Fal- kenhagener Feld ihrenstädtebaulich-architektonischen Ausdruck fanden undgeradezuals Charak- teristikadiesesZeitabschnittes begriffen werden müssen.Jährlichentstanden in denHochzeiten dieser Baupolitik zwischen 1961 und1972umdie 20.000 Wohneinheiten. Im Schatten dieser Aktivitätenvollzog sich unterdessendie Einleitung umfangreicherFlächensa- nierungeninden Wohnquartieren Kreuzbergs undWeddings, derenverheerendesoziale wiestadt- räumlicheAuswirkungensichseitEndeder 1970er Jahrezuden brisantesten ProblemenBerlins (West) auswuchsen.Mit dem1963verkündeten „Ersten Stadterneuerungsprogramm“,dem vom Volumenher größtenStadterneuerungsvorhabenüberhaupt,beganninumfassendem Maße die systematischeLiquidierung derverhassten „Mietskasernenstadt“.Paralleldazuist dieerwähnte Verlagerungder Neubautätigkeit an diePeripherieder eingeschlossenenStadt konstatierbar. Sie ging einher mitder forcierten Verödung derehemaligenKerngebiete,die,inzwischenleergeräumt, zu Zwischenzonenbzw.Durchgangsgebietenverkamen. Währenddie nurbeschränktvorhandenen Freiraumgebieteanden Stadträndern zubetoniertund diealten innerstädtischen Wohnquartiereplaniertwurden, beherrschteansonsten dernochauf dieGesamtstadt ausgerichteteStraßen-und Autobahnbaudie städtebauliche Entwicklung,was im Flächennutzungsplan (FNP)von 1965 signifikantzum Ausdruck kommt. Stadtplanung warwäh- Einführung 22

Blickvom Reichstagauf dieMauer am BrandenburgerTor,1979

rend dieser Phasezeitweise völlig aufdie Verkehrsplanungreduziert,die an derDemontage dervor- handenen StrukturenmaßgeblichenAnteilhatte.Der politische Hauptstadtanspruchfandindes, bezogenauf diealteMitte,keine konkrete planerischeEntsprechungmehrund verharrteinder hartnäckigen Freihaltungder leergeräumten Flächen.Stattdessengewanndie Idee eines „Kultur- bandes“ entlangder Spreezwischen der(politisch-räumlich unerreichbaren)Museumsinsel(Nr. 27,28, 29,30, 31,32, 33)imOsten unddem SchlossCharlottenburg(Nr.380)imWestenzwi- schenzeitliche Aktualität,wobei demsogenannten „Kulturforum“ (Nr. 205) im Bereichdes Kem- perplatzes im Bezirk Tiergarten hierbeieinezentrale Stellung alskünftiges Koppelstückzwischen Ostund West zukommen sollte.Als erster Baudes vonHansScharoungedachtenForumswurde diePhilharmonie(1960–63;Nr. 206) errichtet, einarchitektonischesMeisterstückdes großen Ar- chitekten, welchesauf denleergeräumtenArealen deseinstmaligenVillenviertelsamTiergartenzu- nächst wieeine „Kathedrale in derWüste“ wirkte.Inarchitektonischer Kontradiktiondazuent- standdannzweiJahre später am südlichenRand des „Kulturforums“ dieNeueNationalgalerie (Nr. 202) vonLudwigMiesvan derRohe(1965–68). Siegingals der „Parthenondes 20.Jahrhunderts“ gleichermaßenwie derBau Scharounsindie „großeeuropäische Baugeschichte“ ein. Mitder Er- richtung derStaatsbibliothek(1967–68;Nr. 201),welcheimradikalenBruch mitdem überkom- menenStadtgrundrissquerauf diealteReichsstraße1,die PotsdamerStraße, gestellt wurde, weitete sich das „Kulturforum“ dann enormnachOsten aus. IhrfolgtenseitEndeder 1970er Jahredas Staatliche Institut fürMusikforschungund Instrumentenmuseumder Stiftung PreußischerKultur- besitz (1979–84;Nr. 206) undder Kammermusiksaal (1984–88;Nr. 207).Den vorläufigenAb- schlussder Baumaßnahmenstellte schließlichder an derWestseite des „Forums“ lokalisierte Bau- komplexder abendländischen Museen dar. DenAuftakt bildetehierdas Kunstgewerbemuseum (Nr. 208),das im Jahre1985fertiggestelltwurde.Danach entstanden in stetiger zeitlicherAbfolge dieGebäude fürdie Kunstbibliothekund dasKupferstichkabinett,der zentrale Empfangsbausowie dieVerwaltungander Staufenbergstraße. DieErrichtungder „Gemäldegalerie“ vollendete dann denweitläufigenMuseenkomplex.Sie konnte nach Beendigung desInnenausbausund derEinrich- tung derSammlungimSommer1998eröffnetwerden. Indesist mitdem „Kulturforum“ trotzder gewiss beträchtlichen baulichenAnstrengungen bisheute kein urbanerStadtbereichentstanden. 23 Einführung

Diepartielle Verwirklichung derCity-Band-Planungen an dieser Stelle wirktnochimmer wieStück- werk im fragmentarisiertenstadträumlichen Gewebe undüberlagertesals eine weitereSchicht wechselnderPlanungsstrategien. Generell istfestzustellen,dassdiese bisindie 1980er JahreanhaltendePhase wenigerdurch weit- sichtigenStädtebau,der in umfassenderWeise zurRevitalisierung angeschlagener Stadtgebiete hät- te beitragenkönnen, alsvornehmlich durchsinguläre Großprojekte gekennzeichnet war, diealler- orts entstanden. Aufdem kommerziellenSektorwar es zumBeispieldas Europa-Center(1963–65;Nr. 301) vonHen- trich/Petschnigg,welchesein entscheidendes Signal in derWest-City setzte,allerdingsweniger durchseine Architekturals durchdie Funktion bestach, sowiedas skandalumwitterteSpekulations- objekt dessogenanntenSteglitzerKreisels(1969–73;Nr. 852).ImRahmendes Ausbaues desFlug- verkehrs entstand 1969–74 mitdem Drive-in-FlughafenTegel (Nr. 720) eine Anlage modernsten Zuschnitts.Das Internationale Congress Centrum(ICC, Nr.343)von Ralf Schüler undUrsulina SchülerWitte,1973–79 errichtet, bedeutetedie Manifestationdes Anspruches West-Berlins, im in- ternationalenKongressgeschäfteineherausragende Rollezuspielen.Architektonisch stelltedas ICCden Vorgriff aufeineindie Baukunst übersetzte Maschinenästhetikdar.Die Autobahnüber- bauung Schlangenbader Straße (Nr. 425) schließlich, vordem Hintergrundder Doppelnutzung knappenstädtischen Bodens konzipiert,offenbart dieHybris architektonischerKraftakte jenseits sozialerVerträglichkeit. In Berlin (Ost)setztenach 1962 dieUmgestaltungdes altenStadtzentrums unterveränderten städtebaulichenwie architekturästhetischenLeitbildern ein. Aufeinem mehr als800 Hektar umfas- senden Gebiet wurdedamit begonnen,einen großstädtischenStraßenzugzurealisieren,der sich vomBrandenburger Torüberdie Karl-Liebknecht-Straße unddie Karl-Marx-Alleebis zumFrankfur- terTor erstreckt.Den Mittelpunktdieserhauptstädtischen Magistralebildete dabeidas Gebiet um denFernsehturm (Nr. 4) sowiedie Bebauung desAlexanderplatzes, wobeider 365Meter messende Turmbauden stadträumlichenBezugspunkt darstellt. Weiträumigkeit undGröße dersolitärange- ordneten Baukörpererschienenals dermaterialisierte Ausdruck derpostulierten „sozialistischen Umgestaltungsmaßnahmen“,die städtebaulichgegen dashistorischvermittelte Netzstadtmodell dieBandstadt setzten. Unterder Prämisse derAuflösung überkommener Strukturen standauch diestädtebaulicheZiel- setzungbei derNeugestaltungder altenZentrumsgebiete.Auf demtraditionsreichen Fischerkietz (Nr. 125) mitseiner kleinteiligenParzellierung undzum Teil noch bestehendenniedrigen Bebau- ungentstanden,nachtotaler Planierung desBestandes,Punkthochhäusermit 22 Geschossen,wel- cheinGroßtafelbauweise errichtetwurden. Am Beispiel desFischerkietzesformulierte derdamalige ChefarchitektOst-Berlins,Joachim Näther,die Leitgedanken fürdie Gestaltung desZentrumsso: „Eine generelleNeuplanungbietetdie Chance,dem Fischerkietz eine seiner exponiertenLagein derStrukturdes StadtzentrumsgemäßeFunktionzugeben.Die Entscheidung wurdeauchimEin- vernehmenmit derDenkmalpflege zugunstendieserLösunggetroffen.“ Im Bemühen, eine „neue Stadt“ aufden Trümmern deralten entstehenzulassen, warman sich in dieser Phase, zwar nichtinden Mitteln, so doch in denErgebnissen,inOst undWestalsodurchaus einig. Seit Abschlussdes Vier-Mächte-Abkommens über Berlin im September1971hatte sich dieSitua- tion derStadt entscheidend verändert. DerZugangnachBerlin(West)wurde gesichertund wesent- lich erleichtert, dieBindungen zwischen derBundesrepublikund derStadt wurden gefestigt. All dieseVereinbarungenhaben zurEntspannung undzur politischenwie wirtschaftlichen Stabilisie- rung beigetragen. MitdieserEntwicklungverändertesichauch dasSelbstverständnisund dieIden- titätWest-Berlins. Als kulturelle Metropole, wissenschaftlichesund technologischesZentrumund alsUmschlagplatz fürden Ost-West-HandelsollteesneueAttraktivität gewinnen.Die damitver- bundenen postulierten Ansprüche konntenjedochauf vielen Ebenen nichtrealisiertwerden. DieBauentwicklung – zumaldie desWohnungsbaues – warvor diesem Hintergrundbis zumBe- ginn der1980erJahre rückläufig, wasvor allemkonjunkturelleGründehatte.Inden Sanierungs- gebieten offenbarten sich diepolitischen wiewirtschaftlichenProblemeinzugespitzterForm. Die Baupolitik wurdenun mehr undmehrdaraufgelenkt,sichmit denkonkreten innerenThemender Stadtauseinanderzusetzen bzw. aufsie zu reagieren. Schonseit Mitteder 1970er Jahreführteder Versucheiner pragmatischerenOrientierungder Stadtplanung unterder Parole „Hinwendungzur Innenstadt-und Stadtreparatur“ zu einerneuen Stadtpolitik,die sich jedoch mitalten noch laufen- denProgrammenund Strategien teilweisewidersprach bzw. überlagerte. DieVorbereitungund In- stallierungeiner außerhalbder Administration angesiedeltenPlanungsebene wardeshalb folgerich- tigesResultatpolitischer Erkenntnis.Mit Gründung derBauausstellungBerlinGmbH1979hatte sich eine solche Institutiongefunden. Ihre Aufgabewar dieDurchführungeiner Internationalen Einführung 24

Bauausstellung (IBA)mit demehrgeizigen Thema „DieInnenstadtals Wohnort“.IhreArbeit er- streckte sich aufverschiedeneausgewählte Demonstrationsgebietebzw.-themen,für welche sieim Zeitraum bisEnde1987die inhaltlichen undplanerischenVoraussetzungen schuf. Ihre Arbeits- ansätzeinden Gebieten SüdlicherTiergarten, Südliche Friedrichstadt,Luisenstadt undKreuzberg- SO 36,PragerPlatz undTegel erwiesen sich dabeiinihrer vielschichtigenAusprägung(Rekonstruk- tion deshistorischenStadtgrundrisses, Konzeptder behutsamenStadterneuerung)als dezidierte Kritik derbisherigenStadtplanungund Baupolitik.Die zukunftsweisendenInitiativen derIBA, nichtzuletzt auch diephantasiereichen architektonischen wiestädtebaulichen Ergebnisse,waren über einJahrzehntMittelpunkt derinternationalenDebatte.IhreBeispiele hatten fürdie Planungs- undBaukultur in derStadt unddarüber hinaus einenneuen Anspruch formuliert.Anstellerigider Flächensanierungenund wildwüchsigenNeubaus warein behutsamer Umgang mitden überkom- menenStrukturengetreten, derauch diesoziale Dimensiondes Planensund Bauens einschloss;die Architekturhat sich vomFunktionalismus-Aufgussder 1960er und1970erJahre qualitativ absetzen können.Ein solcheskomplexes Experiment schlossdabei freilich Vordergründigkeiten,Abwegig- keiten undFragwürdigesmit ein. Auch in Berlin (Ost)entwickelte sich seit Ende der1970erJahre einneues städtebaulich-architekto- nischesGrundverständnis, welchessichjedochaus anderengesellschaftlichenBedingungen herlei- tete unddementsprechend zu qualitativ anderenLösungsansätzen führte.Das inzwischen gestei- gerteBedürfnis nach Geschichte einerseits undUrbanität andererseits produzierte im Innenstadt- bereicheinen Neo-Historismus, dersichals Fertigteilfolklore inszenierte.Inder raschwachsenden Stadtblieb dieWohnungsversorgungdagegen vornehmlichnochein quantitatives Problemohne erkennbare Gestaltungsambitionen. Bestimmend warhierweiterhin derindustriell vorgefertigte Massenwohnungsneubau an denStadträndern. Exemplarisch stehen dafürdie Großsiedlungen Marzahn, Hohenschönhausen undHellersdorf. In denMietskasernenviertelndes 19.Jahrhunderts, demCharakteristikumBerlins,wichdagegen, untergewandelter Auffassung,die rigorose Flächensanierungder Strategieder „komplexen Rekon- struktion“.Insbesondereinden traditionellen Arbeitervierteln wiePrenzlauerBergsowie Fried- richshain, aber auch in Teilen vonMitte wurdesie in großem Maßstaberprobt unddurchgeführt. DasGebietumden Arkona-Platz istdafür einhervorragendesBeispiel, wobeidie Instandsetzungs- bemühungenmit demrasantenVerfall derAltbausubstanzgenerelljedochnicht mehr Schrittzu halten vermochten.Die eklatanten Versäumnisse dererstenJahrzehnte derDDR-Existenzrächten sich nununaufhaltsam. Nebendem Wettlauf gegenden selbstverschuldetenSubstanzverlust derMietskasernenquartiere bekamimZugedes Ausbaues (Ost-)Berlinszueiner „glanzvollensozialistischen Kapitale“ schließ- lich dieRekonstruktiondes altenZentrums – vorrangigder Dorotheenstadt undFriedrichstadt – nunabsolutePriorität.Ähnlich wieimWestteilder Stadthatte mandie städtebaulichenPotentiale derInnenstadtwiederentdeckt. DieWiederherstellung bedeutsamerhistorischerBautengingdabei einher mitder Lückenschließung innerhalbzusammenhängender Straßen- undPlatzfronten. Als BeispielesindindiesemZusammenhangdie städtebauliche Wiederherstellungdes Gendarmen- marktessowie Teileder Friedrichstraßeherauszuheben undimBereich derKernstadt die „Rekon- struktion“ desNikolaiviertels (Nr. 8, 9),welcheineiner historisierenden Mischung aus „Dichtung undWahrheit“ einStück Alt-Berlin in dieGegenwart zurückzuholensuchte.

9. VomFallder Mauerbis zurGegenwart

DerFallder MauerimNovember1989und dieein knappesJahrspätervollzogene politische Ver- einigung eröffnete derüberJahrzehntesichRückenanRückeneingerichtetenDoppelstadt am Schnittpunkt vonWestund OstqualitativvölligneueEntwicklungsdimensionen,deren Chancen sich Berlin in derKonfrontation desZusammenwachsensbis heute, mehr als20Jahre danach,in ihremAusmaßnochimmer nichtvollendsbewusst gemachtzuhaben scheint. Zu massiv waren undsinddie aufallen Ebenen offenbargewordenenProblemedes komplizierten Vereinigungspro- zesses unddie damiteinhergehendenFolgewirkungen, derenLösung offensichtlichalleKräfteder Stadtbis heutebeansprucht hat, alsdasssie fürsichselbst bisher in derLagewar,indie konkrete Offensive zu gehenund eine klar umrisseneZukunftsperspektive zu entwerfen. Bisüberdie Jahr- tausendwende hinaus, konnte sich so derEindruckverfestigen, dass sich Berlin,nachdem dieEu- phorie desAufbruchs zwischenzeitlich derNüchternheitdes Alltagsgewichenwar,bis aufWeiteres darauf beschränkte, aufseineungeheurenHerausforderungen gleichsam „in Wartestellung“ zu rea- gieren,nicht aber dasGesetzdes Handelns in seineHände zu nehmen. Diegroße,vom kreativen 25 Einführung

Geistgetragene fest umrisseneStadtutopie jedenfalls istbis dato noch nichtamHorizontsichtbar geworden.StattdessenbestimmtenPartikularismus,Ungleichzeitigkeitund Widerspruchdie städti- sche Wirklichkeit, wasnicht zuletztauchimPlanenund BauenseinennachhaltigenAusdruck fand.Hierhattensichvor allemdie Aufgaben unddie damitverbundenen Schwerpunktbildungen radikalverändert. So beherrschten dieerste Hälfte der1990erJahre gleichermaßendie „kritische Rekonstruktion derInnenstadt“ wiedie „Konstruktion desVorstädtischen“ dasgesamtstädtische Baugeschehen,wie es Hans Stimmann,der zwischen 1991 und2006das Amtdes Senatsbaudirek- tors desvereinigtenBerlininne hatte, treffendpointierte. Währenddie Planungenfür dasalteZen- trum dabeiaufgrundder oftmals divergierenden Investitionsinteressen zeitweisezukollabieren drohten, sind an derPeripherieinden Jahren zwischen 1990 und1995mehrals 70.000 Wohnein- heiten neuentstanden.Danach flachte derWohnungsbau erheblichabund dieBauaktivitäten konzentrierten sich nahezu ausschließlich aufdie innerstädtischen Bereiche.Viele dergroßenpri- vatwirtschaftlichenPlanungen konntenhierrealisiertwerden. Auffälligwar diedabei spürbare Überlagerung derprivatenInvestitionen durchstaatlicheGroßprojekte, dieinFolge desHaupt- stadtbeschlusses vomJuni1991nach langen zumTeilmühsamenPlanungsverläufen an vielen StelleninAngriff genommen wurden.Die Phaseder zumTeilspektakulären Wettbewerbeund konzeptionellenEntscheidungsfindungen wardamit im Wesentlichen abgeschlossen. An ihre Stel- le trat dasreale Bauen. Undsowandeltesichder Spreebogen mitdem Platzder Republik in wenigenJahrenvon einergi- gantischen Baustellezum neuenZentrum vonParlament undRegierung.IndiesemZusammen- hang erhieltdas alte Reichstagsgebäude(Nr.273), welchesnachPlänenvon SirNormanFoster zumDeutschen Bundestagumgebautwurde,ein hochmodernes undinseinem Repräsentations- gehalt angemessenes undarchitektonisch überzeugendesneues Innenleben.Die Fassaden wurden sorgfältig restauriertund alsäußeres Zeichender innerenVeränderung kündet eine gläserne Kuppel weithinvom Neuanfangder parlamentarischenArbeitindem durchdie Geschichte so argge- schundenen historischen Bauwerk. Sieist in ihrertektonisch-konstruktivenAnmut gleichsamzum architektonischenSignetder Berliner Republik geworden.ImZugeder „Bundesspange“,der von Axel Schultes undCharlotte Frankentwickeltenstädtebaulichen Grundlagefür dieParlaments- undRegierungsbautenimSpreebogen, diezugleichfür dieVereinigung vonOst undWeststeht, entstanden sowohl dasgroßmaßstäblicheKanzleramt mitdem Kanzlergarten(Nr.272), ebenfalls nach Plänen vonSchultesund Frank, alsauchder sogenannte Alsenblock undder Luisenblock (Nr. 274),die vonStephan Braunfelskonzipiertwurden. Allein dieLücke zwischen Kanzleramt und Alsenblock harrtnochimmer ihrerBebauungmit einemBürgerforum alsmanifestesZeichen des Souveräns. Dagegenkonnten dieöstlich desReichstagsgebäudesgelegenen „Dorotheenblöcke“ (Nr. 82), diewie derAlsenblockgleichermaßen derparlamentarischen Arbeit dienen,bereits zu Be- ginn desneuen Jahrzehnts ihrerBestimmungübergeben werden. EinimPrinzipvergleichbaresSzenariobot zumselbenZeitpunktder wenige hundertMeter Luft- linieentfernte Bereichumden PotsdamerPlatz (Nr. 193).Wie in derneuen „republikanischen Mitte“ am Spreebogen,waren auch hier diemeisten Gebäudekomplexebereitsfertiggestelltund bildeten dasgewichtigestädtebaulicheGelenk zwischen Ostund West aus, wobeider angrenzende LeipzigerPlatz (Nr. 113) dabeinocheinigeLückenaufwies, dieerstjetzt baulichgeschlossen wer- den. DieWiederbebauungder leergeräumten Platzbereichestellte dabeidas bisdahin größte undzu- gleich ehrgeizigste innerstädtischeBauprojektBerlins dar. SeineEntwicklunggingauf Initiativedes Daimler-Benz-Konzernszurück, dersichbereits vorder Wendeentschloss,den Ortzureaktivieren. Allein aufseinenFlächen (Nr. 195) sind 19 Gebäudekomplexemit einerBruttogeschossflächevon 340.000m²errichtet worden.Mit einemInvestitionsvolumenvon ca.2,7 Milliarden DM entstand nach Entwürfenvon RenzoPiano undChristoph Kohlbecker,Arata Isozaki, Hans Kollhoff,dem Büro Lauber +Wöhr, Josä Rafael Moneound RichardRogersein zentralerStadtbereichdichten ur- banenGefüges,der dieCharakteristika dereuropäischen Stadtmit modernen Mittelnindas dritte Jahrtausendzutransformierensucht.Zuihm geselltsichder inzwischen ebenfallsfertiggestellte So- ny-Komplex (Nr. 196),der miteiner Investitionssummevon ca.1,5 Milliarden DM daszweitgrößte ProjektamPotsdamer Platzdarstellt.Bis zumEndedes Jahres 2000 wurdemit demerklärten An- spruch auf „visionäreGestaltungund vielfältigeNutzung“ nach denPlänenvon Helmut Jahn eine großzügige Gebäudeanlagevollendet,welche aufmehr als132.000 m² Bruttogeschossfläche eine kompakte Nutzungsmischung vereinigt, dievon derEuropavertretungdes Sony-Konzernsüberdas zentrale Berliner Filmhausbis zu einemEntertainment-Centermit IMAX-Kinoreicht. In Ergänzungder vonDaimler-Benz sowieSonyentfalteten Aktivitätensindschließlichnocheini- ge weitereGroßprojekte, wiedie Quartierbebauung an derKöthenerStraße(Nr.197)entstanden undimstädtebaulichen Zusammenhang inzwischen aufihreurbaneTauglichkeitzuüberprüfen. Einführung 26

WährendaberimSpreebogenund am PotsdamerPlatz die „Zukunft“ bereitsrealgewordenist, bliebder Alexanderplatz bisheute ohne entscheidendebaulicheVeränderungen.Der vonHans Kollhoff alsSiegeraus dem1993durchgeführtenzweistufigenWettbewerb hervorgegangene städtebauliche Entwurf harrtnochimmer seiner Verwirklichung.Seine kühneIdeeeines großstäd- tischenPlatzraumes,der denmetropolitanenTypus desTurmhochhauses zumtragenden Element machtund dementsprechendmit einemknappen Dutzend „Skyscrapers“ umstellt,scheint auch nach 20 Jahren noch immerUtopiezusein. Denn bisauf dieErweiterungund denUmbau desKar- stadthauses, demBau einesSockelgebäudesohnedas dazugehörigeHochhausund desander Bahntrasse errichteten, städtebaulichund architektonischhöchstumstrittenenPassagen-Komple- xes „Alexa“ recktsichnochkeinerder geplanten150-Meter-Türme in denHimmelüberBerlin. Prägen also dieBereichedes Spreebogensund desPotsdamer PlatzesinzwischenanspruchsvolleAr- chitekturenbzw.den „Alex“ im Wesentlichen diekühne Planvorstellung,kann dasinmittendieses „magischenDreiecks“ gelegene Gebiet vonDorotheen-und Friedrichstadt bereitsauf denmeisten Quartieren mitfertigenBautenaufwarten.HierimwiedererwachtenZentrum,woder Druckder Spekulations-und Investitionsinteressen unmittelbarnachder Wendeamstärksten einsetzteund bisheute anhält, sind schonnahezualleder architektonischenVerheißungenauf dieZukunft zu betrachten undauf ihrengroßstädtischen Anspruch kritisch zu hinterfragen.Zumal entlangder Friedrichstraße, derMagistraledes altenZentrums,ist im Kernbereichzwischen demBahnhofund demehemaligem Checkpoint CharlieBlock fürBlock,einer Bauausstellung gleich,ein buntes „Pot- pourri derarchitektonischen Ideenund Konzepte“ entstanden, dasinseinerVielschichtigkeitdas im sogenannten Berliner Architekturstreitvon denKritikern beharrlich inszenierte Vorurteilder „uniformiertenLangeweile“ Lügenstraft. VonChristoph Mäcklers „Lindencorso“ (Nr. 60)ander Ecke Friedrichstraße/Unterden Linden undder Bebauung desQuartiers 208(Nr.88) mitden Ge- bäuden vonJosef Paul Kleihues,Max Dudler,HansKollhoff undJürgenSawadeüberdie Friedrich- stadtpassagen(Nr.103)mit Jean Nouvelles Galeries Lafayette, denQuartieren206 vonHenry Cobb und205 vonOswaldMathiasUngersbis zurCheckpoint-Charlie-Bebauung (Nr. 119) mitdem Komplex vonPhilip Johnsonspanntsichein Bogenunterschiedlichsterarchitektonischer Einlas- sungen,die mansorgfältiginAugenschein nehmen kann.Sie werden ergänztvon einerbeträcht- lichen Anzahl ebenfallsfertiggestellterProjekte, diediesseits undjenseitsder Friedrichstraßegele- gensind, wobeider Straße Unterden Linden mitdem PariserPlatz (Nr. 72)dabei größte Aufmerk- samkeitzukommenmuss. So zeigtsichzum Beispiel dernachEntwürfenvon Benedict Tononer- folgte Um-und Ausbau desGebäudekomplexesder DeutschenBank(Nr.51) an derEckezur Char- lottenstraße alsein bemerkenswerterUmgangmit bestehenderGebäudesubstanz wiedas Haus Pietzsch (Nr. 64)von Jürgen Sawade an derEckezur Neustädtischen Kirchstraßeauf extrem un- günstigemGrundstückszuschnitt einenneuenTypus miteiner außergewöhnlichenArchitekturge- bar, ohne dasvorhandenestädtebaulicheGefügezukonterkarieren. Derunmittelbar danebengele- gene Komplexfür denBundestag sowieseinKomplementärander Ecke Unterden Linden/Wil- helmstraße zeigen dagegeneineeherbehäbig erscheinende „neue Prächtigkeit“,mit dersichder „Bund“ an deralten Prachtstraße präsentiert. Undauch derPariser Platz(Nr.72),andesseninzwischenerfolgterWiederbebauung sich während der1990erJahre im Besonderen dergleichermaßenunproduktivewie überflüssige Streit um eine „Berliner Architektur“ zuspitzte, istohneFrage wieder zumwürdigenEntréedes Zentrums gewor- den, zum „Empfangssalonder Stadt“.Die ihnrahmenden Gebäudereichen in ihremGestaltungs- spektrum vonder gemütspflegenden Folklorearchitektur desneuen HotelAdlon (Nr. 78)überdie vonJosef Paul Kleihues entworfenenakademisch-strengen Häuser „Sommer“ und „Liebermann“ (Nr. 73)rechts undlinks desBrandenburger Tores(Nr.71),inderen eigenständiger Haltungder Versuchunternommen ist, dieGeschichte widerscheinenzulassen, bishin zu demraffiniertinsze- niertenGebäudekörper derDZ-Bank (Nr. 80)von FrankO.Gehry unddie aufden palaisartigen Vorgängerbau subtil anspielendeFranzösischeBotschaft(Nr.76) vonChristian de Portzamparc. Denarchitektonischen Schlussstein desPlatzes bildet schließlichder nach Plänen deskalifor- nischenBüros Moore, Ruble,Yudell 2007 fertiggestellte Bauder Botschaftder VereinigtenStaaten vonAmerika(Nr.81). Hattesichdie Stadtinden 10 Jahren seit derWiedervereinigungbis zurJahrtausendwendealsoan denprägenden Brennpunkten derInnenstadt in ihrenbaulich-physiognomischenCharakteristika restituiert, ohne dabeidie Geschichte zu kopieren,blieb es demfolgendenJahrzehnt desAufbruchs in das21. Jahrhundertvorbehalten mitvergleichbarerIntensitätdie Zentrumsgebieteanden noch übriggebliebenen Fehlstellenbaulich zu ergänzen bzw. im weiteren Stadtraumbis an diePeriphe- rien zu vervollständigen undarchitektonisch aufzuwerten. Dasgeschah sowohl miteinigen fürdie ganzeStadt bedeutsamenGroßprojekten alsauch miteiner großen Anzahl unterschiedlichsterEin- zelbauvorhaben,die vorallem aufden jeweiligen städtebaulichenKontext abzustellensuchten. 27 Einführung

So stellteder Baudes alsKreuzungsbahnhofkonzipiertenHauptbahnhofes(Nr.268)nördlichdes zentralenSpreebogens in Tiergarten dasinjüngsterVergangenheit wichtigste Infrastrukturprojekt dar, welchesfür Berlin alsnationalerwie internationalerFernverkehrsknoteneineneueDimension eröffnete.Seit seiner IndienstnahmeimJahre 2006 entwickelt sich in seinem Umfeld eingleicher- maßenvölligneues Stadtquartier, dessen ersteBausteine,wie dererstkürzlich erbauteTotal-Turm (Nr. 269),bereits zu betrachten sind.ZweiJahre zuvorkonntemit dergrundlegenden Sanierung, demUm- undAusbausowie deraufwendigen Überdachungdes in Charlottenburg befindlichen altenOlympiastadions (Nr. 360) von1936bereits einanderes Großprojektfertiggestelltwerden, dasvor allemimHinblickauf denkritischenUmgangmit einempolitisch hochsensiblenDenkmal- bestandüberzeugenkonnte.Sowohlder Bahnhofsbauals auch dieumfassendeErweiterung des Olympiastadionserfolgten nachPlänendes Architekturbüros vonGerkan/Marg. In Friedrichshain entstand bis2008imKontext deslangfristigangelegten städtebaulichenProjek- tes „Mediaspree“,das sich aufdie baulich-räumlicheNeuordnungder Spreeuferbereichezwischen Jannowitzbrückeund Oberbaumbrücke konzentriert,inunmittelbarer Zuordnungzur legendären EastSide-Gallery diesogenannteO2-World, einmultifunktionaler Veranstaltungsortmit einemFas- sungsvermögenvon mehr als17.000Zuschauern. Dievon amerikanischen Investoren errichtete Großhalle bildet dabeiden Mittelpunkteines auch hier im Entstehenbegriffenen Stadtquartiers mitBürogebäuden, Entertainment-Einrichtungenund Wohnbereichen, welchesräumlichdas Ge- biet um denOstbahnhofmit dem „gewachsenenKiez“ an derWarschauerStraßevermittelnwird. Im Reigen derGroßprojektegilt es schließlich dieauf 20 Jahreangelegtegrundlegende, umfassende wiesorgfältige Instandsetzung,Sanierung undModernisierungder Bauten derMuseumsinsel (Nr. 27)inBerlin-Mitte hervorzuheben. Seit den1990erJahrensindhiermit einemMilliardenauf- wand aufder Grundlageeines Masterplansdie Alte Nationalgalerie(Nr.30),das Bode-Museum (Nr. 31)sowie dasNeueMuseum(Nr.29) wiederhergestelltwordenund habendabei in differen- zierterWeise diehohen denkmalpflegerischen Ansprücheeines Weltkulturerbes zu erfüllen ver- mocht. Allein diekomplexeWiederherrichtung desPergamon-Museums(Nr.32) stehtnochaus undwirddie Herausforderungder nächsten Jahresein. Gleichsamdie architektonische Vollendung dieses herausragenden Museums-Ensemblesbildetjedochdas im Baubefindliche zentrale Ein- gangsgebäude,die James-Simon-Galerie (Nr. 33), welchesnachPlänenDavid Chipperfieldsreali- siertwird, derzuvor in kongenialerWeise dasNeueMuseumbaulich restituierte sowiefür dieMu- seumsinselden erwähntenMasterplanentwickelthat.EineKostprobe seiner einfühlsamen und stetsauf den „Genius loci“ bezogenenArchitektur kann bereitsder Baustelledes Eingangsgebäudes gegenüberbetrachtetwerden, wo er zwischen 2005 und2007die Ecke Kupfergraben/Hinter dem Gießhaus miteinem Galeriehaus (Nr. 35)überbaute. Es stehtinseinerzeitlos-reduktivenGestal- tung in räumlicher Korrespondenzzudem vonI.M.Pei fünf Jahrezuvor geschaffenen geradezu emblematischen Erweiterungsbaudes DeutschenHistorischenMuseums (DHM) (Nr. 36).

Simulation derMuseumsinselnachdem Masterplan vonDavid Chipperfield,2009 Einführung 28

Dieunmittelbar am BahnviaduktnachPlänenvon MaxDudlererbaute Jacob-undWilhelm- Grimm-Bibliothek,(Nr.56) mitihrem beeindruckendenterrassierten Lesesaal,die dengesamten Bücherbestandder benachbarten Humboldt-Universität (Nr. 46)insichbirgt,komplettiertschließ- lich dieinden letztenJahrenentstandenenKulturbautenindiesemder Museumsinsel benachbar- tenzentralen Stadtquartier. Derentscheidende städtebauliche Eingriff wird jedoch dasdem Lustgarten mitdem AltenMuseum vonKarlFriedrich Schinkel gegenüberliegendeHumboldt-Forum(Nr.25) darstellen.EswirdinKu- baturund äußererGestaltungdem einstmalsandieserStellebefindlichenBaukörper desStadt- schlosseswiederherstellen undder MitteBerlins damitseine architektonisch-räumlicheOrientie- rung zurückgeben, diesie durchKriegszerstörungen undleichtfertigenAbrisssojäh einbüßte.Als größtesKulturprojekt derBundesrepublikDeutschland genießteshöchste Priorität. Es soll neben denwissenschaftlichenSammlungender Humboldt-Universität,einer Abteilungder Berliner Stadt- bibliothek sowieeinem zentralenVeranstaltungsbereich füroffizielle Festakte undKulturereignisse im Besonderen dieherausragendenSammlungender außereuropäischenKunst aufnehmen, diebis dato vonder Stiftung PreußischerKulturbesitzinden MuseumsbautenimentlegenenBerlin-Dah- lemuntergebracht sind.Damit erfährtdie universelleSammlungsausrichtungder Museumsinsel in derMitte Berlinsingeradezuidealer Weiseihreinhaltliche Ergänzung. DieGrundsteinlegung des nach Plänen vonFrancoStellazuerrichtendenHumboldt-Forums istdabei fürJuni2013vorgese- hen, dieBauzeit mitca. fünf Jahren veranschlagt. Nebenden hier beispielhaft herausgestellten Großbauvorhaben gilt es noch aufeinigeimletzten Jahrzehntrealisierte Projekte zu verweisen, diewegen ihrerarchitektonischenEigenartgleicherma- ßenAufmerksamkeitverdienen.Auf dasrevitalisierte Zentrumbezogen sind hierbeiimBesonderen dasTownhouse-Quartierauf demFriedrichswerder(Nr.95),welchesinseiner vielgesichtigenGe- staltung wieeinekleineBauausstellungwirkt,sowie diegroßstädtisch dichte Überbauung einer ehemaligen Parkplatzflächesüdöstlichdes BahnhofesHackescher Markt(Nr.154)hervorzuheben. Im Bereichder nach Jahren derVernachlässigungwiederentdecktenWest-City um dieKaiser-Wil- helm-Gedächtnis-Kirche(Nr.304)müssendas signifikante HotelConcorde(Nr.311)von JanKlei- hues undder gerade fertiggestellte Hochhauskomplexdes Waldorf-AstoriaHotels (Nr. 305) von ChristophMäckler benanntwerden. Letztlicherweist sich derindie strukturalistische Gebäudefi- gurdes Friedrich-Meinecke-Instituts derFreienUniversität Berlin integrierteBau derPhilologischen Bibliothek (Nr. 882) vonNormanFosterals eine Pretiose architektonischerRaumschöpfung,die es Wert erscheint, sieander städtischenPeripheriezubesuchenund sorgfältig in Augenscheinzu nehmen. So offenbart sich fürden Flaneurwie fürden flüchtigen Besucher in denKontinuitätenund Brü- chen,inden Vielschichtigkeitenund Ungleichzeitigkeiten derArchitektur sowieStadtstruktur und -gestalt diewechselvolleGeschichteund Gegenwarteiner faszinierenden Stadt,die sich vonNeu- em aufden Weggemacht hat, aufder BasisseinerGeschichteZukunft zu entwickeln.Trotz der Kriegszerstörungen undder partiell gleichermaßenverheerenden Deformationendes doppelge- sichtigen „Wiederaufbaus“ manifestieren unzähligeBeispiele in ihremwiederentstandenenStadt- gefüge dabeiihrehoheBaukultur undungebrocheneInnovationsfähigkeit,auch wenn es das großeZiel, diekonkreteUtopieder Stadtnochzudefinierengilt!