Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Plenarprotokoll 18/165

Deutscher

Stenografischer Bericht

165. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. April 2016

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abge- b) Antrag der Abgeordneten , ordneten Heinz Wiese (Ehingen) und Ulrich Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias Freese...... 16231 A W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Gewähr- leistung des Existenz- und Teilhabemini- Tagesordnungspunkt 19: mums verbessern – Keine Rechtsverein- fachung auf Kosten der Betroffenen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Drucksache 18/8076...... 16247 C SPD: Die transatlantischen Beziehungen zukunftsfest weiterentwickeln c) Antrag der Abgeordneten Dr .W olfgang Drucksache 18/8072 ...... 16231 B Strengmann-Kuhn, , Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und Peer Steinbrück (SPD) ...... 16231 B der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (DIE LINKE)...... 16233 C NEN: Grundsicherung einfacher und gerechter gestalten – Jobcenter entlasten (CDU/CSU)...... 16234 D Drucksache 18/8077...... 16247 D Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Gabriele Lösekrug-Möller, Parl . Staatssekre- DIE GRÜNEN)...... 16236 C tärin BMAS...... 16247 D (SPD) ...... 16238 C Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 16248 D (DIE LINKE) ...... 16239 C (CDU/CSU) ...... 16250 C Jürgen Hardt (CDU/CSU)...... 16240 C Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 16250 D Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 16242 A Dr .Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)...... 16252 A Jürgen Hardt (CDU/CSU)...... 16242 C (SPD)...... 16253 C Detlef Müller (Chemnitz) (SPD) ...... 16243 A Dr . (CDU/CSU)...... 16255 B (CDU/CSU) ...... 16244 B Dr . (BÜNDNIS 90/ Dr . (CDU/CSU)...... 16245 D DIE GRÜNEN)...... 16255 D Dr . (SPD)...... 16257 A Tagesordnungspunkt 20: Matthias W . Birkwald (DIE LINKE). . . . . 16257 C a) Erste Beratung des von der Bundesregie- (CDU/CSU)...... 16258 D rung eingebrachten Entwurfs eines Neun- ten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 16260 C Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsver- Kai Whittaker (CDU/CSU)...... 16260 D einfachung Drucksache 18/8041...... 16247 C (CDU/CSU)...... 16261 A II Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Tagesordnungspunkt 21: Dr .André Hahn (DIE LINKE)...... 16273 B a) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Michaela Engelmeier (SPD)...... 16274 B Uhl, , Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 30 Jah- DIE GRÜNEN)...... 16275 B re Tschernobyl, 5 Jahre Fukushima – (CDU/CSU)...... 16276 B Atomausstieg konsequent durchsetzen Drucksache 18/7656...... 16262 A Jeannine Pflugradt (SPD)...... 16277 C b) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Tagesordnungspunkt 23: weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Atom- Antrag der Abgeordneten , kraftwerk Cattenom sofort abschalten Sigrid Hupach, , weiterer Drucksache 18/7668...... 16262 B Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einrichtung einer Kommission beim Bun- c) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- desministerium der Finanzen zur Evaluie- Uhl, , Dr .Franziska Brantner, rung der Staatsleistungen seit 1803 weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 18/4842...... BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine öf- 16278 D fentlichen Forschungsgelder für den Halina Wawzyniak (DIE LINKE)...... 16278 D Wiedereinstieg in atomare Technologien – 6. Energieforschungsprogramm voll- Margaret Horb (CDU/CSU)...... 16279 D ständig in Richtung Energiewende wei- Halina Wawzyniak (DIE LINKE)...... 16281 B terentwickeln Drucksache 18/5211...... 16262 B Dr . (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 16281 C d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (SPD)...... 16282 C zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia (CDU/CSU)...... 16283 C Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der (Heidelberg) (SPD)...... 16285 A Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für mehr Transparenz in der Internati- onalen Atomenergie-Organisation sowie Zusatztagesordnungspunkt 7: eine starke und unabhängige Weltge- sundheitsorganisation Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Drucksachen 18/7658, 18/8101...... 16262 C DIE LINKE: Aktuelle Tarifrunde im Bund und in den Kommunen – Den öffentlichen Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Dienst gerecht entlohnen DIE GRÜNEN)...... 16262 C Michael Schlecht (DIE LINKE)...... 16286 B Steffen Kanitz (CDU/CSU) ...... 16263 D (Weil am Rhein) (CDU/ (DIE LINKE) ...... 16265 D CSU)...... 16287 B Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretä- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ rin BMUB...... 16266 D DIE GRÜNEN)...... 16288 C Dr . (CDU/CSU)...... 16268 B Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) ...... 16289 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU)...... 16290 D DIE GRÜNEN)...... 16268 D (DIE LINKE)...... 16292 A Marco Bülow (SPD)...... 16270 B Matthias Schmidt (Berlin) (SPD)...... 16293 A (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 22: DIE GRÜNEN)...... 16294 A Erste Beratung des von der Bundesregierung (CDU/CSU) ...... 16294 D eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes über die finanzielle Hilfe für Dopingop- Bernd Rützel (SPD) ...... 16295 D fer der DDR (Zweites Dopingopfer-Hilfege- Mark Helfrich (CDU/CSU)...... 16296 C setz) Drucksache 18/8040...... 16271 C (CDU/CSU)...... 16297 C Dr . Ole Schröder, Parl . Staatssekretär BMI...... 16271 D Nächste Sitzung ...... 16298 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 III

Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . . 16299 A Amtliche Mitteilungen...... 16300 A

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16231

(A) (C) Textrahmenoptionen: 30,5 mm Abstand oben

165. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. April 2016

Beginn: 9 .00 Uhr

Präsident Dr. : Folgen einer Destabilisierung der ganzen Nahostregion Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz . eine erhebliche Rolle . Die NSA-Überwachungsaktivitä- ten haben uns empört, jedenfalls so lange, bis der BND Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bei ganz ähnlichen Aktivitäten erwischt wurde . begrüße Sie alle herzlich . (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Kollegen Heinz Wiese nachträglich zu seinem Die inzwischen sehr starke ideologische Aufladung 71 . Geburtstag sowie dem Kollegen gra- des politischen Systems in den USA mit einer scharfen tulieren, der am Dienstag seinen 65 .Geburtstag gefeiert Polarisierung der Parteien im amerikanischen Kongress hat . Ihnen wollen wir alle guten Wünsche des Hauses ins befremdet uns . Sie geschieht ausgerechnet in dem Land, neue Lebensjahr mitgeben . das uns Deutschen die Demokratie, die Bedeutung von Checks and Balances und die zentrale Bedeutung, einen (Beifall) (B) Kompromiss zu finden, maßgeblich beigebracht hat. (D) Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19 auf: Wir beobachten zusammen mit vielen Amerikanern Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ im derzeitigen Präsidentschaftsvorwahlkampf eine Art CSU und SPD Verwahrlosung der politischen Sitten . Gelegentlich geht jedenfalls mir die Frage durch den Kopf, ob die viel zi- Die transatlantischen Beziehungen zukunfts- tierte Wertegemeinschaft auf Donald Trump noch zu- fest weiterentwickeln trifft . Die gesellschaftliche und politische Vorbildrolle, Drucksache 18/8072 die die USA über lange Nachkriegsjahrzehnte gerade in Deutschland gehabt hat, ist jedenfalls deutlich getrübt . Dazu soll nach einer Vereinbarung der Fraktionen eine Aussprache von 77 Minuten stattfinden. – Dazu stelle ich Fairerweise wird man allerdings auch sagen müssen, Einvernehmen fest . Also können wir so verfahren . dass es aus US-amerikanischer Sicht ebenfalls einiges an Befremdung und Kritik gibt, was Europa und namentlich Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- Deutschland angeht . Die Amerikaner können bis heute nächst dem Kollegen Peer Steinbrück für die SPD-Frak- ein außen- und sicherheitspolitisch kohärentes Konzept tion . Europas, in dem es selber Verantwortung für seine Si- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten cherheit übernimmt, nicht erkennen . Auch wehren sie der CDU/CSU) sich – teilweise nachvollziehbar, teilweise nicht – gegen erhebliche Vorwürfe, die ihnen gelegentlich wegen ihrer Polizistenrolle gemacht werden, die sie in vielen Regi- Peer Steinbrück (SPD): onen ausüben, während sie gleichzeitig für europäische Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Sicherheitsinteressen einspringen müssen . ren! Ich würde gerne einige Bemerkungen machen, die über den Text des Antrages von CDU/CSU und SPD hi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nausgehen . Dazu gehört am Beginn das Eingeständnis, CDU/CSU) dass die transatlantischen Beziehungen und namentlich auch die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht frei Wir sind zwar gelegentlich befremdet und halten das von mancher Befremdung und auch manchen Differen- enorme amerikanische militärische Potenzial und seinen zen sind . Einsatz für suspekt, aber wenn dann die sechste Flotte der Vereinigten Staaten von Amerika vor der östlichen Aus europäischer und deutscher Sicht spielt dabei die Mittelmeerküste patrouilliert und Präsenz zeigt und Ein- Entwicklungsgeschichte des Irakkriegs mit den fatalen sätze auch gegen den IS fliegt, ist uns dies ganz recht. 16232 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Peer Steinbrück (A) Gelegentlich ist in dieser Debatte eine gewisse Heuchelei Wer auch immer deshalb die Frage – auch aufgrund (C) festzustellen . gelegentlich auftauchender Kritik – nach einem anderen Partner, nach einem anderen Alliierten, mit dem wir in (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Europa unsere Werte und beständigen Interessen ver- Namentlich auch die deutsche sicherheits- und bünd- folgen können, auch nur unterschwellig stellt, der muss nispolitische Zuverlässigkeit ist jedenfalls manchmal passen . Wer auch immer die Frage hinzufügt, ob Europa von den Amerikanern hinterfragt worden, nicht aktuell, eines Partners auf der anderen Seite des Atlantiks bedarf, aber in der Rückbetrachtung des letzten Jahrzehnts . Die dem antworte ich mit einem klaren Ja . Untätigkeit und Unwilligkeit der Europäer, die USA, In einer gefährlichen Welt, in der einige Kräfte ihr die immerhin 70 Prozent des Verteidigungsbudgets der Unwesen treiben, die nicht verhandlungsfähig und nicht NATO finanzieren, gelegentlich auch zu entlasten, führt verhandlungsbereit sind, mit den diversen Konflikten jedenfalls zu gewissen Missstimmungen in den USA . und auch neuen sogenannten hybriden Kriegen an der Das erstreckt sich aus der amerikanischen Sicht auch auf Peripherie Europas, bleibt eine transatlantische Rückver- die Unfähigkeit der Mitgliedstaaten der Europäischen sicherung für Europa von zentraler Bedeutung . Währungsunion, den Euro zu stabilisieren und damit An- steckungsgefahren für das globale Finanzsystem einzu- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dämmen . Das führt zu dem nicht sehr schmeichelhaften politischen Attest, dass die Europäer selbst nicht in der Eine solche Rückversicherung verlangt von uns Eu- Lage seien, sich zu organisieren . ropäern und auch von uns Deutschen aber auch einen Beitrag, der sich gewiss auf diplomatische, humanitäre, So sind die transatlantischen Beziehungen Mitte des wirtschaftliche und entwicklungspolitische Anstrengun- zweiten Jahrzehnts des 21 .Jahrhunderts keineswegs frei gen erstrecken muss, der sich aber eben auch auf die von Belastungen und Vorhaltungen . In Deutschland ist Abschreckungsfähigkeit der NATO und die Einsatz- und deshalb in manchen Debatten – wir werden das zugeben Bündnisfähigkeit der erstrecken muss . müssen – auch gelegentlich ein Antiamerikanismus fest- zustellen . Umgekehrt ist in den USA ein zunehmendes (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Desinteresse an Europa festzustellen mit einer deutliche- ren Hinwendung zum asiatisch-pazifischen Raum. Dieser Satz ist in der deutschen Öffentlichkeit nicht sehr populär, aber er gehört in diese Debatte . Man kann All dies vorausgeschickt und dessen unbenommen nicht nach einer globalen Ordnung rufen, die uns mög- bleibt richtig, dass es keine andere so eng verbundene lichst viel Chaos, Anarchie und menschliches Leid er- Staatengemeinschaft gibt wie die Europas und der Verei- spart und dann der uns aus westlicher Sicht zwar nicht (B) nigten Staaten von Amerika, mehr singulären, aber jedenfalls immer noch dominant (D) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) erscheinenden Ordnungsmacht, nämlich den USA, die Unterstützung verweigern . Dies ist widersprüchlich . und zwar historisch, wirtschaftlich, zivilisatorisch, kul- turell und mit den enormen Errungenschaften der beiden (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – atlantischen Revolutionen von 1776 und 1789 mit den [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, All denjenigen – möglicherweise auch in diesem Hau- Menschenrechten und Marktwirtschaft . Das hat der deut- se –, die bei diesem Satz zögern oder sogar Zweifel an sche Historiker Heinrich August Winkler das normative seiner Richtigkeit erwecken, stelle ich die Frage: Welche Projekt des Westens genannt . andere Ordnungsmacht hätten Sie denn lieber? Ja, die Praxis mit ihren Unvollkommenheiten, mit (Volker Kauder [CDU/CSU]: Russland! – Ge- ihren Defiziten, mit ihren Ungerechtigkeiten und auch genruf des Abg . Dr . [DIE gelegentlich mit den Verletzungen dieser Prinzipien ent- LINKE]: Ist das langweilig, Herr Kauder!) sprach und entspricht nicht durchweg diesem normativen Projekt . Aber die Grundrechtserklärung von Virginia Über die Sicherheitsaspekte, die ich bisher erwähnt 1776 und die französische Erklärung der Menschen- und habe, hinaus werden sich Europa und die USA mit massi- Bürgerrechte von 1789 sind und bleiben einzigartige ven globalen Verschiebungen beschäftigen müssen . Der Errungenschaften, auf denen die Staatswesen in Europa Anteil der Bevölkerung dieser beiden Kontinente bzw . und in den USA und unser gemeinsames Gesellschafts- Teilkontinente an der Weltbevölkerung ist in den letzten system des Westens nach wie vor aufbauen . 40 Jahren auf 10 Prozent zurückgegangen, und er wird Diese Errungenschaften finden sich nicht in einem eu- weiter schrumpfen . Der gemeinsame Anteil der USA rasischen Modell des russischen Präsidenten Putin . Diese und Europas am globalen Bruttonationaleinkommen ist finden sich nicht in einem staatskapitalistischen System in dieser Zeit von 60 Prozent auf 45 Prozent zurückge- mit einem kommunistischen Überbau in China . Diese gangen, und er wird weiter abnehmen . Der Anteil dieser finden sich nicht in islamischen Staaten. Diese finden beiden Kontinente bzw . Teilkontinente am Welthandel sich nicht in all den anderen Staaten autokratischer oder ist von rund 30 Prozent auf inzwischen 20 Prozent zu- diktatorischer Provenienz, sondern diese finden sich hier. rückgegangen, und er wird weiter abnehmen . Das ist ein Indiz dafür, dass wir es mit globalen tektonischen Ver- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie schiebungen zu tun haben . Die Welt wird multipolarer bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE mit dynamisch aufsteigenden Regionen . Darüber darf GRÜNEN) sich der atlantische Raum mit seinen politischen, gesell- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16233

Peer Steinbrück (A) schaftlichen, wirtschaftlichen und auch technischen Er- der einmal sinngemäß, bezogen auf England, gesagt hat, (C) rungenschaften nicht marginalisieren . dass England weder ewige Freunde noch ewige Feinde, sondern nur beständige Interessen hat . Die beständigen Schließlich sind die globalen Herausforderungen wie Interessen Deutschlands und Europas gelten einem guten der Klimawandel sowie die Bekämpfung von Terroris- transatlantischen Verhältnis . mus, organisierter Kriminalität, Pandemien und Steuer- betrug mit keiner anderen Macht zu lösen als mit den Vielen Dank . USA . Ohne das Gewicht der USA an der europäischen Seite werden diese Probleme nicht bewältigt werden (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) können . Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Stefan Liebich ist der nächste Redner für die Fraktion Auf die aktuellen zentralen Probleme und kritischen Die Linke . Einwände zu dem Projekt, das uns am meisten in den transatlantischen Beziehungen beschäftigt – das ist das (Beifall bei der LINKEN) Freihandelsabkommen TTIP –, will ich nur wenige Wor- te verwenden, nicht aus Geringschätzung gegenüber den Stefan Liebich (DIE LINKE): Problemen und kritischen Einwendungen, sondern aus Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Zeitgründen . Mir sind – genauso wie Ihnen und weiten und Kollegen! Wenn die transatlantischen Beziehun- Teilen der Bevölkerung – alle diese Probleme bewusst . gen wirklich die Bedeutung haben, die der Kollege Ich will diese gar nicht in Abrede stellen . Aber ich möchte Steinbrück eben beschrieben hat, dann finde ich es schon auf drei Aspekte in der Debatte über dieses Freihandels­ erstaunlich, dass kein einziger Minister an dieser Debatte abkommen aufmerksam machen . teilnimmt . Erstens . Wer mit einem sehr skeptischen Blick auf (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- die teilweise anarchische Entwicklung der Globalisie- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rung schaut, wird für Leitplanken und Verkehrsregeln im weltweiten Handel eintreten und sich die Frage stellen Ich möchte mit einem Blick zurück beginnen . Heute müssen, ob in diesem Sinne TTIP nicht eine Chance ist . vor 71 Jahren haben Truppen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens die niederländische Stadt Arnheim am (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Rhein endgültig erobert . Damit ist der Zweite Weltkrieg, Zweitens . Wenn sich die Europäer und die Amerika- den Nazideutschland entfesselt hat, seinem Ende entge- ner nicht auf ein solches Freihandelsabkommen eini- gengegangen . Am 8 . Mai war es so weit: Die Sowjet­ (B) gen – das kann passieren –, dann stellt sich die Frage, union, die USA, Frankreich und Großbritannien haben (D) wer stattdessen die Spielregeln global bestimmen wird, Deutschland befreit, und dafür sind wir uneingeschränkt dankbar . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall im ganzen Hause) und das vor dem Hintergrund der Dynamik anderer Welt- Das alliierte Bündnis hat nicht lange gehalten . regionen, die mit Sicherheit zu Ergebnissen kämen, die Deutschland wurde in West und Ost geteilt, und im Wes- europäischen Standards und europäischen Vorstellungen ten Deutschlands haben die USA eine Perspektive ange- nicht entsprechen würden . Die augenblickliche Debatte, boten, aus Hunger und Not zu entfliehen und das Land die wir zur Lage der europäischen und deutschen Stahlin- aus den Ruinen wieder aufzubauen . Diese Hilfe wurde dustrie führen, ist ein leichtes Indiz dafür, was es bedeu- angenommen und war Grundlage für das Wirtschafts- ten würde, wenn andere die Leitplanken und Verkehrsre- wunder der 50er-Jahre. Viele Menschen empfinden dafür geln im weltweiten Handel bestimmen würden . große Dankbarkeit . Es hat sich ein festes Bündnis zwi- schen der Bundesrepublik und den USA entwickelt, und Drittens . Ist TTIP über seine ökonomische Bedeutung dieses Bündnis wurde nach dem Beitritt der DDR auch hinaus nicht auch von einem erheblichen strategischen auf den Osten Deutschlands übertragen . Stellenwert im Verhältnis von Europa zu den USA, oder wie würden sich die transatlantischen Beziehungen in ih- Am 12 . September 2001, also einen Tag nach den rer Qualität entwickeln, wenn TTIP scheitern sollte? schrecklichen Terroranschlägen in New York City und Washington, hat Gerhard Schröder gesagt: Es geht um Diese drei Fragen möchte ich über die ziemlich ni- die Tatsache, dass Deutschland fest an der Seite der Ver- veaulose Debatte über das Chlorhähnchen hinaus stärker einigten Staaten steht und uneingeschränkt – ich betone öffentlich debattiert haben . das: uneingeschränkt – Solidarität übt . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Uneingeschränkte Solidarität – das war lange das Mein Plädoyer für eine Revitalisierung der transat- Dogma im Umgang mit den Vereinigten Staaten . Aber, lantischen Beziehungen folgt keinem Verständnis eines liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeiten haben sich subalternen oder bedenken- und kritiklosen Verhältnisses geändert . Unser Bild von den USA ist nicht mehr von Europas zu den USA, sondern einer sehr nüchternen Sicht den 50er-Jahren, der Nachkriegszeit geprägt – Rock ‘n‘ auf unsere beständigen europäischen und deutschen Inte- Roll, Kaugummi, Elvis Presley – oder von den Protesten ressen, getreu einem Zitat des ehemaligen britischen Pre- gegen den Vietnamkrieg und den Koreakrieg . Ich glaube, mierministers Lord Palmerston aus dem 19 . Jahrhundert, dass die heutige Generation tatsächlich mehr über 9/11, 16234 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Stefan Liebich (A) über Bushs Krieg gegen den Terror, über die Lügen über kaum glauben: Vorgestern waren fast 50 000 Menschen (C) Massenvernichtungswaffen im Irak, über die Bespitze- in Manhattan auf den Beinen, um ihm zuzujubeln . lung der US-Geheimdienste auch hier in Deutschland (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nachdenkt und dass sie an US-Bürger wie Snowden und neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Manning denkt, die als Whistleblower wichtige Ver- dienste haben . Das war eine der größten Wahlkampfkundgebungen in der US-Geschichte . Er will die Superreichen besteuern . (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Er will die Unigebühren abschaffen . Er will den Mindest- Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE lohn anheben . Er will die Spaltung zwischen Arm und GRÜNEN]) Reich bekämpfen, und er wendet sich gegen ungerechte Charles de Gaulle hat gesagt: Zwischen Staaten gibt es Freihandelsabkommen . keine Freundschaft, sondern nur Allianzen . Die Allianz (Beifall bei der LINKEN) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA hat sich über die Jahrzehnte geändert . Ich würde sagen: Ein demokratischer Sozialist für das Weiße Haus – Sie ist erwachsen geworden . Unter Erwachsenen kann ich würde mich wirklich freuen, wenn es so käme; aber man auch Nein sagen, und man muss Nein sagen, wenn selbst wenn nicht: Die Politik der Demokraten hat er jetzt etwas erwartet wird, was man falsch findet. schon verändert . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die USA sind eben mehr, mehr als Wall Street, Pentagon und Langley . Es war deshalb richtig, dass die damalige Bundesre- gierung dem Irakkrieg George W . Bushs widersprochen Bruce Springsteen hat gesungen: „Born in the USA“ . hat . Die Folgen dieses Krieges, wie zum Beispiel die Er hat jetzt ein Konzert in North Carolina abgesagt, weil Entstehung der Terrororganisation Daesh oder ISIS, be- dort eine gesetzliche Diskriminierung von Transsexuel- kommen wir bis heute zu spüren . Es war richtig, dass len stattfindet. Auch das ist Amerika. sich Deutschland nicht am NATO-Einsatz in Libyen be- teiligt hat, den vor allem Hillary Clinton vorangetrieben (Beifall der Abg . [Havelland] hat . Dieser Krieg hat eine ganze Region destabilisiert . [DIE LINKE] und [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Aber auch die USA haben sich verändert . Die Brücke Es gibt das andere Amerika . Es ist bunt . Es ist weltoffen . über den Pazifik ist mittlerweile wichtiger für viele dort Es ist tolerant . Es ist progressiv . Schon allein deshalb als die über den Atlantik . Da nostalgisch-sentimental zu (B) kann Antiamerikanismus niemals links sein . (D) werden, ist sinnlos . The Times They Are a-Changin‘, die Zeiten ändern sich eben . Der Präsidentschaftswahlkampf (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem zeigt das in aller Schärfe . In den USA wird so erbittert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael gestritten wie wohl nie zuvor . Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist das logisch? Nein!) Über Amerikas Rolle in der Welt, Herr Steinbrück, ob die USA überhaupt noch eine globale Ordnungsmacht Die Welt ist eine andere geworden . Die Antworten sein wollen oder können, darüber gibt es Streit . Die Fra- sind häufig noch die alten. Das muss und darf nicht so ge der Krankenversicherung, der Cannabislegalisierung, bleiben . Es ist Zeit für eine neue transatlantische Partner- des Verbots von Abtreibungen, die Frage, wer wen heira- schaft, die auf globaler Gerechtigkeit, auf Respekt und ten darf, die Frage, ob man sich Kuba oder Iran annähert auf Frieden basiert . Sie könnte mit einem wichtigen Sig- oder lieber nicht – es ist für uns nicht egal, wer dieses nal begonnen werden: dem Abzug der US-Atomwaffen Land regiert, auch für uns hier in Deutschland nicht . aus Deutschland . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Schauen Sie sich den Präsidentschaftskandidaten ­Donald Trump an, einen Sexisten, einen Rassisten, der Präsident Dr. Norbert Lammert: eine Mauer zu Mexiko errichten will, der sich nicht vom Ku-Klux-Klan distanziert, der für Foltermethoden ist, Peter Beyer ist der nächste Redner für die CDU/ die noch schärfer sind als Waterboarding, oder Ted Cruz, CSU-Fraktion . einen religiösen Fanatiker, der die Gesundheitsversiche- (Beifall bei der CDU/CSU) rung wieder abschaffen will, der das Atomabkommen aufheben will, der auf noch mehr Militär setzt und von Peter Beyer (CDU/CSU): dem viele nicht ganz zu Unrecht sagen, dass er vielleicht nicht so laut ist wie Donald Trump, aber noch gefährli- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- cher . ren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte damit starten, dem Kollegen Sven Volmering zu seinem Auf der anderen Seite gibt es jemanden wie den Se- heutigen 40 . Geburtstag herzlich zu gratulieren . nator Bernie Sanders aus Vermont, der sich selbst de- (Beifall) mokratischer Sozialist nennt, was in den USA früher ein politisches Todesurteil gewesen wäre . Ich konnte es Dann wäre auch das in die Debatte eingebracht . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16235

Peter Beyer (A) Meine Damen und Herren, in den vergangenen De- rung – angegeben, deutsche Wurzeln zu haben . Das ist (C) batten – – die größte Gruppe dort . Elvis Presley wurde in der De- batte schon einmal genannt . Da fällt mir noch ein: Auch Präsident Dr. Norbert Lammert: er hat deutsche Wurzeln . Seine Familie hieß ursprünglich Pressler; es waren Deutsche . Auch in diesem Bereich Ich vermute, Herr Kollege, dass da wenig zu debat- gibt es transatlantische Beziehungen . Das ist letztlich tieren ist . ebenfalls eine Säule . Das geht bis hin zu zwei ehemali- gen US-Präsidenten, die direkt deutsche Wurzeln haben . Peter Beyer (CDU/CSU): Das stimmt . Meine Damen und Herren, das alles ist Teil unserer gemeinsamen transatlantischen Geschichte, in der auch Deutsche in unserem Partnerland, in den USA, ihre Spu- Präsident Dr. Norbert Lammert: ren hinterlassen haben . Der Sachverhalt ist ziemlich eindeutig . Die amerikanischen Freunde erkennen den deutschen (Heiterkeit) Beitrag zur Entwicklung ihres Landes durchaus an . Ich zitiere an dieser Stelle den ehemaligen Transatlantik-Ko- Peter Beyer (CDU/CSU): ordinator und Vorsitzenden der Deutsch-Amerikanischen Danke für den Hinweis, Herr Präsident . Ein Hinweis, Parlamentariergruppe, Hans-Ulrich Klose: der von Ihnen kommt, ist natürlich immer richtig . Sie haben uns politisch dadurch gedankt, dass sie (Heiterkeit – Britta Haßelmann [BÜND- die Wiedervereinigung möglich gemacht haben . NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bringt eine Mi- Es sind eben diese gemeinsamen Werte, die wir na- nute!) türlich auch immer wieder hinterfragen müssen, die uns – Alles meine Redezeit; das stimmt . aber mit gemeinsamen Interessen wie keine zwei ande- ren Partner auf der Welt verbinden . Wir sind auch stra- Meine Damen und Herren, ich fange noch einmal an . tegischer Partner – wahrscheinlich der einzige wirkliche (Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nein, Partner der USA . Auf wen sonst sollte man sich trotz der nein, nein! Das gilt als geredet! – Heiterkeit) Krisen und Probleme, die auch wir in Europa haben, in den USA stützen bei der Bewältigung internationaler Kri- Also: In den transatlantischen Debatten in den vergan- sen und globaler Fragen, wenn nicht auf uns Europäer? genen Jahren haben wir uns eigentlich immer nur ein- zelnen Elementen dieses sehr wichtigen Verhältnisses Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört aber (B) gewidmet . Es waren besondere Anlässe . Es ging dabei auch – ich bin dankbar, dass meine beiden Vorredner, (D) um Jubiläen . US-Präsidenten haben wichtige Reden in insbesondere Kollege Steinbrück, darauf hingewiesen dieser Stadt gehalten . „Mr . Gorbachev, open this gate! haben –, die Probleme anzusprechen . Der NSA-Ab- Mr . Gorbachev, tear down this wall!“ Oder: „Ich bin ein hörskandal wurde bereits genannt . Ich könnte eine ganze Berliner“ . So etwas haben wir zum Anlass genommen . Reihe von anderen Dingen, die in einem sehr komplexen, Es ging auch um komplizierte, problematische Themen historisch gewachsenen Verhältnis nun einmal passieren, wie den NSA-Abhörskandal oder TTIP . Deswegen ist es nennen . Diese müssen wir ansprechen . Stefan Liebich richtig, dass wir heute – darüber freue ich mich – im Ple- hatte es so definiert: Die transatlantischen Beziehungen num nach einigen Jahren zum ersten Mal wieder eine Ge- sind erwachsen geworden .– Dem stimme ich durchaus neraldebatte, eine breit angelegte Debatte zu den trans­ zu . atlantischen Verhältnissen führen . Meine Damen und Herren, ich habe aber manchmal Meine Damen und Herren, warum ist es wichtig, sich den Eindruck, dass wir in den transatlantischen Bezie- den transatlantischen Beziehungen breit angelegt zu wid- hungen irgendwie gefangen sind, festsitzen zwischen men? Weil wir feststellen werden – wem es noch nicht einer Vergangenheit, die ich gerade kurz skizziert habe, klar ist, der möge jetzt zuhören –, dass uns weitaus mehr und der Zukunft, den Zukunftsthemen und dass wir hier verbindet, als uns trennt . Die transatlantischen Beziehun- Orientierung brauchen . Dabei sollte es doch gar nicht gen sind nicht von ungefähr eine der wichtigsten Säu- so schwierig sein, Orientierung zu finden. Denn es gibt len der deutschen Außen-, Sicherheits- und auch Wirt- eine ganze Palette globaler Herausforderungen, bei de- schaftspolitik . Eine Bestandsaufnahme wird uns sehr nen wir wissen, dass es wenig klug und auch überhaupt rasch zu der Erkenntnis führen, dass Deutschland den nicht machbar ist, einzelstaatliche Lösungen zu finden – Vereinigten Staaten von Amerika sehr viel verdankt . Ich übrigens auch keine Lösungen, die wir nur in Europa nenne den Marshallplan . Ich nenne die Tatsache, dass die oder nur in den Vereinigten Staaten angehen können . Da Vereinigten Staaten während der Zeit des Kalten Krieges müssen wir uns zusammentun und überall dort, wo wir ein Garant der Freiheit waren . Ich nenne auch die Wie- gemeinsame Interessen haben, die Kräfte bündeln . Das dervereinigung, die ohne die Vereinigten Staaten nicht betrifft Themen wie die Sicherheit, den Kampf gegen den möglich gewesen wäre . Terrorismus und die Bewältigung der Herausforderungen bei den Klimaveränderungen . Umgekehrt haben viele Deutsche daran mitgewirkt, die Vereinigten Staaten so aufzubauen, wie wir sie heute Im Zusammenhang mit Wirtschaftsthemen möchte kennen . Erst vor kurzer Zeit haben 50 Millionen US-Bür- ich das Augenmerk kurz auf das Freihandelsabkommen ger – das ist ungefähr ein Sechstel der dortigen Bevölke- TTIP, das gerade verhandelt wird, lenken . Wir sind ja be- 16236 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Peter Beyer (A) reits wichtige Handelspartner . Nun soll der bedeutendste Lassen Sie uns die transatlantische Partnerschaft für (C) Wirtschaftsraum der Welt geschaffen werden . Kollege eine gemeinsame globale Strategie eines geschlossenen, Steinbrück hat die Verlagerung des geopolitischen und der Zukunft zugewandten Westens nutzen . Lassen Sie bevölkerungsentwicklungsmäßigen Gewichts in den uns gemeinsam mit den Amerikanern und den kanadi- USA, aber auch weltweit angedeutet . Das ist eine Wahr- schen Freunden Teil des Teams sein, das den Westen re- heit, die wir einfach zur Kenntnis nehmen müssen, insbe- konstruiert, nicht territorial, wie es der eine oder andere sondere dann, wenn wir uns einmal selbst die Frage stel- östlich von uns auf dem Globus machen möchte, sondern len: Wie wollen wir eigentlich hier in Deutschland und durch strategisch kluge Arbeitsteilung bei den globalen Europa in Zukunft leben? Die Antwort muss doch lauten: Herausforderungen . Denn es geht um unser Land, unse- auch in Zukunft in Sicherheit und relativem Wohlstand . re Sicherheit und nicht zuletzt um die Sicherung unseres Und noch einmal möchte ich betonen, dass wir das al- Wohlstands . leine nicht hinbekommen . Dazu braucht es einen star- ken Partner, und da sind uns die Vereinigten Staaten von Ich danke Ihnen . Amerika und übrigens auch die Kanadier am nächsten . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dann kann das funktionieren .

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Präsident Dr. Norbert Lammert: ordneten der SPD) Jürgen Trittin ist der nächste Redner für die Fraktion Wenn ich von den Kanadiern spreche, möchte ich na- Bündnis 90/Die Grünen . türlich auch nicht unerwähnt lassen, dass es auch hier im transatlantischen Verhältnis ein Megaprojekt gibt, das es Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): noch zu ratifizieren bzw. umzusetzen gilt: das Freihan- delsabkommen zwischen der Europäischen Union und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Deut- Kanada, abgekürzt CETA, das als Blaupause für TTIP sche haben zu den USA eine besonders enge Beziehung . gelten soll. Es ist final verhandelt und kürzlich noch um Das kann man daran sehen, wie die US-Präsidentschafts- ein Investitionsschutzkapitel erweitert worden, das jetzt wahlen hier verfolgt werden: Trump gegen Cruz, Sanders auch den Sorgen der Bevölkerung, der Öffentlichkeit gegen Clinton . Dies alles wird verfolgt – Herr Liebich hat das schon angesprochen –, als würde man mitwählen . Ich Rechnung trägt . Es muss jetzt zügig die Voraussetzung finde, das ist ein gutes Zeichen für die transatlantischen geschaffen werden, dass das umgesetzt wird, dass wir es Beziehungen . Es zeigt, dass sie tief in der Gesellschaft, ratifizieren können, damit es im Laufe des nächsten Jah- bei den Menschen verwurzelt sind . res, 2017, auch tatsächlich in Kraft treten kann . (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auch für TTIP gilt: Es geht voran, und es geht gut sowie bei Abgeordneten der SPD) voran . Bei allen Zweifeln, die ich hier immer wieder höre angesichts eines solchen Projekts: Bei dem transatlanti- Das macht auch die Spannung darüber aus, was da- schen Projekt unserer Zeit, bei dem es eben nicht nur um bei herauskommt, was uns erwartet . Ein neuer Kurs der blanke Wirtschaftszahlen, sondern auch um geopoliti- Isolation? Eine Abschottung, wofür Ted Cruz und Trump sche und geostrategische Aspekte, Klugheit und Richtig- zum Beispiel plädieren? keit geht, geht es voran . Zuversichtlich bin ich, dass wir noch während der Amtszeit der derzeitigen US-Adminis- (Peter Beyer [CDU/CSU]: Warten Sie es ein- tration, die ja immerhin noch bis zum 20 . Januar 2017 mal ab!) geht, zu guten Ergebnissen kommen . Eine interventionsfreudigere Präsidentin wie Hillary Gerade in der heutigen Zeit ist es richtig, wieder Brü- Clinton? cken zu schlagen, teilweise angekratztes Vertrauen im transatlantischen Verhältnis wiederherzustellen und auf- (Peter Beyer [CDU/CSU]: Sie sind noch nicht zubauen, gegenseitiges Verständnis für unterschiedliche einmal Kandidaten!) Ansichten über durchaus gleichgelagerte Sachverhalte Die Frage stellt sich natürlich auch und gerade vor dem zu gewinnen . Das geht natürlich am besten, indem man Hintergrund: Wie war das bis jetzt? sich wechselseitig begegnet und miteinander redet . Viele Austauschprogramme leisten das bereits, von den politi- Ich will an dieser Stelle eines deutlich sagen: Die schen Stiftungen über die transatlantischen Vereinigun- acht Jahre der Obama-Administration waren gute Jahre gen wie Atlantik-Brücke, GMF, Aspen und wie sie alle für die transatlantischen Beziehungen . Präsident Barack heißen, bis hin zur AmCham, die in diesem Bereich gute Obama war ein kluger Präsident, manchmal auch klüger Arbeit leistet . Deswegen ist es gut, dass bereits zum fünf- als die Bundeskanzlerin . Er war nämlich schon 2003 ge- ten Mal der amerikanische Präsident in wenigen Tagen gen den Irakkrieg, mit dessen Folgen wir noch zu tun hier nach Deutschland zur Hannover Messe kommt . Die haben . Er war mit seiner Gesundheitsreform ein mutiger Vereinigten Staaten sind dieses Jahr Partnerland . Hier Präsident . Manche halten ihn für einen schwachen Prä- wird es wieder Gelegenheit zu vielen Begegnungen auf sidenten . Das ist ein Irrtum . Schwach war sein Vorgän- vielen Ebenen, auch auf hochrangiger Ebene, geben . Das ger . Der Unilateralismus eines George W . Bush hat im schafft Brücken und schafft Vertrauen, das wir zueinan- Ergebnis zu weniger Ansehen, weniger Macht und weni- der haben und das wir weiterentwickeln müssen . ger Handlungsspielraum für die USA geführt . Das ist die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16237

Jürgen Trittin (A) Ursache für die Überdehnung der einstigen Supermacht hat jetzt in einem Interview gesagt, sein schlimmster (C) USA gewesen . Fehler war die Intervention in Libyen .– Da war Frau Merkel übrigens klüger . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Obama hat aus dieser Erkenntnis nur die Konsequenz Ich sage das an dieser Stelle, weil damals eine ganze Bat- gezogen, nämlich umgestellt auf eine kluge Realpolitik . terie von Leitartiklern in diesem Land geschrieben hat, Er hatte die Erkenntnis, dass auch die Supermacht USA diese Haltung – sie wurde übrigens von fast allen Partei- die Folgen der Globalisierung nicht alleine bewältigen en in diesem Hause getragen – sei Antiamerikanismus . kann . Er hat auf Kooperation gesetzt . Das hat er getan Nein! Ich glaube, es war richtig, vor einer Intervention zu beim Klimaabkommen in Paris . In Kioto standen sie noch überlegen, was das an Konsequenzen haben kann . Des- abseits . Jetzt haben sie durch ihre Kooperation mit China wegen glaube ich, dass diese Selbstkritik berechtigt war . dieses Abkommen überhaupt erst möglich gemacht . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dann gibt es auch eine andere transatlantische Ge- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der meinsamkeit, nämlich die Konsequenz, dass jetzt über CDU/CSU und der LINKEN) Dekarbonisierung nicht nur in Schlusserklärungen von Natürlich muss man darüber sprechen, dass unter der Elmau geredet wird . Nein, man sollte doch einmal zur Präsidentschaft Obamas der Drohnenkrieg ausgeweitet Kenntnis nehmen, dass jenseits des Atlantiks die Familie worden ist . Das geschah übrigens auch über Ramstein . Rockefeller sagt: Wir investieren künftig nicht mehr in Wir alle wissen, dass dies im Kampf gegen den Terroris- fossile Energien .– Vielleicht kommt das auch bei Sigmar mus vielfach eben nicht hilfreich war . Im Gegenteil: Die- Gabriel irgendwann einmal an . ser Drohnenkrieg in Somalia, im Jemen und in Pakistan (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat weite Teile dieser Regionen destabilisiert . Und wir und bei der LINKEN) wissen: Destabilisierte Räume sind Räume für Terroris- mus . Ich glaube, an dieser Stelle ist dann auch Klartext Ich will sehr deutlich sagen, dass es die Obama-Admi- angesagt . nistration gewesen war, die – auch gegen eine Mehrheit im Kongress, die dafür gewesen ist, den Ukraine-Krieg (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Krise dort mit Waffenlieferungen zu verschär- und bei der LINKEN) fen – durchgesetzt hat, dem Verhandlungskurs der Euro- Manchmal stellt man ja fest, dass die Herausforde- päer und der deutschen Bundesregierung in dieser Fra- rungen, vor denen wir stehen, sehr ähnlich sind . Rechten ge den Rücken freizuhalten . Auch das hat letztendlich Terror gibt es – angefangen bei Timothy McVeigh – in Minsk möglich gemacht . (B) den USA ebenso wie bei uns, wo es um den NSU geht . (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt islamistische Terroristen in San Bernardino, aber auch in Europa, in Molenbeek und hier . Ich glaube, dass Natürlich bin ich bei Ihnen, Herr Liebich: Atomwaf- wir eine gemeinsame Herausforderung haben, dem zu fen in Büchel – das ist ein schlechtes Kapitel . begegnen . Dem wird man übrigens nicht mit neuen Mau- Ich bin auch bei all denen, die sagen: Obamas Vision ern begegnen können, sondern nur, wenn man darauf einer nuklearwaffenfreien Welt ist noch nicht Wirklich- setzt, dass wir unsere Werte – nämlich demokratische keit geworden .– Aber ich möchte auch auf eines hinwei- Gesellschaften, die auf Teilhabe abzielen – wirklich ernst sen: Der einzige wirkliche Schritt nuklearer Abrüstung nehmen . der vergangenen Jahre ist mit diesem Präsidenten mög- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lich gewesen: Es ist selbstbewussten Europäern – zusam- men mit den USA und zusammen mit China und Russ- Das ist der tiefe Grund für die Freundschaft und die Zu- land – gelungen, ein nukleares Wettrüsten mit dem Iran sammenarbeit mit den USA . im Nahen Osten zu unterbinden . Das wollen Ted Cruz Dabei sollte man sich vor Überheblichkeit schützen . und Donald Trump jetzt rückgängig machen . Gerade im Zusammenhang mit TTIP gibt es auch solche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stimmen, nach dem Motto: Hier in Europa ist alles gut, und bei der LINKEN) und in den USA ist alles schlecht .– Ich will Ihnen nur ein Beispiel geben: Kennen Sie den Unterschied zwischen Ich finde, das ist eine gute Bilanz. Das knüpft übri- Good Governance und Bad Governance? Good Gover- gens an Vorarbeiten deutscher Außenminister, Fischer, nance: Die USA haben eine Environmental Protection Westerwelle, Steinmeier, an . Agency . – Wir haben . Es gibt aber natürlich Dinge, wo man auch Klartext (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ reden muss . Warum zum Beispiel gibt es – obwohl man DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: jetzt dabei ist, mit Russland zu verhandeln – für Syri- Ja, Gott sei Dank! – Jürgen Hardt [CDU/ en immer noch kein UN-Mandat? Wir Deutsche sollten CSU]: Das ist jetzt aber ein Kalauer!) klarmachen, dass wir den Willen zur Kooperation begrü- ßen . Aber Kooperation ist noch kein Multilateralismus Die einen sorgen mit Milliardenstrafen dafür, dass VW im Rahmen der Vereinten Nationen . geltendes Recht einhält; die anderen tragen großes Karo zur Schau und tauchen ansonsten ab . Oder nehmen wir ein anderes Beispiel, ein Beispiel, das auch die Stärke von Demokratien aufzeigt . Obama (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 16238 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Jürgen Trittin (A) Deswegen glaube ich, meine Damen und Herren, dass wir Also: Demonstrieren wir nächste Woche Samstag ge- (C) uns auch bei TTIP darum bemühen sollten, voneinander­ meinsam im Geiste von Sanders und Clinton für fairen zu lernen, um den jeweils besseren Standard durchzu- Freihandel, für soziale Marktwirtschaft und Demokratie . setzen . Aber das, lieber Kollege Steinbrück – ich teile ja Das ist gelebte deutsch-amerikanische Freundschaft . Ihre strategische Überlegung –, was da im Rahmen der realen Geschichte, der TTIP-Verhandlungen, passiert, ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN doch kein „levelling up“, vielmehr ist es ein „race to the und bei der LINKEN) bottom“, das hier organisiert wird . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Was erzählen Sie denn dem deutschen Mittelständler, Das Wort erhält jetzt die Kollegin Dagmar Freitag für der künftig in den USA weiter mit „‚Buy American‘- die SPD-Fraktion . claus­es“ konfrontiert sein wird, mit Regeln, die bei uns gegen den Binnenmarkt verstoßen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist doch gegen die Marktwirtschaft und gegen den Mittelstand . Dagmar Freitag (SPD): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Sie sagen, es solle neue Leitplanken geben . Schauen transatlantische Verhältnis – ein immer wieder polari- Sie sich doch mal die Kapitel zur regulatorischen Koope- sierendes Thema . Die einen denken an Persönlichkeiten ration an! Dann stellen Sie fest: Hier wird ein bürokra- wie Martin Luther King mit seiner weltberühmten Rede tisches Monster geschaffen, das gerade verhindern soll, „I have a dream“ auf den Stufen des Lincoln Memori- dass besser demokratisch reguliert wird, dass es mehr als . Andere haben ein geradezu verklärtes Bild von dem Leitplanken gibt . „sweet land of liberty“, das für viele als Einwanderungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) land so attraktiv ist . Das ist das Gegenteil von dem, was Sie uns zurzeit bei Dagegen haben wir natürlich auch andere Assozia- TTIP versprechen . Meine Damen und Herren, wie man tionen, die uns – ich muss das einräumen – manchmal so etwas organisiert, erleben wir jeden Tag im TTIP-Le- einigermaßen fassungslos machen: Guantánamo, Wa- seraum . Wir können jetzt diese Debatte gar nicht mitei- terboarding, die laschen Waffengesetze, der ungeheure nander führen, weil das Einzige ist, was ich dazu sagen Einfluss der Waffenlobby auf politische Entscheidungs- (B) kann – um Thomas de Maizière zu zitieren –: Das könnte träger, Schüsse weißer Polizisten auf farbige Landsleute (D) die Bevölkerung schwer verunsichern . oder auch die Todesstrafe, die es immer noch in vielen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten gibt . (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Diese wenigen Beispiele sind – je nach Standpunkt – Das ist übrigens der Grund, warum am 23 .April viele Gründe entweder für einen geradezu plumpen Antiame- Menschen in Hannover gegen TTIP demonstrieren wer- rikanismus oder aber für ein relativ verklärtes Bild dieses den . Diejenigen, die da demonstrieren, sind aber keine Landes . Beides ist aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt . Antiamerikaner . Sie wissen: Nur fairer Handel ist freier Die Beziehungen zu Kanada und den Vereinigten Handel . Staaten haben für unser Land – Herr Kollege Steinbrück (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nachdrücklich darauf hingewiesen – eine besonde- und bei der LINKEN) re Bedeutung . Unbestritten ist aber auch: Es hat immer wieder Irritationen gegeben . Wir müssen daran arbeiten, Sie können sich dabei auf viele Menschen, auch in den sie abzubauen, und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks . USA, berufen . Ich zitiere: Dabei ist natürlich ein kritischer Blick völlig unverzicht- … wir sollten … auf … Regelungen verzichten bar . Denn nur so kann eine Partnerschaft, die Werten ver- … die Unternehmen das Recht einräumen, auslän- pflichtet ist, auch wirklich gelebt werden. dische Regierungen gerichtlich dazu zu zwingen, Umweltstandards zu senken oder das öffentliche Klar ist aber auch: Diese Partnerschaft hat nichts von Gesundheitswesen zu verschlechtern … ihrer Bedeutung eingebüßt . Ich würde sagen: Vielleicht ist sie heute wichtiger denn je . Denn in einer globali- Hillary Clinton . sierten Welt sehen sich Deutschland und natürlich auch (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Europa ganz gewaltigen Herausforderungen gegenüber . SES 90/DIE GRÜNEN) Außenminister Steinmeier hat zu Beginn seiner zweiten Amtszeit davon gesprochen, dass die Welt aus den Fugen Oder: geraten sei . An dieser Zustandsbeschreibung, liebe Kol- leginnen und Kollegen, hat sich bis heute nichts geän- Ich glaube an fairen Handel, von dem der Mittel- dert – leider! Brutale Bürgerkriege, zerfallende Staaten, stand und … Familien profitieren, nicht nur große auch zunehmende Wetterextreme – all das löst Fluchtbe- multinationale Konzerne . wegungen von Millionen von Menschen aus . Deren Fol- Bernie Sanders . gen kann kein Staat im Alleingang bewältigen . Diese und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16239

Dagmar Freitag (A) weitere Herausforderungen machen klar: Deutschland Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) und Europa brauchen verlässliche Partner . Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Klaus Ernst das Wort . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mehrfach darauf hingewiesen: Gute transatlantische Beziehungen Klaus Ernst (DIE LINKE): sind keine Selbstverständlichkeit, kein Selbstläufer . Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bisherige Debatte zeigt – und das ist unbe- Ein Beispiel, das zugegebenermaßen keine weltpoli- stritten –, dass ein Amerika in der Form nicht existiert, tische Bedeutung hat, aber für den Deutschen Bundes- sondern dass es Licht und Schatten gibt . Das Problem tag, für uns alle hier, von besonderer Bedeutung ist, ist ist: Wie reagiert unsere Bevölkerung auf Vorgänge, die das Parlamentarische Patenschafts-Programm . Das US die Debatte in den letzten Monaten und Jahren belastet State Department hat vor zwei Jahren einseitig die pari- haben? Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die Bezie- tätische Finanzierung, die über 30 Jahre funktioniert hat, hungen zu den Vereinten Staaten von Amerika auf ge- aufgekündigt und damit dieses wunderbare Austausch- meinsamen Werten – ich zitiere –, programm letztlich infrage gestellt . Dieses Programm hat immerhin mehr als 23 000 junge Menschen aus unse- auf den Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaatlich- ren Ländern in das jeweilige Partnerland geführt, hat die keit, Freiheit, Marktwirtschaft und Respekt vor dem Gelegenheit gegeben, Kultur und vieles andere kennen- Individuum gründen . zulernen, die Sprache zu lernen . Es war klar erkennbar: Die Prioritäten des State Department hatten sich auch bei (Peter Beyer [CDU/CSU]: So sieht es aus!) diesen Austauschprogrammen auf andere Regionen die- ser Welt verlagert . Dann ist es parteiübergreifend durch – So sieht es aus, aber leider nicht immer in der Praxis . Gespräche zwischen Abgeordneten gelungen, die Finan- Amerika hat eben zwei Seiten . Das ist in den Reden, zierung auf den alten Ansatz zurückzuführen . Ich möchte die wir hier gehört haben und denen ich nur zustimmen die Gelegenheit nutzen, den Kolleginnen und Kollegen kann, deutlich zum Ausdruck gekommen . Nur: Wenn aus allen Fraktionen dieses Hauses, aber auch den Kol- wir selber nicht versuchen, in den Beziehungen zu den legen auf amerikanischer Seite – namentlich möchte ich Vereinigten Staaten diese Werte, Freiheit, Demokratie, G .T .Thompson und Jim McDermott nennen – dafür zu Rechtsstaatlichkeit, hochzuhalten und zu verteidigen, danken, dass es gemeinsam gelungen ist, das Programm auch wenn Dinge passieren, die wir nicht wollen, dann (B) zum alten Ansatz zurückzuführen . Das ist eine gute (D) wird die Bevölkerung eher ein negatives Bild von Ame- Nachricht für Deutschland und für die USA . Es ist vor rika und übrigens auch von uns selber erhalten . allen Dingen eine gute Nachricht für junge Menschen beider Länder . Ich frage mich nach wie vor: Welche Konsequenzen wurden eigentlich aus dem Abhörskandal – die Kanzlerin (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- wurde ja nun abgehört, das ist bekannt – gezogen? Inwie- wie bei Abgeordneten der LINKEN und des weit sind wir tatsächlich bereit, die Werte, auf die wir uns BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) beziehen und die Sie in Ihrem Antrag hervorheben, zu verteidigen, auch im Verhältnis zu den USA? Und es zeigt eines: Das letzte Wort haben nicht Ministe- riale, sondern die Parlamentarier . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aber wenn jemand sagt: „Das ist nicht in Ordnung, dass der LINKEN und des Abg . Peter Beyer [CDU/ wir das nicht tun“, dass wir als Europäer zu unterwürfig CSU]) seien, dann kommt der Vorwurf des Antiamerikanismus . Dabei bezieht sich die Kritik auf sehr konkrete Vorgänge, Herausforderungen sind dazu da, angenommen durch die diese Werte wie Demokratie und Rechtsstaat- zu werden . Die Suche nach Lösungen – so schwer sie lichkeit, die Sie in den Vordergrund stellen, verteidigt manchmal auch sein mag – kann auch zusammenschwei- werden sollen . Insofern möchte ich den Vorwurf des An- ßen . Wir haben es heute Morgen mehrfach gehört: Die tiamerikanismus in dieser Debatte mit aller Schärfe zu- transatlantischen Beziehungen sind weit mehr als nur rückweisen . Es gibt Kritik, die ist berechtigt, und das ist eine Zweckgemeinschaft . Deshalb lohnt es sich, daran kein Antiamerikanismus . zu arbeiten, dafür zu kämpfen . Wir sind dazu bereit . Der vorliegende Antrag zeigt auf, in welche Richtung es wei- (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- tergehen soll . Ich bin froh, dass wir heute Morgen Gele- Brömer [CDU/CSU]: Warum gibt es die ge- genheit hatten, dies sehr deutlich zu machen . Auch das ist gen Russland eigentlich nicht?) ein Zeichen an die andere Seite des Atlantiks . In diesem Sinne werbe ich um die Zustimmung für unseren Antrag . Meine Damen und Herren, ich erinnere an die ­McCarthy-Zeit in Amerika, in der Chaplin und andere vor Vielen Dank . einen Ausschuss für antiamerikanische Umtriebe gezerrt wurden . Ich habe durch diesen Vorwurf des Antiamerika- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nismus den Eindruck, einige wollen die ­McCarthy-Zeit 16240 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Klaus Ernst (A) in Europa wieder einführen . Bitte, das brauchen wir Ich danke fürs Zuhören . (C) nicht, das ist nicht notwendig, und das können wir lassen . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer [CDU/ CSU]: Das ist ja Unsinn, was Sie erzählen!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Jetzt kommen wir zu den zentralen Werten Rechts- Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Hardt für die staatlichkeit und Demokratie, und dann komme ich, Herr CDU/CSU . Steinbrück, auch auf die von Ihnen erwähnten Abkom- (Beifall bei der CDU/CSU) men mit den USA und Kanada. Die Verhandlungen fin- den und fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, übrigens auch weitgehend unter Ausschluss der Abge- Jürgen Hardt (CDU/CSU): ordneten, und zwar bis heute . Ich frage mich, wo da die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Grundlagen dieser transatlantischen Freundschaft, näm- haben heute viele gute Reden zum Thema „transatlanti- lich Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, sind . Zur De- sche Partnerschaft“ gehört . mokratie gehört eben auch Transparenz, und die haben (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das war sie ge- Sie nicht hergestellt . rade! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: (Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer Die letzte gehörte nicht dazu!) [CDU/CSU]: Das hat damit nichts zu tun!) Dafür möchte ich danken, das gilt fraktionsübergreifend . Nach wie vor sind Schiedsgerichte vorgesehen . Der Wir haben aber das eine oder andere gehört, auf das ich Deutsche Richterbund sagt: Die Schaffung von Sonder- kurz eingehen möchte . Das eine oder andere fehlt viel- gerichten für einzelne Gruppen und Rechtsgesuche ist leicht noch . der falsche Weg und rechtlich nicht akzeptabel .– Meine Herr Liebich, wenn Sie für Herrn Sanders hier im Damen und Herren, auch das hat mit Rechtsstaatlichkeit Deutschen Bundestag die Lanze brechen, dann müssen nichts zu tun . Im Übrigen: Bei den Abkommen sind be- Sie überlegen, ob das in Amerika wirklich als Unterstüt- sondere Gremien vorgesehen, die an den Entscheidun- zung dieses Kandidaten aufgefasst wird . gen der Parlamente vorbei Regelungen setzen können, die völkerrechtlich verbindlich sind . Auch das hat mit (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Stefan Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun . Liebich [DIE LINKE]: Auf jeden Fall!) Die Entscheidung, dass man CETA und TTIP vor- Ich fürchte, das ist ein – wie nennt man das? – Danaerge- läufig in Kraft setzt, also bevor Parlamente darüber bei schenk, was Sie da bringen . (B) (D) der Behandlung eines entsprechenden Gesetzes über- (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Keine Sorge!) haupt debattiert haben, wertet Wolfgang Weiß, Professor Dr .W olfgang Weiß, folgendermaßen: Er sagt: Es ist ver- Herr Trittin, vor zwei Jahren haben Sie einen Euro- fassungsrechtlich und demokratiepolitisch unakzeptabel, pawahlkampf geführt mit der Legende vom Chlorhühn- dass die vorläufige Anwendung eines Abkommens an den chen . Leider setzen Sie diese Legendenbildung weiter Parlamenten vorbei erfolgt .– Meine Damen und Herren, fort . Zum Thema Handelsabkommen möchte ich nur auch das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun . zwei Dinge konkret anmerken: Erstens . Die Vorstellung, wir Europäer würden den Amerikanern einen Gefallen (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . tun, wenn wir ein solches Abkommen abschließen, ist Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Unsinn . Umgekehrt: Wir sind die Nation, Deutschland Deshalb sage ich Ihnen: Das, was Sie hier praktizie- in Europa, bei der mit Abstand die meisten Arbeitsplätze ren, oder das, was Sie hier versuchen zu praktizieren, vom Außenhandel abhängen . Deswegen ist es in erster nämlich ein Gebilde auf vernünftige Werte zu beziehen, Linie in unserem, im deutschen und im europäischen, während diese Werte in der Praxis, insbesondere im Zu- Interesse, dass wir zu einem guten und hohe Standards sammenhang mit den Handelsabkommen, der Realität sichernden Handelsabkommen mit den USA und mit Ka- nicht standhalten, führt dazu, dass sich Bürgerinnen und nada kommen . Bürger wehren und dass sie – meines Erachtens ist das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) eigentlich nicht richtig – das Verhältnis der Europäer zu den USA generell infrage stellen . Zweitens zum Thema Inhalte . Wir haben jetzt ein gut ausgehandeltes, faires Abkommen der Europäischen Diese Handelsabkommen nützen nicht den Bürgern in Union mit Kanada, CETA, auf dem Tisch liegen . den USA, sie nützen nicht den Bürgern in Europa . (Zuruf der Abg . Katja Kipping [DIE LINKE]) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist für die absolute Minderheit, was Sie da sa- Das ist der Beleg dafür, dass die Europäische Kommissi- gen!) on, dass die neue Handelskommissarin, Frau Malmström, der Generaldirektor Demarty und der Chefunterhändler Deswegen werden sie abgelehnt, und deshalb traut sich Bercero eine gute Arbeit machen und dass wir darauf set- auch kein Präsidentschaftskandidat in Amerika, gegen- zen dürfen, dass das, was wir, die Mitgliedstaaten der Eu- wärtig im Wahlkampf für diese Handelsabkommen ein- ropäischen Union, der Kommission als Leitplanken, als zutreten . Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen und Verhandlungsmaßstab für dieses Abkommen mitgegeben diesen Unfug lassen . haben, auch umgesetzt und durchgesetzt wird . Da alle Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16241

Jürgen Hardt (A) europäischen Parlamente, auch der Deutsche Bundestag, gereist sind als jemals zuvor . Das sind ganz wichtige und (C) eines Tages einem Eins-zu-eins-Text des Abkommens in gute Entwicklungen und Anknüpfungspunkte . der jeweiligen Sprache zustimmen müssen, bevor es in Wir haben die Mittel für den German Marshall Fund, Kraft tritt, bitte ich Sie wirklich: Lassen Sie uns doch der unsere Antwort auf die großzügige Marshallhilfe der die Verhandler ihre Arbeit machen, und belasten wir das Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg war – er wur- Thema nicht mit neuen Legenden . Es schadet im Übrigen de von Willy Brandt ins Leben gerufen –, aufgestockt . auch uns, wenn wir die Perspektiven auf das Handelsab- Der Staatsminister im Außenministerium hat, glaube ich, kommen so einseitig verschieben . gerade gestern die Finanzzusage gemacht, mit der die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Arbeit dieser wichtigen Institution auf höherem Niveau fortgeführt werden kann . Wenn wir auf den Zustand der transatlantischen Part- Aber es muss eben auch jede Generation ihr Narrativ, nerschaft blicken, können wir feststellen, dass – der ihre Geschichte der transatlantischen Freundschaft, der Ukra­ine-Konflikt ist ein Beispiel dafür – die amerikani- transatlantischen Partnerschaft neu erfinden. Deswegen sche Führung seit einigen Jahren stärker auf Europa setzt, bin ich dafür, dass wir die Agenda der Themen der trans­ stärker auf den partnerschaftlichen Ansatz gemeinsam atlantischen Partnerschaft, über die außen- und sicher- mit uns, auch stärker auf die Meinung und die Position heitspolitischen Fragen und die wirtschaftspolitischen der Europäer, sie umgekehrt aber auch mehr Verantwor- Fragen – TTIP – hinaus, erweitern um die Themen, die tungsbereitschaft und eine stärkere Übernahme von Ver- gerade die junge Generation ansprechen . Amerika schaut antwortung von uns erwartet . Ich plädiere dafür, dass wir auf Deutschland und Europa, wenn es zum Beispiel um uns dieser Aufgabe stellen, dass wir darüber im Einzel- die Energiewende geht . Es gibt ganz viele Kontakte, fall diskutieren, wir diese Aufgabe aber ernsthaft wahr- auch auf Ebene der Bundesländer, zu den US-Bundes- nehmen und alle Anstrengungen unternehmen, ein guter staaten . Es gibt zum Beispiel einen ständigen Energie- Partner in dieser Zusammenarbeit zu sein, der entspre- dialog Deutschlands mit Minnesota, bei dem es um die chend seiner Leistungsfähigkeit das Nötige tut . Frage geht: Wie geht Deutschland diesen Weg? Das Wort Die Amerikaner haben nach dem Zweiten Weltkrieg „Energiewende“ ist ähnlich wie der Begriff „Kindergar- mit dem Marshallplan ein großartiges Beispiel gesetzt, ten“ in die amerikanische Sprache eingegangen, zumin- indem sie den Wiederaufbau Europas und nicht zuletzt dest bei denen, die sich mit diesen Themen befassen . Deutschlands ermöglicht haben . Wenn Sie Luftbilder Wir als Deutsche sind für die Amerikaner auch ein von Aleppo sehen, fühlen Sie sich frappierend erinnert gutes Beispiel für die Bekämpfung von Jugendarbeitslo- an Luftbilder von Dresden vom Februar 1945 . Es wird sigkeit durch gute Ausbildung . Wenn ich als Koordinator (B) unsere gemeinsame Aufgabe sein, den Wiederaufbau für die transatlantische Zusammenarbeit nach Amerika (D) Syriens, aber auch den Wiederaufbau Libyens und ande- reise und dort unterwegs bin, bekomme ich immer einen rer Regionen, die in dieser Art und Weise zerstört sind, Termin beim Gouverneur oder bei dem für Bildung im die keine Heimat für Menschen mehr sein können, zu jeweiligen Staat Zuständigen, weil die Amerikaner sich gewährleisten . Wir können nicht darauf vertrauen, dass enorm für das interessieren, was wir bei der Bildung von wiederum die Amerikaner in ihr Geldsäckel greifen und Jugendlichen und der Vermeidung von Jugendarbeitslo- das alles finanzieren. Vielmehr werden sie auf uns setzen, sigkeit beim Übergang von der Schule ins Berufsleben auf Europa setzen . Sie werden darauf setzen, dass wir auf die Beine stellen . Da schaut sich Amerika einige Din- unseren Beitrag zum Wiederaufbau leisten . Ich bin dafür, ge von uns ab . Dieses Pfund sollten wir herausstellen . dass wir uns dafür einsetzen . Wir sollten dafür sorgen, dass in unseren Austausch- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und programmen die gesellschaftliche Wirklichkeit in un- der SPD) seren Ländern immer gut abgebildet wird . Ich glaube, dass bei den Schülern und Studenten, die aus Amerika zu Wir haben in der transatlantischen Partnerschaft gegen- uns kommen, die African Americans oder die Amerika- wärtig einen Kontakt auf Regierungs- und Parlaments­ ner asiatischer oder lateinamerikanischer Herkunft noch ebene, wie er enger möglicherweise allenfalls in den unterrepräsentiert sind . Bei uns sind in den Austausch- Jahren 1989/1990 im Zusammenhang mit der deutschen programmen möglicherweise diejenigen Jugendlichen Einheit gewesen ist . Zum fünften Mal kommt der ame- unterrepräsentiert, die aus Migrantenfamilien kommen . rikanische Präsident nach Deutschland . Als der neue Ich kann die Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Speak ­er, der neue Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus Bundestages bei der Auswahl von Kandidaten für diese der Vereinigten Staaten von Amerika, vergangene Woche Programme nur bitten und auffordern, auch einen Blick seine Reise auf dieser Seite des Atlantiks beendete, hat er darauf zu wenden, dass die deutsche Gesellschaft und die als einziges Land Deutschland besucht . Er hat den Bun- amerikanische Gesellschaft sich ein Stück verändern . Ich destagspräsidenten getroffen und mit ihm über die Zu- glaube allerdings, dass wir da auf einem guten Weg sind . kunft der transatlantischen Beziehungen gesprochen . Das (Dagmar Freitag [SPD]: Sehr gut!) ist ein klares Zeichen dafür, dass gerade auch Deutsch- land in dieser transatlantischen Partnerschaft eine star- Wenn wir uns manchmal über Amerika ärgern, dann ke Rolle zukommt . In den letzten zwölf Monaten waren hat das vielleicht auch damit zu tun, dass wir glauben, mehr Abgeordnete aus Amerika, Mitglieder des Kon- dass wir Amerika so gut kennen . Ich nenne das Ver- gresses, hier in Deutschland als jemals zuvor . Ich glau- trautheitsillusion . Jeder von uns erlebt in seinem Alltag be, dass auch mehr deutsche Abgeordnete nach Amerika ständig amerikanische Alltagskultur; unsere Fernseh- 16242 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Jürgen Hardt (A) sendungen und Fernsehserien, Produktwelten usw . sind Umweltpolitikerin oder ein Umweltpolitiker ausgedacht (C) stark amerikanisch geprägt . Wenn die Amerikaner dann hätte, dann wären die Handelskammern, dann wären Sie doch an dem einen oder anderen Punkt anders ticken als auf den Barrikaden, um solch ein Monster zu verhindern . wir, dann sind wir entsetzt und schockiert . Das wären wir Hier sagen Sie, dass Sie Vertrauen haben, dass die Euro- nicht, wenn es um einen anderen ausländischen Partner päer das machen . ginge . Umgekehrt ist es ähnlich . 30 Prozent der Ameri- kaner sind deutscher Abstammung, übrigens auch Paul Merken Sie sich eines: Ich habe vorhin bewusst ge- Ryan; die Familie kommt nicht nur aus Irland, sondern sagt, dass es nicht die Amerikaner sind, sondern dass es auch aus Regensburg, wie er uns erzählt hat . Die Ameri- auch die Verhandlungsstrategie der Europäischen Union kaner sagen: Wir sind doch ursprünglich selbst Europäer . ist . Für diese Verhandlungsstrategie muss sich auch die Warum versteht ihr uns nicht besser? Bundesregierung mitverantworten, weil sie am Ende im Rat zustimmen muss . Wir müssen klar feststellen: Es gibt Unterschiede zwi- schen dem amerikanischen Denken und dem deutschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und dem europäischen Denken . Aber diese Unterschied- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) lichkeit ist eine Chance, gemeinsam den besseren Weg zu finden. Wir sollten bereit sein, in dieser Partnerschaft Präsident Dr. Norbert Lammert: mehr Verantwortung zu übernehmen, was die Außen- Zur Erwiderung, Herr Kollege Hardt . und Sicherheitspolitik und die Wirtschaftspolitik angeht . Die Welt braucht mehr transatlantische Partnerschaft . In diesem Sinne ist dieser Antrag ein starkes Bekenntnis zu Jürgen Hardt (CDU/CSU): diesem Weg auch in der Zukunft . Herr Präsident! Lieber Kollege Trittin, zunächst ein- mal muss ich konstatieren: Das Niveau der Diskussion Herzlichen Dank . steigt. Das finde ich gut. Wir reden jetzt nicht mehr über (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) das Chlorhühnchen, sondern über konkrete, schwierig zu verhandelnde Dinge . Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich möchte kurz auf beide Punkte eingehen: Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Trittin Erstens . Natürlich kann die amerikanische Adminis- das Wort . tration für alle Bundesentscheidungen garantieren, dass das im Sinne des Wettbewerbs möglich ist . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) Lieber Herr Kollege Hardt, Sie haben in Antwort auf NEN]: Das war nicht die Frage!) mich über Ihr großes Vertrauen in die Verhandlungen durch die Europäische Union gesprochen . Ich will vor- Sie kann auch für alle Investitionen in den Staaten, in weg eine Bemerkung machen: Ich bin gebürtiger Bremer . denen Bundesfinanzmittel verwendet werden, garantie- Wir hatten schon Globalisierung im Mittelalter . Das hieß ren . Was Kanada betrifft, haben wir erreicht, dass die damals Hanse . Ohne die Hanse gäbe es heute keinen Bor- Mitgliedstaaten, die Provinzen Kanadas, dem Handels- deaux . Ich bin also kein Gegner des Freihandels . abkommen zustimmen, sodass das Abkommen auch mit Blick auf das, was in den Provinzen investiert wird, gilt . Vielleicht hätten Sie sich die Mühe machen sollen, Ich glaube, das ist die richtige Marschrichtung für die auf die konkreten Argumente einzugehen . Ist es nicht Verhandlungen der Europäischen Kommission über die- wahr, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten es der ses Thema . Ich bin zuversichtlich, dass wir uns ein Stück Administration überhaupt nicht erlaubt, die Staaten der weit in diese Richtung bewegen . Föderation zu binden und beispielsweise Buy American Clauses zu verbieten? Ist das nicht ein Gefälle gegenüber Das Zweite ist das Thema „regulatorische Kooperati- der Europäischen Union, wo solche Ausschreibungen on“ . Klar ist, dass am Ende des Tages die Parlamente, die schlicht und ergreifend gegen die Regeln des Binnen- frei gewählten Volksvertreter, darüber entscheiden müs- marktes verstoßen würden? sen, welche Regelungen sie in ihrem Raum anwenden . Aber ich finde es, wenn man einen gemeinsamen Han- Ich füge ein Zweites hinzu . Sie haben gesagt, dass Sie delsraum hat, gemeinsame Standards vereinbart hat und Vertrauen in die Kommission haben . Schauen Sie sich sich auf die wechselseitige Anerkennung von Standards doch einmal die veröffentlichten Papiere zur regulatori- verständigt hat, klug, dass man dann, wenn man neue schen Kooperation an, die aus Europa kommen . Die glei- Standards setzen will, weil neue Fragen aufkommen, che Kommissarin, die sagt, dass sie das Vorbeugeprinzip auch darüber redet, ob man nicht gemeinsam einen hohen nicht verhandelt – das ist ein Kern europäischer Umwelt- neuen Standard für das entsprechende Thema entwickelt . politik –, legt ein Modell vor, wonach Regierungen ge- In diesem Sinne sind die regulatorischen Kooperations- zwungen sind, ein Jahr im Voraus ihre Absichten bekannt räte zu verstehen . Letztlich müssen die Parlamente, der zu geben, was sie möglicherweise regulieren würden . In Kongress und das Europaparlament sowie die Parlamen- dem Modell ist detailliert festgeschrieben, wer vorher zu te der Mitgliedstaaten, entscheiden, was sie daraus ma- befragen ist und wie auf Einwände zu reagieren ist, und es chen . Deswegen habe ich vor dieser Art von Zusammen- soll eine Pflicht geben, am Ende des Jahres einen Bericht arbeit keine Angst . darüber vorzulegen, was erfolgt ist und was nicht . Das ist ein bürokratisches Monster . Wenn sich das irgendeine (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16243

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: ausdrücklich danken . Die Einrichtung eines Leseraums (C) Detlef Müller erhält nun das Wort für die SPD-Frak- im Bundeswirtschaftsministerium für die Abgeordneten tion . des Deutschen Bundestages zur Einsichtnahme in die Verhandlungsdokumente war gegenüber den Amerika- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nern ein hartes Stück Arbeit .

Detlef Müller (Chemnitz) (SPD): (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie müssen Frau Haßelmann danken!) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Als Freund der USA hat man es heutzutage nicht Es war ein wichtiges Signal, dass wir als Parlamentarier leicht . Das Misstrauen in der deutschen Bevölkerung demokratische Teilhabe und Transparenz einfordern . gegenüber dem mächtigen Verbündeten ist groß . War es kürzlich noch das Treiben der NSA, ist es heute die Rhe- (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das torik eines Donald Trump, die viele Deutsche verstört . muss in den Räumen der Legislative gesche- Deswegen bin ich sehr dankbar für den vorliegenden hen, nicht in denen der Exekutive!) Antrag, der die guten transatlantischen Beziehungen, die guten Beziehungen zwischen Deutschland und den Ver- Aber ein kleines Räumchen und 371 Seiten Verhand- einigten Staaten sowie Kanada, angemessen, aber auch lungsdokumente, deren Aktualität zweifelhaft ist – mit kritisch würdigt . Querverweisen auf andere, nicht vorhandene Dokumen- te –, die ich als gelernter Lokomotivführer mit durchaus (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr alltagstauglichen Englischkenntnissen bewältigen muss, gut!) können wirklich nur ein Anfang sein . Deswegen bitte ich darum, dass die konsolidierten Verhandlungsergebnisse In Ostdeutschland war die Bindung an die USA nie schnellstmöglich auch auf Deutsch zur Verfügung ge- besonders ausgeprägt . Aber auch in Westdeutschland stellt werden . sehe ich eine wachsende Entfremdung von den USA mit ihrem militärischen Engagement in aller Welt, ihren (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mächtigen Geheimdiensten und der uns manchmal doch fremden politischen Kultur; auch der Folterskandal von Für uns Parlamentarier ist dies die Grundlage für eine Abu Ghuraib ist unvergessen . Nichtsdestotrotz gilt im- differenzierte Bewertung, ohne die eine Zustimmung zu mer noch und weiterhin – ich zitiere aus dem Antrag –: den Dokumenten schwerlich möglich sein wird . Deutschland und Europa sind mit keiner Region der Zur demokratischen Teilhabe gehört aber auch, dass Welt so eng verbunden wie mit Nordamerika . Die beide Abkommen, TTIP und CETA, als sogenannte ge- (B) Vereinigten Staaten und Kanada sind zentrale Ver- mischte Abkommen behandelt werden, wodurch dann (D) bündete und Freunde der Europäischen Union und die EU-Mitgliedstaaten an der Ratifizierung mitwirken Deutschlands . können . Nur so entsteht letztlich auch Vertrauen . Deswe- gen halte ich es nicht für förderlich, wenn über eine vor- Das bisweilen wilde Treiben amerikanischer Geheim- läufige Inkraftsetzung von Teilen CETAs nachgedacht dienste kann die engen und freundschaftlichen Bande wird . nicht zerschneiden . Es sind nämlich die Bande einer demokratischen Wertegemeinschaft . Wir brauchen die Freundschaftliche Bande pflegen wir über den res- USA, gerade heute . Wir stehen deshalb zur transatlanti- pektvollen Umgang und das offene Wort . Unsere Kritik schen Kooperation in der Außen- und Sicherheitspolitik an der Anwendung der Todesstrafe, am nach wie vor und in der NATO . existierenden Gefangenenlager in Guantánamo ist eben- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der so wichtig und richtig . Wir werden immer darauf pochen, CDU/CSU) dass Spähmaßnahmen unter Verbündeten tabu sind . Die Aussage der Bundeskanzlerin „Ausspähen unter Freun- Die USA haben erstmals seit 40 Jahren Frankreich den, das geht gar nicht“ ist mittlerweile zu einem geflü- als wichtigsten Handelspartner Deutschlands abgelöst . gelten Wort geworden . Aber natürlich hat sie mit dieser Aber der wichtigste Aspekt sind, wie ich finde, die vielen Aussage recht . freundschaftlichen und vertrauensbildenden Bande über den Atlantik hinweg: Freundschaften, familiäre Bezie- Wir werden immer darauf drängen, dass geheimdienst- hungen, Schüleraustausche, Studienaustauschprogram- liche Aktivitäten mit den Verbündeten abzusprechen sind me, gemeinsame Forschungsprojekte, kulturelle und und sich auf das Notwendigste beschränken müssen; aber sportliche Kooperationen, aber auch das Parlamentari- wir werden dabei immer zu unseren Partnern auf der an- sche Patenschafts-Programm, dessen geplante Kürzun- deren Seite des Atlantiks stehen . Der Blutzoll, den die gen von amerikanischer Seite zurückgenommen wurden; USA und, nicht zu vergessen, Kanada geleistet haben, meine Kollegin Dagmar Freitag wies darauf hin . um das Schlachten im Ersten und Zweiten Weltkrieg zu beenden, um Deutschland von der Nazibarbarei zu be- Immer aber gilt: Auch unter Freunden muss bisweilen freien, wird immer unvergessen bleiben . Als Chemnitzer hart und auf Augenhöhe verhandelt werden . Das gilt für weiß ich: Chemnitz wurde nicht nur von der Roten Ar- das geplante Freihandelsabkommen TTIP genauso wie mee, sondern auch von der US Army befreit . für das CETA-Abkommen mit Kanada . An dieser Stelle darf ich Ihnen, Herr Bundestagspräsident Lammert, aber ( [Kleinsaara] [CDU/CSU]: auch Bundeswirtschaftsminister ganz Thüringen auch!) 16244 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Detlef Müller (Chemnitz) (A) Trotz des weiten Atlantiks, der die USA und Kanada von im Landkreis Ebersberg, angrenzend an meinen Wahl- (C) Europa trennt, sind sie uns doch immer Verbündete, Part- kreis –; die beiden heirateten und bekamen vier Kinder . ner, Freunde und Mitglieder einer gemeinsamen Werte- Meine Großmutter verbrachte den Krieg als Amerikane- gemeinschaft . rin in Deutschland . Das ist ein persönliches Beispiel für die zahllosen engen Beziehungen, die wir in vielfältiger Vielen Dank . Weise schon lange mit dem großen Bruder auf der ande- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ren Seite des Teiches haben .

Auch wenn zwischen den USA und Europa der Große Präsident Dr. Norbert Lammert: Ozean liegt, durchleben wir oft ähnliche Trends und Ent- Vielleicht sollte ich in Ergänzung eines Hinweises, wicklungen, im Moment zum Beispiel eine Renaissance den der Kollege Müller gerade gegeben hat, was den Zu- des Populismus: Ressentiments gegen die da oben, gegen gang zu Dokumenten angeht, hier noch einmal vortragen, Freihandel, gegen Fremde, Flüchtlinge und Billigprodu- was ich gestern im Ältestenrat mitgeteilt habe: Die Ver- zenten werden von Donald Trump und AfD gleicherma- pflichtung der Bundesregierung zur Unterrichtung des ßen genutzt . Deren Aussagen sind so ähnlich, dass Zei- Bundestages über alle Angelegenheiten im Rahmen der tungen bereits ein Ratespiel daraus machen: Wer hat es Europäischen Union ist durch unseren jetzt möglichen gesagt – oder Donald Trump? Zugang zu den Verhandlungsdokumenten weder kom- pensiert noch aufgehoben . Für uns in der Politik ist eine andere Frage entschei- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem dend: Was hat es bewirkt? Wir müssen abstrakte Ängs- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- te von berechtigten Anliegen unterscheiden . Das heißt geordneten der CDU/CSU) für Europa und natürlich insbesondere für Deutschland, dass wir uns allen Facetten der Flüchtlingskrise stellen, Es wird also weitere Unterrichtungspflichten geben. auch den unbequemen Fragen und Handlungsoptionen . Es ist mit dem Wirtschaftsministerium geklärt, dass es Die USA dagegen müssen sich eingestehen, dass das regelmäßig zusammenfassende Berichte über den Ver- Bild vom Tellerwäscher zum Millionär längst Utopie ist . handlungsfortschritt gibt . Das ist, glaube ich, eine wich- Wachsende Importe aus China und zunehmende Automa- tige Ergänzung im Hinblick auf die Transparenz, auf die tisierung haben zu einer brodelnden Mischung geführt . wir gemeinsam großen Wert legen müssen . Die Finanzkrise war der Sargnagel für die Hoffnung vie- Was die die Öffentlichkeit verständlicherweise beun- ler Wähler der Arbeiter- und Mittelklasse . Viele wurden ruhigende Frage des vermeintlich vorzeitigen Inkraft- zurückgelassen . Die Beschwerden dieser Wähler sind tretens ohne Beteiligung des Parlaments angeht, hat die berechtigt . Vom aktuellen wirtschaftlichen Aufschwung (B) rechtliche Prüfung ergeben, dass es jedenfalls mit Blick profitieren nur wenige. (D) auf solche denkbaren Bestandteile eines solchen Abkom- mens, die der Zuständigkeit der nationalen Parlamente, Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks sind daher in diesem Fall des Bundestages, unterliegen, keinerlei gefordert . Wir müssen die Komfortzone eingespielter Möglichkeit der vorzeitigen Inkraftsetzung solcher Be- Politikprozesse verlassen und die nationalen Trends ernst standteile des Vertrages ohne Beteiligung des Parlaments nehmen . AfD und Trump sind nur die Symptome eines geben kann . Punkt! drängenden Phänomens, dem verlorenen Vertrauen in eine demokratische Ordnung und eine liberale Markt- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem wirtschaft . Wir stehen in der Verantwortung, den demo- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- kratischen Diskurs zu eröffnen . Es kann nur neue Gräben geordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann schaffen, wenn wir diesen Akteuren das demokratische [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf der Existenzrecht absprechen . Stattdessen müssen wir sie Regierungsbank wurde gerade der Kopf ge- argumentativ stellen und sie auf ein Normalmaß zu- schüttelt! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE rückstutzen . Wir müssen die legitimen Bedürfnisse auf- GRÜNEN]: Frau Böhmer hat mitgeschrieben nehmen, statt sie volkspädagogisch wegzutherapieren – für den Herrn Steinmeier!) in den USA, in Europa und natürlich in Deutschland . Jetzt hat der Kollege Florian Hahn für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . Entscheidend hierbei sind unsere Übersetzungsleis- tungen . Wir müssen gemeinsam Chancen klar benennen, (Beifall bei der CDU/CSU) Erreichtes deutlich herausstellen und Herausforderun- gen ansprechen . Das transatlantische Handelsabkommen Florian Hahn (CDU/CSU): steht dafür exemplarisch . Die Facetten des Abkommens Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und sind vielschichtig . Wir brauchen daher gute Dolmetscher, Kollegen! Mein Großvater, Wilhelm Hahn, Geburts- um die Chancen aufzuzeigen . Gleichzeitig müssen wir jahr 1909, war Student der Ökonomie und hat Anfang als Sprachrohr für die Bedenken der Bürger dienen und der 1930er-Jahre am Studentenaustausch mit den USA ihre Sorgen ernst nehmen . Niedrige Schutzstandards sind teilgenommen . Ihn hat es dann nach Dayton, Ohio, ver- genauso tabu wie die Aufgabe unseres Rechtssystems . schlagen, wo dieses Jahr die Convention der Republika- Als Verteidigungs- und Außenpolitiker appelliere ich an ner stattfinden wird. Er lernte dort die Schwester seines Sie, das Gesamtbild im Auge zu behalten . Die geostrate- Austauschpartners und Freundes kennen, Ruth Assling – gische Lage verändert sich . Handelsbeziehungen haben „Assling“ wie „Aßling“ nach dem oberbayerischen Dorf eine neue strategische Bedeutung . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16245

Florian Hahn (A) Die amerikanische und die europäische Wirtschaft schieden . Die Verteidigungsministerin setzt mit ihren (C) sind seit jeher stark miteinander verflochten. Die Han- Zusagen in Bezug auf das Budget, die Ausrüstung, das delsbeziehungen machen die Hälfte der Weltproduktion Personal und die Interoperationalität ein klares Zeichen aus: knapp 40 Prozent des weltweiten Bruttoinlands­ für unsere transatlantischen Partner . Deutschland ist produktes und rund 60 Prozent der Direktinvestitionen . bereit, als eine Führungsnation Verantwortung zu über- Beim bayerischen Außenhandel nehmen die USA die nehmen, militärisch und politisch . Auch das kommende erste Stelle ein, noch vor China und Österreich . Das Weißbuch soll das abbilden . Handelsvolumen in Bayern betrug 2015 fast 35 Milliar- Trotzdem: Die langen Jahre der Friedensdividende er- den Euro . Bayerische Unternehmen exportierten im Jahre fordern Geduld . Das gilt vor allem auch für die NATO . 2013 fast fünfmal so viele Güter in die Vereinigten Staa- 2011 hörten wir noch pessimistische Äußerungen über ten wie in die Russische Föderation . Das möchte ich vor die Zukunft der Allianz . „Lebendig, aber innerlich zer- dem Hintergrund mancher Diskussionen daheim und der rissen“, schrieb eine Tageszeitung . Vor dem Hintergrund Frage, wer für uns wirtschaftlich und für den Erhalt von der Herausforderungen im Osten und im Süden haben Arbeitsplätzen wichtig ist, deutlich machen . wir 2014 in Wales zu einer neuen Bündnisstärke gefun- So wie es bei der Montanunion um mehr als um den den . 28 Staaten einigten sich auf militärische Schritte, Zugang zu Kohle und Stahl ging, geht es bei TTIP um mit Europa als Hauptakteur und den USA als Rückver- mehr als um Handel und Investment . Die USA und Euro- sicherung . pa blicken auf die gemeinsame geostrategische Heraus- Unsere gemeinsame militärische Präsenz in Osteuropa forderung, den globalen ökonomischen Einfluss zu erhal- ist wichtig . Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, ten . Es geht um gemeinsame Maßstäbe, Standards und dass wir einerseits Abschreckung, andererseits trotz aller Regulierungen . Es geht darum, das Erreichte der letzten Provokationen aber auch Augenmaß benötigen . Das habe sieben Dekaden zu schützen . Das wissen im Übrigen, lie- ich erst nach Ostern bei meinem Besuch in Washington­ ber Herr Trittin, auch kluge Köpfe in Ihren Reihen . in vielen Gesprächen deutlich gemacht . Europa kennt die (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber Risiken neuer Eskalationsspiralen . Bewährte Verträge nur die klugen Köpfe!) sollten erhalten bleiben . Das gilt beispielsweise auch für die NATO-Russland-Akte . Manchmal ist es auch die Aufgabe der Politik, Erinne- rungen wiederzubeleben, als Zeitzeuge auf das Erreichte Präsident Obama liegt richtig, wenn er sagt, dass keine und unsere gemeinsamen Leistungen hinzuweisen . Die Regierung, keine Gesellschaft die aktuellen Herausfor- liberale europäische Nachkriegsordnung wäre ohne die derungen alleine bewältigen kann . Als Politiker sind wir Amerikaner nicht möglich gewesen . Lange Zeit war Eu- auf beiden Seiten des Atlantiks vor allem auch innenpo- (B) ropa und insbesondere Deutschland ein Konsument ame- litisch gefordert, diese Botschaft zu vermitteln . Unsere (D) rikanischer Sicherheitsgarantien . Die USA waren der Übersetzungsleistungen sind ebenso gefordert wie unser Ziehvater Europas, der in einer gespaltenen Welt schüt- strategisches Denken . Perspektivisch wird es darum ge- zend vor uns stand . Die heutigen engen Beziehungen hen, die Sicherheit des Westens neu zu erfinden. Bedro- gründen im gemeinsamen Bemühen, den Kalten Krieg hungen wie transnationaler Terrorismus, Cyberangriffe zu gewinnen . und Radikalisierungen erfordern dies . Amerika bleibt dabei unser engster Partner . Diese Partnerschaft müssen Erstmals sprach der ehemalige Präsident George wir – beide Partner – hegen und pflegen. Bush am 31 . Mai 1989 in Mainz von einer neuen Rolle Deutschlands . Man sei mehr als Verbündete und Freun- Vielen Dank . de, man sei „Partners in Leadership“ . Fast im gleichen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Satz nannte er in der Konsequenz die Notwendigkeit, als ordneten der SPD) Akteur mehr Verantwortung in der Weltpolitik zu über- nehmen . Dieser Appell galt nicht nur Deutschland; Euro- pa sollte Position beziehen . Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Heute stehen wir vor neuen Herausforderungen . Wir Kollege Andreas Nick für die CDU/CSU-Fraktion . erleben ein neues internationales System, in dem unter- schiedliche Herrschaftssysteme miteinander wettstreiten . (Beifall bei der CDU/CSU) Unsere liberale, pluralistische Demokratie konkurriert mit neuen Regimen, Ideen und Identitäten . Für uns heißt Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): das: Die transatlantischen Beziehungen sind wichtiger Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der denn je . bevorstehende Besuch von Präsident Obama in Hanno- ver ist Anlass für diese Debatte Im Interview mit dem Journalisten Jeffrey Goldberg fordert Präsident Obama zu Recht eine neue Aufgaben- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- teilung . Er spricht sich mit aller Deutlichkeit für ein stra- NEN]: Anlass für die Abwesenheit des Au- tegisches Burden Sharing aus . Im Klartext: Europa muss ßenministers!) einen größeren Anteil an der gemeinsamen Verantwor- tung des Westens tragen . und auch Beleg dafür, wie eng und wichtig die transat- lantischen Beziehungen auch im Jahr 2016 sind . Die Tra- Deutschland hat auf das veränderte strategische Um- dition der Verbundenheit reicht jedoch deutlich weiter feld reagiert . Wir haben uns zu einer Kehrtwende ent- zurück als das NATO-Bündnis und auch der Beitrag der 16246 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Dr. Andreas Nick (A) USA zur deutschen Einheit, zum Marshallplan oder zur zum Fluggastdatenaustausch, wie sie gestern im Europä- (C) Berliner Luftbrücke . Schon die deutsche Freiheitsbewe- ischen Parlament verabschiedet wurden . gung im 19 .Jahrhundert wäre ohne das Vorbild der USA nicht denkbar gewesen . Bereits 1832 rief Philipp Jakob Für die weltweite Vernetzung steht aber kaum etwas Siebenpfeiffer, Initiator des Hambacher Festes, dort aus: mehr als das Internet, das World Wide Web . Das Netz ist Wir beneiden den Nordamerikaner um sein glückliches ein Raum der Meinungsvielfalt und Teilhabe und nicht Los, das er sich mutvoll selbst erschaffen hat .– 1848 zuletzt ein Motor für Innovation, Wirtschaftswachstum waren die Vereinigten Staaten die einzige Großmacht und Arbeitsplätze der Zukunft . Regeln und Rahmen- ihrer Zeit, die sich bei der Frankfurter Nationalversamm- bedingungen für ein offenes und freies globales Netz lung in der Paulskirche durch einen Gesandten vertreten können nicht alleine auf nationaler Ebene geschaffen ließ . Nach dem Scheitern der 48er-Revolution fanden werden . 2014 haben die USA angekündigt, die Kontrol- viele deutsche Liberale eine neue Heimat in den USA, le über ICANN, die Organisation zur globalen Vergabe und auch während der Nazidiktatur waren die USA Zu- kritischer Internetressourcen wie Domainnamen und fluchtsort für zahlreiche Emigranten aus Deutschland. IP-Adressen, abzugeben . Das ist ein wichtiger Schritt Uns verbindet eben mehr als historische Erfahrungen im Sinne eines offenen, dezentral kontrollierten Netzes oder gemeinsame Werte . auf Basis eines Multi-Stakeholder-Ansatzes . Es wäre zu begrüßen, wenn eine der nächsten Veranstaltungen des Laut einer aktuellen Studie haben mehr als die Hälf- Internet Governance Forums der Vereinten Nationen bei te der Amerikaner ein exzellentes Bild von Deutschland . uns in Deutschland stattfinden würde. Über 60 Prozent aller Amerikaner glauben, dass beide Auf beiden Seiten des Atlantiks brauchen wir immer Länder eine enge Bindung haben und Deutschland eines wieder eine Verständigung über die richtige Balance von der fünf wichtigsten Partnerländer der USA ist . Die USA Freiheit und Sicherheit in unseren offenen und pluralis- waren und sind Garant für die europäische Sicherheit . tischen Gesellschaften . Aber die Debatte um Informati- Zusammen mit den Staaten der Europäischen Union sind onssicherheit und Datenschutz ist nicht nur eine Frage sie weltweit unser wichtigster Partner und verlässlichster zwischen Staaten und Regierungen, so wichtig etwa das Verbündeter . Die transatlantische Partnerschaft ist neben Format des deutsch-amerikanischen Cyberdialogs ist . der europäischen Integration der wichtigste Pfeiler deut- Wir brauchen Rechtssicherheit für alle Bürgerinnen und scher Außenpolitik . Um es mit den Worten von Helmut Bürger und für alle Unternehmen beim dringend notwen- Kohl zu sagen: Das Bündnis mit den freiheitlichen De- digen transatlantischen Datenaustausch . Deshalb ist eine mokratien des Westens ist der Kernpunkt deutscher verlässliche Nachfolgeregelung zu Safe Harbor unver- Staatsräson . – Dieser Leitsatz hat auch im 21 .Jahrhun - zichtbar . dert unverändert Gültigkeit . (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der SPD) ordneten der SPD) Gerade die global agierenden Unternehmen der Internet- Gleichwohl gibt es unter engen Partnern und Freunden ökonomie haben eine zentrale Rolle bei der Klärung der auch immer wieder Meinungsverschiedenheiten, die zum Frage, welche Zukunftsrechte nationale Regierungen auf Teil auch aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Erfah- die Daten ihrer Kunden beanspruchen . Die Klage von rungen oder kulturellen Prägungen erwachsen . Deshalb Microsoft gegen den Zugriff der US-Regierung auf ihre ist ein breiter Dialog und Gedankenaustausch zur Vertie- Datencenter in Irland verdeutlicht, dass diese Diskussi- fung des gegenseitigen Verständnisses, gerade auch unter on auch eine transatlantische Komponente hat . Auch die Parlamentariern beider Länder, notwendig . Formate für Europäer sollten sich hier in angemessener Weise ein- diesen informellen Austausch sind daher unverzichtbar, bringen; denn gerade die global agierenden Player der beispielsweise das jährliche Congress Bundestag Forum, Internetökonomie wie Apple, Google oder Microsoft für dessen Organisation ich – sicher auch im Namen vie- können aus ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse he- ler Kollegen aus allen Fraktionen – dem GMF und der raus durchaus wichtige Verbündete sein, wenn es darum Bosch-Stiftung besonders danken möchte . geht, einen verlässlichen und international akzeptierten Rechtsrahmen auch im Washingtoner Politikbetrieb ein- (Beifall der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE zufordern . LINKE]) Meine Damen und Herren, die deutsch-amerikani- Unsere Gesellschaften profitieren im 21. Jahrhundert schen Beziehungen müssen aber mehr sein als Traditi- wie nie zuvor in der Geschichte vom offenen Austausch . onspflege oder die Angelegenheit von Regierungen. Sie Die Ströme von Menschen und Gütern, von Kapital und brauchen auch in Zukunft eine breite gesellschaftliche Informationen, die uns verbinden, sind um ein Vielfa- Verankerung . Über Jahrzehnte haben die in Deutsch- ches wichtiger geworden als die Kontrolle über geogra- land stationierten US-Soldaten nicht nur während ihrer fisch abgegrenzte Räume. Konnektivität zu ermöglichen, Dienstzeit hier, sondern vor allem auch nach der Rück- dafür einen verlässlichen Rahmen zu bieten, aber auch kehr in ihre Heimat einen wesentlichen Beitrag dazu ge- Schutz und Sicherheit vor äußerer Bedrohung zu ge- leistet . währleisten, ist eine zentrale politische Aufgabe; Kollege (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: 17 Millionen!) Steinbrück hat das vorhin schon angesprochen . Deshalb ist das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP so Jeder deutsche USA-Reisende kennt die Erfahrung ei- wichtig, und deshalb bedarf es auch klarer Regeln etwa nes zufälligen Zusammentreffens mit Menschen, die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16247

Dr. Andreas Nick (A) begeistert von ihrer Zeit in Frankfurt, Heidelberg oder a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (C) „K-Town“, Kaiserslautern, aber auch in Hahn, Bitburg gebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes oder Spangdahlem berichten . Viele dieser Standorte sind zur Änderung des Zweiten Buches Sozialge- inzwischen Geschichte . Die Bedeutung dieses Kitts geht setzbuch – Rechtsvereinfachung zurück . Wirtschaftliche Zusammenarbeit allein kann dies nicht ersetzen . Deshalb sind Austauschprogramme zwi- Drucksache 18/8041 schen unseren Ländern wie unser Parlamentarisches Pa- Überweisungsvorschlag: tenschafts-Programm so wichtig . Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Wir müssen aber auch neue gesellschaftliche Gruppen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz mit teils anderem kulturellen Hintergrund – Jürgen Hardt Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat es vorhin schon angesprochen – für die Zukunft der Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO transatlantischen Beziehungen gewinnen . Deshalb freue b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja ich mich ganz besonders, Anfang Mai erstmals die Teil- Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), nehmer eines neuen Begegnungsprogramms im Bundes- Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter tag begrüßen zu können, das gezielt junge Hispanics aus und der Fraktion DIE LINKE den USA und junge Deutsche mit türkischen Wurzeln zusammenbringt . Das ist ein wichtiger Beitrag zu einer Die Gewährleistung des Existenz- und Teilha- neuen, bunteren transatlantischen Generation . beminimums verbessern – Keine Rechtsver- einfachung auf Kosten der Betroffenen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- wie bei Abgeordneten der LINKEN) Drucksache 18/8076 Überweisungsvorschlag: Ich danke dem American Institute for Contemporary Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) German Studies, AICGS, für diese hervorragende Initia- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz tive, die auch mit ERP-Mitteln des Bundeswirtschaftsmi- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nisteriums unterstützt wird . c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Liebe Kollegen, im November 2016 wird ein neuer Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin amerikanischer Präsident gewählt . Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Volker Kauder [CDU/CSU]: Oder eine Prä- sidentin!) Grundsicherung einfacher und gerechter ge- stalten – Jobcenter entlasten (B) Auch in Deutschland verfolgen wir diesen Prozess mit (D) Aufmerksamkeit und teilweise leider auch mit Sorge . Drucksache 18/8077 Aber unser Vertrauen in die amerikanische Gesellschaft Überweisungsvorschlag: und Demokratie ist groß, dass am Ende eine verantwort- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) liche Entscheidung einer breiten Mehrheit der amerikani- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schen Wähler stehen wird . Eines steht bereits so gut wie fest: Auch der neue Präsident oder die neue Präsidentin Für die Beratung dieser Vorlagen ist eine Debattenzeit wird in den ersten Monaten nach Amtsantritt zu einem von 60 Minuten vorgesehen . Hat dagegen jemand Ein- Besuch nach Deutschland kommen, und zwar aus Anlass wände? – Das ist nicht der Fall . Dann verfahren wir so . des G-20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Wir setzen fest darauf, die transatlantischen Beziehun- Parlamentarischen Staatssekretärin Gabriele Lösekrug- gen auch mit neuen Partnern in Washington zukunftsfest Möller . gestalten und gemeinsam weiterentwickeln zu können . (Beifall bei der SPD) Vielen Dank . Parl . Staatssekretärin (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gabriele Lösekrug-Möller, bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- Präsident Dr. Norbert Lammert: gen! Meine Damen und Herren! Ich freue mich darüber, Ich schließe die Aussprache . dass wir heute einen wahrhaftig langen Prozess endlich Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsa- auf die Zielgerade bringen können . Dieser Gesetzentwurf men Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf basiert auf der sehr intensiven Arbeit der Bund-Län- Drucksache 18/8072 mit dem Titel „Die transatlanti- der-Arbeitsgruppe der ASMK – das sind die Arbeits- und schen Beziehungen zukunftsfest weiterentwickeln“ . Wer Sozialminister der Bundesländer – zur Rechtsvereinfa- diesem Antrag zustimmen will, bitte ich um das Handzei- chung im SGB II . Ja, viele Beteiligte hätten gern noch chen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da- weitere Änderungen erreicht . Ja, nicht auf alles, was mit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen wünschenswert gewesen wäre, konnten wir uns einigen . die Stimmen der Opposition angenommen . Aber jetzt können wir den Gesetzentwurf endlich im Bundestag beraten . Jeder Schritt in die richtige Richtung Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c bringt uns voran . Das gilt im Leben allgemein und in die- auf: sem besonderen Fall auch . 16248 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller (A) Ich kann sagen: Dieses Gesetz ist ein Schritt in die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern (C) richtige Richtung und in der Tat ein echter Fortschritt . Kraft und Zeit . Die geben wir ihnen mit den Rechtsver- einfachungen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Was erreichen wir? Wir erreichen, dass Leistungsberech- der CDU/CSU) tigte entlastet werden . Es werden aber auch die Mitarbei- Wir wollen, dass alle – ob sie schon lange ohne Arbeit terinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern entlastet . sind oder sich hier ein neues Leben aufbauen wollen – (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das sehen die die Chance auf einen erneuten oder einen erfolgreichen selber anders!) Neustart in Deutschland haben . Für diese Aufgabe brau- chen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcen- Zudem werden auch – eine Vermutung, die sich bestäti- tern Kapazitäten . Wir helfen mit diesem Gesetz, sie frei- gen wird – die Sozialgerichte entlastet . zuschaufeln . Deshalb werden die Menschen, die neben (Beifall bei der SPD) Arbeitslosengeld I auch Arbeitslosengeld II beziehen, zukünftig von der Agentur für Arbeit betreut – wie alle Das Leistungs- und Verfahrensrecht wird an über 30 Stel- anderen Versicherten, die Leistungen aus der Arbeitslo- len geklärt und vereinfacht . Das schafft Rechtssicherheit . senversicherung erhalten . Auch darin sehen wir einen Das vermeidet Widersprüche und Klagen . Damit ist es großen Fortschritt . im Sinne von uns allen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, über eine Rege- Wo kommen wir ganz konkret voran? Zum Beispiel lung – das will ich gern abschließend sagen – freue ich bei den Regelungen zur Anrechnung von Einkommen . mich persönlich ganz besonders . Auszubildende sind Sie werden pauschalisiert und vereinfacht, etwa bei ge- künftig nicht mehr ausgeschlossen von Leistungen des ringen Zinserträgen oder beim Bezug von Mutterschafts- SGB II . Das ist wirklich ein Meilenstein . geld während des Mutterschutzes . Außerdem fallen, ich will sagen: unnötige Bescheide weg; denn der Bewilli- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gungszeitraum wird von grundsätzlich 6 auf 12 Monate der CDU/CSU) verlängert . Damit werden hoffentlich mehr junge Menschen, die bis- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das war eh her gar keine oder nur eine geringe Ausbildungsförde- schon Praxis! – Brigitte Pothmer [BÜND- rung erhalten, eine Ausbildung beginnen . Sie können nun NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon so!) ergänzende Leistungen aus dem SGB II erhalten und so (B) Damit sparen wir jedenfalls nach Adam Riese bestenfalls ihre Ausbildung finanzieren. (D) jeden zweiten Antrag . Ich fasse zusammen: Wir konzentrieren die Arbeit (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Jobcenter . Wir vereinfachen das Leistungsrecht und NEN]: Das stimmt nicht!) erweitern Beratungsansprüche . Das sind in der Tat Fort- schritte . Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung bei die- Das freut Antragsteller und Behörde gleichermaßen . Die sem Gesetz . Leistungsberechtigten erhalten mehr Beratung als früher . Stärker als bisher wollen wir außerdem ihre Potenziale in Vielen Dank . den Blick nehmen und sie mit einer Eingliederungsver- einbarung konkret einbinden . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Neu, meine Damen und Herren, ist die nachgehende

Betreuung, also der Brückenbau über die Arbeitsaufnah- Präsident Dr. Norbert Lammert: me hinaus . Wir bleiben dran und unterstützen weiter, um Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping für die Menschen selbst und ihr Arbeitsverhältnis in den Mo- die Fraktion Die Linke . naten nach Beschäftigungsaufnahme nachhaltig zu stabi- (Beifall bei der LINKEN) lisieren . Darin sehen wir einen sehr großen Fortschritt .

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Katja Kipping (DIE LINKE): der CDU/CSU) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Gewinner sind aber auch die Mitarbeiterinnen und Staatssekretärin, das war ja ein Paradebeispiel fürs Mitarbeiter in den Jobcentern – und das genau im rich- Schönreden . tigen Moment: Viele Flüchtlinge, die im letzten Jahr zu uns gekommen sind, wechseln in der nächsten Zeit (Beifall bei der LINKEN) als Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge in den Hartz IV basiert auf der Annahme, der Einzelne sei Rechtskreis des SGB II . Damit sie hier Fuß fassen und schuld an seiner Erwerbslosigkeit . Hartz IV basiert auf auf eigenen Beinen stehen können, wollen wir sie best- der Annahme, dass Erwerbslose Bürgerinnen und Bürger möglich – wie alle anderen auch – betreuen und sie in zweiter Klasse sind . Praktika, berufsbezogene Sprachkurse, Ausbildung und Arbeit vermitteln . Gleichzeitig wollen wir unsere An- (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist strengungen bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen ja nun eine Frechheit! – Zuruf von der CDU/ verstärken . Für diese oftmals schwierige Arbeit brauchen CSU: Sie machen sie zur zweiten Klasse!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16249

Katja Kipping (A) Von der Angst vor Hartz IV sind inzwischen auch Men- tet 9,43 Euro am Tag für alle Ausgaben . Wer von Ihnen (C) schen betroffen, die noch einen Job haben; denn der Fall käme mit 9,43 Euro über den Tag? in Hartz IV kann sehr schnell gehen . Deswegen lassen wir als Linke, auch wenn Sie verbissen an Hartz IV fest- ( [SPD]: Darum geht es doch halten, nicht locker und sagen immer wieder: Hartz IV gar nicht! Sie verstehen das gar nicht!) gehört ganz grundsätzlich abgeschafft . Übrigens, Sie müssen auch noch Geld für den Fall zu- (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder rücklegen, dass irgendwann einmal die Waschmaschine [CDU/CSU]: Sehr richtig! Es gibt gar nichts kaputtgeht . mehr!) Kurzum: Anstatt die Hartz-IV-Sanktionen abzuschaf- Was das Haus von nun als Gesetzent- fen, was so nötig wäre, plant Andrea Nahles ein zweites wurf vorgelegt hat, ist in vieler Hinsicht ein Offenba- Repressionsinstrument . Ich habe den Eindruck: Seit der rungseid . Es ist bezeichnend, dass die Ministerin nicht Einführung von Hartz IV sind Sie in puncto Erwerbslo- einmal den Mumm hat, diesen Gesetzentwurf selber vor- sigkeit keinen Deut klüger und keinen Deut sozialer ge- zustellen . worden . (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der (Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler SPD) [SPD]: Sie haben es nicht verstanden!) Dieser Gesetzentwurf macht doch deutlich: Sie wollen Ursprünglich war geplant, die besonders harten Sank- an Hartz IV nichts grundsätzlich ändern . Sie wollen von tionsregelungen abzumildern . Noch im Oktober letzten den alltäglichen Nöten der Menschen in Hartz IV nichts Jahres haben hier Rednerinnen der SPD gesagt, an die mildern . Ihnen geht es doch nur um einen reibungslosen Sofortsanktionen bei den unter 25-Jährigen und den Ju- Vollzug . gendlichen und an die Sanktionierung bei den Kosten Angeblich geht es um Rechtsvereinfachung und Bü- der Unterkunft müsse man heran . Alle Bundesländer rokratieabbau . Doch nicht einmal diesem bescheidenen, waren sich darin einig, dass man das abmildern muss, selbstgesteckten Ziel wird der Gesetzentwurf gerecht . Es mit einer Ausnahme, nämlich Bayern . Und was macht gibt ein Schreiben der Personalräte der Jobcenter, und da- die Sozialministerin? Anstatt couragiert ihre Position zu rin heißt es, der Gesetzentwurf ist für die Belegschaften vertreten, anstatt sich couragiert für Erwerbslose einzu- „nicht nur enttäuschend, er ist ärgerlich und selbst eine setzen, knickt sie vor Horst Seehofer ein. Ich finde es weitere Belastung“ . Eine weitere Belastung, so sehen das beschämend, wie sich diese Bundesregierung von Horst die Personalräte der Jobcentermitarbeiter, die, die Ihren Seehofer am Nasenring durch die Manege führen lässt . (B) Gesetzentwurf am Ende ausbaden müssen . (D) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN – Matthias W . NIS 90/DIE GRÜNEN) Birkwald [DIE LINKE]: Hören Sie einmal auf die!) Unsere Position als Linke ist ganz klar: Wir befürwor- ten jeden Schritt weg von diesen Sanktionen . Wir sagen Schaut man sich nun die geplanten Änderungen an, so aber auch ganz klar: Wir pochen auf das Grundrecht auf ist klar: Schwarz-Rot plant keine Rechtsvereinfachung . soziale Sicherheit . Deswegen meinen wir: Alle Sanktio- Sie wollen einfach nur eine weitere Kelle Sanktionen nen und Leistungseinschränkungen sowohl beim SGB II obendrauf legen . Ich will das verdeutlichen . So soll in- als auch bei der Sozialhilfe gehören abgeschafft, und nerhalb von Hartz IV ein zweites Repressionsinstrument zwar sofort . ausgebaut werden . Das läuft unter dem Begriff „Auswei- tung der Ersatzpflichtigkeit bei sozialwidrigem Verhal- (Beifall bei der LINKEN) ten“ . Das ist die Sprache Ihres Gesetzes . Allein dieser Begriff ist entlarvend, und er verrät, wie die Bundesre- Dafür streiten wir nicht nur hier im Bundestag, sondern gierung über Erwerbslose wirklich denkt . auch in den Landesregierungen . So hat sich beispielswei- se das Sozialministerium von Thüringen, vertreten durch (Beifall bei der LINKEN) Heike Werner, gemeinsam mit den Brandenburgern im Wer in Erwerbslosen mündige Bürgerinnen und Bürger Bundesrat für diese Position stark gemacht . sieht, der verwendet solche Begriffe auf keinen Fall . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Zu den von Ihnen vorgesehenen Veränderungen ge- Eine solche Ersatzpflicht, also die Kürzung des- Ar hört auch die Einschränkung bei rückwirkender Nach- beitslosengeldes II, soll nun auch dann eintreten, wenn zahlung rechtswidrig vorenthaltener Leistungen . Das das sozialwidrige Verhalten die Hilfebedürftigkeit nicht heißt in der Konsequenz: Es werden Menschen, deren nur herbeiführt, sondern sie „erhöht, aufrechterhalten Heizkosten systematisch zu niedrig angesetzt wurden, oder nicht verringert wurde“ . Übersetzen wir diese bü- Schwierigkeiten haben, die vorenthaltenen Leistungen rokratischen Formulierungen einmal ganz konkret in die später rückwirkend wiederzubekommen, selbst wenn sie Praxis . Eine Kürzung um 30 Prozent bedeutet für einen vor Gericht Recht bekommen; denn es wird nur noch für voll Bezugsberechtigten, dass ihm pro Monat nur noch die Zukunft der höhere Betrag gezahlt und nicht für die 282,80 Euro für alle Kosten außer der Miete und den Vergangenheit . Damit hat das Amt doch einen Anreiz, im Heizkosten bleiben . 282 Euro im Monat – das bedeu- Zweifelsfall immer gegen die Betroffenen zu entschei- 16250 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Katja Kipping (A) den . Selbst wenn sie klagen und Recht bekommen, gilt Karl Schiewerling (CDU/CSU): (C) das erst für die Zukunft . Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Das war mal wieder ein Lehr- (Dagmar Ziegler [SPD]: Was Sie für einen stück aus der Küche der Linken . Das kenne ich seit 2005 . Unsinn unterstellen! Das ist unglaublich!) (Katja Kipping [DIE LINKE]: Es ist ja nicht Solange die Klage dauert – in der Regel dauert das recht besser geworden mit Hartz IV!) lange –, müssen sie selber sehen, wie sie klarkommen; sie bleiben damit auf den Kosten sitzen . Sie sparen auf Frau Kipping – das muss ich Ihnen sagen –, seitdem dem Rücken von Erwerbslosen und Aufstockenden . Sie bleiben Sie sich treu, aber ich bleibe mir auch treu . Was gönnen diesen Menschen nicht einmal das Wenige, das ich Ihnen schon 2006 gesagt habe, sage ich Ihnen auch ihnen laut Gesetz zusteht. Ich finde, das ist zutiefst schä- heute: SGB II ist ein lernendes System . Das merken Sie big . daran, dass wir schon das neunte Änderungsgesetz dis- kutieren . SGB II ist kein starres System . Jeden Monat (Beifall bei der LINKEN) gehen 90 000 Menschen aus der Grundsicherung heraus . Das heißt, wir haben es nicht mit einem monolithischen An diesem Beispiel wird einmal mehr deutlich: Block zu tun, sondern mit Entwicklungen . Hartz IV ist Ausdruck sozialer Kälte . Leider ist das nicht nur ein sprachliches Bild . Für Menschen, die auf Hartz IV setzt auf Fordern und Fördern – ja, das ist Hartz IV angewiesen sind und deren Heizkosten vom richtig –, aber Hartz IV hat auch seine Grenzen; das will Amt zu niedrig berechnet werden, ist das ganz konkreter ich gern zugestehen . Weil wir in diesem Gesetz den An- Alltag . Sie müssen in der kalten Jahreszeit kalkulieren, spruch haben, jedem Einzelnen gerecht zu werden, und wie viel Heizung und wie viel Wärme sie sich überhaupt weil die Lebenssituationen der Menschen höchst unter- noch leisten können . schiedlich sind, werden, auch zu meinem Leidwesen, zu viele Klagen eingereicht . Geplant war Bürokratieabbau, herausgekommen ist noch mehr Ärger für Erwerbslose wie für Beschäftigte, Das Gesetz, das wir heute auf den Tisch legen, ist zwi- also auf beiden Seiten des Tisches wird es für die Betrof- schen 16 Bundesländern, unter anderem auch den Bun- fenen schlimmer mit diesem Gesetz . Wenn ich mir die desländern, in denen Sie mitregieren, und der Bundesre- Entstehungsgeschichte dieses Gesetzentwurfs ansehe, gierung abgestimmt . dann wundert mich das auch nicht . Wir haben immer an- (Widerspruch bei der LINKEN) gemahnt: Beziehen Sie doch die Fachleute der Praxis ein, das heißt die Betroffeneninitiativen, Sozialverbände, Ge- Deswegen wundere ich mich sehr darüber, in welcher (B) werkschaften . Aber nein, die Regierung hat die Fachleu- Form Sie jetzt hier auftreten . Sie sagen, das sei alles nur (D) te der Praxis, wie Gewerkschaften und Sozialverbände, eine Geschichte der Bundesarbeitsministerin . Es ist aber im Übrigen auch die Opposition, komplett ausgegrenzt . das Ergebnis der Bund-Länder-Gespräche . Ich kann nur Kein Wunder also, wenn so ein Murks herauskommt . hoffen und gehe davon auch aus, dass über die Länder die Praxis vor Ort, die Praxis der Agenturen und der Jobcen- (Beifall bei der LINKEN) ter, in dieses Gesetz eingeflossen ist. Falls noch irgendjemand glaubte, man könnte das Sys- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tem Hartz IV mit kosmetischen Korrekturen verbessern, der wird durch die Geschichte dieses Gesetzentwurfs ei- Präsident Dr. Norbert Lammert: nes Besseren belehrt . Wenn das Fundament und die Wän- Herr Kollege Schiewerling, darf die Kollegin Kipping de eines Hauses dermaßen falsch konstruiert sind, dann dazu eine Zwischenbemerkung machen? nützt es eben nichts, wenn man die Farbe der Türklinken ändert . Deswegen sagen wir ganz klar: Hartz IV muss gänzlich abgeschafft werden . Wir streiten stattdessen für Karl Schiewerling (CDU/CSU): gute Arbeit und für eine sanktionsfreie Mindestsicherung Von mir aus ja; eine . von 1 050 Euro . Schwarz-Rot möchte die Sanktionslogik (Heiterkeit – Michael Grosse-Brömer [CDU/ von Hartz IV noch verschärfen . Wir als Linke hingegen CSU]: Und nicht so lange! – Matthias W . streiten für soziale Garantien des Lebens, für eine Ge- Birkwald [DIE LINKE]: Drei Minuten steht sellschaft, an der alle teilhaben können, in der sich alle in der Geschäftsordnung!) entfalten können und in der alle frei von Existenzangst und frei von Bevormundung sind . Katja Kipping (DIE LINKE): Vielen Dank . Werter Kollege Schiewerling, Sie haben hier den Ein- (Beifall bei der LINKEN) druck erweckt, dass auch die Bundesländer, in denen die Linke mit in der Regierung ist, Thüringen und Branden- burg, diesen Gesetzentwurf so mittragen würden . Vor Präsident Dr. Norbert Lammert: diesem Hintergrund frage ich: Ist Ihnen bekannt, dass es Das Wort erhält nun der Kollege Karl Schiewerling im Bundesrat – im Fachgremium für Soziales – genau für die CDU/CSU-Fraktion . diese beiden Bundesländer waren, die deutliche Verän- derungen eingefordert haben, nämlich eine generelle (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Abschaffung der Sanktionen oder zumindest die Abmil- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16251

Katja Kipping (A) derung, und dass sie insofern den vorliegenden Gesetz- Sozialgesetzen hinterlegt sind, aufgegriffen werden, um (C) entwurf, weil das darin unterbleibt, nicht teilen und nicht den jungen Menschen tatsächlich helfen zu können . Da zu verantworten haben? geht es dann um die Kinder- und Jugendhilfe, um das SGB VIII, es geht um das SGB III, um die aktive Ar- (Beifall bei der LINKEN) beitsmarktförderung, es geht um die Grundsicherung, es geht um das Bildungs- und Teilhabepaket, es geht um die Karl Schiewerling (CDU/CSU): Sozialhilfe, und es geht nicht zuletzt – im SGB V – um Frau Kollegin Kipping, ist Ihnen bekannt, dass die die Fragen der psychischen Belastungen und der psychi- Bundesländer im Endeffekt auch mit Ihren Stimmen die- schen Hilfen . Alle diese Hilfen, die dringend notwen- sen Vereinbarungen zugestimmt haben? dig wären, erreichen diese Zielgruppen nicht, weil sie kaum irgendwo aufgegriffen werden . Deswegen habe ich (Beifall bei der CDU/CSU) mich sehr darüber gefreut, dass es uns mit diesem Ge- Sonst hätte es das Abstimmungsergebnis 15 : 0 nicht ge- setzgebungsverfahren gelungen ist, einen neuen § 16 h geben . im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch unterzubringen, der die Möglichkeit eröffnet, die Schnittstellen, an denen es (Zuruf der Abg . Katja Kipping [DIE LINKE]) heißt: „Dafür ist ja eigentlich jemand anderes zuständig“, Es kann ja sein, dass bei der Konferenz der Arbeits- und zu überwinden und diesen jungen Menschen Hilfen aus Sozialminister andere Positionen vertreten worden sind . einer Hand geben zu können . Aber hinterher ist unter denen, die bei den Ländern das Meine Damen und Herren, ich habe mich sehr ge- Sagen haben, abgestimmt worden, und das ist das Ergeb- freut, dass dieses Anliegen in unserer Fraktion eine große nis dieses Abstimmungsprozesses . Unterstützung erfahren hat durch unseren Fraktionsvor- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sitzenden Volker Kauder . Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass dieses Anliegen von Anfang an eine persön- Meine Damen und Herren, das vorliegende Neunte liche Unterstützung erfahren hat durch die Bundeskanz- SGB-II-Änderungsgesetz beinhaltet viele Regelungen, lerin selbst, die in der Karwoche, also in der Woche vor von denen ich hoffe, dass sie sich positiv auswirken . Es Ostern, eine solche Einrichtung besucht hat . wird in einer Zeit vorgelegt, in der wir einen hohen Auf- wuchs an Beschäftigung haben –731000 zusätzliche so- (Beifall bei der CDU/CSU) zialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse Ich bin sehr froh und dankbar, dass die Bundesarbeitsmi- seit dem letzten Jahr – sowie etwa 600 000 offene Stel- nisterin und das Bundesarbeitsministerium dieses Anlie- len, also ein Arbeitsmarktumfeld, das für die Unterbrin- gen sieht und mitträgt und möchte an dieser Stelle neben (B) gung auf dem Arbeitsmarkt günstiger eigentlich nicht der Bundesarbeitsministerin und der Fachabteilung ins- (D) sein kann . besondere der Staatssekretärin Lösekrug-Möller für ihre Deswegen, glaube ich, ist es gut, wenn wir uns mit Unterstützung sehr herzlich danken . diesem Gesetz jetzt auf die Personengruppen konzen­ (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) trieren, die Probleme haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzukommen oder wieder in Beschäftigung zu kom- Meine Damen und Herren, mit diesem Akzent, den men . Die Rechtsvereinfachungen dienen ja dazu, in den wir in diesem Gesetzgebungsvorhaben setzen, wollen Ämtern den Einzelnen mehr helfen zu können . wir deutlich machen, dass wir keinen verloren gehen lassen, dass wir alles daransetzen, um jedem Menschen Aber ich sage auch sehr deutlich: Es gibt Zielgrup- in unserer Gesellschaft, mag er sich noch so schwertun, pen, bei denen wir uns sehr schwer tun, sie überhaupt eine Perspektive aufzuzeigen und diesen Menschen zu zu erreichen . Das ist eine Diskussion, die wir seit län- helfen . Wir kümmern uns jetzt um die, denen kaum noch gerem im Deutschen Bundestag führen, zumindest so einer hilft . Das sind andere Töne – das will ich gerne zu- lange, wie ich dabei bin . Es geht um die Zielgruppe der gestehen – als die sozialpolitischen Töne, die die Linken jungen Menschen, die durch nahezu alle sozialen Ras- anschlagen . Uns geht es nicht darum, Hilfesysteme zu ter fallen . Es sind junge Menschen, die von ihrer Familie zerschlagen, sondern darum, bestehende Hilfesysteme so nicht erreicht werden, weil schon ihre Herkunftsfamilie zu nutzen, dass die Hilfe bei den Menschen ankommt . nicht mehr erreicht worden ist . Sie werden von der Schu- Hartz IV muss nicht abgeschafft werden, Hartz IV muss le nicht erreicht . Sie werden von der Agentur für Arbeit immer wieder als lernendes System verändert werden . nicht erreicht . Sie werden von den Sozialämtern nicht erreicht . Die Problemlage dieser jungen Menschen, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- in unserer Gesellschaft leben, wird sozusagen erst dann neten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE in der Öffentlichkeit bekannt, wenn sie so drängend ist, LINKE]: Ersetzt werden durch eine sanktions- dass Polizei und Staatsanwaltschaft da sind, oder wenn lose Grundsicherung!) beispielsweise ein 15-jähriges Mädchen vor der Nieder- Wir müssen den Menschen eine Perspektive geben, und kunft steht, ein Kind erwartet, und wissen will, wohin es diese Perspektive lautet: Wir lassen keinen durchs soziale sich wenden kann . Netz fallen; wir wollen den Menschen helfen . Das ist un- Diese Situation erleben wir in einer Reihe von Ein- ser Anliegen, und dem dient auch dieser Gesetzentwurf . richtungen, die sich um diese Jugendlichen, diese jungen Ich danke Ihnen sehr . Menschen kümmern . Diese sorgen dafür, dass die vielfäl- tigen Lebenssituationen, die auch mit unterschiedlichen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 16252 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: ser Gesetzentwurf auch für die Regierungskoalition hat, (C) Der Kollege Strengmann-Kuhn erhält nun das Wort nämlich einen sehr geringen . für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Die Staatssekretärin ist da! – Michael Grosse- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ Brömer [CDU/CSU]: Also, wir sind am DIE GRÜNEN): stärksten hier!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele große Punkte sind in diesem Gesetzentwurf gar Karl Schiewerling betont in seinen Reden immer gerne nicht angegangen worden, manche sind auch im Gesetz- die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, den Anstieg der gebungsprozess herausgenommen worden .– In den Rei- Beschäftigung – sogar der sozialversicherungspflichtigen hen der Union wird der Kopf geschüttelt . Warum ist die Beschäftigung – und die gute ökonomische Situation . Ministerin nicht da und stellt den Gesetzentwurf selber vor, wenn es so ein großer Wurf ist? Es ist kein großer (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Zu Wurf . Recht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Damit hat er auch recht . Aber was dabei vernachlässigt Kai Whittaker [CDU/CSU]: Dann fragen Sie wird, ist, dass diese gute Situation der Wirtschaft bei vie- die SPD!) len Menschen in Deutschland nicht ankommt . Wir haben Es ist ein Bündel von bürokratischem Kleinkram, der seit Jahren ein Rekordmaß an Ungleichheit in Deutsch- die Jobcenter in dieser Situation mehr belasten wird, weil land und ein Rekordmaß an Armut . Der soziale Zusam- sie eine Fülle von neuen kleinteiligen Regeln wieder neu menhalt in Deutschland ist ernsthaft gefährdet, und da umsetzen müssen . Die Jobcenter müssen entlastet und müssen wir unbedingt ansetzen . nicht belastet werden, was der Gesetzentwurf machen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird . und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jetzt kommen die geflüchteten Menschen zu uns. Das und bei der LINKEN) wird diese Spaltung, die wir in der Gesellschaft haben, Wir haben deswegen einen Alternativantrag mit Alter- zumindest kurzfristig noch weiter verstärken . Es ist schon nativvorschlägen vorgelegt, mit dem das gesamte Grund- gesagt worden: In den nächsten Wochen und Monaten sicherungssystem tatsächlich vereinfacht wird und die erhalten die Menschen, wenn ihr Asylverfahren beendet Jobcenter entlastet werden . Ein wichtiger Punkt wäre, ist, Leistungen gemäß SGB II . Das heißt, die Jobcenter (B) erst einmal die Menschen aus Hartz IV herauszuholen, (D) werden zusätzlich belastet, bekommen zusätzliche Kun- die gar nicht dorthin gehören . Ich habe eben schon ge- dinnen und Kunden, wie es im Amtsjargon heißt . An die- sagt, es ging eigentlich darum, eine Grundsicherung für ser Stelle wäre es eigentlich völlig richtig, zu sagen: Wir Arbeitsuchende zu schaffen . Nun haben wir eine große vereinfachen die Grundsicherung, entbürokratisieren sie, Menge von Erwerbstätigen im Hartz-IV-System . Es gibt machen Licht in dem Dschungel von Grundsicherungs- mehr Erwerbstätige als Langzeitarbeitslose, die Hartz IV leistungen, sehen zu, dass die Menschen, die Anspruch beziehen . Wenn man die Kinder noch mitzählt, dann auf Grundsicherung haben, diesen auch leicht erhalten, leben fast 50 Prozent der Hartz-IV-Bezieher in einer um damit für ein Stück weit mehr soziale Sicherheit in Bedarfsgemeinschaft, die Erwerbseinkommen hat . Die Deutschland zu sorgen . müssen wir aus dieser Sicherung herausnehmen . Sie sind dort, weil sie hohe Wohnkosten haben, weil sie Kinder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben . Deswegen müssen wir an dieser Stelle die vorge- Der zweite Punkt ist, dass wir dafür sorgen müssen, lagerten Sicherungssysteme stärken, um die Erwerbstäti- dass die Jobcenter tatsächlich entlastet werden, um die gen aus Hartz IV herauszuholen . Geflüchteten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Es darf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aber auch nicht vergessen werden, die Langzeitarbeits- losen besser zu unterstützen und besser in den Arbeits- Wie gesagt: Viele Familien, viele Kinder sind dabei . markt zu integrieren . Das war eigentlich das Ziel von Die Auszubildenden gehören eigentlich auch nicht Hartz IV . Die Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit dazu . Es ist für die Auszubildenden sicher ein Fortschritt, ist ein Riesenproblem, das wir endlich angehen müssen . dass sie eine existenzsichernde Leistung bekommen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber eigentlich müsste es eine Grundsicherung für Aus- und bei der LINKEN) zubildende geben . Die bildungssozialen Sicherungssys- teme BAföG etc . müssen gestärkt werden, damit sie gar Der Ansatz, wir vereinfachen das System und ent- nicht erst in Hartz IV kommen . Auch hier müssen wir die lasten die Jobcenter, wir gehen die soziale Spaltung in vorgelagerten Sicherungssysteme stärken, um die Auszu- Deutschland an, ist eigentlich völlig richtig . Wenn man bildenden herauszunehmen; denn auch die gehören nicht sich den Gesetzentwurf ansieht – die Staatssekretärin hat zu den Jobcentern . gesagt, da ist ein jahrelanger Prozess dahinter –, dann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stellt man fest: Da ist nichts, da ist gar nichts . Man sieht daran, wie die Reihen heute hier besetzt sind und dass die Die Jobcenter sollen sich auf die Arbeitslosen konzen­ Ministerin nicht anwesend ist, welchen Stellenwert die- trieren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16253

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) Es sind einige Punkte im Gesetzgebungsprozess he- Wenn man es im Sozialgesetzbuch II so machen wür- (C) rausgefallen . Eine einfache Möglichkeit, die Jobcenter de wie im SGB XII, hätte das zur Folge, dass die Hil- schnell und effektiv zu entlasten, wäre eine Aussetzung fe auf die Menschen fokussiert wird, die sie tatsächlich der Sanktionen, die sowohl die Jobcenter als auch die brauchen . Wenn es ein Paar gibt, wo eine Person wenig Betroffenen belasten . Wir brauchen ein Sanktionsmora- und die andere relativ viel verdient, dann werden beide torium . von den Jobcentern betreut . Es müsste aber so sein, dass sich die Jobcenter auf die tatsächlich Arbeitslosen kon- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zentrieren . und bei der LINKEN) Dann würden gleich Kapazitäten frei . All diese Probleme werden von der Großen Koalition nicht angegangen . Es wird nichts für den sozialen Zu- Aber das Wenigste wäre – das ist schon angedeutet sammenhalt in dieser Gesellschaft getan . Diese Rechts- worden –, dass die Punkte, die – bis auf Bayern und vereinfachung stellt eine verpasste Chance dar . Die Gro- CSU – Konsens sind, wenigstens umgesetzt werden . ße Koalition hätte sie nutzen können . Wir haben einen Die verschärften Regelungen bei jüngeren Erwachsenen Alternativantrag vorgelegt, der die Jobcenter tatsächlich unter 25 Jahre und auch Sanktionen der Kosten der Un- entlasten, die Grundsicherung vereinfachen und den so- terkunft müssen beseitigt werden . Alle Praktiker sagen zialen Zusammenhalt in Deutschland stärken würde . Ihnen: Das kann im Extremfall zu Obdachlosigkeit füh- ren . Und, wie gesagt, die Sanktionen gegen die Jüngeren Vielen Dank . sind eher kontraproduktiv . Sie führen eher zu sozialer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausgrenzung und den Problemen, die Karl Schiewerling und bei der LINKEN) eben zu Recht angesprochen hat . Deswegen müssten die Jüngeren genauso behandelt werden wie die Älteren . Das wäre ein wichtiger Punkt . Vizepräsidentin : Vielen Dank Herr Kollege Strengmann-Kuhn .– Schö- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! – sowie bei Abgeordneten der SPD) Der nächste Redner in der Debatte ist Markus Paschke Es gibt viele Brocken, die überhaupt nicht angegangen für die SPD . werden . Das Bildungs- und Teilhabepaket ist ein büro- kratisches Monster . Bei den Kosten der Unterkunft gibt Markus Paschke (SPD): es eine Fülle von bürokratischen Regelungen bzw . viele Sonderregelungen, welche die Jobcenter und die Kom- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (B) munen teilweise überfordern . Es gibt viele Sonderrege- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau (D) lungen im Hartz-IV-Gesetz, die diskriminierend sind und Kipping, Sie haben vorhin ein Paradebeispiel erwähnt . abgeschafft werden müssten . Ich finde, Ihre Rede war ein Paradebeispiel für Schlecht- reden und auch für Ignoranz . Teilweise sind im Gesetzentwurf neue Verschärfungen enthalten . Katja Kipping hat ein paar Beispiele genannt, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die auch wir als Problem ansehen . Es handelt sich dabei Wir wollen mit den Rechtsvereinfachungen im SGB II nicht um Rechtsvereinfachung, sondern um Rechtsver- nicht nur für die Ämter, sondern auch für die betroffe- schärfung . nen Menschen Erleichterungen schaffen . Wir sagen: Der Eigentlich müsste man sich das gesamte System der Mensch muss im Mittelpunkt stehen . Deshalb werden Grundsicherungsleistungen einmal anschauen . Es gibt wir die Jobcenter und die Betroffenen von Bürokratie fünf verschiedene Grundsicherungsleistungen in drei entlasten . Somit bleibt mehr Zeit und mehr Energie für verschiedenen Gesetzen . Die Regelungen in den einzel- die Betreuung und die Förderung . nen Gesetzen sind völlig unterschiedlich . Eine Große Koalition könnte sich einmal daranmachen und gleiche (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Sachverhalte auch gleich regeln . Damit hätte man eine NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?) Vereinfachung in der Verwaltung und bessere Transpa- Ich will dies an einigen Beispielen deutlich machen . renz für die Betroffenen . Eine wirkliche Erleichterung ist die Verlängerung des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bewilligungszeitraums . und bei der LINKEN) Ich will nur einen Punkt herausnehmen . Dabei geht (Beifall bei der SPD – Katja Kipping [DIE es – das klingt erst einmal relativ technisch – um die LINKE]: Das ist doch schon Praxis!) Anrechnung von Partnereinkommen . Der Begriff „Be- Zukünftig müssen Anträge auf Leistung nur einmal im darfsgemeinschaften“ – den gibt es bei Hartz IV im So- Jahr gestellt werden . Mit dieser Änderung entfallen somit zialgesetzbuch II – ist vielleicht bekannter . Im Sozialge- pro Jahr rund 2,5 Millionen Weiterbewilligungsanträge . setzbuch XII läuft die Einkommensanrechnung anders . Da gibt es eine individualisierte Leistung, wo auch Part- nereinkommen – aber nur von Partnern, die mehr verdie- Vizepräsidentin Claudia Roth: nen, als das eigene Grundsicherungsniveau ausmacht – Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder angerechnet wird . -bemerkung? 16254 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

(A) Markus Paschke (SPD): zu bestreiten, also diejenigen, die aufstocken müssen, zu- (C) Ich würde gern erst einmal fortfahren . künftig bei Weiterbildungen und bei der Jobsuche von der Bundesagentur für Arbeit unterstützt, gefördert und betreut werden . Vizepräsidentin Claudia Roth: Auch nicht von Frau Pothmer? (Beifall bei der SPD)

Markus Paschke (SPD): Das hat auch mit Anerkennung und Würde zu tun; denn Auch nicht von Frau Pothmer . sie haben sich Ansprüche nach dem SGB III erarbeitet . Sie haben in der Regel wahrscheinlich nur zu wenig ver- dient, um Ansprüche zu haben, die ausreichend sind, um Vizepräsidentin Claudia Roth: ihr Leben zu gestalten. – Ich finde, all das sind Schritte in Gut, alles klar . die richtige Richtung . (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Last, but not least sind die Verbesserungen bei der NEN]: Markus, das hätte ich von dir nicht er- Ausbildungsförderung ein ganz wichtiger Punkt . wartet!) (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Karl Markus Paschke (SPD): Schiewerling [CDU/CSU]) Haben Sie sich einmal durch diese Anträge hindurch- gekämpft? Ich mache das im Rahmen meiner Bürger- Bisher war es so, dass jeder, der eine Ausbildung auf- sprechstunden regelmäßig . Das Rauschen im Blätterwald nahm, mit dem Tag, als er sie begann, weniger Geld zur ist beeindruckend, das Arbeiten darin mühselig . Denn es Verfügung hatte, als wenn er im System des SGB II ge- geht nicht nur um die Anträge, sondern auch um die da- blieben wäre . Das haben wir jetzt für viele geändert . Sie mit verbundenen Unterlagen, die aber nun nur noch ein- bekommen nicht mehr weniger Geld, sondern sie haben mal im Jahr eingereicht werden müssen . mindestens die gleichen Ansprüche wie vorher, und das ist auch gut so . Ein weiteres Beispiel ist die Gesamtangemessenheits- grenze für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung . Zu- (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Karl künftig zählt die Summe für die Bewertung der Ange- Schiewerling [CDU/CSU]) messenheit einer Wohnung . Es spielt – solange sich die Summe im Rahmen der Gesamtangemessenheitsgrenze Es ist kein Geheimnis, dass wir von der SPD-Fraktion bewegt – keine Rolle mehr, ob eine höhere Miete für eine gern noch mehr für die Menschen in unserem Land er- (B) Neubauwohnung mit höheren Standards, dafür aber mit reicht hätten . So hege ich zum Beispiel immer noch die (D) niedrigeren Heizkosten, gezahlt wird oder ob die Miete Hoffnung, dass wir es schaffen, im parlamentarischen niedriger ist, die Heizkosten aber höher sind. Ich finde Verfahren den Gesetzentwurf um eine Bagatellgrenze für es gut, dass zukünftig SGB-II-Bezieher nicht mehr von Rückforderungen zu ergänzen . Denn auch das wäre eine modernen Wohnungen ausgeschlossen sind, anders als spürbare Entlastung für alle Beteiligten . Es kann doch bisher, als nur die Miete, die lediglich einen Teil der Ge- nicht sein, dass durch eine Rückforderung von 5 Euro in samtkosten ausmacht, mit einer Angemessenheitsgrenze den Ämtern Arbeitskosten von 50 Euro entstehen . belegt wurde . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ansprüche nach dem SGB II können zukünftig auch nicht mehr gepfändet oder übertragen werden . Das ist Das steht wirklich in keinem Verhältnis . eine Forderung, die die Betroffenen und ihre Interessen- vertreter schon lange gestellt haben . Das gilt allerdings auch für die Blockadehaltung der CSU beim Thema der Sanktionen . Kürzungen bei den Nach bisheriger Rechtslage muss jede erwerbsfähige Kosten der Unterkunft sind nicht nur sinnlos, sondern leistungsberechtigte Person bei Krankheit einen gelben einfach nur gefährlich; sie gefährden Mietverhältnis- Schein vom Arzt vorlegen . Das gilt auch für Personen, se . Auch die besonders scharfen Regelungen für unter die aktuell für eine Arbeitsaufnahme gar nicht infrage 25-Jährige haben alle Experten als nicht zielführend be- kommen, weil sie zum Beispiel eine Schule besuchen zeichnet . Sie bringen nichts . und einen Schulabschluss machen . Das entfällt nun für viele. Ich finde, das ist ein großer Fortschritt für die Be- (Beifall der Abg . Katja Kipping [DIE LIN- troffenen und auch im Hinblick auf die Bürokratieent- KE] – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: lastung . Ja, und was macht die CSU?) Mit dem Gesetzentwurf stärken wir auch die Einglie- derungsvereinbarung . Dazu gehört eine stärkere Nutzung Wir haben das hinlänglich diskutiert . Die CSU verhindert der Potenzialanalyse; denn nur wenn klar ist, wo Stärken leider bis heute eine faire Lösung . und Schwächen liegen, können Hilfe und Unterstützung (Beifall bei Abgeordneten der SPD – effektiv geleistet werden . Damit soll der Gedanke des Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Buh! – Förderns mehr Bedeutung bekommen . Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Wichtig ist mir insbesondere, dass diejenigen, deren NIS 90/DIE GRÜNEN]: Schmeißt die doch Arbeitslosengeld zu gering ist, um ihren Lebensunterhalt mal raus aus der Koalition!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16255

Markus Paschke (A) Wer ständig Sand ins Getriebe streut, kann nicht der Mo- bei dem Vokabular angekommen sind, das sie eigentlich (C) tor der Nation sein . immer haben wollten . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der LINKEN) NEN]: Geht das auch in einfacher Sprache?) Da Horst Seehofer zu Recht die Entwicklungen bei der Auch das Thema Armut ist angesprochen worden . Ich Rente kritisiert hat – er bezeichnet sie als neoliberal –, möchte an dieser Stelle zwei Hinweise zum Thema Ar- gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass sich diese Erkennt- mut geben . Wir haben eine Einkommensspreizung, die nis auch in Bezug auf die Sanktionen durchsetzt . unter Rot-Grün bis 2005 zugenommen hat und seitdem relativ stabil ist; sie wird sich durch den Mindestlohn Mein Fazit für heute: Es ist ein guter Entwurf, der in vermutlich etwas abschwächen . Ich will dafür plädieren, die richtige Richtung geht . dass man mit dem Begriff „Armut“ etwas vorsichtiger (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Oh umgeht . Er ist auf der einen Seite eine wissenschaftliche nein, nein, nein! – Gegenruf von der SPD: Kategorie – das wissen wir beide relativ gut –, aber auf Doch!) der anderen Seite ist er auch ein Begriff, der einen hohen Polarisierungseffekt hervorrufen kann . Davor sollten wir Ich denke, wir werden im parlamentarischen Verfahren uns ein wenig hüten . sicher noch über das eine oder andere reden können . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ordneten der SPD) der CDU/CSU) Wir haben im letzten Jahr – ich will nicht sagen: ge- feiert – daran gedacht, dass vor zehn Jahren Hartz-IV Vizepräsidentin Claudia Roth: und SGB II auf den Weg gebracht wurden . Wir haben Vielen Dank, Markus Paschke . – Das Wort hat nun inzwischen das neunte Änderungsgesetz zum SGB II auf der sehr verehrte Dr .Matthias Zimmer für die CDU/ den Weg gebracht . Wir haben also statistisch gesehen fast CSU-Fraktion . jedes Jahr ein Änderungsgesetz vorgelegt, mit dem wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – nachsteuern, mit dem wir die Instrumente schärfen, mit Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!) dem wir Verwaltung vereinfachen, mit dem wir für mehr Effizienz sorgen und durch die Rückmeldung der Prakti- – Wenn Sie wüssten, wie er sich neben anderen Kollegin- ker vielleicht auch für ein klein wenig mehr Gerechtig- nen und Kollegen für Ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterin- keit in den Verfahren sorgen . nen in der Mitarbeiterkommission des Bundestages ein- (B) (D) setzt, dann würden Sie das „sehr verehrter Dr . Zimmer“ Karl Schiewerling hat es auf den Punkt gebracht, in- verstehen . dem er gesagt hat: SGB II ist ein lernendes System . Ich finde, das ist auch gut so. Im Jahr 2005 hatten wir eine (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – sehr hohe Anzahl an Arbeitslosen . Mittlerweile konnten Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ich ver- wir einen deutlichen Rückgang bei der Arbeitslosigkeit stehe das! Nichts anderes haben wir erwartet!) verzeichnen . Die Erfahrungen, die wir zwischenzeitlich mit diesem Instrument gesammelt haben, gehen also in Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): unsere Erörterungen ein . Sehr verehrte Frau Präsidentin! Vizepräsidentin Claudia Roth: (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder und der SPD – [SPD]: Jetzt ist aber -bemerkung von Dr . Franziska Brantner? gut!) Nach so einer freundlichen Begrüßung fällt es ausgespro- Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): chen schwer, das ein oder andere schärfere Wort anzu- Gerne . bringen . (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Du hast dafür Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eine Minute mehr Zeit!) NEN): – Sehr schön . Wenn ich eine Minute mehr Zeit habe, Herzlichen Dank für die Zulassung der Frage . Sie ha- dann kann man das ganz gut gestalten . ben gerade so schön gesagt, das SGB II sei ein lernen- des System, und man würde es weiter verbessern . Daher Das, was der Kollege Strengmann-Kuhn sagt, regt meine Frage: Wie wollen Sie im parlamentarischen Pro- eigentlich immer zum Nachdenken an . Aber in diesem zess mit dem Entwurf zur Neuregelung der temporären Fall ist die ein oder andere Replik erforderlich . Da ist Bedarfsgemeinschaften umgehen? Das hat wichtige Aus- zunächst einmal, lieber Wolfgang Strengmann-Kuhn, wirkungen auf die Alleinerziehenden . Eigentlich haben der Begriff des Bürokratiemonsters aus dem Bildungs- wir gelernt, dass es in diesem Bereich eine Unterfinan- und Teilhabepaket, der mich begrifflich doch sehr an das zierung gibt, wenn sich Eltern die Aufgabe teilen . Wie Bürokratiemonster erinnert, das der Wirtschaftsflügel in wollen Sie als Abgeordneter der Regierungskoalition mit Bezug auf die Aufzeichnungspflicht nach dem Mindest- diesem Entwurf umgehen? Oder wollen Sie lieber aus lohngesetz sieht . Ich habe mich gefragt, ob die Grünen den Erfahrungen lernen und den Alleinerziehenden, die 16256 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Dr. Franziska Brantner (A) sich die Betreuung partnerschaftlich aufteilen, unter die parlamentarische Verfahren hätte . Der erste Bereich ist (C) Arme greifen? die Zwei-in-fünf-Regelung, dass man also innerhalb von fünf Jahren nur zwei Jahre lang fördern kann. Ich finde, Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): wir sollten überlegen, ob wir unter bestimmten Bedin- Verehrte Frau Kollegin Brantner, ich spüre in Ihrer gungen, meinetwegen mit einer degressiven Ausgestal- Wortmeldung ein gewisses Bedauern darüber, dass Sie tung oder einer Verpflichtungserklärung von Arbeitge- das SGB II vor zehn Jahren zwar auf den Weg gebracht bern dahin gehend, dass jemand übernommen wird, ein haben, aber mittlerweile nicht mehr in der Lage sind, an drittes Jahr fördern können . Ich glaube, von den Prakti- der Verbesserung des SGB II mitzuarbeiten, weil Sie seit kern würde dies als sehr sinnvoll erachtet . Ich glaube, wir zehn Jahren in der Opposition sind . Gleichwohl: Wir ha- tun uns einen großen Gefallen, wenn wir dieses Thema ben von der Bundesregierung und von den Bundeslän- ernsthaft im parlamentarischen Verfahren erörtern . dern ein Paket vorgelegt bekommen, das wir heute in die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- parlamentarische Beratung einbringen werden . ordneten der SPD) Wie der Kollege Paschke schon gesagt hat: Es gibt von der einen oder anderen Seite sicherlich noch Wün- Der zweite Bereich, der in diesem Zusammenhang sche, die Regelungen auf die eine oder andere Art und steht, ist die Förderung von Vollzeitmaßnahmen für die Weise zu ergänzen . Das werden wir in den parlamenta- berufliche Weiterbildung auch dann, wenn sie nicht um rischen Beratungen berücksichtigen . Ich bin mir sicher, ein Drittel verkürzt werden . Der Bundesrat hat das vorge- dass die Frage, die Sie angebracht haben, auch ein we- schlagen . Das ist im Ministerium auf wenig Gegenliebe sentlicher Bestandteil der parlamentarischen Beratungen gestoßen, aber ich halte es für eine sehr sinnvolle Ange- sein wird . – Danke schön . legenheit, unter bestimmten Bedingungen das dritte Jahr zu fördern . Auch hier kann man sich darüber unterhalten, Meine Damen und Herren, ich will drei besondere ob man dies an Bedingungen knüpft wie etwa an die Zu- Neuerungen hervorheben, die mir in diesem Zusammen- sage eines Arbeitgebers für eine spätere Übernahme . Das hang wichtig sind . Eine hat Markus Paschke eben schon halte ich auch für eine ausgesprochen sinnvolle Sache . erwähnt . Das ist die Entschärfung der Schnittstelle von Ausbildungsförderung und Grundsicherung . Die beruf- Der dritte Bereich sind AGHs und die Stärkung loka- liche Ausbildung soll nicht dadurch verhindert werden, ler Akteure . Es ist ein lang gehegter Wunsch, dass wir dass weniger Geld da ist als nach SGB II . Ich glaube, das uns bei den Arbeitsgelegenheiten sehr genau darüber un- ist eine sinnvolle Ergänzung dessen, was wir gestern im terhalten, wie wir es hinbekommen, dass diese Kriterien Zusammenhang mit dem Gesetz zur beruflichen Weiter- nicht strikt angewendet werden, sondern dass die Sozial- (B) bildung diskutiert haben . Die Logik dahinter ist schlicht partner vor Ort erhebliche Entscheidungsmöglichkeiten (D) und einfach, dass Bildung und Weiterbildung nachhalti- haben . Ich denke, wenn wir die Sozialpartner vor Ort ger sind als die schnelle Vermittlung in den Arbeitsmarkt . stärken, dann können die Kriterien weitgehend wegfal- Ich glaube, das ist eine gute Erkenntnis, die wir in den len . Das gibt dann zwar einige Probleme, was den Nach- letzten zehn Jahren gewonnen haben . vollzug in Nürnberg angeht, aber das gibt den lokalen Akteuren vor Ort erheblich mehr Flexibilität . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, wir haben jetzt einen ers- Der zweite Bereich – Karl Schiewerling hat ihn er- ten Schritt gemacht, wir gehen in das parlamentarische schöpfend behandelt – ist der neue § 16 h SGB II, der Verfahren . Wir haben an der einen oder anderen Stelle gewissermaßen einen Auffangtatbestand für diejenigen noch eine größere Wunschliste, das ist eine ganz natürli- Jugendlichen schafft, die durch die Raster fallen und che Entwicklung . durch die Hilfesysteme nach SGB III und SGB VIII oder (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch durch die bisherige Ausgestaltung der Hilfesysteme NEN]: Hier bei uns auch! Auch wir haben eine nach SGB II nicht erfasst werden können . Wunschliste!) Ein dritter Bereich, der mir ganz besonders wichtig ist, ist die Stärkung der Eingliederungsvereinbarung . Ich Auch der Bundesrat wird noch etwas mitreden kön- glaube, es ist ein zentrales Element des Förderns und nen . Auch die Opposition wird mitreden, verehrte Frau Forderns, dass wir die Eingliederungsvereinbarung stär- Pothmer, dessen bin ich mir sicher . Ich freue mich auf die ken, dass wir eine Potenzialanalyse vornehmen und dies Beratungen im Ausschuss . auch regelmäßig überprüfen und fortschreiben . Ich glau- Herzlichen Dank . be persönlich – und da schaue ich jetzt besonders auf die Kolleginnen und Kollegen von der Linken –, dass dies (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zusätzlich auf beiden Seiten zu einer gewissen Ernsthaf- tigkeit führt und vielleicht die eine oder andere Sanktion überflüssig macht. Das wäre auch in unserem Interesse. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vielen Dank, lieber Kollege Zimmer . – Der nächste Redner ist Dr . Matthias Bartke für die SPD . Meine Damen und Herren, man darf immer noch träumen . Wenn es nach mir ginge, dann würde ich drei (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bereiche anführen, in denen ich noch Wünsche für das der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16257

(A) Dr. Matthias Bartke (SPD): willigung der Bescheide auf zwölf Monate und die Ein- (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Som- schränkung der Verpflichtung zur Krankmeldung. mer 2014 gab es eine Koalitionsgruppe zur Flexirente . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Arbeitsgruppe hatte damals länger als ein Jahr ver- handelt . Unsere Fachsprecherin, Katja Mast, hatte das Ich sage Ihnen aber: Der Gesetzentwurf enthält noch zum Anlass genommen, die Verhandlungsdauer mit der deutlich mehr Verbesserungen . Leider haben Sie die nicht Schwangerschaft eines Nashorns zu vergleichen . erkannt, und leider erheben Sie am Ende doch wieder nur Ihre alte Forderung, Sanktionen komplett abzuschaffen . (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das Gesetz ist Dabei war Ihr Antrag zu Beginn deutlich differenzierter . schöner als ein Nashorn!) Sie haben ebenso wie ich kritisiert, dass die Sondersank- Nun debattieren wir heute nicht über Rentenfragen, tionen für Jugendliche und die Kürzung bei den Kosten sondern über Rechtsvereinfachungen im SGB II, und der Unterkunft nicht abgeschafft werden . die basieren auf den Vorstellungen der Bund-Länder-Ar- beitsgruppe aus dem Jahr 2014 . Um bei den Dickhäutern Vizepräsidentin Claudia Roth: zu bleiben: Die 540 Tage einer Nashornschwangerschaft Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung haben wir schon überschritten, die zwei Jahre einer Ele- oder -frage von Herrn Birkwald von der Linken? fantenschwangerschaft sind in Sicht . Es steht zu hoffen, dass wir sie nicht erreichen . Dr. Matthias Bartke (SPD): (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Da er das vorher schon so nett angekündigt hat, gerne . Im Vorfeld hat der bayerische Löwe Seehofer schon einmal gebrüllt . Löwen sind bekanntermaßen keine Vizepräsidentin Claudia Roth: Dickhäuter . Herr Seehofer hat gesagt – das ist weniger spaßig –: Wie? So geht das aber nicht . So läuft das nicht – damit das ganz klar ist . Das Verwässern der Sanktionen bei Drückebergern wird die CSU verhindern . (Heiterkeit – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Abgesprochene Zwischenfragen? Wo gibt es Ganz unabhängig vom Stil dieser Aussage ist sie inhalt- denn so was?) lich falsch . Herr Seehofer bezog sich auf das Vorhaben unserer Ministerin Andrea Nahles, die verschärften Sanktionsregeln für unter 25-Jährige abzuschaffen und Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): (B) (D) sie denen für ältere Arbeitsuchende anzupassen . Außer- Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Vielen Dank, Kolle- dem sollte die Kürzung bei den Kosten für Unterkunft ge Bartke, dass Sie die Zwischenfrage zugelassen haben . und Heizung abgeschafft werden . Auf dieses Vorhaben Sie haben eben gesagt, dass Sie sich dafür aussprechen, hatten wir uns mit sämtlichen Experten bereits geeinigt . die verschärften Sanktionen für Jugendliche abzuschaf- Gemeinsame Erkenntnis war: Die teilweise überharte fen . Das erkenne ich ausdrücklich an, auch wenn ich alle Sanktionierung von Jugendlichen und die Streichung Sanktionen abgeschafft haben will . der Kosten für Unterkunft wirken kontraproduktiv . Herr Strengmann-Kuhn hat das eben durchaus zutreffend dar- Ich frage Sie als SPD-Abgeordneten, weil die SPD das gestellt . Deswegen sage ich: Schlecht gebrüllt, bayeri- Familienministerium besetzt, warum Sie Alleinerziehen- scher Löwe! de und Kinder mit diesem Gesetz so strafen . Ich zitiere aus der heutigen Ausgabe der Welt. Die Überschrift lau- (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Matthias tet: W . Birkwald [DIE LINKE] – Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hartz-IV-Reform trifft vor allem Trennungskinder – NEN]: Und? Konsequenz?) Bundesregierung will Alleinerziehenden Geld strei- chen, wenn der Nachwuchs tageweise beim anderen Nach der Verweigerungshaltung der CSU hat sich Elternteil ist . unsere Ministerin Nahles entschieden, die Verbesserung des Sanktionsregimes vom restlichen Gesetzgebungsver- Die Kollegin Brantner hatte das Thema ja eben ange- fahren abzukoppeln; denn die anderen mit dem Gesetz- sprochen . Es ist so, dass alleinerziehende Frauen, wenn entwurf vorgeschlagenen Rechtsvereinfachungen sind sie das Kind für ein Wochenende zum Vater geben, Geld dringend notwendig . Wir wollen die unnötige Bürokratie abgezogen bekommen . Das Kinderzimmer bleibt aber, in den Jobcentern abbauen . Die Jobvermittler sollen die die Zahnbürste bleibt, und alle anderen Aufwendungen Chance haben, ihrer Berufsbezeichnung gerecht zu wer- für das Kind bleiben auch . Die Familienverbände sagen den, und nicht ihre ganze Energie auf Verwaltungsvor- unisono: Das ist völliger Unsinn . Sie fordern im Gegen- gänge verwenden müssen . teil einen Umgangsmehrbedarf . Das fordert nicht nur ein Familienverband, sondern drei, und auch der Deutsche Meine Damen und Herren von der Linken, erfreuli- Juristinnenbund . Meine Frage an Sie, da die SPD die cherweise konnten auch Sie sich durchringen, in Ihrem Familienministerin stellt: Warum belasten Sie Allein- Antrag Vorschläge des Gesetzentwurfs zu begrüßen . Ich erziehende, die zu 40 Prozent voll oder ergänzend auf war, ehrlich gesagt, überrascht . Sie beziehen sich dabei Hartz IV angewiesen sind, mit diesem Gesetz so enorm? insbesondere auf die Verlängerung der Dauer der Be- Ich finde, wir sollten etwas für Kinder und Jugendliche 16258 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Matthias W. Birkwald (A) und für Alleinerziehende tun und sie nicht noch bestra- dass der fördernde Charakter dieser Regelung gelebt (C) fen . werden wird . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Eine Beratung ist erst dann durch Wertschätzung geprägt, Dr. Matthias Bartke (SPD): wenn sie auf Augenhöhe erfolgt . Unter dieser Vorausset- Um es vorab zu sagen: Die Frage war angekündigt, zung kann sie den Leistungsempfänger darin unterstüt- aber nicht der Inhalt der Frage . Deswegen sage ich Ihnen: zen, seine Hilfebedürftigkeit zu überwinden: Welche Ich freue mich, dass Sie so konstruktiv an den Beratun- Möglichkeiten zum Nachholen von Qualifikationen gibt gen teilnehmen . Ich würde mich auch freuen, wenn Sie es? Wo bestehen Chancen zum beruflichen Aufstieg? weiterhin so konstruktiv agierten Zukünftig soll außerdem für jeden erwerbsfähigen (Katja Kipping [DIE LINKE]: Es wäre schön, Leistungsberechtigten eine Potenzialanalyse der bishe- wenn Sie etwas von den Vorschlägen überneh- rigen Eingliederungsvereinbarung vorgeschaltet werden . men würden!) Individuelle Potenziale statt standardisierte Verwal- tungspraxis haben hier neuen Raum . In der Eingliede- und in den Ausschussberatungen zur Sache argumentier- rungsvereinbarung wird dann festgelegt, in welche Tä- ten . Ich will jetzt nicht ins Detail gehen . tigkeitsbereiche vermittelt werden soll . Damit können Vermittlungen unterhalb vorhandener Qualifikationen (Dr .Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Jetzt bin verhindert werden . Mit dem Gesetz entfällt in Zukunft ich aber auch auf die Antwort gespannt! – auch die Darlehensregelung, wenn eine Maßnahme nach Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Wegfall der Hilfebedürftigkeit weiter gefördert wird . NIS 90/DIE GRÜNEN]: In unserem Antrag Den Teilnehmern wird es so erleichtert, die Maßnahme ist ein Vorschlag dafür! Den kann man über- abzuschließen . Außerdem müssen sie nicht mit Schulden nehmen!) in die Erwerbstätigkeit starten . – Ich erläutere das nicht weiter . Es ist damit beendet . Am Schluss noch zu einer mir besonders wichti- Der Gesetzentwurf enthält noch deutlich mehr Verbes- gen Regelung, die auch schon Frau Staatssekretärin serungen . Lösekrug-Möller dargestellt hat . Auszubildende und Schüler, die BAföG erhalten, sollen künftig aufstockend Arbeitslosengeld II erhalten können . Wenn eine Ausbil- Vizepräsidentin Claudia Roth: dung allein durch die Ausbildungsvergütung nicht finan- Moment . War das jetzt die Antwort? ziert werden kann, ist das meistens schon der Anfang (B) (D) vom Ende . Durch die Neuregelung werden Aufnahme Dr. Matthias Bartke (SPD): und Absolvierung einer Ausbildung endlich erleichtert . Das war die Antwort . Uns liegt am Herzen, dass wir für die Leistungsemp- fänger Verbesserungen erreichen . Ich bin überzeugt, dass (Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das war wir mit dem Gesetzentwurf die besten Voraussetzungen die Antwort?) dafür geschaffen haben . Auch in meiner Fraktion sind wir noch nicht vollends zufrieden, und – Herr Schiewerling Vizepräsidentin Claudia Roth: hat es eben angekündigt – wir werden noch über unter- Ach so, gut . schiedliche Änderungswünsche gemeinsam diskutieren . Ich freue mich daher auf das Beratungsverfahren und set- ze auf die Zusammenarbeit auch mit Ihnen . Dr. Matthias Bartke (SPD): Zum Thema Sanktionen haben Sie eine Kleine Anfra- Ich danke Ihnen . ge gestellt, über deren Beantwortung durch die Bundesre- (Beifall bei der SPD sowie des Abg . gierung letzte Woche in der Presse breit diskutiert wurde . Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]) Da fand sich unter anderem die Schlagzeile: Fast 40 Pro- zent der Klagen gegen Sanktionen sind erfolgreich . Ich

sage Ihnen, Herr Birkwald, ausdrücklich Danke für diese Vizepräsidentin Claudia Roth: Anfrage . Die Zahlen alarmieren auch uns . Jede unrecht- Vielen Dank, Herr Kollege Bartke .– Der nächs- mäßige Sanktion ist eine zu viel . Auf die Gründe dafür te Redner in der Debatte: Kai Whittaker für die CDU/ müssen wir ein Auge haben, und wir müssen daraus un- CSU-Fraktion . sere Konsequenzen ziehen . Aber ich kann Ihnen schon (Beifall bei der CDU/CSU) jetzt sagen: Das wird nicht die Abschaffung der Sanktio- nen sein, wie Sie direkt wieder geschlussfolgert haben . In Kai Whittaker (CDU/CSU): dieser Position hat uns die Mehrheit der Experten in der letztjährigen Anhörung bestätigt . Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Politik beginnt ja bekanntlich mit dem Betrachten der Wirklichkeit . Der Mir ist besonders wichtig, dass die Beratung als aus- eine muss sie etwas länger betrachten als der andere, um drückliche Leistung des Gesetzes in den vorliegenden sie zu erkennen, aber am Ende bleibt es dieselbe Wirk- Gesetzentwurf eingeführt wird . Die Beratung ist in der lichkeit . Wenn ich mir die eine oder andere Rede der Op- Vergangenheit oft zu kurz gekommen . Ich wünsche mir, position hier anhöre, dann habe ich den Eindruck, dass Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16259

Kai Whittaker (A) Sie heute beim Betrachten noch etwas Nachhilfe brau- nicht überlasten wollen . Aber für über 80 000 Menschen (C) chen . in diesem Land ist das eine echte Perspektive, ein erster kleiner Schritt . Jede große Reise beginnt eben mit dem (Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Neue ersten Schritt . Deshalb bin ich darüber sehr glücklich . Brille!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich bin meinem AG-Chef Karl Schiewerling sehr dankbar dafür, dass wir heute dieses Gesetz auf den Weg Es gibt im Gesetzentwurf noch viele weitere Verbes- bringen können, in dem wir nicht nur die technischen serungen, die schon angesprochen worden sind: Wir füh- Vereinfachungen bei Hartz IV, auf die sich Bund und ren ein Profiling ein. Da machen wir nichts anderes, als Länder geeinigt haben, durchsetzen, die Stärken der Langzeitarbeitslosen zu analysieren, um zu erfahren, was sie können und wo wir sie noch fördern (Katja Kipping [DIE LINKE]: Meinen Sie die können . Wir führen für Langzeitarbeitslose, die wieder Wirklichkeit, mit 9 Euro am Tag auskommen in den ersten Arbeitsmarkt kommen, eine nachgehende zu müssen?) Betreuung ein, damit sie stabil bleiben und nicht in die sondern auch noch einmal den Instrumentenkasten in Langzeitarbeitslosigkeit zurückfallen . Wir machen auch den Blick nehmen . Warum ist der Instrumentenkasten so im Bereich der Ausbildung etwas . wichtig? Uns, der Union, ist es wichtig, Menschen wie- der in Arbeit zu bringen anstatt sie teuer und ineffizient 57 Prozent der Langzeitarbeitslosen haben keine zu verwalten . Das ist der Punkt, den wir mit dieser Re- Ausbildung . Würden sie eine machen, verdienten sie form machen . mit ihrem Azubigehalt weniger, als wenn sie weiterhin Hartz IV bekämen . Das habe ich nicht verstanden, das (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das passiert haben wir nie verstanden, und deshalb ändern wir das aber mit dem Gesetz nicht! Das ist überhaupt jetzt, indem wir Hartz IV für Langzeitarbeitslose, die nicht drin!) eine Ausbildung machen wollen, öffnen . Menschen, die lange arbeitslos sind, haben viele sozi- (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- ale Probleme und einen langen und steilen Weg zurück in KE]: Hartz IV ist schon lange offen für Lang- die Arbeitswelt vor sich . Sie brauchen Hilfe, indem wir zeitarbeitslose!) ihnen eine Treppe in diesen ersten Arbeitsmarkt bauen . Mit diesem Gesetz bauen wir ein paar Stufen in diese Gibt es noch Potenzial nach oben, Herr Strengmann- Treppe ein . Kuhn? Natürlich gibt es das . Es handelt sich um einen Gesetzentwurf der Ministerin . Das parlamentarische Ver- (Beifall bei der CDU/CSU) fahren beginnt erst . Jetzt sind wir gefordert . Ich denke, in (B) (D) Ich möchte heute auf eine dieser Stufen hinweisen, den nächsten Wochen werden wir noch einige Verbesse- weil sie mir persönlich sehr wichtig ist, nämlich die rungen in das Gesetz einfließen lassen können. Öffnung der Integrationsbetriebe . Ich halte das für ei- Jetzt können Sie uns vorwerfen, das alles sei nur ein nen Meilenstein . Denn wir, die Union, waren immer der Reförmchen . Ansicht, dass wir lieber Arbeit als Nichtstun finanzieren. Diese Integrationsbetriebe schaffen genau das . Sie sind (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ein gutes Beispiel . Sie sind ein Erfolgsmodell . Das ist NEN]: Aber das finden Sie doch auch!) der Unterschied zwischen uns und Ihnen: Sie wollen Aber den Vorwurf, dass die Große Koalition nur noch Langzeitarbeitslose in einem sogenannten dritten sozia- kleine Gesetze durchbringt, lasse ich Ihnen nicht durch- len Arbeitsmarkt parken und sie so aus der Statistik he- gehen . Denn wenn man sich grundsätzlich über Hartz IV raushaben, unterhält, dann muss man feststellen, dass man auch bei (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Or- Ihnen nicht wirklich fündig wird . Sie möchten Hartz IV dentlich bezahlen!) am liebsten abschaffen: Augen zu, Geld an die Langzeit- arbeitslosen überweisen und versprechen, dass Deutsch- weil Sie den Glauben an diese Menschen verloren haben . land ein Land ist, in dem Milch und Honig fließen. (Katja Kipping [DIE LINKE]: Die Statistik (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- macht Ihre Regierung! Sie schönt die Statis- KE]: Völliger Blödsinn! – Katja Kipping [DIE tik!) LINKE]: Haben Sie mal unsere Vorschläge Das ist die Wahrheit . Wir hingegen möchten mit den zum aktiven Arbeitsmarkt gelesen?) Integrationsbetrieben ein Mittel finden, wie wir diese Aber Sie bringen mit diesen Maßnahmen keinen einzigen Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurück- Menschen zusätzlich in Arbeit . bekommen . Diese Integrationsbetriebe sind kein dritter Arbeitsmarkt, und sie arbeiten auch nicht im zweiten Zugleich versteifen Sie sich nur auf das Thema „Sank- Arbeitsmarkt, sondern sie sind mittendrin im wirtschaft- tionen abschaffen“. Auch da hilft, finde ich, die Betrach- lichen Leben im ersten Arbeitsmarkt . Deshalb halte ich tung der Wirklichkeit . Wir haben letztes Jahr gelernt, diesen Schritt für wichtig . dass die Sanktionsrate in diesem Land bei circa 1 Prozent der Fälle liegt . 1 Prozent! Wir öffnen den Arbeitsmarkt für schwerbehinderte Langzeitarbeitslose . Es ist zugegebenermaßen eine vor- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Das stimmt sichtige Öffnung, weil wir die Integrationsbetriebe auch nicht! Nein, nein, nein!) 16260 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Kai Whittaker (A) In Großbritannien sind es 5 Prozent, in den Niederlanden Da müssen wir noch einmal ran . Ich muss aber ehrlich (C) sind es 35 Prozent . Wenn Sie sagen, dass in Deutschland sagen: Ich sehe weder bei Ihnen von den Linken noch bei eine Herrschaft des Sanktionsregimes besteht, muss ich Ihnen von den Grünen den Willen, das zu tun . Ihnen entgegnen: Das ist nicht der Fall. Ich finde, wir sind, was Sanktionen angeht, ziemlich harmlos unter- (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wegs . NEN]: Aber bei Ihnen, ja?) Wenn ich in die Gesichter hier schaue, (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wenn es nur 1 Prozent ist, kann man es doch ab- (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaffen!) NEN]: Verzweiflung!) Von den Grünen höre ich die Sätze, dass man das Ver- denke ich, dass ich Ihnen bei der Betrachtung der Wirk- fahren vereinfachen und Hartz IV einfacher gestalten lichkeit auf die Sprünge geholfen habe . Zumindest bestä- möchte . Das möchte ich auch sehr gerne . Aber wenn man tigt sich Schopenhauers Aussage, der einmal festgestellt sich Ihre Anträge anschaut, stellt man fest, dass sie ge- hat: nau das Gegenteil bewirken würden . Sie wollen letztlich Im Reiche der Wirklichkeiten ist man nie so glück- eine komplett individuelle Betrachtung der Leistungen lich wie im Reiche der Gedanken . der Menschen . Für jeden einzelnen Euro, der ausgezahlt wird, soll eine individuelle Auswertung, eine individu- Ich danke Ihnen . elle Einschätzung vorgenommen werden, damit sich am (Beifall bei der CDU/CSU) Ende keiner beschweren kann . Damit sorgen Sie nur für Bürokratieaufwuchs . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Vielen Dank, Herr Kollege Whittaker . – Das Wort zu NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß wirklich einer Kurzintervention hat die Kollegin Kipping . nicht, was Sie da gelesen haben!) Wir brauchen eigentlich genau das Gegenteil, nämlich Katja Kipping (DIE LINKE): mehr Pauschalierung . Herr Whittaker, Sie haben ja versucht, uns zu beleh- ren, und den Eindruck erweckt, dass es Sanktionen nur (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- bei 1 Prozent der Fälle gibt . Deswegen sei das alles nicht NIS 90/DIE GRÜNEN]: Klar, da sind wir uns schlimm . Dazu muss ich sagen: Da sind Sie schlecht in- sogar einig!) formiert . Ich beziehe mich hier auf Zahlen, die uns die (B) Bundesregierung als Antwort auf eine Anfrage geliefert (D) Wir bräuchten Pauschalierung bei den Wohnkosten, wir hat: Es sind 3 Prozent aller infragekommenden Personen, bräuchten Pauschalierung bei den Bagatellgrenzen etc . die sanktioniert werden . Wenn man zusammenzählt, wie pp . Aber davon ist bei Ihnen momentan wenig zu sehen . viele Sanktionen verhängt worden sind, so stellt man fest, Sie verlieren sich im Klein-Klein . dass es im letzten Jahr fast 1 Million, nämlich 980 000, waren . Bei den unter 25‑Jährigen, bei den Jugendlichen Vizepräsidentin Claudia Roth: liegt die Rate der Betroffenen sogar bei 4 Prozent . Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung Hinzu kommt: Nicht nur diejenigen, gegen die tat- oder -frage von Frau Kipping? sächlich eine Sanktion verhängt worden ist, sind davon betroffen, sondern auch viele andere, weil die Möglich- Kai Whittaker (CDU/CSU): keit einer willkürlichen Kürzung wie ein Damokles- schwert über vielen hängt . Das führt natürlich auch zu So kurz vor dem Ende meiner Rede, ehrlich gesagt, entsprechenden Ängsten . nicht mehr . Nein, danke . (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte noch einmal deutlich machen: Wenn wir Hartz IV reformieren wollen, brauchen wir Pauschalie- Vizepräsidentin Claudia Roth: rungen in der Art, wie ich es gerade gesagt habe . Wir brauchen auch eine wesentlich bessere individuelle Be- Herr Whittaker, Sie haben die Möglichkeit zu einer treuung der Menschen . Erwiderung .

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kai Whittaker (CDU/CSU): NEN]: Ja, aber dann machen Sie es doch, Herr Vielen Dank .– Frau Kollegin Kipping, ich beziehe Whittaker!) mich auf eine Studie von Spermann, die vorletztes Jahr Denn wenn die Hälfte der Jobcenter-Mitarbeiter nichts herausgekommen ist . Da ist von 1 Prozent die Rede . anderes zu tun hat, als auszurechnen, wie viel Euro ein Aber ob es jetzt 1, 2 oder 3 Prozent sind: Mensch am Ende des Monats überwiesen bekommt, (Katja Kipping [DIE LINKE]: Antwort der dann helfen wir zu wenig und verwalten zu viel . Bundesregierung!) (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Im europäischen Vergleich ist Deutschland nicht das NEN]: Warum macht ihr es dann nicht?) Land, als das Sie es hinzustellen versuchen . Es ist nicht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16261

Kai Whittaker (A) so, dass wir hier mit der Sanktionsmachete herumlaufen Interessant ist im Rahmen dieser Debatte, welche Vor- (C) und die Menschen in Angst und Schrecken versetzen . schläge vonseiten der Opposition unterbreitet werden . Das Gegenteil ist der Fall: Wir versuchen, zu helfen, wo wir können . Andere Länder sind da wesentlich strenger (Dr .André Hahn [DIE LINKE]: Gute! Gute unterwegs . Deshalb ist Ihre Aussage schlicht und ergrei- Vorschläge!) fend eine politische Nebelkerze . Oftmals zielen diese Vorschläge darauf ab, die Zielrich- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tung des Gesetzes zu sprengen. Sie stellen häufig ein der SPD – Zurufe von der LINKEN) ganzes Sammelsurium dar . Entscheidend ist aber wohl die Frage der Sanktionen . Die Linken fordern eine sank- tionsfreie Mindestsicherung . Die Grünen positionieren Vizepräsidentin Claudia Roth: sich mit der Forderung, die Sanktionen auszusetzen . Dem stellen wir entgegen: Wir halten an Sanktionen fest, Vielen Dank, Herr Kollege .– Der letzte Redner in der weil wir sie für richtig erachten . Jeder hat Verantwor- Debatte – wir haben ja viel vom bayerischen Löwen ge- tung: Verantwortung für sich, aber auch Verantwortung redet; jetzt kommt der Löwe aus dem Allgäu –: Stephan gegenüber denjenigen, die einem helfen und einen un- Stracke . terstützen . Deshalb ist es nur fair, dass es keine Leistung ohne Gegenleistung gibt . (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- wie Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Für uns gilt das Prinzip des Förderns und Forderns . Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Dass der diesem Prinzip zugrundeliegende Gedanke jetzt NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie die auch von der Koalition noch einmal unterstrichen wird, Latte aber hochgehängt!) zeigen die Ergebnisse des Koalitionsausschusses . Wir haben uns dort darauf verständigt, ein Integrationsgesetz auf den Weg zu bringen, gerade unter dem Leitgedanken Stephan Stracke (CDU/CSU): des Förderns und Forderns . Das ist genau das Richtige . Liebe Frau Präsidentin, vielen herzlichen Dank für das Was wir nicht tun, ist, zu lasche Sanktionen zu verhän- sehr schöne Intro . – Meine sehr verehrten Damen und gen . Deswegen haben wir uns dagegen gesperrt . Herren! Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist tatsächlich in einer hervorragenden Verfassung . Dazu trägt Bayern Wir sperren uns allerdings nicht gegen Vereinfachun- als Jobmotor und Stabilitätsanker in vielen Bereichen gen im Sanktionsrecht, etwa was Pauschalierungen oder maßgeblich bei . Wir haben weniger Arbeitslose, mehr anderes angeht . Aber Sanktionen müssen weiter wirksam (B) sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und deutlich bleiben . Sie müssen weiterhin wirksame Anreize bieten, (D) über 630 000 offene Stellen. Davon profitieren natürlich damit diejenigen, die mit den Jobcentern zu tun haben, auch diejenigen, die sich auf dem Arbeitsmarkt schwer- mit diesen kooperieren, aktiv nach Arbeit suchen und tun: Ältere, Menschen mit Behinderung, aber auch Lang- insgesamt rascher eine Arbeit aufnehmen . All dies ist in zeitarbeitslose . diesem Bereich unumstritten .

Sicherlich ist auch die Erkenntnis richtig, dass Lang- (Beifall bei der CDU/CSU) zeitarbeitslose zu wenig von dieser Entwicklung pro- Wenn wir über bestehende Instrumente reden, die wir fitieren. Dabei haben wir schon einiges auf den Weg unter Umständen gemeinsam ausbauen wollen, dann gebracht, um in diesem Bereich für Verbesserungen zu muss allerdings noch eine andere Sache stimmen, näm- sorgen . Der Schlüssel liegt aber vor allem in einer per- lich die Sicherstellung der Mittelausstattung der Jobcen- sönlichen Beratung vor Ort . Genau da setzt der vorlie- ter und eine faire Verteilung der Finanzlasten auf alle gende Gesetzentwurf an . Mit diesem Gesetzentwurf Bundesländer . Es gilt ja: Ohne Geld ist vieles nichts . werden das Leistungs- und Verfahrensrecht des SGB II Deswegen muss es auch um die Verteilung der Einglie- und damit die Arbeit der Jobcenter deutlich vereinfacht . derungsmittel im SGB II gehen . Das tun wir im Bereich Unnötige Bescheide, Anrechnungsregeln, Verfahrensver- der Flüchtlinge, indem wir dem Grundsatz folgen: Das einfachungen – auf all das zielt der Gesetzentwurf ab, Geld soll dorthin fließen, wo die Arbeit anfällt. Wir müs- und wir nehmen damit in diesem Bereich eine zentrale sen noch genauer hinschauen, wo die Arbeit tatsächlich Weichenstellung vor . Diese Erleichterungen sind in der anfällt . Zum anderen müssen wir auch sehen, dass die Tat überfällig . Gelder dorthin fließen, wo die Langzeitarbeitslosen sind. In Teilen Deutschlands, auch in Bayern, haben wir es mit Hierüber gab es schon eine lange Debatte . Es wurden Menschen zu tun, die sich in einer Situation verfestigter durch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe Vorbereitungen Langzeitarbeitslosigkeit befinden. Für diese sind höhere getroffen . Mich erstaunt, wie viele Vorschläge hier neu- Aufwendungen nötig, um ihnen gute Chancen zu geben . erdings vonseiten der Bundesländer auf den Tisch ge- Deswegen müssen wir die Mittelausstattung noch einmal kommen sind . Ich glaube, im Rahmen der anstehenden verändern . Das werden wir im Rahmen der anstehenden Debatte müssen wir uns auf das Wesentliche konzent- Beratungen zu einem der Kernbestandteile machen . rieren und dürfen uns nicht mit der Beratung kleinteili- ger Vorschläge verzetteln . Ich bin auf die entsprechende Ich freue mich auf die Beratungen . Ich glaube, das Sachverständigenanhörung gespannt, die wir in diesem führt dazu, dass wir diesen Gesetzentwurf noch besser Bereich vornehmen wollen . machen . Die Vorlage ist ganz ordentlich . 16262 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Stephan Stracke (A) Herzliches Dankeschön! gie (9 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- (C) neten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, (Beifall bei der CDU/CSU) Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Stracke . – Damit schließe Für mehr Transparenz in der Internationalen ich die Aussprache . Atomenergie-Organisation sowie eine starke und unabhängige Weltgesundheitsorganisati- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf on den Drucksachen 18/8041, 18/8076 und 18/8077 an die Drucksachen 18/7658, 18/8101 in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen .– Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Ich würde gerne die Debatte eröffnen . Ich bitte die Überweisungen so beschlossen . Kolleginnen und Kollegen, mir nicht den Rücken zuzu- drehen, sondern Platz zu nehmen, damit wir mit der De- Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, batte beginnen können . bitte ich alle, die nicht zuhören oder sich beteiligen wol- len, um beschleunigte Platzwechsel . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Auch dazu Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 d auf: höre und sehe ich keinen Widerspruch . Dann ist das so a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia beschlossen . Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Ich gebe der ersten Rednerin in dieser Debatte das weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Wort . Das ist Sylvia Kotting-Uhl für Bündnis 90/Die NIS 90/DIE GRÜNEN Grünen . 30 Jahre Tschernobyl, 5 Jahre Fukushima – Atomausstieg konsequent durchsetzen Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Drucksache 18/7656 Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Überweisungsvorschlag: und Kollegen! Der 26 .April 1986 hat sich mir, damals Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- Mutter mit kleinen Kindern, als Datum unauslöschlich heit (f) eingebrannt . Natur, vor allem Regen, war plötzlich ge- Ausschuss für Wirtschaft und Energie fährlich, meine alternative Selbstanbauerei ungesünder Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- als alte Konserven, Leben und Vertrauen in das Dasein schätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union plötzlich auf den Kopf gestellt und alles Handeln geprägt (B) von der Sorge, die Kinder zu schützen . Was war das alles (D) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia für ein Federstrich im Vergleich zum Leben der Men- Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, schen um Tschernobyl herum bzw . in Weißrussland – das weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Land, das den größten Niederschlag des atomaren Fall­ NIS 90/DIE GRÜNEN outs zu ertragen hatte . Atomkraftwerk Cattenom sofort abschalten Schauen wir heute nach Tschernobyl, dann sehen wir, Drucksache 18/7668 dass der damals von den Liquidatoren unter dem Ein- satz der eigenen Gesundheit aufgebaute Sarkophag vor Überweisungsvorschlag: sich hin rottet . Das Gelände hat sich zu einem tödlichen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- heit (f) Biotop entwickelt . Menschen kämpfen um ein bisschen Ausschuss für Wirtschaft und Energie Entschädigung vom Staat . Spricht man mit ihnen, dann hört man: Die meisten von ihnen leiden unter einem ge- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia schwächten Immunsystem . Sie haben Angst vor Krebs .– Kotting-Uhl, Kai Gehring, Dr .Franziska Junge Frauen, die Kinder von Tschernobyl, die nun ih- Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frakti- rerseits Kinder bekommen, haben, leider berechtigt, eine on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehr viel größere Angst als Frauen an anderen Orten der Keine öffentlichen Forschungsgelder für den Welt, Kinder mit Schädigungen zur Welt zu bringen . Wiedereinstieg in atomare Technologien – 30 Jahre danach muss man sagen: Es ist noch lange nicht 6. Energieforschungsprogramm vollständig in vorbei . Richtung Energiewende weiterentwickeln Spreche ich mit Menschen in Fukushima, dann erfah- Drucksache 18/5211 re ich, dass auch dort die Angst um die Kinder präsent ist . Auffällig sind Anomalien an ihren Schilddrüsen . Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Bauern haben Sorge, ihre Existenzgrundlage vollständig Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- zu verlieren, auch wenn sie nicht in belasteten Gebie- schätzung (f) ten leben; denn keiner in Japan will ihre Produkte mehr Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- kaufen . Ähnlich geht es den Fischern in der Präfektur heit Fukushima . Auch deren Fänge will niemand mehr kau- Federführung strittig fen, geschweige denn . Sie versuchen alles, um zu d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- überleben . Und auf der Anlage wird alles versucht, um richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- an dem Ort der Kernschmelzen die Folgen in den Griff Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16263

Sylvia Kotting-Uhl (A) zu bekommen . Ich war dort, und ich kann die Menschen, denkt, sondern an fehlende Sicherheitsvorkehrungen in (C) die dort arbeiten, nur bewundern . Sie schalten Hoffnung Atomkraftwerken, mangelhafte Erdbeben- oder Über- und die Gedanken an erreichbare Ziele ihres Tuns aus, schwemmungsauslegungen und an Löcher in Herzen von weil sie sonst aufhören müssten . Sie versuchen alles und Reaktordruckbehältern . Diplomatie und das Hoffen auf wissen fünf Jahre danach: Es ist noch lange nicht vorbei . das eigene Beispiel geraten dort, wo die eigene Bevölke- rung bedroht ist, an ihre Grenzen . Es gibt auch andere schwere Schicksale auf der Welt; das ist völlig richtig . Das alles ist aber so unnötig . Atom- Ursächlich für die prekäre Situation ist wieder einmal kraft ist eine Technologie, die die Welt nicht braucht . der uralte Euratom-Vertrag . Jedes Land übt seine Atom- aufsicht souverän aus – das ist die Standardantwort der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesregierung auf meine Anfragen . Liebe Bundesre- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten gierung, ich vermisse Ihre Initiative zu einer Reform des der SPD) Euratom-Vertrages . Ich vermisse Ihre Initiative, diesen In Deutschland sind wir auf dem Weg, diese Erkennt- Uraltvertrag, wenn er schon nicht abgeschafft werden nis in die Realität umzusetzen . Und die Frage, die sich soll, doch zumindest so grundsätzlich zu reformieren, stellt, lautet: Was können wir tun, um andere Länder von dass Regelungen, wonach jedes Land völlig souverän der Richtigkeit dieses Weges zu überzeugen? Das Beste, und ohne Rücksicht auf die Nachbarn, die von einem was wir tun können, ist natürlich, ein gutes, gelingendes GAU bedroht wären, die Aufsicht über seine Atomkraft- Beispiel zu geben, zu zeigen, dass Atomausstieg, Kli- werke und deren Sicherheit ausübt, geändert werden . maschutz, hoher Lebensstandard und Wirtschaftskraft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zusammengehen, ja, sich sogar gegenseitig befördern sowie bei Abgeordneten der LINKEN) können und sich nicht im Wege stehen . Hans Blix sagte nach dem GAU von Tschernobyl als Um glaubwürdig zu sein, muss man aber auch konse- damaliger Direktor der IAEO, angesichts der Wichtigkeit quent sein . Nicht konsequent ist es, einen Abschaltplan der Kernenergie könne die Welt jedes Jahr einen Unfall für Atomkraftwerke vorzulegen, aber keinen Abschalt- vom Ausmaß Tschernobyls ertragen . Ein Blick nach plan für die Urananreicherungsanlage in Gronau und die Tschernobyl 30 Jahre nach dem Unfall oder nach Fuku­ Brennelementefabrik in Lingen . shima 5 Jahre danach macht den ganzen Wahnsinn einer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN solchen Aussage klar . Lassen Sie uns mit allen Kräften und bei der LINKEN) und mit allen Mitteln dafür sorgen, dass Tschernobyl und Fukushima sich nicht wiederholen – nicht bei uns, nicht Nicht konsequent ist es, sich nicht der Klage anderer Län- an unseren Grenzen, nirgendwo auf der Welt! der gegen die Subventionen für ein geplantes AKW-Pro- (B) (D) jekt – ich rede von Hinkley Point in Großbritannien – an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zuschließen . Nicht konsequent ist es auch, über Euratom und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten und das nationale Energieforschungsprogramm viel Geld der SPD) in die atomare Forschung zu stecken, übrigens ganz im Widerspruch zu Ihrem eigenen Koalitionsvertrag, in dem Wir haben Ihnen heute mit unserem zugegebenerma- Sie festgeschrieben haben, dass die Energieforschung ßen umfassenden Antrag einen ganzen Katalog von Maß- vollständig auf die Energiewende ausgerichtet werden nahmen vorgelegt, die genau dafür Hilfestellung geben . soll . Ich bitte Sie, sich in den Beratungen auf uns zuzubewe- gen und am Ende diesen Antrag mit uns gemeinsam zu Das Argument, das ich höre, wenn ich das anspreche, beschließen . lautet: Wir wollen national den Anschluss nicht verlie- ren . – Ich frage Sie: Den Anschluss woran, bitte? Den Vielen Dank . Anschluss an die Weiterentwicklung einer Technologie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN oder, im Falle des Ausstiegs, im Rahmen von Transmuta- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) tion in den Wiedereinstieg in eine Technologie, von der wir hier in Deutschland sagen, dass ihr Risiko der Ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: sellschaft nicht mehr zumutbar ist? Wie konsequent ist das denn? Vielen Dank, Sylvia Kotting-Uhl .– Der nächs- te Redner in der Debatte: Steffen Kanitz für die CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CSU-Fraktion . Anderen Bevölkerungen und Gesellschaften wollen wir (Beifall bei der CDU/CSU) zumuten, was wir hier für nicht mehr zumutbar halten? Solches Agieren macht neben der Geldverschwendung Steffen Kanitz (CDU/CSU): auch unser eventuell gutes Beispiel zahnlos . Unglaub- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und würdigkeit ist das Ende der Überzeugungskraft . Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erinnern Doch auch die deutsche Bevölkerung ist angesichts in diesem Jahr an die katastrophalen Unfälle von Tscher- der Alterung der europäischen Atomkraftwerke bedroht . nobyl vor 30 Jahren und an die schrecklichen Ereignisse Die atomaren Altlasten an unseren Grenzen sind ins Ge- von Fukushima vor 5 Jahren . Völlig unabhängig davon, rede gekommen . Fessenheim, Cattenom, Doel, Tihan- wie viele Tote wir durch diese Ereignisse zu beklagen ge, Temelin, Beznau, Leibstadt sind Namen, bei denen haben, können und müssen wir feststellen: Jedes Opfer man nicht an schöne Landschaften oder kleine Städtchen war eines zu viel . 16264 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Steffen Kanitz (A) Wir denken aber nicht nur an die Opfer der Vergan- Die Welt wird uns erst folgen, liebe Kolleginnen und (C) genheit, sondern auch an die betroffenen Menschen in Kollegen von den Grünen, wenn wir liefern, wenn die den Regionen von Tschernobyl und Fukushima, die dort deutsche Energiewende gelingt . Es reicht also nicht aus, heute noch leben . Wir müssen diese Regionen mit unse- sozusagen immer nur zu fordern: „Folgt dem deutschen rem Wissen und unserer Tatkraft finanziell unterstützen Weg!“ Wir müssen auch unter Beweis stellen, dass dieser und auch weiterhin vor Ort humanitäre Hilfe leisten . Weg funktioniert . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, (Dr . [BÜNDNIS 90/DIE ich stimme Ihnen zu, dass diese Katastrophen und ihre GRÜNEN]: Am Scheitern arbeiten Ihre Kol- Auswirkungen ein sehr sensibles Thema sind . Jedoch ist legen gerade!) es, glaube ich, wichtig, dass diese Vorfälle nicht – von keiner Seite – instrumentalisiert werden . Wir sollten viel- Auch Ihre Forderung, dass Deutschland vollständig mehr versuchen, diese Ereignisse, so schlimm sie auch aus der Nuklearforschung aussteigen soll, ist für mich waren, sachlich einzuordnen . Übertriebene Panikmache völlig unverständlich . Gerade für den Kompetenzerhalt hilft, glaube ich, niemandem weiter . Ein Beispiel für die- ist die Forschung von wesentlicher Bedeutung . Denn wir se Panikmache, die Sie betreiben, darf ich Ihnen kurz aus müssen für den sicheren Restbetrieb und den sicheren Ihrem eigenen Antrag vorhalten . Zu möglichen weiteren Rückbau der Kernkraftwerke dringend Know-how im Risiken in Fukushima schreiben Sie – ich zitiere –: eigenen Land halten . Ein weiterer Störfall könnte bereits durch ein mittle- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE res Erdbeben ausgelöst werden . Erneut könnte eine GRÜNEN]: Wozu brauchen wir die For- große Menge Radioaktivität in die Atmosphäre ge- schung?) langen . Mir ist schleierhaft, wie Sie diese enorme Aufgabe an- Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Aus- gehen wollen, wenn Sie jede Form nuklearer Forschung sage ist in etwa so zutreffend wie die These, dass Sie von verbieten wollen . einem Auto überfahren werden könnten, wenn Sie die (Beifall bei der CDU/CSU) Straße überqueren . Solange wir Zwischenlager betreiben und stillgeleg- (René Röspel [SPD]: Jetzt senken Sie aber te Kernkraftwerke rückbauen, brauchen wir weiterhin die Wahrscheinlichkeit!) Kompetenz in den kommenden Jahrzehnten . Schon heu- Ich halte das für höchst unseriös und bitte, in Zukunft te gibt es in Deutschland keinen einzigen Studiengang darauf zu verzichten . mehr mit kerntechnischem Bezug . Insbesondere beim (B) Rückbau kerntechnischer Anlagen besitzen wir aber mo- (D) (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mentan eine einzigartige Kompetenz, für die ich werben NEN) will und für die wir, wie ich finde, auch alle gemeinsam in der Welt werben können, unabhängig davon, welche Wenn ich mir nun die inhaltlichen Punkte Ihres An- politische Couleur wir haben . Mir wäre es lieber, wenn trags zu Tschernobyl und Fukushima anschaue, kann ich wir international Kraftwerke zurückbauen, die vom Al- Ihnen nur in Ihrem Bedauern um die vielen Opfer der Ka- ter her die Höchstdauer überschritten haben, und dies mit tastrophe zustimmen . Darin erschöpfen sich aber schon deutschem Know-how, mit deutschen Ingenieuren tun unsere Gemeinsamkeiten . würden, als wenn andere das tun . Also lassen Sie uns bei Zunächst einmal verharmlosen Sie die Anstrengun- jungen Leuten dafür werben und ihnen sagen: Hier ist gen der Energiewende, die wir in Deutschland schon noch ein großes Zukunftsfeld vor euch . Hier könnt ihr geschafft haben . Als einziges Land der Welt hat Deutsch- arbeiten . land aus den furchtbaren Ereignissen von Fukushima (Beifall bei der CDU/CSU) die drastische Konsequenz gezogen, vollständig aus der Kernenergie auszusteigen . Das ist eine riesige Aufgabe, Zudem ist Ihre Forderung, die Reaktorsicherheitsfor- der wir uns stellen, die aber erst einmal bewältigt werden schung vom Bundeswirtschaftsministerium in das Bun- muss . Dabei gilt es zunächst die dringendsten Probleme desumweltministerium zu überführen, für mich nicht vor unserer eigenen Tür zu lösen, wie zum Beispiel den nachvollziehbar . Die nukleare Sicherheits- und auch Ent- Netzausbau, die Speicherproblematik bei erneuerbaren sorgungsforschung ist schon jetzt ausschließlich sicher- Energien oder die auch für unsere Wirtschaft so wichtige heitsorientiert . Es geht nicht um einen Wiedereinstieg in Grundlastversorgung . die Kernenergie zur Stromproduktion . (Zuruf von der CDU/CSU: Kostenexplosion!) Ihr Antrag zeigt aus meiner Sicht deutlich, dass die da- Wir sind dabei ein gutes Stück vorangekommen . Wir ha- rin enthaltenen Forderungen nicht nur gegen international ben nur noch neun Reaktoren in Betrieb . Letztes Jahr ging gültige Grundsätze verstoßen – die Joint Convention mit Grafenrheinfeld vom Netz . Im Jahr 2017 folgt Block B ihrem Trennungsgrundsatz ist angesprochen worden –, des Kernkraftwerks Gundremmingen . 2022 werden dann sondern auch klar gegen unsere Sicherheitsinteressen ge- alle Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet sein . richtet sind . Ich glaube, das ist auch der Punkt: Mithilfe einer eigenständigen sicherheitsorientierten Forschung Unsere Bemühungen in der Energiewende fordern will sich die Bundesregierung und wollen wir uns in alle Beteiligten, und wir tun alles dafür, dass es – Stich- Deutschland die Kompetenz bewahren, die Sicherheit wort „Kosten“ – nicht zu einer Überforderung kommt . von Kernkraftwerken in Deutschland und auch in Europa Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16265

Steffen Kanitz (A) weiterhin unabhängig beurteilen zu können und gegebe- men . Das ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für die (C) nenfalls auch zu ihrer Verbesserung beizutragen . Herstellung von Brennstofffreiheit beim Rückbau von Kernkraftwerken . Wir brauchen auch weiterhin die Nuklearforschung im Bereich der Medizin, um Behandlungsmethoden Zudem bildet Lingen qualifizierten Nachwuchs in Sa- gegen Krebs zu entwickeln . Wir brauchen die Materi- chen Strahlenschutz aus . Das führt dazu, dass wir kern- alforschung, um Alterungsprozesse in Kernkraftwerken technisches Know-how für den Rückbau von Kernkraft- prognostizieren zu können . Wenn Länder weiterhin ihre werken in Deutschland erhalten . Kernkraftwerke betreiben, dann doch am liebsten mit Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum deutschem Fachwissen und nach deutschen Sicherheits- Schluss . 2016 ist das Jahr der Entscheidung für das standards . Gelingen des sicheren und zeitnahen Ausstiegs aus der Sie wollen die sichersten Nuklearanlagen der Welt, Kern ­energie . Die Aussicht auf ein Endlager für hoch radi- ohne in die dafür notwendige Forschung zu investieren . oaktive Abfallstoffe ist ein wesentlicher Schlüssel dafür, Das ist, um einmal ein Bild zu verwenden, in etwa so, als dass wir bis 2022 aussteigen und die Hinterlassenschaf- wenn Sie Ihre Mannschaft nach der ersten Halbzeit vom ten der Kernenergie auch für zukünftige Generationen si- Platz nehmen und den Gegner bitten, den Spielbetrieb cher entsorgen können . Herr Trittin, die Finanzierung bil- einzustellen . Mit dieser Einstellung, liebe Kolleginnen det die Grundlage . Der Bericht der Endlagerkommission und Kollegen, überzeugen Sie kein Nachbarland davon, bildet den Rahmen . Ebenfalls wollen wir in diesem Jahr unsere Sicherheitsstandards zu übernehmen . das Standortauswahlgesetz novellieren . Ich möchte alle Beteiligten herzlich bitten, diesem Zeitplan zu folgen . (Beifall bei der CDU/CSU) Nach meinen Ausführungen wird es Sie nicht verwun- Gerade in puncto Sicherheit gibt es noch einen wei- dern, dass ich Ihrem Antrag zum jetzigen Zeitpunkt nicht teren Aspekt, bei dem ich ein sehr sensibles Vorgehen folgen kann . für geboten halte . Diesbezüglich werden aber, wie ich glaube, in Ihrem Antrag sehr bewusst oder auch unbe- Vielen Dank . wusst Ängste geschürt: Stichwort „Sicherheit der euro- (Beifall bei der CDU/CSU) päischen Kernkraftwerke“ . Es ist ja vollkommen richtig, dass wir meldepflichtige Ereignisse nicht verharmlosen dürfen, sondern einordnen müssen . Das Beispiel Belgien Vizepräsidentin Claudia Roth: ist genannt worden . Die Terrorangriffe in Brüssel und die Vielen Dank, Kollege Steffen Kanitz .– Der nächste Berichterstattung dazu, die uns in den Tagen danach er- Redner in der Debatte: Hubertus Zdebel für die Linke . (B) reichte, waren durchaus besorgniserregend . Da hieß es in (Beifall bei der LINKEN) (D) Bezug auf Tihange, dass Betriebspersonal evakuiert wor- den sei . Und die Menschen haben den Eindruck bekom- (DIE LINKE): men, dass möglicherweise ein Anschlag kurz bevorsteht . Hubertus Zdebel Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In Insofern ist es wichtig, einzuordnen, was passiert ist: diesen Tagen gedenken überall auf der Welt Menschen Nach den schrecklichen Anschlägen von Paris hat sich der Atomkatastrophen von Fukushima und Tschernobyl, Belgien entschlossen, eine allgemeine Sicherheitsstufe 3 die für Hundertausende Menschen Leid, Tod und Vertrei- auszusprechen, was dazu führte, dass auch kerntechni- bung zur Folge hatten und noch immer zur Folge haben . sche Anlagen unter besonderen Schutz gestellt wurden . Beide Katastrophen müssen für uns alle eine Mahnung Als sich dann dieser schreckliche Anschlag in Brüssel sein, dafür einzutreten, dass sich so etwas nirgends auf ereignete, wurde die Terrorwarnstufe auf 4 erhöht, was der Welt wiederholt . zwangsläufig dazu führte – so ist es in jedem Handbuch vorgesehen –, dass das Betriebspersonal auf ein Mi- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nimum reduziert wurde . Es gab also keine überhastete neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Rückführung, keine Evakuierung der Menschen, sondern GRÜNEN) das war ein ganz normaler Vorgang, sofern man in die- Die Atomenergie ist in allen Anwendungen derart zer- sem Zusammenhang davon sprechen kann . störerisch und letztlich nicht zu beherrschen, dass wir sie aus dieser Welt verbannen müssen, sowohl in Form Noch ein paar Worte zu Ihren Ausführungen zur von Atomwaffen als auch als Stromerzeugungsenergie in Brenn­elementeherstellung bei ANF in Lingen . Sie tun in Atomkraftwerken . Ihrem Antrag so, als würden dort Massen von hoch radi- oaktivem Abfall produziert . Ich war selbst dort und habe (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- die Pellets in der Hand gehalten . Ich hatte einen Hand- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE schuh an . Der Handschuh diente nicht meinem Schutz, GRÜNEN) sondern dem Schutz der Pellets . Ich bin nicht verstrahlt worden . Es fallen eben keine hoch radioaktiven Abfälle Wir Linken haben bereits in der letzten Sitzung an- an, sondern einzig und allein schwach radioaktive Abfäl- gesichts der Jahrestage der Katastrophen von Fukushima le in Form von Schutzkleidung und Reinigungsmaterial . und Tschernobyl und unter dem Eindruck der Ereignis- se zum Beispiel um die Risikoreaktoren Tihange, Doel, Ein ganz wesentlicher Punkt ist: Lingen ist nicht nur Cattenom und Fessenheim und andere einen Antrag in in der Lage, Brennelemente zu fertigen, sondern auch den Bundestag eingebracht, der in vielen Punkten die dazu, alte aktivierte Brennelemente auseinanderzuneh- gleiche Stoßrichtung wie die nun vorgelegten Anträge 16266 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Hubertus Zdebel (A) der Grünen hat . Wir müssen den Ausstieg in Deutsch- Es gibt Gründe genug, die Atommeiler endlich abzu- (C) land forcieren . Wir müssen dabei auch die bislang beim schalten . Atomausstieg vergessenen Uranfabriken in Gronau und Lingen endlich einbeziehen . Ein neuer und beklemmender Grund sind die wach- senden Terrorgefahren . Die Ereignisse in Belgien und (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Frankreich sollten uns allen eine Warnung sein . Erst ges- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tern war zu lesen, dass Terrorverdächtige eventuell auch Diese versorgen brandgefährliche Atommeiler nicht nur die ehemalige Atomforschungsanlage in Jülich ausge- in Belgien und Frankreich mit Brennstoff . Die deutsche späht haben . Das sei nur einmal erwähnt, auch wenn es Beihilfe zu einem nächsten Super-GAU im Ausland nun unterschiedliche Meldungen dazu gibt . Es ist bislang muss beendet werden, am besten sofort . nicht geklärt, ob das stimmt . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Widerspruch des Abg . Dr . NIS 90/DIE GRÜNEN) [CDU/CSU]) Dazu gehört auch, dafür zu sorgen, dass die Konzerne, – Hören Sie lieber zu! die sich jahrzehntelang eine goldene Nase mit der Atom- energie verdient haben, für die Milliarden Euro an Kos- Unabhängig davon wurde gestern bekannt, dass im ten des Atomausstiegs tatsächlich aufkommen und dass AKW Philippsburg in Baden-Württemberg ein Mitarbei- diese Kosten nicht bei den Steuerzahlerinnen und Steu- ter eine regelmäßige Prüfung an einem Störfallmonitor erzahlern landen . zwar dokumentiert, tatsächlich aber nicht durchgeführt hatte . Gleiches hat sich offensichtlich auch am AKW Bi- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- blis in Hessen 2014 und 2015 ereignet . Das spricht in neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) erster Linie für schwere Mängel in der Sicherheit . Wir Deswegen fordert die Linke gerade mit Blick auf die für Linken erwarten, dass sich die Bundesatomaufsicht die- Juni geplante Aufspaltung von Eon, das Nachhaftungs- ser Fälle annimmt und den Ausschuss für Reaktorsicher- gesetz endlich im Bundestag zu verabschieden . heit umfassend über diese ganzen Vorgänge informiert . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist ein absoluter Skandal, dass das die ganze Zeit von Ich sage zum Schluss noch etwas zu Herrn Kanitz . der CDU/CSU-Fraktion blockiert wird, mit allen Milliar- Richtig ist: Wir sollten keine Panik machen . Da stim- (B) denrisiken, die damit verbunden sind . me ich Ihnen ausdrücklich zu . Aber die Relativierung, (D) (Zuruf von der LINKEN: Eine Schande!) die Sie dauernd betreiben, geht meines Erachtens auch nicht . Richtig ist vor allen Dingen, dass die noch in Be- Da radioaktive Wolken keine Grenzen kennen, müs- trieb befindlichen AKWs, die zur Stromproduktion nicht sen die Atomgefahren in Europa insbesondere mit Blick gebraucht werden, ein viel zu großes Risiko darstellen . auf die Uraltreaktoren verringert werden . Die Ängste Das wird immer deutlicher . Wir haben die Alternative, der Menschen in den Grenzregionen zu Frankreich und die Gefahren zu reduzieren, bevor es zu spät sein könnte . Belgien – fahren Sie einmal nach Aachen! – sind weder Abschalten heißt die einzige Möglichkeit . irrational noch übertrieben . Hier kann und darf sich die Bundesregierung nicht länger diplomatisch zurückhalten Danke für Ihre Aufmerksamkeit . und der Atomlobby im Ausland das Feld überlassen . Es braucht einen Atomausstieg in Europa, und das muss die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Bundesregierung in ihrem Handeln in allen europäischen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gremien endlich deutlich machen . Sie muss die Initiative ergreifen und Vorschläge entwickeln . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Vielen Dank, Hubertus Zdebel .– Die nächste Redne- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rin ist Rita Schwarzelühr-Sutter für die Bundesregierung . Das gilt auch für den Euratom-Vertrag; denn Euratom (Beifall bei der SPD) verfestigt die Förderung der Atomenergie und dient ein- zig der Atomlobby . Wir fordern stattdessen, den Eura- tom-Vertrag aufzulösen und zu einer Einrichtung einer Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin bei alternativen europäischen Gemeinschaft zur Förderung der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und von erneuerbaren Energien und Energieeinsparungen zu Reaktorsicherheit: kommen . Das wäre der richtige Weg . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- und Kollegen! Den Atomausstieg konsequent durchset- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zen – was heißt das? Ich glaube, am heutigen Tag ist es wichtig, zu sagen, dass die Atomenergie aus unserer heu- In diesem Sinne freuen wir uns, gemeinsam mit den Grü- tigen Sicht eine Sackgasse war, eine technologische Ent- nen in den Ausschüssen für eine europäische Atomaus- wicklung, die einfach nicht zukunftsfähig ist . Orte wie stiegsdebatte mehr Druck auf die Regierung zu machen . Tschernobyl und Fukushima sind uns eine Mahnung und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16267

Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (A) sollten uns auch in der nächsten Zeit immer wieder daran anderen kerntechnischen Anlagen in der Schweiz . Es gibt (C) erinnern . noch Tihange und Doel in Belgien . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir nehmen die Ängste und Sorgen der Bevölkerung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sehr ernst . Wir werden auch bei unseren Nachbarn nicht lockerlassen . Wir haben von Anbeginn dieser Legislatur Wir haben uns in Deutschland konsequent auf den an immer wieder den Dialog gesucht . Wir waren vor Ort Weg gemacht . Wir haben zuerst 2001/2002 unter einer und haben darauf hingewiesen, dass es durch die Alte- rot-grünen Bundesregierung den Atomausstieg beschlos- rung der Atomkraftwerke Sicherheitsbedenken gibt . Wir sen . Viele haben sich den Atomausstieg damals etwas arbeiten mit ganzer Kraft auf ein hohes Sicherheitsniveau schneller vorgestellt, aber es gab einen Kompromiss mit hin, und wir erinnern natürlich daran, dass Zusagen zu den Energieversorgern . Nach der Reaktorkatastrophe Abschaltungen, wie bei Fessenheim, auch eingehalten von Fukushima vor fünf Jahren ist dann der Ausstieg aus werden . dem Ausstieg aus dem Ausstieg tatsächlich in einem brei- ten politischen Konsens und vor allem gesellschaftlichen Soweit es um die Verlängerung der Laufzeit von Re- Konsens bekräftigt worden . Ich glaube, es ist ganz wich- aktoren in anderen Staaten geht, haben wir gesagt: Wir tig, dass damals der gesellschaftliche Konsens gefunden wollen eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die ver- wurde, den man jetzt auch nicht mehr umkehren kann . pflichtend ist. – Das ist bis heute nicht so. Frau Kotting- Uhl, Sie haben die Souveränität der jeweiligen Staaten Erstmals wurden feste Daten für die Abschaltung und bei diesem Thema hinterfragt . Aber wollen wir, die wir die Stilllegung der Atomkraftwerke gesetzlich verankert . auf erneuerbare Energien, auf eine Energiewende setzen, Acht Reaktoren gingen 2011 vom Netz, einer letztes Jahr, auf unsere Souveränität bei diesem Thema verzichten? und die letzten werden dann 2022 abgeschaltet werden . (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE Doch sicherlich ist es damit nicht getan . Die Gefahren GRÜNEN]: Das ist etwas ganz anderes! Es von Unfällen müssen bis zum letzten Tag auf ein Mini- geht um Sicherheit! – Sylvia Kotting-Uhl mum reduziert werden . Darüber hinaus müssen wir für [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sicherheit!) die gleiche Sicherheit sorgen, wenn wir die Atomkraft- – Das ist nichts anderes . Wir sind aktiv dabei, auf europä- werke stilllegen und zurückbauen . Das ist schon eine ischer Ebene genau das Thema Sicherheit in den Mittel- Herausforderung; denn man muss die Kompetenz der punkt zu stellen . Zu betrachten ist da zum einen die Tech- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch wenn die Atom- nik und zum anderen immer wieder der Mensch, wie wir kraftwerke abgeschaltet werden, erhalten . Das ist eine auch gestern in Philippsburg gesehen haben . Deswegen Schwierigkeit, mit der wir uns auseinandersetzen . (B) ist die Frage der Sicherheitskultur von großer Bedeutung . (D) Der Ausstieg aus der Atomkraft heißt auch, sich mit (Dr .Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE den Folgefragen zu beschäftigen, nämlich der Entsor- GRÜNEN]: Eben! – Dr .Philipp Lengsfeld gung der radioaktiven Abfälle . Wir haben im vergange- [CDU/CSU]: Versorgungssicherheit ist auch nen Jahr mit dem NaPro eine Bilanz gezogen . Wir haben Sicherheit! Das ist auch klar!) geschaut, welche Abfälle wir zu entsorgen haben . Das war ein wichtiger Schritt . Die Kommission zur Überprü- – Zur Versorgungssicherheit haben wir, wie gesagt, einen fung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs und die gesellschaftlichen Konsens . Ich glaube, da sind wir in Endlagerkommission arbeiten kräftig . Ich möchte mich Deutschland gut bedient . an dieser Stelle ganz herzlich bei ihnen bedanken; denn Die deutsche Position können wir international nur das sind Fragen, die wir heute lösen müssen und die wir dann erfolgreich durchsetzen – da komme ich wieder zu nicht vor uns herschieben können . Wir haben da eine gro- den Erneuerbaren –, wenn die anderen Staaten uns wei- ße Verantwortung . terhin als kompetent erachten . Deswegen ist der Kom- (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Sylvia petenzerhalt in unseren Gremien wichtig, und deshalb Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ist es wichtig, Forschung zu betreiben, auch am KIT in Karlsruhe, Frau Kotting-Uhl, wo es auch um Endlager- Wir werden auf der Basis dieser Empfehlungen die forschung geht . nächsten Schritte einleiten . Die Umsetzung all dessen kann nur gelingen, wenn die Öffentlichkeit beteiligt wird (Beifall der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/ und wir für Vertrauen und Akzeptanz auch in den Verfah- CSU] und Dr . Klaus-Peter Schulze [CDU/ ren sorgen . CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir müssen die Kompetenz erhalten . Gucken Sie sich der CDU/CSU und der Abg . Sylvia Kotting- doch einmal die Altersstruktur der Forscher an! Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Kompetenz können wir in der Asse Gerade die letzten Wochen zeigen, dass trotz des deut- besichtigen!) schen Atomausstiegs Risiken bleiben . Radioaktivität macht an Grenzen nicht halt . Fessenheim, das nächstgele- – Sie blicken immer nur zurück, Herr Trittin . Ich gucke gene französische Atomkraftwerk, liegt direkt am Rhein . auch mal nach vorne . Wenn uns diese Fragen eine lange Ich will nicht immer von meiner Heimat reden . Ich bin Zeit beschäftigen, nicht nur 10 oder 20 Jahre, dann müs- gut bedient mit Beznau, Leibstadt und Gösgen und den sen wir schauen, wann die Kernphysiker in Rente gehen, 16268 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (A) und dafür sorgen, dass wir auch übermorgen noch welche eine schlimme Sache, für die die Bundesregierung Geld (C) haben, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen und ausgeben würde . Wie ist die Sachlage? Erstens ist Trans- uns Antworten geben . mutation, wenn sie denn gelingt – da habe ich durchaus noch offene Fragen; das Ganze befindet sich noch im Sta- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dium der Grundlagenforschung –, eine reizvolle Idee zur Wenn wir den Atomausstieg konsequent fortsetzen, ist Umwandlung langlebiger radioaktiver Isotope in kurzle- es wichtig, dass die Energiewende nicht nur national ge- bigere Stoffe . Zweitens ist es eine gute Sache, wenn wir lingt, sondern von uns auch global vorangetrieben wird . die Menge an hochradioaktivem Abfall einschließlich die Wir haben schon im Vorfeld des Klimagipfels, auch zum des Plutoniums um zwei Drittel reduzieren können . Was Beispiel im Zusammenhang mit IRENA, deutlich ma- gibt die Bundesregierung für dieses inkriminierte Projekt chen können, dass wir als Industrieland da eine Vorrei- aus? Sie gibt 66 607 Euro aus, nicht 66 Millionen Euro . terrolle haben und dass wir sie erfolgreich übernehmen . (Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Pea- Deswegen denke ich, das beste Mittel, um den Atomaus- nuts!) stieg konsequent zu betreiben, ist es, auf die erneuerbaren Energien zu setzen . Am Ende sollte es ein ökonomisches Das ist gerade einmal so viel, wie ein braver Mitarbeiter Argument sein, mit dem wir die anderen überzeugen, und verdient, der versucht, die Rechenprogramme für die Si- nicht eine Änderung des Euratom-Vertrages; cherheitsanalysen dieser Technologie zu begreifen . (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eine könnte das andere un- Vizepräsidentin Claudia Roth: terstützen!) Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sylvia das ergibt sich dann automatisch durch die Erneuerbaren . Kotting-Uhl? Herzlichen Dank . Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Aber gerne, mit Frau Kotting-Uhl rede ich mit Ver- gnügen . Nur stoppen Sie bitte die Uhr . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Heiterkeit) Vielen Dank, Frau Kollegin .– Der nächste Redner: Dr . Heinz Riesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der CDU/CSU) Selbstverständlich, ist doch schon passiert . (B) (D) Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Zum Gedenken an Vielen Dank, Herr Riesenhuber, dass Sie die Frage zu- Fukushima oder an Tschernobyl haben Herr Kanitz und lassen .– Die Höhe dieser Finanzmittel kann man nicht Frau Kotting-Uhl in eindrucksvoller Weise etwas Rich- ganz beurteilen, da ja sehr viel Geld über Euratom, wo- tiges gesagt . Was hier heute ansteht, ist die Frage: Wie ran wir mit gut 20 Prozent beteiligt sind, in die Trans- gehen wir mit den Konsequenzen um, die wir daraus ge- mutation und übrigens auch nach Karlsruhe ins KIT zogen haben? fließt. Insofern ist das ein verschlossenes Buch, und wir Sie schreiben in der Überschrift eines Antrags „Keine wissen nicht, was da genau reinfließt. öffentlichen Forschungsgelder für den Wiedereinstieg in Ich möchte Sie aber zu Ihrer Aussage befragen, Trans- atomare Technologien“ . Das ist schon ein bisschen hei- mutation sei eine gute Sache . Selbst die größten Befür- kel . Das klingt so, als ob jemand von uns die Absicht worter der Transmutation gestehen zu, dass, wenn sie hätte, einen Wiedereinstieg in atomare Technologien denn gelingt – klar, es gibt viele Zweifel, die auch Sie tei- zu betreiben . Wir haben hier in diesem Hause über alle len –, nicht der gesamte Atommüll transmutiert werden Fraktionsgrenzen hinweg beschlossen, dass wir ausstei- kann . Ein Teil wird sich vermutlich dieser Transmutation gen . Das ist ein sehr umfassendes und grundsätzliches entziehen, auch der verglaste Atommüll . Das heißt, man Programm, ein volkswirtschaftliches Experiment von ei- braucht auf jeden Fall zusätzlich ein vielleicht verklei- nem Ausmaß, das es noch nirgends gegeben hat . nertes Endlager für 1 Million Jahre . Der gleichzeitige Ausstieg aus der Kernenergie und Wenn ich eine Technologie, die noch erforscht und aus den fossilen Energien – beides in einem begrenzten entwickelt wird, bewerte, dann gehe ich davon aus, dass Zeitraum – ist ein Riesenprojekt . Das gelingt nur dann, sie gelingt und frage mich: Möchte ich sie haben? Trans- wenn wir diese Einmütigkeit, mit der wir es damals be- mutation bedeutet – deshalb unsere Formulierung vom schlossen haben, auch jetzt, beim schwierigen Vollzug „Wiedereinstieg“ –: Ich brauche eine Wiederaufarbei- der einzelnen Schritte, bewahren, wenn wir uns auf das tung mit der entsprechenden Anlage, ich brauche eine konzentrieren, was wesentlich ist und was die Sache vo­ Brütertechnologie . Im Grunde macht das nur Sinn – so ranbringt, und wenn wir die Schlachten der Vergangen- forschen die Franzosen – in Verbindung mit der vierten heit hier nicht in Scharmützeln wiederholen . Generation von Reaktoren, weil ich mir dann zumindest Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass der Kurs der einbilden kann, dass ich einen Brennstoffkreislauf habe . Bundesregierung in eine andere Richtung gehe, und Sie Aber auf jeden Fall brauche ich mindestens eine Wieder- bringen dann drei Beispiele . Sie sagen, Transmutation sei aufarbeitungsanlage und einen Brüter . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16269

Sylvia Kotting-Uhl (A) Die entscheidende Frage ist nun: Macht das Sinn für te man mir: Schöne Technik, dauert nur 30 Jahre .– Heute (C) Deutschland? Ist das eine gute Sache für ein Land, das sagen mir die Leute: Schöne Technik, 30 Jahre . den Atomausstieg beschlossen hat? ( [DIE LINKE]: Eine Konstan- te!) Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Was man aber nicht übersehen darf, ist: Wir sind im- Sehr verehrte Frau Kotting-Uhl, was die Kosten an- mer näher an die Kriterien herangekommen, die für das geht, ist es tatsächlich so: Das BMWi zahlt 66 600 Euro Brennen des Plasmas notwendig sind . Gegenüber den für die Beteiligung an der Sicherheitsforschung mit Be- ersten Versuchen haben wir einen Faktor von 5 Millionen zug zur Transmutation . Was die Gelder, die über Eura- erreicht . Wir haben jetzt noch einen Faktor fünf zu meis- tom fließen, angeht: Das ist komplizierter. Damit wird tern . Wir sind immer noch in der Grundlagenforschung; die Anlage MYRRHA in Belgien finanziert. Das ist ein das räume ich ein . Wir wissen nicht, ob der Stellarator Forschungsreaktor, der neben der Transmutationsfor- Wendelstein 7‑X die richtige Technologie ist, den unsere schung viele unterschiedliche Aufgaben einschließlich Leute in Greifswald mit großer Intelligenz entwickeln, der Krebsforschung hat . Das heißt also, der Reaktor an oder ob es ein Tokamak wie ITER ist . Aber wir haben sich macht in vieler Hinsicht Sinn, und der Beitrag, den eine Chance – es wird später zu beurteilen sein, ob das wir leisten, ist winzig . Vorhaben erfolgreich ist –, Kernfusion, die etwas völlig anderes ist als Kernspaltung, zu betreiben . Das ist schon Jetzt fragen Sie nach dem strategischen Ziel . Ich habe interessant . es Ihnen gesagt: Ich habe bei der Transmutation durchaus Vorbehalte . Aber ich werde mich hüten, bei einem Pro- Bei einem Kernreaktor wie beispielsweise einem jekt, das einen Kern von Vernunft hat – und das hat es –, Leichtwasserreaktor kann ein GAU passieren . Wir haben im Stadium der Grundlagenforschung zu sagen: Lasst die darüber gesprochen . Wenn etwas bei einer Kernfusion Finger davon . – Wir müssen für künftige Generationen passiert, geht der Ofen aus . Das ist alles . Die radioak- die Möglichkeiten, zwischen Alternativen zu entschei- tiven Abfälle sind zudem kurzlebiger und sehr viel we- den, erweitern, nicht verengen . Wir müssen ihnen die niger . Die Entsorgung ist ein geringeres Problem . Trotz- Möglichkeit geben, das Neue anzuwenden . Wir müssen dem sage ich: Auch hier ist Grundlagenforschung zwar hier die Forschung so offen anlegen in ihrer Freiheit, wie prima . Aber wenn sich abzeichnet, dass wir es können, sie das Grundgesetz garantiert, dass die Möglichkeiten müssen wir noch schauen, ob diese Sache für uns und für erhalten bleiben . Entscheidend wird dann sein, was wir die Zukunft wirtschaftlich ist . technisch daraus machen . Das ist eine ganz andere Frage . Angesichts der von mir genannten Aspekte plädiere ich (Beifall bei der CDU/CSU) dafür, erstens das Wissen zu erweitern und zweitens un- (B) sere Energien darauf zu konzentrieren, dass die Energie- (D) Hier habe ich Zweifel an der technischen Vernunft des wende gelingt . Frau Kotting-Uhl, Sie haben ganz richtig Gesamtkonzepts – das gebe ich zu –, zumindest dann, gesagt – hier kann ich nur mit Leidenschaft zustimmen –: wenn ich mir anschaue, wie es sich heute darstellt . Ich Die Energiewende muss so laufen, dass wir andere Län- habe in dieser Angelegenheit gewisse Vorbehalte be- der davon überzeugen, dass sie vernünftig ist . – Das ge- züglich der denkbaren Kosten . Ich habe Zweifel, ob lingt, wenn wir eine gute Forschung machen . Wir geben es wirtschaftlich ist . Trotzdem sage ich: Wenn wir mit hier 600 Millionen Euro für erneuerbare Energien und 66 000 Euro den Zugang zu Wissen erhalten, das die Eu- Energieeffizienz im Rahmen des 6. Energieforschungs- ropäer gemeinsam erarbeiten, dann ist das etwas, was für programms pro Jahr aus, zusätzlich 187 Millionen Euro uns nützlich ist . Ich war immer der Auffassung, dass den- aus dem Energie- und Klimafonds . Das Entscheidende ken nützt – selbst in der Politik . ist aber die Umsetzung vor Ort: dass wir die Systeme in- tegrieren und dass die Energieerzeugung versorgungssi- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) cher und umweltfreundlich, aber auch bezahlbar ist . Ein zweites Thema spreche ich hier sehr verkürzt an . Wenn die anderen nicht sehen, dass wir es können und Sie erwähnten gerade die Reaktoren der vierten Genera- dass es bezahlbar ist, dann reiten wir zwar voraus . Aber tion . Hier haben sich neun Nationen zusammengetan – wir sind dann ein Vorreiter in majestätischer Einsamkeit, übrigens gehört auch Euratom dazu –, um sich sechs ver- dem niemand folgt . Die Folge wird sein, dass wir die schiedene Reaktortypen anzuschauen, auch unter dem Kosten für unsere Energiewende – 25 Milliarden Euro Aspekt, ob man andere Kühlmittel – metallische Kühl- im Jahr allein aufgrund des EEG – zu tragen haben, ohne mittel, Helium oder was auch immer – einsetzen kann, dass das Klima geschützt wird, weil die anderen nicht um die Technik sicherer zu machen: proliferationssicher, mitmachen und uns nicht darin folgen, die Kernreaktoren sicher gegen Angriffe und sicher, was die Entsorgung abzuschalten . Deshalb muss das System, das wir anstre- anbelangt . Wir beteiligen uns nicht an diesem Projekt, ben, gelingen . sondern wir begleiten es mit einem Beitrag – er beträgt allenfalls 4 Millionen Euro –, der allerdings schwer ab- Es wird entscheidend sein, dass wir nicht zu lange über grenzbar ist . Wir schauen uns hier die Sicherheitstechni- die Dinge sprechen, wo wir unterschiedlicher Auffassung ken an, damit wir sprachfähig sind . sind . Unterschiedliche Auffassungen gibt es auch; wir sind ja verschieden . Viele von uns denken bei der Arbeit, Ein völlig anderes Thema ist die Fusion . Hier muss ich und deshalb kann es kritisch werden . Wir müssen aber aufpassen, sonst halte ich dazu eine Grundsatzrede . Vor dort, wo wir einig sind, den Laden zusammenhalten, die längerer Zeit, als ich angefangen habe, zu studieren, sag- Sache voranbringen und uns auf die Lösung der eigentli- 16270 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Dr. Heinz Riesenhuber (A) chen Probleme konzentrieren . Die Energiewende müssen auf jeden Fall sehr viele Opfer . Auch heute noch gibt es (C) wir insgesamt so hinkriegen, dass sich die Welt darüber viele, die unter der Katastrophe leiden . freut . Sie soll sich darüber freuen, dass die Deutschen aus einem fröhlichen Geist heraus tüchtig sind, dass ihnen Die meisten in Deutschland, auch wenn manche Zwi- etwas eingefallen ist und dass sie einmütig dazu stehen: schenrufe etwas anderes zeigen könnten, haben dazuge- die Grünen, die CDU und sogar die CSU – und die SPD lernt . Leider haben bei weitem noch nicht alle Länder in natürlich auch . Europa dazugelernt . Ich bin daher für diese Debatte dank- bar, die von der Opposition ausgeht . Auch bin ich dafür (Heiterkeit) dankbar, dass wir in der Großen Koalition gemeinsam versuchen, einen Antrag auf den Weg zu bringen . Wir la- Es wäre ausgesprochen ärgerlich, wenn wir die SPD den alle ein, dabei mitzumachen . Ich bin hoffnungsfroh, nicht mit der gleichen Herzlichkeit an unserer Seite will- dass uns das gelingen wird . Des Weiteren bin ich dank- kommen hießen . Selbst die Linken mögen hier einmal bar, dass die Ministerin in Europa immer wieder deutlich nachdenklich werden . gemacht hat, dass der Ausstieg aus der Atomkraft nicht Wir müssen – das sollte uns gelingen – gemeinsam an das Einzelprojekt eines Landes sein darf, sondern dass den Problemen arbeiten, und wir sollten uns nicht an den auf Dauer Sicherheit nur gewährleistet ist, wenn wir in Dingen aufhalten, wo wir durchaus ideologische Diffe- ganz Europa aus der Atomkraft aussteigen . renzen haben mögen . Vielmehr sollten wir Deutschland (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem voranbringen, sodass wir hier eine gute Zukunft haben, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) an der sich andere erfreuen und bei deren Gestaltung sie mitmachen wollen . Das ist besser, als einen Prozess ge- Ich will darauf zurückkommen, was es ausmacht, gen Hinkley Point zu führen . Wir müssen es so machen, wenn in Europa etwas passiert . Es wäre nicht mit dem dass die Leute Lust darauf haben . „Nichts entsteht, es sei vergleichbar, was in Tschernobyl war . Das Land ist dort denn aus der Lust“, sagt der heilige Augustinus . Und in sehr dünn besiedelt . Die Pannenreaktoren in Europa diesem Geiste wollen wir uns daranmachen, die Zukunft stehen übrigens teilweise seit 40 Jahren . Wer in diesem zu gestalten . Raum benutzt zu Hause noch Technik, die 40 Jahre und älter ist? Wahrscheinlich niemand . Aber gerade bei solch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) einer Hochsicherheitstechnologie, bei der so viel passie- ren kann, wird sie noch benutzt . Die Reaktoren werden Vizepräsidentin Claudia Roth: leider nicht abgeschaltet . Wenn ein grenznahes Atom- Vielen herzlichen Dank, lieber Dr .Heinz kraftwerk oder überhaupt ein Atomkraftwerk in Europa Riesenhuber . – Ganz in diesem Geiste hat als letzter Red- in die Luft fliegt oder gleiche Probleme aufweist wie das (B) ner Marco Bülow für die SPD das Wort . in Fukushima, dann müssten wir ganze Landstriche – (D) Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz usw .– evakuie- (Beifall bei der SPD) ren . Das ist eine Aufgabe, ein Horrorszenario, das ich hier gar nicht an die Wand malen möchte . Man muss aber Marco Bülow (SPD): sagen: Genau darüber müssen wir hier diskutieren . Wir müssen weitermachen, müssen unser Engagement weiter Danke, Frau Präsidentin! – Sehr geehrte Damen und intensivieren, damit Europa am Ende frei von Atomkraft Herren! Gigantische Subventionen, ein riesiger Aufwand ist . Zumindest habe ich mir die politische Aufgabe ge- über mindestens fünf Jahrzehnte hinweg, unkalkulierba- stellt, daran weiter mitzuwirken . re Risiken und vor allen Dingen Atommüll, wofür es im- mer noch kein Endlager gibt und worunter Generationen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nach uns noch zu leiden haben werden, die nie mitbe- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) stimmen durften, ob sie diese Technologie haben wollten oder nicht: Das ist die Geschichte der Atomenergie bis Wir alle, gerade wir Deutschen, haben nach den Ter- heute . Für mich ist das einer der größten Irrwege, den roranschlägen in Belgien und Frankreich große Solida- die Menschen gerade im technologischen Bereich einge- rität geübt . Aber wir müssen auch an die Solidarität der schlagen haben . Franzosen und Belgier appellieren und sie bitten, diese Technologie gerade in den grenznahen Gebieten abzu- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem schalten, auch um die Menschen hier zu schützen . Das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gehört zur Solidarität dazu . Solidarität mit Blick auf die Terrorgefahr darf keine Einbahnstraße sein . Das gipfelte leider in den Katastrophen von Tschernobyl und von Fukushima vor fünf Jahren, deren Opfern wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in der nächsten Sitzungswoche noch gedenken werden . der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Man muss sich gerade einmal Tschernobyl angucken: Dort wurden 200 000 Quadratkilometer kontaminiert . Zum Schluss . Die Zukunft – da möchte ich an meinen Das ist ungefähr viermal die Fläche der Schweiz und mehr Vorredner anknüpfen – müssen wir als Erstes im Blick als die Hälfte des deutschen Gebietes . Man muss sich haben . Ich glaube, die Zukunft der Energie kann nur hei- einmal vorstellen, das wäre hier passiert . 300 000 Men- ßen: erneuerbar und effizient. Wir haben die Energiewen- schen haben auf Dauer ihre Heimat verloren . 600 000 Li- de eingeleitet . Gerade Menschen wie , quidatoren waren dort im Einsatz . Niemand kann genau Ernst Ulrich von Weizsäcker und Michael Müller, aber beziffern, wie viele davon sterben mussten . Es gab aber auch viele andere stehen dafür . Ich glaube, dass der Weg Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16271

Marco Bülow (A) noch weit ist, und natürlich ist er nicht einfach . Ich glau- in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8101, (C) be aber, dass wir nicht bremsen dürfen, dass wir nicht den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf stoppen dürfen und dass die erneuerbaren Energien auch Drucksache 18/7658 abzulehnen . Wer stimmt für diese in Deutschland weiterhin unserer hauptsächlichen Auf- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- merksamkeit bedürfen – gerade damit wir den anderen tungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Ländern deutlich machen können, dass es einen anderen Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Weg gibt . Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . (Beifall bei der SPD) Jetzt kommt ein spannendes Thema . Sie sind alle herz- Ich denke, es muss unsere nächste Aufgabe sein, genau lich eingeladen, sich zu beteiligen . Ansonsten bitte ich, dafür zu sorgen . Ich glaube vor allem, dass wir es den zügig die Plätze zu wechseln bzw . den Saal zu verlassen . nächsten Generationen schuldig sind, ihnen unser Land Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: ohne weiteren Atommüll, ohne weitere Gefahren und mit einer Energieform zu hinterlassen, die friedlich ist, die Erste Beratung des von der Bundesregierung sauber ist und die vor allen Dingen keinen Müll hinter- eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes lässt . über die finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR (Zweites Dopingopfer-Hilfegesetz) Vielen Dank . Drucksache 18/8040 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) LINKEN) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Vizepräsidentin Claudia Roth: Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Vielen Dank, Marco Bülow .– Damit schließe ich die- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für se Aussprache . die Aussprache 38 Minuten vorgesehen .– Es gibt keinen Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . den Drucksachen 18/7656 und 18/7668 an die in der Ich bitte die interessierten Kolleginnen noch einmal, Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Platz zu nehmen, um dem ersten Redner würdig zu lau- Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann schen bzw . ihm zu folgen, und das ist der Parlamenta- sind die Überweisungen so beschlossen . rische Staatssekretär Dr . Schröder für die Bundesregie- (B) Die Vorlage auf Drucksache 18/5211 soll ebenfalls an rung . (D) die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse über- (Dr .André Hahn [DIE LINKE]: Lauschen wiesen werden . Da ist aber die Federführung strittig . Die schon, aber folgen?) Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Feder- führung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie, die – Lauschen heißt ja nicht notwendigerweise folgen; man- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung che folgen ihm ganz sicher .– Herr Schröder, Sie haben beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- das Wort . genabschätzung . Ich lasse jetzt zuerst über den Überweisungsvorschlag Dr. Ole Schröder, Parl . Staatssekretär beim Bundes- von Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also Feder- minister des Innern: führung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Technikfolgenabschätzung . Ich frage Sie, wer für diesen Herren! Die Machenschaften der DDR-Diktatur wirken Überweisungsvorschlag stimmt . – Wer stimmt dage- auch nach über 25 Jahren fort . Die Opfer des DDR-Un- gen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Überweisungsvor- rechtsregimes leiden noch heute . Das gilt auch für den schlag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Bereich des staatlich organisierten Leistungssports . Ich Grünen und die Linke, abgelehnt CDU/CSU und SPD . spreche von den Opfern des DDR-Dopings . Ich lasse jetzt über den Überweisungsvorschlag der Ohne Rücksicht auf Gesundheit und Menschenwürde Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen: Feder- ging es den Verantwortlichen darum, durch möglichst führung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie . Wer viele Medaillen das sozialistische System als überlegen stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt und besonders leistungsfähig darzustellen . Das DDR-Re- dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag gime und der DDR-Sport haben dabei unheilvoll zusam- ist mit Zustimmung bei CDU/CSU und SPD und Ableh- mengewirkt . nung bei Bündnis 90/Die Grünen und der Linken ange- Mit der Neuauflage des Dopingopferhilfefonds wol- nommen . len wir das Leid der DDR-Dopingopfer anerkennen . Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- Das ist mir angesichts der vielen Einzelschicksale, die fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zum unter gravierenden gesundheitlichen Folgen leiden, ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti- ganz besonderes Anliegen . Auch nach so langer Zeit dür- tel „Für mehr Transparenz in der Internationalen Atome- fen wir die Augen vor dem Schicksal vieler ehemaliger nergie-Organisation sowie eine starke und unabhängige DDR-Leistungssportler nicht verschließen . Sie leiden bis Weltgesundheitsorganisation“. Der Ausschuss empfiehlt heute an den gesundheitlichen Spätfolgen des Dopings . 16272 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder (A) Einige von ihnen werden jetzt denken: Wieso Opfer? einen Betrag in Höhe von 10 500 Euro auszuzahlen, die (C) Die DDR-Leistungssportler waren doch im Vergleich zu nach den damaligen Kriterien des Dopingopfer-Hilfege- anderen DDR-Bürgern eher privilegiert .– Eine derarti- setzes 2002 anspruchsberechtigt gewesen wären . ge Betrachtung greift allerdings zu kurz . Der Bundesge- richtshof hat dazu Folgendes festgestellt: „Auch wenn Mit dem vorgesehenen Einmalbetrag in Höhe von die DDR-Leistungssportler keine Systemgegner waren, 10 500 Euro werden wir das Leid der Dopingopfer na- so wurden sie doch zum Opfer des DDR-Systems, da ih- türlich nicht nachhaltig lindern können . Wir können es nen ohne Rücksicht auf ihren Willen eine sogar ihrem auch nicht wiedergutmachen; das ist mir bewusst . Aber Wissen vorenthaltene Aufopferung ihrer Gesundheit ab- wir wollen mit dieser Zahlung unserer moralischen Ver- verlangt wurde .“ antwortung gerecht werden . Minderjährigen wurden im zentralgelenkten DDR- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Sport ohne deren Wissen männliche Sexualhormone bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE zur Leistungssteigerung gegeben . Das systematische GRÜNEN) Doping wurde nicht nur zentral organisiert, es wurde auch bewusst verschleiert und unterlag strenger Geheim- Meine Damen und Herren, es geht darum, den Do- haltung . Den minderjährigen Sportlern und ihren Eltern pingopfern jetzt wirklich schnell und unbürokratisch ge- wurde weisgemacht, sie würden harmlose Vitamine und recht zu werden und ihnen zu helfen . Deshalb soll der Aufbaustoffe erhalten, und so wurden sie für staatliche Fonds nun erneut aufgelegt werden . Theoretisch können Zwecke instrumentalisiert . Dabei wurde vor nichts zu- die Dopingopfer auch einen Anspruch nach dem Opfer­ rückgeschreckt . Sehr bewegt hat mich die Berichterstat- entschädigungsgesetz geltend machen, doch die Hürden tung über DDR-Turnerinnen . Sie wurden als Kinder mit sind enorm hoch, und die gestellten Anträge führen in der Steroiden gedopt, um sie künstlich klein zu halten, um Regel nicht zum Erfolg . sie dann später als Jugendliche nach ihrer Karriere mit (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wachstumshormonen wieder zu strecken . Meine Damen NEN]: Das können wir aber ändern!) und Herren, das waren großangelegte unverantwortliche Menschenversuche . Aus den letzten drei Jahren sind mir gerade einmal drei (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem erfolgreiche Klagen bekannt . Eine Änderung des Opfer­ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . entschädigungsgesetzes ist uns jedoch aus Gründen der Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Gleichbehandlung nicht möglich . Viele DDR-Leistungssportler haben heute bleibende Meine Damen und Herren, der vorgelegte Gesetz- (B) Gesundheitsschäden wie Organschädigungen und Tu- entwurf orientiert sich daher weitgehend am Dopin- (D) more . Vor dem Bundesgerichtshof wurde ein Fall von gopfer-Hilfegesetz aus dem Jahr 2002 und enthält nur damals minderjährigen Sportlerinnen verhandelt . Bei die entsprechenden Anpassungen, die notwendig sind . fünf der neun Schwimmerinnen wurden irreversible Ge- Anders als im Jahr 2002 legen wir jetzt einen Festbetrag sundheitsschäden durch die Gabe künstlicher männlicher fest . Im Jahr 2002 gab es ja noch eine große Diskussion Sexualhormone festgestellt: Stimmvertiefung, vermehrte darüber in der Regierungskoalition, damals bestehend Körperbehaarung sowie Leberschädigungen, um nur ei- aus SPD und Grünen, die das nicht wollten, und der da- nige Symptome zu nennen . maligen Opposition, der CDU/CSU . Die Linke, bzw . die damalige PDS, hat sich sehr indifferent verhalten . Die Lassen Sie mich noch etwas zum Hintergrund des Fonds meisten haben dagegengestimmt, einige haben sich, so- sagen: Bereits 2002 wurde ein Hilfefonds für DDR-Do- weit ich das richtig nachgelesen habe, enthalten . pingopfer aufgelegt . Er endete mit dem Jahr 2007 . Aus dem damaligen Fonds haben 194 DDR-Dopingopfer eine Meine Damen und Herren, angesichts des schweren finanzielle Unterstützung in Höhe von rund 10 500 Euro Schicksals vieler DDR-Dopingopfer und ihres teils sehr erhalten . Es wurden mit Abstand nicht alle Dopingopfer schlechten Gesundheitszustandes ist jetzt Eile geboten . erfasst . Die Frage, die sich uns gestellt hat, ist natür- Die Bundesregierung hat den Gesetzesentwurf deshalb lich: Was war der Grund dafür? Viele Betroffene haben als besonders eilbedürftig erklärt, und ich hoffe und schlichtweg nichts vom Fonds aus dem Jahr 2002 ge- wünsche mir sehr, dass Sie, verehrte Kolleginnen und wusst, und die schweren Gesundheitsschäden als Folge Kollegen, das Zweite Dopingopfer-Hilfegesetz noch vor des Dopings sind teilweise erst Jahre später aufgetreten . der Sommerpause verabschieden und damit den Weg für Auch haben viele Betroffene erst Jahre später überhaupt eine Auszahlung an die Dopingopfer in der zweiten Jah- einen Zusammenhang zwischen den Schädigungen und reshälfte frei machen . dem Doping erkennen können . Das Bundesministerium des Innern hat schon Anfang Meine Damen und Herren, die Beratungsstelle des des Jahres die dafür erforderlichen administrativen Vor- Doping-Opfer-Hilfe-Vereins wurde erst 2013 gegrün- kehrungen getroffen und das Bundesverwaltungsamt det und klärt seitdem entsprechend auf . All das war ein mit den notwendigen Vorbereitungen beauftragt . Schon langer Erkenntnisprozess für die Betroffenen . Deswegen heute können sich die Betroffenen an die konkreten An- müssen wir heute davon ausgehen, dass voraussichtlich sprechpartner im Bundesverwaltungsamt wenden, damit 1 000 weitere DDR-Dopingopfer nach den damaligen das Geld, wenn die Voraussetzungen im Bundestag dafür Kriterien anspruchsberechtigt gewesen wären . Es ist so- geschaffen sind, möglichst schnell zur Verfügung gestellt mit ein Gebot der Gleichbehandlung, auch all denjenigen werden kann . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16273

Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder (A) Die Entscheidung, den Fonds neu aufzulegen – das Erstens . Ich beginne mit dem Titel des Gesetzent- (C) muss ich einräumen –, ist spät getroffen worden . Ich mei- wurfs, in dem leider wieder nur von finanzieller Hilfe ne aber, nicht zu spät . Die Bundesregierung hat Verant- für Dopingopfer der DDR die Rede ist . Die Position der wortung gegenüber den DDR-Dopingopfern übernom- Linken dazu ist ganz klar: Mehr als 25 Jahre nach der men, und wir haben gehandelt . deutschen Einheit sollte endlich Schluss damit sein, die Opfer in Ost und West aufzuteilen . Das neue Gesetz muss Ich wünsche mir, dass der organisierte Sport, der für alle Dopingopfer gelten, egal ob sie in der DDR oder Deutsche Olympische Sportbund als Nachfolgeorgani- der alten BRD Leistungssport betrieben haben . sation des DDR-Sports ebenfalls seiner Verantwortung gegenüber den DDR-Dopingopfern gerecht wird . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE Auch wenn die abschließenden Ergebnisse der un- GRÜNEN]: Ja, das wäre sehr wichtig!) abhängigen Evaluierungskommission Freiburger Sport- medizin noch nicht vorliegen – was sich zuletzt dort Auch wenn es Doping im staatlichen Auftrag war, so abgespielt hat, ist wirklich ein Trauerspiel und wird den ist der Sport natürlich nicht frei von jeglicher Schuld Sportausschuss noch beschäftigen –, so ist inzwischen gewesen . Das DDR-Regime und der DDR-Sport haben doch wohl unstrittig, dass es in der DDR systematisches wirklich unheilvoll, kollusiv zusammengewirkt . Daher Doping gab, dass aber eben auch in der alten Bundesrepu- sollte auch der organisierte Sport seinen Beitrag leisten . blik in erheblichem Umfang und zum Teil mit staatlicher Es gibt zum Beispiel Härtefälle unter den Dopingopfern Unterstützung im Leistungssport gedopt wurde . Deshalb der DDR, die einer weiteren Unterstützung bedürfen . sollten wir endlich allen Betroffenen in Deutschland, die Hier gäbe es Möglichkeiten, sich besonders zu engagie- die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, Zugang zu den ren . Insofern appelliere ich an dieser Stelle nochmals an Leistungen nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz ermög- den Deutschen Olympischen Sportbund, ebenfalls seiner lichen, unabhängig davon, wo sie geboren wurden oder Verantwortung gerecht zu werden . ihren Sport betrieben haben . Vielen Dank . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zweiter Punkt . Die Dopingopfer sollen analog zum ersten Gesetz eine Einmalleistung in Höhe von je 10 500 Euro erhalten . Das klingt erst einmal nicht Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) schlecht, ist aber mit Blick auf die zum Teil erheblichen (D) Vielen Dank, Dr .Schröder .– Der nächste Redner in Gesundheitsschäden, die sie infolge des Dopings nach- der Debatte: Dr .André Hahn für die Linke . weislich erlitten haben, eher eine symbolische Hilfe . (Beifall bei der LINKEN) Nach der Begriffsbestimmung „erhebliche Gesundheits- schäden“ in § 3 müssen die Betroffenen mehrheitlich eine anerkannte Schwerbehinderung haben . Wer sich jedoch Dr. André Hahn (DIE LINKE): mit dem Behindertenrecht und vor allem mit dem aktuell Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein in der Diskussion befindlichen Bundesteilhabegesetz be- Zweites Dopingopfer-Hilfegesetz ist seit langem überfäl- schäftigt, der weiß, dass die meisten behindertenbeding- lig . Deshalb sind wir als Linke und deshalb bin ich froh, ten Nachteile letztlich nicht ausgeglichen werden und in dass nun endlich ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vielen Fällen zu dauerhafter Verarmung der Betroffenen auf dem Tisch liegt . Immerhin liegen zwischen der Ver- und zum Teil auch zur Verarmung ihrer Angehörigen abschiedung des ersten Dopingopfer-Hilfegesetzes und führen . Deshalb ist unsere Verantwortung für diese Men- dem jetzigen Entwurf 14 Jahre . Dieses erste Dopingop- schen mit der einmaligen Zahlung von 10 500 Euro nicht fer-Hilfegesetz trat 2007, also schon vor über acht Jahren, vom Tisch . Wir brauchen eine wissenschaftliche und po- wieder außer Kraft . Lediglich 194 Betroffene haben da- litische Begleitung bei der Umsetzung des Gesetzes, um mals eine Entschädigung erhalten . Die Zahl der tatsäch- dann gegebenenfalls weitere erforderliche Maßnahmen lich Anspruchsberechtigten soll deutlich höher sein . Die beschließen zu können . Schätzungen liegen zwischen 1 000 und 2 000 ehemali- gen Sportlerinnen und Sportlern . Einige von ihnen sind (Beifall bei der LINKEN) inzwischen leider bereits verstorben . Umso wichtiger ist es, dass der Gesetzentwurf jetzt nicht nur in erster Lesung Drittens . Wenn ich über Verantwortung rede, dann auf den Weg gebracht, sondern möglichst auch noch vor rede ich auch über die Verantwortung des DOSB als der Sommerpause hier im Parlament verabschiedet wird . Nachfolgeorganisation der Sportverbände der alten BRD und der DDR . Hier will ich ganz deutlich sagen: Es reicht (Beifall bei der LINKEN und der SPD so- nicht aus, wenn der Deutsche Olympische Sportbund wie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zwar verbal seine Bereitschaft erklärt, konstruktive Ge- spräche zu führen, und betont, dass er zu seiner morali- Bis dahin sollten wir die Chance nutzen, am vorgeleg- schen Mitverantwortung steht, aber immer dann kneift, ten Gesetzentwurf einige Änderungen vorzunehmen . Ich wenn es ernst wird und wenn es um eine finanzielle Be- möchte aus Sicht der Linken hier nur drei Punkte nennen: teiligung geht . Ich erwarte daher vom DOSB, dass er sich 16274 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Dr. André Hahn (A) mit einem nennenswerten Betrag an dem einzurichten- und ihre Angehörigen noch heute mit den Folgen des (C) den Hilfsfonds für die Dopingopfer beteiligt . körperlichen Missbrauchs . (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Mit der politischen Vorgabe des Staatsplans 14 25. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . zum Aufbau eines geheimen und umfassenden Systems [CDU/CSU]) des staatlich organisierten und erzwungenen Dopings bei Leistungssportlern verfolgte die DDR das Ziel, den Hier stimme ich auch Herrn Staatssekretär Schröder ganz sportlichen Ruhm des sozialistischen Vaterlandes zu stei- ausdrücklich zu . gern. Damit war dem Einsatz von perfiden Mitteln wie Lassen Sie mich abschließend sagen: Das hier und der Behandlung von Minderjährigen mit männlichen Se- heute diskutierte Dopingopfer-Hilfegesetz ist sicher nur xualhormonen Tür und Tor geöffnet . Dabei spornte jeder ein kleiner, aber dennoch sehr notwendiger Teil in der ge- Erfolg die damaligen Funktionäre noch mehr an mit dem samten Debatte um früheres und derzeitiges Doping im Ergebnis, dass die DDR insgesamt 204-mal Olympiagold Sport . Die Linke unterstützt im Grundsatz den vorliegen- für sich verbuchen konnte . Somit bot der DDR-Hochleis- den Gesetzentwurf ebenso wie das vor wenigen Monaten tungssport in besonderem Maße die Möglichkeit, inter- verabschiedete Anti-Doping-Gesetz und die anstehende nationales Ansehen zu erwerben . Gesetzesänderung zur Strafbarkeit des Sportwettbetrugs . Wir benennen aber zugleich auch die Mängel an den Ge- Nach dem Fall der Mauer kam es zu zahlreichen Ge- setzentwürfen in der Hoffnung, dass sich in der Koalition richtsverhandlungen . Doch statt die Ärzte für ihre Hand- nicht Parteidogmen durchsetzen, sondern der Sportsgeist lungen mit dem Entzug ihrer Zulassung zu bestrafen, obsiegt und unsere konstruktiven Änderungsvorschläge kamen sie meist mit geringen Strafen davon . Mehr noch: wenigstens teilweise von der Koalition übernommen Aufgrund ihres Wissens waren sie nun für Sportverbände werden . außerhalb unseres Landes interessant . Das und die der- zeitigen Enthüllungen in Russland, Großbritannien usw . In diesem Sinne: Sport frei und herzlichen Dank . zeigen, dass das Thema Doping leider sehr aktuell bleibt . (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Anders als beim ersten Dopingopfer-Hilfegesetz von Jeannine Pflugradt [SPD]) 2002 beteiligen sich diesmal weder der Deutsche Olym- pische Sportbund noch Jenapharm an der Ausgestaltung Vizepräsidentin Claudia Roth: des Fonds . Gerade von einem Pharmaunternehmen, wel- Vielen Dank, Dr .Hahn .– Das Wort hat jetzt für die ches heute mit dem Slogan „Liebe . Leben . Gesundheit “. SPD-Fraktion Michaela Engelmeier . wirbt, hätte ich mir mehr Verantwortung gewünscht . (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem (D) der CDU/CSU) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn es leistete durch die Herstellung von Substanzen Michaela Engelmeier (SPD): wie Oral-Turinabol, dem sogenannten „Blauen Blitz“, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten oder Mestanolon einen enormen Beitrag zum Staatsdo- Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ping . Unter der olympischen Idee versteht man eine Geistes­ Der frühere Arzneimittelhersteller VEB Jenapharm haltung, die auf der Ausgewogenheit von Körper und produzierte die Medikamente einzig für Dopingzwecke . Geist beruht . Sport, Kultur und Erziehung sollen in einer Sie waren nie zugelassen und kamen nie auf den Markt . Lebensweise verbunden werden, die auf Freude am kör- Der Einsatz von nicht einmal in der DDR zugelassenen perlichen Einsatz, auf dem erzieherischen Wert des guten Medikamenten zur Leistungssteigerung ist durch Stasiak- Beispiels und auf der Achtung fundamental und univer- ten und Zeugenaussagen bewiesen . Zu einem ähnlichen sal gültiger ethischer Prinzipien beruht . Ergebnis kam übrigens 2005 auch eine vom Nachfolge- Zwar begrüßten in der ehemaligen DDR die Funktio- betrieb Jenapharm in Auftrag gegebene Studie . Darüber näre und Trainer ihre Athletinnen und Athleten stets mit hinaus deckt sie auf, dass das Unternehmen nicht nur dem Gruß „Sport frei“, doch waren die Menschen weder Dopingmittel produzierte, sondern auch Präparate ent- frei noch konnten sie über ihren Körper frei verfügen . wickelte, die die Dopingeinnahme verschleiern sollten . So schätzen Experten, dass in der DDR von 1974 bis So sehen sich die Opfer im Nachgang als menschliche 1989 etwa 12 000 Sportlerinnen und Sportler systema- Versuchsobjekte der Pharmabranche . tisch gedopt wurden . Mit dem vorliegenden Entwurf zum Schon Anfang der 1970er-Jahre waren dem Volks- Zweiten Dopingopfer-Hilfegesetz möchten wir unseren eigenen Betrieb Jenapharm, dem VEB Jenapharm, und Beitrag zur öffentlichen Anerkennung leisten und stellen den Verantwortlichen im Sport die schädlichen Neben- für Anspruchsberechtigte insgesamt 10,5 Millionen Euro wirkungen bekannt . Im Nachgang zu den Olympischen zur Verfügung . Spielen in Montreal 1976 gab es wegen der starken Ne- Der erste Fonds war ein voller Erfolg, jedoch nur für benwirkungen durch den „Blauen Blitz“, ein künstliches die bereits angesprochenen 194 anerkannten Personen . männliches Sexualhormon, die Anordnung, die Applika- Diese Lücke der Ungerechtigkeit möchten wir heute tion sofort auszusetzen – ohne Erfolg . Zu groß war die schließen . Gewiss kann dieser Fonds nur einen kleinen Sorge, dass sich die Zahl der Siege der DDR verringern Beitrag leisten . Kein Geld der Welt kann für das angeord- würde. Auch die Auflistung von verbotenen Wirkstoff- nete Staatsdoping entschädigen . So leben die Menschen gruppen durch das Internationale Olympische Komitee Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16275

Michaela Engelmeier (A) zwei Jahre zuvor, 1974, ließ die DDR-Staatsführung ne schöne Auseinandersetzung, die wir geführt haben . (C) kalt . So waren die Funktionäre weiterhin um eine sys- Allerdings ist das Ergebnis entscheidend, und das geht in tematische staatliche Lenkung des verordneten Dopings die richtige Richtung . bemüht . Den Athletinnen und Athleten hielten die dama- ligen Ärzte und Trainer bewusst die Information vor, was (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Sag lieber, was das für Pillen, Injektionen und Spritzen waren, die sie er gesagt hat!) regelmäßig bekamen . Mit dem Ersten Dopingopfer-Hilfegesetz konnte 2002 Heute geht es uns nicht nur um Tumorbildungen, um die Situation für viele vom DDR-Staatsdoping betroffe- Krebs als Folge jahrelanger Anabolikavergiftungen oder ne Sportlerinnen und Sportler zumindest vorübergehend um lebensgefährliche Herzerkrankungen . Nein, es geht gemildert werden . Wie wir heute wissen, wurden Kin- uns auch um Anerkennung für die Betroffenen, die nicht dern und Jugendlichen zwangsweise unter anderem Ana­ nur unter den körperlichen Folgen, sondern auch unter bolika und Wachstumshormone verabreicht . Wer die als psychischen Belastungen leiden . Vitamintabletten deklarierten Mittel nicht nehmen woll- Wie die Folgen für die Athletinnen und Athleten der te, wurde meist, ohne es zu wissen, weiter gedopt, zum DDR zeigen, ist Doping kein Wundermittel, sondern es Beispiel in Form von Schokolade . Die Opfer leiden heute birgt enorme Gefahren für Körper und Geist . Deswegen noch sowohl körperlich als auch psychisch . ist es uns wichtig, dass wir unseren Kampf gegen Doping Das Zweite Dopingopfer-Hilfegesetz ist, auch wenn weiterführen . Dabei ist uns mit dem Anti-Doping-Gesetz der Entwurf reichlich spät kommt, eine wichtige Sache . aus dem letzten Jahr ein Meilenstein gelungen . Denn im- Der erste Hilfsfonds hat immerhin schon – das wurde mer noch greifen laut einer Studie der Deutschen Sport- heute schon gesagt – 194 DDR-Dopingopfer entschä- hilfe etwa 6 Prozent der Spitzensportler in Deutschland digt . Aber wie wir alle regelmäßig erfahren, melden sich zu solchen Mitteln . immer noch weitere Opfer . Das liegt zum einen daran, Zum Schluss meiner Rede möchte auch ich an den dass bei vielen erst in jüngster Vergangenheit Spätfolgen Deutschen Olympischen Sportbund und an Jenapharm auftraten, oder daran, dass diese Dopingopfer erst durch dringend appellieren, sich ihrer Verantwortung zu stel- die mediale Aufmerksamkeit mitbekommen haben, dass len . Von ihnen geleistete Zahlungen von vor zehn Jah- die Krankheiten, die sie jetzt haben, eventuell auf die da- ren waren ein richtiger Schritt . Öffnen Sie Ihre Herzen, malige Dopingpraxis zurückzuführen sind . öffnen Sie Ihre Schatullen, gehen Sie den Weg weiter, den Sie damals beschritten haben, und beteiligen Sie sich Für uns können die einmaligen Zahlungen an die bitte an dem neuen Fonds! DDR-Dopingopfer allerdings nur ein Anfang sein . Sie (B) sind notwendig, aber nicht ausreichend . (D) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn Opfer bleibender Schäden benötigen auch eine Vizepräsidentin Claudia Roth: bleibende Hilfe . Die Einmalzahlung ist wichtig, und sie Vielen Dank, Michaela Engelmeier . – Nächste Red- ist vor allem eine moralische Anerkennung des Zwangs- nerin in der Debatte: Monika Lazar für Bündnis 90/Die dopings . Aber damit ist es noch nicht getan . Wir brau- Grünen . chen eine dauerhafte Unterstützung der Dopingopfer in Form einer Rente . Deshalb setzen wir uns weiter dafür Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ein, dass die DDR-Dopingopfer Zugang zu Renten nach Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dem Opferentschädigungsgesetz bekommen . Es ist schon Endlich liegt er also vor, der Entwurf des Zweiten Do- angesprochen worden, wie langwierig und beschämend pingopfer-Hilfegesetzes . Besser spät als nie, ist man ver- es ist, dass die Dopingopfer jahrelang quasi Bittsteller in sucht zu sagen; denn die zweite Auflage dieses Gesetzes den Sozialbehörden und auch vor Gericht sind . ist mehr als überfällig . Da sind wir uns zum Glück alle ei- nig; schließlich sind mittlerweile schon DDR-Dopingop- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fer gestorben . Dass wir dieses Thema hier im Bundestag Die Rechtsprechung der Gerichte ist leider nicht ein- beraten, ist auch ein Verdienst der Fraktion Bündnis 90/ heitlich; das Ganze ist wirklich sehr zäh . Hier gilt es, den Die Grünen . Wer weiß, wie lange die Regierungskoaliti- Dopingopfern möglichst niedrigschwellig zu helfen und on dieses Gesetzesvorhaben noch hinausgezögert hätte, vor allem die bürokratischen Hürden abzubauen . hätten wir als Opposition nicht über Jahre hinweg kon­ stant Druck gemacht . Es ist auch wichtig, den Dopingopfer-Hilfe-Verein, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den es ja seit Jahren gibt, und seine Beratungsstelle wei- terhin finanziell und verstetigt zu fördern. Diese Förde- Ich erinnere mich zum Beispiel noch sehr gut an eine rung ist bis jetzt, so denke ich, auf einem sehr niedrigen Sportausschusssitzung vor circa einem Jahr und an die Level . Wir alle bekommen etwas zurück, nämlich die Worte des Parlamentarischen Staatssekretärs . Ich freue fachliche Beratung . Sie ist sozusagen eine Peer-to-Peer- mich, dass die Regierung und auch Sie, Herr Schröder, Beratung: Betroffene beraten Betroffene . ihre Meinung geändert haben . Bei dieser Sitzung habe ich nämlich gedacht: Zum Glück war sie nicht öffentlich . An dieser Stelle möchte aber auch ich an den DOSB Ansonsten sehen wir das eher nicht so; aber das war kei- appellieren . Als Rechtsnachfolger des DDR-Sportsys- 16276 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Monika Lazar (A) tems sollte auch der DOSB endlich Verantwortung über- trieben, zu sagen, dass die Integrität des Sports und der (C) nehmen und erneut seinen finanziellen Beitrag leisten. olympische Gedanke gefährdet sind . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Als Koalition machen wir deshalb Ernst im Kampf sowie bei Abgeordneten der SPD und der gegen Doping und haben im vergangenen Jahr das An- CDU/CSU) ti-Doping-Gesetz verabschiedet . Dass es jetzt erste Er- mittlungen gibt, zeigt: Dieses Gesetz greift . In diesem Die Politik hat die ersten Schritte getan . Nun ist auch der Zusammenhang zitiere ich einen ermittelnden Staatsan- organisierte Sport an der Reihe . An den DOSB gerichtet, walt im Fall von Doping beim Ringen . Dieser hofft, dass sage ich deshalb: Lassen Sie diese Menschen nicht im sich das – Zitat – „Kartell des Schweigens“ hinter den Regen stehen . Dopingnetzwerken durch das Gesetz aufbrechen lässt . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Um genau ein solches Netzwerk an Hintermännern sowie der Abg . [SPD]) geht es auch bei der Aufarbeitung des Zwangsdopings Ich möchte die heutige Debatte nutzen, um an die in der DDR . Im DDR-Dopingprogramm waren es aller- Dopingpraxis in Westdeutschland zu erinnern; denn dings keine privaten kriminellen Netzwerke, sondern es auch das gehört zu den dunklen Kapiteln der deutschen war der DDR-Unrechtsstaat selbst . Herr Dr . Hahn, das Sportgeschichte . Heute wissen wir: In den 1970er-Jah- genau ist doch der Unterschied . Es gab das privat organi- ren bekleckerten sich besonders das Bundesinstitut für sierte Doping auf der einen Seite und das von der DDR Sportwissenschaft und die Sportwissenschaftler der Uni als Staat von oben herab organisierte Doping auf der an- Freiburg in Sachen Dopingbekämpfung nicht gerade mit deren Seite, bei dem Sportlerinnen und Sportler ohne ihr Ruhm . Auch dieses Unrecht muss aufgeklärt werden . Wissen gedopt wurden . Die Bundesrepublik Deutschland ist hier eben nicht der Rechtsnachfolger der DDR . Des- Doping schadet nicht nur den Sportlerinnen und wegen ist es richtig, wie wir an dieser Stelle das Doping­ Sportlern; Doping schadet auch dem Ansehen des Sports opfer-Hilfegesetz im Anschluss an das Gesetz von 2002 insgesamt . Nach den Korruptionsfällen in den Spitzen- gemacht haben . verbänden ist es auch und vor allem das Doping, wel- ches die Integrität des Sports massiv beschädigt . Lassen (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Sie uns also die Aufarbeitung der Dopinggeschichte als Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ansporn dafür nehmen, jetzt und in Zukunft für einen NEN]) sauberen Sport zu kämpfen . Im – auch das wurde schon erwähnt – sogenannten Staatsplanthema 14.25 gipfelte das geheime und flächen- Vielen Dank . (B) deckende System, in dem, staatlich organisiert und von (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN oben erzwungen, Leistungssportler ohne ihr Wissen ge- sowie bei Abgeordneten der SPD und der dopt wurden . Das war vermutlich ein einzigartiger Miss- LINKEN) brauch mit Medikamenten, ein großer Menschenversuch durch den Staat, wie das gerade eben auch der Staatsse- kretär gesagt hat . Vizepräsidentin : Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Johannes Die DDR war in der Folge eine der erfolgreichsten Steiniger das Wort . Sportnationen der Welt . 1988 in Seoul beispielsweise be- legte sie Platz 2 im Medaillenspiegel . Wie wir heute aber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wissen, meine sehr geehrten Damen und Herren, war ordneten der SPD) dieser vermeintliche Erfolg sehr teuer erkauft . Nicht nur die Attribute des sauberen Sports, Fairness und Chan- Johannes Steiniger (CDU/CSU): cengleichheit, wurden nachhaltig beschädigt, sondern auch die Athletinnen und Athleten wurden durch einen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen verordneten Raubbau am eigenen Körper gesundheitlich, und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich glaube, teilweise massiv, geschädigt . diese Debatte hat gezeigt: Es ist ein wahnsinnig ernstes Thema . Die Schicksale, die hier von verschiedenen Red- Wir haben heute einige Beispiele gehört . Gesund- nern beschrieben worden sind, machen betroffen . heitliche Folgeschäden sind unter anderem Krebs, Or- ganversagen, Hormonstörungen oder Störungen des Lassen Sie mich, bevor ich auf das Dopingopfer-Hil- Bewegungsapparats . Im Übrigen kann man nur jedem fegesetz konkret zu sprechen komme und dabei in medi- empfehlen, einmal einen Blick auf die Homepage des as res gehe, zunächst einen kurzen Blick darauf werfen, Vereins doping-opfer-hilfe zu werfen, auf der die Band- was wir derzeit international in Sachen Doping erleben breite an Krankheiten sehr genau dokumentiert ist . müssen . Wir sehen auf der einen Seite Marokko und Äthiopien, denen das Olympia-Aus droht, weil sie sich Die Diskussion, die wir heute darüber führen, wie wir dem Kampf gegen Doping verweigern . Kenia, die Ukrai- den Opfern von damals helfen können, ist auch ein Sig- ne und Weißrussland weisen gravierende Defizite in der nal an die Sportler, die dieser Tage vielleicht mit dem Frage der Bekämpfung von Doping auf . Der chinesische Gedanken spielen, mithilfe von Doping ihre Leistung zu Schwimmverband soll Ergebnisse von positiven Proben steigern: Ihr schadet der Integrität des Sportes . Ihr wer- vertuscht haben . Erst kürzlich haben wir Berichte über det auch dank des Anti-Doping-Gesetzes bestraft wer- Doping aus England gehört . Ich glaube, es ist nicht über- den . Aber vor allem: Ihr geht ein enorm großes Risiko Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16277

Johannes Steiniger (A) für eure Gesundheit ein .– Doping ist gefährlich . Doping kurzfristig geltend gemacht werden können . Durch die (C) lohnt sich nicht . Deswegen: Finger weg von Doping! Abwicklung über das Bundesverwaltungsamt kann dies treffsicher geschehen . (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir den Gesetzentwurf verabschiedet haben, ist es unser Auftrag als Gesetzgeber, den potenziell An- Zurück zum Dopingopfer-Hilfegesetz . Die Zahlen zei- spruchsberechtigten mitzuteilen, dass sie von dem Do- gen das Ausmaß des Zwangsdopings in der DDR . Über pingopfer-Hilfegesetz Gebrauch machen können . 10 000 Spitzenathleten im Leistungs- und Nachwuchs- sport wurden zu DDR-Zeiten gedopt. Wie perfide und Meine Damen und Herren, ich wünsche mir sehr, dass systematisch gedopt wurde, zeigt sich in der Rolle des wir mit diesem guten Gesetzentwurf ein Stück Gerech- sogenannten Sportmedizinischen Dienstes, SMD . Die tigkeit für die Opfer des DDR-Dopings schaffen können, Spitzensportler in der DDR wurden nämlich nicht nur und ich freue mich, wenn wir das bis zur Sommerpause von ihren Trainern und Betreuern bewusst hinters Licht hinbekommen . geführt, sondern auch von den lokalen Vereinsärzten, die Herzlichen Dank . das Vertrauen der Sportlerinnen und Sportler ausnutzten und sie täuschten . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 1990 – diese Zahl ist interessant – umfasste allein der Sportmedizinische Dienst 600 Mitarbeiter . Man sieht, Vizepräsidentin Petra Pau: wie flächendeckend dieses Netz gewesen ist. Dessen Das Wort hat die Kollegin Pflugradt für die SPD-Frak- Mitarbeiter haben sich ausschließlich mit dem Leis- tion . tungssport befasst . Hier wird deutlich, wie stark und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten übermächtig der Staat auf der einen Seite war und wie der CDU/CSU) klein dagegen der einzelne Sportler auf der anderen Seite gemacht wurde . Jeannine Pflugradt (SPD): Im Deutschlandfunk kamen unter dem Titel „Auf der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Strecke geblieben . Die Opfer des deutsch-deutschen Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir behan- Medaillenrennens“ die Schicksale ostdeutscher Zwangs- deln heute den Gesetzentwurf über eine finanzielle Hil- dopingopfer zur Sprache . Vor allem ihre Wut und Ent- fe für Dopingopfer der DDR, den Entwurf des Zweiten täuschung kamen zum Ausdruck . Die schockierenden Dopingopfer-Hilfegesetzes . Wir haben es heute schon Berichte darüber, zu welch krassen Mitteln sogar bei mehrfach gehört: Es ist wichtig, dass wir darüber reden . Minderjährigen gegriffen wurde, haben verschiedene (B) Redner angesprochen . Die meisten Opfer haben erst Jah- Nach diesem Gesetz werden wir den Opfern des staat- (D) re nach dem Mauerfall von dem systematischen Doping lich verordneten Dopings in der DDR finanzielle Hilfe an ihrem Körper erfahren . Für die Dopingopfer war und gewähren . Voraussetzung hierfür ist, dass ihnen ohne ist die Realisierung des Geschehenen ein schmerzhafter ihr Wissen oder gegen ihren Willen Dopingsubstanzen Prozess. Es ist unbegreiflich und nicht zu verstehen, dass verabreicht wurden und es wahrscheinlich ist, dass sie man diese Schäden eben nicht selbst zu verantworten hat, deshalb erhebliche gesundheitliche Schäden erlitten ha- sondern dass andere sie einem zugefügt haben . ben oder nach wie vor erleiden . Des Weiteren dürfen sie aus dem ersten Fonds keine finanziellen Hilfen erhalten Das Erste und das jetzt folgende Zweite Dopingop- haben . fer-Hilfegesetz sind ein starkes Zeichen dafür, dass die Bundesregierung und der Bundestag das Leid der Opfer Es ist ganz einfach eine Frage der Solidarität, weitere und deren Schicksal anerkennen . Es geht eben nicht nur Opfer genauso zu entschädigen, wie es der erste Fonds um eine finanzielle Einmalzahlung, sondern wir sagen getan hat . Darum hätte auch ich es gut gefunden, wenn auch: Wir erkennen dieses Leid und dieses Schicksal an . sich Jenapharm und der Deutsche Olympische Sportbund daran beteiligt hätten – einfach aus Gründen der Gerech- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie tigkeit und Gleichbehandlung . der Abg . Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Eberhard Gienger [CDU/CSU]) Der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Schröder hat bereits erläutert, wie dieses Zweite Dopingopfer-Hilfege- Die SPD-Bundestagsfraktion bekennt sich heute je- setz an das erste Gesetz von 2002 anschließt . Ich möchte denfalls erneut zu dieser moralischen Verpflichtung, und mich auch im Namen der AG Sport für die Initiative und das möchte ich ganz intensiv betonen . Es muss einmal das Engagement bedanken, und ich möchte auch appel- mehr ein deutliches Zeichen gesetzt werden, dass man lieren, dass wir mit diesem Gesetz jetzt schnell, bis zur angesichts der gesundheitlichen Schäden durch das staat- Sommerpause, fertig werden . lich verordnete Doping in der DDR nicht einfach zur Ta- gesordnung übergehen kann . Zusammenfassend will ich an dieser Stelle noch sa- gen, dass es uns als CDU/CSU-Fraktion wichtig war, Nach wie vor sind jedoch medizinische Fragen, die dass jeder Geschädigte den gleichen Betrag erhält – un- auch schon beim ersten Fonds im Vordergrund standen, abhängig davon, wann der Antrag gestellt wurde, ob dies noch nicht hinreichend geklärt . Dopinganalytiker und also von 2002 bis 2007 der Fall war oder ab jetzt ge- Endokrinologen bestätigen übereinstimmend, dass in je- schieht – und dass die Ansprüche niedrigschwellig und dem Einzelfall geprüft werden muss, ob die Ursache der 16278 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Jeannine Pflugradt (A) gesundheitlichen Schäden tatsächlich in der Gabe von ich mir nicht nur für Deutschland, sondern für die ganze (C) Dopingsubstanzen liegt . Welt . Ein wahrscheinlicher Zusammenhang ist kein ursäch- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) licher Zusammenhang . Wenn wir nicht wollen, dass die Auch in diesem Zusammenhang bin ich froh, dass wir Gelder, die wir für Dopingopfer bereitstellen, überwie- das Anti-Doping-Gesetz bereits verabschiedet haben . Es gend für weitere medizinische Gutachten ausgegeben hilft zwar nicht gegen vorsätzliches Staatsdoping, aber es werden, dann müssen wir im Interesse einer guten, ein- bestraft diejenigen, die sportlichen Erfolg über Doping- wandfreien Regelung zu nachvollziehbaren Kriterien substanzen zu erzielen versuchen . Mit diesem Gesetz dafür kommen, wer Entschädigungsleistungen erhält geben wir keine endgültige Antwort auf die bestehenden und wer nicht . Nicht nachvollziehbar ist es, einen wahr- Probleme des anhaltenden Dopings . Es vergeht kaum scheinlichen Zusammenhang als einen ursächlichen Zu- eine Woche, in der wir nicht von neuen Dopingfällen sammenhang darzustellen . erfahren . Zumindest entschädigt es aber diejenigen, die Natürlich bin ich dafür, das Unrecht an den Sportle- durch den Staat bewusst einer möglichen Gefahr ausge- rinnen und Sportlern aufzuklären, anzuerkennen und ge- setzt waren und die benutzt und manipuliert wurden . recht zu entschädigen . Ich bin aber für eine Differenzie- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . rung und genauere Betrachtung . Wir bewegen uns hier in einer sehr komplizierten rechtlichen Materie . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Wir erwarten von den Opfern keinen Nachweis bis GRÜNEN) ins letzte Detail, sondern begnügen uns mit einer Wahr- scheinlichkeit . Lassen wir die Entschädigungszahlungen auf Wahrscheinlichkeiten basieren, dann kann man an Vizepräsidentin Petra Pau: dieser Stelle eben nicht sehr viel mehr tun . Ich schließe die Aussprache . Deshalb freue ich mich, dass in Mecklenburg-Vor- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- pommern, an der Uniklinik Greifswald und an den He- wurfs auf Drucksache 18/8040 an die in der Tagesord- lios-Kliniken in Schwerin, zwei Studien zu diesem Thema nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es geplant sind . Die eine ist eine Langzeitstudie, die andere dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . ist eine etwa zweijährige Studie, die voraussichtlich ab Dann ist die Überweisung so beschlossen . dem Sommer die Daten analysieren und auswerten wird, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: die der Doping-Opfer-Hilfe-Verein sammelt . Vielleicht Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina (B) hätten wir vor der Auflegung des zweiten Fonds auf die (D) Ergebnisse der Studie warten sollen; dann hätten wir eine Wawzyniak, Sigrid Hupach, Christine Buchholz, genauere Datenbasis gehabt, um besser zwischen Wahr- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE scheinlichem und Tatsächlichem zu unterscheiden . LINKE Darüber hinaus stellt sich für mich die Frage der Nach- Einrichtung einer Kommission beim Bundes- weispflicht im Antragsverfahren. Es gab Sportlerinnen ministerium der Finanzen zur Evaluierung und Sportler, die Kenntnis vom Einsatz von Dopingmit- der Staatsleistungen seit 1803 teln hatten und ihn billigend in Kauf genommen haben . Drucksache 18/4842 Sicher, die Versuchung war groß . Der Staat begünstigte Überweisungsvorschlag: den Erfolg . Aus meiner Sicht gab es Täter, Mitwisser, Finanzausschuss (f) Halbwissende und Menschen, die weggeschaut haben . Innenausschuss Es gab tatsächlich aber auch Nichtwissende, Ahnungs- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz lose und Opfer . Diese Unterschiedlichkeit sollten wir be- Haushaltsausschuss achten, wenn wir die Problematik angehen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Wir können auch heute nicht mit Sicherheit sagen, wer die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- was wann mit oder ohne Wissen, gegen den Willen oder nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . mit stillschweigendem Einverständnis eingenommen hat . Wenn alle teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen Wir werden nicht mit absoluter Sicherheit den Nachweis einen Platz gefunden haben, können wir die Debatte er- des wissentlichen oder willigen Dopings führen können . öffnen . Es wäre aber grundsätzlich falsch, daraus zu folgern, dass daher keine Entschädigung gezahlt werden sollte . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin Hier sind mit Sicherheit Menschen vorsätzlich manipu- Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke . liert worden . (Beifall bei der LINKEN) Das ist eine Mahnung, dass sportliche Höchstleistun- gen nicht um jeden Preis erstrebenswert sind, weder für Halina Wawzyniak (DIE LINKE): den persönlichen Ruhm oder zum Gewinnstreben noch Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- zur staatlichen Repräsentation . Es ist eine Aufforderung, legen! Wir reden über einen Antrag, der den Weg dafür in dem Kampf nicht nachzulassen, die Prävention zu ebnen soll, einen Verfassungsauftrag einzulösen, und verstärken, die Kontrollen zu verbessern und Vergehen zwar noch bevor dieser schon 100 Jahre besteht . Es geht stärker und einheitlich zu sanktionieren . Das wünsche nicht um den Glauben von Menschen . Die Religionsfrei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16279

Halina Wawzyniak (A) heit ist ein hohes Gut . Sie soll nicht angetastet werden, Josef Winkler, Grüne: (C) und das wird sie durch den vorliegenden Antrag auch nicht . Das zu erwähnen, ist mir auch angesichts der Ge- Wir sollten die Auseinandersetzung über Sinn und schichte meiner Partei ausgesprochen wichtig . Zweck der Staatsleistungen und die rechtlichen Möglichkeiten ihrer Ablösung führen, … Artikel 140 des Grundgesetzes macht Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung zum Bestandteil des Grund- Wenn wir in dieser Legislaturperiode die Kommission gesetzes . Die Weimarer Reichsverfassung stammt aus einsetzen, dann kann diese bis zum Ende der Legislatur- dem Jahr 1919 . Der Artikel lautet: periode ihre Ergebnisse vorlegen . Wir alle könnten uns dann dazu verhalten und sogar mit konkreten Aussagen, Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtsti- in welcher Höhe Staatsleistungen noch zu zahlen sind, teln beruhenden Staatsleistungen an die Religions- ob überhaupt noch Staatsleistungen zu zahlen sind, in die gesellschaften werden durch die Landesgesetzge- Debatte gehen . Wir könnten damit sogar in den Wahl- bung abgelöst . kampf gehen, wenn wir das möchten . Jetzt kommt der entscheidende Satz: Der nächste Bundestag kann dann auf der Grundlage Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf . der Empfehlungen der Kommission das Grundsätzege- setz zur Ablösung der Staatsleistungen beschließen . Wir Es geht mithin um die Zahlungsverpflichtung des alle hätten dann, bevor der Verfassungsauftrag 100 Jahre Staates an die Kirchen für die vor über 200 Jahren enteig- alt wird, diesen Verfassungsauftrag eingelöst . neten kirchlichen Besitztümer . Über das ausgesprochen sinnvolle und hilfreiche Portal www kleineanfragen. de. (Beifall bei der LINKEN) lässt sich leicht herausbekommen, welchen Umfang die- Meine Fraktion findet, dass es Zeit ist, dass dieser Auf- se Zahlungsverpflichtungen ausmachen. Knapp 13 Milli- trag eingelöst wird . Wenn ich noch einmal auf die Debat- onen Euro waren es 2015 in Schleswig-Holstein . Etwas te in der vergangenen Legislaturperiode verweise und die mehr als 24 Millionen Euro waren es im Jahr 2015 in eben genannten Zitate Ihnen noch einmal in Erinnerung Sachsen . Knapp 24 Millionen Euro werden im Jahr 2016 rufe: Eigentlich sind ja alle hier der Meinung, dass dieser in Thüringen fällig . In Berlin wurden im Jahr 2014 knapp Verfassungsauftrag eingelöst werden sollte . Wenn das so 11 Millionen Euro an Staatsleistungen gezahlt . ist, dann lassen Sie uns die Expertenkommission einset- Wir wollen nun mit unserem Antrag dafür sorgen, dass zen . In der Kommission sollen Kirchenhistorikerinnen, eine Kommission zunächst prüft und bewertet, inwiefern Kirchen- und Verfassungsrechtlerinnen, Ökonominnen, die sogenannten Säkularisierungsverluste durch die seit aber auch Vertreterinnen der Länder und der beiden gro- (B) 1919 gezahlten Leistungen angemessen ausgeglichen ßen Amtskirchen mitarbeiten . (D) wurden, und dann Vorschläge unterbreitet, welche Kon- sequenzen der Gesetzgeber im Hinblick auf den zukünf- Wir gehen mit diesem Antrag einen Schritt auf alle zu, tigen Umgang mit diesen Zahlungen aus der Evaluierung nehmen alle Bedenken aus der vergangenen Wahlperiode ziehen sollte . auf, machen einen konkreten Vorschlag für einen Weg, wie man dem Verfassungsauftrag nachkommen kann . Wir sind also nicht mehr ganz so revolutionär wie Aus sachlichen Gründen kann also eigentlich niemand in der vergangenen Legislaturperiode . Da hatten wir diesem Antrag widersprechen . Deswegen bitte ich Sie: nämlich einen Gesetzentwurf zur Ablösung der Staats- Stimmen Sie diesem Antrag einfach zu . leistungen vorgelegt, den Sie damals abgelehnt haben . Nun wollen wir Ihnen quasi eine zweite Chance geben, (Beifall bei der LINKEN) den Verfassungsauftrag einzulösen, und zwar durch eine Win-win-Situation für alle . Vizepräsidentin Petra Pau: Da alle hier vertretenen Fraktionen in der vergan- Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Margaret genen Legislaturperiode die Notwendigkeit der Einlö- Horb das Wort . sung des Verfassungsauftrags anerkannt haben, ist das (Beifall bei der CDU/CSU) meines Erachtens auch kein Problem . Ich zitiere Dieter ­Wiefelspütz, SPD: Margaret Horb (CDU/CSU): Ich bin also sehr dafür, … dass wir in Deutschland Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen einen Diskussionsprozess organisieren – nicht nur und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr hier im Parlament, sondern auch mit den Kirchen –, geehrte Jugendliche auf der Tribüne! Teil 2: Die Linke um darüber zu reden, wie das geht . möchte eine Kommission einsetzen, um die Staatsleis- Die Abgeordnete Flachsbarth, CDU/CSU: tungen an die Kirche zu evaluieren, also um den Geld- wert festzustellen und zu überprüfen . Zum gleichen The- Gesprächen, die eine solche Ablösung im freund- ma haben Sie schon vor zwei Jahren eine Kleine Anfrage schaftlichen Einvernehmen intendieren würden, an die Bundesregierung gestellt . Dort verraten Sie uns würden wir uns nicht entziehen … auch, wer Sie auf diese tolle und grandiose Idee gebracht Selbst – hören Sie aufmerksam zu – : hat . Dazu sind Verhandlungen notwendig mit dem Ziel, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Der eine einvernehmliche Regelung zu finden. Papst!) 16280 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Margaret Horb (A) Es war – man höre und staune – nicht der Papst, sondern nen . Doch da kennen wir die Linke besser . Noch in der (C) mit einem Fachbeitrag auf focus de. . letzten Legislaturperiode haben Sie in diesem Haus einen Die arme FDP! Zuerst fliegt sie aus dem Bundestag, und Gesetzentwurf vorgelegt und wollten den Ländern vor- dann klaut ihr die Linke auch noch die Anträge . Das ha- schreiben, die Staatsleistungen abzulösen, wohlgemerkt ben unsere Liberalen nicht verdient . mit einer Einmalzahlung in Höhe des Zehnfachen des bisherigen Jahresbetrags . Damals brauchten Sie keine (Beifall bei der CDU/CSU) Kommission, um die korrekte Höhe der Staatsleistungen Wenn sich die Linke aber in Zukunft finanzpolitisch an zu bestimmen . Damals kannten Sie diese schon vorher . der FDP orientieren sollte, dann freuen wir uns ganz be- Daran sieht man, dass es Ihnen nicht darum geht, Trans- sonders auf die Debatten im Finanzausschuss und hier im parenz zu schaffen . Vielmehr möchten Sie etwas ganz Hohen Hause . anderes . Sie wollen die Staatsleistungen abschaffen . Doch nun zur Sache . Was sind Staatsleistungen? In verschiedenen Phasen der deutschen Geschichte wurde Vizepräsidentin Petra Pau: den Kirchen vonseiten des Staates Vermögen entzogen, Kollegin Horb, gestatten Sie eine Zwischenfrage? beispielsweise Ländereien . (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: 1803!) Margaret Horb (CDU/CSU): Nein, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen . – Zu Aus den Erträgen dieser Vermögenswerte hatte sich die fordern, dass diese Staatsleistungen abgeschafft werden, Kirche bis dato finanziert. Mit den Enteignungen wurde ist Ihr gutes Recht . Leider geben Sie aber dabei – wie so den Kirchen somit ein Teil ihrer finanziellen Existenz- oft – Geld aus, das Ihnen gar nicht gehört . Das ist in die- grundlage entzogen . Dafür entschädigen die Staatsleis- sem Fall besonders perfide; denn – Kommission hin oder tungen . Staatsleistungen sind also keine Geschenke und her – billig wird die Ablösung dieser Staatsleistungen für auch keine Subventionen, sondern es sind historisch be- die Länder nicht . gründete Ersatzleistungen . Diese zahlt – hören Sie genau zu! – nicht der Bund, sondern diese zahlen die Länder . Ich habe mir für mein Heimatland Baden-Württem- berg die entsprechenden Zahlen einmal genauer ange- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Habe ich schaut . Im Jahr 2016 überweist Baden-Württemberg an gerade vorgetragen! Hätten Sie mal zugehört!) die beiden katholischen Diözesen und die beiden evan- Wahr ist, dass sowohl die Weimarer Reichsverfassung – gelischen Landeskirchen Staatsleistungen in Höhe von darauf haben Sie zu Recht hingewiesen – als auch das nicht weniger als 118 Millionen Euro . Grundgesetz eine Ablösung der Staatsleistungen vorse- (B) Das ist zweifellos viel Geld, aber man muss auch be- (D) hen . Wahr ist übrigens auch, dass die oft kritisierten Kir- denken, dass der Landeshaushalt selbst ein Volumen von chen einer Ablösung der Staatsleistungen nicht im Wege über 46 Milliarden Euro hat . Bei den Staatsleistungen stehen . reden wir also hier von 2,5 Promille der Gesamtausga- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das habe ben . Das ist haushalterisch tragbar . Wenn wir die Staats- ich ja gesagt!) leistungen ablösen, dann reden wir nicht mehr nur über 118 Millionen Euro in Baden-Württemberg . Wenn wir Viele Bistümer und Landeskirchen haben hier – wie den Ablösefaktor von 18,6 zugrunde legen, dann landen schon ausgeführt – Gesprächsbereitschaft signalisiert . wir bei einer Größenordnung von 2 Milliarden Euro, al- Aber natürlich muss eine solche Ablösung fair ablaufen . lein bezogen auf Baden-Württemberg . Gelegentlich hört man die Behauptung, dass die Das ist ein ganz schöner Brocken . 18,6 ist der kleins- Staatsleistungen bereits abgegolten seien, weil sie schon te Faktor, den ich in der seriösen Literatur habe finden seit längerer Zeit gezahlt werden . Das ist geradezu ab- können . Es gibt Wissenschaftler, die noch höhere Zahlen surd . Die Staatsleistungen basieren auf Verträgen zwi- ansetzen . Solche Rechnungen muss man für jedes andere schen den Kirchen und dem Staat . Das sind keine Raten- Bundesland auch anstellen – und das in einer Situation, tilgungsverträge . Wir bezahlen auch kein Haus und keine in der ab 2020 für die Länder die Schuldenbremse greift . Kirche ab . Es handelt sich vielmehr um Entschädigungs- leistungen, die auf Dauer angelegt sind . In einem Rechts- Das heißt nicht, dass man Staatsleistungen nicht ablö- staat ist ein geltender Vertrag ein geltender Vertrag . Die- sen kann . Inhaltlich können wir hinsichtlich der Staats- ser wird auch nicht dadurch hinfällig, dass er sehr alt ist . leistungen über alles reden, aber die Initiative dafür muss Nein, die Staatsleistungen müssten in Verhandlungen zwingend von den Ländern ausgehen; denn diese zahlen zwischen den Ländern und den Kirchen ordnungsgemäß am Ende die Zeche . Gegen die Länder und ohne Abspra- abgelöst werden . Ablösung bedeutet Aufhebung der Zah- che mit den Ländern werden wir dies mit Sicherheit nicht lungen gegen Entschädigung . tun . Wir werden keine Evaluierungskommission einset- zen . Das wäre einfach unredlich . Wie hoch müssten nun die Entschädigungen ausfal- len? Vom 18,6‑Fachen der aktuellen Zahlungen über das Liebe Linke, ich mache Ihnen jetzt einen Vorschlag . 20‑ und 25‑Fache bis zum 40‑Fachen findet sich hier in Sie sind an einigen Landesregierungen beteiligt . In Thü- der Literatur alles . Nun könnte man meinen, dass die ringen stellen Sie, sehr zu meinem Leidwesen, sogar den Linken genau dafür eine Kommission gründen wollen, Ministerpräsidenten . Wenn Sie eine Kommission zur um also herauszufinden, was denn der richtige Faktor ist. Evaluierung der Staatsleistungen gründen wollen, dann Um Transparenz und Klarheit geht es, könnte man mei- machen Sie es dort, in den Ländern; denn da gehören die- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16281

Margaret Horb (A) se Kommissionen hin . Was hört man jetzt aus Erfurt zu und jetzt, da das im Grundgesetz steht, der Bund auf- (C) den Staatsleistungen? Nichts . Im Bundestag die Anträge stellen . Die Länder können überhaupt erst dann ablösen, vorlegen, aber in den Ländern die Füße hochlegen . So wenn der Bund die Grundsätze aufgestellt hat . Deswegen geht das nicht, liebe Linke . macht eine Kommission beim Bundesministerium der Finanzen auch Sinn . (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen muss ich Ihnen leider sagen: Einmal zuhö- Der historische Hintergrund und der Umfang der ren, einmal lesen, das bringt eine bessere Rede . Staatsleistungen sind nämlich in den Ländern, wie be- reits ausgeführt, höchst unterschiedlich . Eine Evaluie- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- rung sollte daher selbstredend vor Ort stattfinden. Jedes NIS 90/DIE GRÜNEN) Bundesland hat die Möglichkeit, im Einvernehmen mit den Kirchen die Staatsleistungen zu verändern, umzu- Vizepräsidentin Petra Pau: gestalten, abzulösen und vorher meinetwegen auch eine Sie möchten erwidern? – Nein . Dann hat jetzt der Kol- Evaluierungskommission zu gründen . Wenn die Länder lege Dr . Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die das tun – gut . Wenn sie das nicht tun, dann lässt das ei- Grünen das Wort . gentlich nur den Schluss zu, dass die Länder mit dem derzeitigen System zufrieden sind . Noch einmal: Es sind die Länder, die dies bezahlen müssen . Die Länder brau- Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): chen den Bund nicht, wenn sie die Staatsleistungen ab- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lösen wollen . Es ist schon bezeichnend, dass Sie nicht geantwortet ha- ben, Frau Horb; ich fand Ihre Rede auch ziemlich schade . Der vorliegende Antrag, den die Linke hier stellt, ist daher ein bisschen heuchlerisch, ein bisschen unredlich, Es ist so, dass man nicht wegnegieren kann, nicht aber auf jeden Fall unnötig . Also, liebe Linke, wenn ihr wegschieben kann, was in der Verfassung steht . In der das nächste Mal einen Antrag von der FDP abschreibt, Verfassung steht sehr deutlich, dass es da eine Arbeits- dann sucht euch bitte einen Vorschlag aus, der ein biss- teilung gibt . Die Grundsätze müssen wir hier festlegen, chen sinnvoller ist . Diesen Antrag werden wir vonseiten und dann sollen die Länder agieren . Deswegen kann man der CDU/CSU-Fraktion auf jeden Fall ablehnen . Ich hof- da gar keinen Bund-Länder-Konflikt aufmachen, wie Sie fe, dass Sie mich bei Ihrem nächsten Antrag zitieren . es gemacht haben . Das war ein bisschen billig partei- politisch – bei einer Frage, bei der man doch zugeben Herzlichen Dank . muss, dass das heutzutage auch viele Menschen in den (Beifall bei der CDU/CSU) Kirchen nicht mehr verstehen . Dass auf der Grundlage (B) einer historischen Entwicklung in der ersten Hälfte des (D) 19 .Jahrhunderts – das liegt schon arg weit zurück – heute Vizepräsidentin Petra Pau: Zahlungen zwischen Kirche und Staat erfolgen, in einer Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Wawzyniak ganz vielfältigen und für viele Menschen intransparenten das Wort . Art und Weise, ist nicht mehr vermittelbar,

Halina Wawzyniak (DIE LINKE): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Da Sie eine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, der SPD) muss ich eine Kurzintervention machen .– Zunächst möchte ich Sie darauf hinweisen, dass wir in der vorigen und zwar auf beiden Seiten nicht mehr vermittelbar . Dem Legislaturperiode – das haben Sie zu Recht erwähnt – Steuerzahler ist es nicht vermittelbar, der den Anspruch einen Gesetzentwurf vorgelegt haben . Das war vor dem hat, dass transparent ist, für was eigentlich Leistungen Beitrag von Herrn Kubicki . Wenn, dann hat Herr Kubicki gezahlt werden, was die Rechtsgrundlage ist . Es ist auch bei uns abgeschrieben . Pech für die Liberalen . auf der Kirchenseite nicht vermittelbar . Viele Mitglie- der sagen: Auch wir wollen eine Klarheit bezüglich der (Beifall bei der LINKEN) kirchlichen Finanzen und wollen, dass das nicht intrans- Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht zugehört haben . Of- parent geregelt ist . fensichtlich haben Sie nicht zugehört . Deswegen will ich Es ist außerdem nicht vermittelbar, dass es einen Ver- das an dieser Stelle wiederholen: Ich habe an diesem Pult fassungsauftrag gibt, der jetzt fast 100 Jahre besteht – gesagt, dass wir die Einwände, die gegen den Gesetzent- zunächst in der Weimarer Reichsverfassung, dann im wurf in der letzten Legislaturperiode gekommen sind, Grundgesetz –, der Gesetzgeber auf Bundesebene, vor- aufgenommen haben und dass wir vor dem Hintergrund her auf Reichsebene, aber nicht die Kraft findet, die Eck- der Einwände diesen Antrag auf Einsetzung einer Kom- werte festzulegen . Das kann man doch niemandem mehr mission gestellt haben . In dieser Kommission – wenn Sie erklären . den Antrag noch einmal lesen möchten – sind im Übrigen Ländervertreter vorgesehen . Die Länder wären also mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am Tisch . und bei der LINKEN) Ein letzter Punkt . Sie haben gesagt, die Länder könn- Ich finde, dann darf man auch in der parlamentari- ten die Staatsleistungen einfach ablösen . Ich habe vorhin schen Auseinandersetzung einmal anerkennen, dass von- in der Rede auch Artikel 138 Weimarer Reichsverfassung seiten der Linksfraktion ein Vorschlag gemacht worden zitiert . Die Grundsätze für die Ablösung muss das Reich ist, bei dem vielleicht noch nicht alles so ist, wie wir es 16282 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Dr. Gerhard Schick (A) formulieren würden, der aber im Grundansatz trägt, näm- denen längerfristige Aufgaben endlich einmal angegan- (C) lich jetzt in einer Kommission die Menschen, die daran gen werden . Vielleicht geben Sie sich ja einen Ruck . Hier beteiligt sind – von wissenschaftlicher Seite, von poli- vor dem 100 . Geburtstag der Weimarer Reichsverfassung tischer Seite, Bund und Länder und natürlich auch die den Auftrag einzulösen, wäre wahrlich wirklich nötig . Kirchen –, an einen Tisch zu bringen, um einen Weg zu finden. Dieser Vorschlag ist gut. Ich darf sagen: Unsere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fraktion unterstützt ihn ausdrücklich . und bei der LINKEN)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Petra Pau: und bei der LINKEN) Das Wort hat der Kollege Andreas Schwarz für die Er trägt genau dem Rechnung, was für Ihre Frakti- SPD-Fraktion . on, Frau Horb, in der letzten Legislaturperiode gesagt worden ist: Eine einseitige Ablösung ohne solide Rech- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nungsbasis, ohne Einbeziehung der Länder und der Kir- der CDU/CSU) chen darf es nicht geben .– Das soll es auch nicht geben; Sie könnten zustimmen . Andreas Schwarz (SPD): Kollege Geis hat gesagt: „Es gibt in dieser Frage kein Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Gewohnheitsrecht “. Ja, es muss jetzt eine Rechtsgrund- Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als lage geschaffen werden . mir mitgeteilt wurde, dass ich am heutigen Freitagnach- mittag eine Rede halten darf, hat mich das erst einmal Sie haben an einer Stelle natürlich recht: Die Länder sehr gefreut, da zeitgleich auf der Tribüne eine Besucher­ haben – das ist, finden wir, ein gangbarer Weg – an ein- gruppe aus meinem Wahlkreis Platz genommen hat . zelnen Stellen Ablösungsvereinbarungen getroffen . Eine Herzlich willkommen, Memmelsdorf! solche gibt es in Nordrhein-Westfalen mit dem Bistum Paderborn . Das gab es auch schon in Bayern und in (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Hessen . Das kann durchaus ein Weg sein, aber er ent- LINKEN) bindet uns als Gesetzgeber auf Bundesebene nicht von Das Thema dieser Rede reicht bis ins Jahr 1803 zu- dem Auftrag, den unsere Verfassung uns gibt, und dem rück . Das war eine Überraschung für mich . Bisher bin ich sollten wir endlich nachkommen . In wenigen Jahren ist davon ausgegangen, dass die stolze Sozialdemokratie im der 100 .Geburtstag der Weimarer Reichsverfassung . Ich Prinzip die älteste Konstante in diesem Hohen Hause ist . finde, bis dahin sollte man das wirklich geschafft haben. Aber nun weiß ich: Der Reichsdeputationshauptschluss (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 25 .Februar 1803 beschäftigt die Politik dieses Lan- (D) und bei der LINKEN sowie des Abg . Manfred des sogar noch länger . Worum geht es im Einzelnen? Im Zöllmer [SPD]) Jahr 1803 wurden im Rahmen der staatlichen Säkulari- sierung die Kirchen teilweise enteignet, etwa Klöster und Man muss eine Sache natürlich sehen, und da liegt die Ländereien. Seither fließen Entschädigungszahlungen, Schwierigkeit: Wenn nach den heutigen Zinssätzen – wir um beispielsweise die Seelsorge trotzdem aufrechtzu- sind quasi bei null – entschädigt werden soll, dann kann erhalten . Im Jahre 1919 wurden viele Kirchenrechts- man natürlich astronomische Zahlen zusammenrechnen . regelungen aus dem Kaiserreich in die Verfassung der Das ist auch der Grund, warum die Ablösung bisher nicht Weimarer Republik aufgenommen, aber eben auch, dass geklappt hat . Es wird daher eines Entgegenkommens die Regelungen zur Kirchenfinanzierung neu verhandelt auch der Kirchen bedürfen, um eine Frage in der Zukunft und neu geordnet werden müssten . Der Artikel wurde so zu regeln, dass alle in diesem Land das unterstützen ja schon genannt: In Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer können . Deswegen muss man sich zusammensetzen . Reichsverfassung ist das nachzulesen, und vom Kollegen Mein Appell ist, dass sich alle Beteiligten an dieser Stelle Schick haben wir ja die Hausaufgabe bekommen, zum bewegen, hier im Haus und in der Gesellschaft, um eine Jubiläum das zu erledigen . Dieser Auftrag wurde mit Ar- zufriedenstellende Lösung für die Zukunft zu finden; tikel 140 im Jahr 1949 auch ins Grundgesetz der Bun- denn dass das viele Leute umtreibt, können Sie an der desrepublik Deutschland übernommen . Seither – das ist gesellschaftlichen Diskussion ja sehen . sicherlich einigermaßen erstaunlich – ist wenig bis gar nichts passiert . Ich will allerdings sagen, dass wir an einer Stelle auch ein bisschen Zweifel haben, was die Formulierung des Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kir- Antrags angeht . Aber so etwas kann man sich im weite- chen in unserem Land tragen eine nicht hoch genug ren Verfahren im Ausschuss noch einmal anschauen . Bei einzuschätzende Verantwortung für das Gemeinwohl in Punkt 3 könnte der Eindruck entstehen, dass es rechtlich Deutschland . Nicht zuletzt in der Flüchtlingsfrage sind so ist: Das, was seit 1919 schon gezahlt worden ist, kann die Kirchen in unserem Land unverzichtbarer Partner ei- man sozusagen anrechnen .– Wir teilen diese Rechts- ner humanen und menschenwürdigen Flüchtlingspolitik . auffassung so nicht . Aber ich glaube, dieser Punkt muss Die kirchliche Seelsorge gibt den Menschen in unserem nicht so bleiben . Man kann das im Ausschuss vielleicht Land in einer immer schneller werdenden Welt Halt und noch einmal gemeinsam diskutieren und so formulieren, Konstanz . Ohne die sozialen und karitativen Leistungen dass alle mitgehen . Ich hoffe und wünsche mir wirklich der Kirchen sähe mit Sicherheit der gesellschaftliche Zu- sehr, dass wir das gemeinsam hinkriegen . Zeiten von sammenhalt in unserem Land ganz anders aus . Diesen Großen Koalitionen sind ja manchmal auch Zeiten, in Umstand sollten wir natürlich auch bei der Debatte über Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16283

Andreas Schwarz (A) die Finanzierung von Kirchen und Religionsgemein- richten . Beispielsweise mit Kirchen über die Fragen von (C) schaften in unserem Land nicht vergessen . Unterhalt und Kirchenbaulast zu diskutieren, gestaltet sich sehr schwierig und ist auch sehr zeitaufwendig . Im Vor einigen Jahren haben Sie, liebe Kolleginnen und Übrigen haben Sie ein Bundesland, in dem Sie einmal Kollegen der Linken, bereits einen Gesetzentwurf zu einen Testballon steigen lassen können, um zu sehen, ob diesem Thema eingebracht . Heute diskutieren wir einen Ihre Idee fruchtet und greift . Antrag zu diesem Thema . Sie fordern darin im Wesent- lichen vier Punkte . Drei von diesen Punkten können wir Bis dahin bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit mit Sicherheit etwas abgewinnen, einem jedoch nicht . Da und wünsche allen ein schönes Wochenende . dieser jedoch der zentrale Punkt des Antrags ist, können wir dem Antrag insgesamt nicht zustimmen . Sie fordern Danke . nicht zu Unrecht, dass es Zeit wird, den Umfang der Sä- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) kularisierungsverluste aus dem Jahr 1803 zu ermitteln . Dabei spielt natürlich eine Rolle, wie hoch die Entschä-

digungszahlungen seit dem Jahr 1919 sind . Ich glaube Vizepräsidentin Petra Pau: übrigens, dass die Differenz aus beiden Zahlen Sie eher Das Wort hat der Kollege Markus Koob für die CDU/ überraschen würde als mich . Jetzt stoßen wir aber auf das CSU-Fraktion . aus meiner Sicht entscheidende Problem: In Ihrem An- (Beifall bei der CDU/CSU) trag fordern Sie die Einsetzung einer Kommission beim Bundesfinanzministerium, bestehend aus – ich zitiere –: Markus Koob (CDU/CSU): Expertinnen und Experten wie (Kirchen-)Histori- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kerinnen und (Kirchen-)Historikern, Kirchen- und/ Sehr geehrte Damen und Herren! Heute beschäftigen wir oder Verfassungsrechtlerinnen und -rechtlern, Öko- uns mit den Staatsleistungen an Kirchen, ein Baustein in nominnen und Ökonomen sowie Vertreterinnen und den allgemeinen Finanzbeziehungen zwischen Staat und Vertretern der Bundesländer sowie der beiden gro- Kirche. Per Definition sind Staatsleistungen finanzielle ßen Amtskirchen … Zuwendungen des Staates an die Kirchen, die die his- Ich sage Ihnen, mit Verlaub, als Franke: Da wird torische weitreichende Enteignung von kirchlichem Ei- hoffentlich eher der 1 .FC Nürnberg wieder Deutscher gentum entschädigen sollen . Diese Leistungen sind also Meister, als dass diese Kommission in absehbarer Zeit keine Subventionen, sondern Ersatz dafür, dass der Staat zu einem Ergebnis kommt . Wenn Sie schon in so einem sich mehrfach in der Geschichte Kircheneigentum ange- großen Rahmen über Staatsleistungen und deren Zukunft eignet hat . (B) diskutieren wollen, dann frage ich mich: Wo sind die an- Entschädigungszahlungen für diese damaligen mas- (D) deren Religionsgemeinschaften, die von Staatsverträgen siven Enteignungen werden noch heute an die beiden profitieren? Ob es nun die jüdische Gemeinde in Sach- großen Amtskirchen in fast allen Bundesländern – mit sen-Anhalt oder die in Hamburg lebenden Muslime und Ausnahme von Hamburg und Bremen – erbracht . Im Aleviten sind: Sollen sie nicht an der Debatte beteiligt Jahr 2015 belief sich die gesamte Staatsleistung der werden? 14 Bundesländer an die Kirchen auf 510 Millionen Euro . (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch! Das besondere Merkmal von Staatsleistungen ist: Es sind Aber die sind nicht abzulösen!) wiederkehrende Zahlungsverpflichtungen und keine Ra- tentilgung – das ist schon mehrfach erwähnt worden – Bei dem großen Rahmen, in dem eine solche Kommis- mit einem festgelegten oder einem einseitig bestimm- sion tagen müsste, würde eine Lösung vermutlich noch baren Ende . Eine Ablösung müsste vielmehr eine volle weitere 100 Jahre dauern . Nein, ich glaube, Sie zäumen Leistungsäquivalenz und nicht nur eine angemessene das Pferd mehr von hinten auf . Ja, wenn der Verfassungs- Entschädigung mit sich bringen . auftrag erfüllt werden soll, muss der Bund irgendwann gesetzgeberisch tätig werden, in welcher Form auch im- Mir drängt sich dabei, ähnlich wie der Kollegin Horb, mer . Aber zuvor muss es aus unserer Sicht Gespräche der Verdacht auf, dass es der Linken gar nicht in erster auf viel kleinerer Ebene geben . Die Staatsverträge sind Linie darum geht, sondern vielmehr darum, die Zahlung zwischen Bundesländern und Kirchen geschlossen und der Staatsleistungen so schnell wie möglich zu beenden . können nur zwischen diesen einvernehmlich geregelt Sie haben auch in einem Nebensatz erwähnt, man könnte werden . Einige Bundesländer zahlen viel, wie wir ge- das auch im Wahlkampf zum Thema machen . Das fand hört haben, andere zahlen weniger . Teilweise erfolgt auf ich erhellend; das gibt uns Auskunft darüber, was der ei- der kommunalen Ebene schon gar keine Zahlung mehr . gentliche Ansatz dieses Antrages ist . Das bedeutet, Gespräche zwischen Landeskirchen, Bun- (Beifall bei der CDU/CSU) desländern und Kommunen sind nötig . Es gibt Signale: Sowohl Kirchen als auch Länder sind bereit, Gespräche Aber Sie sind im Vergleich zum letzten Mal eleganter zu führen . Erst danach kann nach unserer Auffassung der geworden, indem Sie nun vorschlagen, eine Kommissi- Bund hier tätig werden . on einzurichten, und nicht mehr gleich per Gesetz die Abschaffung fordern . Insofern haben Sie, was Ihren Stil Diese Gespräche sind unfassbar komplex; das weiß angeht, etwas gelernt . ich als ehemaliger Bürgermeister . Dazu kann sicherlich auch mein Kollege, der hier heute aus Memmelsdorf Juristen würden es ein Dauerschuldverhältnis nennen . anwesend ist, einiges aus seinem Erfahrungsschatz be- Im kirchenrechtlichen Fachjargon werden diese Staats- 16284 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Markus Koob (A) leistungen Dotationen genannt . Unabhängig davon, ob richtig . Die konkrete Ausgestaltung der Staatsleistung ist (C) Jurist oder Kirchenvertreter: Jeder kann der Verfassung in den einzelnen Bundesländern höchst unterschiedlich unmissverständlich den Auftrag entnehmen, dass die und schwer vergleichbar . So haben wir zum Beispiel in Staatsleistungen abzulösen sind . Darin sind wir uns ei- den ostdeutschen Bundesländern die Situation, dass die nig . Das heißt im Klartext: Weg von der dauerhaften, dortigen Kirchen aufgrund der deutschen Teilung jahr- hin zu einer einmaligen abschließenden und vor allem zehntelang von ihren Rechtstiteln gar keinen Gebrauch angemessenen Zahlung . Das Ziel der Ablösung ist also machen konnten . Deshalb sollte man nicht einen akuten legitim, aber spannend ist die Frage des Wie . Ich verrate gesetzlichen Handlungsbedarf beim Bund herbeireden, Ihnen kein Geheimnis – Frau Kollegin Horb hat es auch sondern vielmehr die Bundesländer konstruktiv unter- schon gesagt –, wenn ich Ihnen sage, dass wir den Ansatz stützen, individuelle Lösungen zu finden. der Linksfraktion für falsch halten . (Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Gerhard (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Dann Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber machen Sie einen eigenen! Wenigstens das!) das ist ein Verfassungsauftrag!) – Dazu komme ich gleich noch . Mein Heimatland Hessen hat das übrigens – Stichwort (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da bin Ablösung von Kirchenbaulasten – vorbildlich gemacht . ich gespannt!) Im Jahr 2003 kam es unter der CDU-geführten Landesre- gierung mit dem damaligen Ministerpräsidenten Roland Staatsleistungen abzulösen, entspringt, wie gesagt, Koch zu einer bundesweit beachteten Rahmenvereinba- grundsätzlich einer allgemein akzeptierten Logik . rung zwischen Staat und Kirchen sowie Städten und Ge- Rechtsverhältnisse und Finanzbeziehungen von Staat meinden. Konkret ging es dabei um die konfliktträchtige und Kirchen sind in beiderseitigem Interesse zu entflech- Frage, in welcher Höhe sich das Land Hessen an Bau und ten . Das ist breiter Konsens . Konsens ist aber auch, dass Unterhalt kirchlicher Gebäude beteiligen muss . Das war das nur dann erfolgreich sein kann, wenn wir es in ei- kein kleines Problem; denn hier ging es immerhin um nem partnerschaftlichen Miteinander in Angriff nehmen . 1 200 kirchlich genutzte Gebäude . Die hessische Lan- Vor allem zwischen den Gläubigern und den Schuld- desregierung hat nicht nur das Problem identifiziert, son- nern muss es ein partnerschaftliches Miteinander bei der dern auch einen Lösungsprozess initiiert . Die Ablösung Ablösung von Staatsleistungen geben . Und hier ist die der kommunalen Kirchenbaulasten in Hessen ist seitdem Sachlage eindeutig . Schuldner sind die 14 Bundesländer, eine vielzitierte politische Best Practice . Gläubiger die Kirchen . Ich bin mir sicher, dass die hessische Staatskanzlei Wie beenden nun Gläubiger und Schuldner dieses gerne auch Anrufe aus Thüringen entgegennimmt, um (B) Zahlungsverhältnis? Wie können also die Staatsleistun- darzustellen, wie im Bereich der Ablösung von Staats- (D) gen abgelöst werden? leistungen ein zielführender Lösungsprozess eingeleitet (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Rein werden kann . grundsätzlich!) (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das löst Darauf eine Antwort zu geben, ist schwer . Mit Sicherheit den Verfassungsauftrag nicht!) kann gesagt werden: Eine ersatzlose Aufkündigung sei- In der Bundespolitik bestärkt uns das Beispiel Hessen tens des Staates – also ein Zahlungsstopp ohne Kompen- jedenfalls . Wir müssen den Ländern hier die Flexibilität sation – ist weder im Sinne der Verfassung, noch kann lassen, individuelle Lösungen im Zusammenwirken mit dies angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung der den Kirchen zu finden. Das ist gutes föderales Miteinan- Kirchen von irgendjemandem gewollt sein . der, das ist ein partnerschaftliches Miteinander von Staat (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das for- und Kirche . Und dazu bekennt sich unsere Fraktion in dert auch keiner!) aller Form . In der Theorie geht ja immer alles . In der Theorie (Beifall bei der CDU/CSU) könnten wir natürlich, wie von den Linken gewollt, eine Wir sollten daher zunächst auf freiwillige, in Einzelfra- Kommission einsetzen, die uns den Preis für die Ablö- gen angemessene Lösungen zwischen den Beteiligten sung bestimmt . setzen . Der erste Schritt dazu ist, heute Ihren Antrag ab- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja!) zulehnen . Politik findet aber nicht im theoretischen bzw. im luftlee- (Lachen bei der LINKEN – Zuruf von der ren Raum statt, sondern sie ist praktisch wie jede Bürge- LINKEN: Das ist eine Logik!) rin und jeder Bürger an Rahmenbedingungen gebunden . Lassen Sie mich die Debatte bewusst im Geist christ- Selbst wenn wir unterstellen – ich verweise hier gerne licher Friedfertigkeit beenden . Denn am Ende einer sol- wieder auf die Kollegin Horb –, dass der kleinste Ablö- chen Debatte müssen wir den Kirchen vor allem auch sefaktor 18,6 angewendet werden würde, hätte das eine angesichts ihres Beitrags in der gegenwärtigen Situa- gewichtige Konsequenz . Wir würden dann über 9,5 Mil- tion Dank und Anerkennung zollen . Hunderttausende liarden Euro reden, die den Bundesländern entzogen wer- Hauptamtliche und Ehrenamtliche in beiden Kirchen den müssten . sorgen tagtäglich dafür, dass gesellschaftliches Leben in Der zentrale Ansatz, eine Kommission beim Bundes- Deutschland funktioniert. In den Bereichen Pflege, Seel- finanzministerium einzurichten, ist in der Sache nicht sorge, Betreuung, Bildung und Denkmalpflege sowie Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16285

Markus Koob (A) durch unzählige weitere Tätigkeiten tun Kirchen dies kirchenhistorisch aufzuarbeiten, wäre sehr kritisch; aber (C) jeden Tag . Damit decken sie viele Bereiche ab, die für das ist heute nicht Thema . Staat und Gesellschaft von essenzieller Bedeutung sind . (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und (Beifall bei der CDU/CSU) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr .Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der Staat kann im 21 . Jahrhundert nicht alle Aufgaben NEN]: Ein typischer Binding!) vollumfänglich übernehmen . Er ist auf Ehrenamt und Engagement angewiesen . Die Kirchen in Deutschland Insofern ist es ganz gut, wenn wir uns den rechtsförmli- leisten auf diesem Gebiet enorme Arbeit und dienen in chen Dingen widmen . hervorragender Weise dem Gemeinwohl . Daher sind uns Man muss sagen: Der bayerische Landesbischof hat die gesellschaftliche Bedeutung und das Wirken der Kir- sein Befremden darüber zum Ausdruck gebracht, dass chen besonders wertvoll . sein Gehalt aus dem Landeshaushalt bezahlt wird . Es ist In der Tat sind 510 Millionen Euro für die Kirchen also auch in Kirchenkreisen nicht immer ganz klar, wie sehr viel Geld . Wenn wir das an ihren gesellschaftlichen diese Verbindung aussieht . Leistungen messen, wäre die Gesellschaft ohne die staat- Dieter Wiefelspütz hat am 27 .Juni 2013 gesagt – ich lichen Leistungen der 14 Länder an die Kirchen aber will es zitieren –: nicht reicher, sondern wesentlich ärmer . Das sollte es uns wert sein . Nach Art . 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art . 138 der Weimarer Reichsverfassung ist der Vielen Dank . Bund verpflichtet, ein Grundsätzegesetz über die Ablösung der Staatsleistungen an Religionsgesell- (Beifall bei der CDU/CSU) schaften zu erlassen . (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja, da hat Vizepräsidentin Petra Pau: er recht! Richtig!) Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion . Eigentlich ist alles klar . (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- (Beifall bei der SPD) KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): (B) Deshalb muss man gar nicht weiter darüber nachdenken . (D) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rechtslage ist klar . Sehr geehrte Damen und Herren! Margaret Horb, mich hat die Schärfe in der Debatte ein kleines bisschen über- Was die Dimension angeht, zitiere ich eine Frau, die rascht . Ich weiß nicht genau, was dahintersteckt; denn es genau weiß, nämlich . Sie hat 2013 hier eines ist klar: Die soziale Arbeit der Kirchen und Religi- gesagt, dass der Betrag, um den es geht, 2 Prozent des onsgemeinschaften wird von allen im Haus geschätzt . Es Etats für die kirchliche Arbeit ausmacht . Es ist also auch gibt niemanden, der daran kratzt . aus Sicht der Kirche kein Betrag, der finanzpolitisch von der Bedeutung ist, mit der wir ihn heute betrachten . Also, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge- die Rechtslage ist klar, die finanzpolitische Frage ist ge- ordneten der SPD und der Abg . klärt . Es ist also sinnvoll, das Thema zu behandeln . [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ein bisschen peinlich ist es, dass es so lange gedau- Das Engagement für Flüchtlinge, für Asylbewerber wird ert hat . Da will ich vielleicht den Linken den Vorwurf geschätzt . Es gibt niemanden, der das bestreitet . machen: Der Antrag hätte schon etwa in den 20er-Jahren gestellt werden müssen . (Margaret Horb [CDU/CSU]: Das habe ich nicht bestritten!) (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeord- Die Arbeit in der Entwicklungshilfe, der Entwicklungs- neten der SPD) politik und für das Gemeinwesen wird geschätzt . Das wird nicht bestritten . Da muss man sich nicht verkämp- Das muss ich sagen . Das sind halt Versäumnisse . Aber fen, man muss auch über solche Dinge reden . Euer erster Gesetzentwurf zur Ablösung der Staats- (Margaret Horb [CDU/CSU]: Habe ich leistungen kam im Jahr 2012 . Diesmal soll evaluiert wer- nicht!) den. Das finden die meisten hier gut. Ich persönlich finde es darf auch nicht subkutan mitschwingen, so als ob es es sehr gut . Ich würde dem Antrag auch zustimmen . Aber da Probleme gäbe . jeder im Haus weiß, dass in Regierungskoalitionen nur passiert, was beide verabreden . Da gehen wir fair mitei- Es gibt durchaus Bürger, die eine ganz andere Frage nander um . Es bestand keine Chance, dass wir das in der stellen . Mich hat einer angerufen und gefragt, ob ich heu- Koalition so miteinander verabreden . Das hat auch die te thematisieren würde, wie denn eigentlich die Reichtü- Rede von Frau Horb gezeigt . Insofern ist klar, wie wir mer der Kirche bis 1803 entstanden sind . Diese Sache uns hier verhalten . 16286 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Lothar Binding (Heidelberg) (A) Es ist eine komplizierte Sache, überhaupt zu berech- schaften . Ich sage: Recht haben sie! Das ist eigentlich (C) nen, wie hoch ein solcher Ablösebetrag sein müsste . Das das Mindeste . ist sicherlich eine Frage, für deren Klärung man eine Kommission und wissenschaftliche Beratung braucht . (Beifall bei der LINKEN) Ganz besonders braucht man dabei eine Beteiligung In den Tarifverhandlungen haben die Arbeitgeber, un- aller, die davon betroffen sind . Wenn man fair mit dem ter anderem Innenminister de Maizière, eine Erhöhung Thema umgeht, dann findet man auch eine Lösung. Denn von gerade einmal 0,6 Prozent angeboten . Rechnerisch man muss sagen – ob wir nun in einem säkularen oder ergibt sich das aus den drei Nullmonaten und dem 1 Pro- einem laizistischen Staat leben –: Auch die Kirche hat ein zent, das es erst ab 1 . Juni geben soll . Das ist eigentlich Interesse daran, solche Reibungspunkte zu beseitigen . gar kein Angebot, das ist eine Zumutung . Nein, das ist Denn das ist ja doch eine Sache, über die immer wieder im Grunde genommen eine Unverschämtheit . Es ist eine diskutiert wird . Wenn über 100 Jahre darüber diskutiert Provokation, mit einem solchen Angebot aufzuwarten . wird, dann könnten beide Seiten ein Interesse haben, das Problem zu lösen . Wir haben gesehen: Hamburg und (Beifall bei der LINKEN) Bremen haben Antworten gefunden . Solche Antworten Im Jahr 2017 sollen die Beschäftigten dann noch ein- könnten auch andere Länder finden. mal 2 Prozent mehr erhalten, jedoch auch erst Mitte des Wir werden heute zwar nicht diesem Antrag folgen, Jahres, zum 1 .Juni . Damit reduziert sich die Erhöhung aber das Signal ist klar: Wir glauben, dass insgesamt eine auf das Jahr umgerechnet auf gerade einmal 1,2 Prozent . Lösung gefunden werden muss . Vielleicht bekommen Auch das ist wirklich skandalös . wir in der Großen Koalition, möglicherweise schon in (Beifall bei der LINKEN) der nächsten Zeit, einen Lösungsvorschlag in diese Rich- tung hin . Dann wollen die Arbeitgeber auch noch, dass die Eigen- beiträge der Beschäftigten zur betrieblichen Zusatzver- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sorgung in Stufen um bis zu 0,4 Prozent erhöht werden . Die Hoffnung stirbt zuletzt!) Ich finde es eigentlich pervers, eine Minierhöhung anzu- bieten und gleichzeitig höhere Belastungen der Beschäf- Man kann sich ja sehr sanftmütig annähern, in diesem tigten zu fordern . Sinne: Wir finden eine Kommission, die noch mal darü- ber nachdenkt, ob sie darüber nachdenkt . Verdi hat recht, wenn erklärt wird: Hände weg von unserer betrieblichen Altersversorgung, gerade in der (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) heutigen Zeit, (B) Schönen Dank, alles Gute . (Beifall bei der LINKEN – Matthias W . (D) (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Katja Birkwald [DIE LINKE]: Unbedingt!) Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) in der sogar von der CSU die Perspektiven der Rente problematisiert werden. Wenn ich Krankenpfleger oder Vizepräsidentin Petra Pau: Erzieher wäre oder wenn ich bei der Müllabfuhr arbei- ten würde, wüsste ich ganz genau, was ich zu tun hätte: Ich schließe die Aussprache . Streiken! Das ist aus meiner Sicht die einzige Antwort, Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf die jetzt angezeigt ist. Ich finde es sehr begrüßenswert, Drucksache 18/4842 an die in der Tagesordnung aufge- dass Verdi jetzt zu Warnstreiks aufruft . führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- (Beifall bei der LINKEN) verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Die Vorstellungen der Arbeitgeber laufen letztendlich auf Reallohnverluste hinaus . Man kann nur staunen: So Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: wenig wert ist ihnen die Arbeit der Beschäftigten im öf- Aktuelle Stunde fentlichen Dienst. Das finde ich wirklich zynisch. auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei der LINKEN) Die Schieflage zwischen den Reallöhnen, die faktisch Aktuelle Tarifrunde im Bund und in den seit 2000 stagnieren, und den Gewinnen, die seit 2000 Kommunen – Den öffentlichen Dienst gerecht preisbereinigt um mehr als 30 Prozent gestiegen sind, entlohnen wird immer größer . Seit dem Jahr 2000 wurde im öf- Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege fentlichen Dienst der verteilungsneutrale Spielraum, der Michael Schlecht für die Fraktion Die Linke . die gesamtwirtschaftliche Produktivität und die Inflation umfasst, nicht ausgeschöpft . Der Rückstand, der sich in (Beifall bei der LINKEN) den letzten 15 Jahren ergeben hat, liegt mittlerweile bei 6 Prozent . Von daher ist vollkommen klar: Eine 6-pro- Michael Schlecht (DIE LINKE): zentige Erhöhung, wie sie jetzt von Verdi gefordert wird, ist genau richtig und würde endlich diese skandalöse Lü- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen cke schließen . und Herren! Um 6 Prozent sollen die Einkommen im öf- fentlichen Dienst steigen, so die Forderung der Gewerk- (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16287

Michael Schlecht (A) Deshalb fordere ich die Bundesregierung und den Innen- Das der Linken zu sagen, ist völlig zwecklos; denn sie (C) minister auf treiben das jedes Jahr . Ich richte mich an die Zuhörer – die Kollegen hier wissen das –: Das steht in Artikel 9 Ab- (Dr .Thomas de Maizière [CDU/CSU]: Hier!) satz 3 Grundgesetz . – es ist irritierend, dass Sie bei Ihrer Fraktion sitzen –, auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Forderung der Gewerkschaften einzugehen und sie zu erfüllen . Das wäre das Mindeste . Dann gibt es auch keine Das, was die Linke hier beantragt und Herr Schlecht Warnstreiks mehr . übelst vorgetragen hat, ist genau das, was wir nicht tun sollen . (Beifall bei der LINKEN) (Zurufe von der LINKEN) Auch im Vergleich mit der Industrie ist der öffentliche Dienst abgehängt . Die Lücke beträgt rund 10 Prozent- Frei von staatlicher Einflussnahme heißt nicht, über Tarif- punkte . Ist denn die Dienstleistungsarbeit an Menschen, verhandlungen im Deutschen Bundestag zu debattieren, die Pflegearbeit uns so viel weniger wert als das Zusam- sich einzumischen oder gar zu versuchen, zu beeinflus- menschrauben von Autos? Ich finde, da läuft etwas voll- sen . Herr Schlecht, Sie versuchen, zum Streik aufzuru- kommen schief in dieser Gesellschaft . fen . Sie nennen es eine Unverschämtheit und skandalös, (Beifall bei der LINKEN) was dort verhandelt wird . Steigende Löhne im öffentlichen Dienst sind ein wich- (Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE tiger Beitrag zur Stärkung des privaten Konsums und LINKE]) damit der Binnennachfrage, und sie sind auch wichtig, Alles, was an dieser Debatte skandalös und unverschämt um die Deflation zu bekämpfen. Herr de Maizière, die ist, ist, dass sie auf Ihren Antrag hin stattfindet. Das ist gleichen Politiker, die die EZB wegen der Nullzinspolitik das Problem . schelten, sind jetzt dabei, eine Lohnerhöhung anzubieten, die absolut deflationär wirkt. Wenn Sie so weitermachen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – dann hat die EZB nie eine Chance, aus ihrer Politik, die Dr . [DIE LINKE]: Sie müs- auch ich kritisch beurteile, herauszukommen . Es ist voll- sen hier nicht reden, Herr Kollege!) kommen abstrus, was Sie da hingelegt haben . Woher kommt das? Warum kapiert das die Linke seit (Beifall bei der LINKEN) Jahren nicht? Die Forderungen von Verdi kosten Bund und Kommu- (B) (Zuruf von der CDU/CSU: Weil es Sozialis- (D) nen etwa 6 Milliarden Euro . Angesichts eines Haushalts- ten sind!) überschusses von 30 Milliarden Euro kann doch wirklich niemand behaupten, es sei kein Geld da . Um den Arbeit- Eine staatszentrierte sozialistische Denkweise legt gerne gebern beim Nachdenken zu helfen, kann ich jedenfalls Löhne fest . den Beschäftigten nur empfehlen: Beteiligt euch massen- (Dr .Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Leier! haft an den Warnstreiks, zu denen jetzt von den Gewerk- Leier! Leier! Das ist ja ein ganz neues Argu- schaften, von Verdi, aufgerufen wird! ment!) Danke schön . Kämen wir Ihnen da entgegen, wären demnächst die (Beifall bei der LINKEN) Brotpreise oder vielleicht die Milchpreise betroffen, ich weiß es nicht . Vizepräsidentin Petra Pau: (Zurufe von der LINKEN) Das Wort hat der Kollege Armin Schuster für die CDU/CSU-Fraktion . Aber das ist nicht das Modell . Ich glaube, mit allen an- deren Parteien hier im Deutschen Bundestag, mit uns, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ist das nicht zu machen, und ich sage Ihnen noch etwas: ordneten der SPD) Beide Verhandlungsführer, sowohl Herr Bsirske als auch Herr de Maizière, brauchen ausweislich der Ergebnisse der letzten Jahre garantiert keine Empfehlungen aus die- Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): sem Haus . Die sind selbst gescheit, die sind selbst gut . Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Das sieht man auch an den Ergebnissen, die wir hier Jahr Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 66 Jahre alt für Jahr vorlegen . Auf diese komme ich gleich noch . ist das Erfolgsmodell Tarifautonomie .– Ich fange jetzt nicht an, zu singen: 66 Jahre … Sie wissen, was dann Wenn wir überhaupt über etwas sprechen sollten, dann kommt . – Es ist ein spezielles Recht der Verbände des über das Danach; das sage ich jetzt bewusst in Richtung Arbeitsmarktes, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingun- des Innenministers . Egal, was herauskommt – und ich gen durch Tarifverträge völlig frei von staatlicher Ein- bin ziemlich sicher, dass etwas Gutes rauskommt –, hätte flussnahme aushandeln zu können. ich doch schon gerne die inhaltsgleiche Übertragung: (Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: So ist (Dr .Thomas de Maizière [CDU/CSU]: Wenn das!) es nicht zu teuer wird!) 16288 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Armin Schuster (Weil am Rhein) (A) für die Beamten, für die Versorgungsempfänger, für die Sie vielleicht einmal Rechtsunterricht; Verfassungsrecht (C) Soldaten und für die Richter . oder so etwas wäre gut . (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe ( [SPD]: Das ist sehr kom- von der LINKEN) plex!) Ich sage das natürlich nicht zu Ihnen, aber draußen würde Meine Damen und Herren, in der Debatte geht es um ich es so formulieren: die Frage: Wie viel wert ist uns der öffentliche Dienst? Die Zehnjahresbilanz der Union in diesem Haus: Wir (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU haben die Tarifergebnisse inhaltsgleich auf Beamten, und der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: So Soldaten und Richter übertragen, und zwar permanent . hat es Böhmermann auch gemacht!) 2012 und 2014 waren es über 10 Prozent . Wegen der Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Klappe halten! Flüchtlingslage ist ein Besoldungsänderungsgesetz in Kraft, mit dem wir denen helfen, die mithelfen wollen, (Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ha, ha, zum Beispiel durch Spesenabrechnungen oder Anrei- ha!) ze für Pensionäre . Wir haben das Altersgeldgesetz und Danke schön . das Familienpflegezeitgesetz eingeführt, wir haben die Professorenbesoldung neu geordnet und ein Fachkräfte- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr .Kirsten gewinnungsgesetz verabschiedet, durch das Eingangsbe- Tackmann [DIE LINKE]: Das war jetzt sehr soldungen nicht, wie in bestimmten Ländern, abgesenkt, qualifiziert, Herr Kollege!) sondern heraufgesetzt werden, bei IT-Fachleuten und bei Ingenieuren auf A 10 bzw . A 11, usw . Das ist eine Liste Vizepräsidentin Petra Pau: des Vertrauens . Das Wort hat der Kollege Markus Kurth für die Frak- Jetzt komme ich zu den Vergleichen . Der DGB stellt tion Bündnis 90/Die Grünen . seit der Föderalismusreform ein Gehaltsgefälle von bis zu 18,5 Prozent zwischen den Bundesländern fest . Der Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bund bewegt sich im obersten Drittel, beinahe an der Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Spitze . Dort oben sind noch Länder wie zum Beispiel Herr Schlecht, auch ich muss sagen: Streckenweise hatte Bayern zu finden. Da die Linke diese Aktuelle Stunde ich bei Ihrer Rede das Gefühl, mich verirrt zu haben, als beantragt hat, habe ich mich gefragt: Was ist eigentlich sei ich nicht im Plenum des Deutschen Bundestages, son- mit Brandenburg? Ich muss mir ja das Land raussuchen, dern bei irgendeiner Veranstaltung von Verdi . in dem Sie am meisten zu sagen haben . (B) (Beifall der Abg . [DIE LINKE] – (D) (Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Thü- Zuruf von der LINKEN: Warum?) ringen!) Man muss schon überlegen, was man von hier aus sagt . Nach der Vertrauensliste kommt jetzt die Trauerliste . Ich kann Ihnen das spiegeln und eine andere Position Was ist denn mit Brandenburg? Wo steht ihr denn? Der aufzeigen . Ich bin ja schon ein bisschen länger dabei und Gymnasiallehrer, der in Bayern 60 000 Euro verdient, kann mich an Aktuelle Stunden erinnern, die die FDP im verdient bei euch nicht einmal 55 000 Euro . Der Poli- Bundestag beantragt hat, beispielsweise bei Streiks der zeihauptmeister, der in Bayern 40 000 Euro verdient, IG Metall . In dem Fall hat die FDP auf die Gewerkschaf- verdient bei euch nicht einmal 36 000 Euro . Kehrt doch ten draufgeschlagen . Sie ist dabei mit einer ähnlich gro- mal vor eurer eigenen Haustür und macht eure Hausauf- ben, teils platten Rhetorik gegen Arbeitszeitverkürzungen gaben, bevor ihr hier komische Dinge vorschlagt . vorgegangen, wie Sie jetzt umgekehrt auch . Damals habe ich mich genauso gegen Eingriffe in die Tarifautonomie (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der vonseiten der Arbeitgeber, indirekt vertreten durch die LINKEN) FDP, gewehrt. Jetzt finde ich vor allen Dingen die Form, wie Sie hier Ihre Kritik äußern, zumindest fragwürdig . Es gab keine inhaltsgleiche Übernahme der Ergebnisse der Tarifverhandlungen in Brandenburg 2014 und 2015 . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Na wunderbar, herzlichen Glückwunsch! Und Sie stellen und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hier tolle Anträge . neten der SPD – Dr .Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Der öffentliche Dienst ist ein biss- (Beifall des Abg . Albert Weiler [CDU/CSU]) chen was anderes!) Meine Damen und Herren, vor allen Dingen den Be- – Ich höre den Zwischenruf, dass der öffentliche Dienst amten und den Tarifbeschäftigten dort draußen sage ich: ein bisschen was anderes ist . Wir reden hier in erster Linie Entscheiden Sie sich nicht aufgrund einer solch sinnlo- über Tarifautonomie . Da es um den öffentlichen Dienst sen Debatte, die die Linken hier initiiert haben . Entschei- geht, gibt es jenseits der aktuellen Tarifverhandlungen den Sie sich, wem Sie vertrauen und wem Sie misstrau- natürlich einiges dazu zu sagen . Zum Beispiel kann man en . – An die Linke gerichtet, sage ich – Herr Schlecht, sehr wohl etwas zur Finanzausstattung der Kommunen ich wollte das eigentlich nicht machen; aber ich mache anmerken . Diesbezüglich stelle ich mit Blick auf mein es jetzt doch, weil Sie das Wort „pervers“ benutzt ha- Land Nordrhein-Westfalen fest, dass 40 Prozent der ben –: Prüfen Sie einmal Ihr Staatsverständnis . Nehmen Kommunen ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16289

Markus Kurth (A) mussten und die Große Koalition ihre Versprechen, die nung ist . In der Nachbarstadt meines Wahlbezirkes, in (C) Kommunen finanziell zu entlasten, nicht wahrgemacht Essen, gehen in den nächsten 15 Jahren 40 Prozent in hat . der öffentlichen Verwaltung in den Ruhestand . Die ha- ben schon jetzt ein richtig großes Nachwuchsproblem . (Dagmar Ziegler [SPD]: Aber das stimmt Systemadministratoren und gute Verwaltungsjuristen be- doch gar nicht!) kommen Sie nicht für ein Butterbrot . Sie verdienen in der Das ist ein Grund, warum Kämmerer berechtigte Ta- freien Wirtschaft teilweise sogar ein Mehrfaches . rifforderungen nur noch mit Bauchschmerzen oder gar (Beifall der Abg . Jutta Krellmann [DIE LIN- nicht mehr erfüllen können . Das ist ein eminent politi- KE]) scher Punkt, und der gehört in den Deutschen Bundestag . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Neben der Arbeitsplatzsicherheit ist eine vernünftige Al- sowie bei Abgeordneten der LINKEN – tersversorgung für diese Fachkräfte eben auch ein Argu- Dagmar Ziegler [SPD]: Aber es stimmt doch ment, für den öffentlichen Dienst zu arbeiten . Wir alle, so nicht!) auch wir hier als Gesetzgeber, sind darauf angewiesen, dass wir einen guten und funktionierenden öffentlichen Die Große Koalition hat beispielsweise bei der Ein- Dienst haben . Wer sonst sollte unsere Gesetze umsetzen? gliederungshilfe im Zuge des Bundesteilhabegesetzes ein 5-Milliarden-Paket versprochen, was eine Entlastung für Ich bin allerdings guter Hoffnung, dass die Sozialpart- die Kommunen bedeutet hätte . Dieses Paket hat sich in ner, dass Verdi das eigenständig hinbekommt, ohne dass den verschiedenen Verhandlungssträngen der Bund-Län- wir hier Geleitzugdebatten dieser Art führen müssen, wie der-Finanzverhandlungen verflüchtigt. Das ist das Pro- Sie sie, Herr Schlecht, eröffnet haben . Wir sollten uns auf blem, über das wir hier reden müssen; denn eine vernünf- die politischen Sachen konzentrieren . tige Finanzausstattung der Länder und nicht zuletzt der Vielen Dank . Kommunen ist die Grundlage dafür, dass die Arbeitgeber bei Tarifverhandlungen auf berechtigte Forderungen der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingehen können . sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Wenn wir schon über Tarifautonomie sprechen, so Das Wort hat der Kollege Mahmut Özdemir für die muss ich doch daran erinnern, dass es die Große Koa- SPD-Fraktion . lition war, die mit dem Tarifeinheitsgesetz ihrerseits die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, auch in Tarif- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) autonomie einzugreifen . Das, denke ich, sollte man im der CDU/CSU) (D) Hinterkopf behalten, wenn noch weitere Rednerinnen und Redner der Koalition die Linke zeihen, die Tarifau- Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): tonomie zu beschädigen . Da sind Sie selbst nicht ganz Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und unschuldig und unbeteiligt . Kollegen! Einige wollen offenbar eine Tradition daraus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN machen, dass wir im Deutschen Bundestag die Tarifver- und bei der LINKEN) handlungen im öffentlichen Dienst begleitend debattie- ren, und dies, obwohl das Parlament bei den Verhandlun- Als rentenpolitischer Sprecher der Fraktion Bünd- gen über die Lohnsteigerungen nach wie vor nicht mit nis 90/Die Grünen muss ich jetzt doch noch auf einen am Tisch sitzt . Deshalb bleibt die Frage nach der rationa- inhaltlichen Punkt der Tarifverhandlungen eingehen, len Berechtigung dieser Debatte weiterhin unbeantwor- nämlich die Altersversorgung . Das ist ja einer der zen- tet, unbeantwortet, tralen Streitpunkte: die Zusatzversorgung des öffentli- chen Dienstes . Was macht diese Bundesregierung? Sie (Dr .Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wir versucht – zumindest verbal, ein Gesetz hat sie ja noch kontrollieren schon noch die Regierung!) nicht eingebracht –, die Betriebsrente zu stärken; das be- obschon Recht und Gesetz eine klare Antwort darauf hauptet sie zumindest . Sie möchte, nachdem sie einge- geben . Artikel 9 Grundgesetz weist die Auseinanderset- sehen hat, dass die Riester-Rente ihre hoch gesteckten zung über Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ganz Erwartungen nicht erfüllt, die zweite Säule stärken . Es klar Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften zu . kann ja wohl nicht sein, dass Sie hier auf der einen Sei- Jede politische Einflussnahme und Meinungsäußerung te bundespolitisch etwas aufzubauen versuchen und das zu Forderungen der Arbeitgeber- oder der Arbeitnehmer- dann während der Tarifverhandlungen mit dem Hintern seite ist damit unzulässig . Die Neutralität der Politik wird wieder einreißen, indem Sie die Zusatzversorgung im öf- im besonderen Fall des öffentlichen Dienstes auch nicht fentlichen Dienst schwächen . Das kann nicht funktionie- durch den Status des Bundesministeriums des Innern als ren . Das ist hochgradig widersprüchlich . Verhandlungspartei durchbrochen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir halten fest: Das Anliegen der Mitarbeiterinnen und bei der LINKEN) und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst nach einer Lohn- Mit Blick darauf muss man schon sagen, dass gerade erhöhung ist berechtigt . Die konkrete Höhe wiederum ist die Zusatzversorgung im Alter beim öffentlichen Dienst Sache der Verhandlungsparteien . Diese Haltung ist im auch ein wesentliches Element der Nachwuchsgewin- Übrigen weder mit dem höflichen Entledigen von Ver- 16290 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Mahmut Özdemir (Duisburg) (A) antwortung noch mit Desinteresse gleichzusetzen . Hal- 3 000 Stellen auch in anderen Bereichen konsequent als (C) tung zugunsten des öffentlichen Dienstes zeigen wir als Beispiel nehmen . Wie wichtig haushalterischer Spiel- Sozialdemokraten durch die Wahrnehmung parlamenta- raum ist, um eine entsprechende Personalausstattung rischer Pflichten und hier zuvörderst durch verantwor- zu erhalten und aufzubauen, zeigen unsere Kommunen, tungsvolle Haushaltsgesetzgebung . Der Abschluss der seitdem in dieser Wahlperiode auf maßgebliche Initiative Tarifvertragsparteien muss schließlich auch im Bundes- der SPD immense Anstrengungen unternommen worden haushalt abgebildet werden . Niemals haben der Bund sind, Städte und Gemeinden von Kosten zu entlasten . oder die Kommunen die Beschäftigten hier im Stich ge- (Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD]) lassen . Da komme ich zum Bundesteilhabegesetz . Wenn Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten von einer geplanten Entlastung in Höhe von 5 Milliar- der CDU/CSU) den Euro sprechen, dann dürfen Sie nicht unter den Tisch Die derzeitigen Forderungen von 6 Prozent Lohner- kehren, dass bis dahin durch eine Finanzierung in den höhung und einer Anhebung der Ausbildungsvergütung Haushalten 2015, 2016 und 2017 eine Brücke gebaut um 100 Euro bedeuten für die Haushalte von Bund und worden ist . Kommunen erhebliche Mehrausgaben, die wir zu be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Markus rücksichtigen haben . Für den Bund würden die Mehraus- Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wie gaben 1,7 Milliarden Euro und für die Kommunen etwa viel denn?) 5,6 Milliarden Euro betragen . Daher sollten wir beson- nen auf das Verhandlungsergebnis der dazu Berufenen – Lesen Sie es im Haushalt nach; Sie haben mit am Tisch warten, statt hektisch und planlos Aktuelle Stunden ein- gesessen . zuberufen . Unser öffentlicher Dienst ist im Kontext des Flücht- Der öffentliche Dienst braucht eine verlässliche Stel- lingszuzuges besonders in Vorleistung gegangen . Vom lenausstattung, die sich in den Haushalten widerspiegelt . Bund bis in die Kommunen haben die Beschäftigten Auf diese Weise zeigt man als Abgeordneter verbindli- Überstunden angehäuft und das Bild von Bürokraten in che Solidarität mit den Staatsbediensteten . Übrigens: verstaubten Amtsstuben vollends aus den Köpfen ver- Nach drei Verhandlungsterminen sind die üblichen Ri- drängt . Aber die Anhäufung von Überstunden ist gleich- tuale zwischen den Tarifvertragsparteien hinreichend sam ein Zeichen für eine mangelhafte Stellenausstattung . zelebriert . Die Feuerwehrleute, die Beschäftigten bei der Hier müssen wir ganz dringend nachsteuern . Müllabfuhr, die Erzieherinnen und Erzieher in den Klini- (Beifall bei der SPD) ken und in der Pflege warten jetzt auf einen vernünftigen (B) Verhandlungsabschluss . Im Interesse aller Betroffenen Die angemessene Würdigung des öffentlichen Diens- (D) hoffe ich persönlich daher auf einen reibungslosen, ge- tes basiert nun auf einer kompromissfreudigen Koope- rechten und für beide Seiten guten Gewissens vertretba- ration zwischen dem Bundesministerium des Innern und ren Abschluss . den Kommunen auf der einen Seite und den Beschäftig- tenvertretern auf der anderen Seite . Diese Kooperation Obwohl wir als Parlament nicht am Verhandlungstisch ist der Garant für einen soliden Abschluss . Ich wünsche sitzen, sollten wir die heutige Debatte, da sie nun einmal den Verhandlungsparteien in der nächsten Verhandlungs- einberufen ist, als Anstoß dazu nutzen, auf Verbesserun- runde gute Gespräche und einen würdigen Abschluss im gen der gesetzgeberischen Rahmenbedingungen hinzuar- Sinne unseres Gemeinwesens . beiten; denn der öffentliche Dienst muss auch weiterhin gefragt und begehrt sein . Hierzu zählen in der aktuellen Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und ein herzli- Entwicklung für mich zwei Punkte . ches Glückauf . Der Ausschluss von sachgrundlosen Befristungen ge- (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Armin hört ins Gesetz . Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]) (Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD] und Jutta Krellmann [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Oswin Eine Belastung der Tarifvertragsparteien mit diesen Auf- Veith das Wort . gaben dürfen wir nicht zulassen . Hier müssen wir als Gesetzgeber eine ganz klare Entscheidung treffen . Ins- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . besondere jungen Beschäftigten in öffentlichen Beschäf- Bernd Rützel [SPD]) tigungsverhältnissen müssen wir Sicherheit geben, wenn wir von ihnen erwarten, dass sie in diese Gesellschaft in- Oswin Veith (CDU/CSU): vestieren, vom Ehrenamt bis in die Rentenkassen . Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei der SPD) Herren! Ich hoffe, die Linke wird verstehen, dass ich es im Namen meiner Fraktion nicht gutheißen kann, dass Die Wertschätzung des öffentlichen Dienstes drückt wir uns mit der von Ihnen aufgesetzten Aktuellen Stun- sich letztlich nicht nur in Lohnsteigerungen aus . Viel- de wieder einmal in laufende Tarifverhandlungen im öf- mehr muss das Parlament mit dem Haushalt auch die fentlichen Dienst einmischen . Sie machen das eigentlich konkrete personelle Ausstattung gewährleisten . Deshalb immer so . Vor zwei Jahren standen wir das letzte Mal müssen wir die Aufstockung bei der Bundespolizei um hier, fast zur selben Zeit . Es ist bei Ihnen ein bisschen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16291

Oswin Veith (A) so wie bei Dinner for One – nur dass noch nicht Silves- wehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz“ . Wir haben unse- (C) ter ist –: the same procedure as every year . Letztes Mal ren Zeit- und Berufssoldaten Wertschätzung ausgespro- hieß Ihr Begehren: Höhere Löhne für die Beschäftigten chen und mit den vielen Änderungen eine Angleichung des öffentlichen Dienstes . Ein anderes Mal hieß es: Der der Rechtslage der Soldaten an Standards erreicht, die für öffentliche Dienst ist mehr wert . Heute heißt es: Den öf- andere Bundesbeamtinnen und -beamte längst galten . fentlichen Dienst gerecht entlohnen . Im gleichen Jahr konnten wir unsere Flexibilität un- (Beifall bei der LINKEN) ter Beweis stellen, als der Arbeitsaufwand im BAMF – Nur langsam! – Jedes Mal wollten Sie sich dabei in überhandnahm . Wir haben reagiert und die Zahl der die laufenden Tarifverhandlungen einmischen, jedes Mal Mitarbeiter im letzten Jahr mehr als verdoppelt, nämlich wollten Sie die Tarifvertragsparteien bevormunden, und von 3 500 auf 7 300 . In einem weiteren Schritt haben jedes Mal wollten Sie den Verlauf der Tarifverhandlun- wir finanzielle Verbesserungen, speziell für die Beamten gen irgendwie beeinflussen. beim BAMF, erreicht, indem wir die Zulage für Arbeit zu Unzeiten erhöht haben . Damit konnten wir deutlich (Michael Schlecht [DIE LINKE]: Positiv!) entlasten . Meine sehr geehrten Damen und Herren, jedes Mal ha- ben wir das abgelehnt . Das tun wir heute wieder, und das Bei all dem, was bereits auf den Weg gebracht wur- ist auch gut so . de, ist es kein Wunder, dass der Bund im Vergleich zu den Ländern immer noch der beliebteste Arbeitgeber im (Beifall bei der CDU/CSU) öffentlichen Dienst ist . Dabei überzeugen nicht nur die Ich will Ihnen auch sagen, warum wir das tun: weil Ta- Besoldung, sondern auch die Arbeitsbedingungen . All rifverhandlungen immer auch Ausdruck der gelebten das ist gut für die Attraktivität des öffentlichen Dienstes Tarifautonomie sind, sie ist durch unser Grundgesetz auf Bundesebene . geschützt und gehört zum Grundpfeiler unserer sozialen Marktwirtschaft . Gott sei Dank ist das so; unseren Ver- Moderne, attraktive und familienfreundlichere Ar- fassungsvätern sei Dank . beitsbedingungen tragen dazu bei, unseren öffentlichen Dienst noch attraktiver zu machen . Die konsequente Wir haben in Deutschland seit Jahrzehnten ausge- Weitergabe der Tarifergebnisse ist dabei nur ein kleiner zeichnete Erfahrungen damit gesammelt, dass nicht die Baustein, um zukünftigen Arbeitskräften zu zeigen, dass Politik die Löhne bestimmt. Daher finde ich es klug, dass sie beim Bund in guten Händen sind . die Tarifhoheit bei den Tarifpartnern verbleibt und wir uns nicht einmischen . Das sollte auch die Linke so lang- All das, meine sehr verehrten Damen und Herren, be- (B) sam einmal einsehen und beherzigen . legt, dass wir es ernst meinen und uns an unseren Taten (D) messen lassen . Sie von den Linken hingegen sind dop- (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Tun wir!) pelzüngig . Hier fordern Sie immer gerne und immer viel, Wir bleiben bei unserem 67 Jahre alten Erfolgsmodell doch dort, wo Sie Verantwortung tragen und umsetzen Tarifautonomie . Diese Freiheit hat sich in Krisenzeiten könnten, machen Sie es nicht, so zum Beispiel in Thürin- bewährt . Es hat sich gezeigt, wie gut die Tarifpartner zum gen, wo Sie nicht zeitgleich übertragen, sondern schon Wohle unseres Landes damit umgehen . Schauen wir uns zum zweiten Mal in Folge ein ganzes halbes Jahr später . also einmal den Sachstand an; denn: Nicht an ihren Wor- ten sollt ihr sie messen, sondern an ihren Taten . So heißt (Günter Baumann [CDU/CSU]: Skandalös!) es schon bei Johannes . Ich sage: Wir werden diesem schlechten linken Beispiel (Bernd Rützel [SPD]: Sehr schön!) nicht folgen, sondern unserem Bundesinnenminister den Wir haben die Rahmenbedingungen deutlich verbes- Rücken stärken bei seinem bereits angekündigten Bemü- sert . Dreimal wurden die Tarifabschlüsse inhaltsgleich hen, den berechtigten Anliegen der Mitarbeiterinnen und auf die Bundesbeamten übertragen, und seit 2012 – auch Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes nach angemessener Sie wissen das – wird die Sonderzahlung, auch als Weih- Lohnerhöhung Rechnung zu tragen, ohne dass es Ver- nachtsgeld bekannt, wieder gewährt . handlungsrituale oder gar Streiks bedarf . Dafür werben wir . (Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Alles erkämpft!) Da alles schon auf gutem Wege ist, wie Sie gehört ha- Mit dem Fachkräftegewinnungsgesetz haben wir eine ben, war Ihre Aktuelle Stunde auch heute wieder einmal Reihe von positiven Maßnahmen auf den Weg gebracht . überflüssig. Wir haben den Eintritt in den Ruhestand flexibler gestal- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tet, gleiche Rechte für Lebenspartnerschaften und die Fa- ordneten der SPD) milienpflegezeit im Beamtenrecht umgesetzt. Wir haben die Vergütung von Professoren verbessert, das Leistungs- prinzip gestärkt und die Portabilität von Versorgungsan- Vizepräsidentin Petra Pau: wartschaften geschaffen . Das Wort hat die Kollegin Jutta Krellmann für die Letztes Jahr konnten wir sogar Neuerungen umset- Fraktion Die Linke . zen, die die Attraktivität des Soldatenberufs gesteigert haben . Der geschmeidige Begriff dafür hieß „Bundes- (Beifall bei der LINKEN) 16292 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

(A) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Oder zweitens: Sie wissen um die Notwendigkeit der Ab- (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und schaffung und wollen sie – das sagen Sie jedenfalls im- Kollegen! Seit 30 Jahren nehme ich als Gewerkschafts- mer wieder –, aber kuschen weiterhin vor der CDU/CSU . sekretärin an Tarifverhandlungen teil . Ich bin in dieser (Dagmar Ziegler [SPD]: Was heißt hier „ku- Diskussion völlig irritiert . Als Bundestagsabgeordne- schen“? Das ist ein Vertrag!) te verstehe ich meine Rolle als die einer Arbeitgeberin . Herr de Mazière ist Verhandlungsführer des Bundes; er Auf genau diesen Zirkus haben die Beschäftigten keine ist also nicht irgendjemand . Deswegen müssen wir doch Lust mehr . Sie wollen endlich die notwendigen Verbes- mit ihm reden und mit niemand anderem . serungen, zumindest in ihrem Beschäftigungsbereich, durchsetzen . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der LINKEN) Michael Frieser [CDU/CSU]: Das ist grund- Die Kolleginnen und Kollegen mussten das Thema falsch, skandalös verkehrt!) Befristungen auf die Tarifebene heben, weil die Bundes- Zwei Forderungen in der Tarifrunde im öffentlichen regierung ihrem Wunsch, an dieser Stelle endlich etwas Dienst liegen mir deshalb besonders am Herzen: erstens zu machen, nicht nachgekommen ist . Es ist eigentlich die Übernahme der Auszubildenden und zweitens die Aufgabe des Gesetzgebers, das Problem der Befristun- Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen . gen für alle Beschäftigten zu regeln . Das ist seit Jahren nicht in Ordnung . Seit Jahren diskutieren wir darüber . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Dass auf diesem Gebiet nichts passiert, das ist einfach neten der SPD) ein Skandal . Eine Übernahme der Auszubildenden ist in vielen Ta- Herr Oellers, der, wie gesagt, leider nicht da ist, und die rifverträgen mittlerweile gängige Praxis, insbesondere CDU/CSU können sich noch so sehr aufregen . Wir wer- in den Industrietarifverträgen . Da muss der öffentliche den dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung Dienst unbedingt nachziehen . setzen, sooft wir nur können . Ich sage Ihnen ganz deut- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) lich: Die Linke wird so lange Diskussionen über dieses Thema führen, bis die sachgrundlosen Befristungen end- Auszubildende werden nicht gleich zu Beamten auf Le- lich Geschichte sind . benszeit, wenn man ihnen eine Festanstellung garantiert . Alle reden landauf, landab über den Fachkräftemangel . (Beifall bei der LINKEN) Wieso hält man nicht an denen fest, die man jahrelang Leider stellen auch Arbeitgeber zunehmend Forderun- teuer ausgebildet hat? Das ist aus meiner Sicht unklug (B) gen in Tarifrunden, so auch im öffentlichen Dienst . Die (D) und in der Diskussion um Fachkräftemangel echt schräg . kommunalen Arbeitgeber wollen die tariflich geregelten (Beifall bei der LINKEN) Betriebsrenten kürzen . Entweder haben wir tatsächlich einen Fachkräfteman- (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist alles nicht gel – dann brauchen wir die Ausgelernten als qualifi- so neu!) ziertes Personal im öffentlichen Dienst –, oder das ganze Gerede vom Fachkräftemangel ist reines Gefasel und Ge- Zur Erinnerung: Die Bundesregierung beabsichtigt die schwafel, um die Leute gefügig zu machen . Absenkung des Rentenniveaus bis 2030 auf 43 Prozent, und das für alle Beschäftigten in Deutschland . Wenn Die zweite Tarifforderung, über die ich sprechen will, jetzt die kommunalen Arbeitgeber daherkommen und die ist die Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen . Ich Betriebsrenten kürzen wollen, dann werden die Beschäf- weise immer wieder darauf hin, wie auffallend hoch die tigten im öffentlichen Dienst doppelt bestraft: zum einen Befristungsquote im öffentlichen Dienst ist . Können Sie durch die Absenkung des Rentenniveaus insgesamt und sich vorstellen, was das für die Beschäftigten bedeutet? zum anderen durch die Kürzung der Betriebsrenten . Die Dass die CDU/CSU das nicht kann – schade, dass Herr Bundesregierung denkt als Gegenstrategie gerade darü- Oellers nicht da ist –, weiß ich aus mehreren Diskussio- ber nach, die Betriebsrenten zu stärken . Die kommuna- nen . Dabei ist längst klar, dass Befristungen gute Arbeit len Arbeitgeber im öffentlichen Dienst machen genau verhindern . das Gegenteil von dem, was im Moment diskutiert wird . Das geht doch gar nicht . Mit so etwas muss doch Schluss Sie, liebe SPD, die Sie sich die Forderung nach guter sein . Das läuft doch vollkommen gegeneinander . Das ist Arbeit immer wieder fett auf Ihre Fahnen schreiben, ha- gegen die Interessen der Menschen gerichtet . ben nach dieser Diskussion zwei Möglichkeiten . Erstens: Sie akzeptieren die Notwendigkeit zur Abschaffung der (Beifall bei der LINKEN) sachgrundlosen Befristungen . Die Ausarbeitung der Leitlinien für gute Arbeit im öf- (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist tausendmal fentlichen Dienst können wir hier beeinflussen. Das ist bei uns nachzulesen! – Bernd Rützel [SPD]: alles eine Frage des politischen Willens . Wenn wir das Das haben wir doch schon oft gesagt!) wirklich wollten, dann könnten wir das auch . Es wäre möglich, dass wir dadurch Verbesserungen für alle Be- Dann lassen Sie uns das endlich machen . schäftigten schafften . Bestimmte Tarifforderungen wären (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert eigentlich gar nicht nötig, wenn das Thema gesetzlich [SPD]: Lesen bildet!) längst geregelt wäre . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16293

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Schlecht, ich bin mir nicht sicher, ob Sie den Ge- (C) Kollegin Krellmann, achten Sie bitte auf die Zeit . werkschaften mit Ihrem Votum hier einen Gefallen getan haben; denn Sie haben sich in deren ureigenste Tätigkeit eingemischt und wollen sie bevormunden . Das ist an die- Jutta Krellmann (DIE LINKE): ser Stelle doch überhaupt nicht nötig . Ich wünsche den Beschäftigten im öffentlichen Dienst von meiner Seite aus auf jeden Fall viel Erfolg bei ihrem (Dr .Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Was Versuch, ihre Forderungen durchzusetzen, und ich hof- ist denn mit der Kontrollfunktion der Bundes- fe, sie bekommen das hin, weil sie das nicht nur für den regierung? Das Parlament hat eine Kontroll- öffentlichen Dienst, sondern für die Beschäftigten insge- funktion!) samt machen . Auf der einen Seite werden 6 Prozent gefordert, auf Vielen Dank . der anderen Seite werden 1 Prozent plus 2 Prozent gleich 3 Prozent angeboten . Man kann hier noch einmal genau- (Beifall bei der LINKEN) er nachrechnen, ob das wirklich stimmt, aber lassen wir den Tarifvertragsparteien doch Zeit und Raum zur freien Vizepräsidentin Petra Pau: Verhandlung ohne Einmischung von außen . Das Wort hat der Kollege Matthias Schmidt für die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) SPD-Fraktion . Gleichwohl vielen herzlichen Dank an die Fraktion (Beifall bei der SPD) Die Linke dafür, dass sie dieses Thema auf die Tages- ordnung gesetzt hat . Das gibt mir die Gelegenheit zur Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Analyse des öffentlichen Dienstes, und es wird Sie nicht Vielen Dank .– Frau Präsidentin! Meine sehr geehr- überraschen: Ich komme zu einem Lob . ten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Lie- be Kolleginnen und Kollegen! Eine Aktuelle Stunde, so Frau Krellmann, Sie haben gesagt, Sie sind 30 Jahre steht es in unserer Geschäftsordnung, umfasst Themen lang Gewerkschaftssekretärin gewesen . von „allgemeinem aktuellen Interesse“ . Man mag hinzu- (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ich bin es fügen: mit Zuständigkeit des Bundestages . Das steht dort noch!) aber nicht . – Sie sind es noch .– Ich bin vor etwas über 30 Jahren in (Michael Schlecht [DIE LINKE]: Eben!) den öffentlichen Dienst eingetreten und beobachte den Darum konnten Sie genau dieses Thema hier auch zum öffentlichen Dienst seitdem sehr genau . Was vor 30 Jah- (B) Gegenstand einer Aktuellen Stunde erheben . Was das all- ren in den Amtsstuben los war, ist etwas ganz anderes als (D) gemeine und aktuelle Interesse ist, bestimmt allein der das, was heute dort los ist . Antragsteller, in diesem Fall die Fraktion Die Linke . (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ja, eben!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Damals gab es noch viele buchstäbliche Beamte und An- Michael Schlecht [DIE LINKE]: Wohl wahr!) gestellte mit Ärmelschonern, aber das hat sich kolossal gewandelt . Das liegt auch daran, dass wir im öffentlichen – Genau . – Frau Sitte, Hut ab! Sie haben es sogar ge- Dienst akademisch und nicht akademisch sehr gut aus- schafft, mit diesem Thema Ihre Reihen halbwegs zu fül- bilden . Ein großes Lob geht hier an das Bundesverwal- len, obwohl es tatsächlich unstrittig ist, dass es an dieser tungsamt und an die Hochschule des Bundes für öffent- Stelle keine Zuständigkeit des Deutschen Bundestages liche Verwaltung . gibt . Die Beamten und Angestellten, die heute dort tätig Die Tarifrunde ist aus guten Gründen grundgesetzlich sind, wissen, um was es geht . Denen ist der Wortlaut geschützt . Artikel 9 des Grundgesetzes ist inzwischen nicht wichtiger als der Sinn einer Vorschrift . Sie arbeiten zitiert worden . Die Tarifvertragsparteien sollen frei von für das Gemeinwohl – und das sehr erfolgreich . staatlichen Eingriffen und Bevormundungen im öffent- lichen Dienst und außerhalb des öffentlichen Dienstes Wir alle bemerken nur dann, dass der öffentliche handeln können . Dienst da ist, wenn einmal etwas nicht klappt . Manchmal sind wir daran auch selbst schuld . Wer hat nicht selbst Frau Krellmann, ich habe mir das, was Sie gerade schon einmal vergessen, den Reisepass zu kontrollieren, gesagt haben, aufgeschrieben . Sie haben gesagt: Leider und kurz vor der Urlaubszeit festgestellt, dass der Rei- stellen auch Arbeitgeber Forderungen in den Tarifver- sepass abgelaufen ist? Andere Fälle sind auch hausge- handlungen .– Ja, es ist genau das Wesensmerkmal von macht . Die Berliner Bürgerämter sind hierfür ein gutes Verhandlungen, dass beide auf Augenhöhe miteinander Beispiel . Das Land Berlin hat das nun aber auch begrif- reden und nach einem gemeinsamen Kompromiss su- fen und stattet sie wieder besser aus . chen . Genau das müssen wir doch auch den Arbeitgebern zugestehen . Es gibt allerdings auch sehr viele positive Beispiele im öffentlichen Dienst, zum Beispiel die kommunalen Auch wenn wir alle persönlich eine Meinung zum Krankenhäuser, Kitas und grundsätzlich auch die Schu- Tarifkonflikt haben, sollten wir uns als Bundestag hier len, wobei natürlich klar ist, dass es bei den jetzigen Ta- heraushalten . rifverhandlungen gar nicht um die Landesbeschäftigten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geht . Die Integration von Flüchtlingen ist schon genannt 16294 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Matthias Schmidt (Berlin) (A) worden . Und uns Bundestagsabgeordneten helfen die Denn durch Streiks beweisen die Tarifparteien ja nur (C) Ministerien; sie unterstützen uns alle in unserer Arbeit ihren Willen, aber neue Erkenntnisse bringen sie in der als Parlamentarier . Regel nicht . Für den Bundesinnenminister gibt es gegen- wärtig gar keinen Grund, an dem Willen der Gewerk- Der öffentliche Dienst ist gesamtgesellschaftlich schaften zu zweifeln . Deshalb muss man im Gespräch wichtig und muss, damit dies so bleibt, für die Beschäf- bleiben und sich entsprechend bewegen . Hier wäre ein tigten attraktiv bleiben . Dies haben die Tarifvertragspar- selbstkritischer Blick auf die eigene Verhandlungspositi- teien im Blick, und die Verhandlungen sind bei ihnen in on sicherlich hilfreich . guten Händen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen herzlichen Dank . und bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Was aber auch kritisch überprüft werden sollte, sind einige Argumente, mit denen sich die Arbeitgeberseite in Vizepräsidentin Petra Pau: den letzten Tagen zu Wort gemeldet hat . Wenn beispiels- Das Wort hat die Kollegin Irene Mihalic für die Frak- weise mit den Kosten der Integration der nach Deutsch- tion Bündnis 90/Die Grünen . land Geflüchteten argumentiert wird, die noch gar nicht abschätzbar seien, dann ist das aus meiner Sicht unsach- lich und unklug . Das zeigt schon der gemessen am Ge- Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): samthaushalt überaus geringe Anteil von Ausgaben zum Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Zweck der Integration . Kollegen! Herr Schmidt, das allgemeine aktuelle Inte- resse an den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst Aber noch ein weiterer Punkt ist in diesem Zusam- lässt sich, glaube ich, nicht bestreiten, menhang anzusprechen . Es ist vor allem schlicht unver- antwortlich, aus parteipolitischen Gründen die laufenden (Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Das habe Verhandlungen zu nutzen, um Ängste zu schüren, indem ich auch nicht!) mit Kosten in unbekannter Höhe argumentiert wird . Auch sollte nicht der Versuch unternommen werden, die erst recht nicht, wenn der Eindruck entsteht, dass die au- eine Gruppe gegen die andere auszuspielen . tonomen Verhandlungen nicht so geführt werden, wie es vielleicht möglich wäre, und aktuell wieder Streiks im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) öffentlichen Dienst drohen . Ich erwarte vielmehr vom Bundesinnenminister, dass (Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: Das ist alle bestehenden Spielräume konsequent genutzt werden . (B) das Recht der Arbeitnehmer!) Denken Sie bitte an die Beschäftigten und vor allem auch (D) an die von Streiks betroffenen Bürgerinnen und Bürger! Dann frage ich mich auch, ob die Bundesregierung die Situation ernst genug nimmt . Ganz herzlichen Dank . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es ist völlig richtig: Die Tarifautonomie steht im Grundgesetz . Deswegen tun wir gut daran, uns nicht in- Vizepräsidentin Petra Pau: haltlich in diese Verhandlungen einzumischen . Deswe- Das Wort hat der Kollege Michael Frieser für die gen will ich das nicht näher kommentieren, sondern ich CDU/CSU-Fraktion . möchte etwas zu der Art und Weise der Verhandlungsfüh- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rung aufseiten der Bundesregierung sagen . Wenn der Bundesinnenminister nun verbreiten lässt, Michael Frieser (CDU/CSU): dass Ende April endlich gelingen wird, was in den ers- Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen ten beiden Verhandlungsrunden bisher nicht gelungen und Kollegen! Ich habe mich schon gefragt, wie lange es ist, nämlich konstruktiv zu verhandeln, damit bald ein dauern wird, bis die Grünen ihren Balanceakt hin zu den gerechter Abschluss erreicht wird, dann weiß ich nicht, Linken tatsächlich erfolgreich bestehen . Kollege Kurth was Sie damit meinen, Herr Schmidt, wenn Sie sagen, hat noch versucht, sie festzuhalten . wir müssten den Verhandlungen jetzt noch mehr Zeit und Raum lassen . Ich glaube, Zeit und Raum waren ausrei- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chend vorhanden, und ich frage mich, was eigentlich in NEN]: Was?) den ersten beiden Verhandlungsrunden passiert ist . Ich stelle dazu fest: In diesem Land ist weder der vorsätz- liche Zeitdiebstahl unter Strafe gestellt Für mich heißt das ganz konkret: Es wurde wertvolle Zeit vertan, die im Interesse der betroffenen Beschäftig- (Mechthild Rawert [SPD]: Momo!) ten und der Bürgerinnen und Bürger, die nun eventuell wieder von Streiks betroffen sein werden, besser hätte noch die Frage der Achtung vor allen Ausdrücken und genutzt werden müssen . Auswirkungen des Grundgesetzes . Es ist also zulässig, dass wir uns mit dieser Frage beschäftigen . Man muss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aber aufpassen, dass man sich nicht zu sehr im Tonfall und bei der LINKEN) vergreift . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16295

Michael Frieser (A) Wenn beispielsweise die Gewerkschaften in den Tarif- der Arbeitgeber auf Bundes- und auf kommunaler Seite (C) verhandlungen sagen, das Angebot der Arbeitgeberschaft ein Arbeitgeber ist, bei dem man gerne arbeitet und als sei ein Akt der Missachtung, der Geringschätzung oder Mensch Interessen einbringt, auf der anderen Seite auch der Ignoranz – konkret der Ignoranz gegenüber der Leis- Wertschätzung für diese Arbeit erfährt . Dies drückt sich tung des öffentlichen Dienstes –, dann ist das harter To- natürlich auch in Geld aus . Dies drückt sich natürlich bak . Das ist, vor allem angesichts des Angebots, das vor- auch in Leistungen aus . Dies drückt sich aber auch in der gelegt wurde, nicht gerechtfertigt . Aber wissen Sie, was Tatsache aus, dass man auf die Interessen von Mitarbei- der Unterschied ist? Die Gewerkschaft darf das . Sie soll terinnen und Mitarbeitern wirklich eingeht . das sogar . Sie soll sogar Stellung beziehen, auch beim Betätigungsgebot, nämlich bei der Tatsache, dass sie sich Deshalb lassen Sie mich sagen: Wir haben schon eine öffentlich dazu äußern soll . Die Gewerkschaften sind ganze Menge gemacht . Schauen wir einmal auf die Bi- dazu aufgefordert, ihre Positionen zu untermauern . Was lanz . Wir haben bei den Bundesbesoldungs- und -ver- aber nicht geht, ist, dass man hier so tut, als könne die Le- sorgungsgesetzen eine inhaltsgleiche Anpassung vorge- gislative in diesem Fall gute Ratschläge erteilen oder als nommen . Wir haben die ehebezogenen Regelungen auf könne sie in irgendeiner Art und Weise mithelfen . Nein, die Lebenspartnerschaften übertragen . Wir haben für die deutsche Tarifautonomie braucht keine Hilfestellung . eine flexible Gestaltung des Übergangs in den Ruhestand Auch die Gewerkschaften brauchen keine Hilfestellung gesorgt . Wir haben für die Soldaten das Einsatzversor- bei der Frage, wie sie ihre Verhandlungen führen . Man gungs-Verbesserungsgesetz auf den Weg gebracht . Au- darf sich als Bürger dieses Landes mit dieser Frage be- ßerdem haben wir das Fachkräftegewinnungsgesetz auf schäftigen . Sie müssen aber sehr gut darauf achten, ob den Weg gebracht . Ich will einmal die Punkte anspre- Sie als Teil des Deutschen Bundestages versuchen, auf chen, die Sie vorhin so in den Raum geworfen haben, als diese Verhandlungen in irgendeiner Art und Weise Ein- wären sie ungeregelt . Das ist nicht der Fall . Wir sind die fluss zu nehmen. Frage der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf angegangen. Wir haben die Frage der Wenn diese Aktuelle Stunde einen Sinn haben soll, Tarifbeschäftigten des Bundes durch das Familienpflege- dann vielleicht eher als pädagogischer Ansatz . Dann zeitgesetz geregelt . wiederholen wir noch einmal, was Tarifautonomie bedeutet . Sie bedeutet nicht nur das Schließen von ar- Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Deut- beitsrechtlichen Koalitionen . Sie bedeutet nicht nur das sche Bundestag hat die Rahmenbedingungen gesetzt, die Zusammenfinden von Menschen, um ihre Positionen zu er setzen konnte. Es ist Ihre Pflicht, im Rahmen der Aus- unterstreichen . Vielmehr bedeutet sie ganz bewusst die gestaltung der öffentlichen Haushalte insbesondere ge- Gewaltentrennung . Sie bedeutet ganz bewusst, dass die meinsam mit uns darüber zu entscheiden, wie viel Geld (B) Legislative nicht den Eindruck erweckt, sie würde die wir zur Verfügung stellen können, damit die Menschen (D) Rahmenbedingungen für diese Verhandlungen vorgeben . auch ordentlich bezahlt werden . Sie lassen sich hier da- Deshalb sollten wir uns an dieser Stelle heraushalten . rüber aus, inwieweit diese Tarifautonomie draußen auf Das ist gelebte Tarifautonomie . der Straße gelebt wird . Das überlassen Sie bitte den Ver- handlungspartnern, nämlich den Vertretern der Arbeitge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ber auf der einen Seite und vor allem den Vertretern der Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Gewerkschaften auf der anderen Seite . Deshalb gilt mein GRÜNEN]: Wie passt das jetzt mit dem Tarif­ Dank all denjenigen, die das ohne ungerechtfertigte und einheitsgesetz zusammen?) ungebetene Ratschläge gut und gerne tun . Ich hätte diesen Impetus, dieses Aufregen, dieses Lei- Vielen Dank . denschaftliche der Linken, zum Teil auch die Wortwahl, ja noch verstanden, wenn es in irgendeiner Weise um (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) privates Kapital gehen würde, um das Kapital von Men- schen, bei denen wir nichts hinzuzufügen hätten . Wir Vizepräsidentin Petra Pau: reden hier aber über Steuergelder . Wir reden hier über Das Wort hat der Kollege Bernd Rützel für die Kommunen, die wirklich jeden Euro und jeden Cent um- SPD-Fraktion . drehen müssen . (Beifall bei der SPD) (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das ist doch genau der Punkt!) Bernd Rützel (SPD): Wir reden darüber, dass wir in den Haushaltsberatungen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! uns gegenseitig jeden Euro abringen . Aber zu sagen, wir Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Her- könnten darüber frei verfügen, das ist meines Erachtens ren! Wenn wir heute über die Tarifverhandlungen im öf- tatsächlich eine Anmaßung, der Sie nicht erliegen sollten . fentlichen Dienst sprechen, dann ist das keine Zeitver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geudung, Herr Frieser. Ich finde es gut, dass wir darüber sprechen; denn wir haben erst vor kurzem festgestellt, Natürlich hat der deutsche öffentliche Dienst eine dass im öffentlichen Dienst in den nächsten Jahren sehr ganz besondere öffentliche Stellung . Diese Stellung hat viele Menschen in den Ruhestand, in Pension und Rente, er nicht nur den Bund, sondern auch die Kommunen gehen und dass sehr viele junge Kräfte nachfolgen müs- betreffend . Das ist wesentlich mehr als nur die Vergü- sen . Deshalb ist es wichtig, dass wir darüber sprechen . tung . Das hat nämlich etwas damit zu tun, inwieweit Ich will heute etwas deutlicher werden, als ich es sonst 16296 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Bernd Rützel (A) tue, weil in den Verhandlungen die öffentliche Hand der nerschaft . Er ist ein wichtiges Instrument, um gerechte (C) Arbeitgeber ist . Löhne und Gehälter für die Beschäftigten auszuhandeln, und er schafft Frieden in den Betrieben . Zwei Anmerkungen: Erstens . Wenn man ein Angebot vorlegt, dann darf das nach meiner Meinung kein Ange- Vielen Dank . bot sein, das auf den ersten Blick gut aussieht, aber auf den zweiten Blick dann nicht so gut ist . Ich meine gar (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht den Inhalt, sondern die Art und Weise . Man muss der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ die Menschen, unsere Beschäftigten, ernst nehmen und DIE GRÜNEN) darf ihnen nichts vorgaukeln . Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Kollege Mark Helfrich hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . Zweitens . 2 Millionen Beschäftigte – 150 000 Ar- beitnehmer des Bundes, 1,2 Millionen Arbeitnehmer der (Beifall bei der CDU/CSU) Kommunen, 180 000 Beamte, 180 000 Versorgungsemp- fänger und im weiteren Sinne auch 235 000 Beschäftigte Mark Helfrich (CDU/CSU): in der Bundesverwaltung – warten auf ein deutliches Zei- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! chen . Anders ausgedrückt: Die Busfahrerin, der Erzieher, Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hätte es mir nicht die Rettungssanitäterin oder die Plenarassistentin und der träumen lassen, dass ich einmal hier an diesem Ort das Saaldiener, sie alle haben gute Arbeit geleistet, und zwar Grundgesetz hochhalte, um die Tarifautonomie gegen die unter nicht immer leichten Bedingungen . Sie haben sich Einmischung von Linkenpolitikern dieses Landes zu ver- das verdient und müssen nun eine deutliche Lohnerhö- teidigen . Ich werde gleich dezidiert den Kolleginnen und hung bekommen . Kollegen der Linken die Tarifautonomie gemäß Artikel 9 (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Absatz 3 – es lohnt sich, ihn zu lesen, Frau Kollegin – er- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE läutern . Ich möchte feststellen, dass wir uns mit der ini- GRÜNEN) tiierten Aktuellen Stunde in laufende Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst einmischen . Gerade aktuell unter dem Druck der vielen Flücht- linge in Deutschland leisten die Arbeitnehmerinnen und ( [DIE LINKE]: Hoffentlich Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst Beachtliches . Das positiv!) muss auch berücksichtigt werden . Die Beschäftigten im Aber mich wundert bei den Linken mittlerweile nichts (B) öffentlichen Dienst garantieren, dass das Staatswesen mehr, nicht einmal der Widerspruch, dass sie beim The- (D) funktioniert, dass die öffentliche Ordnung aufrechterhal- ma Tarifeinheit jegliche staatliche Regelung zur Tarifau- ten bleibt und dass wir uns auf die Arbeit der staatlichen tonomie verdammen, während sie sich heute in aktuelle Organe verlassen können . Daher haben sie nun Anspruch Tarifverhandlungen einmischen wollen . auf eine Beteiligung an der guten konjunkturellen Lage . Wir haben in Deutschland ein grundgesetzlich ge- Neben einer guten und deutlichen Einigung in den schütztes Recht für Tarifpartner, durch freie Vereinba- laufenden Verhandlungen liegt mir ein ganz anderer As- rungen Tarifverträge auszuhandeln, ohne dass eine staat- pekt am Herzen, der mir Sorgen macht . Es darf keine Ta- liche Stelle mitwirkt . Das nennt man Tarifautonomie . Die rifflucht im öffentlichen Dienst geben. Aber sie gibt es Quelle im Grundgesetz ist genannt . Das, was derzeit im bereits . Es gibt in Deutschland bereits einige Gemeinden, öffentlichen Dienst passiert, ist gelebte Tarifautonomie . die aus dem kommunalen Arbeitgeberverband ausgetre- Der Begriff „Autonomie“ als solcher macht schon deut- ten sind und damit auch aus dem Flächentarifvertrag . Das lich, dass die Beteiligten, nämlich die Gewerkschaften verurteile ich scharf; denn diese Gemeinden haben kei- auf der einen Seite und die Arbeitgeberverbände auf der nen Grund dazu . Diese Bundesregierung hat die Kommu- anderen Seite, ihre Angelegenheiten selbst betreiben und nen entlastet wie keine andere zuvor . Mein Freund Oswin in Verhandlungen zu einem für beide Seiten vertretbaren Veith hat das vorhin – wie andere Vorredner auch – deut- Tarifabschluss kommen . Dass dem einen oder anderen lich dargelegt . Es ist ein völlig falsches Signal, wenn die aus Ihrer Fraktion der Rollenwechsel vielleicht manch- öffentliche Hand auf diese Weise faire und transparente mal schwerfällt und keine klare Unterscheidung zwi- Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten verhindert . schen Gewerkschaft und Fraktion erfolgt, mag ich Ihnen Zum einen ist dies ein großer Schaden für die betroffe- persönlich nachsehen . nen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . Zum anderen weist ein solcher Schritt in die völlig falsche Richtung . (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ich bin auch Wir kämpfen gemeinsam mit der Bundesregierung die beides!) ganze Zeit gegen die zunehmende Tarifflucht in der Pri- Sie haben grundsätzlich das Thema nicht verstanden . vatwirtschaft . Dieses Ziel wird dadurch torpediert . Gera- Ich will hier festhalten, dass die Tarifparteien keine Rat- de im öffentlichen Dienst darf es keine Tarifflucht geben. schläge aus der Politik bzw . aus dem Parlament benöti- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) gen . Wenn Sie es mir nicht glauben, dann lesen Sie es bei der Gewerkschaft Verdi nach: Ziel ist die Stärkung der Tarifbindung über alle Bran- chen hinweg . Der Flächentarifvertrag ist eine wesentli- Ein Tarifvertrag ist ein schriftlicher Vertrag zwi- che Errungenschaft unserer funktionierenden Sozialpart- schen einem Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16297

Mark Helfrich (A) und einer Gewerkschaft . Einmischung ist nicht er- Lassen Sie also die Tarifparteien in Ruhe verhandeln (C) laubt, und uns das Ergebnis der Tarifverhandlungen abwarten . Ich bin mir sicher, dass auch in dieser Tarifrunde eine für – jetzt bitte gut zuhören - alle Beteiligten vertretbare Einigung erzielt wird . das gilt auch für den Staat . (Beifall bei der CDU/CSU) Die Politik ist also gut beraten, sich nicht einzumi- Abschließend noch ein Hinweis dazu, wo wir tatsäch- schen . Die CDU/CSU wird das auch nicht tun und wird lich etwas tun können, liebe Kolleginnen und Kollegen sich dementsprechend in dieser Debatte verhalten . der Linken: Die Aufgabe des Deutschen Bundestages wird darin bestehen, für die knapp 300 000 Beamtinnen Wenn es der Linken tatsächlich um tarifbeschäftigte und Beamten des Bundes einschließlich der Soldaten und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ginge, dann hätten Richter eine möglichst inhaltsgleiche Übertragung des Sie zum Beispiel in Brandenburg fünf Jahre Zeit gehabt, Tarifabschlusses zu gewährleisten . Das haben wir in den entsprechend zu handeln . Dort ist die Linke Regierungs- letzten Jahren geschafft . Das sollten wir zu gegebener partei . Sie hätten durchaus die Möglichkeit, in Ihrer Ar- Zeit entschlossen anpacken . beitgeberfunktion Einfluss zu nehmen. Mir ist nicht in Erinnerung, dass Sie von der Linken in den Tarifrunden Herzlichen Dank für Ihr Zuhören . 2011, 2013 oder 2015 über die von der Tarifgemeinschaft (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der deutschen Länder ausgehandelten Entgelterhöhun- ordneten der SPD) gen hinaus mit gutem Beispiel vorausgegangen wären . Nein, Brandenburg hat natürlich eins zu eins alle drei Ta- rifrunden übernommen . Es gibt dort keine höheren Ver- Vizepräsidentin Petra Pau: gütungen . Es bleibt vielleicht noch die Hoffnung, dass Das Wort hat der Kollege Albert Weiler für die CDU/ sich demnächst in Thüringen, wo Sie als Arbeitgeber CSU-Fraktion . noch mehr Einfluss haben, etwas ändern wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe recherchieren lassen, ob es sich vielleicht auf kommunaler Ebene bei der Linken anders verhält, ob es Albert Weiler (CDU/CSU): Oberbürgermeister oder Landräte gibt, die sich bei den Sehr geehrte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kol- kommunalen Arbeitgeberverbänden für entsprechend legen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne! höhere Abschlüsse und freiwillige höhere Leistungen Die Linke will sich abermals in die Aufgaben und Zu- bzw . für eine Eins-zu-eins-Übernahme der Forderungen ständigkeiten der Tarifparteien einmischen . Das haben (B) der Gewerkschaften einsetzen würden . Es ist ehrlicher- wir oft genug gehört . Jetzt stellt sich aber die Frage: Wa- (D) weise nirgendwo überliefert, dass es derartige Forderun- rum? Ich sage Ihnen, warum: weil sie Geld daran ver- gen seitens Ihrer Kommunalpolitiker gibt . dient . (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die hängen (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- alle in der Schuldenbremse!) NEN]: Was?) – Ja, in der Tat, da sprechen Sie einen gewichtigen Punkt Jetzt schauen wir einmal auf die offiziellen Seiten des an . Wir haben bei den Verhandlungen, die anstehen, nicht Deutschen Bundestages . Die Linke klagt immer wieder nur Verhandlungen, die die Beschäftigten des Bundes über Mandatslobbyismus . Hier sage ich: Wasser predi- betreffen, sondern auch die Beschäftigten der Kommu- gen und Wein trinken . nen . Dementsprechend müssen wir auch an dieser Stelle Die Linke leistet sich Abgeordnete, die sich neben Rücksicht nehmen . ihrer eigentlichen Aufgabe in einem Nebenjob von Ge- Wir sind uns alle einig, dass der Staat, die Verwaltung, werkschaften zusätzlich ordentlich bezahlen lassen, die Beschäftigten im öffentlichen Dienst gerade in diesen (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das schwierigen Monaten der Flüchtlingskrise sehr viel ge- müssen Sie gerade sagen!) leistet haben und dass wir darauf angewiesen sind, dass die Menschen gute Arbeit leisten und diese Arbeit gut zum Beispiel die Sozialpolitikerin Frau Zimmermann entlohnt wird . oder auch Sie, Frau Krellmann, und die bis zu 42 000 Euro im Jahr verdienen . Das verdienen die meisten Menschen (Mechthild Rawert [SPD]: Das ist eine konti- in Deutschland nicht . Sie vermischen Ihren hochbezahl- nuierliche Herausforderung!) ten Nebenjob mit dem Bundestagsmandat und nutzen Ihre Position, um öffentlich auf Staatskosten Lobbyis- Ich stimme dem Bundesinnenminister daher zu, dass mus zu betreiben . das Anliegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst nach angemessener Lohnerhöhung (Beifall bei der CDU/CSU) natürlich berechtigt ist . Am Ende des Tages müssen die Wenn Sie glauben, dass der Wähler das nicht erkennt, Forderungen auch umsetzbar sein . Leider ist es nicht so, dann befinden Sie sich auf dem sogenannten Holzweg. dass der Staat eine Kuh ist, die im Himmel frisst und auf Erden gemolken werden kann . Ich habe es bereits gesagt: (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Finanzlage der Kommunen ist in vielen Bereichen NEN]: Sie bewegen sich auf ganz dünnem prekär . Das müssen wir bedenken . Eis!) 16298 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

Albert Weiler (A) Tarifverhandlungen werden am Verhandlungstisch der Jetzt bitte ich die linken Gewerkschaftsvertreter, die (C) Tarifpartner geführt und nicht im Deutschen Bundestag . selbst noch aktive und bezahlte Gewerkschafter sind: Die Arbeitgeber wollen eine zügige und konsensorien- Nehmen Sie bitte Einfluss auf die Gewerkschaft, dass tierte Tarifrunde . Streiks im öffentlichen Dienst gehen ein moderates Tarifergebnis erzielt wird, das beide Sei- nur zulasten der kleinen Leute . Deshalb fordert zum ten, sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer, Beispiel der Verband kommunaler Arbeitgeber zur kon- überleben lässt . struktiven Kompromisssuche auf . Das wünsche ich mir auch von Ihnen, besonders als Abgeordnete, aber auch (Mechthild Rawert [SPD]: Vor allem die als Gewerkschaftsvertreter . Frauen hätten gern mehr Geld!) Wir stimmen dem deutschen Beamtenbund zu, wenn Zum Abschluss möchte ich noch einmal betonen: Ich er sagt, dass die Flüchtlingssituation allen gezeigt hat, bin für eine angemessene Anpassung der Löhne und wie wichtig ein motivierter, funktionsfähiger und per- Gehälter für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des sonell angemessen ausgestatteter öffentlicher Dienst ist . öffentlichen Dienstes . Aber eine Forderung von 6 Pro- Ich stimme auch der Polizeigewerkschaft zu, wenn diese zent bei einer Inflationsrate von unter 1 Prozent ist weit sagt, dass die Polizistinnen und Polizisten bei der Bewäl- von dem entfernt, was man Augenmaß nennt . Wenn die tigung des Flüchtlingsstroms Übermenschliches geleistet Kommunen pleitegehen, meine Damen und Herren, ist haben . Aber was ich nicht will, meine Damen und Her- keinem geholfen, auch nicht den Mitarbeitern . ren, ist, dass es heißt: Wir erkaufen uns die Menschlich- An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ganz keit . – Das würde keinem gerecht werden, weder den herzlich bei den vielen Helferinnen und Helfern, ob Ehrenamtlichen noch den Hauptamtlichen . ehrenamtlich oder hauptamtlich, bedanken, die in der Als ehemaliger Gewerkschafter stehe ich ganz klar schwierigen Zeit der Bewältigung der Flüchtlingskri- für eine angemessene Tarifanpassung . Aber noch einmal: se, bei der momentan Gott sei Dank Licht am Ende des Die Diskussion gehört nicht in den Deutschen Bundes- Tunnels zu erkennen ist, tatkräftig mitgearbeitet haben . tag, sondern an den Tisch der Tarifpartner . Ohne sie hätten weder die Länder noch der Bund dies alles stemmen können . Sie sollen eine angemessene Ta- (Beifall bei der CDU/CSU) riferhöhung bekommen . Aber bitte, liebe Kolleginnen Als ehrenamtlicher Bürgermeister meiner Heimatge- und Kollegen der Linksfraktion, sehen Sie das nicht als meinde trage ich eine enorme Verantwortung für die Ent- Bezahlung in der Flüchtlingsarbeit . Menschlichkeit kann wicklung meiner Gemeinde und für ein gutes Bildungs- man sich nicht erkaufen . und Freizeitangebot . Der Schuldenstand der Kommunen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Ich wünsche (B) ist auf einem neuen Rekordniveau . Die Höhe der Ver- Ihnen allen ein schönes Wochenende . (D) schuldung beträgt nunmehr 145 Milliarden Euro . Der Investitionsstau liegt bei weit über 100 Milliarden Euro . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Eine Erhöhung der Tabellenentgelte um 6 Prozent und ordneten der SPD) die anderen Forderungen bedeuten Mehrkosten in Höhe von etwa 6 Milliarden Euro, und das können wir uns Vizepräsidentin Petra Pau: nicht leisten . Das verhindert Investitionen, auch in den Kindergärten und Schulen, die dringend notwendig sind . Die Aktuelle Stunde ist beendet . Die Länder sind nicht bereit, das zu kompensieren . Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord- Bestes Beispiel – da sind wir wieder bei den Linken – ist nung . die von Bodo Ramelow, also von den Linken, geführte Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Thüringer Landesregierung . Hier werden nicht einmal tages auf Mittwoch, den 27 .April 2016, 13 Uhr, ein . die Gelder, die der Bund für die Kommunen zur Beseiti- gung der Flüchtlingskrise bereitgestellt hat, eins zu eins Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen bis weitergegeben . dahin alles Gute . (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) (Schluss: 15 .05 Uhr) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16299

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ 15 .04 .2016 Lerchenfeld, Philipp CDU/CSU 15 .04 .2016 DIE GRÜNEN Graf

Bär, Dorothee CDU/CSU 15 .04 .2016 Leyen, Dr . Ursula von CDU/CSU 15 .04 .2016 der Barthle, Norbert CDU/CSU 15 .04 .2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ 15 .04 .2016 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ 15 .04 .2016 DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN Müntefering, Michelle SPD 15 .04 .2016 Beckmeyer, Uwe SPD 15 .04 .2016 Nietan, Dietmar SPD 15 .04 .2016 Bilger, Steffen CDU/CSU 15 .04 .2016 Özoğuz, Aydan SPD 15 .04 .2016 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 15 .04 .2016 Pfeiffer, Dr . Joachim CDU/CSU 15 .04 .2016 Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ 15 .04 .2016 DIE GRÜNEN Poschmann, Sabine SPD 15 .04 .2016

Ernstberger, Petra SPD 15 .04 .2016 Rößner, Tabea BÜNDNIS 90/ 15 .04 .2016 DIE GRÜNEN Fuchs, Dr . Michael CDU/CSU 15 .04 .2016 (B) Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ 15 .04 .2016 (D) Gabriel, Sigmar SPD 15 .04 .2016 DIE GRÜNEN

Gottschalck, Ulrike SPD 15 .04 .2016 Schäuble, Dr . Wolfgang CDU/CSU 15 .04 .2016

Grindel, Reinhard CDU/CSU 15 .04 .2016 Schmidt (Fürth), CDU/CSU 15 .04 .2016 Christian Gutting, Olav CDU/CSU 15 .04 .2016 Schmitt, Ronja CDU/CSU 15 .04 .2016 Hendricks, Dr . Barbara SPD 15 .04 .2016 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 15 .04 .2016 Hochbaum, Robert CDU/CSU 15 .04 .2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 15 .04 .2016 Huber, Charles M . CDU/CSU 15 .04 .2016 Strebl, Matthäus CDU/CSU 15 .04 .2016 Jung, Andreas CDU/CSU 15 .04 .2016 Tack, Kerstin SPD 15 .04 .2016 Jung, Dr . Franz Josef CDU/CSU 15 .04 .2016 Uhl, Dr . Hans-Peter CDU/CSU 15 .04 .2016 Kaster, Bernhard CDU/CSU 15 .04 .2016 Veit, Rüdiger SPD 15 .04 .2016 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/ 15 .04 .2016 DIE GRÜNEN Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ 15 .04 .2016 DIE GRÜNEN Korte, Jan DIE LINKE 15 .04 .2016 Walter-Rosenheimer, BÜNDNIS 90/ 15 .04 .2016 Kühn (Tübingen), BÜNDNIS 90/ 15 .04 .2016 Beate DIE GRÜNEN Christian DIE GRÜNEN Wicklein, Andrea SPD 15 .04 .2016 Launert, Dr . Silke CDU/CSU 15 .04 .2016 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 15 .04 .2016 Lemke, Steffi BÜNDNIS 90/ 15 .04 .2016 DIE GRÜNEN Zollner, Gudrun CDU/CSU 15 .04 .2016 16300 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

(A) Anlage 2 – Drittes Gesetz zur Änderung des Aufstiegsfortbil- (C) dungsförderungsgesetzes Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung – Gesetz zur Änderung des Designgesetzes und wei- Der Bundesrat hat in seiner 943 . Sitzung am 18 . März terer Vorschriften des gewerblichen Rechtsschut- 2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- zes stimmen bzw . einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Einführung von Grundsätzen für die Kosten – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Tabak- von Wasserdienstleistungen und Wassernutzungen erzeugnisse und verwandet Erzeugnisse sowie zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes Der Bundesrat hat hierzu ferner folgende Entschlie- – Gesetz zur Anpassung der Zuständigkeiten von ßung gefasst: Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV-Zu- Der Bundesrat verweist auf seine Stellungnahme vom ständigkeitsanpassungsgesetz – WSVZuAnpG) 29 .Januar 2016 (BR-Drucksache 630/15 – Beschluss –) und fordert die Bundesregierung erneut auf, sich gegen- Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- über der Kommission für angemessene Übergangsfristen geteilt, dass sie die Anträge Reform der Pflegeausbil- für die notwendigen Produktionsumstellungen der Her- dung auf gesichertes Fundament stellen auf Drucksa- steller einzusetzen . Die Anbringung der neuen Warnhin- che 18/5383 weise auf Verpackungen für Tabakerzeugnisse und ver- wandte Erzeugnisse sollte erst nach einer Übergangsfrist sowie Europaweiten Atomausstieg voranbringen – von 15 Monaten erfolgen . Euratom-Vertrag reformieren oder aussteigen auf Drucksache 18/6205 zurückzieht . Begründung:

Die Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parla- Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie ments und des Rates vom 3 .April 2014 zur Angleichung gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitglied- einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen staaten über die Herstellung, die Aufmachung und den absehen: Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeug- nissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG (B) (EU-Tabakerzeugnisrichtlinie) ist von den Mitgliedstaa- Innenausschuss (D) ten der Europäischen Union (EU) bis zum 20 .Mai 2016 – Unterrichtung durch die Bundesregierung in nationales Recht umzusetzen . Bericht der Wahlkreiskommission für die 18. Wahl- Obwohl die EU-Tabakerzeugnisrichtlinie bereits am periode des Deutschen Bundestages gemäß 29 .April 2014 im Amtsblatt der EU veröffentlicht wur- § 3 des Bundeswahlgesetzes de, hat das zuständige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft erst im Juli 2015 erste Referenten­ Drucksache 18/3980 entwürfe für die notwendigen nationalen Umsetzungsre- gelungen vorgelegt . Die Beteiligung der Länder erfolgte – Unterrichtung durch die Bundesregierung erst im November 2015 . Ergänzender Bericht der Wahlkreiskommission Außer auf das Gesetz zur Umsetzung der Richtli- für die 18. Wahlperiode des Deutschen Bundesta- nie über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnis- ges se (­TabakerzG) wartet die Tabakindustrie gemeinsam mit ihren Zulieferern für Maschinen und Verpackungen Drucksache 18/7350 auch noch auf die in der Tabakerzeugnisverordnung ( ­TabakerzV) enthaltenen Vorgaben zur Umsetzung . Ausschuss für Arbeit und Soziales Erst mit Inkrafttreten des TabakerzG und der Taba- kerzV herrscht Rechtssicherheit und die erforderliche – Unterrichtung durch die Bundesregierung Planungssicherheit für die notwendigen Investitionen . Selbst wenn beide nationalen Umsetzungsvorschriften Bericht der Bundesregierung über die gesetzli- noch im März 2016 verkündet würden, blieben den be- che Rentenversicherung, insbesondere über die troffenen Unternehmen höchstens noch zwei Monate, um Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der die erforderlichen Umstellungen in den Produktionsab- Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erfor- läufen durchzuführen . derlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Ka- lenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2013) – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über die Ver- und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversi- gleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den cherungsbericht 2013 Wechsel von Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen Drucksachen 18/95, 18/305 Nr. 3 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016 16301

(A) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Innenausschuss (C) Bericht der Bundesregierung über den Stand von Drucksache 18/6417 Nr . A .5 Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über Ratsdokument 11958/15 das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in Drucksache 18/6417 Nr . A .6 der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2012 Ratsdokument 11977/15 Drucksache 18/6417 Nr . A .11 Drucksache 18/179 Ratsdokument 12043/15 Drucksache 18/6417 Nr . A .12 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 12044/15 Drucksache 18/6417 Nr . A .13 Bericht der Bundesregierung über die gesetzli- Ratsdokument 12046/15 che Rentenversicherung, insbesondere über die Drucksache 18/6417 Nr . A .14 Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Ratsdokument 12047/15 Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erfor- Drucksache 18/6417 Nr . A .15 derlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Ka- Ratsdokument 12048/15 lenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2014) Drucksache 18/6417 Nr . A .16 Ratsdokument 12049/15 Drucksache 18/3260 Drucksache 18/6607 Nr . A .7 hier: Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenver- Ratsdokument 12190/15 sicherungsbericht 2014 Drucksache 18/6607 Nr . A .9 Ratsdokument 12459/15 Drucksache 18/3387 Drucksache 18/6607 Nr . A .10 Ratsdokument 12460/15 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 18/7612 Nr . A .6 Ratsdokument 15391/15 Bericht der Bundesregierung über den Stand von Drucksache 18/7612 Nr . A .8 Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über Ratsdokument 15398/15 das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2013

Drucksachen 18/3474 Finanzausschuss Drucksache 18/7612 Nr . A .19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 5515/16 (B) (D) Bericht der Bundesregierung über die gesetzli- Drucksache 18/7612 Nr . A .20 che Rentenversicherung, insbesondere über die Ratsdokument 5516/16 Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Drucksache 18/7733 Nr . A .8 Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erfor- Ratsdokument 5636/16 derlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Ka- Drucksache 18/7733 Nr . A .9 Ratsdokument 5637/16 lenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2015) Drucksache 18/7733 Nr . A .12 und Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversi- Ratsdokument 5640/16 cherungsbericht 2015 Drucksachen 18/6870, 18/7116 Nr. 1 Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 18/7612 Nr . A .21 Bericht der Bundesregierung über den Stand von KOM(2015)801 endg . Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über Drucksache 18/7612 Nr . A .22 KOM(2015)802 endg . das Unfall- und Berufskrankheitengeschehen in Drucksache 18/7612 Nr . A .23 der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2014 KOM(2015)803 endg . Drucksachen 18/6980, 18/7116 Nr. 5 Drucksache 18/7612 Nr . A .24 KOM(2015)804 endg . Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 18/7934 Nr . A .10 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- Ratsdokument 6091/16 onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Drucksache 18/7934 Nr . A .11 Ratsdokument 6100/16 Beratung abgesehen hat . Drucksache 18/7934 Nr . A .12 Ratsdokument 6336/16

Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/5459 Nr . A .3 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ratsdokument 9077/15 Drucksache 18/7934 Nr . A .1 Drucksache 18/7934 Nr . A .19 Ratsdokument 6135/16 Ratsdokument 5574/16 16302 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 165 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 15 . April 2016

(A) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Drucksache 18/7934 Nr . A .22 (C) Bau und Reaktorsicherheit EP P8_TA-PROV(2016)0043 Drucksache 18/7934 Nr . A .23 Drucksache 18/7733 Nr . A .20 EP P8_TA-PROV(2016)0044 Ratsdokument 5771/16 Drucksache 18/7934 Nr . A .24 Drucksache 18/7733 Nr . A .21 EP P8_TA-PROV(2016)0051 Ratsdokument 5772/16

Ausschuss für die Angelegenheiten der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Europäischen Union Drucksache 18/7612 Nr . A .32 Drucksache 18/5286 Nr . A .16 EP P8_TA-PROV(2016)0020 Ratsdokument 8886/15

(B) (D)

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