SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 19/2461 19. Wahlperiode 30. September 2020

Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung

Bericht zur politischen Bildung in der 19. Wahlperiode

Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode tische Bildung entlang von sieben Themenfeldern.­ Ein eigenes Kapitel ist dem Besuch des Bundes­ präsidenten Frank-Walter Steinmeier im März 2019 in Neumünster gewidmet. Projekte zu den im Be- richtszeitraum stattgefundenen Wahlen werden ebenfalls in einem separaten Kapitel dargestellt. Der Bericht endet mit konkreten Handlungsempfehlun- gen für eine Weiterentwicklung und Stärkung der politischen Bildung in Schleswig-Holstein. Laut § 7 des Gesetzes zur Einrichtung des Amtes eines oder einer Landesbeauftragten für politische Bildung (PolBiLBeauftrG SH) legt der Landesbeauf- tragte in jeder Wahlperiode einen Bericht über die Situation der politischen Bildung sowie seine Tätig- keit vor. Der Berichtszeitraum des vorliegenden Be- richts reicht vom 1. Februar 2017 bis zum 30. Juni 2020. Foto: Kaja Grope. Alle Zahlenangaben dieses Berichts geben – soweit nicht anders angegeben – den Stand des 30. Juni 2020 wieder. Mein Dank gilt dem Präsidenten des Schleswig-­ Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, Holsteinischen Landtages und seinen Stellvertrete- sehr geehrte Mitglieder des rinnen, allen Mitgliedern des Schleswig-Holsteini- Schleswig-Holsteinischen Landtages, schen Landtages sowie den Mitarbeiter*innen der sehr geehrte Damen und Herren, Fraktionen und der Landtagsverwaltung für die gute Zusammenarbeit und die entgegengebrachte Wert- politische Bildung leistet einen unverzichtbaren Bei- schätzung für meine Arbeit. Ebenso danke ich den trag, um die Bürger*innen – insbesondere Jugend­ Mitgliedern des Kuratoriums des Landesbeauftrag- liche und junge Erwachsene – für unsere Demokratie ten für politische Bildung und den vielen Kooperati- zu gewinnen. Die Einsicht in die Vorzüge unserer frei- onspartner*innen im gesamten Bundesland für den heitlich-demokratischen Grundordnung vererbt sich gemeinsamen und gewinnbringenden­ Einsatz für die nicht von allein. Diejenigen, die erst neu in ­unsere politische Bildung in Schleswig-­Holstein. poli­tische Ordnung hineinwachsen, müssen diese Ordnung mit ihren Werten und Normen verstehen Kiel, den 30. September 2020 lernen. Und wir müssen versuchen, die­jenigen, die an unserer Demokratie und an unserem Rechtsstaat zweifeln, mit guten Argumenten und gesamtgesell- schaftlichen Bemühungen für unser Gemeinwesen Dr. Christian Meyer-Heidemann zurückzugewinnen. Landesbeauftragter für politische Bildung Ich freue mich, Ihnen – auch im Namen meiner Mit- arbeiter*innen – den Bericht über meine Tätigkeit in der 19. Wahlperiode vorlegen zu können. Der Bericht zeigt die grundlegende Bedeutung politischer Bil- dung in sechs Handlungsfeldern auf und dokumen- tiert die Aktivitäten des Landesbeauftragten für poli-

3 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

Inhalt

Vorwort ...... 3

1 Der Landesbeauftragte für politische Bildung 1.1 Mission Statement ...... 6

1.2 Kuratorium ...... 7

1.3 Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln ...... 7

2 Handlungsfelder der politischen Bildung 2.1 Politische Bildung in der Schule ...... 8

2.2 Außerschulische politische Jugendbildung ...... 11

2.3 Politische Erwachsenenbildung ...... 14

2.4 Politische Bildung für Menschen mit

Flucht- und Migrationserfahrung ...... 15

2.5 Publikationen ...... 16

2.6 Digitales ...... 18

 Aktivitäten und Projekte in verschiedenen 3 Themen­feldern der politischen Bildung

3.1 Grundfragen der politischen Ordnung ...... 20

3.2 Historische Bildung und Erinnerungskultur ...... 22

4 3.3 Bürgerschaftliches Engagement und

kommunale Kinder- und Jugendbeteiligung ...... 25

3.4 Extremismusprävention ...... 27

3.5 Digitalisierung und Medienkompetenz ...... 30

3.6 Europäische und internationale Politik ...... 32

3.7 Landeskunde Schleswig-Holstein und

nationale Minderheiten ...... 34 4 Besuch des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier ...... 36 5 Projekte und Aktivitäten zu Wahlen 5.1 jung & wählerisch ...... 38

5.2 Wahl-O-Mat ...... 40

5.3 Wahl-O-Mat zum Aufkleben ...... 42

5.4 Juniorwahl ...... 44

5.5 Diskussionen und Seminare für Erstwähler*innen ...... 45

5.6 Weitere Projekte im Vorfeld von Wahlen ...... 46 6 Handlungsempfehlungen ...... 48 7 Ansprechpartner*innen ...... 54

5 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

1. Der Landesbeauftragte für politische Bildung

1.1 Mission Statement

Der Landesbeauftragte für politische Bildung nimmt in Schleswig-Holstein­ die Aufgaben der früheren Landeszentrale für politische ­Bildung wahr. Er berät Mitglieder im Kuratorium die Landesregierung und den Landtag in Grund­ 14 satzangelegenheiten der politischen Bildung. Der Landesbeauftragte und sein Team arbeiten über­ parteilich und politisch unabhängig. Die Bildungs­ angebote richten sich an alle Bürger*innen, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu stär- Landesweit ken und die politische Kultur in Schleswig-Holstein mehr zu bereichern. Gemeinsam mit verschiedenen Ko- als operationspartner*innen entwickelt der Landes­ 70Kooperations- partner*innen beauftragte neue Ideen für die politische Bildung und setzt diese in die Praxis um. Die Themen der Veranstaltungen und Projekte sind vielfältig. Neben aktuellen politischen Fragen werden 7Mitarbeiter*innen auch historische Ereignisse und Entwicklungen auf- gegriffen. Oft steht der thematische Bezug zu Schleswig-­Holstein im Mittelpunkt, aber es werden ebenso nationale und internationale politische Ent- wicklungen analysiert. Der Landesbeauftragte für politische Bildung setzt bei Veranstaltungen und 144abgeschlossene Projekten auf Formate und Methoden, die einen Aus- Kooperations­ tausch zwischen den Teilnehmer*innen ermögli- vereinbarungen chen. Die Teilnahme an Veranstaltungen und Pro­ jekten ist grundsätzlich kostenfrei. Der Landesbeauftragte für politische Bildung macht vielfältige digitale Bildungsangebote. Zunehmend werden Veranstaltungen auch auf digitalen Plattfor-

6 Mitglieder des Kuratoriums des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode, v.l.n.r.: Tobias von der Heide, MdL; Karsten Biermann (Vorsitzender des Kuratoriums); Jette Waldinger-Thiering,­ MdL (stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums); Jan Oliver Kammesheidt; Lasse Peters­dotter, MdL; Anita Klahn, MdL; Tobias von Pein, MdL; Monika Peters; Jens Henriksen. Es fehlen: Dr. Frank Brodehl, MdL; Helmut Landsiedel; Doris Lorenz; Christian Waldheim; Anna Weigand. Foto: Der Landesbe­auftragte für politische Bildung / Dr. Hauke Petersen.

men angeboten, um den Kreis der Teilnehmer*innen Das Kuratorium nimmt regelmäßig Berichte des zu erweitern. Die Website politische-bildung.sh bildet Landesbeauftragten über seine Arbeit entgegen, eine zentrale Plattform für die politische Bildung in diskutiert zu fachlichen Fragen und gibt Anregun- Schleswig-Holstein. Außerdem bietet der Landes­ gen für die politische Bildungsarbeit. Es kann bei Be- beauftragte Informationen und Diskussionsbeiträge darf weitere Expert*innen zur Beratung hinzuziehen. in den sozialen Medien auf Facebook, Twitter und Die Sitzungen des Kuratoriums sind grundsätzlich ­Instagram an. Im Online-Shop können Bürger*innen öffentlich. kostengünstig Bücher, Broschüren und weitere Mate- rialien versandkostenfrei bestellen. 1.3 Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln 1.2 Kuratorium Die Personal- und Sachmittel des Landesbeauftrag- Das 14-köpfige Kuratorium besteht aus Vertreter*in- ten für politische Bildung sind in einem eigenen nen der Landtagsfraktionen sowie je einer von jeder Haushaltskapitel aufgeführt. Der Landesbeauftragte Fraktion zu benennenden sachverständigen Person, wird von einem Team von sieben Mitarbeiter*innen die in Institutionen oder Verbänden mit Fragen der unterstützt. In der aktuellen 19. Wahlperiode wurden politischen Bildung befasst ist. Die parteinahen Bil- Stellen mit den Themenschwerpunkten „Parteien­ dungseinrichtungen der im Landtag vertretenen Par- demokratie und Populismus“ sowie „Bildungsarbeit teien benennen ebenso wie die Landesschüler*in- gegen Antisemitismus“ eingerichtet. nenvertretungen jeweils eine*n gemeinsame*n Die Sachmittel für politische Bildungsmaßnahmen Vertreter*in. Die Mitglieder werden für die Dauer der betragen 280.000 Euro pro Jahr. Hinzu kommen wei- Wahlperiode des Schleswig-Holsteinischen­ Landta- tere zweckgebundene Mittel, wie etwa 30.000 Euro ges vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen für Projekte zu Wahlen und Europa, sowie Verwal- Landtages bestellt. tungsausgaben.

7 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

2. Handlungsfelder der politischen Bildung

Die Aktivitäten des Landesbeauftragten für politi- Daher sollte in der Betrachtung der Ausgangslage sche Bildung lassen sich in sechs Handlungsfelder und der Beurteilung der Bildungspotenziale grund­ untergliedern. Angebote für Jugendliche und junge legend zwischen dem Fachunterricht der politischen Erwachsene finden sowohl im schulischen Kontext Bildung und der Demokratiebildung als Aufgabe al- als auch in der außerschulischen politischen Kinder- ler Schulfächer sowie der Schule insgesamt unter- und Jugendbildung statt. Hinzu kommt der allge- schieden werden. Beide Ansätze haben unterschied- meine Bereich der Erwachsenenbildung. Als Hand- liche Schwerpunkte und Bildungspotenziale; sie lungsfeld mit eigenen Herausforderungen wird die stehen nicht in Konkurrenz, sondern verhalten sich politische Bildung für Menschen mit Flucht- oder komplementär zueinander. Migrationserfahrung aufgefasst. Neben der Heraus- Der Fachunterricht der politischen Bildung an den gabe und Verbreitung von Publikationen hat das Gymnasien findet in erster Linie im Fach Wirtschaft/ Handlungsfeld der digitalen Bildungsangebote zu- Politik statt. Damit ist an den Gymnasien eine deut­ nehmend an Bedeutung gewonnen. liche Verankerung der politischen Bildung in einem Schulfach gegeben. Die Ausbildung der Wirtschaft/ Politik-Lehrkräfte erfolgt in Schleswig-Holstein 2.1 Politische Bildung in der Schule durch Studiengänge mit fundierten fachwissen- schaftlichen Anteilen, die auf die fachlichen Heraus- Der politischen Bildung in der Schule kommt eine forderungen der schulischen Curricula abgestimmt zentrale Bedeutung zu. Kennzeichnend für dieses sind. Durch das Instrument der Kontingentstunden- Handlungsfeld sind die allgemeine Erreichbarkeit tafel variieren die in der Sekundarstufe I tatsächlich junger Menschen sowie die Verbindlichkeit und der unterrichteten Wochenstunden im Fach Wirtschaft/ hohe Grad an Formalisierung der Bildungsangebote. Politik jedoch deutlich – ebenso die Jahrgangsstufe, Politische Bildungsprozesse werden sowohl durch in der mit dem Fachunterricht Wirtschaft/Politik be- den Fachunterricht der politischen Bildung als auch gonnen wird. Der Durchschnitt der erteilten Jahres- durch innerschulische Beteiligungserfahrungen so- wochenstunden in der Sekundarstufe I lag im Schul- wie durch die allgemeinen Bestrebungen der Schule jahr 2017/2018 bei 2,8, im Schuljahr 2018/2019 bei 2,7.1 zur Demokratiebildung angeregt. Ab dem Schuljahr 2020/2021 soll aufwachsend ab

1 Kleine Anfrage der Abgeordneten Jette Waldinger-Thiering und Antwort der Landesregierung – Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur; Drucksache 19/1753 vom 23.10.2019.

8 Jahrgangsstufe 7 für das Fach Wirtschaft/­Politik ein lag nach Angaben des Ministeriums für Bildung, verbindliches Mindestkontingent von vier Jahres­ Wissen­schaft und Kultur im Fach Weltkunde bei 14,1 wochenstunden in der Sekundarstufe I ein­geführt Wochen­stunden (Schuljahr 2018/19) an Gemein- werden.2 schaftsschulen mit Oberstufe3, im gleichen Jahr lag Der Fachunterricht der politischen Bildung an den der Durchschnitt im Fach Weltkunde an Gemein- Gemeinschaftsschulen hat bislang keine eindeutige schaftsschulen ohne Oberstufe bei 10,5. Für das Fach Verankerung in einem Schulfach. Im Bereich Gesell- Wirtschaft/Politik lagen die Zahlen hingegen bei schaftswissenschaften integriert das Fach Weltkunde durchschnittlich 3,2 Wochenstunden (Gemein- vor allem historische und geographische, aber mit schaftsschulen mit Oberstufe, 2018/19) bzw. 4,9 Wo- geringerem Anteil auch politische Themen. Jedoch chenstunden (Gemeinschaftsschulen ohne Ober- sind die Lehrkräfte des Faches Weltkunde über­ stufe, 2018/19). Ab dem Schuljahr 2020/2021 soll wiegend durch ein Lehramtsstudium des Faches Ge- auch an den Gemeinschaftsschulen aufwachsend ab schichte oder Geographie qualifiziert. Die politi- Jahrgangsstufe 7 das Fach Wirtschaft/Politik mit ei- schen Themen im Weltkundeunterricht werden da- nem verbindlichen Mindestkontingent von vier Jah- her in der Regel fachfremd unterrichtet und ihre tat- reswochenstunden in der Sekundarstufe I unterrich- sächlichen Anteile am Unterrichtsfach sind gering. tet werden.4 Erschwerend kommt hinzu, dass ebenfalls politische Der Politikunterricht an den Berufsschulen findet im Inhalte an den Gemeinschaftsschulen im Fach Wirt- Fach Wirtschaft/Politik statt, das in der Regel zwei- schaft/Politik verortet sind, dieses Fach aber nicht stündig pro Woche unterrichtet werden soll. In der dem Bereich Gesellschaftswissenschaften, sondern Lehramtsausbildung für dieses Fach besteht an der dem Bereich „Arbeit, Wirtschaft und Verbraucher­ Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (Profil Wirt- bildung“ zugeordnet ist. Daraus ergibt sich, dass für schaftspädagogik) das strukturelle Problem, dass die politische Bildung an den Gemeinschaftsschulen Studierende das Fach Wirtschaftswissenschaft zwar keine klare Fachzuordnung vorliegt, da sie auf zwei mit elf weiteren Fächern, nicht aber mit dem Fach Fächer in zwei unterschiedlichen Bereichen der Kon- Wirtschaft/Politik kombinieren können. Dies führt tingentstundentafel verteilt stattfindet. Das kann zur in der Praxis an den Berufsschulen dazu, dass die po- Folge haben, dass Unterrichtsthemen entweder litischen Inhalte im Schulfach Wirtschaft/Politik von mehrfach oder teils überhaupt nicht behandelt wer- Lehrkräften unterrichtet werden, die überwiegend den, die ohnehin knappe Unterrichtszeit insgesamt kein politikwissenschaftliches oder politikdidakti- nicht effizient genutzt wird oder vertiefende Unter- sches Studium absolviert haben. richtsinhalte der politischen Bildung in keinem der Die allgemeine Demokratiebildung bildet einen beiden Fächer ihren Raum finden. wichtigen komplementären Ansatz zum Fachunter- In Verbindung mit den Gestaltungsmöglichkeiten richt der politischen Bildung. Diese Aufgabe ergibt der Kontingentstundentafel ergibt sich ein äußerst sich aus dem allgemeinen Bildungs- und Erziehungs- heterogenes Bild der politischen Bildung im Fachun- auftrag der Schule, insbesondere den pädagogischen terricht der Gemeinschaftsschulen. Der durch- Zielen (§ 4 SchulG). Hierzu können alle Schulfächer schnittlich erteilte Unterricht in der Sekundarstufe I sowie fächerübergreifende und außerunterrichtliche

2 Schreiben der Ministerin Prien vom 4. Februar 2020 an die Schulleitungen der Gymnasien und Gemeinschaftsschulen. 3 Kleine Anfrage der Abgeordneten Jette Waldinger-Thiering und Antwort der Landesregierung – Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur; Drucksache 19/1753 vom 23.10.2019. 4 Schreiben der Ministerin Prien vom 4. Februar 2020 an die Schulleitungen der Gymnasien und Gemeinschaftsschulen.

9 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

tungen sowie Schulprojekte im Vorfeld von Wahlen (siehe dazu ausführlich Kapitel 5).

2.2 Außerschulische politische Jugendbildung

Das Handlungsfeld der außerschulischen politischen Jugendbildung umfasst vor allem die verbandliche und offene Kinder- und Jugendarbeit, kommunale Kinder- und Jugendbeteiligung sowie Projekte mit Jugendbildungsstätten oder anderen Trägern.

Die verbandliche Jugendarbeit bildet ein breites Spektrum gesellschaftlichen Engagements ab. In Ju- gendverbänden kommen Kinder und Jugendliche zu- sammen, werden gemeinsam aktiv, gestalten ihre Freizeit und engagieren sich für ihre Interessen. Trotz der inhaltlichen Vielfalt der Jugendverbände verfü- gen alle über eine verbandliche Organisation, die das Engagement strukturiert und eine Vielzahl an Bil- dungsangeboten bereitstellt. Die Arbeit der Ver- bände wird überwiegend ehrenamtlich getragen. Ne- ben dem hohen Organisationsgrad ist dieser Bereich durch Freiwilligkeit und vergleichsweise hohes En- gagement der Heranwachsenden geprägt. Auch wenn die politische Bildung bei vielen Aktivitä- ten der Jugendarbeit nicht explizit im Mittelpunkt steht, leistet die verbandliche Jugendarbeit einen wichtigen Beitrag zur politischen Bildung und Soziali­sation von Jugendlichen. Im Rahmen ihres En- Politische Bildung in der Schule: Eine Fortbildung für Lehrkräfte und gagements lernen junge Menschen, ihre Interessen Schülervertretungen, die der Landesbeauftragte für politische Bildung zu artikulieren, diese mit anderen abzustimmen und gemeinsam mit Minister­präsident Daniel Günther eröffnete. Foto: Staatskanzlei. Kompromisse zu bilden. Da diese Selbstorganisation sich in verbandlichen Zusammenhängen vollzieht, die auch Repräsentationsorgane und Wahlen umfas- sen, lernen Jugendliche in ihrem Engagement demo- kratische Prozesse und Strukturen kennen. Das Wis- sen um demokratische Abläufe und Erfahrungen mit politischer Entscheidungsfindung sind daher eben- falls ein Kennzeichen dieses Bereichs.

10 Bildungsangebote ihren Beitrag leisten. Da Demo- tungen sowie Schulprojekte im Vorfeld von Wahlen kratiebildung nicht rein kognitiv, sondern durch die (siehe dazu ausführlich Kapitel 5). Erfahrungen des eigenen Handelns erfolgt, kommt den realen demokratischen Handlungsmöglich­ keiten ein besonderer Stellenwert zu. Hier sind in 2.2 Außerschulische politische erster Linie innerschulische Beteiligungsmöglich­ Jugendbildung keiten von Schüler*innen, wie z. B. Klassenrat und Schüler*innenvertretung sowie die Mitbestimmung Das Handlungsfeld der außerschulischen politischen in Schulkonferenzen, zu nennen. Jugendbildung umfasst vor allem die verbandliche Außerdem ist für gelingende politische Bildungs­ und offene Kinder- und Jugendarbeit, kommunale prozesse die Begegnung mit realer Politik und den Kinder- und Jugendbeteiligung sowie Projekte mit dort handelnden Personen besonders förderlich. Jugendbildungsstätten oder anderen Trägern. Diese Begegnungen können außerschulisch erfolgen (z. B. durch Besuche des Landtages, der Kommunal- Die verbandliche Jugendarbeit bildet ein breites vertretungen oder weiterer politischer Organisatio- Spektrum gesellschaftlichen Engagements ab. In Ju- nen) oder durch die Einladung von Politiker*innen in gendverbänden kommen Kinder und Jugendliche zu- Schulen. Der Erlass zur politischen Bildung in Schu- sammen, werden gemeinsam aktiv, gestalten ihre len5 hebt dieses Bildungspotenzial hervor und zeigt Freizeit und engagieren sich für ihre Interessen. Trotz Einbindungsmöglichkeiten von Politiker*innen in der inhaltlichen Vielfalt der Jugendverbände verfü- Schulveranstaltungen auf. Insbesondere vor Wahlen gen alle über eine verbandliche Organisation, die das (siehe Kapitel 5) führte der Landesbeauftragte für po- Engagement strukturiert und eine Vielzahl an Bil- litische Bildung auf dieser Grundlage etliche Dialog- dungsangeboten bereitstellt. Die Arbeit der Ver- veranstaltungen in Schulen gemeinsam mit dem Ver- bände wird überwiegend ehrenamtlich getragen. Ne- band Politischer Jugend (VPJ) durch. Das vom ben dem hohen Organisationsgrad ist dieser Bereich Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur in durch Freiwilligkeit und vergleichsweise hohes En- Kooperation mit Kumulus e.V. durchgeführte Format gagement der Heranwachsenden geprägt. dialog.P leistet ebenfalls einen Beitrag zur Einbindung Auch wenn die politische Bildung bei vielen Aktivitä- von Politiker*innen in Schulen. ten der Jugendarbeit nicht explizit im Mittelpunkt Im Berichtszeitraum lassen sich die Tätigkeiten des steht, leistet die verbandliche Jugendarbeit einen Landesbeauftragten im Handlungsfeld der politi- wichtigen Beitrag zur politischen Bildung und schen Bildung in der Schule wie folgt kennzeichnen: Soziali­sation von Jugendlichen. Im Rahmen ihres En- Entwicklung und Distribution von Unterrichtsmate- gagements lernen junge Menschen, ihre Interessen rial (jeweils zur Kommunal- und Landespolitik in zu artikulieren, diese mit anderen abzustimmen und Schleswig-Holstein, zur Revolution 1918 sowie zur Kompromisse zu bilden. Da diese Selbstorganisation Cap-Arcona-Katastrophe), projektbezogene Koope- sich in verbandlichen Zusammenhängen vollzieht, rationen (z. B. Jugend debattiert, Schule ohne Rassis- die auch Repräsentationsorgane und Wahlen umfas- mus – Schule mit Courage), Fortbildungen für Lehr- sen, lernen Jugendliche in ihrem Engagement demo- kräfte, Durchführung­ von Fachtagen, verschiedene kratische Prozesse und Strukturen kennen. Das Wis- Projekttage u. a. zum Thema Grundrechte, Vorträge sen um demokratische Abläufe und Erfahrungen mit und Workshops an Schulen, Vermittlung von Refe- politischer Entscheidungsfindung sind daher eben- rent*innen und Zeitzeug*innen für Schulveranstal- falls ein Kennzeichen dieses Bereichs.

5 Erlass des Ministeriums für Schule und Berufsbildung vom 6. Juli 2016

11 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

Außerschulische politische Jugendbildung: Dr. Christian Meyer-Heidemann und Vertreter*innen kommunaler Jugendbeteiligung am 20. September 2019 im Kieler Landeshaus. Foto: Der Landes­ beauftragte für politische Bildung / Michael Holldorf.

Ein weiterer wichtiger Bereich im Handlungsfeld der teilweise einen sozial prekären Hintergrund bzw. außerschulischen politischen Jugendbildung ist die sind bildungsbenachteiligt und damit für die politi- offene Kinder- und Jugendarbeit mit ihren ca. 290 Ju- sche Bildung außerhalb von Jugendzentren und gendzentren und -treffs in Schleswig-Holstein. Be- -treffs sowie Schule kaum erreichbar. merkenswert an diesem Handlungsfeld ist, dass die Somit bieten diese Orte einerseits umfassende Mög- Jugendlichen sich freiwillig für gemeinsame Aktivitä- lichkeiten, verschiedene Angebote der politischen Bil- ten treffen und dass die Angebote kaum formalisiert dung in einer flexiblen, persönlich offenen und ver- sind. Die Orte der offenen Kinder- und Jugendarbeit trauensvollen Atmosphäre umzusetzen. Andererseits sind vergleichsweise niedrigschwellig und flexibel in können Jugendliche praktisch erfahren, was es bedeu- Bezug auf mögliche Bildungsangebote. tet, an Entscheidungsprozessen beteiligt zu sein. Die besondere Beziehung der Pädagog*innen zu den Ein weiterer Bereich der außerschulischen politi- Kindern und Jugendlichen ist ein weiteres wichtiges schen Jugendbildung ist die kommunale Kinder- und Kennzeichen dieses Handlungsfeldes. Die freiwillige Jugendbeteiligung. In Schleswig-Holstein existieren Teilnahme und die Freiräume in den Einrichtungen, 70 Kinder- und Jugendvertretungen auf kommunaler die sich an den Interessen der Heranwachsenden ori- Ebene. In den unterschiedlichen Vertretungs­gremien entieren, ermöglichen den Mitarbeiter*innen in den partizipieren junge Menschen an kommunalen Ent- Jugendzentren und -treffs ein vertrauensvolles Ver- scheidungen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 47 f der hältnis zu den Kindern und Jugendlichen. Letztlich Gemeindeordnung Schleswig-Holstein, der eine an- sollen die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit un- gemessene Beteiligung von Kindern und Jugend­ ter Einbeziehung der Jugendlichen selbst ent­stehen lichen bei Planungen und Vorhaben, die ihre In­ und sie zur Selbstbestimmung befähigen. teressen berühren, vorschreibt. Institutionalisierte Weiterhin sind Jugendzentren und -treffs auch An- Kinder- und Jugendvertretungen sowie weitere an- laufpunkte für Jugendliche, die aus unterschiedli- lass- oder projektbezogene Beteiligungsformen bie- chen Gründen an anderen sozialen Aktivitäten von ten Jugendlichen eine Möglichkeit, sich in kommu- Gleichaltrigen nicht teilnehmen bzw. zu ihnen kei- nalpolitischen Themen ein Urteil zu bilden und ihre nen Zugang haben. Diese Heranwachsenden haben Interessen zu artikulieren.

12 Da sich die Jugendlichen für die Vertretungsgremien im Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Fa- selbst zur Wahl stellen müssen und sie häufig in den milie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein Kommunalvertretungen und den Ausschüssen mit (MSGJFS), das gemeinsam mit dem Kreisjugendring Rede- und Antragsrecht beteiligt sind, lernen sie Stormarn e. V. sowie dem MSGJFS angebotene Lan- kommunale Entscheidungs- und Verwaltungsstruk- desforum PartizipAction! sowie die Jugendinitiative turen sowie Akteur*innen kennen und sammeln Er- zu den landesweiten Wahlen #LaWa_SH. Neben die- fahrungen mit politischen Prozessen in ihren Ge- sen landesweit aktiven Akteur*innen sind die Inter- meinden. Durch diese Erfahrungen eignen die nationale Bildungsstätte Jugendhof Scheersberg, die Jugendlichen sich Wissen über politische Strukturen Nordseeakademie Leck und die JugendAkademie Bad und demokratische Entscheidungsfindung an. Da­ Segeberg als wichtigste Kooperationspartner*innen rüber hinaus ist die Freiwilligkeit des jugendlichen im Bereich der außerschulischen politischen Bildung Engagements ein wichtiges Kennzeichen der kom- zu nennen. munalen Beteiligungsstrukturen. Die landesweite Zusammenarbeit im Bereich der Der Landesbeauftragte für politische Bildung organi- außer­schulischen politischen Jugendarbeit wird in siert im Handlungsfeld der außerschulischen politi- der beim Landesbeauftragten für politische Bildung schen Jugendbildung außerdem einzelne Jugend­ angesiedelten Arbeitsgemeinschaft (AG) Politische projekte mit Jugendbildungsstätten oder anderen Jugendbildung koordiniert. Das Netzwerk OKJA-SH, Trägern. Auch dieser Bereich ist durch die Freiwillig- der Landesjugendring, das MSGJFS, das Ministerium keit der Jugendlichen, sich an den Workshops oder für Bildung, Wissenschaft und Kultur, die genannten Seminaren zu beteiligen, und die Offenheit und Bildungsstätten sowie weitere landesweit aktive Or- Flexibilität­ in Bezug auf mögliche Bildungsangebote ganisationen sind Mitglieder dieser AG, die auf Einla- gekennzeichnet. Ein weiteres wichtiges Merkmal be- dung des Landesbeauftragten für politische Bildung steht darin, dass es sich häufig um einmalige Ange- ca. vier Mal pro Jahr tagt. bote handelt und die Teilnehmer*innen einander un- Beispiele für die Tätigkeiten des Landesbeauftragten bekannt sind. für politische Bildung im Handlungsfeld der außer- Die hohe Anzahl an Akteur*innen in der außerschu- schulischen politischen Bildung waren im Berichts- lischen politischen Jugendbildung führt dazu, dass in zeitraum die Vernetzung der Akteur*innen in der AG der verbandlichen und offenen Jugendarbeit die je- Politische Jugendbildung, die Entwicklung eines Bil- weiligen Dachorganisationen die wichtigsten Koope- dungsmaterials zum Thema Kommunal­politik in Ko- rationspartner*innen in diesem Handlungsfeld dar- operation mit dem Landesjugendring Schleswig-­ stellen. Im Bereich der verbandlichen Jugendarbeit Holstein e. V. und dem Kreisjugendring Stormarn e. V., ist der Landesjugendring Schleswig-Holstein e. V. mit ein politisches Speed-Dating für Mädchen und junge seinen 23 Mitgliedsverbänden und weiteren An- Frauen mit Spitzenpolitikerinnen, die jährliche Ko- schlussverbänden der wichtigste Kooperationspart- operation im Landesforum für Kinder- und Jugendver- ner für den Landesbeauftragten. In der offenen Ju- tretungen PartizipAction!, die Einrichtung eines Infor- gendarbeit ist es das Netzwerk Offene Kinder- und mationsportals zur Kinder- und Jugendbeteiligung Jugendarbeit in Schleswig-Holstein (OKJA-SH), das unter politische-bildung.sh/jugendbeteiligung, die ein Gremium der haupt- und ehrenamtlichen Ju- zweimalige Unterstützung der landesweiten Wahlen gendpfleger*innen ist. Angesichts der Vielzahl an der kommunalen Kinder- und Jugendvertretungen so- Vertretungsgremien stellen auch im Bereich der wie mehrere ein- und mehrtägige Seminare für Erst- kommunalen Kinder- und Jugendbeteiligung landes- wähler*innen (siehe ausführlich im Kapitel 5). weite Initiativen, Institutionen und Formate Partner für eine Zusammenarbeit dar. Zu nennen sind hier vorrangig die für Jugendbeteiligung zuständige Stelle

13 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

2.3 Politische Erwachsenenbildung boten konkurrieren, stellen eine Herausforderung für die politische Bildungsarbeit dar. Vielfach brin- Das Handlungsfeld der politischen Erwachsenen­ gen Senior*innen Zeit und Interesse für Angebote bildung ist geprägt durch eine Vielzahl an Institutio- der politischen Erwachsenenbildung auf. Überwie- nen, Akteur*innen und Formaten. Grundsätzlich soll gend werden klassische Präsenzformate (Vorträge, die politische Erwachsenenbildung Interesse für Diskussionsrunden) in Form von Abendveranstal- Politik wecken, historisches und politisches Wissen tungen nachgefragt. vermitteln und die politische Urteilskraft stärken. Der Landesbeauftragte für politische Bildung koope- Veranstaltungen der politischen Erwachsenen­ riert hier mit zahlreichen Akteur*innen der politi- bildung sollen einen Raum bieten, in dem Bür- schen Bildung, z. B. mit den parteinahen Bildungs- ger*innen sachlich und konstruktiv über politische einrichtungen, der Landesarbeitsgemeinschaft und historische Themen diskutieren können. Darü- Schleswig-Holstein von Gegen Vergessen – Für Demo- ber hinaus beabsichtigt politische Bildung, die Bür- kratie e. V., dem Landesverband der Volkshochschulen, ger*innen zur Teilnahme an politischen Beratungs- der Deutsch-Französischen Gesellschaft Schleswig-­ und Entscheidungsprozessen zu motivieren und zu Holstein e. V., dem Bündnis Eine Welt Schleswig-­ befähigen. Holstein e. V. und vielen anderen Partnern. Das Angebot im Handlungsfeld der politischen Er- Eine wesentliche Herausforderung besteht darin, wachsenenbildung umfasste im Berichtszeitraum Menschen zu erreichen, die sich weder politisch en- klassische Formate wie Vorträge, Seminare und Dis- gagieren noch bereits politisch interessiert sind. Sie kussionsveranstaltungen, aber auch Workshops, Ta- bilden eine für die politische Bildung schwer zu er- gungen, Lesungen und Ausstellungen. Bei allen For- reichende Zielgruppe. Aber auch diejenigen, in de- maten konnte sich das Publikum durch Fragen und ren Alltag politische Bildungsangebote mit Beruf, Diskussionsbeiträge beteiligen. Familie, Sport, Kultur und weiteren Freizeit­ange­

Politische Erwachsenenbildung: Die Veranstaltung Wozu Gedenkstätten? am 29. Juni 2018 im Kieler Landeshaus, v.l.n.r: Prof. Dr. Jan Philipp Reemtsma, Moderator Guido Froese, Prof. Dr. Stefanie Endlich und Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundes­ regierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Foto: Der Landesbeauftragte für politische Bildung / Christian Kniese.

14 Feierlicher Abschluss des ersten Projektdurchlaufs von All in im Jüdischen Museum in Rendsburg: Projektteil­nehmer Wasim Tattan, Landtagspräsident Klaus Schlie, Idun Hübner (ZBBS), Dr. Christian Meyer-Heidemann und Ehsan Abri (Projektleiter All In) (v.l.n.r.). Foto: Hamid Saeidi.

2.4 Politische Bildung für Menschen mit Im Berichtszeitraum wurde das 2016 gegründete Pro- Flucht- und Migrationserfahrung jekt New Ways for Newcomers in Kooperation mit der Zentralen Bildungs- und Beratungsstelle für Es besteht nach wie vor ein großer Bedarf an politi- Migrant*innen e. V. (ZBBS) an mehreren Standorten schen Bildungsangeboten für Menschen mit Flucht- in Schleswig-Holstein ausgebaut. Neben der ZBBS und Migrationserfahrung. Hier gilt es, Angebote und waren u. a. Create Future e.V., das Diakonische Werk Projekte zu konzipieren und zu unterstützen, die den Altholstein und das Quartiersmanagement Vicelin- grundlegenden Orientierungsbedürfnissen von Ge- viertel in Neumünster weitere Kooperationspart- flüchteten entsprechen. Ebenfalls werden Bildungs- ner*innen. Das Projekt wurde am 8. März 2019 in angebote für Menschen mit Migrationserfahrung, Neumünster von Bundespräsident Frank-­Walter die schon länger in Schleswig-Holstein leben, benö- Steinmeier besucht (siehe Kapitel 4). Darüber hinaus tigt. Dabei steht nicht allein die Wissensvermittlung wurde ebenfalls in Kooperation mit der ZBBS und über das politische System Deutschlands im Vorder- weiteren Partnern All In, das Transkulturelle Netz- grund, sondern vor allem die wertebasierten Grund- werk gegen Antisemitismus und Rassismus ins Leben lagen des demokratischen und freiheit­lichen Zusam- gerufen, welches seit 2018 durchgeführt wird (siehe menlebens. Die Besonderheit von Bildungsformaten Kapitel 3.4). in diesem Bereich besteht in dem teilweise mutter- sprachlichen Angebot für die Teilnehmer*innen.

15 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

2.5 Publikationen Der Landesbeauftragte für politische Bildung hat etwa 100 verschiedene Titel im Angebot, die auf der Web- Der Landesbeauftragte für politische Bildung bietet site des Landesbeauftragten bestellt oder direkt in zahlreiche aktuelle Publikationen (Bücher, Broschü- den Räumlichkeiten im Karolinenweg 1 in Kiel erwor- ren, Zeitschriften etc.) zu politischen und histori- ben werden können. Zudem besteht bei Veranstaltun- schen Themen an. Die Publikationen werden gegen gen regelmäßig die Möglichkeit, themenverwandte eine geringe Bereitstellungspauschale oder sogar Publikationen am Büchertisch zu erhalten. kostenfrei abgegeben und an alle Schleswig-Holstei- Die Bandbreite des Publikationsangebotes reicht von ner*innen kostenfrei versendet. Durch eine inten- Fragen der Digitalisierung über zahlreiche histori- sive Kooperation mit den Landeszentralen und der sche und landeskundliche Werke bis hin zu Büchern, Bundeszentrale für politische Bildung werden regel- die sich mit gesellschaftspolitischen Aspekten und mäßig aktuelle Verlagstitel in Form von Sonderaus- mit Fragen zur Zukunft der Demokratie befassen. gaben in das Angebot aufgenommen. Zunehmend wird angestrebt, auch ein jüngeres Pub- likum an die Publikationsangebote des Landesbeauf- tragten heranzuführen, z. B. über Graphic Novels zu historisch-politischen Themen. Außerdem ist der Landesbeauftragte für politische Bildung zu ausgewählten Themen selbst publizis- tisch tätig. Im Berichtszeitraum wurden etwa die Unter­richtsmaterialien Demokratie in Schleswig-­ 21.275abgegebene Holstein. Institutionen, Akteure und Prozesse in der Publikationen im Berichtszeitraum Landespolitik (2020 in 2. Auflage erschienen) sowie Demokratie direkt­ vor unserer Tür. Politische Gestal- tungsmöglichkeiten in der Gemeinde (2020 in 3. Auf- lage erschienen) herausgegeben. Speziell für den Ca. Geschichtsunterricht­ gab der Landesbeauftragte die Unterrichtsmaterialien Revolution 1918. Auf- bruch in Schleswig-Holstein und Die Geschichten um die Cap Arcona. Erinnern oder Vergessen? heraus. In jeweils zweiter Auflage sind Meine manipulierte Ju- 100aktuelle Titel im gend, Jugenderinnerungen­ der Flensburgerin Inge- wechselnden Angebot burg Feddersen über das Aufwachsen im National- sozialismus, sowie die Broschüre Minderheiten und Volksgruppen in Schleswig-Holstein. Informationen und Selbstverständnisse (Autor: Frank Lubowitz) er- Hauptziel der politischen Bildungsarbeit via Publikati- schienen. onen ist die Vermittlung von Informationen, die zu Das gesamte Publikationsangebot ist auf der Web- Einsichten und Kenntnissen, aber auch zu Denk­ site des Landesbeauftragten für politische Bildung anstößen auf allen Gebieten des politischen, sozialen unter politischer-bildung.sh/shop zu finden. und wirtschaftlichen Lebens führen sollen – Informa- tionen, um gegenwärtige Probleme und Zukunftsauf- gaben wahrzunehmen, um in der politischen Ausein- andersetzung darüber mitreden und urteilen sowie sich informiert politisch beteiligen zu können.

16 Umfangreiches Publikationsangebot für Bürger*innen: Der Publikationsraum des Landesbeauftragten für politische Bildung im Karolinenweg 1 in Kiel. Foto: Der Landesbe­auftragte für politische Bildung / Dr. Hauke Petersen.

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2.6 Digitales

Der Landesbeauftragte für politische Bildung stellt digitale Angebote zur politischen Bildung zur Ver­ Follower auf Twitter: fügung. Neben der Website ­politische-bildung.sh und der Präsenz in den sozialen Medien bietet er digitale Veranstaltungsformate z.B. in Form von Webtalks an. 1.111 1.203Follower auf Instagram: Follower auf 563 Facebook: Teilnehmer*innen am Webtalk 1.915 mit Alice Hasters zum Thema Alltagsrassismus

Digitales Bildungsangebot: Ausschnitt aus dem Webtalk „Glaubt ihr das echt?!“ Ver­schwörungserzählungen in Zeiten der Corona-­Pandemie. Screenshot: Der Landes­beauftragte für politische Bildung.

18 Im Berichtszeitraum wurden die digitalen Angebote und Veranstaltungen sowie aktuelle politische The- auf mehreren Ebenen ausgebaut und mit der Einrich- men aufgegriffen. Weiterhin wird auf die vielfältigen tung eines eigenen, datenschutzkonformen Video- Angebote politischer Bildung anderer Akteur*innen konferenzservers die Voraussetzungen für die Reali- im Bundesland aufmerksam gemacht. sierung unterschiedlicher Online-Formate geschaffen. Die Website politische-bildung.sh wird laufend tech- Angesichts der besonderen Herausforderung durch nisch und graphisch um neue Elemente erweitert, die Corona-Pandemie wurden ab März 2020 mehrere um zeitgemäß politische Bildung anzubieten. Wei- ursprünglich als Präsenzveranstaltungen geplante terhin wurde die Website im Berichtszeitraum um Vortrags- und Diskussionsformate sowie kurzfristig Informationen auf Englisch, Dänisch, Plattdeutsch konzipierte Angebote zu aktuellen Themen online sowie Frasch und Fering ergänzt. Auch ein Bereich durchgeführt. So haben beispielsweise Webtalks an- mit Informationen in Leichter Sprache wurde einge- lässlich des 75. Jahrestages des Endes des Zweiten richtet. Im Sommer 2020 wurde der Internetauftritt Weltkriegs, mit Alice Hasters zum Thema Alltags­ grundlegend überarbeitet und die Website bietet rassismus und mit Katharina Nocun zu Verschwö- nun technisch die Möglichkeit, den Ansprüchen ei- rungserzählungen stattgefunden. nes weitestgehend barrierefreien Auftritts gerecht Durch die digitalen Veranstaltungsformate werden zu werden. auch Personen erreicht, die üblicherweise nicht an Die digitalen Kanäle bieten auch Raum für neue den Präsenzveranstaltungen teilnehmen oder teil- Ideen der politischen Bildung: Kurz vor der Bundes- nehmen können. Die digitale Verfügbarkeit macht tagswahl 2017 wurde beispielsweise ein Instawalk sowohl eine ortsungebundene Teilnahme als auch mit Influencer*innen aus Schleswig-Holstein im eine asynchrone Nutzung möglich, sodass Personen Kieler Landeshaus durchgeführt, um auf die Wahlen unabhängig von ihrem Wohnort und dem Zeitpunkt und die Angebote des Landesbeauftragten auf- der Veranstaltung an den Bildungsangeboten teil- merksam zu machen. Außerdem wurden zur Land- nehmen können. Die Teilnehmer*innen können mit- tagswahl 2017 Erklärvideos in Leichter Sprache pro- tels Videokonferenz mit den Referent*innen ins Ge- duziert und auf der Website zur Verfügung gestellt. spräch kommen. Neben der Möglichkeit, sich im Bei Instagram rief der Landesbeauftragte unter dem digitalen Veranstaltungsraum an den Diskussionen Hashtag #meinpolitischesbild dazu auf, sich kreativ zu beteiligen, werden die digitalen Formate auf der mit dem Begriff Politik auseinanderzusetzen. Wei- Website des Landesbeauftragten als Livestream zur terhin konnten Bürger*innen in einem Gewinnspiel Verfügung gestellt und diese können auch nach der ihre Gedanken zum Begriff Heimat über die digita- Veranstaltung in der Infothek abgerufen werden. Ins- len Kanäle mitteilen. Bei einem weiteren Gewinn- besondere jüngere Menschen, für die Streams und spiel im Juni 2020 wurden mehrere Online-Plan- Videos zur alltäglichen Mediennutzung gehören, spiele an Schulen in Schleswig-Holstein verlost, bei werden über digitale Angebote besser erreicht. denen die Schüler*innen sich als Politiker*innen ei- Die Präsenz des Landesbeauftragten in den sozialen nes fiktiven Staates mit der Legitimität von Grund- Medien ermöglicht es, auf Bildungsangebote auf- rechtseinschränkungen angesichts des Corona-Vi- merksam zu machen und digitalaffine Zielgruppen an- rus auseinandersetzten. zusprechen. Im Berichtszeitraum wurden die digitalen Die digitalen Angebote des Landesbeauftragten für Aktivitäten daher erheblich erweitert. Neben den be- politische Bildung können über die Website reits bestehenden Facebook- und Twitter-­Accounts politische-bildung.sh sowie auf den Social-Media-­ wurde 2018 ein Instagram-Account eingerichtet. Auf Kanälen bei Facebook (@lpbsh), Twitter (@lpb_sh) und diesen digitalen Kanälen informiert der Landesbeauf- Instagram (@lpb_sh) besucht werden. tragte über Angebote der politischen Bildung in Schleswig-Holstein. Dabei werden eigene Projekte

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3. Aktivitäten und Projekte in verschiedenen Themenfeldern der politischen Bildung

Die Aktivitäten und Projekte des Landesbeauftragten­ für politische Bildung lassen sich grob in sieben The- menfelder unter­gliedern: Grundfragen der politischen Ordnung, historische Bildung und Erinnerungskultur, Projekte255 und bür­gerschaftliches Engagement und kommunale Kin- Veranstaltungen der- und Jugendbeteiligung, Extremismusprävention, Digitalisierung und Medienkompetenz, Europa und internationale Politik, Landeskunde Schleswig-­ Holstein und nationale Minderheiten. In den nach­

49 folgenden sieben Abschnitten werden wenige ausge- verschiedene wählte Projekte vorgestellt, die stellvertretend für eine Veranstaltungsorte in Vielzahl weiterer Aktivitäten des Landesbeauftragten Schleswig-Holstein 1.024 für politische Bildung in den jeweiligen Themen­ Teilnehmer*innen an Peer-Guide-Führungen feldern stehen. während der Anne- ­ Frank-Ausstellung 3.1 Grundfragen der politischen Ordnung 17.224 Die Vermittlung und Reflexion von Grundfragen Besucher*innen der ­unserer politischen Ordnung sind eine dauerhafte Anne-Frank-Ausstellung Aufgabe politischer Bildung. Dieses Themenfeld be- inhaltet Aktivitäten und Projekte, die sich mit den zentralen Strukturen, Prozessen und Institutionen des politischen Systems in Deutschland und seinen tragenden Akteur*innen auseinandersetzen. Ebenso werden grundlegende Werte und Normen der frei- heitlich-demokratischen Ordnung thematisiert. 130Teilnehmer*innen an der Jugendaktionskonferenz Eine Konstante im Jahreskalender des Landesbeauf- im Landeshaus tragten für politische Bildung ist die Ausrichtung der

20 Das Landesfinale vonJugend debattiert am 14. März 2018 im Plenarsaal des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Foto: Der Schleswig-Holsteinische Landtag / Regina Baltschun.

Landesqualifikation und des Landesfinales von Ju- schaft des Bundespräsidenten. Gefördert wird das gend debattiert. Schüler*innen üben in diesem Wett­ Projekt von der Hertie-Stiftung und der Heinz Nixdorf bewerb den sachlichen und faktenbasierten Diskurs Stiftung sowie dem Bundesministerium für Bildung ein. Sie erlernen und erleben so, dass politische Aus- und Forschung. Die Kultusministerkonferenz ist Part- einandersetzungen und konstruktive, kontroverse nerin von Jugend debattiert. In Schleswig-Holstein Diskurse zu den Grundlagen unserer Demokratie ge- wird das Projekt auf Landesebene vom Landesbeauf- hören. Die landesweit ca. 5.000 Teilnehmer*innen tragten für politische Bildung und dem Ministerium von Jugend debattiert treten mit guten Gründen für für Bildung, Wissenschaft und Kultur (MBWK) ausge- einen – nicht zwingend ihren eigenen – Standpunkt richtet. Eine Fortführung der erfolgreichen Koopera- ein und erkennen in der Debatte, dass es auch für die tion wurde bereits bis einschließlich 2024 vertraglich Gegenposition überzeugende Argumente gibt. Die vereinbart. Schüler*innen lernen, dass politische Fragen stets 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts komplexe Fragen sind. Im Landesfinale treten in zwei lud der Landesbeauftragte im November 2018 ge- Altersgruppen je vier Jugendliche gegeneinander an. meinsam mit dem Landesfrauenrat Schleswig-­ Die besten zwei Schleswig-Holsteiner*innen je Holstein zu einer Diskussion über Frauenrechte und Alters­gruppe qualifizieren sich für den Bundesent- Gleichstellungspolitik ein. Landtagsabgeordnete von scheid. Jugend debattiert steht unter der Schirmherr- CDU, SPD, Bündnis90/Die Grünen, FDP und SSW

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sowie 160 weitere Gäste folgten der Einladung und 3.2 Historische Bildung und diskutierten unter dem Titel Macht für die Mehrheit! Erinnerungskultur über politische Verantwortung von Frauen, über eine verbindliche Frauenquote und über die Vereinbarkeit Historische Bildung und Erinnerungskultur sind von Familie und Beruf. feste Bestandteile politischer Bildung. Um politische Ebenso 100 Jahre nach dem historischen Ereignis hielt Entwicklungen und Entscheidungen verstehen und FAZ-Herausgeber und Max Weber-Biograf Jürgen beurteilen zu können, bedarf es historischer Kennt- Kaube auf Einladung des Landesbeauftragten im Ja- nisse über die Herkunft des politischen Gemein­ nuar 2019 im voll besetzen Konferenzsaal des Kieler wesens. In Deutschland meint dies vor allem das Landeshauses einen Vortrag über Politik als Beruf. Wissen um den Zivilisationsbruch, den die Verbre- Kaube stellte die Kernaussagen Webers von 1919 – Po- chen in der Zeit des Nationalsozialismus markieren, litik als Bohren harter Bretter, die Unterscheidung von und die Verantwortung, die damit für das Gemein- Verantwortungs- und Gesinnungsethik, sowie Leiden- wesen insgesamt einhergeht. Aber auch andere his- schaft, Verantwortung und Augen­maß als Eigenschaf- torische Ereignisse und Strukturen, wie der Matro- ten eines geeigneten Politikers – vor, um dann im Ver- senaufstand von 1918 oder die SED-Diktatur in der gleich zur Gegenwart heraus­zuarbeiten, wie enorm DDR, werden hier behandelt. sich in den letzten 100 Jahren der Charakter von Poli- tik verändert hat. In diesem Themenfeld standen im Berichtszeitraum Die Bedeutung der Grundrechte für das Leben jun- Aktivitäten im Vordergrund, die in unterschiedlicher ger Menschen stellte der Landesbeauftragte im Juni Form die Zeit des Nationalsozialismus thematisiert 2019 gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der haben. Eine ganz besondere Veranstaltung führte der parteinahen politischen Bildungsträger und Stiftungen Landesbeauftragte zusammen mit dem Jüdischen in drei Projekttagen an Schulen in Schleswig-Hol- Museum in Rendsburg am 27. Mai 2019 durch. Die stein dar. In Workshops diskutierten die Schüler*in- Holocaust-Überlebende Esther Bejerano las zu- nen anhand ausgewählter Grundrechtsartikel u. a. nächst aus ihren Erinnerungen an ihre Gefangen- die Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit so- schaft im Konzentrationslager Auschwitz. Im An- wie die Frage, was die Unantastbarkeit der Würde schluss gab sie gemeinsam mit der Band Microphone des Menschen konkret bedeutet. Besucht wurden Mafia ein Konzert. die Friedrich-Paulsen-Schule Niebüll, die Richard-­ Zwei Ausstellungsprojekte im Sommer 2019 holten Hallmann-­Schule Trappenkamp und das Berufs­ ebenfalls die Erinnerung an die NS-Verbrechen in das bildungszentrum Plön/Fachschule­ für Sozialpädago- Zentrum der Aufmerksamkeit. Im August 2019 zeigte gik in Preetz. Anlass war der 70. Jahrestag der der Landesbeauftragte – in Kooperation mit der Lan- Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 2019. Im deshauptstadt Kiel und in Zusammenarbeit mit dem Herbst 2020 soll das Projekt mit drei weiteren Pro- Zentrum deutsche Sportgeschichte e. V. ­sowie den Uni- jekttagen fortgesetzt werden. versitäten Potsdam und Hannover – an der Kiellinie­ die Ausstellung Zwischen Erfolg und Verfolgung – Jü- dische Stars im deutschen Sport bis 1933 und danach. Die Ausstellung würdigte mit Hilfe großformatiger Skulpturen jüdische Athlet*innen; diese hatten einen großen Anteil an der Entwicklung des modernen Sports in Deutschlawnd. Als Nationalspieler*innen, Welt- oder Europameister*innen, Olympiasieger*in- nen oder Rekordhalter*innen zählten sie zu den ge- feierten Idolen ihrer Zeit. Nur weil sie Juden*Jüdin-

22 nen waren, wurden sie im NS-Staat ausgegrenzt, Im Berichtszeitraum war ein weiteres wichtiges entrechtet oder sogar ermordet. In der Ausstellungs- Themen­feld im Bereich der historischen Bildung die eröffnung am 2. August 2019 wurde über die Schick- Beschäftigung mit der Geschichte der DDR und dem sale der jüdischen Sportler*innen im Nationalsozia- Unrecht, das vielen Menschen in der SED-Diktatur wi- lismus sowie über Ausgrenzung und Diskriminierung derfahren ist. So trug der Fotograf und Zeitzeuge damals und heute diskutiert. Siegfried Wittenburg an mehreren Schulen in Schles- Vom 25. August bis 25. September 2019 zeigte der wig-Holstein vor, wie sich das Fehlen von Freiheit und Landesbeauftragte zusammen mit der Aktion Kinder- Demokratie im Alltag auswirkte. Zugleich zeigte er und Jugendschutz in Schleswig-Holstein e. V. die Aus- mit seinen Vorträgen, die er mit eigenen Foto­grafien stellung Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte bebilderte, wie sich Menschen mit Mut, List und Klug- in Kiel. Fünf Wochen gastierte die Wanderausstel- heit aus einer Unterdrückung befreien konnten. lung des Anne-­Frank-Zentrums () in der Wittenburg war im Oktober 2017, im April und No- St.-Nikolai-Kirche.­ In diesem Zeitraum besuchten ins- vember 2018 sowie im Juni und Oktober 2019 jeweils gesamt 17.224 Personen die Ausstellung. Darunter eine Woche im Auftrag des Landesbeauftragten im waren auch 1.024 Kinder und Jugendliche, die an den gesamten Bundesland an Schulen unterwegs. Die Ko- Führungen von 16 Peer-Guides teilnahmen. Schü- operation wird im Herbst 2020 fortgesetzt. ler*innen der Jahrgangsstufen 7 bis 10 von Schulen Im Jahr 2018 stand die 100. Wiederkehr der Novem- aus ganz Schleswig-Holstein, Konfirmand*innen und berrevolution von 1918 im Mittelpunkt der Arbeit weitere Jugendgruppen sowie junge Erwachsene von des Landesbeauftragten für politische Bildung. Mit mehreren Berufsschulen und der Polizeidirektion für der großen Wanderausstellung Revolution 1918. Auf- Aus- und Fortbildung wurden von den Peer-­Guides bruch in Schleswig-Holstein, deren pädagogische Be- durch die Ausstellung begleitet. gleitung (Betreuung durch Teamer*innen sowie

Schüler*innen während einer Peer-Guide-­Führung durch die Ausstellung Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte im August 2019 in Kiel. Foto: Aktion Kinder- und Jugendschutz in Schleswig-Holstein / Kathrin Gomolzig.

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Der Fotograf und Zeitzeuge Siegfried Wittenburg im März 2017 bei seinem Vortrag im RBZ Wirtschaft in Kiel. Foto: RBZ Wirtschaft/Karsten Goepel.

Erstellung und Verbreitung von Unterrichtsmaterial 3. November 2018 im Landeshaus) an die Beschäfti- zur Ausstellung) der Landesbeauftragte verantwor- gung mit den Ereignissen von 1918 herangeführt. tete, wurde von Mai bis November 2018 über die his- Durch die aktive Teilnahme der überwiegend jungen torischen Hintergründe des „Matrosenaufstandes“ Gäste entstand ein breit gefächertes Programm. Die an acht Orten in Schleswig-Holstein informiert und einzelnen ­Sessions warfen interessante Fragen auf: die Frage aufgeworfen, was uns die Motive und Welchen Mut brauchten die Matrosen? Welche Handlungen der Revolutionär*innen heute sagen Rolle spielten die Frauen? Und wofür würden Men- können. Die Wanderausstellung war in Flensburg, schen heute auf die Straße gehen? Gefördert wur- Kiel, Lübeck, Rendsburg, Brunsbüttel, Husum, Neu- den die pädagogische Begleitung der Ausstellung münster und Molfsee zu sehen. Außerdem wurde und das Barcamp von der Bundeszentrale für politi- mit dem innovativen Format eines Barcamps (2. und sche Bildung.­

24 Die historischen Bezugspunkte der Arbeit in diesem ­politisch aktiven Jugendlichen und bietet ihnen in Themenfeld wurden in einer großen Veranstaltung am ­jugendgerechten Formen Fortbildungsmöglich­ 9. November 2018 im Kieler Landeshaus zusammen- keiten für ihr Engagement in der Gemeinde an. geführt. Über 200 Gäste erschienen zu einem Abend Der Landesbeauftragte tauscht sich im Rahmen von mit vier Vorträgen über die zentralen Ereignisse die- PartizipAction! regelmäßig in verschiedenen Ge- ses besonderen Datums der deutschen Geschichte: sprächsformaten mit den Jugendlichen aus. Hierbei Prof. Dr. Karl-Heinrich Pohl referierte über die Novem- wurde deutlich, dass die Themen Kommunalpolitik berrevolution 1918/19, Dr. Harald Schmid trug zur und Beteiligungsmöglichkeiten für Jugendliche im Reichspogromnacht 1938 vor und Dr. Anna Kaminsky Schulunterricht nur wenig thematisiert wurden. Dies nahm die Öffnung der Berliner Mauer 1989 in den nahm der Landesbeauftragte zum Anlass, das Unter- Blick. Prof. Dr. Karl-Heinz Breier führte schließ­lich die richtsmaterial Demokratie direkt vor unserer Tür zu historischen Ereignisse unter dem Titel „Freiheit ist entwickeln, welches an alle weiterführenden Schulen immer republikanisch“ zusammen. in Schleswig-Holstein verschickt wurde und seit sei- nem Erscheinen im April 2018 weiterhin stark nach- gefragt wird. Das Material umfasst außerdem eine 3.3 Bürgerschaftliches Engagement Arbeitshilfe für die außerschulische Jugendarbeit, und kommunale Kinder- und die in der Juleica-Aus- und Fortbildung eingesetzt Jugendbeteiligung wird und über den Landesjugendring Schleswig-­ Holstein e.V. und die Moderator*innenfortbildung zur Politische Bildung umfasst immer die politische Pra- Jugendbeteiligung des Ministeriums für Soziales, Ge- xis und die damit verbundene Erfahrung, an der Ge- sundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes staltung der gemeinsamen Angelegenheiten teilha- Schleswig-Holstein zur Verfügung gestellt wird. Das ben zu können. Die Beteiligung an politischen Bera- gesamte Material ist mittlerweile in der dritten Auf- tungs- und Entscheidungsprozessen vermittelt den lage erschienen. Bürger*innen ein konkretes Verständnis von Politik. Weiterhin unterstützte der Landesbeauftragte die lan- Außerdem ist die Demokratie auf Bürger*innen desweiten Wahlen der Kinder- und Jugendvertretun- ange­wiesen, die durch ihr Engagement die Demo- gen, die im Berichtszeitraum zwei Mal durchgeführt kratie mit Leben füllen. Eine bedeutende Aufgabe wurden. Die landesweiten Wahlen wurden erstmalig politischer Bildung besteht somit in der Befähigung vom 20. bis 27. November 2017 in über 20 Gemeinden und Ermutigung – insbesondere junger Menschen – durchgeführt. Vom 18. bis 24. November 2019 fanden zu politischem und gesellschaftlichem Engagement. diese Wahlen zum zweiten Mal an einem landesweit einheitlichen Termin statt. In diesem Zeitraum wur- Den Schwerpunkt in diesem Themenfeld bildet die den in 32 Gemeinden in Schleswig-Holstein­ die Kin- kommunale Kinder- und Jugendbeteiligung. Der der- und Jugendvertretungen neu gewählt. Neben der Landesbeauftragte für politische Bildung beteiligte Beratung der jugendlichen Initiativen zu den Wahlen sich mit unterschiedlichen Formaten von 2017 bis 2017 und 2019 wurden die Organisation und die Aus- 2019 am Landesforum der Kinder- und Jugendver­ richtung der jeweiligen Auftaktveranstaltung maß- tretungen in Schleswig-Holstein PartizipAction! des geblich unterstützt. In dieser Weise wurde den in den Kreisjugendrings Stormarn e. V. Seit dem Jahr 2020 ist Gemeinden aktiven Jugendlichen die Möglichkeit ge- er auch formal offizieller Kooperationspartner in geben, auf die Wahlen und das Thema der kommuna- ­diesem Projekt. PartizipAction! ist Schleswig-­ len Kinder- und Jugendbeteiligung aufmerksam zu Holsteins Vernetzungs- und Fortbildungstreffen für machen. Durch die Beteiligung des Städteverbandes Kinder- und Jugendvertretungen. Es dient dem Schleswig-Holstein an der Podiumsdiskussion der Auf- ­Austausch der in den kommunalen Vertretungen taktveranstaltung 2019 und den großen Zuspruch, den

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die Wahlen aus den kommunalen­ Verwaltungen er- das Thema ein. Madina Assaeva (CDU, Ratsfrau der fuhren, konnten die landesweiten Wahlen wichtige Landeshauptstadt Kiel), Serpil Midyatli, MdL (SPD), Impulse für die Kinder- und Jugendbeteiligung in die Aminata Touré, MdL (Bündnis 90/Die Grünen), Kommunen geben. Katharina Vogel (FDP, Geschäftsführerin der Als Beitrag zur Gleichstellung ermutigte der Landes- FDP-Kreistagsfraktion des Kreises Nordfriesland) beauftragte gemeinsam mit dem Kreis Schleswig-­ und Julia Brüggen (AfD, Ratsfrau der Landeshaupt- Flensburg Mädchen und junge Frauen, sich politisch stadt Kiel) schilderten den Teilnehmerinnen ihren zu engagieren. 70 Schülerinnen hatten bei der Veran- politischen Werdegang sowie die Motivation für ihr staltung Mein Weg in die Politik am 26. April 2019 im politisches Engagement. Anschließend hatten die Schleswiger Rathaus die Gelegenheit, sich mit sechs Schülerinnen im Speed-Dating mit den Politikerin- Politikerinnen auszutauschen. Die ehemalige Beauf- nen die Möglichkeit, weitere Fragen zu deren politi- tragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge schen Biographien zu stellen sowie politische und und Integration, Aydan Özog˘uz, MdB (SPD) führte in gesellschaftliche Themen zu besprechen.

Die Diskutantinnen der Veranstaltung Mein Weg in die Politik am 26. April 2019 in Schleswig: Katharina Vogel, Julia Brüggen, Madina Assaeva, Aydan Özog˘uz, Aminata Touré, Serpil Midyatli (v.l.n.r.) und Moderatorin Toska Jakob (Mitte) Foto: Der Landesbeauftragte für politische Bildung / Carla Ellbrück.

26 3.4 Extremismusprävention Aufgrund des Selbstverständnisses und der Hand- lungslogik politischer Bildung ist die selektive Prä- Es gehört zum Kern der politischen Bildung, mit vention nur vereinzelt und in bestimmten Projekten ­ihrem auf Mündigkeit und Universalität beruhenden Gegenstand politischer Bildung; die indizierte Prä- Ansatz durch Information, Aufklärung und hand- vention zählt jedoch nicht dazu. Bei der selektiven lungsorientierte Projekte einen Beitrag zur Präven- Prävention werden gezielt einzelne Personen und tion jeglicher Formen von Extremismus zu leisten. selten auch Gruppen adressiert, bei denen zwar ein Neben dem großen Aufgabenfeld des Rechtsextre- Potenzial vorhanden ist, antipluralistische Positionen mismus spielt die Prävention gegen religiös begrün- auszuprägen bzw. sich extremistischen Organisatio- deten Extremismus und gegen Linksextremismus nen zuzuwenden, aber noch keine Radikalisierungs- eine weitere Rolle. Das Phänomen des Rechtspopu- tendenz zu erkennen ist. Die indizierte Extremis- lismus findet sich ebenso in der politischen Bil- musprävention richtet sich hingegen an Personen, dungsarbeit unter diesem Themenbereich wieder. In die verfestigte extremistische Einstellungen und Ver- jedem dieser Felder liegt der Fokus der politischen haltensweisen aufweisen, an ausstiegswillige Perso- Bildung auf der universellen Prävention. Die univer- nen und solche, die eventuell Straftaten mit extre- selle Extremismusprävention zielt darauf ab, poten- mistischem Hintergrund begangen haben. Beide ziellen extremistischen Einstellungen und Hand­ Präventionsarten umfassen Aspekte der Interven- lungen in der Allgemeinbevölkerung frühzeitig ent- tion, der Deradikalisierung, der Ausstiegs- und An- gegenzuwirken. gehörigenberatung, der psychotherapeutischen Ver- sorgung sowie weiterer psycho-sozialer Leistungen. Die Bildungsangebote des Landesbeauftragten für Bei der selektiven und vielmehr noch bei der indi- politische Bildung im Bereich der Extremismus­ zierten Prävention werden individuell zugeschnit- prävention sollen das Demokratiebewusstsein durch tene unterstützende und beratende Maßnahmen be- eine Förderung der Analyse- und Urteilskraft, der nötigt, die über den allgemeinen Charakter der Förderung von Konfliktfähigkeit und Toleranz sowie politischen Bildung­ hinausgehen. Hierfür zuständige der Befähigung zu werteorientiertem und mündi- und eigens dafür qualifizierte Akteure sind u. a. gem Denken und Handeln stärken, um dauerhaft vor Sicherheits­behörden (Polizei, Verfassungsschutz, menschenfeindlichen, rassistischen, antisemitischen Justizvollzug), weitere staatliche Stellen (Ministerien, und antidemokratischen Einstellungen zu schützen. Jugend- und Sozialämter) sowie zivilgesellschaftliche Neben der Vermittlung historischer Fakten ist das Beratungsstellen. Wissen über die Vorzüge und Funktionsweisen eines Der Landesbeauftragte für politische Bildung ist im demokratischen Regierungssystems (z. B. Men- Bereich der Rechtsextremismusprävention Mitglied schenrechte, Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, des Beratungsnetzwerks gegen Rechtsextremismus Gewaltenteilung) ebenso von Bedeutung wie das Er- Schleswig-Holstein. Er arbeitet projektbezogen mit lernen demokratischer Denk- und Handlungsweisen. dem Landesdemokratiezentrum und den Regionalen Insgesamt geht es darum, politische Werte und Nor- Beratungsteams gegen Rechtsextremismus zusam- men zu vermitteln, um Entstehungsbedingungen men. Der Landesbeauftragte ist Partner im Projekt von Radikalisierung und Extremismus im Vorfeld zu Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage und be- beeinflussen; das betont den vorbeugenden Charak- teiligte sich in diesem Projekt mit einem eigenen ter politischer Bildungsangebote. Zumeist sind die Vortrag an einer Fortbildung für Lehrkräfte. präventiven Maßnahmen phänomenübergreifend Am 11. April 2018 lud der Landesbeauftragte in Ko- angelegt. Sie sind in schulischen sowie außer­ operation mit dem Allgemeinen Studierenden­ schulischen Zusammenhängen im demokratischen ausschuss der Europa-Universität Flensburg den Handeln und Engagement aktiv erfahrbar. Rechtsextremismus-Experten Andreas Speit in die

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Schleswig im Mittelpunkt. Der Landesbeauftragte für politische Bildung konnte in Kooperation mit dem Kreis Schleswig-Flensburg, der Diakonie Schles- wig-Holstein und dem Evangelisch-Lutherischen Kir- chenkreis Schleswig-Flensburg den Autor Ahmad Mansour für die Veranstaltung Klartext Integration gewinnen. Mansour, eine der profiliertesten Stim- men in der Integrationsdebatte in Deutschland, be- zeichnete in seinem Vortrag vor mehr als 200 Gästen die Integration als eine „Jahrhundertaufgabe“. Er ­forderte, keine falsche Toleranz zu üben und durch ein selbstbewusstes Auftreten des Staates auch die Probleme und Herausforderungen der Integration klar zu benennen. Am Nachmittag leitete Mansour bereits einen Workshop für schleswig-holsteinische Lehrkräfte zum Umgang mit Jugendlichen aus soge- nannten „Ehrenkulturen“. Neben zahlreichen weiteren Projekten und Ver­an­ staltungen bietet der Landesbeauftragte Publikatio- nen zu dem Themenfeld Rechts- und Linksextremis- mus sowie Islamismus und Populismus an (siehe Kapitel 2.5).

Ahmad Mansour während seines Vortrags am 18. März 2019 im Kreishaus in Schleswig. Foto: Der Landesbeauftragte für politische Bildung / Timm Landschof.

28 ­Kulturwerkstatt Kühlhaus in Flensburg ein, um mit Schleswig im Mittelpunkt. Der Landesbeauftragte für ihm und dem Journalisten Carsten Janz über die Be- politische Bildung konnte in Kooperation mit dem wegung der sogenannten Reichsbürger in Deutsch- Kreis Schleswig-Flensburg, der Diakonie Schles- land und Schleswig-­Holstein aufzuklären. wig-Holstein und dem Evangelisch-Lutherischen Kir- Dass persönliche Begegnungen und Austausch zwi- chenkreis Schleswig-Flensburg den Autor Ahmad schen Menschen unterschiedlicher Herkunft oder Mansour für die Veranstaltung Klartext Integration Religion wechselseitig Ressentiments abbauen gewinnen. Mansour, eine der profiliertesten Stim- bzw. diese gar nicht erst entstehen lassen, ist eine men in der Integrationsdebatte in Deutschland, be- zentrale Erkenntnis der Extremismusforschung. All zeichnete in seinem Vortrag vor mehr als 200 Gästen in – Transkulturelles Netzwerk gegen Antisemitismus die Integration als eine „Jahrhundertaufgabe“. Er und Rassismus und die Veranstaltungsreihe Jüdi- ­forderte, keine falsche Toleranz zu üben und durch sches Leben heute setzen daher auf unterschiedliche ein selbstbewusstes Auftreten des Staates auch die Formen der Begegnung und des Dialogs. Probleme und Herausforderungen der Integration Das gemeinsam mit der Zentralen Bildungs- und Be- klar zu benennen. Am Nachmittag leitete Mansour ratungsstelle für Migrantinnen und Migranten bereits einen Workshop für schleswig-holsteinische e. V. (ZBBS) angebotene kultur- und sprachüber- Lehrkräfte zum Umgang mit Jugendlichen aus soge- greifende Format All in widmet sich sowohl antise- nannten „Ehrenkulturen“. mitischen und rassistischen Ansichten, die in der Neben zahlreichen weiteren Projekten und Ver­an­ Gesellschaft aktuell verstärkt auftreten, als auch staltungen bietet der Landesbeauftragte Publikatio- israel­feindlichen Anschauungen von Geflüchteten nen zu dem Themenfeld Rechts- und Linksextremis- aus dem arabischen Raum. Die Workshops richten mus sowie Islamismus und Populismus an (siehe sich an junge Menschen mit und ohne Migrations- Kapitel 2.5). hintergrund sowie unterschiedlicher Religionszu- gehörigkeit und werden auf Deutsch, Farsi und Ara- bisch angeboten. Das Projekt verfolgt einen nachhaltigen Präventionsansatz, indem die Teilneh- mer*innen der verschiedenen Workshop-Gruppen auch nach ihrer sechs­monatigen Projektteilnahme ein Netzwerk bilden, aus dem heraus weitere Aktio- nen und Projekte entstehen sollen. Die seit 16 Jahren bestehende Reihe Jüdisches Leben heute thematisiert die Vielfalt des Judentums in Schleswig-Holstein. Die Veranstaltungen finden über- wiegend vor Ort in den verschiedenen Jüdischen Ge- meinden in Schleswig-Holstein statt. Es werden religi- öse, gesellschaftliche und politische Themen angesprochen und eine Begegnung mit dem jüdi- schen Leben ermöglicht. Dabei ist stets präsent, dass auch 75 Jahre nach dem Menschheitsverbrechen der Shoa das jüdische Leben durch antisemitische Denk- und Handlungsweisen eingeschränkt und bedroht wird. Fragen gelingender Integration standen am 18. März 2019 im voll besetzten Bürgersaal des Kreishauses in

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3.5 Digitalisierung und gemeinsam journalistisches Know-how an und produ- Medienkompetenz zieren eigene Inhalte. Neben den klassischen Forma- ten wie Zeitung, Fernsehen, Film und Magazin wur- Je mehr sich die Lebenswelten vor allem junger Men- den auch digitale Formate redaktionell erstellt. Durch schen in die digitale Sphäre verlagern, desto mehr das Engagement des Landesbeauftragten wurden in müssen Angebote der politischen Bildung auch im allen Bereichen auch intensiver politische Themen be- Digitalen stattfinden. Einerseits sind Veranstaltun- handelt, so beispielsweise in einem­ Gesprächsformat gen und Projekte um digitale Formen zu erweitern, mit Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Land- andererseits umfasst politische Bildung im Digitalen tages. Der Jugendpresse­ frühling­ leistet einen erhebli- auch die Aufklärung über die digitalen Medien selbst. chen Beitrag zur Förderung der Medienkompetenz Politische Bildung zielt in diesem Zusammenhang der Teilnehmer*innen, da durch die eigene Produk- vor allem auf die Vermittlung von Medien­kompetenz. tion ein tiefergehendes Verständnis des jeweiligen Mediums und seiner Handlungslogiken erreicht wird. Die politische Meinungs- und Urteilsbildung steht Diese Kenntnisse tragen die jungen Menschen im durch die Digitalisierung vor erheblichen Heraus­ Nachgang auch in ihr jeweiliges Umfeld und nehmen forderungen, vor allem durch die Phänomene Fake so eine wichtige Funktion als Multiplikator*innen News und Hate Speech. Fake News manipulieren wahr. und verzerren die digitale politische Öffentlichkeit. Ebenfalls ausgeweitet wurde das Engagement beim Hate Speech führt zu einer Verrohung des politi- Medienkompetenztag Schleswig-Holstein. Der Landes- schen Diskurses und verhindert eine sachliche de- beauftragte gehört seit 2019 zu den Institutionen, die mokratische Auseinandersetzung. Zwei Tage vor der den Fortbildungstag für das veranstaltende Netzwerk Bundestagswahl, am 22. September 2017, lud der Medienkompetenz Schleswig-Holstein finanzieren und Landes­beauftragte für politische Bildung die Autorin organisieren. In den letzten Jahren haben jeweils über und österreichische Digitalbotschafterin der 500 Lehrkräfte, Erzieher*innen, Akteur*innen aus der EU-Kommission Ingrid Brodnig sowie den Politikbe- außerschulischen Jugendbildung, Eltern und weitere rater Martin Fuchs zur Veranstaltung #hateandfake – Interessierte aus ganz Schleswig-­Holstein am Medien- Politische Kommunikation, Big Data und Wahlkampf kompetenztag teilgenommen. Der Medienkompetenz- 4.0 ins Kieler Landeshaus ein, um zu diskutieren, tag ist damit die größte Fortbildungsmesse Schles- ­welchen Einfluss Hate Speech und Fake News auf die wig-Holsteins rund um den Einsatz von Medien in der politische Debatte haben. Die Veranstaltung wurde Schule und der außerschulischen Kinder- und Jugend- im Vorfeld von einem Instawalk begleitet. Drei Influ- bildung. Im Berichtszeitraum hat der Landesbeauf- encer*innen aus Schleswig-Holstein nahmen mit je tragte im Rahmen des Medienkompetenztages Work- drei ihrer Follower*innen an einer Führung durchs shops und Themenbörsen­ organisiert, in denen sich Landeshaus teil und diskutierten mit Abgeordneten die Teilnehmer*innen über mediengestützte Formate über Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Familien­ politischer ­Bildung sowie Möglichkeiten der Informa- politik. Über 130.000 Follower*innen wurden durch tion und Partizipation mit digitalen Medien informie- den Instawalk auf die Bundestagswahl aufmerksam ren und austauschen konnten. gemacht sowie für die Themen Fake News und Hate Ein bundesweites Kooperationsprojekt stellen die Speech sensibilisiert. Aktionstage Netzpolitik & Demokratie dar. Da Netz- Zu den festen Terminen im Jahr zählten im Berichts- politik nahezu jeden Bereich gesellschaftlichen zeitraum der Jugendpressefrühling und der Medien- ­Zusammenlebens durchdringt, aber kaum jemand kompetenztag Schleswig-Holstein. Während des benennen kann, wie Netzpolitik den Alltag der ­Jugendpressefrühlings eignen sich medienaffine Ju- ­Bürger*innen bestimmt, riefen die Landeszentralen gendliche im Rahmen eines viertägigen Workshops für politische Bildung und die Bundeszentrale für poli-

30 Teilnehmer*innen während des Jugendpressefrühlings. Foto: Jugendpressefrühling / Jan Philip Ernstling.

tische Bildung 2018 gemeinsam die Aktionstage­ Netz- Chefredakteur von netzpolitik.org Markus Beckedahl. politik und Demokratie­ ins Leben. Der Landesbeauf- Im November 2020 soll dieses Engagement des Lan- tragte für politische Bildung bot in diesem Rahmen desbeauftragten in Kooperation mit der Aktion Kin- 2018 und 2019 Vortrags- und Diskussionsveranstal­ der- und Jugendschutz in Schleswig-Holstein­ e. V. und tungen an, beispielsweise am 7. Juni 2018 zum Thema unter Einbeziehung weiterer Partner*innen aus Netzpolitik und Demokratie? mit dem Gründer und Schleswig-Holstein ausgeweitet werden.

31 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

3.6 Europäische und internationale in die Rolle von Diplomat*innen, Journalist*innen Politik ­sowie Vertreter*innen von NGOs zu schlüpfen und die Komplexität internationaler Politik zu erleben. Angesichts einer globalisierten Welt und der Ver- Politische und kulturelle Bildung sind eng verbunden. flochtenheit deutscher Politik in den Strukturen der Das beweist jährlich der Schleswig-Holsteinische Li- Europäischen Union kann politische Bildung sich teratursommer, der gemeinsam mit dem Literatur- nicht auf nationalstaatliche Themen beschränken, haus Schleswig-Holstein e. V. und weiteren Kooperati- sondern muss sich mit der europäischen und inter- onspartner*innen durchgeführt wird. Jeder Sommer nationalen Politik befassen. Der hohe Wert eines hat einen eigenen Länderschwerpunkt, mit dem friedlichen und stabilen europäischen Gemeinwe- nicht nur die Literatur eines Landes an unterschiedli- sens sowie die Vielfalt der Kulturen müssen in politi- che Orte in Schleswig-Holstein ­getragen wird, son- schen Bildungsangeboten verständlich und erfahrbar­ dern auch Informationen und Diskussionen­ über gemacht werden. dessen Geschichte, Politik und Gesellschaft. In den letzten Jahren standen Bosnien & Herzegowina, Kro- Der Landesbeauftragte beging seinen Jahresauftakt atien und Serbien (2017), Israel (2018), Norwegen seit 2017 mit dem Deutsch-Französischen Dialog­ (2019) und Irland (2020) im Mittelpunkt der literari- forum, das zusammen mit der Deutsch-Französischen schen Sommer in Schleswig-­Holstein. Gesellschaft Schleswig-Holstein e. V., der Familie Um die Zukunft Europas ging es in einem gut besuch- ­Mehdorn Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung ten Vortrag von Prof. Dr. Ulrike Guérot am 7. Mai 2019 Schleswig-Holstein e. V. organisiert und durchgeführt im Schleswig-Holstein-Saal des Landeshauses, kurz wurde. Anlass für diese Dialogreihe war der Anschlag vor den Wahlen zum Europäischen Parlament (siehe auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo dazu auch Kapitel 5). Die Politikwissenschaftlerin plä- und einen jüdischen Supermarkt in Paris im Januar dierte für einschneidende Strukturreformen der Euro- 2015. In den vergangenen vier Veranstaltungen stan- päischen Union. Prof. Guérot verstand ihren Vortrag den Themen der deutsch-französischen Beziehungen als Gesprächsanstoß, nicht als abschließende Lösung. und der europäischen Politik im Mittelpunkt: Warum Der Gedanke, überhaupt Strukturreformen in der EU radikalisieren sich Jugendliche für den Dschihad? (2017), durchzusetzen, sei erst einmal diskussionsfähig zu „Il faut cultiver notre jardin européen.“ Die deutsch-fran- machen. zösische Freundschaft stärken, heißt Europa stärken! Einen besonderen Gast konnte der Landesbeauf- (2018), Demokratie en Marche! Politische und zivilge- tragte für politische Bildung am 12. Oktober 2019 im sellschaftliche Partizipation in Frankreich und Deutsch- Kieler Landeshaus begrüßen: Der Journalist Deniz land (2019) und Woran erinnern wir und warum? Pers- Yücel las aus seinem kurz zuvor erschienenen Buch pektiven auf die deutsche und die französische Agentterrorist. Eine Geschichte über Freiheit und Erinnerungskultur (2020). Freundschaft, Demo­kratie und Nichtsodemokratie. Der Landesbeauftragte für politische Bildung ist seit Über 250 Gäste verfolgten von den vollständig be- 2016 Kooperationspartner bei Model United Nations setzten Plätzen des Plenarsaals und der Besucher­ Schleswig-Holstein (MUN-SH). Dabei handelt es sich tribüne die Lesung und das Gespräch von Yücel mit um ein groß angelegtes Planspiel zu den Vereinten Na- Moderatorin Yasemin Ergin. Yücel verband Beschrei- tionen. MUN-SH vermittelt Wissen, weckt Interesse an bungen über seine ­Inhaftierung in der Türkei sowie gesellschaftlichem und politischem Engagement und die Gewalt und Schikane gegen seine Person immer bringt den Teilnehmer*innen durch eine Simulation wieder mit politischen Entwicklungen in der Türkei internationale Politik näher. Jährlich im März kommen und den deutsch-türkischen Beziehungen. Die Ver- knapp 500 Jugendliche und junge ­Erwachsene aus der anstaltung wurde in Kooperation mit dem Literatur- ganzen Welt für vier Tage in das Kieler Landeshaus, um haus Schleswig-­Holstein e. V. durchgeführt.

32 in die Rolle von Diplomat*innen, Journalist*innen ­sowie Vertreter*innen von NGOs zu schlüpfen und die Komplexität internationaler Politik zu erleben. Politische und kulturelle Bildung sind eng verbunden. Das beweist jährlich der Schleswig-Holsteinische Li- teratursommer, der gemeinsam mit dem Literatur- haus Schleswig-Holstein e. V. und weiteren Kooperati- onspartner*innen durchgeführt wird. Jeder Sommer hat einen eigenen Länderschwerpunkt, mit dem nicht nur die Literatur eines Landes an unterschiedli- che Orte in Schleswig-Holstein ­getragen wird, son- dern auch Informationen und Diskussionen­ über dessen Geschichte, Politik und Gesellschaft. In den Prof. Dr. Ulrike Guérot bei Ihrem Vortrag am 7. Mai 2019 im Kieler Landeshaus. Foto: Der letzten Jahren standen Bosnien & Herzegowina, Kro- Landesbeauftragte für politische Bildung / atien und Serbien (2017), Israel (2018), Norwegen Christian Kniese. (2019) und Irland (2020) im Mittelpunkt der literari- schen Sommer in Schleswig-­Holstein. Um die Zukunft Europas ging es in einem gut besuch- ten Vortrag von Prof. Dr. Ulrike Guérot am 7. Mai 2019 im Schleswig-Holstein-Saal des Landeshauses, kurz vor den Wahlen zum Europäischen Parlament (siehe dazu auch Kapitel 5). Die Politikwissenschaftlerin plä- dierte für einschneidende Strukturreformen der Euro- päischen Union. Prof. Guérot verstand ihren Vortrag als Gesprächsanstoß, nicht als abschließende Lösung. Der Gedanke, überhaupt Strukturreformen in der EU durchzusetzen, sei erst einmal diskussionsfähig zu machen. Einen besonderen Gast konnte der Landesbeauf- tragte für politische Bildung am 12. Oktober 2019 im Kieler Landeshaus begrüßen: Der Journalist Deniz Yücel las aus seinem kurz zuvor erschienenen Buch Agentterrorist. Eine Geschichte über Freiheit und Freundschaft, Demo­kratie und Nichtsodemokratie. Über 250 Gäste verfolgten von den vollständig be- setzten Plätzen des Plenarsaals und der Besucher­ tribüne die Lesung und das Gespräch von Yücel mit Moderatorin Yasemin Ergin. Yücel verband Beschrei- bungen über seine ­Inhaftierung in der Türkei sowie die Gewalt und Schikane gegen seine Person immer wieder mit politischen Entwicklungen in der Türkei Dr. Christian Meyer-Heidemann lud den und den deutsch-türkischen Beziehungen. Die Ver- Journalisten Deniz Yücel am 12. Oktober 2019 ins Kieler Landeshaus ein. Foto: Der anstaltung wurde in Kooperation mit dem Literatur- Landesbeauftragte für politische Bildung / haus Schleswig-­Holstein e. V. durchgeführt. Christian Kniese.

33 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

3.7 Landeskunde Schleswig-Holstein Jahr 2019 wurde es ergänzt um Arbeitshilfen­ für die und nationale Minderheiten außerschulische Bildungsarbeit. Ist Heimat da, wo der Trecker steht? – so wie es ein Eine bedeutende Aufgabe der politischen Bildungs- schleswig-holsteinisches Kind im Rahmen eines arbeit in Schleswig-­Holstein besteht darin, die Be- Wettbewerbes formuliert hat? Auf Einladung des sonderheiten des nördlichsten Bundeslandes auf­ Landesbeauftragten, des Schleswig-Holsteinischen zugreifen und zu vermitteln. Zentral ist hier, dass Heimatbundes und des Kulturforums Schleswig-­ Schleswig-Holstein das einzige Bundesland ist, in Holstein diskutierten im Februar 2019 der Schrift­ dem mit der friesischen Volksgruppe, der dänischen steller Wladimir Kaminer, die stellvertretende Präsi- Minderheit und der Minderheit der deutschen Sinti dentin des Heimatbundes Serpil Midyatli, MdL, und und Roma drei anerkannte nationale Minderheiten die Bloggerin Julia Nissen über Heimat. Sie stellten leben. Diese und weitere schleswig-holsteinische Be- fest, dass der Begriff Heimat ganz persönlich konno- sonderheiten gilt es in den Bildungsangeboten des tiert ist und immer wieder neu angeeignet werden Landesbeauftragten für politische Bildung zu ver- muss. Wie individuell Heimat sein kann, vermittelte mitteln. Kaminer mit verschiedenen Texten aus seinen Wer- ken. Seine Geschichten von Emigration aus der Im Jahr 2018 hat der Landesbeauftragte zwei Unter- Sowjet­union, von kulturellen Missverständnissen richtsmaterialien herausgegeben, die die Landespoli- und Berliner Eigentümlichkeiten sorgten für viel Hei- tik und die Kommunalpolitik in Schleswig-Holstein­ terkeit im Publikum. für den Politikunterricht aufbereiten. Beide Materia- Im Jahr 2020 jährte sich die Grenzziehung zwischen lien wurden von Expert*innen der Politikwissen- Deutschland und Dänemark zum 100. Mal. Anläss- schaft bzw. politischen Bildung verfasst. Die Heraus- lich dieses historischen Ereignisses führte der gabe wurde durch den Landesbeauftragten betreut.­ Landes­beauftragte – zusammen mit der Abteilung Die Unterrichtsmaterialien können in gedruckter Regionalgeschichte der Christian-Albrechts-Universi- Form kostenfrei bestellt werden und sind auch als tät zu Kiel und dem ADS-Grenzfriedensbund – vom Download auf der Website des Landesbeauftragten Oktober 2019 bis Februar 2020 eine Vortragsreihe verfügbar. durch, die verschiedene historische und aktuelle Das Material Demokratie in Schleswig-Holstein stellt in ­politische Aspekte des Grenzlandes und der Minder- fünf Modulen die Institutionen, Akteur*innen und heiten ins Auge fasste. Nach einer Auftakt­­ver­ Prozesse der Landespolitik vor – inklusive Stundenras- anstaltung am 30. Oktober 2019 im Kieler Landes- ter, Kopiervorlagen und didaktischen Hinweisen. Das haus fanden die Vorträge im ganzen Land, unter Material richtet sich an die Sekundarstufe II und ist be- anderen in Husum, Schleswig und Flensburg, aber reits in der 2. überarbeiteten Auflage erschienen. auch im dänischen Apenrade statt. Ein für Ende März Das Unterrichtsmaterial Demokratie direkt vor unserer 2020 in Kiel und Kopenhagen geplantes deutsch-dä- Tür! möchte die Strukturen, Akteur*innen und Ent- nisches Jugendparlament musste leider kurzfristig scheidungswege kommunaler Politik den Schüler*in- ausfallen. nen nahebringen. Werden ihre Meinungen gehört?­ An wen können sie sich wenden, wenn sie politisch aktiv werden wollen? Entlang solcher Fragen werden die politischen Gestaltungsmöglichkeiten­ der Jugend- lichen in ihren Städten und Gemeinden lebensnah aufgegriffen und auf die Situation in den jeweiligen Kommunen übertragen. Das Unterrichtsmaterial richtet sich an Schüler*innen ab Klassenstufe 8. Im

34 Jahr 2019 wurde es ergänzt um Arbeitshilfen­ für die außerschulische Bildungsarbeit. Ist Heimat da, wo der Trecker steht? – so wie es ein schleswig-holsteinisches Kind im Rahmen eines Wettbewerbes formuliert hat? Auf Einladung des Landesbeauftragten, des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes und des Kulturforums Schleswig-­ Holstein diskutierten im Februar 2019 der Schrift­ steller Wladimir Kaminer, die stellvertretende Präsi- dentin des Heimatbundes Serpil Midyatli, MdL, und die Bloggerin Julia Nissen über Heimat. Sie stellten fest, dass der Begriff Heimat ganz persönlich konno- tiert ist und immer wieder neu angeeignet werden muss. Wie individuell Heimat sein kann, vermittelte Kaminer mit verschiedenen Texten aus seinen Wer- ken. Seine Geschichten von Emigration aus der Sowjet­union, von kulturellen Missverständnissen und Berliner Eigentümlichkeiten sorgten für viel Hei- terkeit im Publikum. Im Jahr 2020 jährte sich die Grenzziehung zwischen Deutschland und Dänemark zum 100. Mal. Anläss- lich dieses historischen Ereignisses führte der Landes­beauftragte – zusammen mit der Abteilung Regionalgeschichte der Christian-Albrechts-Universi- tät zu Kiel und dem ADS-Grenzfriedensbund – vom Oktober 2019 bis Februar 2020 eine Vortragsreihe durch, die verschiedene historische und aktuelle ­politische Aspekte des Grenzlandes und der Minder- heiten ins Auge fasste. Nach einer Auftakt­­ver­ anstaltung am 30. Oktober 2019 im Kieler Landes- haus fanden die Vorträge im ganzen Land, unter anderen in Husum, Schleswig und Flensburg, aber v.l.n.r.: Wladimir Kaminer; Serpil Midyatli, MdL; Julia Nissen auch im dänischen Apenrade statt. Ein für Ende März und Moderatorin Kathrin Matern am 28. Februar 2019 im Schleswig-Holstein-Saal des Kieler Landeshauses. 2020 in Kiel und Kopenhagen geplantes deutsch-dä- Foto: Der Landesbeauftragte für politische Bildung / Christian Kniese. nisches Jugendparlament musste leider kurzfristig ausfallen.

35 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

4. Besuch des Bundes­präsidenten Frank-Walter Steinmeier

Am 8. März 2019 wurde dem Landesbeauftragten für Stadt eintrug, empfing ihn der Landesbeauftragte für politische Bildung eine besondere Ehre zu teil: Bun- politische Bildung, Dr. Christian Meyer-Heidemann, despräsident Frank-Walter Steinmeier besuchte auf am Bildungszentrum im Vicelinviertel. Dort fand ein Einladung von Dr. Christian Meyer-Heidemann das gemeinsames Fachgespräch der beiden mit Özgürcan Projekt New Ways for Newcomers und diskutierte in Bas¸ (Junger Rat Kiel), Elisabeth Dannenmann (AWO- Neumünster über Integration, die Gleichberechti- Kita Zwergenland), Idun Hübner (ZBBS) und Monika gung von Frauen und Männern sowie die Werte des Peters (ehem. Direktorin des Landesver­bandes der Grundgesetzes. Volkshochschulen Schleswig-Holstein) statt. Gemein- Das Staatsoberhaupt war am Internationalen Frauen- sam diskutierten die Expert*innen, mit welchen tag in das Neumünsteraner Vicelinviertel gekommen, neuen Ansätzen politische Bildung die Themen um das Integrationsprojekt New Ways for Newco- Grundgesetz und Integration vermitteln kann. mers kennenzulernen. Es fand von April 2016 bis Einen praktischen Ansatz für gelungene Integration Ende 2019 an verschiedenen Orten in Schleswig-­ bot New Ways for Newcomers mit einem gemeinsa- Holstein statt. New Ways for Newcomers wurde ge- men Mittagessen. Die Teilnehmer*innen bereiteten meinsam vom Landesbeauftragten, der Zentralen Bil- Lammkeule mit Baba Ghanoush sowie das Salat-­ dungs- und Beratungsstelle für Migrantinnen und Gericht Fatoush zu und tauschten sich mit Bundes- Migranten e. V. (ZBBS), Create Future e.V., dem Diako- präsident Steinmeier und Dr. Meyer-Heidemann nischen Werk Altholstein und dem Quartiersmanage- über das Thema Gleichstellung? – Für alle! aus. Am ment Vicelinviertel in Neumünster organisiert. Pro- Essen nahmen als Gäste Landtagspräsident Klaus jektleiter war Ehsan Abri, der selbst 2013 aus dem Iran Schlie, Ministerpräsident Daniel Günther, Neumüns- nach Deutschland geflüchtet war. ters Stadtpräsidentin Anna-Katharina Schättiger so- Der Besuch fand im Rahmen des Ideenwettbewerbs wie Oberbürgermeister Olaf Tauras teil. Demokratie ganz nah – Ideen für ein gelebtes Grund- Bei einer anschließenden Kaffeetafel des Bundes­ gesetz statt, der unter der Schirmherrschaft des präsidenten in einem Neumünsteraner Café wurde Bundespräsidenten­ stand. Er stattete drei der 16 teil- ebenfalls über Gleichstellungsfragen diskutiert. nehmenden Bundesländern einen persönlichen Be- 14 Bürger*innen sprachen mit dem Bundespräsiden- such ab. Neumünster war nach Krefeld und Halle/ ten über Rollenbilder und Rollenkonflikte in Deutsch- Saale die dritte und letzte Station, die Bundespräsi- land und in den Herkunftsländern der Zugewander- dent Steinmeier in dieser Reihe besuchte. ten. Zum Abschied überreichte der Landesbeauftragte Der Besuch des Projektes war in ein umfangreiches für politische Bildung dem Bundespräsidenten eine Rahmenprogramm eingebettet. Nachdem der Bun- Kaffeekanne mit den besten Wünschen für die zu- despräsident sich zunächst in das Goldene Buch der künftigen Kaffeetafeln des Bundespräsidenten.

36 Der Landesbeauftragte für politische Bildung, Dr. Christian Meyer-Heidemann, begrüßt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Stadt eintrug, empfing ihn der Landesbeauftragte für 8. März 2019 in Neumünster. Foto: Der politische Bildung, Dr. Christian Meyer-Heidemann, Landesbeauftragte für politische Bildung / Christian Kniese. am Bildungszentrum im Vicelinviertel. Dort fand ein gemeinsames Fachgespräch der beiden mit Özgürcan Bas¸ (Junger Rat Kiel), Elisabeth Dannenmann (AWO- Kita Zwergenland), Idun Hübner (ZBBS) und Monika Peters (ehem. Direktorin des Landesver­bandes der Volkshochschulen Schleswig-Holstein) statt. Gemein- sam diskutierten die Expert*innen, mit welchen neuen Ansätzen politische Bildung die Themen Grundgesetz und Integration vermitteln kann. Einen praktischen Ansatz für gelungene Integration bot New Ways for Newcomers mit einem gemeinsa- men Mittagessen. Die Teilnehmer*innen bereiteten Bundespräsident Steinmeier mit den Teilnehmer*innen des Kurses New Ways for Lammkeule mit Baba Ghanoush sowie das Salat-­ Newcomers sowie den Gästen am 8. März 2019 Gericht Fatoush zu und tauschten sich mit Bundes- im Bildungszentrum Vicelinviertel. Foto: Der präsident Steinmeier und Dr. Meyer-Heidemann Landesbeauftragte für politische Bildung / Christian Kniese. über das Thema Gleichstellung? – Für alle! aus. Am Essen nahmen als Gäste Landtagspräsident Klaus Schlie, Ministerpräsident Daniel Günther, Neumüns- ters Stadtpräsidentin Anna-Katharina Schättiger so- wie Oberbürgermeister Olaf Tauras teil. Bei einer anschließenden Kaffeetafel des Bundes­ präsidenten in einem Neumünsteraner Café wurde ebenfalls über Gleichstellungsfragen diskutiert. 14 Bürger*innen sprachen mit dem Bundespräsiden- ten über Rollenbilder und Rollenkonflikte in Deutsch- land und in den Herkunftsländern der Zugewander- ten. Zum Abschied überreichte der Landesbeauftragte Dr. Christian Meyer-Heidemann überreicht für politische Bildung dem Bundespräsidenten eine dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zum Abschied eine Kaffeekanne. Kaffeekanne mit den besten Wünschen für die zu- Foto: Der Landesbeauftragte für politische künftigen Kaffeetafeln des Bundespräsidenten. Bildung / Christian Kniese.

37 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

5. Projekte und Aktivitäten zu Wahlen

Im Berichtszeitraum fanden vier Wahlen statt: Die Gespräch, um aktuelle Themen der jeweils zur Wahl Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 7. Mai 2017, stehenden Politik sowie den Sinn von Demokratie die Bundestagswahl am 24. September 2017, die und Wahlen im Allgemeinen zu diskutieren. In den Kommunalwahlen am 6. Mai 2018 und die Wahl zum 90-minütigen Veranstaltungen können die Schü- Europäischen Parlament am 26. Mai 2019. Im Vorfeld ler*innen in einer offenen Gesprächssituation ihre dieser Wahlen bot der Landesbeauftragte für politi- Fragen stellen. Zum Einsatz kommen unterschiedli- sche Bildung zahlreiche Projekte an, die im Folgen- che Methoden, durch die sich die Jugendlichen aktiv den vorgestellt werden. beteiligen können. So werden beispielsweise Kandi- dat*innen als „Telefon-Joker“ angerufen und zu ­ihrem politischen Engagement oder dem Ablauf des 5.1 jung & wählerisch Wahlkampfes befragt. Im Rahmen von jung & wähle- risch wurden Erstwähler*innen an Gemeinschafts- Das Schulprojekt jung & wählerisch wurde von schulen, Gymnasien und berufsbildenden Schulen Dr. Christian Meyer-Heidemann bereits vor seiner gleichermaßen angesprochen und erreicht. Bei den Wahl zum Landesbeauftragten für politische Bildung Wahlen zum und zum Europäischen Par- gegründet und wird seit 2012 regelmäßig im Vorfeld lament standen aufgrund des Wahlalters ab 18 Jahren von Wahlen angeboten. Im Projekt kommen Studie- die berufsbildenden Schulen und die Sekundarstufe rende als Teamer*innen mit Erstwähler*innen ins II im Mittelpunkt.

2017:

102Termine an 42 Schulen 2017: (Landtagswahl)

46Termine an 18 Schulen (Bundestagswahl)

38 Gespräch, um aktuelle Themen der jeweils zur Wahl stehenden Politik sowie den Sinn von Demokratie und Wahlen im Allgemeinen zu diskutieren. In den 90-minütigen Veranstaltungen können die Schü- ler*innen in einer offenen Gesprächssituation ihre Fragen stellen. Zum Einsatz kommen unterschiedli- che Methoden, durch die sich die Jugendlichen aktiv beteiligen können. So werden beispielsweise Kandi- dat*innen als „Telefon-Joker“ angerufen und zu ­ihrem politischen Engagement oder dem Ablauf des Wahlkampfes befragt. Im Rahmen von jung & wähle- risch wurden Erstwähler*innen an Gemeinschafts- schulen, Gymnasien und berufsbildenden Schulen gleichermaßen angesprochen und erreicht. Bei den Wahlen zum Bundestag und zum Europäischen Par- lament standen aufgrund des Wahlalters ab 18 Jahren die berufsbildenden Schulen und die Sekundarstufe II im Mittelpunkt. Teamer*innen des Projekts jung & wählerisch. Foto: Jana Jöhnk.

2019:

2018: Termine an 20 Schulen 70(Europawahl) Termine an 19 Schulen 59 (Kommunalwahl)

39 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

5.2 Wahl-O-Mat tagswahlkampfs aufmerksam und stellte anhand konkreter und nachvollziehbarer Thesen die Unter- Der Landesbeauftragte für politische Bildung setzte schiede zwischen den Parteien heraus. Der Wahl-O- zur Landtagswahl 2017 in Kooperation mit der Bundes­ Mat funktioniert als Frage-Antwort-Tool und bietet zentrale für politische Bildung und dem Landesjugend­ die Möglichkeit, die eigene Position mit den Positio- ring Schleswig-Holstein e. V. das Online-­Tool Wahl-O- nen der Parteien zu vergleichen. Das Tool gibt jedoch Mat ein, um die Bürger*innen über die anstehende keine Wahlempfehlung ab. Wahl, wichtige Wahlkampfthemen und die Parteiposi- Die Thesen für den Wahl-O-Mat wurden von einer tionen zu informieren. Der Wahl-O-Mat ist eines der Redaktion aus Jungwähler*innen aus Schleswig-­ bekanntesten Instrumente der politischen Bildung Holstein im Alter von 16 bis 26 Jahren entwickelt. Un- und hat sich seit 2002 als Informationsangebot im terstützt wurde die Redaktion von einem Experten- Vorfeld von Landtags-, Bundestags- und Europawah- team, bestehend aus einem Politikwissenschaftler, len fest etabliert. Nach 2005 (90.000 Nutzungen) und einer Journalistin und einer Pädagogin. Gemeinsam 2012 (255.000 Nutzungen) erfuhr der Wahl-O-Mat zur mit den Jugendlichen prüften die Expert*innen die Landtagswahl 2017 eine deutliche Steigerung der Auf- Thesen auf ihre thematische Vielfalt und inhaltliche merksamkeit und wurde ca. 563.000 Mal genutzt. Plausibilität. Die erarbeiteten Thesen wurden den Der Wahl-O-Mat machte insbesondere jungen Men- Parteien zur eigenverantwortlichen Beantwortung schen das Thema Politik auf eine leichte Weise zu- und Begründung ihrer Positionierung vorgelegt. gänglich. Er machte auf wichtige Themen des Land-

Spitzenpolitiker*innen starten den Wahl-O-Mat zur Landtags- wahl 2017, v.l.n.r.: Patrick Breyer (Piraten), Lars Harms (SSW), Monika Heinold (Bündnis90/Die Grünen), Daniel Günther (CDU), Dr. Heiner Garg (FDP), Dr. Ralf Stegner (SPD). Foto: Der Landesbeauftragte für politische Bildung / Babette Hinz.

40 tagswahlkampfs aufmerksam und stellte anhand konkreter und nachvollziehbarer Thesen die Unter- schiede zwischen den Parteien heraus. Der Wahl-O- Mat funktioniert als Frage-Antwort-Tool und bietet die Möglichkeit, die eigene Position mit den Positio- nen der Parteien zu vergleichen. Das Tool gibt jedoch keine Wahlempfehlung ab. Die Thesen für den Wahl-O-Mat wurden von einer Redaktion aus Jungwähler*innen aus Schleswig-­ Holstein im Alter von 16 bis 26 Jahren entwickelt. Un- terstützt wurde die Redaktion von einem Experten- team, bestehend aus einem Politikwissenschaftler, einer Journalistin und einer Pädagogin. Gemeinsam mit den Jugendlichen prüften die Expert*innen die Thesen auf ihre thematische Vielfalt und inhaltliche Plausibilität. Die erarbeiteten Thesen wurden den Parteien zur eigenverantwortlichen Beantwortung und Begründung ihrer Positionierung vorgelegt.

Die Jugendredaktion des Wahl-O-Maten zur Landtagswahl 2017. Foto: Der Landesbeauf- tragte für politische Bildung / Babette Hinz.

41 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

5.3 Wahl-O-Mat zum Aufkleben die in Fußgängerzonen, Einkaufszentren, Rathäusern, Schulen und Jugendzentren im ganzen Land unter- Zur Landtags-, Bundestags- und Europawahl bot der wegs waren. Landesbeauftragte den Wahl-O-Mat zum Aufkleben, Der Wahl-O-Mat zum Aufkleben zur Landtagswahl eine analoge Variante des Wahl-O-Maten, an. Beim 2017 wurde in Ahrensburg, Bad Oldesloe, Bruns­ Wahl-O-Mat zum Aufkleben, der in Kooperation mit büttel, Elmshorn, Glinde, Halstenbek, Itzehoe, Kiel, der Bundeszentrale für politische Bildung durchge- Lauenburg, Lübeck, Marne, Mölln, Oldenburg und in führt wurde, kommen die gleichen Thesen wie in der Quern präsentiert. Zur Bundestagswahl 2017 war der digitalen Variante zum Einsatz. Die Thesen ­werden Wahl-O-Mat zum Aufkleben in Altenholz, Bad Oldes- beim Wahl-O-Mat zum Aufkleben auf Stellwänden loe, Elmshorn, Eutin, Flensburg, Geesthacht, Heide, mit Klebepunkten beantwortet, so dass die Vertei- Henstedt-Ulzburg, Husum, Itzehoe, Kiel, Lübeck, lung der Positionen innerhalb einer Gruppe abgebil- Neumünster, Pinneberg, Rendsburg und Schleswig det wird. Auf dieser Grundlage konnten Schulklas- vor Ort. Im Vorfeld der Wahl zum Europäischen Par- sen, Jugendgruppen, aber vor allem auch lament konnten Passant*innen und Schüler*innen in Passant*innen die einzelnen Thesen diskutieren und Bad Segeberg, Eckernförde, Eutin, Flensburg, Heide, die Verteilung der Positionen reflektieren. Ein indivi- Husum, Itzehoe, Kiel, Lübeck, Neumünster, Nor- duelles Ergebnis war aber auch bei dieser Variante derstedt, Pinneberg, Plön, Ratzeburg und Rendsburg durch eine Lochkartenauswertung möglich. ihre politischen Positionen mit denen der antreten- Für den Einsatz des Wahl-O-Maten zum Aufkleben den Parteien vergleichen. bildete­ der Landesbeauftragte Teamer*innen aus,

2017:

2017: Orte 16(Bundestagswahl) 14Orte (Landtagswahl)

2019: Orte15 (Europawahl)

42 die in Fußgängerzonen, Einkaufszentren, Rathäusern, Schulen und Jugendzentren im ganzen Land unter- wegs waren. Der Wahl-O-Mat zum Aufkleben zur Landtagswahl 2017 wurde in Ahrensburg, Bad Oldesloe, Bruns­ büttel, Elmshorn, Glinde, Halstenbek, Itzehoe, Kiel, Lauenburg, Lübeck, Marne, Mölln, Oldenburg und in Quern präsentiert. Zur Bundestagswahl 2017 war der Wahl-O-Mat zum Aufkleben in Altenholz, Bad Oldes- loe, Elmshorn, Eutin, Flensburg, Geesthacht, Heide, Henstedt-Ulzburg, Husum, Itzehoe, Kiel, Lübeck, Neumünster, Pinneberg, Rendsburg und Schleswig vor Ort. Im Vorfeld der Wahl zum Europäischen Par- lament konnten Passant*innen und Schüler*innen in Bad Segeberg, Eckernförde, Eutin, Flensburg, Heide, Husum, Itzehoe, Kiel, Lübeck, Neumünster, Nor- derstedt, Pinneberg, Plön, Ratzeburg und Rendsburg ihre politischen Positionen mit denen der antreten- den Parteien vergleichen. Junge Menschen vergleichen ihre politischen Positionen mit denen der zur Wahl stehenden Parteien. Foto: Olaf Malzahn.

Dr. Christian Meyer-Heidemann zeigt Bildungsministerin Karin Prien den Wahl-O-Mat zum Aufkleben am 23. Mai 2019 in Neumünster. Foto: Der Landesbeauftragte für politische Bildung / Christian Kniese.

43 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

5.4 Juniorwahl

Die Juniorwahl simuliert die Wahlen mit über­ wiegend noch nicht wahlberechtigten Schüler*innen in der Woche vor dem tatsächlichen Wahltermin. Das Projekt wurde zur Landtagswahl 2017 und zur Wahl zum Europäischen Parlament 2019 vom Landes- beauftragten für politische Bildung in Kooperation mit Kumulus e. V. (Berlin) umgesetzt. Unterstützt wurde die Juniorwahl durch das Europäische Parla- ment, die Bundeszentrale für politische Bildung und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen 2017: und Jugend. Die Juniorwahl zur Europawahl 2019 wurde zudem durch das Ministerium für Justiz, Eu- ropa, Verbraucherschutz und Gleichstellung des Lan- 156Schulen mit des Schleswig-Holstein gefördert. Eine inhaltliche Vorbereitung dieser Simulation fand jeweils in den Wochen zuvor im Unterricht statt. Das landesweite Ergebnis der Juniorwahl wurde am Wahltag zeit- 39.000Schüler*innen (Landtagswahl) gleich mit den ersten Hochrechnungen präsentiert. Die Juniorwahl zur Bundestagswahl 2017 wurde in Kooperation zwischen dem Ministerium für Schule und Berufsbildung des Landes Schleswig-Holstein und Kumulus e. V. durchgeführt. Erstmals zur Europawahl 2019 wurde ein spezielles Angebot für Grundschulen, die Juniorwahl Kids, vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-­ Holstein umgesetzt.

2019:

Schulen 144mit

32.000Schüler*innen (Europawahl)

44 5.5 Diskussionen und Seminare für nals Kiel geladen. Mit Torsten Albig (SPD), Daniel Erstwähler*innen ­Günther (CDU), Monika Heinold (Bündnis90/Die Grünen), Wolfgang Kubicki (FDP), Patrick Breyer Im Vorfeld der Wahlen zum Landtag 2017 und zum (Die Piraten) und Lars Harms (SSW) diskutierten Europäischen Parlament 2019 hat der Landesbeauf- alle Spitzenkandidat*innen der bis 2017 im Landtag tragte für politische Bildung in Zusammenarbeit mit vertretenen Parteien mit Jugendlichen die wichtigs- dem Verband politischer Jugend Diskussionsveran- ten Themen der Wahl. staltungen in Schulen durchgeführt. Der Verband In Kooperation mit der Nordsee-Akademie Leck und ­politischer Jugend koordinierte als überparteilicher der Internationalen Bildungsstätte Jugendhof Scheers­ Zusammenschluss der Nachwuchsorganisationen berg bot der Landesbeauftragte zur Landtagswahl die Teilnahme von Nachwuchspolitiker*innen. Diese und zur Europawahl Seminare für Erstwähler*innen stellten sich in Form eines Podiumsgespräches oder an, die von insgesamt 150 jungen Menschen besucht im World-Café-Format den Fragen der Schüler*in- wurden. Die Teil­nehmenden bereiteten sich in drei nen. Zur Landtagswahl 2017 wurden 55 Schuldiskus- Tagen intensiv auf die zur Wahl stehenden Parteien sionen durchgeführt, zur Europawahl 29. und ihre Positionen vor. Zum Abschluss der Semi- In den Wochen vor der Landtagswahl 2017 hatte der nare wurden Kandidat*innen der zur Wahl stehen- Landesbeauftragte gemeinsam mit dem Offenen den Parteien einge­laden, um in einem Speed-­Dating Kanal­ Schleswig-Holstein und der Hertie-Stiftung mit den Erstwähler*innen ins Gespräch zu kommen. Spitzenpolitiker*innen ins Studio des Offenen Ka-

Erstwahl­ helfer*innen 2018:

Jugendliche115 aus Erstwahl­ helfer*innen 2019:

Gemeinden 43 (Kommunalwahl) 79 Jugendliche aus 33 Gemeinden (Europawahl)

45 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

Zukünftige Erstwahlhelfer*innen bei einem Vorbereitungsseminar. Foto: Haus Rissen .

Gemeinsam mit dem Haus Rissen führte der Landes- 5.6 Weitere Projekte im Vorfeld von beauftragte im Projekt Erstwahlhelfer Seminare Wahlen durch, die junge Menschen zu Wahlhelfer*innen aus- bildeten. Diese sorgten dann in ihren Gemeinden als Über die genannten Aktivitäten hinaus bot der Lan- Mitglieder des Wahlvorstandes für einen ordnungs- desbeauftragte für politische Bildung zu einzelnen gemäßen Ablauf der Wahl und warben zugleich in- Wahlen weitere Veranstaltungen und Projekte an, die nerhalb ihrer Freundes- und Familienkreise für eine im Folgenden kurz beispielhaft skizziert werden. Teilnahme an der jeweiligen Wahl. Dieses Projekt Zur Landtagswahl 2017 wurde der Filmwettbewerb wurde zur Kommunalwahl 2018 und zur Europawahl Kreuzweise. 60 Sekunden für Schleswig-Holstein in 2019 in Schleswig-Holstein durchgeführt. Kooperation mit EinfallsReich Media ausgelobt.

46 Junge Filmemacher*innen waren aufgerufen, den Mit einem Flashmob am 8. Mai 2019 im Kieler E­in- Sinn von Demokratie und Wahlen in 60-sekündigen kaufszentrum Citti Park machte der Landesbeauf- Filmen in Szene zu setzen. Es wurden insgesamt 14 tragte für politische Bildung in Kooperation mit der Kurzfilme eingereicht, die besten drei Filme wurden Europa-Union Kiel und vielen weiteren Partnern auf am 9. April 2017 im Studio Filmtheater in Kiel uraufge- die bevorstehende Wahl zum Europäischen Parla- führt und prämiert. Schleswig-Holsteinische Kinos ment aufmerksam. Die Mitglieder von sechs Chören zeigten die drei Sieger-Filme bis zur Landtagswahl und das Kieler Kammerorchester sangen und spielten vor ihren Hauptfilmen. die „Ode an die Freude“ aus Beethovens 9. Sympho- Ebenfalls im Vorfeld der Landtagswahl 2017 produ- nie. Sie überraschten damit die Passant*innen im zierte der Landesbeauftragte zusammen mit dem Citti Park mit einer eindrucksvollen künstlerischen Lebens­hilfewerk Mölln-Hagenow Video-Podcasts in Darbietung. Flyer und ein großes Banner warben zur Leichter Sprache. Im Mittelpunkt standen Interviews, Teilnahme an der Wahl. Der Flashmob­ wurde filmisch die Menschen mit Behinderung mit den Spitzen­ festgehalten und ist bei Youtube abrufbar. politiker*innen führten. Alle Videoformate sind über die Website des Landesbeauftragten abrufbar und wurden über die sozialen Medien beworben. Zur Bundestagswahl 2017 produzierte der Landes­ beauftragte für politische Bildung und der Offene ­Kanal Schleswig-Holstein gemeinsam eine Video­ serie. In kurzen Videoclips wurde auf die Bundes- tagswahl aufmerksam gemacht. Die zur Wahl ­stehenden Kandidat*innen aus Schleswig-Holstein wurden vorgestellt und dabei kontroverse Themen der Bundestagswahl aufgegriffen. In jedem dreimi- nütigen Videoclip beantwortete ein*e Kandidat*in eine Frage zu einem politischen Thema. Die Fragen wurden im Vorfeld von interessierten Bürger*innen vornehmlich über die sozialen Medien gestellt. In einer Veranstaltung im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament 2019 standen die Kommu- nen des Landes im Zentrum. Unter dem Titel Was können Kommunen für die Europawahl 2019 tun? dis- kutierten am 22. März 2019 im Kieler Landeshaus Kommunalpolitiker*innen und kommunale Verwal- tungsspitzen mit der damaligen Europaministerin Dr. Sabine Sütterlin-Waack und zur Wahl stehenden Kandidat*innen zur Europawahl 2019. Im Zentrum stand die Frage, wie europapolitische Themen stär- ker in den Kommunen sichtbar gemacht werden können. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit dem Schleswig-Holsteinischen Landkreistag, dem Schleswig-Holsteinischen Gemeindetag, dem Städte- verband Schleswig-Holstein sowie weiteren Partnern durchgeführt.

47 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 19. Wahlperiode

6. Handlungsempfehlungen

Schulfach Wirtschaft/Politik weiter schaften sichtbarer wird und eine engere inhaltliche stärken! Abstimmung mit den benachbarten gesellschafts- wissenschaftlichen Fächern stattfindet. Die Fachan- Bereits in seinem Bericht in der 18. Wahlperiode forderungen der Fächer Wirtschaft/Politik und Welt- hatte der Landesbeauftragte für politische Bildung kunde sollten daraufhin überprüft werden, inwieweit­ eine Stärkung des Faches Wirtschaft/Politik an den sich unklare Zuweisungen bzw. Doppelungen von allgemeinbildenden und beruflichen Schulen gefor- Themen der politischen Bildung ergeben. Sinnvoll dert.6 Es ist ein erfreuliches Signal, dass das Ministe- wäre es schließlich, auf Ebene der Fachschaften Wirt- rium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (MBWK) schaft/Politik und Weltkunde an den jeweiligen Ge- angekündigt hat, ab dem Schuljahr 2020/21 an allen meinschaftsschulen eine genauere Themen- und Gymnasien und Gemeinschaftsschulen das Fach in Aufgabenverteilung zwischen diesen beiden Fächern­ den Sekundarstufe I verbindlich mit vier Jahreswo- vorzunehmen. chenstunden zu unterrichten.7 Es sollte nach Ablauf des Schuljahres 2020/21 evaluiert werden, ob alle Schulen dieser Verpflichtung nachkommen konnten Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und ob der Bedarf an fachlich einschlägig qualifizier- und Antisemitismus entschieden und ten Lehrkräften gedeckt ist. Sollte dies nicht der Fall präventiv entgegentreten! sein, wäre die Wiederaufnahme des Faches Wirt- schaft/Politik in die Liste der sogenannten Mangel­ Gegen alle Bereiche von gruppenbezogener Men- fächer ratsam, um Bewerber*innen mit diesem Fach schenfeindlichkeit und jede Form von Extremismus bevorzugt in den Vorbereitungsdienst einstellen zu sind ein entschiedenes Vorgehen und ein präventiver können. Außerdem sollte die durch das MBWK an­ Ansatz notwendig. Rechtspopulismus, Rechts­ gekündigte Verschiebung des Faches Wirtschaft/­ extremismus und Antisemitismus stellen jedoch be- Politik innerhalb der Kontingentstundentafel der sonders virulente Herausforderungen dar. Es müssen­ ­Gemeinschaftsschulen zeitnah umgesetzt werden, bestehende Bildungs- und Beratungsstrukturen lang- damit das Fach im Bereich Gesellschaftswissen­ fristig finanziell gestärkt werden. Projekte bzw. Pro-

6 Bericht des Landesbeauftragten für politische Bildung in der 18. Wahlperiode, Drs. 18/5191 7 Schreiben der Ministerin Prien vom 4. Februar 2020 an die Schulleitungen der Gymnasien und Gemeinschaftsschulen.

48 gramme gegen menschenfeindliche Einstellungen Für Multiplikator*innen und eine interessierte Öf- müssen zeitlich unbefristet gefördert und landesweit fentlichkeit sollten umfängliche Bildungsangebote umgesetzt werden. Zudem ist es entscheidend, dass konzipiert werden, die beispielsweise ein „Argumen- den Akteur*innen in Schleswig-Holstein bessere Mög- tationstraining – wie begegne ich populistischen und lichkeiten der Vernetzung geboten werden, um landes­ extremistischen Parolen“ umfassen oder sich mit weite Synergien und Kooperationsmöglichkeiten noch dem vermeintlichen Neutralitätsgebot der politi- stärker zu nutzen. Im Bereich der Antisemitismusprä- schen Bildung beschäftigen. Solche Angebote schaf- vention wurde mit der Einrichtung des Beauftragten fen eine bewusste Reflexion einer wertebasierten für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus beim Mi- Grundhaltung. Rassismus und menschenveracht- nisterium für Bildung, Wissenschaft und ­Kultur bereits ende Positionen müssen vor dem Hintergrund der ein wichtiger Schritt getan. freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der In der schulischen und außerschulischen Bildung Menschenrechte deutlich abgelehnt werden. Diese sollte den Themen Extremismus, Populismus, Ras- Positionen sind nicht durch die Neutralitätspflicht sismus, Antisemitismus, Diskriminierung, gruppen- des Staates gedeckt und nicht mit demokratischen bezogene Menschenfeindlichkeit und Kolonialismus Werten vereinbar. Diese Positionen können und ein größerer Rahmen zur Vermittlung beigemessen müssen deshalb auch im öffentlichen Diskurs werden. Ebenso müssen bereits in der Lehramtsaus- ebenso wie im schulischen und außerschulischen bildung und weiteren pädagogischen Ausbildungen Bildungsbereich kenntlich gemacht werden. Gegen (bspw. Sozialpädagog*innen, Erzieher*innen, päda- rassistische, antisemitische und diskriminierende gogische Fachkräfte) diese Themen systematischer Äußerungen muss konsequent – auch strafrechtlich – und verbindlicher Bestandteil sein. Außerdem soll- vorgegangen werden. ten diese Themen Bestandteile regelmäßiger Fort­ Um Rechtspopulismus und Rechtsextremismus prä- bildungen der genannten Multiplikator*innen sein, ventiv und entschieden zu begegnen, benötigt es da sie in diesen Themenfeldern über aktuelle Ent- ­einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz. Neben den wicklungen aufgeklärt und für diese sensibilisiert staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen werden sollten. Es ist daher zu prüfen, ob die beste- braucht es informierte und engagierte Bürger*innen. henden Aus- und Fortbildungsangebote für die ge- Hierfür ist es zentral zu prüfen, inwieweit weitere nannten pädagogischen Berufsfelder in ihrem Um- niedrigschwellige Zugänge für bestehende Präventi- fang ausreichend und die geforderten Inhalte dort onsangebote und eine politische und gesellschaft­ hinreichend verankert sind. liche Teilhabe geschaffen werden können. Auch die Sicherheitsbehörden (Bundeswehr, Polizei, Justizvollzug etc.) müssen in Aus- und Fortbildungen für extremistische und rassistische Einstellungen, Verschwörungserzählungen durch Aussagen­ und Handlungen weiter sensibilisiert wer- Medienkompetenz entgegenwirken! den. Mit der Verleihung des Titels Schule ohne Rassis- mus – Schule mit Courage an die Polizeidirektion für Es existiert eine Vielzahl an Akteur*innen in Schles- Aus- und Fortbildung und für die Bereitschaftspolizei wig-Holstein, die sich auf unterschiedlichen Ebenen Eutin wurde hier ein wichtiges Signal gesendet. Die der Vermittlung von Medienkompetenz angenom- politische Bildung stellt bereits in der Ausbildung men haben. Viele landesweit aktive Institutionen und angehender Polizist*innen einen wichtigen Bestand- Organisationen sind im Netzwerk Medienkompetenz teil dar. Darüber hinaus bedarf es aber auch in den Schleswig-Holstein organisiert. Um Medienkompe- Fortbildungsmodulen für bereits im Dienst befindli- tenz im Unterricht, in der außerschulischen Jugend- che Polizist*innen der verbindlichen Wiedereinfüh- bildung und in der Erwachsenenbildung zu stärken, rung bzw. Stärkung von politischer Bildung. ist ein Ausbau der Netzwerkstruktur und dessen

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­Organisationsgrad wünschenswert. Zu diesem Gedenkstättenarbeit fördern und weiter Zweck sollten die jeweiligen Mitglieder des Netz- professionalisieren! werks Medienkompetenz gestärkt werden. Die Fülle an Informationen in Zeiten von Globalisie- Im Bereich der Gedenkstättenarbeit sollte der bereits rung, Digitalisierung und Krisen erfordert einen eingeschlagene Weg der Professionalisierung weiter- kompetenten Umgang mit Informationen. Ver- verfolgt werden. Die Gedenkstätten und Erinnerungs- schwörungserzählungen erleben vor allem in Krisen- orte im Land sind wichtige Lernorte, nicht nur bei der zeiten wie der Corona-Pandemie ein hohes Maß an Erinnerung an die Opfer der NS-Terrorherrschaft, son- Zuspruch und Aufmerksamkeit. Die oft skurril und dern auch zur Vermittlung von Werten wie Men- harmlos wirkenden Mythen kursieren vermehrt im schenwürde, Toleranz und Demokratie. Die Gedenk- Internet, hauptsächlich in sozialen Netzwerken, Mes- stätten brauchen dafür an allen Orten zeitgemäße senger-Diensten, im Bekannten- und Freundeskreis Ausstellungen und pädagogisch-didaktische Ange- und auf sogenannten Hygienedemos. Es besteht die bote. Zudem ist es not­wendig, die Kooperationen zwi- Gefahr, dass Extremist*innen in der öffentlichen De- schen Schulen und Gedenkstätten weiter auszubauen, batte an Deutungsmacht gewinnen und mit ihren damit möglichst viele junge Menschen eine Gedenk- geschlossenen Weltbildern die demokratische Streit- stätte besuchen können. kultur schädigen. Zudem ziehen sie Verschwörungs- Zur Weiterentwicklung der Erinnerungskultur sind in denken zur Legitimation von Gewalt heran. Die Er- den vergangenen Jahren bereits wichtige Schritte eignisse vom 29. August 2020 in Berlin und vor dem unternommen worden, etwa die Aufstockung der Reichstag spiegeln einen vorläufigen Höhepunkt Zuwendung des Landes an die Bürgerstiftung Schles- dieser Entwicklungen wider. Sie verdeutlichen in ho- wig-Holsteinische Gedenkstätten zur Förderung der hem Maße, warum Verschwörungsanhänger*innen Gedenkstätten. Die Modernisierung der Gedenkstät- und Rechtsextremist*innen mit aller Entschieden- ten Ahrensbök und Kaltenkirchen sowie des Flan- heit entgegengetreten werden muss. dernbunkers Kiel wurde aus dem IMPULS-Infra- Um Verschwörungserzählungen zu begegnen, benö- strukturprogramm des Landes gefördert. Über diese tigt es ein systematisches und präventives Vorgehen. bedeutenden Maßnahmen hinaus brauchen die Eigens dafür bestimmte Beratungsstellen existieren ­Gedenkstätten und Erinnerungsorte im Land auch kaum. Daher müssen bestehende Beratungsstellen weiterhin einen kontinuierlichen Mittelaufwuchs, mit finanziellen und personellen Ressourcen gestärkt um die oben genannten Aufgaben durch qualifizier- werden, um dieses zusätzliche Themenfeld bearbei- tes, hauptamtliches Personal zu bewältigen sowie die ten zu können. Problematische Inhalte wie Verschwö- Instandhaltung und Weiterentwicklung von Aus­ rungserzählungen, extremistische Propaganda, Fake stellungen, Gebäuden und Infrastruktur gewähr­ News und Hate Speech sollten stärker in den schuli- leisten zu können. schen Fachanforderungen verankert werden. Ebenso Eine strukturelle Weiterentwicklung der Bürger­ sollte das Themenfeld intensiver in außer­schulischen stiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten ist da- Angeboten behandelt werden. rüber hinaus angebracht. Die Bürgerstiftung Schles- wig-Holsteinische Gedenkstätten sollte in die Lage versetzt werden, den deutlich gestiegenen Anforde- rungen in der Förder- und Beratungsstruktur auch in Zukunft gerecht zu werden. Die derzeitige Stiftungs- struktur mit einem ehrenamtlichen Vorstand ist dazu nur bedingt in der Lage.

50 Praxiskontakte zwischen Schule und Kommunale Kinder- und Politiker*innen ausbauen! Jugendbeteiligung stärken!

Der praktische Kontakt zwischen Schulen und Poli- Auf kommunaler Ebene lernen die Schüler*innen tik bietet große Potenziale für die politische Bildung. ihre eigenen Partizipationsmöglichkeiten in der Ge- Auf Landesebene wie auch auf kommunaler Ebene meinde kennen, können sich für ihre Interessen ein- lassen sich viele politische Strukturen, Prozesse und setzen und bereichern in dieser Weise das Gemein- Prinzipien vor Ort lebensnah erklären und nachvoll- deleben insgesamt. Daher sollten in der kommunalen ziehen. In dieser Weise kann Politik anschaulich ver- Kinder- und Jugendbeteiligung bestehende Formate mittelt werden, da die Schüler*innen sich mit ihrem und Instrumente verstetigt werden. Insbesondere die unmittelbaren Lebensraum auseinandersetzen.8 Auf Fortbildungsangebote für Akteur*innen aus der Ju- Landesebene bieten sich Besuche des Schleswig-­ gendarbeit sollten weiterhin angeboten und ausge- Holsteinischen Landtages an. Da im Landtag Politi- weitet werden, um in möglichst vielen Kommunen ei- ker*innen verschiedener Parteien vertreten sind und gens qualifizierte Ansprechpersonen für die unterschiedliche Standpunkte öffentlich diskutiert Beteiligung junger Menschen zu schaffen. Es ist zu werden, lässt sich das Kontroversitätsgebot der poli- begrüßen, dass das Ministerium für Soziales, Gesund- tischen Bildung hier vergleichsweise leicht einhalten. heit, Jugend, Familie und Senioren die für Kinder- und Die Angebote des Besucherdienstes, die auch einen Jugendbeteiligung maßgebliche Stelle im Referat Ju- Austausch mit Abgeordneten in kleinerem Rahmen gendpolitik, Jugendarbeit und -förderung, Kinder- und beinhalten, ermöglichen einen direkten Praxisbezug. Jugendschutz neu besetzt hat und diese wichtige Ar- Formate wie Jugend im Landtag sollten gestärkt beit fortgeführt wird. Die Verstetigung dieses En- ­werden. Außerdem sollten noch mehr Abgeordnete gagements ist entscheidend für gelingende Kinder- in die Schulen zum Dialog mit den Schüler*innen und Jugendbeteiligung in Schleswig-Holstein, da die eingeladen werden. Auf kommunaler Ebene sollten Fortbildungsangebote für die Jugendlichen selbst Planspiele im Kreistag, Stadt- oder Gemeinderat, und die Akteur*innen aus der Jugendarbeit wichtige Tage der offenen Tür in Rathäusern und Kreisver­ Impulse geben. Diese Fortbildungsmöglichkeiten waltungen, thematische Zukunftswerkstätten mit sollten über die Jugendarbeit hinaus für Mitarbei- Schüler*innen und die Begegnung und Diskussion ter*innen der Kommunen und Kommunalpoliti- von Schüler*innen und Kommunalpolitiker*innen ker*innen erweitert werden, um diese noch stärker grundsätzlich intensiviert werden. Hierzu sind eine für Kinder- und Jugendbeteiligung zu sensibilisieren gegenseitige Offenheit und eine noch stärkere Initia- und in weiteren Gemeinden Beteiligungsstrukturen tive auf Grundlage des Erlasses zur politischen Bil- zu etablieren. Eine besondere Rolle kommt in diesem dung in Schulen9 notwendig. Zusammenhang den Schulen zu. Besonders in den Monaten vor den landesweiten Wahlen ist es drin- gend notwendig, dass die Rechte und Aufgaben der kommunalen Kinder- und Jugendvertretungen im Unterricht thematisiert werden. Idealerweise sollte auch die Wahl der Kinder- und Jugendvertretungen selbst in den Schulen stattfinden. Es hat sich gezeigt,

8 Meyer-Heidemann, Christian: Praxiskontakte mit Politiker*innen, in: Achour, Sabine/Busch, Matthias/Massing, Peter/Meyer-Heidemann, Christian (Hrsg.): Wörterbuch Politikunterricht, /M. 2020, S. 193 ff. 9 Erlass zur politischen Bildung in Schulen vom 6. Juli 2016

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dass eine erfolgreiche Durch­führung der Wahlen ab- hängig von der Unterstützung durch die Schulen ist. Daher sollte auch das Ministerium für Bildung, Wis- senschaft und Kultur im Vorfeld der landesweiten Wahlen weiterhin auf diese aufmerksam machen und den Schulen empfehlen, die Durchführung der Wah- len vor Ort zu unterstützen.

Politische Bildung für Menschen mit Behinderungen bedarf barrierefreier Zugänge!

Menschen mit Behinderung – insbesondere Men- schen mit kognitiven Einschränkungen – sind auf be- sondere Unterstützungsmaßnahmen angewiesen, um am politischen Prozess teilhaben zu können. Es bedarf barrierefreier Zugänge, die es diesem Perso- nenkreis ermöglichen, sich politisch zu informieren und teilzuhaben. Da den politischen Parteien ein be- sonderer Auftrag zur politischen und gesellschaft­ lichen Willensbildung zuteil ist, tragen sie eine Ver- antwortung, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen innerhalb ihrer eigenen Strukturen und im öffentlichen­ Diskurs noch stärker zu ermögli- chen. Im Berichtszeitraum wurden bereits vor den Wahlen zahlreiche Zugänge geschaffen. Diese Bemühungen sollten in Zusammenarbeit mit dem Landesbeauf- tragten für Menschen mit Behinderung, den Fraktio- nen und Parteien, der Öffentlichkeitsarbeit des Land- tages und der Landesregierung sowie unter Einbe­ziehung von Menschen mit Behinderung und ihrer Interessenvertretungen verstetigt werden. Wünschenswert wären darüber hinaus Angebote, die auch un­abhängig von Wahlen über politische Pro- zesse und Partizipationsmöglichkeiten informieren. Es sollten in den Werkstätten und Wohnheimen noch mehr verstetigte und nachhaltige politische ­Bildungsangebote ermöglicht werden. Diese sollten durch die Förderung entsprechender Fortbildungs- angebote für die Mitarbeiter*innen und Beschäftig- ten unterstützt werden.

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7. Ansprechpartner*innen

Der Landesbeauftragte für politische Bildung und sein Team stehen al- len Bürger*innen und Kooperationspartner*innen gerne als Ansprech- partner*innen zur Verfügung. Die Büroräume und die Publikationsaus- gabe befinden sich gegenüber des Landeshauses im Karolinenweg 1, 24105 Kiel.

Dr. Christian Meyer-Heidemann

Landesbeauftragter für politische Bildung Tel. 0431/988-1647 [email protected]

Dr. Hauke Petersen

Stellvertreter des Landesbeauftragten für politische Bildung 0431/988-1643 [email protected]

Michael Holldorf

Referent 0431/988-1645 [email protected]

Pamela Streiter

Referentin 0431/988-1649 [email protected]

54 Astrid Böttcher

Sachbearbeiterin 0431/988-1644 [email protected]

Babette Hinz

Sachbearbeiterin 0431/988-1642 [email protected]

Catharina Dolge

Assistenzkraft/Sekretariat 0431/988-1646 [email protected]

55 Impressum

Der Landesbeauftragte für politische Bildung Schleswig-Holstein

Karolinenweg 1 24105 Kiel

Telefon: 0431-988 1646 E-Mail: [email protected]

www.politische-bildung.sh

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