Von der "" für die moderne Kunst zum "Markenzeichen" der Moderne : konstruktiv- konkrete Kunst in der Schweiz

Autor(en): Bucher, Annemarie

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Kunst + Architektur in der Schweiz = Art + architecture en Suisse = Arte + architettura in Svizzera

Band (Jahr): 57 (2006)

Heft 3: Klassische Avantgarde = Courants classiques de l'avant-garde = Correnti classiche dell'avanguardia

PDF erstellt am: 10.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-394344

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http://www.e-periodica.ch Annemarie Bucher

Von der «Allianz» für die moderne Kunst zum «Markenzeichen» der Moderne

Konstruktiv-konkrete Kunst in der Schweiz

In den 1910er- und i92oer-Jahren manifestierten konstruktiv-konkrete Prinzip in der Nachkriegszeit die Umweltgestaltung sich in ganz Europa verschiedene avantgardistische nachhaltig, sodass es Züge eines Markenzeichens Kunstbewegungen in Form von annahm.

Künstlergruppen, Schulen, Ausstellungen, Manifesten und Zeitschriften. Kaum eine dieser Bewegungen Konstruktivistische Beziehungen im Vorfeld war von langer Dauer, viele zeigten selbst Geordnete Formen und Farben, die bevorzugten Gestaltungsmittel Auflösungserscheinungen, andere wurden durch politische der konkreten Kunst, waren bereits von den verschiedenen Repressionen unterbunden. Zu den wichtigsten konstruktiven Strömungen erarbeitet worden: De Stijl und der Strömungen zählten die konstruktivistischen russische Konstruktivismus waren über formale Weiterentwicklungen Tendenzen in Osteuropa, Deutschland und Holland, des Kubismus zur totalen Ungegenständlichkeit gelangt. die vehement für eine neue Ästhetik als Malewitschs schwarzes Quadrat und Mondrians neoplastizisti- Ausdruck und Auslöser des technischen und wirtschaftlichen sches Raster stellen solche Nullpunkte der a

2006.3 K+A A+A 43 Ein weiterer Berührungspunkt mit der konstruktivistischen Lohse arbeitete zunächst als Reklamezeichner und war Redaktor Avantgarde entstand, als 1931 in Paris die Gruppe Abstraction- der Zeitschrift Werk, bis er sich auch der autonomen Kunst und Création4 gegründet wurde, die eine starke konstruktivistische den seriellen und modularen Ordnungen zuwandte. Fraktion aufwies. Unter den Mitgliedern waren zahlreiche Schweizer Kunstschaffende, darunter die besagten Bauhaus-Studenten Konfrontationen und «Zeitprobleme» sowie Sophie Taeuber. In den 1930er-Jahren wuchs in grossen Teilen Europas auf Auch zur russischen Avantgarde wurden lebhafte Kontakte politischer und gesellschaftlicher Ebene der Widerstand gegen die unterhalten. El Lissitzky, der 1923 einen längeren Kuraufenthalt Moderne, gefolgt von Ausstellungsverboten. Symptomatisch war im Tessin verbrachte, initiierte vor allem auf dem Gebiet von 1933 die Schliessung des Bauhauses. Der Entzug cler Architektur und Design einen Austausch. Er engagierte sich in der Lebensgrundlage trieb viele Künstler ins Exil, zunächst in die Schweiz Schweiz vor allem publizistisch, war Mitherausgeber der oder nach Paris, London und später häufig nach Amerika. An Architektur-Zeitschrift a45C und veröffentlichte mit Hans Arp 1925 die diesen Orten schien die Bereitschaft, die moderne Kunst als einen Schrift Kunstismen. Darin heisst es unter dem Stichwort Konstruktivismus: «Diese Künstler sehen die Welt durch das Prisma der Technik an. Sie wollen keine Illusion der Farbe auf Leinwand geben und arbeiten direkt in Eisen, Holz, Glas. Die Kurzsichtigen sehen darin nur die Maschine. Der Konstruktivismus beweist, dass die Grenze zwischen Mathematik und Kunst, zwischen einem Kunstwerk und einer Erfindung der Technik, nicht feststellbar ist.»5 Auch El Lissitzkys Plakat für die Russische Ausstellung. Buchgewerbe, Graphik, Theater, Photographie im Kunstgewerbemuseum Zürich 1929 zeigte nachhaltige Wirkung: Die Montage aus zeichnerischen, fotografischen undtypografischen Elementen L vermittelte exemplarisch die moderne Vorstellung eines monumentalen konstruktiven Ganzen. Viele dem konstruktiv-konkreten Schaffen verpflichteten Schweizer Künstler verdienten ihren Lebensunterhalt im Feld der angewandten Kunst, waren als Architekten oder Werbegrafiker für entsprechend progressive Auftraggeber tätig.'' Der Schweizerische Werkbund und insbesondere die Firma Wohnbedarf, die

1931 zur Stärkung cler modernen Wohnkultur gegründet worden war, gehörten zu den beliebten Auftraggebern: Max Bill entwarf das Signet und Marcel Breuer richtete das Ladenlokal ein. Der Bauhaus-Absolvent Xanti Schawinksy arbeitet 1932 einige Monate für Wohnbedarf. Max Bill war auf den verschiedenen Ebenen von freier Kunst und angewandter Gestaltung tätig. 1935 gewann er einen Wettbewerb des Schweizerischen Werkbundes für die Gestaltung des

Schweizer Pavillons an der Triennale in Mailand und setzte dort aMMMBO ein Zeichen sowohl für konkrete Gestaltung als auch für einen schweizerischen Stil,7 der insbesondere in der Nachkriegszeit Wirkung zeigte. Camille Graeser, cler in Stuttgart Innenarchitektur studiert hatte, entwarf beispielsweise 1927 die Inneneinrichtung eines Flauses von Mies van der Rohe in der Stuttgarter Weissenhof-Sied- lung. Freie Kunst entstand neben seiner Arbeit im Innenarchitektur-Atelier, das er 1933 in Zürich gründete. An den Kunstgewerbeschulen von Zürich und Basel hielten die Reklame, die konstruktive Gebrauchsgrafik, neue Fotografie, neue Typografie und Produktgestaltung Einzug. Richard Paul

44 K+A A+A 2006.3 integrierenden Bestandteil einer neuen Gesellschaft zu akzeptieren, schen Erbe. Die Ideen der Pioniere wurden zwar einerseits nach wie vor da zu sein. verteidigt, aber andererseits auch für eine veränderte Lebenspraxis Die Schweiz wurde zur neuen Adresse oder zur Durchgangsstation und den schweizerischen Kontext tauglich gemacht. für Pioniere der abstrakten Kunst, aber auch für eine jüngere Generation, die im Geiste der Moderne erzogen worden war Künstlergruppen und Ausstellungspolitik und sich ihren Lebensunterhalt sichern musste. In den Zürcher Zwischen der international etablierten und cler noch um aAncrkcn- Cafes Odeon und Select sassen erneut Exilanten und erörterten nung ringenden schweizerischen Moderne machte sich ein Bruch die politische Lage und die Zukunft der abstrakten Kunst. «Jeder, bemerkbar. In der damaligen Ausstellungspolitik zeichnete sich der damals dabei war, gewann auf seinem Gebiet Bedeutung und diese Problematik besonders scharf ab.1' Seit Mitte der 1920er- Ausstrahlung, die bis in die Gegenwart hineinwirkt», stellte Anton Jahre wurde in zahlreichen Sonderausstellungen der internationalen Stankowski später fest .s Diese Schwellensituation führte schliesslich Moderne gehuldigt, ohne dass dabei auch Schweizer zu Wort zu einem pragmatischen Umgang mit dem avantgardisti¬ gekommen wären.'" Als 1929 das Zürcher Kunsthaus Abstrakte

1 Hans Fischli, ohne Titel, 1929/30, Öl auf Leinwand mit gravierten Strukturen, 89x55 cm, Kunsthaus Zürich.

2a, b, c Max Bill, fünfzehn Variationen über ein thema, 16 Lithographien, gedruckt bei Mourlet, Paris, 30,5x32 cm, F'aris: editions des chroniques du jour, 1938. - Abgebildet sind «das thema» und

«Variation» 8 und 14.

3 Camille Graeser, Konstruktion I, 1938, Relief, Öl auf Holz, 65x54x7cm, Camille Graeser-Stiftung Zürich.

2006.3 K+A A+A 45 und surrealistische Malerei und die Basler Kunsthalle Arbeiten sche Denkweise in der Kunst unserer Zeit» von Max Bill eine weitere von Bauhaus-Meistern zeigte, ohne entsprechende Protagonisten Präzisierung seiner Gedanken zur konkreten Kunst. Bills aus der Schweiz zu berücksichtigen, löste dies unter Schweizer Definition der konkreten Kunst wurde zum Kern einer künstlerischen Künstlern Proteste aus. Die Initiativen gingen nicht selten von Haltung. Doch nicht nur die neuen Inhalte, sondern auch meist kurzlebigen Künstlergruppen aus, die auch für sich selber die Umstände trugen zur Profilierung der konkreten Kunst bei. Anerkennung und Ausstellungsraum erkämpfen mussten." Neben dem Widerstreit zwischen figurativ arbeitenden Traditionalisten 1932 öffneten sich die Kunsthallen in Bern und Basel auch für und abstrakt argumentierenden Modernen begannen die Schweizer Modernen. Die endgültige Wende leiteten jedoch auch die Fraktionen innerhalb der Moderne allmählich auseinander erst die Ausstellungen These, Antithese, Synthese, 1935 im zu driften. Während sich die Surrealisten mehr und mehr in Kunstmuseum Luzern, und Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und individuellen Standpunkten verloren, gewannen die Konstruktiven Plastik, 1936 im Kunsthaus Zürich, ein. Insbesondere Letztere durch prägnante visuelle Gemeinsamkeiten, manifestartige Texte brachte die schwelenden Konflikte und Fronten an die Oberfläche. sowie durch gemeinsame Ausstellungen an Profil. Die Ausstellung Sie wurde nur möglich, weil im Ausstellungsprogramm des Konkrete Kunst, 1944 in der Kunsthalle Basel, versammelte Werke Kunsthauses eine unvorhergesehene Lücke entstanden war. Die der ersten und zweiten Generation der konstruktiven Kunst. Im Ausstellung, unter der Leitung von Wilhelm Wartmann, organisiert Katalog war neben Texten über die konkrete Kunst von Max Bill von Sigfried Giedion und Max Bill, zeigte 41 Schweizer und Hans Arp ein aufschlussreiches «Zwiegespräch über Moderne Künstler zwischen Surrealismus und Konstruktivismus und Kunstrichtungen» abgedruckt. '6 förderte eine beachtliche Fülle an konstruktivem Schaffen zutage, was für Theorie und Kunstbetrieb nicht ohne Folgen blieb. Diese Die Allianz Schau mit ihrem signifikanten Titel bildete gewissermassen einen Die Ausstellung Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik Gegen-Salon zur XIX. Nationalen Kunstausstellung in Bern, die zeigte auch aufkunstpolitischer Ebene Folgewirkungen: 1937 eigentlich einen repräsentativen Querschnitt garantieren sollte, wurde in Zürich die Künstle rgruppe Allianz, Vereinigung faktisch jedoch eine «Schau der GSMBA-Leute» war.12 moderne Schweizer Künstler gegründet.17 Sie bildete besonders in den Anfängen einen heterogenen Verband von Kunstschaffenden, Der Begriff «konkret» und mathematische, der sich weniger in einem gemeinsamen Stil, als vielmehr in systematische Bildordnungen einem gemeinsamen Ziel fand: Durchsetzung der Moderne in der Im Katalog der Ausstellung Zeitprobleme in der Schweizer Malerei Kunst und politischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus. und Plastik veröffentlichte Max Bill einen Text unter dem Titel Treibende Kraft war der Künstler Leo Leuppi, der sich im Vorfeld «konkrete Gestaltung» (1949 überarbeitet als «konkrete Kunst»). verschiedentlich für die Anerkennung der modernen Schweizer Bill berief sich dabei auf Theo van Doesburg, der 1930 konkrete Künstler durch die Kunstinstitutionen eingesetzt hatte. Neben Malerei im Gegensatz zur abstrakten definierte: «weil nichts Leuppi als Präsident amteten Richard Paul Lohse als Vizepräsident konkreter, nichts wirklicher ist als eine Linie, eine Farbe, eine sowie Hans R. Schiess, Walter Bodmer und Hans Erni als Fläche.»'3 Damit durchbrach er die Grenzen des Konstruktivismus in Vorstandsmitglieder. Im Weiteren vorsammelte sie Künstlerinnen Richtung eines neuen Realitätsverständnisses. Sechs Jahre später und Künstler der abstrakten, nichtfigurativen Richtung, also führ Bill fort: «konkrete kunstwerke nennen wir jene kunstwerke, Surrealisten wie Konstruktive, und die Mitgliederliste veränderte sich die aufgrund ihrer ureigenen mittel und gesetzmässigkeiten - ohne laufend. Die wesentlichen Absichten waren in einem kurzen äusserliche anlehnung an naturerscheinungen oder deren statutarischen Schreibon aufgelistet: Die Allianz ist ein Verein, der transformierung, also nicht durch abstraktion entstanden sind.»'4 die «Förderung der modernen Kunst und die Wahrung der daraus Seine etwa gleichzeitig begonnene Grafik-Mappe/üre/zeAn sich ergebenen Interessen» unterstützt. Variationen über ein thema (i935~38Y:' liefert ein anschauliches Um die Forderung nach mehr Raum für die Avantgarde - Beispiel dafür (Abb. 2). 16 Lithografien dokumentieren die insbesondere an den Nationalen Kunstausstellungen - durchzusetzen, «méthode der Verwandlung und umkleidung' einer grundidee, eines organisierte die Allianz eigene Ausstellungen, betrieb eine themas, in bestimmte verschiedenartige und abgeleitete ausdrucks- Galerie (Galerie des Eaux-Vives in Zürich) und unternahm formen». In Serie zeigen sie die logische Strukturierung eines publizistische Aktivitäten. Im Allianz-Verlag's wurden eine Zeitschrift, schöpferischen Gedankens und seine auf einem Grundthema Bücher, Grafik und Mappenwerke zu Billigstpreisen verlegt. aufbauenden, unterschiedlich wirkenden, bildnerischen Konkretionen Einfache und preisgünstige Drucktechniken (Linolschnitte, auf. Ein und dieselbe spiralförmige Progression wird 15 mal Holzschnitte, Matrizendrucke) dienten primär dazu, die Anliegen der unterschiedlich visuell interpretiert. Gruppe an eine breitere Öffentlichkeit zu bringen. Druckgrafik 1949 erschien im Katalog der Ausstellung Antoine Pevsner, erfüllte künstlerische wie massenmediale Funktionen gleicher- Georges Vantongerloo, Max Bill unter dem Titel «Die Mathemati¬ massen. Zu den manifestartigen Schriften gehörten der Almanach

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4 Richard Paul Lohse, Verwandlung von vier gleichen Figuren, 1942, Tempera auf Holz, 62x76 cm, Emanuel Hoffmann- Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel.

neuer Schweizer Kunst (1940) und die Künstlerzeitschrift abstrakt/ Loewensberg und Richard Paul Lohse. Häufig wurden Fritz Glar- konkret (Bulletin der Galerie des Eaux Vives, Zürich; Abb. 5). Letztere ner19 und Hans Hinterreiter2" einbezogen. Sie alle begannen aus erschien zwischen 1944 und 1945 und verkörperte in zwölf einem Stil heraus, der sich durch eine dynamische räumliche Nummern visuell und argumentativ die Ziele und die Haltung der Geometrie auszeichnete, an unverkennbaren individuellen Auslegungen Allianz. Im gleichen Geist wurden verschiedene Grafikmappen der geometrischen Bildmittel zu arbeiten. verlegt. Das Ziel der Allianz war ein zweifaches: Einerseits bot sie Max Bill und Richard Paul Lohse waren die Wortführer. Seit Rückendeckung für die andernorts verfolgte Moderne, und seiner Rückkehr vom Bauhaus versuchte Bill, das konstruktive andererseits versuchte sie Modernen aus den eigenen Reihen mehr Denken sowohl theoretisch wie auch bildnerisch weiterzuentwickeln Rückhalt in der Öffentlichkeit zu geben. Dafür erntete die Gruppe und umzusetzen. Ausgehend von Grundthemen wie aber oft Beschimpfungen und Vorwürfe, dem Kulturbolschewismus spiralförmigen Progressionen oder dem Moebiusband schuf er immcr anzuhängen. Als aktive Künstlervereinigung vermochte sie wieder neue Variationen. Lohse begann im Zuge der Allianz ein sich bis Mitte der igsoer-Jahre zu halten. starkes politisches und konstruktives Engagement zu entwickeln und vertrat zunächst eine geometrisierende Figuration (Abb. 4). °ie «Zürcher Konkreten» a\b 1942 beschäftigte er sich mit der Systematisierung der Form Innerhalb der Allianz kristallisierte sich im Laufe der 1940er- und der Standardisierung der Bildmittel, bis er 1943 streng Jahre immer mehr eine Gruppierung von Kunstschaffenden heraus, systematisch wurde und ausschliesslich Vertikal- und Horizontalstruk- die sich durch eine konsequent konkrete Bildsprache turen verwendete, um auf dieser Basis serielle und modulare verband. Zum harten Kern zählten Max Bill, Camille Graeser, Verena Ordnungen zu erfinden (.Abb. 7).

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5 Zeitschrift «abstrakt/konkret», 1945, nr. 9/10, Umschlag, gestaltet von Verena Loewensberg.

6 Verena Loewensberg, ohne Titel, 1934, Farbstift, Gouache und Bleistift auf Papier, 50x62cm, Courtesy Henriette Coray Loewensberg, Zürich.

7 Richard Paul Lohse, Zehn gleiche Themen in fünf Farben, 1946-47, Öl auf Leinwand, 64 x 200 cm, Richard Paul Lohse-Stiftung Zürich. r

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Vergleichsweise zurückhaltender und undogmatischer wirkten che. Die Bezeichnung «Zürcher Konkrete» entstand 1949 anlässlich Verena Loewensberg und Camille Graeser. Loewensberg war einer Ausstellung von Bill, Lohse, Loewensberg und Graeser an der Ausstellung Zeitprobleme 1936 noch mit zwei surrealistisch in der Galerie Lutz & Meyer in Stuttgart. Sie konnte sich rasch anmutenden Werken vertreten. (Abb. 6) In ihren grafischen etablieren, da sie ein längst fassbares Phänomen beschrieb, das in Blättern für den Allianz-Verlag entwickelte sie mehr und mehr den folgenden Jahren internationale Beachtung erreichte." eine strenge reduzierte Bildaufteilung und verschiedene Themen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kümmerte sich eine jüngere Aufgrund ihrer Vielfalt und ihres Einfallsrcichstums ist ihre Generation um die Verbreitung des konkreten Denkens nicht nur auf Bildsprache weniger an der Form als vielmehr an einer Haltung anderen Kontinenten, sondern auch auf anderen Gebieten, wie festzumachen. Als Graeser 1938 Mitglied der Allianz wurde, leitete die konkrete Poesie oder Musik. Konkretes Denken und Gestalten dies auch in seinem Werk eine Wende ein. Er schuf abstrakte prägte die 1953 gegründete Hochschule für Gestaltung in Ulm, Reliefs (Abb. 3) und verfolgte ab 1943 konstruktiv-konkrete deren erster Rektor Max Bill war. In Bern gaben Marcel Wyss, Bildthemen wie Progressionen und «gestoppte Rotationen». In immer Dieter Roth und Eugen Gomringer von 1953 bis 1964 die wieder anderen geregelten Systemen versuchte er Form- und Zeitschrift spirale heraus, ein internationales und interdisziplinäres Farbbewegungen ins Bild zu setzen. Forum für konkrete Kunst. Schliesslich bildeten sich verschiedene Verbindendes Element dieser vier Künstler war nicht eine .Ab¬ Gruppierungen von konkreten Künstlern und Dichtern in sichtserklärung, sondern die konkrete Haltung im Umgang mit Südamerika. den geometrisch-konstruktiven Bildmitteln. Alle entwickelten auf dieser Basis eine deutlich unterscheidbare individuelle Bildspra¬

48 K+A A+A 2006.3 Résumé 8 Zit. in: Kat. Konstruktive Kunst 18 Almanach neuerKunstin der 1981 (wieAnm. i),S. 28. Schweiz, hrsg. von der Allianz, Vereinigung L'art concret est volontiers désigné comme la contribution par excellence 9 Vgl. Kat. 1936-EineKonfrontation Moderner Schweizer Künstler, de la Suisse à l'art moderne. Ses bases formelles avaient déjà v)8i (wieAnm. 1). Zürich [1940]; abstrakt/konkret, Bulletin été élaborées les différents Au par courants constructivistes. contraire 10 Vgl. Vorwortvon Sigfried Giedion der Galerie des Eaux Vives, Zürich,

de l'abstraction qui prônait une réalité visible extérieure, l'art concret in: Zeitprobleme der Schweizer Malerei 1944, Nr. 1, bis 1945, Nr. 12. und Kunsthaus Fritz Glarner kurze se considérait comme purement spirituel et fondé sur une logique Plastik, Ausstellungskat. 19 weilte 1935 für Zürich, 1936. Zeit in Zürich, bis er 1936 in die USA «mathématique». Ses origines s'enracinent dans un climat particulièrement 11 Vgl. dieGründung der Künstlergruppe auswanderte. Erhielt jedoch mit conflictuel entre et abstraction, mais aussi entre figuration die Augen 1929 und der Gruppe Max Bill und der Gruppe einen engen répression politique et opposition. Les premières manifestations de l'art Z1932, die jedoch nicht überihre Kontakt. concret s'élevaient contre la tradition figurative et le conservatisme du GrUndungsveranstaltungen hinaus 20 Der Architekt Hans Hinterreiter wirksam waren. Um die Ideen der kam in den i93oer-Jahren über moderne marché de l'art. Le groupe Allianz réunissait des artistes suisses Moderne im Zusammenspiel mit den Bau- und Konstruktionsweisen zur modernes de tendances. Sur front faveur de toutes ce hétérogène en l'art eigenen Reihen weiterzutragen, bildete konstruktiv konkreten Malerei und moderne, Max Bill, Camille Graeser, Verena Loewensberg et Richard sich 1933 in Basel die Gruppe33, schlosssich i938dera4///anzan. Er in in Paul Lohse commencèrent à se distinguer par leur langage visuel de 1934 Bern Der Schritt weiter und zog sich aber 1939 nach Ibiza zurück. Zürich die Groupe Suisse Abstraction 21 Die Zusammensetzung der Gruppe plus en plus rationnel et géométrique. Bientôt, les «concrets zurichois» et Surréalisme. Das nachhaltigste wurde unterschiedlich gehandhabt, allaient être comme un et exercer en tant tel une perçus groupe que Echo löste die 1937 in Zürich gegründete manchmal gehörten Hans Fischli, influence marquante sur le plan artistique. Allianz, Vereinigung moderner Hans Hinterreiter und Fritz Glarner Schweizer Künstler (1937-1954) aus. dazu. Immer öfter begannen sich John Matheson, Allianz. Die auch Vertreter einer Generation Riassunto Vgl. jüngeren Geschichte einer Bewegung, Zürich 1983. dazuzurechnen. L'arte concreta è volentieri considerata come il contributo svizzero -Alle diese Gruppierungen setzten all'arte moderna. Le sue basi formali erano già state elaborate dalle sich aus Schweizer Künstlern zusammen, ABBILDUNGSNACHWEIS varie correnti del costruttivismo. In contrapposizione all'astrazione di die sich zwar in ihrer Haltung 1: Kunsthaus Zürich. - 2: © 2006 der Moderne verpflichteten, jedoch ProLitteris, 8033 Zürich; aus: Eduard una realtà esterna visibile, l'arte concreta vuole essere puramente keine einheitliche Gestaltungsdoktrin Hüttinger, Max Bill, Zürich 1987, S. 82, spirituale e imperniata su una logica "matematica". I suoi inizi si verfolgten. Nach aussen hin traten 86, 89. - 3: © 2006 ProLitteris, 8033 radicano nel clima conflittuale tra figurazione e astrazione, così come tra stilistische Fraktionen kaum in Erscheinung, Zürich; Camille Graeser-Stiftung, repressione politica e resistenza. Le prime manifestazioni dell'arte sie machten die Gruppen aber Zürich.-4: © 2006 ProLitteris, 8033 unbeständig. Zürich; Kunstmuseum Basel (Martin concreta sono una rivolta contro la tradizione figurativa e la scena 12 Vgl. Irene Meier, in: Kat. 1936- Bühler). -5,6:© Henriette Coray artistica conservatrice. Il gruppo di artisti dell'Allianz riunisce esponenti Eine Konfrontation 1981 (wie Anm. 1), Loewensberg.- 7: © 2006 ProLitteris, di spicco dell'arte moderna svizzera appartenenti alle più diverse S.15.-GSMBA Gesellschaft 8033 Zürich; Richard Paul Lohse-Stif- tendenze. All'interno di questo fronte stilisticamente eterogeneo, Max Schweizerischer Maler, Bildhauer tung, Zürich und Architekten. Bill, Camille Graeser, Verena Loewensberg e Richard Paul Lohse cominciano 13 1930 indervonvan Doesburg ADRESSE DER AUTORIN a distinguersi grazie a un linguaggio visivo sempre più razionale herausgegebenen Zeitschrift^C— Annemarie Bucher, lie. phil. I, e il dei geometrico, fino a essere riconosciuti come gruppo "concretisti Numéro d'Introduction du Groupe et Kunsthistorikerin, Stationsstr. 54, zurighesi" e a esercitare un'influenza determinante. de la Revue Concret, zit. nach Konkrete 8003 Zürich Kunst. Manifeste und Künstlertexte, zusammengestellt und hrsg. von ANMERKUNGEN Kongresse 1922 in Düsseldorf und Margit Staber, Zürich 2001 (Studienbuch 1 !936 - Eine Konfrontation. Dreissiger 1923 in Weimar. 1, Stiftung für konstruktive und Jahre Schweiz, Ausstellungskat. 4 1931-37, gegründet von konkrete Kunst Zürich), S. 26. Aargauer Kunsthaus Aarau, 1981; Auguste Herbin und Georges Van- 14 max bill, «konkrete Gestaltung», konstruktive Kunst 1915-45. Dreissiger tongerloo. Letzterer wirkte in in: Kat.Zeitprobleme 1936 (wieAnm. 9), Jahre Schweiz, Ausstellungskat. der Folge besonders auf Max Bill S.9. Kunstmuseum Winterthur, 1981; Serge und Verena Loewensberg 15 Erschienen bei Mourlot in Paris, Lemoine, Art Concret Suisse. Mémoire prägend. 1938. et Progrès, Ausstellungskat. Musée 5 Vgl. El Lissitzky, Hans Arp, /Cunsf- 16 Konkrete Kunst, Ausstellungskat. des Beaux Arts, Dijon, 1982; Willy ismen, Erlenbach-Zürich 1925, S. 11. Kunsthalle Basel, 1944 (darin, Max Bill, Rotzler, Konstruktive Konzepte, 6 Vgl. Um 1930 in Zürich. Neues «Ein Standpunkt-Jean Arp, Art 1977,2.Aufl.i988. Denken, Neues Wohnen, Neues concret»), 2 Der Begriff «die gute Form» ist Bauen, Ausstellungskat. 17 Matheson 1983 (wieAnm. 11); auf eine gleichnamige Wanderausstellung Kunstgewerbemuseum Zürich, 1977. Lemoine 1982 (wieAnm. 1);Allianz,

1949 zurückzuführen, die 7 Vgl. Karin Gimmi, «Max Bill, Ausstellungskat. Helmhaus Zürich, ästhetisch gelungenes, modernes artista de expositiones» in: 2G, revista 1954; Allianz, Ausstellungskat. Kunsthaus Design vorstellte. international de architectura, Nr. 29.30, Zürich, 1947 (darin, Max Bill, 3 Internationale Konstruktivisten Barcelona 2004, S. 39ft. «Worte rund um Malerei und Plastik»).

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