TI-1EOLOGiSCIAES Begründet von Wilhelm Schamoni • Herausgegeben von Johannes Bökmann Beilage der »Offerten-Zeitung für die katholische Geistlichkeit Deutschlands« Jahrgang 18, Nr. 2 Februar 1988 INHALT Spalte Der Papst an die deutschen Bischöfe

Der Papst an die deutschen Bischöfe Unklare und falsche Morallehren auch im Raum der Unklare und falsche Morallehren auch im Raum Kirche der Kirche 58 Bemüht Euch darum in der Verkündigung und in der Glau- Was bestimmt, wer stützt unsere Arbeit? bensunterweisung mit Nachdruck um die Vermittlung Zum jährlichen Spendenaufruf (Bökmann) 59 authentischer sittlicher Normen. Seid besonders wachsam, wenn auch im Raum der Kirche moralische Verhaltensregeln JOHANNES BÖKMANN propagiert oder faktisch verbreitet werden, die sich weitge- Endlich wieder Fasten! 61 hend den Triebbedürfnissen der Menschen anpassen, aber die wahre Freiheit eines Christen verraten. Verzicht und

PROF. DR. HANS-JOACHIM SCHULZ Geduld, Reifenlassen und Standfestigkeit dürfen nicht zu Die Entstehung des Johannesevangeliums im historischen Fremdwörtern in unserem täglichen Leben werden, beson- Kontext der frühesten judenchristlichen Passahfeier .... 63 ders auch nicht in der Gestaltung der menschlichen Sexuali- tät. PROF. DR. WALTER HOERES Allianz zwischen Aufklärung und Religion? Die Moraltheologen haben heute eine besonders große Zu Lübbes jüngstem Versöhnungsversuch 72 Verantwortung, nicht nur weil sie vor neuen und schwierigen Herausforderungen stehen, sondern weil unklare oder gar J. BERND WITTSCHIER falsche Lehrmeinungen im Bereich der Moral bei den Gläubi- Märtyrer 33/45: Dr. Alfons Maria Wachsmann 81 gen zu besonderer Verwirrung führen - rascher und schwer- wiegender als in Fragen von mehr theoretischem Charakter. ELASAH DROGIN Ihr müßt es daher als einen zentralen Punkt Eurer bischöfli- Margaret Sanger chen Verantwortung in dieser unserer Zeit ansehen, dafür zu Gründerin der modernen Gesellschaft 84 sorgen, daß die Moraltheologie wirklich von den reinen Quel- len des Glaubens in der Kirche her denkt, die suchenden WILHELM SCHAMONI Menschen führt und ihnen hilft, von dort her ihr Leben zu Wider den Wahn von der leeren Hölle (Schluß) 94 gestalten. Demgemäß werdet Ihr alles tun, damit Eure Moraltheolo- PROF. DR. WOLFGANG KUHN gen eindeutig und auf überzeugende Weise das verbindliche Abschied vom Zufall? Ethos der christlichen Botschaft lehren. Dazu gehört auch, Neo-Darwinisten auf der Suche nach einem neuen daß sie den authentischen Sinn der lehramtlichen Dokumente "deus ex machina" 97 über sittliche Grundfragen - in spezieller Weise jene, welche Ehe und Familie betreffen (Humanae vitae und Familiaris Gefahr der Demagogie: die Armen werden nur benutzt consortio) in den Verständnishorizont Eurer Gesellschaft Brief eines brasilianischen Bischofs an seine Mitbrüder 102 übersetzen und für das konkrete Leben der Menschen frucht- Aus Zuschriften an den Herausgeber 105 bar machen. In diesem Sinne hat sich schon der verstorbene Kardinal Höffner in den letzten Jahren seines Lebens ganz Das Unkatholische in Luthers Magnificat-Auslegung eindeutig geäußert. (Dr. M. Habitzky) 106 Aus der Ansprache an die bayerischen Bischöfe und den Bischof von Fulda anläßlich ihres Ad-limina-Besuches. 0. R. 17. 1. 88 Fortschrittliches (Walter Hoeres) 111 Sorge und Schmerz bereitet uns die Lage der Familie und Kölner Priesterkreis 111 vor allem die Zahl der Ehescheidungen, die auch unter den Katholiken Eures Landes erschreckend hoch ist. Auch ver- weigern sich viele junge Menschen zeitweilig oder sogar Die Konten der Fördergemeinschaft „Theologisches": grundsätzlich der Lebensform der Ehe, obwohl sie wie Mann Postgiro-Kto.-Nr. 206 588-501 beim PGiroA Köln. und Frau miteinander leben und wohnen. Die unwiderruf- Bank-Kto.: Stadtsparkasse Bad Honnef-Rhöndorf liche Treue in der Ehe, vor der Gesellschaft und der Kirche BLZ 380 512 290 Kto.-Nr. 151 241 bekundet, ist dagegen das kostbarste Gut, das die Kirche als (Fördergemeinschaft „Theologisches"). Gabe und Aufgabe ihres Herrn für das eheliche Zusammenle- Zuschriften an den Herausgeber richte man an: ben der Menschen hüten muß. Darum führt auch die isolierte Msgr. Prof. Dr. Johannes Bökmann, 5340 Bad Honnef- Forderung einer Zulassung von wiederverheirateten Geschie- Rhöndorf, Frankenweg 23. denen zu den Sakramenten letztlich in die Enge. Eine Lösung der damit gegebenen Probleme wird eher in - 57 - - 58 - einer tieferen Vorbereitung junger Menschen auf das Das Nachdenken über die Ursachen führt zu immer neuen Überra- Geheimnis der Ehe vor allem als Sakrament zu suchen sein, schungen. Die großen Trendführer verlieren allmählich ihre Gloriole. und dies nicht nur für die betroffenen Brautleute selbst, son- Die zahlreichen und einflußreichen Gefolgsleute der Linie Hegel - dern als ein Gebot der Glaubensunterweisung und Verkündi- Heidegger - Rahner und der vielen, die sich da anhingen sind z. B. gung über die christliche Ehe auf allen Ebenen der Pastoral. durch Aufkommen der tiefen Verstrickung des Heideggerschen Den- Prüft und vertieft darum mit ganzem Einsatz die vorhandenen kens in die Faszination der Nazimacht zur Frage genötigt, welchen Formen kirchlicher Ehevorbereitung in Euren Diözesen. Stimmen sie da gefolgt sind und noch folgen. Achtet dabei darauf, daß die Brautpaare besonders auch für Der bewußt betriebene Traditionsbruch all jener, die sich absetz- die große Aufgabe der Formung einer christlichen Familie ten von etwas, was sie weder recht kannten noch richtig darstellten zugerüstet werden. Vielleicht haben wir im Ganzen der Ver- noch fair werteten, geschweige denn zu leben noch willens waren, kündigung noch zu wenig von der Größe und Schönheit, aber wurde kaschiert durch die Suggestion oder Faszination eines ganz auch von den Anforderungen und Aufgaben einer christli- Neuen, vorgeblich Besseren. Vor allen Dingen müsse alles anders wer- chen Ehe und Familie gesprochen. Gerade auch verheiratete den. Gern wurden aus ganz anderen Quellen gespeiste revolutionäre Laien sollten dafür Zeugnis geben. Umsturzschübe (z. B. die Kulturrevolution der Jahre seit 1968) Achtet aber darauf, daß sich in die kirchlichen Vorberei- benutzt, um Wasser auf eigene, oft auch persönlich interessierte Ver- tungskurse zur Ehe nicht irrige Vorstellungen einschleichen, änderungswünsche betreibende Mühlen zu leiten. die nicht bloß unvereinbar sind mit der gültigen Botschaft 3. In unserer Zeitschrift haben wir uns - aus solchen und ähnli- unseres Glaubens, sondern auch letztlich den Menschen nur chen Erfahrungen und tendenz-kritischen Einsichten - überwiegend schaden können. trendwidrig, wenn auch stets argumentativ verhalten. Das war nicht Ansprache an die Bischöfe von Nordwest-Deutschland am 23. 1. 88 (0. R. 24. 1. 88) leicht. Zwar sind uns viele Leser in großer Dankbarkeit gefolgt. Andere aber konnten zunächst noch nicht sich vom unbefangenen Mit- Was bestimmt, wer stützt unsere Arbeit? machen lösen; wollten lieber (noch) optimistisch sein. Ich meine, daß auch sie nun mit immer schwächeren Argumenten stiller werden. Zum jährlichen Spendenaufruf Zwar gibt es noch grundsätzliche Euphoriker, die alles seit dem Kon- zil als direkt vom Heiligen Geist bewirkt schwärmerisch bejahen - Verehrte liebe Leser! aber ist das nicht nur unter Inkaufnahme eines geradezu verblendeten 1. Eine fast groteske Erinnerung: vor einiger Zeit wurde ich gebe- Wirklichkeitsverlustes aufrecht zu erhalten? Wo ist der Glaube an ten, auswärts für sehr entfernt Verwandte das Sechswochenamt für immer neue Pastoralpläne, Katechetische Methoden, tiefenpsycholo- einen Verstorbenen zu halten. Spätvormittag. In der Sakristei Küster, gische „Therapien", Beratungskonzepte u. a. m. geblieben? Meßdiener, Ankleiden. Zur festgesetzten Zeit ist die Kirche absolut 4. Was die von uns seit 1980 beständig und mit entschiedener leer: kein Mensch. Wir verzögerten den Beginn noch fünf Minuten. Deutlichkeit angemahnte Entwicklung in Moraltheologie, entspre- Eine Person war erschienen. Wir gingen an den Altar, an die Sedile chender kirchlicher Praxis, halbherziger Reaktion der Maßgeblichen und warteten schweigend. Allmählich, nervös, etwas verlegen, hastig darauf anlangt, hatten und haben wir diefteudige Genugtuung, daß kamen ca. 20 Personen. Die Messe bewahrte dann im Verlauf die selt- der Papst die Dinge genauso sieht und sie beim Namen nennt. Man same Beziehungslosigkeit des Anfangs. Es gab kein Mitbeten, kein hat uns deshalb schon gelegentlich als enge Papsthörige ironisieren Singen. Bei der hl. Wandlung blieb man sitzen. Offenbar war den wollen. Aber der Standpunkt unserer Zeitschrift ist im umfassend - meisten nicht bekannt/bewußt, was da geschah. prinzipiellen Sinne katholisch: Die heilige Tradition der Offenba- Das Ganze am Rande des Vertretbaren. Aber Symptom unserer rung und die von ihr gehütete und ausgelegte Heilige Schrift sowie die Situation. Was ist mit den vielen Kindern, die nicht (nie) beten; nach genauen Voraussetzungen in Geist-getragener Unfehlbarkeit dann zu den Kindergottesdiensten der Schule mitkommen und - lehrende, betende und im hl. Opfer das Heilssakrament feiernde Bank für Bank - kommunizieren (nicht aber Sonntags)? Noch sind Kirche ist der entscheidende Maßstab. Das vom Herrn gewollte und die meisten getauft. Aber was heißt das für viele? Was bedeutet ihnen mit wunderbaren Verheißungen ausgezeichnete Petrusamt zwingt die Firmung? Die hl. Beichte? Und damit (bzw. ohne dies) das neue nicht dazu, sich isoliert an alles und jedes, was ein Papst sagt oder tut, Leben in Christus? zu klammern. Hl. Schrift, Kirchengeschichte, jede systematische Dog- Nebenamtlich als Dikesanrichter seitJahren mit Annullierungs- matik bezeugen, daß ein bloß autoritärer, oder naiv-triumphalisti- wünschen in entsprechenden Eheprozessen befaßt, kommt mir oft der scher Papalismus nicht jener verdemüti gten Reife entspricht, zu der Gedanke, man dürfe nicht mehr so schnell wie jetzt trauen; die Men- der Herr Simon Petrus erzogen hat. Die Worte und Taten des Herrn, schen mit den Folgen einer Bindung belasten, deren Grund sie weder die Grund- und Hauptgebote, seine Stiftungen und Sendungen sind erkennen, noch mit Glaube und Wille umfassen; auch nicht so ohne letzter Maßstab für alle. weiteres taufen. Mir sind die damit zusammenhängenden Probleme 5. Bestimmt von solchen Kriterien versuchen wir, der Sache, bewußt. Dennoch kann man bald nicht mehr so weiter machen. unserer einen heiligen Kirche, unseren Lesern zu dienen. Sie wissen, Zumal der zentrale heilige Opferkult (Opferung, Wandlung, Kom- verehrte liebe Freunde und Nutzer von „Theologisches", daß wir munion) vielfach als Gemeinschaftsveranstaltung banalisierend und dabei von Spenden leben. Sie fließen vollständig und ausschließlich verfremdet ent-sakralisiert wird. Ohne eine gestufte Neu-Katechese, in die Bezahlung der Druckkosten der hohen Auflage. auch im Sinne eines Katechumenates, kann man m. E. weder die Bisher konnte ich mich in achtJahren voll auf Ihre Spendenbereit- Tauf noch die Trau- noch die Erstkommunion- noch die Beichtpra- schaft stützen. Auch auf meinen besonderen Aufruf im Oktober hin xis wieder wesensgerecht und würdig erneuern. haben sehr viele gut, freudig, tatkräftig reagiert. Ich sage Ihnen allen 2. Bei solchen bedrückenden Erfahrungen wird mir immer deut- von Herzen Vergelt's Gott. Wenn Sie unsere Arbeit, über deren Motive licher, daß die die letzten zweiJahrzehnte beherrschende Pastoral der ich hier ein wenig habe sagen wollen, weiter unterstützen und ermög- Öffnung zur Welt, des Ausgehens vom Menschen, so wie er ist, nicht lichen möchten, bitte ich Sie - wie jedesJahr im Februar - um hoch- nur grundsätzlich bedenklich, sondern faktisch verhängnisvoll war. herzige Spenden. So können wir auch unsere recht erfolgreiche Schrif- Sie hat keineswegs werbend gewonnen, sondern Labilität, Halbbin- tenreihe RESPONDEO zügig fortführen. (Nr. 8 und 9 werden im dung, Weltgeist in die Kirche geholt und - als eskalierender Treibrie- Märzendlich angekündigt). Und unseren Dienst - so Gott will - wei- men - Säkularisierung, Verlust des Übernatürlichen, Ermäßigung ter tun. der Hochziele geradezu befördert. Ich kann die euphorischen Hymnen In guter Verbundenheit grüßt Sie in solchem Bemühen und mit auf solcherart „Öffnung", Modernisierung und Neuheit aus Einsicht, dieser Bitte Erfahrungen und Überzeugung nicht mitsingen. Ihr Johannes Bökmann

- 59 - - 60 - JOHANNES BÖKMANN und das Fasten, das Vorbild Pius XII., die Erfahrung Guardi- Endlich wieder Fasten! nis, kommen zur Sprache. Es wird Bezug genommen auf eine empfehlenswerte Studie des Pariser Dominikaners Regamey: „Ich glaube, daß der Westen ein großes Fasten braucht. Es Die Wiederentdeckung des Fastens, Herold-Verlag Wien 1962. werden vierzig Tage nicht genügen. Die Kirche müßte statt 3. Das ganze Ausmaß einer ruinös-hemmungslosen hedo- des Bußtags ein Bußjahr ausschreiben. Ich bin sicher, daß nistischen Befriedigung der Eß- und Trinklust kann einem Gott darauf antworten wird" (T. Goritschewa, Die Kraft der aufgehen, wenn man etwa die Befunde liest, die Rudolf Affe- Ohnmächtigen, Wuppertal [Brockhaus] 1987, S. 99). mann ausbreitet in: Erziehung zur Gesundheit, München 1. Aber nur wenige wissen überhaupt noch, was Fasten im (Kösel) 1978. Man muß sagen: wir leben uns zu Tode. Die Sta- Vollsinn des Wortes ist. Faktisch ist es aus der Praxis der tistik der Todesfälle ergab für 1975: 46 0/0 durch Erkrankun- Kirche verschwunden. Es ist „zu bedauern, daß selbst die gen des Herz- und Kreislaufsystems; 20,3 % durch bösartige katholische Kirche im Verlauf von etwa 1500 Jahren die Neubildungen; 6,7% durch Krankheiten der Atmungsorgane eigentliche Kenntnis des Fastens so weitgehend verloren hat, (besonders Bronchitis); 6,4 % durch nicht-natürlichen Tod daß sie die schwere Verpflichtung zu den vierzigtägigen (bes. Verkehrsunfälle); 2,3% an Leberzirrhose ... (5.21). Bei Fasten auf zwei Tage, den Aschermittwoch und Karfreitag - alledem spielt die üppige und falsche Ernährung eine große wohl nur zur Wahrung des Gesichts - beschränkt hat und Rolle. soviele Dispensgründe liefert, daß nur noch verschwindend 4. „In einer von Bischof Maximilian Kaller (Ermland) wenige sich verpflichtet fühlen." Dies schreibt Msgr. Franz 1942 an die Fuldaer Bischofskonferenz gerichteten Eingabe, Schmal in einem Taschenbüchlein, das für diesen Zustand — der sich Kardinal Innitzer, Erzbischof Gröber, Erzbischof durchaus eine gefährliche Wunde im Leib der Kirche — Erhel- Jäger und Bischof Berning durch die Unterschrift anschlos- lendes, Kritisches, aber auch Begeisterndes vermittelt: Kirche sen, steht der Satz: ,Wenn die Welt sich in unserer Zeit im und Konsumgesellschaft, Verlag Schmidt - Fehr AG, CH- Sport- und Heilfasten die großen Werte der kirchlichen 9403 Goldach (Tel. 071/417455), 80 Seiten. Der kundige und Fastendisziplin zunutze macht, dann muß auch die Seelsorge geistlich wie theologisch vertieft ansetzende Verfasser hatte in noch viel stärkerem Maße die Selbstverleugnung und das schon früher veröffentlicht: Franz Schmal, Die Flucht aus Fasten für die Reichgottesarbeit auswerten.' (Schmal a. a. 0. dem Dschungel der Süchte - Das Fasten, 2. Aufl. 1977, Verl. S. 72). aktuelle texte, Rottweil/Neckar, 94 Seiten. Das Entscheidende liegt im mystisch-religiösen Bereich. P. In dem erstgenannten Büchlein gibt der vor einigen Mona- Regamey schreibt dazu treffend: „Es gibt ein gewisses Jenseits ten verstorbene, ungewöhnlich sprachenkundige Verfasser des gewöhnlichen Lebens, eine gewisse Zone, die man betre- auch eine überaus hilfreiche Übersetzung der Fastenpräfa- ten muß, um auf offenkundige Weise zu erfahren, welche tion. Man hat ja eigentlich ein peinliches Empfinden, wenn Kämpfe sich hinter denen zwischen ,Fleisch und Geist' (Eph man sie - wohlwissend, daß kaum einer sie ernst nimmt und 6, 12) verbergen. Hier trägt man die entscheidenden Siege praktiziert - als Hochgebet spricht. davon. In der Regel macht der übernatürliche Kämpfer diese 2. Fr. Schmal belegt die Praxis der Urkirche mit ein- Erfahrung in einem strengen Fasten." (Zitiert bei Schmal S. 10). drucksvollen Texten und kommt dann auf die Präfation (a. a. 5. Sollen wir denn alle wohlerprobten, geistlich gesegne- 0. S. 16) zu sprechen: „Dadurch beteten oder sangen sie: ten Regeln der klugen und heilsamen Ordnung unserer ,Heiliger Herr, allmächtiger, ewiger Gott, durch das Fasten Triebe, des psychosomatischen Zusammenhangs zwischen des Leibes unterdrückst' (genauer ‚zerdrückst', also zähmst, Zügelung des Leiblichen und Klarheit des Geistigen sowie bändigst) Du die bösen Leidenschaften, lateinisch ,vitia`, Festigkeit und Reinheit im Sittlichen aufgeben, einfach ver- nicht das abstrakte ,peccatum`, d. h. Sünde, wie jetzt im deut- gessen? Mit bloßem Freiwilligkeitsgerede wegwischen (d. h. schen Meßtext steht und früher im ‚Schott' stand - Du erhebst praktisch meistens: ersatzlos streichen)? Thomas v. Aquin, den Geist, lateinisch ,mentem` - dieses Wort bedeutet nicht Augustinus, Ignatius v. Loyola ... eigentlich alle Heiligen nur das Denken, sondern auch das tiefere Erkennen. Man müßten von den heute zahlreichen Fürsprechern eines neuen könnte es mit ,Herz' übersetzen - also: Du hebst das nieder- katholischen Sinnenkultes eines „Besseren" belehrt werden? drückende, abgesunkene, trostlose Lebensgefühl des gottlo- Daß dieses meist peinliche, oft abstoßende Gerede vor den sen, triebversklavten Menschen auf die Höhe des durch den Herausforderungen einer absoluten Geschichtsschwelle, Heiligen Geist sehend gewordenen Christen - Du spendest in womit unsere Jahrzehnte zu kennzeichnen sind, in einer gera- Fülle, nicht nur ‚gibst' - ,largiris` hängt zusammen mit darg-us`, dezu kläglichen Weise versagt, ist evident. „In einer apoka- der Ozean - du spendest in Fülle Kraft und Lohn ,virtutem et lyptischen Zeit wie der unsrigen hat niemand mehr das Recht, praemia`, jawohl ‚Kraft' und nicht ,Tugendkraft`, wie es früher mittelmäßig zu sein" (Pius XI.). lautete, Kraft im Gegensatz zu Schwäche, sittlichem Jammer- 6. Hohe Wachsamkeit ist allerdings gegenüber einer zustand - und ‚Lohn' - die letzte, vielleicht unverantwort- sozial-hoministischen Funktionalisierung des zutiefst religiö- lichste Abschwächung. Denn dieses klingende Wort ,prae- sen Fastens anzuraten. So wird heute geredet von „solidari- mia` erinnert die Urchristen nicht etwa nur in der Einzahl schem Fasten". Damit soll man „sich einsetzen"für Gerechtig- ,praemium` an den ewigen Lohn, sondern absichtlich in der keit"; dadurch will man „kämpfen gegen Hunger und Krank- Mehrzahl ,praemia` an die vielfältigen Früchte des Fastens, an heit in der Welt." die alljährliche Osterfreude, ja die Vollchristen, die ‚Voll- Fasten wie ein Demonstrieren also, oder als Waffe, deren kommenen', wie Paulus sie zu nennen wagt (Phil 3, 15), an den Benutzer emotional und pseudoliturgisch angemacht werden pfingstlichen Osterjubel, an das bleibende Neuheitserlebnis durch aufregende „Materialien" und ideologiedurchwebte der Christen und der christlichen Gemeinschaft. Wer dies „Hungertücher". nicht annimmt, steht vor einem unlösbaren Rätsel." Wo aber das außerordentliche innerste Sichbereiten für Nachdem das Fasten im Alten Testament, seine Bestäti- Gott im Ernstmachen des Fastens zur verwalteten aufwendi- gung, Vertiefung und Heiligung im Neuen Testament skiz- gen „Aktion" verkommt, hält man nieder den Geist, zündelt ziert wird, stellt der Verf. die eindrucksvolle Bekräftigung der mit deklamatorischem Tugendersatz. Vor Gott und vor klar- unverzichtbaren Triade christlicher Existenz Fasten - Gebet sehenden Menschen bleibt man dergestalt ohne Segen und - Almosengeben durch die Vätertheologie dar. Auch das Lohn. Das „Ihr aber, wenn ihr fastet ..." des Herrn wäre auf Fasten als bewährte moderne Heilmethode, Johannes Paul II. solche Weise schon völlig vergessen. - 61 - - 62 - PROF. DR. HANS-JOACHIM SCHULZ nicht primär um jene Bezugnahmen, die für die Worte und Taten Jesu selbst im Hinblick auf die Formen und Wertigkei- Die Entstehung des Johannesevangeliums ten des jüdischen Kultes seiner Zeit zu erheben sind und die im historischen Kontext der frühesten immerhin zum direkten Inhalt der Bezeugung des Evangeli- judenchristlichen Passahfeier* sten gehören. Es geht für unsere Zielsetzung weit mehr noch um die Verifizierung liturgischen Denkens in der frühesten Christen- (Bökmann) 1. Die Würzburger Vorträge von Prof A. Mock (Die heit und speziell beim Evangelisten selbst, welches Denken sich in Glaubhaftigkeit der Augen- und OhrenzeugenJesu in den Evangelien besonderen darstellerischen Akzentuierungen der kultbezo- — nach den Echtheitskriterien der Gerichtspsychologie) sowie von genen Worte und Taten Jesu im 4. Evangelium widerspiegelt. Prof Hd. Schulz kamen in ihren Ergebnissen der Frühdatierung • Die betreffenden Stellen des Johannesevangeliums unserer schriftlichen- Offenbarungsquellen in einer überzeugenden bedürfen also in jedem Fall der exegetischen Interpretation, Weise nahe. Entgegen einer sich sogar in den Einleitungstexten der bevor sich die liturgiegeschichtliche Methode gemäß unserer offiziellen Bibelausgaben niederschlagenden kritizistischen Tendenz Zielsetzung anwenden läßt. Und hier sind bestimmte Optio- haben wir in „Theologisches" mehrfach und mit immer neuen Argu- nen des Liturgiegeschichtlers für bestimmte exegetische Posi- menten die noch im II. Vatikanum ausgedrückte Überzeugung zu stüt- tionen unerläßlich. Diese Optionen sind nach dem Maß der zen und vertreten gesucht, daß hier wirkliche Zeugen wirklicher Stimmigkeit eben dieser exegetischen Befunde bzw. Lehr- Worte und Begebenheiten zu uns sprechen. meinungen mit liturgiehistorisch bekannten Entwicklungen 2. Dabei stand und steht gerade dasfohannesevangelium seit lan- zu treffen. Dabei müssen sich diese exegetischen Positionen gem unter besonderem kritischen Verdacht, Späterzeugnis zu sein. als in sich begründbar erweisen. Im Falle der zusätzlichen Das im folgenden dokumentierte Referat auf unserer Tagung gibt nun liturgiegeschichtlichen Verifizierbarkeit darf die betreffende — außer dem äußeren Beleg durch frühe Papyrusstücke — innere exegetische Position im Sinne unserer Methode als bestätigt Gründe für die Frühdatierung auch und gerade dieses Evangeliums: gelten, selbst wenn sie in der exegetisch internen Fachdiskus- ein wirklich faszinierender Erkenntnisgewinn. sion nicht, oder noch nicht, als sententia probabilior oder als 3. Der katholische Offenbarungs-, Inkarnations- und Heilsrea- sententia communis gelten sollte. lismus — wie er auch durch P. Notters große Unterschung „Christus ist In diesem Sinne werden wir einige der internen Datie- in Bethlehem geboren" dokumentiert wurde — wird auch durch das rungskriterien, die J. A. T. Robinson') für das Johannesevan- von uns schon erwähnte Buch von P. Gerhard Kroll S. J vertreten gelium geltend gemacht hat, hinsichtlich ihrer speziellen (Januar-Nummer 88, sp. 20 Ein Confrater machte uns nun dan- übereinstimmung mit Kriterien aus der liturgiegeschichtli- kenswerterweise auf folgendes aufmerksam: chen Entwicklung überprüfen; und wir hoffen, im Falle ihrer „Das Werk von P. Gerhard Kroll ist in Lizenzausgabe bereits seit Bestätigung sowohl der Fachexegese einen Dienst zu leisten, einzgenfahren im Kath. Bibelwerk Stuttgart erschienen. Ich habe das als vor allem dem unverklausulierten Verständnis jenes Glau- Buch ,Auf den Spuren Jesu' bereits seit 197.9 und schon vielen emp- benszeugen einen Weg zu ebnen, der selbst verbürgt, daß er fohlen und jeweils dankbare Leser gefunden. Auch ich würde es jedem "dies gesehen und Zeugnis dafür ablegte und der weiß, daß er Heilig-Land-Pilger dringendst anempfehlen. Ich greife immer wieder die Wahrheit sagt, damit auch ihr glaubet" (Joh 19, 35). zu dem hervorragenden Buch von P. Kroll. • Wenn wir also den Versuch einer Synchronisierung zwi- Ich habe das Buch in der Ausgabe von 1978 als 5. Auflage. Es wurde schen der Redaktionsgeschichte des Johannesevangeliums aber bereits sicher noch einmal aufgelegt. ISBN 3-460-31701-9." und liturgischer Entwicklungsgeschichte des 1 .Jahrhunderts unter- Ich gebe den Hinweis gerne weiter. nehmen, so ist zunächst einzugestehen, daß mit entwicklungs- Eine Zusammenfassung des Vortrags von Prof Mock wollen wir geschichtlichen Kriterien oft Schindluder getrieben wurde. demnächst bringen. Man hat aus philosophiegeschichtlichen Einordnungsversu- Man sollte in diesem Zusammenhang sich auch, erneut oder erst- chen des 4. Evangeliums, etwa in die Wirkungsgeschichte der mals, mit den wichtigen einschlägigen Ausführungen beschäftigen, Philosophie Philons oder in die Geschichte der Gnosis bzw. die Wilhelm Schamoni in unserem RESPONDEO-Bändchen Nr. 2 der Replik gegen diese, oder auch allein schon aufgrund der herausgegeben hat: Vom Evangelium zu den Evangelien; mit Beiträ- entwickelten Theologie des Johannesevangeliums dessen gen der Proff. P. Gaechter, Th. Boman, L. Bouyer,J. A. T Robinson, späte Entstehungszeit postulieren zu müssen gemeint. Dies H. Staudinger und von W. Schamoni selbst. alles blieb ziemlich vage! Denn direkte Abhängigkeit von Philon käme allenfalls für den Prolog in Frage, ist indes auch hier nicht nachweisbar, da analoges Gedankengut in der Epoche Philons im Schwange war. Und die Entwicklungsge- I. Zur Methodik schichte gnostischen Gedankengutes läßt sich nicht genügend Das vorliegende Kurzreferat ist der Beitrag nicht eines detailliert beschreiben oder gar im einzelnen datieren, um Fachexegeten oder Einleitungswissenschaftlers, sondern Kriterien für die wahrscheinlichste Redaktionszeit des Evan- eines Liturgiehistorikers und Ostkirchengeschichtlers. Von geliums insgesamt oder einzelner seiner Teile zu gewinnen. daher ergibt sich als die besondere Methode der Behandlung Und wie soll man die atemberaubende Höhe und Tiefe des Themas eine liturgiegeschichtliche. Konkret auf die The- johanneischer Theologie entwicklungsgeschichtlich veran- menstellung bezogen bedeutet dies: Es geht um die Verifizie- schlagen? Welche Zeitspanne braucht ein Augenzeuge der rung von Bezugnahmen des 4. Evangeliums auf bestimmte Taten Jesu, um z. B. zur Glaubenseinsicht der Gottessohn- datierbare liturgiegeschichtliche Entwicklungen, aus denen schaft Christi zu gelangen: ein Leben lang, oder nur einen sich dann auf die wahrscheinlichste Zeit wenigstens einer der Augenblick österlicher bzw. pfingstlicher Erleuchtung? Litur- redaktionellen Phasen des 4. Evangeliums zurückschließen giegeschichtliche Kriterien sind hier wesentlich konkreter, läßt. Sollte der Befund auf der Basis einer durchgehenden wie sich speziell bei der Frage nach der Entstehung und frühen Kompositionsstruktur zu erheben sein, so würde dies die Verbreitung der judenchristlichen quartadezimanischen Passahfeier annähernde Datierbarkeit zugleich der definitiven darstelle- bzw. deren Ablösung im Zuge des wachsenden Anteils der rischen Konzeption und der redaktionellen Hauptphase des heidenchristlichen Mission erweisen wird. Doch sollen die 4. Evangeliums bedeuten. liturgiegeschichtlichen Bezüge des Johannesevangeliums, Die betreffenden liturgiegeschichtlichen Bezüge bedürfen wenngleich kurz, so doch wenigstens in ihren wichtigsten freilich der doppelten Entschlüsselung; denn es geht uns hier Bereichen herausgearbeitet werden. — 63 — — 64 — II. Das Johannesevangelium und die Forderung der fun- (Joh 5), deren Kenntnis nur ein Augenzeuge der Jahre bis 70 damentalen Neuorientierung des Kultes: eine Lebens- haben konnte und die dann erst wieder der Spaten des frage der ersten christlichen Generation Archäologen zutage förderte6). Ein zeitlich vom Leben Jesu Ein liturgiegeschichtlicher Bezug besteht im Johannes- entfernter Verfasser des Johannesevangeliums, noch dazu evangelium zunächst einmal in der fundamentalen Kritik an einer, der angeblich aus so großer zeitlicher und innerer Fixpunkten des jüdischen Kultes; ferner in zahlreichen Be- Distanz vom jüdischen Brauchtum der Frühzeit spricht, hätte zugnahmen auf die Mysterien von Taufe und Eucharistie. Die kaum so detaillierte Nachforschungen nach topographischen letzte Charakteristik hat keiner deutlicher dargestellt als Einzelheiten, wie denen des Teiches Bethesda beim Schaftor, Oskar Cullmann2), der die Ehre hatte, von Papst Paul VI. als angestellt. Und er hätte die so erworbenen Kenntnisse persönlicher Gast zum II. Vatikanischen Konzil eingeladen schwerlich in sein Evangelium eingefügt, wenn jüdisches zu werden, und der den Vorzug besitzt, nicht nur Exeget, son- Brauchtum, wie es im 4. und 5. Kapitel des Evangeliums dern auch Historiker zu sein. geschildert wird, für seine Zeit so uninteressant geworden wäre.

• Oskar Cullmann weist daraufhin, daß zu den Grunddar- - Auch die Detailkenntnisse über die Spannungen zwischen den stellungskategorien des Johannesevangeliums die Selbstoffen- jüdischen Volksgruppen und ihre psychologischen Hinter- barung Jesu in seiner öffentlichen Wirksamkeit durch „Zeichen" gründe im Johannesevangelium entsprechen genau den gehört, durch semeia, die auf die Offenbarung der Sendung inzwischen historisch erforschten Zuständen zur Lebenszeit Jesu und letztlich auf das große semeion des am Kreuze Jesu. Wie und zu welchem Zweck sollten Dinge, die einem so Erhöhten ausgerichtet sind; und daß diese „Zeichen" ihren späten Verfasser, wie dem heute meist postulierten nachapo- inneren Bedeutungsgehalt nur der Tiefenschau des Glaubens stolischen Johannes" doch ganz fern liegen, in das Evange- eröffnen. Bezeichnenderweise und ertragreich für unsere lium eingefügt worden sein, wenn dieses erst in den letzten Themenstellung weisen etliche der glaubenstiftenden Worte Jahren des 1. Jahrhunderts entstanden wäre, welche Grenze und Taten Jesu auch aufjene Zeichen hin, durch die das Chri- zu überschreiten ja die Papyrusfunde nicht mehr gestatten. stusmysterium in der Kirche fortlebt, vor allem auf Taufe und • Einen viel früheren terminus ad quem der Abfassung, als Eucharistie in ihrer zu jeder Zeit neu auf den einen Christus das Ende des 1. Jahrhunderts es ist, fordert (vom Prolog und und sein Heilswerk sich öffnenden Transparenz. den beiden allerletzten Versen 21, 24 f einmal abgesehen) Angesichts des Todes Christi und seiner Auferstehung, die jedoch sogar die Gesamtkomposition, wie speziell aus dem 21. das neue allorientierende Heilszeichen sind, verlieren alle Kapitel, besonders Vers 18-23, hervorgehe). bisherigen Orientierungsgrößen des jüdischen Kultes, wie Dieses Kapitel ist ganz offensichtlich ein Nachtrag zum Sabbat und Tempel, ihre Bedeutung. Der Tempel wird auf- übrigen Evangelium. Aber selbst dieses 21. Kapitel trägt alle gehoben in der Neuorientierung auf den hin, der den Tempel Anzeichen eines Verfaßtseins noch innerhalb der 1. Genera- seines eigenen Leibes zum Niederreißen darbot und ihn in tion an sich. Die hier gegebene Darstellung des Herrenwortes seiner Auferstehung am dritten Tage wiedererrichtete (Joh 2, an Petrus und Johannes „wenn ich will, daß er (Johannes), 19 ff)3). Diese vollkommene Personalisierung des Kultes auf Chri- bleibt, bis ich wiederkomme, was geht es dich an" bedeutet stus hin verwirklicht sich in der Zeit der Kirche in den Myste- nämlich - ganz gleich, ob man dem zurückgewiesenen Miß- rien Taufe und Eucharistie. Der jüdische Kult ist im Christus- verständnis verfällt, daß Johannes in keinem Fall sterben mysterium, sowie in den Mysterien Christi in seiner Kirche, werde, oder ob man, im Sinne der Richtigstellung, „bleiben" aufgehoben und zur Vollendung gebracht. oder „sterben" in die Hand des Herrn legt - nie und nimmer, Schon von diesem übergreifenden Aspekt des Johannes- daß Johannes etwa göttergleiche Unsterblichkeit erhalten evangeliums her kann man die Frage stellen, ob die in drama- werde, sondern natürlich nur, daß wenn Christus es wolle, tischen Auseinandersetzungen Jesu mit den Juden zum Aus- seine Wiederkunft Johannes noch lebend antreffen werde, druck kommende Aufhebung der Verbindlichkeit des jüdi- was bedeutet, daß ihr Eintreffen noch zu Lebzeiten der schen Kultes nicht ein Thema ist, das hinsichtlich der poin- 1. Generation für möglich und einigermaßen wahrscheinlich tierten Abfassung des Textes weit besser in die Jahre des ersten gehalten wird. Damit aber berührt sich das Wort vom Lieb- grundsätzlichen Bruches mit der Synagoge paßt, als in jede spätere lingsjünger, der möglicherweise bleiben werde bis zur Wie- Zeit. Symbolhaft für diese Situation der Gesamtgemeinde ist - derkunft, mit Mt 24, 34, „daß diese Generation nicht ver- wie J. A. T. Robinson geltend macht') - die Ausstoßung des gehen werde, bis das alles (nämlich der Tempeluntergang, der blindgeborenen Sehendgewordenen (Joh 9). Das Sehendwer- Weltuntergang und die Wiederkunft des Herrn) geschehen den im Glauben an Christus darf nicht mehr vor der Synago- werde." -Joh 21 ist also von der gleichen Erwartung erfüllt, galgemeinde bezeugt werden, sondern führt zum Ausschluß die als Grundhaltung vor allem in die Lebenszeit der 1. Gene- aus dieser. ration hineinpaßt. • Der übliche, in der Einleitungswissenschaft oft berufene Allgemeinplatz, die Weise, wie das Johannesevangelium ver- III. Das Johannesevangelium und die quartadezima- schiedentlich die Redewendung „die Juden" gebrauche, ver- nische Passahfeier rate eine so große zeitliche Distanz, daß ein Augenzeuge des Diese Konvergenz von Indizien für eine Frühdatierung des Lebens Jesu bzw. ein Mann der ersten Generation a limine als Johannesevangeliums in zeitlicher Nähe zur Ablösung der Verfasser ausscheide, geht völlig ins Leere5). Denn auch bei christlichen Gemeinde von der Synagogalgemeinde, mit Paulus heißt es 2 Kor 11, 24: „Von den Juden erhielt ich fünf- einem terminus ad quem der Endredaktion noch während der mal vierzig Streiche weniger einen." Und diese Stelle steht Lebenszeit der 1. Generation, war als Rahmen aufzuzeigen, sogar im Kontext der Betonung, daß Paulus an den Erstge- innerhalb dessen nun meine speziellen Argumente aus mei- burtsrechten des jüdischen Volkes teilhat: „Nachkommen nem Bereich der frühesten Liturgiegeschichte eine weitere Abrahams sind sie? Ich auch!" Wenn also wegen dieses Präzisierung der Zeit und des Entstehungsmilieus des 4. Evan- Gebrauchs des Wortes „die Juden" niemand auf die Idee kom- geliums bringen sollen. men kann, den 2. Korintherbrief auf das Ende des 1. Jahrhun- derts zu datieren, dann sticht dieses Argument auch beim 1. Die Berufung der Quartadezimaner auf den Apostel Johannesevangelium nicht. Johannes und sein Evangelium - Dies ist vor allem angesichts der Detailangaben zurjerusa- Eine der urtümlichsten und spannungsreichsten Gegeben- lemer Topographie zu bedenken, wie z. B. zum Teich Bethesda heiten christlicher Liturgiegeschichte ist die älteste juden- - 65 - - 66 - christliche Passahfeier, deren Fortleben in der quartadezima- Apg 19, 9 für die mittleren 50er Jahre durchblicken läßt, in nischen Passahpraxis des 2. Jahrhunderts greifbar wird8). — Es jüdischen bzw. judenchristlichen Kreisen, denen sich dann, gilt heute in der Kirchengeschichte als erwiesen, daß sie ihre wie in der übrigen Provinz Asia, laut Apg 19, 10 auch die gläu- Ursprünge in derJerusalemer Urgemeinde gehabt haben muß. Der big gewordenen Hellenen hinzugesellten. Nach dem Zeugnis zeitliche Ansatz beim Passahtermin des jüdischen Kalenders ebenfalls von Apg 19, 9 hatten sich die Spannungen zwischen läßt an die Entstehung in einer Zeit denken, als die wöchent- Juden, die die Botschaft annahmen, und solchen, die sie liche Feier des Herrentages') noch keine ganz festen Kontu- ablehnten, zunächst innerhalb ein und derselben Synagogal- ren gewonnen und jedenfalls nicht auf den Tag des Jahres- gemeinde bis ins Unerträgliche gesteigert, so daß ein pascha zurückgewirkt hatte. Frühes judenchristliches Milieu schmerzlicher Bruch erfolgen mußte. Dies ist bezeichnend für ist dabei mit den Händen zu greifen; und die Verbreitung die- die judenchristlichen Gemeinden der ältesten apostolischen ser Passahfeier kann nur auf den Wegen frühester apostoli- Mission der 30er, 40er und 50er Jahre. Man fühlt sich als das scher Mission verlaufen sein, und zwar nach eben dem wahre, seiner Berufung treue Israel und vollzieht jüdisches Gesetz, nach welchem Paulus bis zum Bruch mit der Syna- Brauchtum mit, sofern es eine christliche Deutung, Erhellung goge von Ephesus (Apg 19, 87) als Ausgang seiner Missions- und Erfüllung finden kann. Gerade dies aber, die hautnahe predigt jeweils die Synagoge und den Sabbat wählt. Berührung mit den die Botschaft Jesu zurückweisenden Tei- • Es ist nun bezeichnend, daß die Wortführer im quartade- len des Judentums: das äußerlich teilweise gleiche Brauch- zimanischen Streit, vor allem Bischof Polykrates von Ephesus, tum, bei himmelweit sich unterscheidender Deutung, schafft nicht vom Brauch der Urgemeinde her argumentieren, zumal spannungsgeladene Auseinandersetzungen, wie zugleich dieser in Jerusalem selbst längst keine Fortsetzung mehr auch ein Höchstmaß an Begründungszwang für das spezifisch haben konnte. Sie berufen sich aber mit aller Kraft ihrer Argu- Christliche, das in äußerlich jüdischer Form sich vollzieht. mentation auf die Kontinuität mit einer vom ApostelJohannes ver- • Betrachten wir nun den inneren Aufbau des Johan- tretenen Tradition. Hören wir Polykrates von Ephesus in sei- nesevangeliums, so ist hier die Auseinandersetzung um die nem Brief an Papst Viktor, den Eusebius (KG V, 23-25) wie- innere Gültigkeit des jüdischen Kultes mit den Händen zu dergibt: „Wir halten also unverfälscht den Tag ein, indem wir greifen. Ich habe auf die Zuspitzung der Tempel- und der Sab- weder etwas hinzufügen noch etwas fortnehmen. Denn auch batfrage im Tun Jesu selbst nach dem Johannesevangelium in Asia ruhen Geister, die Fundament sind für die Kirche (sto- verwiesen und auf die Konsequenz der allumfassenden Chri- cheia). Diese werden am Tage der Wiederkunft des Herrn stusorientierung, die im Zusammenhang der Mysterien von auferstehen, wenn er mit Herrlichkeit von den Himmeln Taufe und Eucharistie im Johannesevangelium aufscheint, so kommen und alle Heiligen auferwecken wird: den Philippus daß Oskar Cullmann sagen konnte, das Johannesevangelium aus den zwölf Aposteln, der in Hierapolis ruht ... aber auch sei in weiten Teilen als Tauf- und Eucharistiekatechese zu Johannes, der an der Brust des Herrn gelegen hat, der Priester interpretieren. war ... Bekenner und Lehrer, dieser ruht in Ephesus; auch Mindestens ebenso erhellend wie die Auseinandersetzung Polykarp, Bischof und Märtyrer, der in Smyrna ruht ... Was um Tempel und Sabbat, sowohl in der Darstellung des Lebens soll ich noch den seligen Papirius und den Eunuchen Meliton Jesu wie hinsichtlich der Konsequenz für die Gemeinde, ist, nennen, der ganz und gar im Heiligen Geist gelebt hat und der wie vor allem von den französischen Exegeten Grelot und in Sardes liegt und die Wiederkunft von den Himmeln erwar- Pierron aufgezeigt wurde 9, die innere Ablösung vom jüdischen tet, bei der er von den Toten auferstehen wird? Diese alle Passah und dessen Aufhebung bzw. Erfüllung in der Person und dem haben den Tag des 14. des Passah gemäß dem Evangelium Heilswerk Jesu. Ich nenne einige der Hauptindizien für diese eingehalten, indem sie in keiner Weise darüber hinausgingen, Interpretation: sondern der Regel des Glaubens folgten; schließlich aber 1) Das öffentliche Leben Jesu ist im Johannesevangelium auch ich, Polykrates, der ich der geringste unter euch allen um die Ereignisse von drei Passahfesten herum gruppiert: Im bin, nach der Überlieferung meiner Vorfahren, denen ich Zusammenhang des ersten Passah steht die Tempelfrage (Joh genau gefolgt bin. Sieben Vorfahren vor mir waren Bischöfe, 2). „Er aber sprach vom Tempel seines Leibes." Christus also ich bin der achte, und meine Vorfahren haben stets den Tag ist der wahre Tempel, der den Sinngehalt des alten Tempels in eingehalten, wenn nämlich das Volk das Gesäuerte beseitigt. sich aufhebt und zugleich erfüllt. - Im Zusammenhang des Ich habe nun, liebe Brüder, 65 Jahre im Herrn gelebt, habe zweiten Passah steht das Brotwunder und die eucharistische mit Brüdern aus der ganzen Welt verkehrt und die ganze Rede. Jesus erweist sich als das wahre Manna (Joh 6). Beim Schrift studiert: ich lasse mich nicht durch Drohungen schrek- dritten Osterfest der Juden offenbart sich Jesus selbst als das ken; denn größere als ich haben gesagt: Man soll Gott mehr wahre Passah. Schon der Anfangsvers des 13. Kapitels ist gehorchen als den Menschen." bezeichnend: „die Stunde ist gekommen, aus dieser Welt Diese Zeilen sind voll von einer urtümlichen eschatologi- hinüberzugehen zum Vater". Es ist also Stunde des Hinüber- schen Frömmigkeit, wie sie aus den frühen judenchristlichen gangs. Bekanntlich wird Pesach schon in der etymologischen Kreisen stammt und zeigen ein Überlieferungsbewußtsein, Deutung des Buches Exodus als "Vorübergang" bzw. „Hin- das hinsichtlich der Traditionskette lückenlos ist und das auch übergang" verstanden. von den Römern nicht ernsthaft bezweifelt wird, wenngleich 2) Diese Darstellung der öffentlichen Wirksamkeit um diese sich für ihre Überlieferung des Pascha am Herrentag auf drei Passahfeste herum: im Sinne einer Selbstoffenbarung einen Ursprung berufen, wie ihn Petrus und Paulus in Rom Jesu als wahrer Tempel, als wahres Manna und als wahres Pas- gesetzt haben (eine Tradition, die nach dem Gesetz heiden- sah, wird kompositorisch umgriffen von der Gottesknecht- und christlicher apostolischer Mission begründet wurde). Lamm-Typologie, die das gesamte Evangelium durchzieht und im 19. Kapitel kulminiert, wo Christus sich im Tode definitiv 2. Christus, das Neue Passah als Grundthema des Johan- als das für uns geschlachtete wahre Passahlamm offenbart. nesevangeliums und der frühe judenchristliche Hinter- Dieser Bogen überspannt vom 1. Kapitel her, gewissermaßen grund mit einer Zwischenstütze im 7. Kapitel, die gesamte Sendung Wieweit sind nun Johannes und sein Evangelium innerhalb und Selbstoffenbarung des Herrn und findet hinsichtlich der der quartadezimanischen bzw. der ältesten von Jersualem Gesamttypologie seine Kulmination im 19. Kapitel, Vers 36, ausgehenden judenchristlichen Überlieferung zu verifizieren? wo es heißt: „Dies (die Durchbohrung der Seite Jesu) ist Die Wurzeln der ephesinischen Gemeinde liegen, wie noch geschehen, damit sich das Schriftwort erfülle: Ihm soll kein - 67 - - 68 - Bein zerbrochen werden." Also Anwendung von Ex 12, 46, 2 Kor 11, 24 schlagend widerlegt und so auch eine etwa wo vom Schlachten des ersten Passah die Rede ist, auf Jesus gleiche Entstehungszeit wahrscheinlich gemacht wird. und seinen Tod, was bedeutet: es gibt ein neues Passah, in Eine innere Affinität der Passahtypologie des 4. Evange- dem das alte erst seinen eigentlichen Sinn erhält: nämlich liums zu einer späteren zeitgeschichtlichen Entwicklung Christus, als „Passah, für uns geschlachtet", wie Paulus in käme erst wieder für die zweite Phase des Osterfeststreites in 1 Kor 5, 7 es ausdrückt. Frage, als die Eigenart der quartadezimanischen Praxis und 3) An der Heilskraft des Todes Christi partizipieren wir ihre Spiritualität neu begründungspflichtig wurde, allerdings durch Taufe und Eucharistie. Deshalb in Joh 19, 34 das so jetzt in ganz anderer Frontstellung. Und gerade hier ergibt eigentümlich feierliche Zeugnis des Evangelisten, daß Blut sich erstmals eine Fülle von zuverlässigen äußeren Zeugnis- und Wasser aus der Seite Jesu hervorströmten, „auf daß wir sen für die traditionsbegründende Funktion des Johannes und glauben". Und dieses wird vorbereitet von Joh 7, 38: „Am seines Evangeliums eben innerhalb der ersten Generation in letzten Tage des großen Festes stand Jesus da und rief: ,Wenn Kleinasien. jemand dürstet, komme er zu mir; und es trinke, wer an mich • Das Fazit der liturgiegeschichtlichen Betrachtung und glaubt. Aus seinem Leibe werden Ströme lebendigen Wassers Rekonstruktion der Zusammengehörigkeit des 4. Evange- fließen.'" Der Sinn des Wortes erfüllt sich laut Joh 7, 39 im liums bzw. seiner Abfassung mit der ältesten judenchristli- Tode des Messias und der Geistausgießung kraft dieses chen Passahfeier ist also dies: Das Johannesevangelium weist Todes. Der sakramentale Aspekt der Partizipation an der alle Spuren einer Konzeption und Abfassung in den Jahren Kraft dieses Heilstodes durch Taufe und Eucharistie wird auf, die in Kleinasien dem endgültigen Bruch mit der Syna- noch eigens bezeugt in 1 Joh 5. goge vorausgehen bzw. unmittelbar folgen. Es sind die Jahre, Wie umfassend angelegt die Passahlamm-Typologie ist, die in den Berichten der Apostelgeschichte und in den beiden zeigt sich bereits in Joh 1, 29, wo der Täufer die Sendung Jesu Korintherbriefen deutliches Profil erhalten. Nicht zufällig in die Worte faßt: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der sind denn auch die Stellen 1 Kor 5, 7 von „Christus, dem Welt hinwegnimmt." — Lamm- und Gottesknecht-Typologie Paschalamm, für uns geschlachtet" und das Wort von „den fließen hier zusammen, wie das gleichlautende hebräische Juden", die dem Evangelium und ihm Paulus, einem Sohne Wort es nahelegt. Abrahams, solchen Widerstand entgegensetzen, die inhalt- lich deutlichsten Entsprechungen zu zwei für den Zeitansatz 3. „Der Sitz im Leben" für die Grundstruktur des 4. aufschlußreichen Formulierungen des Johannesevangeliums. Evangeliums: Die radikale liturgisch-christozentrische Als nächste zeitliche und inhaltliche Parallele zum Nach- Neuorientierung der 50er Jahre in Kleinasien trag, dem 21. Kapitel, also einer der Hauptkomposition ge- Wie kommt Johannes, der in seinem Prolog so überzeitlich- genüber späteren Redaktionsschicht des 4. Evangeliums, kosmisch Denkende, der im Sinnbild des himmelstürmenden stellt sich hinsichtlich der Alternative „für Christus zu ster- Adlers unter den Evangelistensymbolen Dargestellte dazu, ben" oder „zu bleiben", wie sie für Petrus und Johannes in der so anstößig konkreten, auf die Wurzeln jüdischen Kultes Frage steht, eben Phil 1, 25 mit demselben Stichwort zurückgehenden Passahlamm-Typologie so breiten Spiel- „menein" = bleiben" dar, wo Paulus erwägt, ob es besser sei, raum zu geben, daß die Passahlamm-Typologie geradezu zur aus diesem Fleische aufzubrechen oder zu bleiben, falls der Darstellungsform seiner Erlösungstheologie wird? Herr es will, in Erwartung der Wiederkunft. Dies alles ent- Ich weiß nur eine befriedigende Antwort darauf: Es muß spricht dem Glaubensbewußtsein der ersten Generation, wie die Zeit der in den fundamentalen christlichen Kultvollzügen es in der Fassung und der Interpretation des Herrenwortes Mt sich erstmals umfassend artikulierenden Kirche gewesen sein; 24, 34 „daß diese Generation nicht vergehen werde, bis das zugleich die Zeit, da gewisse überkommene Kultformen einer alles geschehen ist" zum Ausdruck kommt, in welcher Stelle maximal gesteigerten Transparenz auf Christus und sein jüdisches und frühes judenchristliches Verständnis den Welt- Heilswerk bedurften und da eben dies in einer fundamentalen untergang und den Tempeluntergang untrennbar miteinan- Auseinandersetzung mit dem Judentum zu geschehen hatte, der verbunden sehen. wie es in Apg 19, 9 spürbar wird. Diese Epoche gab es unter- • Da der Verfasser des Johannesevangeliums nach allen halb des archäologisch gesicherten terminus ad quem für die entstehungsgeschichtlichen Indizien so unzweifelhaft der Entstehung des Johannesevangeliums, nämlich den 90er Jah- ersten Generation angehört, kann auch nicht mehr bezweifelt ren, in den Zentralgebieten apostolischer Mission und spe- werden, daß er tatsächlich der ist, als welcher er sich selbst ziell im kleinasiatischen Gebiet um Ephesus, dem allseitig bezeugt, nämlich „der Jünger, der an der Brust des Herrn bezeugten und angenommenen Enstehungsgebiet des Johan- geruht hat" (Joh 21,20). Eben dieser wird auch von den quar- nesevangeliums, nur einmal"). tadezimanischen Zeugnissen des 2. Jahrhunderts, unter Veri- • Es war in den Jahren, da die christlichen Gemeinden die- fizierung einer lückenlosen Traditionsreihe, als Frühzeuge ser Region, die im Judentum ihre Wurzeln hatten, sich der ihrer apostolisch begründeten Praxis genannt. völlig unverwechselbaren christlichen Inhalte und ihrer Kon- Selbstzeugnis des Evangelisten, äußeres historisches Zeug- sequenzen gerade in jenen Bräuchen bewußt werden mußten, nis und inhaltliche wie formal-entstehungsgeschichtliche in denen formal das jüdische Erbe noch spürbar war, wie eben Indizien kommen hier überein und führen zu dem Resultat, in jener Feier des Erlösungspascha, die von der Urgemeinde daßJohannes, der Apostel und Lieblingsjüngerjesu, der Verfasser des in Jerusalem her vorgegeben, im Zuge der apostolischen Mis- 4. Evangeliums ist, das er auf dem Höhepunkt seiner Verkündi- sion in Kleinasien übernommen und für uns aus der quartade- gungs- und Hirtentätigkeit konzipiert, verfaßt und wahr- zimanischen Praxis rekonstruierbar wird. scheinlich kurz nach dem Tode Petri mit dem derzeitigen Auf dem Hintergrund des kleinasiatischen Kirchentums Schlußkapitel versehen hat. der 90er Jahre oder gar des frühen 2. Jahrhunderts erschiene • Wenn es nun — scheinbar entgegengesetzt zu diesen das Johannesevangelium in seiner charakterisierten theologi- Erwägungen — schon in der Alten Kirche die Auffassung gab, schen Stoßrichtung zutiefst anachronistisch, auf heidenchrist- Johannes habe bis in die Zeit des Kaisers Trajan (98-117) lichem Boden aber deplaciert, zumal die scheinbare innere gelebt und sein Evangelium in sehr hohem Alter verfaßt12), so Fremde des 4. Evangeliums gegenüber allem konkret Jüdi- mag diese Auffassung (falls sie nicht in einer auf die 90er Jahre schen, die angeblich in der Redewendung „die Juden" zum zurückgehenden Schlußredaktion unter Voranstellung des Ausdruck kommt, durch die gleichartige Redeweise Pauli in Prologs einen historischen Kern hat) aus einer einfachen Ver- — 69 — - 70 — bindung des Zeugnisses über den uralt, nach überstandener PROF. DR. WALTER HOERES Verbannung auf Patmos, in Ephesus gestorbenen Apostel und Evangelisten, mit der einfachen Zuweisung des 4. und letzten Allianz zwischen Aufklärung und Religion? Evangeliums an eben diesen Johannes entstanden sein. Ähn- - Zu Lübbes jüngstem Versöhnungsversuch — lich spricht man auch heute vom Oeuvre eines greisen Verfas- sers oder einer hochgestellten Persönlichkeit (z. B. den (Bökmann) 1. Vom Wiedererwachen des Religiösen hört man. „moraltheologischen Werken des Papstes") unabhängig Und manches kann so gesehen werden. Daß hier allerdings kaum davon, ob diese Werke geschrieben wurden, als ihr Verfasser Wasser auf die Mühlen des Offenbarungsglaubens oder gar der Kirche tatsächlich schon ein Greis war oder schon seine definitive rauschen, erscheint ziemlich sicher. Günter Zehm hat in einem inter- berufliche Stellung erreicht hatte. essanten Pfingstartikel Gründe genannt, die auch bei Theologie und Aber selbst wenn eine endgültige späte Schlußredaktion Kirche heute liegen. des Johannesevangeliums in den 90er Jahren erwiesen wäre, „Hermann Lübbe hat in seinem großen Buch über die ,Religion könnte sie nicht übersehen lassen, daß entscheidende Indi- nach der Aufklärung' den merkwürdigen Mechanismus nachgezeich- zien bei der Darstellung Christi als des Passah des Neuen Bun- net, der das religiöse Gefühl ausgerechnet unter den Bedingungen der des, die einen wesentlichen kompositorischen Grundzug des Verwissenschaftlichung und Säkularisierung wiedererweckt. Wie ein 4. Evangeliums bildet, für eine ausgereifte theologische Kon- mörderischer südamerikanischer Ameisenzugmarschiere die Wissen- zeption des Hauptteils des Evangeliums und dessen frühe schaft durch die Institutionen und sauge alles Allgemeine auf um es Niederschrift und Kundgabe spätestens in den bezeichneten den ätzenden Säften der Ratio auszusetzen. Doch eben dabei stelle 50er Jahren sprechen. sich heraus, daß die Grundkomponenten unserer menschlichen Exi- Bei diesem Zeugnis ging es freilich letztlich um das Lebens- stenz widerstehen, daß sie nicht rationalisierbar sind, sondern ein- zeugnis des ‚Jüngers, den Jesus liebte" (Joh 21, 20), um das malig und ,kontingent; zufällig." Zeugnis eines Glaubens, den der Herr selbst geweckt und dem Religionsphänomenologen wie Mircea Eliade haben nun auf die er durch seinen eigenen Heiligen Geist Licht, Feuer und Kraft besondere Zeit- und Raumstruktur aufmerksam gemacht, in der diese geschenkt hatte. Urerfahrungen dargestellt und in visueller Feier vergewissert wer- * Kurzreferat, gehalten auf der Tagung der Fördergemeinschaft der Zeitschrift „Theo- den. Dazu Zehm: logisches", am 18. 11. 87 in Würzburg. Anfang und Schluß wurden modifiziert; der "Von hier aus wird verständlich, warum die Überzeugungskraft Charakter des Kurzreferates mußte erhalten bleiben. des Christentums nachläßt, obwohl sich das religiöse Gefühl kräftig Anmerkungen ausbreitet. Statt daß die Kirchen ihre Botschaft aus dem Wettlauf 1) Wann entstand das Neue Testament? Paderborn-Wuppertal 1986. mit der Wissenschaft herausnehmen, machten und machen sie sie 2) Urchristentum und Gottesdienst, Zürich 41962, 38-112. ihrerseits zur Wissenschaft. Statt die Botschaft in ihren mythischen 3) An die Stelle des Sabbats als des Tages „der Ruhe" tritt die neue Heilszeit, Wurzeln zu festigen, wird sie entmythologisiert, historisiert, der da „mein Vater am Werke ist und auch ich am Werke bin bis ins Eben-Jetzt" „Totalkritik" unterworfen. (Joh 5, 17). Vgl. Cullmann, ebd. 87. 4) A. a. 0., 285 f. Es sind die Theologen selbst, die der Botschaft die Heiligkeit mit 5) Ebd. nachgerade allen nur denkbaren Mitteln austreiben. So kann diese 6) Ebd., 289 f. Botschaft heute auch nicht von der schweren Legitimations-Krise 7) Ebd., 290 ff. profitieren, in die die Wissenschaft geraten ist, im Gegenteil, sie teilt 8) Vgl. bes. B. Lohse, Das Passafest der Quartadezimaner, Gütersloh 1953; und J. Blank, Meliton von Sardes. Vom Passa. Die älteste christliche Osterpre- — und zwar nicht einmal unverdient — voll und ganz das Krisen- digt, Freiburg 1963. schicksal dieser modernen Wissenschaft. 9) „Kyriake hemera" findet sich im Neuen Testament erstmals in Offb 1, 10 als Und der Prozeß der Selbstzerstörung geht immer noch weiter. Der Bezeichnung für „Herrentag = dies dominica" im liturgischen Sinne, in frü- sakrale Raum wird in der kirchlichen Praxis von heute ständig mit heren Schriften stets im Sinne des Tages der Wiederkunft. — Der Gedächtnis- dem profanen Raum vermischt, indem politisierende Pfarrer vor charakter des „I. Tages der Woche" zeichnet sich allerdings schon in den Auf- erstehungsberichten und in 1 Kor 16, 2 und Apg 20, 7 ab. — Hinsichtlich des krakeelenden „Basisgemeinden" irgendwelche aktuellen Demos und Zeugnisses für die Osterfeier erweist sich 1 Kor 5, 7 von der Nähe des jüdi- Gewaltakte durch Gesten und Phrasen „heiligen", die eigentlich der schen Passahtermins zwar zu christlich-ethischer Umdeutung der Passah- Liturgie vorbehalten sind. Und die sakrale Zeit wird profaniert, bräuche inspiriert, nicht aber zur Erwähnung eines eigenen vom jüdischen indem man die alten Texte abwandelt, sie mittels Alltagsjargon Passahtermin unabhängigen österlichen Jahresgedächtnisses (vgl. auch Apg 20, 6). „modernisiert". So fällt es immer schwerer, sich die führenden Reprä- 10) P. Grelot —J. Pierron, Osternacht und Osterfeier im Alten und Neuen sentanten der etablierten Kirchen als Hüter eines Heiligtums vor- Bund, Düsseldorf 1959. zustellen. Papstreisen werden zu Politspektakeln umfunktioniert, 11) Die Einführung der 12. der Achtzehn Preisungen gegen Häretiker in den und bei den Protestanten prägen die chaotischen, raumgreifenden späten 80er Jahren kann weder zeitlich noch örtlich auf die Situation des Johannesevangeliums bzw. der johanneischen Gemeinden bezogen werden, Laientreffen der „Kirchentage" mit ihren grellen, trödlerhaft ver- da sie auf solche dem Christentum zuneigenden Mitglieder der Synagoge aus- mischten „Glaubensangeboten" die jährliche Szene. gerichtet ist, die Glaubensunterschiede möglichst herunterspielen wollen Ist es da ein Wunder, wenn die von pfingstlichem Geist Erweckten (Robinson 284). gar nicht mehr den Weg zu diesen etablierten Kirchen suchen, sondern 12) Eine eindeutige Spätdatierung nach der Patmos-Verbannung und der gleich zu gänzlich neuen Heiligtümern und gänzlich neuen Texten Abfassung der Apk nehmen einzelne Manuskripte des antimarkionitischen Prologs und Epiphanius von Salamis vor. Irenäus spricht nur vom hohen aufbrechen? Daß sie sich dabei nur allzu oft in Sektierertum verren- Lebensalter des Johannes (an sich) und von einer Abfassung in Ephesus. — Die nen, kann niemanden freuen. Es ist dies in Wirklichkeit kein „Sieg allgemeine Nachricht über die Abfassung nach den Synoptischen Evangelien von Pfingsten über Ostern", sondern Ausdruck dafür, daß sich der erbringt für einen absoluten späten Zeitansatz nichts (da man sie nicht mit den pfingstliche Geist vielerorts (durchaus unfreiwillig) aus den alten in der heutigen Exegese üblichen Datierungen der Synoptiker kombinieren kann). - Vgl. Robinson 267 ff. Kirchen verabschiedet hat, vertrieben von einer Allianz aus pseudo- wissenschaftlichem Kritizismus, politischer Profanierungssucht und Die Adresse des Autors: Prof. Dr. Hans-Joachim Schulz, Katholisch-Theologische liturgischer Nachlässigkeit. Erst nach Auflösung dieser unheiligen Fakultät der Universität Würzburg, Lehrstuhl für Ostkirchengeschichte und ökume- nische Theologie, Sanderring 2, 8700 Würzburg. Allianz würde die traditionelle Botschaft wohl wieder besser gehört werden." (Pfingstens Pyrrhussieg, in: „Die Welt" vom 6. 6. 87) 2. Ob also jene „neue Religiosität" wirklich offenbarungsfähig Die Menschen müssen durch das Heilige umgestaltet werden — im Sinne einer zum personalen Gott offenen „natürlichen" Religion nicht das Heilige durch den Menschen. IV Laterankonzil sei, wäre eine — m. E. noch unentschiedene Frage an Lübbe. Ebenso ist zu beachten, daß Lübbes Begriff von Aufklärung vor- — 71 — - 72 - zugsweise den Gebrauch nüchterner Vernunft anstelle von Ideologie erscheinungen mit Hilfe göttlicher Mächte erklärt werden und Emotion meint. Hier ist allerdings unübersehbar, daß „die Auf und das Stadium der Philosophie, in dem philosophische klärung" überwiegend durch die Dynamik einer Freiheit als Nega- Abstraktionen an die Stelle jener numinosen Mächte treten, tion und von Vernunft als Kritik geschichtswirksam, u. zw. verhee- um schließlich auf all solche Lösungen der Welträtsel zu ver- rend gewirkt hat. Der Umschlag in den moralisierenden Terror kenn- zichten und sich in einer entzauberten Welt mit den Erfah- zeichnet nicht nur den Anfang und Verlauf er könnte auch das Kenn- rungswissenschaften zu bescheiden. mal seiner Selbstzerstörung (durch Hyperkritik und Selbstvernei- Daß die Religion nicht mehr in unsere Zeit paßt, scheint nung) werden. „Wir wollen nicht noch eine komplette Liste der durch die gigantische Säkularisierung aller Lebensbereiche Greuel geben, die uns die letzten zweihundertfahre gebracht haben — bestätigt zu werden, die sich in unseren Tagen mit atemberau- von der charmanten notre there liiere la guillotine, den noyades, den bender Schnelligkeit und in einem Ausmaß vollzieht, das colonnes infernales bis zu Auschwitz, Workutä, Solowki, Dresden, unsere Väter nicht für möglich gehalten hätten. Säkularisiert Hut und Pnom-Penh, einschließlich Chinas vielleicht 80 Millionen ist eine Gesellschaft, in der es gleichgültig geworden ist, ob Toten. Unser Zeitalter befindet sich im Zeichen des „G" — der Guillo- man einer Kirche angehört oder sich überhaupt zu einer Reli- tinen, Gefängnisse, Galgen, Gaskammern, Genickschüsse, Gulags, gion bekennt oder nicht. Aufschlußreich für das Ausmaß und Genozide und Geisteskrankenhäuser . . . Ende des 18. Jahrhunderts die Schnelligkeit dieses Prozesses ist das lautlose Verschwin- wurden die Weichen falsch gestellt und zweihundertfahre fahren wir den religiöser Sitten und Gebräuche, die Tatsache, daß wir schon auf einem falschen Geleise . . . Und durch diese Zeit zieht sich uns schon längst nicht mehr bekreuzigen im Augenblick als roter Faden der bleckende Wahnsinn." (Erik v. Kuehnelt- selbst der höchsten Gefahr, daß das Tischgebet zumindest in Leddihn, Die falsch gestellten Weichen, Der rote Faden 1789-1984, der Öffentlichkeit schon befremdlich wirkt, die sich häufen- Böhlau 1985, S. 439J). den Traueranzeigen ohne jeden religiösen Bezug, der reine 3. Etwas existentieller beschreibt Tatjana Goritschewa den Pro- Erholungscharakter selbst hoher kirchlicher Feiertage, die zeß der Zersetzung, Verneinung im Namen einer sich moralisch Gleichgültigkeit gegenüber der Konfessionsfrage bei der Part- gebenden „Aufklärung". nerwahl, die Beliebigkeit, mit der sich die Schüler für oder „Die Epoche der radikalen Verneinung, der radikalen Aufklärung gegen das Fach Religion entscheiden! Die Beispiele ließen ist an ihr Ende gekommen. Man befindet sich in einer Sackgasse. Die sich ins Unendliche vermehren und scheinen auf erdrük- Aufklärung hat sich sozusagen selbst verneint. Weil sie immer und zu kende Weise zu zeigen, daß Nietzsches Rede vorn Tode Got- allem nein sagte, sagte sie am Ende auch zu sich selbst nein. Das Zer- tes erst für unsere Generation zur Wahrheit geworden ist. reißen von Zusammenhängen, das Zerstückeln alles Ganzen, die bis • Auf der anderen Seite ist es gerade diese fortschreitende in alle Unendlichkeit vordringende Vernunft, die Verneinung jeder Säkularisierung, die den Sinn für die Frage schärft, wieso die Autorität — mit alledem ist sie heute höchst verdächtig geworden. Religion trotz alledem gar keine Anstalten macht, abzuster- Das ist sehr gut für das Christentum. Die vielen Intellektuellen, ben. Das Erstaunen darüber vermehrt sich noch, wenn wir an besonders hier in Frankreich, sind so an die Grenze zwischen Glau- das entscheidende Säkularisierungsziel erinnern, das die Auf- ben und Unglauben herangerückt, daß sie nun den Glauben überall klärung im Sinn hatte: die Emanzipation der Wissenschaften aus suchen. Sie suchen ihn jedoch nicht im Christentum, sondern in der der Herrschaft von Kirche und Religion.Je nach Standpunkt kann Mystik des Islam, in der gnostischen Philosophie und bei den Ketzern, man die Aufklärung ja als Befreiung von der drückenden bei den christlichen Ketzern, in den Randzonen des christlichen Glau- Herrschaft der alten Mächte von Tradition und kirchlicher bens. Aber das ist die erste Stufe dieses Interesses." (Tatjana Gorit- Vormundschaft oder umgekehrt als gigantische Los-von- schewa, Die Kraft der Ohnmächtigen, Weisheit aus dem Leiden, Gott-Bewegung sehen. Aber in ihrem eigentlichen ernsthaf- Wuppertal (R. Brockhaus)19872, S. 67, Nach der radikalen Vernei- ten Wollen und Selbstverständnis ist sie nach der berühmten nung). Definition von Kant nichts anderes als der Versuch des Ob also Lübbes Wunsch, Aufklärung und Religiosität möchten/ menschlichen Geistes, „aus seiner selbstverschuldeten Un- müßten sich heute verbünden, Chancen hat, liegt auch am gelebten mündigkeit" herauszutreten und „sich seines Verstandes Glauben, an der Wiederherstellung des heiligen Kultes, an der Zeug- ohne Leitung eines anderen zu bedienen".1 So kann man nishaftigkeit einer übernatürlich durchstrahlten christlichen Existenz. Lübbe durchaus zustimmen, wenn er „die Emanzipation der Wissenschaften aus der politischen und institutionellen Bestimmungsmacht religiöser Maßgaben" geradezu als die Wenn einer der führenden Philosophen der Gegenwart die „Quintessenz der Aufklärung" bezeichnet.3) Und dieser Auto- Finger am Puls der Zeit hat, dann ist es der jetzt in Zürich leh- nomieanspruch ist mit ungeheurem kämpferischen Pathos rende Hermann Lübbe: vielleicht auch deswegen, weil er gegen die etablierten Mächte vonReligion und Kirche durch- kein abstrakter Seminarphilosoph, sondern zugleich auch ein gesetzt worden, die sich ihrerseits massiv zur Wehr gesetzt gestandener und renommierter Soziologe ist. So ist auch die haben. Man braucht nur an den lebenslangen Kampf zu erin- Frage, die er jetzt in seinem bei Styria erschienenen Buch: nern, den Ernst Haeckel, der Jenaer Zoologe und berühmte „Religion nach der Aufklärung") artikuliert, von brennender Verfechter eines rein naturwissenschaftlich-materialistischen Aktualität, ja vielleicht sogar die Schicksalsfrage unserer Zeit: Weltbildes mit seinem einflußreichen Monistenbund gegen warum ist in unserer total aufgeklärten Gesellschaft die Reli- die angeblichen Dunkelmänner führte und dieser Kampf liegt gion immer noch nicht abgestorben, wie dies doch gerade die noch nicht gar so lange zurück. Haeckel starb erst 1919. Als enragiertesten Aufklärer und Fortschrittspropheten des acht- Du Bois Reymond 1883 seine berühmte Akademierede über zehnten und mehr noch des neunzehnten Jahrhunderts erwar- „Darwin und Kopernikus" hielt, wurde das durchaus noch als tet und vorausgesagt hatten? eine Provokation empfunden, „die kräftig genug war, im preu- August Comte, der Vater des Positivismus, hatte nur deshalb ßischen Abgeordnetenhaus an zwei Tagen lebhafte Debatten so ungeheuren Erfolg mit seinem Dreistadiengesetz, weil er darüber auszulösen, ob es hingenommen werden könne, daß damit die Ansicht der Gebildeten des neunzehnten Jahrhun- ein preußischer Professor, und ein hochberühmter dazu, aka- derts auf eine griffige Formel brachte und im Grunde ist diese demieöffentlich Zustimmung zur Deszendenztheorie Ansicht auch noch die Meinung zahlloser, wenn nicht der bekunde".4) meisten Intellektuellen in unserem wissenschaftsgläubigen • Heute ist auch hier die Säkularisierung vollendet. Völlig Jahrhundert. Danach durchläuft die Menschheit mit Notwen- immun gegen religiösen Einspruch, aber auch unbehindert digkeit das Stadium der Religion, in dem alle Dinge und Natur- von ihm folgt die wissenschaftliche Forschung ihrer eigenen - 73 — — 74 — inneren Gesetzlichkeit. Aber die erstaunliche, ja überra- chen dazu veranlaßte, Philosophie und Theologie als erstran- schende Kehrseite der Medaille ist eben die Tatsache, daß der gige Bildungsfächer zu betrachten. Die Fähigkeit zu staunen wissenschaftliche Fortschritt offenbar der Religion nichts wird kaum mehr als erstrebenswertes Bildungsziel angesehen mehr anhaben kann, die Sicherheit und das Selbstvertrauen und selbst dort, wo man noch solche philosophischen des Glaubens gar nicht mehr berührt. Wir befinden uns heute Anwandlungen in sich verspürt, geht man schnell zur Tages- „in einer kulturellen Situation, in der sich gar nicht mehr ordnung über. Allzu groß ist heute die Schar der Agnostiker, sagen läßt, welchen Unterschied es für unsere religiöse die es in der Nachfolge Kants für ein müßiges Unterfangen Lebensorientierung eigentlich ausmacht, ob noch der gestrige und eine Überforderung des menschlichen Verstandes hal- Forschungsstand einschlägiger Wissenschaften maßgebend ten, über die letzten Gründe der Wirklichkeit, die Existenz ist oder bereits ein anderer. Ob der Kosmos, in den wir von von Gott, Geist und Seele zu spekulieren. unserem irdischen Standort aus mit den modernen radio- • Und genau deshalb ist die Kontingenz, die Lübbe im astronomischen Instrumenten eine beachtliche Strecke weit Sinn hat, nicht einfach die der Welt, sondern die unseres eigenen hineinzuschauen vermögen, seine biblischen fünftausend Daseins: das Faktum also, daß wir in der beschriebenen Weise Jahre oder fünf Milliarden Jahre alt ist oder ob seit dem gro- sind und nicht vielmehr nicht sind, ins Dasein geworfen und ßen big bang nach neuesten Abschätzungen gar 108 Sekunden allem ausgesetzt, was damit zusammenhängt. Abgesehen vergangen sein mögen — das sind Erkenntsiisalternativen, davon, daß auch in dieser Erfahrung unserer eigenen Zufällig- deren Dramatik für Teilnehmer an Forschungsprozessen keit immer schon die der ganzen Welt mitgemeint ist, kann gewaltig, in religiöser Hinsicht aber vollendet belanglos auch ein Agnostiker nicht umhin, sich mit dieser Unverfüg- geworden ist."5) Der Bericht selbst über die sensationellsten barkeit, Unwägbarkeit, diesem Schicksalscharakter des eige- paläontologischen Funde von Früh- oder Vormenschen wird nen Daseins auseinanderzusetzen, wobei „Schicksal" nur eine auch von den Gläubigen kaum mehr als Provokation empfun- poetische Chiffre für die uns vorgegebenen oder aus dem den und so lautet deshalb eine Grundthese von Lübbe: Dunkel auf uns zukommenden „Bedingungen unseres „Ineins mit dem Fortschritt der Wissenschaften hat sich zu- Daseins ist, die wegarbeiten oder auch nur ändern zu wollen, gleich die Einsicht in die religiöse Indifferenz dieses Fort- ein ersichtlich widersinniges Unterfangen wäre".7) Keine schritts ausgebreitet.") Revolution kann uns von dieser Daseinskontingenz emanzi- pieren. Unser technisches Können findet hier keinen Ansatz- punkt: "weder Sozial- noch Entwicklungshelfer haben hier Es muß also im menschlichen Dasein etwas geben, das völ- ein Betätigungsfeld".8) lig unabhängig von allem geschichtlichen Wandel, allem Karl Marx war noch der Meinung gewesen, daß die fort- wirklichen und vermeintlichen Fortschritt, aller Aufklärung schreitende Umwandlung der Natur und der Voraussetzun- und Säkularisierung immer wieder Religiosität stimuliert und gen unseres materiellen Daseins durch die menschliche provoziert und auch durch den ins Immense wachsenden wis- Arbeit den Schöpfungsglauben und die Religion zum Abster- senschaftlichen Erkenntnisstand gar nicht berührt werden ben bringen müßten, aber diese Voraussetzungen sind nun kann. Und das ist nach Lübbe ganz einfach die Erfahrung der einmal unserer Macht entzogen: der Macht des einzelnen und Kontingenz, wie sie von den klassischen Philosophen genannt - wie sich heute immer bedrohlicher zeigt - auch der der wird: der Unverfügbarkeit oder, wie Sartre das formuliert hat, Gesellschaft. der Geworfenheit unseres Daseins: die Tatsache, daß wir uns und unsere Existenz einfach vorfinden, für sie, wie die Leute II sagen würden, „nichts können" und sie auch nur allenfalls Damit ist das ganz einfache, alltägliche und lebensprak- unwesentlich zu verlängern vermögen: daß wir die Situation tische Panorama unseres Daseins und unserer elementaren nicht geschaffen haben, in die wir hineingeboren wurden, daß Daseinserfahrung entrollt, vor dessen Hintergrund Lübbe wir nach wie vor nicht nur Krankheit und Tod, sondern vieler- seine Phänomenologie des religiösen Lebens entfaltet. Seiner lei Not ausgesetzt sind und nichts dagegen vermögen, daß sie Ansicht nach ist Religion die einzig angemessene Art, „sich uns plötzlich und unversehens - sozusagen aus dem Hinter- zum Unverfügbaren in Beziehung zu setzen und die Vernunft halt - trifft und wir alle an uns so die Macht des Schicksals der Religion ist die Vernunft dieser Beziehung. Wozu Reli- erfahren. gion, mag man einwenden, wo uns" - in dem Bereich jeden- • Allgemein philosophisch gesehen ist diese Kontingenz falls um den es hier geht - „ohnehin nichts zu tun übrig bleibt? zunächst einmal ganz einfach in der bloßen Faktizität, der Was ändert sie denn? Macht sie das Unverfügbare verfügbar? Nichtnotwendigkeit der Welt und aller Dinge in ihr zu Eben nicht, aber sie bringt uns in ein Verhältnis dazu, und suchen, die immer wieder das Staunen, jenen Urakt der Philo- zwar in ein Verhältnis seiner Anerkennung, und sie ändert so sophie und die Frage provoziert: „warum ist überhaupt etwas unser Selbstverständnis, indem sie es in Übereinstimmung und nicht vielmehr nichts?" Blitzlichtartig wird schon hier mit seinen unverfügbaren Bedingungen bringt".9) nicht nur der Unterschied zwischen Metaphysik und Schöp- Wir müssen uns m. a. W. gerade als wache, bewußte Wesen fungsglauben auf der einen Seite und dem wissenschaftlichen zu all jenen Unverfügbarkeiten und Zufälligkeiten unseres Fortschritt auf der anderen Seite deutlich, sondern auch der Daseins, die wir als seine Kontingenz bezeichnen, irgendwie Grund, warum dieser dem Schöpfungsglauben gar nichts verhalten und zwar in einer vernünftigen Weise, die über anhaben kann. Denn die Naturwissenschaften haben es mit dumpfe Apathie, stumpfes Ertragen, bloße Resignation oder Beschreibungen und Abhängigkeiten innerhalb des Univer- ohnmächtiges Aufbegehren hinausgeht! Wollten wir auf diese sums zu tun, dessen Existenz sie dabei fraglos voraussetzen, Unverfügbarkeit unseres Daseins im heroischen Trotz des während Metaphysik und Schöpfungsglaube nach dem "Dennoch!" oder in der existentialistischen Attitüde blinder Grund dieser Existenz fragen und damit auf den Unterschied Entschlossenheit reagieren, dann würden wir sie und damit von Sein und Nichts gerichtet sind. unsere Ohnmacht, sie zu ändern, erst recht verspüren. Sie läßt Aber dieser staunenerregende Zufallscharakter der Welt sich also gar nicht "bewältigen" im Sinne einer aktiven Aus- ist noch nicht jene religionsträchtige Kontingenzerfahrung, einandersetzung mit einem zu ändernden Zustand. „Was soll die Lübbe im Sinn hat. Denn Metaphysik und weltanschau- da Bewältigung heißen? Die Antwort lautet: Bewältigte Kon- liche Fragen nach den letzten Hintergründen der Welt haben tingenz ist anerkannte Kontingenz".19) Daher ist diese Aner- heute allerdings nicht mehr jene Aktualität, die frühere Epo- kennung der unserer Situation einzig angemessene Lebens- - 75 - - 76 - akt, der „eigenständig neben die Lebensvollzüge tritt, in denen wir Handelnde sind. In Anerkennung der Unverfüg- Wie fruchtbar der nur scheinbar so magere Ansatz aber barkeiten des Daseins handeln wir nicht, wenn anders Han- auch für die tiefsten Fragen der Theologie und der Philoso- deln heißt, technisch oder politisch Wirklichkeiten zu ändern phie sein kann, mag ein Blick auf das berühmte Theodizeepro- oder zu konservieren. In Anerkennung dessen, was indisponi- blem zeigen, das seit der Aufklärung die Geister so mächtig bel ohnehin ist, wie es ist, und somit unser Dasein unabänder- angezogen hat und nicht mehr zur Ruhe kommen ließ. Es han- lich bestimmt, lassen wir alles sein, wie es sowieso schon ist, delt sich dabei um die alte Frage, wie sich das Übel und Leid und das einzige, was sich im Akt dieser Anerkennung ändert, in der Welt mit der unendlichen moralischen Vollkommen- sind wir selbst, nämlich in unserem Verhältnis zu diesem heit und Güte Gottes vereinbaren läßt. Seltsam ist auf den Bestand." ersten Blick, daß das Problem gerade in den Zeiten intensiv- ster Religiosität wie etwa im Hochmittelalter kaum als solches • Ein solches Verhältnis — das ist der springende Punkt! — empfunden wurde, während seit Leibnizens berühmtem müssen wir gerade dann gewinnen, wenn wir mehr sein wol- Essay über die „Theodizee oder Rechtfertigung Gottes" ganze len als bloßer Spielball in den Gezeiten des Schicksals: als ein Ströme von Tinte vergossen wurden, um es in Griff zu be- bloßes Ding also, dem einfach etwas zustößt, weil es sich nicht kommen. in ein von ihm selbst bestimmtes Verhältnis zu dem setzen Der Fehler liegt nach Lübbe schon darin, sich zur tatsächli- kann, was mit ihm geschieht. Damit sind wir schon bei einer chen Beschaffenheit der Welt und damit auch zu den Tatsa- weiteren wichtigen Kennzeichnung dieses Aktes der Aner- chen von Leid und Übel überhaupt moralisch verhalten und kennung! Er ist ein freier Akt: keine Tätigkeit, die etwas ver- sie von einem höheren Zweck her moralisch rechtfertigen zu ändert, aber doch frei und freiwillig das anerkennt, was uns wollen. Dabei geht es nicht um den Verzicht auf Moral, son- bestimmt ist und auf uns zukommt. „Freie Anerkennung läßt, dern um den Verzicht auf den unsinnigen Versuch, die Welt was sie anerkennt, gelten und sein, und diese Charakteristik moralisch zu rechtfertigen, denn wäre sie moralisch so wohl- paßt auch dann, wenn, was wir so gelten und sein lassen, nicht geordnet und in ihr alles so moralisch, übersichtlich und zum im mindesten von unserer Anerkennung abhängig ist, viel- besten bestellt, wie uns das viele Aufklärer und Fortschrittsop- mehr umgekehrt wir einzig von ihm."9 timisten suggerieren wollten, dann bedürfte es gerade nicht Es läßt sich nicht bestreiten, daß Lübbe mit dieser Kenn- der Religion und ein so typisch religiöses Phänomen wie das zeichnung einen der tiefsten Wesenszüge aller Religiosität des frommen Dulders wäre in dieser Perspektive völlig getroffen hat. Ist für sie doch die Anerkennung der unverfüg- unnötig, ja unverständlich! „Die Einsicht", so Lübbe „in die baren Bedingungen unseres Daseins nichts anderes als die moralische Wohlgeordnetheit dieser Welt, wie die Versuche demütige Ergebung in den Willen Gottes, die Annahme des- der Theodizee sie verheißen, ist keine Bedingung der Mög- sen, was er uns schickt, die Unterwerfung unter seinen Willen, lichkeit frommen Lebens in dieser Welt. Sie wäre ganz im die auch vom religiösen Standpunkt aus nur dann Sinn und Gegenteil die Bedingung der Unnötigkeit frommen Lebens: Wert hat, wenn sie völlig freiwillig geschieht. Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen; der Name Natürlich wird eine solche Haltung vor allem von den gro- des Herrn sei gelobt! — das ist nicht ein Satz moralisierender, ßen monotheistischen Religionen gefordert, die Gott als per- vielmehr religiöser Lebensannahme".14) Er hätte hinzufügen sönliches mit Verstand und Willen begabtes Wesen vorstel- können, daß schon der Versuch, Gott moralisch wie ein Advokat len, dessen unerforschlichem Ratschluß es sich zu unterwer- rechtfertigen zu wollen, das Ende der Religion bedeutet! fen gilt. In diesem Sinne bedeutet „Muslim" beispielsweise • Wichtiger für ihre Aktualität ist indessen der Nachweis, den, der sich Gottes Willen ganz ergibt. Bei den Juden ist das daß Religiosität gerade heute eine entscheidende Vorausset- Buch J ob, dieses herrliche Dokument von unvergleichlicher zung ist, den praktischen Anforderungen der Industriegesell- poetischer Schönheit und Aussagekraft, eine einzige Para- schaft gerecht zu werden. Ohnehin kann die funktionale Reli- phrase des bekannten Wortes: „der Herr hat's gegeben, der gionstheorie begreiflich machen, warum gerade religiös ver- Herr hat's genommen; der Name des Herrn sei gebenedeit!" anlagte Menschen die Anforderungen des praktischen Im Christentum schließlich wird die Idee der freiwilligen Lebens mit besonderer Sicherheit meistern. Erstaunlich ist Ergebung zu der der Kreuzesnachfolge sublimiert. das nur für Religionskritiker vom Schlage Sigmund Freuds, der die Frommen für Leute gehalten hat, die auf einen Grund- • Man hat Lübbe, aber auch anderen Philosophen, die in besitz im Monde spekulieren anstatt hier auf dieser Erde die gleiche Richtung gehen, den Vorwurf gemacht, eine Hand anzulegen. Tatsächlich aber ist die Religion niemals solche Definition der Religion als des angemessenen und ver- eine solche Flucht in Illusionen gewesen. Kein Autofahrer, nünftigen Verhältnisses zur Unverfügbarkeit und Kontingenz der am Armaturenbrett ein Madonnenbild oder ein Kreuz unseres Daseins sei zu dürftig, um das gemeinte Phänomen anbringen läßt, würde deshalb auf den Gedanken kommen, wirklich zu beschreiben. Lübbe selbst faßt diesen Vorwurf auf die technische Wartung des Fahrzeugs zu verzichten: kei- drastisch zusammen: „Man kommt vom Hochamt, hat zu ner, der am Morgen seinen Schutzengel anzurufen pflegt, Pfingsten an einem posaunenchorbegleiteten Waldgottes- wird deshalb sorgloser im Straßenverkehr. Die Bauern, die dienst teilgenommen, man ist Experte für barocke Sterbelie- Bittprozessionen und Erntedankgottesdienste halten, verzich- der, man nimmt als Politiker vornweg an einer Fronleich- ten keineswegs auf Düngemittel modernster Art. Deshalb namsprozession teil — und nun soll gelten, in all diesen Fällen haben sie aber nicht weniger Zutrauen zur Religion, sondern handle es sich um Kontingenzbewältigungspraxis?"9 Die beides, religiöses Verhalten und Tun, was die Umstände Kritik übersieht jedoch, daß es hier nicht darum gehen kann, gebieten, liegt auf völlig anderen Ebenen und stellt gar keine vorhandene Religionen zu beschreiben oder gar zu rechtferti- Alternative dar! D aß es Wirklichkeitsverluste aus religiöser gen. Vielmehr kann es in einer solchen anthropologischen Borniertheit und damit auch die Möglichkeit gibt, Religion Studie allein darum gehen, die Notwendigkeit oder Unver- als eine Art Droge zu gebrauchen, ist freilich nicht zu bestrei- zichtbarkeit der Religion auch in der vollends aufgeklärten ten, aber es geht eben nicht an, wie Freud aus dem Mißbrauch Gesellschaft nachzuweisen und zu zeigen, daß sie angesichts einer Sache auf ihren natürlichen Gebrauch zu schließen und der unaufhebbaren Bedingungen des menschlichen Daseins seine Illusionstheorie ist am wenigstens geeignet, die Dauer- einen durch nichts zu ersetzenden Stellenwert hat! Funktionale haftigkeit religiöser Kultur nach der Aufklärung begreiflich Religionstheorie, nicht Theologie: das ist hier die Frage! zu machen. — 77 — — 78 — • In Wirklichkeit nimmt die Religion in hohem Maße an • In solcher Lage ist es in der Tat schwer, noch weiter auf jener Entlastungsfunktion teil, die Arnold Gehlen, einer der die Vernunft zu vertrauen. Wo die Sachkompetenz nicht führenden Anthropologen der Gegenwart, den Institutionen mehr weiterhilft, um der Ängste Herr zu werden, muß ideolo- und Traditionen wie Sitte, Herkommen, Autorität, Kirche, gisches Wunschdenken herhalten, daß nicht sein kann, was Kultur, Moral und Konvention zuschreibt. Ohne sie müßte nicht sein darf. Aber es liegt auf der Hand, daß diese zu allen der Mensch ununterbrochen auch in den Kleinigkeiten des Zeiten gefährliche Flucht in Emotionen und Ideologien heute täglichen Lebens sich neu orientieren, ständig von neuem eine tödliche Gefahr für den Fortbestand unserer Zivilisation nach geeigneten Wertmaßstäben Ausschau halten und seine darstellt. Bei dem komplizierten Geflecht unserer Industrie- ganze Kraft in immer neuen Überlegungen verzehren, was gesellschaft wäre der Verzicht auf rationale Sachkompetenz hier und jetzt zu tun sei. Er müßte an diesem Entscheidungs- und der heute so gängige Versuch, die Probleme durch Mora- druck zerbrechen, wo er doch schon genug damit zu tun hat, lisieren zu lösen, eine unvorstellbare Katastrophe! Aber diese mit der Flut der zahllosen Eindrücke und Anforderungen fer- Katastrophe droht, wenn wir nicht in der Lage sind, uns reli- tig zu werden, die täglich von neuem auf ihn einstürmen. Tra- giös und daher gelassen auf die Unsicherheit aller Verhält- ditionen und Institutionen machen es möglich, daß sein nisse und das Dunkel einzulassen, das unser Schicksal gewor- Dasein und seine Handlungen bis zu einem gewissen Maß in den ist. Mit ihm haben sich die Kontingenz -, der Zufallscha- vorgezeichneten Bahnen verlaufen. Nur so kann er frei wer- rakter unseres Daseins und damit auch seine Erfahrung unge- den für die Herausforderungen, die der jeweils neue Augen- heuer verschärft und es gilt daher heute mehr denn je, das, blick an ihn stellt! was unabwendbar so ist, wie es nun einmal ist, in religiöser Gehlens berühmte Analyse der Entlastungsfunktion all Haltung anzunehmen statt panikartig oder bloß moralisie- dieser Einrichtungen wird durch Lübbes funktionale Reli- rend darauf zu reagieren. gionstheorie bestätigt. Wer ein vernünftiges Verhältnis zu den Unwägbarkeiten seines Daseins gewinnt, weil er in ihnen - theologisch gesprochen - die Fügung Gottes zu erkennen So gehört die Religion heute zu den Erhaltungsbedingun- vermag, der bekommt den Kopf frei von unnützen Grübe- gen aufgeklärter Kultur. Ohne sie, so lautet das sensationelle leien und Angstvorstellungen, um sich entschlossen den Auf- Resüme von Lübbe, ohne stabile Annahme dessen, was unab- gaben des Tages zuzuwenden. Weit entfernt sich in Illusionen wendbar so ist, wie es ist, kann Aufklärung gar nicht dauerhaft zu flüchten, macht er sich gerade über die permanente gelebt werden „und zwar umso weniger, je prekärer und Gefährdung seines Daseins nicht die geringsten Illusionen, unübersichtlicher die Lage ist"16). Wie sensationell dieses sondern er bleibt gelassen. Er sinniert nicht mehr länger Ergebnis ist, kann nur der ermessen, der den erbitterten über das, was nicht zu ändern ist, sondern packt umso ent- Kampf der beiden Mächte durch die Jahrhunderte verfolgt schlossener an, was zu ändern ist! hat. Man mag zu diesem Ergebnis stehen, wie man will: unbe- stritten bleibt die Bestimmung des Verhältnisses von Aufklä- IV rung und Religion eine der Schicksalsfragen unserer Zeit! Nun ist es die Kernthese von Lübbe, daß diese den Reali- tätssinn stützende, ja allererst ermöglichende Aufgabe der Anmerkungen Religion heute mehr denn je gefragt ist. Unsere Gesellschaft, 1) Hermann Lübbe: Religion nach der Aufklärung. Verlag Styria, Graz — die so ganz auf Rationalität gegründet ist, befindet sich auf der Wien — Köln 1986. anderen Seite doch in einer beispiellosen Orientierungskrise, wie 2) Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Berlinische sie die Menschheit vorher nie erlebt hat! Denn mit der Dyna- Monatsschrift, Dezember 1784. mik der wissenschaftlich-technischen Zivilisation nimmt die 3) Lübbe a. a. 0., S. 53. Chance, in die Zukunft zu sehen und vorauszusagen, was 4) A. a. 0., S. 29. 5) A. a. 0., S. 10. unsere Kinder, ja schon uns in zehn oder zwanzig Jahren 6) A. a. 0., S. 27. erwarten mag, immer mehr ab. Nichts ist mehr überschaubar, 7) A. a. 0., S. 16. sicher und verläßlich, weil es etwa schon immer so gewesen 8) A. a. 0. wäre und immer so sein wird, wie dies frühere Generationen 9) A. a. 0. 10) A. a. 0., S. 166. erlebten. 11) A. a. 0. Wann nun die Zukunft wie ein dunkles Loch auf uns 12) A. a. 0., S. 175. zukommt, dann sind zwar pessimistische Voraussagen ebenso 13) A. a. 0., S. 149. unmöglich wie optimistische. Dennoch bleibt das Bewußtsein 14) A. a. 0., S. 204 f. 15) A. a. 0., S. 279. einer unfaßbaren Bedrohung - gerade durch die Ungewiß- 16) A. a. 0. heit, die wie ein Damoklesschwert über uns hängt. Und weil diese Situation so schwer auszuhalten ist, weil alle Kalkulatio- Die Adresse des Autors: Prof Dr. Walter Heeres, Schönbornstr. 47, 6000 Frankfurt/M. 50. nen letzten Endes ins Unbestimmte und Offene stoßen, hat heute mehr denn je die Stunde der Ideologen und Propheten geschlagen. Die Konjunktur, die sie haben, ist der exakte Aus- druck der Schwierigkeit, mit Hilfe der Vernunft die verlorene Man beklagt sich auch unter Katholiken gerne darüber, die Daseins- und Zukunftssicherheit wiederzugewinnen und die - Kirche sei unter dem Nationalsozialismus nicht tapfer genug möglicherweise! - auf uns zukommenden neuen und unbe- gewesen. Wir leben in einer freien Gesellschaft, in der kein stimmten Bedrohungen auf rationale Weise sozusagen ein für Konzentrationslager und keine Gaskammer drohen, wenn allemal zu bannen! Die Schwierigkeit läßt sich mit Lübbe man nicht „mitmacht". Machen wir deshalb weniger mit - noch genauer definieren: „Wie läßt es sich aushalten, zu wis- mit einer Welt, die sich immer deutlicher vom Herrn abwen- sen, daß man zur verläßlichen Abwehr erkannter Gefahren det? Zuweilen hat man den Eindruck, in unserer Zeit würden nicht genug weiß'), wenn es auf der anderen Seite doch sich die Christen vornehmlich zur Welt bekehren. Kein Wun- gerade für den aufgeklärten Menschen feststeht, daß nur sol- der, daß es uns nicht zu gelingen scheint, die Welt für den ches verläßliche Wissen und rationale Handlungsmaßstäbe Herrn zu gewinnen. die möglichen Gefahrenquellen sicher ausmachen und besei- Aus der Predigt des Bischofs von Eichstätt Dr. Karl Braun bei der Messe zur Eröff- tigen würden? nung der Willibaldsfestwochen im Dom zu Eichstätt, Sonntag, 21. Juni 1987. - 79 - - 80 - J. BERND WITTSCHIER auf theologische Fragen. Und einmal unterbreitete er mir, scheinbar abstrakt, den Fall, daß jemand von einer neuen flirchterlichen Waffe Dr. Alfons Maria Wachsmann Kenntnis erhalten habe und sich die Frage stelle, ob er sein Wissen - zur Pfarrer in Greifswald Vermeidung sinnloser Leiden -preisgeben die. Ich weiß noch, daß wir geb. 25. 1. 1896 in Berlin beide dies verneinten. Erst später ging mir auf daß dahinter eine teuf lische Versuchung des Agenten „Hagen" stand. am 21. 2. 1944 in Brandenburg hingerichtet 4. Man wollte in Dr. Lampert den höchstrangigen Geistlichen desa- (Bökmann) 1. „Am 13. November 1944, um 16 Uhr, wurden im vouieren, eine Handhabe gegen Rom gewinnen, die Kirche blamieren Zuchthaus zu Halle durch das Fallbeil hingerichtet: der 50' ähri ge Pro- und seine ganz persönlichen Ressentiments mit Sadismus und Rache vikar der Diözese Innsbruck, Prälat Dr. Carl Lampert, der 47jährige abreagieren. Das Gedächtnis dieses Priesters, der - unter unsäglicher Oblatenpater Friedrich Lorenz und der 36jährige Kaplan Herbert körperlich-seelischer Belastung, in seinem gütigen Vertrauen schändlich Simoleit. Seit Jahren hatten diese drei Priester, aus verschiedenen mißbraucht - zu wunderbarer Reife in den durch Meineide Hagens Gegenden Deutschlands stammend und ebenso verschiedenen Bereichen allein verursachten Opfertod ging, sowie seiner mir gut bekannten Lei- der kirchlichen Hierarchie angehörend, in Stettin als Priester gewirkt, dens- und Todesgefährten sollte bei ums Priestern, in unserer Kirche, wo sie im Februar 1943 im Zuge einer groß angelegten Gestapo-Aktion nicht verlorengehen. Es kann und wird uns stärken. Warum will die gegen den mecklenburgisch-pommerschen Klerus verhaftet und nach jetzt in Stettin herrschende polnische Kirche dabei nicht mitmachen? einer langen Leidenszeit zum Tode verurteilt worden waren - nicht weil In der ,Meldung wichtiger sie, wie bei der Hauptverhandlung in Torgau einer der Richter wörtlich staatspolitischer Ereignisse' erklärte, „Verbrecher waren, sondern weil ihre Tragik darin bestand, des Reichssicherheitshaupt- daß sie katholische Priester waren". Es gibt wohl kaum einen überzeu- amtes vom 28.5. 1943 wird u. genderen Beweis, daß diese drei Priester als Märtyrer gestorben sind, als a. an die oberste Führung diesen Ausspruch, und man kann ihr Martyrium nicht besser ehren, als berichtet: den „Fall Stettin" - das nicht nur größte, sondern auch fiir die Frage „Kirche und Drittes Reich" instruktivste Unternehmen des Nationalso- „Im Zuge einer größeren zialismus gegen den katholischen Klerus - in seiner ganzen Breite auf Aktion wurden von der Stapostelle zurollen und in diesem großen Rahmen die Einzelschicksale der Gemor- Stettin insgesamt 40 Personen, deten zu verfolgen." darunter neun Ausländer (Polen So beginnt die ausfiihrliche und erschütternde Darstellung eines und Holländer), wegen des drin- tückisch-gemeinen Komplotts höchster Nazistellen gegen die katholische genden Verdachts der Vorberei- Kirche in dem Buch von Heinz Kühn: Blutzeugen des Bistums Berlin - tung zum Hochverrat, der Zerset- Klausener - Lichtenberg - Lampert - Lorenz - Simoleit - Mandrella - zung der Wehrkraft, wegen Ver- Hirsch - Wachsmann - Metzger - Scher - Willinsky - Lenzel - brechens gegen das Rundfunkgesetz und die Kriegswirtschaftsverordnung Froehlich, Morus- Verlag Berlin, 1950, S. 45. festgenommen. Die treibenden Kräfte waren katholische Geistliche Pom- 2. „Die Bespitzelungstaktik und spätere Prozeßfthrung gegen Provi- merns, von denen bisher neun in Haft genommen wurden. Unter ihnen kar Dr. Lampert lag in den Händen des Kriminalkommissärs Karl befinden sich zwei hohe geistliche Würdenträger (ein Prälat sowie der Trettin. Dieser gab zu Protokoll, daß der Chef der Reichssicherheitspoli- Sekretär des Kardinals Inflitzer, Wien), die Aufenthaltsgebot fiir Pom- zei und des Reichssicherungsdienstes, Ernst Kaltenbrunner, persönlich mern und Mecklenburg hatten. Bei allen Festgenommenen handelt es beteiligt gewesen sei, um das im Raum Stettin vermutete Nachrichten- sich um fanatische Katholiken, die der erwähnten Straftaten übehrt netz des katholischen Klerus zu zerschlagen. Trettin wählte fiir sein und geständig sind. "I) dunkles Spiel den SS-Bewerber Franz Pissaritsch, einen Österreicher aus dem Raum Klagenfurt (Dolina). Er verschaffte dem charmant auf Verhaftet worden waren folgende Geistliche: Der nach seiner tretenden Kärntner Papiere auf den Namen „Hagen" mit der Beruftbe- Entlassung aus dem KZ Dachau nach Stettin verbannte Provikar zeichnung „Ingenieur" und besuchte mit ihm die Firma Gollnow & von Innsbruck, Prälat Dr. Carl Lampert, die Stettiner Geistlichen Sohn auf dem Versuchsgelände fiir modernste Kriegswaffen in Peene- Propst Daniel, Pfarrer Bunge, Pater Friedrich Lorenz 0. M. I., münde . . . Er besorgte dem Spitzel auch ein Empfehlungsschreiben, das Kaplan Simoleit; ferner Pfarrer Plonka aus Wolgast, Pfarrer ein katholischer Pfarrer aus Kärnten unterzeichnet hatte" (P. Gauden- Hirsch aus Louisenthal, Kurat Berger aus Zinnowitz, Pfarrer tius Walser, Dreimal zum Tod verurteilt, Dr. Carl Lampert, Ein Glau- Böhmer von Rügen, Pfarrer Bartsch aus Cammin.2) benszeuge fiir Christus). Während diese Verhaftungsaktion bereits vom 5. 2. bis Es gelang „Hagen", sich in das Vertrauen von Propst Daniel (',Was 14. 2. 1943 stattfand, wurde Pfarrer Wachsmann mit seinen haben doch diese Österreicher ftr eine faszinierende Freundlichkeit!"), Kaplänen Dr. Karl Renner und Friedrich Karl Förster im 120 seines Kaplans Simoleit, des Paters Lorenz und auch des - nach Dachau km von Stettin entfernten Greifswald fünf Monate später, am und Sachsenhauseneifahrung - nach Stettin verbannten Dr. Lampert 23. 6. 1943, festgenommen. hineinzulügen. • Der in Berlin geborene Alfons Maria Wachsmann war 3. Dr. Lampert hatte in unserer Gemeinde - Kuratie zur Hl. Familie nach Kaplansjahren in Görlitz und Berlin 1929 Pfarrer in der mit Carolusstift-Krankenhaus, wo er bei Borromäerinnen ein Zimmer pommerschen Universitätsstadt Greifswald geworden. Seine bekam - Aufnahme und dank seiner überragenden charakterlich- vielseitige Bildung, seine heitere Liebenswürdigkeit und menschlichen sowie priesterlichen, überaus gewinnenden Eigenart bald seine Ausstrahlung als Priester führten zu allgemeiner Wert- vielfache Kontakte. Er arbeitete und half in der Seelsorge, besuchte kleine schätzung, nicht zuletzt im gesellschaftlichen Leben der über- Diasporastationen, sprach mit Fremdarbeitern, arbeitete mit den Prie- stern zusammen. Bald war er ein freudigbegrüßter und innig geschätzter wiegend protestantischen Universitätsstadt. Er führte einen Gast in unserem Elternhaus. Eine Szene ist mir unvergessen: in einer wöchentlichen Gesprächskreis mit Studenten ein, organi- Ecke des Wohnzimmers spricht Dr. Lampert flüsternd, aber zutieftt sierte Akademikerabende und lud Wissenschaftler verschie- erregt mit meinen Eltern. Wir sollten, durften nichts davon erfahren. dener Fachgebiete nach Greifswald ein. Seine Vorträge und Aber sein hochroter Kopf und dunkle Andeutungen meines Vaters ließen Predigten machten ihn in vielen Teilen Deutschlands mich spüren, daß etwas Furchtbares mitgeteilt worden war. Erst nach bekannt. Nachdem er zum Standortpfarrer bestellt worden dem Krieg erfuhr ich von den diabolischen Schikanen, den gemeinen war, kamen zu den Mittwochsgesprächen Soldaten und Demütigungen, denen er in den KZ's und Verhören ausgesetzt war und Arbeitsdienstmänner hinzu. Er nahm sich der polnischen und von denen er einiges preisgegeben hatte. anderer ausländischer Zwangsarbeiter an. Seine Begabung Und ein anderes: er nahm uns - ich war 1942 16jähriger Gymna- ermöglichte es ihm, neben aller Seelsorgearbeit den Doktor siast - ernst. Wenn ich ihn Abends nach Hause begleitete, kamen wir oft der Philosophie zu erwerben.

- 81 - - 82 - Die nicht nur vom Religiösen, sondern auch stark von Gei- ELASAH DROGIN steskultur geprägte Persönlichkeit Wachsmanns wurde von dem antichristlichen Ungeist und seiner primitiven Selbstdar- Margaret Sanger stellung durch den Nationalsozialismus zutiefst abgestoßen. Er verweigerte den Hitler-Gruß, lehnte jede Spende bei Gründerin der modernen Gesellschaft NS-Sammlungen ab und gab das, was er beim Abhören aus- (Bökmann) 1. Bereits in unserem Heft Nr. 192 (April 1.986) ländischer Rundfunksendungen erfahren hatte, an seine brachten wir einen eigentlich erschütternd-sensationellen Bericht von Gesprächskreisteilnehmer weiter. Dabei übte er mit beißen- Elasah Drogin über Margaret Sanger und die trüben Quellen einer dem Spott Kritik am Regime und dessen Maßnahmen. War es makabren „Neuen Ethik" schon allgemeiner Brauch der Gestapo, Predigten überwa- (sp. 7024-26). Erschütternd insofern, als sie durch den berühmten Sexologen D. Havelock Ellis mit Drogen chen zu lassen: bei Pfarrer Wachsmann war es selbstverständ- lich. Bei Verhören der Polizei obsiegte zunächst seine Klug- (Mescaline), freiem Sex und einflußreichen Leuten, die dies prakti- heit. Aber sein allgemeines Vertrauen in Mitglieder seiner zierten — man muß dies wohl als Verführung kennzeichnen — bekannt Gesprächskreise und seine Unbekümmertheit führten schließ- machte. Er ermutigte z. B. seine Frau zu häufigen lesbischen Kontak- ten mit Margaret Sanger. lich dazu, daß er an die Gestapo verraten wurde. • Die Gestapo wandte die gleiche Methode wie bei den Makaber insofern, als sie nachweislich auf die Rassen- und Steri- Geistlichen in Stettin an: man schickte Spitzel in den lisierungseugenik Hitlers eingewirkt hat. Gesprächskreis von Dr. Wachsmann. Kandidaten der Greifs- "Im März 1914 verließ Margaret Sanger ihren ersten Mann und walder medizinischen Fakultät werden später die Belastungs- ihre drei Kinder und reiste nach England. Dort traf sie D. Havelock zeugen sein. Nach seiner Verhaftung wird Pfarrer Wachs- Ellis, den berühmten Sexologen und Schriftsteller. mann noch in der Nacht verhört und in das Stettiner Polizei- Durch Ellis wurde Sanger in die ganze bilderstürmerische gefängnis gebracht. In den acht Monaten als Gefangener "Intelligenz" ihrer Tage eingeführt, deren zumeist widersprüchliche wächst er, der am 15. 8. 1943 bekennt, daß er im Leid ungeübt Philosophiefragmente sie wie eine eifrige Studentin absorbierte und sei, über sich hinaus. in geschickter Weise zu einer „Philosophie" verband, die das vorherr- Am 5. 11. 1943 fand die erste Verhandlung vor dem Volks- schende Verhalten des 20.Jahrhunderts geformt hat. Ihre eugenische gerichtshof unter Vorsitz von Freisler statt. Das Abhören aus- Philosophie des „wissenschaftlichen Rassismus" stammt von ihren ländischer Sender rechnete man ihm als Landesverrat an, und berühmten Bettgenossen: H. G. Wells, Julian Huxley und George die geäußerten Zweifel an der Höhe der U-Booterfolge und Bernard Shaw. Von diesen Männern und anderen erhielt sie das phi- andere Äußerungen vor studierenden Soldaten wurden als losophische Rüstzeugfrir ihren Angriffgegen das, was sie als „unkon- Wehrkraftzersetzung beurteilt. - Wegen Fliegeralarms mußte trollierte Fortpflanzung" bezeichnete. Es ist kein Wunder, daß sie die Verhandlung auf den 4. 12. 1943 vertagt werden. Nun durch diese Kreise bald eng in die Rasseneugenik Hitlers verwickelt parierte Dr. Wachsmann scharf die Angriffe Freislers und wurde." (a. a. 0., Sp. 7025). faßte in seinem Schlußwort sein Seelsorgeprogramm zusam- men: Weil er sein Volk liebe, habe er es zu Christus führen 2. Vollends bestürzend aber ist die Tatsache, daß diese üblen wollen. - Freisler verurteilt diesen Priester zum Tode. libertin-perversen und sich „verantwortlich" gebenden sozial-mani- Während der Verurteilte in Berlin-Tegel und später in pulativen Ideen und Praktiken in einer weltweit außerordentlich Brandenburg auf den Tod wartete, schrieb er: „Als ich an den einflußreichen Organisation bis heute ihre fürchterliche Spur hinter- Hochaltar meißeln ließ ,Et iterum venturus est', ahnte ich lassen: in „Planned Parenthood". nicht, daß ich einmal jeden Tag nach der Tür schauen würde, Daß die dort verfolgten Programme mit Druckmitteln sozialer, ob der Herr schon kommt. So wie ich täglich auf die Parusie steuerlicher Art u. a. m. an der Freiheit der Menschen vorbei arbeiten, Christi warte, müßte es eigentlich jeder Christ tun ...") belegt ein Memorandum, aus dem wir auszugsweise folgendes zitie- In Berlin-Tegel besuchte ihn sein Bischof, Graf von Prey- ren: sing. An ihn schrieb er wenige Minuten vor seiner Hinrich- „Der Verfasser dieser Übersicht ist Frederick S. Jaffe, Vizepräsi- tung mit gefesselten Händen: „Ich opfere meinen Tod auch dent von „Planned Parenthood/World Population" (also wohl der für meine Sünden und für die Kirche, die ich geliebt habe mit Abteilung „Weltbevölkerung" der amerikanischen Schwesterorgani- ganzer Seele.") sation von „Pro Familia9. „Activities Relevant to the Study Anmerkungen of Population Policy für the US" (= Studien über Probleme der Bevöl- kerungspolitik in den Vereinigten Staaten), Memorandum von Fre- 1) Bericht des SD und der Gestapo, S. 829. 2) Ebenda: Lambert, Lorenz u. Simoleit wurden am 13. 11. 1944 hingerichtet, derick S. Jaffe, gerichtet an Bernard Berelson, vom 11. März 1969. Hirsch verstarb am 22. 8. 1944 im Zuchthaus. Berelson war der frühere Präsident des sog. (Rockefeller) Bevölke- 3) Priester vor Hitlers Tribunalen, S. 451. rungsrats in New York. Man kann selbst prüfen, wie viele der hier 4) A. a. 0., S. 452. vorgeschlagenen Maßnahmen unterdessen schon weit vorwärts getrie- ben wurden, auch mittels der Schul-Sexual„erziehung"! Quellen Walter Adolf, Im Schatten des Galgens, Ber- Die Tabelle beschreibt allgemeine oder teilweise anzuwendende lin 1953. Maßnahmen, um die Fruchtbarkeit herabzusetzen. (Als Hintergrund Benedicta Maria Kempner, Priester vor Hit- für diese gezielte weltweite Geburtenreduzierung muß man an die lers Tribunalen, München 1966 (mit weiteren Ideologie der Gründerin von IPPF, Margaret Sanger, erinnern, die Literaturangaben). Der Glaube lebt: 50 Jahre Bistum Berlin für eine Rassenselektion eintrat). 1930-1980, herausgegeben vom Bischöfli- Allgemeine Maßnahmen chen Ordinariat Berlin, Leipzig 1980. Berichte des SD und der Gestapo über Kir- Soziale Druckmittel chen und Kirchenvolk 1934-1944, bearbeitet Abbau der Familienstruktur durch von Heinz Boberach, Mainz 1971. Priester unter Hitlers Terror, bearbeitet von a) Aufschieben oder Vermeiden der Heirat Ulrich von Hehl, Mainz 1984. P. Gaudentius Walser OFMCAP, Dreimal b) Verändern des Leitbildes der Idealfamilie zum Tod verurteilt: Dr. Carl Lampert. Ein Zwangserziehung der Kinder Glaubenszeuge für Christus, Salzburg 1985. . Erhöhung der Homosexualitätsrate - 83 - - 84 - Erziehung zur Familienbegrenzung Vorwort gesunde (unschädl) Verhütungsmittel in der Wasserversorgung Viele Menschen von heute finden keine Erklärung für die Tat- Förderung der Frauenarbeit sache, daß es zu einem so schnellen Verfall von Moral und damit zu- gleich von Mitleid, Großherzigkeit, Ehrlichkeit und Nächstenliebe Ausgewählte Maßnahmen durch Einflußnahme auf den sozial-öko- gekommen ist. Heute werden wir mit einer individualistischen+ ), nur nomischen Status auf den einzelnen bezogenen hedonistischen Moral konfrontiert, die das sich selbst genügende Individuum vergöttert und soziale Bindun- Wirtschaftliche Abschreckungsmittel und Anreiz: gen zwischen den Menschen schwächt. Wir leben in einer Gesell- Änderung der Steuerpolitik: schaft, die im Namen individueller Freiheit einer Mutter erlaubt, ja a) spürbare Heiratssteuer sie sogar dazu ermutigt, ihrem ungeborenen Kind das Leben zu neh- b) Kindersteuer men. Dieser Egoismus treibt unsere Gesellschaft in den Untergang, c) höhere Steuern für Verheiratete als für Ledige denn in nichts unterscheidet sich die gegenwärtige Gesellschaft so d) Abschaffung der Steuerbefreiung für Eltern kraß von allen vorherigen, als durch ihre psychopathische Abnei- gung, Kinder in die Welt zu setzen. Was für eine Ironie! War e) zusätzliche Steuern für Eltern mit mehr als 1 oder 2 Schulkin- doch die Menschheit nie wohlhabender und besser in der Lage, ihre dern Kinder zu versorgen als jetzt. Niemals bisher war der Welt eine so Verminderung oder Abschaffung bezahlten Schwangerschaftsur- lange Periode ohne große Hungersnöte beschieden. laubs oder sonstiger Vergünstigungen Wodurch sind wir zu einem Volk geworden, das lieber sein soziales Verminderung oder Abschaffung der Familien- und Kinderzula- Gewissen ausschaltet, als daß es für die sorgt, die schwach und gen ... abhängig sind? Wie kommt es, daß uns die Medien weismachen kön- Abschaffung der Sozialleistungen nach den ersten zwei Kindern nen, man spare viele Steuerdollars, indem man armen Müttern die Dauerndes Unter-Druck-Setzen Abtreibung ihrer Kinder erlaubt, ohne daß ein Sturm. des Protestes Fordern, daß die Frauen arbeiten und Zur-Verfügung-Stellung losbricht? Warum soll es plötzlich barmherzig sein, jene Menschen, von weniger Kinderbetreuungseinrichtungen . . . die man als wenigwertvoll für die Geselllschaft einstuft, zu eliminie- ren, statt ihnen zu helfen? Soziale Kontrollen Die Abkehr der Gesellschaft vom Mitleid setzt zu einer Zeit ein, die Zwangsabtreibung bei außerehelicher Schwangerschaft zusammenfällt mit der Lebenszeit einer Frau namens Margaret San- Zwangssterilisation aller, die zwei Kinder haben, ausgenommen ger (1885-1966). Mehr als irgendeine andere zeitgenössische Frau einiger, denen man drei erlaubt muß man sie als Gründerin der modernen Gesellschaft und als Mut- Begrenzung der Mutterschaft auf nur eine begrenzte Anzahl von tir der utilitaristischen Moralf+ ) bezeichnen. Dieses Buch versucht Erwachsenen das nachzuweisen. Aktien-ähnliche Erlaubnisscheine für Kinder .. . Übersetzung des 1. Kapitels der amerikanischen Original-Ausgabe: Margaret Sanger: Father of Modern Society: Hrsg. „Catholics United for Lift" New Hope, KY 40053. Mit freundl. Erlaubnis. Zukünftig zu empfehlende Maßnahmen zur Verhütung ungewollter Schwangerschaften auf der Grundlage der derzeit vorherrschenden Einführung Motivation Der Einfluß von Margaret Sangers INTERNATIONAL PLANNED PARENTHOOD FEDERATION ist gegenwär- Finanzielle Förderung der Sterilisation tig so groß, daß man wohl sagen kann, ihre Schlagworte und Finanzielle Förderung der Verhütung Wertmaßstäbe sind genau die unserer westlichen Zivilisation Finanzielle Förderung der Abtreibung und werden sehr bald die ganze übrige Welt beherrschen. Um Abtreibung und Sterilisation auf Verlangen 1900 wären Margaret Sanger und ihre Familienplanung nur Zulassung zur Abgabe von gewissen Verhütungsmitteln ohne ärzt- als erschreckende Utopie denkbar gewesen. Wenn einem liches Rezept Bürger von 1900 gesagt worden wäre, daß es in 75 Jahren Verbesserung der Verhütungstechniken höchst normal sein würde, durch mechanische und che- Die Verhütung wirklich allen verfügbar und zugänglich machen mische Mittel Geburten zu kontrollieren und eventuelle Verbesserung der Gesundheitsfürsorge für die Mütter mit Fami- Mißerfolge dabei durch weltweit gebilligte Abtreibung aus- lienplanung als zentralem Bestandteil" zugleichen, so wäre er maßlos geschockt gewesen. Hätte man (Aus INFO des FMG München). ihm gesagt, daß um 1978 als logische Folgerung von mechani- schen und chemischen Verhütungsmitteln und Sterilisatio- 3. Man kann aber nicht verschweigen, daß es inzwischen auch in nen, von Abtreibung der Ungeborenen, bis hin zur Entfer- der Kirche nicht wenig einflußreiche Stimmen und v. a. Verhaltens- nung der Gebärmutter mit Kind, Promiskuität und Pornogra- weisen von Katholiken gibt, die in die Nähe solcher ganz und gar phie für fast jeden akzeptabel geworden sei, er wäre zu Tode inakzeptablen Tendenzen kommen. Verhütungspropaganda (angeb- erschrocken. Wie sehr hat sich unsere Gesellschaft seit kurzer lich als kleineres Übel gegenüber Abtreibungen — was längst via facti Zeit in grundsätzlichen Dingen geändert! widerlegt ist); Eintreten für Sterilisierungen in bestimmten Fällen; Wenn es einer bedeutenden Persönlichkeit möglich ist, das feministisch beeinflußte Emanzipations-, Frauenarbeitspropa- intimste und wesentlichste Fundament der Zivilisation nicht ganda; aggressive Feindseligkeit gegen das Ehe- und Geschlechtsethos mehr auf moralischer, sondern auf unmoralischer Basis ruhen der Kirche. An ihr bricht sich tatsächlich eine gewaltig enthemmte zu lassen, dann wird Margaret Sanger zurecht die Begründe- Welle, deren Schmutz aus trüber Quelle und mitgetragenem Unrat rin der modernen Kultur genannt, und zwar einer Kultur, die nun immer mehr weltweit als tragischer Rückstand zutage tritt, Der sich heute in den Werten darstellt, die Margaret Sanger und tiefe Schock durch Aids trifft v. a: jene Kreise, die die frühen liberti- ihre Bewunderer propagierten. Man kann Margaret Sangers nen Rezepte am frivolsten praktizierten. Er signalisiert das Ende Einfluß auf die moderne Gesellschaft kaum hoch genug jener hedonistischen „Unbefangenheit", in der man sich glaubte dem bewerten. Sie verkündet eine verführerische Form von oberflächli- "Genuß ohne Reue" folgenlos überlassen zu können. Daß in dieser chem Liberalismus. Dieser billigt einer Elite-Minderheit viele Lage safer Sex empfohlen wird, zeigt die verbohrte Hartnäckigkeit, Freiheiten zu auf Kosten einer Mehrheit, die man beschwich- mit der solche „Errungenschaften" auch jetzt noch — ohne Bekeh- tigt durch Gewähren unbeschränkter sexueller Befriedigung rungsbereitschaft — verbissen verteidigt werden. ohne die Bürde der möglichen Kinder)) - 85 - - 86 - Margaret Sanger forderte die Begrenzung der Kinderzahl Higgins, war Steinmetz und fertigte Grabsteinengel an. Er für die unteren Klassen. Als Grund gab sie an, die Welt müsse, begann, sich sehr für die damals beliebte Pseudowissenschaft um überleben zu können, ihr genetisches Potential verbes- der Phrenologie zu interessieren, also für das Studium der sern, d. h. die arme Bevölkerung müsse sterilisiert und die Schädelformen, aus denen man die geistigen und charakterli- Anzahl ihrer Kinder durch Geburtslizenzen herabgesetzt wer- chen Fähigkeiten eines Menschen erkennen wollte. Phrenolo- den.2) Zugleich sollten die erfolgreichen Menschen und Ras- gie war der Auswuchs einer wissenschaftlichen Schule, die all- sen ermuntert werden, mehr Kinder zu erzeugen, die dann als gemein „Eugenik" genannt und von den Wissenschaftlern neue Führer eine neue Welt ohne Verbrechen und Armut jener Zeit sehr ernst genommen wurde. regieren würden; denn Armut und Verbrechen seien ja • Schon 1904 richtete man einen Lehrstuhl für Eugenik an gerade durch die Geburten genetisch minderwertiger Kinder der Londoner Universität ein7) und dieses Fach wurde sehr bedingt. schnell an den Universitäten der Welt anerkannt und verbrei- Aber, anders als Adolf Hitler, forderte Margaret Sanger tet, besonders in Deutschland, England und den USA. Die friedliche Methoden der rassischen Reinigung. Wenn irgend Eugeniker machten Anleihen bei Darwins Theorie vom Überleben des möglich, sollten die Leute für ihre Einwilligung zur Sterilisa- Stärkeren in der Natur und wandten sie auf menschliche Ver- tion mit Geld und Geschenken bezahlt werden,3) die Familien hältnisse an. Nur die Wohltätigkeit habe die Natur aus dem sollten begreifen, daß sie einen viel höheren Lebensstandard Gleichgewicht gebracht, indem sie aus Mitleid viele Men- ohne Kinder genießen können und wie beglückend Sexual- schen künstlich am Leben erhalten hätte, die infolge natürli- akte in ihrer „reinsten" Form — ohne Angst vor Schwanger- cher Auslese schon längst ausgemerzt worden wären. Die schaft und Kind, sind. Menschen, die in Slums leben und gemäß ihrer tierischen Aber untersuchen wir doch Margaret Sangers Persönlich- Natur sich wie Kaninchen vermehrten, würden bald die Gren- keit im Zusammenhang mit ihrem andauernden Einfluß auf zen ihres Lebensraumes sprengen und die besseren Elemente die Gesellschaft: der Gesellschaft mit Krankheit und minderwertigen Genen überschwemmen.8) Margaret Sanger: Gründerin der modernen Gesellschaft Trotzdem, auch in der Geburtenkontrolle sah man ein Margaret Sanger weihte ihr ganzes Leben dem, was sie mögliches Risiko. Sozialwissenschaftler fürchteten, daß die „ihre Sache" nannte, der internationalen Geburtenkontroll- falschen Leute Geburtenkontrolle betreiben würden; man bewegung.4) Sie bekämpfte die amerikanische Justiz und die' hatte ja schon festgestellt, daß die Harvard-Absolventen von christlichen Traditionen. Sie mühte sich erfolgreich, die 1900 entweder nur ein oder gar kein Kind hatten.9) Interes- Gesetze, durch welche Verhütungsmittel verboten wurden, santerweise lauteten denn auch die frühesten Slogans der San- aufzuheben. Als Präsidentin der amerikanischen Gesellschaft ger'schen Geburtenkontrollbewegung: „Mehr Kinder von für Geburtenkontrolle (American Birth Control League) ver- Tüchtigen, weniger von Versagern, das ist das Ziel der Gebur- öffentlichte sie THE BIRTH CONTROL REVIEW. 1942 tenkontrolle"19 ), und „Geburtenkontrolle schafft eine Rasse gründete sie die Geburtenkontrollbewegung von Amerikas von Vollblütern ."11 ) PLANNED PARENTHOOD und wurde Ehrenpräsidentin Von Anfang an war Geburtenkontrolle das von der sozialen der internationalen Geburtenkontrollbewegung INTERNA- Elite angewandte Mittel zur Senkung der Anzahl der gesellschaftli- TIONAL PLANNED PARENTHOOD. chen Unterschichtler. Die beiden oben angegeben Zitate stehen Sie gründete das Margaret-Sanger-Forschungszentrum, nicht allein. In den zwanziger und dreißiger Jahren war man welches die Entwicklung der "Pille" finanzierte. Sie finan- sich ganz im klaren über die Verbindung von Geburtenkon- zierte und organisierte außerdem die Emigration des Deut- trolle und eugenischer Denkweise. Die BIRTH CONTROL schen Dr. Ernst Graefenberg-, er war einer der Pioniere des IUD REVIEW, die Margaret Sanger von 1917 bis 1938 herausgab, (Spirale).5) Dies sind einige ihrer bekanntesten Leistungen; enthält hochqualifizierte Beiträge von weltbekannten und aber erst die weniger bekannten erklären ihren starken Ein- anerkannten Eugenikern, darunter Naturwissenschaftler, fluß auf unsere Gesellschaft. Um wirklich zu verstehen, woher Ärzte und Psychologen. ihre „neue Ethik" kommt, muß man Margaret Sangers Leben • Eine besonders erschreckende Verbindung besteht zwi- von seinem Beginn her betrachten. schen Dr. Lothrop Stoddard und der Geburtenkontrollbewe- Margaret Sanger wurde als Kind irischer Emigranten in gung. Stoddard, einer der Direktoren der amerikanischen einer kleinen Stadt im Staate New York geboren. Ihr Vater, Bewegung für Geburtenkontrolle (die Präsidentin war San- ein Freidenker, verbot Margarets Mutter den Kontakt zur ger), hatte in Harvard promoviert und schrieb verschiedene katholischen Kirche und seinen elf Kindern den Besuch der Bücher, in denen er lautstark rassistische Parolen gegen Schwarze katholischen Schule. Margaret Sanger hat niemals Bedauern und andere Minderheiten vertrat.") 1940 schrieb er ein Buch mit über ihr Herkommen aus einer großen und armen Familie dem Titel „Into the Darkness. Nazi Germany To Day" (Hin- geäußert. Im Gegenteil, sie beteuert, daß dies nie ein Nachteil ein in die Finsternis. Nazi-Deutschland heute). In einem Kapi- war und daß sie und alle ihre Brüder und Schwestern gesund tel, überschrieben „In einem eugenischen Gericht", äußert er und kräftig gewesen seien. Niemals bezog sie ihre späteren seine Bewunderung für die Methoden der Nationalsoziali- Theorien über die negative Wirkung zu vieler Kinder auf ihre sten, die ihre Rassenprobleme durch Sterilisation minderwer- eigene Familie, denn sie glaubte fest an die angeborene phy- tiger Menschen lösen. Stoddard wohnte einer Sitzung des sische Überlegenheit ihrer genetischen Veranlagung.') Eugenischen höchsten Gerichts bei. Er faßte seine Eindrücke so zusammen: „Das Sterilisationsgesetz merzt die schlechten Theorie der "Rassischen Überlegenheiten" (Racial Anlagen in der germanischen Rasse in wissenschaftlicher und Superiority) wahrhaft humaner Weise aus."13) Nach den Theorien der rassenhygienischen Philosophie, 1936 nahm Margaret Sanger an einen Round-table- wie sie Margaret Sanger sowohl von ihrem Vater als auch von dem Gespräch der amerikanischen Eugenischen Gesellschaft teil berühmten Sexologen Havelock Ellis übernahm, wird eines Men- und hörte den Bericht Dr. Marie Kopps über die eugenische schen wirtschaftliche und soziale Situation im Leben allein Sterilisation in Deutschland.") bestimmt von seiner ererbten Überlebensfähigkeit; diese • Dr. Kopp hatte ein Stipendium für das Studium in Fähigkeit deckt ein sehr weites Feld von „sehr geeignet" bis Deutschland erhalten. Sie stellte fest, daß es „außer religiösen „absolut ungeeignet" ab. Margaret Sangers Vater, Skrupeln wenig Einwände gegen Zwangssterilisation gibt". — 87 — — 88 — Sie berichtete auch, daß das deutsche Sterilisationsgesetz nicht Alle diese Utopisten der Vorkriegsjahre waren von tiefer übereilt erlassen worden wäre, sondern erst nach sorgfältigem Sympathie für die Unterprivilegierten beseelt. Sie waren Studium des Sterilisationsprogrammes in Kalifornien, das getragen Anarchisten, die glaubten, durch die Abschaffung von Gesetz wurde von der HUMAN BETTERMENT FOUNDATION und Ordnung individuelle Freiheit schaffen zu können, die (heute als Vereinigung für freiwillige Sterilisation bekannt). dann die Menschen dazu brächten, ihren weniger glücklichen Kopp stellte fest, die Deutschen betrachteten es als "unmög- Brüdern zu helfen. Sie forderten eine gleichmäßigere Vertei- lich, solche — etwa eine Million Menschen betreffende — Risi- lung des Wohlstandes, um die Leiden der Armen zu beheben. ken auf sich zu nehmen, ohne anderswo gewichtige Voraus- In den liberalistischen, sozialistischen und anarchistischen Erfahrungen gemacht zu haben." Strömungen gab es verschiedene Ansichten betr. Geburten- kontrolle bei der arbeitenden Bevölkerung. Sie beriefen sich Entwicklung der Sanger'schen Philosophie dabei auf die Notwendigkeit, die Proletarier schon allein Die Entwicklung der Sanger'schen Philosophie ist iden- durch ihre wachsende Anzahl schlagkräftiger zu machen. tisch mit der ihres Lebens. Margaret Sanger konnte dank der Andere Sozialisten dagegen forderten einen Geburtenstreik, der großzügigen Unterstützung ihrer zwei älteren Schwestern das Arbeiterangebot verringern und dadurch die Löhne in die eine Privatschule am Hudson River besuchen. Hier traf sie Höhe treiben sollte. In dieser Zeit war Geburtenkontrolle für mit Kindern sozial hochgestellter Familien zusammen. Ein Margaret Sanger ein Mittel des Arbeitskampfes und damals Freund vermittelte ihr die Schwesternausbildung am White war sie deutlich, aber eben nur zeitweise auf Seiten der Plains Hospital. Aber schon drei Monate später hörte sie dort Armen. auf und heiratete William Sanger, einen vielversprechenden Architekten und Künstler aus einer begüterten Familie. Sie ent- „Menschlicher Abfall" warfen und bauten ein schönes Haus in der Columbia Colony Es brauchte nur acht Jahre, um Sanger eine v olls t ä n - am Hudson River, einem anspruchsvollen Intellektuellen- dige Kehrtwendung machen zu lassen: sie war und Künstlerviertel. Margaret Sanger war geradewegs von nicht mehr auf der Seite der Armen. Sie richtete der Armut ihrer Jugend zu dem immer erstrebten Lebensstil die Geburtenkontrollbewegung gegen die Menschen, emporgestiegen. Sie schickte ihre drei Kinder auf eine Privat- denen sie früher hatte helfen wollen. schule und wurde für ungefähr zehn Jahre Hausfrau. William • Als ihre Geburtenkontrollbewegung sich festigte, wan- Sanger war ein Ehemann, der alles für seine Frau tat, also delte sich ihre Sympathie in Verachtung, ihre Großzügigkeit zogen sie, als Margaret rastlos wurde, nach Greenwich Vil- in tyrannische Kontrolle. Nun wollte sie die Geburtenkon- lage, einem New Yorker Bohemevierte1.15) trolle einsetzen zur Verringerung derjenigen, die sie als • In New York besuchte sie den liberalen Klub. „Mabel "menschlichen Abfall" einstufte, und sie wollte zugleich Dodge's Salon", sie lauschte Eugene Debs, dem berühmten andere stärken, die zu einer gehobenen Bevölkerungsschicht Sozialistenführer, und Emma Goldmann, der Agitatorin, Femi- gehörten und ihrer Ansicht nach besser zur Herrschaft geeig- nistin und offenen Verfechterin der Wunschkindideolo- net waren. Diese überlegene Klasse wollte Sanger schützen gie.15a) Margaret Sanger schloß sich den Sozialisten und der vor einer auf demokratischen Mehrheitsbeschlüssen beru- örtlichen Fünften Kolonne an und organisierte die New Yor- henden Politik.20) ker Frauen.16) • 1922 veröffentlichte sie ihre neue Philosophie in "The Sie war erfüllt von Idealvorstellungen für eine bessere Welt Pivot of Civilization" (Angel- und Drehpunkt der Zivilisation) für jedermann. Sie hoffte, ein Heilmittel gegen Tod und — eine Philosophie, welche Behauptungen wie die folgende Armut in den Slums zu finden und wechselte schnell vom enthielt: Sozialismus zu anarchistischen Revolutionsideen.17) An der "Die Philanthropen, die kostenlose Schwangerschaftsfür- Francisco-Ferrer-Schule hörte Margaret Sanger Will Durant, sorge unterstützen, tragen dazu bei, daß gesünderen und nor- einen abtrünnigen Jesuiten. Ferner Emma Goldmann, Cla- maleren Bevölkerungsteilen die Last der sich gedankenlos rence Darrow und viele andere. Hier wurde sie mit den und kriminell vermehrenden Bevölkerung aufgebürdet wird. Gedanken und Schriften der Ellen Key, einer schwedischen Dies bringt — und ich glaube, der Leser muß mir da beistim- Feministin und Autorin von „The Woman Movement" (1912), men — ein tödliches Übergewicht „menschlichen Abfalls" (!) vertraut. Von dieser Frau übernahm Margaret Sanger ihre mit sich. Anstatt die Schichten, die für die Zukunft der Men- zählebigen Ideen über Frauentum und Ehe. Miß Key's Buch schen und der Welt am verderblichsten sind, zu vermindern stellt Nietz'sches System der subjektiven Moral dar, das der und ihre Vernichtung anzustreben, gibt es eine Tendenz, sie heutigen Situationsethik entspricht. bedrohlich anwachsen zu lassen."21) • 1920 stellte Sanger nachdrücklich einige im Gegensatz Ehe ist ein übel zur Erfahrung stehende Behauptungen auf. Sie beklagte die Aus diesem Buch bezog Sanger ihre Philosophie, daß dem steigende Anzahl der Emigranten aus Süd- und Osteuropa Menschen volle Freiheit bezüglich seiner Selbstverwirklichung (Juden und Italiener) und war sehr besorgt über ihre relativ und Entwicklung gewährt werden müsse, und daß allein die indi- größere Fruchtbarkeit nach ihrer Einwanderung in die USA. viduelle sexuelle Befriedigung — nicht Gesetz oder Tradition — die Ehe Sie bekam zunehmend Schützenhilfe von Seiten der bigotte- heiligt. Ehen, die der Frau keine sexuelle Befriedigung schenken, sten Amerikaner.22) Margaret Sanger war nun ganz ins Lager müßten geschieden werden, denn körperliche Liebe sei ein der Eugeniker übergewechselt, die versuchten, Geburtenkon- höheres Gebot als das bloße Gesetz.18) Margaret Sanger ver- trolle bei Slumbewohnern und Armen populär zu machen. In setzte der Institution Ehe den ersten Schlag: den armen Leuten sah sie eine echte Bedrohung der Angelsachsen • "Das Ehebett hat den verderblichsten Einfluß in der auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet, allein schon auf sozialen Ordnung."' 9) Grund der zahlenmäßigen Überlegenheit dieser „Slawen, • Sie beschwor die freiwillige Bindung zwischen Sexual- Lateiner und Hebräer". Es ist kaum ein Zufall, daß Sangers erste partnern und ersetzte dadurch erfolgreich die kleinste Zelle der Geburtenkontrollklinik im New Yorker Stadtteil Brownsville menschlichen Gemeinschaft — die Familie — durch bloße sexuelle errichtet wurde, dort, wo überwiegend die neu emigrierten Individualbeziehungen. Den traditionellen Werten der Familie, Slawen, Lateiner und Hebräer wohnten. Sie wurde von Freun- ihrem Moralgefüge und ihrer Dauer wurde ein tödlicher den, die sie in England gefunden hatte, unterstützt.23) Schlag versetzt. • Die Reise, die Sanger im Herbst 1914 nach Englandführte, — 89 — — 90 — hatte einen beachtlichen Einfluß auf ihre soziale Philosophie indischen Mystik hingezogen fühlte. Slee war übrigens zufrie- und änderte ebenso entscheidend ihr persönliches Leben. den mit diesem Arrangement und wurde der Hauptgeldgeber für Kurz nach ihrer Ankunft traf sie Dr. H. Ellis, den berühmten die Geburtenkontrollbewegung.34) Autor und Sexologen. Dieser gewann Sanger für die eugeni- Ihre Heirat mit Slee veränderte Margaret Sangers soziales schen Ideen und machte sie mit den Arbeiten der amerikani- Umfeld und die Richtung der Geburtenkontrollbewegung. schen Oneida-Gesellschaft (American Oneida Community) Sanger betreute nicht mehr arme Mütter in den Slums im bekannt. Diese 1841 von John Humphrey Noyes begründete Osten der Stadt, sie wurde zur alles bestimmenden Führerin Gesellschaft sagte der zufälligen Zeugung, wie sie ihrer einer Bewegung, die 1926 bezeichnenderweise von weißen, Ansicht nach in der traditionellen Ehe unvermeidbar war, im Lande geborenen protestantischen Amerikanern mit über- den Kampf an und befürwortete eine sogenannte komplexe durchschnittlichen Einkommen und gehobener Erziehung Ehe, die nach strengen genetischen Vorschriften zukünftige getragen wurde.35) Jetzt hatte Margaret Higgins-Sanger, die Eltern so auswählte, daß sie die Garantie für möglichst hoch- Tochter verarmter irischer Einwanderer, verheiratet mit wertige Kinder boten.") Diese Forderung ist später unter den einem außergewöhnlich wohlhabenden und zur Elite gehö- Nazis in den Zuchtstätten LEBENSBORN verwirklicht wor- renden Mitglied der Episkopalkirche, genug Zutrauen zur den.") eigenen Person und Philosophie, um ihre Pläne — zur Steue- • Damals, als Sanger Dr. Havelock Ellis traf, waren dessen rung des Sozialgefüges durch Geburtenkontrolle — der ameri- eugenische Lösungsvorschläge für soziale Probleme schon kanischen Öffentlichkeit vorzustellen und sie in die Tat weit gediehen. In seiner Veröffentlichung „Die Probleme der umzusetzen. Rassenerneuerung" von 1911 plädierte Ellis dafür, Bedürftige nur dann nach dem Armenrecht zu unterstützen, wenn sie „Die meisten Amerikaner sind geistesschwach" sich „freiwillig" der operativen Sterilisation unterwerfen.26) An dieser Stelle ist es wichtig, die Bezeichnung „geistes- Seine Schriften erschienen über Jahre, Monat für Monat, in schwach" zu definieren. Eine Bezeichnung, die auf dem Stan-

der BIRTH CONTROL REVIEW. ford-Binet IQTest (Intelli genz Quotient) basiert. In den zwanzi- • Für die Herausgeberin Sanger war Ellis so etwas wie ein ger Jahren glaubte man felsenfest, daß der Intelligenz-Quo- Heiliger. Alle Bücher, die er über Sex und sexuelle Abnormi- tient angeboren, unveränderlich und damit ererbt sei.36) Im täten schrieb, hatten den einen Tenor: normal ist jede sexuelle ersten Weltkrieg wurden amerikanische Soldaten nach Verhaltensweise, solange sie keinen körperlichen Schaden Volksgruppen dem I.Q.-Test unterworfen. Nach diesen anrichtet.") Er glaubte, daß dem Menschen kraft seiner Wis- Untersuchungen war der Durchschnittssoldat beinahe ein senschaft die Herrschaft über Leben und Tod zustände, und Schwachsinniger und solche Gruppierungen wie Neger oder deshalb war er ein unnachgiebiger Verfechter des Euthana- Südeuropäer waren danach den einheimischen weißen Ame- siegedankens.") Ellis war von der halluzinogenen Droge rikanern geistig weit unterlegen.") Meskalin abhängig, was sicher auch zu seinem seltsamen pan- • In ihrer Veröffentlichung „Pivot of Civilization" führt theistisch gefärbten Glauben an einen unpersönlichen Gott Margaret Sanger aus, mit Hilfe des I.Q.-Tests könne man beitrug.29) erkennen, daß es sehr wohl geistig defekte Menschen gebe, die „sprachgewandt, gescheit aussehend und attraktiv" seien, Scheidung und Wiederheirat trotzdem aber auf dem geistigen Stand von Sieben-, Acht- Bald nahm Margaret Sangers Charme Ellis ganz gefangen oder Neunjährigen stünden. Diese würden das Intelligenz- und er erklärte, daß er sich noch nie vorher so schnell und niveau von Schule und Gesellschaft senken, da ja sowohl vollständig zu einer Frau hingezogen gefühlt habe. Sehr bald Kirche als auch Staat sie ermutigten, sich übermäßig zu ver- begann er ein sexuelles Verhältnis mit ihr. Zur selben Zeit mehren und auszubreiten. So prägten sie dann „nach ihrem bereiste seine Ehefrau Edith die USA und hielt Vorträge, Muster" eine ganze Gesellschaft.") Sanger glaubte, 70 % der deren Honorar den finanziellen Ruin des Ellis'schen Haus- Amerikaner hätten das geistige Niveau von höchstens Fünf- halts abwenden sollte. Edith Ellis liebte ihren Mann sehr, zehnjährigen.39) fühlte sich aber auf sexuellem Gebiet von ihm enttäuscht. • Diese Menschen seien geistesschwach. Sie nannte sie Seine häufigen außerehelichen Affären trieben sie in les- eine Bedrohung des Volkes und fürchtete, sie könnten eine bische Beziehungen.") Revolution entfesseln, deren Opfer die intelligenteren Ellis verheimlichte sein Verhältnis zu Margaret Sanger und Bevölkerungsschichten wären.') Wiederholt griff Sanger die schrieb auch seiner Frau lange nichts darüber. Als er es dann end- südeuropäischen Emigranten aus dem katholischen Italien lich tat, war Edith Ellis ganz gebrochen. Nach ihrer Rückkehr an, die unbelehrbar dem Diktat ihrer Kirche folgten und sich nach England machte sie einen Selbstmordversuch, da sie gehorsam in schwachsinnigen Kindern fortpflanzten und das glaubte, ihren Mann endgültig an Margaret verloren zu haben.31) alles zu Lasten der wertvolleren Gesellschaftsklassen. In ihrer stark auf Wirkung bedachten Autobiographie • .In „Birth Control Review" vom April 1932 erschien ein macht Sanger die vielen Stunden, die sie „ihrer Sache" wid- Artikel mit dem Tenor, daß durch Zölibat von Priestern und mete, für das Scheitern ihrer Ehe mit William Sanger verant- Nonnen, die ja die intelligenteren und hervorragenderen wortlich: es ist aber viel wahrscheinlicher, daß ihr Verhältnis Typen unter den Katholiken seien, die katholische Bevölke- mit Ellis und dessen Auffassungen über die Ehe die Gründe rung schrecklich degeneriert und von unvorstellbar niedriger dafür waren.32) rassischer Gesundheit sei.41) (Schluß folgt) • 1922 heiratete Sanger J. Slee, den Präsidenten der Anmerkungen Three-in One-Oil Company und diese neue Ehe wurde von ihr nach den von ihr bewunderten Prinzipien der Ellis'schen + Anmerkung des Übersetzers: Der Leitsatz dieser individualistischen Moral heißt: „Erlaubt ist was Spaß macht, Pflicht ist was die Bedürfnisse der anderen Eheauffassung gestaltet.33) Sie und ihr neuer Gatte hatten befriedigt." getrennte Wohnungen und die jeweiligen Treffen wurden ++ Utilitarismus = philosophische Lehre, die im Nützlichen die Grundlage durch ihre Sekretäre abgesprochen. Viele können sich San- des sittlichen Verhaltens sieht und ideale Werte nur anerkennt, wenn sie dem gers Wahl nicht recht erklären. Sie verweisen auf ihre Einzig- einzelnen oder der Gemeinschaft nützen. artigkeit; denn die Ehe mit einem praktizierenden Mitglied 1) Margaret Sanger „Pivot of Civilization" (New York, Brentanos), 1922, p. 282. der Episkopalkirche schien so gar nicht zu einer Frau zu pas- 2) Kennedy, „Birth Control in America, The Career of Margaret San- sen, die zu den "Rosenkreuzern" gehörte und sich stark zur ger" (New Haven and London, Yale University Press), 1970, p. 117. From a - 91 - - 92 - speech given by Margaret Sanger in Hartford, Connecticut, Feb. 11, 1923; WILHELM SCHAMONI copy in Margaret Sanger Papers, „Library of Congress". 3) Margaret Sanger, „Plan for Peace", BIRTH CONTROL REVIEW, April Wider den Wahn von der leeren Hölle 1932; Vgl. auch BIRTH CONTROL REVIEW April 1925 „Adress of Wel- come to The Sixth International Neo-Malthusian and Birth Control Confe- (Schluß) rence", p. 100. Höllenvisionen der Schwester Josefa Menendez 4) Margaret Sanger „An Autobiography" (New York, Dover Pub. 1971, origi- Die Dienerin Gottes, Stifterin von Herz-Jesu-Schwestern nally published in 1938); p. 194. 5) Hans Lehfeldt, M. D., „Ernst Graefenberg an His Ring", MT. SINAI (geb. 1890 in Madrid, verst. 1923 in Portiers) betont in ihren JOURNAL OF MEDICINE vo. 42 no. 4, Jul-Aug. 1975, p. 345. sehr zahlreichen Höllenabstiegen immer wieder die poena 6) Margaret Sanger „An Autobiography" p. 29. damni. In den folgenden Abschnitten wird die poena sensus 7) Bernhard Schreiber „The Men Behind Hitler - A German Wamig to the übergangen. Die Texte sind entnommen dem Buche: Schwe- World" (La Haye-Mureaux, France 1971), p. 15. ster Josefa Menendez, Die Liebe ruft, Canisius Verlag, Frei- 8) Margaret Sanger „Pivot of Civilization" p. 80 u. 179. Siehe auch Donald Pickens „Eugenics and the Progressives" (Vanderbilt University Press, 1968), burg/Schweiz-Konstanz/Baden 1950, S. 231-238 und 612- p. 195. 620, gekürzt. 9) David M. Kennedy „Birth Control in America - The Career of Margaret Kardinal Pacelli hat sich mit dem Manuskript beschäftigt. Sanger" p. 44. Er schreibt dazu, das Buch möge in den "Herzen vieler armer 10) Margaret Sanger BIRTH CONTROL REVIEW, May 1919 (vol. III, no. 5) p. 12. Sünder, zu denen wir ja alle gehören" ein großes Vertrauen 11) Ibid. Nov. 1921 (vol. V, no. 11) p. 2. auf die Liebe und Barmherzigkeit des Herzens Jesu erwecken. 12) Kenneth M. Ludmerer „Genetics and American Society" (Baltimore and Er erlaubte als Papst, daß seine Worte dem Buch als Empfeh- New York, The John Hopkins University Press, 1972) p. 25. lung mitgegeben wurden. 13) Lothrop Stoddard „Into the Darkness - Nazi Germany Today" (New York, Duell, Sloan and Pearce, 1940) p. 196. ,Hier ist die größte Qual, Den nicht lieben zu können, Den 14) Marie E. Kopp, PhD. „Legal and Medical Aspects of Eugenic Sterilization wir hassen müssen. Der Hunger nach Liebe verzehrt uns, aber in Germany", a talk delivered at „The Annual Meeting and Round Table Con- es ist zu spät ... Auch du wirst denselben Hunger empfinden: ferences of the American Eugenies Society", May 7, 1936. hassen, verabscheuen und wünschen, daß die Seelen verloren 15) David M. Kennedy „Birth Control in America - The Career of Margaret gehen. Das ist unser einziges Verlangen!' Sanger" p. 8. 15 a) Anm. d. übers.: Nach INTERNATIONAL PLANNED PARENT- Josefa beschreibt auch die Selbstanklagen der Verdamm- HOOD und ihrer Unterorganisation PRO FAMILIA, dürfen nicht erwünschte ten. ungeborene Kinder getötet werden. „Manche schreien wegen der furchtbaren Schmerzen an 16) Margaret Sanger „An Autobiography" p. 75. ihren Händen. Ich glaube, daß sie gestohlen haben, denn sie 17) David Kennedy „Birth Control in America - The Career of Margaret San- ger" p. 11. sagen: ,Wo ist das geblieben, was du weggenommen hast? Ihr 18) Ibid. p. 13. verfluchten Hände! Warum wollte ich haben, was mir nicht 19) Ibid. p. 23. gehörte, da ich es ja doch nicht länger als ein paar Tage behal- 20) Margaret Sanger „Pivot of Civilization" p. 177. ten konnte?' Andere beschuldigen ihre Zunge, ihre Augen, 21) Ibid. p. 177. jeder klagt das an, was die Ursache seiner Sünde war: ,Den 22) David Kennedy „Birth Control in America - the Career of Margaret San- ger" p. 113-117. Genuß, den du dir gegönnt hast, mußt du jetzt teuer bezahlen, 23) Ibid. p. 118. mein Leib! Du hast es so gewollt! 24) Hilda Herrick Noyes, M. D. and George Walfingford Noyes, A. B. „The Mir scheint, daß die Seelen sich vor allem der Sünden ge- Oneida Community Experiment in Stirpiculture - Eugenics Quarerly" Dec. gen die Reinheit, der Diebstähle und unredlichen Geschäfte 1967, vol. 14, no. 4. 25) Vgl. Marc Hillel, Clarissa Henry „Of Pure Blood" (New York McGraw anklagen und daß die meisten deswegen verdammt sind. Hill) 1976. Ich habe viele Weltleute in diesen Abgrund stürzen sehen, 26) Havelock Ellis „The Problem of Race Regeneration" (New York; Moffat, und man kann weder beschreiben noch verstehen, was für Yard and Co.) 1911, p. 65. einen Schrei sie ausstießen und wie furchtbar sie dann heul- 27) Arthur Calder-Marshall „The Sage of Sex - A Life of Havelock Ellis" (New York; Putnam's) 1959, p. 88. ten: ,Auf ewig verdammt! ... Ich habe mich getäuscht. Ich bin 28) Ibid. p. 275. verloren. Ich bin auf immer hier. Es gibt keine Rettung mehr! 29) Havelock Ellis „My Life" (Boston, Mifflin Co.) 1939, p. 67. Sei auch du verdammt!' „Da waren Seelen, die verfluchten 30) Arthur Calder-Marshall „The Sage of Sex" - A Life of Havelock Ellis, p. 207. den Ruf Gottes, den sie einmal gehört und nicht befolgt hät- 31) Ibid. p. 198. ten ... weil sie nicht unbekannt und abgetötet leben woll- 32) David Kennedy „Birth Control in America - The Career of Margaret San- ger". ten ... Einmal als ich in der Hölle war, sah ich auch viele Prie- 33) Lawrence Lader „The Margaret Sanger Story" (New York, Boubleday ster. and Co.) 1955, p. 79. Ich sah auch geistliche Würdenträger. 34) David Kennedy „Birth Control in America" p. 99. Da waren Priester, die verfluchten ihre Zunge, welche die 35) Ibid. p. 100. 36) Donald K. Pickens „Eugenics and the Progressives" p. 151. Wandlungsworte gesprochen; ihre Finger, die den Leib des 37) Ibid. p. 152. Herrn berührt; die Lossprechungen, die sie andern erteilt hat- 38) Margaret Sanger „Pivot of Civilization" p. 91. ten, ohne daß sie es verstanden, ihre eigene Seele zu retten; 39) David Kennedy „Birth Control in America- The Career of Margaret San- die Gelegenheit zur Sünde, die sie zum Sturz in die Hölle ger" p. 116. 40) Margaret Sanger „Pivot of Civilization" p. 90. brachte. 41) Margaret Sanger „Birth Control Review" April 1932 (vol. 16, no. 4) Ein Priester sagte: ,Ich habe mich von Gift genährt; denn ebenso in „Eugenics Society of Northern California", „Eugenics and the ich habe das Geld verausgabt, das mir nicht gehörte', und er Church" by Kenneth C. McArther, Sept. 13, 1945, Eugenics Pamphlet no. 42. beschuldigte sich, Meßstipendien verwendet zu haben, ohne Der christliche Glaube will sein Zeugnis in diese konkrete die Messen zu lesen. Welt hineinbringen. Er muß dabei mit Widerstand und auch Ein anderer sagte, er habe einer Geheimgesellschaft ange- Ablehnung rechnen. In diesem Sinne wird es auch immer wieder hört, in der er Kirche und Religion verraten und für Geld zu Auseinandersetzung und Streit mit widrigen und bösen Mäch- furchtbare Gotteslästerungen und Sakrilegien ermöglicht ten kommen. Christliches Zeugnis in der Welt kann es nicht habe. geben ohne Mut und Tapferkeit. Die eigene Wahrheitsüberzeu- Ein anderer sagte, er sei verdammt, weil er sündhaften gung muß rein und eindeutig zur Geltung gebracht werden, in Vorführungen beigewohnt hätte. Danach hätte er nicht das erste Linie im eigenen Sprechen, Handeln und Leben. heilige Meßopfer darbringen dürfen. Aber er hätte es getan Der Papst an die deutschen Bischöfe am 28. 1. 88 in Rom und sieben Jahre lang so gelebt." - 93 - - 94 - Josefa bemerkt, daß die meisten der verdammten Priester Antonius Maria Claret (1807-1870) und Ordensleute sich furchtbarer Sünden gegen die Keusch- Gebet des hl. Bischofs Antonius Maria Claret heit anklagen; ferner Sünden gegen das Gelübde der Armut; des unerlaubten Gebrauches der Ordensgüter; ernster Ver- Unbefleckte Jungfrau und Mutter Gottes, Königin und fehlungen gegen die Nächstenliebe (Eifersucht, Rachsucht, Herrin der Gnade! Würdige dich, aus Liebe einen mitleids- Haß usw.); der Nachlässigkeit und Lauheit; der Bequemlich- vollen Blick auf diese verlorene Welt zu werfen. Sieh, wie keit, der sie nachgegeben und die sie zu schweren Sünden man den Weg verlassen hat, den uns zu lehren dein heiligster geführt hätte; der schlechten Beichten aus Menschenfurcht, Sohn sich herabgelassen hat. Man hat seine heiligen Gesetze Mangel an Mut und Ehrlichkeit usw. aufgegeben. Mit größerer Klarheit denn je erkannte ich, was es um die Und du, meine Mutter, könntest wollen, daß ich, ein Bru- Heiligkeit Gottes ist und wie sehr Er die Sünde verabscheut. der dieser Unglücklichen, gleichgültig ihrem vollständigen Verderben zuschaue? Nein! Weder die Liebe, die ich zu Gott, In einem blitzartigen Aufleuchten sah ich mein ganzes noch die, welche ich zu meinem Nächsten habe, können das Leben vor mir, angefangen von meiner ersten Beichte bis zum dulden. Denn wie kann ich sagen, daß ich Liebe zu Gott und heutigen Tag. Alles war mir gegenwärtig: meine Sünden, die zum Nächsten habe, wenn ich meinen Bruder in dieser Gnadenerweise Gottes, der Tag meines Eintritts ins Kloster, Gefahr sehe und ihm da nicht helfe? Wie kann ich ihn lieben, meine Einkleidung, meine Gelübdeablegung, die geistlichen Lesungen und Unterweisungen, die Ratschläge, die guten wenn ich weiß, daß es Räuber und Mörder auf dem Weg gibt, welche die Wanderer erschlagen und ausplündern. Anregungen, alle Hilfe, die ich in meinem Ordensleben emp- fangen hatte. Man kann nicht beschreiben, welch furchtbare Wie kann ich Liebe haben, wenn ich stumm bleibe, wo ich Verwirrung die Seele in diesem Augenblick empfindet: Jetzt sehe, wie man im Hause meines Vaters die Schätze stiehlt, ist alles vorbei. Ich bin auf immer verloren.' Schätze, die so kostbar sind, daß sie das Blut und das Leben Im gleichen Augenblick befand ich mich in der Hölle, eines Gottes gekostet haben, oder wie man Feuer legt im ohne jedoch hinuntergezogen worden zu sein wie sonst Hause meines vielgeliebten Vaters? Nein, meine Mutter, es immer. Die Seele stürzt sich von selbst hinab; sie wirft sich ist unmöglich, da zu schweigen. Nein, ich werde nicht schwei- hinab, als wolle sie vor Gottes Angesicht verschwinden, um gen, auch wenn ich weiß, daß man mich in Stücke zerreißt. Ich Ihn hassen und verfluchen zu können. will nicht schweigen, sondern rufen und schreien und meine Stimme über die Erde und zum Himmel erheben, daß gegen Meine Seele versenkte sich in einen Abgrund von uner- ein so schreckliches Unheil angegangen wird. Ich nehme zu meßlicher Tiefe. Sofort hörte ich andere Seelen frohlocken, dir, die du die Mutter der Barmherzigkeit bist, meine da sie mich in diesen gleichen Peinen sahen. Es ist ein Marty- Zuflucht. Ich flehe dich an, gib allen die Gnade der Bekeh- rium, diese furchtbaren Schreie zu hören, aber ich glaube, daß rung, denn ohne sie vermöchten wir nichts. Ich weiß, daß du nichts mit der Qual der Seele verglichen werden kann, die diese Gnade allen gibst, die dich ernstlich darum bitten. Wer nach Verwünschungen dürstet, und je mehr sie flucht, desto nicht um sie bittet, weiß nicht, wie nötig er sie hat, und so mehr steigert sich dieser Durst! Obgleich man keine körperli- gefährlich ist sein Zustand, nicht zu wissen, was ihm zum chen Formen sieht, fühlt man doch die Schmerzen, als hätte Heile dient, daß eben dies mich noch mehr zu Mitleid bewegt. man einen Leib, und man erkennt die Seelen. Die einen Als Sünder bitte ich für alle anderen um diese Gnade, und ich schreien: ,Oh, da bist du ja! So wie wir! Wir waren frei, die biete mich an als Werkzeug zu ihrer Bekehrung. Und wenn Gelübde abzulegen oder nicht! Aber jetzt! und sie verflu- ich auch natürlicherweise dazu unfähig bin, dennoch: mitte chen ihre Gelübde. Wenn ich bisher in die Hölle hinabgestie- me. Dann sieht man umso besser: gratia Dei sum id quod sum. gen war, hatte ich unsagbar gelitten, weil ich glaubte, aus dem Vielleicht sagst du: Jene wollen wie Kranke in ihrem Wahn Kloster ausgetreten und dafür verdammt zu sein. Aber dies- nicht auf den hören, der sie heilen will, sie würden mich ver- mal nicht. Ich war in der Hölle mit einem besonderen Merk- achten und tödlich verfolgen. Dennoch: mitte me! Denn: mal als Ordensfrau, mit dem Merkmal einer Seele, die ihren cupio esse anathema pro fratribus meis. Es ist noch niemals Gott gekannt und geliebt hat. gehört worden, und es wird niemals gehört werden, daß Die Seele verliert keinen Augenblick das Bewußtsein, daß jemand, der zu dir seine Zuflucht nahm, von dir sei abgewie- sie einst Gott zu ihrem Bräutigam erwählt hat, daß sie Ihn sen worden. Du siehst doch, meine Herrin, daß alles, um was über alles geliebt und um Seinetwillen auch den vielen erlaub- ich dich bitte, die größere Ehre Gottes und deine größere ten Freuden und allem, was ihr auf Erden das Liebste war, ent- Ehre und das Heil der Seelen zum Ziel hat. Du bist die Toch- sagt und zu Beginn ihres Ordenslebens die Süßigkeit, Kraft ter des ewigen Vaters, die Mutter des Sohnes und die Braut und Reinheit der Gottesliebe verkostet hat. Jetzt muß sie des Heiligen Geistes. Darum geziemt es sich, daß du eiferst für ihren Herrn und Gott, den sie erwählt hatte, um Ihn zu lieben, die Verherrlichung der heiligsten Dreifaltigkeit. Ihr lebendi- um einer ungeordneten Leidenschaft willen in alle Ewigkeit ges Bild ist die Seele des Menschen, und dieses Bild ist benetzt hassen! mit dem Blute des menschgewordenen Gottes. Amen. Dieses Hassen-müssen ist ein Durst, der sie verzehrt ... Keine Erinnerung, keine Vorstellung kann ihr die geringste Erleichterung verschaffen. Dieser ganze Beitrag dürfte nicht besser abgeschlossen Ihre Schande bereitet ihr eine der größten Qualen. Es ist, werden als mit einem Wort Papst Pius XII., das am häufigsten als schrien alle Verdammten, die sie umringen, ständig auf sie zitiert wird: ein: "Ein wahrhaft schaudererregendes Mysterium, das man ,Was Wunder, daß wir verloren sind? Wir hatten nicht die niemals genug betrachten kann: daß nämlich das Heil vieler gleichen Hilfsmittel wie du! Aber was hat dir gefehlt? Du hast abhängig ist von den Gebeten und freiwilligen Bußübungen im Hause des Königs gelebt ... und am Mahl des Auserwähl- der Glieder des geheimnisvollen Leibes Jesu Christi, die sie zu ten teilgenommen.' diesem Zwecke auf sich nehmen, und von der Mitwirkung, die Alles, was ich schreibe, ist nur ein Schatten, verglichen mit die Hirten und Gläubigen, besonders die Familienväter und dem, was die Seele leidet. Denn es gibt keine Worte für solche -mütter, unserm göttlichen Erlöser zu leisten haben." (Mystici Qualen. Corporis Nr. 43). - 95 - - 96 - PROF. DR. WOLFGANG KUHN Nobelpreisträger./ Monod als die "einzig denkbare Möglich- Abschied vom Zufall? keit" einer Erklärung der Evolution demagogisch verkündet wurde. Wer nämlich auch nur mit den Anfangsgründen der Neo-Darwinisten auf der Suche nach einem neuen „deus Wahrscheinlichkeitsrechnung vertraut ist, der merkt nur allzu ex machina" rasch, was er von „Beweisen" wie beispielsweise Huxleys unsterblichen Affen zu halten hat, die am Meeresstrand unun- Hätten die amerikanischen Astronauten auf ihrem ersten terbrochen über Jahrmillionen hinweg mit unverwüstlichen Mondspaziergang eine Armbanduhr gefunden, keinem Men- Buchstaben um sich werfen, wobei dann irgendwann einmal schen wäre auch nur der geringste Zweifel daran gekommen, zufällig nicht nur Shakespeares gesammelte Werke, sondern daß die Russen bereits vor ihnen auf unserem Erdtrabanten die gesamte englische Nationalliteratur, fein säuberlich les- gelandet sein mußten. Niemand wäre wohl auf die wahrlich bar, mit allen Kommas, Punkten und Absätzen Wort für Wort absurde Idee verfallen, ein derart komplexes und perfekt sozusagen im Sande liegen soll. funktionierendes technisches Meisterwerk wie eine Uhr Nicht minder kurios klingt Monods „Beweis" für die an- könne durch irgendeinen Zufall einfach von selbst entstehen. gebliche Allmacht des blinden Zufalls. Würde man sämtliche Gilt die Uhr doch, spätestens seit dem englischen Theologen Instrumente eines Symphonieorchesters wahllos an irgend- William Paley, von dessen Büchern der damals noch gläubige welche Straßenpassanten verteilen, ob sie nun dergleichen Charles Robert Darwin in seiner Autobiografie schreibt, sie jemals vorher bereits in der Hand hatten oder auch nicht, die hätten ihm wegen ihrer zwingenden Logik "ebensoviel dann munter drauflos bliesen, zupften, strichen oder trom- Freude wie Euklid" bereitet, gleichermaßen als Beweis für die melten, würde eines schönen Tages, freilich auch erst im Existenz eines Uhrmachers, der sie zielgerichtet nach einem Laufe einiger Millionen Jahre, Beethovens „Neunte" zufällig genialen Erfindergeist voraussetzenden Plan gebaut hat, wie dabeisein! Zweifellos hätte selbst der stets etwas griesgrämig die freilich ungleich komplizierteren Lebewesen für die Exi- und verbittert dreinblickende Beethoven lauthals gelacht ob stenz eines unendlich weisen Schöpfers. „Die Planung muß solcher unglaublicher Naivität. Im übrigen: Was würde man einen Planer gehabt haben" schrieb Paley, und „dieser Planer wohl von einem Physiker halten, der irgendwelche Theorien muß eine Person gewesen sein. Diese Person ist Gott" (Wil- aus dem Bereich der Atomphysik oder Thermodynamik mit liam Paley, Natural Theology, S. 473). derartigen Kinkerlitzchen „beweisen" wollte statt mit exak- ten, jederzeit nachprüfbaren Experimenten und Berechnun- So verrät denn bereits der Titel des neuesten Buches von gen? Richard Dawkins, jenes englischen Zoologen, der durch seine Nein, so geht es also nicht, und das haben die meisten Evo- Definition des Menschen als „Wegwerf-Überlebensma- lutionisten, wenn auch erst erheblich später als ihre wissen- schine", deren einziger Wert in ihrer Fähigkeit bestehe, schaftlichen Gegner, inzwischen selbst eingesehen. Konnten gesunde Nachkommen hervorzubringen, weithin für hitzige sie zu Altmeister Darwins Zeiten eine lebende Zelle mangels Debatten sorgte, was von seinem - angeblich! - „neuen Plä- besseren Wissens noch für ein formloses Klümpchen Eiweiß doyer für den „Darwinismus" zu erwarten ist. (R. Dawkins, halten, so gelingt es doch heute nicht mehr, die Augen vor der „Der blinde Uhrmacher" - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus. Tatsache zu verschließen, daß jede einzelne der sechzig Bil- Kindler- Verlag München 1987. DM 42.-) lionen Zellen, aus denen unser menschlicher Körper besteht, Es gibt für den überzeugten Evolutionisten keinen dem wesentlich komplizierter ist als alle bisher von Menschen vorausgehenden, planenden Uhrmacher vergleichbaren erdachten und programmierten Computer. Niemand würde Schöpfer der Organismen - nichts anderes meint der seltsame in unseren Tagen noch ernstgenommen, der etwa behauptete, Buchtitel. Vielmehr sei die letzte Ursache jener unerhörten auch nur das relativ einfache Programm einer vollautomati- Fülle und Mannigfaltigkeit lebender Pflanzen und Tiere wie schen Waschmaschine könnte zufällig von selbst entstehen, auch ihrer nicht minder erstaunlichen Leistungen eher einem einfach so - ohne das „Know-how", das „Gewußt-wie" stu- blinden Uhrmacher zu vergleichen, der einfach draufloswer- dierter Mathematiker, Physiker und Ingenieure! So muß denn kelt, ohne sein Ziel zu kennen oder einem Plan zu folgen - mit auch Dawkins zugeben: „Lebende Organismen sind gut dafür anderen Worten: Der altbekannte deus ex machina Zufall. „Die gerüstet, in ihren Umwelten zu überleben und sich zu repro- grundlegende Idee des blinden Uhrmachers ist, daß wir kei- duzieren, und zwar auf zu zahlreiche und statistisch gesehen nen Baumeister voraussetzen müssen, um das Leben ... zu zu unwahrscheinliche Weisen, als daß sie mit einem einzigen verstehen. Wir müssen (! Verf.) hier die Art von Lösung fin- zufälligen Schlag entstanden sein könnten" (S. 338). den, die der Art unseres Problems entspricht" (S. 179). Die • Was also jetzt? Die Not ist groß, wenn der blinde Zufall, alte Geschichte also, das bekannte Palmström-Syndrom der die sinn- und ziellose Mutation (Monod) als „Schöpfer" aus- Darwinisten: Es kann nicht sein, was nicht sein darf, nicht fällt. Nun, zunächst einmal wird verzweifelt versucht, klarzu- in die Theorie hineinpaßt! Und das wird dann als Wissen- machen, daß - man höre und staune! - Mutationen gar nicht schaft, gar Naturwissenschaft ausgegeben! zufällig sind! Werden sie doch von „definitiven physikali- Nur zum Scheine nämlich wird der Zufall da verbannt, und schen Vorgängen" verursacht (S. 359) und geschehen „nicht sogleich, nachdem ihn Dawkins sozusagen formell durch die einfach spontan". Mutagene Stoffe können sie ebenso aus- Vordertür des Theoriengebäudes hinauskomplimentiert hat, lösen wie Röntgenstrahlen und die Strahlen radioaktiver Sub- zieht er ihn klammheimlich durch die Hintertür wieder hin- stanzen oder verschiedene Chemikalien. Wie außerordent- ein. Und so taucht er denn in der Tat zwischen den Zeilen - lich peinlich, wenn ein Autor, der Schlüsse von solcher Trag- anscheinend so ganz nebenbei - ständig wieder auf. Es geht weite wie Dawkins aus seinen kühnen Hypothesen zieht, eben im Evolutionismus nicht ohne ihn, denn er stellt nun ein- offensichtlich überhaupt nicht bemerkt, daß er hier „Zufall" mal die einzig denkbare - wenn auch in einem reichlich mit „Akausalität" verwechselt, mit einem vermeintlich ursache- kuriosen Denken - Alternative dar zu Plan und mithin Schöp- losen Geschehen, wo es doch in Wirklichkeit um ein Sinn-loses fung. und Ziel-loses geht/Nicht die Ursache einer Mutation steht hier • Dennoch wendet sich Dawkins, damit überraschender- zur Diskussion, sondern ihre Richtung! Verblüffenderweise weise keineswegs alleinstehend unter den Neodarwinianern, schreibt der Verfasser selbst nur eine Seite später, er ver- mit aller Schärfe, ja Ironie gegen jene naive Art von Zufalls- stände unter „zufällig", daß ein Vorgang „als keine allge- gläubigkeit, wie sie u. a. von/ Huxley und noch 1971 von dem meine Tendenz (sic! Verf.) in Richtung auf körperliche Ver- - 97 - - 98 - besserung" definiert wird. Aber getrost: Ein überzeugter Dar- gegebenen Buchstaben mit mehreren, ebenso willkürlich ver- winist findet stets eine - freilich rein verbale! - Lösung, um teilten Zwischenräumen. Der Apparat wiederholt diese selbst die überzeugendsten Argumente gegen seine „naive Unsinns-Sequenz (Wilder Smith), und zwar dank des vom Theorie" (P. P. Grass) zu bemänteln und zu umgehen. Programmierer eingeplanten (! Verf.) Spielraumes für zufäl- • Klappt es mit dem deus ex machina Zufallsmutation lige Kopierfehler (die, man erinnere sich an Herrn Dawkins ganz und gar nicht mehr - nun, dann muß eben der zweite eigene Zufalls-Definition, dadurch allein schon nicht mehr jener beiden angeblich allein jegliche Evolution verursachen- zufällig wären!), die den Mutationen bei Lebewesen entspre- den Faktoren, die Selektion oder natürliche Auslese, die Daw- chen sollen. Und dann geschieht sogar etwas, was noch weit kins den „blinden Uhrmacher" nennt (S. 35) herhalten, um weniger in das Gesamtkonzept passen will und den unvorein- nun ganz allein Ordnung in das ansonsten chaotische, weil genommenen Leser aufs höchste verblüfft: „Der Computer sinnlose und richtungslose Geschehen zu bringen. Tertium examiniert (! Verf.) die durch Mutation entstandenen unsin- non datur - eine dritte Möglichkeit ist ja der Theorie gemäß nigen Sätze, die Nachkommen des ursprünglichen Satzes, nicht gegeben, leider! Übrigens ist auch diese rettende Idee und sucht (!! Verf.) denjenigen heraus, der, und sei es auch keineswegs etwa neu. Man kann sie schon in Veröffentlichun- noch so geringfügig, dem Zielsatz ,Me thinks it is like a weasel` gen Julian Huxleys aus den fünfziger Jahren nachlesen! So am meisten ähnelt." wartet denn, auf neue „Beweise" angewiesen, der nur-Zoo- • Ist es denn wirklich noch zu fassen, daß Richard Daw- loge Dawkins (wie mahnt doch Mephisto den Scholaren: kins ganz offensichtlich nicht begreift, wie sein hirnrissiger „Mein teurer Freund, ich rat Euch drum, zuerst Kollegium Versuch, Sinn, Plan und Ziel bei der Entstehung komplexer, Logicum!") mit eigenen phantasievollen Gedankenspielchen sinnvoller Gebilde - seien es nun Sätze oder Lebewesen - auf, die Huxleys und Monods so kläglich gescheiterten Ver- durch seinen Computervergleich zu leugnen, genau das suche in dieser Richtung fürderhin berichtigen und ersetzen Gegenteil beweist? Ein überzeugenderes Plädoyer für die sollen. Lapidar-dogmatisch erklärt er: „Kumulative Selektion Notwendigkeit von Geist, von Plan und Zielbewußtsein ließe ist der Schlüssel zu allen (! Verf.) unseren modernen Erklärun- sich wohl schwerlich ausdenken. Da „examiniert" der Com- gen des Lebens. Sie verbindet eine Reihe von akzeptablen puter dank seines Programms, was er so zufällig zusammenge- glücklichen Ereignisen (Zufallsmutationen) miteinander zu würfelt hat, und weil dieses Programm ein von vornherein einer nicht-zufälligen Sequenz ..." (S. 169). Na also, da haben festgelegtes Ziel, einen sorgsam ausgetüftelten Plan, vom Pro- wir ihn, Darwin sei Dank, ja endlich wieder, den altbewährten grammierer ersonnen und codiert beinhaltet, „sucht" er die deus ex machina, nur sozusagen in ein Korsett gezwängt und richtigen Sequenzen heraus, speichert sie allein und treibt das ein wenig gesteuert (M. Eigen). Und das geht, wie üblich in Spielchen ständig weiter so, bis er schließlich am Ende aus- der darwinistischen Argumentation, ganz, ganz einfach, näm- druckt, was von Anfang an festgelegt war! lich folgendermaßen: Wie recht hatte doch der alte Schopenhauer, als er den Dawkins wählt einen Satz aus dem Hamlet, den der Titel- Materialismus jeglicher Art einmal die Philosophie jenes held bei Betrachtung einer seltsam gestalteten Wolke zu Polo- Individuums nannte, das bei alledem vergessen hat, an sich nius spricht: „Me thinks it is like a weasel", zu gut deutsch: selbst zu denken. Mit anderen Worten und auf Dawkins „Phi- Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel. Wie groß, so fragt er, losophie" angewandt: Daran zu denken, daß man recht plan- ist die Wahrscheinlichkeit, daß dieser Satz, nur ein einziger voll und zielbewußt vorgehen muß, will man Plan und Ziel aus der ganzen Tragödie und noch ein recht kurzer oben- leugnen - und daß man, indem man seinen Geist dazu miß- drein, durch blindes Herumhämmern eines Affen auf einer braucht, die Existenz von Geist zu leugnen, sich selbst ad Schreibmaschine zufällig zustandekommt? Es darf - und absurdum führt. Whitehead, sein Landsmann, hat diese über- schon wird die Freiheit und Willkür des Zufalls keineswegs raschende Tatsache einmal treffend karikiert, als er sagte: „zufällig" eingeschränkt! - sogar eine Maschine sein, die nur Forscher, die ihr Leben dem Ziele widmen, nachzuweisen, jene 26 erforderlichen Buchstaben und zugehörigen Tasten daß das Leben keine Ziele hat, sind ein interessanter For- sowie eine Leertaste besitzt. Um es kurz zu machen: Die win- schungsgegenstand. Nur seine vornehme Zurückhaltung hat zige Chance, auf diese umständliche Weise den englischen ihn wohl davor bewahrt, noch hinzuzufügen: für Psychiater! Satz zu erhalten, ist 1:109 und damit faktisch nicht gegeben, Der „Programmierer" - und selbst hierin hinkt Dawkins selbst wenn das Experiment ununterbrochen über Jahrmillio- Computervergleich -, der angeblich aus Zufallsmutationen nen wiederholt würde. Mit diesem Beispiel will Dawkins zei- die Ordnung organismischer Komplexität erzeugt, kennt kei- gen, daß die sogenannte „Ein-Schritt-Auslese der Zufallsva- nen Plan. Er ist ja ein „blinder Uhrmacher", dieser unerbitt- riation", also die Erwartung, der genannte Satz würde auf ein- liche Kampf ums Dasein, der stets nur das besser Angepaßte mal ganz und fehlerfrei auf dem Papier stehen, Illusion ist und ausliest, selektiert, und das nicht Lebensfähige ausmerzt. In bleibt. Ebensowenig könnte, und just dies ist ja der Sinn dieses der Tat: Seit Darwin nichts, aber auch gar nichts Neues - trotz Vergleiches, ein komplexes Organ wie unser Auge durch des vielversprechenden Buchtitels! Nur daß Dawkins winzige einen Zufallssprung entstehen. Mini-Fortschrittchen postuliert, die sich kumulieren, weil die Doch, so belehrt Dawkins die so unbelehrbaren nicht- Selektion sie vermeintlich verschont und bewahrt, genau so Zufallsgläubigen großzügig, der Fall ändert sich grundlegend, wie der allerdings auf sein festgelegtes Endziel hin program- wenn wir uns nicht eines unsterblichen Affen, ausgerüstet mit mierte Computer zufällig passende Buchstabenfolgen. einer unverwüstlichen Schreibmaschine bedienen, sondern • Aber der Teufel steckt nun einmal bekanntlich im De- eines Computers, der sehr viel rascher einen Text zusammen- tail, und das bestätigt sich wohl selten so überzeugend wie stellen und ausdrucken kann. Seinem Programm wird jedoch, gerade hier. Müßte doch jeder Mini-Schritt, jede winzige wie er sagt, ein entscheidender Unterschied eingeführt - und mutative Änderung, um der unerbittlichen Auslese nicht zum wiederum merkt der gläubige Evolutionist in seinem geschäf- Opfer zu fallen, einen signifikanten Überlebensvorteil mit tigen Übereifer nicht, daß er damit ja den vermeintlichen sich bringen. Dergleichen aber mag sich, etwa während einer Zufall lenkt und gängelt, so daß er rechtens gar nicht mehr kumulativen Evolution unseres Auges, seiner über Jahrmillio- von Zufall reden dürfte. Das Computerprogramm, vom pla- nen hinweg allmählichen Zusammenfügung aus zufällig zu- nenden Menschengeist in kluger Voraussicht entsprechend einander passenden Teilen, vorstellen, wer da kann! Dieses ersonnen und abgefaßt, beginnt nun mit der Auswahl einer Organ, nach A. Koestler der klassische Stolperstein des Dar- willkürlichen Sequenz von dem Satz entsprechenden vor- winismus - aber genau besehen gilt dies ja für jedes andere - 99 - - 100 - Organ ebenso — vermag doch seine Funktion erst zu erfüllen, Gefahr der Demagogie: wenn es vollständig, fertig entwickelt ist, wenn sich also alle die Armen werden nur benutzt seine Teile sinnvoll integriert, nach Plan einander zugeordnet haben, einander also in der aufgabengerechten Art und Weise Brief eines brasilianischen Bischofs an seine Mitbrüder gegenseitig er-gänzen. Welchen fragwürdigen Überlebens- Vorbemerkung von Prof. DDr. Herrn. M. Görgen wert und mithin Selektionsvorteil besäße beispielsweise eine Linse ohne Hornhaut oder Pupille, eine Netzhaut ohne Glas- Der nachfolgende Brief des Bischofs der Diözese Uruacu im brasi- körper, eine Sehzentrum im Gehirn ohne den Sehnerven? lianischen Bundesstaat Goiös, Dom Josef Silva Chaves, ist ein Just hier widerlegt sich die Selektionstheorie selbst, mit erschütterndes Dokument, das weit über die Grenzen des Mittelwe- ihren eigenen Argumenten. Denn ausgerechnet diese angeb- stens Brasiliens hinaus Gültigkeit besitzt. lich „schöpferische" Auslese müßte doch logischerweise In dem Brief werden in einer — zum Teil kirchendiplomatischen sämtliche „ersten Schritte" in Richtung (!) auf ein komplexes Sprache die Grundprobleme der katholischen Kirche Brasiliens und Organ hin ausmerzen, eben weil sie noch — und zwar über die Gefahren einer zunehmenden Distanz von Rom, wie sie eine unermeßlich viele Generationen hinaus! — nicht funktionsfä- Gruppe von Bischöfen heraufbeschwört, aufgezeigt. hig sind, mithin also keinerlei Vorteil, sondern als Ballast für Diese Probleme sind: den Organismus seine normalen Funktionen behindern und 1. Die Politisierung des kirchlichen Raumes und Lebens unter dadurch nur Nachteile im Überlebenskampf mit sich bringen gleichzeitiger Mißachtung der Predigt von der Erlösung und dem ewi- (Vergl. hierzu W. Kuhn: Stolpersteine des Darwinismus, Bd. 1 gen Ziel der Menschen. u. 2, Schwengeler-Verlag, Berneck, Schweiz). 2. Die Spaltung des Kirchenvolkes durch die Übernahme der • Im übrigen gilt auch hier Mephistos bereits zitierter Rat Kategorien von Arm und Reich, Unterdrückte und Unterdrücker im an den Scholaren, denn bereits Aristoteles wußte, was der nur- Sinne des Marxismus. Zoologe völlig übersieht, weil es nun einmal partout nicht in 3. Die fehlende Kenntnis der Soziallehre der Kirche. sein kurioses Konzept und Wunschbild paßt: Eine Ganzheit 4. Die ständige Forderung nach Strukturveränderung statt ist stets mehr und anderes als nur die Summe ihrer Teile Strukturreform. (Ehrenfels-Kriterium) und kann daher auch nicht durch Sum- 5. Der mangelnde Widerstand gegen das außerordentlich große mierungsprozesse, durch bloße Addition oder „Kumulation" Wachstum der Sekten. entstehen! Muß man sich angesichts eines derart beschämen- 6. Die erschreckende religiöse Ignoranz des brasilianischen Vol- den Denk- und Urteilsniveaus noch wundern über Primitiv- kes, verursacht durch das Fehlen einer gut organisierten Katechese. definitionen wie: „Lebende Dinge sind Ansammlungen von 7. Die Predigt der Klassenkämpfe und Revolutionen. Molekülen, wie alles andere auch" (S. 138)? Wie würde wohl 8. Die Verfälschung des Sündenbegriffs: es gibt keine persön- ein Kunsthistoriker beurteilt, der von den Gemälden eines liche Sünde mehr, sondern nur noch die soziale Sünde, und die Leonardo oder Rubens behauptete, sie seien im Grunde besteht im Kapitalismus. genommen nichts anderes als Ansammlungen verschiedener 9. Die Gefahr der Verfälschung der eigentlichen Ziele kirchlicher Farbkleckse? Diesem wahrlich erschütternden „wissenschaft- Basisgemeinden. lichen" Tiefstand entsprechen erwartungsgemäß sattsam 10. Das offene Bekenntnis zum Sozialismus. bekannte, die eigene innere Unsicherheit bemäntelnde 11. Der mangelnde Gehorsam gegenüber Rom. Selbstverteidigungen wie: Jeder vernünftige Biologe stimmt 12. Die Durchdringung des kirchlichen Schrifttums (Bücher und mit mir überein, daß diese Dinge nur durch natürliche Aus- Zeitschriften) mit aggressiven progressistischen Thesen. - lese entstanden sein können" (S. 321). Wer nachstehenden Aufichrei des Bischofs Dom lose Silva Chaves aufmerksam und mit dem notwendigen Gespürftr das liest, was hinter und zwischen den Zeilen steht, kann nur mit großer Sorge an die Solch egozentrische Hybris verleitet den Verfasser Zukunft der katholischen Kirche in Brasilien denken. Vielleicht ist die Richard Dawkins schließlich zu einem höchst aufschlußrei- Bedeutung der Theologie der Befreiung aus dem unmittelbaren Erleben chen Zirkelschluß, wie ja denn der Darwinismus als „selbst- heraus im Brief des Bischoft zu hoch eingeschätzt und geschildert. verständlich verpflichtendes Credo" (Neuhäusler) in nahezu Zahlreiche Zeugnisse brasilianischer Bischöfe besagen, daß die allen seinen Begründungsversuchen (am bekanntesten wurde Theologie der Befreiung in ihrer Diözese kaum eine Rolle spielt. Auch das sogenannte Biogenetische Grundgesetz) auf Zirkelschlüs- die kirchlichen Basisgemeinden erfüllen in vielen Diözesen die ihnen sen und Tautologien beruht (Kahle, Illies). ursprünglich gesetzten Ziele: eine Vertiefung des religiösen Lebens • Es wird einfach vorausgesetzt, daß die Komplexität und des Gemeinschaftslebens. Trotzdem darf die Gefahr der Popula- „nach dem Muster des Shakespeare druckenden Computers risierung der Theologie der Befreiung, das heißt der Mißbrauch von entsteht. Eine Gottheit aber kann nicht durch kumulative Se- Kirche und Staat bei der Umsetzung in konkrete politische Aktionen, lektion entstehen, und doch stellt sie zweifellos das Komple- nicht zu gering eingeschätzt werden. xeste dar, was denkbar ist. Also gibt es keinen Gott. Folglich An die Herren Bischöfe wurden die komplexen Lebewesen nicht erschaffen, sondern Regionalgruppe Mittelwesten — CNBB entstanden ausschließlich durch kumulative Selektion — womit Dawkins glücklich wieder am Anfang seines sonderba- Gelobt sei Jesus Christus! ren Denkens angelangt ist. Geradezu das Schulbeispiel eines Als Mitglied der Regionalgruppe Mittelwesten der Brasi- Zirkelschlusses, dessen Aussage bereits durch die Prämisse lianischen Bischofskonferenz fühle ich mich berechtigt und vorweggenommen wurde. Dies also ist das erkenntnistheore- verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, was mich seit langem tisch-philosophische Niveau, auf dem hier — angeblich — bedrückt. „neu" für den Darwinismus plädiert wird. Richard Dawkins Wir Bischöfe haben als Hauptaufgabe, allen — ohne Unter- erwies dem Wissenschaftsglauben mit seinem phantasierei- schied — das Evangelium von Jesus Christus zu verkünden und chen, aber inhaltarmen Machwerk einen wahren Bären- so sein Gebot „Geht und predigt allen Menschen" (Mk 16, 15) dienst — wobei nun allerdings das Beschämendste ist, daß er zu erfüllen. Denn durch das Wort wird der Glaube im Herzen das selbst nicht durchschaut hat! geweckt und mit dem Glauben entwickelt sich die Kirche. Die Adresse des Autors: Prof Dr. Wolfgang Kuhn, Gehnbachstr. 146, 6670 St. Ingbert/ Deshalb sind wir vor allem anderen Verkünder Christi. Bei Saar. jeder Gelegenheit müssen wir daran erinnern, daß wir in

— 101 — — 102 — erster Linie authentische Prediger des Wortes Gottes sind, der sehr groß. Nur die Lehre Jesu Christi enthält jene Wahrheit, „immerwährenden Wahrheit des Evangeliums, die auf die die fähig ist, den Menschen Gerechtigkeit und Frieden zu konkreten Umstände des Lebens angewendet wird", und das bringen. besonders bei „der Feier der heiligen Messe" und beim soge- Leider arbeiten viele Pastoralhelfer unserer Kirchen daran, nannten Wortgottesdienst, „durch den wir den Tod und die die Geister zu verwirren und sie zu beunruhigen, indem sie Auferstehung unseres Herrn verkünden". sich von dem Ziel ihrer evangelischen Mission entfernen. • Während unser Volk sich im Dunkel der religiösen Igno- Wir müssen viel Vorsicht walten lassen, um die Lehre Jesu ranz herumschlägt, fehlt die ernsthafte Verkündigung des Christi nicht der Mode unserer Zeit anzupassen und dann in Wortes, fehlt eine systematische und orthodoxe Katechese. einem Bereich zu enden, der nicht der unsere ist. Es besteht Wieviele Jugendliche, selbst engagiert genannte, sind durch die große Gefahr der Demagogie, während das, was wir predi- die Sünde gestorben! Wieviele Jugendliche haben lebendige gen müssen, in Wirklichkeit nicht Opposition zwischen den Augen, aber eine tote Seele! Wieviele Männer und Frauen Klassen, sondern Liebe, Verständnis und Einheit ist. Wir dür- gibt es in unseren Diözesen, deren Körper leben, deren Seelen fen nicht vergessen, daß es „immer unsere Pflicht ist, nicht aber tot sind! Und welche Bedeutung wird all dem zugemes- unsere eigene Weisheit zu lehren, sondern das Wort Gottes." sen? All das könnte vermieden werden, wenn das Gebot Got- • Ich empfinde große Beklemmung, wenn ich den Weg tes befolgt würde: „Predigt das Evangelium allen Menschen" der Kirche im Mittelwesten unseres Landes betrachte. Es ist (Mk 16, 15). Was man auf Grund dieses Gebots predigen muß, unsere Pflicht, nicht nur Entäußerung, Liebe und Hingabe zu ist dieses Evangelium, die frohe Botschaft von der Erlösung zeigen, sondern auch die sogenannte Theologie der Befreiung und nicht Haß und Gewalt. gründlich und kritisch zu studieren. Wir haben die überaus Wir sind es satt zu hören, daß überall großes Elend ernste Pflicht, diese Thematik aufmerksam zu begleiten, denn herrscht. Die Anhänger der Theologie der Befreiung sind die Folgen können verhängnisvoll sein - und sind es bereits. nicht immer aufrichtig, wenn sie von den äußeren Einflüssen Die größte Verantwortung tragen diejenigen, die schwei- sprechen, wie zum Beispiel: die Armen sterben vor Hunger, gen und sich schließlich mitreißen lassen, ohne zu wissen, was sie haben kein Land und kein Dach über dem Kopf. Wir müs- richtig oder falsch ist. Deshalb habe ich mich entschlossen zu sen sehr vorsichtig sein, um uns selbst nicht mit Problemen, reden. Schweigen wir Hirten, wenn wir den Wolf sehen, tra- kleinlichen Streitigkeiten und Disputen in Verlegenheit zu gen wir die Schuld für den Angriff auf die Herde. bringen. Unglücklicherweise kennen unsere Pastoralhelfer die Nehmen wir das Beispiel des Herrn. Es geschah, daß Jesus, Sozialdoktrin der Kirche nicht, und es ist unsere Verpflich- umgeben von einer großen Menschenmenge, das Volk lehrte. tung sie bekannt zu machen. In einer Redepause legte einer der Zuhörer ihm sein Problem Der Papst hat als Antwort auf die Theologie der Befreiung vor: „Herr, sage meinem Bruder, daß er das Erbe mit mir tei- entschieden auf die Sozialdoktrin der Kirche hingewiesen. Sie len soll". Welch gute Gelegenheit wäre das für den Herrn spricht von Reform, während die Theologie der Befreiung die gewesen, eine Lektion darüber zu erteilen, wie man ein Erbe Veränderung der Struktur anstrebt. aufteilt und durch eine gerechte Aufteilung der Güter Frieden Ich mache auf die große Gefahr aufmerksam, daß uns noch zwischen den Brüdern schafft! Ein Wort hätte genügt und das weit Schlimmeres bevorsteht, als wir es bereits registrieren. Problem wäre gelöst gewesen. Aber die Antwort fiel ganz Nicaragua zum Beispiel macht uns nachdenklich, und der anders aus: „Mann, wer hat mich zum Richter oder Schlichter Papst ist wegen dieser beängstigenden Probleme äußerst zwischen Euch eingesetzt?" besorgt, drängt uns in Richtung der Reform. Der Papst hat die • Natürlich ist eine „Strukturreform" dringend nötig, wer Wahrheit nachdrücklich und klar gesagt. Und deshalb wird er sähe das nicht? Die Strukturveränderung dagegen ist Revo- nicht überall anerkannt. Unglücklicherweise wird auch in lution, und Gewalt entspricht dem Evangelium nicht. Brasilien und - warum soll ich es nicht sagen - in der Regio- Ich bin bedrückt: heute gibt es keine Sünde des einzelnen nalgruppe Mittelwesten die Orientierung des Papstes nicht mehr. Die soziale Sünde ist der Kapitalismus; und die Ver- von allen akzeptiert. Wir können die Hände nicht in den gebung besteht im Sozialismus, der ein Projekt der Struktur- Schoß legen und zulassen, daß Abwege unsere Einheit bedro- veränderungen darstellt. Er will Strukturen beseitigen, um hen. eine „gerechte und brüderliche" Gesellschaft zu schaffen. Wo • Wir müssen immer vor Augen haben, daß das, was wir gibt es Gerechtigkeit und Brüderlichkeit ohne das Evange- anstreben - oder zumindest verwirklichen sollten - das geist- lium, ohne Liebe, ohne gegenseitigen Respekt? liche Wohl unseres Volkes ist, dieses Volkes, das sich in seiner Die Theologie der Befreiung kritisiert nur und zerstört. Es Erbauung im Glauben und in der Lehre so verlassen fühlt. ist leicht zu schreien, der Kapitalismus sei die Sünde der Rei- Niemals darf unser eigener Erfolg oder nur eine soziale Pro- chen und Unterdrücker, aber damit wird nichts gelöst. Nur jektion Ziel unseres Bemühens sein. Der heilige Paulus sagt kritisieren - das ist sehr einfach; aufzubauen, das ist schwer. ganz klar: „... so reden wir, nicht nur den Menschen zu gefal- Es hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun, nur anzuklagen, ohne len, sondern Gott, der unsere Herzen prüft" (1 Thess 2, 4). konkrete Lösungen für die Probleme vorzuschlagen. Und bis Ich mache mir Sorgen, weil ich erkenne, daß die Befrei- heute habe ich noch keinerlei Resultat der Proteste und der ungstheologie eine Verpflichtung auferlegt, eine politische lächerlichen Umzüge auf öffentlichen Plätzen gesehen. Vor- Option für die Armen als Klasse, nicht aber für die Armen als sicht! Es könnte sein, daß wir das Spiel derer treiben, die hin- solche. Die Armen werden nur gebraucht und ausgebeutet. ter den Kulissen bleiben. Sie benutzen die Kirche, weil sie Unser Volk ist müde des Geredes von politischen, wirt- eine Kraft der öffentlichen Meinung darstellt. Nur aus diesem schaftlichen und sozialen Problemen. Ich habe nicht die Grund haben sie Interesse an der Kirche. geringsten Zweifel, daß die Abwanderung aus unseren Kir- Ein schwerwiegendes Problem belastet mein Gewissen: chen zu den Sekten, deren Anzahl in unserem Land erschrek- überlassen wir die Herden Jesu Christi nicht gefräßigen und kend wächst, durch den Radikalismus in Predigten verursacht gierigen Wölfen? Seien wir doch nicht naiv! wird, die das Wort Gottes als Instrument für Ideologien und • Befreiung - eine gute, eine hervorragende Sache! Ein ausschließende Vorzugsoptionen mißbrauchen. biblisches Wort; aber die Theologie der Befreiung, wie sie Ein Unglücklicher wäre ich, wenn ich das Evangelium hier gepredigt wird, schlägt die Befreiung vom kapitalisti- nicht verkündigte. Die religiöse Ignoranz unseres Volkes ist schen System vor. Sie ist ganz klar eine „Befreiungstheologie - 103 - - 104 - vom Kapitalismus", bei der die Befreiung und nicht die Theo- Das Unkatholische in Luthers Magnificat- logie wichtig ist. Was für sie interessant und wichtig ist heißt Auslegung (Clemen II, Berlin 1929) Strukturveränderung. Es gibt aber nur zwei Strukturen, zwei wirtschaftliche Systeme: den Kapitalismus und den Sozialis- 1. Das Schriftverständnis erfolgt ohne Vermittlung durch mus. Die Struktur verändern heißt also, vom einen zum ande- die Kirche direkt vom Heiligen Geist (S. 135). ren System wechseln. 2. Es wird behauptet, daß Gott nur im Gegensatz zu wirken Die Theologie der Befreiung zeigt auf, daß man sich von vermag (S. 138). einem Unterdrückersystem zum anderen „befreien" muß. 3. Der Glaube schließt Sehen, Fühlen, Begreifen aus (S. Keiner ignoriert und kann auch nicht ignorieren, daß es 140). viel Ungerechtigkeit zwischen Reichen und Armen gibt, und 4. Die Heiligkeit besteht nur im Glauben, nicht in den Taten wir können uns als Christen nicht damit abfinden, uns darin (S. 140). einzurichten. Es gibt jedoch organisierte Gruppen, die diese 5. Es wird behauptet, daß nur dieser Glaube (ohne Taten) Situation ausnutzen und die - um Unterstützung zu bekom- mit Christus einige (5. 141). men - anstreben, daß das Volk sich voll und ganz in die Theo- 6. Es wird gesagt, daß es keine Sühnetat des einen für den logie der Befreiung stürzt. Wir müssen sehr vorsichtig sein, anderen gebe (S. 153). um nicht in die Pläne anderer einbezogen zu werden, ohne die 7. Gnade und Gabe werden getrennt (S. 158). schweren Konsequenzen, die später auf uns zukommen, abzu- 8. Maria wirkt nicht mit, sie ist nur Werkstatt, in der Gott wägen. wirkt (5. 161). 9. Der Papst wird gleichgesetzt mit dem Untier Behemot (So Das Wort der Erlösung muß allen zugänglich gemacht wer- wie in dieses kein Wasser, so kann in jenen Gottes Geist den, denn Gott „will, daß alle Menschen gerettet werden und nicht eindringen) (S. 166). zur Erkenntnis der Wahrheit kommen" (Tim 2, 4). 10. Im Erlösungswerk wirkt Gott ohne Mitwirkung der Krea- Möge man darüber lachen - aber das ist die Lehre der Hei- tur. Wo die Kreatur aber mitwirkt, da sind nicht die rech- ligen Kirche, zu der wir „unnütze Diener" gehören und der ten Werke Gottes (S. 173). Dr. Meinolf Habitzky wir Treue geschworen haben. Unsere Haltung muß also von Demut und Liebe geprägt sein. Vor allem müssen wir aufmerksam hinhören, was Gott wegen seines Inhaltes, denn den solte jeder kennen und uns offenbaren will. Unsere Verantwortung als Hirten ist in beherzigen, sondern deshalb, da er zeigt, daß sich der Leser dieser schwierigen Stunde sehr groß. der Offerten-Zeitung an der einzigen wahren und richtigen Um das Licht des Heiligen Geistes und den Schutz der Linie orientieren soll: nämlich der Richtung Roms. Dieser Jungfrau Maria bittend, verbleibe ich brüderlich Artikel gibt uns Mut, nicht verschämt sondern un-verschämt katholisch zu sein. Wenn viele Leser solch einen Artikel lesen, Dom lose Silva Chaves dann mag ihnen gesagt sein, Knie- und Mundkommunion wurden von Rom nie abgeschafft, sondern haben Bestand für Aus Zuschriften an den Herausgeber immer. Die Steh- und Handkommunion hingegen ist das Werk mancher Progressiven, die für Deutschland eine Son- In diesen Tagen bekam ich die letzte Ausgabe Ihrer „Offer- dergenehmigung erwirkten. Wir brauchen uns also nicht zu ten-Zeitung" in die Hände. Ich bin begeistert von den klaren schämen und zu verstecken, wenn wir die Knie- und Mund- katholischen Artikeln in „Theologisches", und kann Ihnen kommunion propagieren und für sie eintreten; denn wir tun zur Verbreitung einer solch guten und in diesen Tagen so etwas, das uns vom moralischen, theologischen und kirchen- wertvollen Schrift nur gratulieren. rechtlichen Standpunkt erlaubt ist und voll und ganz mit dem, Aus diesem Grunde bestelle ich hiermit die „Offerten-Zei- was Rom will, übereinstimmt. Ich möchte Ihnen nochmals tung" ab Januar des Jahres 1988. Inzwischen fand ich bestä- danken und sage Ihnen Vergelt's Gott. Dieser Artikel kann tigt: es handelt sich hier um eins der mehr als seltenen Werke nur das Vertrauen der Leser zur Offerten-Zeitung verstärken. des Schriftenapostolates, das noch traditionelle katholische Ihr Rudolf Dobschanetzki, Köln Werte hochhält, und das sich nicht dem modernistisch-libera- listischen Zeitgeist angepaßt hat. Diesen Eindruck fand ich Keuschheit höherwertig als Leben! bekräftigt in der 1. Ausgabe des neuen Jahres, zugleich der Daß der Papst im letzten Jahr drei Reinheitsmartyrinnen - 1. meines Abonnements. Welch' Folgen die liberale Theolo- Karolina Kozka, Pierina Morosini und - gie unserer Zeit hat, erlebt man täglich: Protestantisierung, seligsprach und damit ins volle Licht kirchlicher Verkündi- Synkretismus, Abfall usw. Auch in der Gemeinde, in der gung rückte, paßt manchem Zeitgenossen nicht. Klasse (Oberprima) und hier besonders im Religionsunter- So geht gerade eine Meldung durch die Presse, daß Frau richt erlebe ich allzu oft die Ergebnisse der diabolischen Ursula Männle, Sprecherin der Frauengruppe in der CDU/ Zerstörungstendenzen. - Wie gut, daß es Leute gibt, die wie CSU-Bundestagsfraktion und Vizepräsidentin der Internatio- Sie, Hochwürden, dagegen angehen. Dafür meinen tiefen nalen kath. Frauengemeinschaft, kritisiert: Bei solchen Selig- Dank und meine Anerkennung. sprechungen werde eine Hierarchie der Werte postuliert, Möge unser Herr Ihnen allezeit beistehen und Ihnen den wonach Keuschheit höherwertig sei als Leben. rechten Glauben erhalten. • Genau um die rechte Werthierarchie geht es. Bei der Das wünscht Ihnen von Herzen Ihr im Streben um die Seligsprechung von Karolina Kozka bezog sich der Papt auf Erhaltung der hl. Kirche und der unverfälschten Lehre ver- das Wort, GOTT habe das Schwache in der Welt erwählt, um bundener Christian Patrick Brockhaus, Remscheid das Starke zuschanden zu machen, um die Weisen zu beschä- men (vgl. 1 Kor 1, 27). „Sind die Heiligen dazu da, um zu Hochwürdiger Msgr. Bökmann! beschämen? Ja. Sie können auch dafür da sein. Manchmal ist Ich möchte Ihnen ein herzliches Vergelt's Gott sagen, da eine solche erlösende Scham nötig, um den Menschen in der Sie in der Dezember-Nummer von „Theologisches" auf ganzen Wahrheit zu sehen. Sie ist nötig, um die richtige Rang- Spalte 67-68 die Eucharistische Bewegung „Sanctus" zu Wort ordnung der Werte zu entdecken - oder: wiederzuentdecken. kommen ließen. Der Artikel ist höchst interessant, nicht Sie ist für uns alle nötig, für die Alten und die Jungen ... - 105 - - 106 - Sie spricht von der großen Würde der Frau: von der Würde Die zu Allerseelen gewählte Predigt-Thematik ist m. E. eine der menschlichen Person, von der Würde des Leibes, der totale Sinnentleerung des Allerseelentages. zwar in dieser Welt dem Tode unterworfen, zerstörbar ist, wie Die Lehre vom Feefeuer wird völlig verschwiegen. Was ist das für auch Karolina Kozkas junger Leib von seiten des Mörders eine „Theologie"? dem Tode erlag, aber dieser menschliche Leib trägt in sich das Meinungsumfragen sagen uns vom geschwundenen Glau- Vermächtnis der Unsterblichkeit, die der Mensch im ewigen ben an das ewige Leben. und lebendigen GOTT durch CHRISTUS erreichen kann." Wer aber für die Armen Seelen betet, z. B. am Allerseelen- Soweit der Papst. tag, beim Friedhofsbesuch das Jahr über, beim täglichen Die Christen haben immer gewußt und in ihren hervorra- Tischgebet, zum Engel des Herrn, wer einen Ablaß für die genden Persönlichkeiten, den Heiligen, auch immer bis in die Armen Seelen gewinnen will, für den ist der Glaube an das letzte Konsequenz bezeugt, daß das menschliche Leben ein Ewige Leben selbstverständliche Voraussetzung. überaus hoher Wert ist, daß aber die Treue zum Glauben und Noch ein Weiteres: Wer für die Armen Seelen betet, glaubt die Erfüllung der Gebote GOTTES, d. h. also die Liebe zu daran, daß unser Leben von Gott gewertet wird. Er ist sich GOTT, einen noch höheren Rang hat (vgl. Mt 16, 25). bewußt, der Mensch ist kein seelenloses Geschöpf, das „auto- • Wenn die Kirche Martyrinnen der Reinheit seligspricht, matisch in den Himmel kommt", sondern in Verantwortung dann stellt sie das anzustrebende Ideal der Keuschheit heraus vor Gott sein Leben lebt. Der weiß auch, daß es Sünde gibt. und erhöht jene, die lieber ihr leibliches Leben gaben, als in Das Sündenbewußtsein ist geschwunden. Die leerer eine schwere Sünde einzuwilligen. Sie schließt aber da auch gewordenen Beichtstühle, auch zu Allerheiligen und Aller- die Frauen und Mädchen ein, die trotz Widerstandes ver- seelen, sprechen hier eine stumme Sprache. gewaltigt wurden und am Leben blieben. So äußerte sich ein Und bestehen nicht innere Zusammenhänge zwischen Bischof im Hinblick auf die letzten Tage des 2. Weltkrieges, dem geschwundenen Glauben an das ewige Leben und dem als z. B. in Schlesien das Grauen der Vergewaltigungen an der geschwundenen Sündenbewußtsein? Verursacht wodurch? Tagesordnung war: „Wir wissen nicht, wie viele schlesische Durch eine sonderbare „Theologie"? - Solche Fragen stellen und ostdeutsche Frauen ihr Leben wie lieber sich unwillkürlich. dahingegeben haben, als daß sie ihre Reinheit freiwillig preis- Pfr. A. Friedrich, Wesseling gaben. Wohl aber wissen wir, daß es nicht nur einzelne waren, sondern ganze Scharen solcher Martyrinnen, denn zu ihnen Mir hat vor Jahren ein befreundeter Priester die Offerten- gehören auch die Frauen und Mädchen, die trotz allen Wider- Zeitung empfohlen; seitdem habe ich sie abonniert. Die Arti- standes und Kampfes um ihre Reinheit ein Opfer der Gewalt kel in „Theologisches" bieten mir eine wertvolle Hilfe für den wurden, die nicht zustimmten und darum die Unversehrtheit Religionsunterricht. Für meine anderen Fächer Latein, ihrer Keuschheit bewahrten." (J. Kaps, Martyrium und Hel- Geschichte und Erdkunde ist es um vieles leichter, geeignete dentum ostdeutscher Frauen, München 1954). Literatur zu finden, doch auf religiösem Gebiet hat die Ver- Freundeskreis Maria Goretti e. V, wirrung der Geister ein erschreckendes Ausmaß angenom- Dr. med. Rita Stumpf 1. Vorsitzende men. Leider muß man bei so vielen Schülern bei den Grund- lagen anfangen, da sie oft vom Elternhaus fast nichts mit- Sehr geehrter Herr Dr. Bökmann! bringen. Die zwei Religionsstunden pro Woche können das Sehr dankbar bin ich, daß ich durch „Theologisches" Gutes kaum mehr gutmachen, was in der Kindheit versäumt worden und Wahres über meinen Glauben und Kirche erfahren darf, ist. denn die Irrtümer breiten sich immer mehr aus. Neulich hörte Weiterhin alles Gute und Gottes Segen für Ihre Arbeit ich im Bayr. Rundfunk „Frauen in der Kirche". Selbst ein Pro- wünscht Ihnen Bernhard Zacher, Offingen fessor Beinert aus Regensburg hatte nicht den Mut oder den Willen, klar zu sagen, daß es weibliche Priester in der kath. Kirche nie geben wird. Im Gegenteil! „Die Kirche Jesu Christi Zelebration zum Volke hin? wird sich wandeln müssen". In dieser Sendung und auch Ich freue mich, daß die Zelebration der hl. Messe zu Gott schon früher (z. B. Fr. Dr. Launen in einem Vortrag) wird hin in vielen Leserbriefen der Deutschen Tagespost wieder behauptet, daß es in den ersten zwei Jahrhunderten in der großes Interesse gefunden hat. Gewiß, jede hl. Messe wird Kirche Priesterinnen und sogar eine Bischöfin gegeben hat. Gott dargebracht, aber durch die Zelebration „zu Gott hin" Vielleicht ist es möglich, daß in „Theologisches" darüber ein- wird ein deutliches Zeichen gesetzt, daß das Erlösungsopfer mal eine richtige Antwort gegeben wird. Weihbischof Gutting Christi Gott dem Vater zugewandt und dargebracht wird. aus Speyer setzt sich nach einem Bericht vom Mainzer Damit wird der Opfercharakter der hl. Messe unterstrichen. Frauentag (im Kirchenblatt „Der Sonntag" steht es im Artikel Auch wir opfern uns durch Christus und in Christus und mit „Frauen an die Macht") sehr für die Diakonin ein. Kard. Höff- Christus dem Vater. Bei der Zelebration zum Volke hin will ner hatte die römische Erlaubnis für Meßdienerinnen in Aus- man unsere christozentrische Haltung betonen, daß Christus sicht gestellt? Wird der Hl. Vater vielleicht umgestimmt? unsere Mitte ist. Auch will man, um Christus geschart, die Vielleicht findet sich ein Mitarbeiter, der von der anderen Gemeindebildung fördern. Dazu wird auch jeder einzelne Gläu- Seite „Frauen an die Macht" schreibt. Ich wäre darüber sehr bige mehr angesprochen, daß er sich einbringt und als Christ froh. sich verwirklicht. Mit dankbaren Grüßen! Hildegard Jahn, Frankfurt/M. 1) Aber all diese Aspekte werden dem Charakter der hl. Messe als Gegenwärtigsetzung des Erlösungsopfers Christi Confr. Dechant Alexander Friedrich, Wesseling, hat uns folgen- nicht gerecht. den Brief zur Verfügung gestellt, den wir wegen seiner allgemeinen • Erstens geht es in der hl. Messe nicht um das „Sein" Bedeutung hier bringen. Christi mitten unter uns, sondern um sein „ Tun " an uns, um Betr. Predigtvorschläge zu Allerseelen sein Heilswirken. Das „Sein" Christi unter uns sollten wir in Sehr geehrte Schriftleitung! eucharistischen Andachten vor ausgesetztem Allerheiligsten „Der Prediger und Katechet" ist mir oft hilfreich. Aber lobend, dankend, bittend und anbetend würdigen oder in stil- gestatten Sie mir doch folgende Bemerkungen: lem Gebet vor dem Tabernakel. - 107 - - 108 - • Zweitens zielt die hl. Messe nicht an erster Stelle auf • Durch den nachkonziliaren Ungeist, durch die einseitige Tischgemeinschaft, auf hl. Mahlgemeinschaft miteinander starke Betonung und Hervorhebung unserer irdischen ab, sondern zuerst auf eine heilige Communio mit Christus und Menschlichkeit, ist aber unsere eschatologische Lebensein- durch ihn mit dem Vater im Hl. Geist. Nur aus dieser Com- stellung verdrängt worden. Der Parusiegedanke ist verflüchtigt, munio mit Gott kann eine heilige Communio miteinander hat sich aufgelöst. Die Christen denken weithin nur an eine werden. heile Welt auf Erden. In der Zelebration auf Gott hin aber • Drittens ist nicht das Tun der Gläubigen, ihr „Sich-ein- wird zeichenhaft die göttliche Tugend der Hoffnung, der bringen", entscheidend, sondern das Tun Gottes durch Jesus Erwartung und der Sehnsucht des Herzens auf ewige Erfül- Christus an uns, daß er uns erlöst und heiligt. Dem Heilswir- lung in Gott ausgedrückt. Mit dem Zeichen wird sie auch akti- ken Gottes gegenüber geziemt uns eine mehr passive Hal- viert und zur Verwirklichung geführt. Wie die hl. Sakramente tung, daß wir uns erlösen und heiligen lassen. Uns geziemt das hl. Zeichen Gottes sind, von Christus eingesetzt, auch Heili- Hören des Gotteswortes, das „Sich-verwandeln"-lassen durch ges bewirken, so sind auch die Sakramentalien, wie Knie- das Erlösungsopfer Christi und das „Sich-beschenken-lassen" beuge, Händefalten und auch Hinwendung nach Osten, hl. mit dem Brot des Lebens und dem Kelch des Heiles. Unsere Zeichen unseres Glaubens, die von unserem Glauben, von Aktivität zeigt sich in der Verwirklichung unserer Passivität. unserer Hoffnung und Liebe Zeugnis ablegen, aber auch wie- („Siehe ich bin die Magd des Herrn"). der unser religiöses Leben anregen, vertiefen und fördern. Auch in der Mundkommunion geben wir davon ein deutli- • Bei der Zelebration zum Volke hin wird dieses Zeichen, cheres Zeichen als bei der Handkommunion. Bei der Zelebra- das auf die Parusie, die Wiederkunft Christi in Herrlichkeit, tion zu Gott hin wird nicht das Sein und Tun des Menschen damit auch auf unsere Vollendung in der Herrlichkeit Christi, herausgestellt, sondern Gott in seinem Heilswirken an uns. hinweist, nicht mehr gesetzt. Damit schwindet aber auch die Unsere Hinwendung auf Gott hin ist die Gott gebührende und innere Hinwendung und Ausrichtung des Herzens auf unsere die dem Menschen anstehende Haltung. Die Hinwendung Vollendung im Jenseits. Der Verlust des Zeichens der Aus- des Priesters zum Volke hin, wie auch die Hinwendung der richtung auf Gott ist nicht nur der Verlust eines 1900jährigen Gläubigen zueinander in Zentralkirchen, ist Zeichen einer Traditionsgutes, sondern auch der Verlust eines zur Hoffnung anthropozentrischen Haltung. Sie gewährt nun auch der Sünde auf Erfüllung führenden Zeichens; mehr noch: die christliche der Neuzeit, daß der Mensch als Einzelner oder als Gemein- Hoffnung selbst findet nicht mehr ihren Ausdruck und ihre schaft das Maß aller Dinge ist, Einlaß in das liturgische Verwirklichung. Ist nicht in unseren Tagen der Schwund des Geschehen. Autonom fühlen sich schon viele in sittlichen religiösen Lebens eine Folge der Schwindsucht der Tugend Entscheidungen und auch bei dogmatischen Überlegungen. der Hoffnung? Nun auch im liturgischen Bereich. 3) In der Hinwendung des Priesters zu Gott bei der hl. • Bei der Zelebration zu Gott hin aber wird ein Zeichen Messe, das gilt auch für die Gläubigen, kann schließlich eine einer theozentrischen Haltung gesetzt, daß alles Heil von Gott größere Liebe zu Gott verwirklicht werden. Man wird nicht kommt. Bei der Hinwendung des Priesters zum Volk und der abgelenkt durch den Blick der Gläubigen bzw. auch des Prie- Gläubigen zueinander wird schon optisch die Hinwendung zu sters. Nach Gertrud von Le Fort hat der Priester am Altar kein Gott behindert und abgelenkt. So kann die innerste Hingabe Gesicht. Das will besagen: der Priester hat sich an erster Stelle des Herzens an Gott, dieses restlose Offensein für Gott nicht nicht selbst einzubringen, da er ganz in persona Christi spre- die höchste Entfaltung finden. Aus christlicher Glaubenshal- chen und handeln soll. Auch die Gläubigen sollen an erster tung sollen wir uns aber in der hl. Messe in die Ganzhingabe Stelle den Priester als in persona Christi handelnd sehen, nicht Christi an den Vater hineinnehmen lassen. Unsere Ganzhin- ihn nach seinen menschlichen Werten oder Unwerten sehen gabe, unser „Sich-Gott-geloben", „Sich-Gott-überantworten", und beurteilen. Dennoch muß der Priester bei der hl. Messe unser „Sich-entäußern", unser Glauben, kann in der Zelebra- mit seinem ganzen Herzen dabei sein. Das gleiche gilt auch tion zum Volke hin nicht restlos verwirklicht werden. Der für die Gläubigen. Opfergedanke kann nicht seine höchste Entfaltung und Erfül- lung finden. So brauchen wir uns nicht zu wundern, daß die hl. • Bei der Zelebration zu Gott hin können Priester und Gläu- Messe als Opfer Christi und auch als unser Opfer in Christus bige sich ungeniert vor Gott wissen und Gott ihre Herzens- nicht mehr empfunden wird. Der Glaube selbst erfährt eine liebe schenken, daß sie sich auch persönlich bei aller liturgi- merkliche Abschwächung. Ist nicht die anthropozentrische schen Strenge ganz in Gott verlieren können. Die Liebe zu Einstellung die Ursache für die Glaubensverwirrung in unse- Gott kann ihre höchste Verwirklichung finden bis hin zur süh- rer Zeit? Auch für den Glaubensschwund und den Glaubens- nenden Opferliebe in Christus zum Heil der Welt. Bei der abfall? Zelebration zum Volke hin, wie auch in Zentralkirchen, wo 2) In der Hinwendung des Priesters und auch der Gläubi- Gläubige sich gegenübersitzen, fühlen Priester und Gläubige gen zu Gott kann auch die Hoffnungauf Gott zur höchsten Ent- sich behindert in der Entfaltung und Offenbarung ihrer Her- faltung finden. Über 1900 Jahre hat die Kirche das Symbol der zensliebe zu Gott, die in einer kleinen Geste oder Miene ihren Ausrichtung nach Osten im Kirchenbau und in der Zelebra- Ausdruck finden könnte. Die religiöse Scham verbietet tionsrichtung als Zeichen der Ausrichtung auf Gott hin ver- innerste Entfaltung des Herzens, zwingt zu äußerster persönli- standen und gewürdigt: Christus, das Licht der Welt, die cher Zurückhaltung. Ist die Zelebration zum Volke hin nicht Sonne der Gerechtigkeit, wird wiederkommen in Herrlich- auch Ursache für religiöse Lauheit und leere Kirchen? Nicht keit, „wo ich bin, da soll auch mein Diener sein." Christus ist nur das Menschenherz kommt zu kurz, auch Gott, dem wir im sakramentalen Geschehen der Mittler zum Vater, ist der unsere Herzensliebe vorenthalten müssen. Weg zum Vater. „Seinen Tod verkünden wir, seine Auferste- 4) Zum Schluß noch ein Argument, das das Priestertum hung preisen wir, bis er kommt in Herrlichkeit." Mit jedem betrifft. Der Priester hat ein Hirtenamt. Bei der Zelebration zu neuen Tag bricht der Tag Christi neu für uns an. Als pilgernde Gott hin geht er auf dem Pilgerwege zu Gott der Herde vor- Kirche gehen wir dem Wiederkommenden entgegen, der uns aus. Ein Hirt, der mitten in der Herde mitgeht, wie bei der schon am frühen Morgen seine Erlöserliebe zukommen läßt, Zelebration zum Volke, verliert seine Führungskraft. Und der uns den Vorgeschmack der ewigen Glückseligkeit kosten wer der Herde nachläuft ist ein schlechter Hirte. läßt. Im Worte Gottes und im hl. Opfermahl dürfen wir das • Die Stellung des Priesters bei der Zelebration zu Gott hin Heil erfahren. wird dem Auftrag Gottes, dem besonderen Priestertum gerecht. - 109 - - 110- Fortschrittliches rischen Gelächter, das gerade Wortwitze ansonsten hervorzu- rufen pflegen. Die Komik liegt ja hier darin, daß Unvergleich- Schon als Seminarist in St. Georgen galt der Frankfurter bares aufgrund des bloßen Gleichklanges der Wörter in Dichterpfarrer Lothar Zenetti als besonders fortschrittlich Beziehung gesetzt wird und es so zu solchen Aussagen kommt und suchte die damals noch durchaus widerstrebenden Obe- wie der, daß sich Braustübel zu Brustübel verhalte wie Petten- ren für so unerhörte Dinge wie Jazz im Gottesdienst zu gewin- kofer zu Patentkoffer! nen. Seit Konzilsende will er u. a. durch Gedichte, die sich Die Beziehung fehlt auch hier gänzlich, denn auf die Frage, nicht unbedingt reimen müssen und daher als eine Art geistli- was das Geheimnis der hl. Wesensverwandlung mit der von cher Sprechgesang zu bezeichnen wären, die Herzen der Zenetti offenbar ersehnten permanenten Wandlung in der Gläubigen für die Zeit und die Welt auftun. Schlagendes Bei- Kirche zu tun hat, muß die lapidare Antwort lauten: nichts! spiel dafür ist das auf einer ganzen Seite im weithin verbreite- • Aber Peinlichkeit hin, Kalauer her: eine Aussage ten Religionslehrbuch: „Zeichen der Hoffnung" abgedruckte macht das Gedicht allerdings und sie verschafft ihm eine Brei- Poem, dessen entscheidende Strophen so lauten: tenwirkung, die Ideologie immer hat, wenn sie den Nerv des „Frag hundert Katholiken Zeitgeistes trifft. Gemeint ist doch offenbar, daß Wandlung was das wichtigste ist ein Wert in sich und folglich das Neue allemal besser als das in der Messe. Alte sei. Mit solchen unsinnigen Parolen wurden seit Konzils- Sie werden antworten: ende zahllose Schlachten gegen die angeblich intransingen- Die Wandlung. ten Konservativen geschlagen: unsinnige Bataillen fürwahr, Sag hundert Katholiken denn ob das Neue besser als das Alte ist, hängt selbstverständ- daß das wichtigste in lich vom jeweiligen Einzelfall ab! der Kirche die Wandlung ist. Der sinnleeren Stimmungsmache schließen sich natürlich Sie werden empört sein: auch die Verfasser des Religionslehrbuches mit der Sugge- Nein, alles soll bleiben stivfrage an: „Was für eine Rolle spielt für die im Gedicht kari- wie es ist!" kierten Katholiken - die Eucharistie - die Religion?" • Man weiß nicht, ob man über den Kalauer lachen oder Das Gedicht reizt den Chronisten zur kongenialen Imita- weinen soll. Letzteres wäre angesichts der Peinlichkeit des tion: Sein Autor ist Pfarrer an St. Wendel. Und Wendel reimt Vergleiches wohl angebrachter: im Gegensatz zu dem home- sich auf Wandel! Walter Hoeres

Im Auftrage Christi spricht er zur Herde, zur Gemeinde der Sehr verehrter, lieber Herr Professor Dr. Bökmann, Gläubigen, verkündet die Frohbotschaft, gibt religiöse und Ihnen und allen Mitarbeitern von THEOLOGISCHES sittliche Anweisungen; in persona Christi feiert er das hl. meine besten Wünsche zu einem gesegneten Neuen Jahr und Opfer, bringt mit den Gaben sich und seine Gemeinde zum meinen herzlichen Dank für all die so überaus wertvollen Opfer dar in der Opferhingabe Christi und spendet im Auf- Artikel Ihrer Zeitschrift. Auf manche klärende Ausführungen trag Christi allen das Brot des Lebens. Für die Gemeinde von hatte ich sehnlichst gewartet; die Sorgen von P. Otto Maier Gott bestellt in ihren Anliegen bei Gott, trägt der Zelebrant dürften den Kennern der Honoriusfrage und der Haltung des auch in den drei Kirchengebeten die Anliegen aller vor Gott. großen Sixtus V. betreffs der Vulgata nur ein sanftes Lächeln • Die Zelebration zum Volke hin führt zur Nivellierung des entlocken. Bei aller Ehrfurcht vor dem Papst wollen wir doch besonderen Priestertums mit dem allgemeinen Priestertum, nicht vergessen, daß nur die Wahrheit frei macht und nur sie schließlich zur protestantischen Aufhebung des besonderen echte Liebe, Ehrfurcht und Sorge ermöglicht. Priestertums. Kranken wir nicht an dieser inneren Zerset- Es freut mich, daß u. a. die Bücher Boffs im allgemeinen zung? ignoriert werden, denn jede Kritik erübrigt sich, wenn man Wir, die Kirche, müssen uns ernstlich fragen, ob wir nicht liest, Maria sei hypostatisch mit dem Hl. Geist verbunden und dringendst umdenken und umkehren müssen von einem anthro- anderen Unsinn mehr (Das mütterliche Antlitz Gottes, Pat- pozentrischen Denken zu einer theozentrischen Lebenseinstel- mos-Verlag, S. 106). lung, damit Gott die Ehre gegeben wird, die ihm gebührt in Vielleicht dürfte es sich jedoch lohnen, bei Gelegenheit das einer totalen Hingabe an Gott, und daß wir Menschen zu Buch: Die Muttergottes an die Priester, ihre vielgeliebten unserer Entfaltung und Verwirklichung kommen durch Gott Söhne, einer sachlichen Kritik zu unterziehen. Ich gehöre der in einem großen Glauben, einer starken Hoffnung und einer Marianischen Priesterbewegung an und leite selbst eine herzlichen Liebe. Gruppe von Gläubigen, die besonders für die Heiligung der Pfr. i. R. A. Johnen, Troisdorf-Sieglar Priester betet und opfert. Echte Marienverehrung und Sorge für die Priester setzt nicht unbedingt die Überzeugung von der übernatürlichen Herkunft der Betrachtungen im „blauen Kölner Priesterkreis Buch" voraus ... Montag, 22. Februar, 15.45 Uhr spricht — nach dem Für mich war in all den Jahren seit der ersten Nummer Gebet der Vesper — Pfarrer Lic. theol. (v) Gerd Hage- Theologisches „die" Bibliothek, die mir bei meiner vielen dorn über: Arbeit verschollene und begehrte Bücher von großem Wert Spiritualität und Fastenpraxis in den Ostkirchen ersetzte; ich hoffe, daß es auch in Zukunft so bleiben wird. Die Ort: Köln, Generalvikariat, Marzellenstr. 32, großer Ernte des zur Neige gehenden Jahres ist überaus kostbar. Saal (oberster Stock). So grüße ich Sie und Ihre Mitarbeiter in herzlicher Dank- Interessierte Priester, Diakone, Laien sind willkommen. barkeit, Ihr P. Columbano Gilbert, Sao Paulo, Brasilien

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