Ludwig Windthorst Bismarcks groSSer Gegenspieler

Das Deutsche Kaiserreich ab 1871 verstehen Materialien für den Schulunterricht ab Jahrgang 9 Ludwig Windthorst - Bismarcks großer Gegenspieler

Material für den Schulunterricht ab Jahrgang 9 Erstellt unter Mitarbeit von Referendarinnen und Referendaren des Fachseminars Geschichte am Studienseminar : Kambiz Djalali Lars Hollenberg Jan Kampen Carsten Linden Miriam Machura Natascha Rügge Nadja Wagner Ingo Zitzner

Die vollständigen Unterlagen stehen auch im Internet zum kosten- losen Download bereit unter www.ludwig-windthorst-stiftung.de.

Impressum

Herausgeber: Ludwig-Windthorst-Stiftung, Lingen Redaktion: Daniela Brüsse-Haustein, Dr. Georg Wilhelm Realisation: Rainer Middelberg (Leitung) Katrin Kolkmeyer (Grafik) Dom Medien, Osnabrück Druckerei: Steinbacher Druck GmbH, Osnabrück Inhaltsverzeichnis

Vorworte

Dr. Hermann Kues: Windthorst neu entdecken...... 4 Hermann Wilmes, Daniela Brüsse-Haustein: Vorbild für Schülerinnen und Schüler heute. . . . . 5

Einführung

Ludwig Windthorst – Für Toleranz, Rechtsstaatlichkeit und Sozialpolitik ...... 6

Unterrichtsentwürfe

Kapitel A: Streiter für religiöse Toleranz und Ökumene … …………………………… 9

Einstiegsstunde: ludwig Windthorst: Wer ist das? ………………………………………………… 10 2. Stunde: Die Gründe für den ………………………………………………… 17 3. Stunde: Bismarcks Angriff auf das Zentrum ……………………………………………… 21 4. Stunde: Die Reaktion des Zentrums… …………………………………………………… 23 5. Stunde: Das Ende des Kulturkampfes?… ………………………………………………… 27

Kapitel B: Vorkämpfer für Rechtsstaatlichkeit………………………………………… 29

1. Stunde: antisemitismus im Deutschen Kaiserreich ……………………………………… 30 2. Stunde: Windthorsts Position in der Antisemitismus-Debatte… ……………………… 32 3. Stunde: Windthorst als Streiter gegen das „Sozialistengesetz“… ……………………… 34 4. Stunde: Bismarck und Windthorst – ein gespanntes Verhältnis………………………… 37

Kapitel C: Widersacher staatlicher Wohlfahrt… …………………………………………39

1. Stunde: Die Soziale Frage im 19. Jahrhundert… ………………………………………… 40 2. Stunde: Individuelle Vorsorge oder staatlich garantierte Sicherheit?… ……………… 43 3. Stunde: Die Lösung der Sozialen Frage…………………………………………………… 46 Abschlussstunde: vorschläge für handlungs- und produktionsorientiertes Arbeiten …………… 48

Die Ludwig-Windthorst-Stiftung… …………………………………………………… 50

Literaturverzeichnis… …………………………………………………………………… 51 VorWort Windthorst neu Entdecken

Die Ludwig-Windthorst-Stiftung hat sich zum Die Unterrichtsentwürfe sind aus einer Un- Ziel gesetzt, die Verdienste des Politikers Lud- terrichtsreihe von Geschichtsreferendaren des wig Windthorst (1812 – 1891) um die Gestaltung Studienseminars Meppen entstanden. Dafür der gesellschaftlichen und politischen Ordnung möchten wir uns ganz herzlich bei dem Leiter lebendig zu halten und seine christlich-sozialen des Studienseminars, OStD Hermann Wilmes, Vorstellungen für die heutige Zeit fruchtbar zu sowie bei den beteiligten Referendarinnen und machen. Referendaren bedanken, die mit großem Enga- Ludwig Windthorst war einer der bedeutends- gement die Unterrichtseinheiten konzipiert ha- ten und seinerzeit bekanntesten Parlamentarier ben. Besonderer Dank gilt der Fachleiterin, StD´ des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Nach der Daniela Brüsse-Haustein, für die Begleitung der Dr. Hermann Kues, Reichsgründung wurde er im Reichstag und im Unterrichtsreihe und die intensive Zusammen- Parlamentarischer Preußischen Abgeordnetenhaus als grundsatz- arbeit bei der Redaktion der Texte. Die fach- Staatssekretär und Vorsitzender der fester Vertreter allgemeiner Menschen- und Frei- wissenschaftlichen Hintergrundinformationen Ludwig-Windthorst- heitsrechte, als Vorkämpfer des liberalen Verfas- stammen von Dr. Udo Baron und Dr. Georg Wil- Stiftung e.V. sungsstaates und Wegbereiter einer christlich helm. Von Seiten der Stiftung haben Alexander geprägten Demokratie sowohl geachtet als auch Herbermann, Martha Ortmann und Dr. Georg angefeindet. Wilhelm das Vorhaben engagiert betreut. Die vorliegenden Unterrichtsmaterialien brin- Die Unterrichtseinheiten sind dem am 19. gen diesen bedeutenden Politiker in die Schu- März 2011 verstorbenen Gründer der Stiftung, le. Sie verknüpfen seine Biographie und sein Dr. Werner Remmers, gewidmet. Die Person politisches Wirken mit wichtigen politischen Windthorsts wieder verstärkt in die Öffentlich- Spannungslinien im Deutschland des 19. Jahr- keit zu bringen und seine Bedeutung für die Po- hunderts – dem Verhältnis von Staat und Kir- litik in unserer Gegenwart, für unsere Demokra- che, der Ausbildung des Parteiensystems und tie herauszuarbeiten, auch und gerade für die des Parlamentarismus, dem aufziehenden An- Schule, war ein Grundanliegen des ehemaligen tisemitismus und der sozialen Frage. Deshalb niedersächsischen Kultusministers. eröffnen sie die spannende Perspektive für die Windthorst wiederzuentdecken ist ein span- Unterrichtspraxis, die deutsche Geschichte des nendes und lohnendes Unterfangen. Wir wün- 19. Jahrhunderts aus der Sicht eines katholi- schen, dass diese Unterrichtsmaterialien dazu schen Minderheitenpolitikers zu betrachten beitragen, die Motivation junger Menschen für und damit politische Alternativen gerade zur gesellschaftliches und politisches Engagement bisweilen repressiven Innenpolitik Bismarcks im Sinne Windthorsts auch in unserer Zeit zu zu verdeutlichen. stärken.

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär

4 Vorwort Vorbild für Schülerinnen und Schüler Heute

„Ludwig Windthorst – wer ist das?“ Diese Fra- Regionalgeschichte Unterrichtsmaterialien zu ge wird heute nicht nur von Schülerinnen und Ludwig Windthorst. Sie werden nunmehr inter- Schülern, sondern zunehmend auch von Lehr- essierten Lehrkräften zur Verfügung gestellt. kräften gestellt. Sein Wirken gerät immer mehr Die vorliegende Dokumentation enthält neben in Vergessenheit. So taucht Ludwig Windthorst knappen fachwissenschaftlichen Hintergrund- in vielen Lehrplänen oder Unterrichtswerken informationen Unterrichtseinheiten zu Ludwig nicht mehr auf. Dabei lohnt sich die Beschäfti- Windthorst. Sie sind in die Teilthemen religiö- gung mit dem wohl wichtigsten innenpoliti- se Toleranz, Rechtsstaatlichkeit sowie Minder- schen Gegenspieler Bismarcks und einem der heitenschutz und Sozialpolitik gegliedert. Mit bedeutendsten Politiker des 19. Jahrhunderts. diesen Unterrichtsentwürfen erhalten Lehrer Denn er trat unermüdlich für die Wahrung die Möglichkeit, sich mit Windthorst auseinan- Hermann Wilmes, der Menschen- und Minderheitenrechte sowie derzusetzen und Schülerinnen und Schülern zu OStD Leiter des Studien- für Religionsfreiheit, die Gleichberechtigung vermitteln, dass er für die Gegenwart und Zu- seminars Meppen der Konfessionen und die Trennung von Staat kunft immer noch Vorbildcharakter hat. und Kirche ein. Windthorst, der von tiefer re- Vom Aufbau der Entwürfe her können sich ligiöser Überzeugung und dem Gedanken der Kolleginnen und Kollegen auch auf einzelne Rechtsstaatlichkeit und Toleranz getragen wur- Aspekte konzentrieren oder die Teilthemen de und trotz seiner Herkunft und einer Behin- untereinander verzahnen. Eine Einstiegs- und derung zu hohen politischen Ämtern aufstieg, eine Abschlussstunde bieten Anregungen, im kann Schülerinnen und Schülern als Vorbild für Unterricht binnendifferenziert vorzugehen, politisches, gesellschaftliches und kirchliches handlungs- und produktionsorientierte Verfah- Handeln dienen und Werteorientierung bieten. ren einzubinden oder gegebenenfalls bei einer Zu den Herausforderungen angehender Leh- Exkursion auf Spurensuche zu gehen. rerinnen und Lehrer gehört es, die Persönlich- Erarbeitet wurden die Unterrichtseinheiten keit des einzelnen Schülers, der einzelnen Schü- vom Fachseminar Geschichte. Allen Beteiligten lerin in angemessener Weise zu entwickeln und sei an dieser Stelle für die geleistete Arbeit herz- Daniela sie zu möglichst gut informierten, kompetenten lich Dank gesagt. Der Dank gilt auch Herrn Pro- Brüsse-Haustein, StD’ Fachleiterin für und verantwortungsbewussten Staatsbürgern fessor Hans-Georg Aschoff, Hochschuldozent Geschichte für das zu erziehen. Soziales Lernen impliziert in die- für Neuere Geschichte und Kirchengeschichte Lehramt an Gymna- sem Sinne historisch-politische Bildung. an der Universität Hannover, und dem Histori- sien Studienseminar Meppen Die Bewältigung dieser Aufgabe setzt quali- ker Herrn Dr. Udo Baron für die wissenschaft- fizierte und engagierte Lehrkräfte voraus, die liche Beratung sowie der stellvertretenden Se- bereit sind, sich lebenslang weiterzubilden und minarleiterin, Frau Studiendirektorin Irmgard dabei auch Angebote außerschulischer Institu- Pöling, für das Korrekturlesen. tionen zu nutzen. In diesem Zusammenhang Möge diese Dokumentation vielen Kollegin- konzipierte das Studienseminar Meppen für das nen und Kollegen eine Ermutigung sein, sich Lehramt an Gymnasien in Zusammenarbeit mit mit Ludwig Windthorst zu beschäftigen und die der Ludwig-Windthorst-Stiftung als Beitrag zur Erinnerung an ihn wachzuhalten!

Hermann Wilmes, OStD Daniela Brüsse-Haustein, StD’ 5 Einführung

Ludwig Windthorst für Toleranz, Rechtsstaatlichkeit und Sozialpolitik

Kulturkampf von 1871 bis 1887 mus Katholiken zu national unzuverlässigen, wirtschaftlich und sozial zurückgebliebenen Mit der Aufklärung und der Französischen Re- Menschen erklärte, sahen Katholiken im Pro- volution begann in Europa ein neues, liberales testantismus die Vorstufe des materialistischen Zeitalter. Es zielte ab auf die Überwindung der Atheismus und nationalistischen Neuheiden- alten feudalen Ordnung und damit der alther- tums.2 Zur Sicherung katholischer Interessen gebrachten Stellung der Kirche. Die Liberalen bildete sich das Zentrum, das sich als Partei der und die von ihnen unterstützten Regierungen Verfassung und des Schutzes von Minderhei- strebten in erster Linie da- tenrechten verstand. nach, den Einfluss der Kirche Reichskanzler Otto von auf die politisch-gesellschaft- Bismarck betrachtete das Kulturkampf liche Entwicklung zurückzu- Zentrum als großdeutsch- Der Ausdruck drängen. Die Aufsicht über katholische Reaktion gegen stammt aus einem die Volksschulen sollte von die kleindeutsch-preußisch- Wahlaufruf des der Kirche auf den Staat über- protestantische Lösung der Arztes und Politikers gehen, die bürgerliche Ehe- Deutschen Frage – und seine Rudolf Virchow für die Fortschrittspartei schließung säkularisiert und Anhänger als „Reichsfeinde“. („Kampf für die die Sonderrechte der Kirche Der „Kulturkampf“ begann. Kultur“). Der Begriff gegenüber ihren Mitgliedern Unter Ausschöpfung aller steht für die Aus- abgeschafft werden.1 gesetzgeberischen Mittel und einandersetzungen Der konservative Kurs mit Hilfe staatlichen Zwangs zwischen dem 1871 Papst Pius’ IX. (1846-1878) versuchte Bismarck den Ein- gegründeten Deut- schen Reich und der kam der antikatholischen fluss der Katholiken zurück- katholischen Kirche. Stimmung entgegen. Er zudrängen, um die Über- verurteilte im „Syllabus er- ordnung des Staates über rorum“ von 1864 die Errungenschaften der die Kirche durchzusetzen. Die „Kulturkampf“- Aufklärung. Die Entwicklung kulminierte im Maßnahmen gipfelten in den Maigesetzen von Unfehlbarkeitsdogma von 1870. Die protestan- 1873, die u. a. die Verbannung von Ordensleu- tisch-liberalen Kreise im Deutschen Reich fühl- ten und die Überwachung von Gottesdiensten ten sich durch diese Politik in ihren Vorurteilen („Kanzelparagraph“) ermöglichten. In der Fol- gegenüber den Katholiken bestätigt. ge kamen sechs von zwölf preußischen Bischö- Mit der kleindeutschen Lösung ohne Öster- fen in Haft und wurden für abgesetzt erklärt. reich gerieten die überwiegend großdeutsch ori- Hunderte von Geistlichen, Zentrumsredakteu- entierten Katholiken nach der Reichsgründung ren und Vereinsaktivisten wurden zu Geld- in die Minderheit. Während der Protestantis- oder Gefängnisstrafen verurteilt, Hunderte

1 Vgl. Wilfried Loth, Das Kaiserreich. Obrigkeitsstaat und politische Mobilisierung, München 1996, S. 50ff 2 Vgl. Wolfgang Altgeld, Windthorst und die konfessionellen Probleme Deutschlands, in: Landkreis Emsland und Ludwig-Windthorst-Stiftung (Hrsg.), Ludwig Windthorst 1812-1891. Christlicher Parlamentarier und Gegenspieler Bismarcks, Meppen 1991, S. 44-56 6 Einführung

Ordensniederlassungen aufgehoben. Über 1.100 was die Freunde des Kulturkampfes jahraus Pfarreien waren ohne Pfarrer, was etwa einem jahrein uns vorhalten, nämlich, dass wir ledig- Viertel aller Pfarrstellen in Preußen entsprach.3 lich nach dem Befinden der geistlichen Oberen Nach dem Tod Papst Pius IX. 1878 begann ein unserer Kirche handelten.“4 vorsichtiger Wandel. Unter weitgehender Aus- schaltung des Zentrums einigten sich der Vati- Kampf dem Antisemitismus kan und Preußen mit den Friedensgesetzen von 1886 und 1887 auf einen Kompromissfrieden. Vor dem Hintergrund massiver wirtschaftlicher, Im „Kulturkampf“ rückten die Katholiken politischer und sozialer Veränderungen mün- enger zusammen. Es gelang der Zentrumspar- dete die seit Jahrhunderten verbreitete, über- tei, ihre Mandate in den Parlamenten zu ver- wiegend religiös bestimmte Judenfeindschaft doppeln, so dass sie nach den Wahlen von 1878 nach der deutschen Reichsgründung in einen als stärkste Fraktion im Reichstag eine Schlüs- politisch-weltanschaulichen Antisemitismus. selstellung besaß. Das Zentrum als katholische Dieser betrachtete die Juden als ein die Nation Volkspartei umfasste sehr verschiedene Grup- ökonomisch, geistig und rassisch zersetzendes pen und Schichten, vom Adel über die Landbe- „Element“ und forderte, die Emanzipation der völkerung, Industrielle, Kaufleute, Handwerker Juden und ihre staatsbürgerliche Gleichstellung bis zu Fabrikarbeitern. rückgängig zu machen. Als Katholik und Hannoveraner gehörte das Zentrum und die Kirche Windthorst im doppelten Sinne zu den Min- derheiten im Deutschen Reich. Seiner Meinung Gesetz, Die Vorstellung von Parität und Gleichberechti- nach gehörte es sich für Katholiken als „gebo- betreffend die gung der Konfessionen war bei Windthorst tief rene Minorität“ nicht, diskriminierende Agita- Gleichberechtigung verwurzelt. Er hoffte, dass das Zentrum sich zu tion oder Legislation zu unterstützen. Deshalb der Konfessionen einer interkonfessionellen christlichen Partei setzte er sich wiederholt für Anliegen jüdischer in bürgerlicher und staatsbürgerlicher entwickeln würde. Sein Ziel war es, die deut- Mitbürger ein. Mit seiner konsequenten Hal- Beziehung. Vom schen Katholiken mit dem preußischen Staat zu tung erreichte er, dass der Antisemitismus in 03.07.1869. versöhnen und sie zur gleichberechtigten Mit- Gegenden mit katholischer Mehrheit nicht Fuß arbeit in Staat und Gesellschaft zu führen. Zu- fassen konnte und gleich wollte er die Unabhängigkeit und innere kein zentrales Souveränität der katholischen Kirche gegenüber Moment der Zen- Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von dem Staat sichern. Die Politik des Vatikans be- trumspolitik im Preußen etc. gleitete er mit kritischer Solidarität. Das Dogma preußischen Ab- verordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, der Unfehlbarkeit des Papstes zog er in Zwei- geordnetenhaus nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und fel, auch wenn er nach außen die päpstliche Ent oder im Reichs- des Reichstages, was folgt: scheidung mittrug. tag wurde. Das Windthorst war stets darauf bedacht, die Un- Zentrum erklär- Einziger Artikel. abhängigkeit des Zentrums in politischen An- te sich vielmehr Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des gelegenheiten auch gegenüber dem Papst zu bereit, an der religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkun gen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte bewahren. So betonte er, dass „in Fragen weltli- „vollen verfas- werden hierdurch aufgehoben. Insbesondere soll die - cher Natur die Zentrumsfraktion, wie jeder Ka- sungsmäßigen Befähigung zur Theilnahme an der Gemeinde- und tholik, völlig frei und nach ihrer Überzeugung Gleichberech- Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher urteilen und stimmen kann, und dass der hl. Va- tigung unse- Aemter vom religiösen Bekenntniß unabhängig sein. ter in diese weltlichen Dinge sich nicht mische. rer jüdischen Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Diesen Grundsatz müssen wir unter allen Um- Mitbürger“ Unterschrift und beigedrucktem Bundes-Insiegel. ständen unverbrüchlich festhalten; denn wenn festhalten zu wir ihn nicht festhielten, würde das geschehen, wollen.5 Gegeben Schloß Babelsberg, den 3. Juli 1869.

(L. S.) Wilhelm.

3 Ebd., S. 56f 4 Ludwig Windthorst, Ausgewählte Reden I, Osnabrück 1901, S. 300ff Gr. v. Bismarck-Schönhausen. 5 Vgl. Hans-Georg Aschoff, Rechtsstaatlichkeit und Emanzipation. Das politische Wirken Ludwig Windthorsts, Sögel 1988, S. 240 7 Einführung

Rechte von Minderheiten beordnung zugunsten der Arbeiter zu ändern. Windthorst betrachtete die soziale Frage primär Windthorst setzte sich auch für die Rechte ande- als Frage der Gesinnung, die durch Caritas zu rer Minderheiten ein, besonders der polnischen lösen sei. Seine sozialpolitischen Vorstellungen Minderheit in Preußen und im Reich. Es gelang konzentrierten sich auf den Arbeiterschutz.8 ihm 1885, die von Bismarck geförderte Aussied- Erst nach dem Ende des Kulturkampfes wid- lung von Mitgliedern der polnischen Minder- mete sich Windthorst stärker der sozialen Prob- heit zumindest für eine Zeit hinauszuzögern.6 lematik. Er bemühte sich, eine Volksbewegung Windthorsts Einsatz für Minderheitenschutz zu erwecken, die für die „Erfüllung der gerech- und Rechtsstaatlichkeit erstreckte sich auch auf ten Forderungen der Arbeiter, selbst wenn sie den politischen Gegner. So lehnte er das 1878 er- von der Sozialdemokratie erhoben würden“, lassene „Gesetz gegen die gemeingefährlichen kämpfen sollte.9 Diese Bemühungen mündeten Bestrebungen der Sozialdemokratie“, das so ge- 1890 in die Gründung des „Volksvereins für nannte „Sozialistengesetz“, ab. Seiner Meinung das katholische Deutschland“, dessen Statuten nach sollte man der Sozialdemokratie in der Windthorst auf seinem Krankenbett in Hanno- parlamentarischen Auseinandersetzung begeg- ver verfasst hatte.10 Als außenparlamentarische nen. Diese Standfestigkeit und sein geschicktes Organisation forderte der Volksverein sozialpo- parlamentarisches Taktieren trugen dazu bei, litische Initiativen des Zentrums und trieb die dass das Sozialistengesetz am 1. Oktober 1890 Lösung der sozialen Frage voran. wieder aufgehoben wurde.7 Sozialversicherungsgesetze die soziale Frage Über die Unverzichtbarkeit einer Sozialversi- Die Industrielle Revolution während des 19. cherungsgesetzgebung gegen Krankheit, Unfall Jahrhunderts führte zu einer Umwälzung der und die Folgen von Alter und Invalidität wa- Lebens- und Produktionsbedingungen in Euro- ren sich Bismarck, Windthorst und das Zent- pa. Massenarmut, schlechte Wohnverhältnisse, rum prinzipiell einig. Die Kritik des Zentrums niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten und soziale richtete sich gegen die Ausweitung staatlicher Unsicherheit prägten das Leben der Lohnarbei- Kompetenzen, die Bismarck intendierte, so ter. Mit der 1873 einsetzenden Wirtschaftskrise etwa durch die Einrichtung einer Reichsversi- wurde die soziale Frage zum bedeutendsten in- cherungsanstalt und den geplanten Staatszu- nenpolitischen Thema. Das Zentrum griff es zu- schuss für die Versicherung. Diese Maßnahmen erst nicht auf und versuchte bis 1890 vor allem stärkten laut Windthorst den staatlichen Zen- den Kulturkampf zu überwinden. Ein eigenes tralismus, schwächten die parlamentarische Sozialprogramm erschien kontraproduktiv. Kontrolle und blähten die Bürokratie auf.11 Im März 1877 brachte das Zentrum den ersten Auch in der Zentrumsfraktion war die Rolle größeren sozialpolitischen Antrag in den Reichs- des Staates bei der Einführung der Sozialversi- tag ein. Dieser zielte darauf ab, eine „christli- cherung umstritten. Windthorst bemühte sich, che“ Wirtschaftsordnung herzustellen und sah eine Spaltung der Partei wegen der unterschied- unter anderem ein Verbot der Kinderarbeit, die lichen Positionen zu verhindern. Dennoch vo- Regelung der Frauenarbeit sowie den Schutz tierte die Minderheit in der Fraktion für den der Sonntagsruhe vor. Das Anliegen scheiterte Versicherungszwang und den Staatszuschuss. und war der erste Versuch einer Partei, eine So- Mit den Stimmen von 13 Zentrumsabgeordne- zialreform zu schaffen. Von nun an forderte das ten erreichte das Gesetz am 24. Mai 1889 mit 185 Zentrum in jeder Parlamentssaison, die Gewer- zu 165 Stimmen die notwendige Mehrheit.12

6 Ebd., S. 247 7 Ebd., S. 248 8 Vgl. Horstwalter Heitzer, Windthorst und die soziale Frage. In: Ludwig Windthorst 1891. Christlicher Parlamentarier und Gegenspieler Bismarcks. Hrsg. vom Landkreis Emsland und der Ludwig-Windthorst-Stiftung, Meppen 1991, S. 72f 9 Zitiert nach: Josef Hamacher, Ludwig Windthorst, ein Mensch seiner Zeit, Meppen 1984, S. 79 10 Zitiert nach: Horstwalter Heitzer, Der Volksverein für das katholische Deutschland im Kaiserreich 1890-1918, Mainz 1979, S. 144 11 Vgl. Hans-Georg Aschoff, Rechtsstaatlichkeit und Emanzipation. Das politische Wirken Ludwig Windthorsts, Sögel 1988, S. 252 12 Vgl. Heitzer (Anm. 8), S. 76-78 8 Toleranz

Kapitel A Streiter für religiöse Toleranz und Ökumene

Unterrichtsentwürfe mit Quellenmaterial

Übergeordnete Lernziele

Die Schülerinnen und Schüler … • erklären, dass sich die Anhänger der Wah- • erkennen, dass Ludwig Windthorst, der sich rung der katholischen Rechte und der Unab- dem Reichskanzler und Reichsgründer Otto hängigkeit der katholischen Kirche parteipo- von Bismarck widersetzte, im 19. Jahrhundert litisch organisierten, obwohl sich Windthorst zu den bedeutendsten Politikern gehörte und selber gegen eine konfessionelle Bindung der heute nahezu vergessen ist. Partei aussprach. • beschreiben, dass die Katholiken im neu ge- • charakterisieren anhand der Auseinander- gründeten Deutschen Reich die Rolle einer setzung zwischen Bismarck und Windthorst Minderheit einnahmen und eine Reihe von den Gegensatz zwischen preußisch–liberalen Benachteiligungen im öffentlichen Leben er- Kreisen in Preußen bzw. preußischer Zentral- fuhren. gewalt und Katholiken im Reich, insbesonde- • erläutern, dass Ludwig Windthorst trotz sei- re dem Zentrum, das verdächtigt wurde, dem ner Herkunft und körperlichen Behinderung päpstlichen Machtanspruch in Rom verhaftet zu hohen Ämtern im Königreich Hannover zu sein und von dort gelenkt zu werden. und im Deutschen Reich aufstieg und sich un- • stellen fest, dass Windthorst zwar ein Mann ermüdlich als Parlamentarier für die Bürger von tiefer religiöser Überzeugung war, aber einsetzte. den Grundgedanken der Rechtsstaatlichkeit und der Toleranz als Richtschnur seines pri- vaten und politischen Handelns begriff.

Stundenverlaufsplan

Einstiegsstunde: Ludwig Windthorst – Wer ist das? 2. Stunde: Die Gründe für den Kulturkampf 3. Stunde: Bismarcks Angriff auf das Zentrum 4. Stunde: Die Reaktion des Zentrums 5. Stunde: Das Ende des Kulturkampfes?

9 Stundenüberblick

EinstiegsStunde: Ludwig Windthorst – wer ist das?

Einstieg Gruppe 3 Arbeitsblatt A1 Höheres Leistungsniveau Brief an „Herrn Windthorst in Europa“ Arbeitsblätter A4 und A5 Problematisierung • Karikatur „In Canossa: Wie sich der Abgeord- Einen Brief mit dieser Adresse gab es in den 80er nete für Meppen...“ Jahren des 19. Jahrhunderts wirklich. Fragen: Arbeitsauftrag Glaubt ihr, dass dieser Brief zugestellt worden 1. Beschreibe und deute mit Hilfe der Informa- ist? Stellt Vermutungen darüber an, warum die- tionen aus den Erläuterungen und der Biografie ser Brief zugestellt worden sein könnte. Windthorsts die Karikatur aus dem Jahr 1872! 2. Erkläre deinen Mitschülern den Titel der Ka- Binnendifferenzierte rikatur „Der Gang nach Canossa“ und die histo- Gruppenarbeit rische Anspielung!

Gruppe 1 Auswertung Unteres Leistungsniveau Geeignete Verfahren: Arbeitsblätter A2 und A5 1. Folienpräsentation • Bild 1: Otto Fürst von Bismarck 2. Präsentation auf Pappreitern an der Tafel • Bild 2: Ludwig Windthorst 3. gruppenpuzzle • Text: Biografie Arbeitsauftrag Hausaufgabe 1. Vergleiche die Darstellungen der beiden Biografie Windthorsts (Arbeitsblatt A5) Männer auf den Bildquellen! 1. Erstelle einen tabellarischen Lebenslauf! 2. Lies die Biografie Windthorsts! Nenne auf- 2. Vervollständige im Verlauf der Unterrichts- fällige Charaktereigenschaften und unterstrei- einheit deine Tabelle mit weiteren Angaben! che Ereignisse, die sein Leben geprägt haben! 3. Bei der Feier seines 80. Geburtstags sagte 3. fülle die Sprechblasen mit Äußerungen, die Windthorst: „Besonders dankbar bin ich für die das Verhältnis der Politiker berücksichtigen! herzliche Weise, in der der Festredner der Ge- fährtin meines Lebens gedacht hat. Sie hat al- Gruppe 2 lerdings auf alles, was ich getan und geleistet, mittleres Leistungsniveau einen großen Einfluss ausgeübt. Ihrer Liebe und Arbeitsblätter A3 und A5 Sorgfalt, ihrer Opferwilligkeit habe ich es zu • Karikatur: Großer Zwerg und kleiner Riese danken, dass ich so lange mich dem öffentlichen • Text: Biografie Leben habe widmen können.“ Beschreibe das Arbeitsauftrag Leben einer Ehefrau an der Seite Windthorsts! 1. Beschreibe und deute die vorliegende Ka- Vergleiche ihr Leben im 19. Jahrhundert mit Bei- rikatur, die als Reaktion auf einen Beitrag der spielen aus heutiger Zeit! „Schlesischen Volkszeitung“ im Jahr 1880 er- schienen ist! In ihrem Leitartikel hatte ein Jour- nalist Windthorst „den größten Staatsmann des Jahrhunderts“ genannt. 2. Lies die Biografie Windthorsts! Unterstrei- che wichtige Ereignisse, die sein Leben geprägt haben, und die Stellen, die das Verhältnis von Ludwig Windthorst zu ver- anschaulichen!

10 Arbeitsblatt A1

Ludwig Windthorst „der gröSSte Staatsmann des Jahrhunderts“?

Brief an „Herrn Windthorst in Europa“ Einen Brief mit dieser Adresse gab es in den 1880er Jahren wirklich.

Arbeitsauftrag

1. Überlege, ob der so adressierte Brief zugestellt worden ist! 2. Stelle Vermutungen darüber an, warum dieser Brief zugestellt worden sein könnte. 3. Der Journalist im „Schlesischen Volksboten“ hat Windthorst als „den größten Staatsmann des Jahrhunderts“ bezeichnet. Stelle Vermutungen darüber an, warum Windthorst heute im Gegen- satz zu Bismarck nahezu vergessen ist.

11 Arbeitsblatt A2

Windthorst VS. Bismarck Ludwig Windthorst – wer ist das?

Arbeitsauftrag

1. Vergleiche die Darstellungen der beiden Män- streiche wichtige Ereignisse, die sein Leben ner auf den Bildquellen miteinander! geprägt haben! 2. Lies die Biografie Windthorsts sorgfältig 3. Fülle nun die Sprechblasen mit Äußerungen durch! Nenne Charaktereigenschaften, die aus, die das Verhältnis der beiden Politiker Windthorst ausgezeichnet haben, und unter- berücksichtigen!

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Reichskanzler und Reichsgründer Otto Fürst von Bis- marck in staatsmännischer Pose (Gemälde um 1885)

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...... Ludwig Windthorst – ein christlicher Politiker (Gemälde um 1885) 12 Arbeitsblatt A3

Windthorst VS. Bismarck Ludwig Windthorst – wer ist das?

Arbeitsauftrag

1. Beschreibe und deute die vorliegende Kari- 2. Lies die Biografie Windthorsts sorgfältig katur, die als Reaktion auf einen Beitrag der durch! Unterstreiche wichtige Ereignisse, die „Schlesischen Volkszeitung“ im Jahr 1880 sein Leben geprägt haben und die Stellen, die erschienen ist! In ihrem Leitartikel hatte ein das Verhältnis beider Politiker veranschauli- Journalist Windthorst „den größten Staats- chen! mann des Jahrhunderts“ genannt.

Karikatur „Der große Zwerg und der kleine Riese“ 1880

13 Arbeitsblatt A4

Windthorst VS. Bismarck Ludwig Windthorst – wer ist das?

Karikatur „In Canossa: Wie sich der Abgeordnete für Meppen Bismarck kalt gestellt denken möchte“, erschienen in der satirischen Wochenschrift „Der Ulk“ im Jahr 1872

Im Jahre 1872 gab es einen Konflikt zwischen rich IV. am 25. Januar 1077 barfuß, im Gewande dem Deutschen Reich und dem Vatikan, der eines Büßers und unter Tränen vor die Burg von den deutschen Gesandten in Rom abgelehnt Canossa, in der sich Papst Gregor VII. aufhielt, hatte. Dies führte zu einer heftigen Auseinan- um ihn um die Aufhebung des Kirchenbanns zu dersetzung im Reichstag. Bismarck sagte in ei- bitten. Den hatte der Papst zuvor über ihn ver- ner Rede: „Seien Sie außer Sorge, nach Canossa hängt. Drei Tage musste der König ausharren, gehen wir nicht – weder körperlich noch geis- bis ihn der Papst erlöste. Dieser Bußgang nach tig.“ Damit spielte Bismarck auf einen 800 Jahre Canossa blieb als (scheinbare) Niederlage der zurückliegenden Streit an. Im Jahre 1077 gipfelte weltlichen Macht noch jahrhundertelang im Be- der Streit zwischen Papst Gregor VII. und dem wusstsein der Deutschen lebendig. Aus diesem deutschen König Heinrich IV. im berühmten Grund hatte Bismarcks Ausspruch solch unge- Gang nach Canossa. Bei diesem Gang zog Hein- heure Symbolkraft.

Arbeitsauftrag

1. Beschreibe und deute mit Hilfe der Informati- 2. Erkläre deinen Mitschülern den Titel der Ka- onen aus den Erläuterungen und der Biogra- rikatur „Der Gang nach Canossa“ und die his- fie Windthorsts die vorliegende Karikatur aus torische Anspielung! dem Jahr 1872! TIPP: Bei der linken Person handelt es sich um Ludwig Windthorst, in der Mitte um Papst Leo XIII. 14 Arbeitsblatt A5

BIOGRAPHIE Ludwig Johann Ferdinand Gustav Windthorst

*geb. am 17.01.1812 auf Gut Caldenhof in Ostercappeln bei Osnabrück, † 14.03.1891 in

Seine Vorfahren waren zum Großteil Juristen davon starben schon in jungen Jahren. Nach und Beamte, sein Vater war ebenfalls Jurist, Ad- und nach bekleidete Windhorst mehrere poli- vokat und Rentmeister in Ostercappeln. Er war tische Ämter. Begünstigt wurde sein Aufstieg der einzige Sohn der Familie und besuchte nach dadurch, dass sich die Katholiken in Hannover dem frühen Tod des Vaters das Gymnasium etablierten und dem Königshaus treu blieben. Carolinum in Osnabrück. Trotz anfänglicher Im Jahre 1851 wurde er vom neuen hanno- Schwierigkeiten schloss er sein Abitur im Jah- verschen König, Georg. V., zum Justizminister re 1830 als einer der Besten berufen. Dies war damals ab. 1836 wurde er Referen- eine Sensation. Denn dar in Osnabrück und ließ Windthorst war der erste sich dort als Rechtsanwalt Katholik, der im König- nieder, nachdem er sein reich Hannover ein Minis- juristisches Staatsexamen teramt bekleidete. Von 1851 in Göttingen ebenfalls mit bis 1853 und von 1862 bis Auszeichnung bestanden 1865 war er Justizminister hatte. und warb für eine öster- In Göttingen traf er auf reichfreundliche Politik. eine Bildungswelt, die vom Neben seiner Tätigkeit als Protestantismus und Libe- Abgeordneter und Minis- ralismus geprägt war. Da- ter arbeitete er als Anwalt von beeinflusst entwickelte und wurde 1865 Oberan- er sich zu einem aufgeklär- walt der Krone in . ten und liberalen Juristen, Schon in den 1850er Jah- hatte aber Probleme, diese ren betrachtete Bismarck Strömungen in Einklang Windthorst als Gegner. mit seiner vom traditionellen Katholizismus Denn er repräsentierte für den Reichskanzler geprägten Herkunft zu vereinbaren. vieles, was der als Gegenpol zu Preußen begriff: Der junge Rechtsanwalt, der übrigens nur katholisch, liberal, demokratisch und ein Freund 153 cm groß und im Erwachsenenalter nahezu Österreichs. Daher übte er Druck auf den han- blind war, wurde schnell zu einem der bekann- noverschen König aus, das Kabinett und damit testen Anwälte der Stadt. Allerdings konnte er auch Windthorst zu entlassen. aufgrund seiner katholischen Konfession nicht Auch nach der Annexion Hannovers durch im Staatsdienst Karriere machen. Bis 1833 durf- Preußen nach dem Preußisch–Österreichischen ten Katholiken in Osnabrück, das zum protes- Krieg 1866 zog Windthorst sich nicht ins Pri- tantisch geprägten Welfenstaat gehörte, nicht vatleben zurück, sondern saß von 1867 an als Mitglieder der Stadtverwaltung werden – ob- Abgeordneter für den Wahlkreis Meppen – wohl sie ein Drittel der Bevölkerung ausmach- Aschendorf – Hümmling im Reichstag des ten. 1838 heiratete er die sechs Jahre ältere Julie Norddeutschen Bundes und im Preußischen Engelen. Die beiden bekamen vier Kinder, drei Abgeordnetenhaus. Weiterhin arbeitete er als 15 Arbeitsblatt A5

Rechtsberater und Beauftragter des abgesetzten gen. Als Abgeordneter im Reichstag und im Georg V., der zweimal 1853 und 1865 für seine Preußischen Abgeordnetenhaus machte er sich Entlassung gesorgt hatte. Im Rahmen seiner v. a. im Kulturkampf einen Namen und trat der Abgeordnetentätigkeit blieb er fraktionslos. Er neu gegründeten Zentrumspartei bei. Insge- setzte sich v. a. für ein unabhängiges Parlament, samt hielt er trotz seiner Behinderung ca. 2.209 für Abgeordnetendiäten und die Interessen der Reden. Noch kurz vor seinem Tod gründete er katholischen Kirche ein. Dem Deutschen Reich den „Volksverein für das katholische Deutsch- von 1871, das über Kriege geeint worden war, land“, der zur bedeutendsten Massenorganisa- brachte er zunächst großes Misstrauen entge- tion im Kaiserreich wurde.

Hausaufgabe

1. Bringe den Lebenslauf in eine tabellarische ich getan und geleistet, einen großen Einfluss Form. ausgeübt. Ihrer Liebe und Sorgfalt, ihrer Op- 2. Vervollständige im Verlauf der Unterrichts- ferwilligkeit habe ich es zu danken, dass ich einheit deine Tabelle mit weiteren Angaben. so lange mich dem öffentlichen Leben habe 3. Bei der Feier seines 80. Geburtstags antwor- widmen können.“ Beschreibe das Leben einer tete Windthorst einem Festredner: „Besonders Ehefrau an der Seite Windthorsts. Vergleiche dankbar bin ich für die herzliche Weise, in der ihr Leben im 19. Jahrhundert mit anderen der Festredner der Gefährtin meines Lebens Beispielen, z. B. mit Ehefrauen von Politikern gedacht hat. Sie hat allerdings auf alles, was unserer Zeit.

Glossar

Advokat – Rechtsanwalt, Rechtsbeistand Liberalismus/liberal – politisch, wirt- Annexion – gewaltsame und widerrechtli- schaftlich und gesellschaftlich wichtige che Aneignung fremden Gebietes Denkrichtung und Lebensform, die Freiheit, aufgeklärt – spielt auf die geistige Bewe- Selbstbestimmung, Verantwortung und freie gung im 17. u. 18. Jh. an, die das Vertrauen auf Entfaltung der Persönlichkeit vertritt die Macht der Vernunft in den Mittelpunkt Meppen – Aschendorf – Hümmling – Land- stellt und religiöse und kirchliche Autoritäten tagswahlkreis Windthorsts im mittleren und scharf kritisiert nördlichen Emsland Diäten – Gehälter der Abgeordneten Protestantismus – aus der kirchlichen Re- fraktionslos – ohne Fraktion, d.h. nicht formation des 16. Jh. hervorgegangene Glau- zu der organisatorischen Gliederung einer bensbewegung, die die verschiedenen evange- Partei gehörend, in der alle Abgeordneten ei- lischen Kirchengemeinschaften umfasst ner Partei oder befreundeter Parteien zusam- Referendar – Bewerber für die höhere Beam- mengeschlossen sind tenlaufbahn nach dem Ersten Staatsexamen Konfession – christliches Glaubensbekennt- Rentmeister – leitet die Finanzverwaltung nis (z.B. katholisch, evangelisch, orthodox) einer kirchlichen o. landesherrlichen Behörde Kulturkampf – Konflikt zwischen Staat und traditionell – überliefert, herkömmlich katholischer Kirche im 19. Jh. im Deutschen Welfenstaat – gemeint ist das Königreich Reich. Über ihn wie über die Zentrumspartei Hannover, in dem die Welfen als Herrscher- erfährst du im Verlauf der Einheit mehr. geschlecht regierten 16 Stundenüberblick

2. Stunde: Die Gründe für den Kulturkampf

Vorbereitende Hausaufgabe Ziele, die das Zentrum verfolgt, und ordnet sie Karikatur „Die Nacht am Rhein“ bestimmten Kategorien zu! Als Material erhalten die Schüler die Karikatur Ergebnissicherung sowie eine Zusammenstellung mit den zur In- Die Schüler präsentieren die Ergebnisse der terpretation wichtigsten Informationen (A6). Partnerarbeit. Einstieg Vertiefung Karikatur „Die Nacht am Rhein“. Diskutiere, inwieweit das Zentrum von Bis- Der politische Katholizismus wurde von libe- marck zu Recht als Bedrohung wahrgenommen ralen Protestanten als Bedrohung für das Deut- werden konnte! sche Reich wahrgenommen. Nachbereitende Hausaufgabe Problematisierung Der Reichskanzler Otto von Bismarck hielt Sind die Katholiken eine Bedrohung für das am 30.01.1872 eine Rede, in der er sich an das Reich? Zentrum wandte. Im Text der Rede (A8) sind Erarbeitung schwierigere Begriffe herausgenommen. Lies Aus dem Soester Programm (A7) arbeiten die die Erklärungen zu den Begriffen genau durch Schüler in Partnerarbeit die politischen Zielset- und setze diese jeweils an der richtigen Stelle zungen der Zentrumspartei heraus: Nennt die im Text ein!

Hinweise zu den Materialien

Zu Arbeitsblatt A6 zu entwickelnde Kategorien soll helfen, weitere Die Katholiken haben bei der Reichstagswahl Themen (Antisemitismus/Minderheitenschutz Erfolge verbucht und werden deshalb von eini- sowie Soziale Frage) bereits im Programm des gen (Nichtkatholiken) als Bedrohung wahrge- Zentrums anzudeuten. nommen. Die Bedrohung wird über die Ersatz- nationalhymne verdeutlicht: Das Reich muss Zu Arbeitsblatt A8 sich nun auch gegen innere Feinde wehren. Die Rede Bismarcks ist schwer zu bewältigen – mögliche Schwierigkeiten nicht nur wegen der zahlreichen für die meisten Nicht alle Elemente des Bildes sind leicht zu Schüler unbekannten Begriffe. Die Gliederung entziffern, insbesondere die schwarzgewande- in drei Abschnitte macht allerdings eine Reduk- ten Männer der Prozession müssen eindeutig tion zumindest des Umfangs leicht möglich: als katholische Geistliche identifiziert werden. Der dritte Abschnitt enthält den zentralen Vor- Der Informationstext sollte die Fakten vermit- wurf der Verfassungs- bzw. Reichsfeindschaft, teln, die zum Verstehen gebraucht werden. die das Zentrum nach Bismarck kennzeichnet. Der zweite Abschnitt bereitet diesen Vorwurf Zu Arbeitsblatt A7 vor, indem das Bild einer ebenfalls konfessi- Das Parteiprogramm enthält auf den ersten onellen protestantischen Fraktion entworfen Blick nur wenige Forderungen, die eine Wahr- wird, die eine erdrückende Mehrheit im Parla- nehmung des Zentrums als Bedrohung erklären ment besitzt. könnten. Erst bei näherem Hinsehen offenba- Der erste Abschnitt schneidet die Frage nach ren sich Widersprüche zum neu geschaffenen der Parität von Katholiken und Protestanten an. Deutschen Reich: Die Forderung nach einem Er enthält demnach einen weniger zentralen As- dezentralen Bundesstaat in den Artikeln 5 und 6 pekt, der aber durchaus ein wichtiges Moment lief zumindest den preußischen Interessen zu- für die Wahlerfolge des Zentrums, das für eine wider. Die vorgeschlagene Einordnung in selbst Umsetzung der Parität eintrat, darstellt. 17 Arbeitsblatt A6

Karikatur Die Zeichnung „Die Nacht am Rhein“ von Gustav Heil (1826 – 1897) erschien 1871 in den „Berliner Wespen“, einer führenden Satirezeit- schrift des deutschen Kaiserreichs.

Hintergrund

Die Karikatur erschien im März 1871 unmittel- aus resultierten auch verbreitete abwertende bar nach den Wahlen zum ersten Reichstag, bei Bezeichnungen wie „ultramontan“ oder „Pa- denen die Zentrumspartei knapp ein Fünftel pisten“. der Stimmen gewonnen hatte. Die Partei errang „Die Wacht am Rhein“ war ein gegen Frank- vor allem in Gebieten mit mehrheitlich katholi- reich gerichtetes Lied, das vor allem in den scher Bevölkerung, etwa im Rheinland und im frühen Jahren des Kaiserreichs beinahe eine Emsland, Erfolge. Ersatznationalhymne wurde. In patriotischen In den Augen seiner Gegner war das Zentrum Tönen wird eine Bedrohung aus dem Westen, eine rückständige Partei, deren Anhänger sich Frankreich, dargestellt. Dieser Gefahr stellen von Priestern, die damals die in der Karikatur sich geeint alle Deutschen entgegen, so dass es dargestellte Tracht trugen, oder gar dem Papst im Refrain heißen kann: „Lieb Vaterland, magst ihren politischen Willen diktieren ließen. Dar- ruhig sein, fest steht die Wacht am Rhein!“ 18 Arbeitsblatt A7 Das Soester Programm des Zentrums Das erste Parteiprogramm der Zentrumspartei

Freiheit! Für Wahrheit, Recht und 1. Erhaltung der verfassungsmäßig anerkannten Selbstständigkeit und der Rechte der Kirche. Abwehr jeden Angriffs auf die Unabhängigkeit der kirchlichen Organe, auf die Entwicklung religiösen Lebens und die Entfaltung christlicher Liebestätigkeit. 2. Tatsächliche Durchführung der Parität der anerkannten Religionsbekenntnisse. 3. Abweisung jedes Versuchs zur Entchristlichung der Ehe. 4. Konfessionelle Schulen 5. Für das ganze deutsche Vaterland ein Bundesstaat, der im Not- wendigen die Einheit schafft, in allem übrigen aber die Unabhängigkeit und freie Selbstbestimmung der Bundesländer sowie deren verfassungsmäßige Rechte unangetastet läßt. 6. Dezentralisation der Verwaltung auf Grundlage der Selbständigkeit der politischen Korporationen in Gemeinde, Kreis und Provinz. 7. Möglichste Beschränkung der Staatsausgaben und damit der Steuern und Lasten sowie deren gleichmäßige und gerechte Verteilung. 8. Ausgleichung der Interessen von Kapital und Grundbesitz sowie von Kapital und Grundbesitz einerseits und der Arbeit anderseits durch Erhaltung und Förderung eines kräftigen Mittelstandes in einem selbständigen Bürger- und Bauernstande. 9. Freiheit für alle den gesetzlichen Boden nicht verlassenden Bemühungen zur Lösung der sozialen Aufgaben. Gesetzliche Beseitigung solcher Übelstände, welche den Soest,Arbeiter den mit 28. moralischem Oktober 1870 oder körperlichem Ruin bedrohen.

Glossar

Dezentralisierung – statt eines Zent- rums viele kleinere Zentren schaffen Kapital – hier gemeint: Industrielle und Ban- Arbeitsauftrag kiers als Gruppe konfessionell – an ein Bekenntnis (z.B. Nenne die Ziele, die das Zentrum verfolgt, und evangelisch, katholisch etc.) gebunden ordne sie in Kategorien! Parität – Gleichberechtigung, -wertigkeit

Quelle: Morsey, Rudolf (Hrsg.): Katholizismus, Verfassungsstaat und Demokratie. Vom Vormärz bis 1933, Paderborn u. a. 1988 (Beiträge zur Katholizismusforschung; Reihe A: Quellentexte zur Geschichte des Katholizismus; Bd. 1), S. 56 19 Arbeitsblatt A8 Otto von Bismarck Rede vor dem preußischen Abgeordnetenhaus

Wenn der Herr Vorredner [Windthorst] zu- Herr Vorredner, dass wenn wir das Ministerium vorderst den Umstand tadelt, dass kein Ka- aus der ______wählten, tholik im Ministerium sei, so bedauere ich das der er angehört, dass uns dann die Unterstüt- auch meinerseits im hohen Grade; ich würde zung einer Majorität zur Seite stehen würde? einen katholischen Kollegen mit Freuden be- grüßen. Aber wie die Sachen augenblicklich Majorität – Mehrheit liegen, in einem ______Fraktion – ein freiwilliger Zusammen- Staate, da bedürfen wir Ministerien einer schluss von Abgeordneten einer Partei im ______, die unsere Rich- Parlament tung im Ganzen unterstützt. Glaubt nun der konstitutionellEN – verfassungsmäßig

Ich habe es von Hause aus als eine der un- chen Versammlungen tragen, um sie zum Ge- geheuerlichsten Erscheinungen auf poli- genstande der ______zu tischem Gebiet betrachtet, dass sich eine machen. ______Fraktion in einer (Sehr gut! Sehr richtig! Große Unruhe.) politischen Versammlung bildete, eine Frak- Otto von Bismarck tion, der man, wenn alle übrigen Konfessio- Theologie – Glaubenslehre griff in seiner nen dasselbe Prinzip annehmen wollten, nur Tribünen-Diskussion – Parlamentsrede die Gesamtheit einer evangelischen Fraktion eine öffentliche Diskussion am 30.01.1872 das gegenüber stellen müsste; dann wären wir al- konfessionelle – ein religiöses Bekennt- Zentrum scharf an. lerseits auf einem ______nis (katholisch, evangelisch) Boden, denn damit würden wir die inkommensurabeln – ______in die öffentli- unmessbar, hier: unannehmbar

Es war ein großer politischer Fehler, den die nun fragen: sucht sie auf diese Weise den Frie- Herren vom politischen Standpunkte des Vor- den zu erstreben, indem sie ihre Macht zeigt? redners begingen, dass Sie diese Fraktion über- Ich habe [...] die Bildung dieser Fraktion nicht haupt bildeten, eine rein konfessionelle Frakti- anders betrachten können, als im Lichte einer on auf rein politischem Boden, indem Sie Ihre ______der Partei gegen Glaubensgenossen aus den verschiedensten den Staat. Fraktionen [...] ______, sich Ihnen anzuschließen. [...] Mobilmachung – militärischer Ausdruck: Wenn nun zur Herstellung des Friedens mit Vorbereitung des Kampfes dem Staate also die Fraktion des Herrn Vorred- nötigten– zwingen ners sich auf einem politischen Boden konfes- konstituiert – gebildet, gegründet sionell ______hatte und Horst Kohl (Bearb.), Die Reden des Ministerpräsidenten und Reichskanz- ihre politische Haltung in der Hauptsache von lers Fürsten von Bismarck im Preußischen Landtage und im Deutschen Reichstage 1871-1873. Stuttgart / Berlin 1922, S. 230-233 der Konfession abhängig machte, so konnte man

Arbeitsauftrag

Lies die Erklärungen der Begriffe durch. Setze die Begriffe jeweils an der richtigen Stelle im Text ein! 20 Stundenüberblick

3. Stunde: Bismarcks Angriff auf das Zentrum

Einstieg Vertiefung Die Schüler präsentieren Ergebnisse der Haus- Diese Rede Bismarcks markiert den Beginn des aufgabe auf Folie. Sammlung erster Eindrücke Kulturkampfes, eines Kampfes des Staates ge- Problematisierung gen die Katholiken im Deutschen Reich. Offensichtlich ist Bismarck ein Gegner des Zen- Stelle Vermutungen über ein mögliches Vorge- trums. Wie begründet er seine Ablehnung der hen des Staates gegen das Zentrum an! Partei? Erarbeitung Nachbereitende Hausaufgabe Sammelt in Partnerarbeit Bismarcks Argumente Nenne anhand der Zusammenstellung der Kul- und fasst seine Argumentation in eigenen Wor- turkampfgesetze (A9) in Stichpunkten wichtige ten zusammen! Maßnahmen des Staates gegen die katholische Ergebnissicherung Kirche während des Kulturkampfes! Schüler stellen die Ergebnisse der Partnerarbeit vor.

Hinweise zu den Materialien zu Arbeitsblatt A9 nahmen fehlen. Dennoch sollte deutlich werden, Die Zusammenstellung der Gesetze erscheint dass sowohl die Grundlagen für eine politische sinnvoller als die genaue Betrachtung der ein- Betätigung der Katholiken (Kanzelparagraph, zelnen Gesetzestexte, die sicherlich möglich, Kulturexamen, Brotkorbgesetz) als auch die aber weniger effizient wäre. Die Liste stellt auch Ziele eben dieser Betätigung (Schulaufsicht, lediglich eine Auswahl dar, da sowohl die de- Einrichtung von Standesämtern, Klostergesetz) taillierten Ausführungen als auch einzelne, heu- durch die Gesetze angegriffen werden. te zu den Kulturkampfgesetzen gezählte Maß-

21 Arbeitsblatt A9 Kulturkampfgesetze

Bismarck erließ mit Unterstützung der Liberalen im Reichstag folgende Gesetze

1871

Erweiterung des Strafgesetzbuches um den „Kanzelparagraphen“, der es den Geistlichen verbietet, staatliche Angelegenheiten in Aus- übung ihres Amtes zu behandeln.

1872 Im Schulaufsichtsgesetz werden in Preußen die geistliche Schulinspektion aufgehoben und öf- fentliche wie private Schulen unter staatliche Aufsicht gestellt.

1873 Für die Übernahme eines geistlichen Amtes werden das Reifezeugnis eines deutschen Gym- nasiums, das Studium an einer deutschen Uni- versität und ein so genanntes „Kulturexamen“ in Geschichte, Philosophie und deutscher Lite- ratur verlangt. Priester müssen damit beweisen, dass sie treu zum deutschen (preußischen) Staat stehen (Anzeigepflicht!).

1874 Nur noch die staatliche Beurkundung von Tau- Auszug aus dem soge- nannten „Brotkorbgesetz“ fe, Trauung oder Todesfall ist rechtsgültig (Stan- von 1875 desamt).

1875 Im „Brotkorbgesetz“ werden der katholischen Kirche die staatlichen Geldzuwendungen ge- Arbeitsauftrag sperrt.

Nenne mit Hilfe der Zusammenstellung in Stichpunkten die wichtigsten Maßnahmen des 1875 Staates gegen die katholische Kirche im Verlauf In Preußen verbietet das Klostergesetz alle Or- des Kulturkampfes! den (Ausnahme: Krankenpflege). 22 Stundenüberblick

4. Stunde: Die Reaktion des Zentrums

Einstieg vom 30.01.1872 verrät viel über das weitere Ver- Die Schüler interpretieren die Karikatur „Bis- halten der Katholiken. marck und der Papst spielen Schach“ (A10) un- Arbeite aus der Rede (A11) die Verteidigungs- ter Einbeziehung der Hausaufgabe. strategie Windthorsts heraus! Problematisierung Ergebnissicherung Die katholische Kirche und damit auch der po- Die Schüler präsentieren Ihre Ergebnisse. litische Katholizismus sind durch die Kultur- Vertiefung kampfgesetze stark bedroht. Wie können sie auf Vergleiche das Vorgehen Bismarcks mit der diese Angriffe reagieren? Strategie Windthorsts und nimm kritisch dazu Erarbeitung Stellung! Einer der führenden Vertreter des Zentrums Nachbereitende Hausaufgabe war Ludwig Windthorst. Er lieferte sich als Ab- Lies den Text (A12)! Begründe, warum Bis- geordneter viele Rededuelle mit Otto von Bis- marck sein Verhalten dem Zentrum gegenüber marck. Seine Antwort auf die Rede Bismarcks ändert!

Hinweise zu den Materialien zu Arbeitsblatt A10 tation mit Hilfe des Rechts auf freie Meinungs- Die Karikatur zeigt das Schachbrett als den äußerung deutlich. Zugleich entkräftet er den Schauplatz des Kulturkampfes: Bismarck be- Vorwurf des Landesverrats, indem er ihn ins kämpft die katholische Minderheit mit Geset- Lächerliche zieht. zen, die im Reichstag bzw. im Preußischen Ab- Dieser Abschnitt enthält die stärksten Bezüge geordnetenhaus verabschiedet werden. zur Bismarckrede, so dass der Charakter und Die Position des Papstes (Pius IX.) ist dage- auch der Tonfall des Rededuells daran deut- gen komplexer. Da zu Beginn der Reihe weder lich werden. Der zweite Teil des Ausschnitts der „Syllabus Errorum“ noch das Unfehlbar- beschäftigt sich wieder mit der Frage der Pari- keitsdogma thematisiert wurden, könnte man tät. Eine Behandlung empfiehlt sich nur dann, die Begriffe an dieser Stelle erklären, z.B. durch wenn zuvor der entsprechende erste Abschnitt knappe Schülerreferate. Weitere Elemente wie aus A8 behandelt wurde. das Interdikt oder die Internierung von Bischö- fen/Läufern, wie sie der Karikatur zu entneh- zu Arbeitsblatt A12 men sind, können ebenfalls durch Referate oder Die Informationen im Text raffen die wichtigs- Lehrervortrag erläutert werden. Alternativ lässt ten Ereignisse des Kulturkampfes nach 1878. man die Seite des Papstes bzw. der katholischen Die Septennatsfrage wird ausführlich erklärt, Kirche auch in der Detailansicht offen, so dass da anhand der Windthorstrede zu diesem The- sie eigentlich erst durch die Windthorstrede ge- ma (A14) die Stellung des politischen Katholi- füllt wird: Auch Windthorst kämpft auf der Ba- zismus zum Vatikan deutlich werden soll. Für sis des Rechts und kann Gesetze bzw. Normen das Verständnis der Materialien A13 und A14 anführen, die seinen Standpunkt unterstützen. ist der Text also eine Voraussetzung. Die Ele- mente können im Lehrervortrag vermittelt wer- zu Arbeitsblatt A11 den, allerdings rechtfertigt der nicht ganz einfa- In Windthorsts Rede ist der erste Abschnitt zen- che Text durchaus auch die Beschäftigung der tral: In den ersten Zeilen wird seine Argumen- Schüler damit in einer Hausaufgabe. 23 Arbeitsblatt A10 Das Schachspiel

Bismarck und der Papst spielen Schach

Karikatur Bismarck und Papst Pius IX. beim politischen Schach- spiel: Hintergrund ist Bismarcks Kampf gegen die katholi- sche Minderheit. Die Schachfiguren symbolisieren historische Personen und Gruppen. Die Zeichnung erschien 1875 in der Satire- zeitschrift „Kladdera- datsch“.

24 Arbeitsblatt A11 Die Reaktion des Zentrums

Windhorsts Rede vor dem Preußischen Abgeordnetenhaus

Er [Bismarck] hat gesagt, dass, nachdem er aus sätze akzeptieren kann und will, und wer da- dem Felde zurückgekommen und die Bildung rauf akzeptierend eintritt ist uns willkommen, der Fraktion, der ich angehöre, erfahren, er dies welcher Konfession immer er angehört. [...] als eine Mobilmachung zur Bekämpfung des Dann frage ich den Herrn Minister-Präsiden- Staates angesehen habe. Ich weiß nicht, was der ten, wo die Fraktion des Zentrums irgendwie Herr Minister-Präsident als Bekämpfung des aggressiv gewesen sei. Sie hat im Reichstage Staates ansieht. Wenn der Herr Minister-Prä- mehr als einmal im entscheidenden Moment für sident annimmt, dass jede Bekämpfung seiner die Regierung gestimmt, sie hat das auch hier Maßregeln und seiner Politik ein Kampf gegen im Hause getan. Wenn aber die Regierung von den Staat ist, dann hat er vielleicht in diesem rechts in so bedenklich raschem Tempo nach oder jenem Punkt Recht, aber, meine Herren, links rückt, wie das jetzt der Fall ist – denn der ich bin so frei, anzunehmen, dass es noch nicht Herr Minister-Präsident hat heute unbedingt Abgeordnetenhaus richtig ist, dass der Herr Minister-Präsident der die Herrschaft der Majorität proklamiert; mit während einer Staat sei. (Sehr gut! Bravo! im Zentrum.) der Majorität muss ich gehen, hat der verehrte Sitzung 1918. Ich kann ein eifriger Anhänger des Staates und Herr gesagt, deshalb muss ich aus der Majorität des Vaterlandes sein, und doch mich in meinem die Minister nehmen; […] und deshalb kann ich innersten Gewissen genötigt finden, viele Maß- keinen Katholiken nehmen, denn die Katholiken regeln zu bekämpfen, und zwar energisch zu sind nicht in der Majorität – wenn das Vorrücken bekämpfen, welche der Herr Minister-Präsident nach links in so raschem Tempo geschieht, dann einzuleiten für gut findet. (Bravo! im Zentrum.) ist es eben nicht jedermann zu Teil geworden, so Das ist in allen Staaten so gewesen, und es ist rasch umzurutschen […]. Es gibt Naturen, die vor allem in England so gewesen, und kein Mi- ungeheuer rasch mit dem Ministerium in jeder nister in England hat es noch gewagt zu sagen, Richtung sich bewegen und diese werden auch wenn man seine Maßregeln bekämpfe, dann be- ganz besonders befördert; aber diese Natur ha- kämpfe man den Staat! (Bravo! im Zentrum.) ben meine Freunde und ich am wenigsten. Die Fraktion des Zentrums, welcher ich ange- höre, ist keine konfessionelle. (Sehr wahr! Sehr richtig! im Zentrum; Heiterkeit links; Wider- Arbeitsauftrag spruch rechts.) Das Programm derselben ist öf- fentlich bekannt gemacht, wir haben auf Grund Arbeite aus der Rede die Verteidigungsstrategie desselben jeden eingeladen, der diese Grund- Windthorsts heraus!

Glossar aus dem Felde – hier gemeint: aus dem falls Gegner des Zentrums, aber nicht so ag- Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 gressiv). Die Abgeordneten des Zentrums sa- Heiterkeit links, Widerspruch ßen, dem Namen entsprechend, in der Mitte. rechts – Im Preußischen Abgeordneten- Minister-Präsident – Bismarck war Reichs- haus saßen links die Liberalen (mehrheitlich kanzler und preußischer Ministerpräsident. entschiedene Gegner des Zentrums und der Von rechts nach links – hier gemeint: Katholiken), rechts die Konservativen (eben- von den Konservativen zu den Liberalen

Quelle: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, XI, Bd. 1, S. 539-541 25 Arbeitsblatt A12 Der Kulturkampf in den 1880er Jahren

schon seit längerem kritisch, da sie darin auch Reichstag eine Gefahr für die Protestanten sahen. Noch Blick in den linken schwerer für Bismarck wog die Tatsache, dass Teil des Reichs- er mit den Konservativen allein keine Mehrheit tags während einer im Reichstag für seine Politik finden konnte, Plenarsitzung 1889. Der Reichstag war d. h. er benötigte weitere Unterstützung. von 1871 bis 1918 Besonders deutlich wurde dies im Falle des so das Parlament des genannten „Septennatsstreites“. In der Reichs- Deutschen Kaiser- verfassung war dem Reichstag die Befugnis zu- reichs. geschrieben, über den Haushalt und damit auch über die Größe und Ausrüstung der Armee zu entscheiden. Das Militär versuchte, dieser Kont- rolle durch das Parlament zu entgehen und eine Ende der 1870er Jahre endete die „heiße“ Phase einmalige, zeitlich nicht begrenzte Bewilligung des Kulturkampfes, d. h. es wurden von Seiten vom Reichstag zu erlangen. Dazu war das Par- des Staates keine neuen Gesetze mehr gegen lament verständlicherweise nicht bereit, hätte die Katholiken verabschiedet. Die alten Gesetze es damit doch eine seiner wichtigsten Befugnis- blieben allerdings weiterhin gültig. 1878 wurde se abgegeben. in Rom ein neuer Papst gewählt. Leo XIII. war, Als Kompromiss fand Bismarck folgende Lö- anders als sein Vorgänger Pius IX., Neuerungen sung: Statt einer Bewilligung des Militärhaus- viel weniger abgeneigt. Er versuchte während haltes auf ewig (Aeternat – von lat. aeternus seiner gesamten Amtszeit, die Kirche aus der – ewig) wurden die Mittel für sieben Jahre zuge- Isolation zu befreien, in die sie die starre Hal- teilt (Septennat – von lat. septem – sieben; annus tung von Pius IX. geführt hatte. Darum war ihm – Jahr). 1887 stand wieder eine Verabschiedung an einem Ausgleich mit der Reichsleitung sehr für die nächsten sieben Jahre an. Ohne weitere gelegen. Stimmen im Reichstag für den Septennat zeich- In Deutschland wiederum schrumpfte die nete sich eine Niederlage Bismarcks ab. Unterstützung, die Bismarck für seinen Kampf gegen das Zentrum erhielt, stetig. Nachdem Bis- marck 1878 sein Bündnis mit den Nationallibe- ralen aufgekündigt hatte und sich fortan auf die Arbeitsauftrag Konservativen stützte, waren die Hauptgegner der Katholiken in der Opposition. Die Konser- Lies den Text! Begründe, warum Bismarck jetzt vativen sahen die Maßnahmen, die Bismarck ge- sein Verhalten dem Zentrum gegenüber än- gen die katholische Kirche unternommen hatte, dert!

26 Stundenüberblick

5. Stunde: Das Ende des Kulturkampfes?

Einstieg te. Windthorst war dazu aber noch nicht be- Präsentation der Hausaufgabe. Erarbeitung der reit. Auf dem Parteitag des Zentrums hielt er Karikatur „Auf dem Kulturkriegsschauplatz“ dann die berühmt gewordene Gürzenich-Rede Problematisierung (A13). Arbeite aus der Rede den Standpunkt Der Papst und Bismarck sind zur Versöhnung Windthorsts heraus! bereit. Warum steht Windthorst dieser Einigung Ergebnissicherung im Weg? Die Schüler präsentieren die Ergebnisse der Er- Erarbeitung arbeitungsphase. Während Windthorst im Jahr 1887 vom Katho- Vertiefung likentag in Trier zum Parteitag des Zentrums Die Liberalen machten den Katholiken vor im Kölner Gürzenich reiste, erfuhr er, dass und während des Kulturkampfes oftmals den Bismarck ein Telegramm veröffentlicht hatte, Vorwurf, „ultramontan“ zu sein. Nimm zu die- in dem der Papst die deutschen Katholiken sem Vorwurf unter Berücksichtigung der Rede zur Zusammenarbeit mit Bismarck aufforder- Windthorsts Stellung!

Hinweise zu den Materialien zu Arbeitsblatt A13 für die weitere Entwicklung des politischen Ka- Bei der Betrachtung der Karikatur ist selbstver- tholizismus in Deutschland von einschneiden- ständlich auf die exakte Identifikation der abge- der Bedeutung: Die Freiheit der Entscheidung bildeten Personen zu achten: Bismarck und der in weltlichen Fragen macht eine glaubwürdige neue Papst Leo XIII. versuchen sich die Hand politische Betätigung des Zentrums auch in Zu- zu reichen. Gerade auf diese versöhnliche Ges- kunft erst möglich; zugleich kann Windthorst te kommt es dabei an. Sie wird unter Umstän- damit einen der Hauptvorwürfe, die die Gegner den nur mit Hilfe der Bildunterschrift deutlich, dem Zentrum machten, entkräften: Angesichts die daher von den Schülern, um keine falschen der Aussage Windthorsts kann nicht mehr ernst- Interpretationen zu befördern, nicht zu lange haft davon gesprochen werden, die Katholiken außer Acht gelassen werden sollte. Die Aussa- seien „ultramontane Befehlsempfänger“. Damit ge erschließt sich mit Hilfe des vorbereitenden ist letztlich aber auch die zu Beginn der Einheit Textes dann relativ schnell; es bleibt aber die aufgeworfene Frage, ob die Katholiken eine Frage nach den Gründen für Windthorsts star- Bedrohung des Staates darstellen, noch einmal re Haltung offen: Die Antwort darauf gibt die abschließend geklärt. Auf dem Boden der Ver- nachfolgend abgedruckte Rede. fassung vertritt das Zentrum eigene politische Der vergleichsweise knappe Ausschnitt aus Ziele, die durchaus auch von der Sichtweise der berühmten „Gürzenich-Rede“ aus dem des Vatikans abweichen können. Damit stellt es Jahr 1887, die Windthorst auf dem Parteitag des mitunter eine Opposition zur Regierung, aber Zentrums im Kölner Gürzenich gehalten hat, ist keine Opposition zum Staat dar.

27 Arbeitsblatt A13

„Gürzenich-Rede“ Windthorst auf dem Parteitag des Zentrums am 06.02.1887

Sodann spricht der heilige Vater einen sehr wich- von seinem Standpunkt gedacht und gemacht tigen Grundsatz aus, nämlich den Grundsatz, seien. Es ist unzweifelhaft, dass der heilige Vater dass in Fragen weltlicher Natur die Zen-trums- seine guten Gründe haben wird, diesen Wunsch fraktion, wie jeder Katholik völlig frei und nach realisiert zu sehen. Das bezweifle ich gar nicht, ihrer Überzeugung urteilen und stimmen kann und ich meine, dass, wenn es möglich gewesen und dass der hl. Vater in diese weltlichen Dinge wäre, wir ohne Zwang aus freien Stücken diese sich nicht mische. Diesen Grundsatz müssen wir Bewilligung hätten aussprechen sollen. Aber nur, unter allen Umständen festhalten; denn wenn wenn‘s möglich gewesen wäre; denn Unmögli- wir ihn nicht festhielten, würde das geschehen, ches kann niemand leisten. was die Freunde des Kulturkampfes jahraus jahrein uns vorhalten, nämlich dass wir lediglich nach dem Befinden der geistlichen Oberen unse- rer Kirche handelten. (Bravo, sehr richtig!) Glossar Wir hätten dann keine Selbständigkeit. Und darum müssen wir uns über dieses Anerkennt- Anerkenntnis – Zugeständnis; gemeint ist, nis des heiligen Vaters freuen. Wir werden gegen dass der Papst Zentrum bzw. Katholiken ein jedermann jenen Grundsatz unverbrüchlich für Handeln nach diesem Grundsatz erlaubte. alle Zeiten festhalten, denn er ist die Basis unse- Befinden – hier gemeint: Meinung rer politischen Existenz. (Bravo!) Präsenzstärke der Armee – Während Nun wenden unsere Gegner ein: Aber der hei- des Septennatsstreits kam es auch zur Ab- lige Vater hat doch ausgesprochen, dass in Bezie- stimmung über die Vergrößerung der Armee hung auf das Gesetz wegen der Präsenzstärke in Friedenszeiten, bei der das Zentrum den der Armee seinen Wünschen nicht entsprochen Antrag Bismarcks nicht unterstützte. sei. Meine Herren! Es ist allerdings nicht zu ver- kennen, dass der heilige Vater gewünscht hatte, dass das Gesetz angenommen werden möge. Er Arbeitsauftrag führt aber in dem Erlass diesen seinen Wunsch nicht zurück auf den materiellen Gehalt der 1. In der Karikatur sind der Papst und Bis- Vorlage, sondern lediglich auf Zweckmäßig- marck zur Versöhnung bereit. Warum steht keitsgründe vom Standpunkt diplomatischer Windthorst dieser Einigung im Weg? Erwägungen und Beziehungen, und er spricht 2. Arbeite aus der Rede den Standpunkt es deutlich genug aus, dass diese Erwägungen Windthorsts heraus!

Quelle: Hans-Georg Aschoff, Ludwig Windthorst – ein christlicher Politiker in einer Zeit des Umbruchs, Hannover 1991, S. 95 28 Rechtsstaat

Kapitel B Vorkämpfer für Rechtsstaatlichkeit

Unterrichtsentwürfe mit Quellenmaterial

Übergeordnete Lernziele

Die Schülerinnen und Schüler … • erläutern, dass jene Bevölkerungsschichten, • weisen nach, dass Windthorst in Opposition die sich im Zuge der wirtschaftlichen und zur Mehrheit der Zentrumsfraktion in der gesellschaftlichen Veränderungen während Judendebatte an den Grundsätzen der gegen- der Wirtschaftskrise der 1870er Jahre benach- seitigen politischen und religiösen Duldung teiligt sahen, die Schuld bei ihren jüdischen festhielt. Mitbürgern suchten. Den Juden wurde die • urteilen, dass Windthorsts politisches Han- Funktion eines Sündenbocks zugeschrieben. deln auch gegenüber der Sozialdemokratie • beschreiben den Übergang von einem vorwie- vom Prinzip der Rechtsstaatlichkeit geprägt gend religiös begründeten Antijudaismus in war, so dass er trotz seiner Abneigung gegen- einen politisch–weltanschaulichen Antisemi- über der Sozialdemokratie das Sozialisten- tismus, in dem das Judentum nicht mehr als gesetz ablehnte und die parlamentarische Religion, sondern vorwiegend als Volk oder Auseinandersetzung bevorzugte. Rasse definiert wurde. • charakterisieren anhand der Auseinander- • urteilen, dass die parteipolitische Organisa- setzung zwischen Bismarck und Windthorst tion antisemitischer Kreise eine verstärkte den Gegensatz zwischen preußisch-liberalen Agitation gegen jüdische Mitbürger her- Kreisen in Preußen bzw. preußischer Zentral- vorrief und den Versuch bedeutete, deren gewalt und Katholiken im Reich sowie zwi- verfassungsrechtliche Gleichstellung einzu- schen Staatsräson und Rechtsstaatlichkeit. schränken.

Stundenverlaufsplan

1. Stunde: Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich 2. Stunde: Windthorsts Position in der Antisemitismus - Debatte 3. Stunde: Windthorst als Streiter gegen das „Sozialistengesetz“ 4. Stunde: Bismarck und Windthorst – ein gespanntes Verhältnis

29 Stundenüberblick

1. Stunde: Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich

Einstieg Vertiefung Postkarte „Die fünf Frankfurter“ (B1); Rückbezug zu den Hypothesen und der Aus- Bildbeschreibung und Analyse der Darstellung gangsfrage: Stellung der Juden im Kaiserreich: der Juden Sind sie integriert oder werden sie ausge- Problematisierung grenzt? Juden im Kaiserreich: integriert oder ausge- Nachbereitende Hausaufgabe grenzt? 1. Fasse die Auswirkungen des Antisemitis- Erarbeitung mus auf die politische Debatte im Kaiserreich Erläutere die Position der jüdischen Bevölke- zusammen! rung aus Sicht eines jüdischen Jungen. 2. Nenne die Argumente, die gegen die jüdi- Ergebnissicherung sche Bevölkerung angeführt werden! (B1) Zusammentragen der Ergebnisse und Erstellen des Tafelbildes

Mögliches Tafelbild Juden im Kaiserreich: Integriert oder ausgegrenzt?

AuSSensicht: Selbstsicht:

• Große Nasen, reich (Hut und Schmuck), tun • haben selbst Vorurteile gegenüber orthodoxen unschuldig, Kaftan, Juden sind etwas Bö- Juden, sind assimiliert (unterscheiden sich ses, Jude = Schimpfwort kaum von anderen Deutschen). > Vorurteile > Trotz weitgehender Assimilation bleiben die Juden im Kaiserreich eine Randgruppe

Hinweise zuM Unterricht

Die leistungserwartungen zu den einzelnen chen Verhalten angepasst bzw. integriert war, Aufgaben sind dem geplanten Tafelbild zu ent- sich aber dennoch immer wieder Anfeindun- nehmen. Deutlich werden sollte, dass die jüdi- gen ausgesetzt sah, die sich dann auch im poli- sche Bevölkerung im Kaiserreich zwar rechtlich tischen Antisemitismus niederschlugen. gleichgestellt und auch in ihrem gesellschaftli-

30 Arbeitsblatt B1 Antisemitismus im Kaiserreich Die Antisemiten-Petition 1880/81

Während der Wirtschaftskrise Mitte der 1870er Behörden zu wenden. Förster und Sonnenberg Jahre mehrten sich Stimmen, die Juden die Schuld forderten in einer „Antisemiten-Petition“ die am wirtschaftlichen Niedergang gaben und sich Einschränkung der 1871 in der Reichsverfassung gegen ihre rechtliche und soziale Gleichstellung festgelegten Gleichstellung der Juden. Sie sahen Postkarte wandten. Die Agitatoren vertraten nicht nur ei- in der jüdischen Bevölkerung eine Gefahr für die Die antisemitische nen religiösen Antisemitismus, sondern begrün- gesellschaftliche, wirtschaftliche und nationale Propaganda seit den deten ihre Judenfeindschaft zunehmend rassis- Entwicklung des deutschen Volkes. Die Petition 1870er Jahren hielt sich über Jahrzehnte. tisch. enthielt vier zentrale Punkte: Sie fand unter In der 1878 vom Berliner Hofprediger • Die gesetzliche Begrenzung der Einwanderung anderem Ausdruck Adolf Stoecker gegründeten christlich-So- ausländischer Juden nach Deutschland. auf Postkarten wie zialen Arbeiterpartei formierte sich die anti- • Ihren Ausschluss aus Regierungsämtern und die dieser von 1911. semitische Bewegung. Der Berliner Gymna- Beschränkung der Anzahl jüdischer Richter. siallehrer Bernhard Förster und der Publizist • Ein Beschäftigungsverbot jüdi- Max liebermann von Sonnenberg versuchten scher lehrer an den Volksschu- mit einer unterschriftenaktion Aufmerksam- len und die Einschränkung ihrer keit für ihre antisemitischen Ziele zu erreichen. Zahl an den höheren Schulen. Nach Artikel 23 der Reichsverfassung hatte je- • Die Wiedereinführung der kon- der volljährige Bürger das Recht, sich einzeln fessionellen Statistiken für die oder gemeinsam mit Eingaben an die obersten jüdische Bevölkerung.

Ein jüdischer Schuljunge berichtet

Man ließ mich zunächst am allgemeinen Reli- dischen und religiösen Vorurteile kindlich auf Theodor Lessing gionsunterricht teilnehmen, ohne mir zu sagen, mich einließ und da zu Hause keine Gegen- dass ich ein jüdisches Kind sei. Zu Hause war gewichte wirkten, so glaubte ich, dass Jude Der aus einem assimilierten nie vom Judentum die Rede. Es gab in der Fami- etwas Böses sei. „Die Juden haben unsern lieben jüdischen Elternhaus lie keine jüdischen Bräuche. Es entstand daher Herrn Jesum gekreuzigt.“ Der Religionsunter- stammende Philo- ein unklarer Riss, als mir ziemlich spät bewusst richt wandelte sich von Klasse zu Klasse immer soph (1872 – 1933) wurde, dass ich nicht, gleich den anderen, Christ mehr in Glaubensunterricht. Schon als neun- berichtet über seine sei. Das Verspotten der Judenkinder war nicht jähriger fühlte ich mich von der allgemeinen Erfahrungen als bös gemeint. Das Wort Jude war für die hanno- Abneigung wider Juden mit betroffen. Schuljunge um 1880. verschen Jungen ein Schimpfwort [...].

Kinder sind grausam und auch ich quälte den Quelle: Theodor Lessing: Einmal und nie wieder, Gütersloh 1969, S. 112 armen Ransanoff, bis er eines Tages, als ich zu ihm „Jude“ sagte, antwortete: „Bist ja auch ei- ner.“ Ich sagte empört: „Ist nicht wahr“, erkun- Arbeitsauftrag digte mich aber bei meiner Mutter, was ein Jude 1. Fasse die Auswirkungen des gesellschaftlich sei. Sie lachte und gab eine ausweichende Ant- vorhandenen Antisemitismus auf die politi- wort. Einmal aber zeigte sie mir auf der Straße sche Debatte im Kaiserreich zusammen! einen Mann im Kaftan und sagte: „Da geht ein 2. Nenne die Argumente, die die Petition gegen Jude.“ Daraus schloss ich, dass dann wir keine die jüdische Bevölkerung anführt! „richtigen“ seien. Aber dies Wort Jude wurde 3. Erläutere die Position der jüdischen Bevölke- mir unheimlich. Da ich alle die vielen vaterlän- rung aus Sicht eines jüdischen Jungen. 31 Stundenüberblick

2. Stunde: Windthorsts Position in der Antisemitismus-Debatte

EinStieg Erarbeitung Vortragen der Hausaufgabe. Zentrale Punkte Erläutere Windthorsts Position zur Politik der Antisemiten-Petition: Auf welcher Grundla- gegenüber der jüdischen Bevölkerung! (B2) ge sollen der jüdischen Bevölkerung ihre Rechte Ergebnissicherung entzogen werden? Kernthesen Windthorsts werden an der tafel Weiterführung festgehalten Ausschnitt aus den ems- und Haseblättern: Vertiefung Meppener Juden bekennen sich zu Windthorst. Reduktion der Rede auf einen Kernsatz und Be- (B2) wertung seiner Tragweite für andere Bereiche Problematisierung Vorbereitende Hausaufgabe Warum unterstützen die Meppener Juden Lies den Auszug aus dem Sozialistengesetz (B3) Windthorst? und verfasse eine kurze Stellungnahme aus der Sicht Windthorsts dazu!

Mögliches Tafelbild

WARUM UNTERSTÜTZEN DIE MEPPENER JUDEN WINDTHORST

Windthorst 1880: Maxime: Keine Judenhetze! Das Recht steht über allem. Politische und religiöse Duldung ist die Basis Jeder hat die gleichen Rechte. des Zusammenlebens. Es gibt keine Sonderbehandlung. Windthorst setzt sich für die Juden ein. Fairness gilt auch für mögliche Gegner.

Hinweise zuM Unterricht

Möglich wäre als vorbereitende Hausaufgabe Der Stellungnahme der jüdischen Bevölkerung die unterscheidung von rassisch motiviertem des Emslandes kann zur Vertiefung der Position Antisemitismus und eher auf religiösem und und Bedeutung Windthorsts für diese Gruppen wirtschaftlichem Ressentiment beruhendem folgen, ein nachruf auf Windthorst aus jüdi- Antijudaismus. scher Sicht.

32 Arbeitsblatt B2 Die jüdische Bevölkerung und das Zentrum

Jüdische Bevölkerung und Meppener Juden bekennen Ludwig Windthorst sich zum Zentrum

Aus einem Nachruf auf Ludwig Windthorst in 1890 wurde der Zentrumsführer ludwig der jüdischen Presse: ludwig Windthorst ein Windthorst bei hoher Wahlbeteiligung ohne Gegner des Antisemitismus. Gegenkandidaten wieder zum Abgeordneten Als der Antisemitismus in die Parlamente sei- des Reichstagswahlkreises Meppen gewählt. nen Einzug hielt [...], da lag die Gefahr, dass die Die ems- und Haseblätter aus Meppen sind mächtigste und stärkste Fraktion, das Zentrum, regierungsamtlich und gelten als zentrums- dem Beispiel der Konservativen folgen würde, feindlich. eingesandt: ihr Bericht über die sehr nahe, um so näher, da notorisch die An- Reichstagswahl am 20. des Monats ist in soweit schauungen eines starken Bruchteils der Frakti- unrichtig, als er behauptet, sämtliche nicht- on in altererbten Judenhasse sich denen zuneigte, katholiken hätten sich der Wahl enthalten. welche den Sturmlauf gegen unser Vollbürger- Wir glauben bestimmt versichern zu können, tum zu ihrer Partei-Devise gemacht hatten. Das dass sämtliche Meppener israeliten (hier ge- bang Befürchtete trat nicht ein: das Zentrum hat meint: Juden) den Staatsminister a.D. ludwig – von vereinzelten Ausfällen des Abgeordneten Windthorst in Hannover, wie auch bislang, Schorlemer-Alst abgesehen – niemals, auch in gewählt haben. den tagen des heißesten Kampfes nicht einen Quelle: Ems- und Haseblätter Nr. 17 vom 26.02.1890 Redner auf die Bühne gesandt, der dieselbe Ju- denhetze oder auch nur zu einer Rechtfertigung des Judenhasses missbraucht hat. Und diese Zu- Arbeitsauftrag rückhaltung, deren Gegentheil verhängnisvoll hätte werden können, danken wir wiederum keinem andern als Ludwig Windthorst. Erläutere die Position Windthorst zur Politik gegen die jüdische Bevölkerung! Quelle: Lingener Volksbote Nr. 16 vom 18.04.1891

Windthorst über religiöse Toleranz

Im preußischen Abgeordnetenhaus entwickelte die bürgerliche Gesellschaft gedeihen können. sich im november 1880 eine Judendebatte, in Diese Duldung sind wir allen unseren Mitbür- der Windthorst wie folgt Stellung bezog: gern schuldig, auch den jüdischen Mitbürgern Die Frage der sozialen Stellung unserer jüdi- und diesen besonders deshalb, weil sie in der schen Mitbürger im christlichen Staat ist eine Minorität sind. außerordentlich schwierige [...]. Meine Herren, Aber meine Herren, wenn ich diese Duldung der ganze inhalt meines Gedankens liegt in gewähre, so sage ich den jüdischen Mitbürgern: ganz kurzen Worten: Keine Judenhetze, aber Diese Duldung kann nicht einseitig sein, sie auch keine Christenhetze, (Sehr gut!) vor allem muss vielmehr gegenseitig sein; und die Dul- auch nicht eine Katholikenhetze. (Aha! Links.) dung, die Sie von uns verlangen, müssen Sie Die politische und religiöse Duldung ist die selbst auch uns gewähren. einzige Basis, auf welcher in Deutschland bei Quelle: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen den Verhältnissen, wie sie liegen, der Staat und Hauses der Abgeordneten, XIV, 2, 20. November 1880, S. 248-250 33 Stundenüberblick

3. Stunde: Windthorst als Streiter gegen das „Sozialistengesetz“

EINSTIEG wird Windthorsts Haltung zu den Sozialdemo- Präsentation der Hausaufgabe und Hypothe- kraten deutlich. Formuliere diese und setze sie senbildung: Kernthesen und mögliche Stellung- in Beziehung zu seinen Aussagen in der Rede! nahme Windthorsts zum „Sozialistengesetz“ Transfer Erarbeitung/ERGEBNISSICHERUNG Erstellen eines Erwartungskataloges an heutige Erarbeitung der Rede Windthorsts und ab- Politiker in Form eines Brainstormings. Kriti- schließende Präsentation und Auswertung bzw. sche Reflexion der Inhalte des Kataloges an ak- Ergänzung der Ergebnisse. tuellen Beispielen Vertiefung Nachbereitende Hausaufgabe Einordnung der Quelle (B3) in den historischen Vergleiche die Erwartungen an heutige Politiker Kontext und Vergleich der Rede Windthorsts mit den Prinzipien Windthorsts für sein politi- (B4) mit dem Sozialistengesetz. Im letzten Satz sches Handeln!

Mögliches Tafelbild

WINDHORST ZUM „SOZIALISTENGESETZ“ (18.05.1878)

Stellungnahme GEGEN das „Sozialistengesetz“ Gründe: - eigene Erfahrungen mit Ausnahmegesetzen (Kulturkampf) - keine Rechtsbasis der Maßnahmen (Gerechtigkeit) - „Gewaltmaßnahmen“ bewirken eher das Gegenteil, nämlich engere Verbundenheit der Gemaßregelten und regen Zulauf (Kulturkampf) - Maßnahmen nur auf moralischem / erzieherischem Wege ABLEHNUNG des Entwurfes NICHT aus Sympathie zu Sozialdemokraten, sondern aus rechtlichen Bedenken. Die Sozialdemokraten blieben politische und ideologische Gegner! („das Volk zur Umkehr bringen, wenn es verirrt ist“)

Hinweise zuM Material

Zu Arbeitsblatt B3 die Vergangenheit – Beziehung zwischen Staat Dieser text wurde gekürzt. Weitere Möglich- und Zentrumspartei – im ersten Teil der Rede keiten der Verkürzung, bei denen allerdings erinnernd deutlich. Des Weiteren muss die im der kompromisslose Charakter der Quelle wei- letzten Satz deutliche Einschätzung des Sozia- ter verloren ginge, böten sich in § 9 und § 17 lismus als „Verirrung“ hervorgehoben werden. an. Entscheidend bliebe, die Beschneidung der Ob dieses vor oder nach der Bearbeitung durch Freiheiten sowie den Charakter der Repressio- die Schülerinnen und Schüler geschieht, bleibt nen als auf die Anhänger der Sozialdemokratie der eigenen Schwerpunktsetzung überlassen. gemünzte Ausnahmegesetze herauszustellen. Die zweite Variante bietet die Möglichkeit, den Standpunkt Windthorsts zu verschärfen und Zu Arbeitblatt B4 den Punkt der noch immer geltenden politi- Es empfiehlt sich, den sprachlich anspruchs- schen Gegnerschaft zwischen den Parteien her- vollen text zu Beginn kurz zeitlich einzuord- vorzuheben, um dann diesem Schluss das Prin- nen. So werden die Verweise Windthorsts auf zip der Rechtstaatlichkeit entgegenzustellen. 34 Arbeitsblatt B3 „Sozialistengesetz“

Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie in der Fassung vom 21.10.1878

§ 1 Vereine, welche durch sozialdemokra- 1) [Versammlungen müssen vorher durch die tische, sozialistische oder kommunistische Polizeibehörden genehmigt werden.] Bestrebungen den umsturz der bestehenden 2) dass Verbreitung von Druckschriften [...] an Staats- und Gesellschaftsordnung bezwecken, öffentlichen Orten nicht stattfinden darf. sind zu verbieten. […] 3) dass Personen, von denen eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung zu besorgen ist, der § 9 Versammlungen, in denen sozialdemokra- Aufenthalt in den Bezirken [...] versagt werden tische, [...] auf den umsturz der bestehenden kann. […] Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen zu Tage treten, sind aufzu- lösen. Versammlungen, von denen durch Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sie zur Förderung der im ersten Absatze bezeichneten Bestrebungen be- stimmt sind, sind zu verbieten. Den Ver- sammlungen werden öffentliche Festlich- keiten und Aufzüge gleichgestellt. […]

§ 11 Druckschriften, in welchen sozialde- mokratische, sozialistische oder kommu- nistische auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerich- tete Bestrebungen [...] zu Tage treten, sind zu verbieten. […]

§ 17 Bis zu 500 Mark Geldstrafe oder 3 Mo- nate Gefängnisstrafe für Mitgliedschaft […] in einem solchen Verein bzw. für die teil- nahme an einer verbotenen Versammlung; Gefängnis von 1 Monat bis zu 1 Jahr für Vor- stände einer [...] Vereinigung]

§ 19 Wer eine verbotene Druckschrift […] verbreitet [...], wird mit Strafe bis zu 1000 Mark oder Gefängnis bis zu 6 Monaten be- straft.

§ 28 Für die Bezirke oder Ortschaften, wel- che durch […] Bestrebungen mit Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedroht sind, können von den Zentralbehörden der Bundesstaaten die folgenden Anordnungen […] für die Dauer von längstens 1 Jahr getroffen werden: Quelle: Weltgeschichte im Aufriss, Frankfurt a.M. 1978, S. 155f 35 Arbeitsblatt B4 Ludwig Windthorst

Rede vor dem Deutschen Reichstag 18.05.1878

Wie wir die Ausnahmegesetze, die hier im Deutschen Reich und in Preußen gegen uns dekretiert sind, bekämpft haben, weil sie Aus- nahmegesetze sind, so werden wir auch diese Ausnahmegesetze bekämpfen. [...] Unrecht bleibt unrecht, wenn es auch nur gegen einen geübt wird. [...] ich dächte doch, Sie hätten gewitzigt sein sollen, denn Sie haben ähnliche Maßregeln gegen uns versucht und haben eine klägliche niederlage erlitten. Dis- cite justitiam et non temnere divos! Wir wollen Gerechtigkeit üben, sonst haben wir das Gericht der Götter zu fürchten, und Gerechtigkeit ist mit dieser Vorlage nicht vereinbar. [...] Diejenigen, die glauben, mit äußeren Maßre- geln die Bewegung unterdrücken zu können, sind im großen irrtum und kennen die Men- schen nicht. Nur durch große sittliche Momente kann man das Volk zur Umkehr bringen, wenn es verirrt ist; durch den Polizeistock niemals.

Glossar

Dekretiert – verfügt, beschlossen gewitzigt – klug, schlau geworden, gewitzt

Quelle: Eduard Hüsgen, Ludwig Windthorst, Köln 1907, S. 325

36 Stundenüberblick

4. Stunde: Bismarck und Windthorst – ein gespanntes Verhältnis

Einstieg / Hypothesenbildung Sicherung Deutung des Zitats Bismarcks als ablehnende Sammlung von Gründen für die Gegnerschaft Aussage (B5). in einem tafelbild. Formulierung eines Fazits Erarbeitung als Windthorsts „Antwort“ auf das Zitat Bis- Vertiefende Betrachtung der gegenseitigen Be- marcks. ziehungen mittels der Redeauszüge (B5). Was sagen die Redeauszüge über die Beziehung der beiden Politiker?

Mögliches Tafelbild

BISMARCK UND WINDTHORST – HASS ODER FEINDHSCHAFT?

Rede Bismarcks Klare Antipathie gegenüber Windthorst (Fraktion Meppen, General ohne Armee, Welfe), Windthorst als Verräter am preußischen Staat

Rede Windthorsts Ablehnung der politischen Entscheidungen Bismarcks, höflicher / ironischer Umgang mit der Person (Anrede mit Titel)

Hinweise zuM Material

Zu ArBEITSBLATT B5 gen Tag (siehe A8, S. 20). Die Rede Bismarcks Das Zitat entstammt einem Gespräch Bismarcks vom 09.02.1872 besticht durch ihren „Kampf- mit einem Abgeordneten und unterstreicht die charakter“: Bismarck versucht Windthorst vor Antipathie gegen den Zentrumsabgeordneten, der Fraktion zu diskreditieren, indem er ihm die der Kanzler auch in Rededuellen offenbarte. vorwirft, noch immer ein „Welfe“ und somit Windthorst erschien ihm als „Intimfeind“, der staatsfeindlich gesinnt zu sein. Die Rede setzt seine politischen Pläne blockierte. sich fort, indem er die Welfen schlichtweg zu Der vorliegende Redenauszug von Windthorst „Sympathisanten“ der Franzosen und damit ist eine Antwort auf Bismarcks Rede vom selbi- zum Freund des deutschen Erzfeindes erklärt.

37 ARBEITSBLATT B5 gespanntes Verhältnis von Bismarck und Windthorst

Liebe und Hass

im Gespräch mit dem Abgeordneten Tiedemann am 25.01.1875: Hass ist aber ein ebenso großer Sporn zum Leben wie liebe. Mein leben erhalten und verschönern zwei Dinge: Meine Frau und Windthorst. Die eine ist für die liebe da, der andere für den Hass.

Arbeitsauftrag

Formuliere eine Antwort Windthorsts!

Gegenseitige Angriffe Windthorst über Bismarck Bismarck über Windhorst

in einer Debatte vor dem preußischen Abge- in einer „Kampfrede“ vor dem preußischen ordnetenhaus 30.01.1872. Das thema war die Abgeordnetenhaus 09.02.1872: Aufhebung der „Katholischen Abteilung“ im Es bestand, ehe die Zentrumsfraktion sich Kultusministerium: bildete, eine Fraktion, die man als Fraktion Wenn der Herr Ministerpräsident annimmt, Meppen bezeichnete. Sie bestand, soviel ich dass jede Bekämpfung seiner Maßregeln und mich erinnere, aus einem großen General seiner Politik ein Kampf gegen den Staat ist, ohne Armee. Indessen ist es ihm gelungen, eine dann hat er vielleicht in diesem oder jenem Armee aus dem Boden zu stampfen und sich Punkte recht, aber ich bin so frei, anzunehmen, damit zu umgeben. Sind die interessen des dass es noch nicht richtig ist, dass der Herr Mi- Führers und der Armee nun identisch? […] Wer nisterpräsident der Staat sei. Ich kann ein eifri- ist dieser Abgeordnete Dr. Ludwig Windthorst? ger Anhänger des Staates sein und doch mich Ein Welfe1, der immer noch an seinem früheren in meinem innersten Gewissen genötigt fühlen, Monarchen hängt. Das Öl seiner Worte ist nicht viele Maßregeln zu bekämpfen, und zwar ener- von der Sorte, die Wunden heilt, sondern von gisch zu bekämpfen, welche der Herr Minister- der, die Flammen nährt, Flammen des Zorns. präsident einzuleiten für gut befindet. 1 Die Welfen regierten im Königreich Hannover, welches 1866 nach der Niederlage im preußisch-österreichischen Krieg von Preußen annektiert Quelle: Wilhelm Spael, Ludwig Windthorst. Bismarcks kleiner großer wurde. Windthorst hatte zuvor als Justizminister der hannoverschen Gegner. Ein Lebensbild, Osnabrück 1962, S. 85f Regierung angehört. Quelle: Spael, S. 87f

Arbeitsauftrag

Was sagen die Redeauszüge über die Beziehung der beiden Politiker? 38 Sozialpolitik

Kapitel C Widersacher staatlicher Wohlfahrt

Unterrichtsentwürfe mit Quellenmaterial

Übergeordnete Lernziele

Die Schülerinnen und Schüler … • erläutern, dass sich im Zuge der Industriali- • charakterisieren die Ansätze Bismarcks, die sierung Bürgertum und Arbeiterschaft zu den Soziale Frage durch eine staatliche Sozialver- ausschlaggebenden Schichten im Deutschen sicherungsgesetzgebung zu lösen, als Ver- Reich entwickelten und sich die Lage der such, die Ursachen der sozialen Not zu ent- Arbeiterschaft, die von Massenarmut, schlech- schärfen und die Arbeiterschaft an den Staat ten Wohnverhältnissen, niedrigen Löhnen, zu binden. sozialer Unsicherheit etc. gekennzeichnet • stellen dem Interventionsstaat in der Sozial- war, durch die Wirtschaftskrise der 1870er gesetzgebung Bismarcks die sozialpolitischen Jahre noch verschärfte. Vorstellungen Windthorsts gegenüber, der • beschreiben den Zusammenhang zwischen sich gegen einen staatlichen Zentralismus sozialer Unsicherheit und Unruhe breiter aussprach und die Verpflichtung zur Wohl- Bevölkerungsschichten und dem Anwachsen fahrt vorrangig in der Familie, der Gemeinde der Wählerschaft der Sozialdemokratie. und in den karitativen Diensten der Kirchen • beurteilen die Soziale Frage als bedeutends- verankert sah. tes innenpolitisches Konfliktpotential in der • urteilen, dass Ludwig Windthorst, dessen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Handeln von den Grundlinien seiner christ- lichen Weltanschauung und dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit bestimmt war, auch für unsere Gegenwart auf Probleme eines aus- greifenden Sozialstaats hinweist.

Stundenverlaufsplan

1. Stunde: Die Soziale Frage im 19. Jahrhundert 2. Stunde: Individuelle Vorsorge oder staatlich garantierte Sicherheit? 3. Stunde: Die Lösung der Sozialen Frage

39 Stundenüberblick

1. Stunde: Die Soziale Frage im 19. Jahrhundert

Einstieg Vertiefung „Der Streik“, (Robert Koehler, 1886) ohne Titel Konfliktpotential zwischen den Akteuren: zeigen. Anschließend Bildbeschreibung, danach • Entstehung der Sozialen Frage Aufdecken des Titels. Problemfrage: Welche • Möglicher Gegenwartsbezug Positionen werden hier vertreten? • Arbeitskampf heute Erarbeitung • Hartz IV / soziales Netz heute Erarbeitet in Gruppen mit Hilfe der historischen Nachbereitende Hausaufgabe Quellen (C2), welche Positionen und Forderun- Versetze dich in das Jahr 1886. Schreibe einen gen die Personengruppen vertreten! Zeitungskommentar. Wähle dazu die Perspek- Ergebnissicherung tive eines Journalisten, der für eine deiner Präsentation der Gruppenarbeitsergebnisse Gruppe nahe stehende Zeitung arbeitet. Zusammenfassung an der Tafel

Mögliches Tafelbild

UNTERNEHMER ARBEITER

• Profit-/ Gewinnorientierung • Klage über Auflösung des traditionellen • Mensch muss funktionieren Familienbildes • fehlender Kündigungsschutz • gesundheitliche Gefährdung • Leben am Existenzminimum • schlechte Arbeitsbedingungen • Rechtlosigkeit, Verelendung • Ausbeutung und Willkür durch Unternehmer • Kinderarbeit

40 Arbeitsblatt C1 Der Streik

Ölgemälde von Robert Koehler (1850 – 1917)

Arbeitsauftrag Als dieses Bild 1886 das erste Mal in 1. Erarbeite, welche verschiedenen Positionen und Forderungen die Personengruppen vertreten! NewYork gezeigt 2. Versetze dich in das Jahr 1886. Wähle dir eine der im Bild beschriebenen Personengruppen aus. wurde, erregte es Schreibe einen Zeitungskommentar aus der Perspektive eines Journalisten, der für eine dieser besonderes Aufsehen, Gruppe nahe stehende Zeitung arbeitet. weil zu dieser Zeit eine Streikbewegung den Achtstundentag durchzusetzen versuchte.

41 Arbeitsblatt C2 Bildanalyse zu „Der Streik“

Der Anführer Der Junge Das Fabrikwesen erzeugt eine Hörigkeit [Ab- Sobald die Kinder irgendwie verwendbar hängigkeit] neuer Art. Der Fabrikarbeiter ist sind – und wer kennt nicht die frühzeitig ein- der Leibeigene eines Brotherrn, der ihn als tretende Möglichkeit ihrer Beschäftigung an nutzbringendes Werkzeug missbraucht und Maschinen –, so werden sie aus dem Hause abgenutzt wegwirft. 1 gestoßen; bis zu diesem Zeitpunkte aber sind [In ihrer Gier nach Reichtum haben die sie ohne alle Aufsicht [...]. Nicht einmal zu Unternehmer] die Ausbeutung der Arbeits- dem gemeinschaftlichen Mahl versammelt kraft der unteren Stände, mit deren Arbeit sich die Familie immer. 6 der Reichtum erzeugt wird, bis zur Unter- [Die Arbeitsräume] waren hell und reinlich drückung gesteigert. Sie haben die Armen und die Kinder dem äußeren Anschein nach so gesund und behag- nach und nach […] in einem Grade verelen- lich, als diese für Leib und Seele mörderische Beschäftigungsart, det, von dem sich niemand eine Vorstellung machen kann, der die- denn anders kann man die großen Baumwollspinnereine nicht nen- se allmählich vor sich gehenden Wandlungen nicht beobachtet hat. nen, es irgend gestatten mag. Die Kinder sind täglich von 5 Uhr Infolgedessen sind dieselben augenblicklich viel heruntergekom- morgens bis 12 Uhr mittags, nachmittags von 1 Uhr bis zum späten mener und elender als vor der Einführung der Fabriken, von deren Abend, im Winter natürlich bei Lichte, beschäftigt. Schulunterricht Gedeihen jetzt die bloße Möglichkeit ihrer Existenz abhängt. 2 genießen sie gar nicht, weder in der früheren Zeit noch in der Zeit, in welcher sie hier Arbeit finden. [...] Die Kinder selbst, die in Reih und Glied sitzend arbeiten, bald sich vor-, bald wieder rückwärts biegen, alle aber fast taktmäßig dieselben Bewgungen und dassel- be Geräusch machen, gemahnen [erinnern an] den Beobachter wie Die Frau mit den Kindern Maschinen [...]. 7 Die Arbeit der Weiber löst vor allen Dingen die Familie gänzlich auf; denn wenn die Frau den Tag über zwölf bis 13 Stunden in der Fa- brik zubringt und der Mann ebendaselbst oder an einem anderen Ort arbeitet, was soll Der Arbeiter mit dem Stein da aus den Kindern werden? Sie wachsen Auszug aus der Fabrikordnung der Mecha- wild auf wie Unkraut. 3 nischen Baumwollspinnerei und Weberei Augsburg vom 10. Juli 1840: § 1: Jeder Arbeiter, welcher in der Fabrik Schichtlöhne von Männern und Frauen 1888 im Bezirk Oppeln aufgenommen wird, ist nach einer Probezeit (Schlesien) in Mark von 14 Tagen, binnen welcher ihm der Aus- Industriezweig Männer Männer Frauen tritt freisteht, verpflichtet, sechs Monate [...] gelernte ungelernte in der Fabrik zu arbeiten. [...] Dagegen bleibt Walzwerk 2,46 2,16 0,98 es dem Fabrikherrn unbenommen, den Ar- Ziegelei 2,28 1,62 0,87 beiter wegen schlechter Aufführung oder Porzellanfabrik 1,32 1,95 0,63 wegen jeder sonstigen Ursache jederzeit zu verabschieden. [...] § 2: Außer an Sonntagen und hohen Festtagen wird alle Tage gear- Baumwollspinnerei 2,08 1,95 0,63 beitet. Jede Abwesenheit an einem anderen Tage [...] wird mit einer Geldbuße bestraft, welche das Doppelte des Lohnes beträgt, der während der Zeit der Abwesenheit verdient worden wäre. [...] § 11: Wenn in einem Arbeitssaale ein Gegenstand beschädigt Der Unternehmer wird, und der Täter nicht auszumitteln ist, so sind die Arbeiter des In den Fabrikdistrikten dagegen, wo die El- ganzen Saales bis zur Nachweisung des Täters haftend. 8 tern selbst vom frühen Morgen bis zum spä- ten Abend beschäftigt sind, blieben die Kin- Mann der Arbeit aufgewacht! / Und erkenne deine Macht! der ohne Aufsicht sich selbst überlassen; sie Alle Räder stehen still, / wenn dein starker Arm es will. 9 fänden in der, in der Regel sehr beschränkten Wohnung und dem kümmerlichen Haus- stande weder Raum noch Gelegenheit, sich Quellen 1 Joseph Buß 1837, in: Ursula Schulz (Hrsg.), Die deutsche Arbeiterbewegung 1848 bis 1919 zu beschäftigen, und würden daher, wenn in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 1968, S. 23 ihre Tätigkeit in den Fabriken aufhört, sich 2 Aus einer Schrift des englischen Fabrikanten Robert Owen, 1818, in: Günter Schönbrunn (Bearb.), Das bürgerliche Zeitalter 1815 – 1918, München, 1980, S. 106 (Geschichte in auf den Straßen herumtreiben und vielleicht Quellen) der Bettelei, der Dieberei und anderen Lastern ergeben. 4 3 Friedrich Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England 1845, in: Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. 2, Berlin, S. 253f Der Wert der Zeit ist bisher noch nie verstanden worden und der 4 Jahresbericht der Handelskammer Aachen und Burtscheid für das Jahr 1865, in: Ruth Wert des Fleißes. Die Arbeiter kommen nicht regelmäßig an die Ar- Hoppe, Dokumente zu Geschichte des arbeitenden Kindes in Deutschland von 1700 bis zur Gegenwart, Berlin 1969, S. 107 beit und legen dieselbe nieder vor der Zeit, um sich zu waschen, 5 Der Unternehmer Krupp, 1876, in: Jürgen Kocka, Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexisten- Pfeife anzuzünden und unter ähnlichen Vorwänden. Ich habe es oft zen, Grundlagen der Klassenbildung im 19. Jahrhundert, Bonn 1990, S. 483 6 Robert Mohl, 1835, in: G. Schönbrunn (Anm. 2), S. 752 vorgerechnet, wie viel verloren geht, wenn jeder Arbeiter 5 Minu- 7 Aus dem Reisebericht des Regierungsrats Keller, 1834, in: G. Schönbrunn (Anm. 2), S. 756f 5 8 Claus Grimm (Hrsg.), Aufbruch ins Industrie-Zeitalter, Bd. 1: Linien der Entwicklungsge- ten weniger schafft. schichte, München 1985, S. 200ff 9 Bundeslied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, 1863 42 Stundenüberblick

2. Stunde: Individuelle Vorsorge oder staatlich Garantierte Sicherheit?

Einstieg Erweiterung Vergleich der Hausaufgabe. Informiere dich über die Grundlagen der katho- Euer Artikel wird in großen Zeitungen gedruckt. lischen Soziallehre am Beispiel der katholischen Überlege, wie der Staat reagieren kann! Sozialreformer Bischof Ketteler und Adolph Erarbeitung Kolping und recherchiere das soziale Betäti- Rede Windthorsts im Deutschen Reichstag am gungsfeld des „Volksvereins für das katholische 20.05.1889 über das Invaliditäts- und Altersver- Deutschland“, zu dessen Gründungsmitgliedern sicherungsgesetz (C3). Historische Einordnung im Jahr 1890 Windthorst gehörte. Diskutiere, und Quellenkritik, stichwortartige Gegen- aus welchen Überzeugungen sich Windthorsts überstellung der Pro- und Contra-Argumente Standpunkt ableiten lässt bzw. inwiefern seine bezüglich des Gesetzentwurfes in einer Tabelle. Überzeugung in der katholischen Soziallehre Es folgt die Präsentation der Ergebnisse. wurzelt! Vertiefung Nachbereitende Hausaufgabe Die Position Windthorsts zum Invaliditäts- Arbeite das Arbeitsblatt (C4) durch und verglei- gesetz und zur Sozialen Frage. che die Inhalte mit den Zielen des Zentrums!

Mögliches Tafelbild

PRO-ARGUMENTE CONTRA-ARGUMENTE (Windthorst)

• Gesetz soll den Arbeitern Sicherheit bieten • Volk untersteht einem staatlichen Zwang (Ver- • Arbeiter sollen sich zufrieden geben sicherung als Gesetz) • Besseres Gewissen der Bourgeoisie • Versorgung ist nicht unbedingt durch das Ge- setz gegeben • Arbeiter haben wenig Geld und müssen damit auch noch die Versicherung finanzieren • Staat hat zu viel Macht – entmündigt Bürger • Bruch zwischen Arbeiterklasse und Kirche

Fazit Windthorst lehnt das Gesetz ab, da er die Ver- er mit seinen christlich katholischen Wertvor- pflichtung zur Vorsorge vorrangig in der Fami- stellungen. Im Gegensatz dazu steht Bismarcks lie, der Gemeinde und in den karitativen Diens- Auffassung von einer staatlichen Zwangsversi- ten der Kirchen verankert sieht. Dies begründet cherung.

Hinweise zu den Materialien

Zu Arbeitsblatt C4 Deutschland besaß um die Jahrhundertwende Das System der deutschen Sozialversicherun- das weltweit großzügigste System von Sozial- gen (1913): Die Schautafel stellt die Vorteile leistungen und wurde in den folgenden Jahren des deutschen Sozialversicherungssystems zum Vorbild für viele andere Länder. Der Titel heraus. Sie skizziert die Versorgung durch die des Schaubildes prahlt: „Die deutsche Sozial- Kranken- und Altersversicherung sowie durch versicherung steht in der ganzen Welt vorbild- die Invaliden- und Hinterbliebenen-Fürsorge. lich und unerreicht da.“ 43 Arbeitsblatt C3 das Invaliditäts- und Altersversicherungs- gesetz

Rede Windthorsts im Deutschen Reichstag am 20.05.1889

Das vorliegende Klassen, die an sich nicht bedürftig sind, Ver- Gesetz ist ein Ge- mögensteile zugesteht; wenigstens ist die Teil- setz, willkürlich nahme an den Wohltaten an den Nachweis der erdacht und durch Bedürftigkeit nicht geknüpft. die Verhältnisse in [...] wer für dieses Gesetz stimmt, ist ein Sozi- keiner Weise in- aldemokrat, d. h. er stellt sich mit diesem Gesetz nerlich begründet; voll und ganz auf sozialistischen Boden. [...] darum stehen wir Wer einmal dem sozialistischen Prinzip den eben vor einem kleinen Finger reicht, den nimmt es bei der ganz unbestimm- ganzen Hand, und ich habe ganz die Meinung, ten Etwas, das wir dass wir so weit gerissen werden, und zwar in mit Gesetzeskraft gar nicht langer Frist, die vollen Prinzipien der bekleiden sollen, wir sollen so die ganze deut- Sozialdemokratie auf diesem Gebiete uns anzu- Familienarbeit sche Bevölkerung in eine Zwangsjacke bringen, eignen. [...] Eine Böhmische [...] Das ist etwas, was ich nicht verstehe. Endlich [...] mache ich auch jetzt wieder auf- Zigarrenmacher- Dann [...] ist gesagt worden: dies Gesetz soll merksam darauf, dass durch dies Gesetz nicht Familie bei der Arbeit zur Beruhigung dienen, wir wollen nament- allein das Verhältnis, wie es von Gott geordnet in ihrer Wohnung lich die arbeitenden Klassen durch dies Gesetz worden ist in Beziehung auf Familie, auf die Ge- in eine Lage bringen, dass sie sich wohler füh- meinde, alteriert1 werden wird; es wird außer- len, dass sie sich zufrieden geben oder uns das dem der Staat, nachdem er sich zum allgemei- Gewissen frei machen, wenn wir etwa in einem nen Brotherrn [...] gemacht, auch auf anderen Kampfe genötigt werden sollten, mit schärferen Gebieten alles mehr und mehr an sich reißen. Waffen gegen die arbeitenden Klassen einzu- [...] mit solcher Gesetzgebung wird der Ein- treten. [...] Von einer Beruhigung durch dieses fluss der Kirche auf die arbeitenden Klassen Gesetz kann nach meiner innersten überzeu- gebrochen. [...] Zu solcher Gesetzgebung kann gung gar kein Reden sein. Man erregt gerade und will ich nicht mitwirken; die Regierung hat durch dieses Gesetz eine Reihe Hoffnungen, die gewiss diese Absicht nicht, sie wird sie aber auf sich nicht erfüllen werden. Die Leute bekom- der Grundlage dieses Gesetzes notwendig zu men nicht genug, und, das wichtigste ist, sie diesen Resultaten kommen. müssen bezahlen. [...] Quelle: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Ich habe vorhin schon gesagt, dass dieses Reichstages, VII. Legislaturperiode, IV. Session 1888/89. 3. Band. Berlin 1889, S. 1853-1858 Gesetz prinzipiell Einzelnen und einzelnen

glossar Arbeitsauftrag

Alterieren – aufregen Vergleiche die Inhalte der Rede mit den Zielen des Zentrums! 44 Arbeitsblatt C4

Werbung für die Sozial- versicherung aus dem Jahre 1913

Versicherungsart Beiträge Leistungen Invaliditäts- und 1 % (ab 1900 1,5 %) des Lohns, Invalidenrente bei Erwerbs- Altersversicherung 1889 je zur Hälfte von Arbeitnehmern unfähigkeit (1911): 1,1 Millionen für gewerbliche und Landarbeiter und Arbeitgebern Rentenbezieher von durchschnitt- (ab 1911 auch für Familienange- lich 187 Mark/Jahr; hörige) Altersrente ab 70. Lebensjahr und nach 30 Beitragsjahren (ab 1900: 24)

Quelle: Geschichte und Geschehen, Bd. 4, Sek. I, Leipzig 2006, S. 150

Jahr Durchschnittlicher Index der Durchschnittlicher nominaler Lebenshaltungskosten realer Jahresverdienst Jahresverdienst in Mark 1895 = 100 (Preise von 1895)

1895 665 100,1 665 1900 784 106,4 737 1905 849 112,4 755 1910 979 124,2 789 1913 1083 129,8 834

Quelle: Jürgen Kocka, Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbildung im 19. Jahrhundert. Berlin 1990, S. 495

Arbeitsauftrag

1. Fertige mit den Angaben aus der unteren versicherung geregelt wurden und welche Tabelle für die nominalen und die realen Jah- Leistungen den Versicherten zustanden. Ver- resdurchschnittsverdienste ein Kurvendia- gleiche diese Bestimmungen aus der mittleren gramm an (x-Achse: Jahre; y-Achse: Verdienst). Tabelle mit den heutigen Bestimmungen! Welche Entwicklung kannst du feststellen? 3. Ermittle die Beitragszahlungen, die ein Arbeit- 2. Erkläre, wie die Beitragszahlungen zur Alters- nehmer zu entrichten hatte. 45 Stundenüberblick

3. Stunde: Die Lösung der Sozialen Frage

Einstieg Erarbeitung Besprechung der Hausaufgabe. Vergleiche den Textausschnitt von Hans-Ulrich Wehler (C5): Inhalt der mittleren Tabelle auf Arbeitsblatt C4 Arbeite den Standpunkt Wehlers hinsichtlich mit den Zielen des Zentrums! Bismarcks Sozialgesetzgebung heraus. Lehrerinformation: Das Gesetz wird verabschie- Ergebnissicherung det und weitere folgen. Vergleiche die Positionen von Zentrum und Bis- Problematisierung marck! Warum setzt Bismarck die Sozialgesetzgebung Erweiterung/Vertiefung: durch? Beide Parteien verfolgen auch gleiche Ziele. Wa- rum spricht sich Windthorst gegen das Gesetz aus?

Mögliches Tafelbild

ZENTRUM BISMARCK (LAUT WEHLER)

Erhaltung der sozialen Erhaltung der sozialen Ordnung & } Gemeinsames Ziel { Ordnung & Lösung der sozialen Aufgaben Entspannung der sozialen Probleme

Bedenken gegen die für die Sozialgesetzgebung Sozialgesetzgebung

verantwortlicher Bürger <– Rolle des Staates –> starker Staat

46 Arbeitsblatt C5 Sozialversicherung statt Sozialreform

Der Historiker Hans-Ulrich Wehler zu Bismarcks Sozialpolitik

Von vornherein wurde diese Sozialpolitik nicht als Sozialreform im Sinne des Arbeiterschutzes und einer Humanisierung der industriellen Arbeitswelt, geschweige denn als Umbau der Gesellschaftsordnung begriffen. Der Reichs- kanzler lehnte bekanntlich den Ausbau der erst 1871 eingeführten Fabrikinspektion, die Besei- tigung der Sonntagsarbeitszeit, die Verkürzung der Arbeitszeit, die Einschränkung der Frauen- und Kinderarbeit, die Einführung von garan- tierten Mindestlöhnen usw. bis 1890 rigoros ab. Die Betriebsherrschaft der Kapitaleigentümer wurde durch die ihnen schließlich mitaufer- legten Sozialabgaben keineswegs angetastet. Vielmehr teilte Bismarck den Standpunkt zahl- reicher Unternehmer, dass die Industrie zwecks Erhaltung ihrer internationalen Konkurrenz- fähigkeit nicht ernsthaft belastet werden dürfte. Ganz offen wurde die Versicherungsgesetz- gebung der 80er Jahre von Anfang an „als das Kinderarbeit notwendige Korrelat“ […] zum repressiven So- Arbeitsauftrag zialistengesetz konzipiert. […] Bismarck wollte in einer Glasbläserei 1908 physische Bedürfnisse befriedigen, um die Geis- Arbeite den Standpunkt Wehlers hinsichtlich ter einzuschläfern und den Willen zu brechen. Bismarcks Sozialgesetzgebung heraus.

Quelle: Hans-Ulrich Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871-1981, Göttin- gen 1988, S. 136

Glossar

Humanisierung – eine Sache, eine Gesell- Korrelat – Gegenstand oder Begriff, der zu schaft menschlicher machen einem andernen in Wechselbeziehung steht konzipieren – Zusammenstellen von Infor- physisch – körperlich mation und Begründungen für ein größeres repressiv – unterdrückend Vorhaben oder umfangreiche Planungen rigoros – streng, hart

47 Abschlussstunde „Der Weg des Rechts ist der einzige Weg, der zum Ziel führt“ Vorschläge für eine handlungs- und produktionsorientierte Abschlussstunde

Informationstafeln Pro & Contra Debatte „Herr Ludwig Windthorst in Europa“, einer der Straßenschild bedeutendsten Parlamentarier des 19. Jahrhun- In vielen deutschen derts, verschwindet immer mehr aus unseren Städten gibt es eine Schulbüchern. Führt eine Debatte, in der ihr Windthorststraße, so euch damit auseinander setzt, ob diese Strei- auch in Osnabrück, Berlin und Erfurt. chung sinnvoll ist! Das Bild entstand Gruppenarbeit: Verfasst einen Informationstext in Meppen. für ein Straßenschild „Windthorststraße“ bzw. für eine Informationstafel neben dem Denkmal Diskussion (z.B. Fishbowl) am Osnabrücker Dom.

Lexikonartikel Gruppen- oder Partnerarbeit: Verfasse einen Lexikonartikel über Ludwig Windthorst!

Gruppenarbeit Gestalte mit Hilfe der Materialien der Unter- richtseinheit eine Seite für die Homepage eurer Schule zu Ludwig Windthorst!

Projekt In sehr vielen deutschen Städten gibt es eine z.B. fächerübergreifende Zusammenarbeit mit Bismarckstraße, einen Bismarckplatz, eine Bis- Kunst, Deutsch oder Religion: An der Stelle sei- marckschule oder andere Einrichtungen, die nes Geburtshauses auf Gut Caldenhof in Oster- nach dem deutschen Reichskanzler Otto von cappeln bei Osnabrück befindet sich heute eine Bismarck benannt sind. In einem neuen Bau- Gedenkstätte, die neu gestaltet werden soll. Er- gebiet eurer Stadt bekommen die Straßen und stelle eine Skizze für eine neue Gedenkstätte, die Plätze Namen. Diskutiert im Rahmen einer Formen des Erinnerns in der Gegenwart berück- Ratssitzung darüber, ob Ludwig Windthorst bei sichtigt! der Namensgebung berücksichtigt werden soll!

48 Abschlussstunde

Rollenspiel Standbild Ludwig Windthorst lebte in bescheidenen finan- Veranschaulicht eine politische oder private ziellen Verhältnissen. In den 1880er Jahren be- Situation aus dem Leben Windthorsts in einem kam er von Kaiser Franz–Josef, dem Vormund Standbild! Als Partnerarbeit oder Gruppen- des minderjährigen katholischen Fürsten von arbeit. Thurn und Taxis, das Angebot, die Vermögens- verwaltung dieses Fürsten zu übernehmen. Sein Jahresgehalt betrug ca. 300.000 Euro und Standbild eine entsprechende Absicherung für Frau und von Ludwig Kinder nach seinem Tode. Spielt diese Szene mit Windthorst am Dom verteilten Rollen! von Osnabrück. Übrigens hat Windthorst dieses Angebot Daneben ist eine mit zwei Bischöfen, die im Exil lebten und mit Bronzeplatte mit einem Ausspruch des denen er sich an einem Grenzort traf, beraten. Politikers zu sehen: Deren Antwort war: „Ihre Pflicht als Katholik „Ich werde das ist es, auszuharren, wo Sie stehen!“ Also packte Recht, das ich für die Windthorst seinen Koffer, fuhr nach Hannover Katholiken und für zurück und sagte Franz-Josef ab. Bewertet die- die katholische Kirche und deren Diener in se Haltung aus eurer Perspektive! Sucht nach Anspruch nehme, anderen Beispielen dafür, dass Menschen ihren jederzeit vertreten Grundsätzen treu geblieben sind oder treu blei- auch bei den Protes- ben! tanten und nicht minder bei den Juden. Ich will eben das Recht für alle.“ Spiel Gruppenarbeit: Bismarck möchte verhindern, dass der Katholikentag in Berlin stattfindet. Im Reichstag treffen der hünenhafte Kanzler und Windthorst aufeinander. Überlegt euch in Grup- pen die Argumente beider Seiten und führt das Rededuell auf!

49 Ludwig-Windthorst-Stiftung Ein kluger Kopf im Zentrum

Die Ludwig-Windthorst-Stiftung zur Förderung junger Menschen in Politik, Kirche und Gesellschaft

Die Ludwig-Windthorst-Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, die Verdienste des Zentrums- politikers Ludwig Windthorst (1812 – 1891) um die Gestaltung der gesellschaftlichen und politischen Ordnung und um die Stärkung der christlich-sozialen Bewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu würdigen. Vor allem sein großes Engagement als christli- cher Politiker und sein unermüdliches Eintreten für benachteiligte Minderheiten und für die de- mokratischen Rechte im Deutschen Reich sollen als Vorbild für die heutige Zeit lebendig gehal- ten werden. Als Instrument der qualifizierten Nachwuchs- Die Stiftung fördert Projekte, die sich mit der förderung junger Menschen aus dem Emsland, Person und dem Wirken von Ludwig Windthorst der Grafschaft Bentheim und dem Osnabrücker auseinandersetzen oder in besonderer Wei- Land hat sich unter dem Dach der Stiftung der se grundlegende Prinzipien seines Werkes in „Arbeitskreis Ludwig Windthorst“ etabliert. unserer heutigen Zeit behandeln, wie etwa Fra- Ihm gehören rund 200 „Luwis“ an, die Interesse gen der Toleranz, des Minderheitenschutzes daran haben, sich in Kirche, Politik und Gesell- und der Menschenrechte. schaft zu engagieren. Ein weiterer Arbeitsbereich ist die wissen- Die Mitglieder des Arbeitskreises treffen schaftliche Aufarbeitung des Lebenswerkes sich regelmäßig zu Gesprächen und Aktio- von Ludwig Windthorst. Unter anderem wurde nen. Dabei setzen sie sich mit selbst gewählten die umfangreiche Windthorst-Korrespondenz gesellschaftspolitischen Themen auseinander einem breiten Publikum zugänglich gemacht. und tauschen sich zwischen den Generationen aus. Treffpunkt vieler Veranstaltungen ist das Ludwig-Windthorst-Haus in Lingen. Zusätz- lich gibt es Regionalgruppen an Orten in ganz Deutschland.

Kontakt

www.ludwig-windthorst-stiftung.de [email protected]

50 Literaturverzeichnis

Altgeld, Wolfgang, Windthorst und die kon- Morsey, Rudolf (Hrsg.), Katholizismus, Verfas- fessionellen Probleme Deutschlands, in: Ludwig sungsstaat und Demokratie. Vom Vormärz bis Windthorst 1812-1891, S. 44-56. 1933. Paderborn 1988. Anderson, Margret Lavinia, Windthorst. Morsey, Rudolf, Der Untergang des politischen Zentrumspolitiker und Gegenspieler Bismarcks. Katholizismus. Die Zentrumspartei zwischen Düsseldorf 1988. christlichem Selbstverständnis und „Nationaler Aschoff, Hans-Georg, Rechtsstaatlichkeit und Erhebung“ 1932/33. Stuttgart/Zürich 1977. Emanzipation. Das politische Wirken Ludwig SCHÖNBRUNN, Günter (Bearb.), Das bürgerli- Windthorsts. Sögel 1988. che Zeitalter 1815-1918. München 1980 (Ge- Aschoff, Hans-Georg, Ludwig Windthorst. Ein schichte in Quellen ; 5). christlicher Politiker in einer Zeit des Um- SCHULZ, Ursula (Hrsg.), Die deutsche Arbeiter- bruchs. Hannover 1991. bewegung 1848 bis 1919 in Augenzeugenberich- GRIMM, Claus (Hrsg.), Aufbruch ins Industrie- ten. Düsseldorf 1968. Zeitalter. Bd. 1: Linien der Entwicklungsge- Spael, Wilhelm, Ludwig Windthorst. Bismarcks schichte, München 1985. kleiner großer Gegner. Osnabrück 1962. Hamacher, Josef, Ludwig Windthorst, ein Stenographische Berichte über die Mensch seiner Zeit. Meppen 1984 (Sonderdruck Verhandlungen des Preußischen Hauses der aus dem Jahrbuch des emsländischen Heimat- Abgeordneten. Berlin. bundes ; 30). Stenographische Berichte über die Heitzer, Horstwalter, Der Volksverein für das Verhandlungen des Deutschen Reichstages, VII. katholische Deutschland im Kaiserreich 1890- Legislaturperiode, Session 1888/89, 3. Band. 1918. Mainz 1979. Berlin 1889. Heitzer, Horstwalter, Windthorst und die Wehler, Hans-Ulrich, Das Deutsche Kaiserreich soziale Frage, in: Ludwig Windthorst 1812-1891, 1871-1918. Göttingen 1988. S. 71-80. Weltgeschichte im AufriSS. Frankfurt a. HOPPE, Ruth, Dokumente zur Geschichte des M. 1978. arbeitenden Kindes in Deutschland von 1700 bis Windthorst, Ludwig, Ausgewählte Reden. zur Gegenwart. Berlin 1969. Von 1851-1891. Osnabrück 1901-1902. Hüsgen, Eduard, Ludwig Windthorst. Köln Windthorst, Ludwig, Briefe, Bd. 1: 1834-1880. 1907. Hrsg. von Hans-Georg Aschoff u. Heinz-Jörn Kocka, Jürgen, Arbeitsverhältnisse und Arbei- Heinrich. Paderborn 1995. terexistenzen. Grundlagen der Klassenbildung Windthorst, Ludwig, Briefe, Bd. 2: 1881-1891. im 19. Jahrhundert. Bonn 1990. Hrsg. von Hans-Georg Aschoff u. Heinz-Jörn KOHL, Horst (Hrsg.), Die Reden des Minister- Heinrich. Paderborn 2002. präsidenten und Reichskanzlers Fürsten von Bismarck im Preußischen Landtage und im Herzlichen Dank Deutschen Reichstage 1871-1873. Stuttgart/ sagen wir Stefan Helge Kern für die Erlaubnis, sei- Berlin 1922. ne Textzusammenstellung (S. 42) zur Bildanalyse Lessing, Theodor, Einmal und nie wieder. des Gemäldes „Der Streik“ von Robert Koehler Gütersloh 1969. übernehmen zu dürfen. Außerdem danken wir Loth, Wilfried, Das Kaiserreich. Obrigkeitsstaat dem Deutschen Historischen Museum für die Ab- und politische Mobilisierung. München 1996. druckerlaubnis von Auszügen der Antisemiten- Ludwig Windthorst. Christlicher Parla- Petition (S. 31), die sich online findet unter http:// mentarier und Gegenspieler Bismarcks. Begleit- www.dhm.de/lemo/html/Kaiserreich/innenpo- buch zur Gedenkausstellung aus Anlaß des 100. litik/aspet/index.html. Todestages. Hrsg. vom Landkreis Emland und der Ludwig-Windthorst-Stiftung. Meppen 1991.

Bildnachweis

Berliner Wespen (S. 17, 18, 27, 28), Bundesarchiv Die Projektträger haben sich bemüht, alle Rechte- (S. 26), Der Ulk (S. 6, 10, 13, 14), Deutsches Histo- inhaber von urherberrechtsrelevanten Bildern und risches Museum (S. 31), Kladderadatsch (S. 24), Quellen zu ermitteln. Falls trotz unserer Bemühun- Ludwig-Windthorst-Stiftung (S. 36, 48, 50), Rainer gen Verletzungen von Urheberrechten festgestellt Middelberg (S. 49) Niedersächsisches Landesmu- werden, bitten wir die Rechteinhaber um Entschul- seum Hannover (S. 12), Otto-von-Bismarck-Stiftung digung oder um entsprechende Mitteilung, so dass (S. 12), picture alliance (Titel, S. 38), privat (S. 4, 5), wir Abhilfe schaffen können. Prometheus Universität Köln (S. 44), schulbilder. org (S. 47), Stiftung Preußischer Kulturbesitz (S. 45), Universitäts- und Landesbibliothek Münster (S. 15), Wiki Common (S. 20, 25, 41) Er forderte religiöse Toleranz für alle Religionen, prägte rechtsstaatli- ches Denken in Deutschland und setzte sich für die soziale Absicherung der Menschen ein. Ludwig Windthorst war eine der schillerndsten Per- sönlichkeiten des Deutschen Kaiserreichs. Dennoch ist der Zentrums- politiker vielfach in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht.

Mit Ludwig Windthorst lässt sich das Deutsche Kaiserreich neu er- schließen. Seine politischen Positionen und Auseinandersetzungen mit Reichskanzler Otto von Bismarck weisen direkt auf zentrale Diskussio- nen jener Zeit. Schließlich lieferten sich Windthorst und Bismarck nicht nur im Kulturkampf und beim Sozialistengesetz scharfe politische Gefechte. Komplett aufbereitetes Unterrichtsmaterial mit ausgewählten historischen Quellen führt ein in eine Phase der deutschen Geschichte, deren Denken und politische Entscheidungen bis heute nachwirken.