DIPLOMARBEIT

Euthanasie in Tirol unter besonderer Berücksichtigung der Sammeldeportation vom St.-Josef-Institut in Mils und deren Opfer mit didaktischer Aufarbeitung

zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Philosophie

an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie

betreut durch Ao. Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Dietrich-Daum

eingereicht von Elisabeth Gruber

Innsbruck, 2019

1 Inhaltsverzeichnis

Einleitung...... 6

Fragestellung...... 7

Quellenlage...... 8

Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen...... 12

Geschichte der Anstalt...... 12

Das Versorgungshaus...... 12

Konfessionelle Pflege...... 16

Die BewohnerInnen des St.-Josefs-Instituts...... 24

Das Präludium des Massenmordes...... 25

Der Siegeszug des Sozialdarwinismus...... 25

Eugenik im deutschen Diskurs...... 27

Der Eugenikdiskurs in Österreich...... 29

Von der Theorie in die Praxis...... 30

Zwangssterilisation...... 34

Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender...... 37

Die verschiedenen Phasen der NS-Euthanasie...... 39

Kindereuthanasie...... 40

Die Aktion „T4“...... 41

Planung und Ablauf...... 42

Verschleierung des Massenmordes...... 46

2 Widerstand...... 48

„T4-Aktion“ in der Ostmark...... 52

Die T4-Aktion im Gau Tirol-Vorarlberg...... 56

Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut...... 62

Die Opfer...... 74

Dem Tode entronnen...... 74

Versuch einer statistischen Auswertung...... 77

Biografische Skizzen...... 82

(Tiroler) Erinnerungskultur: Das Gedenken an die Euthanasie...... 131

Fokus auf das Gedenken an die Milser Opfer...... 137

Resümee...... 141

NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht...... 142

Unterrichtsentwurf I...... 145

Unterrichtsentwurf II...... 149

Unterrichtsentwurf III...... 152

Quellen- und Literaturverzeichnis...... 154

Anhang...... 171

Eidesstattliche Erklärung...... 171

Unterrichtsmaterial...... 172

3 „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“

- Artikel 1 der UN-Menschenrechtskonvention

Meinen lieben Onkeln Erwein und Andi - ihr fehlt.

4 Vorwort

Die Entstehungsgeschichte dieser Arbeit ist keine geradlinige – ebensowenig wie mein studentischer Werdegang. Nachdem ich die erste Diplomprüfung in Medizin hinter mich gebracht hatte, entschied ich mich doch für ein Lehramtsstudium in den Fächern Englisch und Geschichte. Trotzdem ist mein Interesse an der Medizin nie verblichen. Stattdessen wollte ich in meiner Diplomarbeit dieses mit meiner Begeisterung für Geschichte vereinen. Prädestiniert als Betreuerin für ein solches Unterfangen ist Frau Prof. Dietrich-Daum, die oft Lehrveranstaltungen mit medizin-historischem Fokus an der Universität Innsbruck leitet und mit der mein ursprünglicher Titel formuliert wurde. Als die Barmherzigen Schwestern die zuvor erteilte Zusage zur Einsicht der Akten des St.-Josefs-Institutes nach Monaten der Recherche wieder zurücknahmen, galt es, ein Thema zu finden, in dem das bereits Erarbeitete zumindest teilweise Verwendung finden konnte, was den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit erklärt.

Ungeachtet des holpriges Weges zum finalen Titel der Arbeit bin ich froh, einen kleinen Beitrag zur Euthanasie-Forschung in Tirol leisten zu können, da es unsere Gesellschaft – davon bin ich überzeugt – den Opfern schuldig ist, gegen das Vergessen zu kämpfen.

An dieser Stelle möchte ich Frau Prof. Dietrich-Daum großen Dank für ihre fortwährende Unterstützung und Betreuung aussprechen.

Außerdem möchte ich mich herzlich bei Mag. Dr. Oliver Seifert, dem Archivar des Historischen Archivs des Landeskrankenhauses in Hall in Tirol, bedanken. Mit seiner fachlichen Expertise und unkomplizierten Art hat er mir bei meinen Recherchen sehr geholfen.

Mein besonderer Dank gilt selbstverständlich meiner Familie und meinem Thomas, die mich auf jede erdenkliche Weise stets unterstützten. Ohne sie wäre mein Leben ein tristes.

5 Einleitung Einleitung

Unter Behinderung als klassischem Krankheitsbegriff wird eine nicht umkehrbare Beeinträchtigung der Betroffenen verstanden, die entweder das Resultat eines vorherigen Krankheitsprozesses oder eine angeborene Schädigung ist.1 Weitere Unterteilungen in Körper-, Sinnes-, Geistig-, Sprach-, Lern-, Verhaltens-, sowie Schwerstbehinderte2 können unternommen werden, wobei abgesehen von den Körper- und Sinnesbeeinträchtigungen in den meisten Fällen kein physischer Defekt klar zu diagnostizieren ist, sondern stattdessen das soziale Umfeld eine „gestörte Persönlichkeitsentwicklung“3 zur Folge hat. Betrachtet man Behinderung von einer gesellschaftlichen Warte aus, stellt man fest, dass als behindert gilt, wer den Ansprüchen unserer Leistungsgesellschaft nicht genügt und „im Existenzvergleich mit seinen nicht behinderten Mitmenschen tendenziell zur Last“4 wird. Diese „Last“ schmälerten die Nationalsozialsten, in dem sie tausende behinderte Menschen gezielt ermordeten. Im Zeitraum zwischen 1940 und 1942 wurden allein aus dem damaligen Reichsgau Tirol-Vorarlberg mehrere hundert Menschen mit Behinderung abtransportiert und nach Oberösterreich gebracht, wo sie Opfer dieses ersten systematischen, vom NS-Staat durchgeführten Massenmordes wurden, für den man ungeheuerlicherweise den Euphemismus „Euthanasie“ verwendete, was so viel wie „guter Tod“ (altgriechisch) bedeutet.5

1 Heinrich Tröster, Einstellungen und Verhalten gegenüber Behinderten. Konzepte, Ergebnisse und Perspektiven sozialpsychologischer Forschung, Bern 1990, S. 20. 2 Unter „Schwerstbehinderten“ versteht man laut Matter mehrfach behinderte Menschen. Dieter Mattner, Behinderte Menschen in der Gesellschaft. Zwischen Ausgrenzung und Integration, Stuttgart 2000, S. 9. 3 Ebd., S. 10. 4 Ebd., S. 12. 5 Nachdem der Begriff „Euthanasie“ im Sprachgebrauch mittlerweile auch die „systematische Ermordung psychisch kranker und behinderter Menschen“ beschreibt, wird er nicht durch Anführungszeichen modalisiert. Duden, Euthanasie, die, o. D., [https://www.duden.de/rechtschreibung/Euthanasie], eingesehen am 20.03.2019.

6 Einleitung

Fragestellung

Der erste dieser Transporte in den Tod erfolgte am 10. Dezember 1940 vom St.-Josefs-Institut in Mils bei Hall fast zeitlich mit dem ersten Transport aus der Heil- und Pflegeanstalt (HPA) Hall in Tirol. Während letzterer in der Forschung bereits ausführlich bearbeitet wurde, geht diese Arbeit der Fragestellung nach, wie genau der Transport vom Milser St.-Josefs-Institut durchgeführt wurde.6 Auf wessen Bestreben wurde er injiziert? Welche Personen waren darin verwickelt? Gab es Widerstand gegen den Transport? Unter welchem Gesichtspunkt wurden Pfleglinge von den Transportlisten gestrichen und damit vor dem Euthanasietod bewahrt? Im Hinblick auf die Opfer dieses für Mils einzigen Sammeltransportes nach Hartheim wird versucht, die Forschungsfrage nach ihren Biografien zu beantworten. Wer waren diese Menschen? Wie und wo verbrachten sie ihr Leben bevor es ihnen im NS-Euthanasiewahn genommen wurde und wird ihnen heute gedacht?

6 Eine inkomplette Auswahl an Literatur, die sich mit der Euthanasie in Tirol auseinandersetzt: Gretl Köfler, „Euthanasie“ und Zwangssterilisierung, in: Widerstand und Verfolgung in Tirol 1934-1945, Band 1, hrsg. v. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Wien 1984, S. 420 – 519; Gernot Egger, Ausgrenzen, Erfassen, Vernichten. Arme und „Irre“ in Vorarlberg (Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs 7), Bregenz 1990; Hartmann Hinterhuber, Ermordet und vergessen. Verbrechen an psychisch Kranken und Behinderten in Nord- und Südtirol, Innsbruck 1995; Peter Stöger, Eingegrenzt und Ausgegrenzt. Tirol und das Fremde. Ein pädagogisch- historisches Lesebuch zum Thema Fremde, Entfremdung und Fremdbestimmung unter besonderer Berücksichtigung der Auswanderung nach Lateinamerika und der Geschichte der jüdischen Mitbürger (Europäische Hochschulschriften 11 Pädagogik 744), Frankfurt a. M. 1998; Oliver Seifert, „Sterben hätten sie auch hier können“. Die „Euthanasie“-Transporte aus der Heil- und Pflegeanstalt Hall in Tirol nach Hartheim und Niedernhart, in: Tötungsanstalt Hartheim (Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 3), hrsg. v. Brigitte Kepplinger / Gerhart Marckhgott / Hartmut Reese, Linz 20133, S. 359 – 410; Veröffentlichungen der Kommission zur Untersuchung der Vorgänge um den Anstaltsfriedhof des Psychiatrischen Krankenhauses Hall in Tirol in den Jahren 1942 bis 1945 (1 - 4/II), hrsg. v. Bertrand Perz / Thomas Albrich / Elisabeth Dietrich-Daum / Hartmann Hinterhuber / Brigitte Kepplinger / Wolfgang Neugebauer / Christine Roilo / Oliver Seifert / Alexander Zanesco, Innsbruck 2014 – 2018.

7 Einleitung

Quellenlage

Die Hauptquelle für das Nachzeichnen des Euthanasie-Transportes von 67 Menschen am 10. Dezember 1940 vom St.-Josefs-Institut in Mils über Niedernhart nach Hartheim und damit in den Tod sind – wie bei der Erforschung der Euthanasie in Tirol generell – die Akten aus dem Prozess gegen Dr. Hans Czermak und der Aktenbestand der Bundespolizeidirektion Innsbruck, der als Basis für das Verfahren gegen Czermak diente. Letzterer wurde 1949 vom Volksgericht als „schuldig befunden, auf eine entfernte Art zum Massenmord an geisteskranken Heil- und Fürsorgepfleglingen beigetragen zu haben.“7 Dafür hatte man unterschiedliche ZeugInnen befragt und so die Vorkommnisse in Tirol, die zu diesem Massenmord führten, skizziert; auch Czermaks Aussagen und seine Korrespondenz mit Dr. Georg Renno, dem Vergasungsarzt in Hartheim8, spielten beim Prozess eine Rolle. Selbst unter der Prämisse, dass man vor Gericht der Wahrheit verpflichtet ist, gilt natürlich auch, dass man sich nicht selbst belasten muss.9 Dementsprechend müssen Aussagen vom Angeklagten und ZeugInnen unter dem Vorbehalt gelesen werden, dass sowohl ersterer als auch letztere selbstverständlich darum bemüht waren, ihren Anteil an der Straftat unbedeutend oder nichtig erscheinen zu lassen, inkriminierende Details also ausgespart oder unter einem anderen Licht präsentiert wurden. Dazu kommt außerdem, „dass Polizei, Gendarmerie und Gericht in der Nachkriegszeit einen sehr eingeschränkten Wissenshorizont in Bezug auf die NS-‘Euthanasie‘ hatten und daher andere

7 Horst Schreiber, Ein „Idealist, aber kein Fanatiker“? Dr. Hans Czermak und die NS-Euthanasie in Tirol, in: Tiroler Heimat 72 (2008), S. 205 – 224, [https://www.horstschreiber.at/texte/czermak-und- die-nseuthanasie-in-tirol], eingesehen am 28.01.2019. 8 Georg Renno war im NS-Studentenbund, ab 1930 bei der NSDAP, ein Jahr darauf auch bei der SS und wurde 1940 nicht nur Vergasungsarzt in Hartheim sondern auch T4-Gutachter. 1945 tauchte er unter dem Namen „Dr. Reinig“ ab, bevor er ab 1955 unter seinem echten Namen Vertreter bei Schering AG wurde und schlußendlich 1970 „wegen Krankheit“ aus dem Prozess gegen ihn in Frankfurt a. M. ausschied. Sonntags spielte er im Innenhof des Schlosses Hartheim, in dem er auch lebte, immer Flöte. Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945?, Frankfurt a. M. 2003, S. 491. 9 HELP, Beweisverfahren, 19.07.2018, [https://www.help.gv.at/Portal.Node/hlpd/public/content/246/Seite.2460507.html], eingesehen am 26.02.2019.

8 Einleitung

Fragen stellten, als dies heute, aus einem Abstand von über 60 [mittlerweile schon 70] Jahren nach vielen Jahren der Forschung, der Fall ist.“10 Nebst den oben genannten Akten wurden im Tiroler Landesarchiv (TLA) Bestände der Abteilung IIIa1 (medizinischen Angelegenheiten) beim Reichsstatthalter in Tirol und Vorarlberg – Czermak war in Personalunion Reichsstatthalter und der Leiter der Abteilung IIIa1 – gesichtet, die Rückschlüsse auf die Organisation der Euthanasie in Tirol erlauben.

Wichtig für die biographische Recherche zu den Opfern waren die im Historischen Archiv des Landeskrankenhauses Hall (HA LKH) erhaltenen Krankenakten (KA) und Patientenverwaltungsakten (VA) der Menschen, die dort als PatientInnen aufgenommen worden waren. In der HPA Hall führte man zum einen einen Krankenakt, dessen Inhalt vornehmlich medizinisch-pflegerischer Natur war. Vor allem die Krankengeschichte, ein Dokument, in dem nebst Stammdaten und Diagnose die Aufnahmeumstände sowie der -prozess, Erstuntersuchung und Anamnesegespräch mit den jeweiligen PatientInnen oder ihren Angehörigen/Zuständigen, eine Deskription des körperlichen wie geistigen Zustandes und der so genannte „Diskurs“11, eine chronologische Dokumentation des Verhaltens der PatientInnen inklusive ihrer Arbeitsfähigkeit bzw. -willigkeit u.a., festgehalten sind, hat sich als wichtige Quelle für diese Arbeit erwiesen. Zum anderen konnten aus den administrativen Belegen12 und der Korrespondenz zwischen der HPA Hall und den einweisenden Anstalten, Familienmitgliedern etc., die im Verwaltungsakt

10 Oliver Seifert, „...daß alle durch uns geholten Patienten als gestorben zu behandeln sind...“, in: Temporäres Denkmal. Prozesse der Erinnerung. Im Gedenken an 360 Opfer der NS-Euthanasie. PatientInnen des heutigen Psychiatrischen Krankenhauses. Prozesse der Erinnerung (Tiroler Studien zu Geschichte und Politik 7), hrsg. v. Andrea Sommerauer / Franz Wassermann, Innsbruck – Wien – Bozen 2009, S. 29 – 84, S. 32. 11 Der Diskurs ist durch vom pflegerischen Personal verfassten Einlageblättern, die heutzutage als Kombination aus Fieberkurve und Pflegedokumentation gesehen werden können, erweitert. Oliver Seifert, Leben und Sterben in der Heil- und Pflegeanstalt Hall in Tirol 1942 bis 1945. Zur Geschichte einer psychiatrischen Anstalt im Nationalsozialismus (Veröffentlichungen der Kommission zur Untersuchung der Vorgänge um den Anstaltsfriedhof des Psychiatrischen Krankenhauses in Hall in Tirol in den Jahren 1942 bis 1945, Band 4/I), Innsbruck 2016, S. 20. 12 In den meisten dieser Dokumente liegt das Hauptaugenmerk auf der Frage der Finanzierung des Anstaltsaufenthalts der/des jeweiligen PatientIn. Ebd., S. 20.

9 Einleitung archiviert sind, Rückschlüsse auf das Leben der Opfer gemacht werden. Allerdings sollten an dieser Stelle Oliver Seiferts mahnende Worte bezüglich dieser Archivbestände nicht unterschlagen werden:

„Ein Grundprinzip der Krankenakten ist es, dass darin nur das aus medizinischer und pflegerischer Perspektive Besondere und Außergewöhnliche festgehalten wird, das Alltägliche und für selbstverständlich Erachtete hingegen ausgespart bleibt. Damit bestimmen die dokumentierenden Personen, was sie für bemerkenswert und bedeutsam halten. Somit ergibt sich eine Lückenhaftigkeit der Krankenakten, die neben der Vieldeutigkeit und Vagheit ein Problem für die retrospektive Einschätzung des Aussagewertes dieser Quelle darstellt.“13 Dementsprechend muss hier explizit gemacht werden, dass diese Arbeit keinesfalls dazu in der Lage ist, tatsächliche Biographien zu den Opfern aus dem St.-Josefs-Institut zu präsentieren, sondern schlicht der Versuch einer biographischen Skizze gemacht wurde. Dies ist umso drastischer, da etwaige Angaben aus den Krankenakten Halls nicht mit denen des St.-Josefs- Instituts abgeglichen werden konnten, nachdem die Trägerinnen der Milser Anstalt, die Barmherzigen Schwestern des Mutterhauses Zams, auf wiederholte Anfragen keine Akteneinsicht gewähren wollten – obwohl die Milser Akten in der Vergangenheit sehr wohl eingesehen werden konnten.14 Dementsprechend müssen einige Forschungsfragen, die sich bei genauer Bearbeitung der Thematik unweigerlich stellen, in dieser Arbeit unbeantwortet bleiben. Stattdessen gilt es darauf zu hoffen, dass sich die Barmherzigen Schwestern selbst dafür engagieren, Antworten auf diese Fragen geben.15

Nebst den Krankenakten wurden die Matriken16 der Heimatgemeinden auf Einträge zu den Opfern durchsucht, alle in Frage kommenden Heimatgemeinden kontaktiert und von den

13 Seifert, Hall, S. 21. 14 Die letzte Absage der Barmherzigen Schwestern – unter Berufung auf Datenschutz – ging am 15.02.2019 bei der Verfasserin ein. Email von Sr. Maria-Magna Rodler. 15 Ende 2017 versicherten die Schwestern, dass sie an einer wissenschaftlichen Aufarbeitung interessiert sind. Auszug aus Email von Sr. Anna Elisabeth Drenovac vom 28.11.2017 an die Verfasserin: „Gestern erfuhr ich, dass die Geschäftsführung inzwischen einen Auftrag an eine Wissenschaftlerin gegeben hat, die Geschichte .von Mils aufzuarbeiten. Wir sehen also keinen Sinn mehr darin, das ein zweites Mal zu vergeben. Bitte suchen Sie daher ein anderes Thema für Ihre Diplomarbeit!“

10 Einleitung teils überaus hilfreichen Ortschronisten Informationen, die in den jeweiligen Gemeinden existieren, an die Verfasserin weitergeleitet. Gab es Hinweise auf Angehörige, wurde der Versuch unternommen, mit diesen in Kontakt zu treten. Dies erwies sich allerdings nur vereinzelt als fruchtbringend – die meisten kontaktierten Personen wussten von den Opfern nichts zu berichten. Erschwerend hinzu kommt natürlich, dass nur mehr wenige Zeitzeugen 77 Jahre nach der zu erforschenden Deportation am Leben sind und anscheinend der nächsten Generation oft diesbezüglich nichts erzählt wurde. Trotzdem gibt es vereinzelt Hinweise zu den Opfern, die von Angehörigen gemacht wurden und zwar im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen gegen Czermak. Diese Gendarmeriemeldungen, die im TLA aufliegen, wurden ebenso gesichtet wie der Aktenbestand der Gauselbstverwaltung und in Frage kommende Meldezettel Innsbrucks.

Unbedingt zu erwähnen ist, dass aufgrund von Datenschutzbedenken die Einsicht in sensible Akten nur unter der Prämisse gewährt wurde, dass keine Vollnamen veröffentlicht werden – obwohl alle Opfer des Milser Sammeltransportes seit 1984 in Gretl Köflers Beitrag in Widerstand und Verfolgung vollnamentlich aufgelistet sind.17 Um diesen Bestimmungen gerecht zu werden, werden keine Nachnamen genannt, es sei denn, es wurde bereits anderweitig biografisch gearbeitet und mit Vollnamen publiziert. In diesen Fällen, bei denen die Angehörigen als Quellen herangezogen wurden, also davon auszugehen ist, dass sie keinerlei Einwand haben, wird sich auf diese Veröffentlichungen bezogen und die Nennung der Vollnamen übernommen.

16 Bei „Matriken“ handelt es sich um Personenstandsverzeichnisse über Geburt, Trauungen und Sterbefälle, die teils bereits im 16. Jahrhundert angelegt wurden und ab 1784 für die anerkannten Religionsgemeinschaften, ab 1868 auch für Konfessionslose verpflichtend waren und in „Heimatrollen“ in der jeweiligen Gemeinde verwahrt wurden. AEIOU, Österreich-Lexikon, Matriken, o. D., [https://www.duden.de/rechtschreibung/Matrikel#b2-Bedeutung-2], eingesehen am 20.03.2019. 17 Köfler, Euthanasie, S. 504 – 505.

11 Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen

Geschichte der Anstalt

Ausgangspunkt für das 1898 schlussendlich gegründete „SANCT JOSEFS INSTITUT – Versorgungshaus für Arme und Cretine“18 in Mils19 waren die als untragbar beschriebenen Verhältnisse im bestehenden Armenhaus, das „von betrunkenen, arbeitsscheuen und arbeitslosen Individuen beiderlei Geschlechts und von ungefähr 20 Kindern bewohnt wurde, die natürlich ohne jede Erziehung aufwachsen mußten“20, sowie dessen baulicher Zustand. Unter „Armenhaus“ verstand man damals im lokalen Sprachgebrauch der Gemeinde unterstehende Versorgungshäuser, denen viele weitere Bezeichnungen, wie etwa „Maroden-“ oder „Siechenhäuser“, zukamen.21

Das Versorgungshaus

Die Situation der nicht-produktiven Beeinträchtigten, die kein Sozialkapital22 vorweisen konnten, war von jeher schlecht. Sie wurden zur Belustigung der Massen vorgeführt oder in Narrenhäuser und Gefängnisse gesperrt. Hermann Meyer berichtet, dass eine Trennung zwischen

18 Herbert Zimmermann, Abschrift der Chronik des St. Josefsinstitutes in Mils. II. Teil. Festansprache zum 50-jährigen Bestandsjubiläum und Fotoausstellung 30.Mai 1948 (Kunterbuntes aus Mils 36), o. O. u. J. Für die Einsicht in die Hefte 35, 36 wie 37 der Reihe „Kunterbuntes aus Mils“ möchte ich mich bei Josef Waldner, dem Milser Dorfchronisten und damit Nachfolger des Autors, Herbert Zimmermann, bedanken. 19 Die Gemeinde Mils befindet sich keine zwölf Kilometer Inn-abwärts von der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck entfernt und grenzt an Hall in Tirol, eine Marktstadt mit einem psychiatrischen Krankenhaus. 20 St.-Josefs-Institut (vorlaufend St.-J-I abgekürzt), Ja zum Leben. 100 Jahre St.-Josefs-Institut. Eine festliche Bedenkschrift, Innsbruck 1998, S. 15. 21 Elisabeth Dietrich-Daum / Michaela Ralser, Die „Psychiatrische Landschaft“ des „historischen Tirol“ von 1830 bis zur Gegenwart – Ein Überblick, in: Psychiatrische Landschaften. Die Psychiatrie und ihre Patientinnen und Patienten im historischen Raum Tirol-Südtirol von 1830 bis zur Gegenwart, hrsg. v. Elisabeth Dietrich-Daum / Hermann Kuprian / Siglinde Clementi / Maria Heidegger / Michaela Ralser, Innsbruck 2011, S. 17 – 41, S. 21.

12 Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen

Geisteskranken und Strafgefangenen erst in der zweiten Hälfte des 18. Jh. anzusetzen ist.23 Tatsächlich verortet Henri-Jacques Stiker „The Great Confinement“24 in der Neuzeit, die um die Wende vom 18. zum 19. Jh. in Frankreich und Deutschland - in Tirol drei Jahrzehnte später mit der Eröffnung der psychiatrischen Anstalt in Hall in Tirol25 – eine neue Art der Internierung, nämlich die Anstaltsversorgung hervorbrachte. Diese Entwicklung ist unter Berücksichtigung der Tatsache, dass „Patienten des 19. Jahrhunderts [...] einem stetigen Prozess der Medikalisierung

26 unterworfen“ waren, zu bewerten. Hier scheint vor allem folgendes Zitat von Bedeutung zu sein: „Die Veränderungen in der Medizin des 19. Jahrhunderts erstrecken sich aber nicht nur auf ärztliches Denken, Wissen und Handeln, sie verändern auch das ärztliche Berufsbild im Sinne der Professionalisierung insgesamt und mit ihm die soziale Stellung seiner Repräsentanten. Es kommt zum beruflichen und sozialen „Aufstieg“ der Arzte, der sich aus der steigenden fachlichen Akzeptanz ärztlichen Handelns nährt, durch die Bildung eines ärztlichen „Einheitsstandes“ beschleunigt wird und sich im wachsenden Selbstbewusstsein der Profession ausdrückt.“27 Dieser „soziale Aufstieg“ und die damit verbundene „Akzeptanz ärztlichen Handelns“ lassen Dieter Mattner zu folgendem Schluss kommen: „Der vom Dämon Besessene früherer Zeiten wurde zum kranken Subjekt, das seither der medizinischen Behandlung innerhalb spezifischer Internierungszentren bedarf.“28

Nichtsdestotrotz waren es aber die Versorgungshäuser, die bis in das 20. Jahrhundert erste

22 Ein „gewisses Sozialkapital“ verfügten jene Menschen, die zumindest das Bürgerrecht innehatten, lange genug in der Stadt gearbeitet, einen guten Leumund oder ähnliches hatten. Martin Rheinheimer, Arme, Bettler und Vaganten. Überleben in der Not 1450 – 1850, Frankfurt a. M. 2000, S. 98. 23 Hermann Meyer, Geistigbehindertenpädagogik, in: Geschichte der Sonderpädagogik, hrsg. v. Světluše Solarová, Stuttgart 1983, S. 84 – 119, S. 93. 24 Henri-Jacques Stiker, A History of Disability, Ann Arbor 2004, S. 105. 25 Dietrich-Daum / Ralser, Landschaften, S. 18. 26 Wolfgang U. Eckart, Geschichte der Medizin. Fakten, Konzepte, Haltungen, Heidelberg 20096, S. 192. 27 Ebd. 28 Mattner, Gesellschaft, S. 26.

13 Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen

Aufnahmestelle und „ultimum refugium“29 für viele Menschen aus dem „historischen Tirol“ (das Gebiet Tirols vor seiner 1919 im Friedensvertrag von St. Germain vereinbarten Trennung, also inklusive Südtirol und Trentino) blieben.30 Generell beschreibt Elisabeth Dietrich-Daum die sehr heterogene Gruppe der „Pfleglinge“ in den Versorgungshäusern wie folgt: „Eine zeitlich wie regional stark variierende Teilpopulation stellten Gemeindearme und ‚PfründnerInnen‘, also Personen, deren Unterhalt von der Gemeinde zu bestreiten war, oder solche, die sich mittels eines Erbvertrags oder Einkauf im Versorgungshaus ‚einpfründeten‘. Die zweitgrößte Gruppe der ‚Pfleglinge‘ setzte sich aus mittellosen, alten, pflegebedürftigen, chronisch kranken Menschen und arbeitsunfähigen Kriegsveteranen zusammen. Eine weitere Teilgruppe bildeten Menschen mit psychisch/psychiatrischen Erkrankungen, die von den ‚Irrenanstalten‘ in Hall und Pergine als unheilbar entlassen worden waren bzw. dort aus Platzmangel keine Aufnahme fanden.“31 Was genau also ist unter einem Versorgungshaus zu verstehen, in dem so viele verschiedene Menschen zusammengekommen sind? Entstanden im habsburgisch aufgeklärten Absolutismus des 18. Jahrhunderts als Teil des reformierten „Wohlfahrtsregimes“ handelte es sich um „öffentlich zu tragende, säkularisierte, institutionalisierte, ökonomisch rationalisierte, in Spezialanstalten differenzierte anstaltsförmige Versorgung“32 der Armen. Anlass für dessen Schaffung waren zum einen die unter Joseph II. 1781 verkündeten „Direktiv-Regeln zur künftigen Errichtung der hiesigen Spitäler und Versorgungshäuser“. Zum anderen gebot dies die Fürsorgepflicht der Gemeinden, die im „Heimatgesetz“ (Gubernialdekret von 1785) festgelegt worden war und besagte, dass Domizilkommunen für ihre Armen Sorge zu tragen hatten, speziell wenn keine familiäre Unterstützung geleistet werden konnte.33 Dies führte zu einer Stratifizierung der Armenpopulation in „Arme“ und „arme Kranke“. Letztere wurden weiters

29 Elisabeth Dietrich-Daum, „Care“ im „ultimum refugium“. Versorgungshäuser als Orte kommunaler Armenpflege und -politik im 19. Jahrhundert, in: Who cares? Betreuung und Pflege in Österreich. Eine geschlechterkritische Perspektive, hrsg. v. Erna Appelt / Maria Heidegger, Innsbruck 2010, S. 165 – 176; Arthur E. Imhof, Die Funktion des Krankenhauses in der Stadt des 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege 4 (1977), S. 215 – 242, S. 240. 30 Dietrich-Daum / Ralser, Landschaften, S. 17 – 19. 31 Dietrich-Daum, Care, S. 170 – 171. 32 Ebd., S. 166. 33 Dietrich-Daum / Ralser, Landschaften, S. 21.

14 Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen unterteilt in heilbar und unheilbar. Heilbare Kranke erfuhren in Krankenhäusern ärztliche Behandlung und Therapien, die zu ihrer Heilung (Cure) führen sollten und wurden Teil der medizinischen Forschung indem Unterricht an ihren Krankenbetten abgehalten wurde (siehe Abb.1). Unheilbaren stattdessen wurde, wie einheimischen „wahren“ Armen – also solchen, die anders als die „‘MüßiggängerInnen‘ oder ‚unwürdigen Armen‘ unverschuldet aus physischen Gründen erwerbsunfähig waren“34 -, in Versorgungshäusern ein Mindestmaß an Pflege (Care) und medizinischer Behandlung zuteil. Da die zeitintensiven Care-Aufgaben in die Versorgungshäuser ausgelagert wurden, kam es zu einer wirtschaftlichen und funktionellen Entlastung der Krankenhäuser.35

Abbildung 1: Stratifizierung der Armenpopulation und Ausdifferenzierung des formellen Care-Sektors im ausgehenden 18. Jahrhundert (Quelle: Dietrich-Daum, Care, S. 166)

34 Dietrich-Daum, Care, S. 167. 35 Ebd., S. 166 – 167.

15 Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen

Die Umsetzung des josephinischen Reformprojekts erstreckte sich über mehr als hundert Jahre, in denen sich die Bedeutung des Begriffs „Versorgungshaus“ vom ursprünglich angedachten, spezialisierten Fürsorge-Institut (beispielsweise Taubstummenanstalt) zum viel breiter gefassten lokalen, geschlossenen Armenfürsorge-Institut wandelte. Zudem gilt es zu erwähnen, dass das Versorgungshaus nebst der pflegerischen weitere Funktionen erfüllte: Die sozialpolitische Funktion wurde durch die kommunale Verpflegung und räumliche Zusammenführung der Armen realisiert, die somit auch besser kontrolliert und erzogen werden konnten (sicherheitspolizeiliche und erzieherisch-disziplinarische Funktion), was beispielsweise durch Ausgangsbeschränkungen, Bettelverbote, Arbeitszwang etc. geschah. Schlussendlich erfüllte das Versorgungshaus eine wirtschaftliche Funktion mit seiner „effizienten Ressourcennutzung (Zusammenführung der Finanzmittel, Standardisierung und Reduktion des Pflegemaßes auf einfache Grundversorgung)“36, die die Verpflegung im Versorgungshaus im Vergleich zum Krankenhaus um zwei Drittel billiger machte.37 All das führte dazu, dass ein sehr dichtes Netz an Versorgungshäusern in Tirol entstand.

Konfessionelle Pflege

Wurde die Pflegearbeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch geschlechterspezifisch verrichtet (Männer – Pfleger, Frauen – Pflegerinnen), wurde sie im Laufe des 19. Jahrhunderts zusehends feminisiert. Dazu trugen vor allem die Ordensfrauen bei, die den Großteil der Pflegearbeit bis ins 20. Jahrhundert hinein schulterten.38 Zu den Josephinischen Reformen gehörten auch die Klosteraufhebungen jener Orden, die weder im Schulwesen, noch in der Krankenpflege oder der Seelsorge tätig waren, bevor ein Jahr später, 1793, der „Josephinische Klostersturm“ begann, der über 700 Klöster betraf.39 Die Kirche und ihre Vertreter sahen sich zu Zeiten der Aufklärung zudem einem „als bedrohlich empfundene ‚Abgleiten‘ von Bevölkerungsgruppen in religiöse Indifferenz oder gar in Kirchengegnerschaft“40 ausgesetzt, dem sie mit vermehrten Sozialengagement (v.a. im Schul- bzw. Erziehungs-, Spital- und Pflegewesen) zu begegnen

36 Dietrich-Daum, Care, S. 169. 37 Ebd. 38 Ebd., S. 171 – 172. 39 Karl Vocelka, Österreichische Geschichte 1699-1815. Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im Habsburgischen Vielvölkerstaat, Wien 2004, S. 376 – 379.

16 Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen suchte.41 Vor allem für Frauen bedeutete diese Entwicklung, dass sich ihnen neue berufliche Perspektiven bzw. Chancen, den eigenen Lebensunterhalt zu sichern, offenbarten. „Diese Attraktivität wurde von der Kirche erkannt und beispielsweise durch die Gründung weiblicher, sozial engagierter Kongregationen ein beachtlicher Anstieg von Ordensfrauen herbeigeführt.“42 Diese Ordensfrauen wurden zum Idealtypus „guter ‚weiblicher‘ Pflege“43: das christliche Gebot der Nächstenliebe achtend, als Frauen von Natur aus fürsorglich und als Ordensschwestern „prinzipientreu“ für Disziplin sorgend. Es bleibt aber festzuhalten: „Die historischen Quellen sprechen hier eine klare Sprache: Die Ordensfrauen in den Versorgungshäusern wurden nicht wegen besonderer Pflegekompetenzen bestellt, sondern weil sie ‚Ordnung‘ schafften, weil sie für ‚Reinlichkeit‘ sorgten, weil sie den Haushalt führten, weil sie im Gegensatz zum weltlichen Personal nicht aus ‚dem Dienst entweichen‘ - und weil sie dies so kostengünstig erledigten wie niemand anders.“44 Dies führte zu einer beträchtlichen Dominanz der Ordenspflege (meist durch die Barmherzigen Schwestern der Mutterhäuser Zams und Innsbruck) in Tirol, wo 1895 87 Prozent der Pflegeleistungen in den Versorgungshäusern von 135 Ordensschwestern ausgeführt wurden – in Restösterreich betrug der Prozentsatz durchschnittlich 59 Prozent.45 Wie Dietrich-Daum aufzeigt, blieb „die Versorgungslandschaft des historischen Tirol […] mit seinen um 1900 ausgewiesenen 145 Häusern äußerst inhomogen, ebenso die Qualität der lokalen Einrichtungen und Pflegestandards“46, die generell hinter die der Krankenhäuser zurückfiel.47

40 Michaela Ralser / Nora Bischoff / Flavia Guerrini / Christine Jost / Ulrich Leitner / Maria Reiterer, Heimkindheiten. Geschichte der Jugendfürsorge und Heimerziehung in Tirol und Vorarlberg, Innsbruck 2017, S. 85. 41 Ralser u. a., Heimkindheiten, S. 85. 42 Ebd. 43 Dietrich-Daum, Care, S. 173. 44 Ebd. 45 Ebd. 46 Dietrich-Daum / Ralser, Landschaften, S. 21. 47 Dietrich-Daum, Care, S. 169.

17 Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen

Das Milser Armenhaus jedenfalls machte „wegen seiner Unreinlichkeit und Verwahrlosung einen recht armseligen Eindruck“48, was dazu führte, dass nach einigem Hin- und Her 1893 mit dem Bau eines neuen Gebäudes begonnen wurde.49 Vor allem auf Treiben des Innsbrucker Arztes Dr. Frank Innerhofer, Anton Plasellers, dem Nachfolger H.H. Zampedris als Direktor des Taubstummeninstituts, des Dorfpfarrers, Josef Schweighofer, und des Bürgermeisters, Johann Tiefenthaler, konnten genügend finanzielle Mittel lukriert werden, um „die Liegenschaft nach zähen Verhandlungen“50 der Gemeinde Mils abzukaufen und dort eine Pflegeanstalt einzurichten. Nachdem der eigentliche Plan, das St.-Josefs-Institut als selbständige juristische Person zu konstituieren, von der k.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg nicht genehmigt wurde, wurde es stattdessen im Stiftbrief von 1898 dem Orden der Barmherzigen Schwestern des Mutterhauses Zams übertragen.51 Die damalige Leiterin der Barmherzigen Schwestern, Sr. Borgias Aloys, entsandte eine Hausoberin sowie zwei weitere Mitschwestern, welche die Arbeit im Milser Institut unter anfangs widrigen Bedingungen aufnahmen. Generell ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Taubstummen-Institut, welches ebenfalls von den Barmherzigen Schwestern geführt wurde, zu verzeichnen.52 Von Beginn an war der Anstalt eine Landwirtschaft eigen, die sich „zu einem profitablen Besitz“53 entwickelte, nicht zuletzt weil sowohl Schwestern wie Pflegebefohlene dort zur Arbeit eingesetzt wurden. Dass ein großer Bedarf für eine derartige Einrichtung bestand, zeigt der Umstand, dass das Institut schon nach einem Jahr mit 60 Personen „übervoll“54 war und bereits 1905 bauliche

48 St.-J-I, Ja, S. 15. 49 Ursprünglich war schlicht ein neues Armenhaus geplant, wofür ein Armenfond errichtet worden war dessen finanzielle Potenz jedoch gering war. Als Michael Huber, der Besitzer des Gschlößlmüllergutes Haus Nr. 41. in Konkurs ging konnte der Armenfond das Anwesen 1892 erwerben und machte sich daran, dort einen Neubau aufzubauen. Allerdings verschuldete es sich so sehr, dass die Gemeinde das Projekt wieder abstoßen wollte – die Landesheil- und Pflegeanstalt Hall beispielsweise war am Kauf interessiert, was aber aufgrund des Kaufpreises nicht zustande kam. Zimmermann, II. Teil; St.-J-I, Ja, S. 15. 50 St.-J-I, S. 17. 51 Herbert Zimmermann, II. Teil. 52 Herbert Zimmermann, Dorfbuch von Mils, Innsbruck 2002, S. 81 – 87. 53 St.-J-I, Ja, S. 37. 54 Zimmermann, II. Teil.

18 Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen

Maßnahmen am Institutsgebäude unternommen werden mussten, um die beständigen Aufnahmeanfragen nicht mehr abweisen zu müssen (siehe Abb.2).

Abbildung 2: 1905/06 wurde das Institut um den Turm und linken Trakt erweitert (Quelle: Zimmermann, III. Teil) Außerdem erwarb man sowohl „etliche Acker und Felder“ als auch das Nachbarhaus mit seinen dazugehörigen Grundstücken und erbaute dort ein großes Ökonomiehaus sowie ein „Infektionshaus für zu isolierende Kranke“.55 Mit Errichtung des Neubaues wurden zudem private Hilfsschulklassen eingerichtet.56 Damit einher ging eine Erhöhung der Verpflegungskosten, die bei einigen Angehörigen wohl für Missmut sorgte. Sr. Oberin Romualda Gasser zumindest erinnert sich an diese Zeit so: „Die Angehörigen rechneten häufig nur mit den Auslagen, die durch die Verköstigung der Pfleglinge anfielen, und neigten häufig dazu, man soll für Menschen, die nichts arbeiten, sparen mit dem Essen. Die Schwachsinnigen wollen aber immer gut gesättigt sein, andernfalls sind sie sehr unruhig […] An die Unsummen von Arbeit für die Einhaltung [sic!] der Personen, ihrer

55 Zimmermann, II. Teil. 56 St.-J-I, Ja, S. 75 – 76; Zimmermann, II. Teil.

19 Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen

Gebrauchsgegenstände und des Hauses, für die Aufsicht, wozu manche Kranke schon für sich allein eine Pflegerin benötigen, daran dachten viele nicht und schon gar nicht, daß auch die Wohnung, das Haus abgezahlt werden sollte.“57 Nebst eben genannter Unmut der Angehörigen über die erhöhten Preise liefert dieses Zitat eine ungefähre Auflistung der damals zu bedienenden Kosten und zeigt einmal mehr auf, dass der „Leistungsgedanke“ fest verankert war in der damaligen Gesellschaft, die empfahl, den Unproduktiven weniger Nahrung zukommen zu lassen. Die Hausordnung des St.-Josefs-Institutes von 1906, die laut Sr. Oberin Maria Heinrika 1995 noch weitgehend erhalten geblieben war, gewährt Einblick in den vorgeschriebene Tagesablauf der Anstalt.58 Darin heißt es: „Um ½ 6 Uhr morgens stehen die gesunden Pfleglinge auf. Darauf werden dieselben ja nach Bedarf gewaschen, gekämmt und geordnet. Bei der um ¼ nach 6 Uhr stattfindenden hl. Messe in der Hauskapelle nehmen die fähigen Pfleglinge teil, hernach wird für alle das Frühstück verabreicht. Vormittags sind hiezu [sic!] taugliche Pfleglinge mit den ihnen angewiesenen Arbeiten beschäftigt, während die Kinder, welche noch irgend eine Fähigkeit zum Lernen besitzen, unterrichtet und in den weiblichen Handarbeiten geübt werden. Die zur Arbeit unfähigen Pfleglinge und Kinder gehen im Garten spazieren oder finden auf andere Weise ihre Unterhaltung. Um 9 Uhr erhalten sämtliche Pfleglinge einen Imbiß- Um ½ 12 Uhr ist für alle Bewohner des Hauses das Mittagessen bereitet, auf welches eine längere Ruhepause für die Erwachsenen und eine ebensolange Spiel- und Erholungszeit für die Kinder folgt. Nachmittag um ½ 2 Uhr werden die Arbeiten und der Unterricht für die fähigen Kinder wieder fortgesetzt. Um 3 Uhr bekommen sämtliche Pfleglinge eine kräftige Jause. Beim Abendrosenkranz um ½ 6 Uhr erscheinen die fähigen Pfleglinge in der Hauskapelle. Um 6 Uhr wird das Abendessen verabreicht, worauf sich die Pfleglinge noch eine Zeit lang in verschiedenen Gruppen unterhalten. Um halb 8 Uhr begeben sich sämtliche Pfleglinge zur Ruhe.“59 1914 – 1918 mussten der „Schaffer und alle Knechte bis auf einen“ in den Krieg einrücken, weshalb die Schwestern mit den „fähigen Pfleglingen“ die Felder bestellten und die Landwirtschaft, „so gut es ging“, weiterführten. Da das Institut im Winter 1916/17 als

57 St.-J-I, Ja, S. 36. 58 St.-J-I, Pusteblume (1995), Nr. 4, S. 7. 59 Ebd., S. 6.

20 Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen

Reservelazarett genutzt wurde, wurden „Kinder aus bäuerlichen Familien […] wegen Platzmangels und mangelnder Lebensmittel nach Hause geschickt“.60

Im Jahr des Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 entstand eine Vorschule, die in etwa mit einem Kindergarten zu vergleichen war, während die Hilfsschule geschlossen werden musste.61 Nachdem Sr. Generosa Anna Gleirscher vom Schuldienst enthoben wurde - bis dahin war sie Volksschullehrerin in Mils – kehrte sie ins Institut zurück und wurde ihre Oberin. 62 Die Schwestern waren um den Fortbestand des Instituts besorgt, da Kommissionen geschickt wurden, die die Anstalt inspizierten, aber aufgrund des fehlenden „Komforts“ - es gab keinen Aufzug oder fließendes Wasser in den Zimmern – wieder abzogen, so die Chronistin.63 Aufgrund des Zweiten Weltkrieges wurden abermals die Knechte der Anstalt eingezogen, einzig der neue Schaffer wurde als „UK“ (unabkömmlich) eingestuft und konnte daher in Mils bleiben.64

Am 10. Dezember 1940 wurden 67 Menschen mit Behinderung von Mils in die NS- Tötungsanstalt Hartheim bei Linz abtransportiert.65 Zwei weitere Pfleglinge aus Mils wurden am 28. Mai 1941 über Hall nach Hartheim gebracht und somit ebenfalls Opfer der NS-Euthanasie. Am 27. August 1942 wurden zehn Südtiroler Kinder vom St.-Josefs-Institut deportiert und fielen

60 St.-J-I, Ja, S. 121. 61 Johann Reiter, Maßnahmen gegen Klöster und Orden, in: Widerstand und Verfolgung in Tirol 1934- 1945. Eine Dokumentation, hrsg. v. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Band 2, Wien 1984, S. 284 – 325, S. 320. Es ist anzumerken, dass der Bericht von Sr. Arnolda Hörtnagl von 1981, den Reiter angibt, nicht mit den Angaben über die Hilfsschulklassen in der Chronik des St.-Josefs-Instituts übereinstimmt. Dort heißt es, dass die Klasse für „schulbildungsfähige Mädchen“ erst 1939 nach Scharnitz verlegt wurde und eine Klasse für „schwachsinnige Knaben“ bestehen blieb. Herbert Zimmermann, Abschrift der Chronik des St. Josefsinstitutes in Mils. I. Teil (Kunterbuntes aus Mils 35), o. O. u. J., S. 21. und Zimmermann, II. Teil. Allerdings erinnert sich auch Sr. Arena Thöny 1970, dass den Schwestern die Schultätigkeit am 14. September 1938 im Milser Institut entzogen worden war. Reiter, Klöster, S. 323. 62 Von 1929 bis 1965 schrieb Frau Gleirscher die Chronik des St.-Josefs-Instituts. Zimmermann, II. Teil; Reiter, Maßnahmen, S. 317. 63 Zimmermann, II. Teil. 64 Zimmermann, I. Teil, S. 69. 65 Eine genaue Auseinandersetzung mit dieser Deportation folgt im Kapitel „Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom Milser St.-Josefs-Institut“.

21 Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen der Kindereuthanasie zum Opfer. Der „frei“ gewordene Platz in der Anstalt „bevölkerte sich“66 wenig später mit Südtiroler UmsiedlerInnen. In weiterer Folge wurde das St.-Josefs-Institut für die Tarnung der Euthanasie-Aktion missbraucht, die, wie Hartmann Hinterhuber erläutert, durch unüberschaubare PatientInnenbewegungen erzielt wurde. So wurden bis zu 300 Menschen in der Anstalt aufgenommen.67 Ab 1943 wurden im Isolierhäuschen französische Gefangene interniert.68 Von den Bombenangriffen, die zwischen 1943 und 1945 in der Umgebung stattfanden, blieb das Institut bewahrt, die BewohnerInnen flüchteten sich, wie so viele andere Menschen damals, in den Keller. Seit den Fliegerangriffen kamen immer mehr Senioren ins Heim, 1948 waren 38 Pfleglinge über 65.69 In eben diesem Jahr wurde das 50jährige Bestehen gefeiert. Veröffentlichte Zahlen zeigen, dass die jährliche Durchschnittsbelegung seit Beginn 180-200 Pflegebefohlene betrug und insgesamt 2956 Menschen aufgenommen worden waren.70 Die Tiroler Nachrichten berichten anlässlich dieses Jubiläums, dass das Institut nach Kriegsende zudem zu einem „Asyl für Flüchtlinge aller Art“71 wurde und 300 „InsassInnen“ zählte. In den 1960er Jahren bis ins Jahr 1972 folgte eine zweite Ausbauphase des Instituts. Bis 1980 war es weitgehend ruhig um das Behindertenheim, als ein Dokumentarfilm von Kurt Langbein mit dem Namen Problemkinder 1980 im ORF gesendet wurde, in dem schwere Vorwürfe gegen das autoritär geführte, damals „Pflegeanstalt für Geistesschwache“ genannte St.- Josefs-Institut erhoben wurden. Vor allem Brigitte Wanker, eine junge Pflegehelferin im Institut, schilderte eindrücklich die menschenverachtende Art und Weise, mit der mit den Schutzbefohlenen umgegangen wurde und übte Kritik an der Leitung des Instituts sowie an ihren Erziehungsrichtlinien und deren Umsetzung. Sie berichtete vom Einsatz körperlicher

66 Zimmermann, I. Teil, S. 21. 67 Hinterhuber, Ermordet, S. 98. 68 Zimmermann, I. Teil, S. 22. 69 Zimmermann, II. Teil. 70 St.-J-I, Ja, S. 121; Zimmermann, II. Teil; Herbert Zimmermann, Ergänzungen zur Chronik des St. Josefsinstitutes in Mils. III. Teil (Kunterbuntes aus Mils 37), o. O. u. J. 71 Tiroler Nachrichten, Nr. 125, 03.06.1948, S. 3.

22 Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen

Züchtigung, Freiheitsentzug und Isolierung sowie diversen Formen der Vernachlässigung.72 Nach ihrer Kündigung sollte sie in Tirol lange Jahre keine Anstellung mehr bekommen.73 Siebzehn Jahre nach dem Bekanntwerden der skandalösen Zustände im St. Josefs-Institut und Vize-Landeshauptmann Dr. Fritz Priors Rehabilitationsbestrebungen – ein anderes Fernsehteam machte „nette Aufnahmen“74 die 1981 ausgestrahlt wurden – wurde die Landwirtschaft aufgegeben und damit die Beschäftigungsmöglichkeiten reduziert. Diesem Umstand sowie dem „veränderte[n] pädagogische[n] Verständnis der Arbeit mit Menschen mit Behinderung“ ist es geschuldet, dass es seit ca. 30 Jahren therapeutische Angebote im St.-Josefs- Institut gibt. Die Schule mit sonderpädagogischem Förderbedarf bestand laut Institut von 1910 bis 2015.75 Zum 100jährigen Jubiläum 1998 lebten 145 Menschen jeden Alters im Institut. Fünf Jahre später wurde das „Soziale Zentrum St. Josef“ Teil der Sozialen Einrichtungen der Barmherzigen Schwestern von Zams Betriebs GmbH und 2004 als Einrichtung für Rehabilitation und Behindertenhilfe des Landes Tirol offiziell anerkannt.76 Im November 2016 wurde das Zentrum abermals in „Netzwerk St. Josef“ umbenannt und befindet sich, laut eigenen Angaben seither „auf dem Weg, sich von einer Großeinrichtung in ein Netzwerk lauter kleinerer, barrierefreier, externer Wohngemeinschaften zu entwickeln“.77

72 Brigitte Wanker, Mauern überall, in: Behindertenalltag – wie man behindert wird, Jugend und Volk, hrsg. v. Rudolf Forster / Volker Schönwiese, Wien 1982, S. 21 – 34, [http://bidok.uibk.ac.at/library/wanker-mauern.html], eingesehen am 02.01.2019. 73 Für eine detailliertere Beschreibung der Geschehnisse rund um Brigitte Wanker siehe Horst Schreiber, Im Namen der Ordnung. Heimerziehung in Tirol, Innsbruck 2010, S. 319 – 326. 74 St.-J-I, Ja, S. 124. 75 Soziale Einrichtungen der Barmherzigen Schwestern Zams, Netzwerk St. Josef / Mils. Portrait & Geschichte, o. D., [https://www.soziale-einrichtungen.at/leben/netzwerk-st-josef/portrait-geschichte.html], eingesehen am 06.01.2019. 76 Ebd. 77 Soziale Einrichtungen der Barmherzigen Schwestern Zams, Netzwerk St. Josef / Mils, o. D., [https:// www.soziale-einrichtungen.at/leben/netzwerk-st-josef.html], eingesehen am 06.01.2019.

23 Das St.-Josefs-Institut und seine BewohnerInnen

Die BewohnerInnen des St.-Josefs-Instituts

Das St.-Josefs-Institut war eines der wenigen Versorgungshäuser in Tirol, das mehr als zwanzig Betten zählte – 1899 waren es schon 60. Zudem sah die Stiftung von Anbeginn des Instituts drei Freiplätze für Milser Arme vor: Einer der ersten, der diese nutzte, war der verarmte ehemalige Besitzer des Anwesens.78 Die Pfleglinge beschreibt Anton Plaseller, ein Stifter des Instituts, für den Caritas-Kalender 1905 wie folgt: „Dann besehen wir uns die verschiedenen Bewohner der Anstalt, und da finden wir alle Menschenalter vertreten, vom Wiegenkind angefangen bis zum 80jährigen Greis. Doch die größte Anzahl bilden jene armen, geistesschwachen, teils taubstummen, teils hörenden Kinder, die ganz besonders hilfebedürftig sind.“79 Ab 1904 wurden stets mehr als hundert Pflegebefohlene gezählt, 1912 sogar 254. Betreut wurden diese vielen Pfleglinge damals von fünf Schwestern.80 Außerdem wurde das Institut nicht nur von Ordensschwestern, sondern auch von weltlichem Personal bewirtschaftet.81 Zum 50jährigen Jubiläum des Instituts wurde berichtet, dass die Zahl der Schwestern im Laufe der Jahre auf 24 bis 1942 sogar 30 wuchs und bis zu elf landwirtschaftliche Arbeiter angestellt waren.82

78 Zimmermann, II. Teil. 79 St.-J-I, Ja, S. 26; Zimmermann, III. Teil. 80 Zimmermann, III. Teil. 81 St.-J-I, Ja, S. 37; Zimmermann III. Teil. 82 Zimmermann, III. Teil.

24 Das Präludium des Massenmordes Das Präludium des Massenmordes

Der Siegeszug des Sozialdarwinismus Der systematischen Ermordung von Menschen mit Behinderung im NS-Staat liegt nicht primär der Fanatismus weniger Nationalsozialisten zugrunde, sie ist vielmehr als Zuspitzung der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Behinderung zu verstehen, deren Anfänge gemeinhin auf Charles Darwins Publikation seines Werkes On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life 1859 datiert werden. Darin stellt der britische Naturforscher als Erster eine „weltumspannende Theorie des Lebens“83 auf, spricht von „Evolution“ und „natürlicher Selektion“. Letzterer zufolge werden in der Natur schlechter Angepasste im „Kampf ums Dasein“ ausgemustert. Darwin beschreibt diesen Vorgang am Beispiel von Fauna und Flora (Darwinismus), erst 1871 widmete er sich der „natural selection as affecting civilised nations“ und schrieb folgendes: „With savages, the weak in body or mind are soon eliminated; and those that survive commonly exhibit a vigorous state of health. We civilised men, on the other hand, do our utmost to check the process of elimination; we build asylums for the imbecile, the maimed, and the sick; we institute poor-laws; and our medical men exert their utmost skill to save the life of every one to the last moment. There is reason to believe that vaccination has preserved thousands, who from a weak constitution would formerly have succumbed to small-pox. Thus the weak members of civilised societies propagate their kind. No one who has attended to the breeding of domestic animals will doubt that this must be highly injurious to the race of man. It is surprising how soon a want of care, or care wrongly directed, leads to the degeneration of a domestic race; but excepting in the case of man himself, hardly any one is so ignorant as to allow his worst animals to breed.“84

Doch auch wenn für Darwin kein Zweifel darin besteht, dass ein Fortbestand der Schwachen „bad effects“ auf die Menschheit hat, spricht er sich dezidiert gegen bewusste Vernachlässigung

83 Jürgen Neffe, 150 Jahre „Entstehung der Arten“. Danke, Darwin!, in: Die Zeit, Nr. 02, 31.12.2008, [https://www.zeit.de/2009/02/N-Darwin-Biografie], eingesehen am 09.01.2019.

25 Das Präludium des Massenmordes der Schwachen und Hilflosen aus und verweist auf das Mitgefühl, einen – so Darwin - sozialen Instinkt des Menschen.85 Nichtsdestotrotz wich Darwins Fokus auf diesen „instinct of sympathy“ im wissenschaftlichen wie im gesellschaftlichen Diskurs in den folgenden Dekaden immer mehr dem auf Leistungsfähigkeit und -willigkeit und seine Theorie um den „Kampf ums Dasein“ wurde auf die Gesellschaft ausgeweitet, was man heute gemeinhin als „Sozialdarwinismus“ versteht. Mit dem Ummünzen seiner Theorien auf „Ellbogen und das Recht des Stärkeren im allgegenwärtigen Verdrängungswettbewerb“86 des Menschen wurde Wissenschaft zu Weltanschauung, eine Idee zur Ideologie und Biologie zum Biologismus. So war es Darwins Vetter, Francis Galton, seines Zeichens Arzt und Anthropologe, der zum Begründer der Eugenik – der Lehre vom „guten Geschlecht“ (altgriechisch), wurde. Galton war der Überzeugung, „die Tüchtigen“ müssten viele Nachkommen zeugen (positive Eugenik). Später sprach er sich außerdem für negative Eugenik aus: die „Minderwertigen“ seien davon abzuhalten, sich fortzupflanzen. „Armenfürsorge, Hygiene und Medizin, so die These, verhindern im Kampf ums Dasein die natürliche Auslese und führen zur Degeneration der weißen Rasse.“87 Es geht also bei Galton auch dezidiert um „Rasse“ und deren Klassifizierung, die von der sich neu etablierenden

84 „Bei Wilden werden die an Geist und Körper Schwachen bald beseitigt, und die, welche leben bleiben, zeigen gewöhnlich einen Zustand kräftiger Gesundheit. Auf der andern Seite tun wir zivilisierte Menschen alles nur Mögliche, um den Prozess dieser Beseitigung aufzuhalten. Wir bauen Zufluchtsstätten für die Schwachsinnigen, für die Krüppel und die Kranken, wir erlassen Armengesetze, und unsere Ärzte strengen die größte Geschicklichkeit an, das Leben eines Jeden bis zum letzten Moment noch zu erhalten. [...] Niemand, welcher der Zucht domestizierter Tiere seine Aufmerksamkeit gewidmet hat, wird daran zweifeln, dass dies für die Rasse des Menschen im höchsten Grade schädlich sein muß. Es ist überraschend, wie bald ein Mangel an Sorgfalt oder eine unrecht geleitete Sorgfalt zur Degeneration einer domestizierten Rasse führt; aber mit Ausnahme des den Menschen betreffenden Falls ist kein Züchter so unwissend, daß er seine schlechtesten Tiere zur Nachzucht zuläßt.“ Charles Darwin, The Descent of Man and Selection in Relation to Sex, [Kent] 18742, S. 90, [https://charles-darwin.classic-literature.co.uk/the-descent-of-man/], eingesehen am 09.01.2019. 85 Ebd. 86 Neffe, Darwin. 87 Stefan Kühl, Die Internationale der Rassisten. Aufstieg und Niedergang der internationalen Bewegung für Eugenik und Rassenhygiene im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1997, S. 20 – 22.

26 Das Präludium des Massenmordes

Wissenschaft Anthropologie übernommen wurde. Es wurden u. a. Pigmentationsmerkmale festgehalten, Körpergrößen gemessen, Längenbreitenindices des Schädels errechnet und anhand dieser waghalsige pseudowissenschaftliche Thesen aufgestellt.88 Diese Überzeugungen und Praktiken gewannen zum Ende des 19. Jahrhunderts weltweit immer mehr an Popularität.

Eugenik im deutschen Diskurs

An der Etablierung der Eugenik im deutschen Diskurs war maßgeblich der Mediziner Alfred Ploetz beteiligt. Er wurde 1904 zum Herausgeber eines Periodikums, das sich mit „Rassen- und Gesellschafts-Hygiene“ beschäftigte und zu einem der Mitbegründer der Gesellschaft für Rassenhygiene – der ersten eugenischen Gesellschaft der Welt.89 Dabei ist anzumerken, dass der Begriff „Rassenhygiene“ von Ploetz 1895 eingeführt wurde und zum deutschen Synonym für „Eugenik“ avancierte.90 Besonders gravierend, so Ernst Klee, war die Veröffentlichung von Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte des berühmten Münchner Psychiaters Emil Kraepelin, indem er postuliert, dass Geisteskrankheiten auf „Entartung“, also Vererbung und Degeneration, zurückzuführen sein und – wie im Fall des „Jugendirrseins“ - „gesetzmäßig zur Verblödung, zum geistigen Tod“91 führten. Damit hielt die Lehre der vererblichen Geisteskrankheiten ab 1909 Einzug in die ärztliche Ausbildung. 1920 wurde mit der Publikation von Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form der Begriff „lebensunwert“ eingeführt, vom dem später auch die Nationalsozialisten Gebrauch machen sollten. Die Verfasser, der Bundesgerichtspräsident, Karl Binding, und der Direktor der Freiburger Universitätsnervenklinik, Erich Hoche, plädieren in ihrem Werk für eben jene „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ und argumentieren u.a., dass so die hohen staatlichen Ausgaben, die mit der Pflege von „unheilbar Blödsinnigen“ einhergehen,

88 Florian Leimgruber, Euthanasie und Sterilisierung im ehemaligen „Reichsgau Tirol-Vorarlberg“ während des II. Weltkrieges 1939 – 45, Diss. Innsbruck 1988, S. 109 – 114. 89 Später wird sie in Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene umbenannt. Ernst Klee, „Euthanasie“ im Dritten Reich. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Frankfurt a. M. 1985, S. 20. 90 Ebd., S. 19. 91 Ebd., S. 21.

27 Das Präludium des Massenmordes gesenkt werden könnten.92 Doch auch wenn Hoche Begriffe wie „Ballastexistenzen“, „Menschenhülsen“, „geistig Tote“ oder „Defektmenschen“ in Umlauf brachte, lehnte er schlussendlich die NS-Maßnahmen ab und nahm schon vor 1936 von der Psychiatrie Abschied.93 Anders als die Autoren von Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene, Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz, deren Buch Hitler – eigenen Aussagen zufolge – gelesen hat und die großen Einfluss auf letzteren hatten.94 Hitler prophezeite in „Mein Kampf“ folgendes: „Ein stärkeres Geschlecht wird die Schwachen verjagen, da der Drang zum Leben in seiner letzten Form alle lächerlichen Fesseln einer sogenannten Humanität der einzelnen immer wieder zerbrechen wird, um an seine Stelle die Humanität der Natur treten zu lassen, die die Schwäche vernichtet, um der Stärke den Platz zu schenken.“95 Mit diesem „stärkeren Geschlecht“ ist zweifelsfrei die von Hitler glorifizierte „nordische Rasse“ - der „Arier“ - gemeint, die eine der zu dieser Zeit üblichen typologischen Rassedefinitionen innerhalb der Anthropologie war: Hans F. K. Günther, einer der Hauptvertreter des „Nordischen Gedankens“96, beispielsweise klassifiziert in seiner Rassenkunde Europas das deutsche Volk als folgenden „Rassen“ angehörig: der „nordischen“, der „westischen“, der „dinarischen“, der „ostischen“, und der „ostbaltischen“ Rasse, wobei er jeder dieser Kategorien gewisse Charaktereigenschaften unterstellt und diese teils reiht.97 Wilhelm Schallmayer, nebst Alfred Ploetz der Begründer der deutschen Rassenhygiene, zeichnet kassandrisch folgendes Bild: „Das Vorurteil, daß unter den Rassenelementen, aus denen die deutsche Rassenmischung besteht, das nordische Element höher, sogar unvergleichbar höher als jenes andere zu bewerten sei, und die aus dieser Wertung sich ergebende Forderung einer rassehygienischen Vorzugsfürsorge für diesen Volksbestandteil sind

92 Klee, Euthanasie, S. 21 – 25. 93 Hoche empfängt 1940 die Asche einer Verwandten, die Opfer der Euthanasie geworden worden sein soll. Ebs., S. 26 – 27. 94 Ebd., S. 28 – 29. 95 Adolf Hitler, Mein Kampf, München 1939417-418, S. 245, zit. nach Klee, Euthanasie, S. 29. 96 Darunter versteht Günther selbst die „Hochwertung nordischer Erbanlagen des Leibes und der Seele“. Hans F. K. Günther, Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes, München 31933, S. 141, zit. n. Leimgruber, Reichsgau, S. 163. 97 Leimgruber, Reichsgau, S. 120 – 127.

28 Das Präludium des Massenmordes

unter den deutschen Vertretern der Rassehygiene merkwürdig stark verbreitet. […] [G]efeierte Rassenpolitiker [predigen] das Ideal der ‚Reinzucht‘ und der Ausbreitung der nordischen Rasse auf Kosten der übrigen Rassenelemente, die in der deutschen und sonstigen Bevölkerung Europas vertreten sind. Letztere sollen durch einen Bund der an nordischem Blut reicheren Völker unterdrückt werden. Ganz folgerichtig waten einige dieser Rassenpolitker in ihren Phantasien tief in Blut.98 Doch ungeachtet Schallmayers Einwände folgen weitere „wissenschaftliche“ Auseinandersetzungen bzgl. Rassenkunde und -hygiene. Ernst Klee subsummiert die Entwicklung bis zum Ende der 1920er Jahre so: „Der Schutz der Kranken ist brüchig geworden“.99 In der Tat wurden immer öfter Kosten-Nutzen-Rechnungen in den Raum gestellt, die auf perfide Weise die Ermordung von zu „Ballastexistenzen“ degradierten bedürftigen Menschen als logische Konsequenz darstellten.100

Der Eugenikdiskurs in Österreich

Dieses Phänomen zeichnete sich auch in Österreich ab. Spätestens ab der Niederlage im Ersten Weltkrieg fußte der rassenhygienische Gedanke auch hier. Verschiedene eugenische Vereine wurden in den 1920ern gegründet, ab dem Sommersemester 1920 wurde „Rassenhygiene“ als Vorlesung angeboten und hatte so Einzug in den österreichischen Universitätsbetrieb gehalten, der spätestens ab 1933 durch die Ernennung Heinrich Reichels – einem der führenden Eugeniker in Österreich – zum Professor für Hygiene in Graz nicht mehr zu leugnen war.101 „Im VGA [Volksgesundheitsamt] wurden seit 1922 eugenische Forderungen verstärkt rezipiert und 1925 ‚Rassenhygiene‘ erstmals explizit in den Aufgabenbereich aufgenommen.“102 Zudem gab es Bestrebungen Reichels, Eugenik im mittelschulischen Unterricht zu etablieren.103 Stefan Lechner

98 Wilhelm Schallmayer, Vererbung und Auslese. Grundriß der Gesellschaftsbiologie und der Lehre vom Rassedienst, Jena 19183, S. 375 – 377, zit. n. Leimgruber, Reichsgau, S. 145 – 147. 99 Klee, Euthanasie, S. 31. 100 Ebd., S. 31 – 33. 101 Thomas Mayer, „...daß die eigentliche österreichische Rassenhygiene in der Hauptsache das Werk Reichels ist“, in: Vorreiter der Vernichtung? Eugenik, Rassenhygiene und Euthanasie in der österreichischen Diskussion vor 1938 (Zur Geschichte der NS-Euthanasie in Wien 3), Wien 2005, S. 65 – 98, S. 71 – 89. 102 Ebd., S. 79 – 80. 103 Ebd., S. 85 – 86, 97.

29 Das Präludium des Massenmordes verortet die österreichischen, rassenhygienischen Wissenschaftler zumeist in nationalen Kreisen und rechts-stehend, was die Eingliederung der Wiener Gesellschaft für Rassenhygiene in die deutsche 1935 als logische Konsequenz erscheinen lässt.104 Zu einer Umsetzung ihrer radikalen, menschenverachtenden Forderungen kam es dennoch erst nach dem Anschluss 1938, zuvor hatte man in österreichischen Regierungskreisen die Nürnberger Gesetze als „Kulturschande“ abgelehnt.105

Von der Theorie in die Praxis

Wie bereits erwähnt war der Siegeszug des Sozialdarwinismus kein rein nationalsozialistisches Phänomen, sondern im Gegenteil ein internationales, von vielen politischen Strömungen getragenes.106 In den USA sollten die rassistischen Jim Crow Laws mit ihrer verordneten Rassentrennung dem Schutze der „höheren“ weißen „Rasse“ dienen. Einige amerikanische Staaten führten außerdem ab 1909 einschränkende Ehegesetze ein, die Eheschließungen aufgrund von eugenischen Überlegungen verboten. 1907 wurde in Indiana bereits die erste Sterilisationsgesetzgebung der USA auf den Weg gebracht. Viele weitere Bundesstaaten, aber 104 Stefan Lechner, Zwangssterilisation von „Erbkranken“ im Reichsgau Tirol-Vorarlberg 1940 – 1945, in: Verfolgte und Vollstrecker/Perseguitati e persecutori. Jahrbuch der Arbeitsgruppe Regionalgeschichte (Geschichte und Region/Storia e regione 6), Bozen 1997, S. 117 – 161, S. 122. 105 Horst Seidler / Andreas Rett, Rassenhygiene. Ein Weg in den Nationalsozialismus, Wien – München 1988, S. 55. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Person Andreas Rett (†1997) heutzutage zu Recht sehr umstritten ist. Rett, Träger des großen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich, vertuschte seine NSDAP-Mitgliedschaft und war Befürworter systematischer Sterilisation und Aborten bei behinderten Frauen. Zudem betrieb er über 17 Jahre hinweg medikamentöse Sexualtriebdämpfung, wie das auch die umstrittene Kinderpsychiaterin Nowak-Vogel praktizierte. Ungeheuerlich ist außerdem, dass er mit Heinrich Gross, einem Arzt der Kindereuthanasie, auf Basis von Hirnpräparaten, die von getöteten Kindern am Spiegelgrund stammen, einen Artikel schrieb. Volker Schönwiese, Individualisierende Eugenik. Zur Praxis von Andreas Rett, in: wertes unwertes Leben, hrsg. v. BIZEPS, 20122, S. 69 – 82, S. 9, https://www.bizeps.or.at/shop/leben2012.pdf], eingesehen am 01.03.2019. 106 Volker Roelcke / Gerrit Hohendorf / Maike Rotzoll, Psychiatrische Forschung, „Euthanasie“ und der „Neue Mensch“. Zur Debatte um Menschenbild und Wertsetzungen im Nationalsozialismus, in: „Euthanasie“ und die aktuelle Sterbehilfe-Debatte. Die historischen Hintergründe medizinischer Ethik, hrsg. v. Andreas Frewer / Clemens Eickhoff, Frankfurt a. M. 2000, S. 193 – 217, S. 194 – 195.

30 Das Präludium des Massenmordes auch Mexiko, das kanadische Alberta und Britisch-Kolumbien folgten diesem Beispiel.107 In Europa war der Schweizer Kanton Waadt der erste, der die Sterilisation von „geistig Minderwertigen“ als „vorbeugende Maßnahme“ gesetzlich 1928 verankerte. Bis 1935 folgten ihm Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Estland nach. In Island war seit 1921 ein Eheverbot gleich dem amerikanischen in Kraft.108 Laut Horst Seidler und Andreas Rett wurde die erste auf eugenischen Überlegungen basierende Sterilisation in Deutschland 1897 vom Heidelberger Gynäkologen Ferdinand Adolf Kehrer durchgeführt, was damals noch ein Vergehen gegen das StGB darstellte, aber bei Kehrer nicht geahndet wurde. Ahnlich verhielt es sich offensichtlich auch in Zürich und St. Gallen: Bei der Rassenhygiene-Ausstellung in Dresden 1911 wurde zumindest eine Wandtafel gezeigt, auf der eindeutig anhand von „Fassstudien“ Werbung für Sterilisation „aus sozialen Gründen“ gemacht wurde, die in den Burghölzli und Asyl Wil durchgeführt worden waren (Abb.3).

Abbildung 3: Ausschnitt aus Wandtafel (Quelle: Seidler / Rett, Rassenhygiene)

107 Seidler / Rett, Rassenhygiene, S. 95 – 100. 108 Ebs., S. 110 – 114.

31 Das Präludium des Massenmordes

Ab 1914 wurden immer wieder deutsche Gesetzesentwürfe eingebracht, die die Sterilisation sowie den Schwangerschaftsabbruch aus rassenhygienischen Gründen forderten, aber erst mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten sollten im Deutschen Reich tatsächliche Eingriffe an Menschen, die als „minderwertig“ gesehen wurden, vorgenommen werden.109 Innerhalb der NSDAP machte man sich daran, eugenische Theorien in die Praxis umzusetzen: Zu Silvester 1931, noch vor besagter Machtergreifung also, erlies der Hühnerzüchter und Reichsführer-SS Heinrich Himmler einen Befehl an die Schutzstaffel, der den SS-Männern vorschrieb, sich eine Heiratsgenehmigung einholen zu müssen, die „einzig und allein nach rassischen und erbgesundheitlichen Gesichtspunkten erteilt oder verweigert“110 wurde.111 Dass es die NSDAP mit ihrem späteren Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Josef Goebbels, wie keine andere Partei verstand, publikumswirksam (moderne) Medien zu nutzen und so die Meinungsbildung der Bevölkerung zu beeinflussen, ist gemeinhin bekannt. Hauptthemen der NS-Propaganda waren Antisemitismus, Rassismus, Heldentum, der Führerkult um Hitler, das nationalsozialistische Frauenbild und die Ideologie der deutschen Volksgemeinschaft.112 Dazu zählte auch die systematische Diffamierung von behinderten Menschen als „nutzlose Esser“, wie dies beispielsweise im Kinofilm Die Sünden des Vaters von 1935 der Fall ist113, und das stete Darlegen einer Kosten-Nutzen-Rechnung, deren Schluss immer ein und derselbe war: „Erbkranke“ würden dem „Volkskörper“ zur Last fallen. Allerdings weißt Udo Benzenhöfer darauf hin, dass eine „breitere öffentliche Diskussion über die ‚Vernichtung

109 Seidler / Rett, Rassenhygiene, S. 115 – 116; Leimgruber, Reichsgau, S. 207 – 208. 110 R. Walther Darré, Das Bauerntum als Lebensquell der Nordischen Rasse, München 61937, S. 465, zit. n. Leimgruber, Reichsgau, S. 133. 111 Leimgruber, Reichsgau, S. 132 – 134. 112 Jörg Echternkamp, Kriegsideologie, Propaganda und Massenkultur, in: Bundeszentrale für politische Bildung, 30.04.2015, [http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/der-zweite-weltkrieg/ 199404/kriegsideologie-propaganda-und-massenkultur], eingesehen am 12.01.2019. 113 Hendrik Behrendt, Euthanasie an Kindern. Warum Ernst Lossa, 14, sterben musste, in: SpiegelOnline, 26.09.2016, [http://www.spiegel.de/einestages/euthanasie-programm-der-nazis-der- tod-von-ernst-lossa-14-a-1113550.html], eingesehen am 12.01.2019.

32 Das Präludium des Massenmordes lebensunwerten Lebens‘ in der Zeit nach 1935 durch die Presse betreffende Zensurmaßnahmen“114 von Goebbels Ministerium unterdrückt wurde. Es ging nicht darum, über Wert oder „Unwert“ von Leben zu diskutieren, vielmehr lag das Hauptaugenmerk darauf, Stimmung gegen bedürftige Menschen zu machen, beispielsweise in Schulbüchern (Abb.4, Abb.5). Während die hier dargestellten Propagandamaterialien klar auf negative Eugenik – also den Ausschluss „Minderwertiger“ abzielen, etablierte die NSDAP im Sinne der positiven Eugenik eine „allgemeine Politik der Geburtenförderung“, die „Ehestandsdarlehen und Kinderbeihilfen ebenso wie Säuglingswäschepakete, Ausbildungsbeihilfen oder die Zuerkennung des so genannten ‚Mutterkreuzes‘“115 umfasste.

Abbildung 5: Auszug aus einem Rechenbuch für Volksschulen von 1941 (Quelle: SZ.de, Bildstrecke – DHMD: Tödliche Medizin)

Abbildung 4: gedruckt in Schulbuch (Quelle: Brigitte Kepplinger, Wert des Lebens, S. 36) 114 Udo Benzenhöfer, Der gute Tod? Geschichte der Euthanasie und Sterbehilfe, Göttingen 2009, S. 100. 115 Herwig Czech, Erfassen, begutachten, ausmerzen. Das Wiener Hauptgesundheitsamt und die Umsetzung der „Erb- und Rassenpflege“ 1938 bis 1945, in: Vorreiter der Vernichtung? Eugenik, Rassenhygiene und Euthanasie in der österreichischen Diskussion vor 1938 (Zur Geschichte der NS-Euthanasie in Wien 3), hrsg. v. Heinz Eberhard Gabriel / Wolfgang Neugebauer, Wien – Köln – Weimar 2005, S. 19 – 52, S. 34.

33 Das Präludium des Massenmordes

Zwangssterilisation

Mit der seit 30. Januar 1933 durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler an die Macht gelangten NSDAP an der Spitze der deutschen Regierung und dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März desselben Jahres hatte Hitler es geschafft: Ihm war die gesetzgebende und ausführende Gewalt übertragen worden, die sogar über der Verfassung stand. So begann die Diskriminierung und sukzessive Verfolgung der Juden und Jüdinnen durch die Nationalsozialisten, der schlussendlich bis zu 6,3 Millionen Menschen zum Opfer fallen sollten.116 Die Gleichschaltung zum NS-Regime schritt voran: BeamtInnen wurden „arisiert“, oppositionelle Parteien verboten und ihre Mitglieder verjagt, und die Medizin schloß sich – so geschlossen wie kein anderer Berufsstand – den Nationalsozialisten an – auch in diakonischen Einrichtungen.117 Kein halbes Jahr nach der Machtübernahme Hitlers wurde am 14. Juli das offiziell am 1. Januar 1934 in Kraft tretende Gesetz zur Verhütung erbkranken Nahwuchses, kurz Erbgesundheitsgesetz (GzVeN) verabschiedet. § 1: „(1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.“118 Als „erbkrank“ galten Menschen die an „angeborenem Schwachsinn“, „Schizophrenie“, „zirkulärem (manisch-depressivem) Irrsein“, „erblicher Fallsucht“, „erblichem Beitstanz (Huntingtonsche Chorea)“, „erblicher Blindheit“, „erblicher Taubheit“, oder „schwerer erblicher körperlicher Mißbildung“119 „erkrankt“ waren. Außerdem konnten AlkoholikerInnen sterilisiert werden. Ferner wurde festgelegt, dass entweder die zu Sterilisierenden selbst, ihre gesetzlichen VertreterInnen, Anstaltsleitungen von Kranken-, Heil- oder Pflegeanstalten, oder AmtsärztInnen befähigt waren, den Antrag auf Unfruchtbarmachung zu stellen. Im Weiteren wurde in einem Verfahren des jeweiligen Erbgesundheitsgerichtes (das den Oberlandesgerichten angegliedert,

116 Wolfgang Benz, Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, München 1991, S. 15 – 17. 117 Klee, Euthanasie, S. 35 – 38. 118 Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, 14.07.1933, in: documentArchiv.de, o. D., [http://www.documentarchiv.de/ns/erbk-nws.html], eingesehen am 10.01.2019. 119 Ebd.

34 Das Präludium des Massenmordes also in jedem Bezirk eingerichtet wurde) unter Ausschluss der Öffentlichkeit darüber entschieden, ob dem Antrag stattgegeben werden würde.120 Bei positivem Bescheid erfolgte das Durchtrennen der Samen- bzw. Eileiter in lizensierten Kliniken.121 Sterilisation war auch gegen den Willen der betroffenen Person und durch „Anwendung unmittelbaren Zwanges“ erlaubt.122 Der NS-Staat verpflichtete MedizinerInnen, Hebammen, PflegerInnen, MasseurInnen und HeilpraktikerInnen, „erbkranke“ PatientInnen – unter ihnen auch Kinder ab 14 Jahren - zu melden, in der Hoffnung, so die totale Erfassung des „Volkskörpers“ voranzutreiben.123 Um sicher zu gehen, dass sich auch wirklich so wenige „Erbkranke“ wie möglich fortpflanzten, wurde zudem 1935 das Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes erlassen. Dieses war offensichtlich an den bereits erwähnten SS-Heiratsbefehl Himmlers angelehnt, indem es eine Heirat nur mit Ehetauglichkeitszeugnis erlaubte. Letzteres wurde von AmtsärztInnen ausgehändigt, die bezeugten, dass die Heiratswilligen weder eine ansteckende noch eine Erbkrankheit hatten und geistig nicht „gestört“ waren.124 Ebenso 1935 wurde das GzVeN dahingehend verändert, dass Schwangerschaftsabbrüche – eigentlich durch das Abtreibungsverbot illegal – aus rassenhygienischen Gründen durch Beschlüsse der Erbgesundheitsgerichte rechtens waren.125 Rund 400 000 Menschen sollen im Deutschen Reich einer Zwangssterilisation unterzogen worden sein, von denen mindestens 5000 – zu 90 % Frauen – an den Folgen der Operation starben.126 Wolfgang Neugebauer addiert zu diesen Hunderttausenden von Opfern noch eine Dunkelziffer von einigen tausend und schätzt die Zahl der österreichischen Zwangssterilisierungen auf 5 000 bis 10 000 Fälle.127 Dass die Zahl der österreichischen Opfer auch im Verhältnis zur Gesamtpopulation so viel kleiner ausfällt als die deutsche, hat damit zu tun, dass „Eugenik im Austrofaschismus [...]

120 GzVeN. 121 Klee, Euthanasie, S. 43. 122 Wolfgang Neugebauer, NS-“Euthanasie“ an Behinderten, in: wertes unwertes leben, hrsg. v. BIZEPS, 20122, S. 4 – 21, S. 9, [https://www.bizeps.or.at/shop/leben2012.pdf], eingesehen am 10.01.2019. 123 Klee, Euthanasie, S. 41 – 42. 124 Ebd., S. 44. 125 Czech, Erfassen, S. 36. 126 Ebd. 127 Neugebauer, NS-“Euthanasie“, S. 11.

35 Das Präludium des Massenmordes prinzipiell nur unter dem Verzicht auf die Sterilisation möglich [war], da die päpstliche Eheenzyklika „Cast Connubii“ von Ende 1930 diese ausdrücklich untersagte und die neue Regierung sich an die katholische Lehre hielt.“128 Das heißt, dass erst mit dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland und einer Verordnung vom 14. November 1939 ab 1940129 in der Ostmark zwangssterilisiert wurde – zur Kriegszeit also, in der Mediziner eingezogen wurden und die Kliniken mit der Versorgung der Kriegsversehrten beschäftigt waren.130 Aus diesem Grund war mit Kriegsbeginn auch eine Verordnung zur Durchführung des GzVeN erlassen worden, die besagte, dass nur noch Sterilisierungen durchzuführen waren, die „wegen besonders großer Fortpflanzungsgefahr nicht aufgeschoben werden“131 durften und all jene Anträge, die bis dato schon gestellt waren, nicht mehr zur Ausführung gelangen sollten. Außerdem bringt Neugebauer vor, dass Zwangssterilisationen in Österreich vor allem gleichzeitig zur Euthanasie stattfanden und will damit darauf verweisen, dass man zu dieser Zeit bereits auf die drastischste Art, „Erbkrankheit“ zu verhindern übergegangen war: Die Ermordung von als „minderwertig“ eingestuften Menschen.132

128 Mayer, Reichel, S. 89. 129 Zeitgleich mit dem GzVeN trat in der Ostmark das Ehegesundheitsgesetz am Jahresbeginn 1940 in Kraft. Czech, Erfassen, S. 35. 130 Lechner, Zwangssterilisation, S. 160. 131 Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und des Ehegesundheitsgesetzes vom 31. August 1939, zit. n. Klee, Euthanasie, S. 85. 132 Neugebauer, NS-“Euthanasie“, S. 10 – 11.

36 Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender

Nachdem sich die Zwangssterilisation als ineffizient und sehr aufwändig herausgestellt hatte, beschloss man noch vor Kriegsbeginn „Erbkranken“ den „Gnadentod“133 zu „gewähren“.134 Wegweisend für diese Entscheidung soll das 1938/1939 geschriebene Gnadentod-Gesuch für ihr Kind gewesen sein, die eine Familie aus Sachsen an Hitler persönlich adressierte und das – wie alle Gesuche aus der Bevölkerung – bei der 1934 gegründeten Kanzlei des Führers (KdF) landete. Hitlers Begleitarzt Karl Brandt135 wurde daraufhin nach Leipzig entsandt, wo er sich mit der Krankentötung auseinandersetzte und diese „freigab“.136 Der Leiter der Kanzlei des Führers, Philipp Bouhler, und Dr. Brandt waren es, die auf Hitlers auf den 1. September 1939 rückdatiertem Schreiben zur Euthanasie ermächtigt wurden.137 Dass der NS-Euthanasie aber keinesfalls primär eugenische Überlegungen – Götz Aly sieht sogar „keinerlei erbhygienische Motive“138 dahinter – zugrunde liegen, wir klar, wenn man

133 „Gnadentod“ im NS-Duktus ist nichts anderes als ein weiterer Euphemismus, der die gezielte Ermordung bestimmter Bevölkerungsgruppen beschönigt. 134 Wolfgang Neugebauer, Die „Aktion T4“, in: Tötungsanstalt Hartheim (Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 3), hrsg. v. Brigitte Kepplinger / Gerhart Marckhgott / Hartmut Reese, Linz 20132, S. 17 – 34, S. 18 – 19. 135 Der aus dem Elsaß stammende Karl Brandt trat 1932 der NSDAP bei, 1933 der SS, bevor er 1934 Hitlers Begleitarzt wurde. Seit 1942 war er verantwortlich für Koordination u.a. von Menschenversuchen, 1943 wurde er zum Leiter der Aktion Brandt, wurde 1944 Generalkommissar für Kampfstoff-Fragen (chemische Kriegsführung) und Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen und so der ranghöchste NS-Mediziner. Wenige Monate später wurde er als Begleitarzt abgelöst. Er wurde im Nürnberger Ärzteprozess zum Tode verurteilt und 1948 hingerichtet. Klee, Personenlexikon, S. 70 – 71. 136 Benzenhöfer, Tod, S. 101 – 104. Genauere Recherchen hierzu in Udo Benzenhöfer, Der Fall Leipzig (alias Fall „Kind Knauer“) und die Planung der NS-“Kindereuthanasie“, Münster 2008. 137 Die Euthanasie-Ermächtigung Hitlers, zit. n. Ernst Klee, Dokumente zur „Euthanasie“, Frankfurt a. M. 1985, S. 85. 138 Götz Aly, Die Belasteten. „Euthanasie“ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte, Frankfurt a. M. 2013, S. 60.

37 Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender sich beispielsweise die utilitaristischen Aussagen damaliger Regierungsmitglieder ansieht. So schreibt Goebbels in seinem Tagebuch nach Abbruch der „T4-Aktion“: „Es ist unerträglich, dass während eines Krieges Hunderttausende für das praktische Leben gänzlich ungeeignete Menschen, die vollkommen verblödet sind und niemals mehr geheilt werden können, mitgeschleppt werden und den Sozialetat des Landes dermaßen belasten, dass für eine aufbauende soziale Tätigkeit kaum noch Mittel und Möglichkeiten übrigbleiben.“139 Dieses Zitat unterstreicht den engen Zusammenhang zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem NS-Massenmord an behinderten Menschen. Zum einen kam es während dieser Zeit aus der Perspektive der Nationalsozialisten zu einer „negativen Auslese“, d. h. dass „gute deutsche Soldaten“ an der Front fielen oder als Versehrte zurückkehrten, während „Ballastexistenzen“ dem „Volkskörper“ erhalten blieben, also ihr Bevölkerungsanteil prozentuell immer größer wurde. Diesem Phänomen wollte man mit der Euthanasie Abhilfe schaffen. Außerdem hieß es in Kriegszeiten, „Lazarettraum zu schaffen, Arzte- und Pflegepersonal freizustellen und überhaupt soziale Kosten zugunsten der Kriegswirtschaft einzusparen“140. Zum anderen war Hitler der Meinung, dass die Euthanasiemorde während des Krieges reibungsloser von Staaten gehen würden und Widerstände weniger Gewicht hätten.141 Spätestens durch den Fund der Hartheimer Statistik kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass für die Nationalsozialisten der ökonomische Nutzen, der aus den Tötungsaktionen zu ziehen war, im Fokus stand: Die 1945 von einem US-Major im Schloss Hartheim zwischen Werken der wissenschaftlichen Bibliothek Dr. Paul Nitsches gefundene Hartheimer Statistik ist ein 39-seitiges Heft das die statistische Auswertung der sechs Tötungsanstalten zwischen Januar 1940 und August 1941 umfasst. U.a. die Kosten von Verpflegung, die Zahl der „Desinfizierten“ - so wurden die Ermordeten umschrieben - sowie die Einsparungen an Nahrung, Wohnraum, Kleidung etc., die mit diesen Ermordungen einhergingen, sind darin aufgeführt. Das machte es zu einem der zentralen Beweismittel im Nürnberger Arzteprozess und hebelte die Verteidigungsstrategie vieler Mörder aus, die argumentierten, sie hätten lediglich schwerst Kranken den „Gnadentod“ gewährt.142

139 Goebbels-Tgb., II, 1, S. 299, Eintrag vom 23.8.1941, zit. n. Aly, Belasteten, S. 60 – 61. 140 Neugebauer, Aktion T4, S. 20. 141 Ebd., S. 19.

38 Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender

Die verschiedenen Phasen der NS-Euthanasie

Wolfgang Neugebauer unterteilt die NS-Euthanasie in sechs Phasen, die allerdings nicht zwangsläufig zeitlich aufeinander folgten, sondern oftmals parallel zueinander stattfanden. Dazu zählt die Kindereuthanasie von 1939 bis 1945, der „missgebildete“ Babies und Kleinkinder – später auch Jugendliche bis 17 Jahren – zum Opfer fielen, die ab 1939 erfolgte Tötung von PatientInnen psychiatrischer Anstalten in damals besetzten Gebieten, insbesondere Polens und der UdSSR143, sowie die „Aktion T4“, in deren Fokus „die Ermordung vor allem der InsassInnen der Heil- und Pflegeanstalten des Deutschen Reiches in sechs Euthanasietötungsanstalten“144 stand und die in den Jahren 1940 und 1941 ausgeführt wurde. Ihr folgte die „Aktion 14f13“ von 1941 bis 1944, die sich eben jener Tötungsanstalten für die „Ermordung arbeitsunfähiger oder politisch/‘rassisch‘ missliebiger“145 KZ-Häftlinge bediente. Ebenso wurden ab 1943 psychisch kranke „Ostarbeiter“ ermordet. Schließlich zählt Neugebauer die „wilde Euthanasie“ - also die dezentrale Ermordung von PatientInnen in Heil- und Pflegeanstalten von 1941 (nach dem offiziellen Stopp der „T4“-Aktion) bis ins Jahr 1945, auf.146 Auch wenn Neugebauer die NS-Euthanasie wie oben kategorisiert, ist es wichtig darauf

142 Andrea Kammerhofer, „Bis zum 1. September 1941 wurden desinfiziert: Personen: 70.273“. Die „Hartheimer Statistik“, in: Tötungsanstalt Hartheim (Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 3), hrsg. v. Brigitte Kepplinger / Gerhart Marckhgott / Hartmut Reese, Linz 20132, S. 117 – 130. 143 Ende September 1939 wurden ca. 1800 polnische PatientInnen der Anstalt Kocborowo von SS- Kommandos erschossen – weitere Opfer aus dem damaligen Reichsgau Danzig-Westpreußen folgten. In Pommern wurden ebenso ab Mitte November 1939 über 1000 Pfleglinge von der SS erschossen. Aus dem Gebiet des Reichsgaues Posen (später Wartheland) fanden ebenso Erschießungen statt. Zudem kam es hier zur ersten Vergasung von PatientInnen im sogenannten Fort VII in Poznan. Seit Anfang 1940 kamen dort auch die ersten Gaswagen in Gebrauch, in denen mehr als 1000 Menschen mit Kohlenmonoxid ermordet wurden. Benzenhöfer nimmt an, dass diese Tötungen auf Einzelinitiativen der Gauleiter dieser Regionen, Albert Forster, Franz Schwede-Coburg und Arthur Greiser, zurückgehen und nicht von der Zentraldienststelle in Berlin organisiert wurden. Benzenhöfer, Tod, S. 106 – 107. 144 Neugebauer, Aktion T4, S. 17. 145 Ebd. 146 Ebd.

39 Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender hinzuweisen, dass bereits vor dem geheimen Runderlass des Reichsinnenministeriums vom 18. August 1938 und der auf Kriegsbeginn rückdatierten „Führerermächtigung“ in vielen Anstalten PatientInnen an den Folgen von Mangelernährung und Unterversorgung starben.147 Dies beweisen die Sterberaten von 1936 oder Oliver Seiferts Forschung zur Ernährungssituation der PatientInnen der HPA Hall.148 Klee beschreibt außerdem „Euthanasietransporte vor Beginn der Euthanasie“149 und meint damit die Verlegung von PatientInnen aus kirchlichen Einrichtungen in die Heime des Bezirksverbands Nassau, deren ärztliches Personal dazu angewiesen worden war, „möglichst wenig zu behandeln, möglichst viele sterben [zu] lassen“.150

Kindereuthanasie

Der „erste systematisch geplante, staatlich durchgeführte Massenmord des NS-Regimes […] unter maßgeblicher Beteiligung von Wissenschaftlern, Arzten und Psychiatern“151 ist laut Neugebauer die Kindereuthanasie. Im August 1939 wurden per geheimem Runderlass des Reichsministeriums des Inneren, welches für das Gesundheitswesen zuständig war, Hebammen und Arzte dazu angehalten, alle „Missbildungen“ und Fälle von „Idiotie“ an die Gesundheitsämter zu melden. Dort organisierte man die Einweisung in eine der 31 „Kinderfachabteilungen“.152 Nach einer ärztlichen „Begutachtung“ und Meldung an die eigens dafür in der Kanzlei des Führers eingerichtete Tarnorganisation mit dem Namen „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“ und deren Genehmigung zur Tötung wurden die Kinder „durch eine Kombination von

147 Seit Herbst 1937 betrug der tägliche Verköstigungssatz in vielen Regionen nur mehr 42, in Niederschlesien sogar nur 39 Pfennig. Bis 1939 wurde dieser Satz auf 18 Pfennig reduziert. Unproduktive Pfleglinge erhielten eine nährstoffarme „Sonderkost“. Klee, Euthanasie, S. 70 – 74. 148 Besonders bedrückend ist, dass sich an der Diskriminierung der Haller PatientInnen auch in den ersten Monaten nach Kriegsende nichts änderte, und so die Sterberate in den Nachkriegsmonaten des Jahres 1945 sogar höher war, als zu Zeiten der NS-Herrschaft. Oliver Seifert, Hall, S. 79 – 256. 149 Klee, Euthanasie, S. 73. 150 Bericht der St. Josefs-Heil- und Pflegeanstalt vom 14.8.1959 an den Deutschen Caritasverband, zit. n. Klee, Euthanasie, S. 73. 151 Neugebauer, NS-“Euthanasie“, S. 36.

40 Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender

Unterernährung, Unterkühlung, Überdosierung von Medikamenten und Infektionen“153 getötet. Zudem wurden die behinderten Kinder zuvor teils für medizinische Experimente, wie etwa die Impfversuche Dr. Elmar Türks in der Universitätskinderklinik in Wien, mißbraucht und nach ihrem Tod, der ein Teil der Experimente gewesen zu sein scheint – so Matthias Dahl – obduziert.154 Die Sterbeurkunden sprachen dabei immer von einer natürlichen Todesursache.155 Die Kindereuthanasie, für die eine Opferzahl zwischen 3000 und ca. 5200 angenommen wird156, kann als „Blaupause“ für die wenig später beginnende „Aktion T4“ gesehen werden.

Die Aktion „T4“

Früher fälschlicherweise oft als „Erwachseneneuthanasie“ bezeichnet, fielen dieser „Aktion T4“157 laut Hartheimer Statistik 70.273 Menschen zum Opfer, unter ihnen auch viele, die das

152 Zwei dieser Abteilungen befanden sich auf dem Gebiet des heutigen Österreichs: in der Heil- und Pflegeanstalt „Am Feldhof“ in Graz und „Am Spiegelgrund“ in Wien. In Tirol gab es keine solche Kinderfachabteilung. Die Kinderfachabteilungen ähnelten denen der „Auslandskinder“. Die rassistische Politik gegen schwangere „fremdvölkische“ Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder zeichnete sich so ab: Schwangerschaften waren vom Arbeitgeber ans Jugendamt zu melden, das die SS verständigte, welche die Kinder auf „rassische Qualitäten“ begutachtete und die „bevölkerungspolitisch Erwünschten“ der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt übergab, während die unerwünschten Säuglinge in „Auslandskinderpflegestätten“ kamen, wo sie aufgrund systematischer Unterernährung, Vernachlässigung und daraus oftmals resultierenden Infektionskrankheiten den Tod fanden. Viele Frauen sahen sich außerdem dazu gezwungen, aufgrund des Drucks der Gestapo, des Arbeitgebers und der Arbeitseinsatzverwaltung einen Schwangerschaftsabbruch über sich ergehen zu lassen, wofür beispielsweise auf dem heutigen Gelände des Wilhelminen-Spitals eigens eine gynäkologische Abteilung eingerichtet worden war. Czech zählt dort über 600 Abtreibungen und 800 Fehlgeburten, die mit den grausamen Bedingungen, in denen Zwangsarbeiterinnen arbeiten und leben mussten, in Verbindung stehen. Czech, Erfassen, S. 47 – 48. 153 Neugebauer, NS-“Euthanasie“, S. 37. 154 Matthias Dahl, Die Tötung behinderter Kinder in der Anstalt „Am Spiegelgrund“ 1940 bis 1945, in: NS-Euthanasie in Wien, hrsg. v. Eberhard Gabriel / Wolfgang Neugebauer, Wien 2000, S. 75 – 92. 155 Neugebauer, NS-“Euthanasie“, S. 37. 156 Benzenhöfer, Tod, S. 106.

41 Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender

Erwachsenenalter nie erreichen sollten.158 Das zeigt allein ein Blick auf das Alter der Milser Opfer: 11 der 67 Opfer waren unter 18 Jahre alt.159

Planung und Ablauf

Die Planung dieser Euthanasietötungen fing spätestens im Sommer 1939 durch Philipp Bouhler, Viktor Brack (Oberdienstleiter des Hauptamt II der KdF), Dr. Hans Hefelmann (Leiter des Amt II b der KdF, das die Kindereuthanasie organisierte) und Dr. Herbert Linden (Vertreter des Innenministeriums und damit wichtigste Verbindung zur staatlichen Gesundheitsverwaltung) an. Diese „Kernplanungsgruppe“ wurde schon bald durch psychiatrische Experten wie Prof. Werner Heyde (späterer Leiter der medizinischen Abteilung der Zentraldienststelle „T4“) erweitert.160 Vor allem galt es, die Frage nach dem „Wer und wie?“161 zu beantworten. Bei der Beantwortung des „Wer?“ nahm man Bezug auf einen statistischen Auswahlschlüssel, laut dessen von 1000 Menschen 10 psychiatrische Betreuung bedürfen, von diesen 5 in stationärer Form. Von diesen wiederum würde eine Person von der Euthanasieaktion betroffen sein, da sie nicht zur Arbeit fähig war und aufwendige Pflege bedurfte (1000:10:5:1). Legt man dieses Verhältnis auf die Bevölkerung des Großdeutschen Reiches um, so war mit 65 – 70 000 Ermordungen zu rechnen.162 Das „Wie?“ wurde final erst Anfang 1940 geklärt, als man sich für die Massenvergiftung entschied. Zuerst wurden im September 1939 alle Anstalten, in denen sich „Geisteskranke, Epileptiker und Schwachsinnige“ dauerhaft befanden, eruiert. Keine drei Wochen später veranlasste der Runderlass des Reichsministeriums des Inneren vom 9. Oktober „im Hinblick auf die Notwendigkeit planwirtschaftlicher Erfassung der Heil- und

157 Nach Neugebauers Kategorisierung: Die Ermordung vor allem der Insassinnen der Heil- und Pflegeanstalten des Deutschen Reiches in sechs Euthanasietötungsanstalten. Neugebauer, Aktion T4, S. 17. 158 Ebd., S. 24. 159 Köfler, Euthanasie, S. 504 – 507; Eine genaue Auseinandersetzung mit den Milser Opfern folgt im diesbezüglichen Kapitel. 160 Benzenhöfer, Tod, S. 107 – 108. 161 Aly, Belasteten, S. 45. 162 Ebd.

42 Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender

Pflegeanstalten“163 die Versendung von zwei Meldebogen und einem Merkblatt.164 Meldebogen 1 diente dabei der Erfassung der Pfleglinge (in Belegungsstärke der Anstalten verschickt).165 Im dafür mitgesandten Merkblatt wird spezifiziert: „Zu melden sind sämtliche Patienten, die 1. an nachstehenden Krankheiten leiden und in den Anstaltsbetrieben nicht oder nur mit mechanischen Arbeiten (Zupfen u. ä.) zu beschäftigen sind: Schizophrenie, Epilepsie (wenn exogen, Kriegsbeschädigung oder andere Ursache angeben), senile Erkrankungen, Therapie-refraktäre Paralyse und andere Lues-Erkrankungen, Schwachsinn jeder Ursache, Encephalitis, Huntington und andere neurologische Endzustände; oder 2. sich seit mindestens fünf Jahren dauernd in Anstalten befinden; oder 3. als kriminelle Geisteskranke verwahrt sind; oder 4. nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder nicht deutschen oder artverwandten Blutes sind unter Angabe von Rasse und Staatsangehörigkeit.“ 166 Im Meldebogen 1 wurde u. a. erfragt, ob die Pfleglinge „[r]egelmäßig Besuch und von wem“ 167 bekamen – eine Frage, die für jedwede Diagnostik irrelevant ist, sondern vielmehr schon darauf abzuzielen scheint, ob mit Widerstand etwaiger Angehöriger zu rechnen sei. Im Meldebogen 2 wurden Angaben zu den Anstalten selbst erfragt, wie etwa „Größe, Bausystem, Betten, Kranke, Personal, Träger, später auch Gleisanschluss und Entfernung von nächster Bahnstation“168. Waren die Meldebogen ausgefüllt, wurden sie von den Anstalten an die Gesundheitsabteilung des Reichsministeriums des Inneren zum Referenten Dr. Linden169 geschickt. Dieser bearbeitete

163 Klee, Euthanasie, S. 90. 164 Diese Versendung erfolgt nicht zeitgleich in alle Gebiete des Deutschen Reichs. In Süddeutschen Anstalten treffen die Meldebogen 1939 ein. Benzenhöfer, Tod, S. 109. 165 Leimgruber, Reichsgau, S. 297 – 302. 166 Klee, Dokumente, S. 96. 167 Ebd., S. 95. 168 Neugebauer, Aktion T4, S. 22. 169 Dr. Linden, der selbst an der Planung der Euthanasie beteiligt war, forderte eine Ausnahme: er versuchte anscheinend zu erwirken, dass eine Verwandte von ihm, die an Epilepsie litt, nicht auf jenen Meldebogen erfasst wurde. Klee, Dokumente, S. 93.

43 Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender die Meldebogen jedoch nicht, sondern diente lediglich als Briefkasten, bis ein Kurier die ungeöffnete Post ins Columbushaus am Potsdamer Platz brachte (Der Umzug der Zentraldienststelle in eine Gründervilla in der Berliner Tiergartenstraße 4, die zuvor arisiert worden war170, und die damit einhergehende Tarnbenennung „T 4“ erfolgte erst im April 1940171). Dort wurden sie von der medizinischen Abteilung der Zentraldienststelle bearbeitet. Drei Gutachter erhielten jeweils Kopien der Meldebogen, um schlicht anhand dieser Papiere über Leben und Tod der Betroffenen zu entscheiden. Ein simples „+“ war dabei gleichbedeutend mit einem „Ja“ zur Ermordung, während ein „-„ dafür stand, dass die Begutachtung negativ für die Euthanasie-Befürworter ausgegangen war, der/die Betroffene also vorerst am Leben bleiben durfte. Zu Beginn der Tötungsaktion waren sechs bis sieben Arzte als Gutachter bestellt, später wuchs diese Zahl stark an.172 „Insgesamt wurden zur ‚Begutachtung‘ der weit mehr als 100.000 Anstaltspatienten über 40 ‚Gutachter‘ eingesetzt, die in weniger als zwei Jahren rund 70.000 Menschen zur Tötung aussortierten“173, fasst Neugebauer zusammen. Diese ungeheure Zahl wurde begünstigt durch ein Honorarsystem, das auf schnelle und oberflächliche Abwicklung abzielte: Für die ersten 500 bearbeiteten Fragebogen erhielten die Gutachter 100 Reichsmark, 200 RM wenn sie bis 2000 Fragebogen, 300 RM falls sie bis 3500 Fragebogen begutachteten und darüber hinaus erhielten sie 400 RM. Die Höchstentlohnung war keine Ausnahme.174 Schlussendlich wurden die bearbeiteten Meldebogen wieder zurückgesendet und ein letztes Mal einem „Obergutachter“ - Dr. Linden, der von Dr. Nitsche später ersetzt wurde, und Dr. Heyde – vorgelegt, der die finale Entscheidung traf. Aufgrund von „Verzögerungen und Verweigerungen in den Anstalten“175 ging man später dazu über, Arztekommissionen auszusenden, die die Pfleglinge, oft aber nur ihre Krankenakten, vor Ort „begutachteten“. All jene Meldebogen, die mit einem Plus versehen waren, wurden an die Gemeinnützige

170 Friedlich Karl Kaul, Die Psychiatrie im Strudel der „Euthanasie“. Ein Bericht über die erste industriemäßig durchgeführte Mordaktion des Naziregimes, Frankfurt 1979, S. 62, zit. n. Leimgruber, Reichsgau, S. 273. 171 Benzenhöfer, Tod, S. 110. 172 Leimgruber, Reichsgau, S. 301; Klee, Euthanasie, S. 123. 173 Neugebauer, Aktion T4, S. 24. 174 Klee, Euthanasie, S. 126 – 127. 175 Neugebauer, Aktion T4, S. 23.

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Krankentransport-GmbH (GEKRAT) – einen Zweig der Zentraldienststelle unter der Leitung Reinhold Vorbergs – weitergeleitet. Dort wurden die Verlegungslisten für die Euthanasie- Anstalten aufgesetzt. Ein Exemplar davon ging an die jeweilige Transportstaffel des GEKRAT, ein weiteres wurde an die Anstalten geschickt, damit sie die in Frage kommenden Pfleglinge für die Deportation bereit machen konnten. Die Busse des GEKRAT, deren Fenster verhangen oder bemalt wurden, damit man weder hinein noch hinaus schauen konnte, brachten die Pfleglinge direkt in die Vernichtungslager; in seltenen Fälle wurden Züge genutzt.176 Erst mit Herbst 1940 ging man dazu über, einen kurzen Zwischenaufenthalt in einer vorgelagerten, regulären HPA einzuschieben, um so die Tötungsaktion besser zu tarnen. Es war ausdrücklich untersagt, die Angehörigen im Vorfeld über die „Verlegungen“ zu informieren.177 Die Morde passierten in einer der folgenden sechs Tötungsanstalten: 1. Grafeneck in Württemberg war von Januar bis Dezember 1940 unter dem Decknamen „A“ in Betrieb. 2. Brandenburg an der Havel („B“) „desinfizierte“ von Februar bis September 1940, wobei bereits im Januar Probetötungen stattgefunden hatten. Deren perfides Ziel war es gewesen, herauszufinden, wie der Massenmord von Statten gehen sollte. Man178 hatte sich dann auf die Vergasung mittels Kohlenmonoxid geeinigt, die sie sich als effizienter als die Individualtötung durch Injektionen überdosierter pharmakologischer Mittel erwies.179 3. Hartheim bei Linz („C“) begann mit dem Morden im Mai 1940 und hörte erst Ende 1944 damit auf. 4. In Sonnenstein bei Pirna in Sachsen mit der Tarnbezeichnung „D“ wurden seit Juni 1940 bis ins Frühjahr 1943 Tötungen durchgeführt. 5. Bernburg an der Saale („Be“) wurde im Dezember 1940 „zum Ausgleich“ für die aufgegebene Tötungsanstalt Brandenburg eröffnet.

176 Leimgruber, Reichsgau, S. 303. 177 Ebd. 178 Anwesend waren Bouhler, Brack, Brandt, Staatssekretär des Reichsministerium des Inneren Dr. Conti, Dr. Hefelmanns Vertreter von Hegener, Heyde, Linden und Nitsche sowie die Vergasungsärzte Baumhard, Eberl, Schumann. Außerdem Kriminalkommissar Wirth. Klee, Euthanasie, S. 119 – 120. 179 Klee, Euthanasie, S. 119 – 120.

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6. Hadamar bei Limburg „übernahm“ für Grafeneck im Januar 1941 unter dem Decknamen „E“.180 Jeder der Anstalten stand ein ärztlicher Leiter vor.181 Die „Aufnahme“ der Betroffenen erfolgte in allen Anstalten nach dem gleichen, schauerhaften Prinzip: Zuerst mussten sich die Pfleglinge ausziehen, dann wurden sie in einem „Aufnahmeraum“ einem Arzt vorgestellt. Dieser untersuchte die PatientInnen allerdings nicht, sondern prüfte, welche Todesursache für das jeweilige Opfer zutreffend sein könnte. Die „Vorgeführten“ wurden außerdem mit der laufenden Aktennummer bestempelt – diejenigen, die Zahngold hatten, bekamen zusätzlich ein Kreuz auf den Rücken gemalt. Nachdem ein Foto von ihnen gemacht wurde, wurden sie schlussendlich in einer als Duschraum getarnten Gaskammer durch Kohlenmonoxid, welches Arzte per Ventil in den Raum einströmen ließen, vergiftet. Ihre leblosen Körper wurden dann in einem Krematorium verbrannt.182

Verschleierung des Massenmordes

Ein wesentlicher Bestandteil der NS-Euthanasie war die Verschleierung der Tötungsaktionen und die damit einhergehende Täuschung der Betroffenen, seien es die zum Tode „Verurteilten“ selbst, ihre Angehörigen, oder das Pflegepersonal und die Angestellten der Anstalten.183 Hier gilt es, darauf hinzuweisen, dass die Ermordung der behinderten Menschen auch damals unter geltendem NS-Recht eben das – Mord – und somit strafbar war, denn Hitlers auf seinem privaten Briefpapier verfasste „Ermächtigung“ kann mit einem entsprechenden Gesetz keinesfalls gleichgesetzt werden.184 Die Tarnung begann schon bei der bürokratischen Organisation der Euthanasie, die in diversen Büros, Amtern und Abteilungen, unter verschiedenen Decknamen und mehreren Adressen stattfand.185 In den jeweiligen Anstalten, deren Pfleglinge zur Tötung vorgesehen waren, sprach der offizielle Duktus immer schlicht von „Verlegungen“ - über den tatsächlichen Tatbestand wurde Stillschweigen behalten. Dies galt selbstverständlich auch den Angehörigen

180 Benzenhöfer, Tod, S. 112; Leimgruber, Reichsgau, S. 306 – 307. 181 Neugebauer, Aktion T4, S. 21. 182 Leimgruber, Reichsgau, S. 307 – 308; Klee, Euthanasie, S. 142 – 146. 183 Leimgruber, Reichsgau, S. 303. 184 Neugebauer, Aktion T4, S. 26 – 27.

46 Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender gegenüber, welche verfälschte Sterbeurkunden (unterzeichnet mit falschen Namen der Arzte) und makabere „Trostbriefe“ erhielten. Zu diesem Zweck wurde in jeder der sechs Tötungsanstalten eigens ein Sonderstandesamt eingerichtet, das mit einem ausgeklügelten System dafür sorgte, dass nicht zu viele Dokumente mit dem gleicher Todesart, gleichem Todestag oder -ort in eine Region verschickt wurden. Dafür wurden die Briefe teils über andere „Amter“ verschickt, wie Usus war bei den Totenscheinen jüdischer Euthanasieopfer: Das „Standesamt Cholm, Post Lublin“ stellte diese Dokumente scheinbar aus, die tatsächlich in der Tiergartenstraße angefertigt und per Kurier in Lublin mit der Post aufgegeben wurden. Besonders makaber ist, dass man aus der Ermordung der behinderten JüdInnen Profit schlug indem man Monate nach der Tötung noch Pflegegebühren verrechnete und sogar Einäscherungskosten veranschlagte. Dabei sollen laut Angaben Friedlich Lorents, der ab 1942 Hauptwirtschaftsleiter der T4 war, 14 Millionen Reichsmark erbeutet worden sein. Die Habseligkeiten der ermordeten JüdInnen wurden aufgrund von „Seuchengefahr“ ebenso wenig an die Hinterbliebenen ausgehändigt wie bei „Nicht-JüdInnen“, teilweise wurden sie als Belohnung den T4-MitarbeiterInnen gegeben.186 Von letzteren gab es 300 bis 400.187 Man weiß heute, dass die „Mitarbeiter – deren weltanschauliche Zuverlässigkeit zuvor überprüft worden ist - […] bei Dienstantritt über ihre Tätigkeit informiert [wurden]“188, und „aus ehrbaren Berufen und meist aus ehrbaren Elternhäusern“189 kamen. Es scheint fast unmöglich, nicht an Hannah Arendt und ihre Theorie über die „Banalität des Bösen“ zu denken, wenn man sich diese Zahlen und Charakterisierungen vor Augen hält.190

185 Um sich eine Übersicht über den Aufbau zu verschaffen empfiehlt es sich, das Organisationsschema der NS-Euthanasie von Ernst Klee zu studieren in Ernst Klee, „Euthanasie“ im NS-Staat, Frankfurt a. M. 1997, S. 168 – 169. 186 Neugebauer, Aktion T4, S. 25 – 26. 187 Götz Aly, Aktion T4 1939-1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4, Berlin 1987, S. 139. 188 Klee, Dokumente, S. 93. 189 Ebd., S. 94.

47 Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender

Widerstand

Obwohl Euthanasietötungen, wie oben erwähnt, als „geheime Reichssache“ im Verborgenen geschehen sollten, machten sich in der Bevölkerung relativ schnell Skepsis und Gerüchte über die Tötungsanstalten breit. In Hartheim, beispielsweise, wo sich die größte Vergasungsanstalt befand, die von allen sechs Euthanasie-Anstalten am längsten betrieben wurde191, wurden Verbindungen bezogen zwischen den kontinuierlich ankommenden GEKRAT-Bussen, die zwar bei der Hinfahrt immer besetzt waren, aber nie jemanden weg vom Schloss, das keinesfalls überfüllt war, brachten und dem nach „verbranntem Fleisch, Knochen und Haaren“192 stinkenden Rauch, der von der Anstalt aufstieg. Zusätzlich wurden die Gerüchte befeuert von den identischen oder zumindest sehr ähnlichen kurzen Mitteilungen über den Tod des jeweiligen Pfleglings, welche Angehörigen zugeschickt wurden. Das veranlasste Christian Wirth, den Leiter der Büroabteilung193, dazu, eine Versammlung einzuberufen, in der er die ungeheueren Vorkommnisse im Schloss zu erklären suchte und jeder/m, die/der „Unwahrheiten“ verbreitete, mit der Todesstrafe drohte.194

190 Hannah Arendts kontroverses Buch Eichmann in Jerusalem. A Report on the Banality of Evil erschien erstmals 1963 und zeichnet das Bild des „normalen“ Massenmörders Eichmann, der weder in besonderem Maß hasserfüllt, noch psychiatrisch unzurechnungsfähig war. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 20139. 191 Tom Matzek, Das Mordschloss. Auf den Spuren von NS-Verbrechen in Schloss Hartheim, Wien 2003, S. 14. 192 Dokumentationsstelle Hartheim, Dokument 217 (Kopie von DÖW E 22. 557) Brief Karl Schuhmann, zit. n. Irene Leitner, NS-Euthanasie: Wissen und Widerstand. Wahrnehmungen in der Bevölkerung und der Widerstand einzelner, in: Tötungsanstalt Hartheim (Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 3), hrsg. v. Brigitte Kepplinger / Gerhart Marckhgott / Hartmut Reese, Linz 20132, S. 217 – 260, S. 218. 193 Vormals war Wirth Leiter der Büroabteilungen in den Tötungsanstalten Brandenburg und Grafeneck, bevor er ab 1940 diese Stelle in Hartheim inne hatte. Er sollte als erster Kommandant des Vernichtungslagers Belzec sowie Inspekteur der Vernichtungslager der „Aktion Reinhart“ eine beispielhafte Täter-Karriere machen, bevor er 1944 von Partisanen erschossen wurde. Klee, Euthanasie, S. 603. 194 Leitner, Widerstand, S. 220 – 221.

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Dennoch verstummten die Gerüchte nicht, sondern es regte sich Widerstand.195 Immer wieder kam es zu Anfragen von Angehörigen, welche fassungslos waren über die „Verlegung“ ihrer Familienmitglieder in „unbekannte Anstalten“ oder die angegebenen Todesursachen – beispielsweise das Sterben aufgrund einer Blinddarmentzündung, obwohl dem Opfer schon vor Jahren der Appendix entnommen worden war.196 In ihrer Verzweiflung klagten die Betroffenen die Euthanasie-Verantwortlichen teils sehr direkt an. Darauf reagierten die Täter ihrerseits entweder gar nicht oder entrüstet über diese „Verleumdungen“ und drohten sogar mit der Gestapo.197 In einigen von den Anstalten, deren InsassInnen für die Euthanasie in Betracht gezogen wurden, regte sich Widerstand, indem man sich weigerte, an der Erstellung der Deportationslisten mitzuwirken, wie das beispielsweise der Anstaltsarzt in Gallneukirchen tat. Am Endergebnis änderte diese Verweigerung allerdings nichts, da die Nationalsozialisten – wie bereits erwähnt – dazu übergingen, Arztekommissionen einzusetzen, welche die Verlegungslisten anfertigten, auf denen die Namen der späteren Euthanasie—Opfer standen.198 Kritik an der Euthanasie wurde außerdem von WiderständlerInnen betrieben, die generell in Opposition zum NS-Regime standen, also ihren Einwand gegen die Ermordung Kranker in ihren breiteren Widerstand einbetteten. Das einzige Flugblatt gegen Euthanasie, „Nazikultur“, wurde so im Herbst 1940 von der kommunistischen Widerstandsgruppe um Herbert Eichholzer,

195 Es sei vermerkt, dass für diese Arbeit den Begriff des „Widerstandes“ recht breit angesetzt ist und sich an die strafrechtliche Verfolgung der damaligen Zeit anlehnt. Leitner schreibt: „Die nationalsozialistische Gesetzgebung versuchte sämtliche Aktionen, die sich dem totalitären Anspruch des Regimes zu entziehen drohten, zu verfolgen. Zahlreiche Vergehen fielen in den Tatbestand der ‚Heimtücke‘.“ Leitner, Widerstand, S. 221. Des weiteren muss darauf hingewiesen werden, dass es sich bei der folgenden Auseinandersetzung mit Widerstand gegen die NS-Euthanasie nur um einen Abriss handelt, der keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. 196 Dies ist nicht der einzige „Fauxpas“ - selbstverständlich aus der Sicht des NS-Mordapparates – den sich die T4 leistete. Es wurde beispielsweise auch Angehörigen auch eine Urne geschickt, obwohl ihr Pflegling nicht deportiert worden, sondern zuhause war. Leimgruber, Reichsgau, S. 384. 197 Klee, Euthanasie, S. 172 – 176. 198 Peter Nausner, Euthanasie – die Vernichtung lebensunwerten Lebens, in: NS-Wissenschaft als Vernichtungsinstrument. Rassenhygiene, Zwangssterilisation, Menschenversuche und NS- Euthanasie in der Steiermark, hrsg. v. Wolfgang Freidl / Werner Sauer, Wien 2004, S. 15 – 57.

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Karls Drews und Josef Neuhold herausgebracht.199 Auch Leopold Hilgartz und Ignaz Schuhmann, welcher in unmittelbarer Nähe zur Tötungsanstalt Hartheim wohnte, thematisierten „‚Menschenverbrennungsöfen‘ in Mauthausen und Hartheim“ in ihren Widerstandsaktionen bevor sie – wie zwei Jahre zuvor Eichholzer – 1945 vom Landesgericht Wien hingerichtet wurden.200 Wie bereits erwähnt, war Hitlers „Euthanasie-Ermächtigung“ kein Gesetz und nicht rechtsgültig. Die Vernichtungsaktion an behinderten Personen ist so nicht nur zeitlos moralisch zu verurteilen, sondern war dies eben auch strafrechtlich während sie von Statten ging. Deshalb kam es zu Lothar Kreyssigs Strafanzeige gegen Philipp Bouhler. Kreyssig war Vormundschaftsrichter am Amtsgericht Brandenburg, erhob Protest wegen der vielen Verlegungen und Todesfälle und verbot die Verlegung von PatientInnen unter seiner Vormundschaft. Anstelle eines Prozesses kam es allerdings zu Kreyssigs erzwungenem Ruhestand 1942. Auch der Linzer Oberstaatsanwalt Ferdinand Eypeltauer musste das Verfahren, das er 1940 gegen die Tötungsanstalt Hartheim einleitete, ein Jahr später einstellen.201 Außerdem regte sich Widerstand aus den Reihen der Geistlichkeit, die sich auf christliche Nächstenliebe berief und zum Teil diplomatisch die Ermordung von Geisteskranken zu unterbinden suchte. So wurde am 1. August 1940 im ersten offiziellen Protest katholischer Kirchenführer (des Freiburger Erzbischofs Conrad Gröber als Protektor der Caritas und des Rottenburger Generalvikars Max Kottmann) bei der Reichsregierung (dem Chef der Reichskanzler, Hans Lammers) erklärt, dass man bereit sei, die „Unkosten“ zu übernehmen, „die dem Staat durch die Pflege der zum Tod bestimmten Geisteskranken erwachsen“202. Die Nationalsozialisten gingen auf diesen „Kompromissvorschlag“ nicht ein, auch nicht bei Anna Bertha Königsegg, der Provinzoberin der Barmherzigen Schwestern in Salzburg, die vorschlug,

199 Wolfgang Neugebauer, Herbert Eichholzer. Architekt, Widerstandskämpfer. Vortrag anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Herbert Eichholzer 1903-1943. Architektur und Widerstand“, Wien 11.11.1998, [http://www.doew.at/cms/download/30c06/wn_eichholzer.pdf], eingesehen am 22.01.2019; Leitner, Widerstand, S. 235 – 241. 200 Leitner, Widerstand, S. 251. 201 Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Juristen, o. D., [https://www.t4-denkmal.de/Juristen], eingesehen am 22.01.2019; Klee, Euthanasie, S. 197. 202 Klee, Dokumente, S. 168.

50 Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender auf die Kopfquote des Gaufürsorgeverbandes, also die staatliche Finanzierungsbeitrag für die Versorgung der Pflegling, zu verzichten. Konsequent verbot sie es den Schwestern, in irgendeiner Form an den Tötungsaktionen mitzuwirken und bemühte sich mehrmals darum, dass keine Pfleglinge aus ihrer Obhut der Euthanasie zum Opfer fielen. Nichtsdestotrotz wurden aus der Versorgungsanstalt Schernberg 168 Pfleglinge abtransportiert und getötet, während Anna Bertha Königsegg in Haft war.203 Königsegg Einstellung wurde von den „Bischöfen Großdeutschlands“ geteilt204 - so vehement, wie der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, war allerdings nur er. In Predigten im Sommer 1941 verurteilte er die Euthanasiemorde aufs schärfste und „rückte Handlungs- und Verhaltensweisen ins Licht, die nur im Halbdunkeln erträglich bleiben konnten“205. So kam es dann auch, dass Kopien seiner Predigten im ganzen Deutschen Reich verbreitet wurden und in der Gesellschaft für derart großen Aufruhr sorgten, dass 21 Tage nach der letzten „Euthanasie-Predigt“ am 24. August 1941 Hitler den Stopp der Euthanasieaktion mündlich anordnete.206 Grund hierfür war maßgeblich, dass die Naziführer in Zeiten des schwierigen Kriegs gegen die Sowjetunion innenpolitische Beruhigung für erstrebenswerter hielten.207 Dieser „Euthanasiestopp“ kam allerdings nicht einem tatsächlichen Ende der Ermordungen gleich, er war nicht einmal ein „Vergasungsstopp“208, wie Klee es ausdrückt und wurde auch vom leitenden Personal, das von einer Wiederaufnahme der T4-Aktion ausging, nur als Unterbrechung verstanden.209 Tatsächlich wurde die Euthanasie dezentral weitergeführt, Häftlinge aus Konzentrationslagern in den Gaskammern der Tötungsanstalten durch die

203 Nach ihrem Gauverweis kämpfte sie vom Gut Königsegg aus gegen die systematische Enteignung von kirchlichem Eigentum und leitete nach Kriegsende das Rückstellungsverfahren ein. Leitner, Widerstand, S. 223 – 234. 204 Klee, Euthanasie, S. 197 – 198. 205 Aly, Belasteten, S. 175. Dass Galen nicht wie viele andere Widerstandskämpfer hingerichtet wurde, lag an dessen Beliebtheit. 206 Aly, Belasteten, S. 179. 207 Ebd., S. 179 – 182. Außerdem, waren, wie ursprünglich geplant, etwa 70 000 Betten „freigemacht“ worden, was vermuten lassen könnte, dass das Auslaufen der Aktion nach Plan geschah. Neugebauer, Aktion T4, S. 30 – 31. 208 Klee, Euthanasie, S. 260.

51 Euthanasie – Die systematische Ermordung Tausender

„Sonderbehandlung 14f13“210 ermordet und „Tötungsmethoden und -system, insbesondere die Anwendung von Giftgas, die Errichtung stationärer Gaskammern und die Deportationstransporte in einige wenige Vernichtungsstätten“211 in veränderter Form bei der Shoa wiederaufgenommen. Ehemaliges T4-Personal, wie Dr. Irmfried Eberl und Franz Stangl, nutzten ihr erworbenes Wissen um effizienten Massenmord nun bei der systematischen Ermordung von JüdInnen und Roma und Sinti im Generalgouvernement (Deckname „Aktion Reinhard“).212

„T4-Aktion“ in der Ostmark

Die oben skizzierte T4-Aktion ging nicht im ganzen Deutschen Reich gleichzeitig und gleichmäßig von Statten, sondern war stattdessen „von hoher Improvisation, Flexibilität und Anpassungsbereitschaft an die realen Gegebenheiten charakterisiert“213. In der Ostmark begann die Aktion T4 im Mai 1940, als InsassInnen der Außenstelle Gschwendt der HPA Niedernhart in Linz in Hartheim getötet wurden. Es ist wahrscheinlich, dass der Leiter Niedernharts, der Linzer Psychiater Rudolf Lonauer, der seit April 1940 auch die Leitung Hartheims innehatte und ab 9. Mai 1940 T4-Gutachter war, wesentlich an dieser ersten Ermordung beteiligt war.214 Damit begann ergo seine „Karriere“ als einer der Haupttäter der Euthanasie.

Generell zeigt Brigitte Kepplinger auf, dass zuerst die großen staatlichen Heil- und

209 Brigitte Kepplinger, NS-Euthanasie in Österreich: Die „Aktion T4“ - Struktur und Ablauf, in: Tötungsanstalt Hartheim (Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 3), hrsg. v. Brigitte Kepplinger / Gerhart Marckhgott / Hartmut Reese, Linz 20132, S. 35 – 62, S. 53. 210 „Sonderbehandlung“ war der übliche Deckname für Exekution bei der Gestapo, „14f13“ das Aktenzeichen für die Ermordung von kranken, invaliden oder aus anderen Gründen selektierten KZ- Häftlingen in den T4-Tötungsanstalten. Florian Schwanninger, „Wenn du nicht arbeiten kannst, schicken wir dich zum Vergasen“. Die „Sonderbehandlung 14f13“ im Schloss Hartheim 1941-1944, in: Tötungsanstalt Hartheim (Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 3), hrsg. v. Brigitte Kepplinger / Gerhart Marckhgott / Hartmut Reese, Linz 20132, S. 155 – 208, S. 155. 211 Neugebauer, Aktion T4, S. 31. 212 Ebd. 213 Kepplinger, Euthanasie in Österreich, S. 41. 214 Ebd., S. 42;1945 nahm sich Lonauer mit seiner Frau das Leben, nachdem sie ihre beiden Kinder vergiftet hatten. Klee, Personenlexikon, S. 379.

52 „T4-Aktion“ in der Ostmark

Pflegeanstalten, von denen jedes Bundesland mindestens eine besaß, im Fokus der Zentraldienststelle standen. Es ist festzustellen, dass dabei die westlichen Regionen – Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Klagenfurt – deutlich unter 1000 Betten hatten, während die großen Anstalten in den östlichen Gebieten mit weit mehr als 1000 PatientInnen belegt waren. Ganz im nationalsozialistischen Sinne der Effizienz, wandte sich die Zentraldienststelle demnach zuerst dem Osten der Ostmark zu. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass man sich nicht immer auf die Anstaltsleitung verlassen konnte, die ursprünglich mit dem Ausfüllen der Meldebogen beauftragt wurde, versandte man Gutachterkommissionen, die diese Aufgabe ab Juni 1940 im heutigen Österreich ausführten. Nur in der HPA für Geistes- und Gemütskranke in Salzburg wurde keine Kommission eingesetzt, sondern „regulär“ von den Anstaltsärzten die Meldebogen ausgefüllt.215 Ebensowenig kann für die HPA Am Feldhof in Graz der Besuch einer Gutachterkommission belegt werden.216 Deportiert wurden alle Opfer in die Tötungsanstalt Hartheim.

Mit der Erfassung der kleineren konfessionellen und privaten Anstalten begann man bereits im Juni 1940. Ahnlich wie bei den großen staatlichen Anstalten geschah dies durch Gutachter – allerdings keine -kommission, sondern einzelne Akteure, wie Rudolf Lonauer, Georg Renno, Ernst Sorger und Oskar Begusch.217 Auch bei den nicht staatlichen Anstalten orientierte man sich an deren Belegzahl: Je größer ebendiese war, desto schneller wurde „begutachtet“. Aufgrund der Auslastung Hartheims mit den PatientInnen aus den großen staatlichen Anstalten vergingen bis zum Abtransport in der Regel zwischen sechs und zehn Monate, weshalb Renno oder Lonauer kurz vor der tatsächlichen Deportation nochmals in den jeweiligen Anstalten die Transportlisten überprüften. Finale und fatale Destination war auch für die Pfleglinge der kleineren Anstalten Schloss Hartheim (Abb.6).

215 Kepplinger, Euthanasie in Österreich, S. 48. 216 Ebd., S. 47. 217 Ernst Sorger war Psychiater am Feldhof in Graz, trat 1935 der NSDAP ein, wurde 1940 zum Landesobmann der Erbbiologischen Bestandsaufnahme und T4-Gutachter. Ein Jahr vor seinem Suizid im August 1945 wurde er Gaumedizinialdirektor. Klee, Personenlexikon, S. 588; Oskar Begusch war ebenfalls Psychiater und bereits seit 1924 Parteimitglied. 1939 wurde er zum Direktor der Anstalt Am Feldhof, ein Jahr später T4-Gutachter. Er starb 1944 an einem Blinddarmdurchbruch. Ebd., S. 36.

53 „T4-Aktion“ in der Ostmark

Kepplinger verweist auf die teils schwierige Quellenlage, da sowohl in Hartheim als auch in Niedernhart Aktenmaterial vernichtet wurde und hält fest, dass von den 18 269 Opfern der Tötungsanstalt Hartheim bei 2222 noch kein Name oder Herkunftsort eruiert werden konnte.218

218 Kepplinger, Euthanasie in Österreich, S. 56 – 57.

54 „T4-Aktion“ in der Ostmark

Abbildung 6: Einzugsgebiete der jeweiligen Tötungsanstalten (Quelle: Franz Schneider u.a.,55 erfasst, verfolgt, vernichtet, S. 65) „T4-Aktion“ in der Ostmark

Die T4-Aktion im Gau Tirol-Vorarlberg

In dem von den Nationalsozialisten zusammengelegten Gau Tirol-Vorarlberg wurden die Berliner Meldebogen einen Monat nach dem ersten österreichischen Abtransport von Menschen mit Behinderung in die oberösterreichische Tötungsanstalt im Juli 1940 ausgefüllt. Dabei ist ungeklärt, ob nebst dem St.-Josefs-Institut, den HPA Valduna und der Pflegeanstalt Oberlochau noch weitere Anstalten Meldebogen ausgefüllt haben.219 Wie typisch für die T4-Aktion wurde auch den Tiroler und Vorarlberger Anstalten nicht der wahre Grund für die „Verlegungen“ genannt, sondern vielmehr auf die „gegenwärtige Lage“ hingewiesen, in der man die Betten anderweitig nutzen müsste.220 Offiziell waren nur Franz Hofer und Hans Czermak über das tatsächliche Schicksal der verlegten PatientInnen informiert221, doch Czermak selbst gibt gegenüber der Bundespolizeidirektion Innsbruck an, dass er „mit Berechtigung, vorausgesetzt [hat], dass [man] über die Aktion im Bilde“ war.222

Eben jener Dr. Hans Czermak, der kommissarische Leiter der Landessanitätsdirektion Tirol, wurde nach Ausbildungskursen in Wien und Wiesbaden (die er absolvieren musste, da ihm das sogenannte Physikat, also die Berechtigung für Amtsärzte fehlte) zum Leiter des Gauamtes für Volksgesundheit, Gauobmann des NS-Arztebundes und Vorstand der Arztekammer. Als Regierungsdirektor hatte er die Abteilung III (Volkspflege und Volksgesundheit) unter sich, stand selbst der Abteilung IIIa (Gesundheitswesen) vor und erlangte so eine „beherrschende Stellung im Gesundheits- und Fürsorgewesen des Gaues“.223 Hierarchisch übergeordnet war ihm nur einerseits die NSDAP-Gauleitung in Person Franz Hofers224 und andererseits das Reichsministerium des Inneren, das für das Gesundheitswesen verantwortlich war.225 Brigitte

219 Seifert, Sterben, S. 367. 220 Ebd., 365. 221 Leimgruber, Reichsgau, S. 411. 222 Tiroler Landesarchiv (fortlaufend TLA abgekürzt), Landesgericht (fortlaufend LG abgekürzt) Innsbruck, Strafakt 10 Vr 4740/47 betreffend Strafsache gegen Dr. Czermak und Genossen, Vernehmung des Beschuldigten, 26.07.1948. 223 Egger, Ausgrenzen, S. 188. 224 Klee, Personenlexikon, S. 264. 225 Egger, Ausgrenzen, S. 190.

56 „T4-Aktion“ in der Ostmark

Kepplinger beschreibt den Sonderfall Czermak in Relation zu den anderen österreichischen Beamten folgendermaßen: „[W]ährend seine Kollegen zwar Mitwisser und durch ihr Verwaltungshandeln in einem gewissen Sinn auch Mittäter waren, sich aber darauf berufen konnten, nur Anweisungen erfolgt zu haben, entwickelte Czermak überdurchschnittliche Initiativen“226, und auch Horst Schreiber attestiert Czermak eine „[e]norme Anpassungsfähigkeit und ein ausgeprägtes Karrierebewusstsein“227. Ahnliches kann über Gauleiter Franz Hofer gesagt werden, zu dem Czermak laut Schreiber ein „enges Vertrauensverhältnis“ hatte. Die „Initiativen“ der beiden werden erkenntlich, führt man sich vor Augen, dass Viktor Brack, der Leiter des für die Euthanasie verantwortlichen Hauptamts II der Kanzlei des Führers, bereits in der Vorbereitungsphase der T4-Aktion mehrere Male nach Innsbruck kam und sich dort mit Hofer für Besprechungen traf. Zur selben Zeit, so Seifert, wurde Czermak und Dr. Josef Malfatti, Czermaks Vorgänger als Gauamtsleiter für Volksgesundheit bis November 1941, von der geplanten „Verlegung von Geisteskranken“ berichtet.228 Dieser „Verlegung“ konnte Czermak offensichtlich viel abgewinnen, war es doch auf sein Treiben hin, dass die Aktion T4 in Tirol und Vorarlberg mit dem Eintreffen einer 13-köpfigen Arztekommission ins Rollen kam und noch im Dezember 1940 mit einem Transport von Mils und einem von Hall vollzogen wurde.229

Nach diesen ersten Deportationen von 179 Pfleglingen aus der großen Anstalt Hall und 67 Menschen aus dem St.-Josefs-Institut in Mils vom 10. Dezember 1940 und den beiden Transporten von Valduna vom 10. Februar 1941 und 17. März 1941, denen 132 und 88 Menschen zum Opfer fielen, befanden sich ab 1941 die kleineren Versorgungshäuser, Armen- und Altenheime im Fadenkreuz der T4-Aktion und wurden daher systematisch von Czermak, Renno und Lonauer aufgesucht.230 Am 14. März wurden schließlich 20 Pfleglinge aus Nassereith und 19 aus Imst von Angestellten der HPA Hall abgeholt und dort ordnungsgemäß aufgenommen. Dieses Muster – eine Art Sammelstation in Hall zu errichten – kann generell

226 Kepplinger, Euthanasie in Österreich, S. 49. 227 Schreiber, Fanatiker. 228 Seifert, Sterben, S. 363 – 364. . 229 Czermak behauptete, die Heil- und Pflegeanstalten Hall und Valduna seien überbelegt obwohl ein Abgleich der Bettenzahl und der damaligen PatientInnenzahl dem widerspricht. Ebd., S. 365 – 379. 230 Ebd., S. 380 – 381.

57 „T4-Aktion“ in der Ostmark festgestellt werden.231 Auch aus der Vorarlberger HPA Valduna – die zunächst eine Bewahrungsstätte für TuberkulosepatientInnen hätte werden sollen, letztendlich aber als Reservelazarett für Kriegsgefangene verwendet wurde – können drei Transporte von PatientInnen nach Hall zwischen März und Mai 1941 nachgewiesen werden. Am 20. März kam es zu einer zweiten Deportation von 92 Pfleglingen von Hall nach Hartheim. Unter den Opfern : Alle kurz vorher aufgenommenen Pfleglinge aus Nassereith, 12 Frauen aus Imst und elf Männer aus Valduna.232

Nachdem Hall – wie bereits erwähnt – ein Sammelbecken für alle „Schwachsinnigen, Geisteskranken und Epileptiker“ werden sollte, musste Dr. Ernst Klebelsberg, der Leiter der HPA Hall, im Auftrag Rennos in den umliegenden kleineren Anstalten kontrollierten, ob wirklich keine etwaigen Pfleglinge, die Czermak für Hall vorsah, in den Häusern waren. Auch Czermak selbst absolvierte solche Kontrollbesuche.233 Resultat eines derartigen Besuchs in Ried war, dass von dort am 26. Mai 1941 23 Frauen – ursprünglich waren es 24, dem ebenfalls anwesenden Klebelsberg gelang es aber, eine Person aus Südtirol zu streichen – nach Hall verlegt und dort aufgenommen wurden. Am 23. Mai 1941 wurden 61 Kinder aus der Anstalt Mariathal gegen den Widerspruch der Schwestern deportiert. Schwester Alberta Berchtenbreiter erinnerte sich:

„Im Verbringen in die Autos [Busse] spielte sich mancher Kampf ab. Ein ganz braver Bub mit 6 Jahren wurde von der Tante abgeholt: Beim Ausgang wurde ihr der Kleine weggerissen und ins Auto verbracht. Ein 14-jähriger Bub verkroch sich im Dach, wo die Männer nicht hin konnten. Alle Kunst, ihn heraufzubringen, war vergeblich. Eine Schwester mußte den Versuch machen: Als er die Schwester sah, kam er von selbst herauf – um das Los der anderen zu teilen. Ein 16-jähriger Bub lag schwer krank im Bett. Ich bat den Kleinen dazulassen, er sterbe ja ohnehin gleich. Es war umsonst.“234 Am 29. Mai fand eine dritte Deportation aus Hall statt. Nach einer von Primar Klebelsberg verfassten Liste sind 29 Pfleglinge, darunter 21 aus Ried, 6 aus Hall und eine Frau und ein Mann aus dem St.-Josefs-Institut Mils somit auch Opfer der NS-Euthanasie geworden.235 Unbedingt

231 Seifert, Sterben, S. 384. 232 Ebd., S. 380 – 383. 233 Ebd., S.383 – 384. 234 Hinterhuber, Ermordet, S. 105 – 106. 235 Seifert, Sterben, S. 386.

58 „T4-Aktion“ in der Ostmark erwähnt werden sollte, dass sich Oberbürgermeister Egon Denz erfolgreich gegen Abtransporte von Innsbruck aussprach. „Seine telefonische Intervention bei Gauleiter Hofer war erfolgreich und zeigt, dass es offensichtlich möglich war, eine Abgabe gänzlich zu verweigern, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.“236

Diese gänzliche Verweigerung kann für die übrigen Orte nicht behauptet werden. Allerdings hatte sich Dr. Klebelsberg mit Unterstützung des Leiters der psychiatrischen Klinik in Innsbruck, Dr. Helmut Scharfetter, bereits vor der ersten Deportation eine Art „Generalvollmacht“ für die Streichung von PatientInnen von den Transportlisten bei Czermak geholt.237 Klebelsberg beschrieb seine Kriterien für eine etwaige Streichung bei der Hauptverhandlung so: „Bei der Aussiebung der Listen war für mich die Arbeitskraft das Leitmotiv. Der Geisteszustand war natürlich für mich auch massgebend. Diejenigen, die nicht gestrichen worden sind waren erledigt.“238 Nicht nur in der HPA Hall konnten PatientInnen unter Berufung auf ihren „Nutzen“ für die Anstalten zurückbehalten werden. Die Oberin in Nassereith, beispielsweise, konnte etwa zehn Pfleglinge vor dem Abtransport bewahren, in dem sie angab, sie als Arbeitskräfte zu benötigen.239 Dass diese Streichungen zweifelsohne dazu führten, dass weniger Menschen als ursprünglich auf den Listen standen deportiert wurden, ist unumstritten240, doch gleichzeitig, so Schreiber, „trugen [die Streichungen] zur Legitimation der Morde bei und wirkten nicht nur positiv auf die Moral und das Selbstverständnis der Täter, sie erhöhten auch die Effizienz des bürokratischen Mordprozesses, indem sie den Widerstand der AnstaltsleiterInnen schwächten und deren Mitwirkung in dem Maße sicherstellten, wie es der Tötungsaktion förderlich war.“241 Letzteres ist vor allem für Dr. Klebelsberg zutreffend, dessen Eingebunden-Sein beim zweiten Haller Transport schon so groß war, dass man bereits bei der Erstellung der Transportlisten Klebelbergs halbjährliche Meldungen berücksichtigt hatte und so

236 Seifert, Sterben, S. 386. 237 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Einvernahme Dr. Scharfetter, 22.05.1945. 238 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenaussage Dr. Klebelsberg bei der Hauptverhandlung gegen Dr. Czermak, 30.11.1949. 239 Seifert, Sterben, S. 380. 240 Diese Aussage kann natürlich nur unter der Prämisse geäußert werden, dass der Euthanasie-Aktion eben nicht mit genereller Verweigerung begegnet wurde. Also vereinfacht: X-Y < X. 241 Schreiber, Fanatiker.

59 „T4-Aktion“ in der Ostmark quasi nur jene Personen aufgelistet wurden, gegen deren Abtransport Klebelsberg keinen Einwand vorbrachte.242 Der Polizei erklärte der Leiter der HPA Hall, dass er ein Gegner der Euthanasie sei, aber im seiner Funktion verblieben sei, damit diese nicht von einem Regime- treueren Arzt übernommen worden wäre und so gar keine Streichungen vorgenommen worden wären. Es zeigt sich also das Dilemma einer Person, die sich über das unsägliche Unrecht im Klaren war, es aber für gewisse PatientInnen in Kauf nahm, um andere davor zu bewahren. Strafrechtlich trug weder Klebelsberg noch die jeweilige Leitung der Versorgungshäuser Mitschuld an den Euthanasieverbrechen.243

Nachdem innerhalb weniger Monate hunderte Pfleglinge von Tirol und Vorarlberg weggebracht worden waren, regte sich dort große Skepsis in der Bevölkerung. Sowohl Scharfetter als auch Klebelsberg berichten von aufgebrachten Angehörigen.244 Die Menschen im Gau hatten also die selben Befürchtungen, die sich in der Gesellschaft – wie bereits im Kapitel „Widerstand“ erläutert – generell breit machten und die mitunter dazu führten, dass Hitler am 24. August 1941 das Aus der Euthanasie-Aktion befahl. Dass das Sterben damit jedoch kein Ende nahm, sondern vielmehr anderweitig „organisiert“ wurde, trifft leider auch für 60 Pfleglinge aus Hall (33 davon waren von Valduna nach Hall überstellt worden) zu, die am 31. August 1942 auf Betreiben Czermaks und Dr. Lonauers nach Niedernhart deportiert wurden. Dort hatte Lonauer

242 Seifert, Sterben, S. 407. 243 Ebd., S. 406 – 407. 244 TLA, Reichsstatthalterei in Tirol und Vorarlberg (fortlaufend RStH abgekürzt), Abt. IIIa1 (medizinische Angelegenheiten), Zl. M-XI 1941 (Verlegung von Patienten in andere Anstalten), Dr. Scharfetter an Dr. Czermak, 31.01.1942; Ebd., Dr. Klebelsberg an Dr. Czermak, 26.01.1942. Zwei Fälle sind bekannt, bei denen sich Czermak persönlich auf Ansuchen von Angehörigen, die über soziales Kapital verfügten, „vorschaltete“, um so eine Deportation abzuwenden. TLA, Bundespolizeidirektion (fortlaufend BPDion abgekürzt) Innsbruck, Polizeiliche Erhebungen über die Tötung von Geisteskranken 1946 inklusive Verzeichnis der Euthanasieopfer, Schriftverkehr zwischen Reichsstatthalter Tirol und Vorarlberg, Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten, Berlin, Landesanstalt Hartheim und Ärzten, 6/7, Dr. Czermak an den Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Hall, 23.02.1942; Ebd., Dr. Czermak an die Heil- und Pflegeanstalt Hal 30.3.1943. Dass ein Elternteil seiner ersten Frau „an Euthanasie gestorben“ war, verhinderte Czermak allerdings nicht. Schreiber, Fanatiker.

60 „T4-Aktion“ in der Ostmark eine eigene Station eingerichtet, in der er hunderte Personen durch Injektionen tötete.245 Aktuellsten Forschungen zufolge kann für die HPA keine direkte Tötung etwa durch „Todesspritzen“ nachgewiesen werden.246 Allerdings ist ein enormer Anstieg der Sterblichkeit in den Jahren 1944 auf 13 Prozent und im Folgejahr sogar auf 21 Prozent zu verzeichnen (die Vorkriegssterblichkeit lag bei durchschnittlich 4 Prozent247), was vor allem der schlechten Ernährungssituation der PatientInnen, aber auch einem Heizmaterialmangel, Raumnot, der damaligen Pflegesituation und medizinisch-psychiatrischen Versorgung geschuldet war. Es wurde also nicht aktiv getötet, aber ausgegrenzt und benachteiligt, was indirekt den Tod vieler PatientInnen mit sich brachte.248

245 Sarah Kleinmann, Nationalsozialistische Täterinnen und Täter in Ausstellungen. Eine Analyse in Deutschland und Österreich (Ludwig-Uhland-Institut für empirische Kulturwissenschaft Untersuchungen, Band 120), Tübingen 2017, S. 120. 246 Czermak und Lonauer hatten die Installation einer Euthanasieanstalt in Hall, in der entweder Lonauer selbst oder sein Stellvertreter Dr. Georg Renno Patienten direkt töten sollten. Die Pläne zerschlugen sich allerdings vor allem aufgrund Klebelsbergs Einwand und weil die Oberösterreicher Ärzte die Tötungen in Hall terminlich nicht einrichten konnten. Seifert, Hall, S. 57 – 61. 247 Ebd., S. 338. 248 1940 verordneten NS-Behörden die Benachteiligung psychiatrischer gegenüber somatischer PatientInnen bei der Zuteilung der Krankenkost. Es sollte nach Kriegsende noch über ein Jahr dauern, bis diese Verordnung aufgehoben wurde. Ebd., S. 342.

61 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Die geografische Nähe des St.-Josefs-Institutes zur HPA Hall sowie seine große Anzahl an Pfleglingen im Vergleich zu anderen Versorgungshäusern249 scheinen ausschlaggebend dafür gewesen zu sein, dass zu Beginn der Tötungsaktion in Tirol am 10. Dezember 1940 nicht nur Haller PatientInnen, sondern auch 67 Menschen aus Mils deportiert wurden.250 Basis dafür stellten die Meldebogen 1 und 2 dar. Erstere, also jene Dokumente, die für jeden Pflegling auszufüllen waren, wurden mit Unterstützung des Sprengelarztes „bereits im Frühsommer“251 ausgefüllt und höchstwahrscheinlich gemeinsam mit dem Meldebogen 2 betreffend Informationen zur Anstalt selbst an das Ministerium des Inneren nach Berlin gesendet.252 Damit kam das Institut der Aufforderung Dr. Lindens nach, die nach dem Stichtag vom 1. Juli 1940 ausgefüllten Meldebogen bis spätestens 1. August 1940 zurückzusenden.253 Von dieser Forderung in Kenntnis gesetzt veranlasste Czermak, dass jeden Monat der „Belag und die freien Plätze mit

249 1938 befanden sich 230, ein Jahr später 243 und 1940 210 Pflegebefohlene im Institut. Im Folgejahr stieg die Zahl auf 216 bevor sie 1942 auf 200 zurückging um dann 1943 wieder auf 221 anzusteigen. In den letzten beiden Kriegsjahren waren 219, dann 202 Pfleglinge im St.-Josefs-Institut. Zimmermann, II. Teil. 250 Dass die Milser Anstalt eng mit der Haller verwoben war zeigt auch die Rechnung Hartheims über den „Transport von 247 [von Hall selbst sind beim ersten Transport 179 Menschen deportiert worden] Kranken am 10.12.1940, von Hall nach Linz“, die offensichtlich die Milser Opfer den Hallern zurechnete. TLA, Gauselbstverwaltung, Gaukämmerei 257/41, Krankentransportkosten Hall- Innsbruck-Linz, Der Beauftragte der Reichsarbeitsgemeinschaft f. Heil-u. Pflegeanstalten an Oberregierungsrat Dr. Czermack [sic!], 16.01.1941. 251 TLA, BPDion Innsbruck, 6/7, Dr. Klebelsberg an Dr. Czermak, 13.11.1940. 252 TLA, RStH, Abteilung IIIa1, Zl. M-XI 1941, Meldebogen 2, 04.07.1940. 253 TLA, RStH, Abteilung IIIa1, Zl. M-I-753, Der Reichsminister des Inneren an den Reichsstatthalter, 07.06.1940. Czermak muss von dieser Tatsache unbehelligt gewesen sein; Zumindest sendete er Anfang November 1940 250 Meldebogen mit der Bitte, damit die „Insassen des St. Josefs-Institutes in Mils […] zu erfassen“ und sie anschließend an ihn zurückzuschicken an Dr. Klebelsberg. TLA, BPDion Innsbruck, 6/7, Der Reichsstatthalter in Tirol und Vorarlberg IIIa1 an Dr. Klebelsberg, 05.11.1940.

62 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Stand vom letzten des Monates getrennt nach Kinder, Frauen und Männer bekannt zu geben“254 war, woran sich auch die Oberin des Milser Instituts, Generosa Gleirscher, erinnerte.255 Damit übertraf er die Forderung Berlins nach halbjährlichen Meldungen, welche Dr. Ernst Klebelsberg für das St.-Josefs-Institut abfertigte, deutlich.256 Nachdem Hofer in seiner Funktion als Reichsverteidigungskommissar im Wehrkreis VXIII am 22. Juni 1940 streng vertraulich Czermak und andere Reichsstatthalter über eine anstehende „Verlegung einer größeren Anzahl von in Heil- und Pflegeanstalten, Pflegeheimen usw. untergebrachten Kranken [….], um für andere Zwecke Betten jederzeit verfügbar zu haben“257 informiert hatte, verfasste Czermak einen Erlass. Darin stehen genaue Vorgaben, wie die Abholung, die in seinem Auftrag erfolgte, von Statten gehen sollte: „Der Transport ist von der Abgabeanstalt vorzubereiten; unruhige Kranke sind mit den entsprechenden Mitteln für einen mehrstündigen Transport vorzubehandeln. Die Kranken sind, soweit möglich, in eigener Wäsche und Kleidung zu übergeben. Das gesamte Privateigentum ist in ordentlicher Verpackung mitzugeben. […] Die Kranken-Personalakten und Krankengeschichten sind dem Transportleiter auszuhändigen.“258 So erfolgte auch die Deportation von Mils.259 Zuvor, am 5. Dezember 1940, trafen im St.-Josefs-Institut per Eilpost zwei Transportlisten mit insgesamt 122 zu verlegenden Pfleglingen ein. Schwester Erharda Franziska

254 TLA, RStH, Abt. IIIa1, ZI. M-XI 1940, Czermak an Landräte, Oberbürgermeister, Anstalten, Krankenhäuser, Gesundheitsämter, Landesjugendamt, 17.06.1940. 255 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenvernehmung Schwester Oberin Generosa Gleirscher, 12.08.1948. 256 TLA, BPDion Innsbruck, 6/7, Der Reichsstatthalter in Tirol und Vorarlberg IIIa1 an Dr. Klebelsberg, 05.11.1940; TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenvernehmung Dr. Ernst Klebelsberg, 05.08.1948. 257 TLA, RStH, Abt. IIIa1, Zl. M-XI 1940, Der Reichsverteidigungskommissar im Wehrkreis VXIII an die Reichsstatthalter in der Steiermark, in Kärnten und in Tirol-Vorarlberg, 22.06.1940. 258 TLA, RStH, Abt. IIIa1, Zl. M-XI 1940, Vordruck Erlass betr. Verlegung von Insassen der Heil- und Pflegeanstalten, o. D. 259 Ob Beruhigungsmittel zum Einsatz kamen, wird nicht erwähnt. Zeugenaussage von Sr. Erharda Hendlmaier vom St. Josefsinstitut in Mils vor der BPDion Innsbruck betreffend Abtransport von Pfleglingen, 23.05.1946, zit. n. Köfler, Euthanasie, S. 503 – 504.

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Hendlmaier, die damalige Stellvertreterin der im Krankenhaus liegenden Schwester Oberin260, gab vor der Polizei 1946 an, die Listen seien aus Berlin gekommen.261 Bei der Hauptverhandlung drei Jahre später war sie sich nicht sicher, ob sie nicht doch von Wien gesendet wurden.262 Der für den Gaufürsorgeverband arbeitende Dr. Alfons Schweiger erinnerte sich allerdings, dass ihm Ende 1940 das St.-Josefs-Institut telefonisch berichtete, dass es vom Gaufürsorgeverband Oberdonau die Weisung erhalten hatte, Pfleglinge dorthin zu überstellen.263 Eigentlich war Schweiger u.a. für die Entlassung von InsassInnen verantwortlich, weshalb er sich bei seinem Vorgesetzten Czermak erkundigte, der ihm erklärte, dass die Aktion von Berlin ausginge, sie „nichts machen können“264 und er sich besser nicht dafür interessiere. So habe Schweiger implizit von der Euthanasie erfahren. Ob die Transportlisten nun direkt von Berlin gesendet wurden oder vielleicht aus dem Gau Oberdonau, dem Dunstkreis der Euthanasieärzte Lonauer und dessen Stellvertreter Renno, bleibt ungeklärt.265 Jedenfalls konnte Schweiger Hendlmaier

260 Eigenen Angaben zufolge lag sie vom 15.11. bis 23.12.1940 im Allg. Krankenhaus in Solbad Hall. TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Sr. Oberin Generosa an das Landesgericht Innsbruck, 05.08.1948. 261 Zeugenaussage Hendlmaier 1946, zit. n. Köfler, Euthanasie, S. 503. 262 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenaussage Zeugin Schw. Erhard Hendlmaier bei der Hauptverhandlung am 31.11. und 01.12.1949. 263 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenaussage Sr. Erharda Franziska Hendlmaier, 75 Jahre alt, geb. in Dinzling, Bayern, Ordensschwester in Zams, o. D.; TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenvernehmung 21.08.1946 Dr. Alfons Schweiger. 264 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenvernehmung von Dr. Alfons Schweiger, 21.8.1946. 265 Nachdem die T4-Aktion direkt von Berlin organisiert wurde und nebst der dortigen Zentraldienststelle vor allem die Hartheimer Ärzte und Czermak in Innsbruck in die Planung und Umsetzung der Tiroler und Vorarlberger Deportationen und darauffolgenden Ermordungen involviert waren, erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass die Transportlisten von Wien geschickt wurden. Dass allerdings Hartheim Überbringungen der Transportlisten vornahm, gab Klebelsberg 1946 zu Protokoll als er erzählte, dass Renno ihm die Transportlisten persönlich übergeben habe. Zeugenaussage des Leiters der Heil- und Pflegeanstalt Hall, Ernst Klebelsberg, vor der BPDion Innsbruck, betreffend Durchführung der „Euthanasie“ in Tirol, 15.5.1946, zit. n. Köfler, Euthanasie, S. 498 – 502. Allerdings gab auch er bei der Hauptverhandlung an, dass die Transportlisten direkt aus Berlin gekommen sein. TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenaussage Dr. Klebelsberg bei der Hauptverhandlung am 31.11. und 01.12.1949.

64 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut ebensowenig Auskunft erteilen wie der Sprengelarzt. Daher wandte sich Schwester Erharda an ihr Mutterhaus in Zams, das die Vikarin Schwester Ferdinanda Webhofer nach Mils entsandte, welche „natürlich nichts verhindern“266 konnte. Außerdem kontaktierte Hendlmaier das Seelsorgeamt in Innsbruck:267 Monsignore Josef Weißkopf erteilte ihr den Rat, die Angehörigen der Pfleglinge zu informieren, was allerdings tragischerweise „aus einem mir [Hendlmaier] unbekannten Grund unterlassen“268 wurde. Stattdessen fertigte sie am 6. oder 7. Dezember eine Liste von arbeitsfähigen Pfleglingen an und lies diese von Czermak genehmigen. Letzterer gab zwar 1948 vor der Polizei an, dass er Dr. Klebelsberg mit der Sichtung der Transportlisten beauftragt habe, der Direktor der HPA Hall dementierte dies allerdings vehement und Frau Hendlmaier berichtete ebenfalls, dass Czermak die Auswahl, die sie getroffen hatte, billigte.269 Daraufhin erhielt das St.-Josefs-Institut – von wem konnte nicht eruiert werden – aktualisierte Transportlisten und den Auftrag, eine Effektenliste für die zu deportierenden Menschen zu erstellen.270 Laut der Aussage Frau Hendlmaiers bei der Hauptverhandlung war Czermak drei Mal vor der Deportation in Mils. Einmal kam er mit Klebelsberg in Begleitung eines weiteren Arztes in die Anstalt, als „einige Kranke damals auch [von den drei Herren] angesehen“271 wurden.272 Ein andermal, höchstwahrscheinlich am 9. Dezember 1940273, sei er alleine ins Institut gekommen um Fotografien von arbeitenden Pfleglingen zu machen, die er, wie er der Schwester erklärte, als

266 St.-J-I, Ja, S. 49. 267 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenaussage Zeugin Schw. Erhard Hendlmaier bei der Hauptverhandlung am 31.11. und 01.12.1949. 268 Zeugenaussage von Sr. Erharda Hendlmaier vom St. Josefsinstitut in Mils vor der BPDion Innsbruck betreffend Abtransport von Pfleglingen, 23.051946, zit. n. Köfler, Euthanasie, S. 503. 269 „Ich kann mich noch erinnern, dass ich mich diesbezüglich mit Dr. Klebelsberg besprochen habe, die Kranken zunächst in die Haller Anstalt zu überführen, dass es sich aber dann als zweckmässig herausgestellt hat, wenn Dr. Klebelsberg in Mils die Sichtung dieser Transportlisten vornimmt“. TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Fortsetzung der Vernehmung des Beschuldigten, 31.7.1948; TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenaussage Dr. Ernst Klebelsberg bei der Hauptverhandlung am 31.11. und 01.12.1949. 270 Ebd. 271 Zeugenaussage von Sr. Erharda Hendlmaier vom St. Josefsinstitut in Mils vor der BPDion Innsbruck betreffend Abtransport von Pfleglingen, 23.051946, zit. n. Köfler, Euthanasie, S. 503.

65 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Rechtfertigung dafür, diese nicht abzutransportieren, nach Berlin schicken wollte. Ein drittes Mal wäre er mit einem unbekannten Berliner Arzt in Mils gewesen.274 Letzterer Besuch wurde im Prozess nicht weiter thematisiert, daher konnte er auch nicht herausgefunden werden, wer der Berliner Begleiter war. Allerdings stellte sich am 9. Dezember 1940 der namentlich nicht erwähnte Transportleiter im Institut vor.275 Es ist durchaus möglich, dass es sich dabei um Dr. Renno handelte: Renno wurde 1907 in Straßburg geboren und verbrachte sein Leben, bis er 1940 nach Hartheim kam, in Deutschland, weshalb es denkbar ist, dass Schwester Erharda ihn als „Berliner“ identifizierte.276 Außerdem war er zu dieser Zeit erwiesenermaßen in Tirol, wo er die Leitung des Transportes von Hall innehatte.277 Czermak selbst erinnerte sich nicht mehr daran, Fotos gemacht zu haben, sondern gab lediglich an, mit Klebelsberg und einem anderen Arzt in Mils gewesen zu sein, um die ihm unterstehenden Anstalten kennenzulernen „vor allem hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit für andere Zwecke der Gesundheitsführung nach einer Verminderung des seinerzeitigen Belags.“278 Den Schwestern jedenfalls erklärte man, die Pfleglinge würden weggebracht, „damit für Südtiroler Umsiedler Platz würde“279 und dass sie

272 Klebelsberg erinnerte sich ebenso an diesen Besuch, gab allerdings an, dass er nichts mit der Euthanasieaktion zu tun gehabt hätte, sondern sich Dr. Jungwirth sehr für Kretinismus interessierte. Vlg. TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenvernehmung Dr. Ernst von Klebelsberg, 5.8.1948. Das bestätigte die Schwester Oberin in ihrer Aussage, der zufolge sich die Ärzte damals für „Kropfe“ interessierten. TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenvernehmung Schwester Oberin Generosa Gleirscher, 12.08.1948. 273 Evtl. könnte dies bereits am 07.12.1940 geschehen sein. In den Aussagen der Zeugin Hendlmaier werden fast keine genauen Datumsangaben gemacht, sondern von „Tags darauf“ etc. gesprochen, wobei nicht immer zu hundert Prozent klar ist, auf welches Datum sich bezogen wird. TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenaussage Sr. Erharda Franziska Hendlmaier, 75 Jahre. 274 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenaussage Schw. Erharda Hendlmaier bei der Hauptverhandlung am 31.11. und 01.12.1949. 275 Ebd. 276 Klee, Personenlexikon, S. 491 – 492. 277 Zeugenaussage des Leiters der Heil- und Pflegeanstalt Hall, Ernst Klebelsberg, vor der BPDion Innsbruck, betreffend Durchführung der „Euthanasie“ in Tirol, 15.5.1946, zit. n. Köfler, Euthanasie, S. 499. 278 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Fortsetzung der Vernehmung des Beschuldigen, 31.07.1948.

66 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut vorläufig nach Salzburg gebracht würden.280 Während sich ersteres bestätigte, war letzteres nichts anderes als eine Lüge zur Tarnung der eigentlichen Tötungsaktion.281 Am Dienstag, den 10. Dezember 1940 „noch zur Dunkelheit erschienen zwei große Omnibusse“282 inklusive Personal, „welche die Pfleglinge [um sechs Uhr morgens] auf den Bahnhof [Hall] führten, wo sie dann einwagoniert wurden.“283 Hendlmaier gab bei der Hauptverhandlung zu Protokoll, dass zwei Schwestern mitfuhren, um sich um die verhältnismäßig vielen Kinder zu kümmern, die abtransportiert wurden.284 Wer diese Frauen waren und wie lange sie die Deportation begleiteten, ist leider aus den gesichteten Akten nicht zu eruieren. Schwester Erharda sagte außerdem aus, sie habe dem Verwalter aufgetragen, nach Hall mitzufahren. Ob das am 9. oder am 10. Dezember und vor allem zu welchem Zweck geschehen ist, bleibt ebenso ungeklärt. Über die Deportation an sich gab sie zu Protokoll: „Der Transport ging ganz ruhig von Statten. Einige weinten, andere freuten sich, dass sie wo anders hinkämen und mit dem Auto fahren könnten.“285 Genauere Schilderungen über den Ablauf fehlen. Am 11. Dezember erhielt das St.-Josefs-Institut einen Anruf von Hartheim mit der Bitte um ein neues Effektenverzeichnis, nachdem das Original beim Transport verloren gegangen sei.286 Es musste den Schwestern also bereits am Folgetag klar geworden sein, dass der Transport nicht, wie vom Transportleiter behauptet, nach Salzburg ging. Vom Tod ihrer ehemaligen Pfleglinge erfuhren die Milser Barmherzigen Schwestern nicht aus Hartheim, sondern durch Anfragen von

279 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenvernehmung Schwester Oberin Generosa Gleirscher, 12.08.1948. 280 Zeugenaussage von Sr. Erharda Hendlmaier vom St. Josefsinstitut in Mils vor der BPDion Innsbruck betreffend Abtransport von Pfleglingen, 23.051946, zit. n. Köfler, Euthanasie, S. 504. 281 Zimmermann, I. Teil, S. 21. 282 Zeugenaussage von Sr. Erharda Hendlmaier vom St. Josefsinstitut in Mils vor der BPDion Innsbruck betreffend Abtransport von Pfleglingen, 23.051946, zit. n. Köfler, Euthanasie, S. 504. 283 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenvernehmung Schwester Oberin Generosa Gleirscher vom 12.08.1948. 284 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenaussage Schw. Erharda Hendlmaier bei der Hauptverhandlung am 31.11. und 01.12.1949. 285 Ebd. 286 Zeugenaussage von Sr. Erharda Hendlmaier vom St. Josefsinstitut in Mils vor der BPDion Innsbruck betreffend Abtransport von Pfleglingen, 23.051946, zit. n. Köfler, Euthanasie, S. 504.

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Hinterbliebenen, die sich erkundigten, ob ihre Angehörigen denn schon im St.-Josefs-Institut an den von den Nationalsozialisten erfundenen Krankheiten, die Grund für den Tod gewesen seien, gelitten hätten.287 Die Schwester Oberin, welche erst am 11. oder 12. Dezember im Krankenhaus von Besuchern aus Mils erzählt bekam, dass ein Transport von ihrer Anstalt weggegangen war288, konnte sich daran erinnern, dass ein junger Berliner Arzt – wahrscheinlich Renno, der auch in Hall Klebelsbergs Auswahl überprüfte289 – zu ihr ins Institut kam, „welcher sich danach erkundigte, ob die Pfleglinge auch tatsächlich arbeiten“290. Nachdem Frau Gleirscher erst am 23. Dezember vom Haller Krankenhaus nach Mils zurückkehrte, kann dieser Besuch nicht vor besagtem Datum stattgefunden haben. Er zeigt aber, dass man die Ankündigung einer ärztlichen Untersuchung, auf die sich Frau Hendlmaier als Rechtfertigung dafür berief, nur tatsächlich arbeitende Pfleglinge von den Transportlisten zu streichen, wahr machte. So erzählte Hendlmaier von Herbert Tschon, einem Pflegling, der zwar sehr wohl dazu in der Lage war, aber schlicht nicht arbeiten wollte. „Um einen Irren hat es sich in diesem Fall nicht gehandelt.“ Trotzdem setzte sich Hendlmaier nicht dafür ein, dass Herbert zurückbehalten würde. Auf Nachfrage, warum dem so war, meinte sie: „Unsere Auswahl war getroffen.“291 Welche Kriterien für die Auswahl relevant waren, zeigt folgendes Zitat: „Der Angeklagte sagte mir nichts, dass nur geistig Tote abgeliefert werden dürften. Wenn er mir dies gesagt hätte, dann hätte ich diese [Elisabeth K., Hendlmaier hielt sie für „beinahe gefährlich“, sie hat aber „von der Umwelt gewusst“] eben auch behalten [..] Wann jemand kleine Arbeiten machen konnte, hat dies zur Herausnahme genügt. Arzt ist zur Auswahl keiner zugezogen worden. Einstudiert um zu ermessen, ob eine Geisteskrankheit heilbar, oder nicht heilbar sei, sind wir nicht worden, wir urteilten nach menschlichem Ermessen […] Wir brauchten die Leute zum 287 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenaussage Genoveva Gleirscher in der Hauptverhandlung am 31.11. und 1.12.1949. 288 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Sr. Oberin Generosa an das Landesgericht Innsbruck, 05.08.1948. 289 Seifert, Sterben, S. 377. 290 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenvernehmung Schwester Oberin Generosa Gleirscher, 12.08.1948. 291 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenaussage Schw. Erharda Hendlmaier bei der Hauptverhandlung am 31.11. und 01.12.1949.

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Aufrechterhalten des Anstaltsbetriebes. Zurückbehalten sind diejenigen worden, die etwas leisten konnten.“292 Gegenteilig dazu behauptete Hendlmaier einen Satz später: „Die Auswahl ist nicht vom Gesichtspunkt der Nützlichkeit für die Anstalt getroffen worden.“293 Tatsächlich hätte es wohl heißen müssen, die Auswahl sei nicht nur von diesem Gesichtspunkt erfolgt, sondern auch nach sozialen Kriterien, wie etwa, ob man als „beinahe gefährlich“ angesehen wurde. Wie sonst ist es zu erklären, dass vier Personen nicht zurückbehalten wurden, obwohl neben ihren Diagnosen vermerkt wurde, dass sie sehr wohl arbeitsfähig waren (siehe Abb.7)? Diese Tatsache untermauert vielmehr, dass die Idee des „Gnadentodes“, die von den Rassenhygienikern so überhöht wurde, nicht ausschlaggebend war – auch weil bei zwei weiteren Opfern explizit vermerkt wurde, dass sie „nicht schwachsinnig“294 waren.

Abbildung 7: Ausschnitt aus Transportliste No 46 (Quelle: TLA, RStH, Abt. IIIa1, Zl. M-XI 1941)

Betrachtet man die Liste der vom beauftragten Arzt vom Transport zurückgestellten

292 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenaussage Schw. Erharda Hendlmaier bei der Hauptverhandlung am 31.11. und 01.12.1949. 293 Ebd. 294 Ebd.

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Pfleglinge, die noch am 10. Dezember 1940 vom St.-Josefs-Institut an Czermak geschickt wurde, so wird der Fokus auf die Arbeitsleistung ein weiteres Mal bestätigt: Fast jeder angegebene Grund der Rückstellung hat eindeutig damit zu tun, dass der/die Zurückgestellte dem St.-Josefs-Institut von Nutzen war. Außerdem wurden eine Frau und ein Mädchen gestrichen, weil sie eine italienische bzw. liechtensteinische Staatsbürgerschaft hatten. Zumindest für erstere kann nachgewiesen werden, dass es eine Vereinbarung gab, Südtiroler RückwanderInnen von den Euthanasietransporten auszunehmen (siehe Abb.8).295

295 TLA, RStH, Abt. IIIa1, Zl. M-XI 1941, Dr. Klebelsberg an Dr. Czermak, 07.01.1940.

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Abbildung 8: Liste der vom beauftragten Arzt vom Transport zurückgestellten Pfleglinge aus Liste 46 und Liste 50 (TLA, RStH, Abt. IIIa1, Zl. M.XI 1941) 71 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Beim Studium dieses Dokuments stellt sich jedoch auch die Frage, in wie weit Frau Hendlmaier, die mit sehr großer Wahrscheinlichkeit die Adressantin dieser Liste war, Glauben zu schenken ist, wenn sie zwar vor der Polizei und dem Gericht stets davon sprach, die Streichungen selbst unternommen zu haben, aber eine derart betitelte Liste an Czermak geschickt hatte.296 Außerdem wurde dem Gendarmerieposten Ampass bei seinen Erhebungen 1946 höchstwahrscheinlich von der Schwester Oberin erklärt, dass Dr. Klebelsberg die Streichungen vorgenommen hatte.297 Ob entgegen ihrer, sowie Hendlmaiers und Klebelsbergs gerichtlicher Aussagen, die allesamt Jahre später stattfanden, also doch Czermak die Wahrheit sagte, als er sich daran erinnerte, Klebelsberg mit der Sichtung der Transportlisten beauftragt zu haben, stellt sich als wahrscheinlich dar.298 Konträr dazu beharrte Klebelsberg darauf, dass sich seine „Generalvollmacht“ nur auf seine Anstalt bezog und er „mit der Milser Anstalt nichts zu tun gehabt“299 habe, auch wenn es klare Hinweise gab, dass dem nicht so war.300 Das Eingeständnis, von Anfang an nicht nur in seiner ihm offiziell unterstellten Anstalt aktiv eingegriffen zu haben, hätte wohl unweigerlich dazu geführt, die Bedeutung seiner Person für die gesamte Tiroler Euthanasieaktion zu hinterfragen, was nicht in Klebelsbergs Sinne gewesen sein kann, denn, so Seifert: „Ihm war wohl bewusst, dass die Tatsache, dass er einige Menschen von den Listen streichen konnte, umgekehrt die Frage aufwarf, wieso er andere auf den Listen beließ.“301

Anfang Mai 1941 sei abermals ein Berliner nach Mils gekommen und habe eine Transportliste mitgebracht, woraufhin sich die Schwester Oberin, ihren Angaben zufolge, an Dr.

296 Es ist davon auszugehen, dass diese Liste von Hendlmaier gesendet wurde, da in einem Schreiben mit ihrer Unterschrift und dem Stempel des Instituts eine solche Auflistung angekündigt wird. Allerdings trägt die Liste selbst weder Stempel noch Unterschrift. 297 TLA, BPDion Innsbruck, Polizeiliche Erhebungen über die Tötung von Geisteskranken 1946 inklusive Verzeichnis der Euthanasieopfer, Meldungen der Gendarmerieposten 1946, verschleppte und getötete Geisteskranke in der Zeit von 1938-1945, Erfassung, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, 21.05.1946. 298 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Vernehmung des Beschuldigten am 26.07.1948. 299 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenaussage Dr. Klebelsberg bei der Hauptverhandlung am 31.11. und 01.12.1949. 300 Seifert, Sterben, S. 386 – 387. 301 Ebd.

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Klebelsberg wandte, der deshalb nach Mils kam und bis auf zwei Personen alle auf der Transportliste stehenden Pfleglinge, die tatsächlich im Institut waren, bei der Arbeit vorfand. Dementsprechend sollten von den 20 angeforderten nur diese zwei, „ein epileptischer Bub und ein schwachsinniges Mädel“ - tatsächlich handelte es sich um einen Fünfunddreißigjährigen und eine Vierundvierzigjährige – nach Hall gebracht werden.302 Die Oberin: „Das habe ich dann, allerdings ungern, getan. Zwei Tage später erfuhr ich, dass sie mit einem Transport von Hall abgegangen seien.“303 Außerdem darf bei einer Auseinandersetzung mit den Opfern der Euthanasie aus dem St.- Josefs-Institut nicht darauf verzichtet werden, die zehn Südtiroler Kinder zu erwähnen, die am 27. August 1942 – fast ein Jahr nach dem sogenannten Euthanasiestopp - von Mils nach Kaufbeuren „verlegt“, also Opfer der Kindereuthanasie wurden.304 Fünf dieser Kinder starben dabei im Rahmen von Menschenversuchen.305 Mutmaßlich als Reaktion darauf sowie den letzten Transport von Hall weg wurde vom Bregenzer Landrat im Oktober 1942 gemeldet, dass „Angehörige von Geisteskranken, die in den Gau-Heil und Pflegeanstalten Hall und Mils untergebracht sind, die Heimbeförderung der Kranken mit allen Mitteln zu erreichen suchen“306 und dies vermehrt zu beobachten war. Damit erschöpfen sich die Untersuchungen, die zur Euthanasie betreffend das Milser St.- Josefs-Institut gemacht werden können, da leider ohne Archivzugang nicht erforscht werden

302 TLA, RStH, Abt. IIIa1, M-XI 1943, Liste der am 29. Mai 1941 überstellten Kranken in eine andere Anstalt; Ebd., Transportliste No 77. 303 TLA, LG Innsbruck, 10 Vr 4740/47, Zeugenvernehmung Schwester Oberin Generosa Gleirscher, 12.08.1948. 304 Maria Fiebrandt, Auslese für die Siedlergesellschaft. Die Einbeziehung Volksdeutscher in die NS- Erbgesundheitspolitik im Kontext der Umsiedlungen 1939-1945, Göttingen 2014, S. 606 – 609. 305 Michael v. Cranach mutmaßt, dass Dr. Faltlhauser die Tuberkulose-Impfversuche an Südtiroler Kindern durchführen ließ, weil Angehörige eben aus Südtirol für Besuche anreisen mussten und dazu kaum Gelegenheit war. Michael v. Cranach, Menschenversuche in den bayrischen Heil- und Pflegeanstalten, in: Psychiatrie im Nationalsozialismus. Die Bayrischen Heil- und Pflegeanstalten zwischen 1933 und 1945, hrsg. v. Michael von Cranach / Hans-Ludwig Siemen, München 1999, S. 405 – 412. 306 TLA, RStH, Abt. IIIa1, M-XI 1943, Der Landrat des Kreises Bregenz an die Reichsstatthalterei, 27.10.1942.

73 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut kann, wie die Lebensverhältnisse in der Anstalt waren307, ob es – wie in Hall – einen ungewöhnlichen Anstieg der Sterblichkeit gab und ob psychiatrische Pfleglinge ebenso systematisch benachteiligt wurden – um nur einige drängende Forschungsfragen zu stellen, die hoffentlich in Bälde beantwortet werden.

Die Opfer

Dem Tode entronnen

Beim Anblick der Liste der „angeforderten, aber zurückgestellten Pfleglinge“308, die so dem Euthanasiemord in Hartheim entgingen, sticht sofort der bereits erwähnte Tschon Herbert ins Auge, bei dem „(ist beim Transport entlaufen!)“ unter seinem Namen vermerkt ist. Tatsächlich trug sich laut Chronik des St.-Josefs-Instituts, in das Herr Tschon 1928 keine zwei Monate vor seinem dreißigsten Geburtstag eingetreten war, folgendes zu: „Ahnte er die Gefahr? Oder scheute er nur die Fahrt unter vielen Leuten und in die Fremde? Kurzum: Am Vorabend des Abreisetages war Herbert verschwunden; niemand wußte wo er war.-Etwa 14 Tage darnach [sic!] tauchte er wieder auf; er war bei seiner Mutter in Innsbruck gewesen—und hatte so sein Leben gerettet.“309 Herbert Tschon lebte bis zu seinem Tod mit 88 Jahren im Institut. Max Kopp wurde ebenso für den Transport angefordert aber anders als Tschon lief er nicht weg, sondern wurde von der Liste gestrichen310: „Die Notzeit des Ersten Weltkriegs und der Nachkriegszeit […] brachte auch Maxeles Familie in finanzielle Schwierigkeiten. Maxile begriff, daß seine Mutter nicht mehr so viel bezahlen konnte, und bequemte sich jetzt, etwas zu arbeiten: einen Hausgang zu kehren, vor allem aber, den Knechten die Jausen aufs Feld hinauszutragen. Maxile wurde mit seinem Henkelkorb am Arm zur bekannten Dorfgestalt. Das sollte ihm später (in der Nazizeit) sogar das Leben retten.“311

307 Einzig, dass während des NS-Regimes gleichbleibend ein Tagessatz von 1 Reichsmark 75 Pfennig verrechnet wurde, ist bekannt. Zimmermann, III. Teil. 308 Köfler, Euthanasie, S. 505 – 507. 309 Zimmermann, I. Teil, S. 135. 310 Köfler, Euthanasie, S. 506. 311 St.-J-I, Ja, S. 53.

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Abbildung 9: Max Kopp im Jahr 1942 (Quelle: Zimmermann, II. Teil) In der Festschrift zum 100jährigen Jubiläum des Institutes wurde ein kleines Portrait von Schreyer Luise, Nr. 38 im Verzeichnis der angeforderten, aber zurückgestellten Pfleglinge312, unter dem Titel „Theater á la Luise“ abgedruckt: „1919 kam Luise in das St.-Josefs-Institut: ein mittelgroßes, hageres, sehr bewegliches Mädel, das seinem Familiennamen bald alle „Ehre“ machte […]. Was sie sagte, wechselte oft im Handumdrehen von süßer Schmeichelei bis zu grober Beschimpfung […] Luise war übrigens im Haus anstellbar: Sie kehrte und wischte Gang- und Zimmerböden, half beim Putzen der damaligen Holzböden [...Dies dürfte ihr wohl das Leben gerettet haben]. Luise begrüßte die ankommende Schwester oder verabschiedete sich von weggehenden Schwestern mit vielen tiefen Komplimenten und Hofknicksen, mit zierlichen und geschmeidigen Tanzbewegungen […] die beinahe einer Ballett-Tänzerin Ehre gemacht hätten, mit ungezählten graziös zugeworfenen Kußhändchen, alles begleitet von süß-flötenden Ausrufen und liebenswürdigstem Lächeln. Wer‘s nicht selber gesehen und erlebt hat, kann sich

312 Köfler, Euthanasie, S. 506.

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wohl kaum vorstellten […].“313 Bemerkenswert ist auch das Schicksal einer gewissen Anna Angerer. Sie lebte seit 1934 im Telfer Spital, wurde aber im Januar nach Mils versetzt und wird als eine der „Angeforderten, die nicht mehr oder nie in hiesiger Anstalt waren“314 gelistet. Die damals 30-Jährige muss wohl rechtzeitig abgeholt worden sein, mutmaßt Stefan Dietrich, dem zufolge Frau Angerer erst 1942 – nach dem Euthanasie“stopp“ also – wieder in Telfs gemeldet wurde. Von 1952 bis 1991 lebte sie im ehemaligen Spital, dem Altersheim in Telfs. Besonders beklemmend ist, dass im Eintrittsbuch dieses Spitals „gestorben in Hartheim bei List“ vermerkt ist, „weil den nationalsozialistischen Todesbürokraten offenbar ein Irrtum unterlaufen war: Sie hatten wahrscheinlich aufgrund der nicht aktualisierten Transportlisten Todesbenachrichtigungen ausgestellt ohne zu überprüfen, ob der betreffende Pflegling auch tatsächlich angekommen und der vorgesehenen ‚Sonderbehandlung‘ unterzogen worden war.“315

313 S.-J-I, Ja, S. 97. 314 Köfler, Euthanasie, S. 506. 315 Stefan Dietrich, Telfs 1918-1946 (Tiroler Studien zu Geschichte und Politik 3), Innsbruck 2004, S. 403.

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Versuch einer statistischen Auswertung

67 Menschen hingegen wurden am 10. Dezember 1940 tatsächlich von Mils nach Hartheim gebracht und dort ermordet. Über 70 Prozent waren weiblich (siehe Diagramm 1). Ein Vergleich zwischen der Liste der zurückgestellten Personen und den deportierten zeigt, dass der Anteil der männlichen Pfleglinge auf beiden unter 30 Prozent beträgt. Es wäre allerdings interessant zu sehen, ob dieser Prozentsatz der generellen Geschlechterverteilung im St.-Josefs-Institut entsprach, oder ob sich daraus schließen lassen könnte, dass überproportional viele Frauen und Mädchen für die Deportation angefordert wurden und ob das vielleicht deshalb so war, weil ihre Arbeitskraft in einer Anstalt mit angeschlossener Landwirtschaft weniger gewichtet wurde als die der Männer. Doch auch diese Hypothese kann ohne Akteneinsicht im Institut nicht überprüft werden.

Diagramm 1: Geschlechterverteilung der Opfer in absoluten Zahlen (Eigene Darstellung)

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Betrachtet man die Altersverteilung, fällt auf, dass über 16 Prozent der Deportierten noch Kinder waren (siehe Diagramm 2). Das jüngste Opfer, der am 18. Dezember 1933 geborene Josef V. aus Innsbruck, wurde höchstwahrscheinlich keine sieben Jahre alt. Das älteste Opfer, Eleonore S., wurde mit 78 Jahren in Hartheim getötet. Auffällig ist, dass vergleichsweise wenige Menschen, die über 60 Jahre alt waren, – keine sechs Prozent – nach Hartheim gebracht wurden. Im Vergleich: 1934 waren österreichweit 19,1 Prozent mindestens 60 Jahre alt.316 Nachdem in Mils die Akten dazu nicht eingesehen werden durften, bleibt ungeklärt, welche Altersverteilung die Pfleglinge im St.-Josefs-Institut aufwiesen und ob etwaige Altersgruppen in der Liste der Opfer in Relation zur Anstaltspopulation über- beziehungsweise unterrepräsentiert sind.

Diagramm 2: Altersverteilung der Opfer in absoluten Zahlen (Eigene Darstellung)

316 Statistik , Volkszählungen, Statistik des Bevölkerungsstandes, 17.05.2018, [https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/ bevoelkerungsstruktur/bevoelkerung_nach_alter_geschlecht/031395.html], eingesehen am 04.03.2019. Keines der acht Opfer, die in der Gruppe 51-60 J. zusammengefasst wurden war zum Zeitpunkt der Deportation 60 Jahre alt.

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Ahnlich oberflächlich bleibt demzufolge auch die Betrachtung der Eintrittsdaten, da weder nach einweisenden Anstalten oder Personen geforscht werden konnte, noch Erhebungen zur durchschnittlichen Aufenthaltsdauer der Pfleglinge in Mils gemacht werden konnten. Was bleibt, ist darauf hinzuweisen, dass 49 Prozent der Opfer keine zwei Jahre in Mils waren, bevor sie der Deportation zum Opfer fielen (siehe Diagramm 3). Die längste Aufenthaltsdauer betrug fast dreißig Jahre: Franz H. wurde, nachdem er 29 seiner insgesamt 45 Lebensjahre in der Anstalt verbracht hatte, von dort abtransportiert und damit den Euthanasiemördern überlassen.

Diagramm 3: Zahl der Opfer pro Eintrittsjahr ins St.-Josefs-Institut (Eigene Darstellung)

Besonders interessant wäre es herauszufinden, wie die Verteilung der Kostenträger in der

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Milser Anstalt im Generellen war. Im Hinblick auf die Deportations-Opfer nämlich ist auffällig, dass über zwei Drittel durch „Gsv“, also die Gauselbstverwaltung finanziert wurden.317 Die Vermutung liegt nahe, dass hier gezielt jene Menschen deportiert und daraufhin umgebracht wurden, die durch die öffentliche Hand finanziert wurden. Bekanntlich lag der Fokus der Nationalsozialisten zu jener Zeit darauf, Kosten-Nutzen-Rechnungen aufzustellen und so wenige „unnütze Esser“ wie möglich „durchfüttern“ zu müssen – man denke nur an die Hartheimer Statistik.

Diagramm 4: Verteilung der Kostenträger der Milser Opfer (Eigene Darstellung)

317 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Anschriften der Angehörigen der am 10.12.1940 abtransportierten Pfleglinge, [21.05.1946].

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Brigitte Kepplinger geht von einer Opferquote von 31,16 Prozent für das St.-Josefs- Institut aus, das laut der Liste der deutschen Anstalten für Geisteskranke und Schwachsinnige per 31.8.1941 215 Betten zur Verfügung hatte und 206 Meldebogen verschickte. Allerdings rechnet Kepplinger mit 67 Opfern.318 Diese Zahl sollte jedoch auf 69 angehoben werden, wie Hofingers Endbericht an die Dokumentationsstelle Hartheim belegt und es auch Seifert in seiner Arbeit getan hat.319 Dementsprechend muss der Opferquotient auf 32,09 Prozent angehoben werden.

318 Kepplinger, Euthanasie in Österreich, S. 56. 319 Johannes Hofinger, Projektbericht für die Dokumentationsstelle Hartheim, Salzburg 2006, S. 7 – 10, S. 9 – 10. Vielen Dank an Peter Eigelsberger, der der Verfasserin diesen Bericht zukommen hat lassen; Seifert, Sterben, S. 386.

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Biografische Skizzen

Hubert Rainer kam laut vom St.-Josefs-Institut abgestempeltem Abtransportierten-Verzeichnis am 16. Februar 1932 in Sellrain zur Welt.320 Der Junge wurde von seiner Tante väterlicherseits, Maria Praxmarer, als Pflegekind aufgezogen: „Im Leiterwagen zog sie das Kind hinter sich her, da Hubert nicht gehen konnte – oder sie trug ihn […] ‚auf dem Buggl‘.“321

Abbildung 10: Der kleine Hubert auf dem Arm seines Vaters (Quelle: Privatbesitz Familie Praxmarer)

320 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. Dieses Verzeichnis ist in „Widerstand und Verfolgung“ abgedruckt, alle weiten Informationen beziehen sich auf Beate Eder-Jordan, weswegen der Nennung von Hubert Rainers Vollnamen nichts im Wege steht. Im Gegenteil: Die Angehörigen haben sich um eine namentliche Erinnerung an Hubert sogar bemüht, wie im Kapitel „(Tiroler) Erinnerungskultur: Das Gedenken an die Euthanasie“ gezeigt wird. 321 Beate Eder-Jordan, Hubert Rainer, das „Biabl“, das am „Buggl“ getragen wurde, in: Temporäres Denkmal. Prozesse der Erinnerung. Im Gedenken an 360 Opfer der NS-Euthanasie. PatientInnen des heutigen Psychiatrischen Krankenhauses. Prozesse der Erinnerung (Tiroler Studien zu Geschichte und Politik 7), hrsg. v. Andrea Sommerauer / Franz Wassermann, Innsbruck – Wien – Bozen 2009, S. 306 – 313, S. 309.

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Gegen ihren Willen wurde ihr Hubert weggenommen – das muss vor dem 20. November 1939 gewesen sein, als der Bub im St.-Josefs-Institut aufgenommen wurde. Durch ein Schreiben vom 7. Januar 1941 wurde Huberts Vater über Tod seines Kindes informiert. Huberts Tante war sich sicher, dass er vergast wurde und trauerte um ihren Neffen.322 Edgar Paul Ludl wurde am 3. Juni 1932 in Innsbruck als erstes Kind von Anna und Eduard geboren.323 In der Familie erzählt man sich, Edgar sei eine Zangengeburt gewesen und habe diese nicht ohne bleibende Schäden überstanden.324 Aus den Gendarmeriemeldungen an das Landesgendarmeriekommando für Tirol geht hervor, dass Edgar bei seinem Vater Eduard, einem Baumeister, in Hötting daheim war, bis er im Juni 1936 ins St.-Josefs-Institut eintrat.325 Die Eltern hätten Edgar dorthin gebracht, weil er mit seiner kleinen Schwester, die ein Jahr zuvor geboren worden war, „böse“ war.326 Eduard gab bei der Polizei zu Protokoll, dass sein Sohn am 29.12.1940 in Bernburg, Deutschland, anscheinend aufgrund eines „eptileptischen [sic!] Anfalles verstorben“ sei. Angeblich wurde seine Leiche in Bernburg eingeäschert – eine Urne erhielt der Vater nicht.327 Tatsächlich wurde Edgar am 10. Dezember 1940 vom St.-Josefs-Institut abgeholt und in Hartheim von den Nationalsozialisten vergast.328 Seine Mutter „habe erst kurz vor ihrem

322 Ebd., In der Gemeinde liegen keine weiteren Informationen. Email von Monika Bucher vom 14.02.2019 an die Verfasserin. 323 TLA, Evidenzarchiv, Meldezettel der Stadt Innsbruck, Meldezettel des Eduard Ludl. 324 Andrea Sommerauer, Im Gedächtnis verankern. Über den Umgang mit der NS-Euthanasie in Tirol seit 1945 mit Verweisen auf Vorarlberg, in: Beiträge zur Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Hall in Tirol im Nationalsozialismus und zu ihrer Rezeption nach 1945. Krankenhauspersonal – Umgesiedelte SüdtirolerInnen in der Haller Anstalt – Umgang mit der NS-Euthanasie seit 1945 (Veröffentlichung der Kommission zur Untersuchung der Vorgänge um den Anstaltsfriedhof des Psychiatrischen Krankenhauses in Hall in Tirol in den Jahren 1942 bis 1945, Band 3), hrsg. v. Stefan Lechner / Andrea Sommerauer / Friedrich Stepanek, Innsbruck 2015, S. 255 – 352, S. 347. 325 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Kommando unleserlich, 15.09.1945. 326 Andrea Sommerauer hat 2012 ein Interview mit Edgars Nichte C. S. geführt. Sommerauer, verankern, S. 347. 327 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Kommando unleserlich, 15.09.1945. 328 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946].

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Tod das eine oder andere erzählt, der [Vater], obwohl er über 90 Jahre alt wurde, habe nie über seinen Sohn gesprochen.“329 Seine Schwester jedenfalls, „hätte einen Bruder immer vermisst“.330 Helmut S. wurde laut Abtransportierten-Verzeichnis am 5. Dezember 1932 in Innsbruck geboren.331 Ein derartiger Nachweis konnte weder in den Taufbüchern noch den Meldezetteln gefunden werden. Ende Oktober 1939 trat er ins St.-Josefs-Institut ein, wo er fünf Tage nach seinem achten Geburtstag von den „grauen Bussen“ der T4-Aktion abgeholt und in die Tötungsanstalt Hartheim gebracht wurde.332 Es muss eine Todesmeldung erfolgt sein, da im Verzeichnis der 706 getötetem Geisteskranken der Bundespolizeidirektion vermerkt ist, Helmut sei im Dezember 1940 in Pirna a.d.E. verstorben.333 Elfriede S. wurde laut Heimatmatrik am 12. Oktober 1930 in Salzburg geboren. Diese Angaben stimmen mit dem Abtransportierten-Verzeichnis überein. Sie war die Tochter des Monteurs Johann S., der am 30. 9. 1929 in Innsbruck seine Verlobte Berta geheiratet hatte. Diese Ehe wurde wieder geschieden, Johann S. feierte 1938 ein zweites Mal (diesmal in Salzburg) Hochzeit. Bei seiner geschiedenen Frau scheint danach der Wohnort Innsbruck auf.334 Ein Jahr später wurde ihre Tochter Elfriede mit neun Jahren im St.-Josefs-Institut aufgenommen, wo sie am 10. Dezember 1940 eines der deportierten Opfer wurde.335 Ihre Mutter kehrte erst nach Kriegsende wieder nach Salzburg zurück.336 Sie erhielt Nachricht vom angeblichen Tod ihrer Tochter am 18. Januar 1941 in Hadamar aufgrund von Hirnhautentzündung. Eine Urne besaß

329 Sommerauer, verankern, S. 347. 330 Ebd., S. 348. 331 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 332 Ebd. 333 TLA, BPDion Innsbruck, Polizeiliche Erhebungen über die Tötung von Geisteskranken 1946 inklusive Verzeichnis der Euthanasieopfer, Verzeichnis der 706 getöteten Geisteskranken, 6/1, S. 79. 334 Email von Peter Kramml, Amtsleiter des Salzburger Stadtarchivs, vom 12.03.2018 an die Verfasserin. 335 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 336 Ebd.

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Berta nicht.337 Johann B. wurde laut Matriken nicht wie auf dem Abtransportierten-Verzeichnis vermerkt am 10. sondern am 21. Mai 1930 in Fieberbrunn als lediges Kind einer Cäcilia B. geboren, die zwei Jahre darauf nochmals Mutter eines Jungen wurde. Cäcilias Bruder Peter ist in Fieberbrunn bekannt als einer der größten Nationalsozialisten des Ortes. Seine Tochter kann sich erinnern, dass Johann von seiner Mutter zu einem Bauern gegeben wurde und auf dem Schulweg von der Gestapo „mit einem Kleinbus abgefangen [...] und mit anderen Kindern [...] Richtung Mils verliefert wurde“,338 was zu Tuschelein über das „verschwundene Kind“ im Dorf geführt hat. Diese Erzählung ließ sich jedoch nicht verifizieren.339 Laut Abtransportierten-Verzeichnis trat Johann am 15. März 1939 ins St.-Josefs-Institut ein und wurde von dort am 10. Dezember des Folgejahres nach Hartheim deportiert, weil er „schwachsinnig“ und stumm war.340 Am 2. Dezember 1929 kam in Alberschwende (Vorarlberg) Ilse Geuze zur Welt.

„Im Alter von ungefähr sechs Monaten erkrankte sie vermutlich an einer Hirnhautentzündung, in deren Folge sie große Schwierigkeiten beim Erlernen des Sprechens hatte. Sie half aber in den folgenden Jahren in ihrem Elternhaus bei landwirtschaftlichen Tätigkeiten, beim Waschen der Wäsche sowie beim Kochen mit. Ihre Brüder berichteten über Ilse, dass sie sehr feinfühlig war. […] Im Jahr 1937 und noch einmal, von 1939 bis 1940, befand sich Ilse Geuze in der Hilfsschule in

337 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Kommando der Sicherheitswache Pol.-Wachzimmer Hötting, 19.09.1946. 338 Email von Wolfgang Schwaiger vom 11.04.2018 an die Verfasserin. 339 Es konnten keine Hinweise darauf gefunden werden, dass die Gestapo, die grundsätzlich für politische Delikte zuständig war, Kinder entführte um sie so der Kindereuthanasie zuzuführen. 340 TLA, RStH, Abt. IIIa1, Transportliste No 46, 10.12.1940; Besonders interessant ist, dass es in Fieberbrunn Erzählungen über zwei weitere potentielle Euthanasieopfer gibt, die nur durch mutiges Engagement Dritter verschont blieben. Dem überaus engagierten Dorfchronisten Wolfgang Schwaiger wurde zum einen berichtet, dass sich die „Fremdartigkeiten“ einer Maria E. nach dem Brand des elterlichen Bauernhauses manifestiert hätten und sie deshalb „in der kritischen Zeit versteckt gehalten“ wurde. Zum anderen wird von Mathias K. berichtet, welcher „spastisch behindert und den Leuten ob seines trockenen Humors weitum bekannt“ war. Als Ortsgruppenführer Stockklausner und Bürgermeister Gruner Mathias zur Euthanasie abholen wollten habe seine Mutter Anna vehement protestiert, sodass die beiden Männer unverrichteter Dinge wieder gingen. Schwaiger zitiert hier dieselbe Zeitzeugin wie zuvor, eine Frau Erika P., Johanns Cousine.

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Bludenz. Den ersten Aufenthalt musste sie auf Grund einer Krankheit im November 1937 abbrechen. In einem diesbezüglichen Schreiben aus der Hilfsschule in Bludenz heißt es unter anderem: ‚Es wäre schade um Ilse, wenn sie wegen Krankheit ganz ohne Schulbildung aufwachsen müsste; denn aus dem Kinde läßt sich wirklich etwas machen.‘ Am 20. Februar 1940 musste Ilse […] die Hilfsschule in Bludenz verlassen, denn sie wurde aus unbekannten Gründen in ein Kinderheim in Scharnitz (Tirol) überstellt. Beim letzten Besuch ihrer Mutter und ihres Bruders klammerte sich Ilse fest an die Mutter und wollte nicht mehr loslassen. Kurze Zeit nach der Aufnahme in Scharnitz, am 29. Februar 1940, brachte man Ilse [...] in das St. Josefs- Institut in Mils […]. Am 17. Dezember 1940 erhielt Ilses Vater ein Schreiben aus der ‚Landesanstalt Hartheim‘, in welchem ihm mitgeteilt wurde, dass seine Tochter dorthin verlegt worden war. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Ilse [...] zu dieser Zeit bereits nicht mehr am Leben war.“341

Ilse wurde elf Jahre alt.

„Der Vater von Ilse Geuze hatte auf die Zustellung der sterblichen Überreste der Ilse Geuze beharrt und auch eine Urne zugeschickt bekommen. Diese wurde aber nicht auf dem örtlichen Friedhof bestattet, sondern bis zum Tod von Ilses Vater, Johann Georg Geuze auf dem Dachboden des Hauses gelagert. Bei dessen Beerdigung 1983 wurde seinem Grab die Urne beigegeben und Ilses Name findet sich noch heute dort auf dem Grabstein.“342

341 Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim, Lebensspuren. Ilse Geuze, o.D., [http://lebensspuren.schloss-hartheim.at/index.php/2-biografie/17-ilse-geuze], eingesehen am 20.01.2019. 342 Kurt Bereuter, Ilse Geuze, in: Lebensspuren. Biografische Skizzen von Opfern der NS- Tötungsanstalt Hartheim, hrsg. v. Florian Schwanninger / Irene Zauner-Leitner, S. 201 – 204, S. 201 – 202.

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Abbildung 11: Ilse Geuze (Quelle: lebensspuren.schloss-hartheim.at)

Irene Rosa V.: Ihr Mittelname scheint im Abtransportierten-Verzeichnis nicht auf, allerdings stimmt das Geburtsdatum, der 05. April 1929, mit den Quellen in Freiburg überein. Laut Einwohnermeldekarte kam sie nämlich in Freiburg im Breisgau mit österreichischer Staatsangehörigkeit zur Welt. Ihre unverheiratete Mutter, Sofie V., geb. 1905 in Gries am Brenner, wohnte von 1927 bis 1930 in Freiburg, das heißt, dass Frau V. und ihre Tochter zum Zeitpunkt des Eintritts ins St.-Josefs-Institut, 17. April 1931, bereits nicht mehr im Breisgau – von dort wurde generell in die Tötungsanstalt Grafeneck „überstellt“ -, sondern wahrscheinlich wieder in Tirol lebten.343 Das Taufbuch von Gries bestätigt die Daten zu Sofia und ihrer Tochter. Außerdem heißt es in der Heimatrecht-Kartei von Gries, dass Sofias Vater 1937 in Innsbruck verstorben ist.344

343 Email von Hans-Peter Widmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Stadtarchiv Freiburg im Breisgau vom 01.03.2019 an die Verfasserin. 344 Email von Gerhard Larcher, Ortschronist der Gemeinde Gries am Brenner, vom 30.01.2019 an die Verfasserin. Darin wurde sowohl der Taufbucheintrag zu Sofia V. als auch die Karteikarte über das „Heimatrecht“ Franz V.s übersendet.

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Es erscheint möglich, dass der eben genannte seine unverheiratete Tochter, Sofia V., mit nach Innsbruck nahm, als er dorthin übersiedelte. Dies würde auch erklären, warum Josef V. laut Abtransportierten-Verzeichnis am 18. Dezember 1933 in Innsbruck geboren wurde.345 Leider wurde weder in Innsbruck noch in Gries ein Taufbucheintrag zu Josef gefunden aber der Bundespolizeidirektion Innsbruck zufolge war Irenes Mutter auch als Mutter des kleinen Josef im St.-Josefs-Institut vermerkt.346 In der Liste der Angehörigen werden allerdings für die beiden Opfer verschiedene Personen angegeben, es scheint also gut möglich, dass Irene und Josef Halbgeschwister waren, die nicht gemeinsam aufwuchsen. Letzte Zweifel über den genauen Verwandtschaftsgrad zwischen Irene und Josef können allerdings nicht ausgeräumt werden: Leider hat auch die Gemeinde Axams, wo Josefs Onkel Gottfried lebte, keinerlei Informationen zur Person.347 Josef trat am 10. September 1939 ins St.-Josefs-Institut ein und wurde von dort über Niedernhart nach Hartheim deportiert. Er wurde höchstwahrscheinlich keine sieben Jahre alt.348 Seine Tante Maria H. gab bei der Polizei an, dass sie Josef 1940 in Mils besuchen wollte, ihr aber damals gesagt wurde, er sei in ein anderes Heim gebracht worden. Seitdem habe sie nichts mehr von Josef erfahren und gehe davon aus, dass er nicht mehr lebe.349 Laut Verzeichnis der 706 getöteten Geisteskranken verstarb Josef offiziell am 10. Januar 1941 in Hartheim. 350 Wer der Adressat dieser dreisten Falschmeldung war, ist unbekannt. Hiltrud R. kam dem Abtransportierten-Verzeichnis zufolge am 13. Mai 1928 in Innsbruck als erstes von fünf Kindern der Eheleute Margaretha und Ludwig R. zur Welt.351 Ihr

345 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 346 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, BPDion Innsbruck an das Gendarmeriekommando in Gries/Brenner, 13.09.1946. 347 Email von Martin Leis vom 11.02.2019 an die Verfasserin. 348 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 349 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Matrei a. Br., 27.09.1946. 350 TLA, BPDion Innsbruck, 6/1, S. 89.

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Vater war Beamter der Landeshypothekenanstalt in Innsbruck.352 Am 14. April 1939 kam Hiltrud in die Anstalt in Mils.353 Das zwölfjährige Mädchen sei laut NS-Totenschein am 18. Januar 1941 im Hadamar an einer Hirnhautentzündung verstorben.354 Tatsächlich fiel sie als eine der 67 am 10. Dezember 1940 von Mils abtransportierten Personen der NS-Euthanasie zum Opfer.355 Ingeborg S. wurde am 26. Mai 1927 in St. Johann in Tirol als erstes Kind der frisch verheirateten Eheleute Maria Karolina und Emmerich S., einem Oberlehrer, geboren.356 Als Kleinkind lebte Ingeborg bei der Großfamilie (Großmutter und Tante) in Hall, da es ihren Eltern, die nach der Geburt des zweiten Kindes nach Gries am Brenner gezogen waren, an Platz und Geld mangelte. In der Familie erzählt man sich, dass sich die kleine Ingeborg bei einer Zugfahrt im damals üblichen offenen Zugwaggon eine „Erkältung“ holte, die nicht besser wurde. Schlussendlich sei bei Ingeborg eine Hirnhautentzündung diagnostiziert worden, von der sich das junge Mädchen nicht richtig erholte, weswegen sie im Krankenhaus geblieben sei, wo sie ihre Mutter besuchte.357 Einen Monat nach der Geburt ihres dritten Geschwisters wurde Ingeborg noch vierjährig ins St.-Josefs-Institut aufgenommen und von Mils am 10. Dezember 1940 Opfer der Euthanasie.358 Ingeborg starb nicht wie gemeldet am 8. Januar 1941 in Hartheim an

351 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]; TLA, Evidenzarchiv, Meldezettel der Stadt Innsbruck, Meldezettel des Ludwig Reichart. 352 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Anschriften der Angehörigen der am 10.12.1940 abtransportierten Pfleglinge, [21.05.1946]. 353 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 354 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Kommando der Sicherheitswache Pol.-Wachzimmer Kettenbrücke, 14.09.1946. 355 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 356 Email von Gerhard Larcher, dem sehr engagierten Dorfchronisten von Gries am Brenner, vom 12.02.2019 an die Verfasserin; Köfler, Euthanasie, S. 505.

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Miliartuberkulose359, sondern wurde mit 13 Jahren dort umgebracht.360 Die Familie habe nebst der Todesmeldung eine Rechnung zum Begleichen der Einäscherungskosten erhalten. Die offiziellen Angaben zu Ingeborgs Tod glaubte die Familie nicht, doch die Angst hielt sie davon ab, Nachforschungen anzustellen.361 In ihrem Geburtsort wurden 1945 laut Bürgermeister „zahlreiche Schriftstücke und sonstige Unterlagen“362 verbrannt, und auch in Gries am Brenner konnten keine Aufzeichnungen zu Ingeborg gefunden werden. Im Eintrag zu Ingeborg in der Heimatrolle der Gemeinde ist lediglich handschriftlich „verstorben“ vermerkt.363

357 Ein diesbezüglicher Akteneintrag existiert im LKH Hall allerdings nicht. Es ist theoretisch möglich, dass Ingeborg in die Klinik nach Innsbruck gebracht wurde, allerdings gibt es im TLA auch dazu keinen Nachweis und es erscheint unwahrscheinlich, dass das Kind dort längerer Zeit war, da die PatientInnen, die längere Betreuung bedurften, im Normalfall nicht in Innsbruck behalten, sondern eben nach Hall oder in eine andere Anstalt (St.-Josefs-Institut?) überstellt wurden. 358 Email von Gerhard Larcher, dem sehr engagierten Dorfchronisten von Gries am Brenner, vom 12.02.2019 an die Verfasserin; Köfler, Euthanasie, S. 505. 359 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Gries a. Br., 20.09.1946. 360 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 361 Email von Markus Sprenger vom 26.02.2019 an die Verfasserin. 362 Email von Peter Fischer, Bürgermeister von St. Johann in Tirol, vom 27.02.2018 an die Verfasserin. 363 Email von Gerhard Larcher vom 08.02.2019 an die Verfasserin.

90 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Abbildung 12: Ingeborgs Mutter (li), Ingeborg (Mitte), eine Nachbarin (re). Dank gebührt Markus Sprenger, der dieses Bild zur Verfügung gestellt hat.

Ein Eintrag im Kitzbühler Taufbuch zu Maria V. liegt nicht vor, allerdings wurde 1922 ein Junge mit diesem Nachnamen geboren – eine Familie V. gab es in Kitzbühel also,364 und es wird davon ausgegangen, dass die Schreibweise auf dem Abtransportierten-Verzeichnis der korrekten entspricht – in den Gendarmeriemeldungen nämlich ist von einer Maria Kunigunde W. die Rede. Sie wurde am 13. oder 14. Dezember 1924 als eheliche Tochter von Johann und Maria geboren. Mit zweieinhalb Jahren soll Maria einen Unfall gehabt haben in dessen Folge sie an „Herzkrämpfen“ litt, die sich nicht besserten.365 Außerdem war sie zwei Mal in der Innsbrucker Kinder-Nervenklinik in Behandlung. Vor der Polizei sagte ihre Mutter folgendes aus: „Im Mai

364 TLA, Taufbuch 1918-1924 mit Index_MF 1410-4. 365 Ein Herzkrampf ist ein „anfallartig einsetzender krampfartiger Schmerz in der Herzgegend“, der oft bei Angina pectoris oder Herzrhythmusstörungen auftritt. Academic, Herzkrampf, 2012, [http://universal_lexikon.deacademic.com/169732/Herzkrampf], eingesehen am 20.03.2019.

91 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

1940 bildete sich meine Tochter kurzerhand ein in das Josefini Institut nach Mils zugehen, weil sie dort auch etwas lernen kann.“ Dies gelang wenig später: Am 6. Juni 1940 trat Maria offiziell ein.366 Auf dem Abtransportierten-Verzeichnis No 46 ist explizit vermerkt, dass Maria „Epilept. nicht schwachsinnig“ war.367 Wollte man mit diesem Hinweis Maria vor der Deportation bewahren, so blieb dieser Versuch erfolglos. Als die Eltern eine Woche vor Weihnachten erfuhren, dass man ihre Tochter nach Hartheim überstellt hatte, fuhr ihr Vater „hierauf gleich nach Alkofen [sic!] um sich dort in der Anstalt über den Grund der Überstellung zu erkundigen. Dort wurde ihm jede Auskunft, sowie auch der Besuch der Tochter verweigert.“ Am 17. Januar 1941 wurde den Eheleuten mitgeteilt, dass ihre Tochter am 12. Januar „plötzlich gestorben sei und der Leichnam am 13.1.46 eingeäschert wurde.“ Ca. sechs Wochen darauf wurde den Angehörigen eine Urne zugestellt.368 Peter K.369 kam am 29. August 1922 in Hohenems als Sohn des Volksschullehrers und späteren Schulleiters Martin K. und seiner ersten Frau Rosina zur Welt. Peters Vater war ein führender NS-Funktionär370 und auch ein Onkel mütterlicherseits Mitglied der SS. Peter hatte mehrere Halbgeschwister väterlicherseits, die aus Martin K.s zweiter Ehe hervorgingen. Seinem Vater wurde mitgeteilt, dass Peter am 8. Januar 1941 in Hartheim an Ruhr gestorben sei.371 Zuvor hatte man ihn noch schriftlich darüber in Kenntnis gesetzt, dass sein Sohn in Hartheim gut angekommen sei und Besuche „unstatthaft“ waren. Telefonische Auskünfte wurden dem Vater

366 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Kitzbühel, 20.05.1946. 367 TLA, RStH, Abt. IIIa1, Zl. M-XI 1941, Verlegung von Patienten in andere Anstalten, Transportliste No 46, o. D. 368 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Kitzbühel, 20.05.1946. 369 Email von Arnulf Häfele, ehemaliger Vizebürgermeister von Hohenems, vom 27.02.2018 an die Verfasserin; Telefonat mit Arnulf Häfele am 18.02.2019. 370 Martin P. war seit 1938 Mitglied der NSDAP, leitete Schulungen für die Partei, ab 1942 bei der SA, politischer Leiter und nach § 17 Abs 2 des Nationalsozialistengesetzes BGB1 25/1947 belastet. Vielen Dank gilt es an dieser Stelle Arnulf Häfele auszusprechen, der diese Informationen aus Hohenems teilte. Email von Arnulf Häfele vom 20.2.2019 an die Verfasserin; Telefonat mit Arnulf Häfele am 18.02.2019. 371 Als „Ruhr“ bezeichnet man eine meist bakterielle Darminfektionen, die oftmals mit Fieber und Durchfall einhergehen. Frank Antwerpes, Ruhr, in: DocCheck Flexion, o. D., [https://flexikon.doccheck.com/de/Ruhr], eingesehen am 12.03.2019.

92 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut nicht erteilt.372 Tatsächlich wurde Peter am 10. Dezember 1940 von Mils nach Hartheim gebracht und dort vergast, von „gut angekommen“ kann keine Rede sein.373 Auf dem Familiengrabstein ist Peter aufgeführt.374 Josef W. wurde am 30. Dezember 1921 in Innsbruck als ältestes von insgesamt acht Kindern Maria W.s und des Kriegsvaliden Alois W.s geboren.375 Außerdem hatte Josef zwei Halbgeschwister väterlicherseits. Mit drei Jahren erkrankte er an „Kopfgrippe“376, wenig später begann er, „mit den Fingern eigenartige Bewegungen“377 zu machen und verlernte das Sprechen. Josef war taubstumm und hatte einen ausgeprägten Bewegungsdrang. Im Juni 1928 brachte ihn seine Mutter von Zams, wo die Familie lebte, in die neurologisch-psychiatrische Klinik nach Innsbruck, wo man „Idiotie“ diagnostizierte und ihn weiter in die HPA nach Hall verwies. Dort wurde er am 30. Juni aufgenommen. Von Hall kam Josef in das St.-Josefs-Institut, das er allerdings schon 1929 wieder verlassen musste: „Der Knabe muss deshalb in der Anstalt [Hall] gehalten werden, weil er im Josefsinstitute in Mils mit dem Feuer spielte und dadurch das Haus gefährdete.“378 Josef schien ein aufgewecktes Kind gewesen zu sein, wie folgender Auszug aus der Krankenakte zeigt: „[…] läuft bald auf diesem [sic!] bald auf jenem [!] Pfleger oder Mitpatienten zu, guckt denselben neugierig in die Taschen, oder will dass man sich mit ihm beschäftigt. Bringt nach wie vor keinen artikulierten Laut hervor […]. Patient isst selbst, hält sich rein, und macht in der Pflege keine Schwierigkeiten. Wird wegen Platzmangel [innerhalb der Anstalt] versetzt.“379

372 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Hohenems, 22.09.1946. Diese Herangehensweise entsprach dem Standardverfahren der T4-Aktion. 373 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 374 Telefonat mit Arnulf Häfele am 18.02.2019. 375 TLA, Evidenzarchiv, Meldezettel der Stadt Innsbruck, Meldezettel des Alois Wiederin. 376 DerSpiegel, Medizin. Kopfgrippe-Folgen, 21.02.1951, [http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-29193321.html], eingesehen am 07.02.2019. 377 Historisches Archiv (fortlaufend HA abgekürzt) Landeskrankenhaus Hall (fortlaufend LKH abgekürzt), Krankenakt (fortlaufend KA abgekürzt) J. W., 1935, (VA V/847). 378 HA LKH, KA J. W., 1935, (VA V/847), Brief an die Tiroler Landesregierung bzgl. Kosten. 379 HA LKH, KA J. W., 1935, (VA V/847).

93 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Am 4. Dezember 1935 wurde Josef abermals nach Mils überstellt und lebte dort, bis er am 10. Dezember 1940 abgeholt und somit Opfer der Euthanasie wurde.380 Johann H. kam am 26. Juni 1921 in Untermais bei Meran als eheliches Kind von Antonia und Johann zur Welt. Die Gemeinde Meran381 hat leider keine Informationen zu Johann und auch sonst konnten keine weiteren Quellen zur Person gefunden werden, sodass die Widersprüchlichkeiten im Abtransportierten-Verzeichnis und der Gendarmeriemeldung bezüglich des Eintritts ins Institut nicht vollständig geklärt werden konnten: Auf dem Abtransportierten-Verzeichnis ist der 21.3.1940 vermerkt. Laut Gendarmerie allerdings brachte die Mutter Johann erst Anfang Dezember 1940 ins St.-Josefs-Institut „weil er ein Kretin und zu jeder Arbeit unfähig war“382. Nach zehn-tägigem Aufenthalt sei er von Dr. Czermak für die Deportation ausgesucht worden. Hier sei erwähnt, dass ein Eintritt ins Institut vor dem Stichtag für die Meldebogen (1. Juli 1940) um einiges wahrscheinlicher ist, da diese die Grundlage für die Transportlisten darstellten. Am 29. Dezember bekam die Mutter „von einer ihr nicht mehr bekannten Anstalt die Nachricht, dass ihr Sohn Johann an einer Lungen-und Rippfellentzündung gestorben“383 war. Hugo Roman Anton S. kam am 22. April 1920 in Innsbruck als jüngerer von zwei Söhnen seines Vaters Albrecht und seiner Mutter Amalia zur Welt. Albrecht, ein Maschinenmeister in einer Druckerei, verstarb zwei Jahre nachdem Hugo am 15. November 1933 im St.-Josefs-Institut eintrat.384 Von Mils wurde Hugo mit zwanzig Jahren nach Hartheim gebracht und dort getötet.385 Seiner Mutter berichtete man währenddessen skrupellos, er sei in

380 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 381 Email von Martina Rechenmacher, Gemeinde Meran, vom 01.03.2018 an die Verfasserin. 382 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Wattens, 22.05.1946. 383 Ebd. 384 TLA, Evidenzarchiv, Meldezettel der Stadt Innsbruck, Meldezettel des Albrecht Scheran; Köfler, TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946].

94 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Pirna an einem Anfall gestorben.386 Regina F. wurde laut Meldekartei am 19. März 1919 in Hall in Tirol geboren.387 Sie war das jüngste Kind des Malers Alois und seiner Frau Aloisia. Ihr ältester Bruder, Albert, war Patient in der HPA Hall und verstarb am 25.2.1940.388 Regina kam am 19. Juni 1940 ins St.- Josefs-Institut, von wo aus sie kein halbes Jahr später nach Hartheim deportiert wurde.389 Ihre Mutter erhielt am 17.1.1941 die Nachricht, dass ihre Tochter dort an Typhus verstorben sei.390 Weitere Angaben lassen sich zu Frau F. leider nicht machen, da weder Hall noch Thaur, der Geburtsort der Mutter, in den diese offensichtlich nach dem Tod ihres Mannes 1934 zurückkehrte391, weitere Hinweise zu ihr haben und auch in den gesichteten Aken nicht mehr gefunden wurde. Aloisia V. kam am 23. Mai 1918392 in Mühlbachl bei Matrei zur Welt. Ihre Mutter brachte sie als Siebenjährige ins St.-Josefs-Institut, wo sie bis zum 7. Oktober 1933 lebte. Die Milser Anstalt suchte in der HPA um Aufnahme von Aloisia an, was gewährt wurde. Auffällig ist, dass es der Patientin in Mils sichtlich besser erging (siehe Abb.13), als das in Hall der Fall war: In der HPA wurde ihr „hochgradige Idiotie“ diagnostiziert, war sie in „allem vollkommen pflegebedürftig“ und wurde mindestens zwei Mal isoliert.

385 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 386 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Kommando Sicherheitswache Pol.-Wachzimmer Rathaus, 15.09.1946. 387 Zumindest das Jahr lässt sich im Taufbuchindex bestätigen. TLA, Taufbuchindex 1845-1944_MF 0961-4. 388 Email von Alexander Zanesco, Stadthistoriker Hall in Tirol, vom 11.02.2019 an die Verfasserin. 389 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 390 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Kriminalpolizei Hall i. T., o. D. 391 Ebd.; Email von Josef Bertsch, Chronos-Verein für Dorfgeschichte Thaur, vom 07.02.2019 an die Verfasserin. 392 Auf dem Abtransportierten-Verzeichnis ist das Geburtsjahr 1915 angegeben, tatsächlich ist Aloisia 1918 geboren, wie ein Blick in ihre Krankenakten im LKH Hall zeigen.

95 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Abbildung 13: Mitteilung des St.-Josefs-Instituts an die HPA Hall bzgl. Aloisia V. (Quelle: HA LKH, (VA V/3286)) Mitte Februar 1934 entließ man Aloisia aus Hall und brachte sie ins Armenhaus Fulpmes. Dort lebte sie gesichert bis Ende Mai 1939, als der Landrat Dr. Hirnigel „Heil Hitler“-grüßend Interesse an Aloisias Haller Krankenakte bekundete.393 Am 7. August 1939 jedenfalls trat sie wieder ins St.-Josefs-Institut ein und wurde somit zu einem der nach Hartheim deportierten Milser Opfer.394 Die Gemeinde Mühlbachl hat auf wiederholte Anfragen leider nicht reagiert. Der Kärntner Gemeinde Heiligenblut, in der Aloisias Mutter mit dem Gastwirt Franz O., der Aloisias Vormund war, wohnte, sind leider keine Informationen zu Aloisia, ihrer Mutter oder ihrem

393 HA LKH, KA A. V., 1934, (VA V/3286), Bezirksmannschaft Innsbruck an die Direktion der Heil- und Pflegeanstalt, 27.05.1939. 394 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946].

96 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Stiefvater bekannt.395 Anna J. wurde laut Abtransportierten-Verzeichnis am 14. April 1917 in „Brixen Fritzens“ geboren und trat im Juni 1936 ins St.-Josefs-Institut ein, von dem aus sie im Euthanasietransport nach Hartheim ihrer Ermordung entgegen fuhr.396 Diese Angaben konnten leider nicht verifiziert werden, da die Südtiroler Gemeinde Brixen und das Tiroler Brixen im Thale sowie Fritzens keinerlei Informationen zu Frau J. haben.397 Ebensowenig ist ein Eintrag im Taufbuch oder den gesichteten Akten zu finden. Laut Abtransportierten-Verzeichnis trat Anna am 9. Juni 1936 ins St.-Josefs-Institut ein, von dem sie am 10. Dezember 1940 nach Hartheim deportiert wurde.398 Ihrer Mutter wurde mitgeteilt, dass Anna am 5. oder 6. Januar 1941 dort verstorben sei und „nach München zur Verbrennung und Beisetzung überführt worden“ war – Lügen zur Tarnung der Behindertenmorde.399 Am 23. Juli 1916 gebar Rosa F. in Kössen laut Taufbuch einen ledigen Sohn, Otto F., getauft auf den Namen „Otto Johannes“.400 Otto und seine Mutter scheinen in den 1920er Jahren aus Kössen weggezogen zu sein, da ihr Name in der Gemeinde nicht mehr aufscheint und sich eventuelle Zeitzeugen nicht an eine Familie F. in den 1940er Jahren erinnern können.401 Dies bestätigt sich mit einem Blick auf die Gendarmeriemeldungen von 1946 in denen Kössen mit „Leermeldung“ auf die Frage, ob es in diesem Ort Euthanasieopfer gab, antwortete.402 Ob sie

395 Email von Josef Bernhard, Amtsleiter Gemeinde Heiligenblut am Großglockner, vom 19.02.2019 an die Verfasserin. 396 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 397 Email von Werner Elsässer, Gemeindeamtsleiter Fritzens vom 05.02.2019 an die Verfasserin; Email von Robert Fuchs, Gemeinde Brixen im Thale vom 28.02.2018 an die Verfasserin; Email von Hubert Mock, Stadtarchiv Bressanone, vom 25.02.2019 an die Verfasserin. 398 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 399 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Wattens, 17.09.1946. 400 TLA, Taufbuch 1915-1943 mit Index_MF 1434-1. 401 Email von Stefan Mühlberger, Ortschronist Kössen, vom 12.03.2018, an die Verfasserin. 402 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Kössen, 18.05.1946.

97 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut nach St. Johann gezogen sind, wo Ottos Vater gewohnt hat403, konnte nicht verifiziert werden, diesbezügliche Aufzeichnungen existieren nicht.404 Otto trat laut Abtransportierten-Verzeichnis am 2. Juli 1924 ins St.-Josefs-Institut ein. Am 10. Dezember 1940 wurde er nach Hartheim gebracht und dort ermordet.405 Maria J. wurde am 30. April 1915 in Söll unehelich geboren. Sie trägt den gleichen Namen wie ihre Mutter; ein Vater ist nicht angegeben.406 Im März 1940 kam sie zu den Barmherzigen Schwestern nach Mils. Vom St.-Josefs-Institut wurde sie in die Tötungsanstalt Hartheim deportiert.407 Weder in der Gemeinde408, noch in den Unterlagen der Bundespolizei über die Euthanasie in Tirol konnten weitere Informationen zu Maria J. eruiert werden. Ebensowenig liegen in Scheffau Informationen zu Maria J., obwohl dessen Bürgermeisteramt in der Liste der Angehörigen in den Gendarmeriemeldungen aufgeführt ist.409 Die Bauerstochter Anna Katharina L.410 wurde am 1. Februar 1915 in Ladis geboren.411 Sie trat als Fünfjährige ins St.-Josefs-Institut ein von wo aus sie im Dezember 1940 von den GEKRAT-Bussen abgeholt und damit Opfer der NS-Euthanasie wurde.412

403 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Anschriften der Angehörigen der am 10.12.1940 abtransportierten Pfleglinge, [21.05.1946]. 404 Email von Peter Fischer, Kulturreferat St. Johann in Tirol, vom 12.02.2019 an die Verfasserin. 405 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 406 TLA, Taufbuch 1907-1936 mit Index_MF 1451-1. 407 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 408 Email von Peter Erhart, Gemeindeamtsleiter Söll, vom 09.03.2018 an die Verfasserin. 409 Email von Diana Sojer, Gemeindeamt Scheffau am Wilden Kaiser, vom 18.02.2019 an die Verfasserin. 410 Ihr Nachname wurde auf dem Abtransportierten-Verzeichnis falsch geschrieben und sollte stattdessen mit dem ihrer Schwester identisch sein. 411 TLA, Taufbuch 1895-1928 mit Index_MF 0693-4. 412 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946].

98 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Ihre ältere Schwester Maria L. – sie hieß, anders als im Abtransportierten-Verzeichnis angegeben nicht Anna Maria – war am 9. März 1914 zur Welt gekommen.413 Sie folgte laut Abtransportierten-Verzeichnis ihrer jüngeren Schwester zwei Jahre später am 9. April 1922 ins Milser Institut nach.414 Laut Gendarmeriemeldung allerdings wurden beide Töchter bereits 1919 von ihren Eltern ins St.-Josefs-Institut gebracht. Gesichert ist, dass sowohl Anna, als auch Maria dasselbe Schicksal ereilte: Ende Februar 1940 wurden die Ehelaute L. von Hartheim darüber verständigt, dass ihre jüngere Tochter am 7.2.1941 und die ältere einen Tag darauf an Ruhr verstorben sein. Ob die Angehörigen die Asche „nach vorheriger Einsendung von RM 100.- aus München beansprucht“415 haben, bleibt, anders als die tatsächliche Todesursache – Mord –, ungeklärt.416 Josef S. kam am 29. Juli 1914 in Lienz zur Welt und wurde drei Tage später auf den Namen Josef Anton getauft. Sein Vater war „ein rabiater, dem Trunke ergebener Mensch“, wie seine Frau in Hall angab, von dem sein Sohn „viel[e] Schläge auf den Kopf bekommen“417 hat. Josef sei bis er ca. zwei Jahre alt war ein unauffälliges Kind gewesen, das immer schon lieber allein gespielt habe und offensichtlich und verständlicherweise große Angst vor seinem Vater hatte. Er wurde immer unruhiger und aggressiver und verlernte das Sprechen für einige Monate. Mit seinen zwei jüngeren Schwestern hatte er einen „guten Umgang“, wenngleich seine einzige Bezugsperson seine Mutter war, mit der er gerne spazieren ging und Blumen sammelte. Zum ersten Mal wurde Josef mit fünf Jahren im Sommer 1919 in der Klinik in Innsbruck als Patient mit der Diagnose „Erethischer Schwachsinn“418 aufgenommen und im Herbst wieder entlassen. 1925 wurde er von Bischof Waltz gefirmt.419 Zwei Jahre darauf wurde Josef wieder in der Klinik aufgenommen und nach 26-tägigem Aufenthalt in das St.-Josefs-Institut entlassen. Auch bei der damaligen Untersuchung wurde klar ersichtlich, dass „Seppeln“, wie er sich selbst nannte, große

413 TLA, Taufbuch 1895-1928 mit Index_MF 0693-4. 414 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 415 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Serfaus, 20.05.1946. 416 Die Gemeinde hatte keinerlei Informationen zu den beiden Schwestern. Email von Florian Klotz, Bürgermeister Ladis, vom 25.01.2019 an die Verfasserin. 417 HA LKH, KA J. S., 1937, (VA V/4300), Landes-Heil- und Pflege-Anstalt, Hall, Tirol, Krankheitsverlauf.

99 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Angst vor den Schlägen des Vaters hatte, gegen den die Mutter eine „Ehescheidungsklage wegen Trunksucht“ eingereicht hatte. In den Jahren zwischen 1927 und 1937 „pendelte“ Josef zwischen dem St.-Josefs-Institut, der Innsbrucker Klinik, und der HPA in Hall, da die Mutter „ihn vor allem wegen des schlechten Beispiels für die anderen zwei Kinder nicht zuhause haben“420 konnte. Josef hingegen hatte großes Heimweh. In Hall vermerkte man 1937, vor seinem letzten Übertritt nach Mils, in der Krankenakte: „Immer das Gleiche; handiert [sic!] bei der Arbeit so kopflos, daß er je nach Arbeit nicht mitgenommen werden kann.“421 Diese „Kopflosigkeit“ war in dem menschenverachtenden NS-System Grund genug, ihn 1940 in Hartheim zu töten. Seiner Mutter hingegen schrieb man, ihr Sohn sei am 8. Januar 1941 an den Folgen eines schweren Halsleidens gestorben.422 Agnes W. kam am 16. Februar 1914 in Völs zur Welt.423 Ein Jahr vor der Deportation nach Hartheim wurde sie im St.-Josefs-Institut aufgenommen. Sie trug die Identifikationsnummer 48 im „Verzeichnis der am 10. Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i. T. abtransportierten Pfleglinge“424. Wie so oft konnte der Geburtsort keine Angaben zum nachgefragten Opfer machen.425 Auch in der Gemeinde St. Johann, in dessen

418 „Erethisch“ bedeutet so viel wie „reizbar“ und bezieht sich auf die Aggressivität der PatientInnen. Die Begrifflichkeit „eretischer Schwachsinn“ steht in der Tradition des „therapeutischen Nihilismus“. Psychische Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten, die laut Theunissen in der Regel unmittelbarer Ausdruck geistiger Behinderung sind, wurden dabei als bezeichnende Ausprägungen verstanden, die als „unheilbar“ angesehen und folglich in dieser Gedankenschule keinen therapeutischen Aufwand wert waren. Albert Lingg / Georg Theunissen, Psychische Störungen und geistige Behinderungen. Ein Lehrbuch und Kompendium für die Praxis, Freiburg im Breisgau 2013, S. 13. 419 TLA, Taufbuch 1902-1918_MF 1010-7, MF 1011-1. 420 HA LKH, KA J. S., 1937, (VA V/4300), Krankheitsverlauf. 421 Ebd. 422 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Lienz, 26.9.1946. 423 TLA , Taufbuch 1860-1926 mit Index_MF 0695-3. 424 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 425 Email von Sandra Jenewein, Sekretariat Völs, vom 13.03.2018 an die Verfasserin.

100 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Armenhaus Angehörige von Agnes gelebt haben sollen426, liegen keinerlei Aufzeichnungen zu ihr auf.427 Maria N. wurde laut Taufbuch am 7. Januar 1914 in Hötting, Innsbruck, geboren.428 Auf dem Abtransportierten-Verzeichnis ist als Datum ihres Eintritts ins St.-Josefs-Instituts der 15. Mai 1937 angegeben. Sie wurde am 10. Dezember 1940 von Mils nach Hartheim deportiert und dort umgebracht.429 Ihre Eltern Josef und Fanni erhielten am 9. Januar 1941 die erfundene Nachricht, dass ihre Tochter in Reichenberg b. Linz an Ruhr verstorben sei. Einige Monate später wurden sie außerdem darüber informiert, dass Mariannes – so nannten sie ihre Tochter – Urne in München sei.430 Wie der Heimatrolle zu entnehmen ist, wurde Josef K. am 31. Mai 1913 in Hochfilzen als Sohn einer ursprünglich 14-köpfigen, armen Bergbauernfamilie geboren.431 Die Familie wurde auf Intervention der Gemeinde und des Landes Tirol in Wohnungen bzw. Heimen in Hochfilzen bzw. in benachbarten Orten untergebracht. Sebastian Eder, Altbürgermeister aus Hochfilzen und nun dessen Ortschronist, der die Recherche mit viel Engagement unterstützt hat, erzählt: „Ca 2/3 der Kinder waren minderbegabt, schwerhörig bzw. zum Teil auch taubstumm – wobei die Ursachen dafür auch eine Folge der sozialen Verhältnisse bzw. besonders in Bezug auf die Hörminderung wohl eine Folge mangelhafter ärztlicher Versorgung waren.“ Josef wurde laut einer Zeitzeugin zusammen mit seiner taubstummen Schwester Anna im Jahre 1940 – in dem Abtransportierten-Verzeichnis wird sein Eintritt ins St.-Josefs-Institut bereits im September des Vorjahres vermerkt – nach Mils gebracht. Anna hat dort angeblich bis Kriegsende im Taubstummenheim gearbeitet und ist nach dem Krieg nach Hochfilzen zurückgekehrt. In der Heimatrolle ist als Sterbedatum von Josef der 17. Januar 1941 eingetragen – wie in den

426 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Anschriften der Angehörigen der am 10.12.1940 abtransportierten Pfleglinge, [21.05.1946]. 427 Email von Peter Fischer vom 12.02.2019 an die Verfasserin. 428 TLA, Taufbuch 1913-1923_MF 0722-2. 429 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 430 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Kommando der Sicherheitswache Pol.-Wachzimmer Hötting, 16.9.1946. 431 TLA, Taufbuch 1890-1921 mit Index_MF 1462-1.

101 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Heimatrollen üblich ohne Kommentar und in diesem Fall auch ohne Ortsangabe.432 Die Gemeinde muss ergo von irgendeiner Stelle aus vom Tod verständigt worden sein. Eine 91- jährige Zeitzeugin, die in der Nachbarschaft aufgewachsen ist, hat Herrn Eder berichtet, dass „die Mutter von Josef die Urne nicht angenommen hat, weil sie der Meinung war, dass ‚er da sowieso nicht drin ist‘, bzw. dass da ‚sowieso alles zusammengemischt worden ist‘.“ Es war laut Zeitzeugen gemeinhin bekannt, dass „Unterböden-Sepp“ abgeholt und umgebracht worden war.433

Rudolf P. wurde am 10. Februar 1912 in Innsbruck-Hötting als erstes Kind der Eheleute Rudolf und Karolina P. geboren.434 Im November 1935 trat er ins St.-Josefs-Institut ein. Er ist als Nr. 63 auf dem Abtransportierten-Verzeichnis aufgeführt und so am 10. Dezember in die Tötungsanstalt Hartheim deportiert und dort ermordet worden.435 Seine Mutter Karolina war in Absam wohnhaft436, wo leider keine Informationen zu ihr oder ihrem Sohn vorhanden sind.437 Nachdem sie über den scheinbaren Typhus-Tod ihre Kindes in Hartheim informiert worden war, veranlasste sie die Überführung der Urne nach Innsbruck, wo sie „die Überreste samt Urne in Innsbruck im Städt. Westfriedhof“ beisetzen lies.438

Auf dem Abtransportierten-Verzeichnis ist angegeben, dass Edith H. am 9. November 1911 in Innsbruck-Hötting zur Welt kam. Das konnte im Höttinger Taufbuch nicht verifiziert

432 Im Verzeichnis der 706 getöteten Geisteskranken wird sehr wohl ein Ort angegeben und zwar Hadamar. Dass weder der 17.01.1941 als Todesdatum noch die Ortsangabe akkurat sind bleibt außer Frage. TLA, BPDion Innsbruck, 6/1, S. 37. 433 Email von Dr. Sebastian Eder vom 05.03.2018 an die Verfasserin. An dieser Stelle gilt es, sich ganz besonders bei Herrn Eder zu bedanken, der mit den genannten Zeitzeugen in Kontakt getreten ist, um so möglichst viel über Josef K. herauszufinden. 434 TLA, Evidenzarchiv, Meldezettel der Stadt Innsbruck, Meldezettel des Rudolf Plessinger. 435 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 436 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Anschriften der Angehörigen der am 10.12.1940 abtransportierten Pfleglinge, [21.05.1946]. 437 Telefonat mit Dorfchronist am 07.02.2019. 438 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Solbad Hall, 19.09.1946.

102 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut werden. Stattdessen geht aus ihrem Meldezettel hervor, dass Edith als lediges Kind erst 1919 geboren wurde und mit zehn Jahren in ein Waisenhaus kam, bevor sie 1933 nach Mils zog. Ab Herbst 1935 lebte sie in einem Armenhaus, wie das auch Angehörige von ihr taten439, von dem aus sie im Oktober 1939 ins St.-Josefs-Institut eintrat.440 Am 10. Dezember 1940 wurde sie über Niedernhart nach Hartheim deportiert.441 Außerdem muss eine Todesmeldung erfolgt sein, da der 8. Januar 1941 als der Tag, an dem sie in Hartheim verstorben sein soll, vermerkt ist. 442 Weitere Informationen konnten leider nicht ausfindig gemacht werden. Josef G. kam am 4. August 1909 in Söll zur Welt. Er trug den Namen seines Vaters, eines Sattlermeisters, obwohl er und Josefs Mutter nicht verheiratet waren. 1925 wurde er im gleichen Ort gefirmt.443 Zwei Jahre später kam er nach Mils, wo er bis zur Deportation am 10. Dezember 1940 lebte.444 Vom Tode ihres Kindes erfuhr Katharina erst Anfang März 1941 auf eigene Initiative, da man in Hartheim offensichtlich nur eine Frau in Söll, die sich mit Josef den Nachnamen teilte, informierte. Josefs Mutter hatte jedoch augenscheinlich geheiratet und war nach Hall gezogen (siehe Abb.14). In Söll gibt es, laut Dorfchronisten, keinerlei Überlieferungen – weder mündlich noch schriftlich – zu gebürtigen Söller Euthanasie-Opfern.445

439 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Anschriften der Angehörigen der am 10.12.1940 abtransportierten Pfleglinge, [21.05.1946]. 440 TLA, Evidenzarchiv, Meldezettel der Stadt Innsbruck, Meldezettel der Edith H. 441 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 442 TLA, BPDion Innsbruck, 6/1, S. 29. 443 TLA, Taufbuch 1907-1936_MF 1451-1. 444 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 445 Email von Peter Erhart, Amtsleiter des Gemeindeamts Söll, vom 09.03.2018 an die Verfasserin.

103 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Abbildung 14: Abschrift der Todesnachricht an Josefs Mutter vom 6. März 1941 (Quelle: TLA, BPDion Innsbruck, 6/2) 104 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Paula B. wurde laut Abtransportierten-Verzeichnis – ein Taufbucheintrag in Kirchdorf in Tirol konnte nicht gefunden werden – am 23. November 1909 geboren. Im September 1939 trat sie ins St.-Josefs-Institut ein, von wo aus sie nach Hartheim deportiert und dort ermordet wurde.446 In den Akten findet sich der Vermerk, dass eventuelle Angehörige in der „Gemeinde Kirchdorf (Salzburg) ?“ wohnhaft sein könnten.447 Allerdings konnte nicht abschließend geklärt werden, um welches Kirchdorf es sich handelt. Weder Kirchdorf in Tirol (ca. 70 km von Salzburg entfernt), noch Kirchdorf an der Krems (ca. 110 km Entfernung nach Salzburg) konnten Angaben zu Paula B. machen.448 Die bayrische Gemeinde Kirchdorf am Inn verweigerte unter Berufung auf Datenschutz und Persönlichkeitsrecht jedwede Auskunft.449 Maria S. kam am 21. Dezember 1909 in Wattens als Kind des Fabrikarbeiters Josef S. und dessen Frau auf die Welt. Mit neun Jahren wurde sie in Schwaz gefirmt.450 Im März 1934 trat sie ins St.-Josefs-Institut ein, am 10. Dezember 1940 verlies sie es für immer und wurde nach Hartheim gebracht.451 Die Urne der angeblich am 6. Januar 1941 an Typhus verstorbenen Maria wurde scheinbar von München nach Wattens gebracht. Dort wurde sie auch beigesetzt.452 Sonstige Informationen konnten nicht ausfindig gemacht werden.453

446 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 447 TLA, BPDion Innsbruck,6/2, Gendarmerieposten Ampass, Anschriften der Angehörigen der am 10.12.1940 abtransportierten Pfleglinge, [21.05.1946]. 448 Email von Astrid Ruess-Prager, Amtsleiterin in Kirchdorf an der Krems, vom 31.01.2019 an die Verfasserin; Email von Michael Keuschnick, Chronist und Gemeindearchivar von Kirchdorf in Tirol, vom 04.02.2019 an die Verfasserin. 449 Email von Susanne Birnkammer, Gemeinde Kirchdorf am Inn, vom 29.01.2019 an die Verfasserin. 450 TLA, Taufbuch 1895-1928 mit Index_MF 0693-4. 451 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 452 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Wattens, 17.09.1946. 453 Philipp Lehar forscht ebenfalls zur Euthanasie in Tirol. Seine Arbeit soll im Frühjahr 2019 veröffentlicht werden: Harald Stadler / Philipp Lehar, Endstation Hartheim. Euthanasie im Dritten Reich von Absam bis Wattens/Tirol (Heimatkundliche Blätter 15). Emailverkehr mit Mag. Philipp Lehar zwischen 02.03.2018 und 02.02.2019 mit der Verfasserin.

105 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Theresia F. wurde am 8. Februar 1907 in Jochberg als uneheliches Kind geboren – ihre Eltern heirateten erst im Oktober 1909, wie im Taufbuch vermerkt ist.454 In der Gemeindechronik Jochbergs finden sich keine Informationen über Theresia.455 Einzig, dass sie im Juni 1939 ins St.- Josefs-Institut eingetreten ist und von dort deportiert wurde, scheint auf dem Abtransportierten- Verzeichnis auf. Ihr Vater Johann, wohnhaft in Thiersee-Landl, ist als Angehöriger vermerkt, allerdings liegen auch dort heute keinerlei Informationen zu Theresia auf.456 Laut Gendarmeriemeldung brachten ihre Eltern sie bereits 1937 „freiwillig wegen Taubstummheit, Geistesschwäche und epileptischen Anfällen in die Versorgungsanstalt Mils […], da den Eltern zur Betreuung dieser Person keine geeignete Pflegeperson zur Verfügung stand.“457 Wie einer Abschrift der Todesmeldung aus Hartheim zu entnehmen ist, erdachten die Nationalsozialisten den 6. Januar 1941 als den Tag, an dem Theresia an den Folgen eines epileptischen Anfalls verstorben sein soll (siehe Abb.15).

454 TLA, Taufbuch 1900-1913 mit Index_MF 1464-3. 455 Email von Heinz Leitner, Mitarbeiter der Gemeindechronik Jochberg, vom 23.01.2019 an die Verfasserin. 456 Telefonat mit Sonja Stock, Gemeinde Thiersee, am 20.03.2019. 457 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Voderthiersee, 18.05.1946.

106 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Abbildung 15: Abschrift Seite 2 der Todesmeldung aus Hartheim an Theresias Vater (Quelle: TLA, BPDion Innsbruck, 6/2)

107 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Franz S. wurde als Franz Josef am 6. - nicht am 18, wie im Abtransportierten- Verzeichnis angegeben – August 1906 in Mils bei Hall als ehelicher Sohn eines Salinenarbeiters geboren.458 Er hatte vier ältere Geschwister, von denen eines kurz nach der Geburt verstarb, die anderen drei aber gesund waren. Er entwickelte sich, laut eigenen Angaben im Krankenakt der HPA Hall, „normal“, lernte in der Schule leicht und begann nach der Schulzeit bei seinem Onkel, einem Metzger und Viehhändler, als „Hüterbub und Vortreiber“ zu arbeiten. Mit achtzehn Jahren erkrankte er an „Kopfgrippe“, worunter man damals eine Encephalitis Epidemica – also eine ansteckende Gehirnentzündung, verstand. Nach etwa einem halben Jahr Regenerationszeit begann Franz als Hausknecht in Innsbruck bei den Jesuiten und in einem Gasthaus sowie in der Glasfabrik in Wattens zu arbeiten. Im April 1929 wurde er in der HPA Hall auf eigenes Ansuchen aufgenommen, „um eine Kur wegen Folgezuständen von Kopfgrippe durchzumachen“459. Zu diesen Folgeerscheinungen zählten vor allem „Blick-Krämpfe“, aber auch eine körperliche und kognitive Schwerfälligkeit. Nach acht Tagen hatte sich sein Zustand gebessert und er solches Heimweh, dass er wieder heim nach Hall ging. 1936 wurde in einem Gutachten von der HPA Hall attestiert, dass Franz als Folge der Encephalitis an Parkinson litt und „nicht nur erwerbsunfähig, sondern auch ausserstande seine eigenen Angelegenheiten selbst zu besorgen“460 war.. Laut dem Abtransportierten-Verzeichnis trat Franz erst im Juni 1940 ins St.-Josefs-Institut ein. Er starb in der Gaskammer Hartheims nach der Deportation vom 10. Dezember 1940.461 Laut fingierter NS-Todesnachricht sei er am 9. Januar 1941 in Hartheim an Ruhr gestorben.462 Johann O. wurde am 14. Juli 1906 in Aurach als ehelicher Sohn eines k. k. Bergarbeiters

458 TLA, Taufbuch 1880-1930_MF 0632-10, MF-633-1;HA LKH, KA F. S., 1929, (VA V/1192), Landes- Heil- und Pflege-Anstalt, Hall, Tirol, Krankengeschichte. 459 HA LKH, KA F. S., 1929, (VA V/1192), Krankheitsverlauf. 460 HA LKH, KA F. S., 1929, (VA V/1192), Gutachten, Hall i.T., 18.03.1936. 461 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 462 TLA, BPDion Innsbruck, 6/1, S. 79. Bemerkenswert ist, dass in diesem Verzeichnis vermerkt ist, Franz sei „von Hall ab“ nach Hartheim transportiert worden. Tatsächlich gilt er als eines der 67 Opfer der Deportation von Mils über Niedernhart nach Hartheim.

108 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut geboren.463 Auf wiederholte Anfragen wurde leider von Seiten der Gemeinde nicht reagiert und in den Archiven keine weiteren Hinweise zur Person gefunden, weswegen keine weiteren Informationen zu Johann vorliegen als die Angaben, die in dem Abtransportierten-Verzeichnis zu ihm gemacht wurden. Dementsprechend trat er im August 1938 ins St.-Josefs-Institut ein und wurde von dort im Rahmen der Euthanasie-Aktion im Dezember 1940 abtransportiert.464 Adele Z. wurde am 3. Januar 1906 in Telfs geboren,465 wo sie seit 1929 im „Spital“ - also im Armenhaus – war, bevor sie am 11. März 1940 nach Mils überstellt wurde. Sie war eine der InsassInnen im Todestransport nach Hartheim.466 Hugo U. wurde laut Taufbuch am 14. März 1904 in Mittersill von seiner Mutter Maria geboren. Angaben seines Bruders Paul 1946 zufolge kam Hugo 1917 in die HPA Hall, wo er von seinem Bruder sporadisch – das letzte mal 1931 – besucht wurde. Nachdem in dem Abtransportierten-Verzeichnis Hugos Eintritt in Mils auf das Jahr 1921 datiert ist467, bleibt fraglich, ob Hugos Bruder nicht das Milser Institut meinte. In der Heimatrolle ist der 06. Januar 1941 als Sterbedatum eingetragen. Obwohl dieses Datum laut Stadtarchivar Hannes Wartbichler auch einem anderen Familienmitglied zugeordnet werden kann, scheint es wahrscheinlich, dass es das von den Nationalsozialisten fingierte Todesdatum Hugo U.s ist, der zu diesem Zeitpunkt schon lange aus Mils deportiert und in Hartheim umgebracht worden war. Weitere Hinweise zu Hugo selbst fehlen, allerdings konnten einige Informationen zu seiner Familie ausfindig gemacht werden: Wenzel U., Steinmetzmeister und Bildhauer aus und seine ursprünglich aus Oberaudorf, Bayern, stammende Frau Maria sind vermutlich zwischen 1900 und 1902 nach Mittersill gezogen, da ihr erster Sohn, Paul, im April 1900 noch in Kufstein/Zell zur Welt kam, während ihre Tochter Hedwig, die nur einen Tag alt werden sollte, 1902 bereits in Mittersill

463 TLA, Taufbuch 1892-1922 mit Index_MF 1460-7. 464 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 465 TLA, Taufbuch 1892-1920_MF 0761-7, 0762-1. 466 Dietrich, Telfs, S. 401 – 403. 467 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946].

109 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut geboren wurde. Frau U. sollte nach Hugo noch zwei weitere Kinder, Alois und Maria, gebären. 1923 erhielt sie als Witwe, 1929 und 1930 auch ihre noch lebenden Kinder Paul und Maria, das Heimatrecht.468 Die Angehörigen erhielten nie Nachricht vom Tod Hugos.469 Theresia P., wurde dem Abtransportierten-Verzeichnis zufolge am 2. Juni 1903 in Viersen im Rheinland geboren und war eine ledige Fabrikarbeiterin.470 Sie tat am 23. Mai 1940 ins St.-Josefs-Institut ein, von wo aus sie nach Hartheim deportiert und damit eines der 67 Opfer des Abtransportes vom 10. Dezember 1940 wurde.471 Laut Zuschrift der Anstalt Hartheim an die Gemeinde Weissenbach verstarb Theresia am 19. Dezember 1940 infolge eines epileptischen Anfalls. Eine Urne wurde an die Friedhofsverwaltung Hannover gesendet.472 Sonstige Informationen zu Theresia konnten leider nicht gefunden werden, da weder Viersen noch Weissenbach am Lech, wo Theresia Angehörige gehabt haben soll, Informationen zu ihr oder ihrer Familie haben.473 Berta K. wurde am 11. oder 12. Februar 1903 in Biala/Galizien als Tochter der Eheleute Anton und Berta geboren und war seit ihrer Geburt psychisch beeinträchtigt. Ihre Eltern, welche in Innsbruck lebten, gaben der Polizei gegenüber 1946 an, dass sie Berta bereits 1920 nach Mils gebracht hatten.474 Auf dem Abtransportierten-Verzeichnis ist vermerkt, dass sie im Dezember 1922 ins St.-Josefs-Institut eintrat.475 Zwei Tage vor ihrem siebenunddreißigsten Geburtstag wurde sie über Niedernhart nach Hartheim deportiert. Nach der Mitteilung, dass Berta aufgrund kriegswichtiger Maßnahmen verlegt worden war, erhielten ihre Eltern im Januar 1941 die

468 Brief von Hannes Wartbichler vom 01.03.2018 an die Verfasserin. 469 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Mittersill, 24.09.1946. 470 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Weissenbach, 17.09.1946. 471 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 472 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Weissenbach, 17.09.1946. 473 Telefonat am 07.02.2019 mit dem Dorfchronist von Weissenbach am Lech, Johann Wechselberger; Email von Marcus Ewers, Kreisarchiv Viersen, vom 19.03.2019 an die Verfasserin. 474 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Pians, 18.05.1946. 475 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946].

110 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Nachricht aus Hartheim, dass ihre Tochter an Ruhr gestorben sei.476 Mehrfache Versuche der Kontaktaufnahme mit dem heute polnischen Bielsko-Biala blieben erfolglos, weshalb leider keine weiteren Informationen zum Leben von Frau K. ans Licht kamen. Am 10. Januar 1903 wurden Dr. K. und seine Frau Helene in Innsbruck-Wilten Eltern ihrer Tochter Elisabeth Helene Aurelia Josefine K.477 Elisabeth K. kam kurz nach ihrem dreizehnten Geburtstag ins St.-Josefs-Institut, von wo aus sie am 10. Dezember 1940 nach Hartheim gebracht und dort ermordet wurde.478 Sr. Erhard Hendlmaier gab bei ihrer Zeugenaussage vom 23. Mai 1946 folgendes zu Protokoll: „Bemerken möchte ich, daß am Tage vor Abgehen des Transportes der bekannte Professor K[...], dessen Tochter sich auch als Pflegling hier befand, seine Tochter besuchte und auch Dr. Czermak damals mit einem Auto hier [St.-Josefs-Institut] war, und Czermak den Professor K[...] eingeladen hatte, mit ihm im Auto nach Innsbruck zu fahren und auch gefahren ist, ohne ihm etwas zu sagen, daß seine Tochter am nächsten Tag wegkomme, und sich Professor K[...] nachträglich über diese Gemeinheit besonders aufgeregt hat.“479 Auf dem Totenschein wird der 6. Januar 1941 als Todesdatum angegeben. Todesursache sei Ruhr gewesen. Die Urne wurde im Innsbrucker Westfriedhof beigesetzt.480 Adelheid E. wurde am 27. November – nicht Dezember, wie von Mils angegeben481 – 1902 in Rietz als Tochter von Johann und Maria geboren.482 Ihre Angehörigen baten das Fürsorgeamt in Imst, Adelheid zu institutionalisieren. Dementsprechend ist sie laut

476 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Pians, 18.05.1946. 477 TLA, Taufbuch 1898-1903 mit Index_1131-2. 478 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 479 Ebd. 480 TLA, BPDion Innsbruck,6/2, Kommando der Sicherheitswache Pol.-Wachzimmer Rathaus, 19.09.1946. 481 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 482 TLA, Taufbuch 1824-1924_MF 0764-9, MF 0765-1. Sowohl die Abtransportierten-Verzeichnis als auch die Gendarmeriemeldungen geben ein inkorrektes Geburtsdatum an. TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Stams, 16.05.1946.

111 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Abtransportierten-Verzeichnis im August 1939 ins St.-Josefs-Institut eingetreten und wurde im Dezember 1940 eines der Opfer der NS-Euthanasie aus eben dieser Anstalt. Ihre Familie erhielt die Nachricht von Adelheids Tod im Januar 1941, im März bekamen sie zudem eine Nachricht bezüglich der Urnenüberführung.483 Weitere Informationen konnten zu Frau E. nicht gefunden werden und auch die Suche nach etwaigen Angehörigen blieb erfolglos.484 Magdalena R. wurde am 18. Januar 1899 in Kirchdorf in Tirol geboren, wie ein Blick auf das Taufbuch des Ortes verrät.485 Am 10. Januar trat sie ins St.-Josefs-Institut ein von dem sie elf Monate später in die Tötungsanstalt Hartheim deportiert wurde.486 Im Taufbuch ist vermerkt, dass sie am 7. Januar 1941 in Hartheim gestorben sei. Leider hat die Gemeinde keine Informationen zu Frau R.487 Ihr Bruder meinte sich 1946 wage daran zu erinnern, dass er 1941/42 vom Tode seiner Schwester aus Deutschland informiert worden sei. Genaueres war ihm auch nicht bekannt.488

Maria T. wurde am 18. September 1898 in St. Johann als Tochter eines Gemeindedieners geboren.489 Sie hatte vier Geschwister. Bereits in ihrer Jugend begann sie unter Epilepsie zu leiden. Seit wann sie im Gemeindespital in St. Johann untergebracht war, ist nicht genau zu rekonstruieren. Feststeht, dass sie am 11. November 1930 von ebendiesem in die HPA Hall gebracht wurde. Dort stellte man fest, dass ihre der „Entwicklungsstufe […] eines 5-6 jährigen Kindes“ entsprach. Sie wurde in die Anstalt aufgenommen, wo sie „ruhig und freundlich“ war und sich mit Handarbeiten – vor allem Stricken – beschäftigte, allerdings auch über Heimweh

483 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 484 Telefonat mit Karl Schnegg, Dorfchronist von Rietz, am 05.02.2019. 485 TLA, Taufbuch 1886-1909 mit Index_MF 1427-2. 486 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 487 Email von Michael Keuschnick, Chronist und Gemeindearchivar Kirchdorf inTirol, vom 04.02.2019 an die Verfasserin. 488 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Erpfendorf, 25.09.1946. 489 TLA, Taufbuch 1893-1911 mit Index_MF 1419-2.

112 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut klagte. Laut eigenen Aussagen, sei Ostern ihre „liebste Zeit“ gewesen. Am 27. Januar 1932 wurde sie nach Mils ins St.-Josefs-Institut verlegt, von wo aus sie vor September 1932 wieder nach Hall zurückgeschickt wurde.490 Ein Jahr darauf wurde sie ins Versorgungshaus Nassereith überstellt. Laut Aussage ihres Bruders lebte sie bis 1939 im Armenhaus in St. Johann. Zum letzten Mal wurde sie in Mils am 3. Mai 1939 aufgenommen, bevor sie dort in eine der GEKRAT-Busse stieg und schlussendlich in Hartheim ermordet wurde.491 In der Gemeinde St. Johann, wo Maria das Heimatrecht besaß,492 existieren, „keinerlei Aufzeichnungen“.493 Am 14. März 1941 wurde Marias Bruder vom angeblichen Tod seiner Schwester am 8. Januar 1941 infolge Status Epilepticus informiert.494

490 HA LKH, KA M. T., 1933, (VA V/1988), Landes-Heil- und Pflege-Anstalt, Hall, Tirol, Krankengeschichte und Krankheitsverlauf. 491 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 492 HA LKH, KA M. T., 1933, (VA V/1988). 493 Email von Mag Peter Fischer, Bürgermeister von St. Johann in Tirol, vom 27.02.2018 an die Verfasserin. 494 TLA, BPDion Innsbruck, Unterlagen und Erhebungen der Bundespolizei über die Euthanasie in Tirol, 6/2, Gendarmeriepostenkommando St. Johann an das Landesgendarmeriekommando f. T. (Erhebungsabteilung), 20.05.1946; Ebd., Abschrift der Todesmeldung der Landesanstalt Hartheim, 18.09.1946.

113 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

114 Abbildung 16: Maria T.s Todesnachricht aus Hartheim an den Bruder (Quelle: TLA, BPDion, 6/2) Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Aloisia P. wurde am 3. September 1898 als „Achtmonatkind“ in Laibach als Tochter des Hofrates Karl P. geboren. 495 Aloisia war eines von vier Kindern, das schon früh ein „großes Pflicht- und Verantwortlichkeitsgefühl, besonders gegenüber den Nächsten gehabt“ habe. In Laibach besuchte sie die Volks- und Bürgerschule und danach das Lehrerinnenseminar, bevor sie vier Jahre als Lehrerin arbeitete. Sie hatte sich „einigemal“ bewusst für ihren Beruf und gegen das Heiraten entschlossen. Als ihre Mutter erkrankte und in ein Sanatorium kam, übernahm Aloisia die elterliche Hauswirtschaft in Linz. Während dieser Zeit, mit ca. 26 Jahren, entwickelte sie eine Zwangsneurose, die laut Berichten ihrer Verwandten im Laufe der Zeit immer prävalenter wurde. Zwischen 1925 und Ende 1926 verbrachte sie einige Monate in der HPA Niedernhart bevor sie wieder nach Hause entlassen wurde. Sie zog nach Innsbruck, wo eine ihrer Schwestern lebte, seitdem diese einen Major geheiratet hatte und ihr Bruder studierte. Dort lebte sie im Ursulinenkloster, wo sie früher schon teils Lehrerin, später dann wieder Schülerin war. Ab Ende April 1928 verbrachte sie ein Jahr in der neurologisch psychiatrischen Klinik in Innsbruck, von wo aus sie in die HPA Hall verlegt wurde. 1930 wurde angekündigt, dass Louise nach Niedernhart versetzt werden sollte, wogegen sich ihr Vater aussprach, der nicht glauben wollte, dass seine agile Tochter nur noch im Bett liege (siehe Abb.17). Schlussendlich kam sie im März dann erstmals „wegen Platzmangel“ in Hall ins St.-Josefs-Institut nach Mils. Von dort kam sie im Februar 1932 wieder in die Klinik in Innsbruck in Behandlung von Dr. Scharfetter, der Louises Vater versicherte, dass „große Hoffnung […] aus Genesung“ bestehe. Herr P. freute diese Aussicht so sehr, dass er es der Direktion in Hall in einem Brief mitteilte und mit einem Stoßgebet kommentierte: „Wollte doch der Himmel, dass meine arme Tochter noch einmal gesund würde!“ Stattdessen trat Louise ein Jahr darauf, 1933, wieder ins St.-Josefs-Institut ein und wurde am 10. Dezember 1940 mit 66 weiteren Pfleglingen nach Hartheim und damit in den Tod abtransportiert.496 In der Meldung der Polizeidirektion Linz liest sich: „Der Vater verzichtete auf eine Übersendung einer Urne mit der Asche der verstorbenen Tochter, da er bezweifelte, dass man ihm kaum die wirkliche Asche seines verbrannten Kindes schicken wird.“497

495 HA LKH, KA A. P., 1930, (VA V/1244), Abschrift Neurolog.psychiatr. Klinik Innsbruck. 496 Wiederholte Anfragen für Informationen über Frau P. blieben von Ljubljana unbeantwortet. Im Archiv der Stadt Linz, in der Aloisias Vater lebte, konnten überhaupt keine Informationen zu Frau P. gefunden werden. Email von Martin Krenn, Archiv der Stadt Linz, vom 30.01.2019 an die Verfasserin.

115 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Abbildung 17: Ausschnitt aus Brief von Aloisias Vater an Klebelsberg (Quelle: HA LKH, (VA V/1244))

Aloisia M. wurde am 19. Juli 1898 in Schruns geboren. Ein Nachweis im Taufbuch konnte allerdings leider nicht gefunden werden. Im Januar 1940 kam sie ins St.-Josefs-Institut, das sie am 10. Dezember 1940 in einem der beiden Busse verlies. Sie wird als eines der Euthanasieopfer von Mils geführt.498 Angaben, die sich nicht auf das Abtransportierten- Verzeichnis stützen, können nicht gemacht werden, da sie weder im Namenverzeichnis noch im

497 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Polizeidirektion Linz, 08.10.1946. 498 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946].

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Archiv des Meldeamts von Schruns aufgelistet wird.499 Sowohl im Geburtsort als auch in Axams, wo ihr taubstummer Bruder Jakob im Armenhaus lebte, gibt es keine Aufzeichnungen zur Aloisia.500 Josefa A. wurde am 19. März 1898 in Matrei-Pfons geboren.501 Sie ist die jüngste von drei Schwestern, die allesamt Milser Opfer der NS-Euthanasie wurden. Josefa trat am 26. Juli 1936 - einen Tag vor ihrer älteren Schwester Maria A.502, die am 10. - nicht am 8. - November 1896 in Matrei-Pfons geboren wurde503, - ins St.-Josefs-Institut ein. Sie leisteten damit ihrer älteren Schwester, Anna A., Gesellschaft, die bereits seit Mai 1926 im Institut war.504 Anna wurde am 12. November 1995 geboren und „sub conditione“ getauft.505 Dieser Terminus technicus beschreibt die Spendung des Taufsakraments, wenn nicht sicher ist, ob das Neugeborene leben wird.506 Es kann also zumindest bei Anna davon ausgegangen werden, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen bereits seit der Geburt bestanden haben. Weitere Informationen zu diesen Opfern konnten leider nicht erhoben werden, da die Gemeinde Pfons keine Informationen hat bzw. weiterzuleiten bereit war.507 Auch die Recherchen zu ihrer Kuratorin, die in Steinach beheimatet war, verliefen ergebnislos. Laut offiziellen

499 Email von Andrea Wachter, Bürgerservice, vom 08.03.2018 an die Verfasserin. 500 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Axams, 14.09.1946; TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Anschriften der Angehörigen der am 10.12.1940 abtransportierten Pfleglinge, [21.05.1946]; Email von Martin Leis, Gemeinde Axams, vom 11.02.2019 an die Verfasserin. 501 TLA, Taufbuch 1875-1908 mit Index_MF 0648-3. 502 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 503 TLA, Taufbuch 1875-1908 mit Index_MF 0648-3. 504 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 505 TLA, Taufbuch 1875-1908 mit Index_MF 0648-3. 506 Academic, Sub conditione Jacobi, o. D., [http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/1343533], eingesehen am 04.02.2019. 507 „Auskunft kann und darf ich Ihnen leider keine geben“ Email von Thomas Gauglhofer, Amtsleiter Pfons, vom 31.01.2019 an die Verfasserin.

117 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Meldungen sei Anna am 6. Januar 1941, ihre beiden Schwestern einen Tag später in Niedernhart gestorben.508 Marta S. wurde am 10. Januar 1898 in Hart im Zillertal als eheliche Tochter von Andreas und Viktoria S. geboren509 und Anfang des Jahres 1934 ins St.-Josefs-Institut gebracht, von wo aus sie nach Hartheim deportiert wurde.510 Im Taufbuch ist ihr Todesdatum mit 7. Januar 1941 in Hartheim ob D. vermerkt. Dieses Todesdatum findet sich auch in der Meldung des Gendarmeriepostenkommandos Fügen, dem außerdem zu entnehmen ist, dass die Angehörigen eine Urne aus Hartheim zugesendet bekamen.511 Die Gemeinde Hart konnte keine weiteren Angaben zu Marta S. machen.512

Maria S. wurde am 12. Februar 1896 in Malta, Kärnten, als uneheliche Tochter einer Rosina S. geboren. Sie war die älteste von vier Geschwistern. In der Schule sei sie, eigenen Angaben zufolge, nicht besonders gut gewesen. Mit 21 Jahren gebar sie selbst eine ledige Tochter, die ebenso Maria genannt wurde. Mit ihrer Tochter wohnte Maria bei ihrer Mutter, die sie als „Stubenmädchen“ beschäftigte. Im Juli 1926 wurde sie von ihrem damaligen Kurator in die „Landes-Irrenanstalt Kärnten“ gebracht, wo ihr Schizophrenie diagnostiziert wurde und sie bis Juni des Folgejahres blieb. Wie damals üblich musste die Heimatgemeinde von Maria, da sie selbst keine finanziellen Mittel verfügte, wie ein Armenzeugnis bestätigte, für ihren Anstaltsaufenthalt aufkommen. Weil Maria aber kein Heimatrecht in Malta hatte, sondern stattdessen einen Heimatschein aus Mayrhofen im Zillertal, wurde sie am 11. Juni 1927 von zwei Klosterschwestern von der Kärntener in die Tiroler Anstalt in Hall gebracht. Dort wurde sie für die Feldarbeit vorgesehen, an der sie aber kein Interesse hatte, weshalb sie spätestens im Herbst 1928 wieder Arbeiten innerhalb der Anstaltsmauern verrichtete. Am 16. Februar 1929 heißt es in der Krankenakte: „Wurde gestern in das St. Josefsinstitut nach Mils übergeben. Konnte zu leichten 508 TLA, BPDion Innsbruck, 6/1, S. 3 – 4. 509 TLA, Taufbuch 1886-1919 mit Index_MF 1268-2. 510 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 511 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Fügen, 21.05.1946. 512 Email von Erna Widner, Gemeindeamt Hart im Zillertal, vom 27.02.2018 an die Verfasserin.

118 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Arbeiten, wie Kehren, Bodenputzen verwendet werden. Stand aber mitter [sic!] in der Arbeit herum, musste vielfach angetrieben werden. Hielt sich aber sonst ruhig. Zeigte ein mehr läppisches kindisches Benhemen [sic!].“513 Da von Seiten der Barmherzigen Schwestern keine Akteneinsicht gestattet wurde, konnten keine weiteren Erkenntnisse zu Maria S. gewonnen werden. Zum letzten Mal bevor sie Opfer der NS- Euthanasie wurde trat sie am 8. Januar 1940 ins St. Josefs-Institut ein.514 Maria S. wurde dem Abtransportierten-Verzeichnis zufolge Weihnachten 1896 in Reith bei Kufstein geboren. Ende August 1920 ist ihr Eintritt ins St.-Josefs-Institut vermerkt. Vierzehn Tage vor ihrem 44. Geburtstag wurde sie nach Hartheim gebracht und dort ermordet.515 Weitere Informationen zu Maria liegen weder in ihrem Geburtsort vor, noch in Vomp, wo ihr Bruder Jakob Bauer am Vomperberg war.516 Franz H., wurde am 11. Oktober 1895 geboren und in Innsbruck in der Krankenhauskaplanei getauft.517 Sein Vater Johann war Handlungsdiener in Innsbruck.518 Mehr Informationen zu Franz H.s Leben liegen leider nicht vor. Daher muss sich darauf beschränkt werden, den 5. März 1911 als Eintrittsdatum ins St.-Josefs-Institut anzugeben. Anscheinend verbrachte er in Mils fast zwanzig Jahre, bevor er von dort über Niedernhart nach Hartheim gebracht und vergast wurde.519 Seinem Bruder wurde am 17. Dezember 1940 von Hartheim mitgeteilt, dass Franz dort gut angekommen sei. Anfang 1941 erhielt er dann den Totenschein,

513 Dieses Zitat verdeutlicht einmal mehr, dass der Leistungsgedanke, der in dieser Arbeit schon eingehend erläutert wurde, in den Jahrzehnten vor den eigentlichen Euthanasietötungen in der Behandlung in psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalten verankert war. HA KLH, KA M. S., 1929, (VA V/422), Krankheitsverlauf. 514 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 515 Ebd. 516 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Anschriften der Angehörigen der am 10.12.1940 abtransportierten Pfleglinge, [21.05.1946]; Email von Christiane Hagleitner, Meldeamt Reith bei Kitzbühel, vom 24.01.2019 an die Verfasserin. Email von Bianca Seebacher, Sekretariat des Marktgemeindeamts Vomp, vom 13.02.2019 an die Verfasserin. 517 TLA, Taufbuchindex 1892-1907_MF 1153-2. 518 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Anschriften der Angehörigen der am 10.12.1940 abtransportierten Pfleglinge, [21.05.1946].

119 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut dem zufolge Franz am 6. Januar 1941 um „1 Uhr 35 Minuten“ in Hartheim an Ruhr verstorben sei.520 Eine Urne wurde an das Pfarramt in Hall gesendet.521 Maria R. wurde laut Abtransportierten-Verzeichnis am 14. November 1892 in Innsbruck geboren und trat am 31. März 1932 im Milser St.-Josefs-Institut ein.522 Weder in den Taufbüchern, im Meldeamt der Stadt Innsbruck, noch in den gesichteten Akten ist ein Eintrag zu Maria zu finden, so dass leider keine weiteren Informationen zu ihr vorliegen, als dass sie als am 10. Dezember 1940 von Mils nach Hartheim deportiert wurde und so dem menschenverachtenden NS-System zum Opfer fiel.523 Julie D. wurde am 28. oder 29. Mai 1891 als Tochter eines Fabrikarbeiters in Telfs geboren.524 27 Jahre später trat sie ins Telfer Spital ein. Im Januar 1940 wurde sie ins St.-Josefs- Institut gebracht, wo sie bei der Betreuung der Kinder mithalf.525 Offiziell starb sie am 7. Januar 1941 in Hartheim an „Lungenentzündung“ – tatsächlich wurde sie bereits im Dezember eines der Milser Euthanasie-Opfer.526 Karl R. wurde laut Abtransportierten-Verzeichnis am 16. April 1891 in Efarni/Böhmen geboren. Angehörige habe er – so dieselbe Quelle – in Bainburg. Leider konnten beide Orte nicht eruiert werden, weder ein Efarni noch ein Bainburg existieren bzw. existierten. Die Stadt Hainburg an der Donau, die nebst den Geschwistern R. in Innsbruck als weitere Adresse von

519 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 520 Köfler, Euthanasie, S. 489 – 490. 521 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Kommando der Sicherheitswache Pol.-Wachzimmer Pradl, 19.09.1946. 522 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 523 TLA, RStH, Abt. IIIa1, ZL. M-XI 1941, Transportliste No 50, 10.12.1940. Hier sei angemerkt, dass vier Meldezettel im TLA aufliegen, die alle Maria zugeordnet werden könnten, da das Geburtsjahr übereinstimmt. Allerdings fehlt das genaue Geburtsdatum auf allen vier, sowie weitere diskriminierende Angaben, sodass eine Zuordnung zum Milser Opfer nicht möglich war. 524 TLA, Taufbuch 1849-1891_MF 0761-6. 525 TLA, RStH, Abt. IIIa1, Zl. M-XI 1941, Transportliste No 46, 10.12.1940. 526 Dietrich, Telfs, S. 401 – 403.

120 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Angehörigen gelistet wird, hat keine Informationen zu Rudolf Karl527, die Großgemeinde Völkermarkt in Kärnten, die 1973 durch die Zusammenlegung mehrerer Gemeinden – darunter auch Haimburg – entstand, hat auf wiederholte Anfragen zur Person nicht reagiert. Daher sind die einzigen Daten zu Rudolf Karl die des Abtransportierten-Verzeichnises: Herr Rudolf kam am 2. März 1923 ins St.-Josefs-Institut. Von dort wurde er mit einem GEKRAT-Bus am 10. Dezember 1940 abgeholt.528 Zwei Tage darauf sind zwei seiner Geschwister nach Hartheim gefahren „um Nachzuforschen [sic!], wo ihnen erklärt wurde, daß in der Irrenanstalt Niederhart [sic!] eine Epetemie [sic!] ausgebrochen sei und das [sic!] niemand Zutritt bekomme.“529 Von Niedernhart erhielten sie dann zunächst die Nachricht, dass Karl an Ruhr erkrankt sei und später auch den Todesschein, der vorgab, er sei am 6. Januar 1841 dieser Krankheit erlegen. Alle vier Geschwister reisten daraufhin nach Hartheim um ihren verstorbenen Bruder noch einmal zu sehen, was natürlich nicht möglich war, nachdem die Nationalsozialisten Karls Leichnam lange zuvor schon eingeäschert hatten.530

Abbildung 18: Innsbrucker Nachrichten am 12.02. 1941

527 Email von Erna Frank, Stadtarchiv Hainburg, vom 04.04.2018 an die Verfasserin. 528 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 529 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Kommando der Sicherheitswache Pol.-Wachzimmer Wilten, 14.09.1946. 530 Ebd.

121 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Mathilde T. wurde am 31. Januar 1890 in Zams geboren und am Folgetag getauft.531 Nachdem ihr Vater 1921 oder 1922 verstarb, zog sie mit ihrer Mutter Katharina nach Salzburg. Laut Aussagen eines ihrer Brüder kam Mathilde zum ersten Mal 1923 ins St.-Josefs-Institut. In dem Abtransportierten-Verzeichnis ist der 5. Mai 1928 als Eintrittsdatum in die Anstalt vermerkt, in der sie die nächsten zwölf Jahre bis zur Deportation am 10. Dezember 1940 verbrachte.532 Die Erhebungen der Bundespolizeidirektion zu Mathilde ergaben, dass sie zwar „taubstumm und geistesschwach“ war, aber immer gearbeitet haben soll. Es „bestand keine Gefahr, sie in eine Irrenanstallt [sic!] unterbringen zu müssen.“533 Weitere Informationen zu Frau T. konnten nicht erhoben werden.534 Maria P. wurde am 24. September 1888 in Stanz bei Landeck535 als eheliche Tochter von Johann und Maria geboren. Im Juli 1939 kam sie auf Antrag ihres Bruders Johann ins St.-Josefs- Institut. Im Dezember 1940 wurden die Angehörigen darüber informiert, dass Maria „aus wehrwirtschaftlichen Gründen“ nach Hartheim „verlegt“ worden war. Anfang 1941 wurde die Familie darüber in Kenntnis gesetzt, dass Maria an Lungenblutung gestoben sei.536 Weitere Informationen zu Frau P. konnten leider nicht eruiert werden, da die Gemeinde Stanz auf wiederholte Anfragen leider nicht reagierte, sich in den gesichteten Akten keine weiteren Hinweise zu Person haben finden lassen und in Grins, wo Marias Bruder Johann lebte, ein Dorfbrand im November 1945 alle Akten vernichtete.537 Cäcilie L. wurde dem Abtransportierten-Verzeichnis zufolge am 13. Juni 1887 in Stuttgart geboren. Trotz wiederholter Anfragen war es nicht möglich, Informationen von der Stadt Stuttgart bzgl. Frau L. zu bekommen. Auch in Imst, wo Angehörige Frau L.s ansässig

531 TLA, Taufbuch 1863-1900 mit Index_MF 0886-3. 532 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 533 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Zams, 21.10.1946. 534 Email von Barbara Kappacher, Pfarramt Zams, vom 24.1.2019 an die Verfasserin; Email von Stefan Trenker, Gemeindeamtsleiter Zams, vom 24.01.2019 an Verfasserin. 535 TLA, Taufbuch 1816-1902 mit Index_MF 9888-6. 536 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriepostenkommando Pians, 18.05.1946. 537 Email von Eduard Ruetz, Altbürgermeister von Grins, vom 15.02.2019 an die Verfasserin.

122 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut gewesen sein sollen, liegen keinerlei Informationen zu ihrer Person vor.538 Dementsprechend beschränkt sich die Quellenlage auf das Abtransportierten-Verzeichnis, das vermerkt, dass Frau L. seit Juni 1917 im St.-Josefs-Institut war und von dort in die Tötungsanstalt Hartheim gebracht wurde, wo sie durch Gas getötet wurde.539 Elise H. wurde laut Abtransportierten-Verzeichnis am 5. Juli 1886 in Kaltenbach im Zillertal geboren. Dies konnte nicht verifiziert werden, da unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in Kaltenbach Unterlagen im großen Stil verbrannt wurden, so Klaus Gasteiger, Bürgermeister des Ortes.540 Daher gehen die verbleibenden Informationen auf das Abtransportierten-Verzeichnis zurück, laut dessen Frau H. am 23. Dezember 1939 im St.-Josefs- Institut aufgenommen und fast ein Jahr später mit vierundfünfzig Jahren nach Hartheim deportiert wurde.541 Warum das Gemeindeamt Zell am Ziller in der Liste der Angehörigen aufscheint, konnte ebensowenig geklärt werden.542 Ein genaues Geburtsdatum wird in dem Abtransportierten-Verzeichnis für Anna O. nicht angegeben und konnte auch im Taufbuch von Kirchdorf in Tirol nicht gefunden werden. Einzig ihr Geburtsjahr, 1886, ist vermerkt. Leider kann auch ihr Geburtsort nicht hinreichend geklärt werden, da nebst dem naheliegenden Kirchdorf in Tirol auch Kirchdorf am Inn, Bayern, und Kirchdorf an der Krems, Oberösterreich, als Geburtsort nicht zur Gänze ausgeschlossen werden können. Die deutsche Gemeinde erteilte unter Berufung auf Datenschutz und Verletzung der Persönlichkeitsrechte keinerlei Auskünfte zu Frau O.543 In Oberösterreich existieren keine Einträge unter diesem Namen.544 Die Quellenlage zu diesem Opfer ist daher sehr beschränkt und

538 Email von Sabine Schuchter vom 01.02.2019 an die Verfasserin. 539 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 540 Email von Klaus Gasteiger vom 30.01.2019 an die Verfasserin. 541 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 542 Email von Markus Wechselberger, Standesamt Zell am Ziller, vom 11.02.2019 an die Verfasserin. 543 Email von Susanne Birnkammer vom 29.01.2019 an die Verfasserin. 544 Email von Astrid Ruess-Prager vom 31.01.2019 an die Verfasserin.

123 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut war es bereits zur Zeit der Ermittlungen gegen Dr. Czermak. So heißt es aus der Gendarmeriemeldung Erpfendorf: „[Annas Schwester] ist selbst eine etwas geistig beschränkte Person und man kann aus ihren Aussagen keinen richtigen Schluss daraus entnehmen. Obwohl das Armenhaus in Kirchdorf [i. T.] der Gemeinde unterstellt ist, wurde das Gehen und Kommen die [sic!] Insassen sehr mangelhaft geführt und man muss die ganze Führung und Betreuung der dortigen Geistesschwachen als sehr vernachlässigt bezeichnen. Dies war natürlich während der Nazizeit umso mehr zu Bemangeln [sic!], da man diese Schicksalsmenschen stets als ‚überflüssige Elemente‘ darstellte.“545 Aus dem Abtransportierten-Verzeichnis geht hervor, dass Anna am 10. Januar 1940 ins St.-Josef- Institut eintrat.546 Schwester Oberin Generosa Gleirscher erinnert sich in der Hauptverhandlung gegen Dr. Czermak Ende des Jahres 1949 daran, dass Anna gearbeitet hat und auch auf der Transportliste No 46 ist bei Anna vermerkt: „schwachsinnig, kann im Stall helfen“547. Doch selbst dieser Vermerk konnte Anna nicht davor retten, dass sie mit wahrscheinlich vierundfünfzig Jahren abtransportiert wurde.548 Maria A. wurde laut Abtransportierten-Verzeichnis am 3. Mai 1885 in Fügen geboren. Anfang des Jahres 1940 kam sie ins St.-Josefs-Institut von wo aus sie im Dezember nach Hartheim gebracht wurde.549 Dort wurde sie in der Gaskammer umgebracht. Die Gemeinde Fügen hat auf wiederholte Anfragen zu Frau A. bedauerlicherweise nicht reagiert. Im Verzeichnis der getöteten Geisteskranken der Polizei ist zwar vermerkt, dass Maria gestorben ist, allerdings: „wann und wo unbekannt“.550 Klothilde P. wurde am 6. April 1984 in Innsbruck-Wilten geboren. Leider scheint dies in

545 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmeriekommando Erpfendorf, 14.09.1946. 546 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 547 TLA, RStH, Abt. IIIa1, Zl. M-XI 1941, Transportliste No 46, o. D. 548 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 549 Ebd. 550 TLA, BPDion Innsbruck, 6/1, S. 4.

124 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut den Taufbüchern nicht auf. Anfang des Jahres 1928 kam sie ins St.-Josefs-Institut von dem aus sie am 10. Dezember 1940 in die Tötungsanstalt Hartheim deportiert wurde.551 Elisabeth M. kam am 27. Januar 1882 in Münster zur Welt.552 Von Dezember 1925 bis Januar 1940 war sie im Krankenhaus in Wörgl und wurde von dort ins St.-Josefs-Institut gebracht, in das sie am 24. Januar 1940 eintrat. Sie wurde von dort am 10. Dezember 1940 in den Euthanasietod abtransportiert. Angehörige Frau M.s gaben zu Protokoll, dass sie über Mitglieder ihrer Familie, die Opfer des NS-Behindertenmordes gewesen sein sollen, nichts wissen.553 Auch das Gemeindeamt Ischgl, das in der Angehörigenliste aufgeführt ist, hat keine Informationen zu Elisabeth M.554

Abbildung 19: Krankengeschichte des St.-Josefs-Instituts für Frau Elisabeth M. (Quelle: Sommerauer / Wassermann, Temporäres Denkmal, S. 355)

551 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 552 TLA, Taufbuch 1823-1903_MF 0729-9. 553 Telefongespräch mit Dr. Walter Mair am 30.1.2019; Telefongespräch mit Gotthard Mair am 04.02.2019. 554 Email von Albert Siegele, Amtsleiter Gemeinde Ischgl, vom 15.02.2019 an die Verfasserin.

125 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Margareta K. wurde am 22. November 1881 in Hofenstetten, einem Ortsteil von Neunburg in der Oberpfalz, Bayern, geboren.555 Sie war eines von ca. 13 Kindern eines Gastwirts und eine gute Schülerin. Mit 17 Jahren ging sie ins Kloster und lebte daher in bayrischen Ordenshäusern, in Meran, Feldkirch und im Haller Provinzhaus der Kreuzschwestern als Schwester Rolandis. In letzteres Kloster trat sie 1913/14 ein und arbeitete in der dortigen Wäscherei. 1921 allerdings erlitt sie ein Kopftrauma was zu epileptischen Anfällen führte, weswegen sie in der psychiatrischen Klinik in Innsbruck aufgenommen wurde. Seit 1923 hatte sie, laut den beiden Ordensschwestern, die sie Ende August 1930 in die HPA nach Hall begleiteten, keine solchen Anfälle mehr, sondern wies eine Wesensveränderung auf: Sie „kam mit allen ihren Mitschwestern in Konflikt, mußte daher seit Jahr und Tag allein in einem Zimmer gehalten werden.“556 In der HPA kam es im Mai 1930 wieder zu epileptischen Anfällen, die aber die Ausnahme darstellten. Margareta blieb meist für sich allein und lauschte den Stimmen des „lieben Jesulein“ und der Mutter Maria, die mit ihr sprachen. Im September 1931 wollte sie wieder zurück in den Orden, der dies allerdings ablehnte. Margareta wurde stattdessen ins Versorgungshaus nach Imst verlegt. Drei Jahre darauf trat sie ins St.-Josefs-Institut in Mils ein. In Hall wurde in ihrer Zeit dort beobachtet, dass sie beispielsweise beim Stricken nicht alle Schritte einhielt und folglich „der Strumpf nicht weiter gedeihen [konnte]“, woraufhin folgendes in der Krankenakte vermerkt wurde: „Befragt, warum sie das macht, lächelt sie nur und sagt, mann muss nicht immer alles so machen, wie man es sonst macht, es hat auch so einen Wert.“557 Keine zehn Jahre später wurde Margaretas als „unwertes Leben“ gesehen und sie in Hartheim vergast.558 Sylvester T. wurde am 28. Dezember 1879 in , Bayern, geboren. Er habe sich immer wieder im Fürsorgeheim in Wörgl aufgehalten, bevor er laut Abtransportierten-

555 Die Gemeinde Hofenstetten hat auf wiederholte Anfragen zu ihrer Person leider nicht reagiert. 556 Dass soziale Isolation – in Margaretes Fall sogar erzwungene – negative Auswirkungen auf Körper und Geist hat, gilt als gesichert. Manfred Spitzer, Einsamkeit. Die unerkannte Krankheit. Schmerzhaft, ansteckend, tödlich, München 2018. 557 HA LKH, KA M. K., 1931, (VA V/1387), Landes-Heil- und Pflege-Anstalt, Hall, Tirol, Krankheitsverlauf. 558 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946].

126 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Verzeichnis Anfang 1940 im St.-Josefs-Institut aufgenommen und von dort Opfer der Euthanasie wurde.559 In der Heimatgemeinde konnte kein Nachweis zu Herrn T. gefunden werden, Gespräche mit etwaigen ZeitzeugInnen blieben erfolglos. Auch die dort noch immer ansässige Familie T. weiß nichts über einen Sylvester zu berichten.560 Ida T. kam am 29. Oktober 1872 in Wien als Tochter von Christine und Otto T. zur Welt. Erstmal zeigten sich mit vierzehn Jahren bei Ida „Spuren geistiger Störung“.561 Im Oktober 1899 wurde Ida im Sanatorium Inzersdorf bei Wien aufgenommen. Zwanzig Jahre später wurde sie von dieser Anstalt in die Landes-Irren-Anstalt Am Feldhof in der Steiermark gebracht. 1920 brachte ihr Bruder Leo, Bezirksarzt in Oberösterreich, seine Schwester nach Tirol, wo sie am 30. November 1921 auf Ansuchen des St.-Josefs-Instituts in der HPA Hall aufgenommen wurde. Die nächsten zehn Jahre verbrachte Ida mit der Diagnose „Schizophrenie“ in Hall, wo sie einige Male aufgrund aggressiven Verhaltens isoliert wurde, die meiste Zeit aber in sich gekehrt war und ab und zu Besuch von ihrer Schwester, die wie ihre Mutter in Innsbruck lebte, bekam. Kurz nach ihrem neunundfünfzigsten Geburtstag trat sie Anfang November 1931 ins St.-Josefs-Institut ein, weil für „Pfründner“, wie es Klebelsberg in einem Schreiben an Idas Angehörige ausdrückt, in Hall kein Platz war (siehe Abb.20). Sie wird als eines der 67 Opfer in dem Abtransportierten- Verzeichnis geführt, wurde also im Dezember 1940 in Hartheim ermordet.562

559 TLA, BPDion Innsbruck, Unterlagen und Erhebungen der Bundespolizei über die Euthanasie in Tirol, Meldungen der Gendarmerieposten, Gendarmeriepostenkommando Unterangerberg an die Bundespolizeidirektion, 23.09.1946; TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946]. 560 Email von Sebastian Bichler vom 13.03.2018 an die Verfasserin; Telefongespräch mit Martin T. 561 HA LKA, KA I. T., 1931, (VA IV/3933), Aerztlicher Fragebogen behufs Aufnahme in die Tiroler Landesirren-Anstalt in Hall. 562 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946].

127 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Abbildung 20: Ausschnitt aus Brief Klebelsbergs vom 2. Oktober 1931 (Quelle: HA LKH, (VA IV/3933))

Maria Theresia W. wurde laut Abtransportierten-Verzeichnis und Taufbuch am 1. September 1865 in Telfs geboren.563 Seit 1913 war sie im St.-Josefs-Institut, von wo aus sie in den Tod abgeholt wurde.564 Polizeierhebungen zufolge war die offizielle Todesursache Gehirnschlag, dem sie im Februar 1941 in Sonnenstein erlitten haben soll.565 Sonstige Informationen liegen nicht vor. Eleonore S. kam laut Abtransportierten-Verzeichnis am 17. Februar 1863 in Langen/Allgäu zur Welt. Langen bei Bregenz konnte diese Informationen nicht bestätigen,566

563 TLA, Taufbuch 1849-1891_MF 0761-6. 564 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.),[21.05.1946]. 565 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Kommando der Sicherheitswache Pol.-Wachzimmer Wilten, 16.9.1946.

128 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Langen am Arlberg – eingegliedert in in die Pfarre Klösterle – ebensowenig567 und auch Wangen im Allgäu hatte keine Aufzeichnungen zu Frau S.568 Eigenen Aussagen zufolge wurde Eleonore in Längenwang, Bayern, als illegitimes Kind geboren, und wuchs bis zum 15. Lebensjahr bei ihrer Großmutter in Bayern auf.569 Außerdem existiert ein Kitzbühler Heimatschein. Nach der Schule arbeitete sie vor allem in Vorarlberg und der Schweiz. Dort, in Basel, heiratete sie mit dreißig Jahren Georg S., einen Schreinermeister. Sie hatte keine Kinder. 1919 kam sie das erste Mal in eine psychiatrische Anstalt. Diesem Aufenthalt folgten drei weitere, bevor sie von der Pflegeanstalt Friedmatt bei Basel „durch einen Gemeindemann von Kitzbühel von der Grenzstation [Buchs] übernommen“570 und in die HPA nach Hall gebracht wurde. Dieser Transport von der Schweiz nach Österreich erfolgte – ohne Wissen ihres Ehemannes! - offensichtlich, weil Eleonore keine Schweizerin war und dementsprechend ihre Heimatgemeinde Kitzbühel und das Land Tirol für ihre Pflege aufkommen mussten. Ihr Mann war über diese Entwicklung verständlicherweise aufgebracht und sorgte sich sehr um seine Frau. Gleichzeitig jedoch verfasste er auch folgende Zeilen: „Ich bin gesund und bin doch wenigstens nun der Plage die ich mit ihr hatte erlöst.“571 In Hall diagnostizierte man, wie schon in der Schweiz, Schizophrenie. Am 2. Februar 1928 wurde Eleonore „in unverändertem Zustand nach Mils überstellt. Hat hier nichts gearbeitet, vielfach nur laut verwirrtes Zeug dahergeredet.“572 Eleonore war 77 Jahre alt, als sie nach Hartheim deportiert und dort umgebracht wurde.573

566 Email von Hans Kogler, Gemeindearchivar von Langen bei Bregenz, vom 28.02.2018 an die Verfasserin. 567 Email von Christof Thöny, Obmann des Museumsvereins Klostertal, vom 24.01.2019 an die Verfasserin. 568 Email von Rainer Jensch, Stadtarchiv/Museen Große Kreisstadt Wangen im Allgäu, vom 31.01.2019 an die Verfasserin. 569 HA LKH, KA E. S., 1928, (VA V/505), Landes-Irrenanstalt Hall, Tirol, Vorgeschichte. 570 Ebd. 571 HA LKH, KA E. S., 1928, (VA V/505), Brief des Ehemanns an die HPA Hall vom 24.März 1928. 572 Ebd. 573 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Verzeichnis der am 10.Dezember 1940 aus dem St. Josefsinstitut in Mils bei Hall i.T. abtransportierten Pfleglinge (nach Niedernhart bei Linz a.D.), [21.05.1946].

129 Die Deportation am 10. Dezember 1940 vom St. Josefs-Institut

Aus den gesichteten Akten und offensichtlich auch aus den Quellen des St.-Josefs- Instituts, auf die leider für diese Arbeit von den Barmherzigen Schwestern keine Einsicht gewährt wurde, aber die von Johannes Hofinger und Oliver Seifert eingesehen werden konnten, geht – wie bereits erwähnt – heraus, dass zwei weitere Pfleglinge vom Institut in die Tötungsanstalt Hartheim – über Umweg Hall – deportiert wurden und daher als Milser Opfer der Euthanasie gesehen werden müssen: Maria Antonia von A. kam am 9. Februar 1896 in Kairo (Agypten) zur Welt.574 Laut Gendarmeriemeldung war sie „hier seit 17.8.1919“, trat also höchstwahrscheinlich mit dreiundzwanzig Jahren in St.-Josefs-Institut ein.575 Weitere Angaben zu ihrem Leben können leider nicht gemacht werden. Am 26. Dezember 1915 wurde Franz Josef Wilhelm F. in Innsbruck-Wilten als uneheliches Kind geboren – erst nach der Heirat seiner Eltern trug er den Nachnamen seines Vaters Max. Im Mai 1928 wurde Franz in Mils gefirmt.576 Es ist sehr wahrscheinlich, dass er zu diesem Zeitpunkt schon im St.-Josefs-Institut wohnte, zumindest ist in der oben genannten Gendarmeriemeldung vermerkt, dass er seit Mitte September 1915 „hier“ war.577 Ende Mai 1941 wurde er auf Anordnung Dr. Klebelsbergs gemeinsam mit Maria Antonia von Mils nach Hall gebracht, wo sie jedoch nicht offiziell aufgenommen, sondern stattdessen am 29. Mai 1941von Hall nach Hartheim deportiert wurden.578

574 Oliver Seifert, ...als gestorben zu behandeln, S. 31. 575 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Anschriften der Angehörigen der am 10.12.1940 abtransportierten Pfleglinge, [21.05.1946]. 576 TLA, Taufbuch 1903-1915 mit Index_MF 1131-3. 577 TLA, BPDion Innsbruck, 6/2, Gendarmerieposten Ampass, Anschriften der Angehörigen der am 10.12.1940 abtransportierten Pfleglinge, [21.05.1946]. 578 TLA, RStH, Abt. IIIa1, M-XI 1943, Liste der am 29. Mai 1941 überstellten Kranken in eine andere Anstalt; Da der Fokus der vorliegenden Arbeit auf der Deportation vom 10.12.1940 liegt und als Ausgangspunkt für die biografische Forschung die in Widerstand und Verfolgung veröffentlichten Daten zu den Opfern dieses Transportes fungierten, wurde der Schwerpunkt nicht auf die biografische Recherche zu Maria Antonia v. A. und Franz Josef F. gelegt.

130 (Tiroler) Erinnerungskultur: Das Gedenken an die Euthanasie (Tiroler) Erinnerungskultur: Das Gedenken an die Euthanasie

Die Frage, welche Relevanz Mahnmale, Gedenkstätten und -tafeln etc. für den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit haben, kann bisweilen sehr unterschiedlich beantwortet werden. Zum einen dienen sie selbstverständlich dem Totengedenken und sollen – wie bereits die Bezeichnung „Mahnmal“ unmissverständlich klarmacht – den BesucherInnen bzw. BetrachterInnen als Mahnung dienen, solche Gräueltaten nie wieder Wirklichkeit werden zu lassen. Zum anderen sind diese „Erinnerungsorte“579 aber auch stets Vehikel für eine Erinnerungskultur580, die keinesfalls einzig den oben genannten Zwecken dienen, sondern vielmehr im Kontext ihrer Entstehungszeit betrachtet werden sollen. „Denn Erinnerung ist niemals nur das Festhalten eines vergangenen Ereignisses, sondern sie lebt aus der Reflexion, aus dem Nachdenken, aus dem Austausch von ganz unterschiedlichen Erfahrungen mit der Geschichte und aus der Geschichte“, so Peter Steinbach.581 Dementsprechend hat Andrea Sommerauer, angelehnt an Wolfgang Neugebauers zeitliche Einteilung der Aufarbeitung in drei Zeitabschnitte, ein 4-Phasen-Modell der Aufarbeitung der NS-Euthanasie in Tirol erarbeitet.

Die erste Phase zwischen Kriegsende und dem Strafprozess gegen Dr. Czermak im 579 Diese Arbeit orientiert sich an Pierre Noras Definition von „Erinnerungsorten“, die besagt, dass es sich hierbei nicht zwangsläufig um geografische Orte, sondern vielmehr um symbolische loci handelt. Dementsprechend können auch Gedenktage, gewisse Riten, musikalische Stücke, Filme etc. Erinnerungsorte sein, solange sie – so Nora – der Herausbildung einer nationalen Identität behilflich sind. Pierre Nora, Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990, S. 7. 580 Hier sei angemerkt, dass der Begriff „Erinnerungskultur“ viel Interpretationsraum lässt, sich diese Arbeit allerdings an Günter Hockerts orientiert, der meint, diese Bezeichnung könne „als lockerer Sammelbegriff für die Gesamtheit des nicht spezifisch wissenschaftlichen Gebrauchs der Geschichte in der Öffentlichkeit“ angesehen werden. Hans Günter Hockerts, Zugänge zur Zeitgeschichte. Primärerfahrung, Erinnerungskultur, Geschichtswissenschaft, in: Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt, hrsg. v. Konrad H. Jarausch / Martin Sabrow, Frankfurt a. M. 2002, S. 39 – 73, S. 41. 581 Peter Steinbach, „Erinnerung – aktives Gedenken“. Annäherungen an den Widerstand, in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes (Beck'sche Reihe 497), München 1993, S. 132 - 151, S. 136.

131 (Tiroler) Erinnerungskultur: Das Gedenken an die Euthanasie

Dezember 1949 ist charakterisiert durch „ein zunächst konsequentes Vorgehen gegen TäterInnen sowie eine Bewusstseinsbildung in der österreichischen Öffentlichkeit“.582 Sie ist also stark mit Entnazifizierung vormals aktiver NationalsozialistInnen und der juristischen Verfolgung Czermaks verknüpft.583 Außerdem versuchten die Alliierten die breite Bevölkerung durch Pressemitteilungen ab Juli 1945 über die Euthanasie aufzuklären und die „Désintoxication“ so voranzubringen.584 Allerdings setzte sich die Opferthese in Österreich immer mehr durch, die eine tatsächliche Aufarbeitung der österreichischen Mitverantwortung an den nationalsozialistischen Gräueltaten unmöglich machte, war doch Österreich laut dieser These schlicht Opfer des Expansionswahns Hitlers gewesen. Die katholische Kirche betrieb zudem eine „Politik des Verzeihens“, die so weit ging, dass das Gebot galt, gegen niemanden Belastendes vorzubringen oder Anklage zu erheben. Daran hielt man sich mit Ausnahme der Aussagen geistlicher ZeugInnen gegen Czermak bis Mitte der 1990er Jahre weitgehend.

Die zweite Phase der Aufarbeitung steht ganz im Zeichen der „Dominanz der Kriegsgeneration 1950-1984“585. 1949 war es ehemaligen NationalsozialistInnen erstmals wieder erlaubt, an den Wahlen teilzunehmen. Sich ihre Stimmen zu sichern galt folglich für die Großparteien in ganz Österreich und auch der Tiroler Nachkriegspolitik war an einer schnellen Integration „Minderbelasteter“ gelegen. Sommerauer subsummiert: „Die Tatsache, dass selbst führende Persönlichkeiten in den Regierungsparteien eine NS-Vergangenheit aufwiesen, deutet aber nicht nur auf eine Politik der Integration, sondern auch auf eine Akzeptanz dieser Politik in der Bevölkerung hin.“586 Die schnelle Integration ehemaliger NS-SympathisantInnen, die sich nicht nur in der Politik niederschlug, sondern generell zu verzeichnen ist – belastete

582 Sommerauer, verankern, S. 263. 583 Bis in die 1960er Jahre ermittelte man zudem gegen Franz Hofer, der aber schlussendlich nie wegen seiner Mittäterschaft bei den NS-Euthanasieverbrechen ins Gefängnis kam, sondern 1975 in Freiheit verstarb. Austria-Forum, Franz Hofer (Gauleiter), 19.12.2018, [https://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Franz_Hofer_%28Gauleiter%29#cite_note-Klee264-2], eingesehen am 02.02.2019. 584 Sommerauer, verankern, S. 263 – 270. 585 Ebd., S. 263 – 275. 586 Ebd., S. 277.

132 (Tiroler) Erinnerungskultur: Das Gedenken an die Euthanasie

MedizinerInnen (wie beispielsweise Scharfetter587), HistorikerInnen u. a. nahmen ihre Arbeit wieder auf – stellt also ein klares Indiz für den in der Tiroler Gesellschaft verbreiteten „latenten Faschismus“ der damaligen Zeit dar. Gleichzeitig richtete sich das Hauptaugenmerk der Alliierten im Zuge der Auseinandersetzungen mit der UdSSR auf den Kalten Krieg. Der damit einhergehende Antikommunismus ersetzte so den Antifaschismus der Entnazifizierungsphase, welche spätestens mit der generellen Amnestie von 1957 ihr Ende fand.588 Immer wieder kam es aber auch zu einem „Aufbäumen der Geschichte“: So wurde ein Verfahren gegen den Leiter der HPA Valduna in Vorarlberg, Josef Vonbun, Anfang der 1960er Jahre als Reaktion auf Fritz Bauers Strafsache gegen Georg Renno angestrebt, das allerdings 1966 eingestellt wurde.589 Im selben Jahr erregte ein Beschluss der Medizinischen Fakultät Innsbruck Aufsehen, der besagte, dass diese nicht an einem Kongress teilnehmen würde, an dem der Psychiater Werner Catel, welcher wesentlich an der Kindereuthanasie beteiligt war, sprach.590 Angestoßen von den internationalen Reformbewegungen der Psychiatrie, die vor allem von Franco Basaglias Konzept der dezentralen psychiatrischen Betreuung inspiriert waren, gründete sich 1978 in Tirol die Arbeitsgemeinschaft für soziale Psychiatrie Innsbruck, die ein Jahr später im Zusammenschluss mit der Wiener Arbeitsgemeinschaft Kritische Medizin und Studierenden aus Salzburg gegen einen Auftritt Heinrich Gross‘ demonstrierte. Sommerauer sieht dieses Ereignis als „den Beginn einer langen Auseinandersetzung mit dem NS-Psychiater Gross[…], die letztlich einen Umschwung im Umgang mit der NS-Euthanasie in Österreich herbeiführte.“591 Bis dahin wurde die Auseinandersetzung mit dieser Thematik nur vereinzelt betrieben und fand kein breites Echo, wie Hartmann Hinterhubers erste wissenschaftliche Bearbeitung der NS-Euthanasie 1973 oder das Schulprojekt zu Widerstand im Nationalsozialismus der Handelsakademie in Hall, in dessen Fokus sowohl Klebelsberg als auch Frau Gleirscher standen.592 Anfang der 1980er Jahre wuchs

587 Peter Goller, Die politische Lage an der Universität Innsbruck 1933/34 – 1938-1945/1950, in: „Säuberungen“ an österreichischen Hochschulen 1934-1945. Voraussetzungen, Prozesse, Folgen, hrsg. v. Johannes Koll, Wien 2017, S. 365 – 404, S. 391. 588 Sommerauer, verankern, S. 275 – 276. 589 Egger, Ausgrenzen, S. 238 – 249. 590 Sommerauer, verankern, S. 282 – 284. 591 Ebd., S. 285. 592 Ebd., S. 287 – 288.

133 (Tiroler) Erinnerungskultur: Das Gedenken an die Euthanasie die Bereitschaft der Auseinandersetzung weiter an: Sowohl der Gaismair-Kalender als auch die Zeitschriften Betrifft Sozialarbeit und Erziehung heute und Gerald Grassls Theaterstück Aktion Gnadentod setzten sich kritisch mit der Euthanasie in Tirol auseinander bevor 1982 Leopold Steurer und 1984 schließlich das DÖW wissenschaftliche Abhandlungen inklusive Opfer-Listen veröffentlichten.593 Sommerauer wählte als Zäsur zwischen der zweiten und dritten Phase nicht nur aufgrund dieser Publikation das Jahr 1984, sondern auch, weil in diesem Jahr das Institut für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck eingerichtet und damit der Tiroler Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte eine universitäre Plattform geboten wurde.

Spätestens mit der Waldheim-Affäre594 bröckelte die bis dahin vertretene Opferthese, oder wie Sommerauer es formuliert:

„Dazu, dass sich schließlich die ‚Mitverantwortungsthese‘, also die Anerkennung des Nationalsozialismus als Teil der eigenen Geschichte, verbreiten konnte, trugen auch der Generationswechsel, die internationale mediale Berichterstattung, der außenpolitische Druck sowie die sich international verändernde Gedenkkultur bei.“595 Trotzdem sollte es bis 1991 dauern, dass erstmals ein österreichischer Politiker, SPÖ- Bundeskanzler Franz Vranitzky, vor dem Parlament eingestand, dass ÖsterreicherInnen eine Mitverantwortung an den nationalsozialistischen Verbrechen trugen. Dem war ein Jahrzehnt vorausgegangen, in dem die Auseinandersetzung mit der Euthanasie in der Forschung gewachsen war, was schlussendlich unter dem neuen Leiter Werner Köfler 1989 zu einer offeneren Praxis im Tiroler Landesarchiv bezüglich Akteneinsichtsgenehmigungen für

593 Leopold Steurer, Die Umsiedlung und Vernichtung der Südtiroler Geisteskranken im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasieprogrammes, Bozen 1982; DÖW, Widerstand und Verfolgung in Tirol 1934-1945; Sommerauer, verankern, S. 289. 594 Anstoß für eine internationale Debatte um die Mittäterschaft des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kurt Waldheimer an Wehrmachtsverbrechen war der österreichische Bundespräsidentenwahlkampf 1986, als Waldheimers von ihm verheimlichte Wehrmachtsvergangenheit publik wurde. Nach seinem Wahlsieg blieb er außenpolitisch weitgehend isoliert. Für eine genauere Auseinandersetzung mit der Waldheim-Affäre. Michael Gehler, Die Affäre Waldheim. Eine Fallstudie zum Umgang mit der NS- Vergangenheit in den späten achtziger Jahren, in: Österreich im 20. Jahrhundert (Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart 2), hrsg. v. Rolf Steininger / Michael Gehler, Wien 1997, S. 355 – 414. 595 Sommerauer, verankern, S. 290.

134 (Tiroler) Erinnerungskultur: Das Gedenken an die Euthanasie

ForscherInnen führte.596 Zudem setzte man sich nun auch künstlerisch mit der Thematik auseinander. So wurde beispielsweise 1987 Felix Mitterers Kein schöner Land am Tiroler Landestheater uraufgeführt und damit die diskriminierende und mörderische NS-Politik mit direktem Verweis auf die Euthanasie auf die Bühne gebracht. Außerdem wurden einige literarische Werke zur Thematik veröffentlicht. Auch schulisch machte sich ein Wandel im Umgang mit der NS-Vergangenheit bemerkbar: 1987/88 erlies das Unterrichtsministerium die Empfehlung, dass man sich im seit 1976 eingeführten Unterrichtsfach „Politische Bildung“ aufgrund des 50. Jahrestages des „Anschlusses“ mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzten sollte, was von vielen Schulen aufgenommen wurde. 24 Projekte allein aus Tiroler Bildungsinstituten waren die Folge.597 Eines dieser Schulprojekte war Grundlage für das erste künstlerische Erinnerungszeichen, „ein von Gottfried Obholzer gestaltetes Skulpturenensemble“598, an die Euthanasie im Sunnwinkelhaus, das heute nicht mehr dort zu finden ist.

Die vierte und bis jetzt andauernde Phase betitelt Sommerauer „Periode kritischer Auseinandersetzung mi der NS-Vergangenheit in Tirol ab 1995“599. Sie ist die Fortführung der sich in der dritten Phase andeutenden Entwicklung, die eine „neue“, aufrichtigere Herangehensweise an die österreichische NS-Geschichte möglich machte und verstärkt wurde von dem bereits angesprochenen Generationswechsel, mit dem der Kriegsgeneration sukzessive die Deutungshoheit über die NS-Zeit abhanden gekommen war. Außerdem trat Österreich 1995 der EU bei und wurde „in einen Identitätsprozess involviert […], bei dem die Erinnerung an den Nationalsozialismus eine relevante Kategorie werden sollte“600, in der es darum ging, das in der Bundesrepublik Deutschland vereinzelt bereits seit den 1950er Jahren praktizierte „negative Gedenken“ in die österreichische Erinnerungskultur zu integrieren.601 1995 kam es endlich zur Aufnahme der Opfer der Euthanasie und Zwangssterilisationsbestimmungen in das

596 Bis dahin hatte Fridolin Dörrer die Leitung des TLA inne, der sehr restriktiv mit den Akten verfahren war. Sommerauer, verankern, S. 292. 597 Ebd., S. 290 – 296. 598 Ebd., S. 296. 599 Ebd., S. 297. 600 Ebd.

135 (Tiroler) Erinnerungskultur: Das Gedenken an die Euthanasie

Opferfürsorgegesetz. Somit wurden von da an zumindest symbolische Zahlungen an Betroffene und Angehörige, die diese beantragen, ausgezahlt.602 Außerdem veröffentlichte Hartmann Hinterhuber in diesem Jahr das erste Überblickswerk zur NS-Euthanasie in Tirol, dem weitere wissenschaftliche Publikationen zur Thematik folgten. Seit 2003 werden die Krankenakten in Hall ForscherInnen zur Verfügung gestellt, zwei Jahre darauf verortet Seifert die Geburtsstunde des Historischen Archivs im Landeskrankenhaus Hall, das er seit 2014 als Leiter betraut.603 Die aktuellste Forschung zur Tiroler Euthanasie geht auf die interdisziplinäre Kommission zur Untersuchung der Vorgänge um den Anstaltsfriedhof des Psychiatrischen Krankenhauses in Hall in Tirol in den Jahren 1942 bis 1945 zurück, die ihre Ergebnisse zwischen 2014 und 2018 publizierte. Es setzte nicht nur eine intensivere wissenschaftliche sondern auch gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der NS-Euthanasie ein: U. a. durch eine breitere literarische, wie künstlerische Bearbeitung der Thematik, die von Dramen, Prosa, Mahnmalen, Klangkunst- und diversen Schulprojekten, über Gedenkwege führt, bis zu Ausstellungen – der Kombination von Wissensvermittlung und sinnlicher Erfahrung, so Sommerauer – reicht und deshalb hier nicht im Detail besprochen werden kann.604 Stellvertretend seien zwei Projekte erwähnt: Zum einen Franz Wassermanns Kunstprojekt Temporäres Denkmal. Prozesse der Erinnerung, das auf private Initiative ins Leben gerufen wurde und in fünf groß angelegten Projekten Erinnerungszeichen gesetzt hat und setzt.605 Zum anderen das Projekt Psychiatrische Landschaften. Die Psychiatrie und ihre Patientinnen und Patienten im historischen Raum Tirol seit 1830, das an der Universität Innsbruck zwischen 2008 und 2012 in Kooperation mit Partnern diesseits und jenseits des

601 Unter „negativem Gedenken“ versteht man „die Bewahrung eines öffentlichen, selbstkritischen Gedächtnisses an von den Eigenen an Anderen begangen Staats- bzw. Gesellschaftsverbrechen und die damit verbundene Verantwortungsübernahme einschließlich des Ziehens praktischer Konsequenzen.“ Volkhard Knigge, Jenseits der Erinnerung. Zu einer Zivilgeschichte der Zukunft, in: Kulturpolitische Mitteilungen (2010), Nr. 128, S. 62 – 65, S. 65. 602 Sommerauer, verankern, S. 291. 603 Oliver Seifert, Historisches Archiv, o. D., [https://www.tirol-kliniken.at/page.cfm?vpath=standorte/landeskrankenhaus-hall/geschichte1/ historisches-archiv], eingesehen am 18.01.2019. 604 Sommerauer, verankern, S. 300 – 315. 605 Franz Wassermann, Temporäres Denkmal, o. D., [http://www.mylivingroom.org/index.php?id=422], eingesehen am 18.01.2019.

136 (Tiroler) Erinnerungskultur: Das Gedenken an die Euthanasie

Brenners durchgeführt wurde und eben nicht ausschließlich der Forschung verschrieben war, sondern jener Kombination von Wissensvermittlung und sinnlicher Erfahrung, was u. a. in der Veröffentlichung eins Lehrfilms, sowie einer Wanderausstellung zwischen 2011 und 2013 mündete.606

Fokus auf das Gedenken an die Milser Opfer

Wurde im vorhergehenden Teil ein genereller Abriss des Umgangs mit der NS-Euthanasie in Tirol gezeigt, richtet sich der Blick in diesem Kapitel auf konkrete Erinnerungsorte – also Gedenktafeln oder Denkmäler – die den Milser Opfern gewidmet sind.607 1997 wurde das erste Tiroler Mahnmal – genannt „Wider das Vergessen“ -, vom Altbischof Reinhold Stecher als „Zeichen einer stummen Klage“608 über alle Tiroler Euthanasieopfer auf dem Klinikgelände in Innsbruck eingeweiht. Das Erinnerungszeichen, dem ein Bild des Künstlers Oswald Tschirtner zur Vorlage gedient hatte, verzichtet dabei auf die Nennung der Namen der Opfer.609 Auf dem Denkmal ist lediglich „Wider das Vergessen“ zu lesen, Zusatzinformationen werden nicht gegeben, was zu berechtigter Kritik führt, denn derlei Denkmäler „verstärken die Distanz zwischen den vermeintlich Gedenkenden und jenen, deren gedacht werden soll.“610 Ebenfalls ohne Namensnennungen hält es die Gedenktafel, die in Mils „anläßlich des Schützenjahrtages, am Sonntag, den 8. November 1998“611 enthüllt wurde (siehe Abb.21). Bemerkenswert ist, dass die Inschrift der Gedenktafel faktisch inkorrekt ist. Zwar sind tatsächlich 69 Personen vom Milser St.-Josefs-Institut nach Hartheim deportiert worden, aber – wie bereits mehrfach erwähnt

606 Ebd.; Universität Innsbruck, Psychiatrische Landschaften/Psichiatria Confini, 2009, [http://psychiatrische-landschaften.net/index.html], eingesehen am 03.09.2017. 607 Diese Eingrenzung erfolgt, weil auf schriftliche Erinnerungsorte bereits beim Versuch der biografischen Skizzen Bezug genommen wurde. Vlg. Beitrag zu Hubert Rainer., Ilse G., Edgar L. 608 Martin Ladstätter, Mahnmal in Tirol, 04.09.1997, [https://www.bizeps.or.at/mahnmal-in-tirol/], eingesehen am 18.03.2019. 609 Stöger, Eingegrenzt, S. 360. 610 Sommerauer, verankern, S. 319. 611 Josef Waldner, Gedenktafel an die Opfer des St.Josefsinst., 09.02.2013, [https://dorfchronik.mils- tirol.at/geschichte/ns-zeit/2013/02/09/gedenktafel-an-die-opfer-des-st-josefinst/? highlight=gedenktafel], eingesehen am 18.03.2019.

137 (Tiroler) Erinnerungskultur: Das Gedenken an die Euthanasie

– zwei davon nicht am 10. Dezember 1940, sondern im Mai des Folgejahres. Dies ist keine neue Erkenntnis, sondern vielmehr auf Aussagen der Milser Schwestern und Akten des Instituts zurückzuführen. Es kann also davon ausgegangen werden, dass auf diese Tatsache beim Verfassen des Erinnerungstextes bewusst keine Rücksicht genommen wurde.

Abbildung 21: Die Milser Gedenktafel (Quelle: Pusteblume 4 (1999), Nr. 1) Sieben der 67 Opfer des Sammeltransportes vom 10. Dezember 1940 wird namentlich gedacht. Auf Initiative Anna Riesers stellte man 2005 ein Denkmal aus weißem Marmor auf, auf dem Elise H., Maria A., Martha S. und Maria S. und 21 weiteren Zillertaler Euthanasieopfern am Friedhof von Uderns angeführt sind.612

Angestoßen von dem Projekt „A Letter to the Stars“, bei dem die Schülerin Marina Jordan mitgemacht hatte, befestigten die Angehörigen von Hubert Rainer am 10. Mai 2008 ein goldenes Herz an ihrem Familiengrab, in dem Huberts Tante, die sich um ihn gekümmert hatte, begraben ist. Marina meint dazu: „Als wir das Herz unten am Friedhof festmachten dachte ich, jetzt sind sie wieder zusammen!“

612 DerStandard, Zillertal: NS-Opfer in die Heimat geholt, 14.09.2005, [https://derstandard.at/2173687/Zillertal-NS-Opfer-in-die-Heimat-geholt], eingesehen am 18.03.2019.

138 (Tiroler) Erinnerungskultur: Das Gedenken an die Euthanasie

Abbildung 22: "Zum Gedenken an Hubert Rainer 1932-1945 im Alter von 8 Jahren als Opfer der Euthanasie des NS-Regimes" (Quelle: Temporäres Denkmal)

Abbildung 23: Mahnmal in Alberschwende (Quelle: Karin Hillebrand, Alberschwende)

139 (Tiroler) Erinnerungskultur: Das Gedenken an die Euthanasie

Am 1. September 2009 wurde in Alberschwende zwischen Pfarrkirche und Leichenhalle ein von Ferdinand Rüf geschaffenes Mahnmal, das elf Opfer – darunter Ilse Geuze – auflistet, enthüllt (siehe Abb.22). Der Künstler selbst sagt dazu: „Die Positionierung des Denkmals ist etwas fremd und eigen. Ein Denkmal sollte im Grunde im Weg stehen, um eine Auseinandersetzung und Beachtung zu fordern. Die Positionierung soll das Verlorene verbildlichen, die Opfer die lang ‚verloren‘ waren, aber auch den Umgang mit dieser Zeit, die verdrängt, die fallen gelassen wurde.“613 2014 wurde zu Allerheiligen „Im Gedenken an die zivilen Opfer und an die Opfer der Euthanasie 1939 – 1945“ eine Gedenktafel am Kriegerdenkmal in Münster angebracht, auf dem Elisabeth M. nebst acht weiteren Personen gedacht wird.614 Auch wenn Münster eine der wenigen Gemeinden ist, die überhaupt ein Erinnerungszeichen für seine Euthanasieopfer gesetzt hat, ist die Form des Erinnerns nicht unumstritten: „Weil Kriegsheldengedenkstätten aufgrund ihrer Genese, aber meist auch in Form und Diktion die Werte der damaligen Dominanzgesellschaft und des Krieges repräsentieren, sind sie für das Anliegen, Personen, die aus eben dieser Dominanzgesellschaft ausgeschlossen wurden, gleichsam symbolisch ‚wiederaufzunehmen‘, denkbar ungeeignet“, befindet beispielsweise Sommerauer.615 Andererseits kann das Anbringen der Gedenktafel am Kriegerdenkmal auf einer Metaebene als Bruch mit eben jenen vermeintlichen Werten gedeutet werden.

Im November 2014 wurde das 1991 enthüllte Salzburger Mahnmal im Kurgarten „um vier Bodenplatten mit 325 Namen von bisher bekannten Opfern aus der Stadt Salzburg erweitert“.616 Dabei wurden absichtlich Leerstellen gelassen, um das Denkmal gegebenenfalls zu erweitern. Eines der Milser Opfer, Elfriede S., kam ursprünglich aus Salzburg. Vielleicht liest man ihren Namen in Zukunft auf dem Salzburger Mahnmal.

613 Gemeinde Alberschwende, Mahnmahl NS-“Euthanasie“, in: s‘Leandoblatt. Informationen aus Alberschwende ( 2009), Nr. 7, S. 4, [http://www.alberschwende.at/fileadmin/Download/Leandoblatt/ September09.pdf], eingesehen am 18.03.2019. 614 Email von Werner Entner, Bürgermeister der Gemeinde Münster, vom 01.03.2018 an die Verfasserin. 615 Sommerauer, verankern, S. 319. 616 Hans-Peter Miller, Erinnerungskultur. Gedenken an die Opfer der Euthanasie, 12.01.2015, [https://www.stadt-salzburg.at/internet/bildung_kultur/stadtgeschichte/erinnerungskultur_332268/ gedenken_an_die_opfer_der_euthanasie_415701.htm], eingesehen am 18.03.2019.

140 Resümee Resümee

Die Geschichte des St.-Josefs-Institutes in Mils erstreckt sich mittlerweile über mehr als hundert Jahre. Ihr schwärzestes Kapitel ist dabei zweifelsohne das der Euthanasie. Am 10. Dezember 1940, dem Tag an dem acht Jahre später die Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen proklamiert werden sollte617, wurden mit dem einzigen Sammeltransport vom Milser St.-Josefs- Institut 67 Menschen nach Hartheim gebracht und dort im Zuge der T4-Aktion ermordet. Die Barmherzigen Schwestern hatten gehorsam die dafür benötigten Meldebogen fristgerecht eingereicht. Erst mir dem Eintreffen der Transportlisten wurde die Skepsis über die Verlegungen so groß, dass sich Schwester Hendlmaier in Vertretung der erkrankten Schwester Oberin um die Streichung von 43 Personen bemühte und diese – höchstwahrscheinlich unter Mitwirkung Dr. Klebelsbergs – bei Dr. Czermak auch erwirkte. Hauptkriterium für diese lebensrettenden Streichungen, darin stimmen ihre Aussagen überein, war die Arbeitsfähigkeit der Pfleglinge. Aufgrund der schwierigen Quellenlage bleiben viele Forschungsfragen offen, wie etwa die Fragen nach einer diskriminierenden Geschlechter-, Alters- und Kostenträgerverteilung. Gleiches gilt für die biografischen Skizzen, die sich zuweilen schlicht auf die wenigen Daten beziehen, die auf dem Abtransportierten-Verzeichnis abgedruckt sind. Damit können sie wohl für sich genommen als Mahnmal dafür aufgefasst werden, die schwarzen Kapitel der Geschichte nicht zu negieren, wie es in Österreich bis in die 1980er Jahre der Fall war, sondern sich ihnen zu stellen.

Abschließend bleibt darauf zu verweisen, dass die NS-Euthanasie zwar an kaltblütiger Skrupellosigkeit nicht zu überbieten ist, aber auf einer wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung beruht, in der unter der Prämisse der Effizienz das soziale Klima immer kälter wurde und deren Anfänge lange Zeit vor Hitlers Aufstieg anzusetzen sind.

617 United Nations, Resolutions adopted on reports of the Third Committee, 04.12.1950, [http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/423(V)], eingesehen am 07.03.2019.

141 NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht

Im Lehrplan ist klar verankert, dass eine Beschäftigung mit dem nationalsozialistischen System zu erfolgen hat.618 Zweifelsohne ist die Euthanasie ein Auswuchs dieses Systems, weshalb sich ihre Thematisierung – auch wenn sie nicht explizit im Lehrplan verankert ist und in einigen Schulen deshalb vielleicht keine Erwähnung findet – im Geschichtsunterricht problemlos rechtfertigen lässt. In der Tat sollte nebst einer intensiven Auseinandersetzung mit der Shoa und der damit einhergehenden Thematisierung der Verfolgung der größten Opfergruppe des Nationalsozialismus, die Heterogenität der Verfolgten aufgezeigt werden, um so der immer noch stattfindenden gesellschaftlichen Marginalisierung gewisser Opfergruppen entgegenzuwirken.619 Außerdem ist die systematische Ermordung von Menschen mit Behinderung – wie bereits besprochen – Vorläufer des systematischen Massenmordes an den JüdInnen, was in einem vernetzenden Geschichtsunterricht ohnehin Erwähnung finden sollte: Die folgenden Unterrichtsentwürfe sind Vorschläge, wie man sich der Euthanasie im Unterricht nähern kann und bieten die Möglichkeit, mit der Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung anzuschließen. Kompetenzen und Anforderungen Im Lehrplan wird vorgegeben, dass der Unterricht im Fach Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung ein kompetenzorientierter zu sein hat.620 Dafür wurden sowohl vier historische als auch politische Teilkompetenzbereiche der narrativen Kompetenz erarbeitet, die genau definieren, welche Fähigkeiten sich die SchülerInnen aneignen sollen um schlussendlich „durch historisches Erzählen auf eine bestimmte Weise Sinn über Zeiterfahrungen zu bilden, mit dem es [das Subjekt: der/die SchülerIn] sein Dasein im Fluss der Zeit orientieren

618 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Lehrplan Geschichte und Sozialkunde/ Politische Bildung, o. D., S. 3, [ https://bildung.bmbwf.gv.at/schulen/unterricht/lp/lp _ neu_ahs _ 05_11857.pdf?4dzgm2 ], eingesehen am 19.02.2019. 619 Ingolf Seidel, Lernen mit Biografien. Ziele, Möglichkeiten und Grenzen der pädagogischen Arbeit mit Lebensgeschichte und biografischen Fragmenten von ehemaligen NS-Verfolgten, in: Lernen aus der Geschichte, 27.06.2018, [http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/14066], eingesehen am 13.03.2019. 620 Lehrplan, S. 2.

142 NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht kann“621. Die folgenden Unterrichtsentwürfe tragen der Kompetenzorientierung Rechnung.

Die historischen Kompetenzen nach Kühberger622

Historische Historische Methoden- Historische Historische Fragekompetenz kompetenz Orientierungs- Sachkompetenz kompetenz Geschichte (also Die SuS sollen eigenständig Der Unterricht soll Um historische eine Erzählung und kritisch mit historischen das besseren Ver- Sachverhalte erfassen über die Quellen (z.B. Bildmaterial) stehen von Gegen- zu können, benötigt Vergangenheit) gibt umgehen können. Dafür wartsphänomenen man Begriffe und Antworten auf müssen Methoden vermittelt und zukünftigen Konzepte, die Fragen, die an die werden, mit denen Analysen Herausforderungen altersgemäß konkre- Vergangenheit und Interpretationen fördern und auf die tisiert und weiter- gestellt werden. durchgeführt werden können Pluralität der sinn- entwickelt werden SchülerInnen sollen (Re-Konstruktion). Nicht nur findenden Schlüsse sollen.Historische die Fähigkeit historische Quellen, sondern verweisen. Dieser Sachkompetent meint erlangen, Fragen an auch „Erzählungen über die Sinn resultiert nicht ein Nachdenken über die Vergangenheit Vergangenheit“ (z.B. zwangsläufig aus der die unterschiedlichen zu erkennen und Denkmäler) sollen als Vergangenheit, Bedeutungen, die auch selbst zu Konstrukt erkannt und sondern muss erst Begriffe haben können, formulieren. systematisch und kritisch durch Bewertungen und ihre Nutzung zur analysiert werden können. (De- in der Gegenwart Strukturierung von Konstruktion) generiert werden. Gedankengängen.

621 Jörn Rüsen, Historisches Lernen. Grundlagen und Paradigmen, Schwalbach 20082, S.44. 622 Wolfgang Taubinger / Elfriede Windischbauer, Das Thema Aufgabenstellung in einem kompetenzorientierten Unterricht im Fach Geschichte und Sozialkunde / Politische Bildung, in: Kompetenzorientierter Unterricht in Geschichte und Politische Bildung. Diagnoseaufgaben mit Bildern, hrsg. v. Heinrich Ammerer / Elfriede Windischbauer, Wien 2016, S. 4 – 11, S. 6, [https://www.ph-online.ac.at/phst/voe_main2.getVollText?pDocumentNr=64434&pCurrPk=3902], eingesehen am 05.01.2019.

143 NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht

Die politischen Kompetenzen nach Kühberger623

Politikbezogene Politische Politische Politische Methodenkompetenz Sachkompetenz Handlungskompetenz Urteilskompetenz SuS können Grundlagen SuS werden Der Unterricht soll den SuS Die SuS sollen in der und Informationen befähigt, den die Fähig- und Fertigkeit Lage sein, ein reflektieren und Konstruktionscharak sowie Bereitschaft, sich an selbstständiges, entschlüsseln indem sie ter von Begriffen politischen Prozessen zu begründetes, sach- ein Repertoire an und Konzepten und beteiligen und an der Lösung bzw. wertorientiertes Analysemethoden ihre Einbettung in von Problemen mitzuwirken, politisches Urteil zu anwenden. Außerdem konkrete kulturelle vermitteln. Die politische treffen. Dafür müssen werden die SuS und historische Handlungskompetenz sie Informationen befähigt, sich multi- Zusammenhänge zu „schließt die Bereitschaft einholen, abwägen medial politisch zu verstehen. zum Kompromiss, die und bewerten können artikulieren um an Diese Kompetenz ist Fähigkeit zur um zu Teilurteilen zu gesellschaftlichen eng mit der Kommunikation und kommen und sind sich Diskussionen historischen Toleranz / Akzeptanz und zur dem Unterschied teilnehmen zu können. Sachkompetenz Konfliktfähigkeit ein“.624 zwischen Urteil und verknüpft. Vorurteil bewusst.

Kontext und Vorwissen Die nachfolgende Unterrichtseinheit soll in einer 7. Klasse einer allgemein-bildenden höheren Schule als Teil der Beschäftigung mit dem Themenkomplex des „nationalsozialistischen Systems“ abgehalten werden.625 Dabei ist zu beachten, dass diese Thematik bereits ausgiebig im Unterricht behandelt wurde, also Vorwissen zur NS-Diktatur besteht. Außerdem ist davon auszugehen, dass die SchülerInnen gemäß des kompetenzorientierten Unterrichts (Methodenkompetenz) bereits mehrfach mit verschiedenen Quellen und Medien gearbeitet

623 Taubinger / Windischbauer, kompetenzorientierter Unterricht, S. 7. 624 Ebd. 625 Lehrplan, S. 3.

144 NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht haben, weswegen darauf verzichtet werden kann, sich explizit mit den hier verwendeten Quellen/Medien als solches zu beschäftigen.626

Unterrichtsentwurf I

In der ersten Unterrichtseinheit sollen die SchülerInnen mit dem Thema „Euthanasie“ bekannt gemacht werden. Dafür empfiehlt sich eine Auseinandersetzung mit der Filmsequenz Eugenische Wissenschaft und NS-Euthanasie, dem dritten Teil des Unterrichtsfilms Die (un)sichtbare Arbeit des Projekts „Psychiatrische Landschaften“, die die Euthanasie in Tirol – hauptsächlich in Hall – kontextualisiert. Damit wird außerdem dem Lehrplan Rechnung getragen, der regionale Aspekte im Geschichtsunterricht vorsieht.627 Durch die Lehrperson erfolgt nach der Bearbeitung eines Arbeitsblattes, das den Filmbeitrag zum Thema hat, die Vernetzung der Haller Euthanasie-Geschichte mit den NS-Behindertenmorden generell. Abschließend sollen die SchülerInnen über die im Filmbeitrag aufgeworfene Frage diskutieren, wie die Streichungen zu beurteilen sind.

Zum filmischen Material:

„Filmsequenz [drei] behandelt die Vor- und Nachgeschichte der Psychiatrie im Nationalsozialismus.Bereits im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert setzten sich in weiten Teilen der – auch psychiatrischen – Wissenschaften eine erbbiologisch und/oder milieutheoretisch inspirierte Degenerationslehre und eine eugenisch, später eine rassenhygienisch motivierte Entartungslehre durch. Die Filmdokumentation zeigt die Entwicklung von den ideengeschichtlichen Anfängen über die Gesundheitspolitik des NS-Staates bis hin zu den Krankenmorden im Rahmen des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms, der „Aktion T4“. Mehr als 200.000 Menschen mit psychischen und/oder geistigen Behinderungen wurden in ihrem Rahmen getötet. Dass sich ein Teil dieser Geschichte auch in Tirol ereignete, ist längst bekannt. 360 Patientinnen und Patienten wurden im Rahmen der NS-„Euthanasie“ allein aus der Heil- und Pflegeanstalt Hall abtransportiert und in Hartheim oder Niedernhart bei Linz ermordet. Aus der Anstalt Pergine und ihrer

626 Dies wiederum soll keinesfalls heißen, dass die Schärfung der Methodenkompetenz weniger wichtig als die der anderen Kompetenzen ist. Einzig für die hier vorgestellten Unterrichtsentwürfe wurde darauf verzichtet, eigens dafür vorgesehene Aufgaben zu stellen. 627 Lehrplan, S. 2.

145 NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht

Außenstelle Stadlhof wurden 299 Südtiroler Patientinnen und Patienten in Anstalten nach Süddeutschland verbracht. Viele von ihnen starben im Rahmen der „wilden Euthanasie“ an systematischer Unterversorgung.“628

Didaktische Überlegungen – Filmeinsatz im Geschichtsunterricht Der Film, also im weitesten Sinne bewegte Bilder die heutzutage fast immer mit Audiospuren unterlegt sind, ist eines der meist verbreiteten Medien unserer Zeit, sei es im klassischen Sinne auf großen Leinwänden in Kinosälen, im Fernsehen, oder eben auch im Internet, im den eine Unzahl an Snippets, Clips, aber auch großen Produktionen diverser Streaming-Anbieter zu finden ist. Dementsprechend facettenreich ist dieses Medium, das Meyer gemeinhin in fünf Gattungen unterteilt: In einem Spielfilm werden fiktive Ereignisse, die auf historischen basieren oder auch nicht, meist von SchauspielerInnen dargestellt. Unter Doku-Drama versteht man die Verschmelzung von Spiel- und Dokumentarfilm, wie der Name bereits vermuten lässt. Letzterer besteht meist aus mehreren Filmdokumenten, die kommentiert werden. Ein Filmdokument ist die Aufzeichnung eines Ereignisses, das festgehalten wurde, während es stattfand. Setzt sich der Dokumentarfilm die Belehrung des Publikums zum Ziel und ist um Grafiken, Quellendarstellungen oder evtl. Spielfilm-Ausschnitte erweitert, handelt es sich um einen Unterrichtsfilm.629 Im folgenden Unterrichtsentwurf wird mit solch einem Unterrichtsfilm gearbeitet.630 Nebst den pragmatischen Überlegungen (technische Ausstattung des Klassenzimmers, bereits entwickelte methodische Kompetenzen der SchülerInnen etc.) sollte der

628 Psychiatrische Landschaften, Die (un)sichtbare Arbeit. Zur Geschichte der psychiatrischen Pflege im historischen Tirol von 1830 bis zur Gegenwart, Eugenische Wissenschaft und NS-Euthanasie, 2012, [http://arbeit.psychiatrische-landschaften.net/index.html@p=6.html], eingesehen am 23.03.2019. 629 Helmut Meyer, Geschichtsunterricht. Eine praxisnahe Einführung, Zürich 2015, S. 163. 630 Die hier erfolgte Auswahl eines Unterrichtsfilms bedeutet keinesfalls im Umkehrschluss, dass die Verwendung von Nicht-Unterrichtsfilmen im Unterricht nicht ebenso ihre Berechtigung hat. Allerdings muss an verschiedene Genres verschieden herangegangen werden – ein historischer Spielfilm, beispielsweise, wird im Unterricht als Quelle dienen, anhand derer erarbeitet werden kann, welche Vorstellungen in der Entstehungszeit des Films über die dargestellte Zeit vorherrschend waren etc. Oliver Näpel, Film und Geschichte. „Histotainment“ im Geschichtsunterricht, in: Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts, hrsg. v. Michele Barricelli / Martin Lücke, Band 2, Schwalbach 22017, S. 146 – 171, S. 150.

146 NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht

Einsatz von Filmmaterial im Unterricht folgenden Anforderungen gerecht werden: Das Material muss fakten-, typen- und repräsentationsauthentisch sein und zudem auf dem neuesten Stand der Wissenschaft.631 All diese Kriterien erfüllt der ausgewählte Filmbeitrag, weshalb er sich für die Erarbeitung des Inhalts sehr gut eignet.

Folgende Lernziele sollen dabei erreicht werden:

• Einblick gewinnen in die Thematik der Euthanasie

• „Erkennen des Dilemmas von ärztlichem und pflegerischem Handeln im Spannungsfeld von Mitwirkung und Verweigerung“632

• Erfolgreiches Kommunizieren in kontrovers geführter Diskussion

Material: • M1: Fragen zu Die (un)sichtbare Arbeit (Teil 3) (Quelle: Verfasserin)

• M2: Didaktikmaterial: „Die Ermordung psychisch kranker Menschen – NS-‘Euthanasie‘ in Tirol“633

631 Näpel, Film, S. 165. 632 Psychiatrische Landschafen, Die unsichtbare Arbeit. Zur Geschichte der psychiatrischen Pflege im historischen Tirol von 1930 bis zur Gegenwart, Eugenische Wissenschaft und NS-Euthanasie, 2012, [http://arbeit.psychiatrische-landschaften.net/index.html@p=6.html], eingesehen am 20.03.2019. 633 Ebd.

147 NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht

STRUKTURSKIZZE I Phase Inhalt (Was?) Nutzen Methode Material (Womit?) (Warum?) (Wie?) Einstieg Begrüßung, Vorbereitung und Frontal Anwesenheitskontrolle etc., Einstieg in inhaltliche Erläuterung des Stunde, Unterrichtsablaufs Erwecken des Interesses der SuS Erarbeitung Die SchülerInnen schauen Einführung in die Abspielen des Smartboard/Beamer; sich Die (un)sichtabare Thematik Filmbeitrags Filmsequenz: Arbeit (Teil 3) an und http://arbeit.psychiatr beantworten eigenständig Einzelarbeit isc he- die dazu gestellten Fragen. landschaften.net/inde x.html@p=6. html ; M1: Arbeitsblatt Sicherung Besprechung der Vertiefung, Plenum M1: Arbeitsbaltt Antworten der SuS im Stoffsicherung Frontal Didaktikmaterial Plenum, Handout des (Sachkompetenz) „Die Ermordung Didaktikmaterials zur psychisch kranker Filmsequenz mit Menschen – vertiefendem Input der NS-‘Euthanasie‘ in Lehrperson Tirol“ (M2) Problema- Die SuS beschäftigen sich Auseinandersetzu Diskussion tisierung mit der im Filmbeitrag ng mit aufgeworfenen Frage, wie kontroversen The- die Streichung von men, wie im Lehr- Pfleglingen von den plan gefordert.634 Transportlisten bewerten (Frage- und werden kann. Urteilskompetenz)

634 Lehrplan, S. 2.

148 NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht

Unterrichtsentwurf II

In dieser Unterrichtsstunde befassen sich die SchülerInnen mit den konkreten Auswirkungen des zuvor erarbeiteten Inhalts. Dafür wird die Biografie Maria Pfeifers herangezogen, in der nicht nur das Schicksal Marias als Euthanasie-Opfer thematisiert wird, sondern auch ihr soziales Umfeld. In einer Gruppenarbeit gilt es, Marias Leben mit den großen geschichtlichen Ereignissen zu verknüpfen.

Didaktische Überlegungen - Personalisierung/Personifizierung Während es seit jeher ein gängiges Prinzip der Geschichtsvermittlung ist, Vergangenes anhand von Personalisierung, also dem Festmachen der Geschichte an großen, meist männlichen Personen, darzustellen, regte sich ab den 1970er Jahren immer mehr Kritik an dieser simplistischen Herangehensweise. Stattdessen setzte sich nun die „Überzeugung durch, dass die Entscheidungsgewalt der politischen Akteure und ihr Handlungsspielraum nicht allein ihren individuellen Fähigkeiten, nicht einmal in erster Linie, entsprängen, sondern eingeschränkt seien durch die Wirkmächtigkeit der zu ihren Lebzeiten herrschenden Strukturen“.635 Klaus Bergmann stellte dementsprechend sein Prinzip der Personifizierung in der Geschichtsdidaktik vor, das Geschichte aus der Perspektive „namenloser“636 handelnder und leidender Personen darstellt, welche als StellvertretetInnen gesellschaftlicher Gruppierungen dienen sollen.637 Außerdem betont er, dass ein personifizierender Geschichtsunterricht nur dann didaktisch sinnvoll ist, wenn er SchülerInnen „gleichzeitig nicht-personale Elemente wie wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Strukturen vermittelt, innerhalb deren und in Auseinandersetzung mit denen sich historisch-politisches Handeln vollzieht und die dem individuellen Handeln fast unübersteigbare, dem gesellschaftlichen Handeln enge, aber doch überschreitbare Grenzen setzen.“638 In diesem Sinn stellt die Opfer-Biografie zwar einen wichtigen Bestandteil des folgenden

635 Gerhard Schneider, Personalisierung/Personifizierung, in: Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts (Forum historisches Lernen), hrsg. v. Michaele Barricelli / Martin Lücke, Band 1, Schwabach 2017, S. 302 – 315, S. 305. 636 Im Sinne von „nicht-berühmter“ Personen. 637 Klaus Bergmann, Personalisierung im Geschichtsunterricht. Erziehung zu Demokratie?, Stuttgart 1972, S. 82. 638 Ebd., S. 83.

149 NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht

Unterrichtsentwurfs dar, dient aber der Vermittlung der Thematik an sich:

„Die exemplarische Darstellung ‚typischer‘ Einzelschicksale also soll dafür sorgen, das in seinem Umfang und seiner Bedeutung unüberbrückbare, oft auch unabsehbar schreckliche historische Geschehen in ein begreifbares menschliches Maß zu bringen und somit dem nicht professionell vorgebildeten Verstande von Schülerinnen und Schülern […] zugänglich zu machen.“639

Folgende Lernziele sollen dabei erreicht werden:

• Auseinandersetzung mit den Lebensrealitäten psychisch erkrankter Personen zur damaligen Zeit

• Bewusst machen des eingeschränkten Handelsspielraums verarmter Angehöriger

• Erkennen der direkten Auswirkungen von Politik auf das Individuum

• Bewegung als Lernkanal nutzen

Material: • M3: Carlheinz Canal, Maria Pfeifer geb. Siegele. Ein Opfer durch Ermordung in der Gaskammer der Nationalsozialisten aus Ischgl, in: Schnerfr (2014), Nr. 48, S. 69 – 71.

◦ In dem Artikel wurde der letzte Absatz gekürzt, da es sich dabei um eine Falschdarstellung handelte, die der Autor 2015 selbst eingeräumt hat.

◦ Außerdem wurde ein Glossar hinzugefügt sowie Fragen, die die Methodenkompetenz der SuS schäften sollen.

• M4: Ereigniskarten (Quelle: Verfasserin)

◦ Die Karten sind von der Lehrperson im Vorhinein auszuschneiden, damit die SuS sie ungeordnet erhalten, die richtigen Jahreszahlen einsetzen können und dann die vervollständigten Ereigniskarten auf ihrem Poster entlang eines Zeitstrahls zu befestigen.

639 Schneider, Personifizierung, S. 314.

150 NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht

STRUKTURSKIZZE II Phase Inhalt (Was?) Nutzen (Warum?) Methode Material (Wie?) (Womit?) Einstieg Begrüßung, Einstieg in die Stunde Frontal Anwesenheitskontrolle, Verbindung zu Plenum Wiederholung des in der vorhergegangener vorhergehenden Einheit Stunde herstellen, durchgenommenen Erwecken des Inhalts, Interesses der SuS Erklärung der folgenden Unterrichtsstunde Erarbeitung Die SuS erhalten den Personifizierung der Einzelarbeit M3: Artikel in Auftrag, „Maria Pfeifer Thematik, Schnerfr (2014), geb. Siegele“ zu lesen und Schärfung der Nr. 48 zu dekonstruieren Methodenkompetenz (bearbeitet) Transfer Die SuS sollen anhand der Verknüpfung der Gruppenarbeit M4: zur verfügung gestellten Biografie mit den (abhängig von Ereigniskarten Materialien einen historischen Groß- Klassenstärke Zeitstrahl erstellen ereignissen (Orientier- bis max. 4 Pers/ Poster ungskompetenz) Gruppe) Sicherung Die SuS werden dazu Stoffsicherung Einzelarbeit aufgefordert, im In Aufgabe Klassenzimmer integrierte umherzugehen um sich Bewegung der jedes Poster anzusehen SuS und es mit dem eigenen dahingehen zu vergleichen, ob sie übereinstimmen.

151 NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht

Unterrichtsentwurf III

Dieser Unterrichtsentwurf ist als Weiterführung des Arbeitens mit Opfer-Biografien zu verstehen, das heißt, dass auch hier die Personifizierung im Geschichtsunterricht um Fokus steht. Zudem gilt es, den Gegenwartsbezug der Thematik zu veranschaulichen und so die SchülerInnen zu kritischer Reflexion zu bewegen.

Folgende Lernziele sollen dabei erreich werden:

• Erkennen der gesellschaftlichen Gegebenheiten, die der Euthanasie in die Hände spielten

• Erkennen von Dis- und Kontinuitäten dieser Gegebenheiten

• Kritische Reflexion über den Umgang mit psychisch Kranken

• Kritische Selbstreflexion über eigene Haltung gegenüber psychisch Kranken

Im Anschluss an diese Unterrichtseinheit würde es sich anbieten, die Verfolgung der JüdInnen zu thematisieren – die ja bekanntlich über die Geschichte hinweg mit verschiedensten Stigmen besetzt wurden – und so einen Einstieg in Vermittlung der Shoa zu machen.

Material: • M5: Arbeitskreis für Vorsorge- und Sozialmedizin, Stigmatisierung. Vorurteile gegenüber psychischen Erkrankungen, Interview mit Johannes Wolf-Nuderscher, 03.12.2013, [http://www.aks.or.at/interview/stigmatisierung-vorurteile-gegenueber-psychischen- erkrankungen-2/], eingesehen am 23.03.2019.

• M6: Stigmatisierung psychisch Kranker (Quelle: Verfasserin)

152 NS-Euthanasie und ihre Opfer im Unterricht

STRUKTURSKIZZE III Phase Inhalt (Was?) Nutzen (Warum?) Methode Material (Wie?) (Womit?) Einstieg Begrüßung, Einstieg in die Stunde Frontal Anwesenheitskontrolle, Verbindung zu Plenum Wiederholung des in der vorhergegangener Stunde vorhergehenden Einheit herstellen, durchgenommenen Erwecken des Interesses Inhalts, der SuS Erklärung der folgenden Unterrichtsstunde Erarbeitung Die SuS lesen in Die SuS werden mit der Einzelarbeit M5: Interview Einzelarbeit ein Interview Stigmatisierung von mit Johannes über die Stigamtisierung psychisch Kranken Wolf-Nuderscher psychisch Kranker und konfrontiert machen Stichworte dazu Vertiefung Die SuS sollen das Förderung der Einzelarbeit M6: Stigmati- Erarbeitete anhand der Fragekompetenz sierung psychisch Biografie konkretisieren Kranker Transfer Die SuS sollen die Fragen Formen von Sach- Plenum M6 mit Gegenwartsbezug im Werturteilen, Förderung Plenum besprechen der Orientierungs- und Handlungskompetenz

153 Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

Archivquellen • Historisches Archiv Landeskrankenhaus Hall (HA LKH): ◦ Krankenakten und Patientenverwaltungsakten: ▪ V/847 ▪ V/1387 ▪ V/505 ▪ V/422 ▪ V/1988 ▪ IV/3933 ▪ V/1244 ▪ V/4300 ▪ V/1192 ▪ V/3286 • Tiroler Landesarchiv (TLA): ◦ Bundespolizeidirektion Innsbruck: ▪ 6 Euthanasie – Polizeiliche Erhebungen über die Tötung von Geisteskranken 1946 inklusive Verzeichnis der Euthanasieopfer, Konvolut: • 6/1 Verzeichnis der 706 getöteten Geisteskranken • 6/2 Meldungen der Gendarmerieposten 1946, verschleppte und getötete Geisteskranke in der Zeit von 1938-1945, Erfassung • 6/7 Schriftverkehr zwischen Reichsstatthalter Tirol und Vorarlberg, Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten, Berlin, Landesanstalt Hartheim und Arzten ◦ Evidenzarchiv, Meldezettel der Stadt Innsbruck: Zeitraum 1877 – 1919 ◦ Gauselbstverwaltung, Gaukämmerei: ▪ GSV, GK 257/41 ◦ Landesgericht Innsbruck: ▪ 10 Vr 4740/47 (Strafprozess gegen Dr. Hans Czermak)

154 Quellen- und Literaturverzeichnis

◦ Online-Matriken: ▪ Taufbuch 1816-1902 mit Index_MF 9888-6 ▪ Taufbuch 1823-1903_MF 0729-9 ▪ Taufbuch 1824-1924_MF 0764-9, MF 0765-1 ▪ Taufbuch 1849-1891_MF 0761-6 ▪ Taufbuch 1860-1926 mit Index_MF 0695-3 ▪ Taufbuch 1863-1900 mit Index_MF 0886-3 ▪ Taufbuch 1875-1908 mit Index_MF 0648-3 ▪ Taufbuch 1880-1930_MF 0632-10, MF-633-1 ▪ Taufbuch 1886-1909 mit Index_MF 1427-2 ▪ Taufbuch 1886-1919 mit Index_MF 1268-2 ▪ Taufbuch 1890-1921 mit Index_MF 1462-1 ▪ Taufbuch 1892-1920_MF 0761-7, 0762-1 ▪ Taufbuch 1892-1922 mit Index_MF 1460-7 ▪ Taufbuch 1892-1922 mit Index_MF 1460-7 ▪ Taufbuch 1893-1911 mit Index_MF 1419-2 ▪ Taufbuch 1895-1928 mit Index_MF 0693-4 ▪ Taufbuch 1898-1903 mit Index_1131-2 ▪ Taufbuch 1900-1913 mit Index_MF 1464-3 ▪ Taufbuch 1902-1918_MF 1010-7, MF 1011-1 ▪ Taufbuch 1907-1936_MF 1451-1 ▪ Taufbuch 1907-1936 mit Index_MF 1451-1 ▪ Taufbuch 1913-1923_MF 0722-2 ▪ Taufbuch 1915-1943 mit Index_MF 1434-1 ▪ Taufbuch 1918-1924 mit Index_MF 1410-4 ▪ Taufbuchindex 1845-1944_MF 0961-4 ▪ Taufbuchindex 1892-1907_MF 1153-2 ◦ Reichsstatthalterei in Tirol und Vorarlberg: ▪ Abt. IIIa1 (medizinische Angelegenheiten) • Zl. M-XI 1940

155 Quellen- und Literaturverzeichnis

• Zl. M-XI 1941 • Zl. M-XI 1943 • Zl. M-I-753 1940 • Dokumentationsstelle Hartheim: ◦ Johannes Hofinger, Projektbericht für die Dokumentationsstelle Hartheim, Salzburg 2006. Literatur Academic, Herzkrampf, 2012, o. D., [http://universal_lexikon.deacademic.com/169732/ Herzkrampf], eingesehen am 20.03.2019. Academic, Sub conditione Jacobi, o. D., [http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/1343533], eingesehen am 04.02.2019. AEIOU, Österreich-Lexikon, Matriken, o. D., [https://www.duden.de/rechtschreibung/ Matrikel#b2-Bedeutung-2], eingesehen am 20.03.2019. Aly, Götz, Aktion T4 1939 - 1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4, Berlin 1987. Aly, Götz, Die Belasteten. „Euthanasie“ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte, Frankfurt a. M. 2013. Antwerpes, Frank, Ruhr, in: DocCheck Flexion, o. D., [https://flexikon.doccheck.com/de/Ruhr], eingesehen am 12.03.2019. Arbeitskreis für Vorsorge- und Sozialmedizin, Stigmatisierung. Vorurteile gegenüber psychischen Erkrankungen, Interview mit Johannes Wolf-Nuderscher, 03.12.2013, [http://www.aks.or.at/interview/stigmatisierung-vorurteile-gegenueber-psychischen- erkrankungen-2/], eingesehen am 23.03.2019. Arendt, Hannah, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 20139. Austria-Forum, Franz Hofer (Gauleiter), 19.12.2018, [https://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Franz_Hofer_%28Gauleiter%29#cite_note- Klee264-2], eingesehen am 02.02.2019.

156 Quellen- und Literaturverzeichnis

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157 Quellen- und Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Stratifizierung der Armenpopulation und Ausdifferenzierung des formellen Care- Sektors im ausgehenden 18. Jahrhundert

(Quelle: Dietrich-Daum, Care, S. 166)...... 15

Abbildung 2: 1905/06 wurde das Institut um den Turm und linken Trakt erweitert

(Quelle: Zimmermann, III. Teil)...... 19

Abbildung 3: Ausschnitt aus Wandtafel

(Quelle: Seidler / Rett, Rassenhygiene, S. 44)...... 31

Abbildung 4: gedruckt in Schulbuch

(Quelle: Kepplinger, Brigitte, Wert des Lebens. gedenken, lernen – begreifen, Begleitpublikation zur Ausstellung des OÖ in Schloss Hartheim 2003, Linz 2003, S. 36)...... 33

Abbildung 5: Auszug aus einem Rechenbuch für Volksschulen von 1941

(Quelle: SZ.de, Bildstrecke – DHMD: Tödliche Medizin, 31.10.2006, [ https://www.sueddeutsche.de/ wissen/bildstrecke-dhmd-toedliche-medizin-1.626559-7 ], eingesehen am 11.12.2018)...... 33

Abbildung 6: Karte bzgl. des Einzugsgebietes der jeweiligen Tötungsanstalten

(Quelle: Schneider, Frank / Lutz, Petra / Plagemann, Sophie / Schmuhl, Hans-Walter / Baumann, Ulrich / Nachama, Andreas / Neumärker, Uwe / Scherer, Britte, erfasst, verfolgt, vernichtet/registered, persecuted, annihilated. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus/The Sick and the Disabled under National Socialism, Berlin – Heidelberg 2014, S. 65)...... 54

Abbildung 7: Ausschnitt aus Transportliste No 46

167 Quellen- und Literaturverzeichnis

(Quelle: TLA, RStH, Abt. IIIa1, Zl. M-XI 1941)...... 68

Abbildung 8: Liste der vom beauftragten Arzt vom Transport zurückgestellten Pfleglinge aus Liste 46 und Liste 50

(TLA, RStH, Abt. IIIa1, Zl. M.XI 1941)...... 70

Abbildung 9: Max Kopp im Jahr 1942

(Quelle: Zimmermann, II. Teil)...... 74

Abbildung 10: Der kleine Hubert auf dem Arm seines Vaters

(Quelle: Privatbesitz Familie Praxmarer, zit. n. Sommerauer / Wassermann, Temporäres Denkmal, S. 306)...... 81

Abbildung 11: Ilse Geuze

(Quelle: lebensspuren.schloss-hartheim.at)...... 86

Abbildung 12: Ingeborgs Mutter (li), Ingeborg (Mitte), eine Nachbarin (re).

(Quelle: Privatbesitz Familie Sprenger)...... 90

Abbildung 13: Mitteilung des St.-Josefs-Instituts an die HPA Hall bzgl. Aloisia V.

(Quelle: HA LKH, (VA V/3286))...... 95

Abbildung 14: Abschrift der Todesnachricht an Josefs Mutter vom 6. März 1941

(Quelle: TLA, BPDion Innsbruck, 6/2)...... 103

Abbildung 15: Abschrift Seite 2 der Todesmeldung aus Hartheim an Theresias Vater

(Quelle: TLA, BPDion Innsbruck, 6/2)...... 106

Abbildung 16: Maria T.s Todesnachricht aus Hartheim an den Bruder

(Quelle: TLA, BPDion, 6/2)...... 113

Abbildung 17: Ausschnitt aus Brief von Aloisias Vater an Klebelsberg

(Quelle: HA LKH, (VA V/1244))...... 115

Abbildung 18: Sterbeanzeige in den Innsbrucker Nachrichten am 12. Februar 1941

168 Quellen- und Literaturverzeichnis

(Quelle: Innsbrucker Nachrichten, 12.02.1941, S. 8)...... 120

Abbildung 19: Krankengeschichte des St.-Josefs-Instituts für Frau Elisabeth M.

(Quelle: Sommerauer / Wassermann, Temporäres Denkmal, S. 355)...... 125

Abbildung 20: Ausschnitt aus Brief Klebelsbergs vom 2. Oktober 1931

(Quelle: HA LKH, (VA IV/3933))...... 127

Abbildung 21: Die Milser Gedenktafel

(Quelle: St.-Josefs-Institut, Pusteblume 4 (1999), Nr. 1, S. 9)...... 138

Abbildung 22: "Zum Gedenken an Hubert Rainer 1932-1945 im Alter von 8 Jahren als Opfer der Euthanasie des NS-Regimes"

(Quelle: Sommerauer / Wassermann, Temporäres Denkmal, S. 309)...... 139

Abbildung 23: Mahnmal in Alberschwende

(Quelle: Karin Hillebrand, Alberschwende)...... 139

Diagrammverzeichnis

Diagramm 1: Geschlechterverteilung der Opfer in absoluten Zahlen (Eigene Darstellung)...... 7776

Diagramm 2: Altersverteilung der Opfer in absoluten Zahlen (Eigene Darstellung)...... 7877

Diagramm 3: Zahl der Opfer pro Eintrittsjahr ins St.-Josefs-Institut (Eigene Darstellung)...... 7978

Diagramm 4: Verteilung der Kostenträger der Milser Opfer (Eigene Darstellung)...... 8079

169 Quellen- und Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis BPDion Bundespolizeidirektion DÖW Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes GEKRAT Gemeinnützige Krankentransport GmbH GESTAPO Geheime Staatspolizei GK Gaukämmerer GSV Gauselbstverwaltung GzVeN Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses HA LKA Historisches Archiv Landeskankenhaus Hall HPA Heil- und Pflegeanstalt KA Krankenakt KdF Kanzlei des Führers KZ Konzentrationslager LG Landesgericht bzw. Landgericht NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NS Nationalsozialismus RM Reichsmark RStH Reichsstatthalterei SS Schutzstaffel StGB Strafgesetzbuch SuS Schülerinnen und Schüler TLA Tiroler Landesarchiv VA Verwaltungsakt VGA Volksgesundheitsamt

170 Anhang Anhang

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit an Eides statt durch meine eigenhändige Unterschrift, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht.

Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Diplomarbeit eingereicht.

Ort, Datum Unterschrift

171 Anhang

Unterrichtsmaterial

M1: Fragen zu Die (un)sichtbare Arbeit (Teil 3)

Arbeitsauftrag: Schau Dir den Filmbeitrag genau an und mache Notizen. Beantworte: • Was ist „Eugenik“?

• Wieso wurden Personen zwangssterilisiert?

• Wann befahl Hitler die Tötung „lebensunwerter“ Menschen?

• Wie beginnt die Mord-Aktion in Hall?

• Wie viele Tötungsanstalten gab es im Deutschen Reich?

• Wie lief die Tötung in Hartheim ab?

• Gab es Widerstand? Wie sah dieser aus?

• Welche Pfleglinge wurden nach Hall und später Hartheim geschickt?

• Wie viele Opfer aus Hall gibt es?

• Wurden die Angehörigen über den Tod informiert und wenn ja, wie?

• Warum wurde die Mord-Aktion offiziell abgebrochen und wann?

• Was untersucht das Forschungsprojekt um den Haller Anstaltsfriedhof?

Wer wurde als Hauptverantwortlicher für die Behindertenmorde verurteilt?

172 Didaktikmaterialien: Die [un]sichtbare Arbeit. Zur Geschichte der psychiatrischen Pflege im historischen Tirol von 1830 bis zur Gegenwart (Interreg IV, 2011). !

M2: Die Ermordung psychisch kranker Menschen – NS-„Euthanasie“ in Tirol

Von den Maßnahmen nationalsozialistischer Gesundheitspolitik besonders betroffen waren die Patientinnen und Patienten psychiatrischer Landeskrankenhäuser, die damals noch Heil- und Pflegeanstalten hießen. Im Rahmen der so genannten „Aktion T4“ wurden viele von ihnen, aber auch die Bewohnerinnen und Bewohner von Versorgungshäusern und anderen sozialen Betreuungseinrichtungen aus den Anstalten abgeholt und in eigens dafür errichteten Tötungsanstalten ermordet. Diese systematisch durchgeführte Tötung von Menschen mit einer psychischen, geistigen oder körperlichen Behinderung war die erste Massenmordaktion des nationalsozialistischen Regimes. Verharmlosend wurde die Mordaktion als „Euthanasie“ bezeichnet, was wörtlich so viel wie „guter Tod“ bedeutet.

Die ursprüngliche Doppelfunktion des Heilens und Verwahrens psychiatrischer Einrichtungen erfuhr in der Zeit des Nationalsozialismus eine Radikalisierung hin zum Heilen und Vernichten. Dabei konnte auf Ideen und Theorien aufgebaut werden, die seit Ende des 19. Jahrhunderts und insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg auch im deutschsprachigen Raum immer populärer wurden. Die vom Sozialdarwinismus beeinflusste Eugenik und Rassenhygiene propagierte bereits seit vielen Jahrzehnten die „Auslese“ und „Ausmerze“ von „Unheilbaren“ und „Untüchtigen“ (Quelle A, B und C). Von den Nationalsozialisten wurden diese Ideen weiterentwickelt, radikalisiert und schließlich in die Tat umgesetzt. Rassenhygienische Maßnahmen wurden zur Überlebensfrage Deutschlands erklärt (Quellen B und C). Mit der Einführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ begann man in Deutschland ab 1933, in Österreich ab 1940 mit Zwangssterilisierungen. Davon betroffen waren auch und in besonderem Maße Psychiatriepatientinnen und -patienten. In vielen Fällen wurde einer Entlassung aus der Anstalt nur nach erfolgter Unfruchtbarmachung zugestimmt.

Ab 1939 wurden die als unheilbar und unproduktiv eingeschätzten Patientinnen und Patienten als so genanntes „lebensunwertes Leben“ der Vernichtung preisgegeben. Mehr als 200.000 Menschen fielen der NS-„Euthanasie“ im Deutschen Reich zum Opfer. Für den Gau Tirol-Vorarlberg sind 707 Opfer nachweisbar. Alleine aus der Heil- und Pflegeanstalt Hall wurden in vier Transporten insgesamt 360 Patientinnen und Patienten in den sicheren Tod geschickt. Sie wurden zwischen 1940 und 1942 entweder in der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz oder in der Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart bei Linz ermordet. Hartheim war eine von sechs Tötungsanstalten im Deutschen Reich. Von Mai 1940 bis zum offiziellen „Euthanasie“-Stopp im August 1941 wurden hier mehr als 18.000 Menschen mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung sowie psychisch beeinträchtigte Menschen mit Gas ermordet und verbrannt. Im Dezember 1944 wurde die Tötungsanstalt aufgelöst, alle baulichen Spuren wurden beseitigt. Didaktikmaterialien: Die [un]sichtbare Arbeit. Zur Geschichte der psychiatrischen Pflege im historischen Tirol von 1830 bis zur Gegenwart (Interreg IV, 2011).

Das einzige bekannte Foto, das Schloss Hartheim mit rauchendem Krematoriumsschornstein zeigt, stammt vermutlich aus dem Jahr 1942. Foto: Privatbesitz Karl Schuhmann

Auf öffentlichen Druck – vor allem von Angehörigen und von Seiten einiger Kirchenvertreter wurde die „Aktion T4“ im August 1941 eingestellt. In den folgenden Jahren wurde in einzelnen psychiatrischen Anstalten im Rahmen der so genannten dezentralen „Euthanasie“ weiter gemordet. Belegt ist dies auch für einige österreichische Anstalten wie etwa Gugging, Klagenfurt oder Niedernhart, wo meist Medikamentenüberdosierungen gezielt eingesetzt wurden, um Patientinnen und Patienten zu töten. Auch wenn Tötungen oder das Herbeiführen bzw. Zulassen eines schnellen Todes in der Heil- und Pflegeanstalt Hall in Einzelfällen nicht ausgeschlossen werden können, ergaben die bisherigen Forschungen keine Hinweise, dass Hall zu jenen Anstalten gehörte, in denen gezielt und systematisch getötet wurde. Es gibt aber keinen Zweifel daran, dass die PatientInnen auch in Hall solch schlechten Bedingungen ausgesetzt wurden, dass deren massenhaftes Sterben als logische Konsequenz erscheint. Hunger, Kälte, Raumnot sowie medizinische und pflegerische Unterversorgung minimierten die Überlebenschancen vieler PatientInnen und bewirkten vor allem in den Jahren 1944 und 1945 einen starken Anstieg der Sterblichkeit. Nur zum Teil sind diese strukturellen Verschlechterungen mit dem Didaktikmaterialien: Die [un]sichtbare Arbeit. Zur Geschichte der psychiatrischen Pflege im historischen Tirol von 1830 bis zur Gegenwart (Interreg IV, 2011). Krieg zu erklären. Gerade bei der völlig unzureichenden Versorgung mit Lebensmitteln zeigt sich die ideologisch begründete, bewusste Benachteiligung der PatientInnen psychiatrischer Einrichtungen.

Die Mitwirkung der Ärztinnen und Ärzte und des Pflegepersonals an den „Euthanasie“-Verbrechen konnte sehr unterschiedlich sein. Sie reichte von der Vorbereitung der Patientinnen und Patienten für die Transporte oder deren Auswahl durch die Pflegerinnen und Pfleger (Quelle D) bis hin zur direkten Tötung mittels Medikamentenüberdosierungen (Quelle E). In einigen Fällen ist überliefert, dass es zu Verweigerung und Widerstand kam (Quelle F). Auch die ärztlichen Leiter der psychiatrischen Einrichtungen von Hall und Innsbruck, Ernst Klebelsberg und Helmut Scharfetter, konnten in einzelnen Fällen, meist mit dem Hinweis auf die Arbeitsfähigkeit der Patientinnen und Patienten, deren Deportation und den sicheren Tod verhindern. Allerdings übernahmen sie damit im System der Selektion und Vernichtung eine gewisse Form der Verantwortung. Von ihrer Stellungnahme hing nunmehr ab, wer gerettet und wer vernichtet wurde. Weil ihnen ihr Verhalten nach 1945 als Widerstand gegen die NS-Mordaufträge ausgelegt wurde, durften sie nach dem Krieg weiterpraktizieren und weiterhin psychiatrische Einrichtungen leiten.

Hans Czermak (2.v.l. im Hintergrund) zusammen mit Gauleiter Franz Hofer (rechts) und Volksgruppenführer Peter Hofer (ganz links) bei der Eröffnung der 2. Gaukunstausstellung in Innsbruck im Juni 1941.

Foto: Privatbesitz Michael Gehler Didaktikmaterialien: Die [un]sichtbare Arbeit. Zur Geschichte der psychiatrischen Pflege im historischen Tirol von 1830 bis zur Gegenwart (Interreg IV, 2011).

Als Hauptverantwortlicher für die Organisation und Durchführung der „Euthanasie“- Transporte in Tirol und Vorarlberg wurde der Leiter der zuständigen Gesundheitsabteilung beim Gau Tirol-Vorarlberg, der Arzt Hans Czermak, zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Ernst Klebelsberg, der ärztliche Leiter der Haller Anstalt, sagte im Verfahren als Hauptzeuge aus, seine strafrechtliche Unschuld wurde vom Gericht festgestellt. Gegen das Haller Pflegepersonal wurde nicht ermittelt. Das Gericht ging nicht von einer direkten Verwicklung der Anstalt in die „Euthanasie“- Verbrechen aus. 69 M3: Maria Pfeifer geb. Siegele Ein Opfer durch Ermordung in der Gaskammer der Nationalsozialisten aus Ischgl.

schen fielen der, verharmlosend als nach der Hochzeit sofort wieder ein- - aktion, zum Opfer, allein aus der so- bis 1925 sieben Kinder zur Welt und erlebte bis 1930 wahrscheinlich, trotz Hall“ wurden zwischen Dezember Armut die schönste Zeit ihres Lebens. 1930 kam es zur Katastrophe. Nach in die Tötungsanstalt Hartheim und einer Gallensteinoperation verstarb damit in den sicheren Tod geschickt. Eines dieser Opfer war auch mei- war nicht nur eine menschliche Tra- gödie, meine Nona konnte mit dieser Situation in keinster Weise umgehen 3. Juni 1886 in Untervalzur, einem und wurde schwerst depressiv. Ein Ortsteil der Gemeinde Ischgl, den es Bruder wurde als Kurator der sieben Maria Pfeifer 1913 Foto aus Ischgl-Buch seit der Lawinenkatastrophe 1999 Kinder bestellt, dieser war aber keine nicht mehr gibt, geboren. Wie bei große Hilfe, sondern versuchte mit Wenn ich im Bekanntenkreis erzähle brutaler Härte die Kinder zu erziehen meine Großmutter wurde von den Paznauntal war ihr Leben geprägt Nazis vergast, kommt sofort die Re- von Armut und Entbehrung. Da ihre aktion: War sie eine Jüdin? Sehr spät wurde in der Öffentlichkeit themati- verstarb, musste sie sich um ihre jün- siert, dass neben rassischen oder po- geren Geschwister kümmern und - sogenanntes „unwertes Leben“, ge- gehilfin beitragen. psychischen, geistigen oder körperli- 1916 heiratete sie Johann Pfeifer chen Behinderung, systematisch er- - -

Hochzeitsfoto 1916 in einer Innsbrucker Kirche

und unterstützte im Gegensatz zu sei- ner Frau, die zu den Kindern nett und hilfsbereit war, die Familie kaum. Die Verschuldung und damit die Verar- mung wurden immer schlimmer. Der Bruder lieh ihr zwar etwas Geld, dafür musste sie ein Grundstück, bei dieser kleinen Bauernschaft in einer unver- Geburtshaus in Untervalzur. Foto Othmar Walser hältnismäßigen Größe, hergeben.

so guten Verstand, sonst hätten sie nicht mit mir so was gemacht, den - - akten.) Fehlende Behandlungsmöglichkei- ten und der allgemeine Zustand in den psychiatrischen Anstalten konn- ten den Zustand nicht verbessern, Brom, Elektroschocks und Eisbäder), sondern im Gegenteil.

Auf Initiative einer in Innsbruck le- benden Schwägerin, die eines ihrer Inneres Mathon, Wohnhaus der Familie Pfeiffer. Foto Othmar Walser. am 12. Jänner 1935 entlassen. sich als Außenseiterin, stigmatisiert Insofern verwundert es nicht, dass Für die Kinder, die älteste Tochter durch den Aufenthalt im „Narren- sie mit der Situation immer weniger haus“. Sie mied jeden Kontakt mit fertig wurde und sich verschiedenste war es eine fast ausweglose Situation Symptome der Überlastung bemerk- - unvorstellbar - nicht nur die Armut, Eingliederung in die Gesellschaft bar machten. Am 3. August 1934 sondern auch noch die soziale Situa- wurde unmöglich gemacht. Sie - konzentrierte sich nur noch auf die rer Geschwister, gegen ihren Willen, haben. Heimweh und die Sehnsucht Landwirtschaft, Kinder und den Näh- an die Neurologisch-Psychiatrische nach den Kindern verzehrten ihre arbeiten, denn sie war eine ausge- Klinik in Innsbruck gebracht. Der Energie und Gesundheit noch mehr; zeichnete Näherin. Sie ging viel in Postwirt Grissemann aus Ischgl, der so schrieb sie den Kinder: „Bitte Kin- wahrscheinlich einzige Autobesitzer der, was ist, warum holt man mich zu begegnen, machte da und dort im Tal, brachte meine Großmutter nicht? Ich hätte schon längst nach ein Feuer um sich zu wärmen. Als zu Ihrem Bruder Josef Siegele nach Hause kommen können, überhaupt ihr einmal ihre Nichte Anna Propst Landeck, dort spielte sich eine dra- nicht fort von zu Hause, ich weiß begegnete, sagte diese:“ Grüß Gott matische Szene ab. Die Nona hat auf nicht, warum und wer das gemacht Knien ihre Bruder in Hochdeutsch Damit wurde sie als „die spinnat ohne Verstand gewesen. Ich glau- Honsls“abgestempelt. Gleichzeitig das nicht an, bring mich da nicht hin- be im Paznaun haben sie nicht alle - - sen Tochter.) Ihr Bruder aber sah es als notwendig an, sie in das Krankenhaus zu brin- gen. Dort erklärte er beim Aufnah- megespräch, seine Schwester kom- me nicht mehr der Hausarbeit nach und rede unverständliche Dinge, außerdem habe sie Totenerscheinun- - sessen zu sein und von ihm gelenkt zuwerden. Am 30. August wurde sie überwiesen, mit der Diagnose „Hal- luzinatorisch gefärbter Beziehungs- wahn“. Fragen:

- Wer hat diesen Text geschrieben? - Fragen:Gibt es Quellen, auf die sich der romane, namens Johann Zangerle, reich) gebracht, wo eine Tötungsan- AutorWassermann bezieht die Öffentlichkeit mit der damals mehrere Heustadel an- stalt eingerichtet worden war. Am - dieserundWer hat wenn Thematik diesen ja, Text konfrontiert.werden geschrieben? diese Schon zündete. Dies schien offenbar vielen selben Tag noch, gleich nach der - imGibt Vorfeld es Quellen, wurde auf an die die sich Bürgermeis der Autor bezieht- genannt? eine gute Gelegenheit, die „Ver- Ankunft, mussten sie sich nackt aus- terund der wenn Heimatgemeinden ja, werden diese genannt? der Opfer, - -Analysiere, Analysiere, wie wiedie handelnden die handelnden Personen rückte“ loszuwerden. Am lautesten ziehen, es wurde eine ärztliche Un- mittels eines Briefes der Antrag for- Personen dargestellt werden! schrie der Bruder von Johann Zanger- tersuchung vorgetäuscht, darauf hin - muliert,Analysiere, die ob Gemeinden und wenn ja wie mögen der Autor für selbst le, um offenbar den echten Brand- in den Waschraum geschickt, der in dargestellt jedeseine Wertung Opfer einevornimmt!werden. Straße, einen Platz stifter zu decken. Der Bürgermeister Wirklichkeit eine Gaskammer war. - -Analysiere, oderInterpretiere einen Parkzu obwelchem benennen. und Zweckwenn Auch der ja Textwiean der geschrieben wurde! entschied, um die Bürger angeblich Den Gashahn bediente meistens ei- Autordie GemeindeGlossar: selbst Ischgl erging ein Sch- eine Wertung vornimmt! ner der beiden Ärzte. Wenn diese Glossar:reiben, der damalige Bürgermeister - nicht anwesend waren, musste dies - InterpretierefandNonna….Großmu es angeblich zu aberwelchem nicht einmal Zweck der der nach Hall einweisen zu lassen. ein Heizer vom Krematorium erledi- TextNonna…Großmuttertter (ital.) (ital.) Kurator…Vormund Obwohl der tatsächliche Brandstifter gen; da passierte es schon dass der vongeschrieben AndreaKurator… Sommerauer). wurde! schon drei Tage früher am 21. No- Hahn zu wenig lang offen war und InzwischenVormund haben viele Gemeinden einige Opfer nach der versuchten in Tirol eine Gedenkstätte für die Er- eingeliefert worden war. Vergasung noch lebten. Anschlie- mordeten geschaffen. Die Gemeinde ßend an die Gaskammer waren zwei Zirl weihte gerade eine Gedenkstätte Auf Drängen der Kinder intervenierte Öfen, in denen die Leichen verbrannt ein, daher auch die Bitte an die Ge- der Bürgermeister von Ischgl Franz wurden. meinde Ischgl, sich darüber Gedan- Kurz, ob eine Entlassung möglich sei. Am 1. April wurde der Tochter Agnes ken zu machen. Der Anstaltsleiter Dr. Ernst Klebels- berg spielte den Ball an die Gemeinde Hartheim gut angekommen, aber zurück und schrieb dem Bürgermeis- „infolge einer Grippe und nachfol- Oliver Seifert, Historiker im Landes- gender Lungenentzündung noch am krankenhaus Hall. Er wählte meine selben Tag verstorben“. Der wirkliche Nona stellvertretend für alle Tiroler er überlasse diese Entscheidung der Todestag war, mit höchster Wahr- Opfer aus, um sie im Buch „Lebens- Gemeinde, der Bürgermeister ent- - spuren“, als eines der Schicksale vor- schied sich aber dagegen“. 1939 ver- de irgendeine Asche in einer Urne zustellen. suchte der Anstaltsleiter Dr. Klebels- per Postauto zugestellt. Für die Kin- berg noch einmal den Bürgermeister der und vielleicht auch für manchen zu überzeugen, die Frau, die zwar Gemeindebürger war es ein Schock, nicht geheilt aber absolut harmlos nach Hause zurückkehren. Trotz der „denn sie leidet unter großem Heim- Schwierigkeiten, die sich möglicher- weh“. Der Bürgermeister wehrte sich weise im Zusammenleben mit einem dagegen und antwortete: „Eine Ent- - lassung ist nur bei völliger Heilung geben hätten, wog der Verlust der ratsam, da die Verhältnisse zu Hau- se für die Kranke nicht günstig sind hätten einen Umgang mit der kran- und es zu befürchten ist, dass wieder, wie schon früher einmal ein Rückfall in der Anstalt zeigen, wären bereit eintritt. Auch die älteste Tochter Ag- gewesen, sie nach Hause zu holen. nes Kathrein geb. Pfeifer aus Galtür Die Kinder, vor allem auch mei- versuchte mit Briefen die Entlassung zu erwirken, aber ohne Erfolg. Natür- konnte dieses Trauma nie überwin- lich konnte die Gemeinde zu diesem den. Sie sprach nur ungern darüber, Zeitpunkt nicht wissen, welche dra- ließ aber nie einen Zweifel aufkom- matischen Folgen diese Weigerung - haben sollte. zis ermordet wurde, obwohl sie eine wissenschaftliche Aufarbeitung nicht mehr erleben konnte. anderen Patienten aus Hall, mit Bus- sen zuerst zum Bahnhof Hall und mit Buch „Prozesse der Erinnerung“ - von Andrea Sommerauer und Franz M4: Zw. 1930 und 19___ 3. Juni 18___ Maria muss ein Grundstück Geburt von Maria verkaufen Siegele in Ischgl

3. August 19___ 18___ Maria wird in die Neurolog.- Marias Mutter stirbt Psychiatr. Klinik nach Innsbruck gebracht

30. August 19___ Ab 1890 Maria wird in die Heil- und Maria arbeitet als Magd. Pflegeanstalt nach Hall verlegt

12. Januar 19___ 19___ Maria wird entlassen Maria heiratet Johann und heißt seit dem Pfeifer

24. Nov 19___ 19___ - 19___ Maria wird wieder nach Hall Maria gebärt sieben eingewiesen Kinder

20. März 19___ 19___ Maria wird mit 91 weiteren Johann stirbt nach einer PatientInnen aus Hall nach Gallenstein-OP Hartheim gebracht und dort vergast.

Zw. 1930 und 19___

Marias Bruder wird zum Vormund der Kinder 19___ - 19___ November 19___

Erster Weltkrieg In Ischgl wird ein Heustadel angezündet

192__ 12. März 19___

Hyperinflation Anschluss Österreichs an das NS-Reich

1930 – 19___ 19___

„große Depression“ Euthanasieermächtigung

19___ 1. Januar 19___

Beginn des GzVeN tritt in Österreich Austrofaschismus in Kraft

19___ Januar 19___

Adolf Hitler kommt in Erste Vergasungen von Deutschland an die Mach Menschen mit Behinderung

19___ August 19___

NS-Gesetz zur Verhütung Hitler befiehlt den Stopp erbkranken Nachwuchses (GzVeN) der „T4-Aktion“ ermöglicht Zwangssterilisierungen

19___ 19___ – 19___

Erbgesundheitsgesetz „Wilde Euthanasie“ M5: „Stigmatisierung – Vorurteile gegenüber psychischen Erkrankungen“ Die Haltung der Bevölkerung gegenüber psychisch kranken Menschen ist stark von Vorurteilen geprägt. Dies fördert die Stigmatisierung und Diskriminierung der Betroffenen weiß Sozialarbeiter Johannes Wolf-Nuderscher von der aks gesundheit.

Was versteht man genau unter Stigma? Wolf-Nuderscher: Stigmatisieren bedeutet jemanden brandmarken, jemandem oder einer ganzen Gruppebestimmte, von der Gesellschaft als negativ bewertete Merkmale zuordnen, jemanden in einer diskriminierender Weise kennzeichnen.

Inwieweit sind psychisch Kranke davon betroffen? Wolf-Nuderscher: Psychisch Kranke, und hier vor allem an Schizophrenie Erkrankte, sind in einem besonders hohen Ausmaß davon betroffen. Sie gelten gemeinhin oft als unheilbar, unberechenbar und gefährlich. An diesem falschen Bild sind auch manche Medien mitverantwortlich.

Inwiefern? Wolf-Nuderscher: Die Medienberichterstattung über psychisch Kranke in Fernsehen und Printmedien ist oft sehr negativ. Wer kennt nicht die Schlagzeile, dass ein „mutmaßlich geistesgestörter Täter“ eine abscheuliche Gewalttat begangen hat. Dabei sind Gewalttaten psychisch Kranker statistisch nicht häufiger als in der Durchschnittsbevölkerung.

Was hat diese Stigmatisierung für die Betroffenen für Konsequenzen? Wolf-Nuderscher: Die Folgen sind geringeres soziales Ansehen, Arbeitsmarktchancen und soziale Teilnahme sowie Ausschluss und Isolierung. Die sozialen Folgen der Stigmatisierung müssen als zweite Krankheit verstanden werden unter der die ganze Familie leidet.

Inwieweit sind auch die Angehörigen von Stigmatisierung betroffen? Wolf-Nuderscher: Auch die Angehörigen sind von Isolation, Ängsten vor allem aber Schuldzuweisungen betroffen. Oft werden in der Öffentlichkeit Eltern ungerechterweise für die psychische Erkrankung ihres Kindes verantwortlich gemacht, die Schuld in falscher Erziehung, schlechtem Familienklima gesucht.

Wie kann man dieser Stigmatisierung entgegenwirken? Wolf-Nuderscher: Auf der gesellschaftlichen Ebene unternimmt man Versuche zur Entstigmatisierung durch Öffentlichkeitsarbeit, Aufklärungsarbeit und Anti-Stigma-Kampagnen. Aber die Veränderungen von Einstellungen und Haltungen der Bevölkerung dauert sehr lange. Zudem hat Stigmatisierung sowohl eine individuelle als auch eine gesellschaftliche Funktion.

Was meinen Sie damit? Wolf-Nuderscher: Stigmatisierung von anderen hilft, die eigene Normalität zu betonen, denn ohne die Stigmatisierten wäre es kein Vorteil, „normal“ zu sein. Auf gesellschaftlicher Ebene werden Aggressionen und Unzufriedenheiten auf Randgruppen, wie eben die psychisch Kranken kanalisiert.

Wie kann man den Betroffenen helfen? Wolf-Nuderscher: Ein anderer Ansatz ist die Befähigung der psychisch Kranken zur Stigmabewältigung. Dazu ist es notwendig, dass die Kranken ihre Diagnose kennen, dass sie fachlich begründetes Wissen über sie erwerben und dass sie sich auf die Auseinandersetzung mit ihr einlassen. So können sie die unrichtigen und ungerechten Vorurteile als solche erkennen und sich dagegen wehren.

Was bietet in dieser Hinsicht die aks gesundheit an? Wolf-Nuderscher: Einerseits versuchen wir die Öffentlichkeit z. B. durch unsere Vortragsreihe „Von der Seele reden“ über psychische Krankheiten zu informieren und damit Vorurteile und falsche Vorstellungen abzubauen. Andererseits unterstützen wir unser Klientel in Einzel- und Gruppengesprächen in eben dieser Stigmabewältigung, denn die Betroffenen brauchen jetzt Hilfe.

Gibt es sonst noch Aktivitäten in diese Richtung? Wolf-Nuderscher: Ein weiterer Aspekt ist der gemeinsame Dialog von Betroffenen und Nicht- Betroffenen. Mehrere wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Vorurteile sich durch einen direkten Kontakt schneller abbauen lassen. Der Rahmen für den gemeinsamen Dialog muss jedoch hergestellt werden. Da haben sich z. B. offene Café-Zeiten wie in unserem Montags-Café, verschiedene Feste und Tage der offenen Türe bewährt, bei denen wir auch mit Selbsthilfegruppen zusammenarbeiten.

(Quelle: http://www.aks.or.at/interview/stigmatisierung-vorurteile-gegenueber-psychischen- erkrankungen-2/) M6: Stigmatisierung psychisch Kranker Aufgabenstellung A) Lies Dir das Interview vom Dezember 2013 genau durch, diskutiere mit einem/r PartnerIn und sammelt Stichworte, die das Besprochene wiedergeben!

B) Lies Dir Maria Pfeifers Biografie unter dem Fokus der Stigmatisierung noch einmal durch. 1. Was fällt Dir dabei speziell auf?

2. In wie fern hat sich die Einstellung gegenüber psychisch Kranken in der NS-Zeit zu heute verändert?

C) Denke an Dein persönliches Umfeld: Hast Du mit Menschen mit psychischen Erkrankungen Kontakt? 1. Wenn ja, berichte von Deinen Erfahrungen!

2. Wenn nein, woran liegt das, Deiner Meinung nach?