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Sendung vom 19.12.2000, 20.15 Uhr

Prof. Dr. Kurt Faltlhauser Bayerischer Staatsminister der Finanzen im Gespräch mit Sigmund Gottlieb

Gottlieb: Zu Gast bei Alpha-Forum ist heute der bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser. Faltlhauser: Grüß Gott. Gottlieb: Bei uns ist also heute ein richtiges Münchner Kindl zu Gast: geboren in Schwabing, groß geworden auf der Schwanthaler Höhe und auf dem Wittelsbacher Gymnasium in München zur Schule gegangen. Waren Sie eigentlich ein frecher Schüler? Ich könnte mir das bei Ihnen gut vorstellen. Faltlhauser: Ich war sicherlich nicht immer ganz so brav, wie sich das die Lehrer vorgestellt haben. Aber ein richtiger Auftreiber war ich nicht, zumindest nicht in allen Phasen der Schule. Die Zeit der Schule hat sich bei mir überhaupt recht unterschieden. In der ersten Zeit hatte ich mit der Schule nämlich noch mehr Schwierigkeiten. Erst nach der vierten Klasse auf dem Gymnasium, also der heutigen achten Klasse, hat mir die Schule Spaß gemacht: mit einer wunderschönen Klassengemeinschaft. Gottlieb: Die auch heute noch zum Teil existiert. Faltlhauser: Ja, die heute noch existiert und mit der ich, wenn es geht, am Sonntagabend Tennis spiele, mit der ich nach Südtirol zum Wandern fahre usw. Das ist für mich ein ganz wichtiger Anker der Normalität: Sie sehen mich so wie früher als Klassenkameraden und rempeln mich auch entsprechend an, wenn... Gottlieb: Sie sagen Ihnen auch, was Sie falsch machen. Faltlhauser: Genauso ist es. Da ist diese Normalität vorhanden, die einem ansonsten nicht entgegengebracht wird, wenn man ein hohes Amt inne hat. Das tut mir gut, denn das ist ein Stück Ofenwärme um mich herum, die ich brauche. Das ist wirklich so etwas wie eine Großfamilie. Gottlieb: Sie wurden dann, wenn ich das richtig verstehe, irgendwann auch ein guter Schüler, als Sie sich so richtig reingehängt haben. Faltlhauser: An der Uni bin ich dann ganz gut geworden. Ich habe in der inoffiziellen Rankingliste beim Examen den zweiten Platz belegt – leider war eine hübsche Dame noch vor mir. Es stimmt schon: Insofern bin ich tatsächlich ein Spätentwickler. Gottlieb: Wieso haben Sie eigentlich an drei unterschiedlichen Orten studiert? Sie haben nämlich neben München auch Mainz und Berlin als Studienort gewählt. Wie kam es dazu? Faltlhauser: Meiner Ansicht nach bin ich aus München zu spät weggegangen. Ich hätte schon früher die Uni in München verlassen und damit von meinem Heimatort weggehen sollen. Ich habe dann in Berlin studiert: Das war für mich eine ganz wichtige Station, die mich auch politisiert hat. Dort habe ich auch meine Frau kennen gelernt. Gottlieb: Am Tag des Todes von John F. Kennedy. Faltlhauser: Durch den Tod von John F. Kennedy. Gottlieb: Weil Sie beide zu dieser Veranstaltung in Berlin gingen. Faltlhauser: Nein, das war keine Veranstaltung. Ich war zu Hause, als ich diese Nachricht mitbekommen habe. Es ist ja so, dass heute noch jeder genau weiß, was er in dem Moment getan hat und wo er war, als er an diesem Abend diese Nachricht erhielt. Ich weiß genau, dass ich in meinem Zimmer war und mich gerade abgetrocknet habe, als ich das gehört habe. Als politisch denkendem Menschen ist mir da natürlich zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen. Also habe ich mich in die U-Bahn gesetzt und bin zum Ku'damm gefahren. Dort gab es auch tatsächlich ein paar Diskussionsgruppen. Der ASTA der Technischen Universität hat dann zusammen mit RIAS Berlin ab elf Uhr nachts einen Fackelzug zum Schöneberger Rathaus organisiert. Auf diesem Fackelzug habe ich meine Frau kennen gelernt. Gottlieb: Eine Berlinerin und ein Münchner: Das geht ganz gut, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Faltlhauser: Ja, weiß Gott. Ich habe zwar nie das letzte Wort, aber das ist halt so. Gottlieb: Sie haben zu Beginn der siebziger Jahre promoviert: über welches Thema? Faltlhauser: Ich bin Diplomvolkswirt und habe dann den Doktor für politische Wissenschaften bei Professor Hettich in Mainz gemacht, weil ich zu der Zeit schon im Beruf gestanden bin. Ich habe über ein Wahlforschungsthema promoviert. Es ging also um empirische Wahlforschung und um die entsprechende Umsetzung in Wahlkämpfen: nicht so sehr orientiert an dem, was der heutige Ministerpräsident Vogel in einer ähnlichen Dissertation vor mich gemacht hatte, sondern mehr orientiert an Zahlen und untermauert von Theorie. Gottlieb: Es fällt auf, dass sich dieser Kurt Faltlhauser schon relativ früh einmischt: und zwar überall, wo man sich einmischen kann. Sie haben sich z. B. stark beim RCDS engagiert. Wie kam das zustande? Wo lag da Ihre Motivation? Liegt das in Ihrem Naturell begründet, oder haben Sie sich gesagt, dass es wichtig ist, sich als junger Mensch irgendwo zu positionieren, weil einem das später nicht schaden wird? War das vielleicht sogar eine Mischung aus beidem? Faltlhauser: Ich glaube, dass das etwas mit meinem Naturell zu tun hat, weil ich in der Schule ja noch unpolitischer war. Damals in den fünfziger Jahren waren wir an den Schulen ja bei weitem noch nicht in dem Maße parteipolitisch orientiert, wie das später z. B. mit der Schülerunion üblich geworden ist. Aber ich war an der Schule gleichwohl schon Herausgeber des "Wittelsbacher Kuriers" und habe alle möglichen Dinge organisiert. Dieses Machenwollen hat sich erst später politisiert, und für diese Änderung ist tatsächlich Berlin sehr wichtig. In dieser abgeschlossenen Großstadt gab es ja bereits zu Beginn der sechziger Jahre das, was dann später an den übrigen westdeutschen Universitätsstädten als so genannte achtundsechziger Generation bekannt geworden ist. Wir hatten nämlich schon 1962/63 an der FU in Berlin z. B. Sit-ins und alles, was dazugehörte. Das hat mich sehr enerviert und politisiert. Im Anschluss daran bin ich dann zurück nach München gegangen. Dort an der LMU habe ich, wie es damals hieß, für den Konvent kandidiert, also für die Studentenvertretung. Damals gab es noch die verfasste Studentenschaft: Das heißt, jeder Student musste Zwangsbeiträge bezahlen. Wir hatten auch Angestellte und einen riesigen Apparat zu unserer Verfügung. Ich wurde zunächst einmal Fakultätssprecher und später auch ASTA-Vorsitzender. Im Übrigen habe ich vorletzte Woche einen späten Sieg errungen. Ich wollte es nämlich schon als Fakultätssprecher erreichen, dass die Lesesäle an der Uni bzw. zumindest an der Staatsbibliothek möglichst lange offen bleiben. Genau das habe ich dann später auch als Staatskanzleiminister immer wieder versucht. Seitdem ich nun auch im Kuratorium der Staatsbibliothek sitze und Finanzminister bin, konnte ich das nun endlich durchsetzen: Jetzt wird auch am Sonntag von 9 bis 16 Uhr der Lesesaal der Staatsbibliothek geöffnet. An den sonstigen Tagen bleibt er bis 22 Uhr geöffnet. Endlich habe ich das erreicht: 40 Jahre habe ich dazu gebraucht. Gottlieb: Gratulation zu diesem Erfolg. Faltlhauser: Das sind die kleinen, aber schönen Siege. Gottlieb: Das sind diese kleinen Schritte, von denen Sie im Zusammenhang mit Karl Popper auch einmal gesprochen haben: Darauf werden wir vielleicht später noch zu sprechen kommen. Sie haben dann auch unendlich viel nebenher gemacht, denn Sie haben geackert und gearbeitet: Sie waren Bierfahrer, Sie waren Fremdenführer, Sie waren Bauarbeiter, Sie waren Nachhilfelehrer usw. War das lediglich der pragmatische Zwang zum Geld verdienen, oder war das immer wieder eine neue Ebene des sich Beweisen-Wollens? Faltlhauser: Beides. Mein Vater war ein wenig beinhart. Er vertrat immer die Meinung: "Wenn du schon auf meine Kosten studierst, dann sollst du wenigstens..." Er war sehr daran interessiert, dass ich mich gewissermaßen selbst finanziere. Ich habe daher auch z. B. für mein Auto während des Studiums nie Geld von ihm gebraucht: Das habe ich mir alles selbst verdient. Mir hat das sicherlich nicht geschadet. Die üblichen Jobs wie z. B. das Abladen von irgendwelchen Lastwagen oder das Reinigen von Dachrinnen als Bauhilfsarbeiter hat ja fast jeder gemacht. Ich hatte daneben aber auch noch so ein paar Dauerjobs: Ich war z. B. auch Fremdenführer der Stadt München. Ich bin heute noch stolz darauf und trage manchmal just for fun dieses Abzeichen. Ich habe aber auch im Archiv der "Süddeutschen Zeitung" gearbeitet, in dem sich lauter so komische Vögel getroffen haben, um dort Zeitungsartikel auszuschneiden. Das waren die Dauerjobs, die ich während dieser Studentenzeit hatte. Gottlieb: In Ihrer ersten Berufsstation sind Sie dann in der Wirtschaft tätigt gewesen: in einer Unternehmensberatung. Warum sind Sie eigentlich nicht in der Wirtschaft geblieben, warum sind Sie in die Politik gegangen? Denn ich könnte mir schon vorstellen, dass dieser Kurt Faltlhauser auch in der deutschen Wirtschaft eine prägende Figur geworden wäre. Faltlhauser: Das ist eine schwierige Frage. Denn die Entscheidung zwischen der Wirtschaft und der Politik hat mich über lange Jahre, ja fast schon über Jahrzehnte gespalten. Ich war da ein wenig unentschlossen und manchmal auch ein wenig hin und her gerissen. Lange Zeit, also bis in die achtziger Jahre hinein, habe ich versucht, das dadurch zu lösen, dass ich beides gleichzeitig gemacht habe. In der Wirtschaft wirklich hervorragende Arbeit zu leisten und gleichzeitig in der Politik Spitzenleistungen erbringen zu können, ist jedoch außerordentlich schwierig. Mir hat das gegen Ende der siebziger Jahre und zu Beginn der achtziger Jahre ungeheure Arbeitsbelastungen eingebracht: Ich habe jede Woche über 80 Stunden gearbeitet, also auch noch an Samstagen und Sonntagen, um beides bewältigen zu können. Das ist dann jedoch irgendwann nicht mehr gegangen. Ich muss zugeben, dass das nicht nur ein reines Zeitproblem war. Stattdessen war das auch die Frage, an was man dabei ständig denkt. Und ich muss zugeben, dass ich dabei eigentlich immer an die Politik und zu wenig an das Unternehmen gedacht habe. So kam es zu der Entscheidung, in der Politik zu bleiben. Später wurde es ja noch ein oder zwei Mal an mich herangetragen zu wechseln: mit sehr viel Entgelt. Ich habe mich aber nach langem Hin und Her immer für die Politik entschieden. Mit dieser Entscheidung bin ich auch bis heute sehr zufrieden. Gottlieb: Diese politische Karriere begann ab dem Jahr 1974 so richtig griffig zu werden. In diesen Jahren kamen Sie z. B. auch als Abgeordneter ins bayerische Parlament. Ihr ebenfalls noch junger Weggefährte war damals . Es gab da sozusagen eine Gruppe von jungen "Aufmischern", die auch mit viel Ehrgeiz ausgestattet war. Faltlhauser: Weiß Gott, ja. Gottlieb: Wie war denn das Verhältnis damals zwischen Ihnen beiden? Faltlhauser: Sehr gut. Das war damals eine große, breite und auch starke Gruppe, die auch heute noch präsent ist. Dazu gehören eben Leute wie Stoiber, Wiesheu, Spitzner, Merkl, Faltlhauser oder Goppel. Wir sind damals alle gleichzeitig in den Landtag gekommen und waren allesamt promovierte Akademiker. In der Regel waren wir auch alles Leute, die in gleicher Weise auch in anderen Berufsfeldern ihren Weg gemacht hätten. Mit Edmund Stoiber hat mich eine sehr intensive Zusammenarbeit verbunden. Wir waren z. B. auch gemeinsam im Umweltausschuss: Den Arbeitsgruppenvorsitz hatte damals Alois Glück. Das war ein Ausschuss, der 1974 neu gegründet worden ist: Man hatte sich nämlich damals gesagt, dass diese jungen Kerle in so einem Ausschuss gut aufgehoben wären. Wir haben aber auch gemeinsam ein Buch gemacht: "Politik aus Bayern". Wir haben auch gemeinsam das Großprojekt "Entstaatlichung" mit großer Interpellation und vielen Anträgen vorangetrieben. Wir waren also nicht nur punktuell tätig, sondern haben versucht, eine gemeinsame Grundlinie darüber zu erarbeiten, was innerhalb der Bayerischen Staatsregierung wichtige Wegweisungen und Akzente sein müssten. In dem Zusammenhang gab es auch massive Konflikte mit dem damaligen Ministerpräsidenten Goppel, den wir zwar geschätzt und verehrt haben, dem aber ein Begriff wie "Entstaatlichung" selbstverständlich überhaupt nicht gepasst hat, weil er dazu viel zu etatistisch war. Diese ganze Auseinandersetzung war schon sehr interessant. Viel von dem, was wir damals geschrieben und gemacht haben, wird nun umgesetzt: Edmund Stoiber privatisiert, und ich selbst habe vor einem Jahr erstmals einen Beteiligungsbericht aufgelegt, denn als Finanzminister bin ich auch für die Beteiligungen zuständig. In der grundsätzlichen Einleitung, die ich selbst geschrieben und diktiert habe, habe ich im Grunde genommen das, was ich damals bereits gedacht hatte, ohne wesentliche Änderungen in der Akzentsetzung als Leitlinie nochmals wiederholt. Gottlieb: War Stoiber schon damals anders als die anderen, was ihn dann später ja auch zum Primus inter pares gemacht hat? Faltlhauser: Er war schon damals, um es einmal grob zu sagen, fleißiger. Nicht dass ich nicht auch fleißig gewesen wäre, aber ich habe damals in den siebziger Jahren meinen Landtagsjob bestenfalls als Halbtagsjob aufgefasst und sehr viel in meinem eigentlichen Beruf gearbeitet, was ich in München so auch machen konnte. Er war jedenfalls immer da: Wenn ich am Abend das Landtagsgelände verlassen habe, dann stand dort immer noch so ein seltsam goldfarbener Ford herum. Das war sein Auto. Er war also schon sehr fleißig. Diesen Motor, den man auch heute bei ihm spüren kann - dieses Drängende und dieses Gestaltenwollen –, hat er schon damals besessen. Insofern war er uns damals immer schon ein Stück voraus. Gottlieb: Es ging dann nach Bonn, denn ab 1980 wurden Sie Mitglied des Deutschen Bundestags. Sie saßen dabei im Bundestag in verschiedenen Arbeitsgruppen und bekleideten dabei verschiedene Positionen. Sie waren Vorsitzender der Arbeitsgruppe "Haushalt und Finanzen" der Bundestagsfraktion. Danach waren Sie Vorsitzender der Arbeitsgruppe "Eigentum und Vermögensbildung" der Landesgruppe... Faltlhauser: Umgekehrt. Die Position in der Arbeitsgruppe "Vermögensbildung" bekleidete ich in der Gesamtfraktion. Zunächst einmal hatte es aber klein angefangen: Ich war sozusagen ein finanzpolitischer Capo und Chef der CSU-Landesgruppe. Das Gleiche wurde ich dann für die Gesamtfraktion, und später erst wurde ich stellvertretender Fraktionsvorsitzender für diesen Verantwortungsbereich. Das sind die normalen Stufen, die man dabei durchläuft. Das war eine sehr interessante Zeit: insbesondere gilt das für die Position als finanzpolitischer Sprecher. Denn da muss man im Parlament diese unglaublich umfangreichen Steuergesetze und Versicherungsaufsichtsgesetze - also all das, was im Finanzausschuss läuft – steuern und lenken bis zur letzten Zeile. Das, was diese Arbeitsgruppe nicht durchsetzt, wird dann nämlich auch nicht Gesetz. Das bedeutete viel Anspannung, aber eigentlich auch viel Freiheit. Dabei habe ich gelernt, wie man demokratische Gruppierungen ordnet und zusammenhält. Gottlieb: 1994 kamen Sie nach der gewonnenen Bundestagswahl als parlamentarischer Staatssekretär ins Kabinett Kohl, ins fünfte Kabinett von . Unter dem Finanzminister wurden Sie zuständig für die Steuern. Das war aber nur ein kurzes Gastspiel von einem Jahr, weil Sie danach nämlich dem Ruf Ihres Freundes Edmund nach München gefolgt sind. Diese Rückkehr von der kleinen Stadt am Rhein in die Weltstadt an der Isar war Ihnen sicherlich nicht ganz unsympathisch. Sie wurden zunächst einmal Chef der Staatskanzlei mit der Zuständigkeit für Europaangelegenheiten. Es war ja damals auch Gegenstand vieler publizistischer Betrachtungen, dass Sie auf der einen Seite zuerst bei Theo Waigel und danach auf der anderen Seite bei Edmund Stoiber tätig gewesen sind. Wenn Sie das heute vergleichen, zu welchem Schluss kommen Sie dann? Was war zwischen diesen beiden Menschen das Gemeinsame? Was war das Unterschiedliche? Wie bewerten Sie diese beiden Figuren, von denen sich ja eine mit Ausnahme seines Bundestagsmandats aus der Politik mehr oder weniger schon verabschiedet hat? Faltlhauser: Dazu ist sehr viel zu sagen – aber manches sagt man eben auch nicht. Bevor ich 1994 in Bonn in die Regierung eingetreten bin, hatte es schon einmal einen Anlauf von Edmund Stoiber gegeben, mich nach Bayern zu holen. Das hat sich dann aufgrund des Weggehens von Herrn Waldenfels ein Jahr danach noch einmal wiederholt. Es war für mich nicht so ganz einfach, mich aus einer vertrauten Umgebung und einem Feld zu lösen, das ich, wie ich glaube, damals ganz vernünftig beherrscht habe, weil ich es eben gewohnt war. Es war also nicht so ganz einfach, vom Bundestag in die Exekutive in Bayern zu wechseln, um dort in einem relativ gleichen Feld tätig zu werden. Denn ein beamteter Staatssekretär - der jetzige LZB- Präsident – war als solcher weggegangen und nicht ersetzt worden. Das heißt, ich konnte auch diesen Raum mit ausfüllen. Theo Waigel hat mir in meiner Arbeit viel Spielraum gelassen. Er hat mich sehr locker geführt, indem er mir immer gesagt hat: "So, das machst jetzt du!" Er hat mich bei meiner Arbeit dann auch in Ruhe gelassen. Es kam aber ein Jahr später der Anruf von Edmund Stoiber: nicht so ganz überraschend für mich, weil es in der Hinsicht ja, wie gesagt, schon einen Vorlauf gegeben hatte. Ich habe Edmund Stoiber auch zugesagt, nach Bayern zu kommen. Es ist zunächst einmal daran gedacht worden, mich gleich zum Finanzminister zu machen, aber das wurde in Bayern selbst danach doch noch etwas anders gestrickt. Ich muss sagen, dass ich dann allerdings auch gerne in die Staatskanzlei gegangen bin, denn dort habe ich sehr viel gelernt. Ich glaube, ohne diese drei Lehrjahre in der Staatskanzlei bei dem administrativ hoch erfahrenen und effizient arbeitenden Stoiber könnte ich meine Arbeit im Finanzministerium heute wohl nicht so reibungslos erledigen. Ich habe mir in der Zeit wirklich viel abgeschaut, wie man bestimmte Dinge macht. Sicher, Waigel und Stoiber sind zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, daran gibt es keinen Zweifel – unabhängig von diesem damaligen Machtgerangel, wer denn letztlich die Nase vorne haben würde. Edmund Stoiber führt deduktiv und setzt sich gewisse Ziele und Themen, die er dann auch umsetzt. Demgegenüber ist Theo Waigel etwas abwartender. Gottlieb: Sie sagten ja gerade, dass Sie Theo Waigel "machen ließ". Bei Stoiber gibt es demgegenüber immer wieder Klagen wie z. B. aus der Landtagsfraktion, die ja auch Gegenstand öffentlicher Diskussionen sind, dass "der Edmund immer alles selbst machen will, dass der Edmund alle Themen an sich zieht". Das betrifft übrigens auch Themen, die in den Ministerien artikuliert werden, denn auch dort sei es so ähnlich. Stoiber kümmert sich also um alles selbst und lässt seine Leute zu wenig selbst machen. Könnte auch das ein Unterschied in den Führungsstilen dieser beiden Politiker sein? Faltlhauser: Dort befindet sich ohne Zweifel ein Ansatz des Unterschieds. Stoiber liest alles und kennt alles bis hinein ins Detail. Ich weiß nicht, wann er das alles liest: Ich habe das bis heute nicht herausgefunden. Er weiß die Dinge und ist daher in den Kabinettssitzungen und auch sonst immer bestens vorbereitet. Insofern ist also die Informationsgrundlage fürs Einmischen sehr wohl vorhanden. Ich kann mich als Finanzminister aber nicht beschweren: Er lässt mich machen. Es kommt eher vor, dass vielleicht der eine oder andere Mitarbeiter in der Staatskanzlei eilfertig etwas "vorprägen" möchte. Aber das gehört zum üblichen Verhältnis zwischen der Staatskanzlei und den einzelnen Ministerien. Ich kann mich also überhaupt nicht beschweren. Ich schätze es, dass mein Ministerpräsident in den Sachfragen sehr genau Bescheid weiß und mitdiskutieren kann – und auch mitmachen will. Das entwickelt dann nämlich auch unsere Politik besser. Denn es gibt in der Hinsicht ja doch eine gewisse Gefahr: Wenn wir als CSU in einer Regierung alleine regieren, dann haben wir zwar große Vorteile, weil wir schneller, kompakter, klarer und auch erkennbarer sind. Aber es gibt da schon auch die Gefahr, dass wir im eigenen Saft etwas zu selbstgefällig werden. Deshalb ist die interne Diskussion so wichtig: auch im Kabinett. Gestern ging es z. B. wieder bis drei Uhr: Die Kabinettssitzung ging von zehn bis drei Uhr. Das ist wirklich außergewöhnlich wichtig. Diese Diskussion geht dann eben besser, wenn der Chef selbst im Einzelnen gut Bescheid weiß, mit uns diskutiert und nicht nur über uns segelt und moderiert. Insofern schätze ich das also sehr. Gottlieb: Es gibt in der CSU genauso wie in allen anderen Parteien auch unterschiedliche Machtpole und Machtzentren. Ein ganz wesentliches Machtzentrum ist hierbei klarerweise die Landtagsfraktion unter dem Vorsitz ihres Fraktionschefs Alois Glück. Ihre Rückkehr war damals ja auch nicht ganz leicht: Sie sind nach München zurückgekehrt, nachdem Sie von diesem Umfeld der Fraktion einige Jahre losgelöst waren. Faltlhauser: Meine Landung im Bayerischen Landtag, meine Wiederkehr also, war für mich tatsächlich nicht so ganz leicht. Zunächst einmal gab es natürlich die Vorbehalte in der Richtung, dass da "einer 'reinkommt und uns einen Posten wegnimmt!" Es war auch so, dass – so seltsam das auch klingen mag – der Sprachstil der Bonner CSU ganz anders war als derjenige im Bayerischen Landtag. Wir sind in Bonn, wenn ich das so sagen darf, z. B. sehr zynisch gewesen: Wir sind mit schnellen Worten miteinander umgesprungen und haben zuweilen schon auch humorig "demontiert". Dieser Umgang in Bonn hatte mich geprägt, und so bin ich hier in Bayern nach der Wiederkehr doch ein-, zweimal auf die Nase gefallen damit: weil ich die jeweiligen Empfindlichkeiten zu wenig beachtet hatte! Das habe ich aber schnell wieder abgestellt. Ich glaube, dass die Fraktion heute bei der Kooperation mit dem Finanzminister sehr zufrieden ist. Gottlieb: Sie haben bei der Landtagswahl 1998 mit Blick auf die Zweitstimmen auch ein Superergebnis erzielt. Faltlhauser: Ja, das war schwierig. Gottlieb: Sie waren ohne eigenen Stimmkreis, und deshalb war dieses Ergebnis doch einigermaßen sensationell. Faltlhauser: Für mich war das in der Tat eine neue Erfahrung. Ich war im Hinblick auf die Stimmkreise vorher immer recht verwöhnt gewesen. Ich war ja für den Münchner Westen zuerst Landtagsabgeordneter und später dann Bundestagsabgeordneter. Bei diesen Wahlen hatte ich immer über 50 Prozent erreicht und immer mit die besten Ergebnisse erzielt. Ich hatte von allen wirklich immer den größten Abstand zwischen Erst- und Zweitstimmen. Das alles hatte ich also im Griff. Aber dann kam für mich dieser Flächenwahlkampf für eine Liste draußen auf dem Land in Oberbayern bei der Wahl 1998: Vor mir waren neun prominente Leute, weil ich Platz zehn hatte. An der ersten Stelle stand da z. B. der Stimmenabräumer Edmund Stoiber. Das war schon eine schwierige Sache für mich, aber deshalb habe ich in diesen Wahlkampf eben sehr viel Zeit, Professionalität und auch Geld investiert. Ich ging dann eben auch als bester Listenmann aus dieser Wahl hervor. Ich wollte in der Tat damit noch einmal allen zeigen, dass ich das kann. Gottlieb: Nun sind Sie seit dieser Landtagswahl, also seit 1998, im neuen Kabinett von Edmund Stoiber Finanzminister. Es ist unbestritten und wird Ihnen auch von jedem, egal wo er steht, bestätigt, dass Sie ein erfolgreicher Finanzminister sind, der seinen Job sehr gut macht. Sie hatten natürlich auch in einer der allgemeinen Schwächen der Union, als die CDU am Boden lag, die Möglichkeit, mit eigenen Steuerkonzepten für sich und die CSU Profil zu gewinnen. Gut, das ist die eine Seite. Aber macht es Ihnen denn nicht andererseits zu schaffen, dass sie zwar ein wichtiger Minister in Bayern sind, aber im Hinblick auf Berlin doch feststellen müssen, dass der Gestaltungsspielraum für Sie hier in Bayern ein begrenzter ist? Wenn Sie sehen, was in einem zentralistischen Berlin so alles passiert, macht es Ihnen dann nicht doch etwas aus, dass Sie dort nicht präsent sind? Bereitet Ihnen das manchmal Probleme, oder wird das alles durch die Harmonie Münchens zugedeckt? Faltlhauser: Sollte da überhaupt ein Schmerz im Hinblick auf die Gestaltungsmöglichkeiten vorhanden sein, dann wäre er sinnlos, weil wir momentan in Berlin ja bedauerlicherweise in der Opposition sind. Denn die Gestaltungsmöglichkeiten aus der Opposition heraus sind bei einer derartig rigiden Mehrheitsführung, wie sie die Koalition praktiziert und bei der eigentlich im Präsidium der SPD die Politik gemacht wird, nicht besonders groß. Deshalb ist da auch der Frust nicht besonders groß. Ich verwende nach wie vor etwa 20 Prozent meiner Arbeitszeit für, wenn Sie so wollen, bundespolitische bzw. Berliner Themen. Genau das erwartet im Übrigen auch Edmund Stoiber von mir. Denn er ist ja auch Parteivorsitzender der CSU, und damit unterzieht er sich einem Anspruch, der nicht nur für Bayern, sondern für die Bundesrepublik im Ganzen gilt – ganz unabhängig von irgendwelchen Kanzlerkandidatenspekulationen. Ich mische da wirklich in allen Themen mit und mische da auch tatsächlich mit Freude mit. Wir werden von einer hervorragenden Administration in dieser Frage auch regelmäßig sehr gut vorbereitet. Sei das im Hinblick auf die Bundesbankstrukturreform, auf Steuerfragen, auf einzelne Punkte bei der Steuerreform usw.: Bayern ist immer mit dabei! Wir sind in Arbeitsgruppen mit dabei, wir sind aber auch informell mit dabei. Das kostet Zeit, das kostet Intensität: Ich bringe das alles aber gerne auf, und insofern ist der Frust auch gar nicht vorhanden. Im Gegenteil, gestehen Sie das bitte jemandem, der mittlerweile 60 Jahre alt ist, auch zu: Ich kann in meiner Heimatstadt leben und arbeiten. Ich muss mich also nicht dauernd in den Flieger nach Berlin setzen, um dort in der Diaspora zu wirken. Stattdessen fahre ich in einer halben Stunde an den Odeonsplatz ins Ministerium und habe dort sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten. Churchill hatte schon Recht, als er sagte: "90 Prozent der Politik ist Finanzpolitik, und die restlichen zehn Prozent kosten auch Geld!" Man ist also in der Tat bei allen Fragen mit dabei. Ich habe Spielraum und daneben auch meine eigenen Liebhabereien: Das lässt das Amt des Finanzministers schon noch zu, auch wenn ich dafür nicht immer Zeit finde. Insgesamt ist es also so, dass der Frust ganz objektiv gesehen nicht vorhanden ist. Der Frust ist dagegen ein allgemeiner: Der Frust ist, dass wir nicht mehr machen können. Dieser 14. Juli im Bundesrat, als sich einige CDU-Länder – ich sage das hier einmal so deutlich – "bestechen" ließen, damit die Regierung für die Steuerreform eine Mehrheit zusammenbekommt, war natürlich für mich eine besondere Niederlage. Ich bin nicht im Vermittlungsausschuss mit dabei und war daher nicht daran beteiligt. Diese Niederlage war deshalb so schmerzlich, weil ich in unser Konzept, also in das Konzept der Union, mehr Zeit, Engagement und Ideen investiert hatte als alle anderen. Dass das auf diese Weise "verkauft" worden ist, hat mich doch sehr geschmerzt. Aber ich mache ganz bestimmt auch wieder einen neuen Anlauf. Gottlieb: Das heißt also, dass dort der Föderalismus seine Grenzen findet, wo es um Geld für die eigenen Interessen der einzelnen Länder geht, wie Sie in diesem Beispiel ja belegt haben. Wobei man ja umgekehrt auch Folgendes sagen könnte: Gerade ein zentralistisches Berlin könnte dazu herausfordern, den Föderalismus wieder stärker zu machen und die Kraft der Länder wieder stärker zusammenzuschweißen. Aber das scheint nicht der Fall zu sein. Faltlhauser: Das ist die entscheidende Auseinandersetzung. Es ist tatsächlich so, dass Berlin immer zentralistischer wird. Das ist die zweite Mega-Entwicklung in der Hinsicht, denn Brüssel zentralisiert ja auch noch. Was nun im Vorfeld des Treffens von Nizza diskutiert wird, ist unglaublich im Hinblick auf die Kompetenzausweitung: auch in Bereichen wie z. B. der Kulturpolitik, die ja nun wirklich nicht nach Brüssel gehört. Wenn das so ist, dann müssen sich die einzelnen Länder und dabei vor allem natürlich die einzelnen Regionen besonders stark machen. Denn diese Regionen sind ja sozusagen die demokratische Wurzel gegenüber dem Bürger: Uns sieht man nämlich noch. Mich und das gesamte Kabinett hat es sehr beeindruckt, als wir in Nürnberg anlässlich unserer Kabinettssitzung ein großes Plakat gesehen haben, auf dem stand: "Diejenigen, die wir gewählt haben, haben nicht die Macht, und diejenigen, die die Macht haben, haben wir nicht gewählt." Das zielt einerseits ab auf die großen Konzerne, die die Entscheidungen im globalen Wettbewerb an sich ziehen: Da gibt es keine Einflussmöglichkeiten mehr für die Politik mehr. Zweitens zielt das aber auch ab auf die Kompetenzen, die zunehmend verschwinden an nicht sichtbare, nicht erkennbare, nicht gewählte Instanzen und Persönlichkeiten auf der europäischen Ebene: Da ist die Verwurzelung ganz einfach nicht vorhanden. Umso wichtiger ist daher die Politik in den Kommunen und in den Ländern. Das muss wirklich noch stärker werden. Ich habe in manchen Gremien oder Sitzungen in Berlin zuweilen den Eindruck, dass die Bayern diejenigen sind, die gewissermaßen das Fleisch und die Substanz für den lebendigen Liberalismus liefern. Wenn ich nämlich nur herumhocke und keine eigenen Vorstellungen oder Gegenkonzepte auf den Tisch lege und die Sache permanent vorantreibe, indem ich sage, dass ich diesen Zustand geändert haben möchte, dann höhlt sich der Föderalismus auch materiell und von innen her aus. Ich frage mich bei manchen Ländern nämlich in der Tat, was sie mit Blick auf den Gesamtstaat den ganzen Tag über eigentlich tun. Das ist für mich manchmal wirklich völlig unverständlich. Nicht nur in meinem, sondern auch in allen anderen Gebieten ist es regelrecht peinlich, dass das Gespräch zwischen Berlin und den Ländern immer mehr zu einem bloßen Zwiegespräch zwischen der Zentrale und Bayern wird. Manchmal gehe ich in Konferenzen und denke mir: "Heute sage ich mal nichts!" Aber spätestens beim zweiten Tagesordnungspunkt ist es doch wieder so weit, dass ich etwas sagen muss. Das geht anderen Politikern aus Bayern aber auch so. Das heißt, Bayern ist gewissermaßen ein Garant geworden für die materielle Verlebendigung des föderalen Gesprächs. Gottlieb: Sie haben es gerade selbst schon erwähnt: Die Politik befindet sich heute in mannigfachen Schwierigkeiten. Die großen Unternehmen, die global auf dem Weltmarkt operieren, wurden von Ihnen als Beispiel genannt: Diese Unternehmen müssen den Gesetzmäßigkeiten dieses Weltmarktes folgen, und daher suchen sie sich auf der ganzen Welt denjenigen Standort, der für sie die günstigsten Konditionen bietet. Dabei fragen sie überhaupt nicht mehr danach, welche Rahmenbedingungen ihnen die Politik allein in Deutschland oder in einer bestimmten Region bietet: Wenn es anderswo besser ist für sie, dann gehen sie ganz einfach dorthin. Es gibt noch viele andere Problemfelder. Dazu gehört z. B., dass die Kompromissfindung in der Politik in vielen Fällen eigentlich zu lange dauert. Heinrich von Pierer hat einmal gesagt: "Es gibt zwei Entscheidungsgeschwindigkeiten, und diese beiden machen uns immer größere Probleme. In der Wirtschaft geht es schnell, und in der Politik geht es langsam, und beides läuft immer weiter auseinander." Faltlhauser: Demokratie ist schwierig. Gottlieb: Ja, sie ist schwierig. Aber vor diesem Hintergrund ist nun eine Folge ganz sicher auch Folgendes: Ich meine die Schwierigkeit für alle Parteien – und damit auch für die CSU –, künftig noch qualifiziertes Personal für die Politik und für politische Entscheidungen zu finden. Das ist doch eines der Hauptprobleme. Denn man fragt sich doch, wie das künftig gelöst werden soll. Wie soll vor diesem Hintergrund die Politik noch attraktiv erscheinen? Faltlhauser: Das ist eine ganz fundamentale Frage. Das hat zu tun mit dem Ansehen der Politik und der Politiker und mit all den Debatten, die dabei üblicherweise geführt werden. Gottlieb: Man kann jedenfalls auf keinen Fall sagen, dass die Medien an allem schuld seien. Faltlhauser: Nein, das wäre natürlich Quatsch. Das ist selbstverständlich immer ein dialogischer Prozess, und alle Seiten sind schuld an dem, was die Politik teilweise verbricht und was Einzelne an Skandalen produzieren. Wenn das so ist, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass das in den Medien dementsprechend gespiegelt wird. Das Ergebnis ist jedenfalls das miserable Ansehen des Politikers. Da nützt einem auch die persönliche Anerkennung in der Bevölkerung nichts mehr, indem gesagt wird: "Wir wissen schon, dass die Politiker viel arbeiten und dafür relativ wenig Geld bekommen." Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch den verstärkten Anreiz, den die Wirtschaft mit ihren hohen Gehältern ausübt. Um hier an der Stelle noch einmal zurückzublicken: Ich bezweifle, dass diese Truppe, die 1974 in den Landtag kam, heute in der gleichen Weise in die Politik gehen würde. Bei der heutigen Gesamtatmosphäre würden manche doch eine andere Entscheidung treffen und den Weg in die Politik nicht einschlagen. Das ist in der Tat eine schwierige Entwicklung. Ich muss aber umgekehrt auch Folgendes sagen, denn diese Frage war immer der Schnittpunkt in meinem Leben und hat mich aufgrund der Verlockungen der Wirtschaft einerseits und meiner eigenen Tätigkeit in der Politik andererseits auch immer begleitet: Mir macht es nach wie vor einfach mehr Spaß, generell zu wirken und für die gesamte Gesellschaft etwas zu gestalten, als meinetwegen den Umsatz beim Verkauf eines bestimmten Kugelschreibers in Deutschland und in Europa zu erhöhen. Vom Einkommen her wäre das sicherlich sehr zufrieden stellend, aber zumindest für meine Person nicht im Endergebnis. Diese Kernsubstanz des Politischen überwiegt bei mir trotz alledem. Gottlieb: Darum gehen die Menschen aus der Wirtschaft auch nicht in die Politik: weil sie sich nun einmal dazu entschieden haben, meinetwegen den Umsatz eines Kugelschreibers zu maximieren. Faltlhauser: Die Vermischung zwischen Wirtschaft und Politik muss sich jedenfalls verstärken: In Amerika ist dies besser organisiert. Dort gibt es zwar ganz andere Strukturen, die mit den unseren nicht vergleichbar sind, aber wünschbar wäre diese stärkere Vermischung trotzdem. Wir brauchen diese Qualität von außerhalb der Politik. Es müsste eigentlich auffallen, dass zumindest auf der Bonner Ebene Helmut Kohl im zweiten Teil seiner 16 Jahre als Kanzler sehr viele Menschen von außen in die Regierung geholt hat. Das ist meines Erachtens doch weitgehend vergessen worden. Er hat dies gemacht, um die Vermischung von gesellschaftlicher Kompetenz und Politik stärker sicherzustellen. Das ist nicht immer gut gegangen, aber dieser Weg wird sich meiner Meinung nach auf Dauer doch fortsetzen. Die Parteien müssen sich heute wirklich etwas einfallen lassen. Gottlieb: Die Politik hat sich ja auch lange Zeit für alles zuständig erklärt. Faltlhauser: Das ist richtig, und dabei haben wir uns auch übernommen. Ich füge aber hinzu, dass viele gesellschaftliche Instanzen dies wie selbstverständlich zugelassen und auch gefördert haben. In sehr grundsätzlichen ethischen Fragen waren über einen langen Zeitraum hinweg z. B. die Kirchen so gut wie überhaupt nicht vorhanden und haben es dadurch der Politik überlassen, Grundsatzprogramme zu schreiben und bestimmte Festlegungen zu treffen. Dies hat sich heute jedoch ein klein wenig gebessert. Gottlieb: Wie viel Zivilcourage kann sich die Politik eigentlich leisten? Das ist zwar ein altes Problem, aber unter den heutigen zugespitzten Rahmenbedingungen stellt es sich noch viel schärfer. Wie viel Zivilcourage kann sich also die Politik leisten, wenn sie im Vierjahres- bzw. wie hier in Bayern im Fünfjahresturnus wiedergewählt und bestätigt werden will? Wie viel Nachhaltigkeit kann sich die Politik leisten? Denn wie wir alle wissen, ist z. B. auf Bundesebene bereits jetzt die Gestaltungsphase abgelaufen, weil wir im Grunde genommen nun schon in den Wahlkampf des Jahres 2002 hineinlaufen. Die Menschen können eigentlich schon jetzt kein konkretes politisches Gestalten mehr erwarten. Das ist doch ein Konstruktionsfehler, unter dem wir zwar seit Kriegsende leiden und den wir auch immer wieder beklagt haben, den wir bis heute jedoch noch nicht ändern konnten. Faltlhauser: Wir haben in Bayern ja schon etwas geändert, indem wir nun eine fünfjährige Legislaturperiode haben. Aus der Praxis heraus kann ich jedenfalls feststellen, dass dies uns und der Politik insgesamt gut tut. Es ist etwas mehr Ruhe eingekehrt und ein besseres und langfristigeres Arbeiten möglich geworden. Ich meine allerdings, dass die Politik insgesamt durch diesen schnellen medialen Prozess in den letzten zehn Jahren noch kurzatmiger geworden ist. Es wird gewissermaßen nur noch von einem Tag zum nächsten Politik gemacht. Der Politikstil eines Gerhard Schröder ist der Widerschein einer solchen Entwicklung. Mit Blick auf die "Tagesschau" und auf die nächste Zeitungsüberschrift bzw. auf das Thema der nächsten Woche macht er seine Politik - gut sichtbar sozusagen als Vollstrecker und großer und starker Entscheider –, inklusive aller Probleme, die dabei in der demokratischen Rückkoppelung entstehen. Meiner Ansicht nach ist diese Kurzatmigkeit keine gute Entwicklung. Nachhaltige Politik funktioniert jedoch trotz allem manchmal noch: Ich hoffe, dass sie in der Finanzpolitik mittlerweile auch bundesweit funktioniert – so wie wir sie in Bayern ja beispielhaft betreiben. Aber in der Realität ist es schon so, dass die Politik immer noch kurzatmiger und unberechenbarer wird. Die Volatilität der Zustimmung durch die Wähler wird ja auch immer stärker. Die Oszillationsbandbreiten der Zustimmung und Ablehnung werden ebenfalls immer größer. Man nennt das Stimmungsdemokratie: Vielleicht ist dieser Ausdruck zu stark, aber insgesamt nimmt diese Entwicklung jedenfalls zu und bereitet mir in großem Maße Sorgen. Ich glaube, dass sich die Unabhängigkeit der Politik heute nur noch an einzelnen Persönlichkeiten festmacht. Das hat auch etwas mit dem Alter zu tun: Ich bin heute in einer Position, in der ich mich politisch wesentlich unabhängiger fühle als früher. Ich bin auch freier und direkter als früher. Wenn man als "junger Beißer" kommt, dann ist man zwar unangenehmer und härter, aber letztlich doch zu sehr karriereorientiert. Je gefestigter man ist, desto unabhängiger ist man. Gottlieb: Sie sind ja vom Naturell her eigentlich ein eigenwilliger Mensch. Man kann Sie wohl auch nur schwer disziplinieren: Ich meine das nicht im Sinne von Disziplin, sondern im Hinblick auf Eigenständigkeit und Durchsetzen dessen, was Sie als richtig erkannt haben. Sie machen schon den Eindruck eines sehr eigenständigen und eigenwilligen Ministers: auch im Kabinett Stoiber. Faltlhauser: Das ist wohl wahr. Das ist aber auch eine Positionierung, die der Ministerpräsident schätzt: Deshalb bin ich ja in dieser Position. Es gibt eine Reihe von Gründen für unsere gute Zusammenarbeit: z. B. ein Grundvertrauen aus langen Jahren des gegenseitigen Kennens und Schätzens. Für mich spricht auch meine bundespolitische Erfahrung und auch meine Eigenständigkeit sowohl im Fachlichen wie auch als Persönlichkeit. Das macht mir schon auch Spaß, wenn ich das alles ausspielen kann. Ich darf allerdings hinzufügen, dass wir bei uns in Bayern im Kabinett eine ganze Reihe von Persönlichkeiten haben, die sehr eigenständig sind und im Innenverhältnis gegenüber dem Ministerpräsidenten sehr deutlich ihre Meinung sagen. Gottlieb: Sie haben als Finanzminister ja ein großes Ziel: Sie möchten einen ausgeglichenen Haushalt erreichen. Sie haben sich da auch eine Zeitachse vorgenommen, innerhalb derer Sie das erreichen wollen. Wie sieht das konkret aus? Faltlhauser: Dies ist in der Tat ein Paradigmenwechsel. Ich gehöre auch zu denjenigen, die in den vergangenen 15 bis 20 Jahren jede Menge Sprachakrobatik aufgeboten haben, um begründen zu können, warum Verschuldung betrieben wird. Das Ergebnis dabei war aber nun einmal, dass auf den Haufen von Schulden, die wir bereits hatten, immer noch zusätzliche Batzen hinzugekommen sind. So haben wir zum einen die nächste Generation mit unglaublichen Zinszahlungen belastet. Zum anderen haben wir damit aber auch den Spielraum der jungen Bundestags- und Landtagsabgeordneten, die bereits in den Parlamenten sitzen, immer weiter eingeengt. Als Edmund Stoiber und ich in den Landtag gekommen sind, hatten wir im bayerischen Staatshaushalt eine Investitionsquote von 25 Prozent. Das heißt, jede vierte Mark konnte investiert werden. Heute bemühe ich mich mühsam, jeweils über 15 Prozent zu bleiben. Ich schaffe das auch, aber damit bin ich in der Tat mit Abstand deutscher Meister. Der Bund liegt bei zehn Prozent, während andere Länder sogar bei unter zehn Prozent angelangt sind. Diese Situation ist also eine Katastrophe. Das kann man nur umdrehen, wenn man in Fragen der Personalaufwendung streng und strikt ist und wenn man mit der Nettoneuverschuldung herunterkommt. Nur so kommt man zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik. Damit das nicht zufällig ist und damit wir uns das als Ziel bindend vorgeben, braucht es einen langen Atem und eine feste Bindung. Aus diesem Grund schreiben wir das nun im Rahmen der Debatte, in der wir stehen, in die Haushaltsordnung hinein: Ab 2006 ist das bindend. Das heißt, jede Mark, die ich neu verschulde, muss man durch Ausnahmefälle begründen. Es werden gegenüber einer Neuverschuldung also hohe Hürden aufgebaut. Der jetzige Zustand des Artikels 115 des Grundgesetzes demgegenüber lautet, dass die Nettoneuverschuldung der Normalfall und nur in der Größenordnung durch die Summe der Investitionen begrenzt ist. Es war selbstverständlich nicht leicht, dies durchzusetzen, weil natürlich der Landtag oder die Kommunen meinen, dass das auf ihre Kosten ginge. Ich muss allerdings auch sagen, dass ich ein wenig Glück dabei hatte. Politik ist sowieso immer auch mit Glück verbunden. Ich hätte nämlich das Glück, dass wir uns jetzt in einer Phase der kontinuierlichen Steuermehreinnahmen befinden: Das macht mir dieses Geschäft etwas leichter. Die Grundregel heißt da: Von 100 Mark, die man zusätzlich einnimmt, darf man nur einen geringen Teil zusätzlich ausgeben, denn der Rest muss in die Konsolidierung gesteckt werden. So haben es ganz erfolgreich die USA gemacht, und so werde ich das auch machen. Ich habe ja in diesem Haushaltsjahr 2000 ebenso wie im letzten Jahr den ausgeglichenen Haushalt ohnehin de facto schon erreicht. Aber zum Jubeln gibt es durchaus noch keinen Anlass, weil ich das langfristig und sehr gesichert so erreichen will. Auch in härteren Zeiten, auch dann, wenn wir kein Wachstum haben, muss das noch so sein. Gottlieb: Im Hinblick auf diese Strategie gehen Sie ja Hand in Hand mit Hans Eichel. Faltlhauser: In der Frage des nachhaltigen Haushaltes und in der dafür notwendigen Sprache gehen wir in der Tat parallel. Wenn ich das einmal ohne Überheblichkeit so sagen darf: Er hat manche Passagen unserer programmatischen Reden schlicht und einfach übernommen. Gottlieb: Er hat sie zumindest sorgfältig gelesen. Faltlhauser: Ja, einverstanden, er hat sie sehr sorgfältig gelesen. In diesem Punkt sind wir uns also einig. Als Sparminister ist er wirklich brutal. Er hat auch einen Staatssekretär an seiner Seite, der das tatsächlich exekutiert. Aber in einem Punkt muss ich ihm doch einen Vorwurf machen. Denn langfristig gesehen macht er doch einen Fehler, und genau das kritisiere ich: Er spart nämlich zu Lasten der Investitionen. Die Investitionen sind aber wiederum auch ein Zeichen für Zukunftsfähigkeit. Insofern ist es widersprüchlich, was er macht. Das Schuldenabbauen ist sicherlich eine nachhaltige Finanzpolitik, aber auch ein hoher Investitionsanteil stellt nachhaltige Finanzpolitik dar. Man muss also beides erreichen. Wenn man das eine nur durch das Abschmelzen des anderen, also des Investitionsanteils, erkauft, dann macht man eine widersprüchliche Politik. Das ist der radikale Unterschied zur Politik in Bayern. Aber in der Haushaltspolitik gehen wir ansonsten schon Hand in Hand – wenn ich davon absehe, dass er ständig auch zu unseren Lasten sparen will. Aber das ist nur der übliche tägliche Kampf: Da geht es meinetwegen um die Verteilung der UMTS-Erlöse usw. Hans Eichel ist da in der Tat nordhessisch stur, und diese Eigenschaft tut einem Finanzminister ganz gut. Gottlieb: Sie beziehen sich in einer bestimmten Überlegung immer wieder gerne auf den Philosophen Karl Popper und auf den ehemaligen Bundeskanzler . Beide haben nämlich folgende Überlegung angestellt: Die Erreichung eines moralischen Zieles verlangt sozusagen pragmatisches, vernunftgemäßes politisches Handeln, und zwar Schritt für Schritt. Was ist das moralische Ziel politischen Handelns für Kurt Faltlhauser? Faltlhauser: Ja, ich habe mich mit dem Philosophen Popper früher intensiver als heute auseinander gesetzt. Ich habe schon eine gewisse Sehnsucht danach, auch einmal wieder ganze Bücher lesen zu können. Gottlieb: Das erklärt ja wahrscheinlich auch Ihre Professorentätigkeit. Faltlhauser: Ja, schon, aber ich werde dabei auch immer kurzatmiger. Ich mache schon immer noch meine Seminare, aber meine Vorbereitung dafür darbt doch etwas, wie ich zugeben muss, denn früher habe ich das intensiver gemacht. Popper ist ja letztlich ein Philosoph des Pragmatismus, und genau darauf bezog sich auch immer wieder Helmut Schmidt. Ich weiß noch wie heute, wie Helmut Schmidt im damaligen "Wasserwerk" in Bonn, also im Bundestag, seine Abschiedsrede gehalten hat: Das war eine große Rede. Das war wirklich eine der großen Reden, die in der Nachkriegsgeschichte im Deutschen Bundestag gehalten wurden. Sein Schluss hat mich tief beeindruckt, weil er genau das aufgenommen hat, worin auch meine eigenen Überlegungen bestehen: Bei allem Pragmatismus, bei allen Kompromissen, die wir täglich im Kampf um Millimeter vornehmen, müssen wir doch das langfristige Ziel im Auge behalten. Das ist im Grunde genommen auch eine Kriegserklärung an alle Ideologen, die ja immer nur vom langfristigen Ziel sprechen, während sie beim kurzfristigen Fortschritt überhaupt nicht vorankommen. Die Realitäten einer demokratischen Ordnung sind eben nun einmal so, dass man sich nur Schritt für Schritt voran bewegen kann. Gottlieb: Herr Professor Faltlhauser, herzlichen Dank für das Gespräch. Das war Alpha-Forum mit dem bayerischen Finanzminister. Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, vielen Dank für Ihr Interesse.

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