Plenarprotokoll 13/175 (Zu diesem Plenarprotokoll folgt ein Nachtrag)

Deutscher

Stenographischer Bericht

175. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Inhalt:

Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Abgeordneten Dr. Winfried Pinger und NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Zukunft der Dr. 15699A, B Europäischen Wirtschafts- und Wäh- rungsunion (Teil II) (Drucksachen 13/ Erweiterung und Abwicklung der Tages 2996, 13/4530) 15700 B ordnung 15699 B Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD 15700 C, 15726 C Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 15704 B Absetzung des Punktes 12 von der Tages ordnung 15699 D Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15708 C Dr. Wolfgang Weng (Gerungen) F.D.P. . 15709 A Nachträgliche Ausschußüberweisungen 15699 D Dr. F.D.P 15710 C Dr. PDS 15712 C Begrüßung der Präsidentin des norwegi- schen Parlaments und ihrer Delegation . 15712 B Dr. Gero Pfennig CDU/CSU 15714 D SPD 15716 D Begrüßung von amerikanischen Jugendli-- Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 15719 C chen im Rahmen des Parlamentarischen Dr. Gregor Gysi PDS 15720 B Patenschafts-Programms 15797 B Ingrid Matthäus-Maier SPD 15722 A Tagesordnungspunkt 3: CDU/CSU 15723 C a) Große Anfrage der Fraktion der SPD: Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE Zur Wirtschafts- und Währungsunion GRÜNEN 15725 C (Drucksachen 13/2638, 13/3984) . . . 15700 A Hansjürgen Doss CDU/CSU 15726 D b) Große Anfrage der Abgeordneten Joachim Poß, Ingrid Matthäus-Maier, Tagesordnungspunkt 4: weiterer Abgeordneter und der Frak- a) Zweite und dritte Beratung des von der tion der SPD: Teilnahmekriterien an Bundesregierung eingebrachten Ent- der Europäischen Währungsunion wurfs eines Gesetzes zur Änderung des (Drucksachen 13/4189, 13/4531) . . . 15700 B Baugesetzbuchs und zur Neuregelung c) Große Anfrage der Abgeordneten K ri des Rechts der Raumordnung (Bau- und ristian Sterzing, weiterer-stin Heyne, Ch Raumordnungsgesetz 1998) (Drucksa- Abgeordneter und der Fraktion BÜND- chen 13/6392, 13/7588, 13/7589) . . . 15728 B NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Zukunft der b) Beschlußempfehlung und Bericht des Europäischen Wirtschafts- und Wäh- Ausschusses für Raumordnung, Bauwe- rungsunion (Teil I) (Drucksachen 13/ sen und Städtebau 2858, 13/4529) 15700 B - zu dem Antrag der Abgeordneten d) Große Anfrage der Abgeordneten K ri Helmut Wilhelm (Amberg), Franziska ristian Sterzing, weiterer-stin Heyne, Ch Eichstädt-Bohlig und der Fraktion II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für ein d) Erste Beratung des von der Bundesre- soziales und ökologisches Städte- gierung eingebrachten Entwurfs eines bau- und Raumordnungsrecht Gesetzes zu dem Europa-Abkommen vom 10. Juni 1996 zur Gründung einer - zu der Unterrichtung durch die Bun- Assoziation zwischen den im Rahmen desregierung: Bericht zu den Er- der Europäischen Union handelnden gebnissen der Rechtstatsachen- und Europäischen Gemeinschaften und Wirkungsforschung bezüglich der ihren Mitgliedstaaten einerseits und neuen und geänderten städtebauli- der Republik Slowenien andererseits chen Vorschriften (Drucksache 13/7447) 15759 C (Drucksachen 13/6384, 13/5489, 13/ 5655 Nr. 4, 13/7588, 13/7589) . . . . 15728 C e) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . 15728 D Gesetzes zu dem Protokoll vom 24. Juli Walter Schöler SPD 15730 D 1996 auf Grund von Artikel K.3 des Dr. Michael Vesper, Minister (Nordrhein- Vertrags über die Europäische Union Westfalen) 15734 D betreffend die Auslegung des Überein- kommens über die Errichtung eines Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 15736 A Europäischen Polizeiamts durch den Franziska Eichstädt-Bohlig BOND- Gerichtshof der Europäischen Gemein- NIS 90/DIE GRÜNEN . . . . 15737 C, 15744 A schaften im Wege der Vorabentschei- Walter Schöler SPD 15738 B, C dung (Europol-Auslegungsprotokoll- gesetz) (Drucksache 13/7555) . . . . 15759 C Klaus-Jürgen Warnick PDS 15739 D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 15743 A f) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- Achim Großmann SPD 15744 B nes Gesetzes zu dem Abkommen vom Gabriele Iwersen SPD 15746 A 7. April 1994 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ der Regierung der Republik Polen DIE GRÜNEN 15748 C über die Zusammenarbeit auf dem Ge- Peter Götz CDU/CSU ...... 15749 D biet des Umweltschutzes (Drucksache Peter Conradi SPD 15751 D 13/7556) 15759 D Peter Götz CDU/CSU 15752 A g) Erste Beratung des von der Bundes- Werner Dörflinger CDU/CSU 15753 C regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zu dem Protokoll vom Josef Hollerith CDU/CSU 15754 B 13. Juni 1994 zu dem Übereinkommen Peter Conradi SPD 15754 D von 1979 über weiträumige grenzüber- Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU 15756 B schreitende Luftverunreinigung be- treffend die weitere Verringerung von Walter Schöler SPD 15757 C Schwefelemissionen (Drucksache 13/ - 7557) 15759 D Tagesordnungspunkt 13: Überweisungen im vereinfachten Verfah- Zusatztagesordnungspunkt 2: ren a) Erste Beratung des von den Fraktionen a) Erste Beratung des von den Abgeord- der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- neten Dr. Marliese Dobberthien, Lilo ten Entwurfs eines Gesetzes über Bo- Blunck, weiteren Abgeordneten und denabfertigungsdienste auf Flugplät der Fraktion der SPD eingebrachten zen (Drucksache 13/7645) 15760 A Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vorläufigen Biergesetzes (Druck- b) Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus W. sache 13/6132) 15759 B Lippold (Offenbach), Dr. Norbe rt Rieder und der Fraktion der CDU/CSU sowie b) Erste Beratung des von der Bundesre- der Abgeordneten Birgit Homburger, gierung eingebrachten Entwurfs eines Günther Bredehorn, Dr. Achten Gesetzes zur Änderung des und der Fraktion der F.D.P.: Elefanten Gesetzes über die Errichtung einer erhalten - neue Lebensräume erschlie- Stiftung „Hilfswerk für behinderte ßen (Drucksache 13/7654) 15760 A Kinder" (Drucksache 13/7336) . . . . 15759 B c) Erste Beratung des von der Bundesre- Zusatztagesordnungspunkt 6: gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anwendung von Antrag der Abgeordneten Horst Sielaff, Normen für die Übertragung von Fern- Dr. , weiterer Abge- sehsignalen (Fernsehsignal-Übertra- ordneter und der Fraktion der SPD: Kon- gungs-Gesetz) (Drucksache 13/7337) . 15759 C sequente Verringerung des Einsatzes Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 III

von Antibiotika in der Tierhaltung für äußerung der ehem. Carl-Schurz-Ka- eine wirksame Gesundheitsvorsorge serne in Bremerhaven (Drucksachen beim Menschen (Drucksache 13/6553) 15760 B 13/7204, 13/7544) 15761 C g) Beschlußempfehlung des Haushalts- Zusatztagesordnungspunkt 7: - ausschusses zu der Unterrichtung Antrag der Abgeordneten Michael durch die Bundesregierung: Haushalts Müller (Düsseldorf), Ursula Burchardt, führung 1997; Außerplanmäßige Aus- weiterer Abgeordneter und der Fraktion gabe bei Kapitel 10 04 (apl.) Titel der SPD: Umsetzung der AGENDA 21 - 682 09 - Maßnahmen zur Stützung des Prioritäten für Maßnahmen zur nach- Schweinemarktes - bis zur Höhe von haltigen Entwicklung im 21. Jahr- 14 096 000 DM (Drucksachen 13/7099, hundert (Drucksache 13/7679) . . . . 15760 B 13/7105 Nr. 2, 13/7453) 15761 D h) Beschlußempfehlung des Haushalts- Tagesordnungspunkt 14: ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Haushalts- Abschließende Beratungen ohne Aus- führung 1997; Überplanmäßige Ausga- sprache be bei Kapitel 10 04 Titel 682 04 - Von a) Zweite Beratung und Schlußabstim- der EU nicht übernommene Marktord- mung des von der Bundesregierung nungsausgaben - bis zur Höhe von eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes 19 591 000 DM (Drucksachen 13/7198, zur Zweiten und Dritten Änderung des 13/7460 Nr. 5, 13/7545) 15761 D Europäischen Übereinkommens vom i) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- 1. Juli 1970 über die Arbeit des im in- schusses: Sammelübersicht 167 zu Peti- ternationalen Straßenverkehr beschäf- tionen (Drucksache 13/6406) . . . . 15762 A tigten Fahrpersonals (AETR) (Druck- sachen 13/6440, 13/7444) 15760 C j) Beschlußempfehlung des Petitionsaus Sammelübersicht 202 zu Peti--schusses: b) Zweite und dritte Beratung des von der tionen (Drucksache 13/7514) . . . . 15762 A Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des k) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- Sortenschutzgesetzes (Drucksachen 13/ schusses: Sammelübersicht 204 zu Pe- 7038, 13/7446, 13/7639) 15760 D titionen (Keine Änderung des Bun- dessozialhilfegesetzes) (Drucksache 13/ c) Beschlußempfehlung und Bericht des 7516) 15762 B Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Zusatztagesordnungspunkt 3: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Ver- Aktuelle Stunde betr. Einschätzung äußerung der bundeseigenen (ehe- der Ausbildungsplatzsituation und des maligen US-)Wohnsiedlung Fürth-Süd Handlungsbedarfs durch die Bundes- (Kalb-Housing-Area) in Fürth (Druck-- regierung 15762 D sachen 13/7130, 13/7451) 15761 B SPD 15762 D d) Beschlußempfehlung und Bericht des Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU 15763 C Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Veräußerung des ehemaligen NATO- NEN 15764 C Flugplatzes Lahr an die Stadt Lahr und Dr. F.D.P. . . . 15765 C die Gemeinde Friesenheim (Drucksa- chen 13/7032,13/7452) 15761 B Maritta Böttcher PDS 15766 D Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 15767 D e) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag Stephan Hilsberg SPD 15769 C des Bundesministeriums der Finanzen: Werner Lensing CDU/CSU 15770 D Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Ver- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär äußerung einer bundeseigenen Lie- BMWi 15772 A genschaft in Hongkong (frühere Re- Sabine Kaspereit SPD 15773 A sidenz des Generalkonsuls) (Drucksa- chen 13/6946, 13/7543) 15761 C Marion Seib CDU/CSU 15774 A f) Beschlußempfehlung und Bericht des Heinz Schmitt (Berg) SPD 15775 B Haushaltsausschusses zu dem Antrag Karl-Heinz Scherhag CDU/CSU . . . 15776 B des Bundesministeriums der Finanzen: Franz Thönnes SPD 15777 B Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Ver- Dr. Christian Ruck CDU/CSU 15778 D IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Zur Geschäftsordnung neuen Ländern zur Erfüllung des Treu- handauftrages (Drucksachen 13/2571, Rudolf Scharping SPD 15779 D 13/5162) 15800 D Joachim Hörster CDU/CSU 15780 D b) Beschlußempfehlung und Bericht des Joseph Fischer (Frankfu rt) BÜNDNIS 90/ - Innenausschusses zu dem Antrag des DIE GRÜNEN 15781 C Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und der weiteren Abgeordneten der PDS: Jörg van Essen F.D.P. 15782 C Ver- mögen der Parteien und Massenorga- Dr. Gregor Gysi PDS 15783 A nisationen der DDR (Drucksachen 13/ Dr. Peter Struck SPD 15784 A 78, 13/6774) 15801 A Joachim Hörster CDU/CSU 15784 B c) Antrag der Abgeordneten Dr. Christa (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Luft, Wolfgang Bierstedt, weiterer Ab- GRÜNEN 15784C geordneter und der Gruppe der PDS: Jörg van Essen F.D.P. 15784 D Für eine wirtschaftliche und ökologi- sche Alternative in den neuen Bundes- Dr. Gregor Gysi PDS 15785 A ländern (Drucksache 13/7519) . . . . 15801 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Dr. PDS 15801 B 15802 B Antrag der Abgeordneten Alois Graf Roll Köhne PDS von Waldburg-Zeil und der Fraktion der CDU/CSU, des Abgeordneten Dr. R. Tagesordnungspunkt 6: Werner Schuster und der Fraktion der a) Antrag der Abgeordneten Hans- SPD, der Abgeordneten Dr. Uschi Eid Joachim Hacker, Dr. Herta Däubler- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Gmelin, weiterer Abgeordneter und der GRÜNEN sowie der Abgeordneten Fraktion der SPD: Mehr Rechtssicher- Dr. und der Frak- heit und Rechtsschutz für Nutzer von tion der F.D.P.: Zur Lage in Zaire Freizeitgrundstücken in den neuen (Drucksache 13/7672) 15785 B Bundesländern (Drucksache 13/7304) 15803 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe- Tagesordnungspunkt 8: Jens Heuer, Klaus-Jürgen Warnick, Zweite und dritte Beratung des von den Dr.Gregor Gysi und der Gruppe der Abgeordneten (Aachen), PDS: Begrenzung des Anstiegs der Irmingard Schewe-Gerigk und weite- Nutzungsentgelte für Erholungsgrund- ren Abgeordneten eingebrachten Ent- stücke in Ostdeutschland auf ein sozial wurfs eines ... Strafrechtsänderungs- erträgliches Maß (Drucksache 13/7532) 15803 B gesetzes - §0 177 bis 179 StGB (... StrÄndG) (Drucksachen 13/7324, Tagesordnungspunkt 9: 13/7663) 15785 D a) - Zweite und dritte Beratung des von Ulla Schmidt (Aachen) SPD 15786 A den Fraktionen der CDU/CSU und CDU/CSU 15787 A F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ Gesetzes zur Verbesserung rehabili- DIE GRÜNEN 15788 B tierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P 15789 C der ehemaligen DDR (Drucksachen Christina Schenk PDS 15790 C 13/6496, 13/7491, 13/7497, 13/7496, CDU/CSU 15781 B 13/7495) 15803 C Dr. Edith Niehuis SPD 15793 A - Zweite und dritte Beratung des von Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 15794 B den Abgeordneten , Hans-Joachim Hacker, weiteren Ab- Erika Simm SPD 15795 C geordneten und der Fraktion der SPD Karin Schubert, Ministerin (Sachsen-An eingebrachten Entwurfs eines Geset- halt) 15796 C zes zur Verbesserung rehabilitie- rungs- und häftlingshilferechtlicher Namentliche Abstimmung 15797 D Vorschriften (Rehabilitierungs- und Ergebnis 15798 B häftlingshilferechtliches Verbesse- rungsgesetz) (Drucksachen 13/4162, Tagesordnungspunkt 7: 13/7491, 13/7497, 13/7496, 13/7495) 15803 C a) Beschlußempfehlung und Bericht des - Zweite und dritte Beratung des von Ausschusses für Wi rtschaft zu dem An- den Abgeordneten Gerald Häfner, trag der Abgeordneten Dr. Christa Luft, (Berlin) und der Frak- Wolfgang Bierstedt, Rolf Kutzmutz und tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- der Gruppe der PDS: Änderung der gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Rahmenvereinbarung von Bund und zur Verbesserung der Rechtsstellung Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 V

der Opfer der SED-Diktatur (Druck- verweigerung" während der natio- sache 13/3038, 13/7491, 13/7497, 13/ nalsozialistischen Gewaltherrschaft 7496, 13/7475) 15803 D - zu dem Antrag der Abgeordneten b) Beschlußempfehlung und Bericht des (Köln), Winfried Nacht- Rechtsausschusses wei, weiterer Abgeordneter und der - Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- - zu dem Antrag der Fraktionen der NEN: Rehabilitierung, Entschädi- CDU/CSU und F.D.P.: Verbesserung gung und Versorgung für die Deser- der Rehabilitierung und Entschädi- teure, Kriegsdienstverweigerer und gung von Opfern der politischen „Wehrkraftzersetzer" unter dem NS- Verfolgung in der ehemaligen DDR Regime - zu dem Antrag der Abgeordneten (Drucksachen 13/354, 13/353, 13/7669) 15818 B Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hak- CDU/CSU 15818 D ker, weiterer Abgeordneter und der Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 15819 D Fraktion der SPD: Verbesserungen bei der Rehabilitierung von SED- Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE Unrecht über die Verlängerung von GRÜNEN 15822 A Antragsfristen hinaus Detlef Kleine rt (Hannover) F.D.P. . . . 15823 B (Drucksachen 13/4568, 13/2445, 13/ PDS 15824 A 7491) 15804 A Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesmi Dr. Michael Luther CDU/CSU 15804 B nister BMJ 15824 D Hans-Joachim Hacker SPD 15805 C CDU/CSU 15825 B Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Dr. Uwe-Jens Heuer PDS (Erklärung nach NEN 15806 D § 31 GO) 15827 D Dr. Rainer Ortleb F.D.P 15808 A Namentliche Abstimmung über den Ände- Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 15808 D rungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesmi DIE GRÜNEN (Drucksache 13/7671) . 15826 D nister BMJ 15809 B Ergebnis 15828 B Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU 15810 A Rolf Schwanitz SPD 15810 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlußempfehlung des Ausschusses Namentliche Abstimmung über den Ände- nach Artikel 77 des Grundgesetzes rungsantrag der Fraktion der SPD (Druck- (Vermittlungsausschuß) zu dem Zwei- sache 13/7502) 15811 D ten Gesetz zur Neuordnung von Selbst Ergebnis 15813 A verwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung Namentliche Abstimmung über den Ände- (2. GKV-Neuordnungsgesetz) (Druck- rungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/- sachen 13/6087, 13/7264, 13/7569, 13/ DIE GRÜNEN (Drucksache 13/7656) . . 15812 A 7660) 15827 B Ergebnis 15815 C 15830 D Tagesordnungspunkt 10: Nächste Sitzung a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Anlage 1 , weiteren Abgeordneten Liste der entschuldigten Abgeordneten . 15831' A und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Entschädigung von Anlage 2 Fahnenflüchtigen, Wehrkraftzersetzern Erklärungen nach 31 GO zur Abstimmung und Wehrdienstverweigerern unter über den Entwurf eines ... Strafrechtsän- dem NS-Regime (Drucksachen 13/ derungsgesetzes - §§ 177 bis 179 StGB 4409, 13/7669) 15818 B (Tagesordnungspunkt 8) b) Beschlußempfehlung und Bericht des Maria Eichhorn CDU/CSU 15831* B Rechtsausschusses Sigrun Löwisch CDU/CSU 15831* B - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. F D P. 15831 * C Volker Kröning, Dieter Wiefelspütz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Unrechtsurteile wegen Anlage 3 - „Fahnenflucht/Desertion", „Wehr- Erklärung nach § 31 GO des Abgeordne kraftzersetzung" oder „Wehrdienst- ten Dr. (CDU/CSU) zur VI Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Abstimmung über Buchstabe 6 der Be- Dr. , Norbe rt Kö- schlußempfehlung des Rechtsausschusses nigshofen, , Hubert zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Deittert, Dietmar Schlee (alle CDU/CSU) Unrechtsurteile wegen „Fahnenflucht/ zur Abstimmung über die Beschlußemp- Desertion", „Wehrkraftzersetzung" oder fehlung des Rechtsausschusses auf Druck- „Wehrdienstverweigerung" während der sache 13/7669 neu (Tagesordnungspunkt nationalsozialistischen Gewaltherrschaft l0 a und b) 15834' C (Tagesordnungspunkt 10 b) 15832* B

Anlage 6 Anlage 4 Erklärung nach Erklärungen nach § 31 GO zur Abstim- § 31 GO der Abgeordne- mung über die Beschlußempfehlung des ten Christian Schmidt (Fürth), Hartmut Koschyk, Rechtsausschusses, Buchstabe d - Druck- Dagmar Wöhrl, Michaela Geiger, sache 13/7669 neu - Wolfgang Zeitlmann, , Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), CDU/CSU 15832* D Dr. Bernd Protzner (alle CDU/CSU) zur Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ Abstimmung über die Beschlußempfeh- CSU 15833' A lung des Rechtsausschusses auf Druck- sache 13/7669 neu (Tagesordnungspunkt Bernd Wilz CDU/CSU 15834' A l0 a und b) 15834' D

Anlage 5 Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Jürgen Augustinowitz, Wilhelm Diet- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- zel, Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg), Ge- ten Dr. (München), Kurt J. org Janovsky, , Mei- Rossmanith, Ernst Hinsken, Dr. Wolfgang nolf Michels, Klaus Dieter Reichardt Götzer, , Josef Holle rith, (Mannheim), Thomas Kossendey, Rudolf , Wolfgang Gröbl, Helmut Braun (Auerbach), Egon Susset, Frederick Jawurek, Peter Götz, Alois Graf von Wald- Schulze, Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz), burg-Zeil, Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Hein- Alois Graf von Waldburg-Zeil, Bernd rich Lummer, Benno Zierer, Dr. Dionys Klaußner, Rudolf Meinl, Dr. Klaus Rose, Jobst, Wolfgang Zöller, Carl-Detlev Frei- Jürgen Sikora, Dr. Peter Paziorek, Roland herr von Hammerstein, E rika Reinhardt, Richter, Klaus Riegert, Heinz Seiffert, Ro- , Dr. Peter Ramsau- land Sauer (Stuttgart), Otto Hauser (Ess- er (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über lingen), Wilhelm Josef Sebastian, Ge rt die Beschlußempfehlung des Rechtsaus- Willner, Michael Teiser, Hans-Otto Wil- schusses auf Drucksache 13/7669 neu helm (Mainz), Wolfgang Krause (Dessau), (Tagesordnungspunkt 10 a und b) . . . 15835* C Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15699

175. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Beginn: 8.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und dem Zweiten Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung Herren, die Sitzung ist eröffnet. Ich wünsche einen und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversi- cherung (2. GKV-Neuordnungsgesetz - 2. GKV-NOG) - guten Morgen. Drucksachen 13/6087, 13/7264, 13/7569, 13/7660 - Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, erinnere Von der Frist für den Beginn der Beratungen so ll, ich daran, daß wir morgen mit einem Staatsakt hier soweit erforderlich, abgewichen werden. im Plenarsaal des verstorbenen früheren Bundestags- präsidenten Kai-Uwe von Hassel gedenken werden. Für heute soll folgender Ablauf gelten: Nach den Die ursprünglich vorgesehene Tagesordnung wurde Kernzeitthemen und den Beratungen ohne Ausspra- deshalb geändert. Wegen erneuter Änderungen muß che ist die Aktuelle Stunde auf Verlangen der Frak- ich gleich noch einmal auf die Tagesordnung zurück- tion der SPD vorgesehen. Sodann sollen die Debat- kommen. tenpunkte in folgender Reihenfolge aufgerufen wer- den: Zusatzpunkt 4: Lage in Zaire, Tagesordnungs- Zunächst möchte ich dem Kollegen Dr. Winfried punkt 7 a bis c: Treuhandauftrag, Tagesordnungs- Pinger, der heute seinen 65. Geburtstag feiert, die punkt 6 a und b: Nutzer von Freizeitgrundstücken, besten Glückwünsche des Hauses aussprechen. Tagesordnungspunkte 8 bis 10 wie vorgesehen, (Beifall) Zusatzpunkt 5: Ergebnis des Vermittlungsausschus- ses, Tagesordnungspunkt 5: Bank- und Wertpapier- Ebenso herzlich gratuliere ich dem Kollegen vorschriften, Tagesordnungspunkt 11: Lebensmittel- Dr. Olaf Feldmann nachträglich zu seinem 60. Ge- und Bedarfsgegenständegesetz. burtstag, den er am 9. Mai beging. Auch dazu herzli- chen Glückwunsch. Der Tagesordnungspunkt 12, Entschädigung für Opfer des NS-Regimes, soll abgesetzt werden. (Beifall) Interfraktionell ist vereinbart worden,- die verbun- Außerdem mache ich auf nachträgliche Aus- schußüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkt dene neue Tagesordnung um die Ihnen vorliegenden Zusatzpunkte zu erweitern: liste aufmerksam: 2. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Er- Der in der 173. Sitzung des Deutschen Bundestages am gänzung zu TOP 13) 25. April 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich dem Auswärtigen Ausschuß a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Entwicklung zur Mitberatung überwiesen werden: Bodenabfertigungsdienste auf Flugplätzen - Druck- sache 13/7645 - Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eines Steuerreformgesetzes 1999 - Drucksache 13/7480- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Dr. Norbe rt Rieder und der überwiesen: Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Birgit Finanzausschuß (federführend) Homburger, Günther Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb und Auswärtiger Ausschuß der Fraktion der F.D.P.: Elefanten erhalten - neue Le- Innenausschuß bensräume erschließen - Drucksache 13/7654 - Rechtsausschuß 3. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Ein- Ausschuß für Wirtschaft schätzung der Ausbildungsplatzsituation und des Hand- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten lungsbedarfs durch die Bundesregierung Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung 4. Beratung des Antrags des Abgeordneten Alois Graf von Verteidigungsausschuß Waldburg-Zeil und der Fraktion der CDU/CSU, des Abge- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ordneten Dr. R. We rner Schuster und der Fraktion der SPD, Ausschuß für Verkehr der Abgeordneten Dr. Uschi Eid und der Fraktion Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit sind Ent- Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.: Zur La- wicklung ge in Zaire - Drucksache 13/7672 - Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO 5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Der in der 169. Sitzung des Deutschen Bundestages am Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu 17. April 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf 15700 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth soll nachträglich zusätzlich dem Innenausschuß zur Mitbe- Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Frau Präsiden- ratung überwiesen werden: tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Überall in Gesetzentwurf der Abgeordneten Michaele Hustedt, Gila Deutschland, in allen Familien, in allen Gruppen der Altmann (Aurich), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bevölkerung wird die Einführung der europäischen NEN zur Neuordnung der Energiewi rtschaft (EnergieG) Wirtschafts- und Währungsunion, der Euro, disku- - Drucksache 13/5352 - tiert. überwiesen: Nur die Bundesregierung hat sich immer wieder ei- Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Innenausschuß ner solchen Diskussion im Deutschen Bundestag zu Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit entziehen versucht. Sie hat in dieser Frage bisher Haushaltsausschuß keine einzige Regierungserklärung abgegeben. Der in der 152. Sitzung des Deutschen Bundestages am 17. Januar 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das soll es soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Verkehr zur geben!) Mitberatung überwiesen werden: Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Schutz des Bo- Vielmehr mußte sie in Aktuellen Stunden oder heute dens - Drucksache 13/6701 - durch die Beantwortung einer Großen Anfrage dazu überwiesen: gezwungen werden. Die großformatigsten Anzeigen Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und die strahlendsten Hochglanzbroschüren, die die (federführend) Bundesregierung zur europäischen Währungsunion Rechtsausschuß verbreitet, können aber die Verunsicherung der Be Ausschuß für Wirtschaft völkerung nicht beseitigen. Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr Sie wollen die Beantwortung konkreter Probleme, Ausschuß für Post und Telekommunikation Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau die sie berühren. Wie sind die Kosten beim Übergang Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO in die dritte Stufe der Währungsunion? Wie werden Aktien, Versicherungen umgestellt? Wie kann der Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Druck auf die sozialen Sicherungssysteme anschlie- Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so be- ßend verhindert werden? schlossen. Das sind praktische Fragen, die die Bundesregierung Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf: beantworten muß. a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Tut sie

der SPD: Zur Wirtschafts - und Währungs- doch!) union - Druckachen 13/2638, 13/3984 - Am schlimmsten aber ist, daß die Bundesregierung b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- selber zur Verunsicherung der Menschen beiträgt. ten Joachim Poß, Ing rid Matthäus-Maier, Lud- Zwei Tage nach dem 21. März, an dem sich Theo wig Eich, weiterer Abgeordneter und der Waigel hier im Deutschen Bundestag aus Anlaß einer Fraktion der SPD: Teilnahmekriterien an der Aktuellen Stunde - damals von den Grünen bean- Europäischen Währungsunion - Drucksachen tragt - zur Währungsunion geäußert hat und über- 13/4189, 13/4531- haupt keinen Hinweis in diese Richtung gegeben hat, konnte man von ihm in mehreren Zeitschriften c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- - und Zeitungen lesen, die Konvergenzkriterien von ten Kristin Heyne, Ch ristian Sterzing, Matthias Maastricht müßten dadurch erfüllt werden, daß in Berninger, weiterer Abgeordneter und der Deutschland die Sozialhilfe gekürzt werden solle. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Zu- kunft der Europäischen Wirtschafts- und (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Unerhört!) Währungsunion (Teil I) - Drucksachen 13/ Gäbe es irgendwo eine finstere Vereinigung mit 2858, 13/4529 - dem Ziel, den Europäern Europa zu verleiden, d) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- der Vorschlag Waigels wäre ihr jüngster Erfolg. ten Kristin Heyne, Chri stian Sterzing, Elisa- So kommentierte die „Süddeutsche Zeitung" vom beth Altmann (Pommelsbrunn), weiterer Ab- 24. März 1997 dieses Vorgehen Theo Waigels. geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Die Zukunft der Europäischen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wirtschafts- und Währungsunion (Teil II) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der - Drucksachen 13/2996, 13/4530 - PDS) Dazu liegt je ein Entschließungsantrag der Frak- Sie wissen selbst, daß sich die Akzeptanz der Be- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der völkerung für die europäische Wirtschafts- und Wäh- PDS vor. Zu den Großen Anfragen der Fraktion der rungsunion bisher in engen Grenzen hält. SPD liegt ein Entschließungsantrag der SPD vor. ( [CDU/CSU]: Nach Ihrer Rede Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind wird es besser!) für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so. Wer wider besseres Wissen seine eigenen Pläne für Sozialkürzungen und Umverteilung in Deutschland Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt die Kollegin Europa zuschiebt, schadet der europäischen Eini- Heidemarie Wieczorek-Zeul. gung, auch wenn er tausendfache Erklärungen für Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15701

Heidemarie Wieczorek-Zeul die Notwendigkeit der Fortsetzung der europäischen die im Laufe des 21. Jahrhunderts zu entscheiden Integration abgibt. haben werden, werden selbst große europäische Staaten wie Frankreich oder England oder (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Deutschland auch nicht entfernt in der Lage sein, DIE GRÜNEN) ihre eigenen Interessen mit Gewicht einzubrin- Wir fordern die Bundesregierung auf: Beenden Sie gen. Nur dann, wenn sie sie gemeinsam einbrin- Ihre Politik der Sozialkürzungen und des Sozialab- gen und vertreten, haben sie Aussicht auf Erfolg. baus, und geben Sie die völlig unzulässige Verkop- Umgekehrt gilt aber auch: Wenn sie dies nicht pelung des Zieles einer europäischen Wirtschafts- fertigbringen, dann werden die Staaten Europas und Währungsunion mit Ihrer Politik der Sozialkür- zu marginalen Figuren im Weltgeschehen. zungen auf! Die Entscheidungen der amerikanischen Noten- bank beeinflussen weltweit das jeweilige Zinsniveau (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und haben Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in al- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN len europäischen Ländern. Schnelle Spekulationsbe- und der PDS) wegungen und Wechselkursschwankungen führen Nichts außer ihrem selbstgewählten neoliberalen zu Verlust von Arbeitsplätzen in a ll unseren Staaten. Dogma zwingt die Bundesregierung zu der verfehl- Unternehmen spüren Wechselkursveränderungen ten Steuer- und Finanzpolitik, die sie bisher betreibt. und -schwankungen innerhalb weniger Tage. Nach Schätzungen der wi rtschaftswissenschaftlichen Insti- Die Gesetze, die die Bundesregierung am schwar- tute sind auf diese Art und Weise allein in Deutsch- zen Freitag im . letzten September mit der Kanzler- land 250 000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Darum mehrheit durch den Deutschen Bundestag gepaukt halten wir das Projekt einer europäischen Wi rt hat, haben die Ungerechtigkeit in unserem Land ver- rtschaftlich und poli--schafts- und Währungsunion wi stärkt, soziale Auseinandersetzungen mit Langzeit- tisch für dringend notwendig. wirkung geschürt - ich verweise auf die aktuellen Auseinandersetzungen am Bau - und die Massenar- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne beitslosigkeit noch verschärft. Sie haben aber nichts ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - mit der Einhaltung der Maastricht-Kriterien zu tun. Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Na end Im Gegenteil: Sie entfernen uns weiter davon, weil lich!) sie die Arbeitslosigkeit geschürt haben. Es ist kein „deutsches Opfer" auf dem Altar euro- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne päischer Integration. Vielmehr liegt die Wirtschafts- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Währungsunion im deutschen Interesse. Wir brauchen den Euro schon deshalb, weil er den euro- Von seiten der Europäischen Union hat niemand die päischen Stabilitätsraum zum Nutzen der vom Expo rt Bundesregierung zur Abschaffung der p rivaten Ver- abhängigen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mögensteuer verpflichtet; sie aber hat die Haushalts- und zum Schaden der global agierenden Währungs- löcher erneut vergrößert. spekulanten festigt. Das ist doch seine Bedeutung. Über diese unsäglichen und unseligen Diskussio- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- nen, ausgelöst durch die Bundesregierung und ihren ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Finanzminister , gerät die eigentliche Der europäische Binnenmarkt nimmt 90 Prozent al- Begründung und Bedeutung der europäischen- Zu- ler Waren und Dienstleistungen aus den 15 Mitglied- sammenarbeit und der Notwendigkeit einer europäi- staaten auf. Solange wir uns in diesem einheitlichen schen Wirtschafts- und Währungsunion völlig aus Markt den Luxus von 14 verschiedenen Währungen dem Blick. Wir bleiben dabei: Wenn die Politik ange- leisten, sind die Klagen über die Folgen der Global- sichts der Globalisierung von Finanzmärkten nicht isierung der Wirtschaft wenig überzeugend. jegliche Gestaltungsmöglichkeit aus der Hand geben will, dann kommt sie an der Verwirklichung der Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion europäischen Wirtschafts- und Währungsunion nicht bietet alle Chancen, daß der Euro die Ro lle einer vorbei. weltweiten Leitwährung übernimmt, so daß die Wi rt -schaften in unseren Ländern unabhängiger vom US- (Beifall bei der SPD) Dollar und der amerikanischen Wirtschafts- und Fi- Es blieb vorbehalten, die Größe nanzpolitik werden. Das ist eine seiner wichtigsten und Bedeutung dieser Aufgabe deutlich zu machen, Bedeutungen. während Theo Waigel und andere Regierungsmit- Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion glieder diese Aufgabe kleinreden. muß aber zu aktiver Beschäftigungspolitik und Wachstum genutzt werden. Sie darf nicht zu einem (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Schröder Instrument der Sozialkürzungen und der Verschär- vor allen Dingen!) fung der Massenarbeitslosigkeit mißbraucht werden. Helmut Schmidt hat am 14. Januar 1997 gesagt: Schon im geltenden Maastricht - Vertrag wird in Gegenüber den Supermächten Titel VI die Abstimmung der Wirtschaftspolitik zwi- schen den EU-Mitgliedstaaten gefordert und ange- - das ist doch die Aufgabe, das wissen Sie doch legt. Dazu hatte der damalige EU-Kommissionspräsi- selbst -, dent Jacques Delors bereits ein Jahr nach Ratifizie- 15702 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn. Donnerstau. den 15. Mai 1997

Heidemarie Wieczorek-Zeul rung der Maastricht-Verträge sein Weißbuch für Die neue britische Regierung unter Tony Blair hat Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung angekündigt, daß sie sich für verbindliche Regelun- vorgelegt, mit wegweisenden Vorschlägen, die von gen zu einer aktiven Beschäftigungspolitik im Maas- den Finanzministern, an der Spitze Theo Waigel, im- tricht-Vertrag in einem eigenen Kapitel „Beschäfti- mer wieder torpedie rt wurden. gung" einsetzt. Nichts ist aus den vernünftigen Plänen für die so- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Und für genannten transeuropäischen Netze geworden - statt eine Flexibilisierung am Arbeitsmarkt!) dessen immer mehr Subventionen im Agrarbereich. Endlich kann sich die Bundesregierung in dera rtigen Nichts ist aus der Schwerpunktsetzung im Bereich Fragen nicht mehr hinter der britischen Regierung Forschung und technologische Entwicklung gewor- verstecken. den, wie sie Jacques Delors vorgeschlagen hat. Nichts ist aus seinen Vorschlägen zur Sicherung ei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nes Ausbildungsplatzes für jeden Jugendlichen mit ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dem Ziel des lebenslangen Weiterlernens geworden. Nichts ist aus seinen Vorschlägen für die Entlastung Ich möchte die Gelegenheit nutzen, liebe Kollegin- des Faktors Arbeit und den Einstieg in die Rationali- nen und Kollegen - ich glaube, das kann ich für das sierung, da wo sie notwendig ist, nämlich beim Ver- ganze Haus sagen -, dem britischen Regierungschef brauch von Energie und bei Naturbelastungen, ge- Tony Blair und der Labour Pa rty zu ihrem hervorra- worden. Dabei hätten wir im Rahmen der EU-Mit- genden Wahlerfolg zu gratulieren; denn sie hat Eu- gliedstaaten viel bessere Chancen, die Massenar- ropa aus einer entscheidenden Blockade herausge- beitslosigkeit erfolgreich zu bekämpfen. führt. Ich fordere die Bundesregierung auf: Nutzen Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne den Sondergipfel am 23. Mai zu einer Initiative für ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die europäische Beschäftigung und zur Bekämpfung Mit ihrer Wahl ist das soziale Europa entscheidend der Massenarbeitslosigkeit in all unseren Ländern! vorangekommen. Die Wahl der Labour Pa rty und Das ist der Impuls für Europa, der notwendig ist. Tony Blairs in Großbritannien hat 18 Jahre konserva- (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei tive Regierungspolitik in Großbritannien beendet. Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Italien 1996, Großbritannien 1997, Deutschland 1998 GRÜNEN) - das ist die Reihenfolge. (Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU/ Setzen Sie Ihre Politik der Renationalisierung und CSU und der F.D.P.) des Neoliberalismus nicht mehr fort ! Der Neolibera- lismus führt dazu, daß im Kampf um die Standorte In der sogenannten Regierungskonferenz überar- zwischen den EU-Mitgliedstaaten die Auseinander- beiten die Regierungen augenblicklich den Maas- setzung in der Europäischen Union zunimmt und be- tricht-Vertrag. drohlich geschürt wird. Auf diese A rt und Weise - ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen, die die Der geänderte Vertrag wird in ungefähr einem Mo- Währungsunion wollen - kann die europäische Wirt nat vorliegen. Es scheint so, daß auch die Bundesre- -schafts- und Währungsunion nicht dauerhaft funktio- gierung jetzt einen gewissen Sinneswandel in der nieren. Frage des Beschäftigungskapitels durchgemacht hat. - Wir fordern, daß im Maastricht-Vertrag, der augen- Ich sage hier erneut, daß die Bundesregierung fol blicklich in der sogenannten Regierungskonferenz gendes wissen muß: Wenn sie solche Regelungen im behandelt wird, verbindliche Regelungen für eine Maastricht-Vertrag zur aktiven Beschäftigungspolitik aktive Beschäftigungspolitik verankert werden. Das nicht verankert, dann werden die überarbeiteten soll ein Signal für das Umdenken der EU-Mitglied- Maastricht-Verträge im Deutschen Bundestag von staaten in dieser Frage sein und die EU und ihre uns nicht ratifiziert werden. Wir sagen das nicht, weil Staaten insgesamt zur Bekämpfung der Massenar- wir unsere Position um des Prinzips wegen durchset- beitslosigkeit verpflichten. zen wollen, sondern weil wir wollen, daß die Europäi- sche Wirtschafts- und Währungsunion funktioniert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Sie kann nur funktionieren, wenn sie auf diese A rt ten der PDS und des Abg. Ch ristian Ster und Weise wirtschafts- und beschäftigungspolitisch zing [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) abgesichert ist. Der Vorschlag, der dazu vorliegt, ist eine gute (Beifall bei der SPD) Grundlage. Wir wollen, daß sich die Bundesregie- rung bei dieser Konferenz für den Vorschlag der iri- Sagen Sie doch der Bevölkerung die Wahrheit! Es schen Präsidentschaft einsetzt und ihre Versuche kann doch keiner annehmen, daß man eine Wäh- aufgibt, die Bestimmungen zu verwässern. In den rungsunion verankert und sie nicht um eine Wi rt letzten Monaten hatte sich die Bundesregierung be- -schaftsunion, eine Sozialunion, eine Umweltunion harrlich geweigert, dera rtige Regelungen in den und um eine gemeinsame Außen- und Sicherheits- Maastricht-Vertrag aufzunehmen. Mittlerweile ist sie politik ergänzt. Entweder machen die EU-Staaten aber innerhalb der EU-Mitgliedstaaten vollständig entscheidende Schritte hin auf die europäische isoliert. Zusammenarbeit, oder die Währungsunion - selbst wenn sie fristgerecht verwirklicht würde - wird auf (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Na, na!) Dauer scheitern. Das ist die tiefere Einsicht. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15703

Heidemarie Wieczorek-Zeul Wir sagen auch das rechtzeitig, damit Sie nicht die steuerung von Kapitalerträgen müssen Schlupflöcher gleichen Fehler machen, die Sie bereits beim Maas- geschlossen werden. tricht-Vertrag gemacht hatten: Unter Ausschluß der Öffentlichkeit haben Sie damals Texte behandelt, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Richtig!) über die anschließend der Deutsche Bundestag bei Steueroasen innerhalb der EU sind mit einer vollen- der Ratifizierung nur noch mit Ja oder Nein entschei- deten Wirtschafts- und Währungsunion unvereinbar. den konnte. Wir sagen deshalb rechtzeitig, worauf Das muß beendet werden. Sie sich einstellen müssen und was Sie bei diesen Verhandlungen mitbringen müssen. (Beifall bei der SPD) In unserem Land, in den Mitgliedstaaten der EU Wir wollen, daß diese Regelungen mit dem künfti- müssen alle Kräfte zur Überwindung der Massenar- gen Finanzsystem der Europäischen Union, das ab beitslosigkeit gebündelt werden. Wir wollen im übri- 1999 verhandelt und beschlossen wird, gekoppelt gen, daß das Sozialabkommen in den Maast richt- werden. Es geht nicht an, daß Deutschland mit Vertrag einbezogen wird. Das wird jetzt möglich, 30 Prozent zum Finanzaufkommen der EU beiträgt, weil die neue britische Regierung bereit ist, das Ab- andere Mitgliedstaaten aber durch Steuerdumping kommen zu unterzeichnen. Wir wollen, daß in diesen und das Abziehen von Arbeitsplätzen aus der Bun- Vertrag auch wichtige soziale Grundrechte aufge- desrepublik das Steueraufkommen in der Bundesre- nommen werden. publik reduzieren, mit dem wir die EU finanzieren. Das ist untragbar. Wir müssen das entsprechend än- Ein besonders notwendiges Grundrecht, was ge- dern. sichert werden muß, ist die grenzüberschreitende Koalitionsfreiheit. Es geht darum, daß Beschäftigte (Beifall bei der SPD) in unterschiedlichen Unternehmen der EU ihre Inter- essen notfalls auch mit Mitteln des gemeinsamen In der Bevölkerung wird wegen der von der Bun- Streiks durchsetzen können. Der große Binnenmarkt desregierung ausgehenden Verunsicherung zuwenig nutzt den großen Unternehmen, aber er darf nicht deutlich, daß durch den Maastricht-Vertrag die Wäh- zum Instrument der Aushöhlung der Rechte der Ar- rungsstabilität große Fortschritte gemacht hat. beitnehmer und Arbeitnehmerinnen werden. Auch (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Endlich dieses Grundrecht muß verankert werden. das Wichtigste!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Die Inflationsrate ist mit 1,7 Prozent auf einem bisher ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) kaum vorstellbaren niedrigen Niveau. Warum vereinbaren Sie nicht einen zwischen allen (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Ja!) EU-Mitgliedstaaten abgestimmten Einstieg in die ökologische Steuerreform mit einer gleichzeitigen Die Wechselkurse zwischen vielen EU-Mitgliedstaa- Entlastung des Faktors Arbeit? Warum beginnt nicht ten sind stabil. Das Zinsniveau hat sich positiv ent- eine europäische Modernisierungsoffensive, die In- wickelt. vestitionen vorzieht und die unserem Land und der EU wichtige Beschäftigungsimpulse gibt? (Michael Glos [CDU/CSU]: Dann freuen Sie sich doch einmal!) Es gibt für uns eine zweite Bedingung für das dau- Das sind die entscheidenden Kriterien für die Stabili- erhafte Funktionieren einer europäischen- Wi rt tät einer Währung. Dagegen ist das Defizitkriterium -schafts- und Währungsunion, die unerläßlich ist. Es überbetont worden. Theo Waigel hat bisher den geht damm, Steuerdumping in der EU und zwischen Spielraum, den der Vertrag bietet, in seiner eigenen ihren Mitgliedstaaten zu verhindern. Interpretation immer weiter eingeengt. Wir verlan- (Zuruf von der SPD: Genau!) gen eine vertragsgerechte Anwendung der Kriterien, auch des Defizitkriteriums. Einige Mitgliedstaaten, Belgien, Irland, Italien, die Niederlande und Po rtugal, haben ihre nationale (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Der Komma- Steuergesetzgebung eingesetzt, um Unternehmen Null-Waigel!) und Kapital aus Nachbarländern an sich zu ziehen. Bei der Verwirklichung des sogenannten Defizit- Es ist nicht hinnehmbar, wenn einzelne EU-Staaten kriteriums steht die Bundesregierung jetzt vor dem durch derartiges Steuerdumping versuchen, sich Vor- Scherbenhaufen ihrer eigenen verfehlten Wi rt teile zu Lasten anderer Mitgliedstaaten zu verschaf- -schafts-, Finanz- und Haushaltspolitik. Mit ihrer Wei- fen. gerung, die Massenarbeitslosigkeit wirksam zu be- (Beifall bei der SPD) kämpfen, mit ihrer Politik der Leistungskürzung und der Drosselung der Einkommen von Menschen führt Das schadet allen; das reduziert das Steueraufkom- die Bundesregierung unser Land im Ergebnis weiter men insgesamt und führt dazu, daß kleine Unterneh- von der Erfüllung der fiskalischen Kriterien weg. men und die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen die Steuerlasten im hohen Umfang zu tragen haben. Denn die Mehrausgaben wegen des dramatischen Anwachsens der Arbeitslosigkeit und entspre- Deshalb wollen wir verbindliche Regelungen auch chende Steuerausfälle schlagen sich im Haushalt nie- in der EU, daß eine effektive Mindestbesteuerung der. Wenn Theo Waigel jetzt von den Kosten der Ar- der Unternehmen verwirklicht wird. Auch bei der Be beitslosigkeit spricht: Meine Güte, das ist doch die 15704 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Heidemarie Wieczorek-Zeul Arbeitslosigkeit, die Sie mit Ihrer A rt der Politik der dann die Niederlande konsolidiert? Warum konsoli Leistungskürzungen zu verantworten haben! dieren Dänemark und Schweden? Warum haben die Sozialisten in Frankreich ihre Politik der 80er Jahre (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne grundsätzlich umgestellt und sind auf Stabilität um- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN geschwenkt und haben die Konsolidierung ange- und der PDS) packt, sogar im Wissen darum, daß sie die letzte Par- Über Wochen hat Theo Waigel geleugnet, daß sich lamentswahl verloren haben? Insofern sind Sie die weitere klaffende Lücken in seinem Haushalt auftun. letzten Rückständigen, die von der sozialistischen Jetzt muß er angesichts der neuen Steuerschätzun- Völkerwanderung übriggeblieben sind und noch gen einräumen, daß die SPD mit ihren Feststellungen nicht begriffen haben, daß Konsolidierung notwen- - wie so häufig - recht hat und er - wie so häufig - dig ist, um Stabilität und Wachstum zu erreichen. seine Finanzplanung auf Sand gebaut hat. Wir war- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nen die Bundesregierung vor weiterer Flucht in Un- ehrlichkeit und Trickserei. Das würde die Verunsi- Ihr früherer Finanzminister hat mir ge- cherung in der Bevölkerung nur verstärken. stern zugesagt, daß er einige Autorenexemplare an die Spitzenpolitiker der SPD versenden wird. Er war (Beifall bei der SPD) allerdings bei der Vorstellung seines Buches nicht si- Nur mit einem Nachtragshaushalt kann sie die Si- cher, ob das bei einigen von Ihnen Sinn macht; denn tuation transparent machen und ihr Versagen zuge- dazu gehöre eine gewisse Aufnahmefähigkeit. Die ben. Nur mit einer konsequenten Umorientierung scheint nicht mehr voll gegeben zu sein. kann die fatale Abwärtsspirale von Leistungskürzun- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen, wachsender Massenarbeitslosigkeit und weite- ren Haushaltslücken aufgehalten werden. Nur mit Wenn Sie nämlich in seinem Buch nachlesen, dann entschlossenen Maßnahmen zur Ankurbelung der werden Sie erkennen, daß Konsolidierung und Defi- Beschäftigung kann die Situation geändert werden. zitbekämpfung auch zum Dogma und zu der Weg- Das ist unser Appell, gerade an diesem heutigen Tag. weisung von Hans Apel gehören und daß es zu dem Steuererhöhungen, um Theo Waigels verfehlte Weg keine Alternative gibt. Politik durch die ohnehin bereits belastete Arbeit- Es ist schon ein starkes Stück, am Vormittag einer nehmerschaft bezahlen zu lassen - nein danke! Diskussion die Konsolidierung anzugreifen und am (Beifall bei der SPD) Nachmittag die Defizite zu beklagen, wie es heute si- cher wieder stattfinden wird. Das ist eine unehrliche Die SPD will die vertragsgemäße Verwirklichung Politik. der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungs- union einschließlich des Zeitplanes aus den Grün- (Beifall bei der CDU/CSU) den, die ich hier, glaube ich, sehr deutlich gemacht Sie haben Helmut Schmidt zitiert. Ich respektiere habe. Die Bundesregierung muß jetzt endlich sagen, das Engagement von Helmut Schmidt für Europa wie sie sich aus der selbstgestellten Falle befreien sehr. Er tut dies - obwohl wir in manchen Dingen an- will. Wenn sie selber die Verschiebung der europäi- derer Meinung sind - mit großer Überzeugung und schen Wirtschafts- und Währungsunion, was Theo mit großer Autorität. Dafür bin ich ihm dankbar. Nur, Waigel manchmal angedeutet hat, anstrebt, dann Sie müßten schon noch wissen, Frau Wieczorek-Zeul, - muß sie das offen sagen und auch dabei ihr Versagen was Helmut Schmidt etwa 1980 oder 1981 in einer vor der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutsch- Fraktionssitzung der SPD gesagt hat. land einräumen. ( [SPD]: Wo der Waigel dabei Ich danke Ihnen. gewesen ist!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne - Nein, es gibt den genauen Wortlaut dessen, was er ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN damals gesagt hat. Das paßt Ihnen nicht. Aber Sie und der PDS) können ihn heute nicht zitieren, ohne daran erinnert zu werden, daß er damals an Ihre Adresse gesagt Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der hat: Wer mehr für Beschäftigung tun will, der muß Bundesminister der Finanzen, Dr. Theo Waigel. auch tief in soziale Besitzstände eingreifen. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Das hat er damals gesagt, und es ist richtig. Sie ha- DIE GRÜNEN]: Es werde Licht!) ben sich dieser Einsicht verweigert und sind deswe- gen damals gescheitert. Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: Wer Konsolidierung heute ablehnt, wer nicht be- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau reit ist, Besitzstände in allen Bereichen auf den Prüf- Kollegin Wieczorek-Zeul, Sie haben einen völlig f al- stand zu stellen und eine Neuorientierung mit Ref or- schen Zusammenhang zwischen der Zielsetzung von men beim sozialen Umbau und beim Steuerrecht Maastricht und der Verwirklichung der Wirtschafts- durchzuführen, der versagt sich der Wirklichkeit und und Währungsunion und der Konsolidierung herge- versagt vor der Zukunft. stellt. Wenn Sie nämlich Konsolidierung kritisieren und sagen, dies stünde nicht im Zusammenhang mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge den Zielsetzungen von Maast richt: Warum haben ordneten der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15705

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Sie haben noch immer nicht begriffen, Frau Wiec- Der Pakt präzisiert die haushaltspolitischen Be- zorek-Zeul, welchen Hauptgrund die Arbeitslosig- stimmungen des Maastricht-Vertrages; er macht sie keit in Deutschland hat. Lesen Sie doch einmal, was anwendbar, berechenbar und nachprüfbar. Ein Früh- der Internationale Währungsfonds dazu sagt. Er atte- warnsystem wird die nationale Haushaltspolitik stän- stiert uns, daß 80 Prozent der Arbeitslosigkeit in dig überwachen. Deutschland strukturelle Ursachen haben: weil der Arbeitsmarkt nicht flexibel genug ist, weil die Be- (Freimut Duve [SPD]: Mehr ein Brühwarm- schäftigungsabschlüsse, die Tarifpolitik nicht genü- System!) gend darauf abgestellt waren und weil hier grundle- Die Mitgliedstaaten streben mittelfristig Haushalts- gende Fehler gemacht worden sind. ziele nahe am Ausgleich oder sogar im Überschuß (Freimut Duve [SPD]: Wer regiert denn?) an. Wenn Sie das nicht begreifen, dann werden Sie zu ei- Die als Bedingung für den Eintritt in die Wi rt nem entscheidenden Abbau der Arbeitslosigkeit in -schafts- und Währungsunion festgelegten 3 Prozent Deutschland nicht den notwendigen Beitrag leisten des Bruttoinlandsprodukts für die öffentlichen Defi- können. zite werden als dauernde Obergrenze festgeschrie- ben. Ausnahmen sind nur in extremen Notsituatio- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nen möglich. ordneten der F.D.P. - Freimut Duve [SPD]: (Joseph Fischer [Frankfu Seit wann sind Sie denn an der Regierung?) rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die haben Sie erreicht!) Was Steuern und Steuerdumping anbelangt, gebe Bei einer Überschreitung der 3-Prozent-Obergrenze ich Ihnen recht, Frau Wieczorek-Zeul. Es ist wahr, beginnt automatisch das Sanktionsverfahren. wir haben dies aufgegriffen: schon bei der Frage ei- ner europäischen Harmonisierung der Zinsbesteue- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ rung wie auch jetzt des Steuerdumpings. Im Januar DIE GRÜNEN]: Bitter!) hat es zum erstenmal eine, wie ich meine, sehr offene und ehrliche Diskussion im ECOFIN gegeben, wo Die Dauer des Verfahrens ist kurz und klar defi- auch andere Länder wie Belgien, die Niederlande niert: Sanktionen binnen zehn Monaten nach Fest- und Luxemburg gesehen und eingeräumt haben, stellung eines übermäßigen Defizits, falls der betref- daß von dieser Politik niemand profitiert, sondern fende Mitgliedstaat keine wirksamen Maßnahmen alle Schaden davontragen. zur Korrektur des Defizits ergreift. Meine Damen und Herren, seit der Beantwortung (Freimut Duve [SPD]: Waigel verliest sein der heute zur Beratung anstehenden Großen Anfra- eigenes Gerichtsurteil!) gen ist über ein Jahr vergangen. Es war ein Jahr des Die Sanktionen sind so festgelegt, daß sie schon im Fortschritts auf dem Weg zum Euro. Vorfeld eine abschreckende Wirkung erzielen, damit (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Bei der die Überschreitung durch eine vernünftige Haus- Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit!) haltspolitik vermieden wird. Die Vorbereitungen für die dritte Stufe der Europäi- Sie müssen einmal die Frage beantworten, ob Sie schen Wirtschafts- und Währungsunion sind auf die Zielsetzung dieses Stabilitäts- und Wachstums- europäischer Ebene zügig fortgesetzt worden.- pakts für richtig halten. Wir halten sie jedenfalls für einen großen Erfolg für das dauerhafte Funktionieren (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ der Wirtschafts- und Währungsunion und für die Ak- DIE GRÜNEN]: Gold-Theo!) zeptanz in der Bevölkerung. Ich habe die zuständigen Ausschüsse des Deutschen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bundestages darüber mehrfach ausführlich infor- Der Europäische Rat wird auf seinem nächsten miert. Treffen im Juni in Amsterdam eine Entschließung Über alle noch offenen Fragen wurde auf dem zum Stabilitätspakt annehmen. Darin verpflichten Europäischen Rat in Dublin im Dezember vergange- sich die Mitgliedstaaten, die Kommission und der nen Jahres und beim informellen Treffen der EU-Fi- Rat, den EG-Vertrag und die Rechtsvorschriften über nanzminister Anfang April im niederländischen die Haushaltspolitik strikt anzuwenden. Noordwijk eine Einigung erzielt. Am wichtigsten war (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ sicherlich die Einigung auf eine dauerhafte Siche- DIE GRÜNEN]: Von welcher Haushaltspoli rung der im Maastricht-Vertrag vereinbarten Stabili- tik redet er denn?) tätsorientierung der Haushaltspolitik auch für die Zeit nach Beginn der Wirtschafts- und Währungs- Danach wird der Ministerrat die beiden Verordnun- union. gen, mit denen der Stabilitätspakt rechtlich umge- setzt werden soll, verabschieden, nachdem das Euro- Ich hatte dazu im November 1995 mit meinem Vor- päische Parlament seine Stellungnahme dazu abge- schlag für einen Stabilitätspakt für Europa die Initia- geben hat. tive ergriffen. In Dublin wurde hierfür die Bezeich- nung „Stabilitäts- und Wachstumspakt" festgelegt (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ und damit anerkannt: Gesunde Staatsfinanzen sind DIE GRÜNEN]: Diese Rede hält er am Tag eine zentrale Bedingung für dauerhaftes Wachstum. der Steuerschätzung!) 15706 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Die Verankerung des Stabilitätspakts im europäi- Rat auf seiner Tagung in Madrid im Dezember 1995 schen Gemeinschaftsrecht bietet große Vorteile. Sie beschlossen, wird die Entscheidung über die Teil- zeigt: Die Verpflichtung zu dauerhafter Stabilitäts- nahme an der Währungsunion so früh wie möglich in orientierung wird von allen Mitgliedstaaten getra- 1998 auf der Basis der Ist-Daten für 1997 getroffen. gen. Als Teil des Gemeinschaftsrechts ist der Stabili- tätspakt unmittelbar anwendbar und geht nationa- Der folgende Zeitplan wurde jüngst von den Fi- lem Recht vor. Mit der Verankerung im Gemein- nanzministern erörtert. Im März 1998 werden die schaftsrecht unterliegt der Stabilitätspakt grundsätz- Europäische Kommission und das Europäische Wäh- lich auch der Gerichtsbarkeit des EuGH, was seine rungsinstitut - letzteres unter tragender Mitwirkung Durchsetzung erleichtert. der Bundesbank - ihre „Konvergenzberichte" vorle- gen. Grundlage werden verläßliche Zahlen für 1997 Nach der Klärung auf europäischer Ebene müssen und die Plandaten für die nationalen Haushalte 1998 wir den Stabilitätspakt auch national verbindlich um- sein. Auf der Basis dieser Konvergenzberichte wird setzen. Ich habe dazu im Finanzplanungsrat schon die Stellungnahme des Europäischen Parlaments ein- vor längerer Zeit einen konkreten Vorschlag ge- geholt. Gleichzeitig werden die nationalen Parla- macht; jetzt sind die Länder am Zug. mente und damit auch der Deutsche Bundestag und der Bundesrat ausreichend Zeit haben, sich mit den Zum Zeitpunkt der Beantwortung der Großen An- Berichten gründlich auseinanderzusetzen. fragen im vergangenen Jahr befanden sich auch die Gespräche über ein mögliches Wechselkurssystem Bekanntlich haben der Bundestag und der Bundes- zwischen den Teilnehmern an der Währungsunion rat in ihren Entschließungen zum Maastricht-Vertrag und den vorläufigen Nichtteilnehmern noch in einem 1992 die Bundesregierung aufgefordert, beim Über- frühen Stadium. Inzwischen haben sich die Finanz- gang zur dritten Stufe der WWU das zustimmende minister auch auf den Text einer Entschließung über Votum des Parlaments einzuholen. einen neuen Wechselkursmechanismus, das soge- nannte EWS II, geeinigt, die vom Europäischen Rat (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: So ist es!) in Amsterdam angenommen werden soll. Diejenigen Dies ist keine zweite Ratifizierung, Mitgliedstaaten, deren Konvergenzbemühungen zu Beginn der Wirtschafts- und Währungsunion noch (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sehr rich nicht weit genug vorangeschritten sind, erhalten im tig!) eigenen Interesse den zusätzlichen Freiheitsgrad, den flexible Wechselkurse - falls erforderlich - ge- doch haben wir zugesagt, diesen Schritt nicht ohne genüber dem Euro bieten. Das EWS II wird dazu bei- die Rückendeckung der gesetzgebenden Gremien zu tragen, den Binnenmarkt vor Wettbewerbsverzerrun- vollziehen. gen durch übermäßige Wechselkursschwankungen (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Hoffent zu schützen. Es kann zudem helfen, die vorläufigen lich! Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Nichtteilnehmer der WWU schrittweise an das Stabi- Das hat die SPD durchgesetzt!) litätsniveau der Währungsunion heranzuführen. Die spätere Aufnahme in die Währungsunion wird da- Ich halte es für notwendig und für absolut erforder- durch erleichtert. Es wird also niemand zurückgelas- lich, einen so schwerwiegenden, wichtigen und zu- sen; es droht keine Spaltung Europas. kunftsweisenden Akt auch mit der Unterstützung des Deutschen Bundestages zu vollziehen. Die Euro-Länder bieten allen anderen- einen Stabi- litätsanker. Sie kennen die Grundelemente: bilate- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - rale Leitkurse und relativ weite Bandbreiten, gege- Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Das benenfalls engere Bandbreiten in Abhängigkeit von haben wir durchgesetzt! Gegen die F.D.P.!) Konvergenzfortschritten; Devisenmarktinterventio- nen seitens der Europäischen Zentralbank und der Sobald wie möglich danach muß von den Teilneh- nationalen Zentralbank bei Erreichen der Bandbrei- merstaaten die Europäische Zentralbank gegründet ten. Dabei darf aber das Ziel der Sicherung der Preis- werden, damit diese zu Beginn der Währungsunion stabilität nicht gefährdet werden. Ich halte es für ei- die gemeinsame Geldpolitik übernehmen kann. nen großen Vorteil gegenüber dem gegenwärtigen Meine Damen und Herren, die Vorbereitungen für EWS, daß die Europäische Zentralbank in die Lage die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion versetzt wird, eine Einberufung der Sitzung der Fi- sind auf europäischer Ebene weitgehend abgeschlos- nanzminister und der Zentralbankpräsidenten zur sen. Die Entscheidung über die Teilnahme wird zwar Beratung eines Realignment zu verlangen, wenn sie erst im Frühjahr 1998 getroffen, dennoch ist eine das für notwendig hält. Damit kann eine Weigerung, rechtzeitige nationale Vorbereitung für die Einfüh- so etwas rechtzeitig zu tun - die ja auch mit großen rung des Euro in Gesetzgebung und öffentlicher politischen und volkswirtschaftlichen Kosten verbun- Verwaltung notwendig. den ist -, verhindert werden. Ich meine, auch das ist ein gewaltiger Fortschritt. Das Bundeskabinett hat deshalb am 28. April 1997 den ersten Zwischenbericht des im Finanzministe- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rium gebildeten Arbeitsstabes Wirtschafts- und Wäh- Die Teilnahme an dem neuen System wird freiwil- rungsunion gebilligt. Der Bericht ist unmittelbar lig sein. Jedoch ist gemäß EG-Vertrag eine Teil- nach der Kabinettsbefassung dem Deutschen Bun- nahme Voraussetzung für die spätere Teilnahme an destag und dem Bundesrat zur Verfügung gestellt der Währungsunion. Wie bereits vom Europäischen worden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15707

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Dieser Bericht gibt erste Orientierungen für die Meine Damen und Herren, nicht alle 15 Mitglied- Einführung des Euro in Gesetzgebung und öffentli- staaten der EU werden sofort den strengen Anforde- cher Verwaltung, benennt aber auch noch offene rungen des Vertrages und des Stabilitätspakts ent- Fragen. Diese betreffen vor allem die Verwendung sprechen können oder wollen. von Euro beziehungsweise D-Mark in der Über- gangszeit vom 1. Januar 1999 bis zum 31. Dezember (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ 2001, in der Euro-Bargeld ja noch nicht verfügbar ist. DIE GRÜNEN]: Das ist wahr! - Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Vor allem Niedersach In dieser Zeit sollen die Bürger und die Unterneh sen!) men ausreichend Zeit haben, sich an den Euro zu ge- wöhnen. Sie können den Euro ab dem 1. Januar 1999 Der Kreis der Mitglieder zu Beginn der Währungs- verwenden, wenn sie sich mit ihrem jeweiligen Ver- union wird kleiner als 15 sein. Die Entscheidung dar- tragspartner darüber einigen. Bargeldlose Zahlungen über trifft - wie bekannt - der Europäische Rat auf können ohnehin wahlweise in Euro oder D-Mark er- Vorschlag der Finanzminister erst Anfang Mai folgen. Das hat die deutsche Kreditwirtschaft durch 1998. Bis dahin sind Spekulationen über den Teilneh- ein Abkommen zum Inlandzahlungsverkehr bereits merkreis . müßig. Eines steht jedoch fest: Es gibt für sichergestellt. niemanden eine automatische Teilnahme. Konver- genz bestimmt den Zeitplan für jedes einzelne Land. Für die öffentliche Verwaltung nimmt der Bericht als Ausgangspunkt die möglichst einheitliche Um- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ stellung zum 1. Januar 2002, also gleichzeitig mit der DIE GRÜNEN]: Gold oder nicht Gold!) Einführung des Euro-Bargeldes. Damit soll sicherge- stellt werden: Im Verkehr mit der öffentlichen Ver- Zur Diskussion der letzten Wochen darf ich wieder- waltung gibt es für die Bürger keine störende und holen: Ich habe meine Ansicht dazu nie geändert. verwirrende Dualität von Währungseinheiten. Wer jetzt eine permanente Diskussion über die Krite- rien führt, der muß wissen, wo er am Schluß landet. Allerdings gibt es noch offene Fragen bei der Euro- Verwendung an der Schnittstelle zwischen Bürger (Lachen und Beifall bei Abgeordneten der und Verwaltung. Dazu gehört zum Beispiel die Frage SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN der Steuererklärung in D-Mark oder Euro. Hierzu und der PDS) wird es noch weitere Gespräche mit der Wi rtschaft, den Sozialversicherungsträgern und der Finanzver- Darum ist die strikte und stringente Einhaltung der waltung geben. Kriterien eine Voraussetzung für die Glaubwürdig- keit und Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung. (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Und was ist Dazu stehe ich. mit dem Defizit, Herr Waigel?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Meine Damen und Herren, die Freiheit einzelner ordneten der F.D.P.) - Joseph Fischer Unternehmen und Bürger, schon früher zum Euro [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: überzugehen, wird durch die spätere Umstellung der Setzen! 6!) öffentlichen Verwaltung nicht eingeengt. Der Bericht empfiehlt, gesetzliche Behinderungen der Euro-Ver- Deutschland ist sich seiner Verantwortung für den wendung innerhalb des Privatsektors bereits zum Start der Wirtschafts- und Währungsunion in 1999 bewußt. So senken wir die Staatsquote und die Defi- 1. Januar 1999 zu beseitigen, um do rt die- fakultative Verwendung des Euro zu ermöglichen. zite und schaffen Raum für Steuer- und Abgabensen- kungen. Jeder Prozentpunkt sinkender Staatsquote So empfiehlt der Bericht, unter anderem folgende steigert die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft und des Möglichkeiten zu schaffen: Aktiengesellschaften sol- Staates. len in Euro gegründet werden können oder Kapital- erhöhungen in Euro vornehmen können. Jahresab- Die Schuldenstandsquote Deutschlands wird sich schlüsse der Unternehmen sollen auch in Euro er- innerhalb des Planungszeitraums stabilisieren und stellt werden können. Das inte rne Rechnungswesen wird zurückgehen. Ansatzpunkt für die Reduzierung der Unternehmen soll in Euro geführt werden kön- der Quote ist der Abbau der öffentlichen Defizite. nen. Statistische Meldepflichten sollen frühzeitig in Wichtig für die Schuldenquote ist aber auch die BIP- Euro erfüllt werden können. Entwicklung. Mit diesem Szenario trägt die Bundesregierung In den vergangenen Jahren hatte Deutschland im den Anforderungen an unsere Bevölkerung und die Zuge der Einheit zum Teil einmalige und in keinem deutsche Wirtschaft Rechnung. Mit diesen Dingen anderen Land Europas zu findende Sonderlasten zu tragen wir mehr zur Glaubwürdigkeit und Akzeptanz bewältigen. Allein dadurch stieg der Schuldenstand bei als Sie, Frau Wieczorek-Zeul, mit Ihrer billigen um fast 13 BIP-Punkte. Polemik gegen die Finanz- und Stabilitätspolitik die- ser Bundesregierung. Unabhängig von Maastricht müssen wir weiter sparen. Ich halte die Diskussion, daß die Konsolidie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge rung, Zurückführung und Bekämpfung von Defiziten ordneten der F.D.P. - Freimut Duve [SPD]: wegen Maastricht stattfindet, für falsch. Ihre billige Politik ist ziemlich teuer! - Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Herr der (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber Sie Löcher!) schüren sie doch!) 15708 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Die Konsolidierung findet in unserem ureigensten In- Arbeitsplätze von morgen erfordern Reformbereit- teresse statt, was ich immer wieder betont und wor- schaft heute. auf ich immer wieder hingewiesen habe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge und der F.D.P.) ordneten der F.D.P.) Dazu stehen wir. Dazu haben wir die Vorbereitungen getroffen, und zwar inte rnational, europäisch und na- Jede gesparte D-Mark ist eine Investition in das tional. Wir werden unserer Aufgabe gerecht werden. 21. Jahrhundert. Meine Damen und Herren, es geht darum, durch grundlegende Strukturreformen die Ich danke Ihnen. dynamischen Ausgabepositionen in den Griff zu be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kommen.

Mit der Wirtschafts- und Währungsunion - das gilt Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht für uns, aber auch für alle anderen - kommt ein heil- die Abgeordnete Kristin Heyne. samer zusätzlicher und notwendiger Anpassungs- druck auf den Standort Deutschland und auf andere Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Länder zu. Bei einer einheitlichen Währung müssen Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Waigel, diejenigen Bereiche der Wirtschaft eine höhere Flexi- die Vorstellung, die Sie hier eben gegeben haben, bilität aufweisen, die noch in nationaler Verantwor- hat wie so oft Tragik und Komik sehr nahe beieinan- tung bleiben. Dies gilt insbesondere für den Arbeits- der liegen lassen. Sie feiern noch einmal Ihren Stabi- markt. Schon heute ist nach einer Untersuchung des litätspakt, diesen sehr fragwürdig von Ihnen den an- Internationalen Währungsfonds der größere Teil der deren aufgezwungenen Pakt. Sie bekräftigen noch Arbeitslosigkeit in Deutschland strukturell begrün- einmal die strikte Einhaltung der Stabilitätskriterien, det. und das heute, an diesem Tag, an dem endgültig deutlich werden wird, daß Sie selber weder strikt die Der Anpassungsdruck liegt eindeutig auf der An- Kriterien noch diesen Stabilitätspakt einzuhalten in gebotsseite der Volkswirtschaft. Erleichterung des der Lage sein werden. Strukturwandels, Deregulierung, Steuer- und Abga- benentlastung werden deshalb noch stärker als bis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN her die Politik des Staates bestimmen. Darauf hat ge- sowie bei Abgeordneten der SPD) stern Hans Apel bei der Vorstellung seines Buches hingewiesen, und es findet sich in seinem Buch aus- Sie haben sich selbst noch einmal auf Ihrem Weg drücklich. zur Europäischen Währungsunion gefeiert. Sie ha- ben hier etwas buchhalterisch noch einmal die Wissen Sie, was Anstand in der Politik ist? Es ist Schritte des letzten Jahres und der letzten Monate anständig, wenn ein Mann wie Hans Apel darauf genannt, die wir alle hinreichend kennen. Sie haben verweist, wie hoch seine Defizite als Finanzminister aber das Thema verschwiegen, das doch alle, die die in den Jahren 1974 bis 1978 gewesen sind. Er sagte: Europäische Währungsunion wollen, im Moment be- Die jetzigen Defizite von Theo Waigel sind im Ver- wegt, nämlich daß die Ablehnung der Europäischen hältnis dazu nicht größer, obwohl er eine weitaus Währungsunion in der Bevölkerung zunimmt und nicht abnimmt. Diese Ablehnung hat doch mit Ihrer größere Aufgabe in den letzten Jahren zu- bewältigen hatte. Das ist ein Vergleich, der Anstand zum Aus- Politik, mit Ihren überzogenen Stabilitätsanforderun- druck bringt, während Ihre Politik zum Teil unan- gen, mit Ihrem Taktieren in Richtung auf eine Ke rn ständig ist. . -währungsunion und eben nicht auf eine gemeinsame Währungsunion in Europa zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ordneten der F.D.P. - Heidemarie Wieczo sowie bei Abgeordneten der SPD) rek-Zeul [SPD]: Sie können sich nur noch auf Sozialdemokraten beziehen!) Die Ablehnung der Europäischen Währungsunion in der Bevölkerung hat sehr tiefe, ernstzunehmende Meine Damen und Herren, kurz vor der Jahrtau- Gründe. Nach der Erfahrung von zwei Währungsre- sendwende steht Deutschland am Scheideweg. formen mit vollständiger Geldentwertung in diesem Jahrhundert sind die Ängste vor Währungsverände- (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Ja!) rungen sehr wohl verständlich. Hinzu kommt eine allgemeine Verunsicherung, die durch rasante tech- Gewinnen wir die Zukunft, oder gehören wir zu den nologische Veränderungen und durch die Auswir- Verlierern? Keiner darf sich dieser Verantwortung kungen der Globalisierung der Märkte ausgelöst entziehen. wird. Unter solchen Bedingungen wird die Bereit- schaft, Veränderungen zu wagen, geringer, und die (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Sehr gut!) Bedeutung der D-Mark als Symbol nationaler Identi- tät und auch nationaler Überlegenheit wächst. Auch Sie können das in Ihrer nationalen Politik nicht. Sie werden sich auf die Dauer den notwendigen Die Sicherheit, die die D-Mark vermittelt, trügt Maßnahmen und den notwendigen Reformen in der aber. Nationalstaatliche Abgrenzung und Konkur- Finanzpolitik, in der Steuerpolitik und in der Sozial- renz werden die Probleme und die Herausforderun- politik nicht entziehen können. gen, vor denen Europa am Ende des 20. Jahrhunderts Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15709 Kristin Heyne steht, nicht lösen. Europäische Integration und Ko- Damals hätte man die Bevölkerung fragen müssen. operation sind die notwendige Antwort auf die zu- Wer ernsthaft nach Ja und Nein gefragt wird, der nehmende Globalisierung der Märkte. Der Euro ist wird nicht leichtfertig ablehnen, sondern sich verant- ein Schritt auf dem Weg zur europäischen Integra- wortlich seine Meinung bilden. tion. Aber schlimmer noch als dieser Mangel an Öffent- lichkeit und Demokratie ist der Mißbrauch der ge- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Abgeordnete meinsamen Währung für andere politische Inter- Heyne, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- essen. Wer tiefgreifende Entscheidungen ausnutzt, gen Weng? um andere politische Schäfchen ins trockene zu brin- gen, der riskiert das gesamte Projekt. Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall der Abg. Heidemarie Wieczorek- Selbstverständlich. Zeul [SPD]) Es ist doch schon eine gezielte Torpedierung der Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Frau Kol- Währungsunion, Herr Waigel, wenn Sie in einer Si- legin Heyne, Sie sprechen hier von einer größer wer- tuation allgemeiner Verunsicherung und Ablehnung denden Ablehnung des Euro in der Bevölkerung. der Währungsunion in der Bevölkerung auch noch Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in dem ankündigen, daß wegen des Euro die Teil der Bevölkerung, der sich über den Euro infor- Sozialhilfe ge- kürzt werden muß. miert hat, die Zustimmung außerordentlich zunimmt (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Noch (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) mehr Reden von Waigel, und die Ableh Herr Waigel, die Botschaft, die Sie damit herausge- nung wächst!) ben, ist doch gerade: Mit dem Euro wird es so und nur in dem uninformierten Teil, der aber noch in- schwierig und mit ihm geht es uns so schlecht, daß formiert werden wird, diese Ablehnung vorhanden wir auch den Ärmsten noch etwas wegnehmen müs- ist? sen. Wieviel Porzellan soll denn dieser Finanz- minister noch zerschlagen dürfen? Wann hat dieser Unfug endlich ein Ende? Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es tut mir leid. Ich habe viele Veranstaltungen zum Euro (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durchgeführt, und ich kann diese Einschätzung nicht und bei der SPD sowie bei Abgeordneten teilen. Sie werden sicher bemerkt haben, daß auch in der PDS) der öffentlichen Darstellung die Ablehnung des Euro Es liegt doch nicht am Euro, daß sich die Verschul- im Moment zunimmt und nicht abnimmt. Dies ist dung in der Bundesrepublik seit 1990 verdoppelt hat; nicht nur eine Frage der Informiertheit, sondern auch es liegt doch nicht am Euro, daß jede vierte Steuer- eine Frage, welche Politik diese Bundesregierung mark für Zinsen ausgegeben wird; es liegt doch nicht mit dem Euro verbindet. Das ist nicht die Politik eines am Euro, daß diese Bundesregierung noch immer Zusammenwachsens der europäischen Staaten. keine Steuerreform zustande gebracht hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifàll bei Abgeordneten des BÜNDNIS sowie bei Abgeordneten der SPD und des - SES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Gero Pfennig Abg. Rolf Kutzmutz [PDS] - Joseph Fischer [CDU/CSU]: Nein, an der Opposition!) [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wir bedauern, Herr Weng!) Herr Waigel, stehen Sie gefälligst selber zu Ihren Es ist doch ein Fehler, sich angesichts der Globa- Versäumnissen, und gefährden Sie nicht das zur Zeit lisierung an nationalstaatlichen Symbolen und Insti- wichtigste Ziel, nämlich das der europäischen Inte- tutionen festzuhalten. Das hieße doch, den Zweig, gration! Wir müssen nicht wegen Maast richt sparen; der gerade am Verdorren ist, festzuhalten, statt in das wir müssen sparen, weil Herr Kohl blühende Land- gemeinsame Boot zu steigen. Es gibt also triftige schaften ohne Steuererhöhungen versprochen hat. Gründe für die Verunsicherung in der Bevölkerung. (Zustimmung bei Abgeordneten des BÜND Aber trotzdem oder gerade deshalb ist es nötig, sich NISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) zu bewegen. Wir müssen sparen, weil Ihre einseitige Wirtschafts- Was tut nun diese Bundesregierung in einer doch politik zu einer unglaublich hohen Arbeitslosigkeit ganz heiklen Situation? Zunächst trifft sie weitge- geführt hat. Wir müssen sparen, weil diese Bundesre- hend ohne Beteiligung der Bevölkerung Entschei- gierung im vergangenen Jahr die auf dem Tisch lie- dungen und bindende Vereinbarungen. Die Euro- gende Chance vertan hat, im gesellschaftlichen Kon- Debatte, die jetzt endlich öffentlich geführt wird, sens Lösungen für die anstehenden Probleme zu fin- kommt sechs Jahre zu spät. Vor der Unterzeichnung den. des Maastricht-Vertrages wäre der richtige Zeitpunkt für eine öffentliche Diskussion gewesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall der Abg. Heidemarie Wieczorek- Zeul [SPD] und des Abg. Manfred Müller Maastricht wird in der deutschen Debatte immer [Berlin] [PDS]) mehr zum Synonym für Sparen. Dahinter droht das 15710 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Kristin Heyne Ziel der Europäischen Gemeinschaft aus dem Blick noch steht. Deswegen fordern wir Sie auf: Legen Sie zu geraten. Ihre Konsolidierungspolitik langfristig und nachhal- tig an, wie der Maastricht-Vertrag es vorsieht! Ver- Mit der heute zu erwartenden Steuerschätzung be- zichten Sie auf hektische und kurzsichtige Sparakti- finden wir uns nun wiederum mitten in einer Maas- vitäten! Verzichten Sie darauf, durch übereilte Ver- tricht-Spardebatte. Die Steuereinnahmen werden käufe, zum Beispiel der Telekom-Aktien, erhebliche deutlich niedriger ausfallen als geplant. Damit steht Gewinne in den Orkus zu schicken! Gehen Sie vor uns - das ist zu erwarten - eine neue, hektische Spar- allen Dingen nicht so weit, daß Sie das, was die Be- runde bevor, um die selbstgesetzte, unnötig hoch ge- völkerung als Sicherheit empfindet, nämlich das legte Maastricht-Meßlatte zu erfüllen, eine Spar- Gold, verkaufen! Das ist doch wirklich der Ausver- runde, die das Vertrauen in die Finanzpolitik und ins- kauf, Herr Waigel. Verspielen Sie nicht die Zustim- besondere auch das Vertrauen in die Europapolitik mung zu dem Projekt der europäischen Integration! weiter schmälern wird. In böser Vorahnung hat der ehemalige Präsident Herr Waigel, auch wenn Sie hier gern den Unfehl- der Europäischen Kommission Jacques Delors baren und den Ritter der Stabilität spielen, geben Sie gestern hier in Bonn betont, daß es nicht dem Geist sich einen Ruck! Gestehen Sie zu, daß eine weitere des Maastricht-Vertrages entspricht, unter allen Um- Neuverschuldung notwendig ist, daß Sie nicht ständen auf die exakte Einhaltung der Konvergenz- punktgenau das Kriterium einhalten werden, oder kriterien zu pochen. In ungewöhnlich scharfer Form räumen Sie den Stuhl des Finanzministers! nannte er eine solche Betrachtung der Regelung hysterisch und unrealistisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall des Abg. Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich fordere Sie deshalb auf, Herr Waigel: Realisie- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster ren Sie in dieser Situation, an welcher Stelle Sie ge- spricht Professor Dr. Helmut Haussmann. landet sind! Legen Sie einen Nachtragshaushalt vor, in dem Sie die weiteren Kürzungen, die noch vertret- bar sind, durchführen, aber in dem Sie auch einge- Dr. Helmut Haussmann (F.D.P.): Sehr geehrte Frau stehen, daß eine zusätzliche Neuverschuldung not- Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! wendig ist! Gehen Sie nicht den Weg der Haushalts- Kehren wir zurück zum Hauptthema: Arbeitsplätze sperre! Kürzen Sie nicht weiter nach dem Rasenmä- unter globalen Bedingungen, Modernität der Par- herprinzip! Kommen Sie endlich von Ihrem hohen teien - dabei muß man auch zu Herrn Schröder etwas Roß der 3,0 Prozent herunter, und gestehen Sie ein, sagen - daß eine zusätzliche Verschuldung notwendig ist! Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, Herr Waigel, (Zuruf von der SPD: Zu welchem Schröder weil Ihr Stolz oder was auch immer Sie daran hin- denn?) dern, dann machen Sie den Weg frei, damit andere die weiteren nötigen Schritte in die gemeinsame und zur europäischen Währung. Währungsunion gehen können, in eine Europäische Union, die von der Bevölkerung gewollt wird. Viel- - Ohne die europäische Währung haben die Euro- leicht sollten wir Ihnen empfehlen, Herr Waigel: Le- päer im globalen Wettbewerb keine Chance. In allen gen Sie eine schöpferische Pause ein! Erziehungsur- anderen Ländern ist Maast richt längst ein Ausdruck laub ist eine gute Möglichkeit der persönlichen Re- für Fortschritt und für Stabilität. Nach wie vor läuft kreation, die ich Ihnen durchaus empfehlen kann. jedoch die öffentliche Debatte in Deutschland falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weder die Opposition heute noch die Regierung er- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten klärt den Bürgern, daß der Vertrag von Maast richt der PDS) bisher schon zu unglaublichen Stabilitätserfolgen in Deutschland geführt hat. Die Inflationsrate in Eu- Herr Waigel, wenn Sie die Reform der Einkom- ropa, die zweistellig war, hat im März 1996 2,6 Pro- mensteuer uns überlassen, dann werden Sie ein Ein- zent - einschließlich Griechenland - betragen, im Fe- kommensteuersystem bekommen, das das Leben mit bruar 1997 2,0 Prozent, und sie ist im März auf den Kindern fördert und finanzierbar macht. niedrigsten Wert von 1,7 Prozent gesunken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne und bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten der CDU/CSU) der PDS) Es war eine kluge und richtige Entscheidung der Diese Inflationsrate in Europa ist zunächst einmal die Europäischen Union, sich auf eine stabile europäi- beste Voraussetzung für mehr Arbeitsplätze im glo- sche Währung zu einigen. Die Stabilität des Euro ist balen Wettbewerb, und diese extrem niedrige Infla- aber nicht von einer pfennigfuchserisch erzwunge- tionsrate von 1,7 Prozent ist das beste Stück soziale nen Neuverschuldungsgrenze von 3,0 Prozent ab- Stabilität, meine Damen und Herren. Das ist bei- hängig. Jede und jeder in Europa wird akzeptieren, spielsweise für die Rentner entscheidend. daß die Bundesrepublik mit der Wiedervereinigung vor einer gewaltigen Herausforderung stand und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15711

Dr. Helmut Haussmann Und was tun wir? Wir reden treudeutsch, buchhal- Damen und Herren. Wir hätten doch gar kein Pro- terisch, formalistisch über Zehntel hinter dem blem, wenn Sie endlich einmal mitmachen würden. Komma, meine Damen und Herren. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das macht Herr Waigel!) Wo sind denn die Beiträge von Sozialdemokraten und Grünen zu einem nationalen Stabilitätspakt? Welch eine kommunikative Fehlleistung! Die ver- Warum erfüllen Niedersachsen und das Saarland ehrte Oppositionsrednerin hat wenigstens noch am nicht die Kriterien von Maast richt? Das ist doch ein Schluß - um den Erfolg der Regierung nicht zu groß wichtiges Thema. Es bringt nichts, sich hier ideali- herauszustellen - gesagt: Im übrigen haben wir auch stisch für den Euro einzusetzen und vor Ort nicht be- stabile Preise und andere Vorteile, beispielsweise reit zu sein, einschneidende Maßnahmen mitzutra- niedrige Zinsen. gen. Deshalb soll und muß die SPD aufhören, populi- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und stisch Sozial- und Beschäftigungspolitik einerseits der CDU/CSU - Ingrid Matthäus-Maier und Stabilitätspolitik andererseits gegeneinander [SPD]: Dann seien Sie doch froh, daß wir auszuspielen. dafür sind!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Es ist doch absurd, daß es in der SPD im Moment ten der CDU/CSU) einen Wettbewerb zwischen zwei Kandidaten gibt nach dem Motto: Derjenige wird Kanzlerkandidat, Die beste Beschäftigungs- und Sozialpolitik sind dessen Land sich am weitesten von den Maast richt- zunächst stabile Preise. Wir haben heute im nationa- Kriterien entfernt - Niedersachsen oder das Saarland. len Bereich angesichts der Interessengruppen nicht Auch das muß einmal gesagt werden. mehr die Möglichkeit, diese mit nationalen Metho- den zu erreichen. Insofern hat der Vertrag von Maas- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und tricht bereits im Vorfeld eine unglaublich positive der CDU/CSU - Ingrid Matthäus-Maier Wirkung auf die Innenpolitik in Europa, meine Da- [SPD]: Ich wäre vorsichtig!) men und Herren. Ich muß noch einmal auf Herrn Schröder und die (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Europapolitik zurückkommen. Wofür - außer für ten der CDU/CSU) blanke Machtpolitik - steht denn Herr Schröder überhaupt? Er hat doch keine europäische Überzeu- Herr Fischer, die Bundesregierung verfolgt auch keinen Stabilitätsfetischismus; denn ohne stabile gung. Er ist bereit, das Eurothema zu instrumentali- sieren, um an die Macht zu kommen. Er biedert sich Preise sind die Deutschen eben nicht davon zu über- zeugen, daß die europäische Währung Sinn macht. doch bei jeder Gelegenheit bei den Europagegnern an. Ohne Stabilitätspolitik sind auch die Finanzmärkte nicht zu überzeugen, daß der Euro Sinn macht. Aber (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wem bie nur so, meine Damen und Herren, entsteht auch in- dern Sie sich denn an?) ternational eine zweite Leitwährung. Das ist ja nicht nur ein internes Thema der Europäer, sondern es ist Es war doch peinlich - ich muß das hier vor dem unter dem Globalisierungsgesichtspunkt entschei- Deutschen Bundestag wiederholen; denn Sie kamen dend, daß der Dollar nicht die alleinige Leitwährung- gerade auf Herrn Blair zu sprechen -, wie er sich vor bleibt, sondern daß Rohstoffländer, daß Entwick- den britischen Wahlen in London bei den Tortes an- lungsländer eine zweite Möglichkeit haben, in einer gebiedert hat. Ich zitiere Gerhard Schröder in Lon- europäischen Währung zu fakturieren und Anlagen don vor der Deutschen Indust rie- und Handelskam- zu tätigen. Das ist moderne Europapolitik unter glo- mer aus der „Zeit" vom 22. November 1996: balen Bedingungen. Kommt 1999 die Europäische Währungsunion? (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die Antwort von Gerhard Schröder ließ an Kürze wie Klarheit nichts zu wünschen übrig. >Nein!( ... Meine Damen und Herren, wir haben unsere Die britischen Zuhörer staunten. Da bediente sich Hausaufgaben in Deutschland noch nicht vollständig ein führender Sozialdemokrat, dessen Ambitio- gemacht. nen nicht in Hannover enden, exakt jener Argu- (Freimut Duve [SPD]: Das kann man wohl mente, die auf der Insel immer häufiger zu ver- sagen!) nehmen sind! ... Vielsagend verwies Schröder auf den Erfolg der Haider-Partei in Österreich. Wir müssen klar darauf hinweisen, Herr Duve, daß dieses Doppelspiel der Sozialdemokraten aufhören Und so geht es weiter. Oktober 1995: Der damalige muß: Draußen klagen Sie die Konvergenzbedingun- SPD-Vorsitzende Scharping und der niedersächsi- gen ein, drinnen sind Sie nicht bereit, sich an Sparbe- sche Ministerpräsident Schröder sprechen sich für mühungen zu beteiligen. So läuft es auf Dauer nicht! eine Verschiebung der Europäischen Währungs- union aus. SPD-Chef Scharping bezeichnet die Wäh- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) rungsunion damals als „irgendeine Idee". Es ist doch ein Skandal, daß seit Monaten elf Mil- (Rudolf Scharping [SPD]: Ein Quatsch! Eure liarden DM im Bundesrat blockiert werden, meine Kriterienhuberei habe ich gemeint!) 15712 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Dr. Helmut Haussmann Oktober/November 1995: SPD-Wirtschaftsminister Europäischen Union interessie rt sind, dafür arbeiten Spöri und Ministerpräsident Schröder fordern erneut und sich international einsetzen. Ich sage Ihnen: Es eine Verschiebung der Währungsunion, um auf soge- wird der Tag kommen, an dem auch Norwegen der nannte Weichwährungsländer zu warten. Europäischen Union beitritt. Herzlich willkommen!

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wenn wir auf die (Beifall) gehört hätten!) Wir fahren in der Debatte fo rt . Als nächster spricht Das ist der Beitrag von Schröder zur Stabilitätspolitik! der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi. Der „Modernisierer der Sozialdemokraten", der so- genannte deutsche Tony Blair, spricht in diesem Zu- sammenhang von Monopoly-Geld. Dr. Gregor Gysi (PDS): Frau Präsidentin! Meine (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Zur Damen und Herren! Am 27. November 1996, Herr Sache!) Bundesminister, hatten wir hier die zweite Lesung des Haushaltes 1997. Damals habe ich Ihnen gesagt, März 1996: Minister Spöri und Ministerpräsident daß der Haushalt hinten und vorne nicht stimmt, daß Schröder sprechen sich erneut für eine Verschiebung er mich an die Verabschiedung früherer Volkswirt- der Währungsunion aus. Die Antwort der Wähler in schaftspläne der DDR erinnert, bei denen ebenfalls Baden-Württemberg war klar: absolutes Tief für So- schon vorher immer klar war, daß sie nicht erfüllt zialdemokraten, Liberale wieder in der Regierung. werden. Ichhabe Sie unter anderem auf das Defizit (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) allein bei der Bundesanstalt für Arbeit von über 5 Mil- liarden DM und darauf hingewiesen, daß die von Ih- Insofern gelingt auf Dauer nicht die Doppelstrate- nen geschätzten Steuereinnahmen nie zutreffen gie, sich im Deutschen Bundestag für den Euro aus- könnten. zusprechen und vor Ort jede Gelegenheit zu nutzen, die Kriterien nicht zu erfüllen und im Ausland gegen Das sollte Sie, finde ich, aus zwei Gründen nach- den Euro Stellung zu beziehen. Das werden wir denklich machen: Wenn schon ich, der ich ja kein Fi- Herrn Schröder nicht durchgehen lassen. Das sollten nanzexperte bin, was ich auch nie behaupten würde, Sie wissen. in der Lage bin, mit dem kleinen Stab der Bundes- tagsgruppe der PDS realer zu rechnen als Sie mit Ih- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) rem gesamten Bundesfinanzministerium - und das, Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat obwohl ich damals erst sechs Jahre lang dieser Bun- sich inzwischen in verschiedenen Resolutionen ge- desrepublik Deutschland angehörte -, dann muß Sie gen eine Verschiebung der Währungsunion durch- das so tief demütigen, daß Sie schon allein deshalb gerungen. Ich begrüße das. Ich halte eine Verschie- Ihren Rücktritt erklären müßten. Sie können doch bung für falsch. Auch eine sogenannte kontrollierte nicht zulassen, daß ich besser rechnen kann als Sie. Verschiebung ist für mich unpolitisch und nicht Das ist sozusagen eines der schlechtesten Zeugnisse, machbar. Ich erinnere an das, was Bundespräsident das Sie sich ausstellen können. Herzog in Straßburg gesagt hat: Die Verschiebung kann in Wahrheit zum Ende dieses größten europäi- (Beifall bei der PDS) schen Projektes führen - mit allen Gefahren durch Protektionismus, Renationalisierung und weitere Oder aber - das ist die zweite Möglichkeit - Sie Massenarbeitslosigkeit in der Exportindustrie. hatten gar nicht falsch gerechnet, sondern Sie wuß- ten von vornherein, daß der Haushalt nicht stimmt. Insofern kann ich nur wiederholen: Die F.D.P. wird Dann aber hatte dieser Haushalt ein betrügerisches den Vertrag von Maastricht erfüllen. Sie wird wie bei Element, und dann ist der Grund zurückzutreten der Westintegration und der Ostpolitik auch in der noch viel zwingender. Es gibt eigentlich kein Aus- Europapolitik an der Spitze der Bewegung bleiben. weichen aus dieser Falle.

Vielen Dank. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Nun höre ich heute in den Nachrichten, daß Sie die erwarteten Haushaltslöcher durch den Verkauf von Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Bevor wir in der Telekom-Aktien, durch weitere Sozialkürzungen und Debatte fortfahren, möchte ich auf der Ehrentribüne durch den Verkauf des Goldschatzes der Bundes- die Präsidentin des norwegischen Parlaments, Frau bank stopfen wollen. Was die Telekom-Aktien be- Kirsti Kolle Grondahl, und ihre Delegation ganz trifft, würde das bedeuten, das Gesetz zu verändern, herzlich begrüßen. das ursprüngliche Versprechen zu brechen und auf weitere Einnahmen der Bundesrepublik Deutschland (Beifall) zu verzichten. Was den Goldschatz betrifft, da, muß Frau Präsidentin, wir möchten Sie auch aus der ich sagen, sind nun alle Grenzen überschritten. Die Mitte des Deutschen Bundestages wissen lassen: Wir Substanz der Bundesrepublik Deutschland könnte freuen uns nicht nur über Ihren Besuch, der von man vielleicht angreifen, wenn wir hier eine riesige Mecklenburg-Vorpommern über Berlin nach Bonn Naturkatastrophe hätten, wenn wir vor einer Hun- geführt hat, sondern wir wissen auch, daß Sie, selbst gersnot stünden, aber nicht, um ein Stück Papier aus wenn Sie nicht Vollmitglied in der Europäischen Maastricht zu realisieren. Das rechtfertigt nicht den Union sind, an engster Zusammenarbeit mit der Verkauf der Bundesrepublik Deuschland. Auch Sie Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15713

Dr. Gregor Gysi haben dazu nicht das Recht, und das würde den Eid Deshalb haben wir den Antrag auf einen Volksent- verletzen, den Sie hier geleistet haben. scheid eingebracht. (Beifall bei der PDS) Es wird von den Euro-Befürwortern zum Teil sehr viel Hehres geschildert. Da ist von Krieg und Frieden Sie haben gesagt: Alle Besitzstände in allen Berei- die Rede, auch bei den Grünen. chen müssen auf den Prüfstand. Herr Bundesfinanz- minister, ich mache mir immer große Sorgen, wenn (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Sie alle Besitzstände auf den Prüfstand stellen. Denn DIE GRÜNEN]: Na, die breite Front von dann kommt immer dasselbe heraus: Sie schauen Gauweiler bis Gysi!) sich die Besitzstände an, schauen zweimal hin, und - Auch bei dir, . Nun sage ich dir ein- dann fällt Ihnen plötzlich auf, daß es der Sozialhilfe- mal eines, höre jetzt einmal zu: Im Augenblick kann empfängerin in Erfu rt oder in Hamburg noch immer ich die Gefahr eines Krieges zwischen Großbritan- zu gut geht. Dann fangen Sie dort an zu kürzen. nien, Frankreich und Deutschland auch bei getrenn- Gleichzeitig stellen Sie fest, daß es Frau Thurn und ter Währung nicht erkennen. In Sarajevo, Zagreb Taxis noch immer zu schlecht geht, und dann schen- und Belgrad hatten wir eine Währung, aber das hat ken Sie ihr die Vermögensteuer. den Krieg nicht verhindert. Wenn ich irgendwie eine Gewähr dafür hätte, daß (Beifall der Abg. Dr. Heidi Knake-Werner Sie einmal bei den Besserverdienenden, bei den Rei- [PDS]) chen und bei den Vermögenden zulangen würden, hätte ich nichts dagegen, daß Sie auch die Besitz- Die Politik von Krieg und Frieden ist eine Frage von stände anderer prüften. Aber wenn Sie deren Besitz politischen, ökonomischen und sozialen, auch noch nur immer erhöhen, dann lassen Sie es lieber blei- von ethnischen und religiösen Spannungen. Das ist ben. nicht in erster Linie eine Währungsfrage. (Beifall bei der PDS - Zuruf von der CDU/ (Beifall bei der PDS - Heidemarie Wieczo CSU: Ha, ha, ha!) rek-Zeul [SPD]: Nicht in erster Linie!) Im Zusammenhang mit der europäischen Integra- - Das können Sie doch nicht leugnen. Sie können tion weiß doch jeder: Wenn wir in einem Kerneuropa doch nicht leugnen, daß die Armut in der Bundesre- - wie es schon immer der Vorstellung des Fraktions- publik Deutschland in den letzten Jahren ständig vorsitzenden der CDU/CSU Schäuble entsprach - die größer geworden ist, aber ebenso der Reichtum. Sie Europäische Währungsunion einführen, dann hän- weigern sich ja nicht nur - und das nicht grundlos -, gen wir den Rest Europas ab. Die Unterschiede wer- in diesem Bundestag einen Armutsbericht vorzule- den nicht geringer, sondern sie werden größer, ge- gen. Sie weigern sich ja auch, einen Reichtumsbe- rade zu Ost-, aber auch zu Südeuropa. Das heißt, das richt vorzulegen, weil Sie nämlich wissen, was dabei Ganze, so wie es angelegt ist, ist nicht integrativ, son- herauskäme: dern spaltend, antiintegrativ. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) das Eingeständnis, daß die Zahl der Millionäre und Außerdem drängt der Bundesfinanzminister so selbst der Milliardäre ständig zunimmt, während auf sehr darauf - hier wurde auch vom Expo rt gespro- der anderen Seite die Armut wächst. - chen -, weil er sich davon Expansion und Hegemo- nialstreben verspricht. Es ist also nicht gegen Groß- Sie haben hier Herrn Schröder kritisiert, Herr machtrollen gerichtet, sondern - auch Frau Wieczo- Haussmann, und gesagt, er würde sich so europakri- rek-Zeul hat es so begründet - um den Großmächten, tisch äußern. Sie haben natürlich vergessen, auf sozusagen den USA und Japan, irgendwie entgegen- Herrn Stoiber hinzuweisen, von dem sehr ähnliche zuwirken, Töne zu hören sind. Aber Sie haben noch etwas an- deres vergessen. (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Ja!) (Jörg Tauss [SPD]: Gauweiler!) müsse man selber eine Großmacht werden. Dahinter stecken aber nicht ganz ungefährliche Gedanken; - Von Gauweiler, von ganz außen will ich hier gar das darf ich doch an dieser Stelle betonen. nicht sprechen. Aber das Entscheidende ist doch etwas anderes. Ich will noch auf etwas anderes hinweisen. Sie Natürlich kann als Ergebnis eines europäischen Inte- appellieren daran, daß man über den Euro im Wahl- grationsprozesses nach Angleichung der Gesell- kampf nicht sprechen soll. Wenn der aber so ein Se- schaften irgendwann auch eine Währungsunion ste- gen ist, dann müßten Sie daran interessie rt sein, ihn hen. Sie könnte den Abschluß einer solchen Entwick- zum Thema zu machen. Sie haben doch Ihre Gründe, lung bilden. Aber hier soll doch über die Währungs- darüber vor der Bevölkerung nicht zu sprechen, die union die Angleichung der Gesellschaften erzwun- Bevölkerung nicht zu informieren und einen Volks- gen werden, aber so, daß die Standards alle nach un- entscheid zu verweigern. Wieso darf die Bevölkerung ten gehen. über ihre eigene Souveränität eigentlich nicht mit- entscheiden wie in anderen europäischen Ländern? Wir haben keine wirkliche Sozialunion. Es gibt keine Absicherung der ökologischen Standards. Es (Beifall bei der PDS) gibt kein Beschäftigungsprogramm für die Europäi- 15714 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Dr. Gregor Gysi sche Union. Die Demokratie wird nicht weiterentwik- - Nein, der falsche Weg ist die A rt und Weise, wie Sie kelt, sondern zurückgeschraubt. Die Befugnisse des den Euro unter Ausschluß der Öffentlichkeit einfüh- Europäischen Parlaments sollen nicht erweitert, son- ren wollen, indem Sie darüber nicht reden wollen. dern eher eingeschränkt werden. Wir haben keine Das alles kommt darin zum Ausdruck, daß Sie den Steuerharmonisierung. Volksentscheid fürchten und deshalb ablehnen. Das ist die Wahrheit. Wenn man dann eine einheitliche Währung ein- führt, heißt das doch, daß ab diesem Tag schon aus (Beifall bei der PDS) Kostengründen die niedrigsten Standards gelten. Dann werden diese Regierung und dieser Bundestag Billige Polemik, von der Sie hier sprechen, hat der permanent in die Zwangslage gebracht, daß über Bundesfinanzminister außerdem auch schon Frau den Euro Sozialabbau, Steuerabbau und ein Abbau Wieczorek-Zeul vorgeworfen. ökologischer Standards erzwungen werden. Dann (Freimut Duve [SPD]: Eine täglich teurere kann man sich dem nicht einmal mehr ökonomisch Polemik!) verschließen. Mir ist Polemik, die billig ist, immer noch lieber als (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Ihre Polemik, die dem Volk inzwischen so teuer ge- Deshalb sage ich: Zunächst ist es erforderlich, die kommen ist, daß man schon deshalb über einen sozialen und ökologischen Standards auf möglichst Wechsel sehr gründlich nachdenken müßte. hohem Niveau anzugleichen, überall ähnliche (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Rechtsmittel und Rechtsverfahren zu gestalten, die ten der SPD) Steuern anzupassen und ein europäisches Beschäfti- gungsprogramm zu entwickeln. Wenn das alles reali- Deshalb sage ich Ihnen am Schluß: Antieuropäisch siert ist, kann es am Schluß auch eine europäische ist nicht derjenige, der vor einer falschen europäi- Währungsunion geben. Wer erst die europäische schen Währungsunion warnt und sagt: ,,Euro - so Währungsunion einführt, wird Massenarbeitslosig- nicht!", sondern derjenige, der mit Maast richt stän- keit, Lohndumping und Sozialabbau provozieren. dig Einsparungen begründet und dadurch täglich antieuropäische Angste in der Bevölkerung schürt. (Beifall bei der PDS) (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Das, mein lieber Joschka Fischer, wird dann die DIE GRÜNEN]: Gauweiler!) Stunde des Rechtsextremismus sein, weil er nämlich über die Internationalisierung begründet, daß es zu Das beflügelt Nationalismus und Rechtsextremismus, diesem Lohndumping und diesem Sozialabbau ge- nicht das umgekehrte Verhalten. Darüber sollten Sie kommen ist. Damit würde er den Nationalismus nachdenken. schüren. Wer den Rechtsextremismus und den Natio- (Beifall bei der PDS - Joseph Fischer nalismus bekämpfen will, darf beim Euro keinen f al- [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: schen Weg gehen. Wer zuläßt, daß der Euro mit Ein- Da würde Peter Gauweiler jetzt klatschen!) sparungen, mit Sozialabbau und mit Lohndumping verbunden ist, wird den Rechtsextremismus beför- dern. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Für die zweite Runde erhält jetzt unser Kollege Dr. Gero Pfennig (Beifall bei der PDS - Joseph Fischer das Wort. [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:- Lang lebe die D-Mark und die Bundesbank! (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Euro-Pfen Karl Marx kriegt Haarausfall, wenn er dich nig!) hört! Das sind Linke!) Wenn im übrigen hier immer damit gedroht wird, Dr. Gero Pfennig (CDU/CSU): Frau Kollegin Mat- daß Unternehmen auswandern und Kapital abwan- thäus-Maier, richtigerweise müßten Sie dann schon dert, dann stelle ich die Gegenfrage: Warum unter- von Euro-Cent sprechen. nehmen wir nichts dagegen? Wer hinde rt uns denn Wir haben eben die Rede des Gruppenvorsitzen- zum Beispiel an der Einführung einer Kapitaltrans- den einer im Deutschen Bundestag vertretenen Par- fersteuer? Das ginge EU-weit und auch speziell in tei gehört, die zu den engagiertesten Euro-Gegnern ,Deutschland. Es gibt keine Währungsspekulation gehört und deshalb nichts ausläßt, um irgendwelche mehr, die nicht an Frankfu rt am Main vorbei muß; dahergeholten Argumente gegen den Euro vorzu- das gleiche gilt für London, Tokio, Luxemburg und bringen. Washington. Immer wenn Kapital über Frankfu rt am Main transferiert wird, könnte der Bundesfinanzmi- Meine Damen und Herren, die Wirtschafts- und nister seine Hand aufhalten. Dann hätten wir auch Währungsunion ist das Kernstück des Vertrages von genügend Geld, um eine Beschäftigungspolitik in Maastricht, der hier mit überwältigender Mehrheit Deutschland zu organisieren. und auch im Bundesrat mit der erforderlichen Mehr- heit ratifiziert wurde. Ich erinnere nur deswegen (Beifall bei der PDS) daran, weil die Diskussionen der vergangenen Wo- Ich glaube, das ist der falsche Weg, und deshalb chen und Monate zeigen, daß manche von dieser Zu- müssen wir - - stimmung nichts mehr wissen wollen. Es gibt einige, die ziehen über den Euro her, als ob es vertragliche (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!) und völkerrechtliche Bindungen weder nach innen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15715

Dr. Gero Pfennig noch gegenüber unseren Partnern nach außen gäbe nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten und als ob es in unserem freien Belieben stünde, in Europäischen Union geführt. Das wird durch die Ein- die Währungsunion einzutreten oder nicht. Beides ist führung des Euro in Zukunft verhindert. Darüber falsch. Mit der Zustimmung zum Maastricht-Vertrag hinaus wird auf lange Dauer für wirtschaftliche Kon- haben wir klar und unmißverständlich für die Einfüh- vergenz zwischen den Mitgliedstaaten gesorgt. Dazu rung der Währungsunion votiert. Wir sind dazu ver- dient auch der Stabilitätspakt, den Bundesfinanzmi- pflichtet, den Euro einzuführen, wenn die im Maas- nister Waigel initiiert hat. trichter Vertrag genannten Kriterien erfüllt sind. Es Mit dem Euro wird Europa politisches Gewicht be- geht also nicht darum, den Euro auf Biegen und Bre- kommen. Mit dem Euro wird Europa als politische chen einzuführen, sondern gemäß den vertraglich Einheit „Europa" auf der Weltkarte vorhanden sein. vorgesehenen Voraussetzungen und Kriterien - nicht Ich betone deshalb nochmals: Der Euro hat für uns mehr und nicht weniger. Nur wenn diese erfüllt sind, rtschaftliche Bedeutung, wird Deutschland wie jeder andere Mitgliedstaat bei nicht nur lebenswichtige wi sondern ist gleichzeitig ein Symbol für Europa auf der dritten Stufe dabei sein. der Weltkarte. Nun ist es natürlich sehr einfach, durch Verengung Deswegen bemühen wir uns, die politischen Vor- der Kriterien und Aufstellung von Zusatzbedingun- aussetzungen im Maastricht-Vertrag weiter voranzu- die mit dem Maastrichter Vertrag und seinen gen, bringen. Das werden wir so lange tun, notfalls noch Kriterien gar nichts zu tun haben, den Eindruck zu mit der nächsten Konferenz, bis wir es geschafft ha- erwecken, man könne die Voraussetzungen für die ben. Ob wir es geschafft haben, stellen wir Ende Einführung des Euro nicht erfüllen und deshalb sei 1997 bei der Maastricht-II-Konferenz fest. Ob wir die Deutschland nicht dabei. Das nennt man „sich durch Voraussetzungen für die Währungsunion erfüllen die Hintertür aus der Verantwortung stehlen". und wer sie erfüllt, stellt die Europäische Union An- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: So ist es!) fang 1998 und stellen die nationalen Parlamente ebenfalls Anfang 1998 fest. Ich will deshalb heute gar nicht auf die einzelnen wirtschafts- und finanzpolitischen Risiken einer sol- Es ist durchaus bezeichnend, daß diejenigen in chen Argumentation eingehen, sondern - der Kol- Deutschland, denen die Vereinigung Europas zuwi- lege Gysi hat mich gerade dazu herausgeforde rt - der ist und die diese Entwicklung beim Bundesver- ein paar grundsätzliche Dinge zur Bedeutung sagen. fassungsgericht mit einer Klage gegen den Maas- trichter Vertrag zu Fall bringen wollten, nunmehr ( [CDU/CSU]: Von dem auch an der Spitze der Anti-Euro-Bewegung stehen. würde ich mich nicht herausgeforde rt füh len!) (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Genau!) - In diesem Falle komme ich der Herausforderung Diese Entwicklung gibt es natürlich nicht nur in gerne nach. Deutschland, sondern auch in Dänemark, Frank- reich, Großbritannien und anderswo. Die Europäische Gemeinschaft ist von ihren Mit- gliedern nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, Um es ganz klar zu sagen: Ich meine nicht diejeni- sondern auch aus politischen Gründen geschaffen gen, die sich ernsthaft Sorgen machen, ob der Euro worden; darüber sind wir uns ja wohl einig. Es war eine stabile Währung wird und die Erstteilnehmer als Garantiemächte für die Stabilität tatsächlich die Vor- das Verdienst Adenauers, zu sehen, daß die Integra- aussetzung erfüllen können. Das ist das gemeinsame tion Deutschlands in Europa der Schlüssel- zu einer dauerhaften wirtschaftlichen und politischen Ent- Anliegen aller, die den Euro wollen; denn nicht poli- wicklung des Kontinents war. Wegen des tatsächlich tische und vertragliche Textvorgaben bestimmen den eingetretenen Erfolges ist die Europäische Union Wert und die Stabilität des Euro, sondern das Ver- nach wie vor ein Magnet für die Staaten in Europa, trauen der Märkte und hier wiederum das Vertrauen die ihr nicht angehören. Wir sehen ja, wie stark sie in außereuropäischer Märkte. die Union hinein wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]) Worum wir im Augenblick miteinander streiten, ist die Frage: Welche Veränderung braucht die Europäi- Deshalb ist es gut, daß bereits jetzt viele Mitglied- sche Union in ihrem Zuschnitt, um nicht in einen staaten die gesteckten Konvergenzziele erreicht ha- Rückschritt zu geraten gegenüber anderen großen ben, sich die Inflationsrate so weit nach unten be- Regionen, Nordamerika und Asien, die stetig voran- wegt hat, wie es der Kollege Haussmann dargestellt schreiten und sich ebenfalls enger zusammenschlie- hat, und die Konsolidierung der öffentlichen Haus- ßen? Eine der Entscheidungen war, den Euro und die halte weit vorangeschritten ist - übrigens auch in al- Wirtschafts- und Währungsunion einzuführen. Die len sozialdemokratisch und sozialistisch regierten andere Entscheidung wird sein, die Europäische Staaten. Wenn ich mich recht erinnere, wirft in Po rtu- Union politisch, strukturell und institutionell so fit zu gal die bürgerliche Opposition der sozialdemokrati- machen, daß wir die Vollendung des Hauses Europa schen Regierung deswegen unverantwo rtlichen So- bis zum Ende dieses Jahrhunderts voranbringen. zialabbau vor. Wir haben eine nie gekannte Stabili- tätskultur in Europa erreicht. Die Nichtexistenz einer europäischen Währung - das haben schon Redner vor mir gesagt - hat in den All dies wollen die Euro-Gegner mit ihrer Angst- vergangenen Jahren zu Währungsturbulenzen mit kampagne vergessen machen. Keine Behauptung ist Verlusten von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen dabei zu lächerlich, bis hin zu solchen Behauptun- 15716 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Dr. Gero Pfennig gen, der Euro gefährde die Idee vom schlanken gramme überhaupt nehmen soll. Die Kassen der Mit- Staat, weil die Kommunalverwaltungen für die Um- gliedstaaten jedenfalls können mangels Masse dafür stellung auf den Euro ihre Bürokratie ausbauen müß- nicht herangezogen werden. Im übrigen haben Sie ten. So habe ich es jetzt gelesen. Man fragt sich, ob möglicherweise vergessen, daß die Europäische es nicht besser wäre, den Kopf dafür anzustrengen, Union mit ihren Geldern und ihren Strukturfonds die daß auch die Verwaltung die Bürger reibungslos mit ärmsten Regionen unterstützen soll, wozu nur die Euro-Abrechnungen bedienen kann. Das wäre doch wenigsten Regionen in Deutschland zählen. Ich halte wohl der richtige Weg. es daher eher mit dem Ansatz der nordischen sozial- demokratischen Regierungen oder der britischen La- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bour-Regierung: Koordinierung der Beschäftigungs- Ich freue mich, daß die SPD mit ihrem heutigen politik, um volle Flexibilisierung in Europa zu errei- Antrag zeigt, daß sie für die fristgerechte Einführung chen, aber keine nutzlosen EU-Beschäftigungspro- des Euros und für die Weiterentwicklung der Politi- gramme. schen Union eintritt. Noch schöner allerdings - das muß ich den Kolleginnen und Kollegen von der SPD Schon gar nicht finde ich es richtig, dieses Thema sagen - wäre es, wenn auch führende Repräsentan- auf dem Umweg Maastricht-II-Konferenz mit der ten der Opposition wie Gerhard Schröder den Euro- Einführung des Euros zu verbinden. Zu leicht könnte Gegnern nicht ständig neue Diffamierungsstichworte es nämlich als vertragswidrige Zusatzforderung ver- liefern würden. Ich meine Schröders neuerliches Plä- standen werden. Das sollten wir uns alle in diesem doyer für eine Verschiebung und seinen Spruch: Die Hause verkneifen. Währungsunion könnte uns so viel wie die Wieder- vereinigung kosten. - So etwas kann doch wohl nur (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Sehen jemand sagen, dem schon die Wiedervereinigung Sie einmal zu, daß Sie wieder Mehrheiten nicht ins Konzept paßte und den wir deshalb fragen im Deutschen Bundestag finden!) müssen, ob ihm eigentlich auch die europäische Eini- gung und der Euro nicht ins Konzept passen. Für die CDU/CSU-Fraktion ist die Realisierung der Europäischen Wirtschafts - und Währungsunion (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - der wichtigste gegenwärtig anstehende Schritt im Widerspruch bei der SPD - Ing rid Matthäus- europäischen Einigungsprozeß. Die Verschiebung Maier [SPD]: Vorsichtig!) der Währungsunion, wie zum Beispiel von Herrn - Was heißt denn „vorsichtig"? In der „Hannover- Schröder gefordert, wäre ihre Beerdigung für minde- schen Allgemeinen" vom 27. September 1989 hat er stens eine Generation. eine auf die Wiedervereinigung gerichtete Politik als reaktionär und hochgradig gefährlich bezeichnet. (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: So ist es!) (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Hört! Hört!) Die politischen und wirtschaftlichen Folgen für Europa und Deutschland wären katastrophal. Darauf Ich habe nicht gesagt, daß er dasselbe über den Euro hat Jacques Delors, der frühere Präsident der EU- sagt. Kommission und französische Sozialist, hingewiesen. Mich verwundert an dem SPD-Antrag, daß im Zu- Für die Unionsfraktion gilt: Der Euro kommt: mit sammenhang mit der Euro-Einführung echte Fo rt Deutschland, zu dem im Vertrag vorgesehenen Zeit- - -schritte beim weiteren Ausbau der Politischen Union punkt und unter strikter Einhaltung der Konvergenz- gefordert werden, gleichzeitig aber deren Verwirkli- kriterien. chung abgelehnt werden soll, Frau Wieczorek-Zeul, wenn nicht Regelungen für eine aktive Beschäfti- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gungspolitik gefunden werden. Dabei ist doch be- kannt, daß diese SPD-Forderung nicht einmal von den sozialistischen und sozialdemokratischen Regie- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich erteile jetzt rungen in den EU-Mitgliedstaaten unterstützt wird. dem, Fraktionsvorsitzenden der SPD, Rudolf Schar- Hinter Ihrem Schlagwort „aktive Beschäftigungspoli- ping, das Wort . tik" verbirgt sich nämlich im wesentlichen die Forde- rung nach kostspieligen Beschäftigungsprogrammen der Europäischen Union. Derartige Programme ha- (SPD): Frau Präsidentin! Meine ben sich doch schon auf nationaler Ebene überall - in Rudolf Scharping sehr verehrten Damen und Herren! Die Verwirkli- Schweden, in Frankreich, in den Niederlanden - als chung der Wirtschafts- und Währungsunion in Eu- wirkungslos erwiesen. Nirgendwo hat sich gezeigt, daß Staaten mit der höchsten Staatsverschuldung auf ropa ist ein Eckpfeiler der weiteren europäischen In- Dauer die beste Beschäftigungssituation haben. Eher tegration. Sie ist ein wesentliches Element des wirt- ist doch das Gegenteil der Fall. Deshalb ist der Ab- schaftlichen Fortschritts. Sie ist für die dauerhafte Si- bau der Staatsverschuldung überall in den Mitglied- cherung von Frieden in Europa unverzichtbar. staaten betrieben worden. Die Folge davon ist, daß wir damit auch die Erfüllung der Kriterien für die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Einführung des Euros erreicht haben. ten der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich frage mich im übrigen, woher die Europäische Wir reden also hier über einen wirklich grundlegen- Union das Geld für derartige Beschäftigungspro- den politischen Schritt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15717

Rudolf Scharping Ich finde es zunächst gut, daß wir - mit wenigen abgesehen davon, daß es keinen sonderlich hohen Ausnahmen - im Ziel und in der Wertschätzung der Wahrheitsgehalt beanspruchen kann. europäischen Integration offenkundig einig sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Inzwi DIE GRÜNEN) schen! Das war nicht immer so!) Verehrter Herr Kollege Waigel, Sie haben sich in Insofern bedauere ich ausdrücklich, daß hier in man- Ihrer Rede auch zu den Maastricht-Kriterien geäu- chen Reden, in manchen Debatten, die außerhalb ßert . Gleichzeitig läßt sich heute ein Mitglied der Ko- dieses Parlamentes in mancher europäischer Haupt- alition - immerhin der Chef jener kleinen Klientelpar- stadt vermutlich viel sorgfältiger verfolgt werden, als tei - vernehmen, daß jede Deckung der Haushaltslö- hier zugehört wird zum Teil wirklich kümmerlich und cher besser über Neuverschuldung als über Steuerer- kleinkariert mit parteipolitischer Münze hin- und höhung erfolge. Ich frage: Wie muß es bei Ihnen an- hergewechselt wird. gesichts einer solchen Lage, die Sie selber herbeige- führt haben, durcheinandergehen? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Ich finde das schon deswegen bedauerlich, weil ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN bei der Bundesregierung zu Recht angemahnt wer- und der PDS) den muß, daß wegen der großen Bedeutung des The- mas, über das wir reden, wenigstens Klarheit in den Wieviel Boden für billigen Populismus der Art Gysi, Zielen und Nachprüfbarkeit der Argumente zählen wie er ihn hier dargeboten hat, wollen Sie eigentlich sollte. Wenn beispielsweise im Zusammenhang mit noch bereiten? Wieviel Boden für billigen Populismus diesem Projekt der Europäischen Wirtschafts- und der Art Stoiber oder Gauweiler wollen Sie eigentlich Währungsunion - das muß man immer wiederholen: noch bereiten? Ihre Unsicherheiten, Ihre Unklarhei- Wirtschafts- und Währungsunion - von Vertretern ten, Ihre mangelnde Verläßlichkeit, Ihr miserables der Bundesregierung gesagt wird, wie Herr Waigel Ergebnis der Finanzpolitik und Ihr Versuch, das alles das in einem Interview mit dem „Spiegel" erklärt durch europäische Integration und angebliche euro- hat, daß man nämlich wegen des 3-Prozent-Krite- päische Zwänge 'zu bemänteln - das ist doch der riums an weiteren Einsparungen vor allem bei der Grund für die tiefe Verunsicherung in der Bevölke- Sozialhilfe nicht vorbeikomme, rung und für den Boden, der daraus entsteht. (Jörg Tauss [SPD]: Unglaublich!) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) dann kann ich nur sagen: Das ist natürlich eine A rt der Argumentation, die bei den Bürgern nur Befürch- Nein, wir reden über einen Eckpfeiler der weiteren tungen auslöst - übrigens nicht nur bei den Betroffe- europäischen Entwicklung. Es hat sich herausge- nen. stellt, daß der Nationalstaat für die Lösung der gro- ßen Probleme zu klein ist, und möglicherweise ist er (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zu groß für die Lösung der alltäglichen Probleme vor DIE GRÜNEN) Ort. Das heißt nicht, daß er abdankt. Das heißt aber, daß sich im Zusammenhang mit der europäischen In- Ich will auf den Widerspruch aufmerksam machen, der darin besteht, daß heute ein anderes Mitglied der tegration und der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion Politik über eines klarbleiben muß: Bundesregierung, nämlich Herr Seehofer - in diesem Fall, finde ich, völlig zu Recht -, gesagt- hat, bei So- Wir reden hier' hinsichtlich des globalen Wettbe- werbs, hinsichtlich seiner Verschärfung im Kern über zialhilfeempfängern, Arbeitslosen, Pflegebedürftigen oder Rentnern sei die Grenze der sozialen Verant- die Frage, ob ein bestimmtes, spezifisches Modell des Zusammenlebens von Menschen, der Zivilisa- wortbarkeit erreicht. Er hat recht. tion, wie sie in Europa gewachsen ist, in den näch- (Beifall bei der SPD) sten Jahrzehnten ökonomisch noch behauptet wer- den kann oder ob es ruiniert werden wird. Ich frage nur: Wie, meine Damen und Herren, wollen Sie Klarheit in Ihrer Politik, wie Überzeugungskraft (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne herstellen, wenn binnen weniger Wochen ein Mit- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) glied der Bundesregierung einem Nachrichtenmaga- Es geht also nicht darum - wie Herr Waigel in jenem zin sagt, die Sozialhilfe müsse noch weiter herunter- „Spiegel" -Interview gesagt hat -, sich auf die Schul- gefahren werden, und ein anderes Mitglied der Bun- ter zu klopfen nach dem Motto: Wir sind Nummer desregierung erklärt, da sei die Grenze der sozialen eins in Europa. Denn wenn Europa seine Interessen Verantwortbarkeit erreicht? nicht bündelt und nicht gemeinsam verwirklichen Das gilt auch für einen anderen Punkt, der im Zu- kann, dann wird es in der Welt die Nummer drei sammenhang mit Stabilität, Klarheit von Überzeu- sein, und dann wird es uns nichts nutzen, die Num- gung, Verläßlichkeit des Handelns außerordentlich mer eins in Europa zu sein. bedeutsam ist. Wenn sich der Bundesfinanzminister (Beifall bei der SPD) an diesem Tag, an dem die Zahlen der Steuerschät- zung bekanntgegeben werden, hier hinstellt und in Wenn die Europäische Wirtschafts- und Währungs- den ersten Bemerkungen seiner Rede Herrn Apel als union ein gemeinsames Projekt und eine gemein- Zeugen für seine Politik anruft, dann kennzeichnet same Zielsetzung ist, dann ist die erste gemeinsame das eine verzweifelte Situation - mehr nicht; einmal Verpflichtung, klarzumachen, daß sie ein Projekt zur 15718 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Rudolf Scharping Befestigung, zur Bewahrung und zur künftigen Ver- schäftigungspolitik, eine Koordination bis hin zu ge- teidigung unserer Kultur und unserer Zivilisation ist. meinsamen Investitionsprogrammen hinzubekom- men. Es ist die Wahrheit, daß Sie das blockiert ha- (Beifall bei der SPD) ben. Die zweite gemeinsame Verpflichtung wäre, dafür zu sorgen, daß Stabilität nicht durch ausschließlich Es ist leider auch richtig, daß viele in Europa ent- fiskalisch orientierte Kriterien definie rt wird - schon täuscht, besorgt und zum Teil aufgebracht sind ange- gar nicht durch eine sehr spezifische Interpretation sichts dieser belehrenden - um nichts Schlimmeres von Kriterien, wie sie in den Verträgen stehen. zu sagen - Haltung der deutschen Regierung und des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, ange- Diese Interpretation, Herr Waigel, erfolgt doch sichts einer deutschen Politik, die heute mit dem Er- nicht, weil sie in den Verträgen steht. Sie erfolgt doch gebnis der Steuerschätzung erneut ihre Unglaubwür- nicht, weil das mit anderen Regierungen einver- digkeit bestätigt bekommt, nämlich in Europa zu for- nehmlich vereinbart worden wäre. Diese Interpreta- dern, was man zu Hause selber nicht bewerkstelligen tion, die Sie dem deutschen Volk bieten, erfolgt doch kann. aus Ihrem Bedürfnis, erneut einen Sündenbock für Ihre Politik zu finden und damit die Akzeptanz der (Beifall bei der SPD) europäischen Integration zu beschädigen. Ich unter- stelle Ihnen nicht, daß Sie das wollen; das Ergebnis Ich nenne das, Herr Kollege Waigel, deshalb eine ist aber so. „verfälschende Interpretation", weil Sie mit der A rt, Stabilität kann man nur umfassend haben: in der wie Sie mit den Kriterien umgehen, das deutsche wirtschaftlichen Entwicklung, auf den Arbeitsmärk- Volk und die deutsche Öffentlichkeit glauben ma- ten und beim Geld. Wer den Zusammenhang zerreißt chen wollen, es gäbe keine Bestimmungen wie bei- und sich nur auf fiskalische Stabilität konzentriert, spielsweise jene in Art. 103 des Vertrages, der Sie der ruiniert die Stabilität der wi rtschaftlichen Ent- verpflichtet, die Wirtschaftspolitik zu koordinieren. wicklung und der Arbeitsmärkte. Nichts wird von seiten der deutschen Bundesregie- rung getan, um die Wirtschaftspolitik zu koordinie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ren; ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist richtig, das Projekt selbst hat in Europa er- (Freimut Duve [SPD]: Wenn es gar keine staunliche Konvergenz ermöglicht: Konvergenz in gibt, dann kann man auch nicht koordinie den Preisentwicklungen, Konvergenz in den Zinsent- ren! - Weiterer Zuruf von der SPD: Stimmt! wicklungen, Konvergenz im Denken über den Zu- - Widerspruch bei der CDU/CSU) sammenhang von wirtschaftlicher Entwicklung und Verschuldung. schon gar nicht wird etwas getan, um sie in Europa auf nachhaltiges Wachstum und auf Stabilisierung Es ist allerdings auch wahr, daß die Ignoranz ge- der Arbeitsmärkte auszurichten. Sie haben sich dar- genüber dem Weißbuch der Europäischen Kommis- auf konzentriert, über Preise, Zinsen und das Defizit- sion aus dem Jahr 1993 und diese neoliberale Verfäl- kriterium zu reden. Das ist auch alles richtig und in schung des Vertrages und des Weißbuchs am Ende Ordnung. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam: dazu beitragen werden, daß die Stabilität der Ar- Wenn es uns in Europa nicht gelingt, über eine ge- beitsmärkte und der sozialen Beziehungen- ruiniert meinsame Steuer- und Finanzpolitik, über eine ge- wird. Geld ist aber nur so viel we rt und Geld genießt meinsame Arbeitsmarktpolitik und ihre Koordina- nur so viel Vertrauen, wie wi rtschaftliche Kraft und tion, auch über gemeinsame Grund- und Rahmenbe- Verläßlichkeit der politischen Rahmenbedingungen dingungen für die wirtschaftliche Entwicklung etwas dahinterstecken. Sonst ist auch das Vertrauen in das gegen die Arbeitslosigkeit zu tun, dann wird dieses Geld bald kaputt. Projekt am Ende in Gefahr geraten. (Beifall bei der SPD) Es geht also um mehr: Es geht um die wirtschaftli- Das ist der Grund, weshalb wir für ein Beschäfti- che Entwicklung, um die Arbeitsmärkte, um die so- gungskapitel im europäischen Vertrag werben - zialen Beziehungen und natürlich auch um die Rela- nicht für irgendein europäisches Konjunkturpro- tion der Währungen untereinander, um die Preissta- gramm, wie der Kollege Pfennig hier gesagt hat. Wir bilität und die Harmonisierung der Steuerpolitik. Ich werben dafür übrigens in voller Übereinstimmung will nicht bestreiten, daß im Ecofin-Rat hinsichtlich mit allen von den Sozialdemokraten geführten und der Steuerpolitik das eine oder andere mittlerweile mitbestimmten Regierungen, übrigens sogar in Über- besprochen wird. Aber wie lange hat das gedauert? einstimmung mit der französischen Regierung. Man kann doch nicht daran vorbeisehen, daß Ihre (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja!) sehr spezifische - wie ich finde, verfälschende - In- terpretation des Vertrages - insbesondere die seiner Und warum müssen Sie diese ja richtigen Bemühun- Art. 103 ff. - am Ende auch zu einer massiven Bela- gen im europäischen Zusammenhang in Deutschland stung des deutsch-französischen Verhältnisses ge- denunzieren und jeden, bis hin zum Parteivorsitzen- führt hat. Es ist doch die Wahrheit, daß die französi- den der SPD, sche Regierung schon nach dem Amtsantritt des Prä- sidenten Chirac versucht hat, eine gemeinsame Be- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja! Genau!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15719 Rudolf Scharping beschimpfen, er sei ein Illusionist, er weiche den Pro- Wirtschaft, auf den Arbeitsmärkten und in bezug auf blemen aus usw., wenn in Deutschland eine interna- den sozialen Frieden, zu verwirklichen. Wenn man tionale Kooperation gefordert wird, das so auffaßt, dann ist weder in der Realität noch aus dem Vertrag ein Widerspruch zwischen Zeitplan (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das wird und fiskalischen Kriterien herzuleiten. ja getan!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die Sie im Ecofin-Rat gerade in unzureichender wir uns der Verantwortung bewußt bleiben wollen, Weise herbeizuführen versuchen? die wir eingegangen sind, die wir völkerrechtlich ver- (Beifall bei der SPD) bindlich ratifiziert haben, dann können wir nicht so tun, als ob uns das Ergebnis einer Landtagswahl, ei- Ich will damit sagen: Es nutzt überhaupt nichts, ner Umfrage oder was auch immer von diesem Weg wenn versucht wird, bei der Diskussion dieses Pro- abbringen könnte. Es geht um ein einziges Ziel, näm- jektes den parteipolitischen Vorteil zu suchen. lich um eine stabile europäische Entwicklung mit (Zuruf von der CDU/CSU: Eben! - Dr. Hel möglichst vielen Teilnehmern in der Wirtschafts- und mut Haussmann [F.D.P.]: Das sagen Sie ein- Währungsunion; es geht um eine stabile, f riedliche mal Herrn Schröder!) Entwicklung in Europa in einem umfassenden Sinne: ökonomisch, sozial und fiskalisch, aber nicht nur fis- Jedes populistische, jedes nationalistische, jedes par- kalisch. Tragen Sie endlich Ihren Teil dazu bei! Ma- teipolitische Gerede in diesem Zusammenhang ver- chen Sie in Deutschland Ihre Hausaufgaben, anstatt bietet sich. sich billig aus der Verantwortung zu stehlen, wie die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Steuerschätzung leider beweisen wird. Aufklärung: ja, Streit um die Verwirklichung einer (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Idee: ja; DIE GRÜNEN) (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Schröder!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich erteile nach aber nicht nach der Methode: Wir orientieren uns an Art. 43 Absatz 2 Grundgesetz dem Bundeswirt- der nächsten Umfrage, wenn sie uns einen kurzfristi- schaftsminister, Dr. Günter Rexrodt, das Wo rt. gen Vorteil verspricht, und kümmern uns nicht um den langfristigen Schaden der europäischen Ent- Bundesminister für Wirtschaft: wicklung. Dr. Günter Rexrodt, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr (Beifall bei der SPD - Dr. Helmut Hauss Scharping, Sie haben sich gerade hingestellt und der mann [F.D.P.]: So macht es Schröder!) Bundesregierung unterstellt, sie tue nichts, um die Wirtschaftspolitik in Europa zu koordinieren, sie tue Vor diesem Hintergrund füge ich hinzu, daß es nichts, um die Wirtschaft auf Wachstumskurs zu nicht nur an der Koordination der Wi rtschaftspolitik, bringen. Meine Damen und Herren, das ist billige nicht nur am Willen zur Kooperation fehlt. Geben Sie Polemik. bitte auch diese belehrende Attitüde gegenüber un- seren europäischen Freunden und Nachbarn, im Wir setzen alles daran, damit die Wirtschaft in Deutschen Bundestag und auch gegenüber dem Deutschland wieder Tritt faßt und wir mit der Ar- deutschen Volk auf! Herr Kollege Waigel, wer, wenn beitslosigkeit fertig werden. Diesem Ziel dient unsere er über die Sache selbst redet, so redet wie- Sie, näm- Steuer- und Rentenpolitik, diesem Ziel dienen die lich mit einer Mischung aus einer fast angstvollen Reformen im Gesundheitswesen, die Ostförderung parteipolitischen Polemik und einer Technokraten- und die Außenwirtschaftspolitik. sprache, der überzeugt niemanden: Die Opposition wäre überzeugender, wenn sie ver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des suchte, ein besseres Konzept anzubieten. Nur, ich BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sehe dieses Konzept nicht. Ich sehe nur, daß Sie un- sere Politik - im Bundesrat und wo immer Sie können weder den Menschen, der auf einen Arbeitsplatz - blockieren und damit die Reformen verhindern, die hofft, noch den Menschen, der will, daß seine Kinder wir in diesem Land dringend brauchen. eine Ausbildungsstelle bekommen, (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und (Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/ der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD) DIE GRÜNEN]: Schon gar nicht Stoiber!) Die Bemühungen in Richtung Euro sind Bestand- noch überzeugt er jene, die Sorge darüber haben, teil dieser Politik. was mit dem Wert ihres Grundstücks, ihrer Lebens- versicherung, ihrer Rente oder anderem sein wird. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Möllemann!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und auch nicht Herrn Stoi Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion ber!) wird nicht automatisch alle Probleme in Deutschland lösen, aber ohne die Wirtschafts- und Währungs- Der Euro kann und wird eine stabile Währung union sind dauerhaftes Wachstum, sein, wenn es den Regierungen und den Volkswirt- schaften gelingt, die Kriterien nicht nur fiskalisch zu (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ begreifen, sondern die Stabilität umfassend, in der DIE GRÜNEN]: Ich sage nur: Möllemann!) 15720 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt die Expansion der Wirtschaft, die Erschließung neuer Standards und gleiche ökologische Standards gehö- Beschäftigungsfelder, beispielsweise durch grenz- ren? Wie soll ein Binnenmarkt mit Binnenwährung überschreitende Dienstleistungen oder bei den freien funktionieren, wenn es auf diesen Gebieten so gra- Berufen und die Steigerung des Handels auf diesem vierende Unterschiede gibt? Kontinent nicht möglich. Wir sind entschieden gegen eine Verschiebung der Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Wirtschafts- und Währungsunion, weil diese Ver- Herr Kollege Gysi, ich muß Ihnen sagen: Sie haben schiebung Risiken mit sich bringt, die auch negative die europäische Idee und das Funktionieren des Wirkungen für den Arbeitsmarkt hätten. europäischen Marktes im Grunde nicht verstanden. Wir haben immer gesagt, wir wollen eine Koordinie- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) rung und eine Parallelität in wichtigen Bereichen der Deshalb ist die Politik in Richtung Euro ein Stück un- Gesellschaft, einschließlich einer Parallelität der Sy- serer Reform- und Wachstumspolitik. steme der Fiskalpolitik, der Arbeitsmarktpolitik, der Konjunkturpolitik und der Geldpolitik, die dann auf (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne eine Institution übergeht. Wir können und wollen in ten der CDU/CSU) diesem Europa aber nicht überall gleiche Steuer- Die Vorteile des Euro für die Wirtschaft sind unge- sätze, gleiche Beschäftigungsprogramme und glei- mein groß: Die Wirtschaft wird pro Jahr Kurssiche- che Regionalpolitik haben. Das ist dann nämlich rungs- und Transaktionskosten in einer Größenord- keine Regionalpolitik mehr. Wir wollen Systeme und nung von 90 Milliarden DM sparen. Preise und Ko- Strukturen haben, die kongruent sind und überein- sten werden transparenter werden, und das wird in stimmen. Aber wir wollen die Politik so ansetzen, daß einem Markt mit 370 Millionen Verbrauchern diesen die Prinzipien der Subsidiarität gewahrt bleiben, daß zugute kommen. Abweichungen im einzelnen möglich sind und daß Wettbewerb besteht, wie wir das im übrigen auch in Europa wird für ausländische Investoren wieder in- Deutschland haben. Es gibt auch in Deutschland un- teressanter werden. Heute richten diese ihr Augen- terschiedliche steuerliche Bedingungen im Norden merk auf Asien und Nordamerika. Der Euro wird die und im Süden, im Osten und im Westen. Diese Ver- Vollendung des europäischen Binnenmarktes sein, schiedenheit muß bleiben. Das System im Ganzen und ein integrierter Finanzmarkt - einschließlich des muß stimmen, und darauf bewegen sich die europäi- entstehenden Marktes für Risiko- und Gründungska- schen Partnerstaaten zu. Eine Kongruenz, eine Dek- pital - wird mit dem Euro einhergehen. kungsgleichheit im Detail ist mit Blick auf die Ar- Der Euro gibt mehr Stabilität gegen den Dollar und beitsplätze in Deutschland weder erwünscht noch den Yen, wie umgekehrt ein Scheitern des Euro in vorteilhaft. der vorgesehenen Form die enormen Aufwendun- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gen, die es schon heute in Unternehmen und Banken gibt, gefährden würde. Es wäre nicht auszuschließen, Der Binnenmarkt wäre in seiner heutigen Verfas- daß es erneute Turbulenzen um die Währungen ge- sung - er ist noch nicht vollendet, aber weit vorange- ben würde - mit einer Höherbewertung der Deut- kommen - gefährdet, wenn wir nicht fristgerecht und schen Mark und negativen Auswirkungen auf unsere unter Einhaltung der Kriterien zum Euro kämen. Die Exportaussichten und damit auf unsere Arbeits- Renationalisierung des Denkens in den europäi- plätze. schen Räten ist zum Teil erschreckend. Viele von uns - erleben das jeden Tag in jeder Sitzung. Die Begehr- Der Kollege Haussmann hat bereits mit Nachdruck lichkeiten der Partnerstaaten oder einzelner Regio- gesagt: Wenn der Euro verschoben wird - das wäre nen aus den Partnerstaaten, Sonderlösungen zur Be- eine Verschiebung auf lange Zeit -, dann wäre vor al- wältigung dort existierender aktueller Probleme her- lem die Stabilitätskultur in Europa gefährdet, die wir beizuführen, sind enorm groß und wachsen ständig heute in einem Maße haben wie seit Jahrzehnten an. nicht, ja, wie noch nie in Europa. Ich behaupte: Wenn der Euro nicht käme, wenn (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) die Vollendung des Binnenmarktes nicht anstünde, würde diese Renationalisierung weiter voranschrei- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister, ge- ten. Der Binnenmarkt wäre zunächst an seinen Rän- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten dern - ich sage einmal: bei der Beihilfenpolitik - und Gysi? über kurz oder lang auch in wesentlichen Bereichen gefährdet. Wir würden einen Rückschritt durchma- chen, der auf absehbare Zeit so schnell nicht aufhol- Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft: Bitte schön. bar wäre. Das würde sich nachteilig auf die Beschäf- tigung in Deutschland und auf die Arbeitsplätze in der gesamten Europäischen Union auswirken. Der Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Bundesminister, Sie Euro wird fristgerecht gebraucht, wenn wir den haben gesagt, die Währungsunion sei die Vollen- schon jetzt erreichten Standard des Binnenmarktes dung des Europäischen Binnenmarktes, also inner- nicht gefährden wollen. halb der Staaten, die die Währungsunion einführen. Würden Sie mir zustimmen, daß zu einem vollende- Ich wende mich st rikt dagegen, die Probleme in ten Binnenmarkt zumindest ähnliche Lohnstruktu- Deutschland und in Europa durch ein Drehen an der ren, gleiche soziale Standards, gleiche steuerliche Steuerschraube zu lösen. Erhebliche Investitionen in Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15721 Bundesminister Dr. Günter Rexrodt diesem Lande stehen an. Diese Investitionen werden verankert wird, daß durch sie mehr Flexibilität und mit Blick auf den Standort Deutschland vorgenom- Mobilität in den Systemen feststellbar sind, daß es men, werden in unserem Lande stattfinden, wenn es eine größere Niederlassungsfreiheit und mehr Bewe- in der Steuerreform ein richtiges Signal gibt. Dieses gung gibt, nicht aber, daß Beschäftigungsprogramme Signal läuft darauf hinaus, daß wir zu einer erhebli- umgesetzt werden, die auf nationaler Ebene schon chen Nettoentlastung bei den direkten Steuern kom- gescheitert sind und die auf europäischer Ebene erst men müssen und daß maßvolle Erhöhungen bei indi- recht scheitern müssen. rekten Steuern diesen Nettoentlastungseffekt nicht kompensieren und schon gar nicht überkompensie- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ren dürfen. Deshalb hat die Orientierung auf den ten der CDU/CSU) Euro auch dazu geführt, daß wir mit großer Entschie- Beschäftigungspolitik in Europa bedeutet, daß wir denheit an die steuerpolitischen Probleme herange- bestimmte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im hen und unser Heil nicht mehr in Steuererhöhungen Rahmen der Systeme koordinieren und parallel aus- suchen, wenn wir die Einnahmeseite verbessern wol- richten können. Aber das kann auf keinen Fa ll be- len. deuten, daß wieder in erheblichem Umfang Mittel (Vorsitz : Vizepräsidentin Michaela Geiger) zur Verfügung gestellt werden, um Beschäftigungs- programme in anderen Ländern - wir kennen das ja, Wir werden auf Grund des Euro auch keine nicht unbedingt nur in Deutschland, sondern an- Chance haben, die Staatsschuld über die bestehen- derswo noch mehr - zu finanzieren. Dazu ist kein den Spielräume hinaus - diese sind eng genug - zu Geld da. Ich sage mit Nachdruck: Die Europäische erhöhen. An den Staat gerichtete Geldwünsche kön- Wirtschafts- und Währungsunion kann keine Trans- nen nicht mehr im bisherigen Umfang bedient wer- ferunion werden. Sie muß eine Union werden, in der den. Die bisherigen Verteilungssysteme unterliegen man gemeinsame europäische Prinzipien in der Ar- der Reform, und dieser Reform haben wir uns ge- beitsmarkt-, Finanz- und Wirtschaftspolitik verfolgt, stellt. Der Euro hat eine heilsame Wirkung auf den nicht aber neue Transferströme in Gang setzt. Umgang mit den öffentlichen Defiziten ausgeübt. Wir haben die Probleme längst nicht voll im Griff; (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) (Rudolf Scharping [SPD]: Aber die Probleme haben Sie voll im Griff!) Lassen Sie mich zum Abschluß noch ein Wo rt zur Akzeptanz des Euro sagen. Es gibt viele Befürchtun- aber die gängige Politik, über Jahrzehnte verfolgt, gen und Ängste bei Menschen, die mit dem Euro die darin bestand, das Heil in einer Erhöhung der nicht vertraut sind und die in der Umtauschaktion, Staatsschuld zu suchen, ist nicht zuletzt wegen des die stattfinden wird, eine Währungsreform sehen. Euro unmöglich geworden. Die geschichtliche Erfahrung in Deutschland ist die, daß eine Währungsreform mit dem Verlust von Kauf- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die fordern kraft einhergeht. Eine Währungsreform ist die Ein- Sie heute morgen! Heute morgen fordern führung des Euro aber nicht. Es gibt angesichts der Sie sie!) Stabilitätspolitik, die wir in Deutschland und in vie- Dies bedeutet im Umkehrschluß: Fortsetzung der len europäischen Staaten verfolgen, keinen Grund Sparpolitik auf allen Ebenen, bei Bund, Ländern und zur Annahme, daß der Euro weniger stabil ist und Gemeinden, Konsolidierungspolitik und auch ein weniger Kaufkraft repräsentiert als das, was durch Stück Privatisierungspolitik, nicht nur mit- dem Ziel, die Hingabe der jeweiligen nationalen Währung auf- die Einnahmeseite zu verbessern, sondern auch aus gegeben wird. Hier muß Aufklärungsarbeit geleistet ordnungspolitischen Überlegungen heraus. Sowohl werden. Ich bin froh darüber, daß sich die Wi rtschaft im Steuerbereich als auch in bezug auf die Spar- und und auch die Banken, insbesondere die kleineren Defizitpolitik hat der Euro im Inland und auch bei un- und mittleren, aber auch die großen Institute, ent- seren europäischen Partnern eine heilsame Wirkung schieden haben, diese Aufklärungsarbeit zu leisten. ausgeübt, und dieser werden wir uns auch weiterhin Ich bin überzeugt, daß sie einen Beitrag dazu leisten, stellen. daß die Akzeptanz erhöht wird. Wir brauchen kein Herumdiskutieren an den Kriterien und an sonstigen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Daten und Zahlen. Das wäre ein Geschäft mit der Was nun die Arbeitsmarktpolitik, die Beschäfti- politischen Angst, meine Damen und Herren. gungsprogramme und das Beschäftigungskapitel Herr Scharping, Sie haben hier im Zusammenhang insgesamt im Europäischen Vertrag angeht, lassen mit der Definition und der Orientierung an den Krite- Sie mich folgendes sagen: Herr Scharping, es ist rich- rien von Maastricht von Kleinkariertheit gesprochen. tig: Wenn die Wechselkurse als Regulator wegfallen, dann haben andere wirtschaftliche Instrumente um (Rudolf Scharping [SPD]: In dem Zusammen so größere Bedeutung. Das gilt für die Geldmarkt- hang überhaupt nicht! Das ist Quatsch!) und die Kapitalmarktpolitik, für die Steuersysteme, Kleinkariert ist derjenige, der mit dem Projekt der Stichwort Steuervermeidung - das will ich aufgrei- Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion bil- fen; hierzu ist von allen Seiten Richtiges gesagt wor- lige Parteipolitik machen will, der bestimmte Wähler- den -, für die Außenwirtschaftspolitik, für die Han- schichten, Leute, die Ängste haben - ich nenne hier delspolitik und auch für die Arbeitsmarktpolitik. Ich ganz bewußt und entschieden Herrn Schröder - wünsche mir aber, daß die Arbeitsmarktpolitik in der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik so (Widerspruch bei der SPD) 15722 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt ausnutzt, der diese Ängste aufgreift, um sich anzu- das schon im Betrieb? - Die Antwort war: Nach fünf biedern und auf billige Weise Wählerstimmen einzu- Tagen merken wir das schon, denn wenn die Lira in fahren. Das, meine Damen und Herren, ist kleinka- den Keller geht, dann können Italiener nicht mehr riert, nicht aber eine Orientierung an den Stabilitäts- für den gleichen Lira die deutschen Stahlprodukte kriterien. von Klöckner-Mannstaedt kaufen, die B riten auch nicht, und die anderen tun es dann ebenfalls nicht, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) weil sie den billigeren italienischen Stahl kaufen. Der Euro wird gebraucht. Er bringt die Vollendung des Binnenmarktes, wie er umgedreht, wenn er nicht Wir müssen den Menschen klarmachen: Eine ex- fristgemäß käme, den Binnenmarkt gefährdet. Wir portorientierte Wi rtschaft wie die deutsche ist ge- werden in Deutschland von diesem Binnenmarkt am radezu lebensnotwendig davon abhängig, daß die meisten Vorteile haben, in allen Bereichen, in der Währungsturbulenzen innerhalb der Europäischen Handelspolitik, bei den Entfaltungsspielräumen un- Union aufhören. Deswegen brauchen wir die Wäh- serer Unternehmen und vor allem am Arbeitsmarkt. rungsunion. Deshalb muß der Euro kommen, fristgerecht, unter Einhaltung der Kriterien. Es liegt im Interesse der Ar- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ beitsplätze in Deutschland. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die ist wichtiger als der eine oder andere Punkt beim Spitzensteuersatz, meine Damen und Herren. Dieser Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat Standortvorteil, den wir haben werden, keine wi ll jetzt die Abgeordnete Ing rid Matthäus-Maier, SPD- -kürlichen oder unwillkürlichen Abwertungen der an- Fraktion. deren Währungen, ist für uns wichtig. Deswegen sagen uns ja auch die Spekulanten, der Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Frau Präsidentin! beste Weg, um Spekulation in Europa zu verhindern, Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Öf- ist, eine einheitliche europäische Währung zu haben. fentlichkeit ist der Eindruck entstanden, die Politiker Dann kann der Superspekulant dieser Welt, Herr So- sind ganz überwiegend für den Euro und die Men- ros, nicht mehr gegen den Franc spekulieren. Da schen nicht, und die Politiker kapseln sich ab und mußte die Deutsche Bundesbank fast 20 Milliarden wollen nicht darüber diskutieren. Deshalb ist es gut, DM in den Finanzmarkt pumpen, und trotzdem daß die heutige Debatte stattfindet; denn hier sollten konnten wir diese Spekulation nicht verhindern. wir versuchen, die Menschen zu überzeugen. Aber, meine Damen und Herren, wenn ich mir die Meine Damen und Herren, wir müssen bestehende Rede von Herrn Waigel und auch die von Herrn Rex- Ängste abbauen. Die Angste gibt es vor allem bei der rodt angehört habe, muß ich sagen, damit erhöhen älteren Bevölkerung. Sie hat ja zum Teil zwei Wäh- Sie nicht die Akzeptanz des Euro, sondern das sind ja rungsreformen mit einer dramatischen Abwertung Euroabschreckungsreden, meine Damen und Her- ihrer Guthaben miterlebt. Meine Großmutter - sie ist ren. vor kurzem verstorben - hat noch miterlebt, daß 1923 ein Dollar 4,2 Billionen Mark we rt war. 1948 erlebte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne sie wiederum eine Geldentwertung. Sie fragte: Kind, ten der PDS) - wollt ihr das wieder machen? - Nein, es handelt sich So werden Sie die Köpfe und die Herzen der Men- doch nicht um eine Währungsreform, sondern um schen für Europa und die Währungsunion nicht ge- eine Währungsunion. winnen. Hierüber muß man mit Zahlen aufklären. Ein Bei- (Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie!) spiel: Nehmen wir einmal an - so genau wird es nicht sein -, 1 Euro wäre 2 DM we rt . Dann kann man um- Ich glaube aber, daß man es kann. Dann lassen Sie rechnen. Wenn einer 2000 DM bekommt, erhält er uns doch ohne Verschweigen der Risiken die Vorteile danach 1000 Euro. Wenn einer umgekehrt 2000 DM nennen. Schulden hat, dann muß er danach auch nur 1000 Ich möchte ein Beispiel nennen, um einmal von der Euro zurückzahlen. Das ist ungefähr so wie in Groß- Makroökonomie in den Alltag herunterzukommen. britannien, als man sich von Meilen auf Kilometer Im Rhein-Sieg-Kreis, aus dem ich komme, gibt es ein umstellen mußte. Die Zahlen haben sich geändert, Stahlwerk, Klöckner-Mannstaedt. Im Herbst 1992 ha- aber die Entfernung ist natürlich gleichgeblieben. ben mein Kollege Uwe Göllner und ich das Werk be- sucht. Als wir uns erkundigten, wie es so geht, da Ich glaube, man kann die Menschen davon über- sagte man: Oh Gott, oh Gott, es gibt wieder Pro- zeugen, daß die Europäische Währungsunion zu un- bleme. Wenn das so weitergeht, müssen wir Men- serem ökonomischen Nutzen ist. Das setzt voraus, schen entlassen. - Wieso, fragten wir, vor drei Mona- daß wir die Stabilitätskriterien erfüllen. Von den ten war doch die Welt noch in Ordnung, was ist denn vieren sind ja europaweit drei schon richtig gut vor- passiert? - Ja, antwortete man uns, und zwar Be- angekommen, nämlich die Zinsstabilität, die relative triebsrat und Unternehmensführung, vor zwei Wo- Währungsstabilität zwischen den europäischen chen hat es die großen Turbulenzen und die Abwer- Währungen und die Inflationsrate, die in den euro- tung der Lira und des britischen Pfundes gegeben. - päischen Ländern drastisch heruntergegangen ist. Wir fragten: Wieso, und nach zwei Wochen merkt ihr Daß es bei den entscheidenden Kriterien diese Kon- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15723

Ingrid Matthäus-Maier vergenz gibt, ist doch schon ein Erfolg des Euro und in Arbeit bringen 4 Milliarden DM. Solange Sie die des Maastricht-Vertrages. Arbeitslosigkeit nicht aktiv bekämpfen, werden Sie weiter die Haushalte an die Wand fahren. Aber nicht (Beifall des Abg. Fried ri ch Merz [CDU/ mit unseren Stimmen! CSU]) Wenn Sie jetzt noch auf die Schnapsidee kommen, Es bleibt das Fiskalkriterium. Herr Waigel, das ist die Mineralölsteuer anzuheben, um Ihre Haushaltslö- der Punkt, angesichts dessen ich mich über Sie rich- cher zu • stopfen, dann kann ich Ihnen nur sagen: tig ärgere. Wie kann man sich im Rahmen Ihrer dra- Nicht mit uns Sozialdemokraten! Wir wollen eine matischen Kürzungen und Ihres Sozialabbaus um ei- ökologische Steuerreform. Steuererhöhungen zum nes kleinen parteipolitischen Vorteils willen hinter Stopfen Ihrer Haushaltslöcher wird es mit uns aber Europa verstecken? Das ist ein grobes Unrecht an nicht geben. Europa. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN) GRÜNEN und der PDS) Wir und Sie müssen nicht sparen, weil Europa das Das Wo verlangt. Wir müssen endlich die Haushalte konsoli- Vizepräsidentin Michaela Geiger: rt hat jetzt der Abgeordnete F riedri dieren, weil Sie sie an die Wand gefahren haben, ch Merz, CDU/CSU- Fraktion. weil Sie maßlose Staatsschulden aufgebaut haben. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Friedrich Merz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! GRÜNEN und der PDS) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihr Rede- Wir müssen die Haushalte konsolidieren, weil Sie beitrag hat so hoffnungsvoll begonnen, Frau Kollegin dafür verantwortlich sind, daß im laufenden Jahr Matthäus-Maier. allein im Bundeshaushalt 90 Milliarden DM für Zins- ausgaben, für Schulden, die Sie in den Vorjahren ge- (Zuruf von der CDU/CSU: Aber sie hält es macht haben, ausgegeben werden - 70 mal soviel für nicht durch!) Zinsen wie für den Umweltetat des Bundes. Das ist Ich finde, wir sollten uns im Deutschen Bundestag in eine Versündigung an den nachfolgenden Generatio- der Wortwahl etwas zurückhalten, auch mit solchen nen. Das müssen wir ändern. Das hat mit der Einfüh- Vorwürfen, wie Sie sie gerade geäußert haben. Der rung des Euro überhaupt nichts zu tun. Sache der Europäischen Wirtschafts- und Währungs- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ union wird Schaden zugefügt, wenn in dieser Art DIE GRÜNEN) und Weise parlamentarische Debatten über dieses wichtige Thema geführt werden. Gerade heute erfahren wir die neuen Zahlen der Steuerschätzung. Herr Waigel, Sie sollten sich schä- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - men. Wer über die Jahre die Menschen mit dauern- Widerspruch bei der SPD) den Beschönigungen und dauerndem Schönrechnen Am 2. Dezember 1992 sind sich die vier Fraktionen so belogen und betrogen hat, ohne ihnen die Wahr- des Deutschen Bundestages einig gewesen, daß der heit zu sagen, der dürfte hier heute morgen eigent- Weg hin zur Europäischen Wirtschafts- und Wäh- lich gar nicht mehr sitzen. rungsunion richtig ist. Wir treten jetzt in die entschei- - (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE denden Gespräche und in die entscheidende Phase GRÜNEN und der PDS) ein. Deswegen ist es gut, daß diese Debatte heute morgen stattfindet. Aber bevor ich auf einige Sach- themen zu sprechen kommen werde, möchte ich aus Vizepräsidentin Michaela Geiger: Frau Abgeord- persönlicher Überzeugung und auch aus persönli- nete, „belogen" und „betrogen" sind keine parla- cher Verbundenheit den Bundesfinanzminister vor mentarischen Ausdrücke. den völlig unqualifizie rten und maßlosen Beschuldi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU gungen in Schutz nehmen, die Sie hier heute morgen und der F.D.P.) geäußert haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Dann sage ich eben: Jedermann in diesem Lande weiß, daß es mindestens Meine Damen und Herren, wenn es in Europa ei- zwei große Steuerlügen gegeben hat. Da brauche ich nen Finanzminister gibt, der im ECOFIN-Rat und in nichts hinzuzufügen. den anderen europäischen Räten für Europa und für die Bundesrepublik Deutschland erfolgreich Interes- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sen wahrgenommen und politische Ziele durchge- DIE GRÜNEN) setzt hat, dann ist es der längstgediente Finanzmini- ster in der Europäischen Union, unser deutscher Deswegen brauchen wir in Europa nicht nur die Finanzminister Theo Waigel. Dafür gebührt ihm Währungsunion, sondern auch eine gemeinsame Ar- Dank. beitsmarktpolitik, einen Beschäftigungspakt. Denn nur wer die Arbeitslosigkeit aktiv bekämpft, wird die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Haushalte konsolidieren. 100 000 Arbeitslose kosten Dr. Peter Struck [SPD]: Donnerwetter! Auf 4 Milliarden DM. Das heißt, 100 000 Menschen mehr stehen!) 15724 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Friedrich Merz Ich erinnere daran, daß wir noch vor einem Jahr etwa diese Umstellung bereits früher bewerkstelli- eine sehr intensive Diskussion über den Stabilitäts- gen kann, bisher nicht getroffen ist. und Wachstumspakt geführt haben. Ich bin offen ge- nug, hier zu sagen: Ich habe im letzten Jahr nicht ge- Die Arbeitsgruppe - und das Bundeskabinett hat glaubt, daß es uns gelingt, diesen Stabilitäts- und dem zugestimmt, wie in der letzten Woche zu lesen Wachstumspakt in der Europäischen Union durchzu- war - hat festgestellt: rtner in der setzen und die Zustimmung aller 14 Pa Endgültig ist aber über die konkrete Umstellung Europäischen Union dafür zu gewinnen. der öffentlichen Verwaltung noch nicht entschie- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: So ist es!) den. Es müssen weitere Gespräche mit der Wi rt -schaft, den Sozialversicherungsträgern und der Meine Damen und Herren von der SPD, heute Finanzverwaltung geführt werden. müssen wir feststellen, daß die Rechtsverbindlichkeit des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in der Euro- Ich zitiere dies, weil meine persönliche Meinung ist, päischen Union weiter vorangeschritten ist als die daß es gut wäre, wenn es gelingen könnte, den Zah- Rechtsverbindlichkeit des innerstaatlichen Stabili- lungsverkehr mit der öffentlichen Verwaltung und täts- und Wachstumspaktes, den wir bis zum heuti- insbesondere der Finanzverwaltung schon zu einem gen Tag mit den Bundesländern nicht vereinbaren früheren Zeitpunkt nach dem Prinzip umzustellen, konnten. keine Verpflichtung, wohl aber ein Recht zur Ver- wendung des Euro zu, haben, nicht nur im p rivaten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Zahlungsverkehr, sondern auch im Zahlungsverkehr Daß es diese Fortschritte gibt, ist das Verdienst von mit der öffentlichen Hand. Dies würde ein weiteres Bundesminister Theo Waigel. Dafür hat er jedenfalls Stück Vertrauen in die Euro-Stabilität bei den Bür- unseren Dank, meine Damen und Herren von der gern bewerkstelligen. SPD. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will darauf hinweisen, daß die Zustimmung, Meine Damen und Herren, ich wi ll zum Schluß die- die offensichtlich auch heute hier jedenfalls dem ser Debatte noch einmal auf das Thema Beschäfti- Grunde nach besteht, nichts daran ändert, daß die gungskapitel im Zusammenhang mit der Wirtschafts- Bürger in unserem Land über die Ziele, den Sinn und und Währungsunion zu sprechen kommen. Die Red- den Zweck der Wirtschafts- und Währungsunion ner der Opposition haben in großer Übereinstim- besser informiert werden müssen. Dies ist eine mung ein Beschäftigungskapitel im Maastricht-Ver- Pflicht, die die Politik hat, eine Pflicht, die die Bun- trag verlangt. Hier war mehrfach von einer „aktiven desregierung wahrzunehmen hat. Wir werden dies in Beschäftigungspolitik" der Europäischen Union die den nächsten Monaten noch besser machen müssen. Rede. Ich weiß, offen gestanden nicht, was Sie damn- Ich will bei dieser Gelegenheit aber auch den Ban- ter verstehen. Gibt es auch eine passive Beschäfti- ken, den Sparkassen sowie den Volksbanken und gungspolitik? Raiffeisenbanken herzlich dafür danken, daß sie (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie sind pas diese Informationspflicht gegenüber ihren Kunden siv!) bereits in den letzten Monaten sehr erfolgreich wahr- genommen haben. Ohne die Unterstützung derer, Sie müssen sich darüber im klaren sein - ich sage die in unmittelbarem Kontakt mit dem- Kunden am dies ohne jede Polemik, sondern mit Bedacht, weil es Bankschalter stehen, wird die Politik nicht in der hier um eine langfristige Konzeption der Politik der Lage sein, die Wirtschafts- und Währungsunion zu Europäischen Union geht -, daß mit dieser Forde rung erklären und den Menschen verständlich zu machen. eine Reihe von Problemen ausgelöst werden. Sie Deswegen danken wir den Banken, den Sparkassen müssen die Frage beantworten, in welchem Verhält- sowie den Volksbanken und Raiffeisenbanken für nis eine nationale Verantwortung zur europäischen diese Arbeit. Verantwortung steht, wenn die europäische Politik die Verantwortung für die Arbeitsmarktpolitik über- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tragen bekommt. Ich möchte in diesen Dank auch den Arbeitsstab einschließen, den die Bundesregierung eingerichtet Sie müssen die Frage beantworten, wie diese euro- hat unter der Führung des Bundesfinanzministers mit päische Verantwortung mit der im Grundgesetz der allen beteiligten Ressorts, mit allen Bundesländern, Bundesrepublik Deutschland niedergelegten Tarif- den Kommunen, den Trägern der Sozialversicherun- autonomie vereinbar ist. Wenn Sie darüber hinweg- gen und der Bundesbank über die technische Um- gehen, dann will ich Ihnen ein politisches Argument stellung zur Wirtschafts- und Währungsunion. Dies nennen, das uns dieses Thema außerordentlich klingt sehr technisch und ist in Wahrheit der ent- schwierig erscheinen läßt. Was passiert eigentlich, scheidende Schritt hin zur praktischen Umsetzung in wenn die Bundesregierung und der Europäische Rat die letzte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion. den Forderungen derer folgen, die ein solches Be- schäftigungskapitel mit aktiver Beschäftigungspoli- Weil darüber in der Presse etwas unvollständig be tik der Europäischen Union fordern und in den Ver- richtet worden ist, möchte ich darauf hinweisen, daß trag aufnehmen, und wir nach zehn Jahren feststel- eine Entscheidung darüber, ob die öffentliche Ver- len müssen, daß die hohen Erwartungen, die damit waltung erst zum spätestmöglichen Zeitpunkt, näm- verbunden sind, von der Europäischen Union nicht lich zum 1. Januar 2002, auf den Euro umstellt oder erfüllt werden konnten? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15725

Friedrich Merz Meine Damen und Herren, mit einer solchen Poli- Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tik würden Sie der Zustimmung zur europäischen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mir ist Politik in Deutschland mehr Schaden zufügen, als am Ende der Debatte ein Aspekt übriggeblieben, der wenn Sie den Bürgern in unserem Land heute sagen, hier noch keine Erwähnung gefunden hat. In der vo- daß Beschäftigungspolitik in erster Linie von der na- rigen Woche hatten wir ein für die zukünftige euro- tionalen Ebene ausgehen muß. Deswegen lehnen wir päische Währungspolitik bedeutsames und überra- dies ab. schendes Ereignis: Die Freigabe der Geld- und Zins- politik der altehrwürdigen Bank of England, die da- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mit vom Staat unabhängig geworden ist. Dies muß Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal auf die nicht bedeuten, daß England jetzt von Anfang an die Sparzwänge eingehen und hierzu eine abschlie- Teilnahme an der Währungsunion anstrebt. Aber die ßende Bemerkung machen. Es hat heute morgen Erfüllung einer notwendigen Bedingung dafür und einen gewissen Widerspruch zwischen den beiden damit die Öffnung einer Option hierauf ist es denn Rednerinnen der SPD, Frau Wieczorek-Zeul und doch. Frau Matthäus-Maier, in der Frage gegeben, wofür Schon hört man auch hier abwehrende Stimmen, denn Konsolidierungsanstrengungen notwendig sei es die des Landeszentralbankchefs aus Nieder- seien. sachsen oder die unseres Finanzministers, die auf die (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Zwi Notwendigkeit einer vorherigen zweijährigen Teil- schen uns paßt noch nicht einmal ein Blatt nahme am EWS hin und damit England - rein vor- Papier!) sorglich - abweisen. Aber Art . 109 EG-Vertrag for- muliert als drittes Konvergenzkriterium nicht eine Meine Damen und Herren, es muß auch in deklarierte formelle Teilnahme am EWS, sondern die Deutschland gespart werden. Ich möchte aus der Presseerklärung zum 1. Mai des Pressedienstes der Einhaltung der normalen Bandbreiten des Wech- SPD, herausgegeben am 30. April 1997, die stellver- selkursmechanismus des Europäischen Wäh- tretende Fraktionsvorsitzende Matthäus-Maier zitie- rungssystems seit mindestens zwei Jahren. ren. Es heißt wörtlich: Diese Bandbreiten hat England, auch ohne in den Gespart werden muß sowohl in Deutschland wie letzten zwei Jahren formell dazuzugehören, einge- auch in allen anderen europäischen Staaten an- halten. Letztlich ist die Entscheidung über die Teil- gesichts der aufgehäuften Schulden, völlig unab- nahme und die Teilnehmer an der Währungsunion, hängig davon, ob es Maastricht gibt oder nicht. die der Europäische Rat in einem Jahr zu fällen hat, Wir dürfen nirgendwo die finanziellen Hand- eine politische Entscheidung. lungsspielräume des Staates in Gegenwart und Ich erinnere daran, daß noch vor kurzem einzig Lu- Zukunft auf null zurückschrauben, was wir bei xemburg die Aussicht auf volle Erfüllung aller Kon- Verzicht auf Konsolidierung allerdings täten. vergenzkriterien bot, aber allen klar war, daß es Frau Matthäus-Maier, wir folgen Ihnen auf diesem ohne Deutschland und Frankreich nicht gehen Weg, weil wir Spar- und Konsolidierungsanstrengun- würde und deshalb am Ende eine politische Interpre- gen für notwendig halten, unabhängig von dem im tation der Kriterien stehen würde. Heute wächst Ita- Maastricht-Vertrag niedergelegten Ziel der Haus- lien tendenziell eher in die Konvergenz hinein; wir haltskonsolidierung. wachsen tendenziell dank der Finanzpolitik unseres - Finanzministers eher hinaus. Frankreich hat sich in Deswegen, Frau Wieczorek-Zeul, ist es völlig ab- einen riskanten Wahlkampf gestürzt, um die Hand- wegig, die Bemühungen um Konsolidierung der öf- lungsfreiheit für unpopuläre Maßnahmen zu gewin- fentlichen Haushalte in einen Zusammenhang mit nen, die dann die Erfüllung der Konvergenzkriterien dem Maastricht-Vertrag zu bringen. gewährleisten sollen. Wir sollten die Chance der Stunde nutzen, um die Beteiligung Englands wirk- (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Das lich offensiv werben und uns davor hüten, Ländern war doch Waigel!) wie Italien, die sich so sehr um die Teilnahme an der - Nein, Sie haben heute morgen ganz generell in Währungsunion bemühen und massive Vorleistun- Frage gestellt, daß die öffentlichen Haushalte konso- gen erbracht haben, die Tür vor der Nase zuzuschla- lidiert werden müssen, und haben unsere Konsolidie- gen. rungsanstrengungen in Zusammenhang mit dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Maastricht-Vertrag gebracht. Dies hat nichts mitein- ander zu tun. Deswegen wollen wir sparen. Wir wol- Letztlich geht es doch darum, ob durch die Wäh- len die Ziele des Maastricht-Vertrages und pünktlich rungsunion ein Schritt zur Vertiefung der europäi- am 1. Januar 1999 die dritte Stufe der Wirtschafts- schen Einheit oder zu einer Spaltung Europas ge- und Währungsunion erreichen. macht wird. Ich glaube nicht daran - wie viele von Ih- nen -, daß, wer etwas später kommt, auch noch so Vielen Dank. bequem hereingeht. Bei so eklatanter Zurücksetzung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) jetzt kann man durchaus entdecken, daß man bei floatender Eigenwährung wi rtschaftspolitisch sehr viel klüger fährt. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Helmut Lippelt, Bündnis Wir wissen, daß der Endspurt zur Währungsunion 90/Die Grünen. nicht nur vom Wahlkampf überlagert sein wird, son- 15726 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Dr. Helmut Lippelt dem auch von Interpretationen der Zusammenhänge Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Liebe Kollegin- zwischen dem Projekt Währungsunion, den Zahlen nen und Kollegen! Der Vorredner von Herrn Lippelt, der Arbeitslosenstatistik und den wirtschafts- und Herr Merz, hat hier behauptet, von mir seien die So- beschäftigungspolitischen Reaktionen hierauf. Das zialkürzungen unzulässigerweise mit der Erreichung bedeutet, das Projekt Währungsunion ist demago- der Stabilitätskriterien in Bezug gebracht worden. gisch ausbeutbar. Wir erleben da die seltsamsten Bündnisse; eines haben wir gerade heute morgen er- Ich stelle hier fest - das habe ich heute morgen ge- lebt. Dazu sage ich nur dieses an die Adresse von sagt und sage es jetzt noch einmal -: Derjenige, der Herrn Gysi: Die Diskussion um die Währungsunion solche Sozialkürzungen, die er aus ganz anderen ist zwanzig Jahre alt. Bei den Grünen ist sie vielleicht Gründen durchführen will, unzulässigerweise propa- vier Jahre alt. Bei Ihnen hat sie gerade jetzt angefan- giert, ist Theo Waigel. Wer das macht und behauptet, gen. Vor zwei Jahren vertrat auch ich die Krönungs- es sei der Europäischen Union wegen, der betrügt theorie, die Herr Gysi vorgetragen hat; vor einem die Bevölkerung und schadet dem Ansehen der Jahr war ich für die Einführung des Euro als Zweit- Europäischen Union. währung. Heute hat die Einführung des Euro längst (Beifall bei der SPD) begonnen. Ihn jetzt abzulehnen oder - das ist Herrn Schröder zu Recht vorzuwerfen - den Terminplan in Ich belege das mit dem Zitat von Theo Waigel im Frage zu stellen - „Spiegel" vom 24. März dieses Jahres - so lange ist das noch gar nicht her -; ich zitiere wörtlich: (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Was wol len die Grünen?) Wir haben eine gute Chance, das Drei-Prozent- Defizit-Kriterium des Maastricht-Vertrages zu er- - Herr Haussmann, ich bin vielleicht nicht so schnell füllen. Gegebenenfalls müssen noch zusätzliche und ein bißchen kompliziert, aber vielleicht kommt Maßnahmen ergriffen werden, um auf der siche- dabei mehr heraus ren Seite zu sein. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten Spiegel: Woran denken Sie? des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Waigel: An weitere Einsparungen bei der Sozial- hilfe vor allem. bedeutet, in diesem Punkt eine europäische Katastro- phe herbeizuführen. Das zu sagen war ich dabei. (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Okay!) Ich muß sagen: Ein Finanzminister, der sich dera rt aufführt, schadet im Bewußtsein der Bevölkerung Trotzdem muß gesagt werden: Das Projekt „Wäh- der europäischen Einigung und macht der Bevölke- rungsunion" ist in der wirtschaftspolitischen Wir- rung etwas vor. Diese Bundesregierung und dieser kung zunächst antizyklisch, - und da liegt das Pro- Finanzminister sind angetreten für Sozialkürzungen blem unseres Finanzministers. Dieses Projekt, die auf Grund ihrer unsinnigen, verfehlten wirtschafts- Konsolidierungspolitik, deren Notwendigkeit ich und finanzpolitischen Umverteilungspolitik. nicht bestreite oder in Abrede stelle, muß von einem (Beifall bei der SPD) wirklichen Umbruch der Wirtschaftspolitik begleitet werden, so daß die Folgen bezüglich der Arbeits- Dies praktiziert er. Das hat mit Europa nichts zu tun. - plätze anders angegangen werden können, als es mit Das hat mit den Maastricht-Kriterien nichts zu tun. dieser Wirtschaftspolitik geschieht. Ich fordere ihn auf, sich endlich hinzustellen und zu sagen, daß er hier die Unwahrheit sagt. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- (Beifall bei der SPD) ter, bitte kommen Sie zum Schluß. Ihre Redezeit ist längst überschritten. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hansjürgen Doss, CDU/CSU- Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fraktion. Ja, ich bin beim Schlußsatz. Solange dieses Problem nicht durch eine intelli- Hansjürgen Doss (CDU/CSU): Frau Präsidentin! gentere Wirtschaftspolitik dieser Regierung gelöst Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Liebe wird, so lange erinnert mich unser Finanzminister an Kollegen! Als Scharping meinte, wir seien uns im Herrn Brüning, der immer Konsolidierung betrieb, Ziel einig - kleinkarierte Münze über das Gerede bis die Arbeitslosenzahlen und die sozialen Probleme von Europa -, und Frau Matthäus-Maier, wie ich Deutschlands über ihm zusammenbrachen. fand, sehr beeindruckend ihr Bekenntnis zu Europa dargelegt hat, habe ich Hoffnung geschöpft. Wir soll- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten ja bei den parteipolitischen Auseinandersetzun- sowie bei Abgeordneten der SPD) gen auch hier im Hohen Hause nicht übersehen, daß das Fernsehen, daß die deutsche Öffentlichkeit mit verfolgt, was hier geschieht. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wo rt (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Gerade des zu einer Kurzintervention. wegen!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15727

Hansjörgen Doss Das Bild, das ich von Ihnen bedauerlicherweise Wir werden das Wettbewerbsgefälle in Europa we- habe, ist dann wieder bestätigt worden. Sie haben in, der wegverhandeln noch per Dekret wegbekommen. wie ich finde, maßlosen, parteipolitischen Attacken Wir müssen uns schlicht und einfach diesem Wettbe- unseren Finanzminister angegriffen. Sie, wie auch werb stellen. Dazu müssen die letzten Grenzen - das Frau Wieczorek-Zeul, haben Ihre subjektiven Bewer- sind die Währungsgrenzen - fallen. Das wird nicht tungen zu sozial- und wi rtschaftspolitischen Fragen durch zögerliche Untätigkeit geschehen, sondern nur in den Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung ge- durch aktives Handeln. stellt, die wir führen sollten, um Europa ein Stück at- traktiver zu machen. Damit Sie sich überhaupt keine (Beifall bei der CDU/CSU) Illusionen machen, sage ich Ihnen: Wir werden uns Das wird diese Koalitionsfraktion mit Nachdruck be- durch diese maßlosen Attacken und überzogenen treiben. Davon können Sie ausgehen. parteipolitischen Angriffe nicht davon abb ringen las- sen, für dieses einmal von uns formulierte Ziel der Die entscheidenden Vorteile sind in manchen der europäischen Einigung - dazu gehört letztlich auch Reden durchgeblitzt, nämlich Kostenersparnis für und ganz entscheidend der Euro -, zu dem Sie sich Exporte und Importe, Wegfall der Wechselkurs- zumindest verbal bekennen, einzutreten. Wir werden schwankungen und mehr Preistransparenz. Der. Euro dafür arbeiten, statt Zweifel zu säen. wird am Ende nicht nur Zahlungsmittel sein, sondern er wird auch veränderte Marktbedingungen in Eu- Den Widerspruch in Ihrer Partei müßten Sie klären. ropa schaffen. Eine gemeinsame Währung wird die Schröder hat gestern auf dem Kongreß der Volksban- Märkte in Europa weiter öffnen und Wettbewerbsbe- ken wiederum die Verschiebung des Termins ange- dingungen im Kreise der beteiligten Länder anglei- mahnt. Von einem Redner der Grünen, Herrn Lip- chen. pelt, ist deutlich gemacht worden, daß das Scheitern Für mittelständische Unternehmen wie auch für dieser Politik eine europäische Katastrophe wäre. Ich die freien Berufe bis hin zu den großen Handwerks- teile diese Auffassung und diese Bewe rtung. Vor die- betrieben bringt die Wirtschafts- und Währungs- sem Hintergrund bitte ich alle, die sich auf diese A rt union große Vorteile: bessere internationale Kalku- mit Europa auseinandersetzen und die im Grunde lierbarkeit der Preise und eine Reihe von anderen genommen Europa benutzen, um diese Regierung zu Faktoren mehr, auf die ich jetzt nicht näher eingehen beschädigen, daß sie sich ihrer Verantwortung be- möchte. wußt werden und sich nicht in der Art äußern, wie sie es getan haben. Unbestreitbar sind die Vorteile für die Indust rie. Das dürfte wohl außerhalb jeder Diskussion sein. Sie (Beifall bei der CDU/CSU) hat ebenso große Vorteile für die mittelständische Wirtschaft, in der es noch ein großes Informationsde- Die Zukunftschancen unseres Kontinents liegen in fizit gibt. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir der Einigkeit Europas. Mit der deutsch-französischen trotz des Preiswettbewerbs, den wir in vielen Diszi- Aussöhnung und Zusammenarbeit, der Gründung plinen nicht in dem Maße bestehen, wie dies notwen- der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der Ein- dig wäre, mit unserer hohen Qualifikation mittelstän- heitlichen Europäischen Akte, dem Fall des Eisernen discher Unternehmen in Deutschland an der Spitze Vorhangs und der Einführung des gemeinsamen Bin- Europas stehen. Ich denke hier an einige Sparten des nenmarktes innerhalb der EU sind wir ein großes Mittelstandes, die ich wirklich auch aus meiner eige- Stück weitergekommen. Nach diesen Schritten muß nen beruflichen Erfahrung nennen wi ll: Energietech- jetzt natürlich die letzte entscheidende europäische nik, Klimatechnik, Informationstechnik und Maschi- Grenze fallen. Das ist die Grenze der nationalen nenbau. Diese Qualifikation wird über die jetzt noch Währungen. Wir konnten leider auch in dieser De- vorhandenen Ländergrenzen hinweg in Europa batte feststellen - ich habe das bereits erwähnt -, daß nachgefragt. Das ist eine wirklich große Chance für die Auseinandersetzung um den Euro vordergründig kleine und mittlere Unternehmen. parteipolitisch genutzt wird, was ich außerordentlich Ich will kurz auf die Sorgen eingehen, die artiku- bedaure. liert werden. Hier gibt es eine Umfrage der Düssel- dorfer Handwerkskammer. Bei dieser Umfrage Wir sind der Auffassung, daß die Konsolidierung wurde überwiegend Skepsis festgestellt. Es stand des Haushaltes zwecks Einhaltung der Maastricht- jetzt in der Zeitung: Handwerk befürchtet Mehrko- Kriterien von Ihnen verunglimpft und als restriktive sten für den Euro. Wenn man sich diese Umfrage et- Politik - die Grünen sagen, die ökologisch-soziale was näher anschaut, stellt man fest, daß 92 Prozent Reformpolitik der EU würde dadurch außerordentlich der Handwerker, die befragt wurden, sicher sind, erschwert - diskriminiert wird. So funktioniert das daß der Euro kommt. 80 Prozent fühlen sich über den nicht, auch nicht nach dem Motto von Oskar Lafon- Ablauf der Währungsumstellung noch nicht ausrei- taine: Alle anderen Länder Europas müßten genauso chend informiert. 50 Prozent konnten nicht angeben, hohe Kostenbelastungen haben wie wir, dann wür- welche Auswirkungen die Währungsumstellung für den die Wettbewerbschancen für uns schon wieder die Unternehmen haben. Dann verwundert im besser werden. Ich glaube, daß das Gegenteil der Grunde genommen die skeptische Haltung zum Euro Fall ist. Die Länder tun nämlich das genaue Gegen- nicht. teil. Sie wollen aufholen und Wohlstand für sich erar- beiten. Sie entwickeln sich deshalb zu attraktiven Skepsis ist hier die natürliche Folge eines Informa- Wirtschaftsstando rten, entfalten dynamisches Wi rt tionsdefizits. Das heißt mit anderen Worten: Wir sind -schaftswachstum und schaffen damit Arbeitsplätze. gefordert, mehr über den Euro und über unsere ge- 15728 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Hansjörgen Doss meinsame europäische Zukunft zu informieren. Wir Hans-Wilhelm Pesch sind gefordert, jene zu unterstützen, die diesen Infor- Hildebrecht Braun (Augsburg) mationsprozeß begleiten und dynamisch nach vorne treiben. Ich meine damit unsere Kammern, die IHKs, b) Beratung und Beschlußempfehlung und des die Handwerkskammern und die Volksbanken. Das Berichts des Ausschusses für Raumordnung, ist zum Teil erwähnt worden. Ich bin der Meinung: Bauwesen und Städtebau (18. Ausschuß) Wir tragen hier als Deutscher Bundestag eine beson- - zu dem Antrag der Abgeordneten Helmut ders große Verantwortung. Deswegen lassen Sie uns Wilhelm (Amberg), Franziska Eichstädt- mit diesem, wie ich finde, parteiübergreifenden Bohlig und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Thema in Zukunft etwas sorgfältiger umgehen, mehr GRÜNEN aufklären und dafür werben, diesen europäischen Ei- nigungsprozeß nicht zu vordergründigen parteipoliti- Für ein soziales und ökologisches Städte- schen Interessen zu mißbrauchen. bau- und Raumordnungsrecht Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. - zu der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bericht zu den Ergebnissen der Rechtstat- sachen- und Wirkungsforschung bezüglich Vizepräsidentin Michaela Geiger: Liebe Kollegin- der neuen und geänderten städtebaulichen nen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Vorschriften Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- - Drucksachen 13/6384, 13/5489, 13/5655 ßungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache Nr. 4, 13/7588, 13/7589 - 13/7652. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- trag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Berichterstattung: Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/ Abgeordnete Walter Schöler CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD bei Ent- Peter Götz haltung der Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen Josef Hollerith und PDS abgelehnt. Gabriele Iwersen Hans-Wilhelm Pesch Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Hildebrecht Braun (Augsburg) ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7658. Wer stimmt für diesen Ent- Zum Bau- und Raumordnungsgesetz liegen ein schließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Änderungsantrag der Fraktion der SPD, ein Ände- Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stim- rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, men von CDU/CSU, F.D.P. und der Fraktion acht Änderungsanträge der Gruppe der PDS sowie je Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Stimmen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und von SPD und PDS abgelehnt. der PDS vor. Außerdem haben die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen gemeinsa- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- men Änderungsantrag eingebracht. ßungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/ 7629. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Ent- für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich schließungsantrag gegen die Stimmen des ganzen höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Hauses außer der PDS abgelehnt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Ab- geordnete Dr.-Ing. Dietmar Kansy, CDU/CSU-Frak- Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: tion. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dr. - Ing. Dietmar Kansy (CDU/CSU): Frau Präsiden- Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuchs tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Stehen und zur Neuregelung des Rechts der Raum- wesentliche Gesetzesänderungen beispielsweise im ordnung (Bau- und Raumordnungsgesetz Bereich Renten, Gesundheit oder Steuern an, melden 1998 - BauROG) sich selbstverständlich in einem großen Umfang Fachleute zu Wo rt und beraten uns. Diese Themen - Drucksache 13/6392 - führen aber auch zu einer breiten Diskussion in der Bevölkerung. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus (Erste Beratung 145. Sitzung) dem Fachausschuß Raumordnung, Bauwesen und Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Städtebau, wir wissen: Leider ist dies bei uns nicht schusses für Raumordnung, Bauwesen und so. Städtebau (18. Ausschuß) (Minister Dr. Michael Vesper [Nordrhein- - Drucksachen 13/7588, 13/7589 - Westfalen]: Woran liegt das?) Berichterstattung: - Herr Kollege, Zwischenrufe von der Bundesrats- Abgeordnete Walter Schöler bank sind hier nicht üblich. Peter Götz Josef Hollerith Obwohl letztendlich alle Menschen in diesem Gabriele Iwersen Land betroffen sind, wenn es darum geht, wie sich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15729

Dr.-Ing. Dietmar Kansy ihre Ortschaften, ihr Wohnumfeld oder sogar ihre sie wären für dieses Thema weniger sensibel als wir persönlichen Wohn- und Arbeitsverhältnisse entwik- im Deutschen Bundestag. keln, spielt diese Gesetzgebung in der Öffentlichkeit leider - jedenfalls bis heute - eine untergeordnete (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Rolle. Das ist nicht angemessen. Wenn wir in unsere Ge- Obwohl wir sehr intensiv mit Fachleuten auf vielen setzgebung einige der Vorschläge einarbeiten wür- Ebenen, auf vielen Veranstaltungen, in Anhörungen, den, die man teilweise in der Anhörung vorgebracht in Planspielen usw. diskutiert haben: Meine Damen hat, würden wir das, was wir brauchen, nämlich De- und Herren, dies ist kein Gesetz allein für einige tau- mokratie von unten, nicht stärken, sondern schädi- send Fachleute und einige hundert Fachpolitiker, gen. sondern für alle Menschen in diesem Lande. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir sollten auch bei dieser heutigen Debatte und Ich gebe allerdings auch folgendes zu - das ist, ehr- an anderer Stelle immer wieder eines bedenken: lich gesagt, von uns gewollt -: Mehr Rechte bedeuten Wenn wir vor dem Plenum des Deutschen Bundesta- auch mehr Verantwortung. So manche Flucht aus ges, vor der deutschen Öffentlichkeit debattieren, dieser Verantwortung wird Stadträten, wo das ein werden wir nur dann Aufmerksamkeit finden, wenn wenig hochgekocht wurde und wo gesagt wurde, wir das in einer Sprache tun, die nicht nur Ju risten daß der Landkreis, der Regierungspräsident, die Lan- und Spezialisten verstehen, sondern alle, die in Wirk- desregierung, die Bundesregierung - wer auch im- lichkeit viel stärker betroffen sind, als Sie glauben, mer - schuld sei, etwas erschwert. Das ist aber ge- wenn Sie solche scheinbar spröden Gesetzesvorha- wollt. Zu Rechten gehört auch die Verantwortung. ben beschließen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU) Ein weiteres zentrales Thema ist der von mir schon Lassen Sie mich deswegen am Anfang dieser De- erwähnte Ausgleich zwischen den Ansprüchen des batte kurz die politischen Ziele der CDU/CSU-Bun- Naturschutzes und denen des Bauens. Mein Kollege destagsfraktion zusammenfassen. Dieses Gesetz Peter Götz, der sich für die CDU/CSU als Hauptbe- schafft sieben Jahre nach der deutschen Einheit ein richterstatter dieses Gesetzes große Verdienste er- einheitliches Städtebaurecht für ganz Deutschland. worben hat Wir übernehmen bewäh rte Instrumente aus der Bun- desrepublik alt. Wir übernehmen aus den neuen Län- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dern bisher ausschließlich dort erprobte Regelungen - ich bedanke mich; ich darf hier selber ja nicht klat- jetzt dauerhaft in ein gemeinsames gesamtdeutsches schen -, wird in dieser Debatte auf diesen Aspekt Gesetzbuch. ausführlich genauso eingehen wie auf die Fragen der Wir übernehmen außerdem Regelungen, die wir Nachhaltigkeit des städtebaulichen Handelns und damals in den Zeiten eines sehr angespannten Woh- der Modernisierung des Raumordnungsgesetzes. nungsmarktes zunächst einmal nur bef ristet in dem Zum Thema Bodenrecht wird dies meine Kollegin sogenannten Maßnahmengesetz übernommen ha- Hannelore Rönsch tun. ben. Da sich diese Regelungen bewäh rt haben, müs- (Dr. Peter Struck [SPD]: Wer redet denn sen wir, wenn sie nicht auslaufen sollen, jetzt ent- sonst noch, Herr Kansy?) scheiden, daß sie endgültig Dauerrecht werden. Auch das ist Aufgabe dieses Gesetzgebungsverfah- Lassen Sie mich deswegen aus der Fülle der ge- rens. setzlichen Regelungen und der rund 100 Anträge, die allein aus der Mitte des Deutschen Bundestages Meine Damen und Herren, ein zentrales Anliegen zu dem Gesetzentwurf der Regierung kamen, einige dieses Gesetzes ist es, die Planungsverfahren auch herausgreifen. im Interesse des Standortes Deutschland, zur Be- kämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Flexibilisie- Ich habe bereits gesagt: Die Stärkung der kommu- rung unserer Gesellschaft zügiger und überschauba- nalen Selbstverwaltung ist ein zentrales Anliegen rer zu machen. Wenn Zweifel bestehen, ob irgendein der CDU/CSU. Wir sind deswegen zum Beispiel der behördliches Verfahren notwendig ist oder nicht, ha- Auffassung, daß für Bebauungspläne, die aus einem ben wir uns in der Koalition zugunsten von weniger von der höheren Verwaltungsbehörde genehmigten Bürokratie entschieden. Wenn wir darüber hinaus zu Flächennutzungsplan heraus entwickelt werden, der Auffassung gekommen sind, daß die kommunale nicht nur das Genehmigungsverfahren, sondern Selbstverwaltung Entscheidungen genausogut selbst auch das Anzeigeverfahren wegfallen kann. Denn treffen kann, haben wir uns für die kommunale wenn Sie durch die Lande gehen, von Nord nach Selbstverwaltung entschieden. Süd, von Ost nach West, werden Sie finden: Es hat sich manchmal nichts geändert; nach wie vor wird Ich halte manche Kritik für überflüssig und teil- dieses Verfahren dazu benutzt, Gemeinden seitens weise sogar für arrogant, die zum Beispiel in bezug bestimmter Aufsichtsbehörden selbst in reinen auf den schwierigen Abgleich zwischen Naturschutz Zweckmäßigkeitsfragen zu gängeln. Auch das wol- auf der einen Seite und Bauen auf der anderen Seite len wir nicht; wir wollen Verantwortung vor O rt. geäußert wird. Damit wird unseren Kolleginnen und Kollegen in den Kommunalparlamenten unterstellt, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 15730 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Dr.-Ing. Dietmar Kansy Ein nicht ganz ohne Emotionen diskutiertes Thema spiel beim Landschaftsschutz, bei Wohn- und Ar- war der Wegfall der Teilungsgenehmigung. Jährlich beitsplätzen zu langen Diskussionen und manchen werden rund 200 000 dieser Verfahren durchgeführt, schwer gefundenen Kompromissen geführt haben, mit dem Ergebnis, daß nur wenige Fälle auftreten, in vorlegen. Seien Sie ehrlich: Auch Sie haben in Ihrer denen durch eine Versagung städtebauliche Miß- Fraktion gestritten. Die Einmütigkeit, die Sie jetzt stände wirklich verhindert werden. Die Behauptung, vorgeben, bestand nicht. die Teilungsgenehmigung biete dem Käufer mehr Si- cherheit, ist doch nicht stichhaltig genug; denn er Wie das im Faxzeitalter so ist: Faxe laufen plötzlich kann die Frage, ob er bauen kann oder nicht, durch falsch. Bedauerlicherweise lief ein Fax der SPD-Ar- eine Bauvoranfrage klären, die er heute meistens zu- beitsgruppe Raumordnung, Bauwesen und Städte- sätzlich zur Teilungsgenehmigung gestellt hat oder bau im Bundeskanzleramt auf. In dem Fax stand zur stellen muß. Frage Natur und Landschaft auf der einen Seite und Bauen auf der anderen Seite geschrieben: Die Frak- Die CDU/CSU begrüßt ausdrücklich auch die Vor- tion sollte sich in der Frage nicht aus dem Fenster stellung der Bundesregierung, Hilfestellung für den hängen. Ich meine, das sollte sie auch in anderen Strukturwandel in der Landwirtschaft zu geben. Es Fragen nicht tun. kann nicht verantwortet werden, Landwirte, die ih- ren Betrieb aufgegeben haben, letztendlich dazu zu Wir werden jetzt zu einer zügigen und modernen zwingen, ihre Gebäude im Außenbereich verfallen Lösung kommen. Ich bedanke mich beim Baumi- zu lassen. Man muß jetzt einmal Klartext reden: Sie nister, bei den Damen und Herren seines Hauses und sollen sie nach unserer Auffassung statt dessen leich- bei den Gemeinden und Ländern, die uns geholfen ter und umfangreicher anders nutzen können; das haben, ebenso bei der Opposition, die uns nicht zu- gilt für Ost- und Westdeutschland gleichermaßen. stimmen will. Im übrigen finde ich, daß die Gegenargumente, Es ist ein gutes Gesetz, das auf Zukunft setzt in ei- die von Vertretern des Landschaftsschutzes vorge- ner Zeit, in der wir Veränderungen brauchen. bracht werden, nicht ganz nachvollziehbar sind. Nach Auffassung der Union jedenfalls ist es langfri- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stig auch im Sinne des Natur- und Landschaftsschut- zes sinnvoller, vorhandene Gebäude zu nutzen, statt neue Flächen auszuweisen, wenn es darum geht, die Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat Ansiedlung von Gewerbe oder den Bau von Woh- jetzt der Abgeordnete Walter Schöler, SPD. nungen zu ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU) Walter Schöler (SPD): Frau Präsidentin! Meine lie- Nun haben wir uns mit der SPD-Bundestagsfrak- ben Kolleginnen und Kollegen! Es ist erfreulich, tion und auch mit den anderen Oppositionsparteien wenn es Fraktionsmitarbeiter gibt, die vorausschau- bedauerlicherweise auf keine einheitliche Meinung, end feststellen, daß wir bereits das Bundeskanzler- was das gesamte Gesetz betrifft, verständigen kön- amt besetzt haben. Daß do rt manchmal unsere Faxe nen. Die SPD begründet dies unter anderem - nicht falsch ankommen, ist nicht weiter tragisch. Es stan- ausschließlich; wir sind ja am Beginn der Debatte - den keine Staatsgeheimnisse da rin. Herr Dr. Kansy, damit, daß wir Ihren Anträgen nicht zugestimmt ha- Sie haben das ja festgestellt. ben. Dies ergab sich nicht aus Gründen irgendeiner Konfrontation, sondern dies waren Sachentscheidun- Die Koalition - wie soeben Herr Dr. Kansy - feiert gen. das Bau- und Raumordnungsgesetz als wichtigen (Lachen bei der SPD - Achim Großmann Schritt zum Abbau von Bürokratie und zur Vereinfa- [SPD]: Der Rasenmäher war das!) chung und Verfahrensbeschleunigung zugunsten von Bürgern, Bauherren und Verwaltung. Wenn Sie zum Beispiel eines unserer zentralen Themen, nämlich mehr kommunale Verantwortung (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Zu bei Wegfall der Vorlagepflicht und ähnliches, ableh- Recht!) nen, wenn Sie zum Beispiel im Bereich der Landwirt- schaft darauf bestehen, Sie müßten wesentliche Än- - Das werden wir gleich sehen, Herr Braun. derungen eines Gebäudes ausschließen und damit de facto den Bauern Steine statt Brot geben - es ist Sie übersehen dabei nicht nur, daß der Kabinetts- meiner Meinung nach sinnvoll, die äußere Gestalt ei- entwurf in einer Vielzahl von Punkten verändert wer- nes Gebäudes zu erhalten und dennoch im Inneren den mußte, um überhaupt die heutige Plenardebatte Möglichkeiten zu geben, das Gebäude nach moder- zu erreichen; denn betrachtet man die einzelnen In- nen Erfordernissen herzurichten -, dann gibt es eben halte der Novelle, ist festzustellen, daß der enorme keine Gemeinsamkeit mit uns. Aufwand der letzten Jahre mit einer Vielzahl von Gutachten, dem Bericht der Expertenkommission, Deswegen werden wir Ihnen dieses Gesetzeswerk den Ergebnissen des Planspiels und der Anhörungen bei allem Respekt - ich bedanke mich für die sachli- mit vielen richtungweisenden Vorschlägen auch der che und zügige Beratung des Gesetzentwurfs - nach kommunalen Praktiker in der jetzt zur Abstimmung langen Abwägungsprozessen, Herr Kollege Groß- stehenden Vorlage nur ansatzweise berücksichtigt mann, die auch innerhalb unserer Fraktion - ich rede wurde und die Vorlage daher nicht, wie eben darge- ausnahmsweise nicht von der Koalition - zum Bei- stellt, ein gelungenes Werk ist. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15731

Walter Schöler Die Koalition präsentiert uns heute ein mißlunge- gen gefährdet als durch die Einhaltung demokrati- nes Reförmchen: Bundesregierung und Koalition scher Spielregeln bei der Bürgermitwirkung. sind den Anregungen der intensiven Diskussionen mit Fachvertretern, der Öffentlichkeit und der Fülle Der vorgesehene Wegfall der Teilungsgenehmi- von Änderungsanträgen - 88 aus dem Bundesrat und gung - Herr Dr. Kansy hat es eben angesprochen - viele aus der Opposition - in wesentlichen Bereichen führt nicht zu einem schlankeren Staat, nicht zur Ein- nicht gefolgt. Die Chance, im Rahmen .der Schaffung sparung von Verwaltungskapazität und in den mei- eines einheitlichen Bau- und Planungsrechts in ganz sten Fällen ebenfalls nicht zu der von Ihnen ange- Deutschland zu grundlegenden Änderungen zu strebten Beschleunigung. Wir befürchten, daß damit kommen, hat die Koalition damit vertan. der Entwicklung städtebaulicher Mißstände und der Umgehung von Festsetzungen der Bebauungspläne (Beifall bei der SPD) Vorschub geleistet wird. Dies ist im Rahmen des Planspiels und zahlreicher Stellungnahmen von kom- Der Bundesbauminister hat gelegentlich darauf munalen Praktikern deutlich geworden. hingewiesen, daß es kein parteipolitisches Bauge- setzbuch gibt. Dem kann ich durchaus zustimmen. Rund 200 000 Teilungsgenehmigungen pro Jahr Doch wenn das so ist, dann muß die Frage erlaubt nehmen bei der behördlichen Bearbeitung nur eine sein, wieso kein einziger der Oppositionsanträge untergeordnete Rolle ein. Das ist bei einer 30000- auch nur eine Stimme aus dem Koalitionslager erhal- Einwohner-Stadt vielleicht eine pro Woche. Bei Tei- ten hat. lungsgenehmigungen wird aber häufig zugleich über die Bebauungsmöglichkeit des einzelnen Herr Dr. Kansy, Sie haben sich soeben dazu geäu- Grundstückes entschieden. Sie liegt also ebenso im ßert. Das war sehr unbefriedigend. Es gab keine Interesse der Grundstückserwerber und künftigen Sachgründe. „Augen zu und durch" war Ihre Parole. Bauinteressenten wie der kommunalen Planungsstel- len und trägt zur Rechtssicherheit bei. Wir legen Ihnen heute erneut Änderungsanträge vor, um noch notwendige Verbesserungen zu errei- Sie werden es sehen: Nun erfolgt eine Verlagerung chen. Die SPD-Fraktion hat sich dabei auf einige auf andere Instrumentarien, zum Beispiel die Bauvor- Schwerpunkte konzentriert, die ich Ihnen darstellen anfrage. Dies ist keine Vereinfachung, keine Be- möchte. schleunigung oder Verschlankung. Die Stärkung der kommunalen Planungshoheit ist Gleiches gilt im übrigen für den Wegfall der Anzei- für uns ein unverzichtbarer Grundsatz. Dieser steht gepflicht von Bebauungsplänen. Der in § 212a des dann aber in einem engen Zusammenhang mit dem Baugesetzbuches vorgesehene Wegfall der aufschie- Grundsatz der Beteiligung aller Einwohner und Bür- benden Wirkung von Widersprüchen oder Klagen ger an Planungsverfahren. Denn kommunale Pla- gegen erteilte Genehmigungen kann Bauherren nung bezieht sich nicht nur auf kommunale Dienst- noch dazu in Armut oder in den Konkurs treiben. stellen, Fachbehörden sowie Stadt- und Gemeinde- räte. Unmittelbare Bürgermitwirkung ist notwendig, Bei den Grundsätzen der Bauleitplanung hat das schafft auch neue Bezüge der Bürger zu ihren Ge- Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne ei- meinden und begründet Vertrauen in die Politik. ner dauerhaften Sicherung der ökologischen, wirt- schaftlichen und sozialen Lebensgrundlagen nicht (Beifall bei der SPD) ausreichend Eingang in den Gesetzentwurf gefun- den. Wir lehnen es deshalb ab, daß das Recht der Bür- ger, Bedenken gegen Planungen vorzutragen, im Ge- (Beifall bei der SPD) setz gestrichen werden soll. Bauleitpläne sollen eine menschenwürdige Umwelt (Achim Großmann [SPD]: Unglaublich!) sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen schützen und entwickeln sowie zu einer geordneten städte- Wir erwarten vielmehr Fingerspitzengefühl der Ver- baulichen Entwicklung einer am Wohl der Allge- antwortlichen beim Umgang mit den Bedenken und meinheit orientierten, sozial gerechten Bodenord- Sorgen der Bürger. Dazu gehört auch, daß Planoffen- nung beitragen. Diesem Ziel dienen auch die deutli- legungen nicht in Ferienzeiten durchgeführt werden, chere Verankerung des Bodenschutzes - im übrigen wie es kürzlich in einer Stadt meines Wahlkreises ge- bin ich sehr interessie rt, was Frau Rönsch nachher schehen ist - natürlich mit dem nachfolgenden Är- dazu sagen wird; sie hat an keiner einzigen Beratung ger. im Bauausschuß teilgenommen - und des Erhalts ökologisch bedeutsamer Flächen sowie die Vermei- Die Stärkung der Planungshoheit setzt auch vor- dung der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit aus, daß Möglichkeiten der materiellen Manipulation des Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes. verhindert werden . Es ist daher zu begrüßen, daß zum Beispiel die von der Regierung angestrebten Der Beschleunigung von Planungsverfahren, der Fristverkürzungen zum großen Teil verhindert wer- Durchführung notwendiger Investitionen und auch den konnten. Die Erfahrung in der Praxis zeigt auch, der Umwelt selbst kann es durchaus dienen, wenn daß die geringsten Verfahrenszeiten bei der Bürger- eine zeitliche und räumliche Entkoppelung von Ein- beteiligung beansprucht werden. Meist sind es ver- griffen und Ersatzmaßnahmen erfolgt. Die Gefahr, waltungsinterne Verfahrensabläufe, die endlos lange daß die vorgesehenen Maßnahmen auf den Sankt- Planungszeiten verursachen. Der Wi rtschaftsstando rt Nimmerleins-Tag verschoben werden, ist jedoch äu- Deutschland wird viel eher durch solche Verzögerun- ßerst groß. Diese Befürchtung wird dadurch genährt, 15732 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Walter Schöler daß die Koalitionsfraktionen noch in der letzten Bera- hene Neufassung des § 35 werden Baumöglichkeiten tungsrunde dem Wunsch einiger Bundesländer ent- im Außenbereich stark erweitert. Das geht uns be- sprochen haben, auf eine bundeseinheitliche Ein- deutend zu weit. Zunächst wollte die Regierung auch griffs- und Ausgleichsregelung zugunsten landes- die Änderung der Nutzung land- und forstwirtschaft- rechtlicher Vorschriften bis zum Jahr 2000 zu ver- licher Gebäude nur ermöglichen, wenn die Aufgabe zichten. Dies lehnen wir entschieden ab. Diese Rege- der bisherigen Nutzung nicht länger als fünf Jahre lung öffnet Tür und Tor, auf einen ökologischen Aus- zurückliegt. Sie dehnen die F rist jetzt auf mehr als gleich ganz zu verzichten und anerkannte Standards das Doppelte, nämlich auf 14 Jahre - zumindest in im Naturschutz deutlich zu unterschreiten. der Übergangszeit -, aus. Im Rahmen der Novelle soll der bisher im Bundes- Daß dem Strukturwandel in der Landwirtschaft naturschutzgesetz verankerte Baurechtskompromiß Rechnung zu tragen ist, verkennen auch wir nicht. in das Baugesetzbuch überführt werden. Hier hat es Eine sinnvolle Nutzung aufgegebener landwirt- lange Auseinandersetzungen zwischen der Bau- und schaftlicher Gehöfte soll auch künftig möglich sein. der Umweltpolitik gegeben. Wir haben von Anfang Wir treten deshalb für eine begrenzte Nutzung durch an deutlich gemacht, daß wir eine einheitliche Ge- Schaffung von Wohnraum und auch für eine gewerb- setzgebung begrüßen, die die Voraussetzung für liche Verwendung ein, soweit diese dem Charakter eine verbesserte Planung darstellt. Andererseits tre- des Außenbereichs entspricht und die äußere Gestalt ten wir jedoch allen Überlegungen entgegen, die ei- der Gebäude gewahrt bleibt. Wir verlangen jedoch nen Ausverkauf des Naturschutzes bedeuten wür- auch die Übernahme einer Verpflichtung der Eigen- den. Für uns kommt es daher nicht in erster Linie dar- tümer, im Falle einer Nutzungsänderung keine Neu- auf an, in welchem Gesetz oder an welcher Textstelle bebauung als Ersatz für aufgegebene Nutzungen sich Regelungen zum Schutz von Umwelt und Natur vorzunehmen. Sonst ist die Entwicklung schon heute wiederfinden. Für uns ist vielmehr wichtig, daß Ein- abzusehen: Dann gibt es einen Urlaub auf dem griffe im Rahmen der Bauleitplanung einen verstärk- Lande; der Stall wird zu Ferienwohnungen umge- ten Stellenwert erhalten; nach Möglichkeit sollen sie baut, die Scheune ebenfa lls; dann wird diese Anlage vermieden werden. ein Reiterhof; dafür braucht man Pferde, für diese (Beifall bei der SPD) wiederum Stallungen und Scheunen, und schon er- folgen die entsprechenden Erweiterungen. Die Land- Wo sie unvermeidbar sind - diese Fälle wird es häu- schaft wird zersiedelt. fig geben -, müssen sie im Rahmen der Abwägung bewertet und ausgeglichen werden. Sie wollen im übrigen durch die Hintertür alle ille- galen Tatbestände, die in den letzten Jahren im Die Neufassung des § 1 a des Baugesetzbuches Außenbereich eingerissen sind, legalisieren. Häufig kann in der kommunalen Praxis zu einer Verschlech- wurden solche Tatbestände erst festgestellt, wenn terung des Umweltschutzes gegenüber den bisheri- die Feuerwehr ausgerückt ist, weil es in der Auto- gen Regelungen führen, die im Naturschutzrecht werkstatt oder -lackiererei gebrannt hat. standen. Wir werden sie deshalb nicht mittragen. Hinzu kommt noch der finanzpolitische Aspekt: Im Bauausschuß hat die Koalition die Neufassung Außenbereichsbebauung ist teuer, hat finanzielle des § 1a des Baugesetzbuches und des § 8a des Bun- Folgen für die Erschließung und die kommunale Da- desnaturschutzgesetzes durchgesetzt. Im Umwelt- seinsvorsorge bis hin zu den Schulbussen, die da fah- ausschuß hat die Koalition gestern eine andere Fas- ren müssen. sung als § 24 des Bundesnaturschutzgesetzes- be- schlossen. Was wollen Sie jetzt wirklich, meine Da- Dem Schutz des Außenbereichs dient nach unserer men und Herren? Soll das, was heute hier beschlos- Auffassung auch der Verzicht auf die Übernahme der sen wird, im Juni, wenn es um den Naturschutz geht, Außenbereichssatzung ins Dauerrecht. Die Instru- erneut geändert werden? Es gibt ein großes Chaos in mente des Baugesetzbuches bieten genügend Mög- der CDU/CSU-Fraktion. lichkeiten, in normalen Planverfahren die Versor- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE gung der Bevölkerung mit Wohnraum auch ohne GRÜNEN und der PDS) eine weitere Zersiedlung der Außenbereiche sicher- zustellen. Herr Kansy hat das sehr schmeichelnd umschrieben. Man kann nur feststellen: In dieser Koalition breitet Wir hätten uns gewünscht, Sie hätten die Chance sich jetzt, 500 Tage vor der nächsten Wahl, schon die genutzt, die in Art. 14 des Grundgesetzes verankerte Endzeitstimmung auch in bezug auf das Baurecht Regelung einer sozialen Eigentumsverpflichtung im aus. Baugesetzbuch umzusetzen. Wir beantragen deshalb die Aufnahme des Planungswertausgleichs als er- (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: War- gänzendes Instrumenta rium in das Baugesetzbuch. ten Sie mal ab! Das Spiel dauert 90 Minu ten!) • Bei der ersten Lesung im Dezember letzten Jahres wurde - das hat auch der nordrhein-westfälische Die Privilegierung von Baumaßnahmen im Außen- Bauminister Vesper schon einmal im Bundesrat ge- bereich muß stets Ausnahme bleiben, Herr Dr. tan - Art. 161 der bayerischen Verfassung zitiert, der Kansy. Entsprechende Lippenbekenntnisse hat es zutreffend ist. Ich muß ihn wiederholen: von seiten der Koalition in den vergangenen Wochen immer wieder gegeben; Sie haben sie eben wieder Steigerungen des Bodenwertes, die ohne beson geäußert. Tatsache ist dagegen: Durch die vorgese- deren Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigen- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15733

Walter Schöler timers entstehen, sind für die Allgemeinheit Soziales Bodenrecht muß auch die Möglichkeit des nutzbar zu machen. Verbots der Umwandlung von Mietwohnraum in Ei- gentumswohnungen bei erhöhtem Wohnraumbedarf Die bisherigen Instrumentarien wie die Durchfüh- beinhalten. Wir müssen den Druck vom Wohnungs- rung von Umlegungsverfahren sowie die städtebauli- markt und von Mietern wegnehmen, der in Ballungs- chen Entwicklungsmaßnahmen und auch der auf gebieten noch sehr stark ist. Gehen Sie einmal nach Freiwilligkeit beruhende städtebauliche Vertrag al- Hamburg, schauen Sie sich einmal an, mit welchen lein reichen nicht aus. Sie gehen uns nicht weit ge- Mitteln Mieter aus ihren Wohnungen vertrieben wer- nug. Sie erfassen nicht alle Grundstücke eines Bau- den! Kündigungsschutz hilft hier wenig, wenn die gebietes und befolgen damit auch nicht den Grund- umgewandelte Wohnung luxussaniert und unbezahl- satz der Gleichbehandlung aller Eigentümer, weil bar wird. eine Menge Eigentümer einfach durch die Maschen schlüpfen und nicht erfaßt werden können, sich auf (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!) Kosten anderer bedienen und sich nicht an den So- Deshalb wollen wir die Landesregierungen er- ziallasten beteiligen. mächtigen, bei Gefährdung der ausreichenden Ver- Im gemeinsamen Antrag der Fraktionen von SPD sorgung mit Mietwohnraum Gebiete bestimmen zu und Bündnis 90/Die Grünen wird eine praxisnahe können, in denen Umwandlungen in Eigentumswoh- Regelung vorgeschlagen, die einen Interessenaus- nungen nicht oder nur mit Genehmigung zulässig gleich zwischen Privateigentum und kommunaler sind. Bodenpolitik beinhaltet. Wertsteigerungen aus der (Beifall bei der SPD) Bauerwartung - ich muß darauf hinweisen, weil es im Bericht etwas anders formuliert ist; da steht näm- Schutz vor Umwandlung ist Mieterschutz, meine Da- lich „Baurohland" - verbleiben dabei dem Eigen- men und Herren. Hier sollte sich die größere Koaliti- tümer, ebenso ein erheblicher Anteil am Wertzu- onspartei gegen die Marktpiraten der F.D.P. durch- wachs zwischen den Qualitäten Bauerwartungsland setzen. Ich hoffe, sie schaffen das irgendwann noch und reines Bauland. Die Pflicht zur Zahlung eines einmal. Ausgleichsbetrages sollte grundsätzlich entstehen, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: „Marktpira wenn Grundstücke baulich oder gewerblich genutzt ten" ist gut!) werden dürfen. Unser Vorschlag berücksichtigt da- bei auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Der Erhaltung gewachsener sozialer Strukturen, Eigentümer. der städtebaulichen Eigenarten und der Zusammen- setzung der Wohnbevölkerung ist ein besonderes Wichtig war uns ferner, daß die Einnahmen aus Augenmerk zu widmen. Wir verlangen deshalb dem Planungswertausgleich zweckgebunden zur Fi- auch, im Gesetz die Möglichkeit vorzusehen, die ge- nanzierung der Infrastruktur für die Menschen in werblichen Strukturen, die Gewerbebetriebe zu er- neuen Baugebieten verwendet werden, für Kinder- halten. Dazu soll auch die Beibehaltung und Neufor- gärten, Schulen, soziale und kulturelle Einrichtun- mulierung von Beurteilungsregelungen zur Zulässig- gen. Schließlich sollten Überschüsse erstattet wer- keit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang den. Es ist also beileibe keine Enteignungsregelung, bebauten Ortsteile dienen. Es muß endlich wirkungs- sondern eine wirtschaftlich sinnvolle Regelung. voll verhindert werden, daß großflächige Einzelhan- delsbetriebe und Verbrauchermärkte unsere Innen- Die kommunalen Spitzenverbände haben im Rah- städte weiter stark beeinträchtigen, und das ohne men der Anhörung dargelegt, daß sie einer solchen - qualifizierte Bauleitverfahren. Nur durch Planungs- Regelung positiv gegenüberstehen. Einem steuerli- verfahren ist sicherzustellen, daß auch die städtebau- chen Modell mit zoniertem Satzungsrecht haben sie lichen und raumordnerischen Auswirkungen in die nur deshalb eine Präferenz eingeräumt, weil sie bei Abwägung einbezogen werden. Sonst veröden un- den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen im Deut- sere Innenstädte weiter. Wo bleibt da Ihre angebliche schen Bundestag wenig Chancen zur Einführung ei- Mittelstandsfreundlichkeit, meine Damen und Her- nes Planungswertausgleiches sehen. ren der Koalition? Herr Minister Töpfer, Sie haben im Gespräch ein- (Beifall des Abg. Peter Conradi [SPD]) geräumt, der Planungswertausgleich besitze aus der Sicht der Gemeinden einen gewissen Charme. Wir verlangen schließlich eine Stärkung der kom- Schreiben Sie ihn im Gesetz fest; die Gemeinden munalen Vorkaufsrechte. Diese sollen sich im Inter- werden es Ihnen danken. esse einer geordneten städtebaulichen Entwicklung auf alle unbebauten Flächen erstrecken und nicht (Beifall bei der SPD und der PDS) auf Wohnbauflächen und Wohngebiete begrenzt werden. Dieses Instrumentarium bietet den Gemein- Sie schaffen damit im übrigen eine spiegelbildliche den die Möglichkeit, bereits im Vorfeld von Planver- Antwort auf Entschädigungsverpflichtungen der fahren Flächen zu erwerben. Gemeinden können da- Kommunen gegenüber Grundstückeigentümern; mit auch auf dem Bodenmarkt preisdämpfend tätig wenn nämlich Flächen wertmäßig herabgezont oder werden. Dies gilt im übrigen auch für Gewerbeflä- Baurechte beseitigt werden, dann muß entschädigt chen. Auch hier ist der Preis ein Faktor bei der Stand- werden, was letztlich die Allgemeinheit bezahlen ortwahl. muß. So sollte die Allgemeinheit dann auch an We rt -steigerungen teilnehmen, die durch den Stadtrat Wenn wir das Ziel verwirklichen wollen, die Eigen- oder den Gemeinderat bewirkt werden. tumsquote spürbar zu erhöhen - dies auch angesichts 15734 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Walter Schöler weiterer Zuwanderungen in die Bundesrepublik -, angesichts des parlamentarischen Verfahrens einmal werden wir dies nur über eine erfolgreiche kommu- überlegen, wieviel Gehirnschmalz teilweise verwen- nale Bodenvorrats- und Preispolitik erreichen kön- det wird. Wenn das dann rigide durch Abstimmun- nen. Die Entwicklung ist schnellebiger, als manch- gen vom Tisch gefegt wird, ist das sicherlich für alle mal gedacht. Der Hinweis auf das neue Eigenheim- Beteiligten etwas unbefriedigender, als Sie, Dr. zulagengesetz zieht schon nicht mehr. Die darin ent- Kansy, das zu Anfang Ihrer Rede dargestellt haben. haltenen Verbesserungen für Familien mit durch- schnittlichen Einkommen sind längst durch Bauland- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das nennt preissteigerungen und auch durch die Erhöhung der man Blockade!) Grunderwerbsteuer von 2 auf 3 1/2 Prozent verfrüh- - Das ist sehr richtig, Frau Kollegin Matthäus-Maier. stückt worden. Das ist Blockade. Es kommt immer darauf an, wer es macht. Hier nennt man es Blockade; do rt nennt man Die vom Bauminister vorgeschlagene Änderung es Sachgründe. der Baunutzungsverordnung hat die Ausschußbera- tungen nicht überstanden. Wir begrüßen, daß die Die SPD-Bundestagsfraktion weiß sich in weiten Koalition inzwischen davon abgerückt ist, die mittler- Punkten mit den Vertretern des Bundesrates, der weile in sechster Fassung geltende Verordnung ent- Städte und Gemeinden, den Fachleuten und der Öf- sprechend der Regierungsvorlage gegenwärtig zu fentlichkeit einig. verändern. Die am Planspiel beteiligten Kommunen haben deutlich gemacht, daß die Baunutzungsver- Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit uns ordnung schon heute den Gemeinden eine flexible einen gemeinsamen Antrag eingebracht. Sie hat je- Planung insbesondere auch im Rahmen der Verdich- doch einen eigenen Antrag gestellt, dem wir in vielen tung innerstädtischer Bereiche und der besseren Punkten durchaus zustimmen können. Sie hat aber Durchmischung von Arbeiten und Wohnen erlaubt. auch eine Reihe von Punkten verfaßt, die wir ableh- Wir sehen auf der Grundlage des Regierungsent- nen müssen. Wir werden uns bei Ihrem Antrag, Kol- wurfs wie der Bundesrat und die kommunalen Spit- leginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/ zenverbände keinen besonderen Handlungsbedarf. Die Grünen, der Stimme enthalten. Die Schaffung einer siebten Planungsschicht wäre Meine Damen und Herren der Koalition, Sie sollten nur vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen No- sorgfältig prüfen - heute haben Sie noch die Chance -, vellierung zu akzeptieren. Deshalb erhält der Mi- ob Sie einfach über unsere Kritik hinweggehen, um nister jetzt den Auftrag nachzusitzen. einen parlamentarischen Sieg zu erringen, der im Bundesrat nach unserer Auffassung keinen Bestand (Achim Großmann [SPD]: Nicht nur in die- haben kann. Nutzen Sie die Chance des heutigen Ta- sem Bereich!) ges! Stimmen Sie unseren Änderungsanträgen zum Art. 10 des Gesetzentwurfes enthält neben der Baugesetzbuch zu! Vollmacht zur Bekanntmachung der Neufassung des Ich danke Ihnen. Baugesetzbuches auch die Ermächtigung des Bun- desbauministers, im Rahmen dieser Bekanntma- (Beifall bei der SPD) chung Unstimmigkeiten des Wortlautes beseitigen zu können. Nach Auffassung des Bundesministeri- Vizepräsidentin Dr. : Für den Bun- ums der Justiz - nachzulesen in den Empfehlungen desrat erhält nun der Minister für Bauen und Woh- zur einheitlichen rechtsförmlichen Gestaltung- von nen des Landes Nordrhein-Westfalen, Michael Ves- Gesetzen - reicht die Beseitigung von Unstimmigkei- per, das Wort . ten immer an die Grenze dessen heran, was dem Ge- setzgeber vorbehalten bleiben muß. Für offenbare Unrichtigkeiten, zum Beispiel Schreibfehler, bedarf Minister Dr. Michael Vesper (Nordrhein-Westfa- der zuständige Bauminister keiner besonderen Er- len): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen laubnis. Die Erlaubnis, Unstimmigkeiten im Wortlaut und Herren! Das, worüber wir heute diskutieren, ist zu beseitigen, ist nach Ansicht des Justizministers eben nicht der große Wurf geworden, den wir alle für hingegen nicht zulässig. notwendig halten. Nein, was die Regierungsfraktio- nen uns heute hier anzubieten haben, ist eher ein un- Wir lehnen deshalb auch diesen A rtikel ab. Viel- systematisches Jonglieren mit einigen bunten Bällen, leicht schafft es die Regierung, zumindest in dieser von denen Ihnen die meisten allerdings schon hinge- Frage eine inte rne Klärung herbeizuführen, wenn fallen sind. Dabei hatten wir alle - gerade auch die dies schon nicht in anderen Bereichen wie beim Um- Länder - die Hoffnung, mit diesem Reformvorhaben welt- und beim Naturschutz gelungen ist. könnten wir das Städtebaurecht vereinheitlichen und strukturell vereinfachen. Diesem Anspruch wird der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Gesetzentwurf aber leider in keiner Weise gerecht. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg. Peter Conradi [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zahlreiche Anhö- rungen und Expertengespräche haben uns in der Ich will nur einige wenige Punkte herausgreifen; Auffassung bestätigt, daß am Gesetzentwurf der Herr Schöler hat schon viele andere genannt. Warum Bundesregierung erhebliche Korrekturen notwendig haben die Regierungsfraktionen selbst kleine waren, die in den Ausschußberatungen nicht durch- Schritte im Sinne der Kommunen und zugunsten der gesetzt werden konnten; ich habe eingangs darauf Umwelt abgelehnt? Warum weigern Sie sich, einen hingewiesen. Ich bedaure das sehr; denn man sollte kleinen Schritt zu tun und das Vorkaufsrecht der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15735

Minister Dr. Michael Vesper (Nordrhein-Westfalen) Kommunen auf alle unbebauten Flächen zu erwei- kommen hat. Der Grundstückseigentümer aber fährt tern? so etwas wie einen Lottogewinn ein: Ohne auch nur einen einzigen Finger zu krümmen, wird er durch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Planungsentscheidung der Kommune um Millio- Warum wollen Sie die Teilungsgenehmigung nicht nen reicher. beibehalten, wie es die kommunalen Spitzenver- (Volkmar Schultz [Köln] [SPD]: Das ist die bände und auch alle Gemeinden wünschen, die an berühmte rheinische Fruchtfolge!) Ihrem Planspiel teilgenommen haben? - So ist es, Herr Kollege. (Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir wollen nun, daß die Kommune 70 Prozent die- ser Wertsteigerung abschöpfen kann, um diese Mittel Damit nehmen Sie den Gemeinden doch ein wich- zielgenau und zweckgebunden für die Entwicklung tiges Instrument, um ihre städtebauliche Ordnung zu des Baugebietes zu verwenden. Ich kann überhaupt erhalten. Vereinfachung kann doch nicht heißen: kein Argument erkennen, das dagegenspricht. Wilder Westen. Sie höhlen vor allem den Schutz des Außenbereiches von Gemeinden weiter aus. Es ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einfach unlauter, in Sonntagsreden die fortgeschrit- Umgekehrt gilt dieses Prinzip nämlich längst: tene Zersiedelung und Versiegelung der Landschaft Wenn eine Kommune Bauland in Ackerland zurück- zu beklagen, wenn man das dann im Alltag weiter stuft, muß sie die Wertminderung dem Eigentümer fördert. erstatten. Es könnte also durchaus der Fa ll eintreten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, daß eine Kommune heute ein Baugebiet ausweist, bei der SPD und der PDS) wodurch der Quadratmeterpreis von 20 auf 200 DM steigt, und daß sie sich morgen entscheiden muß, das Wenn Sie im Außenbereich privilegierte Höfe jetzt nicht bebaute Land wieder zurückzustufen. Dann auch für Gewerbebetriebe öffnen, dann ist das nur muß sie den Eigentümer mit 180 DM pro Quadratme- der erste Schritt, dem dann zwangsläufig weitere f ol- ter auszahlen. Das ist doch wirklich absurd. Man gen werden. Wo einmal ein Gewerbebetrieb auf der muß, wenn man A gesagt hat, doch auch B sagen. grünen Wiese entsteht, wird er, jedenfalls wenn er wirtschaftlich erfolgreich ist, bald auch ausgeweitet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Wer will dann dem Druck standhalten, neue Bauten bei der SPD und der PDS - Volkmar Schultz zu genehmigen? Nein, hier dürfen wir nicht den klei- [Köln] [SPD]: Privatisierung der Gewinne, nen Finger reichen, weil dem dann bald die ganze Sozialisierung der Verluste!) Hand folgen wird. Der Planungswertausgleich ist auch kein sozialisti- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sches Marterinstrument zum Quälen von Grund- stückseigentümern. Er kommt auch nicht aus der Der Hauptpunkt meiner K ritik ist, daß Ihrer Geset- Mottenkiste, Herr Kansy. Da gehören eher Ihre Ge- zesnovelle das Wichtigste fehlt. Eine Neuordnung genargumente hinein. des Bau- und Bodenrechts ist nichts we rt, wenn sie keine Antwort auf die entscheidende Frage gibt: Wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, können wir kostengünstig Bauland entwickeln, und bei der SPD und der PDS - Dr.-Ing. Dietmar zwar gerade nicht in immer abgelegeneren Außen- Kansy [CDU/CSU]: Das ist ja wohl ange- bereichen auf der grünen Wiese, sondern am und im kommen! Vielen Dank!) Randbereich der Siedlungsgebiete, wo das Bauland - Ich lese Zeitung. Ich hoffe, Sie auch. heute einfach zu teuer ist? Hierauf müssen wir eine Antwort geben, weil wir sonst auch nicht die gering- Den Eigentümern verbleibt nicht nur der We rt, den ste Chance haben, eine durchschlagende Offensive das Grundstück vor dem Beschluß der Gemeinde, für das kostengünstige Bauen zu starten. den Bebauungsplan aufzustellen, hatte, sondern zu- sätzlich 30 Prozent des von ihm selbst nicht erwirt- Es ist doch frustrierend, wenn wir Mark um Mark schafteten Zuwachses. Darüber hinaus kann die Ge- bei den reinen Baukosten sparen, gleichzeitig aber meinde in Härtefällen den durch Bescheid festge- die Baulandpreise das mühsam Ersparte wieder auf- setzten Betrag ganz oder teilweise erlassen, niedrig fressen. Darum hat die Landesregierung von Nord- verzinst oder zinslos stunden. rhein-Westfalen einstimmig - wir sind uns ja nicht immer in allen Punkten einig - vorgeschlagen, das Mit dem Planungswertausgleich versetzen wir die Instrument des Planungswertausgleichs in das Bau- Gemeinden finanziell in die Lage, neues Bauland gesetzbuch einzuarbeiten. Die Kosten, die den Kom- auszuweisen. Die Gemeinde ist verpflichtet, die von munen zwangsläufig entstehen, wenn sie Baugebiete ihr erworbenen Wohnbaugrundstücke baldmöglich ausweisen, sollen durch die Abschöpfung eines Teils Bauwilligen zum Endwert zur Verfügung zu stellen. der Wertsteigerung aufgefangen werden. Nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage wird Bauland auf diese Weise billiger. Das brauchen Jede Kommune tut sich deswegen so schwer, Bau- wir, wenn wir eine gemeinsame Bundes- und Länder- land in stadtnahen Bereichen auszuweisen, weil das. initiative für kostengünstiges Bauen starten wollen. für sie mit hohen Kosten verbunden ist. Sie muß eine ÖPNV-Linie legen, einen Kinderga rten, eine Schule Manche setzen den Planungswertausgleich in ei- bauen, vielleicht auch ein Verwaltungsamt - alles nen Gegensatz zu anderen Instrumenten wie städte- Kosten, für die bislang allein die Kommune aufzu- baulichen Verträgen oder Vorhaben an Entschlie- 15736 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Minister Dr. Michael Vesper (Nordrhein-Westfalen) ßungsplänen oder auch einer Wiedereinführung der vorgaben, die wir uns gesetzt haben, dieses große Grundsteuer C. Dem ist nicht so. Der Planungswert- Gesetzesvorhaben durchziehen konnten. ausgleich soll diese Instrumente nicht ersetzen, son- dern ergänzen. Ich möchte mich zu einigen Einzelthemen äußern, die mir besonders wichtig erscheinen. Ich möchte mit Meine Damen und Herren von den Regierungs- der Ausgleichsregelung für Bauvorhaben im Hin- fraktionen, Art. 161 Abs. 2 der bayerischen Verfas- blick auf Umwelt- und Naturschutz beginnen. Wir sung wurde eben schon zu Recht zitiert. Nehmen Sie haben uns dazu entschieden, die entsprechenden endlich Ihre ideologischen Scheuklappen ab! Ich Regelungen aus dem Bundesnaturschutzgesetz in hoffe nun wirklich auf die Standfestigkeit der Bayern das Baugesetzbuch zu übernehmen. Der Hinter- aller Fraktionen, daß sie ihre Verfassung verteidigen, grund ist, daß wir alle Personen, die in der Gemeinde ihr treu bleiben und hier dafür kämpfen, daß diesem mit Bauvorhaben befaßt sind, in aller Deutlichkeit Grundsatz zur Durchsetzung verholfen wird. darauf hinweisen wollen, daß in den Abwägungspro- zeß bei großen Bauvorhaben die Belange von Um- Sollten Sie im Verlauf dieser Debatte nicht dazuler- welt- und Naturschutz von Anfang an gleichwe rtig nen, werden wir uns im Vermittlungsausschuß wie- einzubeziehen sind. Damit haben wir der Vorgabe dersehen. Spätestens dann werden sie Gelegenheit der Staatszielbestimmung in A rt . 20 a des Grundge- haben, Ihre ideologischen Scheuklappen abzulegen. setzes Rechnung getragen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Wir haben ausdrücklich § 1 a für diese Regelung GRÜNEN und der PDS - Zuruf von der reserviert. Wir alle wissen: 1 a heißt super. Das ist CDU/CSU: So kann man doch nicht drohen, eine besondere Stelle für ein besonderes Anliegen. Herr Vesper!) Das mag auf diese Weise deutlich werden.

Vizepräsidentin Dr. Anje Vollmer: Das Wort hat Wir haben zugleich bei der Regelung der Aus- jetzt der Abgeordnete Hildebrecht Braun. gleichsmaßnahmen eine Änderung vorgenommen. Wir haben Flexibilität eingebracht im doppelten Sinne. Erstens zeitlich: Die Ausgleichsmaßnahme Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Frau Präsi- muß nicht zum gleichen Zeitpunkt erfolgen wie die dentin! Verehrte Schriftführer! - Auch Sie wi ll ich in Baumaßnahme. Wir haben zweitens auch eine örtli- meinen Gruß einmal ausdrücklich einbeziehen, che Flexibilisierung in das Gesetz aufgenommen. nachdem Ihre segensreiche und von immerwähren- der Geduld geprägte Arbeit in der Regel hier keine Diese Flexibilisierung wird Baumaßnahmen verbil- Würdigung erfährt. - Meine sehr geehrten Damen ligen. Das wollen wir, weil wir Investitionen erleich- und Herren! tern wollen. Es ist jetzt nicht mehr erforderlich, bei ei- ner Baumaßnahme im Kernbereich einer Stadt, wo (Walter Schöler [SPD]: Die Saaldiener und die Bodenpreise extrem hoch sind, in unmittelbarer die Stenographen nicht vergessen!) Nähe ein Grundstück zu suchen, bei dem Aus- gleichsmaßnahmen erfolgen können. Vielmehr kön- Das neue Baugesetzbuch mag kein Jahrhundert- nen wir beispielsweise am Stadtrand Grundstücke gesetz sein, aber es bildet eine hervorragende Basis heranziehen, die für den Umwelt- und Naturschutz für den Übergang von diesem ins nächste Jahrhun- vielleicht viel wichtiger sind. Auf diese Weise können dert. Das Baugesetzbuch ist das wichtigste Vorha- zum Beispiel Biotope vernetzt werden, eine Maß- ben, für das der Bauausschuß federführend ist. Des- nahme, die von den Naturschützern zu Recht als wegen ist dieser Tag heute natürlich für uns „Bau- ganz besonders wichtig angesehen wird. leute" im Parlament ein großer Tag. Aber, es ist auch ein großer Tag für unser Land. (Beifall der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.])

(Lachen bei der SPD) Ich möchte einen weiteren wichtigen Punkt an- Mit dem neuen Baugesetzbuch werden politische sprechen: In Zukunft werden wir die Gemeinden er- Vorgaben umgesetzt, mit denen diese Koalition an- mächtigen, eigenverantwortlich Bebauungspläne getreten ist: die Verkürzung der Verfahren, der Ab- aus Flächennutzungsplänen, die ja von der höheren bau von Bürokratie, die Verlagerung der Verantwor- Verwaltungsbehörde genehmigt sind, heraus zu ent- tung von oben nach unten auf die Kommune, die wir wickeln und zu beschließen. Dies wird den Gemein- stärken wollen, die Förderung von Natur und Um- den nicht nur neue Rechte bringen, sondern natür- welt und auch die Erleichterung von Modernisierung lich ein gehöriges Maß an zusätzlicher Verantwor- der Altbausubstanz in den Städten. tung. Es werden deswegen Bebauungspläne sehr viel intensiver do rt beraten und verantwortet werden Ich möchte an dieser Stelle drei Personen aus- müssen. Wir wissen natürlich, daß dieses Verfahren - drücklich für ihren besonderen Einsatz und für ihre Herr Schöler hat hier sicherlich recht - auch Risiken besondere Sachkenntnis danken: Herrn Götz von der in sich birgt, denn speziell kleine Kommunen haben CDU/CSU, Herrn Schöler von der SPD und natürlich oft nicht die nötige Manpower - um es neudeutsch zu auch Herrn Krautzberger und seinem Team vom Bau- sagen -, um hier rechtlich einwandfreie und von der ministerium. Die genannten Personen haben in ganz Sache her auch ausgezeichnete Bebauungspläne zu besonderer Weise nicht nur ihren enormen Sachver- erstellen. Sie werden sich also des Sachverstandes stand eingebracht, sondern mit Geduld und Geradli- von privaten Beratungsfirmen bedienen müssen, nigkeit dazu beigetragen, daß wir innerhalb der Zeit- aber sicher auch in Zukunft auf die Beratung der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15737

Hildebrecht Braun (Augsburg) Landratsämter bauen dürfen. Aber die Verantwor- sigt völlig, daß ein Grundstück auch anderen Zwek- tung bleibt bei den Kommunen. ken dienen kann als nur dem neuer Bauvorhaben. Sicherlich ist hierbei ein Punkt zu berücksichtigen, Warum sollte nicht ein Familienvater - um ein ganz den ich auch ansprechen möchte: Die Rechtssicher- drastisches Beispiel zu nehmen - einige Quadratme- heit, das Vertrauen auf die Bestandsfestigkeit von ter von der Wiese des Nachbargrundstücks zu sei- Bebauungsplänen wird in Zukunft natürlich nicht nem Grundstück dazukaufen, damit seine Kinder ei- mehr so groß sein wie jetzt, wo ein Stempel des Land- nen Federballplatz haben? ratsamtes vorhanden sein muß, damit der Bebau- (Walter Schöler [SPD]: Wer hat denn etwas ungsplan endgültig rechtswirksam wird. Dennoch dagegen?) überwiegen die Vorteile der von uns beschlossenen Regelung. Deswegen machen wir es so. Das ist doch in Ordnung; das ist überhaupt kein Pro- blem. Das soll möglich werden, auch ohne daß die Dritter Punkt: Monatsfrist für Träger öffentlicher Kommune einbezogen wird. Belange. Bisher gab es gewaltige Zeitverzögerun- gen, wenn Träger öffentlicher Belange um ihre Mei- (Achim Großmann [SPD]: Warum waren nung gefragt wurden und wegen Urlaub, Schwan- denn alle Kommunen dagegen?) gerschaft oder sonstigen Gründen die Stellung- nahme eines Trägers öffentlicher Belange über lange Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie Zeit nicht einging. Das wird in Zukunft so nicht mehr eine Zwischenfrage? möglich sein. Wenn sich eine Behörde innerhalb ei- nes Monats nicht meldet, dann wird davon ausge- (Augsburg) (F.D.P.): Von Frau gangen, daß sie zugestimmt hätte. Das ist auch rich- Hildebrecht Braun Eichstädt-Bohlig? - Selbstverständlich. tig, denn wenn sich eine Behörde einen ganzen Mo- nat lang nicht meldet, dann signalisiert das, daß eventuelle Einwände dieser Behörde nicht von über- Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE großer Bedeutung sein können. GRÜNEN): Herr Kollege Braun, ich möchte Sie fra- gen, ob Sie wirklich so naiv sind, zu glauben, daß die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Mehrheit der Grundstücke geteilt wird, damit Fami- lien Federball spielen können, oder ob Sie nicht ge- Wir haben das Baugesetzbuch auch insofern ver- nau wissen, daß die Mehrheit der Grundstücke ge- einheitlicht, als wir Vorschriften aus anderen Geset- teilt wird, um die Ausnutzung des Grundstücks prak- zen in dieses Gesetz integ riert haben. Das Recht wird tisch in zweiter Reihe zu verdoppeln. Das möchte ich dadurch überschaubarer, einfacher zu handhaben Sie wirklich fragen, nachdem wir das intensiv im und damit gesetzestechnisch richtiger. So haben wir Ausschuß debattiert haben. Regelungen aus dem Maßnahmengesetz zum Bauge- setzbuch übernommen und auch das Städtebauför- (Beifall bei der SPD und der PDS) derungsrecht einbezogen. Wir haben jetzt sozusagen ein Gesetz aus einem Guß. Das dient unseren selbst- Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Frau Eich- gesteckten Zielen als Gesetzgeber. städt-Bohlig, nachdem Sie sich bisher nicht nur kor- rekt, sondern in der Regel auch höflich verhalten ha- Ich möchte auf den Wegfall der Bodenverkehrsge- ben, habe ich selbstverständlich eine Zwischenfrage nehmigung in Zukunft zu sprechen kommen. Dieses Thema hat uns natürlich intensiv beschäftigt. Aber von Ihnen zugelassen. Wenn Sie aber glauben, im 200 000 Vorgänge in Deutschland in einem einzigen Bundestag mit Begriffen wie „naiv" umgehen zu Jahr wegfallen zu lassen, ist ein mutiger Schritt und müssen, dann beantworten Sie Ihre Frage selber. Ich im Ergebnis auch ein richtiger Schritt. mache weiter. (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) DIE GRÜNEN]: Danke schön! - Zurufe von Natürlich kamen jetzt Kommunen und sagten: Um der SPD und der PDS) Gottes willen, wenn jetzt jeder sein Grundstück so Ich komme zu einem Punkt, der von großer prakti- teilen kann, wie er es für richtig hält, sind damit doch scher Bedeutung sein wird. In Zukunft wird es die große Gefahren verbunden. Nein, meine Damen und aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Herren, der Gesetzgeber gibt hier dem Eigentümer Nachbarn und auch des Anfechtungsverfahrens eigentlich nur ein zentrales Element seines Verfü- nicht mehr geben. Das ist in der Tat ein gewaltiger gungsrechtes zurück. Warum soll nicht ein Eigen- Einschnitt in die Verwaltungspraxis. Damit werden tümer das ihm gehörige Grundstück - es gehört nicht wir erst umgehen lernen müssen. den Kommunen und auch nicht dem Staat - in der Form teilen bzw. durch ein Grundstücksteil vom Ich räume ein: Auch mit dieser Änderung sind ge- Nachbarn erweitern können, ohne hier erst den Se- waltige Risiken verbunden. Wenn der Nachbar ein gen der Gemeinde erbitten zu müssen. Bauvorhaben nicht mehr verhindern, zumindest nicht mehr bis zur endgültigen Entscheidung der Ge- Tatsache ist doch, daß die Kommunen sehr häufig richte verzögern kann, sondern gebaut werden kann, der Meinung waren, daß solche Bodenverkehrsge- sobald die Baugenehmigung vorliegt, dann wird der nehmigungen nur dann zu erteilen seien, wenn da- Nachbar, wenn er dies verhindern will, zum Verwal- durch neues Bauland in geeigneter, von der Kom- tungsgericht marschieren und nach § 80 Abs. 5 der mune erwünschter Weise entstehe. Das vernachläs- Verwaltungsgerichtsordnung die aufschiebende Wir- 15738 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Hildebrecht Braun (Augsburg) kung herstellen lassen müssen. Das bedeutet, daß Walter Schöler (SPD): Ich halte diesen Punkt hin- wir in Zukunft einen Run auf die Verwaltungsge- sichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen für sehr richte bekommen werden und daß im vorläufigen wichtig. Deshalb frage ich nach. Verfahren bereits überprüft werden muß, ob die Bau- genehmigung nun rechtens war oder nicht. Nach bisherigem Recht konnte, ich sage einmal: ein Nachbar eine Baumaßnahme verhindern, wenn Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Ver- die Baugenehmigung erteilt war. Er konnte also zum lagerung der Überprüfung von der Widerspruchsbe- Gericht gehen, zur Not über Jahre hinweg. Nach hörde zu den Verwaltungsgerichten. Ob das wirklich neuem Recht gibt es keine aufschiebende Wirkung. der richtige Weg ist, werden wir nach einigen Jahren Das heißt: Der Begünstigte, der die Baugenehmigung der Erprobung beurteilen können. Ich räume ein, daß erhalten hat, kann mit dem Bauen beginnen. Er be- ich noch Zweifel habe. Dennoch haben wir uns dazu ginnt und hat die Baumaßnahme bis zu einem gewis- entschlossen, und zwar einfach aus der Erkenntnis sen Zeitpunkt fertiggestellt. Dann erst marschiert der heraus, daß es dem Nachbarn bisher oft möglich war, Nachbar, was er immer noch kann, vor Gericht und ein Bauvorhaben über Jahre hinaus zu verhindern, erhebt Klage. Per Gerichtsbeschluß wird die Bau- zu blockieren. Er argumentierte: Das verwaltungsge- stelle mit dem Ergebnis stillgelegt, daß Gebäude, in richtliche Verfahren ist vergleichsweise preiswert. die Hunderttausende oder vielleicht Mil lionen DM Wenn ich mir dadurch, daß ich ein solches Verfahren investiert wurden, vor sich hinfaulen, weil die Bau- über mehrere Instanzen anzettele, über Jahre hin- maßnahme nicht fertiggestellt werden kann. Ein gro- weg die Sicht ins Grüne, zum Beispiel auf den Wald, ßer Investor mag das vielleicht noch verkraften kön- sichern kann, dann war mir dies die Sache we rt . - nen. Aber wenn dem Häuslebauer in der zweiten Derartiges wollen wir in Zukunft nicht mehr. Deswe- Reihe die Baustelle stillgelegt wird, ist er bei Krediten gen haben wir uns zwar mit Bedenken, aber dennoch von 200 000, 300 000 oder 400 000 DM wirtschaftlich entschieden, eine solche Änderung beim Wider- am Ende. Dieses Risiko packen Sie in die neue Rege- spruchsverfahren vorzunehmen. lung herein. (Abg. Walter Schöler [SPD] nimmt seinen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, Platz wieder ein) gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schö- ler? Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Herr Schö- ler, bleiben Sie doch bitte stehen, damit meine Rede- Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Bitte, Herr Schöler. zeit nicht gemindert wird. Die Dinge liegen doch wohl so: Wenn jemand jetzt Walter Schöler (SPD): Herr Kollege Braun, ist Ih- eine Baugenehmigung hat, der Nachbar aber Wider- nen geläufig, daß die Nachbarn erst zum Verwal- spruch einlegt, dann heißt das, der Bauwerber mag tungsgericht gehen können, wenn bereits der Roh- das Grundstück erworben haben, er mag bereits Auf- bau steht, währenddessen man früher den Baube- träge an alle möglichen Baufirmen vergeben haben, ginn verhindern konnte? Ist Ihnen auch die Konse- aber er muß sie natürlich entschädigen, wenn sie bis quenz klar, daß dann ein Rohbau, wie Sie sagen, auf weiteres nicht bauen dürfen. Er bleibt also auf über Jahre hinweg vor sich hin faulen und der Bau- seinen Investitionen sitzen, bis das Verfahren über herr in Konkurs getrieben wird? die Instanzen abgeschlossen ist. Das ist genau das, was wir nicht wollen. Wenn ich das richtig sehe, tei- (Peter Conradi [SPD]: Er ist eben doch len Sie diese Befürchtung. Es geht nur darum, Wege naiv!) zu finden, daß sich in Zukunft, wenn auch in redu- zierter Weise, das Risiko nicht wieder realisiert. Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Herr Schö- ler, diese Konsequenz ist mir klar. Wenn ich Sie aber Es wird sich aber aus folgendem Grund nicht wie- richtig verstehe, dann unterstützen Sie damit das, der realisieren: Wenn der Nachbar gegen das Bau- was wir beschlossen haben, nämlich das Wider- vorhaben vorgehen will, dann wird er das aus gutem spruchsverfahren nicht mehr mit der aufschiebenden Grunde unmittelbar nach der Erteilung der Bauge- Wirkung zu versehen. Oder habe ich Sie falsch ver- nehmigung tun. Tut er es nämlich später, macht er standen? sich selbst schadenersatzpflichtig. Darin liegt ein Rie- senproblem. Wir müssen auch für die Kommune ein (Walter Schöler [SPD]: Sie haben mich da gewaltiges wirtschaftliches Risiko sehen. Wenn sie falsch verstanden! - Dr. Ch ristine Lucyga nämlich eine Baugenehmigung erteilt hat, die von [SPD]: Sie haben gar nichts verstanden!) den Gerichten nachträglich kassiert wird, und wenn in der Zwischenzeit bereits gebaut wurde und damit - Die Kolleginnen werden im Umgang mit den Kolle- rückgebaut werden muß, dann muß im erheblichen gen im Bundestag immer höflicher. Maße Schadenersatz geleistet werden.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wollen Sie den (Zuruf von der SPD: Das ist doch Unfug!) Kollegen nachfragen lassen? Über diese Probleme sollten wir vielleicht noch ein- mal im Ausschuß reden. Die Gelegenheit ist hier Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Herr Schö- nicht geeignet, weil es ein Zwiegespräch wird und ler, Sie wollen nachfragen. meine Redezeit entsprechend kürzer wird. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15739

Hildebrecht Braun (Augsburg) Ich möchte zum nächsten Punkt kommen: Umnut- lage diese Bestimmung schon jetzt so ausgelegt wird, zung landwirtschaftlich genutzter Gebäude. Auch daß Wohnen wenigstens so weit wie möglich auch in hier haben wir eine Entscheidung getroffen, die uns diesen Bereichen möglich wird. Wir werden aber si- nicht leichtgefallen ist. Wir wissen aber, daß es der cherlich bei nächster Gelegenheit - das wird wohl in Landwirtschaft verdammt schlecht geht. Deswegen der nächsten Legislaturperiode sein - die Baunut- wollen wir Landwirten, die ihre Gebäude im Außen- zungsverordnung so ändern, daß diesem Anspruch bereich aufgeben, die Möglichkeit geben, sie in Zu- Rechnung getragen wird. kunft in anderer Weise gewerblich zu nutzen. Wir se- hen aber die Gefahr der Zersiedelung und werden (Zuruf von der SPD: Sie nicht!) streng ein Auge darauf werfen, daß sich diese Gefahr Wenn wir es nicht schon jetzt getan haben, dann nicht realisiert. deshalb, weil sechs Fassungen der Baunutzungsver- ordnung in beschränktem Umfange fortgelten und Ich komme nun zur Erhaltungssatzung im deswegen natürlich für die Verwaltung eine siebte § 172. Für uns Liberale war es ganz besonders wich- Fassung die Dinge nochmals erschwert. Das heißt: tig, daß hier noch eine deutliche Änderung der ge- Wenn wir eine siebte Fassung machen, dann soll sie genwärtigen Gesetzeslage vorgenommen wurde. In alle Veränderungen, die wir für nötig halten, umfas- Zukunft werden auch in Erhaltungssatzungsgebieten sen. Modernisierungsmaßnahmen genehmigungsfrei lau- fen, die darauf gerichtet sind, den Ausbaumaßstab Ich möchte einen zweiten Grund nennen, weswe- zu realisieren, der durch die Bauordnungen der Län- gen ich eine Änderung wollte. Das reine Wohngebiet der vorgegeben ist. Das heißt, ab einer bestimmten ist nämlich ein sehr problematischer Teil in der Bau- Höhe, beispielsweise E plus 5, werden in der Regel nutzungsverordnung. Tatsache ist, daß uns die Ge- auch Aufzüge eingebaut werden können. Es werden richte Maßstäbe mitgegeben haben, die wir nicht in den Wohnungen Bäder eingebaut werden können hinnehmen können. Ich denke an folgendes: Im rei- und damit von den Zwischengeschossen - das finden nen Wohngebiet wurden Unterkünfte für Asylbewer- wir sehr häufig in den neuen Bundesländern - in die ber abgelehnt. Das wurde von Gerichten bestätigt. Wohnungen einbezogen werden können. Das ist Es wurde aber auch abgelehnt, daß im reinen Wohn- wichtig, um die Wohnungen langfristig bewohnbar gebiet ein - wohlgemerkt - Pflegeheim gebaut wer- und vermietbar zu machen. den konnte. Kann es denn sein, daß wir eine Rechts- ordnung aufrechterhalten, die Pflegebedürftige und Wir haben aber auch dafür gesorgt, daß Heizungen Behinderte baurechtlich ausgrenzt, die sie in Wohn- genehmigungsfrei eingebaut werden können. gebiete mit minderem Wohnwert verweist? Das kann Warum? Weil damit ein zeitgemäßer Standard er- doch wohl nicht wahr sein. reicht wird, den zu verhindern nicht im öffentlichen Interesse liegen kann. (Beifall bei der F.D.P.) Unsere Sichtweise der Modernisierung ist, daß Mo- Tatsache ist aber, daß die Gemeinde Feldafing in dernisierung grundsätzlich positiv ist, weil sie die Bayern erst vor kurzer Zeit wieder ein Pflegeheim im Altbausubstanz in den Städten erhält, Wohnungen reinen Wohngebiet unter Hinweis auf diese Recht- langfristig vermietbar macht, den Wohnwert erhöht sprechung abgelehnt hat. Das sind Dinge, die wir und damit auch die soziale Ausgewogenheit in Alt- nicht akzeptieren und nicht tole rieren. Ich möchte baugebieten der Städte ermöglicht. Das ist alles posi- dies auch in aller Deutlichkeit hier ausdrücken. tiv. Deswegen wollen wir Modernisierung erleichtern und nicht erschweren. Vielen Dank. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte noch ein Wo rt zur Baunutzungsverord- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat nung sagen. Eigentlich hatten wir geplant, die Bau- jetzt der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick. nutzungsverordnung in einem Aufwasch mit zu än- dern. Wir hatten dabei zwei Ziele. Wir waren uns dar- über einig - übrigens über die Grenzen der Fraktio- Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Frau Präsidentin! nen hinweg -, daß wir Meine Damen und Herren! Ich habe meistens die Ehre nach meinem Kollegen Herrn Braun reden zu (Zuruf des Abg. Walter Schöler [SPD]) dürfen. Da muß ich denn öfters einmal auf ihn einge- hen; denn was Herr Kollege Braun zum Wider- - ehrlich gesagt, sie haben ganz Wichtiges zu tun, spruchsverfahren gesagt hat, offenbart für mich eine Herr Schöler; Sie wissen übrigens, daß das, was ich sehr bedenkliche Einstellung. Sie sagen: Wir probie- sage, dem entspricht, was die F.D.P. für richtig hält - ren einmal aus, ob das Gesetz so läuft. Dann warten im Kerngebiet, also in den Bereichen der Stadt, die wir ein Jahr. Wenn es nicht läuft, dann können wir durch Verwaltungsbauten gekennzeichnet sind, das uns etwas anderes einfallen lassen. Wohnen wieder erleichtern. Warum wollen wir das? Wir wollen eine Revitalisierung der Innenstädte. Re- Herr Braun, die Bundesrepublik Deutschland ist vitalisierung bekommen wir genau dadurch, daß do rt kein Testlabor. Die Bundesbürgerinnen und -bürger wieder gewohnt wird und nicht nach Ladenschluß sind keine weißen Mäuse. Man sollte sich schon ge- die Gehsteige hochgeklappt werden. nauer überlegen, was man hier macht, und nicht sa- gen: Wir probieren das einfach aus. Da sind die bisherigen Regelungen zu eng. Wir wünschen, daß bei der gegenwärtigen Verordnungs- (Beifall bei der PDS) 15740 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Klaus-Jürgen Warnick Zum Ergebnis der bisherigen Debatte um die No- Kindern und Jugendlichen durch ihre Interessenver- velle des Baugesetzbuches und des Raumordnungs- treter im Beirat für Raumordnung wahrnehmen zu gesetzes sei es mir gestattet, Karl Valentin zu zitie- lassen; und Ablehnung, diese Personengruppen bei ren: Mögen' hätten wir schon wollen, aber dürfen ha- der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der ben wir uns nicht getraut. Er war übrigens Ihr Lands- Planung ausdrücklich zu berücksichtigen. mann, Herr Braun. Dieser Satz scheint Ihr Leitmotto gewesen zu sein, liebe Kolleginnen und Kollegen (Dr. [PDS]: Unerhört!) von der Regierungskoalition. Anders kann ich mir je- Herr Minister, wir erwarten, daß Sie Ihre Kongreß- denfalls das große Mißverhältnis nicht erklären. Zwi- rhetorik in die Tat umsetzen. Deshalb hat die PDS schen dem, was Minister Töpfer auf Tagungen so al- hierzu erneut einen Änderungsantrag eingebracht. les verbreitet, was in den Forschungsprogrammen zum experimentellen Wohnungs- und Städtebau er- Zweites Thema. Berücksichtigung von Menschen arbeitet wird bzw. was die Bundesregierung in der mit Behinderungen. Erster Anspruch. Veränderung Lokalen Agenda 21 und der Istanbul-Erklärung auf von Art . 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes: „Nie- internationaler Ebene versprochen hat, und dem, mand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt was davon in der Novelle verbindlich umgesetzt werden". wird, klaffen große Lücken. Zweiter Anspruch. Istanbul-Erklärung Nr. 7: Diesen Gegensätzen begegne ich auch in anderen Wir wollen Zugangsmöglichkeiten für Behinderte Veröffentlichungen zu diesem Thema, zum Beispiel sowie Gleichstellung der Geschlechter bei allen im Städtebaulichen Bericht des Jahres 1996 zur Politiken, Programmen und Projekten, die die Be- „Nachhaltigen Stadtentwicklung" oder im Zwi- reitstellung von Wohnraum und die nachhaltige schenbericht der Enquete-Kommission „Schutz des Entwicklung von menschlichen Siedlungen zum Menschen und der Umwelt". Ein paar Beispiele für Ziel haben, sicherstellen. krasse Gegensätze. Erstes Thema: Beteiligung von Frauen und Jugendlichen an Planungsprozessen. Er- Die Wirklichkeit: Ablehnung unseres Antrags zum ster Anspruch, von Ihnen in Kapitel 28 der Rio-Erklä- zukünftigen Gebot des barrierefreien Planens und rung unterschrieben: Bauens im Baugesetz. Dabei machten am Tag der Be- hinderten vor zwei Wochen wiederum zahlreiche Alle Kommunen in jedem einzelnen Land sollen Verbände und Initiativen auf Behinderungen durch dazu angehalten werden, Programme durchzu- ungeeignete räumliche Umwelt aufmerksam. Ein Be- führen und zu überwachen, deren Ziel die Beteili- troffener sagte mir: Ich bin nur körperlich beeinträch- gung von Frauen und Jugendlichen an Entschei- tigt; die Umwelt aber behindert mich. dungs-, Planungs- und Umsetzungsprozessen ist. Meine Damen und Herren, ich kann nicht begrei- Der zweite Anspruch. Ich zitiere aus einer Rede fen, daß Sie nach wie vor behaupten, die Erwähnung meines Kollegen Töpfer vor dem Deutschen Verband der Belange der behinderten Menschen in § 1 Abs. 5 sechs Wochen vor der Habitat-Konferenz in Istanbul: Satz 3 im Baugesetz würde ausreichen, um eine be- Am Ende brauchen wir die Teilhabe der Men- hindertenfreundlichere Umwelt zu schaffen. Ich schen. Am Ende müssen wir jedem vermitteln, möchte Sie deshalb noch einmal ausdrücklich auffor- daß es seine Stadt ist, daß es sein Stadtquartier dern, unserem Änderungsantrag zum barrierefreien ist, für das es sich einzusetzen gilt. Planen, Bauen und Wohnen zuzustimmen. - Jeder, der meint, Bürgerbeteiligung sei so etwas (Beifall bei der PDS) wie ein störender Faktor großer Planung, dem sei ge- Hier wäre wirklich mal ein Grund gegeben, sich an sagt: Das Gegenteil ist der Fall. Wir sollten auch hier Ihrem in der Wirtschaftspolitik sonst immer als Idol viel mehr Mut haben, diese Städte mit unseren Bür- gepriesenen Vorbild USA zu orientieren; denn hier gern zu entwickeln und nicht an ihnen vorbei. sind die Amerikaner ausnahmsweise mal im positi- In demselben Text hieß es weiter vorn: ven Sinn vorn - und das um Jahrzehnte. Wir brauchen wirklich mehr Frauen in diesen Pla- Ein weiteres Schlüsselerlebnis war für mich die nungsaufgaben, weil sie diese Angstträume ganz Diskussion um die Frage des künftigen Wegfalls von anders erleben, als ein Mann sie erlebt. Teilungsgenehmigungen. Das wurde schon mehr- fach angesprochen. Die Bundesregierung konnte in (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne der Diskussion im Bauausschuß nicht einmal schlüs- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sige Begründungen hierfür liefern. Wir sollten die Und deswegen wäre ich sehr daran interessie rt , Warnungen der Fachleute vor Ort ernst nehmen. daß wir diese Fragen ganz ernst nehmen. Gründe und Beispiele wurden vielfach dargelegt. Soweit Herr Töpfer. Die PDS hält die Abschaffung der Teilungsgeneh- migung für fatal. So entfällt nicht nur die wichtige Herr Töpfer, so ernst, daß die Beteiligung in § 3 des Beratungsfunktion für Grundstückserwerber und ein Baugesetzes ausgeweitet wird und die Frauen do rt Überblick über den Grundstücksverkehr; auch das ausdrücklich erwähnt werden, scheinen Sie das Nutzungsrecht für Kleingärten und Datschen steht Ganze nun doch wieder nicht gemeint zu haben - auf dem Spiel. nach dem Motto: Was scheren mich meine Reden vom vergangenen Jahr? Denn die Wirklichkeit: Ab- Die Verbände der Kleingärtner warnten vor einer lehnung unseres Antrags, die Belange von Frauen, Änderung im Kleingartengesetz, weil dann umfang- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15741

Klaus-Jürgen Warnick reichere Gesetzesänderungen losgetreten würden, Zeigt doch die Fülle von über 100 Änderungsanträ- die auf Kosten günstigerer Pachtverhältnisse gingen. gen aller Parteien, wie unzureichend der Gesetzent- wurf war und ist. Es ist nicht gelungen, den Papierti- Außerdem ist das Gesetz mit dem Sachenrechtsbe- gern „Lokale Agenda 21" und „Istanbul-Erklärung" reinigungsgesetz, das bisher auf das Baurecht ver- auch nur ein bißchen Leben einzuhauchen. Die Zei- weist, nicht mehr kompatibel. Da wurde uns eine Än- chen der Zeit, Warnungen und Prognosen von Fach- derung versprochen - wer es glaubt. leuten sind offenbar spurlos und verantwortungslos Es ist wirklich fatal. Es ist gegen den gesammelten am Gesetzgeber vorbeigerauscht. Statt den Zielen Sachverstand aller Expertinnen und Experten versto- und Idealen von gestern hinterherzuhecheln, sollten ßen worden - typisch für diese Bundesregierung. Im wir diese überdenken und endlich aus ihrem Schei- Planspielverfahren hat man sich eindeutig und ein- tern Schlußfolgerungen ziehen. stimmig dagegen ausgesprochen, diese Teilungsge- nehmigung wegfallen zu lassen. Einer der Fachleute Einige von Ihnen erinnern sich vielleicht: Der sagte wortwörtlich: Wie kommen Politiker dazu, eine Deutsche Städtetag hat schon 1972, also vor 25 Jah- Regelung ändern zu wollen, die sich in der Praxis seit ren, unter dem Motto "Rettet unsere Städte jetzt" das Jahrzehnten gut bewährt hat? „breiartige Auseinanderfließen von Stadtstruktu- ren", das „Absterben der vom Individualverkehr Vor allem das Argument des angeblich schlanke- lahmgelegten Innenstädte", die „zunehmende Ver- ren Staates ist eindeutig widerlegt. Es würde - wir schmutzung von Luft und Wasser" und eine „öffentli- werden das in einem oder in zwei Jahren erleben - che Armut, die im harten Kontrast zum p rivaten zu einem Mehraufwand führen. Wohlstand steht" beklagt. Damals sollte Stadtent- wicklungsplanung das Allheilmittel sein. Geheilt Das wilde Teilen von Grundstücken wird vor allem wurde bis heute nichts. in Ostdeutschland zu einem großen Problem werden, da dort in der Regel keine Bebauungs- und Flächen- Meine Damen und Herren, wir können dem Ge- nutzungspläne vorliegen. Damit ist der Wildwuchs setzentwurf auch etwas Positives abgewinnen: Die ganz klar vorprogrammiert. PDS begrüßt das Vorhaben der Bundesregierung, Ich frage: Warum wird hier das Argument des das Baugesetzbuch, das Raumordnungsgesetz, die schlanken Staates vorgeschoben? Warum sagt man Baunutzungsverordnung und alle planungsrelevan- hier nicht offen die Wahrheit? Warum sagt man nicht, ten Regelungen anderer Gesetze in ein Paket als Ar- daß man hier eine Klientelpolitik für Immobilienbe- tikelgesetz zu packen. Wichtig ist auch die Stärkung sitzer betreiben will, die durch weiteres, nicht mehr der Regionalplanung, die als eigenständige Pla- genehmigungspflichtiges Teilen der Grundstücke nungsebene eingeführt wird. höhere Renditen erzielen können? Aber es wurden auch jede Menge Chancen vertan (Beifall bei der PDS) und Versprechen nicht eingelöst. Das Problem des Flächenverbrauchs ist hier mehrfach angesprochen Die Federballplätze lassen grüßen, Herr Braun. worden. Wie hier gegen die Argumente aller Fachleute ver- stoßen wird, erinnert mich frappierend an das Die Novelle ist deswegen für uns eine klare Mogel- Schlechtwettergeld. Die frühere Regelung kostete packung, nur halb gefüllt und verdorben durch ein- 800 Millionen DM, die derzeitige Regelung seitige Berücksichtigung der Interessen von Verbän- 2 Milliarden DM. Der Nebeneffekt: 200 000 Arbeits- den, Industrie oder Investoren. Ein SPD-Kollege, lose mehr in der Bauwirtschaft. Wir haben also mit ei- Hans-Ulrich Klose, sagte einst, als er noch Hambur- nem Steueraufwand von 1,2 Mil liarden DM 200000 ger Bürgermeister war: „Raumordnung und Planung Arbeitsplätze vernichtet. Das ist eine Bombenlei- sind der Reparaturbetrieb des Kapitalismus." Mit stung der Bundesregierung; das muß ich schon sa- dem neuen Bau- und Raumordnungsgesetz tragen gen. Regierung und Koalitionsparteien jedenfalls dazu bei, daß der Stellenwert der Planung weiter absinkt: (Beifall bei der PDS) von der Reparaturfunktion zum Feigenblatt des Kapi- talismus. Wir jedenfalls wollten ein Bau- und Raum- Eine ähnliche Fehlentscheidung gab es beim La- ordnungsrecht, das auf vier Säulen ruht: auf der öko- denschlußgesetz. Ich habe gar nicht die Zeit, alle logischen, der sozialen, der basisdemokratischen und Fehler aufzuzählen. Deshalb kehre ich zurück zum der wirtschaftlichen. Gesetzentwurf. Gerade die Novellen des Baugesetzbuches und (Beifall bei der PDS) des Raumordnungsgesetzes boten die Chance, In der jetzigen Form können wir das neue Bau- und Aspekte von Nachhaltigkeit oder Zukunftsfähigkeit im rechtlichen Regelwerk der Bundesrepublik für Raumordnungsgesetz nur ablehnen. Die Partei des den Städtebau des 21. Jahrhunderts zu verankern Demokratischen Sozialismus hat deshalb in bezug auf die brennenden Fragen erneut Änderungsan- und Sonntagsreden in gesetzliche Verpflichtungen zu wandeln. träge in den Bundestag eingebracht. Ich würde mich freuen, wenn sie denen zustimmen könnten. Die Partei des Demokratischen Sozialismus sieht jedenfalls keinen Grund zum Jubeln. Vielen Dank. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) 15742 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt republik Deutschland auch im Bauplanungsrecht der Herr Bundesminister Töpfer. Freiräume für Eigeninitiative und gemeindliche Ent- faltungsspielräume schrittweise und oft unbemerkt aufgegeben haben. Die deutsche Einheit hat sehr Bundesminister für Raumord- Dr. Klaus Töpfer, deutlich gemacht, daß es notwendig war, das zu nung, Bauwesen und Städtebau: Frau Präsidentin! überprüfen. Sie hat auch die Frage aufgeworfen, ob Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol- wir uns nicht mit bürokratischen Verkrustungen und leginnen und Kollegen! Ich freue mich natürlich sehr damit verbundenen längeren Genehmigungsverfah- darüber, daß wir heute in zweiter und dritter Lesung ren, mit Überreglementierungen und mit den die Novellierung des gesamtes Bauplanungsrechtes schwerfälligen Entscheidungsprozessen abgefunden beraten können. Ich habe bereits in meiner Einbrin- hatten. Es ist deswegen festzuhalten: Auch ohne gungsrede am 5. Dezember letzten Jahres hervorge- deutsche Einheit wäre eine Entrümpelung des Bau- hoben, daß diese neue Fassung des Baugesetzbuches planungsrechtes notwendig gewesen. Das ist durch und des Raumordnungsgesetzes ein außerordentlich den Prozeß der deutschen Einheit beschleunigt wor- wichtiger Schritt nach vorn ist - für eine weitere bau- den. Das ist wahr. liche Entwicklung unserer Städte und Gemeinden, für eine gute, abgestimmte Zukunft der ländlichen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Räume und auch - darauf komme ich zurück - für Wenn ich das sage, habe ich hohen Respekt vor de- eine nachhaltige Raum- und Siedlungsentwicklung, nen, die dieses Baurecht entwickelt haben. Ich wie wir sie auf dem Rio-Gipfel 1992, fast genau heute möchte feststellen: Es ist schließlich nicht so schlecht, vor fünf Jahren, und bei Habitat II in Istanbul im letz- daß wir es gänzlich umkrempeln müssen. Wenn ich ten Jahr beschlossen haben. Das Recht der Bauleit- mir die Städte und Gemeinden in Deutschland an- planung und der Raumordnung wird für ganz sehe, dann sehe ich sehr viel engagiertes Handeln Deutschland vereinheitlicht, übersichtlicher und ein- derer vor O rt . Wir haben nicht die asiatische oder facher gestaltet; Landes-, Regional- und Stadtpla- amerikanische Stadtentwicklung, sondern wir haben nung werden besser aufeinander abgestimmt, Städ- eine sehr sichere und gute Basis für städtische Ent- tebau und Wohnungsbau besser miteinander ver- wicklung in Deutschland erhalten können. bunden und gemeinsamen Zielsetzungen unterstellt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dies ist eine nüchterne Feststellung dessen, was wir hier tun. Wir sollten nicht darüber nachdenken, Das ist die Basis, die ich mit Respekt vor denen, die ob das nun „Jahrhundertgesetzqualität" hat oder das vorher gemacht haben, ansprechen will. nicht. Es handelt sich jedenfalls um eine sehr wich- Über die großartige und umfassende Verpflichtung tige Weiterentwicklung. zur Umgestaltung der neuen Bundesländer, zur Er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge neuerung des Wohnungsbestands, zur Sanierung der ordneten der F.D.P.) Innenstädte, zum Aufbau einer fehlenden Infrastruk- tur oder zur Sanierung und Modernisierung der ma- Lassen Sie mich auf sechs Anliegen zu sprechen roden Infrastruktur spricht die Partei des Demokrati- kommen, die ich mit diesem Gesetz verbinde. schen Sozialismus gar nicht. Aber wir müssen das im- Erstens. Ein einheitliches Städtebaurecht für ganz mer wieder einmal erwähnen. Deutschland wird geschaffen. Das Gesetz schafft sie- Die schlichte Notwendigkeit zum kurzfristigen ben Jahre nach der deutschen Einheit -endgültig ein Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen gerade bei gemeinsames Städtebaurecht für alle 16 Bundeslän- Städten und Gemeinden, in denen Menschen Ver- der im wiedervereinten Deutschland. Das hört sich antwortung übernommen haben, die neu in diesen heute fast selbstverständlich an. Wenn Sie die vielen Dingen waren, hat dazu geführt, daß wir hier reagie- Gespräche mit unseren Nachbarn in Mittel- oder Ost- ren. Das ist die Erfahrung, die wir gemeinsam ma- europa verfolgen, dann wissen Sie, welch eine große chen konnten. Leistung es ist, daß wir zwei ganz unterschiedliche Vorstellungen von Stadtentwicklung und Planung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) miteinander verbinden konnten. Den vielen Prakti- Wir haben diese Chance genutzt. Wir haben das kern vor Ort sei Dank dafür, daß das heute möglich Städtebaurecht flexibel vom bürokratischen Über- ist. maß entschlackt, wir haben es wirklich vorange- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bracht. Wir wollen diese Dynamik jetzt für alle 16 Länder nutzen, mehr Freiraum schaffen und die Es ist nicht selbstverständlich, und deswegen habe Trennung zwischen öffentlicher und p rivater Hand ich es an den Anfang gesetzt. im Sinne partnerschaftlicher Zusammenarbeit über- winden. Die Bundesregierung hat auf die Herausforderun- gen, die sich aus der Wiedervereinigung ergeben, Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt: mehr mit dem Einigungsvertrag und dem Maßnahmenge- partnerschaftliche Zusammenarbeit, einfachere Ver- setz zum Baugesetzbuch unverzüglich reagie rt. Man waltung, weniger Bürokratie. Die Zukunft verlangt denke noch einmal darüber nach, warum es notwen- von uns weniger hoheitliches und mehr pa rtner- dig war, ein Maßnahmengesetz zu machen. Deswe- schaftliches, koordiniertes Handeln. Nur so kann der gen lassen Sie mich ganz deutlich feststellen: Gerade hohen Veränderungsdynamik in unserer Gesellschaft die deutsche Einheit hat uns allen die selbstkritische vor dem Hintergrund der europäischen Einheit und Prüfung abverlangt, ob wir nicht in der alten Bundes- des globalen Wettbewerbs entsprochen werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15743

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Deswegen hatten wir mit dem städtebaulichen Ver- Mühldorf am Inn - der Kollege Hollerith wird die Ge- trag und dem Vorhaben- und Erschließungsplan eine meinde kennen -, mitteilt, daß dort bereits drei Vor- ganz sinnvolle Weiterentwicklung im Maßnahmen- haben und Erschließungspläne durchgeführt worden gesetz vorgenommen, die wir jetzt in Dauerrecht in sind; einer wurde für die Ansiedlung eines Hand- Deutschland überführen. Deswegen setze ich diesen werksbetriebs genutzt. Punkt ganz nach vorne. Dort, Herr Kollege Vesper, wird vor Ort bereits ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU handelt. Da fragt keiner: Wann bekomme ich den und der F.D.P.) Planungswertausgleich? Do rt wird gesagt: Ich habe Verwaltungsmaßnahmen werden vereinfacht, das das Instrument und nutze es, und der Handwerksbe- trieb zahlt mir die Ansiedlungskosten. Deswegen heißt, den Bürgern mehr Eigeninitiative zutrauen mache ich es. und mehr auf den Sachverstand und die Kompetenz der Kommunen vertrauen. Warum müssen Bebau- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ungspläne, die von Gemeinden aus einem Flächen- nutzungsplan entwickelt wurden, noch genehmigt Wenn Sie, Herr Kollege Vesper, in Nordrhein- werden? Das ist Mißtrauen gegenüber denjenigen, Westfalen genausoviel Werbung für diese Instru- die auf der kommunalen Ebene Entscheidungen tref- mente bis in die kleinen Gemeinden machen wür- fen. den, dann hätten Sie mehr Erfolg, als wenn Sie hier über Dinge Reden schwingen, die wir in den 60er (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und 70er Jahren bereits zu Recht abgelehnt haben. Lassen Sie es sie doch eigenverantwortlich machen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Ihre und unsere Kommunalpolitiker stehen doch und der F.D.P.) genauso in dieser Verantwortung. Deswegen, Herr Insofern sollten wir das wirklich machen. Kollege Schöler, habe ich mir erlaubt zu sagen: Es gibt kein parteipolitisches Baurecht. Die Menschen Ich will nicht nur auf Lohkirchen eingehen. Ich war vor Ort sind in allen Bereichen tätig, und ich traue ih- vor wenigen Tagen in Bad Vilbel - das ist in Hessen -, nen zu, daß sie aus einem genehmigten Flächennut- dort wird eine kommunale Bodenvorratspolitik bei zungsplan einen vernünftigen Bebauungsplan ablei- den vorhandenen Instrumenten bet rieben. Die ma- ten können, so daß er nicht mehr genehmigt werden chen dort soziale Bodenpolitik und lassen Familien muß. mit Kindern pro Kind 50 DM beim Bodenpreis nach. Sie machen konkrete Politik mit den vorhandenen In- Bei den Teilungsgenehmigungen ist es genauso. strumenten. Lassen Sie uns diese jetzt in Dauerrecht Hier wurde mit großem Pathos gesagt: Alle Sachver- überführen. Das wird eine gute Sache, die uns helfen ständigen sind dagegen. Die Expertenkommission wird. von Professor Schlichter hat uns gesagt: Streicht sie weg. Der Bundesrat, Herr Kollege Vesper, sagt mehr- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) heitlich: Streicht sie weg. Der Städte- und Gemeinde- Ich halte also eine neue Abgabe und einen Pla- bund sagt: Streicht sie weg. Der Städtetag sagt: Laßt nungswertausgleich - Herr Schöler hat es gesagt - sie stehen. auf den ersten Blick natürlich für eine sehr attraktive Es gibt also unterschiedliche Meinungen. Aber las- und plakative Sache. Aber bei solchen Dingen muß sen Sie uns doch nicht in eine Schwarz-weiß-Diskus- man sehr viel genauer hinsehen. Fragen Sie doch sion verfallen, Herr Kollege Conradi, und sagen, die bitte einmal nach: Warum soll das jetzt zu mehr Bau- einen sind die Dummen, die hören nicht auf die land und zu preiswerterem Bauland führen? Fachleute, und die anderen, wir, sind natürlich die (Achim Großmann [SPD]: Einfach mal ins Klugen und hören darauf. Es gibt unterschiedliche Nachbarland gucken!) Wertungen. Sie haben vorhin gesagt, ich hätte nichts zu mei- Deswegen, meine ich, sollte man zunächst sagen: nen Vorstellungen von nachhaltiger Entwicklung ge- Unabhängig davon, ob es 200 000 oder 300 000 oder bracht. Planungswertausgleich hilft mir bei Baulük- 50 000 Teilungsgenehmigungen sind, gilt: Wenn sie ken und im ungeplanten Innenbereich überhaupt nicht notwendig sind, sollte man sie weglassen und nicht, bringt aber ganz im Gegenteil einen Attraktivi- mehr Vertrauen in die Entwicklung vor Ort haben. tätszuschlag für die Ausweisung bisher nicht bebau- Das ist die Überlegung. ter Gelände, also genau das, was wir vorher gesagt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben. Deswegen: Lassen Sie die großen Sätze weg. Wenn (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie es genauer betrachten, verhält sich das Ganze nämlich etwas anders. Unterhalten Sie sich einmal mit dem Kollegen Gan- ser! Bei ihm haben wir nämlich gerade in Venedig Viele Beispiele aus der alltäglichen Praxis zeigen bei der Architekturbiennale unter der Überschrift mir, daß die neuen Instrumente für Eigeninitiative „Ohne Wandel Wachstum" eine Ausstellung ge- und partnerschaftliches Zusammenwirken von Staat macht. Er sagt, wir müßten mit dem vorhandenen be- und Bürgern in den Gemeinden angenommen wer- bauten Gelände auskommen. Unsere Enquete-Kom- den. Ich bin schon beeindruckt, wenn mir der Bür- mission dieses Bundestages sagt uns dasselbe. Wenn germeister der kleinsten Gemeinde eines oberbayeri- ich einen Planungswertausgleich einführe, gebe ich schen Landkreises, der Gemeinde Lohkirchen in Prämien dafür, daß zusätzliche Flächen ausgewiesen 15744 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer werden und daß man nicht zunächst einmal dahin mann, zunächst einmal bin ich immer sehr geneigt, geht, wo es schon Bauland gibt und Recycling ge- dem zuzustimmen, was Sie sagen. macht werden kann. Das ist nun einmal so. (Lachen bei der SPD) - Ich habe das wirklich ganz ernst gemeint. - Natür- Herr Minister Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: lich muß man das sehen. Nur, wenn Sie die Nieder- Töpfer, gestatten Sie zwei Zwischenfragen? lande ansprechen, dann müssen Sie dazusagen, daß die Instrumente, die wir gerade in das Gesetz hinein- Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- gebracht haben - städtebauliche Verträge, Vorha- nung,. Bauwesen und Städtebau: Ich gestatte sie sehr ben- und Erschließungspläne -, do rt nicht vorhanden gerne, Frau Präsidentin. sind. Daß dort dann ein anderes Instrument intensi- ver genutzt wird, ist doch selbstverständlich. Deswegen bin ich der Überzeugung, daß wir uns Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zunächst die hier nicht an irgendeiner neuen Abgabediskussion Kollegin Frau Eichstädt-Bohlig. festhaken dürfen. Ich muß doch heute praktische Politik machen können. Wir sind in einer Situation, in Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE der wir große Steuerreformen über Parteigrenzen GRÜNEN): Herr Minister Töpfer, glauben Sie nicht hinweg für unumgänglich halten und in der wir sa- auch, daß sich gerade dann, wenn Neubauland gen, daß wir im Steuer- und Abgabenwesen Verein- durch den Planungswertausgleich verteuert und da- fachungen vornehmen müssen. Wenn ich in einer mit etwas unattraktiver wird, viele Investoren wieder solchen Situation mit einer neuen Abgabe komme, für Baulücken interessieren werden und lieber do rt dann - da bin ich ziemlich sicher - wirkt sich das bauen werden, so daß gerade dieses Instrument hilft, nicht gerade sehr produktiv auf die gesamte Diskus- im besiedelten Bereich mehr Verdichtung und mehr sion aus. Konzentration auf die bestehende Infrastruktur zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bekommen, so daß es nicht nur ein Neubaulandaus- weisungsinstrument, sondern gleichzeitig auch ein Es ist meine Überzeugung, daß wir uns mit diesem Konzentrationsinstrument für den besiedelten Be- Instrument auseinanderzusetzen haben. Der Kollege reich wird? Vesper hat andere Inst rumente, die man genauso mit hineinbringen könnte - vom zonierten Satzungsrecht über die Grundsteuer C oder was immer Sie wollen -, Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- gar nicht angesprochen. nung, Bauwesen und Städtebau: Frau Kollegin Eich- städt-Bohlig, ich nehme sehr intensiv zur Kenntnis (Zuruf von der SPD: Er hat doch die und werde es dem Kollegen Vesper weitergeben, Grundsteuer C angesprochen!) daß Sie der Überzeugung sind, daß der Planungs- - Er hat die Grundsteuer C angesprochen, richtig. - wertausgleich nur eingeführt werden soll, damit er Ich hoffe, Frau Präsidentin, daß das immer noch als nicht oder nur als Abschreckungssignal genutzt Antwort auf die Zwischenfrage gilt; die Uhr läuft un- wird. Ich habe den Kollegen Vesper vorhin so nicht ermüdlich weiter. verstanden. (Lachen bei der SPD - Ingrid Matthäus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Maier [SPD]: Das mache ich auch gerne!) Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das war ein schönes Eigentor!) Nur eine kleine Fußnote dazu: Herr Kollege Ves- per, wenn jemand im Vorhaben- und Erschließungs- Herr Kollege Großmann. plan ein Baurecht bekommt und es nicht nutzt, geht das entschädigungslos zurück - nur damit das nicht vergessen wird; denn Ihre plakative Darstellung der (SPD): Herr Minister, sind Sie Achim Großmann Entschädigungspflicht bliebe sonst im Raum stehen. bereit, zuzugeben, daß die etwas knappe Vereinfa- Dies wollte ich nur dazu gesagt haben. chung, zu der Sie sich gerade haben hinreißen las- sen, uns nicht weiterhilft und daß Herr Vesper aus- Dritter Punkt: Naturschutz durch Bauleitplanung. drücklich und damit auch die Position der SPD auf- Ich muß Ihnen wirklich sagen: Das ist eines meiner nehmend gesagt hat, daß der Planungswertausgleich dringendsten Anliegen. Ich bin noch als Umweltmi- ein Instrument unter vielen sei, so daß das von Ihnen nister dabeigewesen, als wir den Baurechtskompro- angegebene Beispiel überhaupt nicht zieht? Sind Sie miß gemacht haben. Ich bin und bleibe der Meinung: weiterhin bereit, zuzugeben, daß in unserem Nach- Die größere ökologische Wirkung von Kompensati- barland, den Niederlanden, mit einem ähnlichen In- onsmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Land- strument bodenpreissenkende Wirkungen erzielt schaft wird durch die Bauleitplanung und durch die worden sind und die Eigentümer sowie die Städte Zusammenfassung im Baurecht erreicht. Ich will er- und Gemeinden mit diesem Inst rument hervorragend reichen, daß wir endlich einmal die permanente Ver- arbeiten können? dächtigung abbauen, daß do rt, wo Baurecht umge- setzt wird, so etwas wie ein „Anschlag" auf den Na- turschutz gemacht wird. Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- nung, Bauwesen und Städtebau: Herr Kollege Groß- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15745

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Wir müssen wieder mehr Vertrauen in diese Bereiche froh darüber, daß wir zumindest beim Raumord- bekommen. nungsgesetz eine ganz breite Zustimmung gefunden haben. 25 Jahre ist das Gesetz alt. Es wurde wirklich Auch weil letztlich Kostenvorteile entstehen kön- notwendig, daß wir darangingen. Ich finde es gut, nen, ohne daß wir weniger Naturschutz haben, und daß wir die Planung der Städte und Gemeinden in weil wir zu Vernetzungsplanungen kommen können, die Region einbinden, daß wir die Möglichkeit ver- ist das eine sinnvolle und vernünftige Regelung. Ne- traglicher Lösungen an Stelle hoheitlicher Ansätze benbei, Herr Kollege Schöler, ist sie auch völlig abge- für die Regionalentwicklung nutzen, daß wir für die stimmt mit dem Umweltbereich. Das, was Sie ange- Gemeinden in den Verdichtungsräumen die Mög- sprochen haben, ist reine Rechtstechnik. Das, was lichkeit schaffen, Flächennutzungsplanung und Re- wir noch als § 8 a des vorhandenen Gesetzes beraten, gionalplanung zusammenzufassen, also einen regio- soll rechtstechnisch zu §§ 17 ff. BNatSchG werden. nalen Flächennutzungsplan zu entwickeln. (Zuruf von der SPD: Es gibt noch andere Der sechste Punkt ist sicherlich die Erleichterung textliche Inhalte!) für den Strukturwandel in der Landwirtschaft. Das Darüber werden wir ohne jeden Zweifel rechtstech- betrifft die Frage der Nachhaltigkeit. Es kann doch nisch noch zu einer Klärung kommen. niemand glauben, daß es nachhaltig ist, wenn eine Bausubstanz, die do rt vorhanden ist, nicht genutzt Der vierte Punkt: die Stärkung der Innenstädte werden kann. Sie muß außenbereichsspezifisch sinn- und Stadtteilzentren. Das ist wirklich die zentrale voll genutzt werden. Aufgabe. Deswegen bin ich zunächst einmal den Kolleginnen und Kollegen aus dem 18. Ausschuß au- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU ßerordentlich dankbar dafür, daß sie Städtebauförde- und der F.D.P.) rung mit ihren auf eine nachhaltige Stadtentwick- Ich freue mich darüber, daß auch die Kollegen von lung gerichteten Förderschwerpunkt in das Bauge- der SPD-Fraktion der Meinung sind, das kann auch setzbuch integ riert haben. Das bedeutet eine Stär- Gewerbe sein. Natürlich muß es sich dabei um ein kung der Innenstädte. außenbereichsverträgliches Gewerbe handeln; das Ich muß es noch einmal sagen - das hat nichts mit möchte ich deutlich unterstreichen. Sonntagsreden zu tun -: Die Frage der Einkaufszen- Lassen Sie mich abschließend eines festhalten: Die tren ist keine Frage der Innenstädte, sondern eine Neufassung des Baugesetzbuches und des Raumord- Frage der grünen Wiese. Wir wollen Einkaufszentren nungsgesetzes ist, wie ich glaube, außerordentlich auf der grünen Wiese verhindern. Daß wir sie dann sorgfältig vorbereitet und entwickelt worden. in den Innenstädten nicht bekommen, resultiert al- lein schon aus den Bodenpreisen und ähnlichen Din- (Widerspruch bei der SPD) gen. Das Halle-Saale-Center zwischen Halle und Eine sehr gute Grundlage ist von der Schlichter- Leipzig wird nicht in der Innenstadt entstehen. Wenn Kommission geschaffen worden, in der unter Vorsitz wir Ihren Vorschlägen folgen, bekommen wir keine von Professor Schlichter Vertreter der Länder und der Begrenzung, sondern ganz im Gegenteil einen Druck Gemeinden ihre praktischen Erfahrungen einge- in die Außenbereiche. bracht haben. Ich darf dieser Kommission und ihrem Deswegen sage ich noch einmal: Ich will alles dar- Vorsitzenden von dieser Stelle aus sehr herzlich dan- ansetzen, damit der Druck des Handels auf die grüne ken. Wiese endlich beendet wird. Das können wir durch Wir haben sechs Monate lang ein sehr breites Plan- das, was wir hier vorgeschlagen haben, wie ich spiel im Praxistext durchgeführt. Ich danke den Städ- meine, besser erreichen als bisher. Wir brauchen ten Leipzig und Karlsruhe, Flensburg und Sankt Au- eine Stärkung und keine Veränderung. gustin, Schopfheim und Bad Zwischenahn sowie den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) beiden Landkreisen dafür, daß sie so klasse mitgear- beitet haben. Wir haben vieles zusätzlich lernen kön- Ich möchte das, was wir mit Blick auf den Woh- nen und haben es umgesetzt. nungsbau im Baugesetz haben, im Wohnungsgesetz- buch mit Blick auf den Städtebau haben. Das muß Mein Dank gilt natürlich auch den engagierten aus einem Guß sein. Ich möchte wirklich die Neu- und sachkundigen Berichterstattern in den Fraktio- bauaktivitäten in die Städte verlagern. Deshalb müs- nen. Ich möchte das mit ganz großem Respekt ge- sen diese Dinge als miteinander verbunden betrach- genüber dem Kollegen Götz, dem Kollegen Schöler, tet werden. Das, was wir im Baugesetzbuch und im dem Kollegen Braun und anderen sagen, die hier Raumordnungsgesetz entwickelt haben, muß seine mitgearbeitet haben. Es war wirklich eine großartige klare Entsprechung im Wohnungsgesetzbuch finden. Bestätigung der Sachverständigendiskussion im Par- Ich habe den entsprechenden Entwurf jetzt an die lament - man muß das einmal nachhaltig unterstrei- Länder versandt. Es steht do rt genauso drin. Wir wol- chen - bei einer so schwierigen Mate rie. len die Innenstädte, auch wohnungsbezogen, stär- Meine Damen und Herren, Sie werden es verste- ken. Ich glaube, daß wir dadurch für die Gesamtent- hen, wenn ich Ihnen abschließend sage: Ich danke wicklung unserer Städte wirklich einen guten Schritt auch ganz herzlich meinen Mitarbeitern, die dieses nach vorne tun. mit entwickelt haben und die mir als Newcomer auf Der fünfte Punkt: ein neues Raumordnungsrecht diesem Feld erst einmal einige Nachhilfestunden im für eine nachhaltige Raumentwicklung. Zunächst Baurecht gegeben haben. Ich hoffe, daß ich zumin- einmal bin ich außerordentlich dankbar dafür und dest bis zur Lehrlingsprüfung gekommen bin. Ihnen 15746 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer jedenfalls gebührt ganz herzlicher Dank für diese Eine falsche Weichenstellung kann besonders die gute Arbeit. Verdichtungsräume in ihrer Siedlungsentwicklung nachhaltig gefährden. Das gilt besonders für die Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kehrsinfrastruktur, die Siedlungsräume zerschneiden oder ungünstige Siedlungsschwerpunkte setzen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat kann, die wiederum Pendlerströme hervorrufen und jetzt die Kollegin Gabriele Iwersen. neue Umweltbelastungen produzieren. Jeder Super- markt mit seinem unbegrenzten Parkplatzangebot auf der grünen Wiese, was hier schon häufiger ange- Gabriele Iwersen (SPD): Frau Präsidentin! Meine sprochen worden ist, richtet nachhaltigen ökologi- Damen und Herren! Nach so vielen charmanten Wor- schen Schaden an und beeinträchtigt die Funktion ten unseres Bauministers bin ich mit meiner trok- der Innenstädte als lebendige Mitte des städtischen kenen Materie natürlich völlig fehl am Platze, zumal Lebensraumes. ich auch nur über das Raumordnungsgesetz spre- Es hat sich bereits herumgesprochen: Das Wo chen will, also mir nur einen Teilbereich vorgenom- rt „Nachhaltigkeitsprinzip" als Leitvorstellung soll ei- men habe. Aber ich bin natürlich fest davon über- ner Raumentwicklung dienen, zeugt, daß Sie meinen Worten trotzdem andächtig lauschen werden. die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktio- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Dafür bist du nen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, kein Ankündigungsminister!) großräumig ausgewogenen Ordnung führt. - Das will ich auch gar nicht werden; das muß ich So steht es in § 1 Abs. 2. Das heißt, wir sind verpflich- ganz ehrlich sagen. tet, das Wort „Nachhaltigkeit" mit einer positiven Be- deutung auszustatten. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist auch sehr wahrscheinlich!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Man muß sich zunächst einmal wundern, daß an- Hauptsache, es halten sich auch alle Verantwortli- gesichts des Drangs nach Deregulierung das Raum- chen daran; dann mag es wohl gehen. ordnungsgesetz noch erhalten geblieben ist. Werfen Betrachten wir einmal die Aufgaben und Leitvor- wir einmal einen Blick über die Grenzen unseres stellungen der Raumordnung etwas näher, so ist ei- Landes hinaus auf die Mammutstädte dieser Welt. In gentlich nichts ausgelassen. Von der freien Entfal- Kairo leben 7 Millionen Einwohner, eingebettet in ei- tung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft über nen Großraum mit zirka 15 Millionen Einwohnern; in den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, die Mexiko-Stadt sind es 11 Millionen, wobei man an- Standortvoraussetzungen für wi rtschaftliche Ent- nehmen muß, daß rundherum insgesamt 20 Mil lionen wicklungen, die langfristig offenzuhaltenden Gestal- wohnen. All diese Agglomerationen zeigen: Die Ei- tungsmöglichkeiten bis hin zur Stärkung der Vielfalt gendymanik der Bevölkerungsentwicklung und die der Teilräume soll alles bedacht werden, um - jetzt Wanderungsströme vom Land in die Stadtregionen kommt es nämlich - „gleichwertige Lebensverhält- sind nicht nur ein Zeichen von Entscheidungsfreiheit nisse in allen Teilräumen herzustellen" und des einzelnen Bürgers, sondern ein Zeichen von Un- vermögen kollektiver Gestaltungskraft, um eine zu- die räumlichen und strukturellen Ungleichge- kunftsträchtige, ökologisch und sozial verantwort- wichte zwischen den bis zur Herstellung der Ein- bare Entwicklung der Siedlungs- und Freiräume heit Deutschlands getrennten Gebieten auszu- durchzusetzen. gleichen. Im Gegensatz dazu steht bei uns der Wille des Ge- Fromme Wünsche von Gesetzgeber und Planver- setzgebers, dem Gesamtraum dieses Landes eine fassern, denn der Katalog dieser Leitvorstellungen Raumstruktur zu geben, die funktionsfähige Verhält- erweist sich leider als Wunschzettel, der spätestens nisse in den besiedelten und unbesiedelten Teilräu- bei der Bindungswirkung der Erfordernisse der men schafft und dabei die Auswirkungen auf die Zu- Raumordnung nach § 4 des Raumordnungsgesetzes kunft zum Leitgedanken macht. Bis dahin sind wir an Nachhaltigkeit verliert, wenn nämlich die „sonsti- uns sicherlich alle einig, daß dies eine Begründung gen behördlichen Entscheidungen" nicht mehr auf dafür ist, daß wir ein Raumordnungsgesetz brau- raumbedeutsame Planungen bezogen werden, son- chen. dern auf den Vollzug in den späteren Jahren. Bei den Grundsätzen der Raumordnung nach § 2 (Beifall bei der SPD) Abs. 2 lesen wir in Satz 2: Dieser Gedanke, der die Zukunftsträchtigkeit der Die dezentrale Siedlungsstruktur des Gesamt- Planung beinhaltet, wird durch den Hinweis auf die raums mit ihrer Vielzahl leistungsfähiger Zentren Nachhaltigkeit zum Ausdruck gebracht - ein Aus- und Stadtregionen ist zu erhalten. Die Siedlungs- druck, der mich nicht zufriedenstellt; denn auch Zer- tätigkeit ist räumlich zu konzentrieren und auf störung und Beeinträchtigung des Naturhaushalts ein System leistungsfähiger zentraler Orte auszu- oder ganzer Siedlungsräume können äußerst nach- richten. haltig sein. Gerade dieser Grundsatz, der bereits im alten (Beifall bei der SPD) Raumordnungsgesetz verankert war, hat der Bundes- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15747

Gabriele Iwersen republik durch gezielte Dezentralisierung eine posi- Raumordnung, wenn der Kanzler und die F.D.P. ge- tive Entwicklung ermöglicht und die Entstehung von rade Steuerentlastung beschlossen haben, Riesengroßstädten, wie ich sie am Anfang erwähnt habe, verhindert, deren Lebensqualität im Verkehrs- (Beifall bei der SPD) chaos erstickt und deren Naturhaushalt längst zu- und das, obwohl die öffentlichen Kassen sowieso leer sammengebrochen wäre. sind und die heutige Steuerschätzung erneut ein Loch von 20 Milliarden Defizit signalisiert? Da gibt es Uns geht es um das System der leistungsfähigen dann eben nichts mehr auszugleichen. Deshalb be- zentralen Orte außerhalb der Ballungsgebiete, der wundere ich Ihren Mut, soviel heile Welt planen zu Mittel- und Oberzentren, die ihre Funktion nicht zu- lassen. letzt durch die Präsenz öffentlicher Einrichtungen mit überörtlicher Funktion ausbauen und erhalten Die Raumordnung stellt natürlich auch einen An- konnten. griff in die Entscheidungsfreiheit einzelner Bürger dar, besonders wenn ihnen viel Land im Außenbe- Der neue „magere" Staat ist aber gerade wieder reich gehört und ihnen die Raumordnung keinen auf dem Rückzug aus der Fläche und baut neue, Wertzuwachs zubilligt, während der Nachbar am stark zentralisierte Strukturen auf. Bahn und Post ha- Rande der Stadt für seine saure Wiese plötzlich ein ben den Anfang gemacht, Landes- und Bundesbe- Baurecht bekommt und nun ein gemachter Mann ist. hörden ziehen nach. Die zentralen Orte am Rande Da wäre zum Beispiel der Planungswertausgleich ge- der Republik, an der Küste von Nord- und Ostsee nau angebracht, um ein bißchen mehr Gerechtigkeit oder an den Grenzen zu den Nachbarstaaten, die zu schaffen, aber leider ist er hier nicht durchzuset- noch nicht der EU angehören, haben das Nachsehen. zen. Sie können bei jeder neuen Hiobsbotschaft über Die Raumordnung setzt auch der kommunalen Pla- den Abbau von Dienststellen, Forschungseinrichtun- nungshoheit bzw. dem kommunalen Konkurrenz- gen und anderen öffentlich finanzierten Arbeitsplät- kampf um Zuwachsraten Schranken. Das kann zen nur die Frage stellen, wie sie die verbleibenden manchmal sehr heilsam sein. Die Beteiligungsrechte Aufgaben sozialer und kultureller Infrastruktur, die der Bürger sind allerdings gering, und die der Kom- sie auch für die Nachbargemeinden vorhalten müs- munen erscheinen mir auch nicht gerade üppig. sen, aufrechterhalten können, obwohl gerade diese zentralen Orte in der Regel die höchste Arbeitslosig- Dafür hat die Raumordnung aber die schwierige keit und die am stärksten überschuldeten Kommu- Aufgabe zu meistern, die Grenzen unterschiedlicher nalhaushalte aufweisen. Gebietskörperschaften zu überwinden und die Ver- flechtungsbeziehungen über Länder- und Staats- Steht nicht im Raumordnungsgesetz im § 1 unter grenzen hinweg zu fördern. Dabei ist die Sicherung „Aufgaben der Leitvorstellungen der Raumord- der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts sowohl nung" : „Gleichwertige Lebensverhältnisse in allen im besiedelten Bereich als auch im Außenbereich er- Teilräumen sind herzustellen"? Herzustellen, nicht ster und oberster Grundsatz. Das heißt, der Schutz, nur zu planen! die Pflege und die weitere Entwicklung der natürli- (Beifall bei der SPD) chen Lebensgrundlagen obliegen allen Teilräumen und sind nicht einseitig dem ländlichen Raum abzu- Meine Damen und Herren, das Raumordnungsge- verlangen. Der ländliche Raum kann schließlich nicht setz ist ein gutes und wichtiges Gesetz. Ich habe es nur die Ausgleichsfunktion für die im Zusammen- vorhin schon gesagt, und auch Herr Töpfer hat es na- hang bebauten Siedlungsgebiete übernehmen, son- türlich schon sehr häufig erwähnt. Aber es ist ein dern er ist und bleibt auch Lebens- und Wirtschafts- stumpfes Schwert im Kampf um die gleichwertigen raum der ländlichen Bevölkerung. Lebensverhältnisse, wenn darüber hinaus staatliches Trotz der berechtigten Zweifel an einer ausreichen- Handeln nur durch fiskalisches Denken bestimmt den Wirkung des Raumordnungsgesetzes auf eine wird. Die zentralen Orte haben ihre Bedeutung nicht positive Entwicklung im Sinne der Leitvorstellungen nur für die Wirtschaftsstruktur, sondern sind auch begrüßt die SPD-Bundestagsfraktion die Fortent- Kristallisationspunkte des sozialen und kulturellen wicklung bzw. die Neuformulierung des Raumord- Lebens mit einem eigenständigen Innovationspoten- nungsgesetzes, was zu einer besseren Systematik tial, auf das wir nicht verzichten können, wollen und und damit auch zu Überschaubarkeit geführt hat. sollen. Schließlich gibt es auch viele Kar rieren, die im Provinztheater angefangen haben. Die im § 2 aufgelisteten Grundsätze haben in Tei- len sogar etwas Liebenswertes an sich - natürlich nur Im Grunde genommen ist das Raumordnungsge- in Teilen -, bergen sie doch einen schwachen Hoff- setz ein Anachronismus, denn Bauminister Töpfer, nungsschimmer für die strukturschwachen Räume, der sich gern als Schöpfer des neuen Rechts der eines Tages doch der gleichwertigen Lebensverhält- Raumordnung feiern lassen möchte, müßte längst er- nisse teilhaftig werden zu können. kannt haben, daß sich die Regierung, der er ange- hört, den Zielen der Raumordnung keineswegs ver- Zu schade, daß dieses Gesetz nicht den Zugang zu pflichtet fühlt. Das gilt sowohl für den mißlungenen einer kräftigen Finanzhilfe enthält. Wie soll man fol- Aufbau Ost wie auch für den Abbau des Solidarzu- genden Satz umsetzen: „Dazu gehören insbesondere schlags, und ich zitiere noch einmal: „Die räumlichen ausreichende und qualifizierte Ausbildungs- und Er- und strukturellen Ungleichgewichte sind auszuglei- werbsmöglichkeiten sowie eine Verbesserung der chen" . Das hört sich gut an, aber was heißt schon Umweltbedingungen und der Infrastruktur"? Das be- 15748 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Gabriele Iwersen zieht sich auf Räume, in denen die Lebensverhält- Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung und danke nisse im Vergleich zum Bundesdurchschnitt wesent- für Ihre Geduld. lich zurückgeblieben sind oder zurückzubleiben dro- hen, also auf Gebiete ohne ausreichende eigene (Beifall bei der SPD) Wirtschaftskraft. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Auch folgender Satz findet meine volle Zustim- jetzt der Abgeordnete Helmut Wilhelm. mung: „Eine gute Erreichbarkeit a ller Teilräume un- tereinander durch Personen- und Güterverkehr ist si- cherzustellen", wobei ich natürlich an den Schienen- Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE verkehr denke, zumal anschließend über die Verrin- GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- gerung der Verkehrsbelastung und die Vermeidung ren! Nicht überall, wo Nachhaltigkeit draufsteht, ist zusätzlicher Verkehre die Rede ist. auch Nachhaltigkeit und Schutz der natürlichen Le- bensgrundlagen drinnen. Man darf gespannt sein, wieviel Nebenstrecken die Regionalisierung überhaupt überstehen. (Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!) Verbal sind diese Etiketten dem Gesetzentwurf zwar Oder hilft da vielleicht die Raumordnung? Ich wunderschön aufgeklebt, tatsächlich aber ist wieder möchte daran zweifeln. einmal der Gaul der Deregulierung mit der Regie- rungskoalition durchgegangen mit der Folge, daß (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne vom schönen Etikett nicht mehr sehr viel übrigbleibt. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Letztendlich war und ist es offenkundig vorrangi- Meine Damen und Herren, Sie sehen: Dieses Ge- ges Ziel, zunächst übergangsweise gedachte Rege- setz muß man ganz besonders dem Kanzler ans Herz lungen, wie das Baugesetzbuch-Maßnahmengesetz, legen. Vielleicht kann das Herr Töpfer übernehmen. in das Dauerrecht zu überführen. So ist der Gesetz- Vielleicht macht der Kanzler es zur Richtlinie seiner entwurf geprägt vom Grundgedanken der Deregulie- Politik. rung, vom Abbau einzelner Bürgerbeteiligungrechte planbetroffener Bürger und vom Abbau der rechts- (Achim Großmann [SPD]: Der hat keine!) aufsichtlichen Prüfung für aus dem Flächennut- Wenn alle Kabinettsmitglieder ihre obersten Ziele in zungsplan hergeleitete Bebauungspläne. der Umsetzung der Leitvorstellung und der Grund- Selbstverständlich haben auch wir Grünen nichts sätze der Raumordnung sehen würden und Hand- gegen Beschleunigung und Erleichterung der Bau- lungsfreiheit bei der Verwirklichung hätten, wäre leitplanung. Vorrangig für uns ist aber die Gewähr- ihre Politik nämlich wahrhaft nachhaltig. leistung der Grundsätze des Natur- und Umwelt- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schutzes sowie natürlich der Mitwirkungsrechte planbetroffener Bürger. Das fehlt ihr ja schließlich. Dabei zeigt ein Blick in den Bericht der Bundesre- Neben diesem vergeblichen Wunsch kann ich nur gierung zum Ergebnis der Wirkungsforschung befri- noch einen etwas realistischeren vorbringen. Wir So- stet geänderter städtebaulicher Vorschriften, daß sich zialdemokraten hoffen, daß die Möglichkeit,- dem Re- für die Mehrzahl der untersuchten Gemeinden gionalplan in verdichteten Räumen zugleich die „keine nennenswerten Zeitgewinne und Verfahrens- Funktion eines gemeinsamen Flächennutzungspla- erleichterungen" ergeben haben. nes zuzubilligen, nur dann eröffnet wird, wenn es (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ sich um eine kommunal verfaßte Regionalplanung handelt. Wir verlangen also für dera rtige Planungen DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) nicht nur die Zustimmung der Gemeinden, sondern Zwar haben sich letztendlich auch diese Gemein- auch die Einhaltung sämtlicher verfahrensrechtlicher den für die Beibehaltung der Vorschriften ausgespro- Vorschriften wie bei einem Flächennutzungsplan, chen, aber um der „atmosphärischen Wirkung" des also inklusive Bürgerbeteiligung. Sonst wäre näm- Anscheins einer Beschleunigung wi llen. Klartext: lich die kommunale Planungshoheit ein Muster ohne Um Aktionismus vorzutäuschen. Deregulierung also Wert. nur als Potemkinsches Dorf. Dafür aber sind uns Na- tur und Umwelt zu wichtig. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre Redezeit ist abgelaufen. Mit dieser Ansicht befinden wir uns im übrigen in guter Gesellschaft. Selbst der Gutachter der Bundes- Gabriele Iwersen (SPD): Ich bin bei meinen letzten regierung empfiehlt in eben diesem Bericht, „wegen Sätzen. Schönen Dank für den Hinweis. der überragenden Bedeutung der Bürgerbeteiligung für Qualität und Akzeptanz und der sehr bescheide- Meine Damen und Herren von der Koalition, daß nen Wirkung andererseits für Beschleunigungen an die Planungshoheit ein Muster ohne Wert wäre, kann der alten Regelung des BauGB festzuhalten". doch nicht Ihr Anliegen sein. Unser Antrag gibt Ih- nen die einmalige Möglichkeit, hier noch nachzubes- Wir räumen selbstverständlich ein, daß der Ent- sern. wurf qualitative Verbesserungen enthält - gepaart Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15749

Walter Wilhelm (Amberg) mit deutlichen Verschlechterungen. So da sind: teil- Der Schutz des Außenbereichs - schon bisher weise Abschaffung der rechtsaufsichtlichen Prüfung durchlöchert genug - muß absoluten Vorrang behal- von Bebauungsplänen, Abschaffung der Teilungsge- ten. Wir sind entschieden dagegen, die Zersiedelung nehmigung, keine UVP im Raumordnungsgesetz, durch Ausnahmeregeln weiter voranzutreiben und Verlagerung der Zuständigkeit für Belange des Na- die Möglichkeit der Außenbereichssatzung ins Dau- turschutzes auf die Planungsbehörden, also gerade errecht zu überführen. Der wohnungspolitische Nut- auf diejenigen, die primär verändern und eben nicht zen ist nach bisheriger Erfahrung gering, die Effekte schützen wollen, und dergleichen mehr. für Landschaft und Natur unabsehbar. Wir Grünen wie auch die SPD haben in den Aus- Notwendig ist auch eine überregionale Abstim- schußberatungen eine Vielzahl, wie ich meine, quali- mung benachbarter Gemeinden, und zwar mehr, als tativ guter Änderungsvorschläge gemacht, überwie- bereits bisher geboten. Die interkommunale Abstim- gend hergeleitet aus den Anregungen der Fachgut- mung muß so verbindlich organisiert werden, daß die achter im Experten-Hearing. Alle, aber auch wirklich beteiligten Gemeinden kein Überangebot an Bau- alle - und selbst die kleinsten - Änderungsanträge land schaffen und konkurrierende Nutzungen ver- wurden von der Ausschußmehrheit abgebügelt. mieden werden. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Dies bedeutet aber letztendlich auch, daß es bei DIE GRÜNEN]: Beschämend!) der Pflicht zur Vorlage von Bebauungsplanentwürfen Täglich werden in Deutschland 80 bis 100 Hektar an die Rechtsaufsichtsbehörde wie • bisher sein Be- Freifläche in Siedlungs- und Verkehrsraum umge- wenden haben muß. wandelt. Folge: großräumige Zerstörung von Natur Durch das Investitionserleichterungs- und Wohn- und Landschaft. Jede neue Baulanderschließung hat baulandgesetz 1993 wurde die vordem vorge- Eingriffe in Klima und Atmosphäre, in Boden und schriebene Umweltverträglichkeitsprüfung aus dem Wasserhaushalt, in Natur und Artenvielfalt zur Folge. Raumordnungsgesetz entfernt. Dabei will es die Ko- Zentrale Forderungen von Agenda 21 sind aber die alition belassen. Wir nicht! Das Europarecht schreibt entschiedene Begrenzung von Zersiedelung und die UVP möglichst frühzeitig vor. Erster Entschei- eine umweltverträgliche Stadtentwicklung. Das geht dungsschritt ist halt nun einmal häufig das Raumord- halt nun einmal nicht ohne Regularien. nungsverfahren. Auch für einen Investor ist es letzt- Wir fordern daher besondere gesetzliche Festle- endlich natürlich zweckmäßiger, bereits im ersten gungen insoweit: Vorrang für die Nutzung von Bra- Planungsschritt auf die Unmöglichkeit seines Vorha- chen und bislang unbebautem Innenbereich, Über- bens hingewiesen zu werden als erst später. planung bisher landwirtschaftlich genutzter Freiflä- chen nur, soweit unbedingt erforderlich, vorrangige Planungsverfahren müssen stärker demokratisiert Anlage von Siedlungsschwerpunkten an Trassen des werden, also mehr statt weniger Bürgerbeteiligung. ÖPNV, insbesondere der Schiene, um Verkehrsverla- Verstärkte Einbeziehung der Bürger bringt nicht nur gerung zu erreichen und so Verkehrsflächen zu spa- zusätzliche Sachkunde ins Verfahren, sondern kann ren. gerade langwierige Konflikte klären und damit be- schleunigend wirken. (Beifall des Abg. Albe rt Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das sind die Kernpunkte unseres - teils mit der SPD abgestimmten - Antrags. Die Novelle des Bau- Ich erinnere hierbei an den Antrag der Koalitions- und Raumordnungsgesetzes war eine Chance. Die fraktionen zum kosten- und flächensparenden Koalition steht davor, diese Chance zu vertun. So Bauen, den wir in der vorigen Sitzungswoche hatten. geht halt, wie ich fürchte, der angekündigte große Aber natürlich auch Minderung des CO2-Ausstoßes Wurf wieder einmal daneben. soll dieser Gesichtspunkt erfassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Festsetzung von - Ausgleichs und Ersatzmaß- und bei der SPD) nahmen bei Eingriffen in Natur und Landschaft dür- fen nicht auf die Planungsbehörden übertragen wer- den. Sie müssen bei den Naturschutzverbänden, Ent- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat schuldigung, bei den Naturschutzbehörden wie bis- jetzt der Abgeordnete Peter Götz. her verbleiben.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das Peter Götz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine war ein sinniger Versprecher!) sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen - Ein bißchen schon. und Kollegen! Die Novelle des Bau- und Planungs- rechts war nicht eine Chance, die vertan worden ist, Es mag ja sein, daß bei Planungsämtern Fachkom- sondern sie ist eine Chance, die wir ergriffen haben. petenz vorhanden ist. Aber die Zielrichtung dieser Behörden geht schon rein begrifflich auf Verände- ( [CDU/CSU]: Sehr richtig!) rungen. Wenn man eine Truhe beim Spengler be- stellt, darf man sich hintennach nicht wundern, wenn Wir schaffen mit der heutigen Verabschiedung des man eine Blechkiste bekommt. Baugesetzbuches und der Novelle zum Raumord- nungsgesetz, lieber Kollege Wilhelm, sehr wohl die (Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] Voraussetzungen für eine nachhaltige Siedlungsent- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) wicklung in unserem Land. Wir setzen damit die er- 15750 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Peter Götz folgreiche Wohnungspolitik der vergangenen Jahre ein Griff in die Mottenkiste der 60er und 70er Jahre. im Bau- und Planungsrecht fo rt. (Achim Großmann [SPD]: Dummes Zeug!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Der Planungswertausgleich, Herr Kollege Schöler, ist ordneten der F.D.P.) von der Entwicklung längst überholt. Nicht einmal Diesen Erfolg lassen wir uns von niemandem zerre-- die Städte und Gemeinden wollen ihn. den. (Walter Schöler [SPD]: Das stimmt nicht!) Wir verabschieden heute ein gutes Gesetz, ein gu- Ich empfehle Ihnen, sich einmal mit dem Deutschen tes Gesetz für die Bürgerinnen und Bürger, für Inve- Städtetag in Verbindung zu setzen und sich zu infor- storen, für Kommunen und schließlich für Natur und mieren. Umwelt. Deshalb möchte auch ich die Gelegenheit nutzen, danke zu sagen. Ich sage dies als Berichter- Wir setzen auf Partnerschaft. Ein partnerschaftli- statter für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach ches Miteinander ist immer besser, als die Bürgerin- Abschluß vieler Beratungen. Ihnen, Herr Minister nen und Bürger mit neuen Abgaben und neuer Büro- Töpfer, und den Damen und Herren Ihres Ministeri- kratie zu strapazieren. ums. Ich sage herzlichen Dank für eine gute, solide (Beifall bei der CDU/CSU) und sehr konstruktive Zusammenarbeit in diesem Verfahren. Wir wollen die Belastung der Bürger reduzieren. Wir wollen Bürokratie abbauen. Die Verankerung der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Planungsleitlinie der Nachhaltigkeit an hervorragen- In diesen Dank schließe ich den Vorsitzenden un- der Stelle, in § 1 des Baugesetzbuches, unterstreicht seres Bauausschusses und vor allen Dingen auch das auch die Bedeutung des Umweltschutzes und der Ausschußsekretariat ein. nachhaltigen Entwicklung für die Bauleitplanung. Insofern haben wir keinen Nachhilfebedarf. (Peter Conradi [SPD]: Gegrüßet seist du, Maria!) Durch die Übernahme des planungsrechtlichen Teils der Eingriffsregelung aus dem Bundesnatur- Sie haben uns durch ausgezeichnete Vorarbeit bei schutzgesetz in das Baugesetzbuch wird dieses kom- nahezu 100 Änderungsanträgen die parlamentari- plizierte Instrument einfacher anwendbar. Es wird sche Arbeit wesentlich erleichtert. Dafür sagen wir damit auch wirksamer. Ein wichtiges Signal für die Dank. planenden Städte und Gemeinden ist die eindeutige (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Formulierung im Gesetz, wonach die Eingriffsrege- Achim Großmann [SPD] - Albe rt Schmidt lung dem planungsrechtlichen Abwägungsgebot un- [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: terstellt wird. Das heißt, die Grundsätze der gerech- Eine Schachtel Pralinen wäre das mindeste ten Abwägung aller öffentlichen und p rivaten Be- gewesen!) lange gegeneinander und untereinander gelten auch für einen zu erwartenden Eingriff in Natur und Land- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Diskussion schaft. war nicht immer einfach, aber wir haben ein großes Die Sorge des Bundesrates, der Schutz für Natur bau - und planungsrechtliches Bündel geschnürt, das sich sehen lassen kann. Wir haben es geschafft, im und Umwelt würde an Bedeutung verlieren, ist unbe- Interesse vieler arbeitssuchender Menschen- das Bau- gründet. Sowohl das Planspiel, das durchgeführt und Planungsrecht fitzumachen für das nächste Jahr- worden ist, als auch die Anhörung im Ausschuß ha- tausend. Wir haben erreicht, Ökonomie und Ökolo- ben bestätigt, daß die Städte und Gemeinden sehr gie sinnvoll miteinander zu verbinden und damit ei- wohl in der Lage sind, die Ökologie bereits im Vor- nerseits die Ziele der Habitat-Agenda von Istanbul feld in ihre Planungen zu integrieren. und andererseits die berechtigten Anforderungen Künftig kann die Bauleitplanung wesentlich flexib- der Städte und Gemeinden unter einen Hut zu brin- ler als bisher gehandhabt werden. Die Gemeinden gen. haben jetzt die Möglichkeit, eine Ausgleichsmaß- nicht nur im Baugebiet selbst, sondern im ge- Neben den Schwerpunkten, die mein Kollege nahme samten Gemeindegebiet auf der Ebene des Flächen Dr. Dietmar Kansy am Anfang ausgeführt hat, war nutzungsplanes oder auf gemeindeeigenen Grund- eine der wichtigsten Fragen: Wie können Gemein- stücken durchzuführen. den kostengünstig Bauland für die Schaffung von Wohnraum und Arbeitsplätzen mobilisieren und (Gert Willner [CDU/CSU]: Eine sehr ver- gleichzeitig einen qualitativen Ausgleich für den un- nünftige Lösung!) vermeidbaren Eingriff in die Natur sichern? Die räumliche und die zeitliche Entkoppelung von (Gert Willner [CDU/CSU]: Da ist dieses Eingriff und Ausgleich erhöht zusätzlich die Flexibili- Gesetz ein wichtiger Schritt!) tät und verbessert die Handhabung derjenigen, die vor Ort in den planenden Gemeinden mit diesem Die uralte sozialistische Idee von SPD und Grünen, schwierigen Instrument umgehen müssen. Bodenwertabschöpfung als neue Finanzierungs- quelle zu erschließen, ist sehr wohl, Herr Minister (Beifall bei der CDU/CSU) Vesper - ich weiß nicht, ob er noch da ist - Natürlich gewinnt der Flächennutzungsplan da- (Zuruf von der CDU/CSU: Nein!) durch zusätzlich an Bedeutung. Das ist gewollt und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15751 Peter Götz auch gut so. Die bisherige enge und preistreibende ebene. Auch dies dient der Rechts- und Verwaltungs- Ausgleichsregelung wird überwunden. Die Konse- vereinfachung und spa rt schließlich Steuergelder. quenz ist: Kosten- und flächensparendes Bauen wird erleichtert. Dies führt - ganz im Interesse einer nach- (Gert Willner [CDU/CSU]: Und weniger haltigen Siedlungsentwicklung - zu einer Verkleine- Bürokratie! - Walter Schöler [SPD]: Die rung der Baugebiete und schont letztlich die Land- alten Bürgermeister wissen das!) schaft vor Zersiedlung. Lassen Sie mich abschließend zusammenfassen: (Beifall bei der CDU/CSU) Mit dem Raumordnungsgesetz 1998 ermöglichen wir eine bessere Abstimmung der Landes-, Regional- Schon allein deshalb kommt diese neue Regelung und Stadtplanung. Die Planleitlinie der Nachhaltig- auch dem Schutz von Natur und Umwelt zugute. Ge- keit steht an vorderster Stelle im Gesetz und die na- nehmigungsverfahren können künftig beschleunigt turschutzrechtlichen Eingriffsregelungen werden werden. Das ist ein großer Vorteil sowohl für die sinnvoll fortentwickelt. Wir erweitern den Gestal- Städte und Gemeinden als auch für Investoren, ohne tungsspielraum der Städte und Gemeinden und stär- daß die Qualität des Naturschutzes darunter zu lei- ken die kommunale Planungshoheit. Wir machen den hätte. Ein Weiteres kommt hinzu: Durch den Ver- Ernst mit dem Abbau von Bürokratie und halten zicht auf eine Verweiskette zwischen dem Bundesna- keine Sonntagsreden darüber, sondern handeln, turschutzgesetz und dem Baugesetzbuch wird diese wenn es darauf ankommt. komplizierte Mate rie für die kommunale Praxis ver- (Beifall bei der CDU/CSU) einfacht. Wir beschleunigen Planungsverfahren. Wir gestal- Die Stadtentwicklung - Herr Minister Töpfer hat ten das Recht der Bauleitplanung und der Raumord- sie vorhin angesprochen - steht spätestens seit der nung durch einheitliche Verfahren und Instrumente Habitat-II-Konferenz von Istanbul an einer Weg- übersichtlicher und damit einfacher. Wir harmonisie- scheide. Funktionierende Innenstädte sind wichtige ren eine ganze Reihe von Rechtsgebieten und veran- Elemente der Standortqualität von Städten und Ge- kern die Städtebauförderung im Baugesetzbuch. Es meinden und damit auch der Qualität des Standorts wurde bereits gesagt: Durch den Wegfall der Sonder- Deutschland. regelungen für die neuen Länder schaffen wir ein einheitliches Planungsrecht für ganz Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt zum Abbau von Durch die Verlagerung der Städtebauförderung aus Bürokratie, zur Vereinfachung und Verfahrensbe- dem Städtebauförderungsgesetz in das Baugesetz- schleunigung zugunsten von Bürgern und Verwal- buch stärken wir die Ziele einer nachhaltigen Stadt- tung, aber auch zugunsten von Investoren und Bau- entwicklung. Mit den neu definie rten Förderschwer- herren. Wir schaffen gute Rahmenbedingungen für punkten bei der Stadtsanierung konzentrieren wir mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze. uns bewußt auf die Umwidmung und die Nutzung in- nerstädtischer Brachflächen wie Konversionsbra- Deshalb appelliere ich an Sie, liebe Kolleginnen chen, Industriebrachen und Bahnbrachen. Das sind und liebe Kollegen von der Opposition, sich nicht mit Flächen, die nach meiner Einschätzung in der Zu- Gewalt an irgendwelche Besitzstände zu klammern kunft eher zu- als abnehmen werden. Das schont den (Achim Großmann [SPD]: Quatsch!) Außenbereich und wirkt gleichzeitig dem- Entstehen von Armutsgettos und auch einer Bedrohung des so- oder neue Abgaben und finanzielle Belastungen für zialen Friedens in bestimmten Wohnquartieren nach- die Bürger, neue Bürokratie zu kreieren. drücklich entgegen. (Konrad Gilges [SPD]: Neue Besitzstände, Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, auch im umfas- Quatsch!) send überarbeiteten Raumordnungsgesetz wird die Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwick- Ich appelliere an Sie, diesem Reformwerk mutig zu- lung zur Handlungsmaxime gemacht. So wollen wir zustimmen. die Region als räumliche Handlungsebene stärken und die Durchsetzbarkeit von Raumordnungsplänen Vielen Dank. verbessern. Um unkontrollierte negative Entwicklun- (Beifall bei der CDU/CSU) gen auf der grünen Wiese am Stadtrand zu vermei- den, schreiben wir, beispielsweise künftig vor, daß zur Errichtung von großflächigen Einzelhandelsun- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat ternehmen oder Unternehmen insgesamt ein Raum- jetzt der Abgeordnete Peter Conradi. ordnungsverfahren durchgeführt werden muß.

(Gert Willner [CDU/CSU]: Dringend erfor Peter Conradi (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- derlich! Längst überfällig!) men und Herren! Vor 24 Jahren habe ich hier zur 76er Novelle des Baugesetzbuchs gesprochen. Da- Den Ländern wird außerdem die Möglichkeit eröff- mals erklärte der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, net, die Planungsebenen - Regionalplanung und ge- Dr. Oscar Schneider, die Fraktion der CDU/CSU meinsamer Flächennutzungsplan - zusammenzufüh- werde der Abschöpfung planungsbedingter Boden- ren. Die Konsequenz ist der Wegfall einer Planungs wertsteigerungen zustimmen. Das zu der Behaup- 15752 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Peter Conradi tung, der Planungswertausgleich sei eine „sozialisti- Diese Abwägung der unterschiedlichen Interessen sche" Idee. findet weithin nicht mehr statt. Die Wirtschaft regiert die Stadt. Die Stadtplanung wird zur Magd der Inve- (Beifall bei der SPD und der PDS) storen. Wer Investitionen, wer Gewerbesteuer, wer Herr Götz, in der Union hat sich vieles geändert. Arbeitsplätze verspricht, wer mit der Abwanderung Von dem, was in der Union einmal als sozial galt, ist droht, der bekommt seinen Bebauungsplan, seine nicht mehr viel zu spüren. Damals waren die Zeiten Baugenehmigung. Es wird nicht mehr über unser Zu- anders. sammenleben in den Städten geredet, nicht mehr darüber, wie wir in unserem Gemeinwesen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gewährleisten, was Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie uns soziale Gerechtigkeit bedeutet, wieviel uns Kul- eine Zwischenfrage? tur wert ist. Es wird über Globalisierung und Stand- ortwettbewerb geredet. Nicht mehr die Interessen Peter Conradi (SPD): Natürlich. der Menschen, sondern die Interessen der Wi rtschaft bestimmen die Stadtplanung.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte. (Beifall bei der SPD) Wie sieht denn die Realität in den Städten aus? Das Peter Götz (CDU/CSU): Ist Ihnen, Herr Kollege Stadtklima verschlechtert sich. Gereiztheit, Haß und Conradi, bekannt, daß sich in den letzten 24 Jahren Gewalt breiten sich aus. Vielerorts findet eine schlei- in dieser Bundesrepublik Deutschland einiges verän- chende soziale Segregation statt. Die Alten und Ar- dert hat? men, die Arbeitslosen, vor allem die arbeitslosen jun- gen Menschen, werden rücksichtslos räumlich und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sozial ausgegrenzt. Ist Ihnen ebenfalls bekannt, daß sich in diesen 24 Jah- In vielen Städten liegt der Einzelhandel danieder. ren das Baurecht zum Teil der Entwicklung ange- Das neue Planungsrecht hat in Ostdeutschland die paßt, zum Teil verändert hat und daß wir bereits eine Errichtung großer Einkaufszentren auf der grünen ganze Reihe von modernen Instrumenten in unserem Wiese ermöglicht und damit den Zusammenbruch Baugesetz haben, die wir jetzt als Dauerrecht fest- des innerstädtischen Einzelhandels bewirkt. Ich bin schreiben wollen, zum Beispiel den städtebaulichen ja richtig gerührt, Herr Minister, wenn Sie hier mit Vertrag? starken Worten ankündigen, jetzt müsse man etwas gegen das Bauen auf der grünen Wiese tun. Sie ha- Peter Conradi (SPD): Herr Abgeordneter, ich war ben doch mit Ihrer Politik ermöglicht, daß der inner- 20 Jahre lang Berichterstatter für dieses Gesetz; das städtische Einzelhandel in Ostdeutschland durch die ist mir alles bekannt. Das Problem aber, daß die Ge- großen Einkaufszentren kaputtgemacht worden ist. meinde einen Bebauungsplan aufstellt und damit ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Grundstück im Wert erhöht und daß diese Werterhö- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hung ohne Beteiligung der Öffentlichkeit allein dem und der PDS - Achim Großmann [SPD]: Der Eigentümer zukommt, hat sich in den 24 Jahren nicht Rexrodt will das immer noch!) geändert. - Jetzt, wo der Karren im Dreck steckt, kommen Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und sagen: Da hätten wir wohl ein anderes Gesetz ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN machen sollen. Diese Einsicht kommt zu spät. und der PDS) Wegen der Fehlinvestitionen während des Bau- Sie sind für die Bereicherung durch Stadtplanung booms nach der Deutschen Einheit und wegen der und nicht für eine gerechte Beteiligung der Offent- aktuellen Wirtschaftskrise stehen in vielen Städten lichkeit an den Wertzuwächsen. Läden und Büros leer. Die Verkehrsprobleme, der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Dauerstau, die Lärm- und Luftbelastungen nehmen geht weiter. Von einer sinnvol- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu. Die Zersiedelung und der PDS - Zuruf des Abg. Ge rt Willner len ökologischen Nutzung der Landschaft ist keine [CDU/CSU]) Rede. Seit 1978 - damals auf Betreiben der CDU/ CSU-Mehrheit im Bundesrat und der F.D.P. - wurden - Herr Abgeordneter, wenn auch Sie eine Zwischen- die Schutzvorschriften für den Außenbereich Schritt frage stellen wollen, bin ich gerne bereit, darauf zu für Schritt gelockert. Die Folgen sieht man auf der antworten. Fahrt zu jeder Stadt: Großmärkte, Möbellager, Auto- werkstätten, Speditionen, Reifenhandel und Lager- Ich will hier einige grundsätzliche Bemerkungen häuser, als hätte sich die Stadt erbrochen. Rück- zum Thema „Stadtplanung und Politik" machen. In sichtslos wird der Außenbereich den Gewerbeinter- der Stadtplanung, so will es das Gesetz, sind die öf- essen geopfert. fentlichen und die p rivaten Interessen gerecht ge- geneinander und untereinander abzuwägen. Das Schließlich verengt die Finanznot den Handlungs- heißt: Stadtplanung erfordert den Diskurs der Stadt- spielraum der Städte und damit ihre Möglichkeit zur bürgerschaft über ihr Zusammenleben, über die zu- Erhaltung und Verbesserung ihrer Infrastruktur, zum künftige kulturelle, soziale und bauliche Gestalt ihrer gezielten wirtschaftlichen Umbau, zur Baulücken- Stadt. und Brachflächenbebauung, zum ökologischen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15753

Peter Conradi Stadtumbau und zur Altlastenbeseitigung. In dieser Werner Dörflinger (CDU/CSU): Herr Kollege Con- Situation wäre eine kritische Bewe rtung des Pla- radi, halten Sie es nicht für einen politischen Skan- nungs- und Bodenrechts notwendig, eine an den ak- dal, wenn sich die Sozialdemokratische Partei tuellen Problemen orientierte Novellierung des Ge- Deutschlands als diejenige Partei darstellt, die für Ar- setzes, die die Gemeinden nicht schwächt, sondern beitsplätze und wirtschaftliches Wachstum sorgen ihnen das Rückgrat stärkt, die das Planungs- und Ge- will, und Sie dann hier im Zusammenhang in dem nehmigungsdumping zwischen den Gemeinden er- Baugesetzbuch eine prononciert wirtschaftsfeindli- schwert, die eine sorgfältigere Abwägung der Inter- che Rede halten? essen der Menschen, einen rücksichtsvolleren Um- gang mit der Natur und eine bessere Planung vor- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schreibt, (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Dag Peter Conradi (SPD): Ich halte keine wirtschafts- mar Enkelmann [PDS]) feindliche Rede, Herr Abgeordneter. Ich bestehe viel- mehr auf dem Gesetz, das im Rahmen der Stadtpla- eine Novellierung, die auch den Gemeinden den ge- nung die Abwägung zwischen den verschiedenen In rechten Anteil an den von ihnen bewirkten Boden- teressen vorschreibt, weil Wirtschafts- und Investo- wertsteigerungen zukommen läßt. Doch von all dem reninteressen nicht grundsätzlich Vorrang haben ist in Ihrem Entwurf nicht die Rede. Ihre Parole ist: Es soll nicht besser, es soll schneller und flexibler ge- (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Haben plant werden. sie doch gar nicht!) Unter dem falschen Etikett, es gehe um eine Stär- vor den Interessen der Menschen, die do rt wohnen kung der kommunalen Planungshoheit, werden die wollen, die Freizeitmöglichkeiten und eine gesunde Gemeinden in Wirklichkeit den Forderungen der Umwelt haben wollen. Das heißt: Ich plädiere für die Wirtschaft weit stärker ausgeliefert als bisher. Die Abwägung, während Sie die Abwägung als Prinzip staatliche Kontrolle der kommunalen Planung wird vorne ins Gesetz hinein schreiben und sie hinten zu- abgebaut. Ganz ungeschminkt redet die Bundesre- gunsten derer schwächen, die wirtschaftlich investie- gierung davon, die Investoren dürften in ihren Plä- ren wollen. nen nicht durch unterschiedliche regionale Vorschrif- ten beeinträchtigt werden. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gestatten Sie (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht eine zweite Zwischenfrage, Herr Kollege? - Bitte. wahr! - Werner Dörflinger [CDU/CSU]: Unglaublich! Eine wirtschaftsfeindliche Werner Dörflinger (CDU/CSU): Herr Kollege Con- Rede, Herr Conradi!) radi, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß Ihre Interpretation des Gesetzinhaltes eine Verzerrung - Das steht in Ihrem Text. Ich sage dagegen: Stadt- darstellt und Sie dieses Podium nutzen, um eine ideo- planung für Investoren und nicht Stadtplanung für logisch fixierte, nicht an den Realitäten . orientierte Menschen. - Die kommunale Demokratie wird zu- Rede zu halten? rückgedrängt, wenn in den meisten Städten nicht mehr die Stadtbürgerschaft und der von ihr gewählte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Rat über Bauvorhaben entscheiden, sondern die Ver- Gert Willner [CDU/CSU]: Sehr richtig!) waltung. - (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) Peter Conradi (SPD): Herr Abgeordneter, ich bin in vielen Städten unterwegs; ich spreche in vielen Städ- Es ist schon toll, wenn die Zurückdrängung der Bür- ten. Ich kenne die Kollegen Stadtplaner. Ich habe gerbeteiligung vom Minister hier als ,,Entrümpe- mich kundig gemacht über das, was die Stadtplaner lung" bezeichnet wird. Herr Götz redet von Entbüro- als Fachleute zu diesem Gesetz vorgeschlagen ha- kratisierung, während in Wirklichkeit die Verwal- ben. Was ich hier schildere, den Niedergang städti- tung zunehmend über Dinge entscheidet, die der Rat schen Einzelhandels, die Zunahme von Gewalt, die entscheiden müßte. Verbauung des Außenbereichs, das sind Erfahrun- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen aus den Städten. Ich rede hier nicht ideologisch. DIE GRÜNEN - Zuruf des Abg. Werner Ich weiß, wovon ich rede; ich komme aus dem Fach. Dörflinger [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD) - Herr Dörflinger, darf ich den Satz zu Ende spre- Die Behauptung, es fehle an sofort bebaubaren chen? - Die Ökonomie erwürgt die Demokratie auch Grundstücken, hält einer Nachprüfung nicht stand. in der Stadtplanung und Kommunalpolitik. Allerorten werden Gewerbeflächen wie sauer Bier angeboten. Allerorten gibt es städtische Umnut- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gestatten Sie zungsflächen, die zum Teil seit Jahren brachliegen, eine Zwischenfrage? die sofort bebaut werden könnten. Warum werden sie nicht bebaut? - Weil sie gehortet werden, weil sie (SPD): Gerne. vom Markt zurückgehalten werden und weil Sie als Peter Conradi Koalition nicht bereit waren, marktfördernde Instru- mente zu schaffen, die die gehorteten Grundstücke Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. endlich auf den Bodenmarkt bringen. 15754 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Peter Conradi Sie haben aus den Fehlentwicklungen der letzten Erstens. Kollege Conradi, ich bin überzeugt, daß Jahre nichts gelernt. Das zeigt sich auch bei den Lok- die Kommunen nach dem Wegfall der Anzeige- und kerungen im Außenbereich, mit denen die natürli- Genehmigungspflicht von aus den Flächennutzungs- chen Lebensgrundlagen, die wir unter den besonde- plänen entwickelten Bebauungsplänen für Gewerbe ren Schutz der Verfassung gestellt haben, weiter be- und Wohnen das im Baugesetzbuch enthaltene Ge- schädigt werden. bot der Abwägung und des Ausgleichs der unter- schiedlichen öffentlichen Interessen verantwortlich Was müßte geschehen? Das Baugesetzbuch müßte erfüllen. nicht investorenfreundlicher, es müßte bürgerfreund- licher, umweltfreundlicher, praxisfreundlicher ge- Sie können die Ergebnisse von 30 Jahren Bauleit- macht werden. Es müßte die Stellung der Gemeinden planung, 30 Jahren Aufsicht staatlicher Behörden in gegenüber der Wirtschaft stärken, nicht schwächen, meinem Heimatlandkreis besichtigen. Sie können an damit dieser ekelhafte Dumpingwettbewerb zwi- der Farbe der Dächer - ob Rot oder Schwarz - und an schen Gemeinden aufhört, bei dem die eine Ge- der Tiefe der Dachvorsprünge feststellen, wer zu der meinde dem Investor sagt: Bei uns kriegst du es billi- jeweiligen Zeit Kreisbaumeister im staatlichen Bau- ger; wir machen es dir leichter als die andere. - Den amt war. Dumpingwettbewerb anderer Länder gegen uns, den wir in Europa und über Europa hinaus beklagen, (Zustimmung bei der CDU/CSU und der erlauben wir unter den Gemeinden, ohne die Ge- F.D.P. - Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/ meinden zu stärken, dem zu widerstehen. DIE GRÜNEN]: Wahrlich, ich sage euch! - Peter Conradi [SPD]: Der war immer (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS schwarz!) SES 90/DIE GRÜNEN) - Das weiß ich nicht. Er war jedenfalls Fachmann, Eine realitätsgerechte, praktikable Bodenbewer- und er war im staatlichen Landratsamt Aufsichts- tung und eine gerechte Bodenbesteuerung sind und Genehmigungsbehörde in der Bauleitplanung. überfällig, ebenso ein Bodeneigentumsrecht, das Insoweit gieße ich Wasser in den Wein bei all denen, spekulationsdämpfende Eigentumsformen, etwa das die meinen, die allmächtige Weisheit staatlicher Bau- Erbbaurecht, fördert. Für all das gibt es im Deutschen aufsicht würde alles perfekt regeln. Bundestag derzeit keine Mehrheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Gert Willner [CDU/CSU[: Es verhindert doch niemand, das Erbbaurecht anzuwen Ich behaupte, daß die verantwortliche Handha- den!) bung der kommunalen Selbstverwaltung mindestens zu den gleichen, wenn nicht zu besseren Ergebnis- Es gab sie auch nicht in der sozialliberalen Koalition. sen führen wird, zumal im Unterschied zu staatlichen Damals hat die F.D.P. zusammen mit der CDU/CSU- Behörden die kommunale Selbstverwaltung der de- Mehrheit im Bundesrat jeden Versuch eines sozialen mokratischen Kontrolle unterliegt, weil sie sich näm- Bodenrechts erstickt. lich alle vier, fünf oder sechs Jahre den Wählern zu stellen hat. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Leider!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) So bleibt den deutschen Städten angesichts der hier vorliegenden unzureichenden Novelle für das Bau- gesetzbuch nur die Hoffnung auf eine- andere, neue Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Mehrheit für ein soziales Bodenrecht. Hollerith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- legen Conradi? „Rettet unsere Städte jetzt!" hieß die Forderung des Städtetags Ende der 60er Jahre. Sie ist heute so aktuell wie damals. Josef Hollerith (CDU/CSU): Gern. (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Peter Conradi (SPD): Herr Abgeordneter, was wür- GRÜNEN) den Sie mir antworten, wenn ich Ihnen sagte, daß die vorzüglich arbeitende bayerische oberste Baube- hörde und die vorzüglichen bayerischen Kreisbau- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der meister in sehr vielen Fällen verhindert haben, daß Kollege Josef Hollerith, CDU/CSU. Gemeinden in Baye rn rücksichtslos Landschaft zuge- baut haben, daß sich Gemeinden in Bayern den For- derungen ihrer Investoren gebeugt haben, daß also Josef Hollerith (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten in gerade Bayern ein Musterbeispiel dafür ist, daß eine zweiter und dritter Lesung das Bau- und Raumord- verantwortliche staatliche Bauaufsicht Fehler der Ge- nungsgesetz 1998. Es ist ein gutes Gesetz. meinden unterbinden kann? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Josef Hollerith (CDU/CSU): Herr Kollege Conradi, Es schafft Vorrang für Investitionen. Es stärkt und for- ich habe nie in Zweifel gestellt, daß es viele qualifi- dert zugleich die kommunale Selbstverwaltung. Ich zierte Kreisbaumeister in der staatlichen bayerischen möchte einige Punkte herausgreifen, die mir hier be- Verwaltung gibt. Ich erkenne an, daß viele SPD- sonders bedeutsam erscheinen. regierte Länder neidisch auf die hohe Qualität der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15755

Josef Hollerith bayrischen Staatsverwaltung blicken. Das ist völlig lichen Vertrages all diese guten Modelle in Dauer- richtig. recht überführt. Sie ermöglichen, preiswerten Grund für einheimische Familien mit Kindern und andere (Beifall bei der CDU/CSU) öffentliche Interessen zur Verfügung zu stellen. Auch erkenne ich an, daß die Qualität der bayri- Insoweit überrascht mich Ihr Beitrag, Kollege Con- schen Landschaft und Natur auch durch die kommu- radi, der meiner Meinung nach einen ganz falschen nale Selbstverwaltung geprägt ist, ob sie nun mehr- Ansatz wählt, heitlich von der CSU oder von der SPD gestellt wird. Gott sei Dank wird sie in den meisten Gemeinden (Gert Willner [CDU/CSU]: Der war nie in und Städten mehrheitlich von der CSU gestellt. Diese der kommunalen Selbstverwaltung tätig!) Mehrheiten haben das Ergebnis in bezug auf die Landschaft bewirkt. Insoweit bin ich dankbar, daß weil er von Böswilligkeit und von falschen Interes- Bayern so regiert wird, wie es geschieht. senlagen ausgeht. Ich komme zum zweiten Punkt. Ich bin froh und Wir müssen in der kommunalen Selbstverwaltung dankbar, daß das Instrument der AuBenbereichssat- ein Interesse daran haben, daß wir Investitionen be- zung in den letzten Jahren erprobt werden konnte. kommen, daß wir Möglichkeiten der Arbeitsplatzsi- Ich kann feststellen, daß die Erprobung dieses Instru- cherung haben. Wir müssen ein Interesse daran ha- mentes eben nicht zu den befürchteten Ergebnissen ben, daß Flächen für Wohnbebauung ausgewiesen einer willkürlichen Anwendung, einer Zersiedelung werden. von Natur und Landschaft geführt hat, sondern ganz Das heißt aber nicht, daß Irrtümer in allen Fällen im Gegenteil: Die Kommunen haben dieses Instru- ausgeschlossen bleiben. Das kann der Bundesgesetz- ment sehr sorgsam und sehr verantwortlich im Sinne geber nicht steuern. Natürlich gab es in kommunalen der Erhaltung und Pflege ihrer Strukturen genutzt. Gremien, in Stadträten ab und zu falsche Erwartun- Der Gesetzgeber sagt: Es muß Bebauung von eini- gen. Gerade in den neuen Bundesländern wurde germaßen Gewicht vorhanden sein, um überhaupt mehr Ansiedlungsbereitschaft erwartet, was zu große eine Ausweitung in einer Splittersiedlung zu ermög- Ausweisungen von Gewerbegebieten zur Folge lichen. Ich bekenne mich sehr dazu - die Praxis hat hatte. das auch bestätigt -, daß eine Abwägung zwischen Eines lassen Sie mich noch sagen, Herr Conradi: dem sicherlich stattfindenden Eingriff in die Land- Ihre Einschätzung, in der Republik gebe es eine schaft und dem anderen öffentlichen Belang der Be- große Zahl von Grundstückshortern, entspricht nicht schaffung von Wohnraum notwendig ist, etwa für die der Wirklichkeit. Wenn heute ein Investor eine Flä- einheimische, ortsansässige Bevölkerung, etwa für che entwickeln wi ll, dann kauft er sie. Er wird sie im weichende Hoferben zu noch vertretbaren Preisbe- Regelfall fremdfinanzieren und deshalb alles tun, dingungen für Grund und Boden, und damit auch diese Fläche so schnell wie möglich einer vernünfti- Dorfgemeinschaften und Vereinsstrukturen zu pfle- gen wirtschaftlichen Nutzung zuzuführen, damit ihn gen und zu sichern. Auch dies ist im öffentlichen In- die Zinslast nicht erdrückt. teresse. Bei dieser Abwägung, meine ich - so hat es die Praxis jedenfalls gezeigt -, haben sich die Kom- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) munen sehr verantwortlich verhalten. Das ist die Realität. Unser derzeitiges Problem ist (Beifall bei der CDU/CSU) doch nicht das Horten von Gewerbeflächen. Unser derzeitiges Problem ist, daß wir zu wenige Investoren Drittens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, für diese Gewerbeflächen haben. Kollege Conradi, das Instrument des städtebaulichen Vertrags, das jetzt ins Dauerrecht überführt werden (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) soll, hat sich großartig bewährt. Ich muß daran erin- Ich komme zum vierten Punkt. Minister Töpfer hat nern: Die Planungshoheit liegt bei den Kommunen. auf ein Beispiel meines Wahlkreises hingewiesen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auf die Gemeinde Lohkirchen. Der Vorhaben- und Erschließungsplan ist ein großartiges Inst rument, Kein Eigentümer irgendeines Quadratmeters Boden das wir viel mehr nutzen müssen, für das wir viel hat einen Rechtsanspruch darauf, daß dieser Qua- mehr werben müssen, damit es genutzt wird. dratmeter Boden in Bauland überführt wird. Diese Entscheidung obliegt allein den gewählten Stadt- Fünfter Punkt: die Präklusionswirkung als Instru und Gemeinderäten. Sie haben es in der Hand, durch -ment der Beschleunigung. Ich bin froh, daß die entsprechende Verhandlungen, Gespräche und Ver- Nichterklärung, das heißt, wenn die Träger öffentli- träge die Realisierung des öffentlichen Interesses zu cher Belange sich nicht binnen vier Wochen erklärt sichern. haben, künftig als Zustimmung gilt. Das schafft Tempo; das schafft Beschleunigung bei der Gewäh- Ich war 13 Jahre Mitglied des Gemeinderates mei- rung von Baurechten. ner Heimatgemeinde. Wir haben, beginnend 1978 - ich bin dort mit 21 Jahren gewählt worden -, mit der Sechster Punkt. Ich begrüße ausdrücklich die Mög- damals neuen Mehrheit beschlossen, nur noch Bau- lichkeit - Herr Götz hat den Gedanken der Nachhal- land auszuweisen, wenn die Belange des öffentli- tigkeit hier zu Recht eingeführt -, die Nutzung be- chen Interesses gesichert bleiben. Wir wußten da- stehender landwirtschaftlicher Gebäude im Außen- mals: Wir bewegten uns auf rechtlich schwankendem bereich, die rechtmäßig errichtet worden sind, für Boden. Jetzt sind mit dem Instrument des städtebau- verträgliches Gewerbe und für Wohnbebauung um- 15756 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Josef Hollerith zuwidmen. Das ist notwendig, um den dramatischen Möglichkeiten für Wirtschaftsansiedlung zu schaf- Strukturwandel in der Landwirtschaft aufzufangen. fen. Das ist auch im Interesse der Ökologie sinnvoll, weil bereits versiegelte Flächen den modernen Anforde- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - rungen entsprechend genutzt werden können. Achim Großmann [SPD]: Dummes Zeug! - Gegenruf des Abg. Hildebrecht Braun (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) [Augsburg] [F.D.P.]: Sie leben immer noch Wir wollen keine Verhältnisse wie in Frankreich, in den 70er Jahren!) wo sich ganze Dörfer entvölkern, weil keine Umnut- zung stattfindet. Ich habe mir sagen lassen, Herr Kollege Conradi, daß Sie selbst einmal Beamter in einer staatlichen Baubehörde gewesen sind. Sie müßten doch eigent- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege, lich wissen, daß die Planungshoheit bei den Kommu- schauen Sie bitte auf die Uhr. nen liegt und daß es in der Hand der Bürgervertreter in den Kommunen liegt, Bauland auszuweisen oder es zu unterlassen. Josef Hollerith (CDU/CSU): Danke. - Ich komme zum siebten und letzten Punkt. Aus der Sicht der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Freistaaten Bayern und Sachsen bin ich froh, daß wir die Öffnungsklausel für den Eingriff in Natur- und Daß Ihre Vorstellungen bei den Bürgern nicht un- Landschaftsrecht bis zum 1. Januar 2001 beibehalten bedingt ankommen, hat ja nun Ihre Kandidatur in werden. Stuttgart gezeigt. Offensichtlich konnten Sie sich mit Ich appelliere an die Kollegen der SPD. Ich habe in Ihren Vorstellungen dort nicht durchsetzen; die Bür- meinem Wahlkreis allen Bürgermeistern unsere ger haben gegen Sie entschieden. Überlegungen zum neuen Bauplanungsrecht vorge- stellt - auch den Kollegen der SPD. Ich habe aus- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Immer nahmslos Zustimmung, die freudige Erwartung, die haben Sie so Dinger drauf!) Hoffnung geerntet, dieses Gesetz möge möglichst schnell Recht werden. Insofern appelliere ich an Sie: Sehr verehrter Herr Kollege Braun, ich freue mich Stimmen Sie zu. Lassen Sie es im Bundesrat passie- mit Ihnen, daß wir heute über diesen Gesetzentwurf ren. abstimmen können, der eine wirkliche Reform im Be- reich des Städtebaurechts und des Raumordnungs- Herzlichen Dank. rechts schafft. Ich hätte mir allerdings gewünscht, daß auch die Opposition heute zustimmt. Daß sie es (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht tut, kann mit Sicherheit nicht daran liegen, daß die Verhandlungen im Ausschuß nicht sachlich ge- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die wesen wären. Es stimmt, Herr Kollege Schöler: Ich Kollegin Hannelore Rönsch, CDU/CSU. habe an den Ausschußsitzungen nicht teilgenom- men. Aber ich bin Mitglied in der entsprechenden Arbeitsgruppe unserer Fraktion. Da alle Mitglieder Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Herr unserer Arbeitsgruppe, die auch Mitglieder des Aus- Präsident! Meine sehr geehrten Damen -und Herren! schusses sind, in den Sitzungen immer vollzählig an- Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unserem Lande wesend waren, bin ich als stellvertretendes Mitglied wird viel von Investitionsstau, von zuviel Bürokratie, nie in eine Sitzung des Ausschusses geschickt wor- von langen behördlichen Verfahren geredet. Wir fra- den. Ich nehme auch gleichzeitig meinen Kollegen gen uns immer wieder, ob unser Standort überhaupt Conradi in Schutz, von dem ich mir habe sagen las- noch reformfähig ist. Dies zeigt sich auch in den ak- sen, daß auch er an den Ausschußberatungen nie tuellen Tarifverhandlungen. Wir sehen hier die Fol- teilgenommen hat. gen des internationalen Wettbewerbs, die für unsere Arbeitnehmer und für die Bauindustrie schädlich (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das wis sind. Wir brauchen Gesetze. Wir brauchen Reformen. sen Sie also so genau, weil Sie nie da Wir brauchen die Zustimmung der Opposition. waren! Das verstehe ich!)

Ich habe hier heute allerdings von Herrn Kollegen - Das haben mir meine Kollegen gesagt, die Herrn Vesper gehört, daß er den Vermittlungsausschuß an- Conradi in den Ausschußsitzungen nicht gesehen rufen will. Dem wird sich die SPD sicher anschließen. haben. An den Arbeitsgruppensitzungen nehme ich Deshalb meine ich, daß es für Investoren nicht leicht regelmäßig teil. Ich habe mit dem Kollegen Conradi sein wird, in Deutschland zu investieren und Arbeits- acht Jahre lang im Ausschuß für Raumordnung, Bau- plätze zu schaffen. Überlegen Sie, was Sie damit an- wesen und Städtebau gesessen. richten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Ich habe mir gedacht, daß eine Zustimmung der ordneten der F.D.P.) SPD nicht allein von der Neidsteuer, der Boden- steuer, abhängen würde, die Sie unbedingt einfüh- Die Rede meines Kollegen Conradi, die ich mir an- ren wollen. gehört habe, war voll von Ideologie, aber sie zeigte mir auch, daß man gar kein Interesse daran hat, (Walter Schöler [SPD]: Wollen wir nicht!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15757

Hannelore Rönsch (Wiesbaden) Einmal ganz abgesehen davon, daß sie natürlich mit Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Kollegin Rönsch, verfassungsrechtlichen Bedenken verbunden ist, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte. spricht auch in der Sache sehr vieles dagegen. (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Sie reden Walter Schöler (SPD): Frau Kollegin Rönsch, ist Ih- an der Sache vorbei, Frau Kollegin Rönsch!) nen beim Lesen des Antrags der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufgefal- Es klingt für die Kommunen ausgesprochen verlok- len, daß wir genau bei der städtebaulichen Entwick- kend, nach Inkrafttreten des Bebauungsplans den lungsmaßnahme keine Abschöpfung vorsehen, weil Wertzuwachs der begünstigten Grundstücke ab- es da schon gesetzlich geregelt ist? schöpfen zu können. Es geht bei diesem Planungs- (Peter Conradi [SPD]: Das weiß sie gar wertausgleich sicher gar nicht nur um die Förderung nicht!) in Höhe von 70 Prozent der planungsbedingten Kosten. Bedenklich ist für mich vor allem, daß die Baukosten in die Höhe getrieben werden und damit Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Das Investitionen, die zwingend erforderlich sind, verhin- ist gar nicht notwendig. Wir wollen, daß der Diffe- dert werden. Es ist für mich ebenfa lls sicher, daß der renzbetrag von der Gemeinde zur Finanzierung zum Eigentümer eines solchen Grundstücks diese Ab- Beispiel von Planungs-, Erschließungs- und Folgeko- gabe auf den späteren Erwerber abwälzt. sten eingesetzt werden kann. Ich meine, daß das der richtige Weg ist. Warum können Sie sich dem nicht (Walter Schöler [SPD]: Eben nicht! Sie hat anschließen? es nicht begriffen!) (Walter Schöler [SPD]: Wie kommen Sie Wir wollen, daß mehr Eigentum geschaffen wird, denn an das Geld?) und deswegen werden wir uns dagegen wenden. - Ich habe es Ihnen doch gerade erklärt. Ich will es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) jetzt wegen der davonlaufenden Redezeit nicht wie- derholen, aber Sie können es gerne im Protokoll Wenn die SPD immer wieder mit diesem ideologi- nachlesen. schen Vorschlag zum Baurecht ankommt, dann fragt man sich auch, wie Sie von der SPD diese Abgabe (Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Sehr gut!) mit Ihrem Umweltprogramm in Einklang bringen Ich glaube, daß Baugebiete so überhaupt erst entste- und wie Sie dafür die Zustimmung Ihrer Umweltpoli- hen können. tiker finden können. Was sagen denn Ihre Umwelt- politiker dazu? Denn höhere Bodenwertsteigerun- Ich will ein weiteres Instrument nennen: den städ- gen könnte es vor allem im Außenbereich geben, tebaulichen Vertrag, der diese Aufgabe auf Privatin- und da wird es dann für die Kommunen besonders vestoren überträgt. Mit städtebaulichen Verträgen interessant. Wenn Sie von der SPD das wollen, dann können die begünstigten Eigentümer dann im Ein- habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, daß Ihre zelfall sogar in einem höheren Umfang an den Kosten Umweltpolitiker an dieser Stelle nicht intervenieren. beteiligt werden, als das mit der 70 prozentigen Ab- gabe beim Planungswertausgleich der Fall wäre. (Beifall bei der CDU/CSU) Darüber hinaus können die Eigentümer von den Der Planungswertausgleich ist ein Instrument der Kommunen vertraglich auch zur Bebauung verpflich- 70er Jahre. Er paßt aber auch in die aktuelle Diskus- tet werden, und dadurch wird für uns die tatsächliche sion. Er ist nämlich wieder einmal eine Neidsteuer. Bebauung gesichert. Ich glaube, daß dies ein partner- Wir werden uns dieser Diskussion nicht anschließen. schaftliches Verfahren ist, mit einer Abgabe auf je- Das Städtebaurecht bietet heute viel modernere den Fall nicht zu vergleichen und einer Abgabe auch Maßnahmen, um die Eigentümer tatsächlich an den vorzuziehen. Entwicklungskosten zu beteiligen. Angesichts der ausgedehnten Verpflichtungen der (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Von öffentlichen Hand muß heute auch zunehmend über- Bodenspekulation haben Sie noch nie etwas legt werden, in welchen Bereichen private Unter- gehört!) nehmen Aufgaben übernehmen können. Ich sehe in diesem Zusammenhang die Möglichkeit zum Bei- Im Städtebaurecht gibt es schon seit längerem das In- spiel bei der Städtebauförderung. Private Unterneh- strument der städtebaulichen Entwicklungsmaß- men verfügen über ein breites Kapital, das sie auch nahme, die der Entwicklung von Stadtteilen und Ge- gerne in Baumaßnahmen anlegen würden. Dafür meindegebieten dient. muß allerdings auch der Wille zu einer Zusammenar- beit mit ihnen bestehen, und es müssen entspre- (Achim Großmann [SPD]: Das müßte dann chende Projektmaßnahmen unterbreitet werden. ja auch eine Neidsteuer sein!) Man darf sich da nicht so investitionsfeindlich verhal- ten, wie wir es eben bei dem Kollegen Conradi erlebt - Die Gemeinde erwirbt alle Grundstücke im Ent- haben. wicklungsbereich zum Verkehrswert vor der Einlei- tung der Entwicklungsmaßnahme. Wenn diese Gerade angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und Grundstücke nach der Erschließung an Bauwillige der starken Wanderungsbewegungen in den vergan- veräußert werden, kann auch hier die Gemeinde den genen Jahren bedarf die innerstädtische Entwick- Wertzuwachs abschöpfen. lung besonderer Achtsamkeit. Vielleicht ist es doch 15758 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Hannelore Rönsch (Wiesbaden) auch ganz gut, wenn neben Kommunen und Betrof- tion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der fenen private Unternehmungen ihren reichen Erfah- PDS abgelehnt. rungsschatz bei Unternehmensentscheidungen in Änderungsantrag auf Drucksache 13/7642: Wer die Entscheidungsprozesse einbringen. stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie sind Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die herzlich eingeladen, bei diesen anstehenden Reform- Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung vorhaben mitzuwirken. Sollten Sie allerdings heute von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. wieder versuchen, auf die Fragen keine Antworten Änderungsantrag auf Drucksache 13/7643: Wer zu geben, müssen wir auch bei dieser Reform einfach stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- nur feststellen, daß Sie blockieren und verhindern gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der wollen, daß Sie Investitionen hemmen wollen und Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die daß Sie auf dem Arbeitsmarkt offensichtlich keine Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung Bewegung wünschen. von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Änderungsantrag auf Drucksache 13/7646: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Aussprache. Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von abgelehnt. der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neurege- Änderungsantrag auf Drucksache 13/7647: Wer lung des Rechts der Raumordnung. Das sind die stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- Drucksachen 13/6392 und 13/7588 Nr. 1. gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion und der (Zuruf von der Zuschauertribüne) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen - Können Sie das da oben bitte verhindern! der PDS abgelehnt. Dazu liegen insgesamt elf Änderungsanträge vor, Änderungsantrag auf Drucksache 13/7648: Wer über die wir zuerst abstimmen. stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Abstimmung über den gemeinsamen Änderungs- Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die antrag der Fraktion der SPD und Bündnis 90/Die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis Grünen auf Drucksache 13/7657: Wer stimmt dafür? 90/Die Grünen abgelehnt. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ände- rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- Änderungsantrag auf Drucksache 13/7649: Wer tionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Abstimmung über den Änderungsantrag der Frak- Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Frak- tion der SPD auf Drucksache 13/7650: Wer stimmt tion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der PDS abgelehnt. Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen ab- der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das gelehnt. Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- gen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit Abstimmung über den Änderungsantrag der Frak- den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ Stimmen der Opposition angenommen worden. 7670: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Wir kommen zur Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- dritten Beratung men von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Wir stimmen jetzt über insgesamt acht Änderungs- ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der anträge der Gruppe der PDS ab. Zunächst der Ände- Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions- rungsantrag auf Drucksache 13/7640: Wer stimmt da- fraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange- für? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der nommen. Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stim- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- men der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ schließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- Die Grünen abgelehnt. che 13/7651. Wer stimmt für diesen Entschließungs- antrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag auf Drucksache 13/7641: Wer Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali- stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- tionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grü- Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Frak- nen abgelehnt. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15759

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- c) Erste Beratung des von der Bundesregie- ßungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- 13/7644. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- setzes über die Anwendung von Normen trag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ent- für die Übertragung von Fernsehsignalen schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti- (Fernsehsignalübertragungs-Gesetz - FÜG) onsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stim- men der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ - Drucksache 13/7337 — Die Grünen abgelehnt. Überweisungsvorschlag: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raum- Ausschuß für Post und Telekommunikation (federfüh- rend) ordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag Innenausschuß der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einem sozia- Ausschuß für Wi rtschaft len und ökologischen Städtebau- und Raumord- Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Tech- nungsrecht - das ist die Drucksache 13/7588 Nr. 2 -: nologie und Technikfolgenabschätzung Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache d) Erste Beratung des von der Bundesregie- 13/6384 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- empfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - zes zu dem Europa-Abkommen vom Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der 10. Juni 1996 zur Gründung einer Assozia- Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis tion zwischen den im Rahmen der Europäi- 90/Die Grünen und der PDS bei Stimmenthaltung schen Union handelnden Europäischen der SPD-Fraktion angenommen. Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raum- einerseits und der Republik Slowenien an- ordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Bericht dererseits der Bundesregierung zu den Ergebnissen der Rechts- - Drucksache 13/7447 — tatsachen- und Wirkungsforschung bezüglich der neuen und geänderten städtebaulichen Vorschriften Überweisungsvorschlag: - das sind die Drucksachen 13/5489 und 13/7588 Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Nr. 3 -: Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Auswärtiger Ausschuß Finanzausschuß Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen fehlung ist einstimmig angenommen. Union Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und e) Erste Beratung des von der Bundesregie- Städtebau empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlußemp- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- fehlung auf Drucksache 13/7588 die Annahme einer zes zu dem Protokoll vom 24. Juli 1996 auf Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußemp- Grund von Artikel K.3 des Vertrags über die fehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Europäische Union betreffend die Ausle- Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- gung des Übereinkommens über die Errich- onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition an- tung eines Europäischen Polizeiamts durch genommen. den Gerichtshof der Europäischen Gemein- schaften im Wege der Vorabentscheidung Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13a bis (Europol-Auslegungsprotokollgesetz) 13 g sowie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf: - Drucksache 13/7555 — 13. Überweisungen im vereinfachten Verfahren Überweisungsvorschlag: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Innenausschuß (federführend) Dr. Marlies Dobberthien, Lilo Blunck, Horst Rechtsausschuß Sielaff, weiteren Abgeordneten und der Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs Union eines Gesetzes zur Änderung des Vorläufi- f) Erste Beratung des von der Bundesregie- gen Biergesetzes rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- - Drucksache 13/6132 zes zu dem Abkommen vom 7. April 1994 —Üb erweisungsvorschlag: zwischen der Regierung der Bundesrepu- Ausschuß für Gesundheit (federführend) blik Deutschland und der Regierung der Ausschuß für Wirtschaft Republik Polen über die Zusammenarbeit Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf dem Gebiet des Umweltschutzes b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Achten - Drucksache 13/7556 — Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Überweisungsvorschlag: die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- für behinderte Kinder" heit - Drucksache 13/7336 g) Erste Beratung des von der Bundesregie- —Überweisungsvors chlag: rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (fe- zu dem Protokoll vom 13. Juni 1994 zu derführend) Ausschuß für Ernährung Landwirtschaft und Forsten dem Übereinkommen von 1979 über weit- Haushaltsausschuß gemäß j 96 GO räumige grenzüberschreitende Luftverun- 15760 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose reinigung betreffend die weitere Verringe- schen Union. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist rung von Schwefelemissionen nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos- sen. - Drucksache 13/7557 — Überweisungsvorschlag: Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- auf Drucksache 13/7679, Agenda 21, zur federfüh- heit (federführend) renden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Na- Rechtsausschuß turschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung ZP2 Weitere Überweisungen im vereinfachten an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Verfahren (Ergänzung zu TOP 13) Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, den a) Erste Beratung des von den Fraktionen der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und For- CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ent- sten, den Ausschuß für Fremdenverkehr und Touris- wurfs eines Gesetzes über Bodenabferti- mus, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen gungsdienste auf Flugplätzen und Städtebau, den Auswärtigen Ausschuß, den - Drucksache 13/7645 — Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung sowie Überweisungsvorschlag: den Ausschuß für Verkehr zu überweisen. Gibt es an- Ausschuß für Verkehr (federführend) Innenausschuß dere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Rechtsausschuß Überweisung so beschlossen. Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 14 a bis Haushaltsausschuß 14k auf. Es handelt sich um Beschlußfassungen zu b) Beratung des Antrags der Abgeordne- Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ten Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), ist. Dr. Norbert Rieder und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Birgit Tagesordnungspunkt 14 a: Homburger, Günther Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb und der Fraktion der F.D.P. 14. Abschließende Beratungen ohne Aussprache Elefanten erhalten - neue Lebensräume er- a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung schließen des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines - Drucksache 13/7654 — Gesetzes zur Zweiten und Dritten Änderung des Europäischen Überweisungsvorschlag: Übereinkommens vom 1. Juli 1970 über die Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Arbeit des im internationalen Straßenver- heit (federführend) Ausschuß für Wirtschaft kehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR) Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- - Drucksache 13/6440 - ten Verfahren ohne Debatte. (Erste Beratung 157. Sitzung) Interfraktionell wird vorgeschlagen, -die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Beschlußempfehlung und Bericht des Aus zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das schusses für Verkehr (15. Ausschuß) ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be- schlossen. - Drucksache 13/7444 - Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Berichterstattung: Tagesordnung um die Beratung der Anträge der Abgeordneter Wilhelm Josef Sebastian Fraktion der SPD „Konsequente Verringerung des Einsatzes von Antibiotika in der Tierhaltung" - das Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf ist die Drucksache 13/6553 - und „Umsetzung der Drucksache 13/7444, den Gesetzentwurf unverän- dert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- Agenda 21" - das ist die Drucksache 13/7679 - zu er- weitern. Die Anträge sollen jetzt gleich ohne Aus- setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - sprache an die Ausschüsse überwiesen werden. Sind Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einver- entwurf ist angenommen. standen? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos- sen. Tagesordnungspunkt 14 b: Dann kommen wir jetzt zu den Überweisungen. In- Zweite und dritte Beratung des von der terfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag auf Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Drucksache 13/6553, Einsatz von Antibiotika, zu eines Gesetzes zur Änderung des Sorten- überweisen, und zwar zur federführenden Beratung schutzgesetzes an den Ausschuß für Gesundheit und zur Mitbera- tung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß - Drucksachen 13/7038, 13/7446 - für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie den Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäi- (Erste Beratung 163. Sitzung) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15761

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- e) Beratung der Beschlußempfehlung und des schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- Forsten (10. Ausschuß) schuß) zu dem Antrag des Bundesministe- riums der Finanzen - Drucksache 13/7639 - Berichterstattung Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundes- Abgeordneter Dr. Gerald Thalheim haushaltsordnung in die Veräußerung einer bundeseigenen Liegenschaft in Hongkong Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der (frühere Residenz des Generalkonsuls) Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - - Drucksachen 13/6946, 13/7543 - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD- Berichterstattung: Fraktion und der Gruppe der PDS gegen die Stim- Abgeordnete Karl Di ller men von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Susanne Jaffke Oswald Metzger Wir kommen zur Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

dritten Beratung f) Beratung der Beschlußempfehlung und des und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- schuß) zu dem Antrag des Bundesministeri- ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der ums der Finanzen Gesetzentwurf ist angenommen; Mehrheitsverhält- Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundes- nisse wie zuvor. haushaltsordnung in die Veräußerung der Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ehem. Carl-Schurz-Kaserne in Bremerhaven ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7661. Wer stimmt für diesen Ent- - Drucksachen 13/7204, 13/7544 - schließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen Berichterstattung: der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion ge- Abgeordnete Karl Di ller gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Susanne Jaffke der PDS abgelehnt. Oswald Metzger Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

Tagesordnungspunkte 14 c bis 14 f: Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - c) Beratung der Beschlußempfehlung und des )ie Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschluß- Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- mpfehlungen sind einstimmig angenommen. schuß) zu dem Antrag des Bundesministe- riums der Finanzen Tagesordnungspunkte 14 g und h: Einwilligung gemäß j 64 Abs. 2 der Bundes- g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- haushaltsordnung in die Veräußerung der haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- bundeseigenen (ehemaligen US-)Wohnsied- richtung durch die Bundesregierung lung Fürth-Süd (Kalb-Housing-Area) in Fürth - Drucksachen 13/7130, 13/7451- Haushaltsführung 1997; Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 04 Berichterstattung: (apl.) Titel 682 09 Abgeordnete Susanne Jaffke - Maßnahmen zur Stützung des Schweine- Oswald Metzger marktes - bis zur Höhe von 14 096 000 DM Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) -Drucksachen 13/7099, 13/7 105 Nr. 2,13/7453 - d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- Berichterstattung: schuß) zu dem Antrag des Bundesministeri- Abgeordnete ums der Finanzen Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Veräußerung des ehemaligen NATO-Flug- Ilse Janz platzes Lahr an die Stadt Lahr und die Ge- Kristin Heyne meinde Friesenheim - Drucksachen 13/7032, 13/7452 - h) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- Berichterstattung: richtung durch die Bundesregierung Abgeordnete Karl Diller Susanne Jaffke Haushaltsführung 1997; Oswald Metzger Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 04 Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Titel 682 04 - Von der EU nicht übernommene 15762 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Marktordnungsausgaben - bis zur Höhe von Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf: 19 591 000 DM Aktuelle Stunde -Drucksachen 13/7198,13/7460 Nr. 5,13/7545 - auf Verlangen der Fraktion der SPD

Berichterstattung: Einschätzung der Ausbildungsplatzsituation Abgeordnete Carl-Detlev Frhr. von Hammer- und des Handlungsbedarfs durch die Bundes- stein regierung Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Ilse Janz Kristin Heyne Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Kol- lege Wolfgang Thierse, SPD. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußem- pfehlungen sind einstimmig angenommen. Wolfgang Thierse (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die neuesten Zahlen der Bun- Tagesordnungspunkt 14 i: desanstalt für Arbeit sind alarmierend. Bis Ende April dieses Jahres gingen bei ihr 465 000 Meldungen über Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- offene Ausbildungsstellen ein; das sind rund 6 Pro- tionsausschusses (2. Ausschuß) zent weniger als im Vorjahr. Zugleich stieg die Zahl Sammelübersicht 167 zu Petitionen der Bewerberinnen und Bewerber um fast 8 Prozent auf über 640 000. Den 162 600 unbesetzten Stellen - Drucksache 13/6406 - stehen 348 400 noch nicht vermittelte Jugendliche gegenüber; das sind 8,2 Prozent mehr als 1996. Seit Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Bestehen der Bundesrepublik Deutschland war diese Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Sammelüber- Kluft noch nie so groß. sicht 167 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- nen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Im Westen Deutschlands ging die Zahl der gemel- Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. deten Ausbildungsstellen um 6,4 Prozent zurück. Die Zahl der Bewerber nahm um 8 Prozent zu. Im Osten Tagesordnungspunkt 14j: Deutschlands wurden bisher 66 700 Lehrstellen bei den Arbeitsämtern gemeldet. Das sind 2,2 Prozent Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- weniger als im April vorigen Jahres. Der bet riebliche tionsausschusses (2. Ausschuß) Anteil daran ist gegenüber dem Vergleichsmonat Sammelübersicht 202 zu Petitionen 1996 um über 9 Prozent zurückgegangen. Das heißt, die Wiederverstaatlichung der Berufsausbildung in - Drucksache 13/7514 - Ostdeutschland geht ungebremst weiter. Nach wie vor werden dort zwei Drittel aller Ausbildungsplätze Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die staatlich subventioniert. Von über 190 000 gemelde- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Sammelüber- ten Lehrstellensuchenden in Ostdeutschland - sicht 202 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- 7,6 Prozent mehr als im April des letzten Jahres - nen bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grü- sind 131 500 junge Menschen noch immer auf der Su- nen und PDS bei mir nicht ganz klarem Abstim- che. Jeder jungen Frau und jedem jungen Mann ste- mungsverhalten der SPD-Fraktion angenommen.- hen in Ostdeutschland exakt 0,35 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Für viele im Osten Deutschlands - Tagesordnungspunkt 14 k: vielleicht sogar für die meisten - wird die Suche also ergebnislos bleiben. Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) Die Dramatik der Lage auf dem Ausbildungsmarkt Sammelübersicht 204 zu Petitionen ist inzwischen offensichtlich auch dem zuständigen (Keine Änderung des Bundessozialhilfegeset- Bundesminister klargeworden. In der Vergangenheit zes) hat er die SPD immer wieder der Panikmache bezich- tigt, obwohl bereits vor Jahren absehbar war, in wel- - Drucksache 13/7516 - che dramatische Problemlage das Berufsbildungssy- stem geraten würde. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7662 vor, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für die- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - sen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthal- Zuruf von der SPD: Zukunft der Kohl-Regie tungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen rung!) der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Op- position abgelehnt. Dieses Jahr hält er sich zum Glück zurück. Mit Hilfe eines Sonderprogramms will er 15 000 zusätzliche Wer stimmt jetzt für die Beschlußempfehlung des Lehrstellen in Ostdeutschland schaffen. Das ist zu Petitionsausschusses? - Die Gegenprobe! - Enthal- begrüßen; aber das wird nicht reichen. tungen? - Die Sammelübersicht 204 ist mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Die genannten Zahlen sind Beleg für die trostlose Opposition angenommen. Bilanz einer Politik, die sich jahrelang darin er- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15763

Wolfgang Thierse schöpfte, fruchtlose Appelle an die deutsche Wi rt Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Herr Präsident! -schaft zu richten. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Spätestens bei der Debatte des Berufsbildungsberichtes am (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne 20. März dieses Jahres war das klar, was wir gerade ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vom Kollegen Thierse gehört haben: Es gibt ein zu- und der PDS) nehmendes Ungleichgewicht bei den Lehrstellen Diese Zahlen sind die Bilanz einer Politik, der ange- zwischen Angebot und Nachfrage. sichts der akut gefährdeten Biographien junger Men- (Zuruf von der SPD: Tut was!) schen und des vorhersehbaren Mangels an qualifi- zierten Facharbeitskräften sowohl das menschliche In den neuen Bundesländern gibt es besondere als auch das ökonomische Maß abhanden gekommen Schwierigkeiten. Wer sich die „Sozialpolitische Um- ist. Die Bundesregierung steht mit ihrer „Politik der schau" - eine Veröffentlichung der Bundesregierung Unverbindlichkeit" vor einem Scherbenhaufen, wie - vom 21. April dieses Jahres ansieht, findet do rt eine er größer kaum sein könnte. klare Analyse. Deshalb ist das Vorlesen von Zahlen an dieser Stelle aus meiner Sicht sinnlos. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Bereits damals gab es eine gemeinsame Initiative der Bundesregierung, der Wi rtschaft und der Bun- Die Frühjahrsbilanz auf dem Ausbildungsmarkt läßt desanstalt für Arbeit. Herr Thierse, Sie können der nur einen Schluß zu: Wir brauchen endlich eine Presse entnehmen, daß es in diesem Bereich bereits grundlegende, auch in Zukunft tragfähige Reform Ergebnisse gibt. Vielleicht gehe ich darauf noch ein. des beruflichen Bildungswesens und seiner Finanzie- rung. Besonders bemerkenswe rt ist für mich, daß auch die Länder reagieren, und man sollte hier ruhig ein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mal Nordrhein-Westfalen mit dem Ausbildungskon- Die SPD wird sich jedenfalls nicht mit weiteren sens ansprechen. Die Ergebnisse und die Einzelver- „Bitte-bitte-Kampagnen" der Bundesregierung zu- einbarungen dazu sind aus meiner Sicht sehr kon- friedengeben. struktiv. Ich sage das mit Absicht, weil diesmal nicht nur Sachsen genannt werden soll. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir CDU-Abgeordnete der neuen Bundesländer Auf Zusagen und Versprechen der Wi rtschaft können haben am 13./14. April in Berlin eine Klausurtagung wir uns nicht verlassen. abgehalten und dabei aus unserer Sicht sehr wesent- (Beifall bei der SPD) liche Maßnahmen vorgeschlagen, die auch unkon- ventionell sind. Wir sind der Auffassung, daß unkon- Denn allen Beteuerungen zum Trotz hat die Wi rt ventionelle Methoden nötig sind, weil wir es mit ei- -schaft ihre Zusage, 10 Prozent zusätzliche Ausbil- ner besonderen Situation zu tun haben. In dem Zu- dungsplätze in den Jahren 1995 und 1996 bereitzu- sammenhang stellen sich für mich folgende Fragen, stellen, nicht eingehalten. die auch mit unseren Beschlüssen zusammenhän- Das Bundesverfassungsgericht hat 1980 in seinem gen: Urteil zum Ausbildungsförderungsgesetz unmißver- Warum können zum Beispiel Zulassungsbescheide ständlich zum Ausdruck gebracht, daß es Sache der für das Studium nicht bereits bis zum 20. August des Arbeitgeber sei, für ein ausreichendes Angebot an laufenden Jahres ausgegeben werden, damit keine - betrieblichen Ausbildungsplätzen zu sorgen. Wenn Doppelbewerbungen auftreten? private und öffentliche Arbeitgeber dieser Verpflich- tung nicht mehr nachkommen, dann muß der Staat Warum können nicht Investitionshilfe- und Investi- dafür sorgen, daß sie es tun - aber auch dafür, daß sie tionsvergaberichtlinien an der Bereitschaft zur Schaf- es können. fung betrieblicher Lehrstellen orientiert werden? Deswegen bestehen wir darauf, einen fairen und Warum soll nicht eine fälschungssichere Bewer- gerechten Finanzausgleich zwischen ausbildenden bungskarte eingeführt werden, um Mehrfachbewer- und nicht ausbildenden Bet rieben zu schaffen. bungen zu vermeiden? (Beifall bei der SPD) Warum können nicht traditionelle Berufe in die Handwerksordnung so aufgenommen werden, daß Denn die Ungleichheit der Bet riebe hat unter dem in diesen Berufen Meisterabschlüsse und Berufsaus- Strich dazu geführt, daß Ausbildungsplätze vernich- bildung möglich sind? - Ich habe bei mir im Wahl- tet worden sind und keine neuen entstanden sind. kreis mit den Stuhlbauern eine entsprechende Be- Deswegen wird die SPD-Bundestagsfraktion noch rufsgruppe. Ich bitte die Kollegen aus der SPD-Frak- vor der Sommerpause einen entsprechenden Gesetz- tion, uns bei der Behandlung der Anlage A der entwurf über einen fairen Lastenausgleich vorlegen. Handwerksordnung im Wirtschaftsausschuß zu un- Denn es ist angesichts der Berufsbildungskatastro- terstützen. phe Zeit, zu handeln. Appelle reichen nicht mehr! Warum können nicht die Vergütungshöhen für (Beifall bei der SPD) Lehrlingsentgelte regional so gestaltet werden, daß sie lehrstellenfördernd wirken? - In einem Gespräch Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der mit dem IG-Metall-Vorsitzenden Zwickel in der Ar- Kollege Dr. Rainer Jork, CDU/CSU-Fraktion. beitnehmergruppe unserer Fraktion am 22. April 15764 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Dr.-Ing. Rainer Jork kam die bemerkenswe rte Aussage, daß bei der Erhö- Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hung der Zahl der Ausbildungsplätze auch differen- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die er- zierte Erhöhungen der Entgelte möglich seien. Ich sten fünf Redner - danach kommen in der ersten halte das für einen wichtigen Denkanstoß. Runde noch zwei - sind alle aus den fünf neuen Län- dern. Ich möchte Sie aber darauf hinweisen, daß wir Warum sollte man nicht bef ristete Angebote der heute kein Ostproblem besprechen, denn dieses Pro- Berufsfachschulen durch die Kombination mit be- blem wird sich auf die alten Bundesländer ausdeh- trieblicher Ausbildung und mit Abschlußprüfungen nen. vor den zuständigen Kammern aufwerten? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das sind nur einige Hinweise, die über das hinaus- und bei der SPD - Wolfgang Thierse [SPD]: gehen, was wir ohnehin im Berufsbildungsbericht le- sen. Das wissen wir!) Am 24. April, also schon bald nach der genannten Das wird zwar zum Teil immer noch ein bißchen Klausurtagung, entsprach die Bundesregierung un- ignoriert, aber die Probleme stehen ante po rtas. Nicht serem Antrag, angemessen, situationsbezogen und umsonst hat sich zum Beispiel Herr Jagoda geäußert; planbar zu fördern. Damit tat sie das drei Monate frü- er spricht von einer „dramatischen Situation". her als 1996. Mit 15 000 Lehrstellen zusätzlich, Herr Ich habe mich sehr amüsiert, als ich vor gut einer Thierse, und mit 200 Millionen Mark hat sie ihre Ar- Woche eine Pressemitteilung aus dem Hause des beit jetzt getan, und zwar frühzeitig und - aus meiner Herrn Rüttgers lesen konnte, in der von seiten des Sicht - gut. Man kann an dieser Stelle auch mal BMBF die „Liste des Entgegenkommens" aufgeführt danke schön sagen. worden ist. Sie haben alle möglichen kleinen Zuge- (Beifall bei der CDU/CSU) ständnisse in Richtung Wirtschaft gemacht, um deren Ausbildungsbereitschaft zu erhöhen. Sie selber, Herr Ich sage das auch deshalb, weil ja, wie wir alle wis- Rüttgers, haben gesagt, jetzt sei die Wi rtschaft dran. sen, die Bundesregierung in der Kette der Verantwor- Aber das sagt die Bundesregierung im Prinzip schon tung eigentlich das letzte Glied ist, und weil wir - seit vielen Jahren. auch das mit Blick auf die Formulierung des Themas der Aktuellen Stunde - immer so tun, als ob hier nur (Werner Lensing [CDU/CSU]: Weil es die die Bundesregierung in der Verantwortung stehe. Wahrheit ist!) Das, was die Bundesregierung getan hat, ist ein Si- gnal für die Tarifpartner, für die Wi rtschaft. Die CDA spricht inzwischen von der Bringschuld der Arbeitgeber und davon, daß sie sich eine Umlagefi- Im übrigen, Herr Thierse: Ich habe erst heute gele- nanzierung auf tariflicher Ebene vorstellen kann. Das sen, daß die Deutsche-Bank-Stiftung 1000 zusätzli- sind ja ganz neue Töne aus Ihren Reihen. Die höre che Ausbildungsplätze bereitstellen will, daß der ich natürlich gerne. VEBA-Konzern 500 zusätzliche Ausbildungsplätze schafft. Das ist für mich auch Wirtschaft, das ist ein Wenn Sie, Herr Jork, der Meinung sind, man Ergebnis dessen, was die Bundesregierung will. müsse hier unkonventionelle Vorschläge machen, Schauen Sie sich mal an, was mit dem Ausbildungs- dann verstehe ich Sie so, daß Ihr Diskussionsbeitrag konsens in Nordrhein-Westfalen alles drin ist. zum Thema Ausbildungsvergütung ein solch unkon- Schauen Sie sich auch mal an, was die Kommunen ventioneller Vorschlag ist. Denn deren Höhe wird ge- machen. Ich habe hier in meiner Rede am 20. März meinhin zwischen den Tarifparteien geregelt und hat zum Beispiel auf die Görlitzer Initiative hingewiesen. überhaupt nichts mit der Politik der Bundesregierung Das kann als Beispiel gesehen werden. zu tun. Wenn Sie das aber in Zukunft mit überneh- men wollen, dann machen wir das eben so. Ich bitte Sie alle um konstruktive Antworten auf meine sicher oft etwas unkonventionellen Fragen (Jörg Tauss [SPD]: Um Gottes willen!) und bitte zu bedenken, daß das Verlangen, das Sie formulieren, eben nicht nur an den Bund geht. Herr Thierse hat hier schon Zahlen genannt. Ich gehe davon aus: Wenn wir im September die Restver- Ich könnte mir gut vorstellen, daß wir auch im sorgung der Jugendlichen mit Ausbildungsplätzen Sinne dessen, was in Nordrhein-Westfalen getan absehen können, werden wir mindestens 100 000 wird, auf der Basis eines Konsenses tatsächlich im In- Lehrlinge haben, die keine Stelle gefunden haben teresse der Betroffenen reagieren - und nicht nur werden. Wahrscheinlich wird es eine noch höhere ideologisch und formal wie jedes Jahr. Zahl sein. Ich sehe, daß Handlungsbedarf für alle besteht. Ich In den Gesprächen mit der Wi rtschaft hat sich oft lade Sie herzlich ein, daß wir uns gemeinsam bemü- herausgestellt, daß in der jüngeren Managergenera- hen, etwas für die Betroffenen zu tun. tion die Art von Ausbildungsverantwortung, wie sie noch bei älteren Unternehmern zu finden ist, offen- Danke schön. sichtlich nicht mehr empfunden wird. Es wird von (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) „Jobs" statt von „Berufen" gesprochen. Man spricht von „Training on the job" statt von „Ausbildung". Ich denke, daß deshalb alle Ausbildungsappelle ver- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die puffen werden. Denn sie passen gar nicht mehr in Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen. das Denkschema hinein. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15765

Antje Hermenau Wenn Sie sich überlegen, was die jungen Leute - nachlesen konnte, seit 10 Jahren. Das ist wirklich er- in der Shell-Studie wurde einiges darüber dargelegt müdend. - am meisten umtreibt, dann ist das die Arbeitslo- sigkeit. Damit ist natürlich auch gemeint, daß sie Danke schön. diese Gesellschaft gar nicht als eine Chancengesell- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schaft akzeptieren können. Denn eine abgeschlos- und bei der PDS sowie bei Abgeordneten sene Ausbildung wäre die Mindestvoraussetzung der SPD) dafür, um in dieser Gesellschaft überhaupt Chancen wahrnehmen zu können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der und bei der PDS) Kollege Dr. Karlheinz Guttmacher, F.D.P. Sie wissen ganz genau, welch schlechte Einkom- mens- und Beschäftigungschancen Ungelernte ha- Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): Herr Präsident! ben. Sie lassen es zu, daß sich in diesem Land eine Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Sockelausbildungslosigkeit festsetzt. Hier steht im junge Generation ist das wichtigste Humankapital, Prinzip das Versagen des Staates gegen das Versa- das unsere Gesellschaft hat. Deswegen stehen wir gen des Marktes. Es ist an der Zeit, daß die Politik in alle gleichermaßen in der Pflicht, dafür Sorge zu tra- der Lage ist, ein politisches Stoppschild zu formulie- gen, daß diese junge Generation eine gute berufliche ren, einen Rahmen zu setzen und zu sagen: Das ist Ausbildung hat. die Grenze; die darf keiner - auch kein Unternehmer - überschreiten. Ich denke, an dieser Formulierung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sollten wir in diesem Sommer und in diesem Herbst Dafür sind die Rahmenbedingungen zu gestalten. arbeiten und darüber streiten. Ich weiß, daß Herr Staatssekretär Kolb vom Wi rt Ich möchte im wesentlichen - es wurde hier ange- -schaftsministerium nachher noch etwas dazu sagen schnitten, daß die Probleme nicht nur in den neuen wird. Ich gehe davon aus, daß Sie uns noch einmal Bundesländern, sondern auch in den alten Bundes- den ganzen Katalog dessen aufzählen werden, was ländern bestehen - auf die Situation in den neuen die Arbeitgeber gerne geändert hätten, damit die Be- Bundesländern eingehen. In diesen Ländern wurden rufsausbildung besser wird. den Arbeitsämtern in den ersten sechs Monaten des Berichtsjahres 1996/1997 52 200 bet riebliche Ausbil- Die Gewerkschaften haben gesagt, daß sie, wenn dungsstellen gemeldet. - Diese Zahlen sind ernst zu die Arbeitgeber in der Lage seien, die Finanzierung nehmen. Das sind 10 Prozent weniger als im Vorjah- der beruflichen Ausbildung endlich auf solide Füße reszeitraum. - zu stellen, dann auch ihrerseits eventuell zu dem ei- nen oder anderen Kompromiß in die Richtung bereit (Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!) seien, die die Arbeitgeber vorgeschlagen haben. Die Zahl der Bewerber um einen Ausbildungsplatz, Ich wünsche mir solch eine lösungsorientierte Dis- die sich im Oktober 1996 bis März 1997 in der Berufs- kussion, weil Sie in der Bundesrepublik Deutschland beratung meldeten, ist um 7 Prozent auf 181 000 ge- seit 10 oder 15 Jahren in dieser Debatte feststecken. stiegen. Die Anzahl der bisher unversorgten Bewer- Keiner rückt von der Stelle. Alle bejammern nur im- ber ist im Vergleich zum Vorjahr um 6 Prozent gestie- mer die dramatische Situation. Jeder spricht davon, gen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das man müßte eine große Revolution beginnen und alles nehmen wir sehr ernst. auf einmal ändern. Das Problem ist: Vor solch einer großen Veränderung haben alle Angst, und keiner Besonders die Verlangsamung des wirtschaftlichen packt das Problem an. Aufholprozesses in den neuen Bundesländern wirkt sich auch auf die Bereitstellung von Ausbildungsstel- Ich denke, der Faden, an dem alle anderen Pro- len aus. Die Zahl der Insolvenzen in den neuen Bun- bleme der Berufsausbildung hängen und an dem desländern hat zugenommen. Herr Thierse, wenn man ziehen muß, um Bewegung in die Sache zu brin- Sie in diesem Zusammenhang sagen, daß es gut sei, gen, ist die Sicherstellung der Finanzierung der be- ein Umlagefinanzierungsmodell auch für die kleinen ruflichen Ausbildung. Das ist der Rahmen, dessen und mittelständischen Unternehmen in den neuen Vorgabe ich von der Politik erwarte. Dieser Rahmen Bundesländern einzuführen muß abgesteckt werden. (Wolfgang Thierse [SPD]: Das habe ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht gesagt!) sowie bei Abgeordneten der SPD) - das haben Sie aber indirekt so mit ausgedrückt -, Wir werden genauso wie die SPD einen aller- dann halte ich dies für eine so große Schwierigkeit dings modifizierten - Vorschlag in die Debatte ein- für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, bringen. Ich halte es für legitim, daß in einer so daß Sie damit rechnen müssen, daß die Zahl der In- schwierigen Frage verschiedene Lösungsvorschläge solvenzen dieser Betriebe zunimmt. zur Debatte gestellt werden. Was ich allerdings nicht mehr haben möchte, sind irgendwelche Kataloge des (Widerspruch bei der SPD) guten Willens und des Entgegenkommens von seiten der Bundesregierung. Diese Litanei gibt es, wie ich Dies werden wir nicht zulassen. 15766 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Dr. Karlheinz Guttmacher Sie hätten eine andere Möglichkeit in der Hand Im Rahmen der Verbesserung der Praxisnähe in gehabt. Hätten Sie nicht eine Blockadepolitik in die- der beruflichen Ausbildung haben wir das Jugend- sem Hause betrieben, schutzgesetz geändert.

(Widerspruch bei der SPD) (Jörg Tauss [SPD]: Ja und?) Wir haben die Länder aufgefordert, die Berufsschul- hätten wir die gewerblichen Steuern und die Körper- zeiten flexibler und berufsorientierter zu gestalten. schaftsteuer schon zum 1. Juli 1998 reduziert. Das wäre eine Entlastung für die kleinen und mittelstän- (Zuruf von der SPD: Und wieviel Ausbil dischen Unternehmen gewesen. dungsplätze hat das ergeben?)

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Dann hät Meine Damen und Herren, in den neuen Bundes- ten alle einen Arbeitsplatz! Wunderbar!) ländern hat es sich sehr bewährt, daß die Lehrstellen- entwickler in den letzten Jahren ihre Arbeit aufge- Das hätte ihnen Luft verschafft, Ausbildungsstellen nommen haben. Allein in 1996 konnten durch diese zur Verfügung zu stellen. Das wäre ein richtiger Weg Lehrstellenentwickler 12 000 bet riebliche Ausbil- gewesen. dungsstellen zur Verfügung gestellt werden. Wir werden dies auch in den nächsten Jahren durchfüh- (Beifall bei der CDU/CSU - Ing rid Mat ren. thäus-Maier [SPD]: Sie sagen doch, die zah Eine immer zwingendere Ausbildungsform in den len keine Körperschaftsteuer, die kleinen neuen Bundesländern sehe ich darin, daß im Ver- Unternehmen! Was für ein Unsinn!) bund ausgebildet wird. Dabei ist der Zweck des Ver- bundes durch die gegenseitige Nutzung von Ausbil- Bei allen Schwierigkeiten, meine Damen und Her- dungskapazitäten gegeben. Lassen Sie mich nur an ren, müssen wir daran festhalten, daß die Verantwor- einem winzigen Beispiel aus einem kleinen Kammer- tung in der beruflichen Ausbildung bei der deut- bezirk die Auswirkungen dieser neuen Ausbildungs- schen Wirtschaft liegt. Wenn das Kurato rium der methode andeuten: Während noch 1995 15 Lehrstel- Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung, in dem alle len zusätzlich geschaffen werden konnten, waren es Kammern und alle Verbände vertreten sind, sich zu 1996 184, und 1997 wurden bis jetzt 496 Ausbil- einer Erhöhung der Zahl der Lehrstellen bereit er- dungsstellen zusätzlich angezeigt. Ich denke, daß klärt hat, dann müssen wir die Wirtschaft an dieser dieses einer der wesentlichen Wege sein wird, wie Stelle auch in die Verantwortung nehmen. wir auch in den neuen Bundesländern in Kürze Aus- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Dann mal bildungsstellen zur Verfügung stellen werden kön- nen. los!)

Ich halte es für richtig, daß die Politik - das haben Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege, Sie, Herr Thierse, hier auszudrücken versucht - in schauen Sie bitte auf die Uhr. der Verantwortung steht, die berufliche Ausbildung zu reformieren. Ja, ich darf Sie darauf aufmerksam (F.D.P.): Meine Damen machen, daß bei den Ausbildungsberufen in den Dr. Karlheinz Guttmacher und Herren, in dieser Aktuellen Stunde möchte ich letzten drei Jahren ein seit den letzten 30 Jahren so all den Betrieben, die ihrer Ausbildungsverpflichtung noch nie dagewesener Modernisierungsschub in - nachgekommen sind, den Dank meiner Fraktion aus- Gang gesetzt worden ist. Wir werden pünktlich zum sprechen, aber auch alle diejenigen aufrufen, sich in Sommer 1997 14 neue Ausbildungsberufe zur Verfü- die Ausbildungsverantwortung zu nehmen, die bis gung stellen. Wir werden etwa 50 Berufsordnungen jetzt noch keine Lehrstellen zur Verfügung gestellt reformieren. haben. (Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Danke. NEN]: Das gehört aber parallel dazu! - Gegenruf des Abg. Werner Lensing [CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU) CSU]: Wir machen es doch parallel!) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Ich darf Sie in diesem Zusammenhang auch darauf Kollegin Maritta Böttcher, PDS. aufmerksam machen, daß wir schon im vergangenen Jahr die Ausbildereignungsverordnung geändert ha- ben. Maritta Böttcher (PDS): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Herr Guttmacher, ich kann eigent- (Werner Lensing [CDU/CSU]: Sehr guter lich gar nicht glauben, daß Sie ernsthaft selbst an das Schritt!) glauben, was Sie eben gesagt haben. (Beifall bei der PDS) Es ist eine Erleichterung, daß nunmehr Betriebsinha- ber, aber auch diejenigen Fachkräfte, die ausbilden, Jedes Jahr das gleiche in der Debatte, meine Da- sich nicht mehr einer mitunter zeitaufwendigen und men und Herren, mit den gleichen Problemen, ohne abschreckenden Eignungsprüfung unterziehen müs- jegliches Vorankommen. Alle Jahre wieder über- sen, sondern daß sie sofort werden ausbilden kön- rascht der Zukunftsminister mit neuen untauglichen nen. Vorschlägen zur Behebung der katastrophalen Situa- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15767

Maritta Böttcher tion auf dem Ausbildungsmarkt. Diesmal handelt es ren, ist eine neue Qualität. Es wird in beeindrucken- sich aber angeblich um die wichtigste Strukturreform der Weise nachgewiesen, daß die gravierenden ge- seit Bestehen des dualen Systems. Diese wäre wirk- sellschaftlichen Probleme - vor allem die Arbeitslo- lich dringend nötig. sigkeit - in einer bisher unbekannten Weise das Le- bensgefühl und die Befindlichkeit der Jugendlichen Immerhin findet auch Herr Rüttgers das Verhalten bestimmen. Jugend ist kein Schonraum mehr. der Großunternehmen inzwischen unerträglich und meint, daß sie eigentlich einmal etwas von ihrer Ver- Bereits bei den 12- bis 14 jährigen wird Arbeitslo- antwortung gegenüber der Allgemeinheit kapieren sigkeit zu 18 Prozent als größtes Problem wahrge- müßten. Da könnte man doch hoffen, daß sie durch nommen. Bei den 18- bis 24jährigen liegt dieser Wert das Reformpaket der Bundesregierung an ihre Ver- bei 50 bis 60 Prozent. Die erschreckendste Bilanz der antwortung erinnert werden. Doch weit gefehlt. neuen Untersuchung heißt: Noch nie hat Jugend so Es gibt wie immer eine neue Gemeinschaftsinitia- skeptisch in die Zukunft gesehen. Die jungen Men- tive, mit der die seit Jahren nicht funktionierenden schen haben ein sehr klares Bewußtsein von den Zu- Appelle an die Unternehmen fortgesetzt werden. Das kunftsproblemen der Gesellschaft und begreifen Sonderprogramm für die neuen Länder soll möglichst sehr wohl, daß ihre eigenen Möglichkeiten davon be- schnell in Gang gesetzt werden. Man hofft auf Bünd- troffen sind. Daher kommen immer mehr berechtigte nisse für Ausbildung in allen Regionen mit Lehrstel- Zweifel an solchen Versprechen wie „Der Jugend ge- lendefiziten, ruft die Tarifpartner zu entsprechenden hört die Zukunft" auf. Zwischen 60 und 90 Prozent Verhandlungen auf und drängt die Länder, die Be- stimmen der Problemperspektive zu: Es wird immer rufsschulzeiten betriebsfreundlicher zu organisieren. weniger Arbeitsplätze geben, Gewalt wird das Leben zunehmend unsicherer machen, die wi rtschaftliche (Beifall bei der PDS - Dr. Karlheinz Guttma Krise wird sich verschärfen, und Technik und Che- cher [F.D.P.]: Alles richtig!) mie werden die Umwelt zerstören. Alles alte Hüte, Herr Guttmacher, deren Untaug lich- Eine wesentliche Erkenntnis der Studie für mich keit zur Lösung der anstehenden Probleme in den besteht darin, daß Jugendliche offensichtlich jene letzten Jahren mehr als einmal bewiesen wurde. Probleme als am bedrückendsten bewe rten, die in Doch eine neue Idee gibt es: Die ausländischen der politischen Rhetorik als Sachzwänge erscheinen. Selbständigen sollen ihr ungenutztes Ausbildungs- Es darf dann auch niemanden mehr wundern, wenn potential ausschöpfen. Ob sie das vollbringen kön- der Politik nichts mehr zugetraut wird. Den Parla- nen, wozu die großen deutschen Konzerne und der menten wird der Spiegel vorgehalten, Politiker er- öffentliche Dienst immer weniger in der Lage sind? scheinen in den Augen der meisten Jugendlichen als Wie im Minderheitsvotum der Arbeitnehmer zum Be- Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft, und insofern sind rufsbildungsbericht 1997 festgestellt wird, ist mittler- sie austauschbar. Wenn man wirk lich etwas verän- weile nicht nur in der Industrie, sondern auch im dern will, ist demzufolge Engagement in diesem Be- Handwerk die Ausbildungsbereitschaft so stark ge- reich zwecklos. Die richtigen Ansprechpartner wären sunken, daß der Fortbestand des dualen Systems aus eigentlich in der Wirtschaft zu suchen. Genau der Be- der Sicht vieler Experten ernsthaft gefährdet scheint. reich aber, in dem die Wirtschaft ihre Verantwortung gegenüber Jugendlichen in erster Linie wahrnehmen Es kann also weder eine Lösung sein, an die Aus- müßte, wäre eine ausreichende Bereitstellung be- bildungsbereitschaft der ausländischen Arbeitgeber trieblicher Ausbildungsplätze. Die Reaktionen der zu appellieren, noch, von der öffentlichen Hand zu - Jugendlichen sind der Situation adäquat und haben verlangen, die Verantwortung der Wi rtschaft wahr- durchaus nichts mit überzogenem Verantwortungs- zunehmen. Die Politik - hier gebe ich Antje Herme- und Anspruchsdenken zu tun. nau recht - muß endlich in anderer Weise ihre Ver- antwortung wahrnehmen. Meine Damen und Herren, tun wir etwas! Gerade in der Lehrstellenfrage gibt es noch eine Chance, die Das vom DGB bereits 1995 vorgeschlagene Modell Krise durch politisches Eingreifen zu mildern. Es der Umlagefinanzierung sollte umgehend gesetzlich muß nur von allen hier Anwesenden auch wirk lich geregelt werden - ich bin gespannt auf die Gesetz- gewollt werden. entwürfe; wir werden auch einen vorlegen -, denn das ist notwendig, um dem dualen System überhaupt (Beifall bei der PDS) noch eine Chance zu geben. Es muß ein Lastenaus- gleich zwischen ausbildenden und nicht ausbilden- den Betrieben geschaffen werden, um den Rückzug Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Unternehmen aus der Ausbildung zu stoppen Herr Bundesminister Dr. Rüttgers. und die systemwidrige Steuerfinanzierung der Aus- bildung zu beenden. Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, (Beifall bei der PDS) Wissenschaft, Forschung und Technologie: Herr Prä- sident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Lage Die Shell-Jugendstudie 1997, die vor zwei Tagen auf dem Lehrstellenmarkt ist ernst, ja sie ist mehr als vorgestellt wurde, spricht eine deutliche Sprache: ernst. Im vergangenen Jahr ist es uns Gott sei Dank Die gesellschaftliche Krise hat die Jugend erreicht. gelungen, auf dem Lehrstellenmarkt einen Ausgleich Die Arbeitslosigkeit ist die größte Sorge der Jugend- von Angebot und Nachfrage zu erreichen. lichen. Die Angst um den Beruf wird zur prägenden Generationserfahrung. Das, meine Damen und Her- (Doris Odendahl [SPD]: Rechnerisch!) 15768 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers In diesem Jahr ist es noch offen, ob uns dies gelingt. ideologischen Forderungen, die in irgendwelchen Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Auffassung, Papieren niedergelegt werden. daß jeder junge Mann und jede junge Frau, der bzw. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge die kann und will, auch in diesem Jahr eine Lehr- ordneten der F.D.P.) stelle angeboten bekommen muß. Es wäre nicht meine Gesellschaft und keine menschliche Gesell- Ich bleibe dabei: Solange Sie sich der Realität in schaft, wenn es uns nicht gelingt, jungen Menschen der Berufsbildungspolitik verweigern, ist jeder junge Chancen zu geben. Mensch, der sich auf die SPD verläßt, verlassen.

Als ich nun davon hörte, daß die SPD beantragt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hat, nachdem wir noch vor wenigen Wochen über Es gibt leider neben den großen Problemen, die wir den Berufsbildungsbericht diskutiert haben, heute haben, immer noch zu wenige, die den E rnst der eine Aktuelle Stunde zur Lehrstellenproblematik Lage verstanden haben. durchzuführen, habe ich mich gefreut, weil ich dachte, es habe jemand eine neue Idee und versu- (Jörg Tauss [SPD]: Bisher gehören Sie che, aus den teilweise ritualhaften Debatten der letz- dazu!) ten Jahre auszusteigen. Verehrter Herr Kollege Ich habe überhaupt keine Probleme, mich hier hinzu- Thierse, außer Sprüchen nichts gewesen; stellen und weiterhin an jeden zu appellieren, er möge bitte Lehrstellen zur Verfügung stellen; denn (Jörg Tauss [SPD]: Doch! Umlage!) jede Lehrstelle, die auf diesem Weg zur Verfügung es war die übliche Mischung aus Vorwürfen und Un- gestellt wird, hilft nicht mir, sondern irgendeinem verbindlichkeiten, die dann immer von der seit jungen Menschen in Deutschland. Das ist mir wichti- 20 Jahren von der SPD erhobenen Forderung ge- ger als die ideologischen Debatten, die hier von sei- krönt wird, endgültig und endlich die Ausbildungs- ten der SPD geführt werden. platzabgabe einzuführen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Damit die Position klar ist: Mit der Bundesregie- Die Bundesregierung braucht sich vor keinem Vor- rung wird es keine Verstaatlichung des deutschen wurf zu fürchten; denn wir haben in den vergange- Berufsbildungssystems geben, nen Wochen und Monaten das größte Modernisie- rungsprogramm für die berufliche Bildung seit Be- (Widerspruch bei der SPD - Wolfgang stehen des Berufsbildungsgesetzes vorgelegt. Thierse [SPD]: Sie findet schon statt! - Das (Werner Lensing [CDU/CSU]: 1969!) ist schon Realität!) Dies hat nicht nur dazu geführt, daß wir im Bereich denn eine Ausbildungsplatzabgabe führt zwangsläu- der Berufsbilder zu erheblichen Modernisierungen fig in diese Richtung. gekommen sind. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Karlheinz Guttmacher [F.D.P.]: So ist es!) Nachdem ich nun meine Position markiert habe, will Dies hat nicht nur dazu geführt, daß es im vergange- ich Sie, Herr Thierse, wenn Sie meinen, es so doku- nen Jahr drei neue Berufsbilder gab, in diesem Jahr mentieren zu müssen, und Ihre Fraktion- fragen: Wo 14 geben wird und daß im kommenden Jahr fünf ist denn bitte der seit fast einem Jahr angekündigte neue Berufsbilder folgen werden. Dies hat nicht nur Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion? dazu geführt, daß eine Vielzahl ausbildungshem- mender Vorschriften abgeschafft worden ist. Dies hat (Doris Odendahl [SPD]: Den kriegen Sie noch vor der Sommerpause!) vielmehr in einer konkreten, am Interesse der Be- triebe und der jungen Leute orientierten Aktion sei- Woran liegt es denn, daß er immer noch nicht vor- nen Niederschlag gefunden. liegt? Warum beantragen Sie eine Aktuelle Stunde, Bei aller Besorgnis, die ich in diesem Bereich nach anstatt endlich Ihren Gesetzentwurf vorzuführen? wie vor habe, finde ich es doch mehr als ermutigend, Wahrscheinlich wissen Sie genau, daß dieser Ver- daß unsere gemeinsame Aktion mit der Bundesan- such letztlich untauglich ist. stalt für Arbeit, Bet riebe sowohl in West als auch in Ost aufzusuchen und ihnen bei der Schaffung neuer (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine sau Lehrstellen zu helfen, dazu geführt hat, daß inner- bere Analyse!) halb von vier Wochen bundesweit 18 500 Lehrstellen zur Verfügung gestellt werden konnten. Wir haben Ich möchte gerne wissen - das kann ja vielleicht ei- vor, diese Aktivitäten in West wie in Ost fortzusetzen, ner der Kollegen von der SPD hier einmal erklären -, und hoffen, damit - Stichwort „Lehrstellenentwick- wie mit einem Gesetzentwurf - Sie haben gesagt, er ler" - einen Beitrag leisten zu können, das große Ziel werde bis zur Sommerpause vorliegen; Herr Schar- auch in diesem Jahr zu erreichen. ping hat, glaube ich, schon viermal erklärt, er werde demnächst vorliegen -, wenn er denn bis zur Som- Aber, meine Damen und Herren, die Bundesregie- merpause vorliegt, in diesem Jahr noch irgendeine rung kann dieses Problem nicht alleine lösen, auch Lehrstelle geschaffen werden soll. Wir brauchen in die Politik nicht. Wir sind vielmehr darauf angewie- diesem Jahr Lehrstellen und nicht irgendwelche sen, daß jeder die Verantwortung wahrnimmt, die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15769

Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers ihm zukommt. Deshalb fordere ich von dieser Stelle einzige Lehrstelle zur Verfügung stelle. Wer das aus Arbeitgeber und Gewerkschaften auf, in diesem macht, verliert jede Glaubwürdigkeit. - Ich fordere Jahr keinen Tarifvertrag ohne eine Vereinbarung für den Deutschen Gewerkschaftsbund auf, dafür zu sor- mehr Lehrstellen abzuschließen. gen, daß wir auch bei der Differenzierung der Lehr- lingsvergütung einen Schritt weiterkommen. Ich for- (Doris Odendahl [SPD]: Hat die IG Metall dere die Betriebe der Informations- und Kommunika- schon gemacht!) tionstechnologie und der Medien auf, die jetzt zur - Gott sei Dank, Frau Odendahl, ist wahr, daß ver- Verfügung stehenden neuen Medienberufe auch an- schiedene Gewerkschaften und Arbeitgeberver zubieten. Ich fordere die Kommunen, die Kreise auf, bände dies getan haben, zum Beispiel die IG Chemie, die dazu notwendigen Angebote im Bereich der Be- die IG Textil und die ÖTV, leider noch nicht die rufsschulen nicht erst in vielen Monaten, sondern IG Metall. Als Chef der größten Gewerkschaft hätte schnell zu schaffen. es Herrn Zwickel gut angestanden, mit gutem Bei- spiel voranzugehen. Wenn jeder seine Verantwortung wahrnimmt, wenn jeder ein Stück beiträgt, dann haben wir viel- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU leicht eine Chance, noch in diesem Jahr einen Aus- und der F.D.P. - Franz Thönnes [SPD]: Dazu gleich zu schaffen. Wir sollten uns anstrengen. Es gehören immer zwei!) geht um die Interessen unserer jungen Leute. Ich fordere die Kammern auf, dafür zu sorgen, daß die noch immer vorhandenen speziellen Lehrlings- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und Ausbildungsgebühren auf die allgemeinen Ge- bühren umgelegt werden. Dies würde zu einem La- stenausgleich zwischen denjenigen, die ausbilden, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der und denjenigen, die nicht ausbilden, führen. Ich Kollege Stephan Hilsberg, SPD. glaube, es ist ein wichtiger Punkt, daß sich diejeni- gen, die, egal aus welchen Gründen, etwa weil es keine Berufsbilder gibt, nicht ausbilden können, Stephan Hilsberg (SPD): Sehr geehrter Herr Präsi- daran beteiligen, daß andere Bet riebe Ausbildung dent! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister betreiben. Damit wir uns richtig verstehen: Das ist Rüttgers, die Demagogie, die Sie hier vorgeführt ha- ein völlig anderer Ansatz als die Schaffung einer ben, vermag Ihre Hilflosigkeit nicht zu überdecken. neuen Umlage. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Sie werden uns erst einmal erklären müssen, ten der PDS) warum der Bäckermeister, der für eine zur Verfügung gestellte Lehrstelle keinen Lehrling findet, über eine Vielleicht muß ich Ihnen, dem ehemaligen Parlamen- Umlage die Ausbildungsplätze der Deutschen Bank tarischen Geschäftsführer, eine Nachhilfestunde ge- mitfinanzieren soll, bei der die Auszubildenden ben, was der Zweck von Aktuellen Stunden ist. Sie Schlange stehen. Die Frage werden wir noch mitein- sind dazu da, gesellschaftliche Mißstände zu thema- ander diskutieren. tisieren. Wenn der Ausbildungsnotstand kein gesell- (Doris Odendahl [SPD]: Darum geht es doch schaftlicher Mißstand ist, dann weiß ich nicht, was nicht! - Jörg Tauss [SPD]: Wir erklären es überhaupt einer ist. Ihnen mal!) - (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Ich fordere die großen Unternehmen in Deutsch- ten der PDS und der Àbg. Elisabeth Alt land auf, Ausbildung zur Chefsache zu machen. mann [Pommelsbrunn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. - Jörg Tauss [SPD]: Machen Um auch das ganz klar zu sagen: Für die Ausbil- Sie das mal zur Chefsache!) dungsmisere sind schließlich nicht wir verantwort- Es gibt leider im mittleren Management - ich nenne lich, sondern das ist Ihr Werk. Sie haben in der letz- hier Roß und Reiter - noch immer Leute, die glauben, ten Zeit die Regierungsgewalt gehabt. Wozu das ge- im Grundgesetz oder in der Bibel stünde, daß, wenn, führt hat, kann jeder Jugendliche sehen, der mit vie- gleich aus welchen Gründen - das ist heute nicht un- len Bewerbungen zur Zeit versucht einen Ausbil- ser Thema -, Arbeitsplätze abgebaut werden, gleich- dungsplatz zu bekommen. zeitig die Lehrstellen abgebaut werden müssen. Dies ist nicht so. Es muß ein unternehmenspolitischer Be- (Zuruf von der CDU/CSU: Reine Polemik! - schluß her, daß Lehrstellen geschaffen werden. Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wer regiert denn seit vielen Jahren?) Ich fordere den Deutschen Gewerkschaftsbund auf, endlich selber auszubilden und seinen Verzicht Was Sie seit einigen Jahren betreiben, ist nichts an- auf Ausbildung aufzugeben. deres als Krisenmanagement. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. - Zuruf von der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Lesen Sie mal das Berufsbildungsgesetz nach! Dann mer - Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, ob ich mich ken Sie, wer zuständig ist! - Weitere Zurufe zum Thema Lehrstellen äußere, selber aber keine von der CDU/CSU) 15770 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Stephan Hilsberg - Könnten die Kollegen ein bißchen ruhiger sein? den, was der gesellschaftliche Bedarf an Ausbil- dungsplätzen ist. (Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Ein biß (Beifall bei der SPD sowie der Abg. chen sollten Sie sich schon durchsetzen Elisabeth Altmann [Pommelsbrunn] [BÜND können! - Zuruf von der CDU/CSU: Sie NIS 90/DIE GRÜNEN]) wollen doch die Auseinandersetzung!) Wir haben die Situation, daß durch geburtenstarke Ich will zum Kern der Sache kommen. Wir haben Jahrgänge immer mehr Jugendliche einen Ausbil- seit 1991 regelmäßig eine Reihe von Vorschlägen je- dungsplatz suchen, als die Bet riebe selber zur Verfü- des Jahr neu unterbreitet. Dazu gehören Schaffung gung stellen. Das ist die Situation. Hier müssen Sie von Ausbildungsverbünden, Schaffung neuer Aus- ein Lösungsmodell finden. Appelle reichen in keiner bildungsberufe und konzertierte Aktionen. Wir sind Weise aus. Daß Sie hier mit einem krankhaft guten ja froh, daß Sie diese Vorschläge endlich aufgegriffen Gewissen durch die Lande ziehen und so tun, als haben. Aber das ist viel zu spät geschehen. Erst vor könnte jeder Jugendliche sicher sein, eine Lehrstelle ein bis zwei Jahren damit anzufangen reicht nicht zu finden, wird unsere Unterstützung nicht finden. aus. (Werner Lensing [CDU/CSU]: Das hat über haupt keiner behauptet!) Inzwischen befürchten wir, daß auch die von Ihnen eingeleiteten Maßnahmen nicht mehr ausreichen Deshalb haben wir einen Gesetzentwurf vorberei- werden, um die Schere zwischen Angebot und Nach- tet, dessen Eckpunkte inzwischen bekannt sind. Es frage rechtzeitig zu schließen, denn wir haben es mit ist nicht unser Zeitproblem; es ist Ihr Zeitproblem. völlig neuen Trends innerhalb der Wi rtschaft zu tun. Wir legen den Gesetzentwurf rechtzeitig vor. Qualität Sie stellen doch fest, daß die Unternehmen anfangen, geht vor, denn es geht um die Lösung eines der größ- nur noch für den eigenen Bedarf auszubilden, so daß ten Probleme in unserem Lande. das Ausbildungsproblem in Wirk lichkeit ein wirt Vielen Dank. schaftliches Problem ist. Bei 5 Millionen Arbeitslosen ist es auch völlig klar, daß die Unternehmen, die nur (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne noch für den eigenen Bedarf ausbilden, überhaupt ten der PDS) nicht mehr genügend Lehrstellen zur Verfügung stel- len. Das ist doch das eigentliche Problem, mit dem Das Wort hat der Sie zu tun haben. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Kollege Werner Lensing, CDU/CSU. Vorschläge wie die von Ihnen, Herr Jork, sind völ- lig unzureichend. Es geht nicht darum, zwischen den Werner Lensing (CDU/CSU): Herr Präsident! Jugendlichen, die das Abitur machen, und denen, Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die die einen Ausbildungsplatz suchen, zu differenzieren sich verschärfende Situation bei den Lehrstellen ist und diese zu motivieren, sofort zu studieren. Denn es natürlich ein Abbild der angespannten Lage auf dem gibt sehr viele Berufe mit einer Facharbeiterausbil- Arbeitsmarkt. Aber ich möchte zunächst einmal an dung, für die es sehr wichtig und günstig ist, ein Abi- das anknüpfen, was gerade Kollege Hilsberg gesagt tur zu haben. Das betrifft beispielsweise das gesamte hat. Wenn es Sinn macht, in einer Aktuellen Stunde Bewußtsein für die jeweilige Situation zu schärfen, Bankenwesen. Mit einer rechtzeitigen Studienzulas-- sung werden Sie also nichts erreichen. dann sollten wir bitte auch folgendes bewußt zur Kenntnis nehmen: Natürlich steht es mir nicht zu, ir- Ich warne auch sehr davor, die Vergütungshöhe, gendwelche Zahlen schönzureden; ich mache das das Lehrgeld, hier in der politischen Arena zur De- auch nicht; dafür ist die Situa tion zu ernst. Doch an- batte zu stellen; denn das ist eine Sache der Tarifpart- gesichts dieses ernsten Themas gehen wir zu wenig ner und muß es auch bleiben. Wer bei den Lehrgel- ehrlich miteinander um. dern aber einmal die Schleusen öffnet, der kann sehr (Jörg Tauss [SPD]: Wer ist hier „wir"?) leicht erleben, daß die Lehrlinge irgendwann in der Zukunft zuzahlen müssen, damit sie eine Lehrstelle Daher möchte ich gegenüber der Opposition fest- bekommen. stellen: Sie sollte ehrlicherweise anerkennen, daß wir alle die Ausbildungssituation verbessern wollen und (Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: keiner die gesamtgesellschaftliche Problematik al- Das hatten wir schon! - Franz Thönnes leine lösen kann, auch nicht die Opposition. [SPD]: Gut, daß diese Zeiten vorbei sind!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir sind bereit, konstruktiv mit Ihnen zusammen- Wenn dem so ist, dann ist es unredlich, daß die Op- zuarbeiten. Im Interesse der Jugendlichen ist jede position in dieser schwierigen Situation ausschließ- konstruktive Maßnahme, die Sie einleiten, zu unter- lich die Regierung verantwortlich machen wi ll. Das stützen. Darüber unterhalten wir uns mit Ihnen in ist zu schlicht, Herr Thierse; ich hätte nicht erwartet, konstruktiver Weise. Aber es geht um mehr. Es geht daß Sie Ihren Beitrag auf diesem Niveau leisten. auch darum, die Wirtschaft wieder zu bewegen, den (Beifall bei der CDU/CSU) Solidaritätsgedanken in bezug auf die Bereitstellung von Lehrstellen mit einzubeziehen; denn es kann Weiß doch ein jeder in diesem Hohen Hause, daß die doch nicht sein, daß in Zukunft die Bet riebe entschei- Politik zwar eine Verbesserung der Rahmenbedin- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15771 Werner Lensing gungen erwirken, nicht aber auch nur einen einzigen zukünftig keine Tarifverträge ohne eine wirksame Arbeitsplatz in der Wi rtschaft einrichten kann. Kolle- Lehrstellengarantie abzuschließen. gin Hermenau hat das vorhin unfreiwillig bestätigt. (Jörg Tauss [SPD]: Und was machen wir Zur Wahrheit gehört weiter, daß wir unseren Aus- gemeinsam?) zubildenden am ehesten helfen, wenn wir die Kon- junkturvoraussetzungen verbessern, das heißt - wie Lassen Sie uns gemeinsam die Kammern dafür ge- wir alle wissen - den Wi rtschaftsstando rt Deutsch- winnen, die Ausbildungsbetriebe von den Kammer- land weiter stabilisieren und zugleich die Lohnne- gebühren zu entlasten. benkosten senken. (Jörg Tauss [SPD]: Das sind immer nur (Dr. Karlheinz Guttmacher [F.D.P.]: So ist andere! Was machen wir gemeinsam?) das!) - Aber Herr Kollege, verstehen Sie denn kein Aber traurige Tatsache ist - es gehört zur Wahrheit, Deutsch? Doch ich will mich jetzt nicht darauf einlas- das zu benennen -, daß die SPD alle diesem Zweck sen, um Sie zu schonen. dienenden Reformmaßnahmen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen im Bundesrat verzögert, Lassen Sie uns gemeinsam die Erkenntnis vermit- behindert, ja sogar verhindert hat. teln, daß in einer Reihe von Gewerken - Dachdecker, Maler, Lackierer, Gerüstbauer - die Ausbildungsver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. gütungen nicht mehr vertretbar sind. Sie müßten Dr. Karlheinz Guttmacher [F.D.P.] - Wider vielmehr gesenkt oder zumindest eingefroren wer- spruch bei der SPD) den. Diese Verweigerungsstrategie der Bundesratsmehr- (Horst Kubatschka [SPD]: Wollen Sie in die heit hilft - ob Ihnen, Herr Kubatschka, das gefällt Tarifhoheit eingreifen? - Zuruf der Abg. oder nicht - keinem einzigen Jugendlichen, der eine Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeit sucht. NEN]) (Horst Kubatschka [SPD]: Zwölf Gesetze, Herr Kollege! Ich kann Ihnen die zukom Warum? Nicht weil wir etwas gegen die Lehrlinge men lassen!) haben, Frau Hermenau, sondern we il die Kleinunter- nehmen, die wir auch für die Lehrlingsausbildung Vielmehr schadet sie ihm. gewinnen wollen, allein für die Vergütung bis zu 80 Prozent der Ausbildungskosten hergeben müssen. Zudem - Herr Minister Rüttgers hat das angedeu- tet - greift die Opposition mangels eigener überzeu- (Jörg Tauss [SPD]: Hat bei Ihnen schon ein- gender Konzepte - das verstehe ich noch - zum x- mal ein Gerüstbauer gejammert?) tenmal in die Mottenkiste staatlicher Zwangsabga- ben für Nichtausbilder. Lassen Sie uns gemeinsam den DGB auffordern, selbst mehr auszubilden - das haben wir gehört - Wir könnten jetzt alle Maßnahmen aufzählen, die und - das möchte ich hinzufügen - nicht ausgerech- wir ergriffen haben. Das wi ll ich an dieser Stelle nicht net noch die Bildungsabteilung zu reduzieren. tun. Aber ich erwarte von Ihnen, wenn die Situation so ernst ist, wie sie nun in der Tat ist, was ich gar (Jörg Tauss [SPD]: Wieviel bildet denn die nicht bestreite, daß Sie in der Ehrlichkeit,- die ich jetzt CDU aus?) einfordern möchte, nicht hingehen und alle diese Maßnahmen bei Ihren Argumenten von vornherein Lassen Sie uns schließlich gemeinsam darauf hin- ignorieren. wirken, daß die Akzeptanz der Lehre als Bewäh- rungssituation für Bet riebe, Elternhaus und Schulen (Doris Odendahl [SPD]: Das tun wir gar noch deutlicher gefördert wird. nicht!) Schlußbemerkung. Im übrigen gehe ich bei allen Das ist einfach unredlich. gegenwärtigen Schwierigkeiten von einem - so wi ll Deswegen möchte ich darauf zurückkommen, was ich es einmal nennen - realistischen Optimismus aus, Herr Minister Rüttgers Ihnen eben angeboten hat. da gerade die zyklische Entwicklung der Vergangen- Das ist keine Einzelnummer des zuständigen Fach- heit immer wieder gezeigt hat, daß bei einer kon- ministers. Vielmehr stehen die beiden Koalitionsfrak- junkturellen Aufwärtsbewegung auch Ausbildungs- tionen voll dahinter. stellen neu und zusätzlich auf dem Markt angeboten werden. (Jörg Tauss [SPD]: Was hat er denn angebo ten?) Ich danke Ihnen, vor allen den Mitglieder der Op- position, für Ihr erbauliches Interesse, mit dem Sie - Kollege Tauss, wenn Sie hier nicht nur lauthals la- dankenswerterweise meine viel zu kurzen Ausfüh- mentieren wollen, sondern konkret gemeinsam mit rungen begleitet haben. uns handeln, so lade ich Sie alle in Anlehnung an die Ausführungen von vorhin zu den Aktionen ein, die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wir gemeinsam durchführen müssen. Lassen Sie uns in der Tat gemeinsam Gewerk- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat schaften und Unternehmer zumindest bedrängen, Herr Staatssekretär Kolb. 15772 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- halte es für wichtig - das will ich hier sagen -, daß, desminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Liebe Kol- nachdem wir eine weitreichende Reform der berufli- leginnen und Kollegen! Die Situation auf dem Lehr- chen Bildung beschlossen haben, jetzt auch die Län- stellenmarkt ist angespannt. Hier gibt es nichts zu der die Berufsschulzeiten endlich flexibler und be- beschönigen. Wir brauchen 1997 13 000 Lehrstellen triebsfreundlicher organisieren und für eine bessere mehr als im Jahr 1996. Ausbildungsreife der Schüler sorgen. Gerade was die Flexibilisierung der Berufsschulzeiten anbelangt, Aber wer glaubt, daß er in dieser gegebenen wirt- sollte das positive Beispiel Niedersachsens, wo nach schaftlichen Situation mit dem Zwangsinstrument einer entsprechenden Änderung die Zahl der Ausbil- der Ausbildungsplatzabgabe mehr Lehrstellen und dungsplätze deutlich erhöht werden konnte, die Län- das dann auch noch umgehend in diesem Jahr schaf- derminister, die hier in der Verantwortung stehen, fen kann, der ist meines Erachtens auf dem Irrweg, nachdenklich machen. Natürlich müssen auch die weil eine solche Abgabe nicht nur eine weitere Bela- Tarifpartner über die Höhe von Vergütungen und die stung für den Standort Deutschland wäre. Vielmehr Schaffung von Lehrstellen sprechen. legt sie nach meiner Überzeugung die Axt an die Wurzeln des dualen Systems, mit dem wir so erfolg- Ich denke, besonders wichtig ist, daß - wir tun reich dastehen und um das wir in der ganzen Welt dies - die Ausbildungsberufe modernisiert und flexi- beneidet werden. bilisiert werden. Der Bundesminister für Wirtschaft hat hierzu als wichtigster Fachminister im Sommer Was wir brauchen, ist vielmehr freiwilliges Engage- 1996 drei neue Medienberufe geschaffen sowie 13 ment. Unternehmerische Initiative und soziale Ver- modernisierte Ausbildungsordnungen in Kraft ge- antwortung sind gefragt. Nur damit läßt sich in die- setzt. Im Sommer des Jahres 1997 werden 14 neue sem Jahr die drohende Lehrstellenlücke überwinden. Berufe geschaffen, darunter vier aus dem zukunfts- Wenn Sie hier eine so negative Bilanz im Hinblick trächtigen Bereich Informations- und Telekommuni- auf das Versprechen, 10 Prozent mehr Ausbildungs- kationstechnik, sowie 33 modernisierte Ausbildungs- plätze zu schaffen, ziehen, dann sollten Sie, liebe ordnungen in Kraft treten. Für die Zukunft, ab 1998, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nicht überse- werden jetzt bereits weitere drei neue Berufe erar- hen, daß dieses Versprechen in wichtigen Bereichen beitet und 14 bestehende Ausbildungsordnungen der Wirtschaft eingehalten, teilweise übertroffen wor- modernisiert. Zirka 30 weitere Vorschläge für neue den ist. Ich denke etwa an Bereiche des Handwerks, Berufe werden gegenwärtig gemeinsam mit den wo diese Verantwortung überaus ernst genommen Sozialpartnern geprüft. wird. Ich halte neben der Schaffung neuer Berufe gerade (Werner Lensing [CDU/CSU]: Gut, daß man auch die Modernisierung für wichtig. Es kommt dar- das einmal öffentlich anerkennt!) auf an, daß der auf dem Papier stehende Ausbil- dungsrahmen der bet rieblichen Praxis auch tatsäch- Ich kann nicht erkennen, daß man die Bet riebe, die lich entspricht. Das erleichtert es den Bet rieben, ihrer Verantwortung gerecht geworden sind, an an- wirklich auszubilden. derer Stelle bestrafen sollte. Der Bundesminister für Wi rtschaft wird die Förder- (Beifall bei der CDU/CSU) programme „Ausbildungsplatzbewerber" und „Aus- Ausbildung ist ein Stück Zukunftssicherung für bildungsplatzberater" wie auch das ERP-Darlehens- unsere Jugend. Sie ist eine Verpflichtung unserer Programm zur Finanzierung zusätzlicher Ausbil- Gesellschaft. Die Bereitstellung einer ausreichenden dungsplätze fortsetzen. Zahl von Ausbildungsplätzen liegt in der Eigenver- Schließlich werden wir bei der anstehenden Neu- antwortung und auch im Eigeninteresse letztendlich ordnung der Handwerke, also der Überarbeitung der der deutschen Wirtschaft. Unser im internationalen Anlage A zur Handwerksordnung, darauf achten, Vergleich sehr hohes Bildungsniveau, insbesondere daß die Ausbildungsmöglichkeiten des Handwerks in der beruflichen Bildung, zählt gerade zu den posi- erweitert werden. Wir wollen eine zukunftsgewin- tiven Standortfaktoren. Dieser Standortvorteil muß nende Neuordnung der Handwerke, nicht nur einen gesichert und ausgebaut werden. Erhalt oder eine Fortschreibung des Status quo. Es (Jörg Tauss [SPD]: Der wird jetzt auch zeichnet sich ab, daß durch eine Überarbeitung ge- kaputtgemacht!) rade auch der Anlage A in vielen Bereichen zusätzli- ches Ausbildungspotential geschaffen werden kann. Was sind hier die Aufgaben der Bundesregierung, speziell des Bundeswirtschaftsministers? Zunächst Meine Damen und Herren, Ende Mai werden Herr müssen wir Ausbildungshemmnisse abbauen. Erste Bundesminister Dr. Rüttgers und Herr Bundesmi- Schritte sind hier gemacht. So wurde das Jugendar- nister Dr. Rexrodt gemeinsam zirka 110 000 Unter- beitsschutzgesetz geändert, damit erwachsene Ju- nehmen und freiberufliche Praxen anschreiben und gendliche an Berufsschultagen wieder in den Bet rieb bitten, ihr Ausbildungsengagement auszuweiten, da- kommen, und die Vorschrift über die Eignung der be- mit in diesem Jahr jedem ausbildungsbereiten Ju- trieblichen Ausbilder ist flexibilisiert worden. Weitere gendlichen eine Lehrstelle angeboten werden kann. Schritte werden hier folgen müssen. Auch ich bin zuversichtlich, daß dies gelingt, wenn Ich widerstehe, Frau Hermenau, der Versuchung, alle Beteiligten mitziehen. Ich will hier ausdrücklich das an dieser Stelle im Detail auszuführen, weil die Unternehmer und die Freiberufler ansprechen. meine Redezeit zu knapp bemessen ist. Aber ich Ich bin zuversichtlich, daß es gelingt, weil Ausbil- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15773 Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb dung für einen Unternehmer nach wie vor eine der rechten Leistungsausgleichs zwischen ausbildenden interessantesten Investitionen in die Zukunft ist und und nicht ausbildenden Bet rieben zu finanzieren. bleibt. Die Anstrengungen der neuen Bundesländer wa- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ren in den letzten Jahren gewaltig. Sie haben mehr als ihren Beitrag geleistet. In Spitzengesprächen mit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Arbeitgebern, Kammern, Gewerkschaften und dem Landesarbeitsamt hat beispielsweise das Land Sach- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die sen-Anhalt versucht, die katastrophale Lage beim Kollegin Sabine Kaspereit, SPD. Lehrstellenangebot wenigstens zu entschärfen. 100 Millionen DM hat das Sozialministerium von Sachsen-Anhalt 1996 für die Ausbildungsförderung Sabine Kaspereit (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- ausgegeben. Die gleiche Summe steht auch für 1997 leginnen und Kollegen! 348000 junge Menschen un- an. Das Land Sachsen-Anhalt - das ist in den ande- seres Landes bewerben sich auf 162 000 Stellen. Für ren neuen Bundesländern nicht anders - ist damit am 185 000 dieser jungen Menschen bedeutet das, auf Rande seiner Möglichkeiten angelangt. eine Berufsausbildung vorerst verzichten zu müssen. Die geringe Zahl der Ausbildungsbetriebe bildet Allein in Ostdeutschland finden 107 000 keinen zudem im wesentlichen nur noch für den Eigenbe- Ausbildungsplatz. In Ostdeutschland kommt derzeit darf aus. Daraus folgt zwangsläufig, daß die quanti- auf fünf unversorgte Bewerber nur ein freier Ausbil- tative Ausbildungsplatzsicherung inzwischen zu dungsplatz. Diese Situation wird durch die Zahl der zwei Dritteln öffentlich finanziert wird. Das hochge- Altnachfragen, also durch die Bewerber, die sich in lobte und weltweit anerkannte duale System wird Warteschleifen befinden, verschärft. Das möchte ich damit konterkariert. zur Illustration des Begriffes „angespannte Lage" sa- gen, Herr Kollege Kolb. Die Ausbildung wird in die Hand des Staates ge- legt, obwohl, wie ich bereits sagte, die Verantwor- (Jörg Tauss [SPD]: Verniedlichung ist das!) tung und das eigentliche Interesse an qualifizierten Diese Fakten sind für mich Anlaß, noch einmal auf Mitarbeitern bei den Arbeitgebern liegen muß. Die die Lage in den neuen Ländern einzugehen. Der Zu- Anstrengungen der Länder können, sollen und wol- sammenbruch der Ausbildungsstrukturen in den len nicht das duale System ergänzen oder ersetzen. neuen Ländern ist im wesentlichen eine Folge des Aber die Länder sehen andererseits auch die Gefah- wirtschaftlichen Strukturwandels nach dem Eini- renpotentiale, die durch arbeits-, berufs- und per- gungsprozeß, aber auch die Konsequenz einer unzu- spektivlose Jugendliche heraufbeschworen werden reichenden Bundespolitik. können. Deshalb nehmen sie gezwungenermaßen auch in Kauf, daß es bei überwiegend überbetriebli- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) cher Ausbildung zu Fehlallokationen kommen kann. Sofortprogramme als Feuerwehreinsätze zeugen Denn so gut die überbetriebliche Ausbildung auch nicht gerade von Weitsicht bei der Bundesregierung. sein mag, so besteht doch immer die Gefahr einer Gerade auf dem Gebiet der Bildung und Ausbildung nicht bedarfsgerechten Ausbildung. kennt man den langfristigen Bedarf. Schließlich - das ist ein weiterer Aspekt dieser Mi- Industrie, Handwerk und Dienstleistung sind nicht sere - können wir nicht auf Existenzgründerwellen weit genug entwickelt, um Ausbildungsplätze- in aus- hoffen, wenn der betriebliche Eigenbedarf an Auszu- reichender Zahl zur Verfügung zu stellen. Zudem bildenden zum Maßstab der Dinge wird. Wenn wir zielt das Engagement größerer Unternehmen eher nicht umgehend für die Verbesserung der Situation darauf ab, sich durch Kostensenkungen im Personal- auf dem Ausbildungssektor Sorge tragen, können in bereich gesundzuschrumpfen, statt Ausbildungs- der Konsequenz wegen des Mangels an Existenz- plätze als unternehmensbezogene und gesamtgesell- gründern auch wiederum keine Ausbildungsplätze schaftliche Zukunftsinvestitionen zu begreifen. Die geschaffen werden. Das ist ein Teufelskreis. Wir ha- Verantwortung für ein ausreichendes Angebot an be- ben viele Vorschläge gemacht, mit denen man diesen trieblichen Ausbildungsplätzen liegt bei den Arbeit- Teufelskreis durchbrechen kann. Die Zeit reicht nicht gebern. aus, sie alle aufzuzählen. Sie, Herr Lensing, haben sie gemeinsam mit der F.D.P. - Sie benutzen das Wo rt Aber das eben Gesagte verdeutlicht, daß der Markt „gemeinsam" ja so gern - abgelehnt. allein, Herr Kollege Kolb, keine heilsamen Kräfte entfaltet, sondern im Gegenteil die Folgekosten sei- (Werner Lensing [CDU/CSU]: Richtig! Ja, ner Rationalisierung auf den Staat und damit auf die wenn es sinnvoll ist!) Bürger und die noch verantwortungsbewußten Un- Einen Antrag möchte ich jedenfalls noch ausdrück- ternehmen abwälzt. lich nennen: unseren Antrag „Gemeinschaftsinitia- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne tive Ausbildungsplatzsicherung", der die Notwen- ten der PDS) digkeit einer Strategie für die neuen Bundesländer in den Mittelpunkt stellt. Es ist unser wirtschaftspoliti- Dort, wo Versprechen, Lehrstellen einzurichten, scher Auftrag, den Standort Deutschland mit qualifi- nicht eingehalten werden und Appelle nicht fruch- zierten Arbeitskräften abzusichern, weil gerade dies ten, zeigt sich, wie wichtig und notwendig unser Vor- einer der wichtigsten Standortvorteile Deutschlands schlag ist, die Berufsbildung mit dem Ziel eines ge- war und bleiben muß. Wir haben die moralische 15774 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Sabine Kaspereit Pflicht, die wirtschafts- und strukturpolitischen Ver- Der Deutsche Gewerkschaftsbund muß endlich säumnisse der Bundesregierung nicht auf dem Rük- selbst mehr Lehrstellen anbieten, ken der jungen Menschen unseres Landes abzula- (Werner Lensing [CDU/CSU]): Bürofach den. kräfte!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) anstatt diese immer nur von anderer Seite zu fordern. Die Kammern müssen dafür sorgen, daß Ausbil- es, was von politischer Seite falsch angegangen All dungsbetriebe von Kammergebühren entlastet wer- wird, wird uns und unseren Kindern nicht nur wirt- den. Der Einsatz von Lehrstellenentwicklern, Ausbil- schaftlich, sondern auch sozial und innenpolitisch ge- dungsberatern und Lehrstellenakquisiteuren in den waltig auf die Füße fallen. Kammern muß fortgesetzt und intensiviert werden. (Beifall bei der SPD und der PDS) Die Länder müssen weiter auf eine flexiblere und be- triebsfreundlichere Organisation der Berufsschulzei- Perspektivlosigkeit ist der Nährboden für Gewalt, ten hinwirken. Der zweite Berufsschultag muß so in Kriminalität und vor allem auch für gewisse politi- die Ausbildung eingebaut werden, daß er den jun- sche Entwicklungen, die wir im europäischen Inte- gen Erwachsenen nützt und den Bet rieben nicht grationsprozeß am allerwenigsten gebrauchen kön- schadet. Die Regionen und Kommunen, alle Landräte nen. und Bürgermeister müssen für eine enge Zusammen- arbeit zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften, Politik Ich fordere Sie von der Bundesregierung auf: Er- und Verwaltung sorgen, um gemeinsam die Lehrstel- kennen Sie den Handlungsbedarf! Gehen Sie auf un- lensituation vor Ort zu verbessern. sere Vorschläge ein, damit wir nicht in unschöner Re- gelmäßigkeit jedes Jahr vor dem gleichen Problem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) stehen! Wirtschaftsförderung ist und bleibt die beste Lehr- stellenförderung, auch auf kommunaler Ebene. (Beifall bei der SPD und der PDS) Erlauben Sie mir an dieser Stelle, meine sehr ge- ehrten Damen und Herren von der SPD, Sie daran zu Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die erinnern, daß an all diesen Stellen auch Ihre Partei- Kollegin Marion Seib, CDU/CSU. freunde Verantwortung tragen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Marion Seib (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine und der F.D.P.) sehr geehrten Damen und Herren! Daß die SPD für Nicht zuletzt steht die Wirtschaft in der Pflicht. Die den heutigen Tag eine Aktuelle Stunde zur Ausbil- Unternehmen müssen den Spielraum, den die besse- dungsplatzsituation beantragt, ren Konjunkturaussichten bieten, vorrangig für mehr (Zuruf von der SPD: Das ist eine Aktuelle Stellen nutzen. Wir sind uns einig: Ausbilden ist In- Stunde, keine Vorlesestunde!) vestition in die Zukunft. (Dr. Karlheinz Guttmacher [F.D.P.]: Richtig!) hat offenbar den wahltaktischen Zweck, der Bundes- regierung einmal mehr die Verantwortung für etwas Was indes die SPD forde rt, eine Ausbildungsplatz- aufzuhalsen, was in Wirklichkeit in allem- anderen, abgabe, einen Lastenausgleich oder wie Sie das auch aber nicht in deren alleinigem Verantwortungsbe- immer nennen, ist hochgradig kontraproduktiv. Diese reich liegt. stellt eine zusätzliche Belastung für unsere Bet riebe dar, treibt die Kosten weiter in die Höhe, führt zu zu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sätzlichem Bürokratieaufwand und verschlechtert damit die Voraussetzungen für die Einstellung von Ihr Vorwurf an die Adresse der Bundespolitik, Lehrlingen. Eine solche Abgabe geht - hier spreche meine Damen und Herren von der SPD, Ihre Behaup- ich als mittelständische Unternehmerin - tung der Staat sei es, der vorrangig für Lehrstellen sorgen müsse - welch ein zentralistischer Ansatz -, (Werner Lensing [CDU/CSU]: Mit Sach kunde!) (Widerspruch bei der SPD) an den betrieblichen Realitäten völlig vorbei. ist nicht nur sachlich falsch, sondern auch höchst un- Richtig ist der Weg, den die Bundesregierung ein- redlich. Sie wissen doch ganz genau, daß die zugege- geschlagen hat. benermaßen ernste Lage auf dem Lehrstellenmarkt ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, das alle Be- (Maritta Böttcher [PDS]: Wenn Sie ausbil teiligten angeht, dessen sich alle in einer Gemein- den, brauchen Sie doch nichts zu zahlen!) schaftsinitiative annehmen müssen. - Wir bilden aus, jedes Jahr 20 Lehrlinge. Deswegen Im besonderen Maße sind hier natürlich die Tarif- weiß ich, wovon ich rede. partner, die Gewerkschaften, die Kammern, die Län- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge der, die Regionen, die Kommunen und vor allem ordneten der SPD) auch unsere Wirtschaftsbetriebe gefordert. Die Tarif- partner müssen Maßnahmen zur Erhöhung des Lehr- Sie hat in den vergangenen beiden Jahren die Rah stellenangebots in ihre Verhandlungen einbeziehen. menbedingungen durch zügig umgesetzte Reformen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15775

Marion Seib deutlich verbessert: durch Änderung der Ausbilder- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ein Ritual auf eignungsverordnung, durch die Novellierung des Ju- diesem brisanten Gebiet können wir uns nicht lei- gendarbeitsschutzgesetzes - ich will mich nicht wei- sten, und wir dürfen uns damit auch nicht abfinden. ter wiederholen -, durch einen Modernisierungs- Wir ringen um den Erhalt der Rentensysteme, wir re- schub bei den Ausbildungsberufen etc. den über den Erhalt der Sozialsysteme, wir reden von Zukunft, von neuen Märkten und innovativen Aber machen Sie doch endlich mit beim Ausbil- Produkten. Aber wer soll das denn eigentlich be- den! werkstelligen? Ich habe das Gefühl, daß einige in (Lachen bei der SPD - Doris Odendahl dieser Diskussion zwar ständig die Jugendlichen auf [SPD]: Jetzt wird es aber lustig!) ihrer Rèchnung haben, aber nur eine Seite dieser Medaille sehen oder auch sehen wollen. Wir machen mit. Mit dem vom Bundeskabinett ver- abschiedeten Reformprojekt „Berufliche Bildung, fle- (Beifall bei der SPD) xible Strukturen und moderne Berufe" stellen wir Der Generationenve rtrag und zukünftiger Wohl- uns den Herausforderungen des nächsten Jahrhun- stand kommen der heutigen Erwachsenengeneration derts. Es sieht bei Erhaltung des bewährten dualen zugute, aber leisten müssen dies in Zukunft gerade Systems - darauf lege ich größten Wert - die Öffnung die heutigen Jugendlichen. Ein Generationenve rtrag der Ausbildungsordnungen für technische und orga- ohne die konsequente Unterstützung der jungen Ge- nisatorische Neuerungen vor, ermöglicht neue For- neration ist unvollständig und zum Scheitern verur- men der Arbeitsteilung zwischen Bet rieben und Be- teilt. Die Gefahr, daß die Jugend einen Generatio- rufsschulen und erleichtert eine stärkere Orientie- nenvertrag, der einseitig läuft, nicht mehr akzeptiert, rung der Rahmenlehrpläne an den Bedürfnissen der ist konkreter, als viele dies wahrhaben wollen. betrieblichen Praxis, und nicht zuletzt fördert es die Entwicklung neuer zukunftsfähiger Berufe. Dieser Tage wurde die 12. Shell-Jugendstudie vor- gestellt. Danach werden die eigenen Chancen von Das einzige, was die SPD noch anzumahnen hat, jungen Leuten immer ungünstiger eingeschätzt; per- liegt im theoretischen Bereich. Sie wi ll Erklärungen sönliche Erwartungen an die Zukunft sind voller Pes- zum Beruflichkeitsprinzip und zum Konsensprinzip. simismus. Perspektivlosigkeit auf dem Ausbildungs- Wir und die Jugendlichen wollen ohne theoretische und Arbeitsmarkt rangiert bei jungen Menschen Diskussion eine qualitätsgerechte duale Berufsaus- mittlerweile ganz oben auf der Werteskala. bildung. Wir haben mit unseren Vorschlägen längst den Weg zum Konsens zwischen allen Verantwortli- Das heißt, gerade in der Lebensphase kreativen chen eingeschlagen, während Sie noch immer versu- Aufbruchs, in der junge Leute antreten mit Hoffnun- chen, einen Keil zwischen die an der Berufsausbil- gen und Erwartungen in die Zukunft, mit eigenen dung Beteiligten zu treiben. Lebensvorstellungen, mit der Absicht, Fami lien zu gründen, Traditionen fortzusetzen, einen Platz in der Ich stelle abschließend fest: Die Bundesregierung Gesellschaft zu finden, stolz darauf zu sein, für sich hat ihre Hausaufgaben gemacht. Kommen auch Sie selbst zu sorgen und etwas beizutragen, gerade in aus Ihrer Schmollecke, und geben Sie den Jugendli- dieser Lebensphase kümmern sich Po litik und Wirt chen praktische Unterstützung! -schaft zuwenig um Lösungen. Gerade in dieser Le- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. bensphase leisten Politik und Wi rtschaft zuwenig Hilfe. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D,P.) (Beifall bei der SPD - Jörg Tauss [SPD]: Die Bundesregierung!) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Heinz Schmitt, SPD. - Die Bundesregierung. Gerade in diesem Lebensabschnitt werden die Heinz Schmitt (Berg) (SPD): Verehrter Herr Präsi- Weichen entscheidend gestellt. Eine Verunsicherung dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich erlebe und Verängstigung großer Teile einer Generation das Stück, das da heißt „Die unendliche Geschichte kann sich eine Gesellschaft auf Dauer nicht leisten. der fehlenden Lehrstellen", nun zum drittenmal in Integration oder Ausgrenzung, Mitmachen oder meiner ersten Wahlperiode im Deutschen Bundes- Rückzug: Auf diese Entscheidung junger Menschen tag - fast schon ein Ritual. hat die Politik, haben wir und Sie maßgeblichen Ein- fluß. Wieder einmal stehen Tausende junger Menschen an, eine Lehrstelle zu bekommen. Wieder einmal Ein Klima der Perspektivlosigkeit schon in der Ju- fehlende Tausende von Ausbildungsplätzen, und gend begünstigt das Abrutschen in Gewalt und Kri- wieder einmal erschöpft sich die Antwort der Bun- minalität. Die Jugendkriminalität ist allein im letzten desregierung in Appellen an die Wi rtschaft. Jahr um 12,3 Prozent gestiegen. Es wundert daher nicht, daß wir auf einer Jugendkonferenz in Rhein- (Beifall bei der SPD - We rner Lensing land-Pfalz als Ergebnis herausgearbeitet haben: Aus- [CDU/CSU]: Das stimmt doch wirklich bildung oder Jugendkriminalität heißen die Alterna- nicht, Herr Schmitt!) tiven. Davor dürfen wir die Augen nicht verschlie- ßen. - Auch dieses Jahr, Herr Lensing, dominiert wieder das Prinzip Hoffnung. (Beifall bei der SPD) 15776 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Heinz Schmitt (Berg) Ich möchte Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kolle- Mein Beispiel: Wir legen das Kfz-Gewerbe und die gen von der Regierungskoalition, die Mahnung des Kfz-Elektrik zusammen. Bisher gibt es in Deutsch- Bundespräsidenten ans Herz legen, der sagt: Wir land 48 000 Kfz-Betriebe, aber nur 3000 Kfz-Elektrik- müssen Bildung und Ausbildung zum Megathema betriebe. Da sich das Verhältnis innerhalb unserer der nächsten Jahre machen. Branche verändert hat - Sie kennen die Fahrzeuge -, brauchen wir im Bereich der Kfz-Mechanik minde- Wir haben gestern in der Fragestunde erörtert und stens in jedem Betrieb einen Elektrogesellen. Wenn gehört, daß einige Kammern bereits umsteuern und Sie sich vorstellen, daß 3000 Kfz-Elektrikbetriebe ausbildende Betriebe intern entlasten. Nehmen Sie 48000 Gesellen hervorbringen sollen, dann müssen sich daran ein Beispiel, Herr Minister Rüttgers! Sie mir einmal sagen, wie das gehen soll. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Wir machen jetzt eine Verordnung, in der wir fest- ten der PDS) stellen, daß in Zukunft auch die Kfz-Betriebe Kfz- Die Richtung muß sein, Bet riebe, die ausbilden, zu Elektriker ausbilden können. Das bedeutet, daß wir unterstützen und Anreize für die Schaffung zusätzli- einen großen Nachfragebedarf im Bereich der Lehr- cher Lehrstellen zu bieten. Die Bundesregierung hat stellen haben. Ich sage Ihnen voraus: Wenn wir in gestern und heute betont, daß sie auf Freiwilligkeit diesem Jahr die Veränderung der Anlage A durch- der Betriebe setzt. Ich bin skeptisch, daß die jetzigen ziehen - ich bin guter Hoffnung, daß wir das gemein- Maßnahmen der Kammern auf der Basis von Freiwil- sam tun -, dann wird es uns gelingen, mindestens ligkeit ausreichend sein werden. 30 000 Lehrstellen im Vorgriff zur Verfügung zu stel- len, zusätzlich zu denen, die es bisher gibt. Das ist Sie, meine Damen und Herren von der Regierungs- ein sehr konkreter Vorschlag, den ich auf andere Be- koalition, lehnen weiterhin regulierende Eingriffe ab. rufe, die in dieser Überarbeitung ebenfalls eine Ro lle Aber wenn die aufrüttelnden Prognosen der Jugend- spielen, überspielen kann und bei dem ich sagen forscher gerade angesichts der steigenden Kriminali- kann: Hier gibt es ganz konkrete Möglichkeiten. tät unter Jugendlichen eintreten, werden Sie später nicht um staatliches Eingreifen herumkommen. Ich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) fürchte, sie sind dann zu spät und am falschen Ende. Zweiter Punkt. Ich bin gerne bereit, auch darüber (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nachzudenken und dies vorzutragen, was die Lehr- ten der PDS) lingseinschreibegebühren und die Lehrlingskosten betrifft. Ich bin der Meinung, daß die Kammern - Sie Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der wissen, ich bin im Ehrenamt Kammerpräsident - hier Kollege Karl-Heinz Scherhag, CDU/CSU. aufgerufen sind, diese Verteilung vorzunehmen und diese Kosten in den Haushalt einzustellen, damit dann alle automatisch an den Kosten dieser überbe- Karl-Heinz Scherhag (CDU/CSU): Herr Präsident! trieblichen Ausbildung und den Lehrlingseinschrei- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol- begebühren beteiligt sind. Auch dies ist konkret. leginnen und Kollegen! Nach all den polemischen Hier können wir eine ganze Menge tun. Vorträgen möchte ich jetzt sachbezogene Argumente nennen. Es steht jemand vor Ihnen, der seit 30 Jahren (Beifall bei der CDU/CSU - Werner Lensing ausbildet, und zwar in großem Umfang, und der auch [CDU/CSU]: Das ist doch konkrete Politik!) in diesem Jahr viele Lehrstellen über den Bedarf hin- aus zur Verfügung stellt. - Lassen Sie mich hier noch eine Zahl nennen. Hier wird schwarzgemalt, daß die Wirtschaft und das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Handwerk in den letzten Jahren ihrer Verpflichtung Deshalb sollten wir das Thema mit aller Ruhe und nicht nachgekommen seien. Im Bundesgebiet gab es Sachlichkeit angehen. Das Thema ist viel zu ernst, 1995 615 348 Lehrstellen und 1996 627 278 Lehrstel- als daß wir auf dem Rücken der Jugendlichen Pole- len, das heißt eine Steigerung von 11930 Lehrstellen mik machen sollten. oder 2 Prozent, und dies unter den schwierigen Be- dingungen der wirtschaftlichen Lage. Wir müssen Herr Staatssekretär Kolb sprach gerade von der auch erkennen, daß Handwerksbetriebe oder kleine Veränderung der Anlage A der Handwerksordnung. und mittelständische Betriebe dort, wo die Industrie Wir haben in den letzten Monaten in der Koalitions- abwandert, vor große Probleme gestellt wurden. Wir gruppe besonders an der Anlage A sehr stark gear- müssen also die Rahmenbedingungen ändern. Ich beitet, um sie im Hinblick auf mehr Lehrstellen zu fordere Sie, liebe Kollegen von der SPD, auf: Ver- verändern. Ich sage das deshalb so konkret, weil ich schließen Sie sich doch nicht unseren Reformen! Ich Ihnen an einem Beispiel verdeutlichen kann, wie bitte Sie: Machen Sie mit! Die Lage ist viel zu ernst. man mehr Lehrstellen auf G rund einer Veränderung schaffen kann. Lassen Sie mich noch ein Beispiel bringen. Ich bringe Ihnen in der „Aktion Plus" zentrale und regio- Ich lade die SPD und auch die anderen Fraktionen nale Instrumente für Aktivitäten der Ausbildungs- ein, uns dabei zu helfen, daß das Gesetz zum 1. Ja- platzsteigerung. Es gibt von den Kammern und den nuar 1998 in Kraft treten kann, damit wir dann mehr Wirtschaftsorganisationen inzwischen ein Papier mit Lehrstellen anbieten können. über 16 Punkten. Ich will nur einen der wichtigsten nennen: Werbung durch gezielte Ansprache der Be- (Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]) triebe, zum Beispiel von Betriebsinhabern, Personal- - Herr Tauss, hören Sie wenigstens zu! und Ausbildungsleitern. Ich kann Ihnen sagen: Dies Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15777

Karl-Heinz Scherhag ist der größte Erfolg, den wir bisher haben. Wir ha- Man muß aber auch mit dem Finger auf diejenigen ben durch diese Aktion alleine im Kammerbezirk Ko- zeigen, die ausbilden könnten und es nicht tun. blenz bereits 400 zusätzliche Lehrstellen geschaffen. Wenn ich dies einmal auf die 53 Kammern oder auf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der PDS) die Industrie- und Handelskammern in Deutschland beziehe, dann bin ich der Meinung, daß hier noch Sie machen Kniefälle mit, Sie senken Standards ab viel Potential vorhanden ist. Wir haben die Chance, und führen Änderungen herbei, und die Wirtschaft die Lehrlinge in diesem Jahr auch hier unterzubrin- läßt Sie in Teilen im Regen stehen; das ist die Reali- gen. tät. Um eines möchte ich Sie bitten: Machen Sie nicht (Beifall bei der SPD) auf Belastungen und Zusatzbelastungen der Be- triebe! Wir haben neue Berufe eingeführt. Wir beschleuni- gen die Reform in den einzelnen Berufen. Das Ju- (Jörg Tauss [SPD]: Wir machen auf Entla gendarbeitsschutzgesetz ist geändert worden; die stungen!) Berufsausbildereignungsverordnung ist geändert Ich sage Ihnen das vorweg: Sie machen zwei große worden; die Länder haben den Berufsschulunterricht flexibilisiert. Die Politik hat ihren Beitrag zum größ- Denkfehler. Erstens. Sie bringen die Bet riebe, die in ten Teil geleistet. Jetzt sind die Teile der Wirtschaft der Lage sind, zusätzlich auszubilden - endlich dran, die bislang nicht ausgebildet haben.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Achten Sie bitte (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ auf die Zeit. CSU: Deswegen soll man die Politik hier nicht vorführen!)

Karl-Heinz Scherhag (CDU/CSU): - ja -, dazu, daß Deswegen geht es eigentlich um die Verweigerer, sie vielleicht warten, bis sie Hilfe erhalten. Zweitens. die dazu beitragen, daß Berufsausbildung mittler- Die anderen Betriebe, die belastet werden, werden weile vergesellschaftet wird. Es geht darum, sie wie- sich sehr schnell überlegen, ob sie dies machen kön- der zu reprivatisieren und darauf zu achten, daß die nen. Ich bitte Sie wirklich: Machen Sie nicht auf einzelbetriebliche Verantwortung wieder Platz greift. Schwarzmalerei! Helfen Sie mit, diese Lage zu berei- (Beifall des Abg. Eckart Kuhlwein [SPD]) nigen! Helfen Sie den Kammern, den Organisationen und den Betrieben, mehr Lehrstellen zu finden! Die Schaffung von Ausbildungsplätzen kostet den Staat und diejenigen, die Beiträge an die Bundesan- Vielen Dank. stalt für Arbeit zahlen, mittlerweile 2 Mil liarden DM, um einen Ausgleich für die Jugendlichen zu schaf- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der fen, die keinen Ausbildungsplatz erhalten. Hier wäre Kollege Franz Thönnes, SPD. Entlastung nötig. (Beifall bei der SPD) Franz Thönnes (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Seit 1992 ist jeder sechste Ausbildungsplatz gestri- Kollegen! Für praktische Beispiele, Herr Scherhag, chen worden. 0,73 Ausbildungsplätze sind zur Zeit sind wir immer zu haben. das Angebot für einen Bewerber. Das ist nicht nur - eine statistische Frage. Gehen Sie einmal hinaus, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und diskutieren Sie mit den Schulklassen! Gestern ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN waren zwei Schulklassen aus Bremerhaven hier. Von und der PDS) 59 Hauptschulabgängern haben ganze 14 bislang ei- Ich fand auch sehr faszinierend, was Sie gerade ge- nen Ausbildungsplatz. Ich komme aus einem wirt- sagt haben. Das sind positive Ansätze. Aber sagen schaftlich sehr prospe rierenden Raum nördlich von Sie Ihren anderen Kolleginnen und Kollegen einmal, Hamburg; da brummt es wirklich. Aber was ist die sie sollen endlich mit den Textbausteinen 324 und Realität? Es gibt Angebote von 0,5 bis 0,9 Ausbil- 325, mit denen sie uns Blockade vorwerfen und Ge- dungsplätzen pro Bewerber; so sieht die Alltagssitua- meinsinn bei der SPD einklagen, aufhören. tion aus. Und Sie verschärfen diese Lage noch. (Beifall bei der SPD und der PDS) Wir Abgeordnete bekommen Brandrufe von den Arbeitsämtern. 535 lernbehinderte Jugendliche in Die Menschen im Lande wissen doch langsam, daß Neumünster suchen zum 1. Oktober einen Ausbil- Sie die einzige Zukunftsblockade für die Entwick- dungsplatz. Wissen Sie, was die Antwort des Arbeits- lung sind. amtes ist? Wir haben kein Geld, weil die Zuschüsse von der Bundesanstalt für Arbeit nicht kommen. Das (Beifall bei der SPD und der PDS) ist Ergebnis Ihrer Politik. Deswegen gibt es auch immer eine schöne Differen- (Beifall bei der SPD) zierung. Ich danke all denjenigen und auch Ihnen, der Sie gerade gesagt haben, Sie bilden aus. Das ist Das gleiche gilt für Stormarn. gut. Man muß allen danken, die in diesem Lande ausbilden. Das ganze Jugendaufbauwerk ist ab 1. Juli gefähr- det. Das Arbeitsamt sagt: Wir kriegen kein Geld von (Beifall bei der SPD) der BA. Ihre Haushaltspolitik, über die BA transfe- 15778 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Franz Thönnes riert in die Region, trägt dazu bei, daß junge Men- den Betrieben zu senken, in denen überdurchschnitt- schen keine Zukunft haben. lich viele Auszubildende ausgebildet werden, dann hat er immerhin das Umlageprinzip akzeptiert, und (Beifall bei der SPD) es stellt sich nur noch die Frage: Zahlen das die Aus- Sie appellieren hier immer an die Tarifvertragspar- zubildenden oder - Herr Kolb, wie Sie es gesagt ha- teien. Sagen Sie doch auch endlich einmal, daß im- ben - zahlt das die Wirtschaft, um ihrer Verantwor- mer zwei dazugehören, tung nachzukommen? Das ist die zentrale Frage da- bei. (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, natürlich, sagen wir doch!) (Beifall bei der SPD) nämlich auch die Arbeitgeber, die zur Schaffung von Wir brauchen mutige Unternehmer; wir brauchen Ausbildungsplätzen bereit sein müssen. Fordern Sie eine Regierung, die vor der Wi rtschaft nicht ein- nicht immer, daß die Ausbildungsvergütungen ge- knickt, sondern ganz deutlich sagt, daß dann, wenn senkt werden. Sie sind ja sowieso die Senker: Sie die Wirtschaft nicht in der Lage ist, mehr Ausbil- wollen die Löhne senken; Sie wollen die Ausbil- dungsplätze zur Verfügung zu stellen, eine gesetzli- dungsvergütung senken; Sie wollen die Sozialhilfe che Regelung greift. Die jungen Menschen brauchen senken. Das bringt keine Zukunftsperspektive. eine Zukunft. Schauen wir uns die Shell-Studie an, die gestern veröffentlicht worden ist. Junge Men- (Horst Kubatschka [SPD]: Und jetzt versen schen haben große Zukunftsängste. Das ist das Re- ken wir die Regierung!) sultat Ihrer 15jährigen Regierungsverantwortung. Wir müssen den jungen Menschen eine Perspektive - Ja, auch das kann man noch machen. geben und ihnen genügend Ausbildungsplätze zur Ich denke, jeder von uns arbeitet in seiner Region, Verfügung stellen, um ihnen den Eintritt in das Be- wie Sie, Herr Scherhag, gesagt haben, und redet mit rufsleben zu ermöglichen. denjenigen, die ausbilden könnten; das ist gut. Die (Beifall bei der SPD und der PDS) Tarifverträge gehören dazu. Statten Sie die Bundes- anstalt für Arbeit mit genügend Personalstellen aus, damit sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Vermittlung junger Menschen kümmern können. der Kollege Christian Ruck, CDU/CSU. Gestern in der Fragestunde wurde deutlich: Es ist noch nicht einmal klar, welche steuerlichen Auswir- (CDU/CSU): Herr Präsident! kungen, welche steuerlichen Präferierungen Berufs- Dr. Christian Ruck Meine Damen und Herren! 13 000 Ausbildungsplätze ausbildung hat. Lassen Sie uns gemeinsam im Aus- mehr als im letzten Jahr zur Verfügung zu stellen, schuß darüber reden. das ist 1997 für Staat, Gesellschaft und Wi rtschaft Ich will hinzufügen: So toll sieht die Zukunft gar eine gewaltige Herausforde rung. nicht aus. Lassen Sie uns doch einmal darüber spre- (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer) chen, wie sich Ausbildung nach Feststellungen des Bundesinstituts für Berufsbildung in den nächsten Doch auch in den letzten Jahren wurde im Lehrstel- drei Jahren entwickeln wird: im Handwerk 26 Pro- lenbereich trotz aller Unkenrufe und Schwarzmalerei zent minus, in der Industrie 22 Prozent minus und im ein großer Kraftakt in gemeinsamer Anstrengung er- Handel 23 Prozent minus, und so könnte -man weiter- folgreich bewältigt. Es war in den letzten Jahren im- machen. Wir gehen nicht ruhigen Zeiten entgegen. mer so, daß wir im Frühjahr die Katastrophenmel- Deswegen ist es notwendig, daß wir auch darüber dungen zu hören bekamen und im Herbst Angebot diskutieren, wie wir eine solidarische Finanzierung und Nachfrage noch zur Deckung bringen konnten - erreichen. wenn es auch Jahr für Jahr schwieriger wurde. Des- wegen müssen wir und alle anderen Beteiligten (Beifall bei der SPD und der PDS) heuer und in den nächsten Jahren die Anstrengun- Herr Scherhag, Sie haben vorhin Beispiele aus Ih- gen erhöhen. Dabei ist die Verbesserung unseres rer Praxis genannt. Ich habe mit Bauunternehmern Ausbildungssystems ein wichtiger Punkt. geredet. Wissen Sie, was sie mir gesagt haben? Das Herr Thönnes, ich möchte Sie gerne zitieren, weil mit der Umlage ist eine tolle Sache; daran sind alle Ihre Kollegen vorhin etwas ganz anderes sagten, gleichermaßen beteiligt; wir wollen so was; wir sind nämlich daß die Politik - insbesondere die Bundesre- dafür. gierung und die Koalition - nichts getan habe. Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne haben hingegen gesagt, die Politik habe ihre Auf- ten der PDS) gabe getan. Also kann das, was wir vorschlagen, doch kein Teu- (Franz Thönnes [SPD]: Unzureichend, Herr felszeug sein. Ruck!) Unsere Jugend braucht eine Zukunft, und diese - Das Wort „unzureichend" haben Sie nicht gesagt. Zukunft kann zum Teil mit einer gerechten, solidari- (Zuruf von der CDU/CSU: Hat er auch schen Finanzierung auch erreicht werden. Wenn nicht!) Herr Hundt, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, sagt, daß es Aber gut, wir können uns über viele Details unterhal- möglich sein müßte, die Ausbildungsvergütungen in ten. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15779

Dr. Christian Ruck Es ist doch eine ganze Menge geschehen. Viele, und in höherem Maße überbetriebliches System eine auch Minister Rüttgers und Herr Guttmacher, haben viel größere Gefahr von Fehlsteuerungen am Bedarf darauf hingewiesen, daß es bei der Aktualisierung vorbei in sich birgt. und der Schaffung neuer Berufsbilder zu einem Durchbruch gekommen ist. Bei den Ausbildungsord- Andererseits möchte ich auch daran erinnern, daß nungen hat sich doch wirklich etwas getan; und auch unser duales Ausbildungssystem einer der größten bei der Entbürokratisierung und der Flexibilisierung, Standortvorteile der deutschen Wi rtschaft ist. Wer die gerade vom Handwerk immer wieder eingefor- heute über den Ausbildungsplatz als Kostenfaktor dert wurde, haben wir eine Menge erreicht. klagt, übersieht, daß uns nach allen vorliegenden Prognosen schon in wenigen Jahren ein spürbarer Manches kann man aber nicht vom Bundestag aus Fachkräftemangel droht und auf unser Wirtschafts- anordnen, zum Beispiel die gute Idee mit den Ausbil- wachstum sowie auf die deutschen Unternehmen dungsverbünden. Das ist gerade für kleinere Be- voll durchschlägt. triebe, die nicht die ganze Palette der Ausbildung selber zur Verfügung stellen können, ein gutes Mit- Meine Damen und Herren, letztlich entscheidend tel. Diese Ausbildungsverbünde haben sich genauso für die Ausbildungsplatzsituation ist, ob es uns ge- wie die Akquisitoren bewährt. Allerdings sind das lingt, den Wirtschafts- und Investitionsstandort Dinge, die lokal und regional entstehen müssen. Deutschland wieder zu stärken. Herr Thönnes, des- Dazu sind jede Region und jede Stadt aufgefordert. halb gilt vor allem auch für die Opposition: Wer mehr Lehrstellen will, darf sich den nötigen Reformen, ins- Eines unserer größten Probleme ist die Zukunft der besondere in der Steuerpolitik, nicht länger verwei- weniger begabten Auszubildenden und der rund gern. 15 Prozent der Jugendlichen eines Jahrgangs, die keinen beruflichen Abschluß schaffen. Ich plädiere (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - in diesem Zusammenhang noch einmal für einen er- Zurufe von der SPD: Oh!) heblich stärkeren block- oder modulhaften Aufbau der einzelnen Ausbildungsordnungen, die eine stär- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Aktuelle kere Differenzierung für die unterschiedlichen Bega- Stunde ist damit beendet. bungen innerhalb eines Berufsfeldes ermöglichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktionen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben eine Unterbrechnung der Sitzung beantragt. - Diesem Wir müssen erkennen, daß an ein und demselben Antrag wird entsprochen, wobei ich darauf aufmerk- Ausbildungsplatz oft ein Teil der jungen Menschen sam mache, daß Einverständnis darüber besteht, die zum Beispiel durch eine Theorieüberfrachtung des heutige Sitzung um 20 Uhr zu beenden. - Ich sehe, Lernstoffes überfordert ist, ein anderer Teil hingegen darüber besteht Konsens. unterfordert ist. Dann sind aber beide entmutigt. Das ist einer der Hauptgründe für die nach wie vor viel zu Ich unterbreche die Sitzung für etwa eine Stunde. hohe Zahl von Ausbildungsabbrechern. (Unterbrechung von 15.06 Uhr bis 16.12 Uhr) Den Befürchtungen der Gewerkschaften in dieser Hinsicht, Herr Tauss, möchte ich entgegnen: Ich Meine Damen glaube, es ist besser, einen soliden Berufsabschluß Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet. auf etwas niedrigerem Niveau und mit etwas gerin- gerer Bezahlung zu haben, als letztendlich an zu ho- Es liegt eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung hen Qualifikationshürden gescheitert zu sein und ar- vor. Ich erteile dem Vorsitzenden der Fraktion der beitslos zu werden. SPD, Rudolf Scharping, das Wo rt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Rudolf Scharping (SPD): Frau Präsidentin! Meine Die berufliche Ausbildung zu verbessern ist eine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion be- Sache, die Ausbildungsplätze bereitzustellen die an- antragt eine Erklärung der Bundesregierung zu den dere. Es gibt zahllose gute Initiativen, die zum Teil Ergebnissen der Steuerschätzung, zu den beabsich- auch schon genannt wurden, so zum Beispiel die In- tigten Konsequenzen, zur wi rtschaftlichen und finan- itiative des Bayerischen Verbandes der Metall- und ziellen Lage unseres Landes. Elektroindustrie. Entscheidend ist auf diesem Gebiet aber, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei den Ta- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rifverhandlungen wirklich zu Potte kommen, und DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der zwar mit dem Ziel, das Lehrstellenangebot zu erhö- PDS) hen. Diese Erklärung der Bundesregierung ist notwen- Ich betone noch einmal: Staatliche Zwangsmaß- dig geworden, weil die Steuerschätzungen erneut in nahmen, etwa in Form einer Ausbildungsplatzab- enormem Umfang hinter den bisherigen Prognosen gabe, lehne ich ab, solange sich die Wirtschaft zu ih- zurückbleiben - für den Bund, die Länder und die rer Verantwortung für den eigenen Fachkräftenach- Gemeinden in diesem Jahr um rund 18 Milliarden wuchs bekennt. Das geschieht nicht nur, weil wir vor DM. Das bedeutet, daß der Bund 9,1 Milliarden DM allem den Betrieben, denen das Wasser bis zum Hals weniger Steuereinnahmen haben wird, gleichzeitig steht, weitere Kosten ersparen wollen. Das geschieht aber für die bisher unterschätzte Arbeitslosigkeit bis auch deshalb, weil ein solches umlagefinanziertes zu 10 Milliarden DM mehr aufwenden muß. 15780 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Rudolf Scharping Das bedeutet, daß wir es heute mit dem Offenba- schaftlichen Entwicklungen, und er ist in seinem rungseid einer unse riösen Politik zu tun haben, Amt nicht mehr tragbar, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜND DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) PDS) wobei die Opposition die drohenden Fehlentwick- Wir erwarten drittens, daß die Bundesregierung lungen immer korrekt vorausgesagt hat noch in diesem Jahr Vorschläge zur Senkung der Lohnnebenkosten, für einen fairen Finanzausgleich (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE und für eine solide Steuerreform macht, damit die GRÜNEN und der PDS - Lachen bei der Wirtschaft in Deutschland endlich vorankommt und CDU/CSU und der F.D.P.) die Konjunktur im Interesse der Menschen, die hier leben und arbeiten, besser wird. und dafür beschimpft worden ist. Das bedeutet, daß Ihre Politik Deutschland in eine (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ ausweglose Lage' bringen wird, wenn nicht endlich DIE GRÜNEN und der PDS) Korrekturen erfolgen. Wir erwarten schließlich, daß die Bundesregierung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ aufhört, mit immer neuen gefälschten und immer un- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der seriöseren Zahlen die wahre Lage des Landes zu ver- PDS) schleiern.

Deshalb erwarten wir, daß ein kompetentes Mitglied (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ der Bundesregierung - also besser nicht der Bundes- DIE GRÜNEN und der PDS) finanzminister - Auskunft über das gibt, was sie tun will. Das, was Sie bisher gemacht haben, ist im Hinblick (Beifall bei der SPD) auf die Verläßlichkeit der Politik und deren Glaub- würdigkeit nicht mehr tragbar. Es wird auch nicht Wir beantragen das auch deshalb, weil es nicht dadurch tragbarer, daß Sie die Ergebnisse Ihrer Poli- hinzunehmen ist, daß der Bundesfinanzminister tik mit immer neuen Privatisierungserlösen zu be- möglicherweise die Bundespressekonferenz infor- mänteln suchen. miert, während hier der Deutsche Bundestag tagt. (Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS) Deshalb erwarten wir die Vorlage einer Erklärung Wir stehen vor den Ergebnissen einer Politik, die durch die Bundesregierung, eine neue Weichenstel- hohe Arbeitslosigkeit, enorme Steuerbelastungen, lung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Ent- viel Bürokratie und leider auch immer stärker wach- lassung des Bundesfinanzministers und die Aufstel- sende Verschuldung bedeutet. Deshalb erwarten wir, lung eines neuen Haushaltes. daß die Bundesregierung hier erklärt, daß für das (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD, Jahr 1997 ein neuer Haushalt in Gestalt eines Nach- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der tragshaushalts aufgestellt wird. PDS - Lachen bei der CDU/CSU und der (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS- 90/DIE F.D.P. - [F.D.P.]; Kasperlthea GRÜNEN und der PDS) ter!) Deshalb erwarten wir, daß die Bundesregierung ihre mittelfristige Finanzplanung korrigiert; denn gegen- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ebenfalls zur über den Steuerschätzungen vom Mai 1995 - wenige Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Monate nach der Bundestagswahl - bleiben nach Hörster das Wort. diesem Ergebnis die Steuereinnahmen des Gesamt- staates in 1998 um 180 Milliarden DM zurück. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ist das der Im Jahre 1999 sollen sich die Lücken sogar auf neue Finanzminister?) 250 Milliarden DM belaufen, die Rechnungen über Ihre Steuerreform eingeschlossen. Das ist ein finan- ziell unverantwortlicher Zustand, der der sofortigen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Korrektur bedarf. Joachim Hörster Meine Damen und Herren! Wenn ich den Kollegen (Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜND Scharping richtig verstanden habe, handelte es sich NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) bei seiner Rede um die Begründung eines Geschäfts- ordnungsantrages. Was er genau will, hat er aber Wir sind auch gerne bereit, die Vorlage eines nicht gesagt. neuen Haushaltsplanentwurfs in den nächsten drei bis vier Wochen zu erwarten, notfalls auch eine Wo- (Lachen bei der SPD) che später, wenn dieser Haushaltsplanentwurf dann von einem kompetenteren Finanzminister vorgelegt Ich vermute, es geht um die Änderung der Tagesord- wird. Denn dieser Finanzminister schadet dem Anse- nung und um die Aufnahme eines neuen Tagesord- hen der Bundesrepublik Deutschland, den wirt- nungspunktes. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15781

Joachim Hörster Herr Scharping, die Formalien und die klare Aus- eigenes durchgerechnetes Steuerkonzept vorzule- sprache gehören nun einmal zu unserem Einmaleins. gen. So kann man mit der Tagesordnung nicht umgehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und Sie müssen sich vom Deutschen Gewerkschaftsbund der F.D.P.) im Interesse der Schaffung von mehr Wachstum und In diesem Zusammenhang kann man nicht die So- Beschäftigung ermahnen lassen, das spätestens im zialverhältnisse von Mexiko und Deutschland ver- Monat Mai noch nachzuholen. Sie haben allen An- gleichen. Und in der Finanzpolitik darf es schon gar laß, über gründliche Beratungen, die andere verant- keine Unschärfen zwischen Brutto und Netto geben. wortungsvoll vornehmen, zu lachen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir werden deswegen den mutmaßlichen Ge- schäftsordnungsantrag, den ich Ihnen, Herr Schar- Herr Scharping, meines Wissens waren Sie einmal ping, unterstellt habe, ablehnen und möchten, daß Ministerpräsident. Ich möchte Ihnen dazu noch sa- die Sitzung so weiterläuft wie vorgesehen. Wir von gen, daß die Steuerschätzungen von Sachverständi- der Fraktion der CDU/CSU möchten für uns in An- gen des Bundes, der Länder, der Gemeinden, der spruch nehmen, in unserer Fraktionssitzung in aller Bundesbank und anderen gemacht werden und daß Ruhe und mit Sachlichkeit die Ergebnisse der Steuer- sie keine Alleinveranstaltung der Bundesregierung schätzung zu beraten. sind, weswegen alle an der Steuerschätzung Beteilig- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und ten auch die Verantwortung für die Zahlen tragen. der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Zurufe von der SPD) • Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ebenfalls zur Daher ist es unsachlich, die Bundesregierung für Geschäftsordnung erteile ich nun dem Abgeordneten Fischer das Wo rt. diese Zahlen in Haftung zu nehmen.

(Lautes Lachen bei der SPD und dem Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- Wenn Sie das tun, dann sind die Länderfinanzmi- ren! Wir unterstützen den Antrag der SPD, nister der Sozialdemokraten und viele andere mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genauso in Haftung zu nehmen. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) daß die Tagesordnung geändert wird und sich die Daß es Ihnen in Wahrheit gar nicht um die Sache Bundesregierung jetzt vor dem Deutschen Bundestag geht, wird aus folgendem deutlich. Die Koalitions- in der laufenden Sitzung zu den Ergebnissen der fraktionen haben vor mehr als drei Wochen bei der Steuerschätzung und den Konsequenzen, die sie dar- Vorbereitung der Sitzungswoche und der Tagesord- aus ziehen will, äußert. nung für den heutigen Tag Fraktionssitzungen für heute abend um 8 Uhr anberaumt, weil sie wußten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN daß heute die Ergebnisse der Steuerschätzung be- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten kannt werden und sie in einer ruhigen- und sachli- der PDS) chen Aussprache die Ergebnisse dieser Schätzung Ich frage Sie, meine Damen und Herren, erstens bewerten wollten. Sie hätten alle Möglichkeiten in nach Ihrem Selbstverständnis als Parlamentarier. der Hand gehabt, zum gleichen Zeitpunkt mit den Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Ihrer ei- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS genen - so sie denn kommt - und PDS zu tagen und SES 90/DIE GRÜNEN) die Ergebnisse vernünftig zu bewe rten. Darum geht es Ihnen aber überhaupt nicht. Ihnen geht es im Ich versuche mir einmal vorzustellen, was bei einer Grunde genommen nur um die Show, weil Sie selbst vergleichbaren Situation in Großbritannien, in der gar nicht in der Lage sind, innerhalb der Kürze der eine Royal Commission einen zusammenbrechenden Zeit eine vernünftige Bewe rtung der Ergebnisse die- Haushalt dokumentiert, passieren würde, wenn der ser Steuerschätzung vorzunehmen. zuständige Finanzminister - egal welcher Partei er angehört - nicht sofort ins Unterhaus ginge, das par- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) allel dazu tagt, sondern seine Stellungnahme auf eine der späteren Sitzungswochen verschieben Da wir unsere Entscheidungen sauber und gründ- würde. lich vorzubereiten pflegen, werden wir Ihren Antrag ablehnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Lautes Lachen bei der SPD und dem der PDS) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich frage auch, welches Selbstverständnis die Libera- - Daß ausgerechnet Sie lachen, finde ich sehr bemer len in diesem Haus haben und ob wir uns die Debat- kenswert, weil Sie es trotz der monatelangen Diskus ten über eine Parlamentsreform in Zukunft nicht sionen bis heute noch nicht geschafft haben, ein schenken können, wenn wir gleichzeitig eine solche 15782 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Joseph Fischer (Frankfurt) Selbstentmachtung gegenüber der Regierung betrei- Sie werden aber der Offenlegung der Zahlen nicht ben. entkommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Jawohl!) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS) Sie hangeln sich weiter von Notlösung zu Notlösung. In Wirklichkeit haben wir es mit einem zusammen- Das Haushaltsrecht ist nämlich das vornehmste Recht brechenden Haushalt zu tun. des Parlamentes gegenüber der Regierung; Sie sind gegenwärtig dabei, dieses aus sehr durchsichtigen Deswegen erwarten wir jetzt eine Änderung der Gründen abzutreten. Tagesordnung, erwarten wir jetzt die Abgabe einer Regierungserklärung. Wenn dieses Parlament sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN selbst ernst nimmt, dann muß es dem zustimmen. und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜN EN, Zweitens frage ich Sie, was denn in diesem Land bei der SPD und der PDS) , noch passieren muß, damit nicht vor der Bundespres- sekonferenz, sondern hier im Deutschen Bundestag der Bundesfinanzminister und der Bundeskanzler Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ebenfalls zur angesichts einer dramatischen Haushaltsentwick- Geschäftsordnung spricht jetzt der Abgeordnete van lung Stellung nehmen. Essen. Ich stelle mir vor, eine rot-grüne Bundesregierung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jörg van Essen (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Damen und Herren! Alles Wortgeklingel der Herren der PDS - Zurufe von der CDU/CSU und Scharping und Fischer kann doch nicht darüber hin- der F.D.P.) wegtäuschen, daß die Opposition geschlafen hat. würde wie Sie einen Buchungstrick versuchen, in- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ dem die Goldreserven buchhalterisch nach oben ge- DIE GRÜNEN]: Jetzt im Moment beginnt rechnet werden. Dann würden Sie hier doch einen die Pressekonferenz! - Weitere Zurufe vom Tanz aufführen, und zwar zu Recht, meine Damen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Herren. Sie sind es, die den Italienern und ande- ren eine kreative Buchführung im Zusammenhang Wir haben uns, weil wir den Termin der Bekannt- mit dem Maastricht-Vertrag vorgeworfen haben. gabe der Steuerschätzung kannten, seit Wochen se- riös auf die Debatte über die Ergebnisse der Steuer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schätzung vorbereitet. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS) (Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS) Was Sie gegenwärtig betreiben, ist der Gipfel der Unsolidität. Wir haben vor Wochen eine Fraktionssondersitzung für 20 Uhr vorbereitet und mit der Opposition dar- Wir verlangen von Ihnen, daß Sie endlich alle über gesprochen, wie die heutige Tagesordnung ge- Haushaltsrisiken offenlegen. Es sind nicht nur die staltet wird. Obwohl die Opposition das wußte, hat es 18 Milliarden DM für Bund, Länder und Gemeinden. keinerlei Antrag in diese Richtung gegeben. Deshalb Für die kommenden Jahre sind zirka 32 Mil liarden bestehen wir darauf, mit diesen Fragen weiterhin se- DM eingerechnet. Was ist denn mit der Einkommen- riös umzugehen. steuerreform, die Sie vorschlagen? Sie wird doch wei- tere Löcher in den Haushalt reißen. Was ist mit den (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Risiken auf dem Arbeitsmarkt, die notwendige Zu- schüsse für die Bundesanstalt für Arbeit in diesem Wir haben keine Angst vor einer parlamentari- Jahr erforderlich machen? Das geht weit über die schen Debatte. 8,1 Milliarden DM hinaus. Das alles müssen Sie hier (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ endlich einmal offenlegen. Wie absurd ist es ange- DIE GRÜNEN) sichts dieser Situation, an einer Senkung des Solida- ritätszuschlags festzuhalten? Wenn Sie es wünschen, sind wir selbstverständlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereit, mit Ihnen darüber zu sprechen, ob wir morgen und bei der SPD sowie bei Abgeordneten unter Berücksichtigung der Dinge, die durch die Be- der PDS) erdigung des ehemaligen Bundestagspräsidenten Kai-Uwe von Hassel vorgegeben sind, eine solche Das alles wollen wir von dieser Bundesregierung hier Debatte durchführen. Ich biete Ihnen solche Gesprä- und heute wissen. che ausdrücklich an. Wenn diese Bundesregierung nicht den Mut hat - Ihren Antrag aber, jetzt hier eine Show zu veran- das, was wir gerade von Herrn Hörster abgeliefert stalten - das ist den Problemen nun wirklich nicht an- bekommen haben, ist ein beschämendes Dokument gemessen -, werden wir mit Nachdruck ablehnen. -, vor dem Deutschen Bundestag dieses Haushalts- debakel zu vertreten, dann heißt das, daß sie kneift. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15783

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich bitte einen hat auch die Bevölkerung, die wir hier repräsentie- Augenblick um Ruhe. - Zur Geschäftsordnung erteile ren, einen Anspruch. ich dem Abgeordneten Gysi das Wo rt. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne ten der SPD) Dr. Gregor Gysi (PDS): Frau Präsidentin! Meine Wenn Sie nicht bereit sind, dazu Stellung zu nehmen, Damen und Herren! Weder die Debatte über eine Ta- hat das einen einzigen Grund: Sie können es nicht. gesordnung noch die Debatte über die Änderung ei- Dann reicht allerdings, Herr Scharping, der Rücktritt ner Tagesordnung ist eine Showveranstaltung. Hier des Bundesfinanzministers nicht aus, weil es in Wirk- geht es vielmehr darum, der Aktualität der Politik zu lichkeit beweist, daß das gesamte Kabinett am Ende entsprechen. ist. Dann sollte man das auch einräumen. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE ten der SPD) GRÜNEN) Gerade weil ich aus der DDR komme, möchte ich Ich sage Ihnen ganz deutlich - das ist eine grund- Ihnen eine Erfahrung übermitteln. sätzliche Frage -: Wenn eine Steuerschätzung für (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) 1997 und 1998 ein Minus in Höhe von 50 Milliarden DM ergibt - Warten Sie erst einmal ab. - Ich weiß, wie das ist, wenn eine Regierung über Jahre nicht zugibt, daß sie (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das gescheitert ist. stimmt doch gar nicht!) (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne und der zuständige Bundesminister eine Pressekon- ten der SPD - Widerspruch bei der CDU/ ferenz macht, statt sich im Parlament zu verantwor- CSU und der F.D.P.) ten, dann heißt das, wir ersetzen die Parlamentari- Das verschlimmert den Schaden. Man muß das auch sche Demokratie durch eine Zeitungsdemokratie. einräumen können; damit kann man nämlich den (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Schaden begrenzen. ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Angesichts der Steuerschätzung wäre heute der GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/CSU Tag, zu sagen: Entweder legen Sie ein Konzept vor, und der F.D.P.) oder Sie müssen einräumen, am Ende zu sein. Dann müssen wir den Weg freimachen für einen Neuan- Sie wollen seriös über verschiedene Tagesord- fang in dieser Gesellschaft, in dieser Bundesrepublik nungspunkte weiterverhandeln. Aber alle Dinge, um Deutschland. die es noch in den Tagesordnungspunkten geht, ko- sten Geld. Keiner weiß, wieviel Geld in den Kassen (Beifall bei der PDS) ist. Wie sollen wir eigentlich hier seriös entscheiden und Politik machen, wenn darüber keine Rechen- Ich habe noch eine Bitte an die SPD. Wenn die Än- schaft abgelegt wird? derung der Tagesordnung nicht durchkommen sollte und eine Zweidrittelmehrheit nicht zu erreichen ist, (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne weil die Regierungsfraktionen kneifen, dann bitte ich eine der Fraktionen im Hause - wir sind ja leider ten der SPD) - keine -, den Antrag auf Herbeirufung eines Mit- Nein, das geht nicht. glieds der Bundesregierung zu stellen. Dann müssen wir es eben so herum versuchen. Sie haben im letzten Jahr einen Haushalt vorge- legt, von dem Sie damals schon wußten, daß er falsch (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ ist. DIE GRÜNEN]: Ist schon klar!)

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!) Der Waigel muß hierhier und sagen, was er vorhat, was er verkloppen will und wie er seine Lücken Sie haben eine Steuerreform vorgelegt, von der Sie schließen will. Diese Antwort wird er dem Parlament wissen, daß sie zu Mindereinnahmen von über heute und nicht irgendwann geben müssen. 50 Milliarden DM führt. Sie haben bisher nicht er- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne klärt, wie Sie diese Mindereinnahmen ausgleichen ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE wollen. Sie wollen die Bevölkerung diesbezüglich GRÜNEN) erst nach den Wahlen über Ihre wirklichen Ziele un- terrichten. Das können wir nicht hinnehmen. Ein (Die Regierungsmitglieder verlassen die Haushalt, dem schon jetzt im Jahre 1997 18 Mil liar- Regierungsbank und nehmen die Abgeord den DM fehlen, ist im höchsten Maße unse riös. Das netenplätze ein) ist das eigentlich Entscheidende. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der PDS) GRÜNEN und der PDS - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen eine Antwort auf die Frage haben, zu Das war ein Räumungsbefehl für die Regie wessen Lasten Sie diese Lücken ausgleichen wollen rungsbank! - Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: und welche Substanz Sie verkaufen wollen. Darauf Die Bundesregierung tritt ab!) 15784 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Kollegin- nachdem unsere Fraktionen über die Steuerschät- nen und Kollegen, die Mitglieder der Bundesregie- zung beraten haben, im Plenum des Deutschen Bun- rung, die gleichzeitig ein Bundestagsmandat haben, destages über den Sachverhalt zu diskutieren. nehmen die Plätze ein, die sie als Abgeordnete ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nehmen müssen, wenn sie abstimmen wollen. Ich frage Sie jetzt: Wollen Sie auf dieses Angebot ein- Es ist ein Geschäftsordnungsantrag auf Änderung gehen, ja oder nein? Wenn es Ihnen um die Sache der Tagesordnung gestellt worden. Ich lese Ihnen geht, müssen Sie auf dieses Angebot eingehen, weil den entsprechenden Abs. 3 des § 20 vor: Sie den Koalitionsfraktionen nicht das Recht nehmen Nach Feststellung der Tagesordnung dürfen an- dürfen, über die Ergebnisse der Steuerschätzung dere Verhandlungsgegenstände nur beraten wer- sachlich zu beraten, bevor sie in eine Debatte gehen. den, wenn nicht von einer Fraktion oder von an- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages widersprochen wird oder diese Ge- Solange Sie dieses Angebot nicht annehmen, müs- schäftsordnung die Beratung außerhalb der Ta- sen wir den Herbeizitierungsantrag ablehnen. gesordnung zuläßt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das ist ein Minderheitenrecht. Da die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. widersprochen haben, ist damit dieser Antrag obsolet. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ebenfalls zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Schulz. Zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Struck. Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Peter Struck (SPD): Frau Präsidentin! Meine NEN): Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hör- Damen und Herren! Genau zu diesem Zeitpunkt ist ster, das ist keine mißbräuchliche Anwendung der der Bundesfinanzminister in der Bundespressekonfe- Geschäftsordnung, sondern unser gutes Recht, renz und gibt eine Erklärung zu den Steuerlöchern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ab. bei der SPD und der PDS) (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Unerhört! - Beifall bei auch Ihr gutes Recht, falls sich die Rollen hier einmal ändern sollten. Es ist sehr wichtig, daß es das gibt. Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Bundespressekonferenz des Bundesmini- - Wenn Sie darüber auch noch klatschen, dann soll- sters der fehlenden Finanzen ist angekündigt. Er ten Sie sich schämen, daß Sie ein solches Selbstver- wartet offensichtlich darauf, daß wir hier zum Ende ständnis als Parlamentarier haben. kommen, um dann in der Bundespressekonferenz zu (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE reden. Wir möchten, daß er hierher kommt, daß er GRÜNEN und der PDS) das, was er dort zu sagen hat, hier sagt. Hierher ge- hört das und nirgendwo anders! Meine Damen und Herren, das Parlament hat ei- nen Anspruch darauf, daß hier und nicht im Saal der (Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE Bundespressekonferenz Klarheit darüber geschaffen GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) wird, wie diese katastrophale Finanzsituation- gelöst Davon rücken wir nicht ab. Wir bestehen darauf und werden soll. warten so lange, bis dieser Bundesfinanzminister Ich beantrage deshalb gemäß § 42 der Geschäfts- hierher kommt. ordnung, daß der Bundesfinanzminister unverzüglich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hier im Plenum zu erscheinen hat. bei der SPD und der PDS) (Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ebenfalls zur Geschäftsordnung der Kollege van Essen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zur Geschäfts- ordnung spricht jetzt der Abgeordnete Hörster. Jörg van Essen (F.D.P.): Auch der Kollege Schulz hat die berechtigte Frage des Kollegen Hörster, zu Joachim Hörster (CDU/CSU): Frau Präsidentin! welchem Tagesordnungspunkt der Kollege Waigel Meine Damen und Herren! Nachdem die Aufsetzung hier reden soll, nicht beantwortet. des Tagesordnungspunktes eben abgelehnt worden (Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ ist, ist es eigentlich mißbräuchlich, die Herbeizitie- DIE GRÜNEN und der PDS) rung des Bundesfinanzministers zu verlangen. Wir haben den Antrag auf Erweiterung der Tages- (Lebhafter Widerspruch bei der SPD, dem ordnung gerade abschlägig entschieden. Damit ist BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) für uns klar, daß wir diesem Antrag ebenfalls nicht Aber der Kollege van Essen hat Ihnen angeboten, folgen werden. wenn Sie es wollen, morgen, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Zurufe von der SPD: Jetzt!) ten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15785

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zur Geschäfts- ordneten Dr. Irmgard Schwaetzer und der ordnung der Kollege Gysi. Fraktion der F.D.P. Zur Lage in Zaire Dr. Gregor Gysi (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! § 42 der Geschäftsordnung re- - Drucksache 13/7672 - gelt ausdrücklich das Recht einer jeden Fraktion, die Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden jetzt Herbeirufung eines Mitglieds der Bundesregierung sofort eine Abstimmung durchführen. Ich bitte Sie, zu beantragen. deswegen sitzenzubleiben. Es ist nämlich interfrak- tionell vereinbart worden, die Reden zu Protokoll zu (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) geben.*) Ich muß Sie fragen, ob Sie damit einverstan- - Moment! Dieser Antrag ist jetzt von der SPD-Frak- den sind. - Das ist so der Fall. Dann verfahren wir so. tion gestellt worden. Dann kann ich gleich die Aussprache beschließen. Wenn Sie sagen, mit einem Tagesordnungsantrag Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsa- vorher sei das faktisch erledigt, oder wenn Sie erklä- men Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, ren, das sei die mißbräuchliche Wahrnehmung eines Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. zur Lage in Zaire, Rechts, dann negieren Sie die Geschäftsordnung die- Drucksache 13/7672. Wer stimmt für diesen gemein- ses Deutschen Bundestages. samen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., Wenn Sie sagen, es sei Ihnen nicht klar, wozu der SPD, Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Bundesminister reden soll, dann sage ich Ihnen: Mir Gruppe der PDS angenommen worden. ist es inzwischen klargeworden. Wenn Sie das immer noch nicht verstanden haben, dann ist es allerdings Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf: höchste Zeit, daß Sie zurücktreten. Er soll darüber re- Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses den, wie er die Lücke von 18 Mi lliarden DM in die- für Wirtschaft und des Innenausschusses zu den An- sem Jahr und von weiteren Milliarden im nächsten trägen der PDS: Änderung der Rahmenvereinbarung Jahr auffüllen will. Das soll er hier seriös darstellen. von Bund und neuen Ländern zur Erfüllung des Er soll das nicht der Presse, sondern dem Parlament Treuhandauftrages und Vermögen der Parteien und erklären, das darüber zu entscheiden hat. Massenorganisationen der DDR sowie Beratung des Ich frage mich, welche Vorbereitung die Fraktion Antrags der Gruppe der PDS zu wi rtschaftlichen und der CDU/CSU dafür braucht. Wieso müssen Sie dar- ökologischen Alternativen in den neuen Bundeslän- über beraten? dern. Ich warte einen Moment, bis hier Ruhe und Über- Die Bundesregierung steht hier gegenüber dem ge- sicht herrschen. samten Parlament in Verantwortung, diese Fragen zu beantworten. Deshalb soll der Bundesminister hier Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin gerade in- herkommen. formiert worden, daß es eine Vereinbarung gibt, den eben aufgerufenen Tagesordnungspunkt 7 a bis 7 c Das ist ein völlig berechtigtes Anliegen dieses Par- zurückzustellen und Tagesordnungspunkt 8 vorzu- laments. Wenn Sie das torpedieren, dann sind Sie ziehen. Daher stelle ich Tagesordnungspunkt 7 zu- nichts weiter als eine Hilfstruppe des Ministers, aber rück. Er wird also noch aufgerufen. nehmen Ihre Funktion als Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht wahr. - Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 8 auf: (Beifall bei der PDS und der SPD sowie bei Zweite und dritte Beratung des von den Abge- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE ordnten Ulla Schmidt (Aachen), Irmingard GRÜNEN) Schewe-Gerigk, , Sabine Leu- theusser-Schnarrenberger und weiteren Abge- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es ist nach § 42 ordneten eingebrachten Entwurfs eines ... unserer Geschäftsordnung, Herbeirufung eines Mit- Strafrechtsänderungsgesetzes - §§ 177 bis glieds der Bundesregierung, beantragt worden, den 179 StGB (... StrÄndG) Minister Waigel herbeizurufen. Über diesen Antrag - Drucksache 13/7324 - lasse ich jetzt abstimmen. Wer ist für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist (Erste Beratung 172. Sitzung) mit den Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. bei einer Beschlußempfehlung und Bericht des Rechts- Enthaltung gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die ausschusses (6. Ausschuß) Grünen, SPD und PDS abgelehnt worden. - Drucksache 13/7663 - Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Berichterstattung: Beratung des Antrags des Abgeordneten Alois Abgeordnete Horst Eylmann Graf von Waldburg-Zeil und der Fraktion der Erika Simm CDU/CSU, des Abgeordneten Dr. R. We rner Jörg van Essen Schuster und der Fraktion der SPD, der Abge- ordneten Dr. Uschi Eid und der Fraktion *) Die Reden werden in einem Nachtrag zu diesem Protokoll BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abge abgedruckt. 15786 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache Auch die Männer sind in ihrem Handeln identisch. über den Gesetzentwurf namentlich abstimmen wer- Sie wollen die Frauen erniedrigen und sich ihrer den. Männlichkeit vergewissern. Viel zu viele Männer wissen, daß das Schweigen der Frauen ihr bester Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Schutz ist. die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Dieses Schweigen ist auch einer der Gründe, warum es immer noch Männer und Frauen gibt, die Ich warte mit der Eröffnung der Aussprache, bis sich nicht vorstellen können, daß sich solche Gewalt Ruhe herrscht. Ich bitte, auch den Gang in der Mitte hinter den gut verschlossenen Wohnungstüren ab- frei zu machen. Ich verstehe, daß es noch viel zu be- spielt. Shakespeare hatte recht, als er sagte - ich zi- sprechen gibt; aber machen Sie das bitte außerhalb tiere: des Saales. - Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als Wort der Abgeordneten Ulla Schmidt. eure Schulweisheit sich träumen läßt.

Deshalb hilft kein Ignorieren und kein ungläubiges Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Frau Präsidentin! Kopfschütteln. In Deutschland wird jede siebte Frau Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, daß es in ihrem Leben einmal vergewaltigt; in den meisten nach der Debatte, die wir eben geführt haben, Fällen war der Täter der Ehemann. Es wird also schwierig ist: Trotzdem glaube ich, daß es dem höchste Zeit, daß wir Ehefrauen schützen, und das Thema angemessen wäre, wenn wir uns noch eine ohne Einschränkung. Unser aller Ziel muß sein, klar- Stunde Zeit nehmen könnten, um über ein Gesetz zu zustellen, daß mit dem Gang zum Standesamt kein beraten, das seit fast drei Jahrzehnten hier im Deut- wie immer gearteter rechtsfreier Raum entsteht. schen Bundestag behandelt wird und, wie ich hoffe, heute zu einem guten Abschluß kommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) DIE GRÜNEN) Wir waren uns damals und sind uns wohl auch Die Ehefrauen müssen mit der uneingeschränkten heute darüber einig: Nicht alle Widerwärtigkeiten im rechtlichen Unterstützung rechnen und die Täter mit Leben - vom Zusammenleben kann bei dem Thema dem Strafrecht. Für mich ist es ein großer Unter- Vergewaltigung in der Ehe letztendlich nicht die schied, ob ein gewalttätiger Ehemann sich mit dem Rede sein - können durch den Gesetzgeber aus der Schutz der Widerspruchsklausel nahezu gestärkt Welt geschafft werden. fühlen kann oder ob das öffentliche Rechtsbewußt- sein ihm deutlich macht, daß Sexualität und Liebe Wir sind uns mehrheitlich auch darüber einig, daß nichts mit sexualisierter Gewalt zu tun haben. wir mit den Mitteln des Strafrechts dennoch deutlich machen müssen, was gesellschaftlich akzeptiert bzw. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im nicht akzeptiert wird. Deutschen Bundestag lange darüber diskutiert, für viele, insbesondere für die betroffenen Frauen, viel Die Frauen in unserem Land werden heute mit gro- - zu lange. Aber dennoch: Ich hoffe sehr, daß sich der ßer Aufmerksamkeit die Abstimmung im Deutschen lange Weg und die vielen Umwege gelohnt haben Bundestag verfolgen. Sie werden anerkennen, daß und nun zu einem guten Ergebnis führen. Wenn wir heute selbstbewußte Frauen und mutige Männer heute mit einem breiten Konsens die Gleichstellung ohne Wenn und Aber eines deutlich machen: Verge- der Strafbarkeit der Vergewaltigung in und außer- waltigte Ehefrauen werden ohne gesetzliche Ein- halb der Ehe beschließen, dann ist dieser Deutsche schränkung geschützt. Bundestag seiner politischen Aufgabe gerecht ge- worden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne F.D.P. und der PDS) ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ Das hat Folgen für die Opfer, die Täter und die DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) ganze Gesellschaft. Wir alle kennen die Untersu- chungsergebnisse des niedersächsischen Kriminolo- Ich wünsche mir sehr, daß wir bei unserer heutigen gischen Forschungsinstitutes. Danach ist die Gefahr, Abstimmung gemeinsam deutlich machen: Nichts ist vom eigenen Lebensgefährten vergewaltigt zu wer- unmöglich, wenn es das Richtige ist. den, drei- bis viermal so hoch wie die Gefahr, einem Fremdtäter in die Hände zu fa llen. Zum Schluß möchte ich Ihnen noch einen Satz ei- nes Journalisten aus der heutigen Ausgabe der „Aa- Frauen, für die die Gefahr zur Realität geworden chener Nachrichten" mit auf den Weg geben. Er ist, denken und fühlen das gleiche. Sie schämen sich. sagte - ich zitiere -: Sie haben Angst vor der Reaktion ihrer Umwelt. Sie können sich die Hand reichen, egal in welchem Land Die heutige Verabschiedung des Gesetzes, das sie leben, egal welcher Gesellschaftsschicht sie ange- diese Punkte regelt, beruhigt mich sehr. Weniger hören, egal wie alt sie sind. als Mann, sondern vielmehr als Mensch. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15787

Ulla Schmidt (Aachen) Vielen Dank. Wir tragen heute mit dem alten § 177 StGB ein straf- rechtliches Fossil zu Grabe, das aus dem vergange- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE nen Jahrhundert in unsere Zeit noch immer hinein- GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord geragt hat. neten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der SPD und der F.D.P.) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Eylmann. Es wird Zeit, daß das geschieht. Diejenigen nicht un- bekannten Namen aus Rechtswissenschaft und Pu- blizistik, die nach meiner Rede vor einigen Jahren (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Horst Eylmann dies noch kritisiert haben, können heute nicht sehr Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ge- stolz auf das sein, was sie damals zu Papier gebracht setzesentwurf ist im Rechtsausschuß unverände rt ge- haben. blieben. Es ist genauso gekommen, wie ich es Ihnen in der letzten Sitzungswoche gesagt habe. Dieses Er- Zweitens: Meine Damen und Herren, ich habe da- gebnis hätten wir auch schon in der letzten Sitzungs- mals gesagt, daß es von dem Willen der Frau ab- woche haben können, wenn Sie bereit gewesen wä- hängt, ob es zu einer Verurteilung des Täters kommt, ren, gleich in die zweite und dritte Lesung einzutre- innerhalb wie außerhalb der Ehe, und daß wir das zu ten. Es war alles erörtert, alles besprochen, alles dis- respektieren haben. Das gilt völlig ohne Rücksicht kutiert, nicht einmal, sondern unzählige Male in den auf eine Widerspruchslösung, denn wenn eine verge- letzten Jahren. waltigte Frau den Täter nicht anzeigt, kommt es auch zu keinem Verfahren, jedenfalls von ganz wenigen Das gilt auch für die Problematik des § 179 StGB. Ausnahmefällen abgesehen. Das Dunkelfeld ist groß: Bereits vor einem Jahr hatte die SPD-Fraktion in ei- Von vielleicht 300, 400 Vergewaltigungen innerhalb nem Zusatzantrag klargestellt, daß es sich dabei um der Ehe wird eine angezeigt. Ich habe mich noch ge- einen handelt, der nur noch das Auffangtatbestand stern mit einer jungen Kriminalbeamtin unterhalten, ergänzen soll, was nicht ohnehin unter die Tatbe- die mir sagte, sie habe in den letzten Jahren keine stände der §§ 177 und 178 fällt. Genau das habe ich einzige Anzeige aus dem Frauenhaus bekommen, hier in der letzten Sitzungswoche anläßlich der Erör- obwohl das doch kein rechtsfreier Raum war, wie terung dieses Tagesordnungspunktes ausgeführt. meine Vorrednerin sagte. Auch bisher konnte die Ich habe Verständnis dafür, daß alle Fragen, die Vergewaltigung in der Ehe mit bis zu fünf Jahren we- mit dem Schutz von Behinderten zu tun haben, mit gen schwerer Nötigung bestraft werden. großer Aufmerksamkeit und Sensibilität behandelt (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Aber nicht werden. Mein Verständnis nimmt aber ab, wenn ich als Vergewaltigung!) sehe, daß bei der Diskussion dieser Frage diejenigen schweigen, die genau wissen, daß von einer Diskri- Weil die Widerspruchsregelung deshalb von dritt- minierung der Behinderten zu keinem Zeitpunkt die rangiger Bedeutung ist, appelliere ich auch an dieje- Rede sein konnte. nigen in meiner Fraktion, die bisher für die Wider- Wir haben jetzt, um jede Fehlinterpretation auszu- spruchsregelung gestritten haben, das Fehlen dieser schließen, in die Begründung unserer Beschlußemp- Regelung nicht zum Anlaß zu nehmen, gegen das Gesetz zu stimmen. Je breiter die Mehrheit, meine fehlung eine Art Kommentierung des § 177 StGB auf- genommen. Mehr können wir nun wirklich- nicht tun. Damen und Herren, um so größer ist die Signalwir- kung des Gesetzes im Sinne einer positiven General- Meine Damen und Herren, der heutige Tag ist in prävention. der jahrzehntelangen Auseinandersetzung um den Vergewaltigungsparagraphen insofern nahezu ein (Beifall bei Abgeordneten der PDS sowie historisches Datum, als nun heute der Bundestag der Abg. Hanna Wolf [München] [SPD] und endgültig und abschließend beschließt, daß die Ver- Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ gewaltigung der eigenen Ehefrau auch im Rechts- DIE GRÜNEN]) sinne eine Vergewaltigung ist und als solche bestraft Im übrigen kommt es wie in der Vergangenheit wird. auch in Zukunft darauf an, die betroffenen Frauen Ich habe mir die Rede herausgesucht, die ich 1987, durch Gewährung von Hilfe und Schutz in die Lage also vor zehn Jahren, zum ersten Male zu diesem zu versetzen, selbstverantwortlich und ohne unzuläs- Thema an dieser Stelle gehalten habe. Ich habe fest- sigen Druck zu entscheiden, ob sie Strafanzeige er- gestellt, daß ich von dem, was ich damals gesagt statten und aussagen wollen. habe, heute eigentlich nichts zurückzunehmen habe. Eine letzte Bemerkung: Ich warne davor, in erster Ich will nur noch drei Gesichtspunkte nennen, die Linie vom Strafrecht zu erwarten, daß es die Aggres- ich auch damals angesprochen habe. Erstens: Es gibt sion auch innerhalb der Ehe zurückdrängen kann. keinen Grund, die Vergewaltigung der eigenen Ehe- Auf dem Deutschen Anwaltstag ist gerade in einer frau in irgendeiner Weise zu privilegieren. Das ist der brillanten Analyse dargelegt worden, daß wir die entscheidende Grund für diese Gesetzesänderung. Funktion des Strafrechts bei der Steuerung gesell- schaftlicher Fehlentwicklungen häufig überschätzen. (Beifall der Abg. Sabine Leutheusser- Es gilt, in unserer Gesellschaft die Gewalt, wo immer Schnarrenberger [F.D.P.]) sie auftritt, zu ächten. 15788 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Horst Eylmann Um einmal konkret zu werden: In dieser Woche Beischlaf verpflichtet habe, der Mann sich also nur macht ein Nachrichtenmagazin in der Bundesrepu- nehme, was ihm ohnehin zustehe. blik mit der Schlagzeile auf: „Macho verzweifelt gesucht ..." „Frauen hassen Softies", heißt es do rt . Ich habe heute einen B rief erhalten, in dem die „Frauen stehen auf böse Typen." „Wo sind die Ty- Vergewaltigung der Ehefrau bei sogenannter Bei- pen, die die Liebste wie einst Clark Gable ... die schlafverweigerung der Ehefrau gerechtfertigt wird. Treppe hochschleifen?" Die Verfasserin ist eine Frau. Auch die vorgebrachten Argumente, eine Ehefrau könne einen Schwangerschaftsabbruch erwirken, (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ wenn sie angäbe, vom Ehemann vergewaltigt wor- DIE GRÜNEN]: Welche Zeitungen lesen Sie den zu sein, sind durch den jetzt geltenden § 218 ent- denn, Herr Eylmann?) kräftet. Was bleibt also an Argumenten außer einer verächtlichen Haltung gegenüber Ehefrauen, die ih- Natürlich ist das keine Propagierung der ehelichen rem Ehemann jederzeit verfügbar sein sollen? Hier Gewaltanwendung. Es wird hier nur widergespie- kann das Gesetz Zeichen setzen. gelt, was in der Gesellschaft gesprochen wird. Aber wenn in der Gesellschaft diese Primitivpsychologie - Es macht den Ehemännern unmißverständlich klar, Softie oder Macho, es gibt nichts dazwischen - be- daß es sich bei der ehelichen Vergewaltigung nicht trieben wird und wenn man das Verhältnis der Ge- um ein Kavaliersdelikt, sondern um ein Verbrechen schlechter nach den Grundsätzen des „Machismo" handelt. Es macht der Polizei deutlich, daß sie die beschreibt, muß man sich nicht wundern, wenn man Anzeige einer Frau jetzt ernst nehmen muß und die damit ein Klima erzeugt, in dem auch Gewalt ge- Vergewaltigung nicht länger als Familienstreitigkeit deiht. abtun kann. (Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NEN]: Ach, He rr Eylmann, Sie waren schon und der SPD sowie bei Abgeordneten der mal besser!) PDS) - Sie versprechen sich nur etwas vom Strafrecht. Sie Nicht zuletzt stärkt es den vergewaltigten Frauen sollten es besser wissen. den Rücken. Sie können nun sicher sein, daß die Ju- Wir tun heute das Notwendige, das längst überfäl- stiz ein derartiges Verhalten strafrechtlich verfolgt. lig war. Wie vor zehn Jahren kann ich feststellen, daß Dabei reicht das Strafrecht - Herr Eylmann hat es ge- damit nur ein Schritt auf einem langen Wege getan sagt - bei weitem nicht aus, um den zum großen Teil ist. Die Bekämpfung von Aggression und Gewalt, wo schwer traumatisierten Frauen die notwendige Hilfe immer sie auftreten, ist eine Daueraufgabe von Ge- zu bieten. Sie brauchen eine psychosoziale Betreu- sellschaft und Politik. ung, eine sichere Unterkunft und die Möglichkeit, ein eigenständiges wirtschaftlich unabhängiges Le- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ben zu führen. ordneten der F.D.P. - Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Da haben Sie uns an Ihrer Seite!) Und die Männer? Daß sie ihre Gewaltbereitschaft als ihr Problem ansehen und sich damit auseinander- setzen, steckt noch in kleinen Ansätzen. In der Regel Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat sind es doch die Frauen und nicht die gewalttätigen jetzt die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk. Ehemänner, die nach sexualisierten Übergriffen al- (Dr. Edith Niehuis [SPD]: Gratulieren- Sie ihr lein oder mit den Kindern die Wohnung verlassen mal zum Geburtstag!) und ein Frauenhaus aufsuchen. - Das tue ich gerne: Ich gratuliere im Namen des Aber nun gibt es schon vor der Verabschiedung ganzen Hauses zum Geburtstag. des Gesetzes Unkenrufe, es sei ein Arbeitsbeschaf- fungsprogramm für Juristinnen und Juristen. Auch (Beifall) wenn das Strafverschonungsrecht für Ehemänner ein Ende findet, gehe ich nicht davon aus, daß jetzt mit Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einer Prozeßflut zu rechnen ist. NEN): Recht herzlichen Dank. Das größte Geschenk Von 350 000 Frauen - Herr Eylmann, Sie sagten, es machen Sie mir gleich mit der Abstimmung. seien so wenig - die in den Jahren 1987 bis 1991 von Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- ihren Ehemännern vergewaltigt wurden, zeigten nur gen! „Am Ende unseres Jahrtausends soll nun end- 4 Prozent die Tat an. Zu viele Frauen leben noch in lich das Mittelalter zu Ende gehen. " So bezeichnet der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Ehemann, heute die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung" den haben Angst vor weiterer Gewalt, suchen die Schuld heutigen Tag. Nach 25jähriger Debatte im Deut- bei sich und ertragen ihr Schicksal, auch, um den schen Bundestag soll nun die Vergewaltigung in der Kindern eine heile Welt vorzuspielen. Die Hoffnung, Ehe genauso unter Strafe gestellt werden, wie das die ich mit diesem Gesetz verbinde, ist aber, daß sich seit mehr als 100 Jahren für die außereheliche Verge- Frauen ihrer Rechte bewußt werden und sie nutzen. waltigung gilt. Über den vorliegenden Gesetzentwurf sind alle Ar- Die Frage, warum das so lange gedauert hat, ist na- gumente ausgetauscht. Die Gründe für die Strei- heliegend. Zu lange war in vielen Köpfen, daß es chung der Widerspruchsklausel sind eindeutig: Es eine Vergewaltigung in der Ehe gar nicht geben widerspricht dem Anliegen der Reform, keine Unter- könne, weil sich die Ehefrau mit dem Jawort zum schiede zwischen außerehelicher und ehelicher Ver- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15789

Irmingard Schewe-Gerigk gewaltigung machen zu wollen und gleichzeitig im den Gesetzgeber dazu bewogen hat und welche An- Strafrecht ein Sonderrecht für Ehemänner vorzuse- wendungsbereiche überhaupt noch verbleiben. hen. Es gibt kein anderes Offizialdelikt, bei dem das Opfer über die Strafverfolgung entscheiden kann. Ich sehe das Kapitel nicht als abgeschlossen an. Noch in dieser Legislaturpe riode gibt es zwei Mög- (Vor s i t z : Vizepräsident Hans-Ulrich- lichkeiten der Novellierung: einmal bei der Strafrah- Klose) menharmonisierung und zum anderen bei dem be- reits dem Bundesrat vorliegenden Entwurf des § 174 c Schon bei der ersten Lesung habe ich darauf hin- bzw. 179. Ich bin sehr froh, Herr Eylmann, daß Sie ge- gewiesen, daß dieser Gruppenantrag für meine Frak- genüber dem WDR gesagt haben, daß auch Sie glau- tion ein Kompromiß ist, um nun endlich einen ben, daß im Rahmen der Strafrahmenharmonisierung Schlußstrich unter einen jahrzehntelangen Streit zu hier eine Anhebung möglich ist. Wir sollten dies nut- ziehen. Ich will die Argumente nicht alle wiederho- zen. len, sondern nur einen Punkt ansprechen: Bevor ich zum Schluß komme, möchte ich mich bei Das Ziel, während der Beratung in den Ausschüs- all den Kollegen und Kolleginnen bedanken, die es sen auch noch Änderungen beim § 179 StGB sowohl möglich gemacht haben, daß dieser Gruppenantrag in der diskriminierenden Sprache als auch beim nun wahrscheinlich doch eine große Mehrheit finden Strafmaß herbeizuführen, konnte nicht erreicht wer- wird. Es war ein großes Stück Arbeit, aber es macht den. Zwar ist im neuen Text jetzt aus der „seelischen auch Mut. Abartigkeit" eine „seelische Störung" geworden, der Begriff „Schwachsinn" findet sich jedoch immer Vielen Dank. noch im Text. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Auch für die Anpassung des Strafmaßes des § " 179 bei der SPD und der PDS) StGB an das des § 177 StGB fand sich keine Mehr- heit. Das heißt, die gleiche Tat kann mit einem ande- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die ren Strafmaß belegt werden, wenn das Opfer völlig Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P. widerstandsunfähig ist und keinen eigenen Willen bilden kann. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.): Auch wenn der Justizminister in einem persönli- Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle- chen Eilbrief Montag nacht an einen ausgewählten gen! Auch wenn es, formal betrachtet, nur um einen Kreis festgestellt hat, daß der Schutz geistig und kör- einzigen Paragraphen geht, den § 177, geht es doch perlich behinderter Menschen vor sexualisierter Ge- heute um sehr viel mehr. Von daher ist dieser Tag walt durch die Neufassung des § 177 StGB gegeben wegen dieser Debatte bestimmt auch ein historisch ist, sind hier doch Zweifel angesagt. ganz bedeutender Tag. Ein Blick in die Begründung des neuen Tatbe- (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) standmerkmals, auf das sich der Justizminister be- zieht, wo es heißt: „Ausnutzen einer Lage, in der das Denn - das ist schon beim letzten Mal, aber auch Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgelie- heute von den Vorrednerinnen und Vorrednern ge- fert ist", zeigt, daß hiermit insbesondere Fälle ge- sagt worden - seit über 25 Jahren beschäftigen wir meint sind, „in denen der Täter das Opfer an einen uns mit dem Thema der Vergewaltigung in der Ehe Ort verbringt, an dem es keine fremde Hilfe erwarten und haben die unterschiedlichen Argumente und kann". Daß hierdurch der Schutz eingeschränkt Wi- Rechtspositionen zum Schutz von Ehe und Fami lie derstandsfähiger verbessert werden soll, ist in die- sowie zur Gleichbehandlung von Frauen, die in der sem Begründungstext nicht enthalten. Zwar sind Ehe vergewaltigt werden, ausgetauscht, begründet jetzt die entsprechenden Passagen im Bericht des und immer wieder betont. Rechtsausschusses enthalten, die Praxis zeigt jedoch, Heute bin ich froh, daß es auf Grund der Äußerun- daß Berichte äußerst selten zur Rechtsauslegung her- gen, die hier, aber auch in den letzten Tagen zu ver- beigezogen werden. nehmen waren, doch so aussieht, daß jetzt mit breiter (Horst Eylmann [CDU/CSU]: Das ist falsch!) Mehrheit der Gruppenantrag beschlossen werden wird. Es ist wichtig, diese jahrzehntelange Debatte so Auch das wissen Sie. Die Begründung wird herbei- abzuschließen. Das ist auch ein Zeichen dafür, daß gezogen, die Berichte sind relativ unverbindlich. sich ein so langer Weg letztendlich lohnt, weil man doch mit guten Argumenten überzeugen kann und (Horst Eylmann [CDU/CSU]: Das ist falsch!) weil sich auch diejenigen, die vielleicht vor einem Auch wenn die Interpretation des Justizministers oder einem halben Jahr noch eine andere Position an vielen Stellen dem Anliegen der Menschen mit vertreten haben, jetzt diesen guten Argumenten und Behinderung entgegenkommt, sollten wir doch für Gründen anschließen werden. eine juristische Klarheit im Gesetz sorgen. Herr Ju- (Beifall bei der F.D.P. und dem BÜNDNIS stizminister - nein, sein Staatssekretär ist da -, wenn 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten Sie davon ausgehen, daß es des § 179 demnächst der SPD) wahrscheinlich nicht mehr bedarf, dann hätten wir doch den § 177 gleich entsprechend fassen sollen. Es geht - Herr Eylmann hat das richtig betont - Denn findet ein Gericht nun zwei Paragraphen für darum, daß Ehemänner nicht strafrechtlich privile- die gleiche Tat vor, muß es sich doch überlegen, was giert werden, daß die Tatsache, verheiratet zu sein, 15790 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nicht ein Grund ist, strafrechtlich anders behandelt Zum Schluß noch eine Bemerkung: Natürlich ging zu werden, wenn denn - da sind wir uns einig - die es auch in dieser Frage um Gleichbehandlung von Tat bewiesen werden kann. Daß dann im Verfahren Frauen und um Gleichberechtigung. Wenn gesagt die Strafprozeßordnung und das Zeugnisverweige- wird, daß mit dem alten § 177 ein Fossil zu Grabe ge- rungsrecht gelten, ist ganz normal und üblich. Das tragen wird und daß eine Bastion fällt, was die gilt auch bei anderen Delikten, die in der Ehe began- Gleichberechtigung angeht, dann ist a lles das richtig. gen werden. Das war in der letzten Debatte aus mei- Ich muß sagen, ich freue mich wirk lich, daß wir zu- ner Sicht der entscheidende Grund, zu sagen, daß in sätzlich als Geburtstagsgeschenk für eine Kollegin dieser Frage, der Vergewaltigung in der Ehe, nicht diese Debatte heute abschließen können. die Widerspruchsregelung als absolutes Novum ein- Vielen Dank. geführt werden soll. (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem Wir haben uns in den letzten Tagen - gerade auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei gestern in den Ausschüssen - noch einmal juristisch, Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS) politisch und emotional mit der Frage beschäftigt, wie denn das Verhältnis von § 177 zu § 179 ist. Ich bin, Frau Schewe-Gerigk, anders als Sie nicht der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Auffassung, daß die Aufnahme dieses Textes, wie Kollegin Christina Schenk, PDS. der Vorsitzende des Rechtsausschusses es vorgetra- gen hat, in die Beschlußempfehlung - mit einer be- Christina Schenk (PDS): Herr Präsident! Meine Da- sonderen Bemerkung - ohne Auswirkung ist. Das men und Herren! Ich habe bereits in der vorangegan- sind Rechtsmaterialien, die natürlich in der Rechts- genen Plenardebatte zum Ausdruck gebracht, daß praxis herangezogen werden. Wenn man sich fragt, die Verabschiedung des heute zur Abstimmung ste- was denn der Wille des Gesetzgebers war - das ist ja henden Gesetzentwurfes zur Vergewaltigung in der die entscheidende Frage bei der Auslegung des Be- Ehe eine sehr deutliche Verbesserung gegenüber der griffs „Ausnutzen einer hilflosen Lage" -, dann wird, jetzigen Situation mit sich brächte. Endlich wären wenn der Text nicht sowieso schon in den Kommen- dann eheliche und außereheliche Vergewaltigung tierungen steht, auf diese Mate rialien zurückgegrif- strafrechtlich gleichgestellt. fen. Allerdings - das will ich ebenso deutlich sagen - (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne weist der Gesetzentwurf auch einige Schwächen auf. ten der SPD) Dazu zählt vor allem das immer noch unterschiedlich hohe Strafmaß bei Vergewaltigung von widerstands- Von daher ist es gut, daß wir diesen Weg gewählt ha- unfähigen und widerstandsfähigen Personen. In der ben. Ich glaube, das erleichtert heute auch das Ab- Ausschußberatung hat das gestern eine ziemlich stimmungsverfahren. Ich denke, wir werden ein gu- große Rolle gespielt. Für die Vergewaltigung einer tes Ergebnis bekommen. Person, die - ich zitiere aus dem vorliegenden Ge- setzentwurf - „wegen einer krankhaften seelischen Wenn andere Anlässe bestehen, werden aktuell Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstö- auftretende Probleme immer mit einbezogen und er- rung, wegen Schwachsinns oder einer schweren an- örtert werden. Ich sehe, daß im Moment doch vieles deren seelischen Störung zum Widerstand unfähig dafür spricht, zu sagen, der § 179 sollte so bestehen- - ist" oder aber körperlich nicht dazu in der Lage ist, bleiben, um bloß keine Strafbarkeitslücke auftreten Widerstand zu leisten, ist ein deutlich geringeres zu lassen und um zu sehen, wie sich die Rechtspre- Strafmaß vorgesehen als bei der Vergewaltigung an- chung entwickelt. derer Personen. Ich verbinde aber mit dem heutigen Tag nicht die Nun wird eingewandt, daß die Strafvorschrift im Hoffnung und auch nicht die Erwartung, daß es jetzt § 179 nicht generell für alle behinderten Menschen zu möglichst vielen Verurteilungen kommt und daß vorgesehen ist, sondern lediglich für diejenigen, die das nun die Erfolgsbilanz dieses langen Beratungs- tatsächlich widerstandsunfähig sind. Die von mir zi- und Gesetzgebungsprozesses sein sollte. Wenn von tierten Merkmale im § 179 lassen aber durchaus den dieser Beschlußfassung ausgeht - auch in die Bevöl- Schluß zu, es ginge hier um den Tatbestand der Ver- kerung -, daß Vergewaltigung in der Ehe ein Verbre- gewaltigung auch von behinderten Menschen. Be- chen ist, und wenn sich dieser Beschluß bewußt- hinderte Menschen sind aber nicht per se oder qua seinsändernd auswirken kann, dann hätten wir sehr ihrer Behinderung unfähig zum Widerstand. Bisher viel Präventives erreicht. Darauf setze ich. wurde eine behinderte Frau, zumindest solange sie - ich zitiere aus den entsprechenden Kommentaren - (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne „noch eine Hand heben" konnte, fast immer als wi- ten der CDU/CSU, der SPD und dem derstandsfähig angesehen. Das behinderte Opfer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mußte dementsprechend beweisen, daß es sich hin- reichend gewehrt hat. Ich möchte nicht in einem Jahr eine Bilanz anhand der Strafverfolgungs- und Strafverurteiltenstatistik Behinderungsbedingte Funktionseinbußen wur- ziehen. Von daher war es richtig, daß wir nicht in ir- den nicht selten den Tätern zugute gehalten. Wegen gendeiner Form befristete Regelungen aufgenom- angeblich mangelnder Gegenwehr wurde dann häu- men haben, weil man ja gar nicht weiß, wie man den fig der Tatbestand der Vergewaltigung verneint. Erfolg solcher Regelungen messen kann. Auch eine Anerkennung der Widerstandsunfähig- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15791

Christina Schenk keit erfolgte in solchen Fällen oft nicht, so daß nicht kunft ausbleibt, was - so glaube ich -jeder schon er- einmal der § 179 zur Anwendung kam. lebt hat, nämlich daß ein gewisses Stammtischniveau erreicht wird, wenn von Vergewaltigung in der Ehe Die wenigsten behinderten Frauen passen in das die Rede ist. Leider Gottes ist es im Moment noch im- Schwarzweißbild der Rechtsprechung, zumindest in mer so, daß nicht nur an Stammtischen recht locker das der bisherigen: In den meisten Fällen sind sie mit diesem Thema umgegangen wird, sondern - ab weder vollständig widerstandsunfähig, noch erfüllen und zu - auch in diesem Hause, nur halt nicht so laut. sie bei einer Vergewaltigung die bisherigen Anforde- rungen an die körperliche Gegenwehr für den § 177 (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. StGB. Mit der Erweiterung der Tatbestandsbeschrei- sowie bei Abgeordneten der SPD, des bung in dem heute zur Abstimmung vorliegenden BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Gesetzentwurf, nämlich „Ausnutzen einer Lage, in PDS - Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos GRÜNEN]: Ja, bei Ihren Kollegen! Leider, ausgeliefert ist", besteht die Hoffnung, daß behinder- Frau Philipp!) ten vergewaltigten Frauen in Zukunft mehr Gerech- tigkeit widerfährt. Ich begrüße ausdrücklich - das Deswegen muß mit diesem Beschluß einhergehen, sehe ich ähnlich wie Frau Leutheusser-Schnarrenber- daß wir dafür Sorge tragen, daß die Ernsthaftigkeit ger -, daß die Frage des Geltungsbereiches des § 177 dieses Themas rüberkommt, und daß immer mehr StGB in der Beschlußempfehlung des federführen- Männer empört sind, wenn ganz locker gesagt wird: den Ausschusses eine explizite Erläuterung erfahren „Na ja, wenn eine Frau nein sagt, meint sie es viel- hat, da dies - ich hoffe das zumindest - für die Kom- leicht doch nicht so! " Das sind ja keine Dinge, die ich mentierung von Gesetzesvorschriften von nicht uner- mir ausgedacht habe, heblicher Bedeutung ist. (Dr. Edith Niehuis [SPD]: Leider nicht!) Unabhängig davon bleibt allerdings die Tatsache sondern die kennt eigentlich jeder. Leider passiert so bestehen, daß das Strafmaß in § 179 StGB geringer etwas trotzdem noch immer viel zu häufig. als das in § 177 StGB ist. Das ist eine klare Wertung: Vergewaltigung widerstandsunfähiger Menschen ist Die heutige Debatte und auch die letzten Debatten weniger strafwürdig als die Vergewaltigung solcher, zu diesem Thema haben gezeigt, daß Gewalt in jeder die zum Widerstand fähig sind. Das wird nach vor- Form zu ächten ist. herrschender Meinung damit begründet, daß der Tä- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der ter bei widerstandsunfähigen Personen ein geringe- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) res Maß an krimineller Energie aufwenden müsse. Diese Sicht spiegelt jedoch ausschließlich die Täter- Das gilt ganz besonders für die Vergewaltigung. perspektive wider. Der Schutz des Opfers und die Liest man alte Plenarprotokolle, so erkennt m an, daß Folgen der Tat für das Opfer bleiben bei dieser Sicht- wir in der Tat erheblich weitergekommen sind. Frau weise völlig außen vor. Bei Eigentumsdelikten wird Schmidt und auch Herr Eylmann haben auf die Lei- das interessanterweise anders gesehen. In § 243 densgeschichte dieses Themas ausdrücklich hinge- StGB wird das Ausnutzen der Hilflosigkeit als Regel- wiesen. Es hat viele Jahre gedauert und vieler An- beispiel des besonders schweren Falls des Diebstahls läufe bedurft, bis Vergewaltigung auch in dem an- definiert und führt dementsprechend zur Strafver- sonsten zu Recht geschützten Raum der Ehe so be- schärfung. nannt und nicht nur als Körperverletzung, Beleidi- gung oder Nötigung unter Strafe gestellt wurde. Das - Trotz des eben beschriebenen Mangels im Gesetz- ist ein qualitativer Unterschied, den wir nicht weg- entwurf wird ihm die Gruppe der PDS zustimmen. diskutieren lassen dürfen. Die Situation vieler betroffener Frauen, insbesondere die von Ehefrauen, wird sich verbessern; davon bin (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der ich überzeugt. Außerdem gibt es die Hoffnung, daß SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sich auch für behinderte Frauen etwas zum Positiven Durch den hier zu beratenden Gesetzentwurf wird hin verändert. die Würde des Menschen und, da die Frau in den Danke schön. meisten Fällen Opfer ist, insbesondere die Würde der Frau in den Vordergrund gestellt. Begriffe wie eheli- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne che Rechte und Pflichten haben sich dieser Bedeu- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tung unterzuordnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Kollegin Beatrix Philipp, CDU/CSU. Auch das ist, glaube ich, wichtig, weil in den Köpfen häufig noch vieles anders ist. Beatrix Philipp (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Vergewaltigung in der Ehe, so glaube ich, ist eine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit ei- besondere Form von Gewalt. Sie hat nicht unbedingt nem Satz beginnen, den Herr Eylmann eben zum mit Kraft, mit physischer Überlegenheit zu tun, sie ist Schluß seiner Ausführungen gebracht hat, nämlich Ausdruck von Rücksichtslosigkeit, Herrschsucht, daß man sich etwas vom Strafrecht verspreche. Ich grenzenlosem Egoismus. Sie entwürdigt, demütigt sage ausdrücklich: Ja, das stimmt. Wie mit vielen an- und verletzt die Frau. Gerade in einer Ehe, die im deren Gesetzen werden auch mit diesem Gesetz der Prinzip auf Dauer angelegt ist, die von Vertrauen Wunsch und die Hoffnung verbunden, daß das in Zu- lebt, von Liebe, von gemeinsamer Verantwortung, 15792 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Beatrix Philipp von Respekt, Toleranz und gegenseitiger Rücksicht darüber sind wir uns alle im klaren - möglich sein, nahme, in einer solchen Beziehung muß Vergewalti Druck auszuüben - das wird auch geschehen, weil es gung als ein besonders strafwürdiges Unrecht gelten. das Zeugnisverweigerungsrecht, das Aussagever- weigerungsrecht, gibt -, aber dann sind wir - und (Beifall im ganzen Hause) das, meine ich, ist ein ganz wesentlicher Unterschied Vergewaltigung liegt immer dann vor, wenn der - schon in einem anderen Stadium des Prozesses. Wille der Frau, ihr sexuelles Selbstbestimmungs- Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion recht, nicht respektiert wird. hat in der zurückliegenden Beratung dem Hauptan- Und dennoch: Obwohl wir uns, wie gesagt, in der liegen Rechnung getragen und einen Gesetzentwurf Hauptsache einig sind, war nach dem Koalitionsent- vorgelegt, der die Vergewaltigung in der Ehe unter wurf eine Regelung vorgesehen, nach der die Tat Strafe stellte. Er enthielt allerdings diese Wider- nicht weiter verfolgt werden mußte, wenn Opfer und spruchsklausel. Mit mir zusammen hatten noch an- Täter verheiratet sind und das Opfer der Strafverfol- dere von Anfang an Bedenken hinsichtlich dieser gung widerspricht - die sogenannte Widerspruchs- Klausel. Wir haben unsere Bedenken aber schließlich klausel. Zwar sollte auch nach dem Koalitionsent- zurückgestellt, weil es ohne diese - meine und an- wurf - das war schon eine Verbesserung; das will ich dere - Stimmen aus meiner Fraktion gar keine ge- wohl zugestehen -, wenn ein besonderes öffentliches setzliche Regelung zur Vergewaltigung in der Ehe Interesse an der Strafverfolgung bejaht würde, diese gegeben hätte. dennoch stattfinden können. Aber auch diese Mög- lichkeit reichte mir persönlich und einigen anderen Nunmehr ergibt sich aber die Möglichkeit, dieses in meiner Fraktion von Anfang an nicht aus. Da hat Gesetz - wortgleich im übrigen mit dem ursprüngli- es auch keiner Instrumentalisierung durch die SPD chen Text des Koalitionsentwurfes; das muß man ja bedurft, wenn ich das in aller Bescheidenheit sagen nun fairerweise sagen - ohne Widerspruchsklausel darf; das brauchen wir nämlich nicht. zu beschließen, und deshalb stimme ich jetzt auch dieser Fassung zu. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.) Ein solches besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung dürfte zum Beispiel dann unter- Ich will aber hinzufügen: Ich respektiere die Mei- stellt werden, wenn der Täter besonders brutal vor- nung derer, die glauben, mit der Widerspruchsklau- gegangen war, die Tat besonders schwere Folgen sel dem Erhalt der Ehe noch einmal eine Chance zu hatte oder der Täter einschlägig vorbestraft ist. Ge- geben, obwohl ich diese Meinung nicht teile, wie ich walt aber, meine Damen und Herren, kann in vielfäl- ausgeführt habe. tiger Weise ausgeübt werden und ist nicht immer nur Frau Schmidt, hier gehört es zur Redlichkeit, daß eine physische Angelegenheit und ist auch nicht im- man darauf hinweist, daß auch die Fraktionen Bünd- mer sofort erkennbar. Wer nicht davor zurück- nis 90/Die Grünen und SPD ursprünglich der Mei- schreckt, seine sexuellen Wünsche unter Verletzung nung waren, die Widerspruchsklausel sei gerechtfer- des sexuellen Selbstbestimmungsrechtes seiner Frau tigt. Erst im Laufe der Beratungen sind die Oppositi- durchzusetzen, wird - davon bin ich überzeugt - onsfraktionen von dieser Auffassung abgerückt. Das auch nicht davor zurückschrecken, Gewalt oder zu- ist eben auch bei uns der Fall. mindest Druck auszuüben, um sie zum Widerspruch- zu bewegen. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Es ist nie zu spät, wenn es das Richtige ist!) Nun mögen sichtbare Folgen der Ausübung von körperlicher Gewalt den Staatsanwalt veranlassen, - Es ist nie zu spät. Ja, eben. das besondere öffentliche Interesse zu bejahen, oder er erkennt, daß der erhobene Widerspruch erzwun- Ich bin mir auch bewußt, daß dieses Gesetz, wie im gen war. Aber, wie gesagt, psychisch ausgeübte Ge- übrigen jedes andere, die Möglichkeit des Miß- walt muß eben nicht so offenkundig sein. brauchs beinhaltet. Auch das ist ein Argument, das man nicht unter den Tisch fallen lassen darf. In der Und noch etwas: Gerichtliche Verfahren ziehen Abwägung jedoch, ob Vergewaltigung in der Ehe sich oft sehr lange hin, Ermittlungsverfahren in prinzipiell strafbar sein sollte oder aber ob ein solches schwer aufklärbaren Fallen oft ein Jahr oder länger. Gesetz, weil es möglicherweise mißbraucht werden Der Widerspruch - so war es im Koalitionsentwurf könnte, nicht beschlossen wird, ist meine Entschei- vorgesehen - sollte bis zum Beginn der Hauptver- dung und die vieler Kolleginnen und Kollegen ein- handlung erhoben werden können. Er setzte damit deutig für die Bestrafung der Vergewaltigung in der das Opfer von Beginn der Ermittlungen an bis zum Ehe. Vergewaltigung in der Ehe muß wie Vergewalti- Beginn der Hauptverhandlungen, wie gesagt, viele gung in jeder anderen Beziehung bestraft werden. Monate, der Gefahr gewaltsamer Einflußnahme Davon sind wir alle überzeugt. durch den Täter aus. Frauen, die sexuelle Gewalt in der Ehe - aus welchen Motiven auch immer - über Vielen Dank. sich ergehen lassen, sind aber schwache Frauen bzw. (Beifall im ganzen Hause) in einer schwachen Position. Deshalb müssen wir die Frauen schützen, und sie bedürfen im besonderen Maße des Schutzes durch unsere Rechtsordnung. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Zwar wird es nach wie vor - darüber bin ich mir und Kollegin Dr. Edith Niehuis, SPD. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15793

Dr. Edith Niehuis (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- Frau den strafrechtlichen Schutz, den sie vom Ge- leginnen und Kollegen! Viele von uns erinnern heute setzgeber erwarten kann. daran, daß wir an diesem Tag durch die Annahme (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne des Gruppenantrages mit großer Mehrheit - so hoffe ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ich inständig - eine parlamentarische Debatte been- und der PDS) den, die über 25 Jahre gedauert hat. Wenn ich die Zeitungen lese, stelle ich fest: Die Kommentare von Längst überfällig ist eine weitere Ergänzung des der „FAZ" bis zur „taz" fordern uns im Parlament § 177, die wir heute ebenfalls vornehmen wollen. Es auf, die Vergewaltigung in der Ehe endlich straf- reicht nicht aus, nur den erzwungenen Beischlaf als rechtlich der außerehelichen Vergewaltigung gleich- Straftatbestand zu erwähnen. Dazu gehören viel- zustellen. mehr auch alle anderen ähnlichen sexuellen Hand- lungen, die das Opfer besonders erniedrigen. ( [Köln] [SPD]: Auch die „FAZ" ?) Auch wenn wir wissen, daß die große Mehrheit der Umfragen zeigen: Die Erwartung in der Bevölkerung Opfer einer Vergewaltigung Frauen sind, ist es ist gleichermaßen. Die öffentliche Meinung hat sich notwendig, die Sexualstrafrechtsparagraphen ge- mittlerweile gewandelt. Auch das können wir als ei- schlechtsneutral zu verfassen. Denn auch Männer nen Erfolg unserer intensiven Debatte ansehen. können Opfer sein und bedürfen des Schutzes des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Gesetzgebers. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) PDS und des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger lingen] [F.D.P.]) Ich begrüße ausdrücklich, daß die bisherigen Ab- stimmungen gezeigt haben, daß wir diese Ergänzun- Als die Diskussion vor etwa 25 Jahren anfing, war gen des Strafrechts mit großer Mehrheit wollen. Mitt- der § 177 des Strafgesetzbuches schon 100 Jahre alt. lerweile gibt es im Bundestag auch eine große Mehr- Das heißt, 100 Jahre lang hatte unser Strafrecht ein heit dafür, die Vergewaltigung innerhalb der Ehe bestimmtes Bild vom Zusammenleben der Ge- ebenso strafbar zu machen wie die außereheliche schlechter geprägt und gestützt - ein Bild, das die Vergewaltigung. Aber an dieser Stelle haben wir Vormachtstellung des Mannes festigte, die für die noch immer einen Diskussionsbedarf. Gesellschaft im Großen wie auch im Kleinen im Hin- blick auf die Ehe galt. Reichsgerichte von damals Sie wissen, die SPD hatte in ihrem ersten Entwurf - scheuten sich nicht, dem Ehemann zuzugestehen, Frau Philipp, Sie haben das gesagt - hinsichtlich der daß er seine Frau zu Geschlechtsverkehr mit Gewalt Vergewaltigung in der Ehe eine Versöhnungsklausel zwingen darf. Diese Tradition wurde von Generation vorgesehen. Die Mehrheit der SPD-Bundestagsfrak- zu Generation weitergetragen und hat im Strafrecht tion war zunächst der Meinung, man müsse dem Ge- bis heute überdauert. richt die Möglichkeit geben, die Strafe zu mildern oder von der Strafe abzusehen, wenn dies im Inter- Wir haben heute die Gelegenheit, diese menschen- esse der Ehe geboten erscheine, die Ehefrau es mit unwürdige Tradition, der Gewalt anhaftet, unter der dem Partner noch einmal versuchen wolle, der ge- sehr viele Frauen bitter gelitten haben und noch lei- walttätige Partner eventuell eine Therapie mache. Es den, gesetzgeberisch zu durchbrechen. Lassen Sie gab auch damals schon kritische Stimmen gegen uns diese Gelegenheit wahrnehmen! diese sogenannte Versöhnungsklausel. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Nach der Anhörung des Rechtsausschusses zu die- GRÜNEN und der PDS) - sem Thema Ende 1995 haben wir die Versöhnungs- Viele Argumente sind im Laufe der letzten Jahre klausel allerdings gestrichen. Das nämlich, was zu- ausgetauscht worden, darunter auch Argumente, die nächst im positiven Sinne als Sonderrecht für die Ehe vom Kern dessen, worum es geht, manchmal sogar oder die Ehemänner aussah, entpuppte sich als ein ablenken sollten. Es hat eine lange Zeit gedauert, bis Sonderrecht für gewalttätige Ehemänner, und dies wir uns über den Gewaltbegriff einigen konnten. So darf es doch nicht geben. manche vergewaltigte Frau hatte vor Gericht keine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ faire Chance, weil sie nicht glaubhaft machen DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der konnte, während der Straftat mit Gefahr für Leib und PDS und der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer Leben bedroht worden zu sein. Ungerechtfertigte [F.D.P.]) Freisprüche für Gewalttäter waren die Folge. Es ist darum außerordentlich wichtig, daß wir heute ge- Das von den Koalitionsfraktionen vorgesehene Wi- meinsam beschließen, diesen engen Beg riff der Ge- derspruchsrecht der Ehefrauen ist um vieles schlim- walt zu erweitern. mer als die Versöhnungsklausel, und insofern, Herr Eylmann, ist dies eben keine drittrangige Frage. Ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ walt, auch sexualisierte Gewalt, findet nicht in intak- DIE GRÜNEN) ten Ehen statt, sondern in schon ausgesprochen ge- Es darf doch nicht weiter gelten, daß sich eine Frau fährdeten Ehen. Eine Ehefrau zeigt erfahrungsgemäß halb totschlagen lassen muß, damit sie eine Verge- einen Ehemann nur an, wenn die Gewalt unerträg- waltigung glaubhaft machen kann. Mit der Ergän- lich eskaliert ist. Diese Frau, die schon lange Opfer zung, daß auch die Ausnutzung einer hilflosen Lage ist, soll nach der Widerspruchsregelung die Möglich- die Straftat begründen kann, kommen wir der Wirk- keit bekommen, ihre Anzeige zurückzunehmen. Es lichkeit näher und geben damit der vergewaltigten liegt doch auf der Hand, daß auf diese Frau durch 15794 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Dr. Edith Niehuis den angezeigten Ehemann oder durch andere Fami- zielt, den Schutz geistig oder körperlich behinderter lienmitglieder Druck oder Gewalt ausgeübt wird, da- Menschen, deren Widerstandsfähigkeit einge- mit sie diesen Schritt, die Anzeige zurückzunehmen, schränkt ist, vor erzwungenen sexuellen Übergriffen auch tut. Das Widerspruchsrecht hat nichts mit einem zu verbessern. Der § 179 wird von uns als zusätzli- Selbstbestimmungsrecht der Frauen zu tun, sondern cher Strafschutz verstanden, um möglicherweise ganz im Gegenteil: Es ist ein Sonderrecht für gewalt- noch verbleibende Strafbarkeitslücken zu schließen. tätige Ehemänner zu Lasten der Frauen. Ich glaube, diese Klarstellung ist heute besonders wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Sie hatten in Ihrem Koalitionsentwurf vor, dieses äu- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ßerst fragwürdige Sonderrecht nicht nur für Delikte und der PDS) wie Vergewaltigung einzuführen, sondern auch noch für Nötigung und Körperverletzung. Solch ein Son- Lassen Sie mich zum Schluß den vielen danken, derrecht gehört nicht in ein Strafgesetzbuch. die diese langwierige Debatte über Jahre hinweg verfolgt und uns beharrlich aufgefordert haben, den Eines bitte ich Sie ebenfalls zu bedenken: Psycho- § 177 zu ändern. Insbesondere möchte ich natürlich loginnen weisen ausdrücklich darauf hin, daß der den Frauenverbänden danken. Sie haben sich einge- Widerspruch keine Hoffnung auf ein besseres Ehele- mischt, sie waren nicht passiv, sondern Teil einer le- ben danach macht. Ganz im Gegenteil: Das dadurch bendigen Demokratie. Dieses Engagement ist vor- zum Ausdruck gekommene Verzeihen der Gewaltan- bildlich und sollte von uns ausdrücklich gewürdigt wendung ermutigt zu weiterer Gewalt, heizt die Ge- werden. waltspirale in der Fami lie geradezu an. Dabei sind es dann nicht nur die Ehefrauen, die Opfer dieser Ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ waltspirale sind, sondern auch die Kinder, die in die- DIE GRÜNEN) sem gewalttätigen Umfeld groß werden und damit Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele haben uns von Kindesbeinen an Gewalt als Mittel zur Konflikt- geschrieben und gesagt, was sie von uns erwarten, lösung kennenlernen. Wir alle wissen, daß dies ver- nämlich den Gruppenantrag mit großer Mehrheit zu herende Auswirkungen auf die Persönlichkeitsent- beschließen. Lassen Sie uns das heute auch tun! wicklung von Kindern haben kann. Solch eine Situa- tion dürfen wir nicht durch rechtliche Rahmenbedin- (Beifall im ganzen Hause) gungen unterstützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ Präsidentin, Frau Professor Rita Süssmuth. DIE GRÜNEN und der PDS) Das sind die Gründe, meine Damen und Herren, Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU): Herr Präsident! warum wir so sehr darauf bestanden haben, daß Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich entschuldige heute ein Gruppenantrag vorgelegt wird, der keine mich zunächst, daß ich erst jetzt zur Debatte komme; Widerspruchsregelung enthält. aber wir haben bis eben im Ältestenrat über die wei- tere Tagesordnung beraten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wie geht es Dieser Gruppenantrag ist ein Kompromiß.- Sie wis- denn weiter?) sen, wir favorisieren nach wie vor eine gesetzliche Regelung, die sexuelle Nötigung und Vergewalti- - Es geht weiter. Wir haben morgen ab 15 Uhr eine gung nicht zu einem einheitlichen Tatbestand zu- Sitzung. sammenfaßt, wie im Gruppenantrag vorgesehen. So Zurück zum Tagesordnungspunkt. - Für mich ist ist der bisherige selbständige Tatbestand der Verge- dies der Abschluß einer Debatte, die mehr als waltigung nur noch ein in der Regel besonders 20 Jahre währt. Ich bin seit zwölf Jahren dabei. Da- schwerer Fall der sexuellen Nötigung. mals habe ich erste Referentenentwürfe mit vertre- ten, mit vorangetrieben. Immer wieder hieß es: Die- Wir stellen unsere Bedenken zurück und schließen ses Gesetz wollen wir nicht. uns der Vorlage der Regierungskoalition an, weil wir möchten, daß diese überfällige Strafrechtsänderung Hierbei geht es nicht um irgendeine zweitrangige heute mit großer Mehrheit beschlossen werden Sache, sondern für mich geht es um nicht weniger als kann. um ein Kernstück der Menschenrechts- und Gleich- berechtigungspolitik, weil es im tiefsten Kern um die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Würde von Frauen geht. ten der CDU/CSU und des BÜNDNIS SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Um allerdings jegliche Unklarheit zu beseitigen, möchte ich eine Entschließung des Ausschusses für Ich sage hier noch einmal: Die Debatte und der Familie, Senioren, Frauen und Jugend hier beson- Weg waren unendlich lang, so wie wir es bei Frauen- ders erwähnen, auch auf Grund einiger Debattenbei- fragen häufig erleben. Offenbar ging es um einen träge vorher. Wie der Bundesjustizminister gehen wir sehr tabuisierten Bereich. Permanent wurde die Ehe davon aus, daß der erweiterte Gewaltbegriff in § 177 - gegen den Schutz der Frau ausgespielt. Wo aber das Ausnutzen einer hilflosen Lage - auch darauf müßte der Schutz der Frau größer sein als gerade in Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15795

Dr. Rita Süssmuth der Ehe? Deswegen waren diejenigen, die sich für Dies geht weit mehr, als wir es gegenwärtig sehen, eine gesetzliche Regelung ausgesprochen haben, im- in die Geschichte der Frauenpolitik und, wie ich mer dann, wenn gesagt wurde, das gebe es im Straf- hoffe, der Partnerschaftspolitik ein; denn es handelt recht schon, der Meinung, gerade do rt müsse klarge- sich um ein Stück Bewußtseinsbildung. Es geht uns stellt werden, daß Gewalt im intimsten Bereich zwi- Frauen nicht ums Strafrecht. Das Strafrecht ist dafür schen zwei Menschen absolut nichts verloren hat. Sie da, um durch Bewußtseinsbildung ein Rechtsgut zu hat nirgendwo etwas verloren, und in diesem Bereich schützen. Um das Rechtsgut der Unverletzbarkeit ist sie mit allen uns zur Verfügung stehenden Mög- der Person, der Achtung ihrer Würde und der Ächt- lichkeiten zu ächten. ung jeder Gewalt geht es uns. Wir wissen, daß durch Strafe wahrscheinlich den wenigsten geholfen ist. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und Sie hat aber eine abschreckende und bewußtseinsbil- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dende Wirkung. Wenn wir in dieser Debatte und der Wenn in diesem Zusammenhang auch in der öf- nachfolgenden namentlichen Abstimmung heute fentlichen Diskussion das Wort vom Seelenmord ver- endlich zu einem Mehrheitsbeschluß kommen, ist wandt worden ist, dann, denke ich, ist etwas sehr das ein wichtiges Kapitel. Dies schließt die Absicht Wichtiges angesprochen worden. Das geht sehr viel von uns allen ein, Widerstandslose nicht schlechter tiefer als äußere Verletzungen. Das trifft den Kern zu stellen als diejenigen, die Widerstand leisten kön- des Menschen. nen. In diesem Sinne möchte ich danken, auch dafür, daß wir die Möglichkeit erhalten haben, das zu tun, Lange Zeit ist gesagt worden, dies sei ein Kavaliers- was wir unserer Überzeugung nach tun möchten. delikt und die Frauen hätten den Männern zur Verfü- gung zu stehen. Dies ist völlig abwegig. Ich halte es Ich danke Ihnen. für verächtlich, daß wir so lange brauchten, um das (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem Selbstverständliche zu tun. Viele haben dazu beige- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) tragen. Ich möchte auch sagen, daß ich nicht hier stehe, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat um mein Abstimmungsverhalten im vergangenen jetzt die Kollegin E rika Simm, SPD. Jahr zu verbergen. Ich habe geraume Zeit - wenn auch nicht aus innerer Überzeugung, sondern um Erika Simm (SPD): Sehr verehrter Herr Präsident! das Gesetz zum Abschluß zu bringen - der Wider- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte spruchsregelung zugestimmt. Ich sage nicht, daß das nicht zuletzt deswegen noch einmal einiges zu der der beste Weg war. Ich möchte - bei allem Respekt Problematik des * 179 StGB sagen, weil ich aus eini- davor, was in Beziehungen zwischen Menschen gen der bisherigen Beiträge den Eindruck gewonnen möglich sein muß: Versöhnung, Zeugnisverweige- habe, daß noch immer manches ein wenig unklar ist. rungsrecht - ausdrücklich unterstreichen: Die Erfah- rungen zeigen, daß es eben nicht einmalige Gewalt, Ich möchte vorausschicken, weil ich denke, daß es daß es kein Ausrutscher ist, sondern daß dies Wieder- gut ist, Fehler einzugestehen, daß wir uns im Rah- holungstaten sind, in die auch die Kinder einbezogen men dieser Reform des Sexualstrafrechtes mit dem werden. Gerade der Aufschrei derjenigen, die am §179 - „Sexueller Mißbrauch widerstandsunfähiger meisten unter Gewalt leiden und sagen: „Wir wollen Personen" - lange Zeit nur eher beiläufig befaßt ha- dieses Widerspruchsrecht nicht, weil es uns erneut ben. Wir haben sie als bloße Folgeänderung wahrge- unter Druck setzt", ist für mich so überzeugend, daß nommen und es dabei ein Stück weit an der notwen- ich meine: Es hat sich gelohnt, daß viele darum ge- digen Aufmerksamkeit und Sensibilität dieser beson- rungen haben, daß wir als Frauen in diesem Grup- deren Opfergruppe, die durch § 179 StGB geschützt penantrag zu einer gemeinsamen Lösung kommen. wird, fehlen lassen. Ich erkläre das für meine Person; ich habe das nachträglich erkannt. Uns hat das in (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der den letzten Monaten Kritik, manchmal sogar heftige SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kritik, eingetragen. Dabei möchte ich anmerken, daß Sie werden verstehen, daß ich hier insbesondere einiges an dieser Kritik unberechtigt war, weil außer meiner Kollegin Irmgard Karwatzki danke, acht gelassen wurde, daß wir durch die Neufassung des § 179 Strafgesetzbuch gerade auch den Schutz (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der kranker und behinderter Menschen, die sich nicht SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wehren können, wesentlich verbessert haben. Be- die durch ihr Engagement und den Beschluß des rechtigt ist diese Kritik, wenn sie daran ansetzt, daß Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der Frauen- auch in der neuen Formulierung noch immer der Be- union maßgeblich Einfluß auf unsere politisch-parla- griff des Schwachsinns gebraucht wird, der zweifels- mentarischen Entscheidungen genommen hat. frei diskriminierend ist, und daß ein geringes Straf- maß im § 179 ein geringeres Unrecht als bei der sexu- Ich will nicht zurückschauen, sondern nach vorne ellen Nötigung und Vergewaltigung signalisiert. schauen. Ich bin froh, daß wir - auf Grund der koope- rativen und immer wieder neu in Angriff genomme- In der Debatte der ersten Lesung erfolgte die Anre- nen Initiativen von Ulla Schmidt - eine gute Lösung gung und wurde die Erwartung ausgesprochen, daß gefunden haben. sich der Rechtsausschuß noch einmal mit dem § 179 befassen und Änderungen vornehmen würde. Das ist (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE so aus verschiedenen Gründen nicht geschehen. So GRÜNEN und der F.D.P.) sollte das Projekt „Gruppenantrag" nicht gefährdet 15796 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Erika Simm werden. Auch hatte ich sehr stark das Bedürfnis, daß Gleichbehandlung sexueller Gewalt innerhalb und wir in Ruhe beraten. Dazu hatten wir keine Zeit. außerhalb der Ehe. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Auf das, was wir getan haben, ist schon mehrfach DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der hingewiesen worden. Wir haben eine Klarstellung, F.D.P. und der PDS) eine Hilfe zur Auslegung des § 177, in den Ausschuß- bericht - das ist die richtige Stelle, um so etwas anzu- bringen - aufgenommen, aus der sich ergibt, daß ein Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat Großteil der Menschen, von denen behauptet wird, Frau Ministerin Karin Schube rt, Sachsen-Anhalt. sie würden durch § 177 nicht hinreichend geschützt, erfaßt wird. Ministerin Karin Schubert (Sachsen-Anhalt): Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Halten wir noch einmal fest: Durch die vorgese- Trotz der sensiblen Problematik, über die der Bun- hene Erweiterung des § 177 StGB um die Tathand- destag heute entscheiden soll, und der auch mir be- lung des Ausnutzens einer hilflosen Lage des Opfers kannten inflationären Verbreitung großer Worte wird eine Vielzahl von Fällen erfaßt, die bisher unter möchte ich ganz bewußt - wie auch meine Vorredner § 179 gefallen sind. Das Opfer befindet sich danach Herr Eylmann und Frau Leutheusser-Schnarrenber- nämlich auch dann in einer hilflosen Lage, wenn es ger - das Wort von einer „historischen Entscheidung sich wegen einer körperlichen Behinderung nicht des Bundestages" benutzen. wehren kann. Gibt es zu erkennen, daß es mit der vom Täter beabsichtigten sexuellen Handlung nicht Wie Sie wissen, habe ich mich im Bundesrat, im einverstanden ist, und setzt sich der Täter einfach Landtag von Sachsen-Anhalt, aber auch in einem darüber hinweg, so macht er sich einer sexuellen Nö- Brief an alle Abgeordneten der Regierungskoalition tigung oder einer Vergewaltigung schuldig und wird und in vielfältiger anderer Weise von Anfang an ve- nach der neuen Vorschrift entsprechend bestraft. hement gegen die Widerspruchsklausel ausgespro- chen, weil ich der Auffassung war und bin, daß sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD) weder dem Schutz der Ehe dient noch die Interessen- lage der Opfer in angemessener Weise berücksich- tigt. Durch § 177 in der neuen Fassung nicht geschützt sind somit nur Opfer, die nicht fähig sind, einen ent Wer durch eine Vergewaltigung den Wert und die egengerichteten Willen zu bilden oder so zu artiku- Bedeutung der ehelichen Lebensgemeinschaft in lieren, daß er wahrnehmbar wird. Hier, denke ich, gröbster Weise mißachtet, kann nicht gleichzeitig sollten wir noch einmal ansetzen. Ich war der Mei- den Schutz jener Verfassungsregelung für sich bean nung, wir wären überfordert gewesen, dies in einer spruchen, die er durch seine Tat verletzt. einzigen Ausschußsitzung sauber zu formulieren, weil wir noch einiges andere zu erledigen hatten. (Beifall bei der SPD .sowie bei Abgeordne ten der PDS) Wir haben auch Anlaß zu einer erneuten Beschäfti- Vergewaltigung unabhängig davon, wo und wie sie gung damit. Es gibt bereits einen Gesetzentwurf des geschieht, ist ein schweres Verbrechen und forde rt Bundesjustizministers, der § 179 in einem anderen den uneingeschränkten Schutz durch die dazu beru- Zusammenhang aufgreift. Ich würde dafür plädieren, fenen staatlichen Stellen. daß wir uns bemühen, eine Tatbestandsformulierung-g- zu finden, die nicht mehr an der Widerstandsunfä- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, für dessen higkeit anknüpft, weil durch die Änderung von § 177 Zustandekommen ich an dieser Stelle allen daran be- dies nicht mehr das entscheidende Krite rium für die teiligten Abgeordneten des Deutschen Bundestages Unterscheidung zwischen den Opfergruppen des danken möchte, geht nach jahrelanger, jahrzehnte- § 177 und des § 179 ist. Bei § 179 geht es, wie gesagt, langer quälender Diskussion von dieser Stelle end- um Opfer, die nicht in der Lage sind, einen entgegen lich ein notwendiges, deutliches und unmißverständ- erichteten Willen zu bilden und diesen -gzu artikulie- liches Signal aus, das da lautet: Mit der Eheschlie- ren. ßung wird die Frau nicht zum Objekt des Mannes. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Ich bitte Sie herzlich, wieder mitzuhelfen, daß wir GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord konsensual zu einer guten, neuen Regelung des § 179 neten der CDU/CSU und der F.D.P.) kommen - und das bald. Wir sollten eine Regelung finden, die diesen besonders hilfs- und schutzbedürf- Kein Ehemann hat einen Anspruch oder gar ein tigen Opfern einen umfassenden Strafrechtsschutz Recht auf die Ehefrau, auch nicht auf deren Körper. gewährt. Gewalt in der Ehe ist nicht länger Privatsache, denn die Institution der Ehe ist kein rechtsfreier Raum (Beifall der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk mehr. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit diesem Gesetz, durch das vergewaltigte Frauen nicht mehr einem Gewissenskonflikt oder Ansonsten bitte ich Sie ganz herzlich: Stimmen Sie psychischen Druck ausgesetzt werden können, weil dem Gruppenantrag zu! § 179 ist kein Grund, das sie auf die Behandlung des Strafverfahrens - wie bei nicht zu tun. Helfen Sie mit, daß wir endlich ein seit jedem anderen Verbrechen - keinen Einfluß mehr 20 Jahren verfolgtes Ziel erreichen, nämlich die haben, wird die Institution der Ehe gestärkt und end- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15797

Ministerin Karin Schubert (Sachsen-Anhalt) lich auch das Selbstbestimmungsrecht der Frauen schen dazu bei, daß das enge Verhältnis zwischen umfassend geschützt. unseren beiden Ländern auch in Zukunft - in unserer gemeinsamen Zukunft - gestärkt wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Wir wissen alle, daß beide Länder, die Vereinigten und der PDS) Staaten von Amerika und die Bundesrepublik Deutschland, vor erheblichen Herausforderungen Die wichtige und notwendige breite Zustimmung stehen. Sowohl do rt wie hier gibt es beachtliche dieses Hohen Hauses, die ich mir wünsche und er- Haushaltsprobleme. Gleichwohl nutze ich diese be- hoffe, wäre ein historisches Signal an unsere Gesell- sondere Gelegenheit, um von hier aus an unsere Kol- schaft zur umfassenden Ächtung sexueller Gewalt in leginnen und Kollegen im amerikanischen Kongreß jeder Form. Auf dieses Signal - das weiß ich auch aus wie an uns selber zu appellieren, dieses Programm unzähligen Gesprächen mit Frauen und anderen Op- unbedingt im bisherigen Umfang fortzuführen. fern sexueller Gewalt - warten sehr viele Menschen, zu deren Vertretung wir hier berufen sind. Nutzen (Lebhafter Beifall im ganzen Hause) wir diese Stunde! Ich bitte Sie darum. Ich nutze die Gelegenheit auch, um mich bei den Im übrigen finde ich die Unruhe dieses Hauses ge- Kolleginnen und Kollegen des Bundestages sehr genüber der nicht vorhandenen Unruhe im Bundes- herzlich für Bereitschaft zu bedanken, immer wieder rat sehr positiv, zeigt sie mir doch, daß jetzt endlich neue Patenschaften für deutsche und amerikanische eine genügend große Anzahl von Männern auch aus Stipendiaten zu übernehmen. den Reihen der CDU/CSU und F.D.P. im Hause ist, Für morgen wünsche ich den Stipendiaten viel um diesem Gesetz eine deutliche Mehrheit zu ver- Freude. Möge Ihnen das nun bald zu Ende gehende schaffen. Austauschjahr in Deutschland in guter Erinnerung Ich danke Ihnen. bleiben und sie beflügeln, die guten Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern auch zu ihrer ei- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE genen Sache zu machen. Herzlich willkommen! GRÜNEN und der PDS sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]) (Beifall im ganzen Hause) Bevor wir zur Abstimmung kommen, teile ich mit, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die daß die Kollegin Maria Eichhorn, die Kollegin Sigrun Aussprache. Löwisch und der Kollege Dr. Max Stadler Erklärun- Bevor wir zur Abstimmung kommen, bitte ich ei- gen nach § 31 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung zu nen Augenblick um Aufmerksamkeit. Auf der Ehren- Protokoll geben.*) tribüne haben drei amerikanische Jugendliche Platz Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den genommen. Sie gehören zu den 400 amerikanischen von den Abgeordneten Ulla Schmidt, Irmingard Schülerinnen und Schülern und jungen Berufstäti- Schewe-Gerigk, Vera Lengsfeld, Sabine Leutheus- gen, die im Rahmen des Parlamentarischen Paten- ser-Schnarrenberger und weiteren Abgeordneten schafts-Programmes ein Jahr in Deutschland gelebt eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungs- haben. gesetzes. Das ist die Drucksache 13/7324. Der (Beifall im ganzen Hause) Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/7663, den Gesetzentwurf unverände rt anzunehmen. Warum erwähne ich das heute ausnahmsweise?- Ich erwähne es, verehrte Kolleginnen und Kollegen, (Große Unruhe) weil mit dieser Gruppe die Zahl von 10 000 Teilneh- - Ich will versuchen, bei diesem Gewusel die Abstim- mern erreicht und überschritten wird. mung durchzuführen. Wenn es nicht geht, muß ich (Anhaltender Beifall im ganzen Hause) Sie bitten, wieder Platz zu nehmen. Stellvertretend für alle diesjährigen Stipendiaten des Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- Parlamentarischen Patenschafts-Programms möchte stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt ich heute hier begrüßen: die 9999. Teilnehmerin, Kri- dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist stina Bass aus Kalifornien, damit in zweiter Beratung von der großen Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages bei (Beifall im ganzen Hause) einigen Gegenstimmen aus den Reihen der CDU/ die 10 000. Teilnehmerin, Nicole Myers aus Pennsyl- CSU und einigen Stimmenthaltungen aus den Rei- vania, hen der CDU/CSU angenommen. (Beifall im ganzen Hause) Dritte Beratung und den Teilnehmer 10001, B rian Blake aus Connec- und Schlußabstimmung. Die Fraktion der SPD ver- ticut. langt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen (Beifall im ganzen Hause) Plätze einzunehmen. - Darf ich fragen, ob alle Urnen besetzt sind? - ich gehe davon aus, daß alle Urnen Das Parlamentarische Patenschafts-Programm, das besetzt sind. Dann eröffne ich die Abstimmung. - 1983 vom amerikanischen Kongreß und dem Deut- schen Bundestag ins Leben gerufen wurde, trägt mit seiner besonderen Konzentration auf junge Men- *) Anlage 2 15798 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Darf ich fragen, ob alle anwesenden Mitglieder des Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Hauses ihre Stimmkarte eingeworfen haben? - Norbert Röttgen Dirk Fischer (Hamburg) Volker Rühe Nochmal die Frage: Ist noch ein Mitglied des Hau- (Unna) Dr. Jürgen Rüttgers ses anwesend, das seine Stimmkarte nicht abgege- Ortrun Schätzle ben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Erich G. Fritz Dr. Wolfgang Schäuble Michaela Geiger Heinz Schemken Bevor ich die Abstimmung schließe, weise ich noch Wilma Glücklich Andreas Schmidt (Mülheim) einmal vorsorglich darauf hin, daß das Präsidium ge- Peter Götz Birgit Schnieber-Jastram nochmals ausdrücklich festgestellt hat, daß Hermann Gröhe Dr. Andreas Schockenhoff stern Claus-Peter Grotz Dr. nach Schluß der Abstimmung abgegebene Stimm- Horst Günther (Duisburg) Reinhard Freiherr von karten nicht als gültige Stimmen gewertet werden Manfred Heise Schorlemer können. Dr. Renate Hellwig Dr. Erika Schuchardt Frederick Schulze Ich schließe jetzt die Abstimmung. Ich bitte die Hubert Hüppe (Sangerhausen) Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- Peter Jacoby Diethard Schütze (Berlin) lung zu beginnen. Michael Jung (Limburg) Dr. Christian Schwarz- Schilling Ich halte es, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Dr. Harald Kahl Marion Seib für angemessen, wenn wir die Sitzung des Bundesta- Steffen Kampeter Wilfried Seibel ges fünf Minuten bis zur Bekanntgabe des Stimmer- Dr.-Ing. Dietmar Kansy gebnisses unterbrechen. - Bärbel Sothmann Irmgard Karwatzki Dr. Rita Süssmuth Ich unterbreche die Sitzung für fünf Minuten. Peter Keller Dr. Susanne Tiemann Eckart von Klaeden Dr. Klaus Töpfer (Unterbrechung von 18.03 bis 18.11 Uhr) Dr. Bernd Klaußner Gottfried Tröger Ulrich Klinkert Wolfgang Vogt (Duren) Norbert Königshofen Dr. Horst Waffenschmidt Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Die unterbro- Eva-Maria Kors Kersten Wetzel chene Sitzung wird fortgesetzt. Hartmut Koschyk Bernd Wilz Manfred Koslowski Willy Wimmer (Neuss) Ich gebe das von den Schriftführern und Schrift- Thomas Kossendey führerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Andreas Krautscheid Michael Wonneberger Abstimmung über den von den Abgeordneten Ulla Arnulf Kriedner Elke Wülfing Schmidt, Irmingard Schewe-Gerigk, Vera Lengsfeld Heinz-Jürgen Kronberg und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurf Dr.-Ing. Paul Krüger eines Strafrechtsänderungsgesetzes - §§ 177 bis SPD 179 StGB - bekannt. Das sind die Drucksachen 13/ Dr. 7324 und 13/7663. Abgegebene Stimmen: 644. Mit Ja Vera Lengsfeld haben gestimmt: 471. Werner Lensing Robert Antretter (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Peter Letzgus Hermann Bachmaier GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord Editha Limbach neten der CDU/CSU und der F.D.P.) Walter Link (Diepholz) Wolfgang Lohmann Mit Nein haben gestimmt: 138. Enthaltungen: 35. Da- (Lüdenscheid) Ingrid Becker-Inglau - mit ist der Gesetzentwurf angenommen. Julius Louven Hans Berger Sigrun Löwisch Hans-Werner Bertl (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des Erich Maaß (Wilhelmshaven) Friedhelm Julius Beucher BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Dr. Dietrich Mahlo Rudoll Bindig PDS) Günter Marten Arne Börnsen (Ritterhude) Wolfgang Meckelburg Anni Brandt-Elsweier Dr. Dr. Dr. Rudolf Meyer (Winsen) Endgültiges Ergebnis Dr. Sabine Bergmann-Pohl Ursula Burchardt Dr. Meinolf Michels Hans Martin Bury Abgegebene Stimmen: 643 Dr. Gerd Müller Hans Büttner (Ingolstadt) davon: Dr. Maria Böhmer Johannes Nitsch Marion Caspers-Merk ja: 470 Wolf-Michael Catenhusen Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr. Rolf Olderog Peter Conradi nein: 138 Norbert Otto (Erfurt) Dr. Herta Däubler-Gmelin enthalten: 35 Dr. Gerhard Päselt Christel Deichmann Hartmut Büttner Karl Diller (Schönebeck) Dr. Friedbert Pflüger Dr. Marliese Dobberthien Ja Beatrix Philipp Peter Dreßen Rudolf Dreßler (Nordstrand) Freimut Duve CDU/CSU Marlies Pretzlaff Ludwig Eich Peter Enders Helmut Rauber Dr. Alfred Dregger Christa Reichard (Dresden) Petra Ernstberger Anneliese Augustin Dr. Bertold Reinartz Annette Faße Heinz-Günter Bargfrede Horst Eylmann Erika Reinhardt Elke Ferner Dr. Lothar Fischer (Homburg) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15799

Vizenräsident Hans - Ulrich Klose Klaus Lennartz Volkmar Schultz (Köln) Gerald Häfner Iris Follak Dr. Elke Leonhard Ilse Schumann Antje Hermenau Norbert Formanski Klaus Lohmann (Witten) Dr. R. Werner Schuster Kristin Heyne Christa Lörcher Dietmar Schütz (Oldenburg) Ulrike Höfken Anke Fuchs (Köln) Erika Lotz Dr. Angelica Schwall-Düren Monika Knoche Katrin Fuchs (Verl) Dr. Ernst Schwanhold Dr. Angelika Köster-Loßack Arne Fuhrmann Dieter Maaß (Herne) Rolf Schwanitz Monika Ganseforth Winfried Mante Bodo Seidenthal Dr. Helmut Lippelt Norbert Gansel Dorle Mani Lisa Seuster Oswald Metzger Konrad Gilges Ulrike Mascher Horst Sielaff Kerstin Müller (Köln) Iris Gleicke Erika Simm Günter Gloser Ingrid Matthäus-Maier Johannes Singer Christa Nickels Uwe Göllner Heide Mattischeck Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Egbert Nitsch (Rendsburg) Günter Graf (Friesoythe) Wieland Sorge Cern Özdemir Angelika Graf (Rosenheim) Ulrike Mehl Wolfgang Spanier Gerd Poppe Dieter Grasedieck Herbert Meißner Dr. Dietrich Sperling Simone Probst Achim Großmann Jörg-Otto Spiller Halo Saibold Karl Hermann Haack Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Christine Scheel (Extertal) Ursula Mogg Dr. Peter Struck Irmingard Schewe-Gerigk Hans-Joachim Hacker Siegmar Mosdorf Joachim Tappe Wolfgang Schmitt Klaus Hagemann Michael Müller (Düsseldorf) Jörg Tauss (Langenfeld) Manfred Hampel Jutta Müller (Völklingen) Dr. Bodo Teichmann Ursula Schönberger Christel Hanewinckel Christian Müller (Zittau) Jella Teuchner Waltraud Schoppe Alfred Hartenbach Volker Neumann (Bramsche) Dr. Gerald Thalheim Christian Sterzing Dr. Liesel Hartenstein Gerhard Neumann (Gotha) Wolfgang Thierse Manfred Such Klaus Hasenfratz Dr. Edith Niehuis Franz Thönnes Dr. Antje Vollmer Dr. Ingomar Hauchler Dr. Rolf Niese Uta Titze-Stecher Ludger Volmer Dieter Heistermann Doris Odendahl Adelheid Tröscher Helmut Wilhelm (Amberg) Reinhold Hemker Günter Oesinghaus Hans-Eberhard Urbaniak Margareta Wolf (Frankfurt) Rolf Hempelmann Leyla Onur Siegfried Vergin Dr. Barbara Hendricks Manfred Opel Günter Verheugen Monika Heubaum Adolf Ostertag (Pforzheim) F.D.P. Uwe Hiksch Kurt Palis Karsten D. Voigt (Frankfurt) Reinhold Hiller (Lübeck) Albrecht Papenroth Josef Vosen Ina Albowitz Stephan Hilsberg Dr. Winfried Penner Hans Georg Wagner Dr. Gerd Höfer Dr. Dr. Konstanze Wegner Günther Bredehorn Jelena Hoffmann (Chemnitz) Georg Pfannenstein Wolfgang Weiermann Gisela Frick Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eckhart Pick Reinhard Weis (Stendal) Ingrid Holzhüter Joachim Poß Matthias Weisheit Hans-Dietrich Genscher Erwin Horn Rudolf Purps Gunter Weißgerber Ulrich Heinrich Eike Hovermann Karin Rehbock-Zureich (Wiesloch) Walter Hirche Lothar Ibrügger Margot von Renesse Jochen Welt Birgit Homburger Wolfgang Ilte Renate Rennebach Hildegard Wester Dr. Barbara Imhof Otto Reschke Lydia Westrich Dr. Brunhilde Irber Bernd Reuter Inge Wettig-Danielmeier Detlef Kleinert (Hannover) Gabriele Iwersen Dr. Edelbert Richter Dr. Norbert Wieczorek Dr. Heinrich L. Kolb Renate Jäger Günter Rixe Helmut Wieczorek Jürgen Koppelin Jann-Peter Janssen Reinhold Robbe (Duisburg) Sabine Leutheusser- Ilse Janz Gerhard Rübenkönig Heidemarie Wieczorek-Zeul Schnarrenberger Dr. Uwe Jens Marlene Rupprecht Dieter Wiefelspütz Lisa Peters Volker Jung (Düsseldorf) Dr. Hansjörg Schäfer Berthold Wittich Dr. Günter Rexrodt Sabine Kaspereit Gudrun Schaich-Walch Dr. Wolfgang Wodarg Dr. Klaus Röhl Susanne Kastner Dieter Schanz Verena Wohlleben Cornelia Schmalz-Jacobsen Ernst Kastning Rudolf Scharping Hanna Wolf (München) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Hans-Peter Kemper Bernd Scheelen Heidi Wright Dr. Irmgard Schwaetzer Klaus Kirschner Dr. Dr. Max Stadler Marianne Klappert Siegfried Scheffler Dr. Christoph Zöpel Dr. Dieter Thomae Siegrun Klemmer Horst Schild Peter Zumkley Jürgen Türk Hans-Ulrich Klose Dr. Wolfgang Weng Dr. Hans-Hinrich Knaape Dieter Schloten (Gerlingen) Günter Schluckebier BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Fritz Rudolf Körper Horst Schmidbauer Nicolette Kressl (Nürnberg) Gila Altmann (Aurich) PDS Volker Kröning Ulla Schmidt (Aachen) Elisabeth Altmann Thomas Krüger (Meschede) (Pommelsbrunn) Wolfgang Bierstedt Horst Kubatschka Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (Bremen) Petra Bläss Eckart Kuhlwein Regina Schmidt-Zadel Volker Beck (Köln) Maritta Böttcher Helga Kühn-Mengel Heinz Schmitt (Berg) Angelika Beer Eva Bulling-Schröter Konrad Kunick Dr. Emil Schnell Heinrich Graf von Einsiedel Christine Kurzhals Walter Schöler Annelie Buntenbach Dr. Ludwig Elm Dr. Uwe Küster Amke Dietert-Scheuer Dr. Dagmar Enkelmann Werner Labsch Gisela Schröter Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Brigitte Lange Dr. Mathias Schube rt Dr. Uschi Eid Dr. Gregor Gysi Detlev von Larcher Schuhmann Richard Andrea Fischer (Berlin) Hanns-Peter Hartmann Waltraud Lehn (Delitzsch) Joseph Fischer (Frankfurt) Dr. Uwe-Jens Heuer Robert Leidinger Brigitte Schulte (Hameln) Rita Grießhaber Dr. Barbara Höll 15800 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Dr. Willibald Jacob Bartholomäus Kalb Erika Steinbach Renate Blank Dr. Wolfgang Freiherr von Gerhard Jüttemann Hans-Ulrich Köhler Stetten Klaus Bühler (Bruchsal) Dr. Heidi Knake-Werner (Hainspitz) Dr. Werner Dörflinger Rolf Köhne Manfred Kolbe Max Straubinger Susanne Jaffke Strebl Rolf Kutzmutz Rudolf Kraus Matthäus Dr. Egon Jüttner Dr. Christa Luft Wolfgang Krause (Dessau) Michael Stübgen Herbert Lattmann Heidemarie Lüth Reiner Krziskewitz Egon Susset Dr. Günther Maleuda Dr. Hermann Kues Michael Teiser Eduard Lintner Manfred Müller (Berlin) Dr. Karl A. Lamers Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Dr. Manfred Lischewski Rosei Neuhäuser (Heidelberg) Gunnar Uldall Rudolf Meinl Dr. Uwe-Jens Rössel Dr. Theodor Waigel Hans-Wilhelm Pesch Christina Schenk Dr. Paul Laufs Dr. Jürgen Warnke Ulrich Petzold Steffen Tippach Karl-Josef Laumann Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Rolf Rau Klaus-Jürgen Warnick Dr. Klaus W. Lippold Dr. Dr. Norbert Rieder Dr. Winfried Wolf (Offenbach) Dagmar Wöhrl Dr.-Ing. Joachim Schmidt Gerhard Zwerenz Peter Kurt Würzbach (Halsbrücke) Dr. Michael Luther Wolfgang Zeitlmann Gerhard Schulz (Leipzig) Benno Zierer Margarete Späte Fraktionslose Dr. Martin Mayer Wolfgang Zöller (Siegertsbrunn) Andreas Storm Kurt Neumann (Berlin) Dr. Alois Graf von Waldburg-Zeil Friedrich Merz F.D.P. Gert Willner Elmar Müller (Kirchheim) Nein Engelbert Nelle Hildebrecht Braun (Bremen) (Augsburg) F.D.P. Friedhelm Ost Dr. Karlheinz Guttmacher CDU/CSU Dr. Jörg van Essen Dr. Peter Paziorek Roland Kohn Dr. Olaf Feldmann Angelika Pfeiffer Uwe Lühr Paul K. Friedhoff Dr. Gero Pfennig Günther Friedrich Nolting Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Winfried Pinger Dr. Rainer Ortleb Dr. Dr. Hermann Pohler Dr. Norbert Blüm Joachim Günther (Plauen) Dr. Wolfgang Bötsch Dr. Bernd Protzner Ulrich Irmer Klaus Brähmig Dieter Pützhofen Enthalten Rudolf Braun (Auerbach) Hans Raidel Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Georg Brunnhuber Dr. Dr. (Emstek) Peter Rauen CDU/CSU Helmut Schäfer (Mainz) Otto Regenspurger Dr. Hermann Otto Sohns Albert Deß Klaus Dieter Reichardt Jürgen Augustinowitz Carl-Ludwig Thiele (Mannheim) Hans-Dirk Bierling Dr. Hansjürgen Doss Hans-Peter Repnik Maria Eichhorn Roland Richter Roland Richwien Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung Heinz Dieter Eßmann Dr. Erich Riedl (München) Klaus Riegert im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentari- (Hamburg) Franz Romer schen Versammlungen des Europarates und der Dr. Gerhard Friedrich Hannelore Rönsch WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Hans-Joachim Fuchtel (Wiesbaden) Norbert Geis Dr. Klaus Rose Abgeordnete(r) Dr. Reinhard Göhner Kurt J. Rossmanith Dr. Wolfgang Götzer Adolf Roth (Gießen) Joachim Gres Dr. Christian Ruck Behrendt, Wolfgang SPD Kurt-Dieter Grill Roland Sauer (Stuttgart) Dr. Probst, Albert, CDU/CSU Wolfgang Gröbl Hartmut Schauerte Siebert, Bernd, CDU/CSU Karl-Heinz Scherhag Terborg, Margitta, SPD Carl-Detlev Freiherr von Gerhard Scheu Hammerstein Norbert Schindler Dietmar Schlee (Großhennersdorf) Gerda Hasselfeldt Christian Schmidt (Fürth) Ich muß jetzt um ein wenig Aufmerksamkeit bitten, Otto Hauser (Esslingen) Hans-Otto Schmiedeberg weil aus bekannten Gründen der Ablauf der Plenar- Hansgeorg Hauser Hans Peter Schmitz (Rednitzhembach) (Baesweiler) sitzung improvisiert werden muß. Klaus-Jürgen Hedrich Michael von Schmude Ich rufe jetzt - ich kann wohl sagen: in Abstim- Detlef Helling Dr. mung mit den Parlamentarischen Geschäftsführern - Ernst Hinsken (Schwäbisch Gmünd) die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf: Josef Hollerith Clemens Schwalbe Dr. Karl-Heinz Hornhues Wilhelm Josef Sebastian Siegfried Hornung a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Joachim Hörster Heinz-Georg Seiffert Berichts des Ausschusses für Wirtschaft Georg Janovsky (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeord- Helmut Jawurek Jürgen Sikora neten Dr. Christa Luft, Wolfgang Bierstedt, Dr. Dionys Jobst Johannes Singhammer Dr.-Ing. Rainer Jork Wolfgang Steiger Rolf Kutzmutz und der Gruppe der PDS Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15801

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Änderung der Rahmenvereinbarung von Im Jahre 7 der deutschen Einheit gehören sehr Bund und neuen Ländern zur Erfüllung des traurige Fakten zur ökonomischen und sozialen Treuhandauftrages Realität in den neuen Bundesländern. Ich darf nur daran erinnern, daß die Arbeitslosigkeit dort offiziell - Drucksachen 13/2571, 13/5162 - doppelt so hoch ist wie in den alten Bundesländern Berichterstattung: und die Unterbeschäftigung etwa 30 Prozent beträgt. Abgeordneter Werner Schulz (Berlin) Die Ausbildungsplatzmisere schreit zum Himmel; darüber haben wir heute in der Aktuellen Stunde ge- b) Beratung der Beschlußempfehlung und des sprochen. Fast jeder vierte Jugendliche im Alter zwi- Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) schen 16 und 24 Jahren ist auf Sozialhilfe angewie- zu dem Antrag des Abgeordneten sen. Das möge man sich vorstellen. Die Indust rie ist Dr. Gregor Gysi und der weiteren Abgeord- bis auf einen kümmerlichen Rest geschrumpft. Es neten der PDS gibt noch ganze 50 Unternehmen, die mehr als 1000 Vermögen der Parteien und Massenorgani- Beschäftigte haben. Der Exportanteil beträgt 2 Pro- sationen der DDR zent, der Forschungsanteil an den gesamtdeutschen Werten 3 Prozent. Private Handwerksbetriebe - dies - Drucksachen 13/78, 13/6774 — sage ich auch den Kolleginnen und Kollegen von der Berichterstattung: F.D.P. -, private Einzelhändlerinnen und Einzelhänd- Abgeordnete Hartmut Büttner (Schönebeck) ler, private Gewerbetreibende, die den Staatssozialis- Fritz Rudolf Körper mus überlebt haben, stehen jetzt massenhaft vor der Manfred Such Pleite. Die Kommunen sind hoch verschuldet. Ich Dr. Guido Westerwelle spare mir weitere Aufzählungen; man könnte sie hier Maritta Böttcher noch eine Weile fortführen. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nein, meine Damen und Herren, Einwände der Dr. Christa Luft, Wolfgang Bierstedt, Art, die von der Regierung und von den Koalitions- Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter fraktionen bevorzugt sind, dies alles sei eine Hinter- und der Gruppe der PDS lassenschaft der DDR, fruchten nicht mehr. Das hilft Ihnen nicht mehr. Für eine wirtschaftliche und ökologische Alternative in den neuen Bundesländern (Beifall bei der PDS) - Drucksache 13/7519 — Sie müssen schon eine ganz gehörige Po rtion Verant- Überweis ungsvorschlag: wortung bei sich suchen, denn Sie haben der Treu- Ausschuß für Wirtschaft (federführend) handanstalt und den Nachfolgeorganisationen das Finanzausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ostdeutsche Terrain gewissermaßen zur Flurbereini- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gung überlassen, im Interesse der Konkurrenz. Selbst Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein so exponierter CDU-Vertreter wie Lothar Späth Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- hat kürzlich die Treuhandanstalt in folgender Weise heit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Tech- bezeichnet: Er hat gesagt, sie habe fünf Jahre lang nologie und Technikfolgenabschätzung keine Aufbauhilfe geleistet, sondern sie habe Beerdi- gungshilfe geleistet. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Mir (Beifall bei Abgeordneten der PDS) ist mitgeteilt worden, daß die folgenden Kolleginnen und Kollegen ihre Debattenbeiträge zu Protokoll ge- Das ist für mich zwar keine neue Erkenntnis, aber ich ben: Dr. Hermann Pohler, Manfred Hampel, Gerald muß diesem CDU-Mann leider zustimmen. Ich füge Häfner, Jürgen Türk und der Parlamentarische nur hinzu: Dieses Beerdigungsinstitut hat unter den Staatssekretär Kolb.*) Ich gehe davon aus, daß das Augen der Bundesregierung gearbeitet. Haus damit einverstanden ist. - Das ist so. (Beifall bei der PDS - Dr. Barbara Höll Ich erteile jetzt das Wo rt der Kollegin Christa Luft, [PDS]: Und in ihrem Auftrag!) PDS. Die neuen Länder sind ein tragisches Beispiel da- für, wohin es führt - Herr Kolb, ich bitte, dies auch (PDS) (von der PDS mit Beifall be- Dr. Christa Luft Herrn Bundesminister Rexroth zu übermitteln -, grüßt): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und wenn man Wirtschaftspolitik in der Wirtschaft statt- Kollegen! Ich denke, daß dem jetzt zu behandelnden finden läßt. Selbst jetzt, da das Kind im Brunnen Thema in jedem Fall ein volles Haus angemessen liegt, geht das Hick und das Hack um ein neues För- wäre. Denn es geht hier um die unmittelbaren Be- derkonzept weiter. Das ist nicht nur blamabel für die lange von 20 Prozent der deutschen Bevölkerung, Regierung, sondern es verunsichert auch die wirt- und letztlich sind 100 Prozent der deutschen Bevöl- schaftlichen Akteure in den neuen Ländern. Hier in kerung von dem betroffen, was sich in den neuen Bonn regiert seit langem nicht mehr der Sachver- Bundesländern tut und tun wird. stand, hier regiert nur noch das ausufernde Haus- haltsloch. Der heutige Tag ist abermals ein Beweis dafür. *) Die Reden werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarpro- tokoll abgedruckt (Beifall bei der PDS) 15802 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Dr. Christa Luft Es reicht jetzt überhaupt nicht mehr, über die eine der neuen Länder ist die Produktivität nicht geringer oder die andere Fördermilliarde zu streiten, so wich- als in den alten Ländern, und die Löhne sind noch tig ein verläßlicher und auch umfänglicher Finanz- viel niedriger. Dennoch ist die Bauwirtschaft notlei- rahmen natürlich ist. Es reicht auch nicht, die neue dend. Überlegen Sie sich also auch diese These end- Qualität der Förderpolitik in der Umlenkung von lich einmal! den Sonderabschreibungen hin zu Investitionszula- gen zu sehen. Das alles ist zwar richtig, wird aber Wir fordern endlich den Einstieg in einen öffent- vom Grundsatz keine durchschlagende Wirkung zei- lich geförderten Beschäftigungssektor, und zwar tigen. nicht, damit dort die traditionellen Arbeitsbeschaf- fungsmaßnahmen fortgesetzt werden, sondern als Verfehlt wäre es auch, wenn man die Förderpolitik ein Segment auf dem ersten Arbeitsmarkt. weiter nur am Maßstab der alten Länder orientiert und eine nachholende Entwicklung forciert. Muten (Beifall bei der PDS) Sie den Ostdeutschen doch bitte nicht länger den Re- Dazu haben wir einen speziellen Antrag eingebracht, form- und den Modernisierungsstau zu, den Sie hier der in Bälde diskutiert wird. in den alten Ländern schon seit ewigen Zeiten kon- servieren. Beenden Sie auch den Privatisierungsdruck auf die Kommunen! Geben Sie ihnen eine sichere Perspek- Was wir für eine wirtschaftliche und ökologische tive für die Finanzausstattung, und verunsichern Sie Wende in den neuen Bundesländern übrigens nicht die Kommunen nicht ständig mit Ihren unausgegore- erst seit heute, sondern seit langem für notwendig nen Steuerplänen! Die Kommunen könnten dann als halten, haben wir noch einmal konzentriert in unse- Wirtschaftsfaktor wirksam werden, sie könnten als rem Antrag vorgestellt. Es gilt, endlich das in den Auftraggeber und damit als Arbeitsplatzschaffer vor Mittelpunkt von Wirtschafts- und Finanzpolitik zu allem für kleine und mittlere Unternehmen in Er- rücken, wovon wirkliche Initialzündungen für einen scheinung treten. selbsttragenden Aufschwung in den neuen Bundes- ländern ausgehen könnten. Denn darauf kommt es (Beifall bei der PDS) an. Das Argument, das alles sei unbezahlbar, kann man schlechterdings nicht gelten lassen. Hätten Sie Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin 1991/92 auch nur ein Zehntel der inzwischen in der Dr. Luft, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus Ihren Tat üppig geleisteten Transfergelder für ein Zu- Reihen? kunftsinvestitionsprogramm aufgewendet, dann wä- ren wir heute nicht in diesem tiefen Loch, in dem wir Dr. Christa Luft (PDS): Ja, bitte. uns befinden. Es geht darum, Schwerpunkte zu set- zen, politisch zu arbeiten und nicht ideologische Dogmen zu pflegen. Rolf Köhne (PDS): Frau Kollegin Luft, halten Sie es dem Thema für angemessen, daß 80 Prozent der hier Natürlich sind auch ganz neue Finanzierungsquel- anwesenden Abgeordneten Privatgespräche führen len zu erschließen. Ich meine damit zum Beispiel die und nicht zuhören? Realisierung der Nachforderungen aus der Privatisie- rung der Banken der DDR. Entsprechend einem Bun- desrechnungshofsbericht vom September 1995 geht (PDS): Ich glaube, das ist ihnen Dr. Christa Luft es immerhin um etwa 20 Milliarden DM, die zur De- peinlich. Ich stimme Ihnen voll zu, daß das eine ziem- batte stehen. liche Ungehörigkeit ist. Sie würden sich am liebsten Watte in die Ohren stecken, um sich diese Dinge Zu denken ist auch an die Auflage eines minde- nicht anhören zu müssen. stens fünfjährigen Investitionsprogramms der Kredit- anstalt für Wiederaufbau mit Krediten mit einem (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Nehmen Sie jährlichen Volumen in Höhe von 15 Milliarden DM mal die Hände aus der Tasche, Herr Köhne! und einer Zinsverbilligung von 2,5 Prozent für öffent- Das ist eine Unverschämtheit!) liche Investitionen in den neuen Ländern. Ich meine, es geht um die sofortige Auflage eines In Frage käme ebenfalls die anteilige Nutzung von langfristigen öffentlichen ökologischen Zukunftsin- Mitteln aus einer befristeten Abgabe auf große Geld- vestitionsprogramms, das einen Zeitraum von etwa rivaten Haushalte, 15 Jahren umfassen müßte und Mittel, die auf Bun- und Immobilienvermögen der p der Versicherungsgesellschaften sowie der Kreditin- des-, Landes- und kommunaler Ebene verausgabt werden, bündelt. stitute. Die in den neuen Bundesländern zur Zeit am Bo- Was aber auf keinen Fall passieren darf, ist, daß den liegende Bauwirtschaft würde von einem sol- das Thema Aufbau Ost wie ein Strohfeuer im Wahl- chen Zukunftsinvestitionsprogramm einen Push be- kampf verbrennt und sich anschließend überhaupt kommen. Im übrigen ist die Bauwirtschaft in den nichts verändert. Das werden wir von der Partei des neuen Bundesländern ein ganz hervorragendes Bei- Demokratischen Sozialismus mit ganzem Engage- spiel dafür, um zu zeigen, wie hohl die These ist, daß ment zu verhindern wissen. in den neuen Bundesländern die Löhne der Produkti- Danke schön. vität davongelaufen sind und deshalb die ökonomi- sche Misere do rt entstanden ist. In der Bauwirtschaft (Beifall bei der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15803

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die sche Staatssekretär Funke ihre Debattenbeiträge zu Aussprache. Protokoll geben.') Die Reden werden in einem Nach- trag zu diesem Plenarprotokoll abgedruckt. Sind Sie Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- mit dem Verfahren einverstanden? - Das ist der Fa ll. empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Änderung der Rah- Ich schließe die Aussprache. menvereinbarung von Bund und neuen Ländern zur Erfüllung des Treuhandauftrages. Das ist die Druck- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen sache 13/5162. auf den Drucksachen 13/7304 und 13/7532 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das che 13/2571 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisun- schlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? gen so beschlossen. - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b Grünen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen auf: der Gruppe der PDS angenommen. a) - Zweite und dritte Beratung des von den Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. einge- dem Antrag der Gruppe der PDS zum Vermögen der brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- Parteien und Massenorganisationen der DDR. Das ist besserung rehabilitierungsrechtlicher Vor- die Drucksache 13/6774. schriften für Opfer der politischen Verfol- gung in der ehemaligen DDR Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- che 13/78 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- - Drucksache 13/6496 - schlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? (Erste Beratung 148. Sitzung) - Die Beschlußempfehlung ist bei den Mehrheitsver- hältnissen wie zuvor angenommen. - Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Hacker, Christel Deichmann, weiteren Ab- Drucksache 13/7519 an die in der Tagesordnung auf- geordneten und der Fraktion der SPD ein- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Über- Verbesserung rehabilitierungs- und häft- weisung so beschlossen. lingshilferechtlicher Vorschriften (Rehabili- tierungs- und häftlingshilferechtliches Ver- Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b besserungsgesetz - RehaVerbG) auf: - Drucksache 13/4162 - a) Beratung des Antrags der Abgeordneten (Erste Beratung 104. Sitzung) Hans-Joachim Hacker, Dr. Herta Däubler- Gmelin, Hermann Bachmaier, weiterer Abge- - Zweite und dritte Beratung des von den Ab- ordneter und der Fraktion der SPD geordneten Gerald Häfner, Andrea Fischer (Berlin) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Mehr Rechtssicherheit und Rechtsschutz für GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Nutzer von Freizeitgrundstücken in den neu- Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstel- en Bundesländern lung der Opfer der SED-Diktatur - Drucksache 13/7304 - - Drucksache 13/3038 - Überweisungsvorschlag: (Erste Beratung 71. Sitzung) Rechtsausschuß (federführend) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau aa) Beschlußempfehlung und Bericht des b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rechtsausschusses (6. Ausschuß) Dr. Uwe-Jens Heuer, Klaus-Jürgen Warnick, - Drucksache 13/7491 - Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Berichterstattung: Begrenzung des Anstiegs der Nutzungsent- Abgeordnete Norbe rt Geis gelte für Erholungsgrundstücke in Ost- Dr. Michael Luther deutschland auf ein sozial erträgliches Maß Hans-Joachim Hacker Gerald Häfner - Drucksache 13/7532 - Jörg van Essen Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß (federführend) bb) Berichte des Haushaltsausschusses Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für schäftsordnung die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich - Drucksachen 13/7497, 13/7496, 13/ eröffne die Aussprache und teile dem Plenum mit, 7495 - daß die Kollegen Hans-Joachim Hacker, Dr. Michael Luther, Franziska Eichstädt-Bohlig, Joachim Gün- *) Die Reden werden in einem Nachtrag zu diesem Plenarpro- ther, Klaus-Jürgen Warnick und der Parlamentari- tokoll abgedruckt. 15804 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Berichterstattung: . -entschädigung haben wir uns 1992 nach der Höhe Abgeordnete Gunter Weißgerber der Entschädigung für KZ-Häftlinge nach dem Bun- Manfred Kolbe desentschädigungsgesetz gerichtet. Will man Haft in Oswald Metzger Stasigefängnissen mit dem ungerechtfertigten Auf- Dr. Wolfgang Weng (Geringen) enthalt in bundesdeutschen Gefängnissen gleichset- zen, muß man wesentlich mehr als 600 DM je Haft- b) Beratung der Beschlußempfehlung und des monat verlangen. Zu bedenken sind dann allerdings Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) die Rückwirkungen auf die BEG-Entschädigungen. - zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. Eine Entschädigung bei vollstreckten Todesurtei- len erfordert die Definition von fiktiven Haftzeiten. Verbesserung der Rehabilitierung und Ent- Die Frage ist: Wieviel ist ein Leben we rt? Berücksich- schädigung von Opfern der politischen tigt werden müssen dann auch die ansonsten zum Verfolgung in der ehemaligen DDR Beispiel durch Folter in Haft Umgekommenen, die nach kurzer Haftzeit Entlassenen und in unmittelba- zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf - rer Folge der Haft Gestorbenen sowie die in den Son- Schwanitz, Hans-Joachim Hacker, E rnst derlagern nach 1945 zu Tode Gekommenen. Was ge- Bahr, weiterer Abgeordneter und der Frak- schieht dann mit Hinterbliebenen im allgemeinen? tion der SPD Wie sieht es mit Verschleppten östlich von Oder und Verbesserungen bei der Rehabilitierung Neiße aus? Was soll zum Beispiel mit den Ungarn- von SED-Unrecht über die Verlängerung Deutschen geschehen, die zu jahrelanger Zwangsar- von Antragsfristen hinaus beit in Rußland herangezogen wurden? Oder was ge- schieht mit Rußland-Deutschen, die, weil sie Deut- - Drucksachen 13/4568, 13/2445, 13/7491- sche waren, jahrelang verurteilt, verschleppt oder Berichterstattung: durch Rußland deportiert wurden? Abgeordnete Norbe rt Geis es Fragen, die in diesem Zusammen- Dr. Michael Luther Das sind all Hans-Joachim Hacker hang beachtet werden müssen und die 1992 von uns schon einmal diskutiert wurden. Selbst wenn wir das Gerald Häfner es aufgreifen und in die Haftentschädigung einbe- Jörg van Essen all ziehen - ich halte das durchaus für wünschenswert - , Zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen lie- stellt sich die Frage, ob das die Hilfe bringt, die ehe- gen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD so- malige politische Opfer heute benötigen. Ich kenne wie zwei Änderungsanträge und ein Entschließungs- Fälle, wo jemand nur kurz im Gefängnis war und antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. später ohne Haft durch Stasispitzel und SED-Scher- gen diskriminiert, schikaniert, diffamiert und entwür- Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an diese digt wurde und nicht wieder auf die Beine gekom- Debatte über zwei Änderungsanträge namentlich ab- men ist. Solchen Menschen würde allein die Erhö- stimmen werden. hung der Haftentschädigung nur wenig helfen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Deshalb haben wir uns in der Koalition nach inten- Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. siver Diskussion auf einen anderen Weg für die Un- terstützung von Opfern politischer Verfolgung ver- Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Kol- ständigt. Erstens. Die Haftdauer gibt nur bedingt lege Dr. Michael Luther, CDU/CSU. Aussage darüber, wie es den Opfern heute geht. Des- halb sollen finanzielle Mittel in erster Linie für die Opfer bereitgestellt werden, die heute noch finanziell Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deut- und wirtschaftlich schlechtgestellt sind. Zweitens. sche Bundestag hat bereits in seiner letzten Legisla- Weil die konkreten einzelnen Verfolgungsschicksale turperiode mit dem Ersten und Zweiten SED-Un- nur schwierig in einer gewissen Vollständigkeit zu rechtsbereinigungsgesetz dem Anliegen der Rehabi- erfassen sind und weil das konkret erfahrene Leid litation von im Sozialismus politisch Verfolgten Rech- von der Haftzeit und von anderen Faktoren abhängt, Stiftung für ehemalige politi- nung getragen. Heute beschäftigen wir uns erneut soll hier besonders die mit diesem Thema. Vorausgegangen sind in meiner sche Häftlinge besser helfen können. Fraktion eine Vielzahl von Gesprächen mit Opferver- Das haben wir in dem Antrag der Koalition vom bänden, mit Landesbeauftragten für das Stasi-Unter- 8. Mai 1996 angeregt, und das steht im Gesetzent- lagengesetz und mit Vertretern der Bürgerbewe- wurf, den wir heute abschließend beraten. Das Ge- gung. Wir kennen also die Forderungen wie zum Bei- setz soll Verfolgungsopfern, wenn die Verfolgungs- spiel die nach Erhöhung der Haftentschädigung und zeit mehr als drei Jahre betrug und wenn die wirt- Einbindung der Hinterbliebenen von Hinge richteten. schaftliche Lage besonders beeinträchtigt ist, eine Ich sage für mich ganz persönlich: Ich halte diese monatliche Unterstützungsleistung in Höhe von Wünsche auch für legitim. Aber - die Frage muß ge- 300 DM, Rentnern 200 DM, gewähren. In der „wirt- stellt werden - was bedeuten sie, und welche Folge- schaftlichen Lage besonders beeinträchtigt" heißt, rungen ergeben sich daraus? Wie bewe rten wir zum wenn das Einkommen geringer als die Hilfe in be- Beispiel Haft? Bei der Begründung von 300 DM Haft sonderen Lebenslagen ist. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15805

Dr. Michael Luther Nach dem Gesetz liegt die Einkommensgrenze für sam zu machen, durch was sie entstanden ist: durch Alleinstehende in den alten Bundesländern derzeit Sozialismus und Diktatur in der DDR. bei zirka 1500 DM, im Osten bei 1300 DM, für ein Ehepaar ohne Kind bei rund 2500 DM bzw. 2200 DM Danke. • und für ein Ehepaar mit zwei Kindern bei rund (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 3700 DM bzw. 3300 DM. Hat also der politisch Ver- folgte ein geringeres Einkommen, dann kann er mo- natlich 300 bzw. 200 DM mehr bekommen. Wer über Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der dieser Einkommensgrenze liegt, bekommt nicht etwa Kollege Hans-Joachim Hacker, SPD. nichts, sondern entsprechend weniger. Ich denke, das wird vielen ehemaligen politisch Verfolgten ef- Hans-Joachim Hacker (SPD): Herr Präsident! Liebe fektiv hellen. Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Luther, ich greife Ihren letzten Gedanken auf: Ja, wir werden uns hier Ich hatte schon ausgeführt, daß das gesetzliche Er- noch weiter mit diesem Problem beschäftigen müs- fassen all dieser Opfergruppen sehr schwierig ist. sen. Aber in dieser Legislaturpe riode wird sich der Sehr gute Erfahrungen haben wir dagegen mit der Deutsche Bundestag vermutlich zum letztenmal mit Stiftung für ehemalige politische Häftlinge gemacht. der Frage der Verbesserung rehabilitierungsrechtli- Deshalb sollen die Stiftungsrichtlinien und die finan- cher Vorschriften für Opfer politischer Verfolgung in zielle Ausstattung so gestaltet werden, daß mehr Op- der ehemaligen DDR beschäftigen. fer unterstützt werden können. Dieses Instrument soll besonders den Witwen von Hingerichteten zu- Deswegen und weil die meisten der Betroffenen im gute kommen. Ich denke, daß Unterstützungsleistun- fortgeschrittenen Alter sind, warten heute Zehntau- gen bis zu 8000 DM im Jahr möglich sind und zielge- sende in der SBZ und in der DDR politisch Verfolgte richtet helfen werden. auf Entscheidungen dieses Hauses, mit denen ihr Schicksal gerecht bewe rtet wird und mit denen an- Als ein wichtiges Problem haben wir die Praxis bei gemessene Ausgleichsleistungen geregelt werden; der Anerkennung von gesundheitlichen Haftschä- denn von Angemessenheit und gerechter Bewe rtung den erkannt. Norbert Blüm hatte sich bereits 1995 an der Schicksale der Betroffenen in den geltenden Un- die Länder mit der Bitte gewandt, die bestehenden rechtsbereinigungsgesetzen kann bislang nicht ge- rechtlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen und sprochen werden. bestehende Probleme bei der Rechtsanwendung in sachgerechter Weise zu lösen. Gesundheitsschäden Wir werden heute Zeugnis dafür ablegen, wie das aus Haftzeiten sollen grundsätzlich von besonders vereinte Deutschland die Zusagen von führenden gut geschulten Gutachtern nach Möglichkeit zentral Vertretern der Po litik einlöst, daß die Auflehnung ge- beurteilt werden. Die Situation hat sich infolge dieser gen kommunistische Gewalt nicht vergessen wird Initiative verbessert. Deshalb halte ich es für sinnvoll, und daß Verfolgungsschicksale nicht geringer be- den eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten. wertet werden als Schäden an materiellen Gütern. Die Unausgewogenheit der Wiedergutmachung von Wir haben im Gesetz auch die moralische Rehabi- Vermögensschäden und Schäden durch politische litierung aufgenommen. Zwangsausgesiedelte sollen Verfolgung und der daraus resultierende Protest wa- bei der Vermögensrückgabe für nicht rückgebbares ren für die SPD-Bundestagsfraktion Veranlassung, totes und lebendes Inventar früher enthaltene Ent- mit den Verbänden der Opfer, mit einzelnen Betroffe- schädigungen nicht zurückzahlen. Außerdem wer- nen und vor allen Dingen auch mit den Behörden, den die Antragsfristen noch einmal durchgängig ver- die die Vorschriften in den neuen Ländern umsetzen längert. müssen, zu sprechen. Umfangreiche Gespräche wur- den geführt. Wir haben Anhörungen durchgeführt Mit diesem Gesetz tun wir einen wichtigen Schritt und die Defizite aufgenommen. In realistischer und zur Verbesserung der Situation von politischen Op- pflichtbewußter Abwägung der Erfolgschancen für fern aus der ehemaligen DDR. Ich hätte mir mehr ge- Verbesserungen haben wir am 19. März 1996 einen wünscht; aber man muß auch über finanzielle Mög- Gesetzentwurf auf Drucksache 13/4162 eingebracht. lichkeiten reden, auch wenn das an dieser Stelle Der Ihnen vorliegende Bericht und die Beschlußemp- schmerzt. Trotzdem: Mich belastet es, wenn es den fehlung des Rechtsausschusses erfassen jedoch nur politischen Opfern heute schlechtgeht. Mich be- Teilkomplexe, so daß Ergänzungen dringend erfor- drückt, wenn politische Opfer nicht wieder auf die derlich sind, die dem Hause heute von der SPD vor- Beine kommen konnten. Deshalb halte ich den ein- gelegt werden. geschlagenen Weg, heute das monatliche Einkom- men zu verbessern, für richtig. Wenn finanzielle Mit- Meine Damen und Herren, die von der Koalition tel aufgewendet werden, dann sollten sie für so eine vorgelegten Vorschläge und die in den Berichterstat- Sache eingesetzt werden. tergesprächen erreichten Präzisierungen werden durch die SPD-Bundestagsfraktion mitgetragen. Das Ich bin am Ende meiner Redezeit angelangt. Viel- bezieht sich konkret auf das Verwaltungsrechtliche leicht noch eine letzte Bemerkung: Ich denke, wir Rehabilitierungsgesetz, das durch einen § 1 a er- werden uns in diesem Hause wieder über das Thema gänzt wird, mit dem Rehabilitierungen möglich wer- der politischen Verfolgung in der DDR unterhalten den, wenn keines der in § 1 Abs. 1 Satz 1 des Verwal- müssen. Es ist ein Stück deutsche Geschichte. Wir tungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes genann- sollten diese deutsche Geschichte hin und wieder ten Rechtsgüter - Vermögen, berufliche Entwick- hier im Bundestag behandeln, um darauf aufmerk- lung, Gesundheit - beeinträchtigt wurde, jedoch die 15806 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Hans-Joachim Hacker Maßnahme mit tragenden Grundsätzen eines Rechts- gruppen zu regeln. Ansonsten bleibt a lles wieder nur staates schlechthin unvereinbar ist und aus Gründen Stückwerk. der politischen Verfolgung zu einer schweren Herab- würdigung der Betroffenen im persönlichen Lebens- Meine Damen und Herren, mir fällt es schwer bereich geführt hat. nachzuvollziehen, daß von der Koalition - Herr Dr. Luther, Sie haben das heute wieder gemacht - Bereits in den Beratungen zum Zweiten SED-Un- immer wieder fiskalische Begründungen für die Lei- rechtsbereinigungsgesetz im Jahre 1994 hatte die stungsbeschränkungen angeführt werden. Ich SPD-Bundestagsfraktion eine entsprechende Rege- meine, die Bundesregierung hätte allen Grund ge- lung gefordert. Insofern ist es ein Fortschritt, daß es habt, in anderen Regelungsbereichen zu sparen. auch durch Mitwirkung der Enquete-Kommission Dazu hätten wir unsere Zustimmung gegeben. „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur" gelun- gen ist, diese Formulierung zu vereinbaren. (Beifall bei der SPD) Die Befreiung der Zwangsausgesiedelten von der Ich kann auch nicht nachvollziehen, daß von Ih- Verpflichtung zur Rückzahlung von Entschädigungs- nen, Herr Häfner, für die Fraktion Bündnis 90/Die beträgen für nicht mehr vorhandenes totes und le- Grünen dieser Gesetzentwurf als „Durchbruch" be- bendes Inventar ist richtig. zeichnet wurde. Ich beziehe mich auf Ihr Interview in Im Geltungsbereich des Beruflichen Rehabilitie- der „Berliner Zeitung" vom 16. April 1997 und auf rungsgesetzes werden Leistungen für Schüler bei Ihre Aussagen im Rechtsausschuß, wo Sie erklärt ha- Verfolgung vor dem Ende der Schulpflicht und Maß- ben, es sei nicht das Optimum, aber ein guter Kom- nahmen zur bevorzugten beruflichen Fortbildung promiß. Es ist eben kein guter Kompromiß, Herr Häf- und Umschulung geregelt. Des weiteren werden so- ner. Wenn Sie bei dieser Bewe rtung bleiben, kann ziale Ausgleichsleistungen eingeführt, die die Le- ich Ihren Gesetzentwurf, der Vorschläge enthielt, die benssituation ehemals politisch Verfolgter heute ver- weit über die Vorschläge der SPD-Bundestagsfrak- bessern. Im Bundesausbildungsförderungsgesetz tion hinausgingen, leider nur als einen Fensterantrag wird die Möglichkeit des vollständigen Erlasses von bezeichnen. Bankdarlehen eingeführt. Richtig und angemessen ist der Gesetzentwurf der Meine Damen und Herren, die Defizite sind jedoch Regierungskoalition auch nicht, Herr Professor offensichtlich und fordern zwingend eine Ergänzung Heuer, wie Sie im Rechtsausschuß ausgeführt haben. des vorliegenden Gesetzentwurfes. Drei Regelungs- Richtig und angemessen wäre es gewesen, wenn bereiche, die im Gesetzentwurf der SPD-Fraktion Ihre Partei im Zusammenhang mit der Diskussion um enthalten sind, müssen dringend in das zu verab- die Verbesserung der Situation der Opfer politischer schiedende Gesetz übernommen werden. Deshalb Verfolgung in der DDR einer der in Deutschland an- stellt meine Fraktion heute einen Änderungsantrag sässigen Stiftungen eine angemessene Unterstüt- zur namentlichen Abstimmung. zung gewährt hätte. Es handelt sich dabei erstens um die notwendige Liebe Kolleginnen und Kollegen, die von mir kriti- Erhöhung der Kapitalentschädigung auf einheitlich sierten Defizite können auch nicht durch den vorge- 600 DM je angefangenen Haftmonat, zweitens um legten Entschließungsantrag ausgeglichen werden. eine Regelung zur Anerkennung von Ansprüchen Abhilfe und damit Gerechtigkeit für die zwischen auf Beschädigtenrente bei Minderung der Erwerbs- 1945 und 1989 politisch Verfolgten schaffen nur klare fähigkeit um 25 vom Hundert, wenn die Freiheitsent- Rechtsansprüche. Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich: ziehung vor dem 1. Januar 1970 mehr als ein Jahr be- Treten Sie dem Änderungsantrag der SPD-Bundes- trug, und drittens um die Öffnung des Häftlingshilfe- tagsfraktion bei! gesetzes für die verschleppten Deutschen jenseits von Oder und Neiße. Danke schön. Meine Damen und Herren, die Bedeutung der drei (Beifall bei der SPD) Regelungsbereiche muß ich den Mitgliedern dieses Hauses nicht mehr erläutern. Ihnen ist doch bekannt, welche Schieflage zwischen den Haftentschädigun- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der gen für die im „Gelben Elend" Inhaftierten und der Kollege Gerald Häfner, Bündnis 90/Die Grünen. Haftentschädigung für Herrn Stoph, der aus Krank- heitsgründen nicht verurteilt wurde, besteht. Ihnen ist ferner bekannt, daß der Kausalzusammenhang Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr zwischen den menschenverachtenden Haftbedin- Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der gungen und dem Krankheitsbild des dadurch ge- Name des Gesetzes, über das wir heute hier erneut schädigten politischen Häftlings nach vier Jahrzehn- sprechen und dann auch abstimmen werden, ist im ten oftmals nicht nachgewiesen werden kann. Grunde ein Euphemismus. Unrecht läßt sich nicht Schließlich wissen Sie, welches Schicksal die ver- bereinigen. Es läßt sich auch nicht wiedergutmachen schleppten Deutschen jenseits von Oder und Neiße, oder sonstwie aus der Welt schaffen. Unrecht, vor al- vor allen Dingen Mädchen und Frauen, auf dem lem staatliches Unrecht, kommt nicht wie ein Unwet- Transport und in den Arbeitslagern ertragen haben. ter über die Menschen, sondern dieses Unrecht hat Namen, hat Gesichter, und es hat Hunderttausende Aus all dem erwächst für uns nun die Verpflich- von Opfern. Genauso gibt es Hunderttausende von tung, heute auch Rechtsansprüche für diese Opfer- schamlosen und feigen Tätern. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15807

Gerald Häfner Das heißt doch, wir alle werden weiter mit den Fol- Probleme eher zu verschleiern, als sie anzusprechen. gen dieses Unrechts leben müssen - die Opfer mit Am Ende dieser Gespräche - und am Ende waren es den schweren Traumata, mit den Verletzungen an wirklich Gespräche, bei denen wir einander zugehört Leib und Seele, die durch keine nachträglichen staat- haben und aufeinander zugegangen sind - ist etwas lichen Leistungen irgendwie wieder aus der Welt ge- herausgekommen, was uns zwar viel zuwenig ist - schafft werden könnten, wenn sie auch sicher gelin- das gebe ich gerne zu -, was aber für viele der betrof- dert werden können. fenen Opfer eine deutliche Verbesserung ist. Ich fände es schaufenstermäßig und falsch, dies zu ver- Die Täter werden mit der quälenden Stimme ihres schweigen. Ich werde deshalb das, was in dem An- schlechten Gewissens leben müssen, sofern sie, was trag der Koalition enthalten ist, nicht ablehnen, auch ich hoffe, ein solches Gewissen haben. wenn ich ihm nicht zustimmen kann.

Und wir alle müssen mit der Tatsache leben - auch Wir werden uns der Stimme enthalten und unseren wenn sich hier jede Gleichsetzung meines Erachtens Gesetzentwurf hier ebenfalls einbringen und weiter verbietet, weil sie maß- und geschmacklos wäre -, aufrechterhalten, womit wir deutlich machen, was daß kurz nach der schlimmsten Diktatur auf deut- nötig gewesen wäre und was man noch zusätzlich schem Boden in großen Teilen unseres Landes erneut machen könnte. Ich weiß aber zugleich, daß das, was eine Diktatur möglich war, daß erneut Hunderttau- wir im Laufe der Gespräche erreicht haben - das sende zu Bütteln eines terroristischen staatlichen Sy- sage ich jetzt ad personam, verbunden mit Dank an stems gegen die Menschen und noch viel mehr Men- die Kollegen, die sich an den Gesprächen beteiligt schen zu Opfern dieses staatlichen Terrors geworden haben -, das Maximum dessen war, was in dieser Ko- sind. alition herauszuholen und zu erreichen ist. So sind die politischen Verhältnisse in diesem Haus. Wir alle werden noch lange an den Folgen zu tra- gen haben. Was wir hier heute tun, ist nur ein kleiner Deshalb ist dies noch immer ein tragbarer Kompro- Teil des Versuches, das uns heute Mögliche zu schaf- miß. Wir werden ihn nicht ablehnen, sondern uns bei fen. Aber es ist ein wichtiger Maßstab für die Qualität der Abstimmung enthalten. Wir werden aber unseren eines Rechtsstaates, inwieweit er bereit und in der eigenen Entwurf aufrechterhalten, um deutlich zu Lage ist, die Täter konsequent zur Rechenschaft zu machen, was alles fehlt und was noch nötig wäre. ziehen und umgekehrt den Opfern rückhaltlos zur Seite zu stehen, ihnen in Anerkenntnis ihrer schuld- Sie haben die Probleme der Kapitalentschädigung losen Verletzungen alle nur mögliche Anerkennung, und der Nichtberücksichtigung vieler Personengrup- Rehabilitierung, Entschädigung und Hilfe zukom- pen angesprochen. Deshalb und weil meine Redezeit men zu lassen. hier außerordentlich kurz ist, werde ich das jetzt nicht noch einmal tun, möchte aber auf einen Punkt Ich meine, daß die Bundesrepublik Deutschland kurz eingehen, den wir in unserem Antrag auch an- hier bislang zwar einiges getan hat, aber in meinen gesprochen haben. Das ist das Problem der Zerset- Augen doch viel zuwenig, teilweise peinlich wenig. zungsmaßnahmen. Deshalb ist diese Novelle heute dringend nötig. Sie wissen, daß in der ehemaligen DDR in einer Nun komme ich zu dem Punkt, den Sie gerade an- perfektionistischen Form, wie es das vorher und gesprochen haben. Sie sagen, wenn das stimme, was nachher nirgendwo gegeben hat, Menschen zu Op- ich der Zeitung gesagt habe, daß dies ein Kompro- fern staatlicher Zersetzungsmaßnahmen geworden miß sei, mit dem man leben könne, dann sei unser sind mit dem Ziel, sie bis zu ihrer Vernichtung hin Gesetzentwurf nur ein Schaufensterantrag gewesen. fertigzumachen, sie zu diskreditieren, im sozialen Umgekehrt wird ein Schuh daraus, Herr Hacker. Es Umfeld zu isolieren usw. Diese Menschen fallen bis- ist so, daß wir sehr viel mehr wollten und immer noch her aus der geltenden Entschädigungs- und Rehabi- wollen. Sie wissen das genau. Ich stehe auch nicht an litierungsregelung völlig heraus. zu verschweigen, daß es mir sehr schwerfällt, hier zu reden, weil immer noch viel zuwenig erreicht wurde. Wir wollen, daß diese Zersetzungszeiten so wie Haftzeiten - aber ohne Urteil - behandelt werden Gleichzeitig muß man aber sagen - weil Sie das und daß diese Menschen - deshalb haben wir diesen wissen, Herr Hacker, will ich es deutlich sagen-: Ich Vorschlag für § 1 a des Verwaltungsrechtlichen Reha- habe damals mit allen Kollegen gesprochen und a ll bilitierungsgesetzes gemacht - endlich ebenfalls in -seits zu hören bekommen: Das ist gelaufen, das den Kreis derer einbezogen werden, die Anspruch kannst du vergessen, da läßt sich nichts mehr ma- auf Entschädigungsleistungen haben. chen. Lassen Sie mich alles in allem am Schluß sagen: Es Dann haben wir uns hingesetzt, haben einen um- ist zwar wenig, was wir heute vorlegen, aber ein fangreichen Gesetzentwurf geschrieben, während Fortschritt für die Opfer und die Betroffenen, der auf Sie der Meinung waren, das sei zu spät, das sei zu halbem Wege stehenbleibt. Trotzdem bin ich froh schwierig, das sei zu kompliziert. und stolz, daß wir dies hier erreichen konnten. Wir werden uns bei der Abstimmung über den Koaliti- Dann hat die SPD nachgezogen, nach vielen weite- onsantrag der Stimme enthalten. Wir bitten Sie den- ren Monaten hat die Union nachgezogen, und dann noch - auch wenn ich geringe Hoffnung habe -, dem gab es wieder den Beginn von Verhandlungen. Am Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zuzu- Anfang war der Koalitionsantrag ein Versuch, die stimmen, der eine klarere, verbindlichere und vor 15808 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Gerald Häfner allen Dingen angemessenere Regelung für alle be- daß er aber darauf aufmerksam machen wolle, daß es troffenen Opfergruppen vorschlägt. auch solche Dinge gegeben hat. Ich danke Ihnen. Ich möchte diesen einfacheren Beispielen einen Appell zur Hilfe durch jedermann do rt, wo das mög- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lich ist, anschließen. Ich sehe zum Beispiel, daß ein Bildungsweg von einem Professor vielleicht gründli- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat cher und besser begleitet werden kann, wenn er Herr Professor Rainer Ortleb, F.D.P. weiß, daß er hier etwas Nachhilfe im wahrsten Sinne des Wortes leisten muß, oder daß ein Dienstvorge- setzter einen solchen Knick im Lebenslauf oder an- Dr. Rainer Ortleb (F.D.P.): Herr Präsident! Meine dere Schäden, die geblieben sind, mit in die Wertung Damen und Herren! Kollege Luther hat sich schon nimmt, wenn es darum geht, für welche Laufbahn ausführlich Details des Koalitionsentwurfes zuge- der oder die Betreffende vorgesehen ist. Es gibt also wandt und auch die entsprechenden Begründungen viele Möglichkeiten kleiner Zivilcourage, hier das vorgetragen, so daß ich dazu nichts mehr Grundle- eine oder andere noch zu glätten und dabei zu hel- gendes hinzufügen möchte. Ich möchte aber noch fen; denn es bleibt bei allem Bemühen der schale Ge- einmal betonen, daß die Ursache für diese heute vor- schmack, daß geschehenes Unrecht nicht ungesche- gelegte Novellierung ja gerade ist, daß wir im Laufe hen gemacht werden kann. der Anwendung dieses Gesetzes seine Mängel in der Zielrichtigkeit erkannt und demzufolge Verbesserun- Ich möchte abschließend nochmals betonen, daß gen in dieser Richtung zu erarbeiten versucht haben. der nun zu vollziehende Schritt ein Schritt in die Es ist natürlich schwer, alle berechtigten Forderun- Richtung zur Besserung ist. Aber wenn Sie meine gen tatsächlich erfüllen zu können, insbesondere ehrliche Antwort hören wollen: Auch ich bin nicht dann, wenn sie materiellen Gehalt haben. mit dem zufrieden, was wir bisher leisten konnten und geleistet haben. Gestatten Sie mir, daß ich, insbesondere auf mei- nen Vorredner, Herrn Häfner, eingehend, hier be- Ich danke Ihnen. tone, daß derjenige, der einmal an einer Veranstal- tung von Opferverbänden teilgenommen hat, in der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Regel so viel Erschütterung erfahren hat, daß man al- sowie bei Abgeordneten der SPD) les geben möchte, was nur irgendwie möglich ist. Nur ist die Realität häufig komplizierter. Dies ist schwerer machbar, als man manchmal denkt. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Uwe-Jens Heuer, PDS. Wir sollten uns vor allen Dingen darauf konzentrie- ren, wo es nur geht, die wirklich kapitalen Schäden, angefangen von Hinrichtungen bis zu schweren psy- Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Herr Präsident! Meine chischen oder physischen Schäden, gutmachen zu Damen und Herren! Ganz offensichtlich - das ist hier wollen. Ich darf aber auch daran erinnern, daß zahl- gesagt worden - gibt es Lücken und Mängel hin- reiche Menschen gravierende Veränderungen ihres sichtlich der Rehabilitierung und Entschädigung von Lebensweges erfahren haben, ohne daß sie dabei Opfern strafrechtlicher, beruflicher und verwaltungs- psychisch oder physisch geschädigt wurden, denen rechtlicher Verfolgung in der DDR. Die vorliegenden aber ein anderes Leben quasi aufoktroyiert wurde, Gesetzentwürfe und Anträge wollen konkrete Ver- als sie es vorhatten. besserungen vor allem für diejenigen bringen, die sich verfolgungsbedingt in einer schwierigen Situa- Ich will zwei Beispiele nennen: Ich hatte als Bun- tion befinden. Wir unterstützen dieses Anliegen, so desminister für Bildung und Wissenschaft mit einem insbesondere auch die Verdoppelung des Monatsbe- Eingabefall eines jungen Mannes zu tun, wo es um trages der Ausgleichsleistungen auf 300 DM bei der eine BAföG-Angelegenheit ging. Dieser Mann ist beruflichen Rehabilitierung und den Wegfall der von Grenzsoldaten der DDR bei dem Versuch, die zeitlichen Begrenzung sowie eine konsequentere Grenze über den Wasserweg zu verlassen, gestellt und wirkungsvollere Einbeziehung von Schülerinnen worden. Gott sei Dank kam es nicht zum Schußwaf- und Schülern in die Wiedergutmachung. fengebrauch. Er hat nur die entsprechenden übli- chen Folgen wie Jugendhaft usw. tragen müssen. Er Bedauerlich ist für uns, daß der im Entwurf der war damals noch Jugendlicher. Sein Bildungsweg ist SPD-Fraktion vorgesehenen Kapitalentschädigung daraufhin ein anderer geworden. Ich bedaure, daß auf durchgängig 600 DM von den Koalitionsparteien das Massengesetz BAföG damals einfach keine Aus- nicht entsprochen wird. Die in der Beschlußempfeh- nahmeregelung hergab, etwas Besonderes für diesen lung ausgesprochene Erwartung, daß die Bundesre- jungen Mann zu tun. gierung die im Strafrechtlichen Rehabilitierungsge- setz vorgesehenen Unterstützungsleistungen aus- Ein anderes Beispiel: Ein Lehrer hat mir einen län- baut, erscheint mir doch recht absonderlich. Koaliti- geren B rief geschrieben, in dem er mir seine verän- onsparteien und Bundesregierung sind ja schließlich derte Lebensbahn in Verdienstausfall umgerechnet keine getrennten Welten. Wenn die Koalitionspar- hat. Er ist als Lehrer wegen politischer Äußerungen teien diese Erwartung haben, dann sollte doch ei- im Dienstamt strafversetzt worden. Da ergab sich gentlich die Bundesregierung ihr auch hier und eine erkleckliche Summe. Der B rief schloß damit, heute durch eine gesetzliche Leistungsverbesserung daß er das Geld nicht einfordern könne und wolle, im Sinne des zur namentlichen Abstimmung vorlie- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15809

Dr. Uwe-Jens Heuer genden Änderungsantrages der Fraktion der SPD Oft sind die Folgen des Unrechts weder in Geld zu entsprechen. Diese Möglichkeit besteht ja. messen noch überhaupt durch Geld wiedergutzuma- chen. Deshalb hat der federführende Rechtsausschuß Was den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- den Vorschlag der Enquete-Kommission „Überwin- nen zu den Zersetzungsmaßnahmen und den Konse- dung der Folgen der SED-Diktatur" aufgegriffen und quenzen in bezug auf Kapitalentschädigung betrifft, die Möglichkeit einer moralischen Rehabilitierung, sind wir nicht in der Lage, ihm zuzustimmen, weil so fragwürdig dieser Beg riff ist, vorgesehen. Ich be- wir meinen, daß die Voraussetzungen vage sind und grüße das sehr. daß es Schwierigkeiten bei der gerichtlichen Ent- scheidung über die analoge Anwendung von Frei- Die Rehabilitierung soll die Rechtsstaatswidrigkeit heitsentziehung auf diese Fälle geben würde. Wir gravierender Unrechtsmaßnahmen des SED-Regimes meinen, der Antrag bietet keine tragfähige Lösung feststellen. Den Opfern wird von seiten des Staates für das zweifellos bestehende Problem. klar und eindeutig bescheinigt, daß ihnen Unrecht Meine Damen und Herren, ich möchte darauf auf- geschehen ist. Für viele Menschen ist das wichtig, merksam machen, daß es auch in bezug auf die alte wird doch ihre Ehre wiederhergestellt, ihr Selbst- Bundesrepublik noch Fragen bezüglich der Ausein- wertgefühl gestärkt und ihre Position in der Gesell- andersetzung mit massiven Ungerechtigkeiten in schaft gefestigt. den Zeiten des Kalten Krieges mit etwa 10 000 Op- fern einer strafrechtlichen politischen Verfolgung Meine Damen und Herren, in den meisten Fällen gibt. lassen sich aber die Folgen erlittenen Unrechts durch Geld mildern. Deshalb bin ich froh, daß es uns trotz Meine Damen und Herren, vielleicht kann ich Sie der schwierigen Situation der öffentlichen Haushalte in diesem Zusammenhang in einer für die gemein- - des Bundeshaushaltes in diesem Falle - gelungen same Zukunft wichtigen Frage doch zu einer Überle- ist, Leistungsverbesserungen vorzusehen. Sie sind gung bewegen: Am 24. April erklärte Václav Havel nicht optimal, aber angesichts der knappen Kassen vor diesem Hause, daß „nur eine Gemeinschaft, wel- das Beste, was herauszuholen war. che die Wahrheit über ihre eigene Geschichte erken- nen kann und darf, ... tatsächlich eine freie Gemein- Die zusätzlichen Mittel müssen wir aber auf dieje- schaft" sei. Dazu gehöre auch, „daß ich den anderen nigen konzentrieren, die sich noch heute - verfol- sehe, mich in seine Lage hineinzuversetzen, in seine gungsbedingt - in einer schwierigen wirtschaftlichen Erfahrungen hineinzufühlen und in seine Seele hin- Lage befinden. Verbessert werden deshalb die Aus- einzuschauen vermag". gleichsleistungen, die das Gesetz über die berufliche Die Bundestagspräsidentin zitierte am gleichen Rehabilitierung für diese Betroffenen vorsieht. Die Tag den Bundeskanzler mit der Aufforderung: „Wir monatlichen Ausgleichsleistungen werden auf dürfen nicht Gefangene der Vergangenheit bleiben, 300 DM verdoppelt. Die Einkommensgrenzen wer- sonst hätte die Vergangenheit letztlich gesiegt. " den erheblich angehoben, damit deutlich mehr Ver- folgungsopfer Leistungen erhalten, und auch Rent- Was ist der Grund, daß alles das, was für Deutsche ner, die bislang allein auf den Nachteilsausgleich in und Tschechen gilt, für Deutsche und Deutsche nicht der Rentenversicherung angewiesen waren, werden gelten soll? in den Kreis der Anspruchsberechtigten einbezogen. Wir beschließen heute über die Rehabilitierung von Opfern politischer Verfolgung in der DDR. Es Diese Anhebung der Einkommensgrenzen im Ge- gab aber auch Millionen von Menschen in der DDR, setz über die berufliche Rehabi litierung eröffnet die die loyal oder positiv zu diesem Staat standen, und es Möglichkeit, auch die Unterstützungsleistungen des gab in der alten Bundesrepublik Menschen, die in Gesetzes über die strafrechtliche Rehabi litierung der DDR den besseren deutschen Staat sahen. Auch spürbar auszubauen. ihre Geschichte ist Teil deutscher Geschichte. Nur wenn wir unsere gemeinsame deutsche Vergangen- Die Bundesregierung wird das Erforderliche zu- heit annehmen, die Geschichte des anderen verste- sammen mit der Stiftung für ehemalige politische hen wollen, werden wir eine gemeinsame Zukunft Häftlinge umsetzen. Dabei denken wir nicht allein haben. an die ehemaligen politischen Häftlinge selbst, son- dern gerade auch an die Hinterbliebenen, in erster (Beifall bei der PDS) Linie an die unmittelbar vom Schicksal des Inhaftier- ten betroffenen Ehegatten und an die Hinterbliebe- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der nen der Todesopfer. Herr Bundesminister Professor Schmidt-Jortzig. (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren, ein größerer finanzieller Das Unrecht von 40 Jahren SED-Diktatur läßt sich Spielraum wäre im Interesse der Opfer wünschens- nicht ungeschehen machen. Das Leid der Opfer läßt wert, aber ich muß in diesem Hause nicht die Situa- sich nicht löschen. Die verlorenen Jahre lassen sich tion der öffentlichen Haushalte schildern. nicht nachholen. Deshalb lassen sich 40 Jahre DDR auch nicht im Wege des Schadenersatzes aufarbei- Damit die vorgelegten Verbesserungen greifen ten. können, bitte ich um Ihre Zustimmung zum Gesetz- 15810 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig entwurf der Koalition. Denn jeder Monat Verzöge- gesetzes. Damit sollen heute zugleich alle berechtig- rung kostet die Verfolgungsopfer bares Geld. ten Hoffnungen der Opfer von politischer Verfol- gung in der SBZ und DDR Vielen Dank. beerdigt werden und nach dem Willen der Koalition möglichst rasch in (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Vergessenheit geraten. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich an diesem Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem perfiden Spiel nicht beteiligen, sondern wir reden Abgeordneten Dr. Dietrich Mahlo das Wort. hier Klartext. Dies möchte ich in vier Punkten gegen- über der Öffentlichkeit festhalten: Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Herr Präsident! Erstens. Bei den mühseligen und von der Koalition Meine verehrten Damen und Herren! Wir beraten immer wieder verschleppten Verhandlungen über heute über eine Novellierung des SED-Unrechtsbe- eine Verbesserung der Unrechtsbereinigungsgesetze reinigungsgesetzes. Das Terrain ist kompliziert. Wir waren die Bundesregierung und die Koalitionsfrak- haben schon in der Vergangenheit versucht, in einem tionen nicht zu einer substantiellen Verbesserung der breiten Spektrum zu helfen. Dabei wissen nicht im- Gesetze bereit. Unser Gesetzesvorschlag, der be- mer alle, die heute mitreden, den Überblick zu behal- kanntlich bereits Anfang 1996 in das Parlament ein- ten. Wir werden aber heute erfreulicherweise eine gebracht wurde, war ausdrücklich ein offenes Ange- deutliche Besserstellung der Geschädigten beschlie- bot an die Koalition, ßen. Obgleich ich die billige Geringschätzung des bisher Geleisteten zurückweise, ist ehrlicherweise (Beifall bei Abgeordneten der SPD) einzuräumen, daß von einer wirk li ch angemessenen die unzureichenden Regelungen in den Gesetzen und ausreichenden Entschädigung auch in der Zu- wenigstens in einigen wichtigen Punkten zu verbes- sammenschau noch nicht gesprochen werden kann, sern. Im Gegensatz dazu verhielt sich die Bundesre- zumindest nicht im Vergleich zu Zahlungen, die wir gierung völlig passiv; auch die Koalitionsfraktionen an anderer Stelle leisten oder geleistet haben, und zu waren nicht bereit, die Unrechtsbereinigungsgesetze dem, was wir immer gesagt haben, auch nicht ange- in ihrem Kernbereich zu verändern. Was heute als sichts dessen, was die betroffenen Menschen durch- Gesetz der Koalition auf den Weg gebracht werden gemacht haben. Hier dürfte noch nicht das letzte soll und bereits hier im Parlament von einigen Abge- Wort gesprochen sein. ordneten bejubelt und gefeiert worden ist, geht am Zu den Alternativen der SPD, deren Forderungen Kern der Probleme, an den Entschädigungsansprü- übrigens in einer Fülle von Punkten entsprochen chen der Opfer völlig vorbei und verbessert lediglich wird, ist das Notwendige bereits gesagt worden. Wir marginal die Zuwendungen für heute in Not gera- werden am Verhalten im Bundesrat und im Vermitt- tene Opfer des SED-Regimes. Der bereits früher von lungsausschuß sehen, was Show war und was ehrlich uns kritisierte Trend, daß durch dieses und die frühe- gemeint ist. ren Gesetze die Rehabilitierungsleistungen nicht in erster Linie eine Frage der gesellschaftlichen Aner- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kennung von politischer Verfolgung sind, sondern zu Solange in der augenblicklich angespannten Situa- einer Unterabteilung der Sozialhilfe verkommen, tion nicht alle Wünsche erfüllt werden, ist der nun wird durch diese von der Koalition eingebrachten eingeschlagene Weg, zunächst und vor allem do rt zu Gesetzentwürfe nachdrücklich verstärkt. - helfen, wo die Not am größten ist, der einzig richtige. (Beifall bei der SPD) Das ist ein Gebot der Vernunft. Zweitens. Es ändert sich auch durch dieses Gesetz Das Zustandekommen des Gesetzes ist mehr als an den sonst unzureichenden Regelungen der Ge- anderen einem Mann zu danken, der mit realistischer setze nichts. Die Rehabilitierung und die kümmerli- Nüchternheit, beharrlich und in aller Stille an Ver- chen Wiedergutmachungen bleiben damit eine of- besserungen gearbeitet und diese vorbereitet hat, fene Wunde auf dem Weg zur inneren Einheit nämlich unserem Kollegen Michael Luther. Ich er- Deutschlands. laube mir, dies hier anerkennend und dankbar anzu- merken. Die Unrechtsbereinigungsgesetze tragen so auch weiterhin kaum etwas zur inneren Bef riedung bei. Es Vielen Dank. bleibt bei den unzureichenden Regelungen für die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Anerkennung gesundheitlicher Haftschäden. Es ordneten der F.D.P.) bleibt bei der Ausgrenzung ganzer Opfergruppen, der Internierten und Verschleppten östlich von Oder und Neiße mit späterem Wohnsitz in der DDR. Es Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das bleibt bei den lächerlichen Ansprüchen für Hinter- Wort nun dem Abgeordneten Rolf Schwanitz. bliebene der Todesopfer, der in den Haftanstalten ge- storbenen, der an der Grenze erschossenen oder der Rolf Schwanitz (SPD): Herr Präsident! Meine sehr durch die DDR-Justiz aus politischen Gründen zum verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen De- Tode verurteilten Personen. Es bleibt beim Skandal batte sprechen die Bundesregierung und die Koali- der Entschädigung von Stoph im Verhältnis zu der tion von CDU/CSU und F.D.P. ihr letztes Wo rt zu den seiner Opfer. All diese schweren und oft besproche- ungerechten und unzureichenden Regelungen des nen Mängel des geltenden Rechts werden nicht ge- Ersten und des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungs- ändert und sollen nach dem Willen der Koalition Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15811

Rolf Schwanitz auch künftig fortbestehen. Das ist unerträglich. Dies nung, sondern als Nothilfeproblem begreift, wer machen wir nicht mit, meine Damen und Herren. ganze Opferverbände, ganze Opfergruppen dauer- haft ausgrenzt und massive Rechtsmängel kennt, sie (Beifall bei der SPD) dennoch nicht behebt, wer zuläßt, daß sich gefährli- Drittens. Die Koalition hat in den zurückliegenden che Erfahrungen wie „Eigentum geht vor Freiheit" Wochen und Monaten mit ihrem Gesetzentwurf die und „Täter kommen vor Opfer" als neue prägende Opferverbände erneut getäuscht und mißachtet. Erkenntnisse im Bewußtsein der Menschen festset- Wenn der CDU-Bundestagsabgeordnete Luther, der zen, der handelt nicht nur ungerecht gegenüber ein- hier gerade noch einmal gelobt worden ist, noch im zelnen, sondern stellt die Aufarbeitung der zweiten November in einem B rief an die Vereinigung der Op- Diktatur in Deutschland grundsätzlich in Frage. fer des Stalinismus ankündigt, die ursprünglich mit dem Ersten und dem Zweiten SED-Unrechtsbereini- Deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. gungsgesetz angedachten, aber nicht ausgeschöpf- (Beifall bei der SPD) ten finanziellen Mittel sollten mit diesem Gesetz den Opfern auf jeden Fall zur Verfügung gestellt werden onen DM gewesen -, - das wären 700 bis 800 Milli Ich schließe gleichzeitig aber bereits diesen kümmerlichen Ge- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: damit die Aussprache. setzentwurf der CDU/CSU in der Schublade hat, der noch nicht einmal 20 Millionen DM zugunsten der Ich möchte zunächst die Geschäftsführer erinnern, Opfer enthält, dann ist dies eine der übelsten politi- daß verabredet worden ist, die Reden zu schen Täuschungen, die ich in den letzten Jahren in Tagesordnungspunkt 5 zu Protokoll zu geben. Wir diesem Hause erlebt habe. haben noch nicht alle Reden hier. Ich bitte, daran zu (Beifall bei der SPD) denken. Diese Ignoranz Bonner Politiker der Christlich-De- Wir treten dann in die Abstimmungen ein, und mokratischen Union gegenüber den Mängeln und zwar in der Weise, daß zunächst zwei namentliche Lücken der Unrechtsbereinigungsgesetze ist nicht und eine nicht namentliche Abstimmung folgen. Wir länger hinnehmbar, schreibt der Vorsitzende des müssen dann die Auszählung dieser namentlichen CDU-Kreisverbandes Cottbus. Dem ist nichts hinzu- Abstimmungen abwarten, ehe wir bei diesem Ge- zufügen, meine Damen und Herren. setzentwurf weiter abstimmen können. Wir werden also in der Zwischenzeit einige weitere einfache Ab- (Beifall bei der SPD) stimmungen durchführen können. Viertens. Der Gesetzentwurf der Koalition ist auch eine vertane Chance, das unerträgliche Ungleichge- Ich komme zunächst zur Abstimmung über den wicht zwischen der Wiedergutmachung von Frei- von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. einge- heitsschäden auf der einen und der Wiedergutma- brachten Gesetzentwurf zur Verbesserung rehabili- chung von Eigentumsschäden auf der anderen Seite tierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politi- endlich abzumildern. Während durch den Grundsatz schen Verfolgung in der ehemaligen DDR. Das sind „Rückgabe vor Entschädigung" und durch das die Drucksachen 13/6496 und 13/7491 Buchstabe a. 20 Milliarden DM schwere Entschädigungs- und Dazu liegen drei Änderungsanträge vor, über die zu- Ausgleichsleistungsgesetz Eigentumsschäden mit erst abgestimmt werden muß. Der erste ist der Ände- rungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache massiven Vermögensleistungen ausgeglichen- wer- den, bleibt es für die politisch . Verfolgten für die 13/7502. Die Fraktion der SPD hat dazu namentliche Schäden an Freiheit, Leib und Leben bei dem küm- Abstimmung beantragt. merlichen Leistungsangebot. Ich bitte also die Schriftführerinnen und Schriftfüh- Wenn der Bundesjustizminister einmal mit dem rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Darf ich gleichen Interesse und mit der gleichen Energie an fragen, ob alle Urnen besetzt sind? - Das ist der Fa ll. die Verbesserung der Unrechtsbereinigungsgesetze Ich eröffne die namentliche Abstimmung. - Ist ein herangegangen wäre, wie er permanent nach der Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme Stärkung der Alteigentümeransprüche ruft, dann wä- noch abgeben will? - Dann bitte ich, das zu tun. ren wir bei den politischen Verfolgten bereits einen wesentlichen Schritt vorangekommen, meine Damen Ich darf die Kollegen darauf aufmerksam machen, und Herren. daß unmittelbar nach dieser Abstimmung eine zweite namentliche Abstimmung folgt. Dann gibt es eine (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph Reihe weiterer Abstimmungen. Am Schluß der Ple- Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ narsitzung gibt es eine dritte namentliche Abstim- NEN]) mung zu einem anderen Tagesordnungspunkt. Jetzt Statt dessen heißt die Devise auch weiterhin „Eigen- folgt unmittelbar noch eine weitere nament liche Ab- tum geht vor Freiheit" - eine bittere Botschaft, die für stimmung. viele ehemalige politisch Verfolgte den Glauben an Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das den Rechtsstaat und die Hoffnungen auf die Vereini- seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht gung in Deutschland zerstört. der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und ma- Meine Damen und Herren, wer Rehabilitierung che darauf aufmerksam, daß keine weiteren Stimmen nicht als Frage der Gerechtigkeit und der Anerken- angenommen werden dürfen. 15812 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstim- auf Drucksache 13/3038 abstimmen und bitte dieje- mung wird später bekanntgegeben.*) nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltun- Wir setzen die Abstimmungen fo rt . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der gen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimment- 7656. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt haltung des Hauses im übrigen abgelehnt worden auch zu diesem Antrag namentliche Abstimmung. ist. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wieder die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind Da der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abge- alle Urnen besetzt? - Ich eröffne die Abstimmung.- lehnt ist, entfällt nach unserer Geschäftsordnung die Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das weitere Beratung. seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich mache dar- Nun rufe ich die Beschlußempfehlung des Rechts- auf aufmerksam, daß nach Schluß der Abstimmung ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ keine Stimmen mehr entgegengenommen werden CSU und F.D.P. zur Verbesserung der Rehabi litierung können. - Dann schließe ich hiermit die Abstim- und Entschädigung von Opfern der politischen Ver- mung. folgung in der ehemaligen DDR auf. Das sind die Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, Drucksachen 13/4568 und 13/7491 Buchstabe d. Der mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Rechtsausschuß empfiehlt, den Antrag für erledigt zu Abstimmung wird später bekanntgegeben.**) erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Wir setzen die Beratungen und Abstimmungen fo rt. Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs- - Dann stelle ich fest, daß der Antrag bei Stimment- antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Drucksache 13/7655. Wer für diesen Änderungsan- Stimmen des übrigen Hauses angenommen worden trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt, ist. den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Rechts- Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Verbesserungen bei der Rehabi litierung von SED- Stimmenthaltung des Hauses im übrigen abgelehnt Unrecht über die Verlängerung von Antragsfristen worden ist. hinaus auf. Das sind die Drucksachen 13/2445 und 13/7491 Buchstabe e. Der Ausschuß empfiehlt, auch Bevor wir über den Gesetzentwurf weiter abstim- diesen Antrag für erledigt zu erklären. Wer der Be- men können, müssen die Ergebnisse der beiden na- schlußempfehlung des Rechtsausschusses zustimmt, mentlichen Abstimmungen vorliegen. Deswegen den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - stimmen wir zunächst über die anderen Vorlagen ab. Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch Ich rufe jetzt zur Abstimmung über den Gesetzent- diese Beschlußempfehlung bei Stimmenthaltung der wurf der Fraktion der SPD zur Verbesserung rehabili- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen tierungs- und häftlingshilferechtlicher Vorschriften, des übrigen Hauses angenommen worden ist. Drucksache 13/4162, auf. Der Rechtsausschuß emp- Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Buchstabe f fiehlt auf Drucksache 13/7491 Buchstabe b, den Ge- seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7491 setzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetz- die Annahme einer Entschließung. Die Fraktion der entwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/ SPD verlangt dazu getrennte Abstimmung. 4162 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer Nr. 1 der Entschließung zustimmt, den bitte - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimment- ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der haltungen? - Dann stelle ich fest, daß Nr. 1 mit den Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung des übri- Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des Hau- gen Hauses angenommen worden ist. ses im übrigen abgelehnt worden ist. Dann rufe ich Nr. 2 der Entschließung auf. Wer Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung Nr. 2 der Entschließung zustimmt, den bitte ich um abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord- das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltun- nung die weitere Beratung. gen? - Dann stelle ich fest, daß Nr. 2 der Entschlie- ßung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim- Ich komme nun zur Abstimmung über den Gesetz- men der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung des entwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur übrigen Hauses angenommen worden ist. Verbesserung der Rechtsstellung der Opfer der SED- Diktatur, Drucksache 13/3038. Der Rechtsausschuß Damit ist die Entschließung insgesamt angenom- empfiehlt auf Drucksache 13/7491 Buchstabe c, die- men worden. sen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Ich gebe das von den Schriftführern und Schrift- führerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen *) Seite 15813 A Abstimmung über den Änderungsantrag der Frak- **) Seite 15815 C tion der SPD auf Drucksache 13/7502 zu dem Ent- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15813

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch wurf eines Gesetzes zur Verbesserung rehabilitie- Erika Lotz Lisa Seuster rungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politi- Dr. Christine Lucyga Horst Sielaff schen Verfolgung der Fraktionen der CDU/CSU und Dieter Maaß (Herne) Erika Simm Winfried Mante Johannes Singer der F.D.P. bekannt. Abgegebene Stimmen 627. Mit Ja Dorle Marx Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast haben gestimmt 298. Mit Nein haben gestimmt 328. Ulrike Mascher Wieland Sorge Es gab eine Enthaltung. Der Änderungsantrag ist da- Christoph Matschie Wolfgang Spanier mit abgelehnt. Ingrid Matthäus-Maier Dr. Dietrich Sperling Heide Mattischeck Jörg-Otto Spiller Ulrike Mehl Ludwig Stiegler Herbert Meißner Dr. Peter Struck Endgültiges Ergebnis Günter Graf (Friesoythe) Angelika Mertens Joachim Tappe Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Jörg Tauss Abgegebene Stimmen: 626 Dieter Grasedieck Ursula Mogg Dr. Bodo Teichmann davon: Achim Großmann Siegmar Mosdorf Jella Teuchner ja: 298 Karl Hermann Haack Jutta Müller (Völklingen) Dr. Gerald Thalheim (Extertal) nein: 327 Christian Müller (Zittau) Wolfgang Thierse Hans-Joachim Hacker Volker Neumann (Bramsche) Franz Thönnes enthalten: 1 Klaus Hagemann Gerhard Neumann (Gotha) Uta Titze-Stecher Manfred Hampel Dr. Edith Niehuis Adelheid Tröscher Christel Hanewinckel Dr. Rolf Niese Hans-Eberhard Urbaniak Ja Alfred Hartenbach Doris Odendahl Siegfried Vergin Dr. Liesel Hartenstein Günter Oesinghaus Ute Vogt (Pforzheim) Klaus Hasenfratz Leyla Onur Karsten D. Voigt (Frankfurt) CDU/CSU Dr. Ingomar Hauchler Manfred Opel Hans Georg Wagner Dieter Heistermann Adolf Ostertag Dr. Konstanze Wegner Gerhard Scheu Reinhold Hemker Kurt Palis Wolfgang Weiermann Rolf Hempelmann Albrecht Papenroth Reinhard Weis (Stendal) Dr. Barbara Hendricks Dr. Winfried Penner Matthias Weisheit SPD Monika Heubaum Dr. Martin Pfaff Gunter Weißgerber Uwe Hiksch Georg Pfannenstein Gert Weisskirchen (Wiesloch) Brigitte Adler Reinhold Hiller (Lübeck) Joachim Poß Jochen Welt Gerd Andres Stephan Hilsberg Rudolf Purps Hildegard Wester Robert Antretter Gerd Höfer Karin Rehbock-Zureich Lydia Westrich Hermann Bachmaier Frank Hofmann (Volkach) Margot von Renesse Inge Wettig-Danielmeier Ernst Bahr Ingrid Holzhüter Renate Rennebach Dr. Norbert Wieczorek Doris Barnett Erwin Horn Otto Reschke Helmut Wieczorek Klaus Barthel Eike Hovermann Bernd Reuter (Duisburg) Ingrid Becker-Inglau Lothar Ibrügger Dr. Edelbert Richter Heidemarie Wieczorek-Zeul Hans Berger Wolfgang Ilte Günter Rixe Dieter Wiefelspütz Hans-Werner Bertl Barbara Imhof Reinhold Robbe Berthold Wittich Friedhelm Julius Beucher Brunhilde Irber Gerhard Rübenkönig Dr. Wolfgang Wodarg Gabriele Iwersen Marlene Rupprecht Verena Wohlleben Anni Brandt-Elsweier Renate Jäger Dr. Hansjörg Schäfer Hanna Wolf (München) Dr. Eberhard Brecht Jann-Peter Janssen Gudrun Schaich-Walch Heidi Wright Edelgard Bulmahn Ilse Janz Dieter Schanz Uta Zapf Ursula Burchardt Dr. Uwe Jens Rudolf Scharping Dr. Christoph Zöpel Hans Martin Bury Volker Jung (Düsseldorf) Bernd Scheelen Peter Zumkley Hans Büttner (Ingolstadt) Sabine Kaspereit Dr. Hermann Scheer Marion Caspers-Merk Susanne Kastner Siegfried Scheffler Wolf-Michael Catenhusen Ernst Kastning Otto Schily BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Peter Conradi Hans-Peter Kemper Dieter Schloten Dr. Herta Däubler-Gmelin Klaus Kirschner Günter Schluckebier Gila Altmann (Aurich) Christel Deichmann Marianne Klappert Horst Schmidbauer Elisabeth Altmann Karl Diller Siegrun Klemmer (Nürnberg) (Pommelsbrunn) Dr. Marliese Dobberthien Hans-Ulrich Klose Ulla Schmidt (Aachen) Volker Beck (Köln) Peter Dreßen Dr. Hans-Hinrich Knaape Dagmar Schmidt (Meschede) Angelika Beer Freimut Duve Walter Kolbow Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Matthias Berninger Ludwig Eich Fritz Rudolf Körper Regina Schmidt-Zadel Annelie Buntenbach Peter Enders Nicolette Kressl Heinz Schmitt (Berg) Amke Dietert-Scheuer Gernot Erler Volker Kröning Dr. Emil Schnell Franziska Eichstädt-Bohlig Petra Ernstberger Thomas Krüger Walter Schöler Dr. Uschi Eid Annette Faße Horst Kubatschka Ottmar Schreiner Andrea Fischer (Berlin) Lothar Fischer (Homburg) Eckart Kuhlwein Gisela Schröter Joseph Fischer (Frankfurt) Gabriele Fograscher Helga Kühn-Mengel Dr. Mathias Schube rt Rita Grießhaber Iris Follak Konrad Kunick Schuhmann Richard Gerald Häfner Norbert Formanski Christine Kurzhals (Delitzsch) Antje Hermenau Dagmar Freitag Dr. Uwe Küster Brigitte Schulte (Hameln) Kristin Heyne Anke Fuchs (Köln) Werner Labsch Volkmar Schultz (Köln) Ulrike Höfken Katrin Fuchs (Verl) Brigitte Lange Ilse Schumann Michaele Hustedt Arne Fuhrmann Detlev von Larcher Dr. R. Werner Schuster Monika Knoche Monika Ganseforth Waltraud Lehn Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Angelika Köster-Loßack Konrad Gilges Robert Leidinger Dr. Angelica Schwall-Düren Steffi Lemke Iris Gleicke Dr. Elke Leonhard Ernst Schwanhold Dr. Helmut Lippelt Günter Gloser Klaus Lohmann (Witten) Rolf Schwanitz Oswald Metzger Uwe Göllner Christa Lörcher Bodo Seidenthal Kerstin Müller (Köln) 15814 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Winfried N achtwei Dr. Norbert Blüm Hubert Hüppe Johannes Nitsch Christa Nickels . Peter Jacoby Claudia Nolte Egbert Nitsch (Rendsburg) Dr. Maria Böhmer Susanne Jaffke Dr. Rolf Olderog Cem Özdemir Jochen Borchert Georg Janovsky Friedhelm Ost Gerd Poppe Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Helmut Jawurek Eduard Oswald Simone Probst Wolfgang Bosbach Dr. Dionys Jobst Norbert Otto (Erfurt) Halo Saibold Dr. Wolfgang Bötsch Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Gerhard Päselt Christine Scheel Klaus Brähmig Michael Jung (Limburg) Dr. Peter Paziorek Irmingard Schewe-Gerigk Rudolf Braun (Auerbach) Ulrich Junghanns Hans-Wilhelm Pesch Albert Schmidt (Hitzhofen) Paul Breuer Dr. Egon Jüttner Ulrich Petzold Wolfgang Schmitt Monika Brudlewsky Dr. Harald Kahl Anton Pfeifer (Langenfeld) Georg Brunnhuber Bartholomäus Kalb Angelika Pfeiffer Ursula Schönberger Klaus Bühler (Bruchsal) Steffen Kampeter Dr. Gero Pfennig Waltraud Schoppe Hartmut Büttner Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Friedbert Pflüger Christian Sterzing (Schönebeck) Manfred Kanther Beatrix Philipp Manfred Such Dankward Buwitt Irmgard Karwatzki Dr. Winfried Pinger Dr. Antje Vollmer Manfred Carstens (Emstek) Volker Kauder Ronald Pofalla Ludger Volmer Peter Harry Carstensen Peter Keller Dr. Hermann Pohler Helmut Wilhelm (Amberg) (Nordstrand) Eckart von Klaeden Ruprecht Polenz Wolfgang Dehnel Dr. Bernd Klaußner Marlies Pretzlaff Hubert Deittert Ulrich Klinkert Dr. Bernd Protzner PDS Gertrud Dempwolf Hans-Ulrich Köhler Dieter Pützhofen Albert Deß (Hainspitz) Thomas Rachel Petra Bläss Renate Diemers Manfred Kolbe Hans Raidel Maritta Böttcher Wilhelm Dietzel Norbert Königshofen Dr. Peter Ramsauer Eva Bulling-Schröter Werner Dörflinger Eva-Maria Kors Rolf Rau Heinrich Graf von Einsiedel Hansjürgen Doss Hartmut Koschyk Helmut Rauber Dr. Ludwig Elm Dr. Alfred Dregger Manfred Koslowski Peter Rauen Dr. Dagmar Enkelmann Maria Eichhorn Thomas Kossendey Otto Regenspurger Dr. Ruth Fuchs Wolfgang Engelmann Rudolf Kraus Christa Reichard (Dresden) Dr. Uwe-Jens Heuer Rainer Eppelmann Wolfgang Krause (Dessau) Klaus Dieter Reichardt Dr. Barbara Höll Heinz Dieter Eßmann Andreas Krautscheid (Mannheim) Dr. Willibald Jacob Horst Eylmann Arnulf Kriedner Dr. Bertold Reinartz Ulla Jelpke Anke Eymer Heinz-Jürgen Kronberg Erika Reinhardt Gerhard Jüttemann Ilse Falk Dr.-Ing. Paul Krüger Hans-Peter Repnik Dr. Heidi Knake-Werner Jochen Feilcke Reiner Krziskewitz Roland Richter Rolf Kutzmutz Ulf Fink Dr. Hermann Kues Roland Richwien Dr. Christa Luft Leni Fischer (Unna) Werner Kuhn Dr. Norbert Rieder Heidemarie Lüth Klaus Francke (Hamburg) Dr. Karl A. Lamers Dr. Erich Riedl (München) Dr. Günther Maleuda Herbert Frankenhauser (Heidelberg) Klaus Riegert Manfred Müller (Berlin) Dr. Gerhard Friedrich Dr. Norbert Lammert Dr. Heinz Riesenhuber Rosel Neuhäuser Erich G. Fritz Helmut Lamp Franz Romer Dr. Uwe-Jens Rössel Hans-Joachim Fuchtel Hannelore Rönsch Christina Schenk Michaela Geiger Herbert Lattmann (Wiesbaden) Steffen Tippach Norbert Geis Dr. Paul Laufs Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Maus-Jürgen Warnick Michael Glos Karl-Josef Laumann Dr. Klaus Rose Dr. Winfried Wolf Wilma Glücklich Werner Lensing Kurt J. Rossmanith Gerhard Zwerenz Dr. Reinhard Göhner Peter Letzgus Adolf Roth (Gießen) Peter Götz Editha Limbach Norbert Röttgen Dr. Wolfgang Götzer Walter Link (Diepholz) Dr. Christian Ruck Fraktionslose Joachim Gres Eduard Lintner Volker Rühe Kurt-Dieter Grill Dr. Manfred Lischewski Dr. Jürgen Rüttgers Kurt Neumann (Berlin) Wolfgang Gröbl Wolfgang Lohmann Roland Sauer (Stuttga rt) Hermann Gröhe (Lüdenscheid) Ortrun Schätzle Claus-Peter Grotz Julius Louven Dr. Wolfgang Schäuble Nein Manfred Grund Sigrun Löwisch Hartmut Schauerte Horst Günther (Duisburg) Heinrich Lummer Heinz Schemken Carl-Detlev Freiherr von Dr. Michael Luther Karl-Heinz Scherhag CDU/CSU Hammerstein Erich Maaß (Wilhelmshaven) Norbert Schindler Gottfried Haschke Dr. Dietrich Mahlo Dietmar Schlee Ulrich Adam (Großhennersdorf) Erwin Marschewski Ulrich Schmalz Peter Altmaier Gerda Hasselfeldt Günter Marten Christian Schmidt (Fürth) Anneliese Augustin Otto Hauser (Esslingen) Dr. Martin Mayer Dr.-Ing. Joachim Schmidt Jürgen Augustinowitz Hansgeorg Hauser (Siegertsbrunn) (Halsbrücke) (Rednitzhembach) Wolfgang Meckelburg Andreas Schmidt (Mülheim) Heinz-Günter Bargfrede Klaus-Jürgen Hedrich Rudolf Meinl Hans-Otto Schmiedeberg Franz Peter Basten Helmut Heiderich Dr. Michael Meister Hans Peter Schmitz Dr. Wolf Bauer Manfred Heise Dr. Angela Merkel (Baesweiler) Brigitte Baumeister Detlef Helling Friedrich Merz Michael von Schmude Meinrad Belle Dr. Renate Hellwig Rudolf Meyer (Winsen) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Sabine Bergmann-Pohl Ernst Hinsken Hans Michelbach Dr. Andreas Schockenhoff Hans-Dirk Bierling Peter Hintze Meinolf Michels Dr. Rupert Scholz Dr. Joseph-Theodor Blank Josef Hollerith Dr. Gerd Müller Reinhard Freiherr von Renate Blank Dr. Karl-Heinz Hornhues Elmar Müller (Kirchheim) Schorlemer Dr. Heribert Blens Siegfried Hornung Engelbert Nelle Dr. Erika Schuchardt Peter Bleser Joachim Hörster Bernd Neumann (Bremen) Wolfgang Schulhoff Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15815

Vizenräsident Dr. Burkhard Hirsch Dr. Dieter Schulte F.D.P. Ich gebe das von den Schriftführern und Schrift- (C) (Schwäbisch Gmünd) führerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Gerhard Schulz (Leipzig) Ina Albowitz Abstimmung über den Änderungsantrag des Abge- Frederick Schulze Dr. Gisela Babel (Sangerhausen) Hildebrecht Braun ordneten Gerald Häfner und der Fraktion Bündnis Diethard Schütze (Berlin) (Augsburg) 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7656 zu dem eben Clemens Schwalbe Günther Bredehorn genannten Gesetzentwurf bekannt. Abgegebene Dr. Christian Schwarz- Jörg van Essen Stimmen 626. Mit Ja haben gestimmt 45. Mit Nein Schilling Dr. Olaf Feldmann haben gestimmt 325. Enthaltungen 256. Damit ist der Wilhelm Josef Sebastian Gisela Frick Änderungsantrag abgelehnt. Horst Seehofer Paul K. Friedhoff Marion Seib Horst Friedrich Wilfried Seibel Rainer Funke Endgültiges Ergebnis Waltraud Schoppe Heinz-Georg Seiffert Hans-Dietrich Genscher Christian Sterzing Rudolf Seiters Dr. Wolfgang Gerhardt Abgegebene Stimmen: 624 Manfred Such Johannes Selle Joachim Günther (Plauen) davon: Dr. Antje Vollmer Jürgen Sikora Dr. Karlheinz Guttmacher ja: 45 Ludger Volmer Johannes Singhammer Ulrich Heinrich Helmut Wilhelm (Amberg) Bärbel Sothmann Walter Hirche nein: 322 Margarete Späte Dr. Burkhard Hirsch enthalten: 257 Wolfgang Steiger Birgit Homburger PDS Erika Steinbach Dr. Werner Hoyer Dr. Wolfgang Freiherr von Ulrich Irmer Ja Rolf Köhne Stetten Dr. Klaus Kinkel Dr. Gerhard Stoltenberg Detlef Kleinert (Hannover) Andreas Storm Roland Kohn CDU/CSU Nein Max Straubinger Dr. Heinrich L. Kolb Matthäus Strebl Jürgen Koppelin Vera Lengsfeld Michael Stübgen Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann CDU/CSU Egon Susset Sabine Leutheusser- Dr. Rita Süssmuth Schnarrenberger SPD Ulrich Adam Michael Teiser Uwe Lühr Peter Altmaier Waltraud Lehn Dr. Susanne Tiemann Günther Friedrich Nolting Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dr. Klaus Töpfer Dr. Rainer Ortleb Dietrich Austermann Gottfried Tröger Lisa Peters BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Heinz-Günter Bargfrede Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Dr. Günter Rexrodt Gunnar Uldall Franz Peter Basten Dr. Klaus Röhl Gila Altmann (Aurich) Wolfgang Vogt (Düren) Dr. Wolf Bauer Helmut Schäfer (Mainz) Elisabeth Altmann Dr. Horst Waffenschmidt Brigitte Baumeister Cornelia Schmalz-Jacobsen (Pommelsbrunn) Meinrad Belle Dr. Theodor Waigel Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Marieluise Beck (Bremen) Dr. Sabine Bergmann-Pohl Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Irmgard Schwaetzer Volker Beck (Köln) Hans-Dirk Bierling Dr. Jürgen Warnke Dr. Hermann Otto Sohns Angelika Beer Dr. Joseph-Theodor Blank Kersten Wetzel Dr. Max Stadler Matthias Berninger Renate Blank Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Carl-Ludwig Thiele Annelle Buntenbach Dr. Heribert Blens Gert Willner Dr. Dieter Thomae Amke Dietert-Scheuer Peter Bleser Bernd Wilz Jürgen Türk Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Norbert Blüm Willy Wimmer (Neuss) Dr. Wolfgang Weng Dr. Uschi Eid Friedrich Bohl Matthias Wissmann (Gerungen) Andrea Fischer (Berlin) Dr. Maria Böhmer Dr. Fritz Wittmann Dr. Guido Westerwelle Joseph Fischer (Frankfurt) Jochen Borchert Dagmar Wöhrl Rita Grießhaber Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Michael Wonneberger Gerald Häfner Wolfgang Bosbach Elke Wülfing Enthalten Antje Hermenau Dr. Wolfgang Bötsch Peter Kurt Würzbach Kristin Heyne Klaus Brähmig Cornelia Yzer Ulrike Höfken Rudolf Braun (Auerbach) Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU Michaele Hustedt Paul Breuer Benno Zierer Monika Knoche Monika Brudlewsky Wolfgang Zöller Vera Lengsfeld Dr. Angelika Köster-Loßack Georg Brunnhuber Steffi Lemke Klaus Bühler (Bruchsal) Dr. Helmut Lippelt Hartmut Büttner Oswald Metzger (Schönebeck) Kerstin Müller (Köln) Dankward Buwitt Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung Winfried Nachtwei Manfred Carstens (Emstek) im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentari Christa Nickels Peter Harry Carstensen des Europarates und der-schen Versammlungen Egbert Nitsch (Rendsburg) (Nordstrand) WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Cem Özdemir Wolfgang Dehnel Gerd Poppe Hubert Deittert Simone Probst Gertrud Dempwolf Abgeordnete(r) Halo Saibold Albert Deß Christine Scheel Renate Diemers Behrendt, Wolfgang, SPD Irmingard Schewe-Gerigk Wilhelm Dietzel Dr. Probst, Albe rt, CDU/CSU Albert Schmidt (Hitzhof en) Werner Dörflinger Siebert, Bernd, CDU/CSU Wolfgang Schmitt Hansjürgen Doss (Langenfeld) Dr. Alfred Dregger Terborg, Margitta, SPD Ursula Schönberger Maria Eichhorn 15816 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Wolfgang Engelmann Wolfgang Krause (Dessau) Hans-Peter Repnik Gottfried Tröger Rainer Eppelmann Andreas Krautscheid Roland Richter Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Heinz Dieter Eßmann Arnulf Kriedner Roland Richwien Gunnar Uldall Horst Eylmann Heinz-Jürgen Kronberg Dr. Norbert Rieder Wolfgang Vogt (Duren) Anke Eymer Dr.-Ing. Paul Krüger Dr. Erich Riedl (München) Dr. Horst Waffenschmidt Ilse Falk Reiner Krziskewitz Klaus Riegert Dr. Theodor Waigel Jochen Feilcke Dr. Hermann Kues Dr. Heinz Riesenhuber Alois Graf von Waldburg-Zeil Ulf Fink Werner Kuhn Hannelore Rönsch Dr. Jürgen Warnke Leni Fischer (Unna) Dr. Karl A. Lamers (Wiesbaden) Kersten Wetzel Klaus Francke (Hamburg) (Heidelberg) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Herbert Frankenhauser Karl Lamers Dr. Klaus Rose Gert Willner Dr. Gerhard Friedrich Dr. Norbert Lammert Kurt J. Rossmanith Bernd Wilz Erich G. Fritz Helmut Lamp Adolf Roth (Gießen) Willy Wimmer (Neuss) Hans-Joachim Fuchtel Armin Laschet Norbert Röttgen Matthias Wissmann Michaela Geiger Herbert Lattmann Dr. Christian Ruck Dr. Fritz Wittmann Norbert Geis Dr. Paul Laufs Volker Rühe Dagmar Wöhrl Dr. Jürgen Rüttgers Michael Glos Karl-Josef Laumann Michael Wonneberger Werner Lensing Roland Sauer (Stuttgart) Wilma Glücklich Elke Wülfing Peter Letzgus Ortrun Schätzle Dr. Reinhard Göhner Peter Kurt Würzbach Peter Götz Editha Limbach Dr. Wolfgang Schäuble Cornelia Yzer Dr. Wolfgang Götzer Walter Link (Diepholz) Hartmut Schauerte Wolfgang Zeitlmann Joachim Gres Eduard Lintner Heinz Schemken Benno Zierer Kurt-Dieter Grill Dr. Manfred Lischewski Karl-Heinz Scherhag Wolfgang Zöller Wolfgang Gröbl Wolfgang Lohmann Gerhard Scheu Hermann Gröhe (Lüdenscheid) Norbert Schindler Claus-Peter Grotz Julius Louven Dietmar Schlee Manfred Grund Sigrun Löwisch Ulrich Schmalz F.D.P. Horst Günther (Duisburg) Heinrich Lummer Christian Schmidt (Fürth) Carl-Detlev Freiherr von Dr. Michael Luther Dr.-Ing. Joachim Schmidt Ina Albowitz Hammerstein Erich Maaß (Wilhelmshaven) (Halsbrücke) Dr. Gisela Babel Gottfried Haschke Erwin Marschewski Andreas Schmidt (Mülheim) Hildebrecht Braun (Großhennersdorf) Günter Marten Hans-Otto Schmiedeberg (Augsburg) Gerda Hasselfeldt Dr. Martin Mayer Hans Peter Schmitz Günther Bredehom Otto Hauser (Esslingen) (Siegertsbrunn) (Baesweiler) Jörg van Essen Hansgeorg Hauser Wolfgang Meckelburg Michael von Schmude Dr. Olaf Feldmann (Rednitzhembach) Rudolf Meinl Birgit Schnieber-Jastram Gisela Frick Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Michael Meister Dr. Andreas Schockenhoff Paul K. Friedhoff Helmut Heiderich Dr. Angela Merkel Dr. Rupert Scholz Horst Friedrich Manfred Heise Friedrich Merz Reinhard Freiherr von Rainer Funke Detlef Helling Rudolf Meyer (Winsen) Schorlemer Hans-Dietrich Genscher Dr. Renate Hellwig Hans Michelbach Dr. Erika Schuchardt Dr. Wolfgang Gerhardt Ernst Hinsken Meinolf Michels Wolfgang Schulhoff Joachim Günther (Plauen) Peter Hintze Dr. Gerd Müller Dr. Dieter Schulte Dr. Karlheinz Guttmacher Josef Hollerith Elmar Müller (Kirchheim) (Schwäbisch Gmünd) Ulrich Heinrich Dr. Karl-Heinz Hornhues Engelbert Nelle Gerhard Schulz (Leipzig) Walter Hirche Siegfried Hornung Bernd Neumann (Bremen) Frederick Schulze Dr. Burkhard Hirsch Joachim Hörster Johannes Nitsch (Sangerhausen) Birgit Homburger Hubert Hüppe Claudia Nolte Diethard Schütze (Berlin) Dr. Werner Hoyer Peter Jacoby Friedhelm Ost Clemens Schwalbe Ulrich Irmer Susanne Jaffke Eduard Oswald Dr. Christian Schwarz- Dr. Klaus Kinkel Georg Janovsky Norbert Otto (Erfurt) Schilling Detlef Kleinert (Hannover) Helmut Jawurek Dr. Gerhard Päselt Wilhelm Josef Sebastian Roland Kohn Dr. Dionys Jobst Dr. Peter Paziorek Horst Seehofer • Dr. Heinrich L. Kolb Dr.-Ing. Rainer Jork Hans-Wilhelm Pesch Marion Seib Jürgen Koppelin Michael Jung (Limburg) Ulrich Petzold Wilfried Seibel Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Heinz-Georg Seiffert Dr. Egon Jüttner Anton Pfeifer Sabine Leutheusser- Dr. Harald Kahl Dr. Friedbert Pflüger Rudolf Seiters Schnarrenberger Johannes Selle Bartholomäus Kalb Dr. Winfried Pinger Uwe Lühr Jürgen Sikora Steffen Kampeter Ronald Pofalla Günther Friedrich Nolting Dr. Hermann Pohler Johannes Singhammer Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Rainer Ortleb Manfred Kanther Ruprecht Polenz Bärbel Sothmann Lisa Peters Irmgard Karwatzki Marlies Pretzlaff Margarete Späte Dr. Günter Rexrodt Volker Kauder Dr. Bernd Protzner Wolfgang Steiger Dr. Klaus Röhl Peter Keller Dieter Pützhofen Erika Steinbach Helmut Schäfer (Mainz) Eckart von Klaeden Thomas Rachel Dr. Wolfgang Freiherr von Dr. Bernd Klaußner Hans Raidel Stetten Cornelia Schmalz-Jacobsen Ulrich Klinkert Dr. Peter Ramsauer Dr. Gerhard Stoltenberg Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Hans-Ulrich Köhler Rolf Rau Andreas Storm Dr. Irmgard Schwaetzer (Hainspitz) Helmut Rauber Max Straubinger Dr. Hermann Otto Sohns Manfred Kolbe Peter Rauen Matthäus Strebl Dr. Max Stadler Norbert Königshof en Otto Regenspurger Michael Stübgen Carl-Ludwig Thiele Eva-Maria Kors Christa Reichard (Dresden) Egon Susset Dr. Dieter Thomae Hartmut Koschyk Klaus Dieter Reichardt Dr. Rita Süssmuth Jürgen Türk Manfred Koslowski (Mannheim) Michael Teiser Dr. Wolfgang Weng Thomas Kossendey Dr. Bertold Reinartz Dr. Susanne Tiemann (Gerlingen) Rudolf Kraus Erika Reinhardt Dr. Klaus Töpfer Dr. Guido Westerwelle Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15817

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Enthalten Reinhold Hiller (Lübeck) Rudolf Purps Adelheid Tröscher Stephan Hilsberg Karin Rehbock-Zureich Siegfried Vergin Gerd Höfer Margot von Renesse Ute Vogt (Pforzheim) CDU/CSU Frank Hofmann (Volkach) Renate Rennebach Karsten D. Voigt (Frankfurt) Ingrid Holzhüter Otto Reschke Hans Georg Wagner Dr. Dietrich Mahlo Erwin Horn Bernd Reuter Dr. Konstanze Wegner Angelika Pfeiffer Eike Hovermann Dr. Edelbert Richter Wolfgang Weiermann Lothar Ibrügger Günter Rixe Reinhard Weis (Stendal) Wolfgang Ilte Reinhold Robbe Matthias Weisheit SPD Barbara Imhof Gerhard Rübenkönig Gunter Weißgerber Brunhilde Irber Marlene Rupprecht Gert Weisskirchen (Wiesloch) Brigitte Adler Gabriele Iwersen Dr. Hansjörg Schäfer Jochen Welt Gerd Andres Renate Jäger Gudrun Schaich-Walch Hildegard Wester Robert Antretter Jann-Peter Janssen Dieter Schanz Lydia Westrich Hermann Bachmaier Ilse Janz Rudolf Scharping Inge Wettig-Danielmeier Ernst Bahr Dr. Uwe Jens Bernd Scheelen Dr. Norbert Wieczorek Doris Barnett Volker Jung (Düsseldorf) Dr. Hermann Scheer Helmut Wieczorek Klaus Barthel Sabine Kaspereit Siegfried Scheffler (Duisburg) Ingrid Becker-Inglau Susanne Kastner Otto Schily Heidemarie Wieczorek-Zeul Hans-Werner Bertl Ernst Kastning Dieter Schloten Dieter Wiefelspütz Friedhelm Julius Beucher Hans-Peter Kemper Günter Schluckebier Berthold Wittich Rudolf Bindig Klaus Kirschner Horst Schmidbauer Dr. Wolfgang Wodarg Anni Brandt-Elsweier Marianne Klappert (Nürnberg) Verena Wohlleben Dr. Eberhard Brecht Siegrun Klemmer Ulla Schmidt (Aachen) Hanna Wolf (München) Edelgard Bulmahn Hans-Ulrich Klose Dagmar Schmidt (Meschede) Heidi Wright Ursula Burchardt Dr. Hans-Hinrich Knaape Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Uta Zapf Hans Martin Bury Walter Kolbow Regina Schmidt-Zadel Dr. Christoph Zöpel Hans Büttner (Ingolstadt) Fritz Rudolf Körper Heinz Schmitt (Berg) Peter Zumkley Marion Caspers-Merk • Nicolette Kressl Dr. Emil Schnell Wolf-Michael Catenhusen Volker Kröning Walter Schöler Peter Conradi Thomas Krüger Ottmar Schreiner PDS Dr. Herta Däubler-Gmelin Horst Kubatschka Gisela Schröter Christel Deichmann Eckart Kuhlwein Dr. Mathias Schubert Petra Bläss Karl Diller Helga Kühn-Mengel Schuhmann Richard Maritta Böttcher Dr. Marliese Dobberthien Konrad Kunick (Delitzsch) Eva Bulling-Schröter Peter Dreßen Christine Kurzhals Brigitte Schulte (Hameln) Heinrich Graf von Einsiedel Rudolf Dreßler Dr. Uwe Küster Volkmar Schultz (Köln) Dr. Ludwig Elm Freimut Duve Werner Labsch Ilse Schumann Dr. Dagmar Enkelmann Ludwig Eich Brigitte Lange Dr. R. Werner Schuster Dr. Ruth Fuchs Peter Enders Detlev von Larcher Dietmar Schütz (Oldenburg) Hanns-Peter Ha rtmann Gernot Erler Robert Leidinger Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Uwe-Jens Heuer Petra Ernstberger Dr. Elke Leonhard Ernst Schwanhold Dr. Barbara Höll Annette Faße Klaus Lohmann (Witten) Rolf Schwanitz Dr. Willibald Jacob Lothar Fischer (Homburg) Christa Lörcher Bodo Seidenthal Ulla Jelpke Gabriele Fograscher Erika Lotz Lisa Seuster Gerhard Jüttemann Iris Follak Dr. Christine Lucyga Horst Sielaff Dr. Heidi Knake-Werner Norbert Formanski Dieter Maaß (Herne) Erika Simm Rolf Kutzmutz Dagmar Freitag Winfried Mante Johannes Singer Dr. Christa Luft Anke Fuchs (Köln) Dorle Marx Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Heidemarie Lüth Katrin Fuchs (Verl) Ulrike Mascher Wieland Sorge Dr. Günther Maleuda Arne Fuhrmann Christoph Matschie Wolfgang Spanier Manfred Müller (Berlin) Monika Ganseforth Ingrid Matthäus-Maier Dr. Dietrich Sperling Rosel Neuhäuser Konrad Gilges Heide Mattischeck Jörg-Otto Spiller Dr. Uwe-Jens Rössel Iris Gleicke Ulrike Mehl Ludwig Stiegler Christina Schenk Günter Gloser Herbert Meißner Dr. Peter Struck Steffen Tippach Uwe Göllner Angelika Mertens Joachim Tappe Klaus-Jürgen Warnick Günter Graf (Friesoythe) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Jörg Tauss Dr. Winfried Wolf Angelika Graf (Rosenheim) Ursula Mogg Dr. Bodo Teichmann Gerhard Zwerenz Dieter Grasedieck Siegmar Mosdorf Jella Teuchner Achim Großmann Jutta Müller (Völklingen) Dr. Gerald Thalheim Karl Hermann Haack Christian Müller (Zittau) Wolfgang Thierse Fraktionslos (Extertal) Volker Neumann (Bramsche) Franz Thönnes Hans-Joachim Hacker Gerhard Neumann (Gotha) Uta Titze-Stecher Kurt Neumann (Berlin) Klaus Hagemann Dr. Edith Niehuis Manfred Hampel Dr. Rolf Niese Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung Christel Hanewinckel Doris Odendahl im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentari Alfred Hartenbach Günter Oesinghaus des Europarates und der-schen Versammlungen Dr. Liesel Hartenstein Leyla Onur Klaus Hasenfratz Manfred Opel WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Dr. Ingomar Hauchler Adolf Ostertag Abgeordnete(r) Dieter Heistermann Kurt Palis Reinhold Hemker Albrecht Papenroth Behrendt, Wolfgang, SPD Rolf Hempelmann Dr. Wilfried Penner Dr. Probst, Albert, Dr. Barbara Hendricks Dr. Martin Pfaff CDU/CSU Monika Heubaum Georg Pfannenstein Siebert, Bernd, CDU/CSU Uwe Hiksch Joachim Poß Terborg, Margitta, SPD 15818 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich bitte nun diejenigen, die in zweiter Beratung sertion", „Wehrkraftzersetzung" oder dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen auf den „Wehrdienstverweigerung" während der Drucksachen 13/6496 und 13/7491 Buchstabe a in nationalsozialistischen Gewaltherrschaft der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zwei- Beck (Köln), Winfried Nachtwei, Christa ter Lesung mit den Stimmen der Koalition gegen die Nickels, weiterer Abgeordneter und der Stimmen der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltun- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen des übrigen Hauses angenommen worden ist. Rehabilitierung, Entschädigung und Ver- sorgung für die Deserteure, Kriegsdienst- Wir treten in die verweigerer und „Wehrkraftzersetzer" un- ter dem NS-Regime dritte Beratung und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die - Drucksachen 13/354, 13/353, 13/7669 - dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Berichterstattung: - ben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Abgeordnete Norbe rt Geis Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Dr. Herta Däubler-Gmelin Beratung mit demselben Stimmenverhältnis ange- Detlef Kleinert (Hannover) nommen worden ist. Volker Beck (Köln) Wir kommen jetzt noch zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Es liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion Grünen auf Drucksache 13/7553. Wer dem Entschlie- Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS vor. ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Ich weise darauf hin, daß wir über einen Teil des An- derungsantrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich nen nach der Debatte - ich gehe davon aus, daß das fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen kurz vor 20 Uhr sein wird - namentlich abstimmen. der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS und gegen die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wo- die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei für die Fraktion der SPD 121/2 Minuten und für die abgelehnt worden ist. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieben Minuten zur Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungs- Verfügung stehen sollen. - Ich sehe und höre keinen punktes. Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wo rt Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10a und rt Geis. dem Abgeordneten Norbe 10b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abge- (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine ordneten Volker Beck (Köln), Angelika Beer, Norbert Geis sehr verehrten Damen und Herren! Die Geschichte Annelie Buntenbach, weiteren Abgeordneten von 1933 bis 1945 holt uns immer wieder ein. Wir ha- und der Fraktion BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN ben dies in den letzten Monaten und Wochen erneut eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur - erfahren. Wir sollten uns allerdings davor hüten, Entschädigung von Fahnenflüchtigen, Wehr- heute, 50 Jahre danach, aus sicherer Entfernung und kraftzersetzern und Wehrdienstverweigerern in wohlgeordneten Verhältnissen mit dem morali- unter dem NS-Regime schen Zeigefinger auf die Generation von 1933 bis - Drucksache 13/4409 - 1945 zu deuten. Pauschale Urteile helfen nieman- dem; sie mißachten den Einzelfall und setzen so (Erste Beratung 104. Sitzung) neues Unrecht. Beschlußempfehlung und Bericht des Rechts- Als der Entwurf der Entschließung der Fraktionen ausschusses (6. Ausschuß) der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD in der Öffent- - Drucksache 13/7669 - lichkeit bekannt wurde, wurde der Vorwurf laut, da- mit würden die Deserteure pauschal rehabi litiert; es Berichterstattung: würden all diejenigen, die im Krieg geblieben sind, Abgeordnete Norbe rt Geis die nicht desertiert sind, von uns ins Abseits gestellt Dr. Herta Däubler-Gmelin und als die Versager der Geschichte von 1933 bis Detlef Kleine rt (Hannover) 1945 abqualifiziert. Genau das wollen wir mit der Volker Beck (Köln) Entschließung nicht. Die Ehre der Soldaten, die bis b) Beratung der Beschlußempfehlung und des zum Schluß ihre Pflicht erfüllt haben, die vielleicht Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) schwere Verwundungen erlitten haben, die im Ge- fängnis oder lange Zeit in Kriegsgefangenschaft ge- - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker wesen sind, die ihr junges Leben eingebüßt haben, Kröning, Dieter Wiefelspütz, Dr. Herta bleibt unangetastet. Ihnen gilt nach wie vor unser Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter voller Respekt. und der Fraktion der SPD Unrechtsurteile wegen „Fahnenflucht/De (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15819

Norbert Geis In diesem Entschließungsantrag wird auch nicht entschädigt werden kann. Das muß man dieser Be- die Wehrmachtsjustiz pauschal als Terrorinstrument hörde zubilligen. Sie muß sich natürlich das Urteil der Nazis verurteilt. Das wäre auch unangebracht vorlegen lassen, und wenn Akten da sind, muß sie und abwegig; denn Hitler hat gegen diese Militärju- die Akten beiziehen. Aber sie ist nicht verpflichtet, stiz getobt und hat deshalb den Volksgerichtshof und 50 Jahre zurückzuermitteln, ob das jewei lige Urteil die Standgerichte eingeführt. Es kann aber kein auch rechtmäßig war oder nicht. Zweifel darüber bestehen, daß viele Urteile der Mili- tärgerichte, aber auch natürlich viele Urteile der or- Herr Kollege dentlichen Gerichtsbarkeit in jener Zeit krasse Fehl- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Geis, Sie müssen zum Schluß kommen. urteile gewesen sind. Es besteht auch kein Zweifel darüber, daß es der Justiz insgesamt nicht gelungen ist, das Recht gegen die Gewaltherrschaft Hitlers Norbert Geis (CDU/CSU): Meine sehr verehrten durchzusetzen, was allerdings auch anerkannterma Damen und Herren, die Grünen versuchen mit ihrem Ben - das müssen wir in aller Demut eingestehen - Änderungsantrag, die beiden Sätze, daß anderes gilt, sehr schwierig gewesen wäre. wenn die damalige Handlung auch heute Unrecht wäre, und daß 50 Jahre danach nicht mehr weiter re- Weil das so ist, hat das Bundessozialgericht schon cherchiert werden kann, aus dem Entschließungsan- 1991 in einem Urteil die Vermutung geäußert, daß trag herauszustreichen. Wir sind gegen diesen Ände- alle Todesurteile wegen Wehrkraftzersetzung und rungsantrag, weil damit die Pauschalierung festge- Desertion als Unrechtsurteile zu gelten haben. schrieben wäre. Und das wollen wir nicht. Es war Dieser Entwurf einer Entschließung geht über eine lange Diskussion, und wir haben viele gegen- diese Todesurteile hinaus und sagt: Alle Urteile we- sätzliche Standpunkte ausgetauscht. gen Wehrkraftzersetzung und wegen Fahnenflucht sind Unrecht gewesen. Nun wissen wir aber - dem Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Rechtsausschuß haben mindestens 200 Akten mit Geis, Sie müssen zum Schluß kommen. Einzelentscheidungen vorgelegen -, daß viele Deser- teure auch deshalb geflohen sind, weil sie vorher Un- (CDU/CSU): Ich bin am Ende. recht getan haben, weil sie beispielsweise der Zivil- Norbert Geis bevölkerung Verbrechen zugefügt haben und weil Wir haben dennoch zu einer gemeinsamen Rege- sie befürchtet haben, ihrem gerechten Urteil entge- lung gefunden. Dies verdient Anerkennung, und genzugehen. Das ergab sich ganz eindeutig aus den deshalb signalisiere ich für die CDU/CSU-Fraktion dem Rechtsausschuß vorgelegten Akten. Zustimmung. Deshalb kann nicht pauschal gesagt werden, die Danke schön. Deserteure seien insgesamt rehabi litiert, und deshalb steht im Entwurf der Satz: Anderes gilt, wenn nach (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) unseren heutigen Rechtsmaßstäben eine damalige Handlung ebenfalls zu verurteilen wäre. Dann gilt Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ehe ich das. der Grundsatz, daß solche Urteile rechtmäßig gewe- Wort weitergebe, möchte ich Sie noch um etwas bit- sen sind. ten: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir behandeln Natürlich wissen wir - dem können wir ja nicht hier ein schwieriges Thema. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es den Rednern erleichtern würden, ihre ausweichen -, daß heute, 50 Jahre nach- dem Krieg, nicht mehr in die Wirren der damaligen Kriegszeit Gedanken vorzutragen, indem Sie Ihre vielleicht not- hinein ermittelt werden kann, um festzustellen, ob wendigen anderweitigen Gespräche nicht im Raum ein konkretes Urteil rechtmäßig war oder nicht. Dies führten. ist auch in der Entschließung so festgehalten. Wenn Ich gebe der Abgeordneten Herta Däubler-Gmelin allerdings ganz offensichtlich ist, daß ein Urteil vor- das Wort. liegt, das zu Recht ergangen ist, weil beispielsweise ein Verbrechen vorausgegangen ist oder weil ein Sol- dat, der eingeteilt war, das Leben von Flüchtlingen Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Herr Präsident! beim Rückzug vor anstürmenden Feinden zu schüt- Meine Damen und Herren! Sie haben recht, Herr zen, in diesem Augenblick geflohen ist, dann hat er Präsident: Es ist ein schwieriges Thema, über das wir auch nach unseren heutigen Maßstäben zweifellos heute reden. Die Rede des Kollegen Geis hat das verwerflich gehandelt. Wenn dies offensichtlich ist, sehr deutlich gemacht. Ich wi ll sie jetzt gar nicht wei- wenn sich dies aus der Aktenlage ergibt, dann kann ter kommentieren, sondern nur sagen: Es ist ganz der Bundestag dazu nicht sagen, das sei heute recht- gut, daß wir über einen Text abstimmen und nicht mäßig. Und das tut er auch nicht. über Interpretationen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir haben ausdrücklich gesagt, es gibt keine Ein- zelfallprüfungen. Sosehr der eine oder andere Ihren Auch die Rehabilitierungsstelle - die Oberfinanzdi- Motivationen zuneigen mag oder sie bekämpfen rektion Köln, die dafür vorgesehen ist - kann sich mag, fest steht: 50 Jahre nach dem Ende der Nazizeit nicht so verhalten. Sie kann nicht die Augen ver- und 50 Jahre nach diesem schrecklichen Krieg gibt schließen, wenn ihr ein solcher Fall vorliegt. Sie kann es keine Einzelfallprüfungen mehr. Das ist der Sinn nicht wissentlich entschädigen, wenn sie genau dieser Erklärung. Ich finde es gut, wenn wir das her- weiß, daß hier ein Fall vorliegt, der eigentlich nicht ausstellen. 15820 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Dr. Herta Däubler-Gmelin Meine Damen und Herren, es ist eine Schande, von Unrecht in der DDR und nicht als direkte Aufar- daß wir uns 50 Jahre nach dem Naziregime immer beitung des Unrechts der Nazizeit geschehen ist. noch mit den Verwüstungen, die dieses Regime hin- terlassen hat, auseinandersetzen müssen. Das wi ll Wir, der Bundestag, haben jahrelang über die Re- ich freilich auch sagen: habilitierung der sogenannten Wehrkraftzersetzer, der Kriegsdienstverweigerer und Fahnenflüchtigen Die Bundesrepublik Deutschland besteht jetzt des Zweiten Weltkriegs gestritten - viel zu lange. schon nahezu fünf Jahrzehnte. Wir sind ein rechts- Heute sind wir endlich einen Schritt weiter; heute ha- staatliches Gemeinwesen, und wir sind stolz darauf. ben wir eine Erklärung, in der wir, wie ich hoffe, mit Wenn man aber feststellen muß, wieviel von dem großer Mehrheit feststellen, was längst hätte festge- schrecklichen Unrecht jener Jahre bis heute nicht stellt werden müssen: daß der Zweite Weltkrieg ein aufgearbeitet wurde, dann verläßt einen der Stolz re- Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalso- lativ schnell. Es ist schon wichtig, daß man dann zialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen sagt: Wir müssen tun, was wir heute können; es ist in war - das ist so - und daß die von der Wehrmachtsju- den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik stiz während des Zweiten Weltkriegs gefällten Ur- Deutschland einfach zuviel liegengeblieben. Zu teile - Herr Geis, Sie haben das schon erwähnt - Un- dem, was liegengeblieben ist, gehört natürlich das recht, nicht Recht waren. traurige Kapitel der NS-Justiz, gerade auch der Wehrmachts- und Kriegsgerichte. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]) Ich will an dieser Stelle daran erinnern, was Adolf Arndt schon in den 50er Jahren gesagt hat. Auch da- Wer sich dem Verbrechen des Angriffsk riegs ent- mals gab es die Unlust, das NS-Unrecht aufzuarbei- zogen hat und dann wegen Unrechtstaten verurteilt ten und Wiedergutmachung da einzusetzen, wo es wurde, der war kein Krimineller, sondern der war im noch ging. Er hat damals gesagt, es müsse endlich Recht. Und das sagen wir heute auch. Ich stimme Ih- die Einsicht Platz greifen, daß die Befehle der natio- nen darin zu, daß das keine Desavouierung derjeni- nalsozialistischen Machthaber nicht das Recht jener gen ist, die das nicht getan haben, weil ihre Vater- Zeit, sondern das Unrecht jener Zeit gebildet hätten, landsliebe mißbraucht wurde, oder die geglaubt ha- und daß dieses Unrecht und sonst nichts um des ben, ihre Pflicht zu tun. Rechts willen der Grund für jeden Wiedergutma- Ein Weiteres, das diese Entschließung feststellt, chungsanspruch sei. geht weit über die Frage von Recht und Unrecht hin- Adolf Arndt hat hinzugefügt, es bedürfe der Er- aus und hat auch mit dem Zeigefinger nichts zu tun, kenntnis, daß Unrecht schändet, und zwar denjeni- sondern ist eine Selbstverständlichkeit: Der Deutsche gen, der es verübt, und denjenigen, in dessen Namen Bundestag bezeugt den Opfern und ihren Familien es verübt wird. Er hat ferner gesagt, daß genau aus Achtung, Respekt und Mitgefühl. Ich finde es gut, diesem Grund - Recht wiederherzustellen - unsere daß es zu dieser Erklärung gekommen ist. rechtsstaatliche Gemeinschaft die Verpflichtung hat, Damit wir nicht wieder in diesen allgemein übli- Wiedergutmachung zu üben und den Verletzten, den chen Fehler verfallen, immer dann von Opfern zu re- Opfern die Versöhnung mit ihrem Volk und ihrem den, wenn es um Menschen geht, nur weil wir die Di- Staat zu ermöglichen. stanz zu diesen Opfern aufrechterhalten wollen, weil (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- wir uns eigentlich mit ihrem Leid und ihrem Schick- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sal nicht auseinandersetzen wollen, will ich noch ei- nige, um die es heute geht, mit Namen und mit ihrem Ich glaube, es ist gut, wenn wir uns bei dieser De- Schicksal in Erinnerung rufen. batte daran erinnern und wissen, daß diese Aufforde- rung von Adolf Arndt bis heute eigentlich immer nur Der Deutsche Bundestag bezeugt mit dieser Erklä- bruchstückweise verwirklicht wurde, und das immer rung zum Beispiel Franz Jägerstätter und seiner Fa- nur auf einem relativ kleinen gemeinsamen Nenner. milie Achtung und Mitgefühl. Franz Jägerstätter wurde 1943 durch ein sogenanntes Feldurteil des Gerade im Bereich NS-Justiz, Wehrmachts- und Reichskriegsgerichtes „wegen Zersetzung der Wehr- Kriegsgerichte hat es ziemlich lange gedauert, bis kraft" zum Tode, zum Verlust der Wehrwürdigkeit der Bundesgerichtshof - das ist eineinhalb Jahre her und der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt und - einem Teil der NS-Militärjustiz Herr Geis, ich dann hingerichtet, also ermordet. Er hatte seinem glaube, daß wir uns in der Wertung völlig einig wä- Einberufungsbefehl keine Folge geleistet und sei- ren - wenigstens den Schleier der Rechtmäßigkeit nem militärischen Vorgesetzten gesagt, er lehne den vom Gesicht gerissen und die Richter als „Blutrich- Kampf mit der Waffe aus religiösen Gründen ab, da ter" und ihre Tätigkeit als „Terror" bezeichnet hat. ihm sein christlicher Glaube die Tötung von Men- Gleichzeitig hat er der beschönigenden Spruchpraxis schen verbiete. vieler bundesrepublikanischer Gerichte in den 50er Jahren ein Ende gesetzt. Es hat bis in diesen Monat, bis in den Mai 1997, ge- braucht, bis dieses schändliche Unrechtsurteil end- Viele von uns haben allerdings einen etwas scha- lich aufgehoben wurde. Heute ist Franz Jägerstätter len Geschmack auf der Zunge, wenn wir uns ins Ge- mehr als 50 Jahre tot. Aber der Deutsche Bundestag, dächtnis zurückrufen, daß diese Bereinigung der wir alle, hoffen, daß seine Angehörigen die Bekun- Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus den dung von Achtung und Mitgefühl durch den Deut- 50er Jahren aus Anlaß der rechtlichen Aufarbeitung schen Bundestag heute noch entgegennehmen wol- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15821

Dr. Herta Däubler-Gmelin len. Es ist wenig genug, was wir jetzt noch tun kön- war und daß diese Feststellung zugleich keine Desa- nen. vouierung derjenigen bedeutet, die sich aus miß- brauchter Vaterlandsliebe anders verhalten haben. Zwei andere junge Leute aus diesem Kreis der NS- Opfer sind Ludwig Baumann und Kurt Oldenburg. Aber lassen Sie uns auch feststellen, daß Ludwig Beide waren im Jahre 1942 gerade um die 20 Jahre Baumann und seine Mitstreiter auch in der Bundes- alt, der eine etwas jünger, der andere wenige Monate republik um ihre Ehre und um ihre Rehabi litierung älter. Beide waren Gefreite. Sie wollten den verbre- kämpfen müssen, und daß der Deutsche Bundestag cherischen Angriffskrieg, den sie als solchen reali- es auch ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken hat, daß siert haben, nicht länger mitmachen und auch nicht wir heute zu dieser Erklärung gekommen sind. mehr verantworten. Sie sind von der Fahne gegan- Lassen Sie mich am Schluß noch ein Wo gen. Sie sind von Marinekriegsgerichtsräten, die rt zu der Abfassung unserer mehr als doppelt so alt waren und die akademische Entschließung sagen. Es gibt si- cher auch Kritik an ihrem Wortlaut. Das ist begreif- Titel hatten, zum Tode verurteilt worden, und zwar lich. Das zeigt auch, daß dieser Komplex der deut- wegen Fahnenflucht, Wachvergehen sowie schwe- schen Geschichte wirklich noch nicht so aufgearbei- rem Diebstahl an Pistolen und Munition verbunden tet worden ist, wie es schon längst der Fa ll sein sollte. mit Sachbeschädigung durch Einbruch in das Muni- Einige Formulierungen - das will ich offen einräu- tionslager. Sie kamen in die Todeszelle, dann in die men - tragen natürlich den Kompromißcharakter of- Strafbataillone. Kurt Oldenburg hat nicht überlebt. fen auf der Stirn. Das ist so, wenn man sich einigen Ludwig Baumann hat überlebt und hat sich sein gan- will und wenn man mit einer Ehren- und Rehabilitie- zes weiteres Leben, auch in der Zeit der so rechts- rungserklärung nicht vollends warten wi ll staatlichen Bundesrepublik Deutschland, mit giftigen , bis auch noch der letzte damals Verurteilte, der die Schrecken Angriffen auseinandersetzen müssen, die wir noch des Krieges überlebt hat, gestorben ist. heute, aus welchen Gründen auch immer, gelegent- lich hören: Sie und die über 20 000 anderen, die zum Wir halten diesen Kompromiß für vernünftig, daran Tode verurteilt und hingerichtet worden sind, seien besteht kein Zweifel. Wir sind der Meinung, daß wir Kriminelle gewesen, Ehrlose, Feiglinge. auch der achten Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands, die uns auf den Weg der Einigung ver- Die Flucht von der Fahne ist und bleibt das holfen hat, für ihre hilfreiche Handreichung vom letz- schimpflichste Verbrechen, das der deutsche Sol- ten November zu Dank verpflichtet sind. dat begehen kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das ist ihnen immer wieder entgegengeschallt, übri- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der gens auch in der Bundesrepublik. Dabei stammen CDU/CSU und der F.D.P.) diese Worte aus dem sogenannten Feldurteil aus der Nazizeit, das sie zum Tode verurteilt hat. Das war Lassen Sie mich noch einen letzten Satz zu der Ent- nicht Recht, das war Unrecht. schließung sagen. Ich habe bisher kaum über die Entschädigung geredet. Ich habe das mit Absicht Mit dieser Entschließung heute wollen wir dazu nicht gemacht, und zwar einfach deshalb, weil wir beitragen, Ludwig Baumann, Kurt Oldenburg und all wissen, daß eine materielle Entschädigung Unrecht, denen ihre Ehre wiederzugeben, die sie bisher verlo- Leid und Schmerzen dieser Männer und ihrer Ange- ren zu haben glaubten, und ihnen deutlich sagen, hörigen sowieso kaum - eigentlich gar nicht - wie- daß das, was sie getan haben, richtig war. dergutmachen kann. Die Entschädigung, die wir - al- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS- 90/DIE lerdings mit voller Absicht und ohne Einzelfallprü- GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord fung - vorgesehen haben, muß deshalb symbolisch neten der CDU/CSU und der F.D.P.) bleiben. Ich beziehe das ganz deutlich auch auf die Taten, die Meine Damen und Herren, es ist eine Schande, zwangsläufig mit der Dese rtion verbunden waren. daß dieser Beschluß erst heute erfolgen kann. Es ist Auch sie waren kein Unrecht, übrigens gerade nicht, jedoch gut, daß er heute erfolgen kann. Wir gehen wenn wir, wie wir das in die Erklärung hineinge- davon aus, daß wir die Bundesregierung nicht nur er- schrieben haben, das tun, was wir heute tun müssen, mahnen, sondern daß die Bundesregierung ihren Teil nämlich rechtsstaatliche Maßstäbe anlegen. Deswe- schnell, ohne Verzögerungen und ohne Einzelfall- gen bestehen wir auch auf diesem Satz. prüfungen jetzt erfüllen wird. Wir stellen fest, daß die NS-Urteile damals im Ge- In einem halben Jahr werden wir uns in diesem gensatz zu uns nicht nach Recht und Unrecht gefragt Hause wohl wieder treffen, um ein weiteres Kapitel haben, auch nicht nach den Motiven. Wie gesagt: Es aus dieser Zeit zu überdenken und, wenn es geht, hat bis zum Mai dieses Jahres gedauert, bis ein Urteil aufzuarbeiten. Dann wird es darum gehen, die unter- des Berliner Landgerichtes Franz Jägerstätter genau schiedlichen Bereiche der NS-Justiz zu durchleuch- das bescheinigt hat. Dieser junge Mann wäre sogar ten, in denen immer noch Unrechtsurteile den Schein bereit gewesen, Sanitätssoldat zu werden. Das inter- formaler Gültigkeit haben. Auch diese Urteile wer- essierte die Nazi-Richter nicht. Das Todesurteil war den wir dann aufheben müssen. programmiert. Herzlichen Dank. Deswegen lassen Sie uns noch einmal feststellen, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE daß das Sichentfernen, das Sichentziehen aus diesem GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abge verbrecherischen Angriffsk rieg eben nicht Unrecht ordneten der CDU/CSU) 15822 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das recht wären. Hier besteht eine skandalöse Diskre- Wort dem Abgeordneten Volker Beck. panz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): PDS) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über zwei Jahre hat der Rechtsausschuß. des Deutschen Die Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militär- Bundestages nun im dritten Anlauf über die Rehabili- justiz und ihr Vorsitzender Ludwig Baumann, den Sie tierung und Entschädigung der Wehrmachtsdeser- hier zitiert haben, Frau Däubler-Gmelin, sind daher teure beraten. Herausgekommen ist ein beschämen- zu Recht enttäuscht und wütend über den Text des des Ergebnis, das vor der Geschichte keinen Bestand Rechtsausschusses. Sie empfinden nicht, daß ihnen haben kann. Das hat die Rede von Norbe rt Geis er- mit diesem Text ihre Ehre wirklich wieder zurückge- neut gezeigt. geben wird. Sie werden weiterkämpfen müssen, und sie werden uns dabei an ihrer Seite haben. Zwar erkennt der Rechtsausschuß in seiner Be- Meine Damen und Herren, Sie suggerieren mit Ih- schlußempfehlung an: Der Zweite Weltkrieg war ein rer Entschließung, es gäbe Urteile wegen der drei Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalso- Tatbestände Wehrkraftzersetzung, Kriegsdienstver- zialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen. weigerung und Fahnenflucht, die heute noch als Der Rechtsausschuß scheut sich aber, die Konse- rechtsstaatlich unbedenklich bewe rtet werden könn- quenz unmißverständlich zu ziehen. Die Wehrmacht ten. Ansonsten macht dieser „Anderes gilt"-Satz hat einen verbrecherischen Angriffsk rieg geführt, ei- überhaupt keinen Sinn. Ich möchte insbesondere Sie nen verbrecherischen Auftrag gehabt, war auf einen von der CDU, die auf diesem Satz bestanden haben, Verbrecher, nämlich Adolf Hitler persönlich, verei- fragen, ob für Sie ein Fall denkbar ist, daß eine Verur- digt, und sie war als Organisation an den Verbrechen teilung zum Tode wegen des Tatbestands der Wehr- des nationalsozialistischen Deutschlands beteiligt. dienstverweigerung durch die NS-Justiz in einigen Das hat Reemtsmas Ausstellung jüngst noch einmal Fällen doch rechtsstaatlich in Ordnung gewesen sein in Erinnerung gerufen. könnte. Ich finde, eine solche Unterstellung ist ein Skandal, und ich erinnere Sie daran, daß selbst Ihr Die Wehrmacht hatte also keinen legitimen An- Sachverständiger, Professor Seidler, in der Ausschuß- spruch auf den Gehorsam ihrer Soldaten. Wer sich anhörung die ausnahmslose Rehabi litierung der ihr entzog, entzog sich damit der Unterstützung des Wehrdienstverweigerer gefordert hat. größten Verbrechens, das dieses Jahrhundert gese- hen hat; er hat recht gehandelt und verdient damit Die Streichung der Einschränkung dieses Satzes uneingeschränkt unseren Respekt und unsere Hoch- „Anderes gilt ... " ist erforderlich, um zweifelsfrei achtung. festzustellen, daß von der Regelung ausnahmslos alle Urteile wegen der genannten drei Tatbestände um- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN faßt sind und als NS-Unrecht klassifiziert werden. und der PDS sowie bei Abgeordneten der Eine Einschränkung wie die in der Beschlußempfeh- SPD) lung wäre allenfalls statthaft, wenn es um alle Urteile der NS-Militärjustiz ginge, also auch um Verurteilun- Wer das anders sieht, hat geistig immer noch nicht gen wegen Diebstahls, Totschlags, Unterschlagung die Schützengräben des Zweiten Weltkrieges verlas- etc. sen. Für uns ist es auch unangemessen, auf eine Einzel- fallprüfung nur aus schlichten Praktikabilitätserwä- Es geht nicht um die Verurteilung einer ganzen gungen zu verzichten. Vielmehr sagen wir, die Wehr- Generation von Wehrmachtssoldaten, die aus falsch macht habe keinen legitimen Anspruch auf Gehor- verstandener Vaterlandsliebe, aus Pflichtgefühl oder sam gehabt, weshalb niemand Unrecht begangen wegen der Unmöglichkeit zur Flucht ihren Dienst ge- haben könne, wenn er sich ihr entzogen hat. Er ist zu leistet haben. Aber die Feststellung, daß sie für die Unrecht verurteilt worden und muß dafür rehabili- falsche Sache, auf der falschen Seite gekämpft ha- tiert werden. ben, kann man ihnen nicht ersparen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Entschließung, meine Damen und Herren, sowie bei Abgeordneten der SPD und der schränkt die Rehabilitierung ein: Sie soll nicht grei- PDS) fen, wenn die „zugrunde liegende Handlung auch Meine Damen und Herren, zur Entschädigung heute Unrecht wäre". Dies ist ein Schlag ins Gesicht muß man drei Punkte anmerken. Sie ist unzurei- der Opfer. chend und hartherzig. Obwohl alle Härtefallregelun- gen im Rahmen des BEG und AKG keine Antragsfri- Bei den Waldheim-Prozessen in der DDR haben sten vorsehen, schaffen Sie hier wieder eine enge wir als Bundestag gesagt, diese Urteile seien alle auf- Antragsfrist, die wir im Ausschuß gerade einmal urn zuheben, sie seien Unrecht gewesen. Selbst die Ver- ein halbes Jahr verlängern konnten. urteilungen von Kriegsverbrechern wurden damit wegen rechtsstaatlicher Mängel zu Recht aufgeho- Zweitens ist der Betrag von einmalig 7500 DM für ben. Hiergegen wurden keine Bedenken laut; das das erlittene Unrecht völlig unangemessen. Wir for- Motto lautete: Anderes gilt, wenn sie auch heute Un- dern eine auf gesetzliche Sozialleistungen nicht an- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15823

Volker Beck (Köln) zurechnende Grundrente in Höhe von 500 DM im der, leider, einmal geradezu üblich waren, einen letz- Monat. ten, den furchtbarsten von allen, an dem dieses Land die meiste Schuld getragen hat. Das wissen wir. Aber Drittens erinnere ich Sie an den Erlaßentwurf des bis dahin hat sich doch eine Tradition entwickelt, Bundesfinanzministeriums. Do rt werden alle Hinter- in der sich viele Menschen - so wie Frau Däubler- bliebenen selbst von dieser Minimalzahlung der Gmelin vorhin gesagt hat - unter Mißbrauch ihrer 7500 DM ausgeschlossen, wenn die Deserteure vor Vaterlandsliebe in einer Art und Weise eingesetzt ha- dem Beschluß des Deutschen Bundestages gestorben ben, die bei dem Versuch, den einen, die wir ja sehr sind. Damit schließen Sie die Hinterbliebenen all der- wohl im Augen haben, gerecht zu werden, nicht un- jenigen aus, bei denen die Urteile vor 1945 voll- gerecht behandelt werden dürfen. Und dieser Zwie- streckt wurden. Ferner schließen Sie alle aus, die in- spalt ist es gewesen, der uns so lange Jahre mit der nerhalb der 50 Jahre gestorben sind, in denen wir als Frage beschäftigt hat, wie wir unsere gemeinsame Bundestag diese historische Frage schlicht verpennt Überzeugung umsetzen, daß die Kriegsgerichte in und verbaselt haben oder sie böswillig nicht ent- zunehmendem Maße Unrecht gesprochen haben, scheiden wollten. Diesen Menschen wird das jetzt daß ihre Urteile überhaupt keine Wirksamkeit entfal- zugerechnet; sie können deshalb jetzt keine Entschä- ten können und dürfen. digung bekommen. Sie, Herr Beck, haben sich an diesen Verhandlun- Meine Damen und Herren, es liegt dem Bundestag gen längere Zeit hindurch beteiligt, und Sie haben ein Bundesratsentwurf vor, der all diese Fragen viel sich genau wie Frau Däubler-Gmelin, wie Herr Krö- angemessener regelt. Der Bundesrat schlägt vor, die ning, wie Herr Geis, wie Rupe rt Scholz - mich darf Urteile wegen dieser Bestimmungen gesetzlich und ich auch erwähnen - darum bemüht, der enormen damit rechtsverbindlich aufzuheben. Eine solche Schwierigkeit gerecht zu werden, die zwischen die- Entschließung kann dies überhaupt nicht. Ich hoffe sen beiden Polen besteht. inständig, Herr Minister, daß wir im Rahmen des von Ihnen geplanten Gesetzes zur Wiedergutmachung Herr Dregger und Otto Graf Lambsdorff gehören nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechts- zu den wenigen, die an diesem letzten Krieg als Sol- pflege dazu kommen werden, hier Rechtsklarheit zu daten in vorderster Linie noch beteiligt waren. Otto schaffen, und damit die unvollkommene Erklärung, Graf Lambsdorff hat etwas ganz Einfaches gesagt. die heute verabschiedet werden soll, korrigieren Und wenn wir nun zum Abschluß unserer langjähri- können. gen Bemühungen kommen wollen, dann bitte ich Sie Meine Damen und Herren, ich richte noch einmal doch, auch alles zu berücksichtigen, was in dem Zu- einen dringenden Appell an Sie, dem Antrag, über sammenhang eine Rolle spielt und auch das folgende den wir nachher namentlich abstimmen werden, zu- mit zu bedenken. Qtto Graf Lambsdorff hat gesagt: zustimmen. Wenn der rechts und der links von mir gegangen wä- ren, dann wäre ich heute nicht hier. Das ist eine ganz Ich meine, es gibt hier im Hause an sich eine Mehr- fundamentale Erkenntnis von jemandem, der dabei heit für eine vorbehaltlose Rehabi litierung der Deser- gewesen ist. Und uns Nachgeborenen steht es nicht teure. Wir haben es im Ausschuß erlebt. Das ging bis an, hier zu theoretisieren und zu sagen, das gilt a lles weit in die Reihen der CDU/CSU-Fraktion hinein. nicht, was diese Menschen an Lebenserfahrung ge- Diesem Antrag könnten Sie zustimmen. Wenn hier habt haben. hingenommen wird, daß einige Abgeordnete der Union den Entschließungsantrag insgesamt ableh- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nen können, weil sie gar keine Rehabilitierung wol- Anders herum, wir weigern uns doch nicht, all dem len, dann nehmen Sie sich bitte die Freiheit, Ihren zu folgen, was Sie darstellen. Wir weigern uns über- wirklichen Ansichten Ausdruck zu geben. Rehabili- haupt nicht. Darum haben wir schließlich diese Ent- tieren Sie die Wehrmachtsdeserteure vorbehaltlos schließung des Rechtsausschusses hier zustandege- jetzt. Ich meine, sie hätten wirk lich verdient, daß ih- bracht und vorgelegt. Wir erkennen sehr wohl die nen nun endlich die Ehre zurückgegeben wird. Nöte, das Unrecht und die Beleidigung, die denjeni- Vielen Dank. gen widerfahren sind, die desertie rt sind, insbeson- dere denjenigen, die aus Gewissensgründen deser- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tiert sind. und bei der PDS) Wir haben uns bemüht, das wenigstens einigerma- ßen - mehr können Nachgeborene gar nicht tun - in Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das diesem Bericht zusammenzufügen, mit dem wir uns Wort dem Abgeordneten Detlef Kleine rt. nach unserem Entschluß zu den Schandurteilen des Volksgerichtshofes eindeutig zu den Urteilen der Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Herr Präsident! Kriegsgerichte äußern. Wir haben versucht, beide Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es Seiten zu betrachten. Wenn man das nicht tut, schafft wäre, Herr Beck, eigentlich gut, wenn man so funda- man nur neuen Unfrieden. Das kann doch nicht das mentalistisch, so völlig einseitig ohne Abwägung a ll Ziel einer solchen Bemühung sein. dessen, was uns in den Jahren umgetrieben hat, an die Sache herangehen könnte wie Sie. Deshalb bin ich sehr dankbar, daß wir heute in ei- ner großen Runde das Wenige, was wir tun können - Aber so ist es nun einmal nicht. Es gibt nach einer wir alle wissen, daß das zuwenig ist -, gemeinsam langen Reihe von Kriegen, die in Europa früher lei- tun. Deshalb werden wir zustimmen. Wir werden 15824 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Detlef Kleinert (Hannover) nichts aufarbeiten können. Das kann man nie. Wir an ohne jegliche Einschränkung für null und nichtig stellen uns der Sache. Wir haben uns immer wieder erklärt werden. mit den Fakten befaßt. (Beifall bei der PDS)

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ihre Redezeit Der rechtspolitische Sprecher der Union, Norbe rt ist abgelaufen. Geis, bekämpfte die Rehabilitierung der Deserteure über lange Zeitvehement. Denjenigen, die sich dem Krieg nicht entzogen haben, dürfe nicht der Eindruck Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Wir kommen vermittelt werden, unrecht getan zu haben - so der nun dazu, unsere Ansicht hier gemeinsam - darauf Tenor seiner früheren Rede. Der Münchener Bundes- legen wir größten Wert - so zum Ausdruck zu brin- wehr-Hochschulprofessor Seidler spricht gar davon, gen, wie das in der Beschlußempfehlung formuliert daß die Rehabilitation der Deserteure das künftige ist. Das ist wenig, aber auch sehr viel. Verhalten von Bundeswehrsoldaten präjudizieren könne. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, Sie müssen zum Abschluß kommen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Zwerenz, Sie müssen zum Abschluß kommen. Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Deshalb bitte ich Sie, so wie auch wir zuzustimmen. Gerhard Zwerenz (PDS): Ich werde meinen Vorred- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nern nicht folgen und meine Zeit überziehen. Ich weiß, drei Minuten und nicht mehr. Es tut mir leid, daß ich nicht das sagen konnte, was ich eigentlich sa- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem gen wollte. Aber man wird es ja nachlesen können. Abgeordneten Gerhard Zwerenz das Wo rt . (Beifall bei der PDS) Gerhard Zwerenz (PDS): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Ich theoretisiere nicht, und ich Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das habe nur drei Minuten Redezeit. Ich habe als erstes Wort dem Bundesminister der Justiz, Professor Dr. festzustellen, daß es erstaunlich und erfreulich ist, Schmidt-Jortzig. daß in diesem Hause jetzt eine gewisse Einigkeit herrscht, wenn am Anfang der Beschlußempfehlung Bundesminister der des Rechtsausschusses die Erkenntnis Platz greift, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! daß es sich beim Zweiten Weltkrieg um einen An- Ich begrüße es außerordentlich, daß wir bei diesem griffs- und Vernichtungskrieg, um ein vom national- schwierigen Thema einen Kompromiß gefunden ha- sozialistischen Deutschland verschuldetes Verbre- ben. chen, gehandelt hat. Hier, so scheint mir, ist die Wehrmachtsausstellung durchaus aufklärend wirk- Mit ihrem gemeinsamen Entschließungsantrag be- sam gewesen. Dazu kann man nur gratulieren. weisen die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P., daß die diese Republik seit Jahrzehnten (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne tragenden Parteien und Fraktionen in zentralen Fra- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) - gen an einem Strang ziehen. Das Ringen war müh- Außer Punkt 1 der Beschlußempfehlung, um den es sam; es war schmerzhaft; es war quälend; aber es hat hier geht, ist auch Punkt 2 im Tatbestand richtig fest- ein Ergebnis gebracht, und das ist aller Ehren we rt . gestellt. Meine Damen und Herren, die jetzt gefundene Lö- In Punkt 3 beginnen die alten Inkonsequenzen, mit sung ist nach meiner Überzeugung der richtige Weg, denen sich die Schändlichkeiten bei der Behandlung den hier angesprochenen Opfern und ihren Familien der Wehrmachtsdeserteure fortsetzen. Wer mit dem Achtung und Mitgefühl zu bezeugen. Mit dem vor- Dritten Reich nie gebrochen hat, wer den Krieg bis liegenden Antrag bekennen wir uns klar und eindeu- zu seiner letzten Sekunde fortsetzte, besaß und be- tig zum Unrecht der deutschen Kriegsführung im sitzt alle Rentenrechte, und nur die Deserteure - das NS-Reich. mag richtig sein; das will ich gar nicht in Zweifel zie- In jener Situation mußten deutsche Soldaten zwi- hen - galten als bestrafte Kriminelle. Sie sollen nun schen Pflichterfüllung und dem Widerstand gegen mit einer geradezu gummiparagraphenhaften Ein- eine verbrecherische Führung hin- und hergerissen malzahlung abgefunden werden. Dies ist skandalös. sein. Manche, wie die. Männer und Frauen des (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne- 20. Juli 1944, haben sich in dieser Situation zum akti- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ven Widerstand durchgerungen. Das war bewun- dernswert, aber konnte und kann sicherlich nicht als Die Gruppe der PDS kann dem nicht zustimmen, allgemeine Norm gesetzt werden. verweist auf ihren eigenen Änderungsantrag sowie auf den der Grünen und unterstützt ausdrücklich Heute nun rehabilitieren wir selbst jene Männer, den Protest der Bundesvereinigung der Opfer der die sich zu einem so weitreichenden aktiven Schritt NS-Militärjustiz. Wer sich dem Angriffs- und Ver- nicht entschließen konnten und mochten, die sich nichtungskrieg der Nazis widersetzte, hat recht ge- aber doch dem Dienst für das Unrechtsregime ein- tan. Die NS-Militärterrorurteile müssen von Anfang fach entzogen haben. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15825

Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Herr Beck, ich finde es schade, daß Sie hier zu die- noch hat der Deutsche Bundestag über die Ausstel- sen schwierigen Fragen mit der ganzen moralischen lung „Die Verbrechen der Wehrmacht" diskutiert. Selbstgefälligkeit des Heutigen antreten, um die Diese Diskussionen haben bei mir zum Teil einen fa- schwierigen Verhältnisse damals aus den. Wirklich- den Nachgeschmack hinterlassen. Damit meine ich keiten heraus zu begreifen. Damit können Sie diesem ausdrücklich nicht die Debatte im Deutschen Bun- Thema nicht gerecht werden. destag. Aber zum Beispiel der öffentlich erhobene und unzutreffender Vorwurf an Goldhagen, er habe (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und die Kollektivschuldthese wiederholt, erweckte insbe- der CDU/CSU) sondere im Ausland den Eindruck, daß seine Arbeit Meine Damen und Herren, diese Entschließung ist tatsächlich von der Novität und Einzigartigkeit sei, ein weiterer wichtiger Schritt zur Rehabilitierung die er selbst behauptet. Das ist sie meiner Ansicht der Opfer des Nationalsozialismus. Sie kann aber nach nicht. Aber die aufgeregte K ritik hat eben den nicht der letzte Schritt sein. Diesen letzten Schritt Eindruck erweckt, daß er auch hier einen wunden würde man meines Erachtens erst mit einem Gesetz Punkt berührt habe. Gelassenheit oder - wie es der über die unmißverständliche, einheitliche und defini- Bundespräsident formuliert - Unverkrampftheit ist tive Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsur- daher auch in der Debatte, die wir jetzt führen, ange- teile in der Strafrechtspflege gehen. Ich habe das sagt. auch schon öffentlich so geäußert. Dabei habe ich allerdings leicht reden. Ich habe Der Fall Jägerstätter, von dem Sie, Frau Kollegin meinen Wehrdienst in einem freien Land antreten Däubler-Gmelin schon berichtet haben, hat in mei- können, in einem Land, in dem das Recht auf Kriegs- nen Augen wieder einmal eindrucksvoll gezeigt, daß dienstverweigerung aus Gewissensgründen und das ein solches Gesetz nötig ist, um auch dem letzten Wi- Verbot des Angriffskrieges Verfassungsrang haben. derständler oder dem letzten NS-Opfer die volle Wie- Für mich bestand während meines Wehrdienstes der-ins-Recht-Setzung zu gewähren bzw. dieses be- kein Wertungswiderspruch zwischen soldatischer reits erfolgte Faktum - denn es ist ja in den Ländern, Pflichterfüllung und dem Wofür des Dienstes, wie es in den Besatzungszonen größtenteils geschehen - für der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Ul- heute absolut unübersehbar zu machen. rich de Maizière, einmal formuliert hat. In einem solchen Gesetz sollten nicht nur die Ur- Bis es soweit kommen konnte, haben auch die Sol- teile des Volksgerichtshofes, sondern auch Urteile daten der Wehrmacht einen hohen Blutzoll gezahlt. von Standgerichten, Todesurteile des Reichskriegs- Daß es soweit kommen konnte, haben wir, habe ich gerichtes ebenso wie der übrigen Militärgerichte auch denjenigen zu verdanken, die aus der Erfah- und/oder der Sondergerichte, aber auch Urteile der rung als Soldaten der Wehrmacht und aus der Erfah- ordentlichen Strafgerichte, soweit sie auf spezifi- rung des Staatsterrorismus an den Aufbau des demo- schem NS-Unrecht beruhten, förmlich aufgehoben kratischen Deutschlands - zunächst im Westen - ge- werden. gangen sind. Ich nenne hier ausdrücklich unseren Ehrenvorsitzenden Alfred Dregger. Das Unrecht läßt sich zwar nicht rückgängig ma- chen. Das Leid der Opfer läßt sich nicht ungeschehen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) machen. Die Todesurteile sind vollstreckt. Wir kön- Es ist richtig, daß der Verbrecher Adolf Hitler für nen dieses schreckliche Geschehen also nicht wieder seinen völkerrechtswidrigen Krieg keinen Gehorsam gutmachen. Wir sollten es aber als unsere Pflicht an- einfordern konnte. Allein deshalb müssen diejeni- - sehen, jedenfalls die dieses Geschehen formal legali- gen, um die es heute geht, rehabilitie rt und - soweit sierenden Urteile vor aller Augen und demonstrativ das überhaupt möglich ist - entschädigt werden. aufzuheben. (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank. Damit, meine ich, ist aber die moralische Bewer- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne tung ihres Verhaltens noch nicht abgeschlossen. Zur ten der CDU/CSU) Wahrheit gehört auch, daß das hier in Rede stehende Verhalten in vielen Fällen kein passiver Widerstand Ich gebe dem war. Der Widerstand der Männer des 20. Juli 1944, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Stauffenbergs, Treskows und anderer, war nicht ein Abgeordneten Eckart von Klaeden das Wo rt. Mehr im Vergleich zu dem heute zu rehabilitieren- den Verhalten, sondern etwas anderes. Es war unter Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Präsident! anderem auch soldatische Pflichterfüllung im besten Sehr geehrte Damen und Herren! Der Deutsche Bun- Sinne. destag beschließt heute die Rehabilitierung und Ent- schädigung der Opfer von Verurteilungen wegen der Wenn ich nun abschließend den Versuch unter- Tatbestände Kriegsdienstverweigerung, Dese rtion, nehme, mir die Situation der Soldaten meines Dienst- Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung. Diese Reha- grades und meiner militärischen Ausbildung - Ober- bilitierung kommt spät, für viele zu spät. leutnant und Panzerzugführer - zum Beispiel in den letzten Kriegsmonaten an der Ostfront zu vergegen- Der heutige Antrag fällt zudem in eine schwierige wärtigen, so verdienen diejenigen - ich finde, das ge- geschichtspolitische Situation. Vor wenigen Monaten hört auch hierher - höchsten Respekt, die bei den ih- noch hat die sogenannte Goldhagen-Kontroverse nen anvertrauten Soldaten, teilweise unmittelbar von Aufmerksamkeit beansprucht. Vor wenigen Wochen der Schulbank in die Schützengräben geschickt, ge- 15826 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Eckart von Klaeden blieben sind, die sich um einen geordneten Rückzug lasse über diesen Gesetzentwurf der Fraktion bemüht haben und die die Zivilbevölkerung, insbe- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4409 ab- sondere die Flüchtlinge, zu schützen suchten. stimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, Unser Volk hat in dieser Zeit erneut einen Teil sei- daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koali- ner Besten verloren. Ihr Andenken darf durch den tion bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD ge- heutigen Entschließungsantrag nicht berührt werden gen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt und wird nicht berührt. worden ist. Da der Gesetzentwurf in zweiter Bera- tung abgelehnt wurde, entfällt nach unserer Ge- Vielen Dank. schäftsordnung die weitere Beratung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Rechts- ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Damit schließe Unrechtsurteilen wegen „Fahnenflucht/Desertion", ich die Aussprache. „ Wehrkraftzersetzung " oder „ Wehrdienstverweige- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben in rung" während der nationalsozialistischen Gewalt- der Zwischenzeit verabredet, daß nach diesem Ta- herrschaft auf Drucksache 13/7669 (neu) Buchstabe b. gesordnungspunkt nur noch die Abstimmung zu Der Rechtsausschuß empfiehlt, den Antrag auf dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses stattfin- Drucksache 13/354 für erledigt zu erklären. Wer der det und daß wir die anderen beiden Punkte der Ta- Empfehlung des Rechtsausschusses folgt, den bitte gesordnung auf den morgigen Teil der Sitzung ver- ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - schieben. Dazu ist nämlich eine ganze Reihe von Ab- Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Be- stimmungen fällig, wie übrigens auch zu diesem Ta- schlußempfehlung des Rechtsausschusses bei einer gesordnungspunkt. Stimmenthaltung angenommen worden ist. Ich stelle zunächst fest, daß eine Reihe von Erklä- Ich rufe die Beschlußempfehlung des Rechtsaus- rungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu Pro- schusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die tokoll gegeben worden sind, und zwar von den Kolle- Grünen zur Rehabi litierung, Entschädigung und Ver- gen Dr. Dregger*), Frau Steinbach, Freiherr von Stet- sorgung für Deserteure, Kriegsdienstverweigerer ten und Wilz.**) und „Wehrkraftzersetzer" unter dem NS-Regime auf Drucksache 13/7669 (neu) Buchstabe c auf. Der Aus- Außerdem liegt nach § 31 GO eine gemeinsame Er- schuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/353 klärung folgender Abgeordneter vor: Augustinowitz, abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Dietzel, Dr. Lamers (Heidelberg), Janovsky, Augu- Rechtsausschusses zustimmt, den bitte ich um das stin, Michels, Reichardt (Mannheim), Kossendey, Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltun- Braun (Auerbach), Susset, Schulze, Köhler (Hain- gen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung spitz), Graf von Waldburg-Zeil, Klaußner, Meinl, des Rechtsausschusses mit den Stimmen der Koali- Rose, Sikora, Paziorek, Richter, Riegert, Seiffert, tion bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD ge- Sauer (Stuttgart), Hauser (Esslingen), Sebastian, gen die Stimmen des Hauses im übrigen angenom- Willner, Teiser, Wilhelm (Mainz), Krause (Dessau), men worden ist. Kauder, Schockenhoff, Königshofen, Brunnhuber, und Deittert.***) Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7669 Ferner gibt es eine gemeinsame Erklärung der Ab- (neu) die Annahme einer Entschließung. Zu dieser geordneten Christian Schmidt, Koschyk, Wöhrl, Gei- Entschließung liegen zwei Änderungsanträge vor. ger, Hasselfeldt, Zeitlmann, Protzner und Mayer ****) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt zu ih- und schließlich eine gemeinsame Erklärung der Ab- rem Änderungsantrag getrennte Abstimmung. Wir geordneten Riedl, Rossmanith, Hinsken, Götzer, stimmen deshalb zunächst über die Nummer 1 des Straubinger, Hollerith, Blank, Gröbl, Jawurek, Wald- Änderungsantrages auf Drucksache 13/7671, zu der burg-Zeil, Uelhoff, Lummer, Zierer, Götz, Jobst, Zöl- die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentliche ler, von Hammerstein, Reinhardt, Singhammer und Abstimmung verlangt, ab. Ramsauer.***** ) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ge- die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab- Entschädigung von Fahnenflüchtigen, Wehrkraftzer- stimmung. setzern und Wehrdienstverweigerern unter dem NS- Regime auf Drucksache 13/4409. Der Rechtsausschuß Ich möchte die Kollegen darauf aufmerksam ma- empfiehlt auf Drucksache 13/7669 (neu) unter chen, daß nach dieser namentlichen Abstimmung Buchstabe a, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich noch Abstimmungen über die Entschließung insge- samt und über ein Ergebnis des Vermittlungsaus- schusses stattfinden. Erst dann kann ich die Sitzung schließen. *) Anlage 3 **) Anlage 4 Darf ich fragen, ob noch Kollegen im Hause sind, ***) Anlage 5 ****) Anlage 6 die ihre Stimme abgeben wollen? - Ich mache die *****) Anlage 7 Schriftführer noch einmal darauf aufmerksam, daß Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15827

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch nach Schluß der Abstimmung hier im Plenum keine Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt- weiteren Stimmkarten mehr angenommen werden lungsausschuß empfiehlt, unter Aufhebung des Ge- dürfen. Wir haben mehrfach darauf hingewiesen. Die setzbeschlusses vom 20. März 1997 den Gesetzent- Abstimmung als solche kann angefochten werden, wurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. abzu- wenn dagegen verstoßen wird. lehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Vermitt- lungsausschusses auf Drucksache 13/7660 zustimmt, Ich frage also noch einmal, ob ein Mitglied im den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Hause ist, das seine Stimme noch abgeben wi ll. - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen Ergebnis der Abstimmung gebe ich nachher be- des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. kannt. *) Damit ist der Zusatzpunkt 5 erledigt. Die anderen Wir setzen nun die Abstimmungen fo rt. Ich bitte Punkte 5 a und 5 b sowie den Punkt 11 werden wir in die Kollegen, wieder Platz zu nehmen. der morgigen Plenarsitzung behandeln und darüber Wir kommen zur Abstimmung über die Nummern 2 abstimmen. und 3 des Änderungsantrags der Fraktion Ich bitte Sie nun um einen Augenblick Geduld bis Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ zur Vorlage des Ergebnisses der namentlichen Ab- 7671. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den stimmung. bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser Ich unterbreche die Sitzung. Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei zwei Stimmenthaltungen (Unterbrechung der Sitzung von 20.32 Uhr gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abge- bis 20.33 Uhr) lehnt ist. Die Sitzung ist wieder eröffnet. Dann rufe ich auf die Abstimmung über den Ände- Der Abgeordnete Heuer möchte eine Erklärung rungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/ zur Abstimmung abgeben. Da wir ohnehin einen Au- 7674. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den genblick Zeit haben, erteile ich das Wo rt dem Abge- bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - ordneten Heuer zur Abgabe einer Erklärung nach Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser § 31 der Geschäftsordnung. Änderungsantrag abgelehnt worden ist mit den Stim- men der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Danke schön, Herr Prä- nen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS. sident. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentli- Ich möchte begründen, warum ich nicht für diese chen Abstimmung müssen wir hier unterbrechen. Entschließung gestimmt habe, sondern ihr wider- sprochen habe. Ich tue das deswegen, weil sich in Ich bitte um Ihr Einverständnis, daß wir den Zu- der Erklärung ein tiefer Widerspruch befindet. satzpunkt 5 aufrufen können. Das ist die Abstim- mung über die Beschlußempfehlung des Vermitt- Dem Absatz 1 kann ich meine Zustimmung geben. lungsausschusses. Damit können wir die Zeit der Ich meine aber, daß vor allem die Absätze 3 und 4 Auszählung der namentlichen Abstimmung über- dieser Grundaussage widersprechen. Der Antrag brücken. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. enthält keine eindeutige Rehabi litierung der Opfer. Die Urteile werden nicht unterschiedslos für null und Dann rufe ich den Zusatzpunkt 5 auf: nichtig erklärt. Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- In für mich nicht nachvollziehender Weise wird ar- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes gumentiert, daß die Urteile einerseits unter Anle- (Vermittlungsausschuß) zu dem Zweiten Ge- gung rechtsstaatlicher Wertmaßstäbe, also nach heu- setz zur Neuordnung von Selbstverwaltung tigem Rechtsempfinden, Unrecht waren, daß aber und Eigenverantwortung in der gesetzlichen andererseits anderes gilt, wenn bei Anlegung dieser Krankenversicherung Maßstäbe die der Verurteilung zugrundeliegende (2. GKV-Neuordnungsgesetz -2. GKV-NOG) Handlung auch heute Unrecht wäre. Damit bleibt im - Drucksachen 13/6087, 13/7264, 13/7569, Grunde die moralische und juristische Wertung nach 13/7660 - wie vor offen. Das heißt, der Einzelfallprüfung ist nach wie vor Tür und Tor geöffnet. Mit einem gewis- Berichterstattung: sen Unterton des Bedauerns wird festgestellt, daß Abgeordneter Dr. Peter Struck nach mehr als 50 Jahren die eigentlich notwendige Untersuchung jedes Einzelfalls unmöglich sei. Wünschen Sie Berichterstattung, Herr Dr. Struck? In diesem Krieg wurden Verbrechen gegen die (Dr. Peter Struck [SPD]: Ausnahmsweise Menschlichkeit begangen. Die Wehrmacht war In- nein!) strument dieser Verbrechen. Wer es unternommen - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen hat, dieses Instrument zu schwächen, hat etwas ge- gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall. gen diese Verbrechen getan und verdient Anerken- nung. Sein Verhalten war und ist vor der Moral und *) Seite 15828 B dem Völkerrecht rechtens. Die drakonischen Urteile 15828 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch wegen dieses Verhaltens sind Unrecht und nichtig PDS Hansjürgen Doss von Anfang an. Dr. Alfred Dregger Petra Bläss Maria Eichhorn Maritta Böttcher Wolfgang Engelmann Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Eva Bulling-Schröter Rainer Eppelmann Heuer - - Heinrich Graf von Einsiedel Heinz Dieter Eßmann Dr. Ludwig Elm Horst Eylmann Dr. Dagmar Enkelmann Anke Eymer Dr. Uwe Jens Heuer (PDS): Der letzte Satz. Dr. Ruth Fuchs Ilse Falk Hanns-Peter Hartmann Jochen Feilcke Dr. Uwe-Jens Heuer Ulf Fink Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich bitte Sie, Dr. Barbara Höll Leni Fischer (Unna) sich an die Geschäftsordnung zu halten. Dr. Willibald Jacob Klaus Francke (Hamburg) Ulla Jelpke Herbert Frankenhauser (PDS): Die Deserteure gehö- Gerhard Jüttemann Dr. Gerhard F riedrich Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Heidi Knake-Werner Erich G. Fritz ren - deshalb stimme ich gegen die Entschließung - Rolf Köhne Hans-Joachim Fuchtel in den Kreis der Kämpfer gegen den Faschismus und Rolf Kutzmutz Michaela Geiger der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherr- Dr. Christa Luft Norbert Geis schaft. Heidemarie Lüth Michael Glos Manfred Müller (Berlin) Wilma Glücklich (Beifall bei der PDS) Rosei Neuhäuser Dr. Reinhard Göhner Dr. Uwe-Jens Rössel Peter Götz Christina Schenk Dr. Wolfgang Götzer Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe nun Steffen Tippach Joachim Gres das Ergebnis der nament lichen Abstimmung über Klaus-Jürgen Warnick Kurt-Dieter Gri ll den Änderungsantrag des Abgeordneten Volker Dr. Winfried Wolf Wolfgang Gröbl Beck und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Gerhard Zwerenz Hermann Gröhe Drucksachen 13/7669 (neu) Buchstabe d und 13/7671 Claus-Peter Grotz Nr. 1 bekannt. Abgegebene Stimmen: 615. Mit Ja Manfred Grund Nein Horst Günther (Duisburg) haben gestimmt: 82. Mit Nein haben gestimmt: Carl-Detlev Freiherr von 513. Enthaltungen: 20. Damit ist der Änderungsan- Hammerstein trag abgelehnt. CDU/CSU Gottfried Haschke (Großhennersdorf) Ulrich Adam Gerda Hasselfeldt Peter Altmaier Otto Hauser (Esslingen) Endgültiges Ergebnis Angelika Beer Jürgen Augustinowitz Hansgeorg Hauser Matthias Berninger Dietrich Austermann (Rednitzhembach) Abgegebene Stimmen: 614 Annelie Buntenbach Heinz-Günter Bargfrede Klaus-Jürgen Hedrich davon: Amke Dietert-Scheuer Franz Peter Basten Helmut Heiderich ja: 81 Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Wolf Bauer Manfred Heise nein: 514 Dr. Uschi Eid Brigitte Baumeister Detlef Helling Andrea Fischer (Berlin) Meinrad Belle Ernst Hinsken enthalten: 19 Rita Grießhaber Dr. Sabine Bergmann-Pohl Peter Hintze Gerald Häfner Hans-Dirk Bierling Josef Hollerith Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Karl-Heinz Hornhues Ja Antje Hermenau Kristin Heyne Renate Blank Siegfried Hornung Ulrike Höfken Dr. Heribert Blens Joachim Hörster Peter Bleser Hubert Hüppe Michaele Hustedt SPD Dr. Norbert Blüm Peter Jacoby Monika Knoche Friedrich Bohl Susanne Jaffke Klaus Barthel Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Maria Böhmer Georg Janovsky Friedhelm Julius Beucher Steffi Lemke Jochen Borchert Helmut Jawurek Peter Conradi Dr. Helmut Lippelt Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr. Dionys Jobst Konrad Gilges Oswald Metzger Wolfgang Bosbach Dr.-Ing. Rainer Jork Uwe Hiksch Kerstin Müller (Köln) Dr. Wolfgang Bötsch Michael Jung (Limburg) Eckart Kuhlwein Winfried Nachtwei Klaus Brähmig Ulrich Junghanns Detlev von Larcher Christa Nickels Rudolf Braun (Auerbach) Dr. Egon Jüttner Ulrike Mehl Egbert Nitsch (Rendsburg) Paul Breuer Dr. Harald Kahl Günter Oesinghaus Cern Özdemir Monika Brudlewsky Bartholomäus Kalb Adolf Ostertag Gerd Poppe Georg Brunnhuber Steffen Kampeter Renate Rennebach Simone Probst Klaus Bühler (Bruchsal) Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Hermann Scheer Halo Saibold Hartmut Büttner Manfred Kanther Dagmar Schmidt (Meschede) Christine Scheel (Schönebeck) Irmgard Karwatzki Heinz Schmitt (Berg) Dankward Buwitt Volker Kauder Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Angelica Schwall-Düren Manfred Carstens (Emstek) Peter Keller Albert Schmidt (Hitzhofen) Peter Harry Carstensen Eckart von Klaeden Wolfgang Schmitt (Nordstrand) Dr. Bernd Klaußner BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN (Langenfeld) Wolfgang Dehnel Ulrich Klinkert Waltraud Schoppe Hubert Deittert Dr. Gila Altmann (Aurich) Christian Sterzing Gertrud Dempwolf Hans-Ulrich Köhler Elisabeth Altmann Manfred Such Albert Deß (Hainspitz) (Pommelsbrunn) Dr. Antje Vollmer Renate Diemers Manfred Kolbe Marieluise Beck (Bremen) Ludger Volmer Wilhelm Dietzel Norbert Königshofen Volker Beck (Köln) Helmut Wilhelm (Amberg) Werner Dörflinger Eva-Maria Kors Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15829 Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Hartmut Koschyk Helmut Rauber Andreas Storm Klaus Hasenfratz Manfred Koslowski Peter Rauen Max Straubinger Dr. Ingomar Hauchler Thomas Kossendey Otto Regenspurger Matthäus Strebl Dieter Heistermann Rudolf Kraus Christa Reichard (Dresden) Michael Stübgen Reinhold Hemker Wolfgang Krause (Dessau) Klaus Dieter Reichardt Egon Susset Rolf Hempelmann Andreas Krautscheid (Mannheim) Dr. Rita Süssmuth Dr. Barbara Hendricks Arnulf Kriedner Dr. Bertold Reinartz Michael Teiser Monika Heubaum Heinz-Jürgen Kronberg Erika Reinhardt Dr. Susanne Tiemann Reinhold Hiller (Lübeck) Dr.-Ing. Paul Krüger Hans-Peter Repnik Dr. Klaus Töpfer Stephan Hilsberg Reiner Krziskewitz Roland Richter Gottfried Tröger Gerd Höfer Dr. Hermann Kues Roland Richwien Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Frank Hofmann (Volkach) Werner Kuhn Dr. Norbert Rieder Gunnar Uldall Ingrid Holzhüter Dr. Karl A. Lamers Dr. Erich Riedl (München) Wolfgang Vogt (Duren) Erwin Horn (Heidelberg) Klaus Riegert Dr. Horst Waffenschmidt Eike Hovermann Karl Lamers Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Theodor Waigel Wolfgang Ilte Dr. Norbert Lammert Franz Romer Alois Graf von Waldburg-Zei Barbara Imhof Helmut Lamp Hannelore Rönsch Dr. Jürgen Warnke Brunhilde Irber Armin Laschet (Wiesbaden) Kersten Wetzel Gabriele Iwersen Dr. Paul Laufs Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Renate Jäger Karl Josef Laumann Dr. Klaus Rose Gert Willner Jann-Peter Janssen Vera Lengsfeld Kurt J. Rossmanith Bernd Wilz Ilse Janz Werner Lensing Adolf Roth (Gießen) Willy Wimmer (Neuss) Dr. Uwe Jens Peter Letzgus Norbert Röttgen Matthias Wissmann Volker Jung (Düsseldorf) Editha Limbach Dr. Christian Ruck Dr. Fritz Wittmann Sabine Kaspereit Walter Link (Diepholz) Volker Rühe Dagmar Wöhrl Susanne Kastner Eduard Lintner Dr. Jürgen Rüttgers Michael Wonneberger Ernst Kastning Dr. Manfred Lischewski Roland Sauer (Stuttgart) Elke Wülfing Hans-Peter Kemper Wolfgang Lohmann Ortrun Schätzle Peter Kurt Würzbach Klaus Kirschner (Lüdenscheid) Dr. Wolfgang Schäuble Cornelia Yzer Marianne Klappert Julius Louven Hartmut Schauerte Wolfgang Zeitlmann Siegrun Klemmer Sigrun Löwisch Heinz Schemken Benno Zierer Dr. Hans-Hinrich Knaape Heinrich Lummer Karl-Heinz Scherhag Wolfgang Zöller Walter Kolbow Dr. Michael Luther Gerhard Scheu Fritz Rudolf Körper Erich Maaß (Wilhelmshaven) Norbert Schindler Volker Kröning Dr. Dietrich Mahlo Dietmar Schlee SPD Thomas Krüger Erwin Marschewski Ulrich Schmalz Horst Kubatschka Günter Marten Christian Schmidt (Fürth) Brigitte Adler Helga Kühn-Mengel Dr. Martin Mayer Dr.-Ing. Joachim Schmidt Gerd Andres Konrad Kunick (Siegertsbrunn) (Halsbrücke) Robert Antretter Christine Kurzhals Wolfgang Meckelburg Andreas Schmidt (Mülheim) Hermann Bachmaier Dr. Uwe Küster Rudolf Meinl Hans-Otto Schmiedeberg Ernst Bahr Werner Labsch Dr. Michael Meister Hans Peter Schmitz Doris Barnett Brigitte Lange Dr. Angela Merkel (Baesweiler) Anni Brandt-Elsweier Waltraud Lehn Friedrich Merz Michael von Schmude Dr. Eberhard Brecht Dr. Elke Leonhard Rudolf Meyer (Winsen) Birgit Schnieber-Jastram Ursula Burchardt Klaus Lohmann (Witten) Hans Michelbach Dr. Andreas Schockenhoff Hans Martin Bury Erika Lotz Meinolf Michels Dr. Rupert Scholz Marion Caspers-Merk Dr. Christine Lucyga Dr. Gerd Müller Reinhard Freiherr von Wolf-Michael Catenhusen Dieter Maaß (Herne) Elmar Müller (Kirchheim) Schorlemer Dr. Herta Däubler-Gmelin Winfried Mante Bernd Neumann (Bremen) Dr. Erika Schuchardt Christel Deichmann Dorle Marx Johannes Nitsch Wolfgang Schulhoff Karl Diller Ulrike Mascher Claudia Nolte Dr. Dieter Schulte Dr. Marliese Dobberthien Christoph Matschie Dr. Rolf Olderog (Schwäbisch Gmünd) Peter Dreßen Ingrid Matthäus-Maier Friedhelm Ost Gerhard Schulz (Leipzig) Rudolf Dreßler Herbert Meißner Eduard Oswald Frederick Schulze Peter Enders Angelika Mertens Norbert Otto (Erfurt) (Sangerhausen) Gernot Erler Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Dr. Gerhard Päselt Diethard Schütze (Berlin) Annette Faße Ursula Mogg Dr. Peter Paziorek Clemens Schwalbe Lothar Fischer (Homburg) Jutta Müller (Völklingen) Hans-Wilhelm Pesch Dr. Christian Schwarz- Gabriele Fograscher Christian Müller (Zittau) Ulrich Petzold Schilling Iris Follak Volker Neumann (Bramsche) Anton Pfeifer Wilhelm Josef Sebastian Norbert Formanski Gerhard Neumann (Gotha) Angelika Pfeiffer Horst Seehofer Anke Fuchs (Köln) Dr. Edith Niehuis Dr. Gero Pfennig Marion Seib Katrin Fuchs (Vert) Dr. Rolf Niese Dr. Friedbert Pflüger Wilfried Seibel Arne Fuhrmann Leyla Onur Beatrix Philipp Heinz-Georg Seiffert Iris Gleicke Manfred Opel Dr. Winfried Pinger Rudolf Seiters Günter Gloser Kurt Palis Ronald Pofalla Johannes Selle Günter Graf (Friesoythe) Albrecht Papenroth Dr. Hermann Pohler Jürgen Sikora Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Willfried Penner Ruprecht Polenz Johannes Singhammer Achim Großmann Dr. Martin Pfaff Marlies Pretzlaff Bärbel Sothmann Karl Hermann Haack Georg Pfannenstein Dr. Bernd Protzner Margarete Späte (Extertal) Rudolf Purps Dieter Pützhofen Wolfgang Steiger Hans-Joachim Hacker Margot von Renesse Thomas Rachel Erika Steinbach Klaus Hagemann Otto Reschke Hans Raidel Dr. Wolfgang Freiherr von Manfred Hampel Bernd Reuter Dr. Peter Ramsauer Stetten Christel Hanewinckel Dr. Edelbert Richter Rolf Rau Dr. Gerhard Stoltenberg Alfred Hartenbach Reinhold Robbe 15830 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Gerhard Rübenkönig Uta Zapf Edelgard Bulmahn Christa Lörcher Marlene Rupprecht Dr. Christoph Zöpel Freimut Duve Heide Mattischeck Dr. Hansjörg Schäfer Peter Zumkley Ludwig Eich Doris Odendahl Dieter Schanz Petra Ernstberger Karin Rehbock-Zureich Rudolf Scharping Dagmar Freitag Günter Rixe Bernd Scheelen F.D.P. Monika Ganseforth Gudrun Schaich-Walch Siegfried Scheffler Otto Schily Ina Albowitz Dr. Liesel Hartenstein Jörg Tauss Dieter Schloten Dr. Gisela Babel Nicolette Kressl Hanna Wolf (München) Günter Schluckebier Hildebrecht Braun Horst Schmidbauer (Augsburg) Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung (Nürnberg) Jörg van Essen im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentari- Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Olaf Feldmann schen Versammlungen des Europarates und der Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Gisela Frick WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Regina Schmidt-Zadel Paul K. Friedhoff Dr. Emil Schnell Horst Friedrich Abgeordnete(r) Walter Schöler Rainer Funke Ottmar Schreiner Hans-Dietrich Genscher Behrendt, Wolfgang SPD Gisela Schröter Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Mathias Schube rt Joachim Günther (Plauen) Dr. Probst, Albert, CDU/CSU Schuhmann Richard Karlheinz Guttmacher Dr. Siebert, Bernd, CDU/CSU (Delitzsch) Ulrich Heinrich Terborg, Margitta, SPD Brigitte Schulte (Hameln) Walter Hirche Volkmar Schultz (Köln) Dr. Burkhard Hirsch Ilse Schumann Birgit Homburger Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung Dr. R. Werner Schuster Dr. Werner Hoyer des Rechtsausschusses auf Drucksache 13/7669 (neu) Dietmar Schütz (Oldenburg) Ulrich Irmer Buchstabe d ab, mit der die Annahme einer Ent- Ernst Schwanhold Dr. Klaus Kinkel schließung empfohlen wird. Wer für diese Beschluß- Roll Schwanitz Detlef Kleinert (Hannover) Bodo Seidenthal Roland Kohn empfehlung des Rechtsausschusses stimmt, den bitte Lisa Seuster Dr. Heinrich L. Kolb ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Horst Sielaff Jürgen Koppelin Stimmenthaltungen? - Damit stelle ich fest, daß die Erika Simm Dr.-Ing. Karl-Hans Laermanr Beschlußempfehlung mit Stimmen der Koalition und Johannes Singer Sabine Leutheusser- der Fraktion der SPD bei Gegenstimmen aus allen Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Schnarrenberger Fraktionen des Hauses und verschiedenen Stimm- Wieland Sorge Uwe Lühr enthaltungen angenommen worden ist. Wolfgang Spanier Günther Friedrich Nolting ch Sperling Dr. Dietri Dr. Rainer Ortleb (Zurufe von der SPD und der F.D.P.) Jörg-Otto Spiller Lisa Peters Ludwig Stiegler Dr. Günter Rexrodt Dr. Peter Struck Dr. Klaus Röhl - Es gab Gegenstimmen bei der Fraktion der CDU/ Joachim Tappe Helmut Schäfer (Mainz) CSU, bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Dr. Bodo Teichmann Cornelia Schmalz-Jacobsen bei der Gruppe der PDS; dort gab es auch Enthaltun- Jella Teuchner Dr. Edzard Schmidt-Jortzig gen. Dr. Gerald Thalheim Dr. Irmgard Schwaetzer Wolfgang Thierse Dr. Hermann Otto Sohns (Dr. Barbara Höll [PDS]: Nur Gegenstim- Franz Thönnes Dr. Max Stadler men!) Uta Titze-Stecher Carl-Ludwig Thiele Adelheid Tröscher Dr. Dieter Thomae Bei der Fraktion der SPD gab es nur Zustimmung. Hans-Eberhard Urbaniak Jürgen Türk Siegfried Vergin Dr. Wolfgang Weng (Ina Albowitz [F.D.P.]: Bei uns auch! Darauf Ute Vogt (Pforzheim) (Gerlingen) lege ich Wert ! - Weitere Zurufe von der Karsten D. Voigt (Frankfurt) Dr. Guido Westerwelle Hans Georg Wagner F.D.P.) Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Fraktionslose - Auch bei der Fraktion der F.D.P. gab es nur Zustim- Reinhard Weis (Stendal) mung. Matthias Weisheit Kurt Neumann (Berlin) Gunter Weißgerber Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn Gert Weisskirchen (Wiesloch) Sie so großen Wert darauf legen, könnte man auch Jochen Welt Enthalten diese Abstimmung namentlich machen. Hildegard Wester Lydia Westrich Wir sind damit am Ende einer sehr schwierigen Inge Wettig-Danielmeier CDU/CSU Verhandlung, am Ende der heutigen Tagesordnung. Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek Dr. Renate Hellwig Ich berufe den Bundestag für morgen, Freitag, den (Duisburg) 16. Mai, um 15 Uhr ein. Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich SPD Dr. Wolfgang Wodarg Die Sitzung ist geschlossen Verena Wohlleben Ingrid Becker-Inglau Heidi Wright Hans-Werner Bertl (Schluß der Sitzung: 20.38 Uhr) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15831*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 spruchsrecht des Opfers kombiniert ist, für vorzugs- würdig. Gerade in diesem sensiblen Bereich hätten Liste der entschuldigten Abgeordneten wir meiner Ansicht nach dem Opfer ein entscheiden- des Mitspracherecht bei der Durchführung der Straf- entschuldigt bis verfolgung eröffnen müssen. Mit der Widerspruchs- Abgeordnete(r) einschließlich klausel hätten wir dem möglichen Interesse des Op- fers an einer Einstellung der Strafverfolgung Rech- Behrendt, Wolfgang SPD 15. 5. 97 * nung tragen können. Andererseits wäre bei einem Blunck, Lilo SPD 15. 5. 97 besonderen öffentlichen Interesse eine Strafverfol- gung auch gegen den Willen des Opfers möglich ge- Braune, Tilo SPD 15. 5. 97 wesen. Gysi, Andrea PDS 15. 5. 97 Gleichwohl stimme ich mit gravierenden Beden- Dr. Probst, Albert CDU/CSU 15. 5. 97 * ken dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zu. An- Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 15. 5. 97 dernfalls würde der Eindruck entstehen, daß ich ge- Hermann gen die grundsätzliche Strafbarkeit der Vergewalti- gung in der Ehe votierte. Dieser Eindruck darf unter Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 15. 5. 97 keinen Umständen entstehen, denn gerade als Frau 90/DIE halte ich ein Fortbestehen der Strafbarkeitslücke bei GRÜNEN Vergewaltigungen in der Ehe für unerträglich. Ich Schultz (Everswinkel), SPD 15. 5. 97 bedauere daher sehr, daß wir heute keine Wahlmög- Reinhard lichkeit zwischen zwei Gesetzesvorlagen - mit und ohne Widerspruchsklausel - mehr haben. Wir kön- Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 15. 5. 97 nen heute nur über „Alles oder Nichts" entscheiden, Sigrid und dies ist bei diesem Thema nicht angemessen. Im Steen, Antje-Marie SPD 15. 5. 97 Interesse der Frauen, denen ich mich besonders ver- Steindor, Marina BÜNDNIS 15. 5. 97 pflichtet fühle, muß ich heute für „Alles" stimmen. 90/DIE GRÜNEN Dr. Max Stadler (F.D.P.): Zu meinem Abstimmungs- Wallow, Hans SPD 15. 5. 97 verhalten gebe ich folgende Erklärung zu Protokoll: Dem Gruppenentwurf stimme ich zu. Dies bedarf • für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- mit Ausnahme der Problematik der sogenannten Wi- sammlung des Europarates derspruchsklausel keiner besonderen Begründung. Dagegen war im Gesetzgebungsverfahren äußerst umstritten, ob das Opfer einer Straftat gemäß § 177 Anlage 2 StGB die Befugnis erhalten soll, durch Widerspruch die weitere Strafverfolgung zu verhindern. Erklärungen nach § 31 GO In der Strafrechtsgeschichte war es ein entschei- zur Abstimmung über den Entwurf dender Fortschritt, daß der Staat die Strafverfolgung eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes übernommen hat und nicht das Opfer einer Straftat - §§ 177 bis 179 StGB damit belastet hat, selbst die Strafverfolgung zu be- (Tagesordnungspunkt 8) treiben. Maria Eichhorn (CDU/CSU): Eine gesetzliche Re- gelung zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Dennoch besteht ein Bedürfnis, in gewissem Um- Ehe halte ich für notwendig. Dem heute zur Abstim- fang den staatlichen Strafanspruch einzuschränken, mung anstehenden Gesetzentwurf, Drucksache 13/ indem das Opfer einer Straftat die Verfahrensherr- 7324, kann ich jedoch nicht zustimmen. Ich habe schaft übertragen bekommt. mich immer mit voller Überzeugung für den im Deut- Dies drückt sich im geltenden Recht zum Beispiel schen Bundestag verabschiedeten Gesetzentwurf dadurch aus, daß etliche Straftatbestände als An- von CDU/CSU und F.D.P., Drucksache 13/2463, ein- tragsdelikte ausgestaltet sind. Meist handelt es sich gesetzt. Darin wird die Vergewaltigung in der Ehe freilich um Tatbestände der kleineren oder mittleren unter Strafe gestellt; wegen des besonderen Stellen- Kriminalität. Jedoch spielt dabei auch der Gedanke wertes der Ehe wird jedoch der Frau das Recht einge- der persönlichen Beziehung von Täter und Opfer räumt, durch Widerspruch ein Strafverfahren zu ver- eine Rolle. So ist der sogenannte Haus- und Fami- hindern. Der heute zur Abstimmung stehende Ge- liendiebstahl gemäß § 247 StGB ein absolutes An- setzentwurf wird diesem Anliegen nicht gerecht. Da- tragsdelikt. Wegen der engen persönlichen Bezie- her lehne ich diesen ab. hung der Beteiligten bleibt es bei § 247 StGB dem Opfer überlassen, die Strafverfolgung durch einen Sigrun Löwisch (CDU/CSU): Ich halte nach wie vor Strafantrag herbeizuführen oder die Strafverfolgung eine Strafbarkeitsregelung, die mit einem Wider- zu verhindern, indem kein Strafantrag gestellt wird 15832* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 oder ein gestellter Strafantrag später zurückgenom- Fahnenflucht', ,Wehrkraftzersetzung' und ,Wehr- men wird. dienstverweigerung' von Anfang an Unrecht ge- wesen sind. Es hat sich bei ihnen nicht um Urteile An diesem Beispiel zeigt sich, daß solche Konstruk- unabhängiger Richter, sondern um Akte eines Ter- tionen die Rechte des Opfers einer Straftat nicht etwa rorsystems gehandelt ... Dieser Text war inakzepta- schmälern, sondern erweitern. bel. Ich halte es prinzipiell für notwendig, die Rechts- stellung der Opfer von Straftaten zu verbessern und In der Empfehlung des Rechtsausschusses des zu prüfen, bei welchen Straftatbeständen analog Deutschen Bundestages zu diesem Antrag heißt es §247 StGB die Verfahrensherrschaft weg vom Staat jetzt: „Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wurden auf das Opfer der Straftat übergehen soll. Zehntausende deutscher Soldaten und Zivilpersonen Opfer von Verurteilungen wegen der Tatbestände Daher habe ich bei der Neuregelung des § 177 ,Kriegsdienstverweigerung' ,Desertion/Fahnenflucht' StGB von Anfang an Vorschläge favorisiert, die - und ,Wehrkraftzersetzung'.... Der Deutsche Bundes- etwa wie die Wiederspruchslösung - die verfahrens- tag ... stellt fest, daß die von der Wehrmachtjustiz rechtliche Stellung des Opfers verbessert hätten. während des Zweiten Weltkrieges wegen dieser Tat- Im Verlaufe der Diskussion hat sich jedoch gezeigt, bestände verhängten Urteile unter Anlegung rechts- daß eine derartige Regelung insbesondere von den staatlicher Wertmaßstäbe Unrecht waren. Anderes Frauen als Danaergeschenk empfunden würde. Es gilt, wenn bei Anlegung dieser Maßstäbe die der liegt auf der Hand, daß mit der Übertragung von Ver- Verurteilung zugrundeliegende Handlung auch heu- fahrensrechten wie zum Beispiel bei der Wider- te Unrecht wäre ... ". spruchslösung die Gefahr einhergeht, daß das Opfer Dieser Beschlußvorschlag des Rechtsausschusses einer Straftat vom Täter oder von Dritten bedrängt ist m.E. akzeptabel, denn er beinhaltet eben nicht wird, dieses Verfahrensrecht auch auszuüben. eine pauschale Rehabi litierung aller Wehrmachtsde- Diese Gefahr wird offenbar von den Frauen als so serteure, Fahnenflucht/Dese rtion ist - neben ande- gravierend eingeschätzt, daß der Zugewinn an Ver- rem - nach unserem rechtsstaatlichen Regelungen fahrensherrschaft demgegenüber nicht als Verbesse- entsprechenden Wehrstrafgesetzbuch auch heute ein rung der Rechtsstellung empfunden wird. Unrechtstatbestand. Deshalb bin ich für mich persönlich zu dem Ergeb- Auch der Erlaß der Bundesregierung zur abschlie- nis gekommen, daß es keinen Sinn ergibt, den Op- ßenden Regelung der Rehabi litierung und Entschädi- fern von Straftaten Verfahrensrechte „aufzudrän- gung solcher Verurteilter betont, daß solche nicht gen" , die sie gar nicht haben wollen. entschädigt werden sollen, gegen die nachweislich Aus diesem Grund schließe ich mich jetzt dem seinerzeit die Strafe zugleich wegen eines „zivilen" Gruppenantrag an. Wie bei allen gesetzlichen Neu- Verbrechens, z. B. wegen einer Mordtat, verhängt regelungen ist es selbstverständlich, daß die Ent- wurde und die Verhängung der Strafe auch außer- wicklung der Praxis sorgfältig beobachtet werden halb der genannten Wehrstraftatbestände in Betracht muß. Möglicherweise zeigt sich nach einer gewissen gekommen wäre. Zeit der praktischen Erfahrung, daß sich später ein Sowohl der Rechtsausschuß des Deutschen Bun- Konsens ergibt für die Einführung von Vorschriften destages als auch die Bundesregierung stellen zu wie beispielsweise der Widerspruchsregelung, und Recht fest, daß es unmöglich wäre, mehr als 50 Jahre zwar nicht nur bei § 177 StGB, sondern auch bei an- nach dem Zweiten Weltkrieg Untersuchungen über deren Straftatbeständen. jede einzelne Desertion anzustellen. Dem stimme ich ausdrücklich zu.

Außerdem: Aus christlicher Demut wissen wir, daß wir nicht die Herren sein können über die Schuld an- Anlage 3 derer. Deshalb ist es angemessen, 50 Jahre nach den Ereignissen auch in jedem Zweifelsfall Gnade vor Erklärung nach § 31 GO Recht ergehen zu lassen. des Abgeordneten Dr. Alfred Dregger (CDU/CSU) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses (Buchstabe b) zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Unrechtsurteile wegen „Fahnenflucht/Desertion", „Wehrkraftzersetzung" oder „Wehrdienst- Anlage 4 verweigerung" während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Erklärungen nach § 31 GO (Tagesordnungspunkt 10 b) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses (Buchstabe d) Im ursprünglichen Antrag der SPD Bundestags- - Drucksache 13/7669 neu - fraktion, Drucksache 13/354 vom 30. Januar 1995 (Tagesordnungspunkt 10) hieß es: „Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß alle Verurteilungen während der nationalsozialistischen Erika Steinbach (CDU/CSU): Dem Vorschlag zur Gewaltherrschaft wegen der Tatbestände ,Desertion/ Rehabilitierung und Entschädigung von Wehr- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15833* machtsdeserteuren stimme ich nicht zu, da nicht aus- absolut rehabilitierten Dr. Filbinger angreift, entlarvt reichend sichergestellt ist, daß nur diejenigen, die sich als Mittäter der Stasi. auch nach heutigen Maßstäben straffrei ausgehen würden, rehabilitie rt und entschädigt werden. So Daher fehlt für mich in der Erklärung die notwen- wird diese Entscheidung als Generalamnestie für alle dige Differenzierung zwischen den Wehrmachtsge- Deserteure mißverstanden werden können. richten und den Stand- und Schnellgerichten der letz- ten Kriegsmonate. Es kann auch nicht sein, daß nahezu pauschal aus Dese rteuren Widerstandskämpfer und Dr. Wolfgang Freiherr von Steffen (CDU/CSU): Helden gemacht werden, die wenigsten waren es, Jahrelang habe ich an einer entsprechenden Ent- wie alle ernstzunehmenden Untersuchungen zeigen. schließung versucht mitzuwirken und bedaure sehr, daß es mir nicht gelungen ist, die Mehrheit für eine Die meisten heute noch lebenden Betroffenen sind bessere Formulierung zu überzeugen. Daher kann übrigens längst rehabilitie rt und erhielten Entschädi- ich der Empfehlung des Rechtsausschusses vom gung oder beziehen eine Rente, so auch der Sprecher 23. April 1997 nicht zustimmen. der Deserteure, Herr Ludwig Baumann aus Bremen, schon seit Jahren. Dagegen ist auch nichts einzu- Für mich gibt es keinen Zweifel, daß über 50 Jahre wenden, schon aus Gründen der Menschlichkeit, eur des Zweiten Welt- nach dem Kriege jeder Dese rt wenn festgestellt worden ist, daß der Verurteilung krieges oder jeder andere wegen eines Vergehens keine anderen kriminellen Handlungen zugrunde la- oder Verbrechens durch die Wehrmachtjustiz Verur- gen. Wenn aber jetzt die Resolution - pauschal - eine teilte Anspruch auf Aufhebung oder Löschung seines weitere nicht anberechenbare Leistung von 7500 DM Urteils hat. Diese Tilgung des „Verurteilungsmakels" vorsieht, ist das das falsche Signal. Mit Recht fragen ist längst überfällig, schon allein den Angehörigen, sich Millionen ehemaliger Soldaten - und sie sind insbesondere den Kindern gegenüber, weil die Aus- alle inzwischen über 70 Jahre alt -: Wo bleiben wir; lionen deutsche nahmesituation, in der sich 16 Mil wir, die wir ausgeharrt haben, die Verwundete ab- Soldaten während des grausamen Krieges befanden, transportiert und gerettet haben, Flüchtlingen hal- mit heutigen Maßstäben nicht mehr gemessen wer- fen? Ist das der Dank des Vaterlandes? In der Tat ist den kann. Deswegen: Aufhebung der Urteile ja, Hel- es für mich und sicher für die große Mehrheit der Sol- den nein. daten und Flüchtlinge und der Bevölkerung schlicht- Wir sollten uns übrigens hüten, überheblich über weg unerträglich, wenn z. B. ein Ma rinesoldat, der im ehemalige Wehrmachtsrichter oder Kriegsrichter zu Frühjahr 1945 mit seinem Schiff nach Schweden in urteilen, ohne die damals geltenden Gesetze zu ken- die eigene Sicherheit fuhr, anstatt nach Königsberg, nen und die Kriegssituation zu berücksichtigen. um Frauen und Kinder vor russischen Horden zu ret- ten (ich sage bewußt russische Horden, die im Während alle Urteile der Standgerichte - und es Rausch von Ilia Ehrensburgs Aufputschung Frauen hatte nichts mit Wehrmachtsgerichtsbarkeit zu tun - und Kinder zu Scharen schändeten und mordeten), schon allein wegen der fehlenden ordentlichen Ver- heute als in „Abwesenheit zum Tode Verurteilter" fahren - als Unrechtsurteile bezeichnet werden kön- eine Prämie von 7500 DM erhält, weil ein Todesurteil nen, ist dies bei Urteilen der Wehrmachtsgerichtsbar- - noch dazu in Abwesenheit - unserem heutigen keit anders. Es gab in der Tat Terrorurteile, aber Rechtsverständnis widersp richt. Nicht daß man mich überwiegend Rechtsprechung. Bei den Soldaten war mißversteht, auch hier bin ich dafür, daß ein solches die Wehrmachtsgerichtsbarkeit bei Übergriffen ge- Urteil ohne „Wenn und Aber" aufgehoben wird, gen die Zivilbevölkerung oder Plünderung oder auch schon weil ich mir nicht anmaße, über physische oder Kameradendiebstahl o. ä. außerordentlich gefürchtet. psychische Zustände oder Beweggründe eines da- Es gab drastische Strafen, auch Todesurteile, z. B. bei mals jungen Menschen in einem persönlichen Aus- Vergewaltigung und Tötungen. Für Hitler und seine nahmezustand nach 52 Jahren zu urteilen. Aber da- Nationalsozialisten waren diese Urteile vielfach - ins- mit muß es sein Bewenden haben. besondere bei Wehrkraftzersetzung, Feigheit vor dem Feinde oder Dese rtation - zu milde. Deswegen Zudem kann ich aus persönlichen Gründen der wurden ab 1944 Standgerichte eingesetzt bzw. Son- Entschließung so nicht zustimmen. Am 20. Mai 1941 derkommandos der GESTAPO übernahmen grausam mußte mein Vater als Flugzeugführer - bereits deren Aufgaben. Angeblich zu „milde" Richter wur- schwerverwundet - mit seiner Maschine nahe dem den strafversetzt oder wie einer der Obersten Richter, Flughafen Heraklion auf Kreta notlanden. Nachdem Dr. Karl Sack, sogar hinge richtet, andere von der eine Verteidigung nicht mehr möglich war, ergab GESTAPO verfolgt und konnten nur mit Mühe ihr sich die 5köpfige Besatzung, nicht zuletzt mit Rück- Leben retten. Mit einer merkwürdigen Doppelmoral sicht auf die Verwundung meines Vaters. Auf dem werden lebende oder tote Wehrmachtsrichter auch Weg zur Gefangennahme wurde plötzlich von den 50 Jahre nach dem Krieg von bestimmten selbster- Soldaten Großbritanniens das Feuer eröffnet. Der nannten antifaschistischen G ruppen verleumdet und Funker, der meinen Vater stützte, versuchte ihn aus verfolgt. So ist u. a. Filbinger „furchtbares, nicht wie- dem Kugelhagel zu retten, vergeblich, beide - waf- dergutzumachendes Unrecht geschehen", so der frü- fen- und wehrlos - wurden erschossen. Wenn der here Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Pro- Funker meinen Vater im Stich gelassen hätte, würde fessor Dr. Gebhard Müller, zum Rufmord an Professor er vielleicht noch leben. Für mich wäre es ein absur- Filbinger. Damals ahnten wir, heute wissen wir es, der Gedanke, daß er heute, wenn er je dafür von der daß die Kampagnen von der berüchtigten Abteilung X Wehrmachtsgerichtsbarkeit verurteilt worden wäre, der Stasi ferngesteuert waren. Wer heute noch den sozusagen eine Belohnung erhielte, wenn das Urteil 15834* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 aus heutiger Sicht zu ha rt ausgefallen wäre. Das anschließend bis zu 5 Jahren sowjetische Gefan- kann es ja wohl nicht sein. Und es gab Zehntau- genschaft. Mein Vater ist weniger als 2 Wochen sende ähnlicher Vorfälle, wo Soldaten ihre Kamera- vor Kriegsende vom Heimaturlaub an die knapp den unter Einsatz ihres eigenen Lebens gerettet ha- 100 km entfernte Ostfront zurückgekeh rt, um, wie ben - übrigens auch Kollegen des Deutschen Bun- er sagte, „seine Kameraden nicht im Stich zu las- destages -, und die sollten heute miterleben, wie der sen". Kamerad, der „abgehauen" ist und deswegen verur- teilt wurde, nach 50 Jahren nicht nur - zu Recht - den Makel des Urteils verliert, sondern auch noch eine Entschädigung erhält. Wer glaubt, daß mit dieser Resolution ein Abschluß Anlage 5 gemacht wird, irrt. Bald werden sich die melden, die desertiert sind und nicht verurteilt wurden, weil sie Erklärung nach § 31 GO sich verstecken konnten, und möchten gleichbehan- der Abgeordneten Jürgen Augustinowitz, delt werden. Es kommen andere aus dem In- und Wilhelm Dietzel, Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg), Ausland, die sich - aus welchen Gründen auch im- Georg Janovsky, Anneliese Augustin, mer - wegen des Terrorregimes der Nationalsoziali- Meinolf Michels, Klaus Dieter Reichardt (Mannheim), sten nicht so entfalten konnten, wie sie wollten und Thomas Kossendey, Rudolf Braun (Auerbach), trotzdem bisher nicht die Voraussetzungen für Ent- Egon Susset, Frederick Schulze, schädigungen erfüllten. Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz), Alois Graf von Waldburg-Zeil, Bernd Klaußner, Ich bezweifle daher, daß der Bundestagsbeschluß Rudolf Meinl, Dr. Klaus Rose, Jürgen Sikora, in dieser Form zur Bewältigung der Vergangenheit Dr. Peter Paziorek, Roland Richter, Klaus Riegert, beiträgt und dem zukünftigen Rechtsfrieden dient. Heinz Seifert, Roland Sauer (Stu ttgart), Otto Hauser (Esslingen), Wilhelm Josef Sebastian, Bernd Wilz (CDU/CSU): Mein Abstimmungsverhal- Gert Willner, Michael Teiser, ten, diesen Entschließungsantrag abzulehnen, ergibt Hans-Otto Wilhelm (Mainz), sich aus folgenden Gesichtspunkten: Wolfgang Krause (Dessau), Dr. Andreas Schockenhoff, Norbert Königshofen, 1. Zwar verkenne ich nicht, daß deutsche Sol- Georg Brunnhuber, Hubert Deittert, Dietmar Schlee daten des Zweiten Weltkrieges zu Unrecht we- (alle CDU/CSU) gen der Tatbestände „Kriegsdienstverweigerung", zur Abstimmung „Desertion/Fahnenflucht" und „Wehrkraftzerset- über die Beschlußempfehlung zung" verurteilt wurden. Deshalb habe ich auch des Rechtsausschusses auf Drucksache 13/7669 neu zu keinem Zeitpunkt einer generellen Rechtferti- (Tagesordnungspunkt 10a und b) gung aller Wehrmachtsurteile beigepflichtet. Aber ebensowenig kann ich einer im Grunde genom- Der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses men pauschalen Rehabilitierung und entspre- auf Drucksache 13/7669 (neu) „Rehabilitierung von chenden Entschädigung a ller Deserteure zustim- Wehrmachtsdese rteuren" stimmen wir nicht zu. men. 2. Das strenge Anlegen unserer heutigen Wertmaß- stäbe kann m.E. nicht den damaligen Lebensum- ständen von Millionen deutscher Soldaten vor mehr als einem halben Jahrhundert gerecht wer- den, die es für ihre Pflicht hielten, für das eigene Anlage 6 Volk und Vaterland kämpfen zu müssen. Erklärung nach § 31 GO 3. Ich befürchte, daß der zur Abstimmung vorgelegte der Abgeordneten Christian Schmidt (Fürth), Entschließungsantrag so mißdeutet werden kann, Hartmut Koschyk, Dagmar Wöhrl, Michaela Geiger, der Deserteur sei der prinzipiell „Gute" und der Wolfgang Zeitlmann, Gerda Hasselfeldt, Soldat der „Schlechte" gewesen. Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Dr. Bernd Protzner Darüber hinaus bin ich von der Sorge erfüllt, daß 4. (alle CDU/CSU) die Entschließung trotz ihrer Klarstellung zugun- zur Abstimmung sten der Bundeswehr durch „interessierte Kreise" über die Beschlußempfehlung nach dem Motto „steter Tropfen höhlt den Stein" des Rechtsausschusses auf Drucksache 13/7669 neu für die Zukunft nicht ohne negative Auswirkun- (Tagesordnungspunkt 10a und b) gen für unsere Streitkräfte bleiben könnte. 5. Schließlich erklärt sich mein Abstimmungsverhal- a) zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Volker ten auch aus der familiären Bindung. Mein Vater Beck (Köln), Angelika Beer, Annelie Buntenbach, (Jurist und Anhänger Stresemanns), mein Großva- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ter (Lehrer und deutsch-national) sowie mein On- NIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 13/4409 - kel (Abitur und Arbeitsdienst) waren nach mei- Entwurf eines Gesetzes zur Entschädigung nem Kenntnisstand ehrenhaft und pflichtbewußt von Fahnenflüchtigen, Wehrkraftzersetze rn und kämpfende Offiziere der Wehrmacht und erlitten Wehrdienstverweigerern unter dem NS-Regime Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15835* b) Antrag der Abgeordneten Volker Kröning, Dieter Anlage 7 Wiefelspütz, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD - Druck- Erklärung nach § 31 GO sache 13/354 - Unrechtsurteile wegen „Fahnen- der Abgeordneten Dr. Erich Riedl (München), flucht/Desertion", „ Wehrkraftzersetzung " oder Kurt J. Rossmanith, E rnst Hinsken, „Wehrdienstverweigerung" während der natio- Dr. Wolfgang Götzer, Max Straubinger, nalsozialistischen Gewaltherrschaft Josef Hollerith, Renate Blank, Wolfg ang Gröbl, Helmut Jawurek, Peter Götz, c) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Alois Graf von Waldburg-Zeil, Winfried Nachtwei, Christa Nickels, weiterer Ab- Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Heinrich Lummer, geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Benno Zierer, Dr. Dionys Jobst, Wolfgang Zöller, GRÜNEN - Drucksache 13/353 - Rehabi litierung, Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein, Entschädigung und Versorgung für die Deser- Erika Reinhardt, Johannes Singhammer, teure, Kriegsdienstverweigerer und „Wehrkraft- Dr. Peter Ramsauer (alle CDU/CSU) zersetzer" unter dem NS-Regime zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 13/7669 neu Wir stimmen dieser Entschließung nur unter Be- (Tagesordnungspunkt 10a und b) denken zu. Dem Entschließungsantrag in dieser vorgelegten Form können wir nicht zustimmen und begründen Unsere Zustimmung erfolgt unter dem Eindruck dies wie folgt: der vielen Unrechtsurteile, die die Wehrmachtsjustiz im Zweiten Weltkrieg gefällt hatte. Wir denken ins- 1. Da deutsche Soldaten während des Zweiten Welt- besondere an die zahlreichen Männer und Frauen, krieges auch zu Unrecht wegen der Tatbestände die sich angesichts der unabwendbaren Niederlage „Kriegsdienstverweigerung", „Desertion/Fahnen- mutig Befehlen widersetzt hatten, die insbesondere flucht" und „Wehrkraftersetzung" verurteilt wur- die Zivilbevölkerung hätten zu Schaden kommen las- den, werden wir einer generellen Verunglimpfung sen, und dafür kriegsgerichtlich verurteilt und hinge- aller Deserteure nie beipflichten. Wir können aber richtet wurden. ebensowenig einer im Grunde genommen pau- schalen Rehabilitierung und entsprechenden Ent- Wir übersehen aber nicht, daß einer Reihe von Ur- schädigung aller Deserteure zustimmen. teilen Tatbestände zugrunde liegen, deren Verwerf- lichkeit nicht mit dem Widerstand gegen das Nazire- 2. Das strenge Anlegen unserer heutigen Wertmaß- gime begründet werden kann. Diese Fälle reichen stäbe kann unseres Erachtens nicht den damali- von Kameradendiebstahl bis zur bewußten Inkauf- gen Lebensumständen von Millionen deutscher Sol- nahme, daß Kameraden oder Zivilpersonen durch die daten vor mehr als einem halben Jahrhundert ge- Handlung des „Deserteurs" oder „Wehrkraftzerset- recht werden, die es für ihre Pflicht hielten, für das zers" unmittelbar zu Schaden oder zu Tode kommen eigene Volk und Vaterland kämpfen zu müssen. würden. 3. Wir hegen die Befürchtung, daß der zur Abstim- mung vorgelegte Entschließungsantrag dergestalt Nach über 50 Jahren muß aber Rechtsfrieden ein- mißdeutet werden kann, daß ein Dese rteur der kehren. Deshalb halten wir für die (und nur für diese) richtig Handelnde und der Soldat der zu Unrecht Fälle, in denen nach damaliger und nach heutiger Handelnde gewesen sei. Sicht ungerechtfertigt verurteilt wurde, eine symbol- hafte Entschädigung für angebracht. Wir unterstrei- 4. Darüber hinaus sind wir von der Sorge erfüllt, daß chen allerdings, daß wir die Dese rtion moralisch die Entschließung, trotz ihrer Klarstellung zugun- nicht höher stellen wollen als die Ableistung der sten der Bundeswehr, durch „interessierte Kreise" Dienstpflicht, in die sich die meisten deutschen nach dem Motto „steter Tropfen höhlt den Stein" Wehrmachtssoldaten gestellt sahen, weil sie für ihr für die Zukunft nicht ohne negative Auswirkun- Vaterland zu kämpfen glaubten. gen für unsere Streitkräfte bleiben könnte.

Nachtrag zum Plenarprotokoll 13/175

Deutscher Bundestag

Nachtrag zum Stenographischen Bericht

175. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Inhalt:

Anlage 8 Dr. Michael Luther CDU/CSU 15846* A Erklärung des Abgeordneten Gerhard Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär Scheu (CDU/CSU) zur namentlichen Ab- BMWi 15847* D stimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD (Drucksache 13/7502) Anlage 11 zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesse- Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- rung rehabilitierungsrechtlicher Vorschrif- nungspunkt 6 (a - Antrag: Mehr Rechtssi- ten für Opfer der politischen Verfolgung in cherheit und Rechtsschutz für Nutzer von der ehemaligen DDR 15837* A Freizeitgrundstücken in den neuen Bun- desländern, b - Antrag: Begrenzung des Anlage 9 Anstiegs der Nutzungsentgelte für Erho- - Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatzta- lungsgrundstücke in Ostdeutschland auf gesordnungspunkt 4 ein sozial erträgliches Maß) (Interfraktioneller Antrag: Zur Lage in Rainer Hacker SPD 15849* A Zaire) Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU . 15837 A DIE GRÜNEN 15850* B Dr. R. Werner Schuster SPD 15838* D Klaus-Jürgen Warnick PDS 15850* D Joachim Tappe SPD 15839* C Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ 15852* A Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15840* A Joachim Günther, Parl. Staatssekretär Steffen Tippach PDS 15841* A BMBau 15852* C Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 15841* B Anlage 12 Anlage 10 Kosten für die Bundesrepublik Deutsch- Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- land durch die NATO-Ost-Erweiterung, ordnungspunkt 7 (a - Antrag: Änderung insbesondere der Erweiterung auf die der Rahmenvereinbarung von Bund und Tschechische Republik neuen Ländern zur Erfüllung des Treu- MdlAnfr 38, 39 - Drs 13/7604 handauftrages, b - Antrag: Vermögen der Dr. Egon Jüttner CDU/CSU Parteien und Massenorganisationen der SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . 15853* C DDR, c - Antrag: Für eine wirtschaftliche und ökologische Alternative in den neuen Anlage 13 Bundesländern) Vorwurf unprofessioneller außenpoliti- Dr. Hermann Pohler CDU/CSU 15842* B scher Instrumentenwahl während und Manfred Hampel SPD 15843* C nach dem Berliner „Mykonos"-Urteil Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ MdlAnfr 40 NEN 15844* C Dr. Elke Leonhard SPD Jürgen Türk F.D.P 15845* C SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . 15853* D

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15837*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 8 in den 13 Punkten des vorliegenden Antrages entf al- ten. Erklärung Natürlich hat die Gemeinsamkeit eines solchen des Abgeordneten Gerhard Scheu (CDU/CSU) Antrages auch eine problematische Seite. Das be- zur namentlichen Abstimmung ginnt bei der Analyse. Geschichtliche Vorgänge sind über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD multidimensional. Man kann sie von vielen Seiten (Drucksache 13/7502) zum Entwurf eines Gesetzes her betrachten. Wir haben deshalb die Analyse weg- zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher gelassen. Es geht um die vorhin vorgstellte Kernaus- Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung sage. in der ehemaligen DDR in der 175. Sitzung des Deutschen Bundestages Ähnlich geht es mit den vielfältigen Überlegun- am 15. Mai 1997 (Seite 15813 A) gen: Was hätte man besser machen können, was ist (Tagesordnungspunkt 9 a) jetzt unbedingt und vordringlich zu tun, und was sollte mittel- und langfristig politisch und entwick- Ich erkläre, daß ich nicht mit Ja, sondern mit Nein lungspolitisch ins Auge gefaßt werden? Die Vielfalt stimmen wollte. von Persönlichkeiten in unseren Fraktionen führt auch zu einem großen Reichtum von Vorstellungen und Ideen, die hier entwickelt werden. Da geht man- ches in der vorsichtigen Gewichtigung eines gemein- samen Antrages unter. In einer solchen Situation Anlage 9 aber ist es wichtiger, das, was unstrittig ist, herauszu- stellen. Wir werden sicher Gelegenheit haben, bei Zu Protokoll gegebene Reden anderen Debatten den Ideenwettbewerb wieder zum zu Zusatztagesordnungspunkt 4 Zuge kommen zu lassen. (Interfraktioneller Antrag: Zur Lage in Zaire) Die Ereignisse in Zaire sind vielfältig mit den Nachbarregionen verknüpft. Ich möchte nur eine (CDU/CSU): Wenn Alois Graf von Waldburg-Zeil herausgreifen, weil sie uns zu einer Schlüsselfrage sich, wo immer auf der Welt, umwälzende Verände- der Katastrophenvermeidung führt: das Gebiet der rungen vollziehen, betrifft das heute nicht nur die je- Großen Seen. weilige Region, sondern alle Staaten dieser Welt. Wir haben uns angewöhnt, diesen Vorgang Globalisie- Die Nichtbeachtung demokratischer, rechtsstaatli- rung zu nennen. cher, dezentraler, die Menschenrechte achtender und die Beteiligung der Bevölkerung sichernder Wenn der Deutsche Bundestag sich zu einem sol- Strukturen führt zu Fluchtbewegungen. Fluchtbewe- chen Ereignis äußert, dann nicht, weil er alles besser gungen führen zur Verelendung und dem Wunsch, wissen will oder besondere, eigene geschichtliche die alte Heimat zurückzuerobern. Rückeroberungen Entwicklungen in anderen Gegenden unserer Welt führen zu Bürgerkriegen mit all ihren Scheußlichkei- nicht respektierte, sondern, weil in der Welt von ten. Wer sich vor Rückeroberungen schützen will, für heute einige Grundvorausssetzungen für das Funk- den wird der Flüchtling zum Feind, auch wenn es tionieren eines Gemeinwesens überall gelten, die alte Menschen, kranke Menschen, Frauen und Kin- über Krieg und Frieden, Bürgerkrieg oder wohlorga- der sind. Die Vernichtung des Feindes wird um so nisiertes Gemeinwohl, äußerste Armut oder wenig- einfacher, je weniger er sich wehren kann. stens Grundversorgung der Bevölkerung entschei- den. Die Vertreibung der Tutsi vor 30 Jahren in Ruanda und ihre Nichteinheimatung bzw. der Widerstand ge- Daß sich in Zaire nach 32 Jahren Mobutu-Herr- schaft ein erdrutschartiger Wandel vollzieht, wird gen ihre Rückführung hat zur gewaltsamen Rück- kehr der FPR 1990 geführt, die ihrerseits zu den Be- niemandem verborgen bleiben. Ob dieser Wandel stialitäten des Bürgerkrieges und des schrecklichen aber zum Guten oder zum Schlechten hin ausfallen wird, das steht noch offen. Hier ist es Aufgabe unse- Völkermordes 1994 führte. Etwas mehr als 1,3 Millio- nen Hutu-Flüchtlinge sind nach Zaire gelangt. Am res Parlamentes, die Erkenntnis weiterzugeben: Beginn der Veränderungen in Zaire steht der Auf- Ein Neuanfang wird nur dann erfolgreich sein, stand der Banjamulenge, ihrerseits Langzeitflücht- wenn ein Konsens zwischen dem breiten Spektrum linge in Zaire, die längst als Bürger dieses Landes der zivilen Opposition und der Allianz darüber ge- galten und integ riert waren, durch Entzug ihrer funden wird, daß eine demokratische, rechtsstaatli- Staatsbürgerrechte aber in den Aufstand get rieben che, dezentrale, die Menschenrechte achtende und wurden. die Beteiligung der Bevölkerung sichernde staatliche Ordnung im neuen Zaire aufgebäut wird. Im Fortgang der Ereignisse haben die Nachbar- staaten Ruanda und Burundi massiv mitgeholfen, zu- Den Mitberichterstatterinnen Frau Dr. Eid und sammen mit den Aufständischen die Flüchtlingslager Frau Dr. Schwaetzer sowie dem Mitberichterstatter anzugreifen. Als „glückliche Umstände" wird dieses Dr. Schuster möchte ich herzlich danken samt allen Geschehen noch heute von den Regierungen in Beteiligten, daß wir trotz aller Schwierigkeiten die- Uganda, Ruanda und Burundi bezeichnet: Die sen Kernsatz gemeinsam zum Ausdruck bringen und Flüchtlinge, die nichts zu befürchten hatten, seien 15838* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 zurückgekehrt, die Mörder zurückgeblieben. Ob Die eigentliche Arbeit im Sinne des Kernsatzes un- diese Mörder dann erschlagen wurden oder verhun- serer Resolution beginnt allerdings erst dann: Kon- gert sind, errege höchstens empfindliche Gemüter. takte und Gespräche mit allen politischen Kräften in Zaire zu pflegen, die demokratisch legitimie rt sind Aber so einfach ist das alles nicht. Die cholerakran- oder sich ernsthaft und erkennbar um demokratische ken verhungernden Säuglinge jedenfalls waren Legitimation bemühen, und die Rückkehr Zaires in keine Mörder. Ich will das schwierige Thema nicht die internationale Staatengemeinschaft, verbunden vertiefen, aber unser Antrag forde rt, beharrlich dar- mit einem Demokratisierungsprozeß mit freien und auf zu drängen, daß den Hilfsorganisationen der un- fairen Wahlen. Unsere guten Dienste wollen wir in gehinderte Zugang zu den Flüchtlingen gewährlei- diesem Prozeß gerne zur Verfügung stellen, natürlich stet wird, daß der Transport der Flüchtlinge unter Si- im Rahmen der Vereinten Nationen und der Europäi- cherung von menschenwürdigen Bedingungen er- schen Union. folgt, daß eine Rückführung nach Ruanda erst nach ausreichender medizinischer Versorgung und freiwil- In diesem Zusammenhang aber ein abschließendes lig durchgeführt wird. Wort: Das Handeln im internationalen europäischen Kontext ist gut und richtig. Nichts wäre verheeren- Wo immer Massaker diskutiert werden, spricht der, als zu nationalen Alleingängen neokolonialer man von der Kultur der Straflosigkeit, die solche Ent- Art zurückzukehren. Ein Rückblick auf die Berichter- wicklungen begünstige. Das ist richtig, und die Völ- stattung der Vorgänge im Gebiet der Großen Seen kergemeinschaft muß Ruanda auch besser unterstüt- und in Zaire durch die Medien ließ mich allerdings zen, um rasch die Mörder von 1994 zu identifizieren manchmal eher vermuten, in einer Zeitmaschine und ihrer Aburteilung zuzuführen. Es nützt aber 100 Jahre zurückversetzt gewesen zu sein. Von der nichts, wenn solche Justiz Siegerjustiz bleibt. Verbre- Demütigung Frankreichs war da die Rede, vom Sieg chen, die die FPR begangen hat, müssen ebenso auf- der USA, vom Verfolg wirtschaftlicher Interessen, geklärt werden wie die, die bis heute in Burundi ge- von der Ersetzung multinationaler Minengesellschaf- schehen. ten durch andere.

Auch den Verantwortlichen in Zaire gegenüber Zunächst einmal sind dies afrikanische Ereignisse, setzen wir uns mit allem Nachdruck dafür ein, daß in erster Linie von Afrikanern verantwortet und auch der UNO-Kommission zur Aufklärung der Massaker erlitten. Die inte rnationale Hilfe ist subsidiär. und Menschenrechtsverletzungen an den mandi- Die internationale Zusammenarbeit ist gut, sie muß schen Flüchtlingen in Ostzaire der freie Zugang zu aber auch ernsthaft gepflegt werden, und sie muß dem Gebiet gewährt und ihr Bemühen um Aufklä- funktionieren. Vielleicht sollten wir als Parlamenta- rung des Sachverhalts und der Verantwortlichkeiten rier in den zuständigen Ausschüssen das Gespräch nicht behindert wird. über Afrikapolitik mit afrikanischen, aber auch mit Neben diesen Verquickungen im Gebiet der Gro- europäischen Kolleginnen und Kollegen und solchen ßen Seen hat aber die Aufstandsbewegung Kabilas aus den USA verstärken. Auch dies muß eine Folge auch den Anstoß zum Ende des Regimes Mobutu ge- der Globalisierung sein: gemeinsame und arbeitstei- geben. Lange Zeit hielten sich Zweifel, ob eine Sepa- lige Politik der Prävention in Krisenregionen. ration oder eine Gesamtveränderung in Zaire das Ziel sei. Das letztere war der Fall. In diesem Hause Dr. R. Werner Schuster (SPD): Vorab einen doppel- wird niemand einem Regime nachtrauern, dessen Er- ten Dank: zuerst an die Autoren aus den Fraktionen, halt über 32 Jahre aus dem zusammenwirken einer vor allem Frau Eid und Graf Waldburg-Zeil, für das Clique von kaum 100 Personen bestand, die sich per- Zustandekommen dieses überfraktionellen Antrages, sönlich unendlich bereichert hat, wobei das Volk im- aber auch an die parlamentarischen Geschäftsführer mer ärmer wurde. für die Aufsetzung dieses Zusatzpunktes, daß ange- sichts der dramatischen Entwicklung in Zaire der Es muß aber umgekeht mit gleicher Deutlichkeit Deutsche Bundestag nicht sprachlos bleibt. gesagt werden, daß nicht ein Waffengang und nicht der Einsatz militärischer Waffengewalt als solcher als Natürlich hätte ich mir manches in diesem inter- probates Mittel für eine Veränderung der politischen fraktionellen Antrag deutlicher und präziser ge- Verhältnisse angesehen werden kann. Ein anderer wünscht. Ich finde es z. B. unverständlich - um nicht Weg wäre besser gewesen. Vielleicht gelingt es zu sagen kindlich -, daß die Regierungskoalition wenigstens, in der Schlußphase einen demokrati- einen der schlimmsten afrikanischen Diktatoren, schen Machtwechsel zu erreichen und die Erstür- Herrn Mobutu, seit Jahrzehnten als Geschäftspartner mung Kinshasas zu verhindern. akzeptiert hat, jetzt aber Herrn Kabila, dem De-facto- Machthaber in Zaire, den Dialog verweigern wi ll - Deshalb fordern wir gemeinsam, bei allen Beteilig- was immer ich von dessen moralischen Qualitäten ten auf einen unverzüglichen und dauerhaften Waf- auch halte. Ich dachte immer, wir Afrikapolitiker wol- fenstillstand zu drängen. len die Probleme der geschundenen Bevölkerung lö- sen helfen. Eine solche Resolution kann nur eine Momentauf- nahme darstellen. Vielleicht wird das auf heute ver- Trotz allem, wenn die Regierung Kohl wirklich das schobene Gespräche Mobutu-Kabila doch noch statt- zeitnah und konsequent umsetzt, was wir heute im finden. Vielleicht macht der Rücktritt Mobutus eine Konsens beschließen wollen, ist dies ein deutlicher geordnete Machtübergabe möglich. Fortschritt. Dann ist Schluß mit der bisherigen deut- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15839* schen Unverbindlichkeit und den schönen Worten. nent mangelde Risikobereitschaft vorhalten, das AA Wenn sie, Herr Minister Kinkel, einen ständigen Sitz und das BMZ andererseits in ähnlicher Situation „vor im UN-Sicherheitsrat anstreben, dann muß Deutsch- lauter Wenns und Aber sterben"? land aber auch bereit sein, mehr Verantwortung in Afrika zu übernehmen. Zaire ist eine Nagelprobe. Zaire scheint unerwartet eine Chance für einen friedlichen demokratischen Aufbau zu haben. Dazu Ein friedlicher demokratischer Wiederaufbau in ist internationale, vor allem aber auch deutsche Ge- Zaire setzt internationale Geburtshilfe voraus. Das burtshilfe unabdingbar. Meine Bitte an uns alle: Las- bedeutet: keine Fremdbestimmung und Förderung sen Sie uns die Menschen in Zaire nicht enttäuschen! der Zivilgesellschaft. Nur dann haben die Menschen in Zaire eine Chance, ihr Land selbst zu entwickeln. Joachim Tappe (SPD): Obwohl ich den gemeinsa- Zum Thema Fremdbestimmung sei daran erinnert, men Antrag aller Fraktionen dieses Hauses vorbe- daß Mobutu jahrelang das Hätschelkind der interna- haltlos unterstütze, bin ich unsicher, ob er kurzfristig tionalen Gemeinschaft war und die Menschen in einen geeigneten Beitrag zur nachhaltigen Lösung Zaire dies bis heute nicht vergessen haben. Daher des Zaire-Problems darstellt. muß jetzt offengelegt werden, welche Fremdinteres- sen - z. B. der USA, Frankreich, der internationalen Meine Skepsis gründet sich auf vielfältige Erfah- Firmen - eine friedliche Entwicklung negativ beein- rungen mit ähnlichen Anträgen zu den tragischen flussen. Im November 1995 haben mein Kollege Konflikten der jüngsten Vergangenheit in der Region Tappe und ich dank guter Unterstützung durch das der Großen Seen, die wir in den letzten Jahren hier Außenamt im Anschluß an eine Reise nach Kinshasa in diesem Hause in großer Übereinstimmung verab- sinngemäß formuliert: Es wäre verhängnisvoll, wenn schiedet haben, ohne daß erkennbare Erfolge zu ver- wirtschaftliche Interessen den Aufbau einer Zivilge- zeichnen sind. sellschaft und das labile Gleichgewicht der einzelnen Das begann mit unserer sicher gutgemeinten De- Regionen beeinflussen würden. Wer bezahlt eigent- klaration nach dem Mord an Präsident N'dadayé im lich die Dollarscheine, mit denen Herr Kabila seine Oktober 1993 in Burundi, setzte sich fo rt in vielfälti- Soldaten entlohnt? gen politischen Aktivitäten nach dem Völkermord in Ende April dieses Jahres nahm ich zusammen mit Ruanda, unseren zahlreichen Aktionen zur Linde- dem Afrikabeauftragten des Außenamtes, Herrn rung des Flüchtlingselends in der Kivu-Region, und Ganns, an einem Workshop der FES in Arusha, Tan- ich erinnere an unsere Afrikadebatte vom Januar sania, teil. Dort haben Parlamentarier aus Uganda, dieses Jahres und den zahlreichen überwiegend kon- Kenia und Tansania darauf hingewiesen, daß dieser gruenten Anträgen zu dieser Debatte. Konflikt weder ein reiner Hutu/Tutsi-Konflikt noch Alles, was dazu gesagt worden ist und in Antrags- auf Ruanda/Burundi und Ostzaire beschränkt sei. form seinen Niederschlag fand, so auch die heutige Aus ihrer Sicht handelt es sich zumindest jetzt um ei- Entschließung zur Lage im Zaire, war und ist getra- nen geostrategischen Konflikt, in welchen neben den gen von dem guten Willen, unseren deutschen Bei- genannten drei Ländern unter anderen E ritrea, trag zur Lösung der Probleme zu leisten, meistens re- Äthiopien, Sudan, Uganda, Kenia, Somalia, Tansania aktiv, aber in vielerlei Hinsicht auch präventiv und und Angola involviert sind. Wo bleiben hier die präzi- mit langfristiger Perspektive. sen Analysen des Außenamtes? Hier helfen nur deut- liche Worte in Brüssel und New York und konkrete In dem Versuch, unsere afrikapolitischen Aktivitä- Vorschläge. Alles andere ist Heuchelei. ten zu bilanzieren, und in selbstkritischer Reflexion Herr Minister Spranger, zum Thema Zivilgesell- unserer Bemühungen stellen sich jedoch für mich zur schaft hat das BMZ mustergültige Programme und Zeit angesichts der aktuellen Situation im Zaire mehr Projekte - GTZ, NRO - zur Förderung von Kleinst- Fragen, als ich Antworten weiß. unternehmen und NRO in dieser Region aufzuwei- Die wichtigsten will ich hier stellen: Sind unsere sen. Die Erfahrung lehrt: Wer durch Hilfe durch Konflikt-Analysen eigentlich richtig und vollständig? Selbsthilfe seine eigene ökonomische und soziale Sind die Personen, die wir aktuell in den Blick neh- Unabhängigkeit gewonnen hat, ist eher in der Lage, men, tatsächlich die eigentlichen Akteure? Geht es sein politisches Umfeld aktiv mitzugestalten und eine vielleicht um mehr als um den Zaire oder um den demokratische Entwicklung zu initiieren. Dies sollten Machtkampf zwischen Mobutu und Kabila? Welche Sie verstärkt unverzüglich fortsetzen. Rollen spielen in diesem Konflikt Museveni, Kagame, Unabdingbar ist aus meiner Sicht die Unterstüt- Buyoya und Savimbi? zung der von den politischen Stiftungen kurzfristig in Welche tatsächliche Bedeutung haben in diesem Deutschland geplanten Zaire-Konferenz. Herr Mi- Konflikt Gold, Diamanten, Kupfer und Kobalt oder nister Kinkel, Herr Minister Spranger, Sie wissen, anders gefragt: Welche Rolle nehmen Anglo-Ameri- welches Ansehen Deutschland in dieser Region ge- can Corporation, De Beers, Barrick Gold oder die nießt, weil wir geschichtlich nicht vorbelastet sind jüngsten Aktivitäten von Ame rican Mineral Fields und unsere Entwicklungszusammenarbeit sehr ge- ein, von der wir wissen, daß sie sich von Kabila schätzt wird, und welche Erwartungen gegenüber Schürfrechte in Haute-Zaire gesichert hat, immerhin Deutschland bestehen. Natürlich ist uns allen auch auf einer Fläche, die größer ist als Bayern? das Risiko eines Fehlschlages einer solchen Zaire- Konferenz bewußt. Aber ist eigentlich in Ordnung, Woher kommen die druckfrischen Dollars, über die wenn wir unseren eigenen Unternehmern perma- die Söldner Kabilas verfügen? 15840 * Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Auf dem Hintergrund dieser Fragen habe ich Ich fordere Sie dennoch auf, in Pa ris darauf zu Zweifel, ob die konkreten Forderungen und Aufträge drängen, Mobutu zum Rücktritt zu bewegen. Er ist an die Bundesregierung, die in unserem Antrag das Hindernis für einen unblutigen Machtwechsel in formuliert sind, einen wirksamen Beitrag für eine Kinshasa. dauerhafte Problemlösung darstellen oder ob wir nicht darüber hinaus über andere Instrumente und Die Bundesregierung muß hier und heute schon er- Dialogpartner nachdenken müssen. klären, weshalb sie bis zuletzt auf Mobutu setzte und den Dialog mit einem der machthungrigsten und kor- Noch vor einem Jahr war ich überzeugt davon, daß ruptesten Diktatoren auf dem afrikanischen Konti- das Ruanda- und Burundi-Problem nur über Kin- nent überhaupt nicht scheute. shasa, Daressalam und Kampala gelöst werden kann. Heute gehe ich soweit zu sagen: Eine dauerhafte Lö- Oder wie sonst ist es zu verstehen, daß es noch sung des Zaireproblems scheint mir nur möglich über Ende vergangenen Jahres in der Lageeinschätzung Kampala, Kigali, Bujumbura und angesichts der öko- des Auswärtigen Amtes hieß, Mobutu sei als Stabili- nomischen Dimension des Konflikts, hinter dem tätsgarant bis zu den Wahlen nicht wegzudenken. deutlich erkennbar massive Wirtschaftsinteressen Und diese Aussage ist bis zum heutigen Tage von Ih- nen nicht revidiert. stehen, zusätzlich über Washington und Preto ria, bzw. über die Chefetagen multinational agierender Herr Außenminister, wie blauäugig, ja wie blind ist Konzerne. Ihr Haus, um zu einer solchen Fehleinschätzung zu Dennoch: Das, was wir heute beschließen, sind kommen? Sie machen damit den Bock zum Gärtner. sinnvolle und notwendige Schritte auf einem langen Alle wissen doch - außer Ihrem Hause -, daß gerade und schwierigen Weg. Sie konzentrieren sich jedoch Mobutu die Wahlen verhindert hat. im wesentlichen auf die innerzairische Situation und Ihr Haus könnte diese Fehler zumindest teilweise auf die regionale Dimension des Konflikts. Wir soll- korrigieren. So fände ich es gut, wenn die Bundesre- ten jedoch selbstkritisch feststellen, daß wir, Parla- gierung eine Zaire-Konferenz in Deutschland unter- ment und Regierung, zusätzlich über weitergehende stützen würde. Bei dieser Konferenz sollten Vertreter Handlungsmöglichkeiten nachdenken müssen. der Allianz, der Opposition in Kinshasa und von Eine erste Gelegenheit dazu bietet sich, wenn in Nichtregierungsorganisationen zusammen mit deut- wenigen Wochen Paul Kagame zu Besuch in schen Vertretern aus Wissenschaft, Wi rtschaft und Deutschland sein wird. Politik über die Ausgestaltung der zukünftigen Zu- sammenarbeit beraten. Ich bitte die Bundesregie- rung, eine solche Konferenz finanziell zu unterstüt- Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich be- zen. grüße es, daß die Anregung meiner Fraktion aufge- nommen wurde und diese Debatte zu Zaire kurzfri- Angesichts des anstehenden Machtwechsels in stig vereinbart werden konnte. Mein besonderer Zaire bewegt uns alle die Frage: Wird Kabila ein Dank geht an die Fraktions-Geschäftsführer. Zu zweiter Mobutu? Ich sehe zwei Szenarien: Gerade lange hat sich die Bundesregierung weggeduckt, der nach der Einnahme Kisanganis gab es auf seiten der Deutsche Bundestag tut dies nicht! Ich fordere Sie, Allianz Aussagen und Entscheidungen, die auf eine Herr Bundesaußenminister Kinkel, auf, Ihre Strategie kompromißlose Politik in Zaire deuteten: das Partei- des Abwartens endlich aufzugeben und den Dialog enverbot und die Abkanzelung der radikalen Oppo- mit der Allianz der Demokratischen Kräfte für die Be- sition unter Tshisekedi. Auch die blutigen Ereignisse freiung von Congo-Zaire aufzunehmen. in den Flüchtlingslagern erfüllte meine Fraktion mit Entsetzen. Der Dialog wäre längst möglich gewesen! Ich brachte Ihnen ein programmatisches Papier im letz- Eins sei von dieser Stelle aus an die Adresse der ten Jahr mit, das mir Kabila bei einem Gespräch am Allianz gesagt: Eine Befreiungsbewegung, die ange- 23. November in Goma überreichte. In diesem Papier treten ist, ein menschenverachtendes Regime zu be- waren drei Punkte bemerkenswert, die eine gute Ba- enden, verliert ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie ihrer- sis für einen Dialog gewesen wären: seits Menschenrechte nicht respektiert. Erstens. Die Allianz verpflichtete sich darin zur Re- Wir fordern Kabila auf, der unabhängigen UN- spektierung der Menschenrechte. Kommission sofort zu gestatten, die Vorkommnisse in den Flüchtlingslagern zu untersuchen. Zweitens. Sie sprach sich für den Aufbau dezentra- ler Strukturen im Einheitsstaat aus. Ein positives Szenarium geht von einem beschleu- nigten Übergang zur Demokratie aus. Hierfür gibt es Und drittens. Sie lud die internationale Gemein- m. E. gute Gründe: Kabila steht seit über 30 Jahren schaft ein, zusammen mit ihr ein neues Kapitel in der in Opposition zum Mobutu-Regime, in Zaire gibt es Geschichte Congo-Zaires zu schreiben. eine sehr lebendige Zivilgesellschaft, und es gibt eine starke Opposition in Kinshasa. Daß die Forderung nach Aufnahme des Dialogs mit der Allianz von den Regierungsfraktionen heute Kabila bzw. die Allianz wird nicht umhinkommen, wieder aus dem interfraktionellen Antrag gestrichen wichtige Elemente des Verfassungsentwurfes der werde, ist angesichts der Dynamik in Zaire eine poli- Nationalkonferenz anzuerkennen und ihn in Grund- tische Dummheit und läßt sich allenfalls dadurch er- zügen auch als politischen Willen der Zairer zu tole- klären, daß Sie, Herr Außenminister, keine Kontro- rieren. Ich finde, wir sollten den Zairern die Chance verse mit den Freunden in Pa ris riskieren wollen. geben, selbstbestimmt ihre Zukunft zu gestalten. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15841*

Steffen Tippach (PDS): Lassen sie mich vorab der Hauptstadt Kinshasa mit den schlimmsten Folgen für Bundesregierung danken für ihre schnelle und um- die Zivilbevölkerung und für die do rt lebenden Aus- fangreiche humanitäre Hilfe in Zaire; ich würde mir länder. Es darf zu keinem Blutvergießen in der Millio- jedoch wünschen, dies öfter sagen zu können. nenstadt Kinshasa kommen! Ich möchte einige Anmerkungen zum vorliegen- Die Bundesregierung begrüßt und unterstützt mit den interfraktionellen Antrag machen. besonderem Nachdruck die Vermittlungsbemühun- gen des südafrikanischen Präsidenten Mandela. Wir Die Befriedigung über das Ende der Mobutu-Ara bitten Präsident Mandela inständig, in seinen Bemü- teile ich und finde diese Aussage um so bemerkens- hungen um eine friedliche Lösung des Konflikts trotz werter, wenn ich an die legendäre Strauß-Mobutu- aller Enttäuschungen nicht nachzulassen! Connection und die begleitende Militärkooperation denke. Hier hat bei der CDU/CSU offensichtlich ein, Sie alle kennen die schrecklichen Bilder der ver- wenn auch reichlich später, Besinnungsprozeß einge- gangenen Wochen und Tage vom Flüchtlingsdrama setzt, der angesichts Mobutus realer politischer im zairischen Dschungel. Dies darf sich nicht wieder- Situation wenig heldenhaft wirkt. holen! Wir haben mehrfach über den EU-Sonderge- Ich finde es richtig, daß im vorliegenden Antrag sandten Ajello und über unsere Botschaften die Re- die bereits im November 1996 geforderte internatio- gierungen in der Region, insbesondere in Kiga li und nale Friedenskonferenz für das Gebiet der Großen Kampala, aufgefordert, ihren Einfluß auf die Rebel- Seen wieder auftaucht, da die Umbrüche in Zaire bis- len der ADFL geltend zu machen. Weitere Flücht- her noch unabsehbare Auswirkungen auf den zen- lingskatastrophen im Osten Zaires müssen verhin- tralafrikanischen Raum haben werden. dert und den internationalen Hilfsorganisationen endlich der dringend benötigte und ungehinderte Für bedenklicher halte ich jedoch den politischen Zutritt zu den Flüchtlingslagern gewährt werden. Gestaltungskatalog des Papiers. Der Bundesregie- Bundesminister Dr. Kinkel wird diese und andere rung wird in dem Antrag eine Rolle zugedacht, die Probleme in aller Deutlichkeit auch mit dem mandi- sie nicht ausfüllen kann und auch nicht ausfüllen schen Vizepräsidenten und Verteidigungsminister sollte. Paul Kagame in wenigen Tagen hier in Bonn bespre- chen. Wie das politische System in Zaire aussehen wird, darüber sollten die Menschen in Zaire entscheiden Die internationale Staatengemeinschaft, das IKRK und niemand anderes. Gerade vor dem Hintergrund und der HKMR befürchten, daß schwerwiegende kolonialer Geschichte in Afrika hätte ich mir hier Verletzungen des humanitären Völkerrechts in Ost- mehr Sensibilität gewünscht. Ich halte es zum Bei- Zaire weiter anhalten. Zunehmend häufen sich Vor- spiel für anmaßend, Zaire ein dezentrales, föderales würfe über Massaker in den von den Rebellen er- System als das einzig anzustrebende aufzudrängeln, oberten Gebieten. Die Überprüfung dieser Vorwürfe genauso wie ich dies auch nicht in Rom oder Paris gestaltet sich äußerst schwierig. Die von uns gefor- tun würde, auch wenn ich es vielleicht für wün- derte und unterstützte VN-MR-Untersuchungskom- schenswert halte. mission für den Osten Zaires muß ihre Tätigkeit un- Völlig unakzeptabel ist das Fehlen des Punktes gehindert und in vollem Maße wieder aufnehmen Abschiebestopp, zumal dieser in der Antragsvorlage können. von Bündnis 90/Die Grünen noch enthalten war. Of- Leitlinien für die Politik der Bundesregierung sind fensichtlich scheint die Abschiebung von Flüchtlin- gen mittlerweile jedoch für Bündnis 90/Die Grünen der vom VN-Sicherheitsrat unterstützte 5-Punkte- zur politischen Verhandlungsmasse geworden zu Friedensplan des VN- und OAU-Sondergesandten sein. Sahnoun und Fazit: Trotz etlicher begrüßenswe rter Aspekte des die Erklärung des Allgemeinen Rates der Europäi- interfraktionellen Antrags, an dessen Ausarbeitung schen Union vom 30. April 1997. wir, wie immer, nicht beteiligt wurden, machen es uns die angesprochenen Mängel unmöglich zuzu- Damit unterstützen wir den Aufruf an die Konflikt- stimmen. parteien zur Zurückhaltung, zur Wahrung demokra- tischer Grundsätze, die Suche nach einer politischen Wir werden uns der Stimme enthalten. Lösung, die Achtung der Menschenrechte und der Sicherheit von Ausländern und die Notwendigkeit Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen eines demokratischen Übergangs mit Wahlen und Amt: Ich teile Ihre Sorge über die Lage in Zaire, wie humanitärer Hilfe. Jetzt gilt es, die Einstellung der sie im interfraktionellen Antrag vom 14. Mai 1997 Feindseligkeiten und einen gewaltfreien Verlauf der zum Ausdruck gekommen ist. Die Situation im Zen- politischen Wachablösung in Kinshasa durchzuset- trum Afrikas ist und bleibt äußerst gespannt und un- zen. Seit vielen Wochen schon haben wir mit den übersichtlich. Die Rebellen der Allianz von Kabila europäischen und amerikanischen Pa rtnern darauf stehen kurz vor den Toren Kinshasas. Die Ara Mo- hingewirkt. butu neigt sich offensichtlich dem Ende zu, Kabila Auch die Friedens- und Vermittlungsbemühungen wird sich den Sieg nicht mehr nehmen lassen. der Afrikaner haben wir nachdrücklich unterstützt. Wichtig ist nun, wie die Machtübernahme erfolgt - Nochmals möchte ich an dieser Stelle auf die große friedlich oder durch militärische Eroberung der Bedeutung hinweisen, die wir den Vermittlungsbe- 15842 * Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 mühungen des südafrikanischen Präsidenten Man- diese Forderung auch nicht mehr ernsthaft erhoben. dela beimessen. Für die Zukunft entscheidend ist vielmehr die Frage: Wie und in welcher Form werden die verbleibenden Als Teil der politischen Realität in Zaire ist Kabila Aufgaben der BvS nach 1998 abgearbeitet, wie ge- schon jetzt nicht mehr wegzudenken. An Herrn Ka- staltet sich dann die Aufgabenteilung zwischen Bund bila gerichtet, betonen wir daher: Der Kampf gegen und Ländern? Mit dieser Thematik wird sich der Un- ein ungeliebtes Regime ist eine Sache, die Einleitung terausschuß „Aufbau Ost" noch vor der Sommer- einer Demokratisierung mit Wahlen, des politischen, pause befassen. wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wiederauf- baus ihres Landes ist eine andere. An seiner Leistung Nun zum dritten, heute zur Diskussion stehenden für den friedlichen Wiederaufbau eines demokrati- Antrag der PDS mit der Überschrift „Für eine wirt- schen Zaire werden wir Herrn Kabila messen und ihn schaftliche und ökologische Alternative in den neuen beständig an seine Verpflichtungen gegenüber dem Bundesländern". In ihm werden geschickt bekannte zairischen Volk und der internationalen Gemein- Tatsachen und Halbwahrheiten - um nicht zu sagen: schaft erinnern. Das gilt im jetzigen Augenblick ganz Unwahrheiten - sowie populistische, jedoch nicht fi- besonders für die Achtung der Menschenrechte und nanzierbare Forderungen mit notwendigen Maßnah- ein humanes Verhalten gegenüber den Flüchtlingen men verknüpft. Im Endergebnis wird ein Wirtschafts- und allen anderen Opfern des Konflikts. system empfohlen, das der ehemaligen Planwirt- Einer demokratisch erneuerten Regierung in Kin- schaft sehr nahekommt. shasa bieten wir gleichzeitig unsere umfassende Zu- sammenarbeit auf allen Gebieten - politisch, wirt- Auf derartige Ratschläge können wir sehr wohl schaftlich und entwicklungspolitisch - an. verzichten. Daher will ich nicht auf die einzelnen Vorschläge und Forderungen eingehen. Jedoch sei mir gestattet, an zwei Beispielen aufzuzeigen, wie man entweder mit einem Kurzzeitgedächtnis der Bürger rechnet oder aber Wahrheiten nicht zur Anlage 10 Kenntnis nehmen will.

Zu Protokoll gegebene Reden So wird auf Seite 4 des Antrags davon gesprochen, daß es in den neuen Ländern zu einem ökonomi- zu Tagesordnungspunkt 7 schen Einbruch kam, wie er in der Wirtschaftsge- (a - Antrag: Änderung der Rahmenvereinbarung schichte Deutschlands einmalig ist. Das ist zwar von Bund und neuen Ländern zur Erfüllung wahr, die Ursachen dafür werden aber verschwie- des Treuhandauftrages, gen. Ich muß daher zum wiederholten Mal an die b - Antrag: Vermögen der Parteien und 1989 erarbeitete Wirtschaftsanalyse des Genossen Massenorganisationen der DDR, Schürer erinnern, in der er den desolaten Zustand c - Antrag: Für eine wirtschaftliche und ökologische der DDR-Wirtschaft beschrieb. Diese Analyse mit ih- Alternative in den neuen Bundesländern) ren Schlußfolgerungen ist eine wi rtschaftliche Bank- Dr. Hermann Pohler (CDU/CSU): Zu den heute zur rotterklärung der DDR. Diskussion stehenden Anträgen der PDS möchte ich wie folgt Stellung nehmen. Diese Aussagen sind im übrigen im März dieses Jahres anläßlich der Anhörung zur „Bilanz der DDR- Zunächst zur Drucksache 13/78 vom Dezember Wirtschaft - Zwischenbilanz Aufbau Ost" in Dresden 1994 „Vermögen der Parteien und Massenorganisa- von Schürer nochmals bestätigt worden. Und wenn tionen der DDR". Wie sicher bekannt ist, wurde von der Massenvernichtung von Arbeitsplätzen die Mitte 1995 über die Verwendung der Mittel Einigung Rede ist, so ist dies genau dem Zustand der DDR- erzielt. Damit ist dieser Antrag überholt. Unabhängig Wirtschaft zuzuschreiben, den ich eben genannt davon wurde von den Ausschüssen, die zu den An- habe. Zwar gab es bekanntlich in der DDR eine Voll- trägen Stellung genommen haben, Ablehnung emp- beschäftigung, aber kaum einen wettbewerbsfähi- fohlen. Das Hohe Haus sollte dieser Empfehlung fol- gen Arbeitsplatz. gen. Die gleiche Empfehlung wurde von den zuständi- So umstritten die Arbeit der Treuhandanstalt auch gen Ausschüssen auch zum Antrag 13/2571 „Zur Än- sein mag, sie hatte die komplizierte Aufgabe zu be- derung der Rahmenvereinbarung von Bund und wältigen, die Grundlage dafür zu schaffen, daß sich neuen Ländern zur Erfüllung des Treuhandauftra- aus einer am Boden liegenden Wirtschaft heraus Un- ges" gegeben. Auch dieser Empfehlung sollten wir ternehmen entwickeln können, die den Anforderun- folgen. gen des Wettbewerbes in der Marktwirtschaft ge- recht werden. Daß diese Aufgabe bei aller Problema- Im übrigen kann festgestellt werden, daß sich die tik bewältigt wurde, zeigt u. a. die Tatsache, daß im auf der Grundlage des Rahmenvertrages praktizierte Rahmen der Privatisierung durch die Treuhandan- Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im stalt ca. 1,5 Millionen wettbewerbsfähige Arbeits- Grundsatz bewährt hat. Hinzu kommt, daß mit Über- plätze geschaffen wurden. Und gestützt durch eine nahme höherer Verantwortung durch die Länder na- gezielte Förderpolitik der Bundesregierung konnten türlich auch höhere finanzielle Verpflichtungen ver- sich bisher in den neuen Bundesländern ca. 500 000 bunden wären. Dazu sind die Länder nicht in der mittelständische Unternehmen mit rund 3,5 Millio- Lage. Aus diesem Grund wird durch die Länder nen Arbeitsplätzen entwickeln. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15843*

Auch wenn dieser Entwicklungsstand in Anbe- Manfred Hampel (SPD): Wir debattieren unter die- tracht der hohen Arbeitslosenzahlen nicht befriedi- sem Tagesordnungspunkt 7 ein Sammelsurium von gen kann, so kann man, ausgehend von der bekann- PDS-Anträgen, die - außer daß sie Ostdeutschland ten Ausgangslage allen Beteiligten dafür Dank und betreffen - thematisch nichts gemeinsam haben. Anerkennung nicht versagen. Erstens geht es um den Antrag der PDS „Ände Wir sind jedoch in den neuen Bundesländern noch rung der Rahmenvereinbarung von Bund und neuen weit von einer sich selbst tragenden Wirtschaft ent- Ländern zur Erfüllung des Treuhandauftrages" vom fernt. Daher sind weitere gezielte Anstrengungen 10. Oktober 1995. Abgesehen davon, daß der Antrag und Fördermaßnahmen erforderlich. Dafür wünsch- im Oktober 1995 ein gutes Jahr zu spät kam - wir ha- ten wir uns auch von der Opposition nicht nur mehr ben im Jahr 1994 das Gesetz über die Treuhandnach- oder weniger kluge Ratschläge, sondern eine kon- folge beraten und verabschiedet -, ist er auch inhalt- struktive Mitarbeit. lich überflüssig. Damals hat es intensive Gespräche mit den Ländern gegeben, ob sie denn bereit wären, Ich denke dabei z. B. an die Reform des Arbeitsför- die Treuhandnachfolge länderspezifisch zu organi- derungsgesetzes, die wir auf Grund des massiven sieren und diese in Länderkompetenz übertragen zu Widerstandes der Opposition erst verspätet in Kraft lassen. Die Bereitschaft war aus verständlichen setzen konnten. Mit dieser Reform wurde z. B. eine Gründen nicht vorhanden. Mit der Verantwortung in Öffnung der Arbeitsförderungsmaßnahmen für Per- der Sache hätte der Bund auch einen großen Teil sei- sonaleinstellungen in Wirtschaftsunternehmen des ner Finanzverantwortung den Ländern übergeben. gewerblichen Bereiches erreicht. Obwohl auf Grund Dies war und ist nicht im Interesse der Länder. Wir der Verzögerungen das Gesetz erst seit 1. April die- lehnen diesen Antrag ab. ses Jahres wirksam ist, zeigen die ersten Ergebnisse, daß diese Möglichkeit sowohl von den Unternehmen Zweitens. Der Antrag „Vermögen der Parteien und als auch von Arbeitssuchenden als Chance erkannt Massenorganisationen der DDR" vom 8. Dezember und angenommen wird. 1994 ist noch ein Ende älter. Darin wird der Antrag Ohne Zweifel ist dies also ein Schritt zur Entla- gestellt, daß diese Mittel ausschließlich für gemein- stung des Arbeitsmarktes bei gleichzeitiger Unter- nützige Zwecke benutzt werden dürfen und steuer- stützung des Mittelstandes. lich freigestellt werden sollen. Nach dem Einigungs- vertrag sind diese Gelder für gemeinnützige Zwecke Auch die leidige Diskussion und den Widerstand und für wirtschaftliche Fördermaßnahmen einzuset- gegen die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer zen. Dies ist auch weitgehend eingehalten. Lediglich möchte ich hier nennen. Es sollte doch inzwischen je- bei den Regelungen im Zusammenhang mit den dem klar sein, daß eine Erhebung in den neuen Bun- kommunalen Altschulden kann man sich streiten, ob desländern für viele unserer kapitalschwachen Un- sie gemäß dem Einigungsvertrag verwendet werden. ternehmen das Ende bedeuten würde. Da dies aber in Übereinstimmung mit den Ländern geregelt ist, halte ich auch das für unkritisch. Hin- Wir alle wissen, daß sich der Aufbau Ost noch sichtlich der steuerlichen Freistellung kann ich mich nicht selbst trägt und für längere Zeit auch bei ange- der Vermutung nicht erwehren, daß es wohl mehr ei-- spannter Kassenlage eine gezielte Förderung erfor- gennützige als gemeinnützige Gründe waren, die die derlich ist. PDS angesichts der Steueraffäre in Berlin zu diesem Auch dies möchte ich nochmals betonen: Es geht Antrag bewogen haben. Auch diesen Antrag lehnen uns dabei nicht um Dauersubventionen, sondern um wir selbstverständlich ab. die notwendige Unterstützung zum Aufbau einer lei- Der dritte Antrag der PDS „Für eine wirtschaftliche stungs- und wettbewerbsfähigen Wirtschaft. Unter und ökologische Alternative in den neuen Bundes- diesem Gesichtspunkt sind die bisherigen vielfälti- ländern" ist schon ernster zu nehmen. Im Analyseteil gen Förderinstrumente auf ihre Effektivität und Ziel- stimmen wir mit sehr vielem überein und kommen in sicherheit zu überprüfen. Wenn dabei auch eine bes- unserem Jahresarbeitsmarktbericht Ostdeutschland, sere Übersichtlichkeit erreicht würde, wäre das wün- der von der Querschnittsarbeitsgruppe Deutsche Ein- schenswert. heit der SPD-Bundestagsfraktion jetzt zum zweiten Ich bin davon überzeugt, daß die von uns jetzt an- Mal vorgelegt wurde, zu ähnlichen Ergebnissen. Das gestrebte Umstellung auf Zulagen statt Sonderab- Ergebnis dieser Studie ist besorgniserregend: Der schreibungen ein Weg in die richtige Richtung ist. Aufholprozeß der neuen Länder gegenüber den alten Wichtig ist, daß jetzt kurzfristig die endgültige Ent- Bundesländern ist ins Stocken geraten, wirtschaftlich scheidung über die Förderinstrumente und ihre fällt der Osten gegenüber Westdeutschland sogar Höhe nach 1998 für die nächsten sechs Jahre fällt. wieder zurück! Denn Unternehmen und Investoren benötigen Si- cherheit für eine mittel- und längerfristige Planung. So ist im achten Jahr der Wiedervereinigung die ostdeutsche Wirtschaft nach wie vor gekennzeichnet Auf einzelne, in meinen Augen unverzichtbare durch: ein ungewöhnlich hohes Arbeitsplatzdefizit Schwerpunkte in der mittelfristigen Förderung bis (32,1 Prozent bezogen auf alle abhängig Beschäftig- zum Jahr 2004 möchte ich heute nicht eingehen. Wir ten; zum Vergleich: im Westen 12,8 Prozent); eine ge- werden dazu im Unterausschuß „Aufbau Ost" noch rade mal halb so hohe Produktivität wie im Westen; vor der Sommerpause Gelegenheit haben zu disku- eine geradezu chronische Eigenkapitalschwäche der tieren, und ich hoffe do rt auf eine konstruktive Zu- meisten Unternehmen; eine unzureichende Infra- sammenarbeit über Parteigrenzen hinweg. strukturausstattung sowie den fast vollständigen 15844 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Verlust an eigenständigen Forschungs- und Entwick- vorgeschlagen, die teilweise eine diffuse Aneinan- lungskapazitäten. derreihung von fragwürdigen Einzelmaßnahmen wie Eurofighter und Transrapid - der übrigens zum weit- Auch für die Zukunft zeichnen Wirtschaftsforscher aus größten Teil privat zu finanzieren ist - sind. Die in düsteren Farben, so etwa jüngst in dem Gemein- Ausgaben dafür wurden in den Bundeshaushalt noch schaftsgutachten der sechs führenden Wirtschaftsfor- gar nicht eingestellt und können somit auch nicht als schungsinstitute. Bemerkenswert ist, in welch schar- echtes Einsparpotential herhalten. Oder es werden fem Kontrast diese besorgniserregenden Prognosen praktisch nicht umsetzbare Forderungen erhoben, zur Teilnahmslosigkeit der Bundesregierung stehen. wie die Verpflichtung der Treuhandnachfolge auf Ihr Aufbaukonzept mit seiner Mixtur aus wirtschafts-, eine aktive Mitwirkung bei den Arbeitsplatzzusagen finanz- und arbeitsmarktpolitischen Hilfen greift der Privatisierungen und Reprivatisierungen bzw. die nicht mehr, vermag keine entscheidenden Impulse wiederholte Rücknahmeverpflichtung von mißglück- mehr hinsichtlich des wirtschaftlichen Aufbaus in ten Privatisierungen. Und schließlich die Forderung den neuen Ländern zu setzen. Die absurden Progno- nach „runden Tischen" in nostalgischer Verklärung sen des Bundeskanzlers über eine rasche Anglei- des Jahres 1990. Mit welcher Kompetenz sollte denn chung zwischen Ost und West - seine „blühenden ein solcher „runder Tisch" ausgestattet sein? Dürfte Landschaften" - haben sich somit endgültig als er in unternehmerische Entscheidungsprozesse ein- „Windei" entpuppt. greifen? Sollen die Wirtschaftsministerien der Länder Leider vermag die Bundesregierung aus den - dadurch ersetzt werden? Ich denke, allein diese Fra- überdeutlichen! - Warnzeichen keine folgerichtigen gen belegen, wie realitätsfern eine solche Forderung Schlüsse zu ziehen. Anstatt ihr gescheitertes Aufbau- ist. konzept grundlegend zu überdenken, fährt sie wei- Die Wirtschaft in den neuen Bundesländern ter fort , die Finanzierungsgrundlagen des wirtschaft- braucht neue Impulse. Populistische und realitäts- lichen Aufbaus in Ostdeutschland zu untergraben, ferne Vorschläge und der dauernde Ruf nach mehr indem sie die investiven Ausgaben im Bundeshaus- staatlichen Interventionen, wie sie wiederholt von halt kürzt, die Investitionsförderung zusammen- der PDS kommen, sind dabei eher schädlich. streicht, die arbeitsmarktpolitischen Hilfen aushöhlt und damit die Zahl der Arbeitslosen direkt vermehrt. Bilanz: über 1 Millionen Menschen arbeitslos, bei ei- Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die ner Arbeitslosenquote von 17 Prozent. Tendenz, wie wirtschaftliche Förderung der neuen Länder ist eine schon gesagt, steigend! wichtige und langfristige Aufgabe, die endlich auf Die - zugegebenermaßen unbequeme! - Wahrheit solide und berechenbare Füße gestellt werden muß. ist, daß den Menschen in Ostdeutschland noch eine Eine solche Reform muß darüber hinaus geeignet schwierige Wegstrecke des wirtschaftlichen Aufbaus sein, endlich das wirtschaftliche Gefälle im Verhält- bevorsteht. Doch das Ziel dieses Weges kann nur nis zu den neuen Ländern zu beseitigen und ein Zu- durch einen Neubeginn, durch eine grundlegende sammenwachsen, das für die Menschen und den so- Neuorientierung des wirtschaftlichen Aufbaukon- zialen Frieden so dringend erforderlich ist, intensivst zeptes erreicht werden. Vor allem die Zielgenauig- fördern; aber dazu später. keit der Fördermaßnahmen muß verbessert werden, Der Antrag der PDS stellt alles andere als eine se- um mehr Investitionen in neue Arbeitsplätze zu errei- riöse Grundlage dar, diesen Problembereich zu dis- chen. Dazu gehört nach Ansicht der SPD-Bundes- kutieren und einer Lösung näherzubringen. Wieder tagsfraktion unter anderem die Konzentration der einmal unterstreicht die PDS in dem Antrag nach- Förderung auf die verarbeitenden Bereiche - bei drücklich, daß sie nicht bereit ist, sich von ihrer Ver- gleichzeitiger Zusammenfassung bzw. Vereinfa- gangenheit wirklich zu lösen. Alles Wortgeklingel chung der Förderinstrumente -, die Modernisierung von Modernität, linker Alternative und Demokratisie- und Sanierung von Altbauten, Starthilfen für Exi- rung kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir es stenzgründungen sowie auf Eigenkapitalhilfen für immer noch mit der alten, allenfalls gewendeten SED kleine und mittlere Unternehmen, zum Beispiel zu tun haben. Der Antrag bringt dies deutlich zum durch die Mobilisierung zusätzlichen privaten Kapi- Ausdruck. Wie anders ist es denn wohl zu verstehen, tals durch den „Beteiligungsfonds Ost". wenn die PDS in diesem Antrag in aller Unverfroren- Von zentraler Bedeutung sind weiterhin die Wie- heit die - ich zitiere wörtlich - „Beendigung aller derbelebung der ostdeutschen Forschungsland- Versuche, die Ergebnisse der demokratischen Bo- schaft, die Fortführung der Braunkohlesanierung so- denreform zu revidieren" fordert? wie das Betreiben einer aktiven Arbeitsmarktpolitik. Für die PDS ist das vielfache Unrecht, das zwi- Um die innere Einheit Deutschlands schnellstmög- schen 1945 und 1949 geschah und das bis heute lich auf den Weg zu bringen, ist es unabdingbar, die schmerzhaft nachwirkt, immer noch wie Weiland, zu Aufbauhilfen für die ostdeutsche Wirtschaft im bishe- Zeiten der Genossen und Honeckers, die glorreiche rigen Umfang fortzusetzen. Denn: Je schneller der „demokratische Bodenreform" . Problem bewältigt? Aufbau Ost gelingt, desto größer die Chance, die Fehlanzeige. Transferzahlungen des Bundes und der westlichen Länder schrittweise zurückzuführen. Das ist einfach unglaublich und zeigt, daß die Re- former in der PDS - und das gilt auch für die Bundes- Ähnliche Feststellungen werden auch im PDS-An- tagsgruppe - noch einen weiten Weg vor sich haben. trag getroffen. Allerdings werden Lösungsansätze Solange sie sich von solchen Formulierungen und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15845*

Haltungen nicht lösen, ist es wirklich sinnlos, mit ih- 4. Die relativ leistungsfähigen Zentren Ostdeutsch- nen nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. lands dürfen nicht zu früh aus der Förderung ent- lassen werden. Einen zweiten Punkt möchte ich herausgreifen, der allerdings zum selben Ergebnis führt. Er betrifft die 5. Die Aufbau-Ost-Förderung braucht ausgeprägt Vorstellungswelt der PDS zum Thema Steuern und beschäftigungspolitische Komponenten. Daher ist Abgaben und zum Thema Rechtsstaat. Sie will also es notwendig, bestehende Elemente der produkti- den Solidarzuschlag auf 10 Prozent erhöhen und ven Arbeitsförderung wie Lohnkostenzuschüsse gleichzeitig ihre vermutete Klientel davon ausneh- auch im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförde- men. Großartig! Doch damit nicht genug. Zusätzlich rung einzusetzen. verlangt sie noch eine zwei- bis dreiprozentige Ab- Ich komme nun zum Schluß und weise dabei noch- gabe auf große Geld- und Immobilienvermögen der mals eindringlich auf die Notwendigkeit einer seriö- privaten Haushalte. Und das für 10 Jahre. Konfiska- sen und langfristigen Förderung der neuen Länder torische Besteuerung nennt man das. Wenn danach hin. Versäumen wir es, hier zu handeln, so laufen wir noch nicht alle betroffenen Haushalte Reißaus ge- sehenden Auges der Gefahr einer tiefgreifenden so- nommen haben, will die PDS die Abgbe wahrschein- zialen Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland lich noch ein paar Jährchen verlängern. Daß das entgegen. Bundesverfassungsgericht kürzlich selbst die bishe- rige, um Längen moderatere Vermögensbesteuerung für unzulässig erklärt hat, braucht eine PDS nicht an- Jürgen Türk (F.D.P.): Die Rahmenvereinbarung zur zufechten. Für sie ist das ja ohnehin Siegerjustiz. Erfüllung der Treuhandaufgabe braucht nicht mehr geändert zu werden; denn sie ist im Einvernehmen Meine Damen und Herren, neben diesem unseriö- zwischen Bund und neuen Bundesländern abge- sen Nebel findet sich im Antrag der PDS auch man- schlossen worden. Das heißt, zu einer engeren Ein- ches Sinnvolle. Manches ist sogar 1: 1 aus dem grü- bindung in die Nachfolgeeinrichtungen der Treu- nen Programm übernommen. Das zeigt genau, was handanstalt sind die Länder nicht bereit. diese Partei ist: ein Chamäleon, mit der eigenen Vor- Gleichwohl gibt es eine enge Zusammenarbeit z. B. stellungswelt immer noch tief und unk ri tisch in der zwischen BvS und Ländern, wie uns gestern im Un- Ideologie verhaftet, die über Jahrzehnte Terror und terausschuß Aufbau Ost wieder bestätigt wurde. Der Diktatur über die DDR gebracht hat, und gleichzeitig Privatisierungsauftrag wird nicht eng ausgelegt, son- maskiert mit allerlei wohlfeilen und oft unzusammen- dern zielt auf wettbewerbsfähige Arbeitsplätze ab. hängenden Versatzstücken anderer politischer Kon- zepte. So kann die PDS weder ein seriöser Pa rtner Eine Dauersubventionierung chancenloser Unter- noch eine ernst zu nehmende Alternative werden. nehmen kann und darf aber nicht das Ziel der BvS- Auf derartigen Oberflächlichkeiten können sich Arbeit sein. keine soliden Förderprogramme langfristig und wirk- sam entwickeln. Im übrigen wird sich der Unterausschuß Aufbau Ost noch vor der Sommerpause das Konzept der BvS Vielmehr ist eine Förderung notwendig, die für die vorlegen lassen und prüfen, ob und wann die verblei- öffentlichen Finanzen, für die Bürgerinnen und Bür- benden Aufgaben den Ländern übertragen werden ger und für die Investoren berechenbar ist und sich können. auf einen investitionsfreundlichen Zeitraum er- Über die BvS hinaus sollte auch überprüft werden, streckt. ob der TLG-Auftrag, bundeseigene Liegenschaften und Immobilien nur zu vermarkten und instandzu- Unser am Montag vorgestelltes 10-Punkte-Pro- halten, ausreicht. gramm zeigt die notwendige Förderungsstrategie auf. Ich möchte davon nur einige, wichtige Punkte Der Wirtschaftsausschuß war am Montag im Stick- exemplarisch aufzeigen: stoffwerk Piesteritz, einer sehr gelungenen Privatisie- rung. Dort haben wir auch über den Zaun geschaut 1. Den Investoren muß die Sicherheit geboten wer- und ungenutzte Gebäude in TLG-Verwaltung gese- den, daß sich über einen Zeitraum von ca. hen. Gebäude, die ungenutzt sind und deren In- 10 Jahren an den Präferenzen für den Standort standhaltung und Bewachung nicht Geld bringen, Ost nichts ändert. sondern kosten. Eine Alternative ist meines Erach- tens, hier über die verbilligte Abgabe als Investitions- 2. Die Höhe der Aufbau-Ost-Förderung muß für min- hilfe nachzudenken. destens fünf Jahre auf dem derzeitigen Niveau Der Antrag „zur wirtschaftlichen und ökologischen festgeschrieben werden. Gleichzeitig muß aber Alternative in den neuen Bundesländern" ist im Ge- die Effizienz der Mittelverwertung verbessert wer- gensatz zu den beiden vorgenannten neu, inhaltlich den. aber auch überholt. Er negiert das bisher Erreichte völlig und bringt Vorschläge, die schon zu DDR-Zei- 3. Der Schwerpunkt der Förderung muß künftig ten erfolglos ausprobiert wurden. beim verarbeitenden Gewerbe und den produk- tionsorientierten Dienstleistungen liegen. Zentra- Natürlich sind wir vorangekommen beim Aufbau les Ziel der Anstrengungen muß sein, die ekla- der Infrastruktur, bei der Steigerung der Produktivi- tante Exportschwäche Ostdeutschlands zu über- tät, bei der Steigerung der Bruttoeinkommen, beim winden. Aufbau leistungsfähiger KMU. 15846' Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Aber es reicht noch nicht! Der selbsttragende Auf- hatte den Wochenendsiedlern kein dingliches Recht, schwung ist noch nicht erreicht, deshalb muß die sondern nur ein Nutzungsrecht verliehen. Trotzdem Ostförderung weitergehen: einfacher, gezielter und war das Wochenendgrundstück unter DDR-Bedin- gerechter und auf gleichem Niveau. gungen so gut wie auf Lebenszeit gesichert. Aus die- sem Grunde hat die Koalition einen sehr langen Be- Ich kann nur dazu auffordern, daß schnellstens standsschutz, nämlich bis zum Jahre 2015, vorge- zwischen Bund und Ländern abgestimmt wird, was schlagen und umgesetzt und für diejenigen, die 1990 gleiches Niveau ist, und daß das Kabinett in Kürze 60 Jahre alt waren, einen generellen Bestandsschutz beschließt, daß ab 1999 ca. 6 Milliarden DM direkt vorgesehen. Das ist eine sehr weitgehende Rege- subventionswirksame Investitionsmittel für den Auf- lung, die uns viel Ärger bei den Grundstückseigentü- bau Ost zur Verfügung stehen. Ein Bruch wäre un- mern eingebracht hat, zu der ich aber nach wie vor verantwortlich. stehe.

Im übrigen waren die Länderwirtschaftsminister Trotzdem sind diese rechtstatsächlichen Gegeben- am vergangenen Montag in Leipzig sowohl mit der heiten für Grundstückseigentümer und für Wochen- Umstellung von Sonder-AfA auf Investitionszulagen endsiedler nur schwer zu verstehen. Private Grund- als auch mit den ca. 6 Milliarden DM/Jahr einver- stückseigentümer eines Wochenendgrundstücks fra- standen. gen mich, warum sie erst eine Generation nach dem Ende der DDR ihr Grundstück betreten dürfen. Wo- Der Aufbau Ost geht also weiter, aber nicht mit so chenendsiedler fragen nach ihrem Wochenendhaus- ungeeigneten Instrumenten, wie sie im PDS-Antrag Eigentum, nach ihrer Leistung bei der Kultivierung gefordert werden. Mit der öffentlich subventionierten von so mancher früher ansonsten zu nichts nutzbarer Beschäftigung haben wir doch schon einmal Schiff- Splitterfläche. bruch erlitten. Will man es noch mal versuchen? Bis zum Jahre 2015 wird sich vieles verändern, und Nein, wir nehmen das Geld und schaffen wettbe- der Übergang dann in normale Verhältnisse wird werbsfähige Arbeitsplätze. Und Ihren Antrag lehnen problemlos verlaufen. Viele werden das Nutzungs- wir ab, weil mit ihm keine Dauerarbeitsplätze ge- verhältnis fortsetzen können, insbesondere weil die schaffen werden. Aber genau diese sind unser Ziel. große Mehrzahl dieser Grundstücke in kommunalem Eigentum liegt.

Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Ich habe im letzten Begleitend zu dem Schuldrechtsanpassungsgesetz halben Jahr eine Vielzahl von Gesprächen mit Wo- haben wir die NutzEV erlassen. Die NutzEV hatte chenendsiedlern geführt. Viele machen sich Sorgen das Ziel, von den äußerst niedrigen DDR-Nutzungs- um das von ihnen genutzte Wochenendgrundstück. entgelten hin zu einer ortsüblichen Pacht zu gelan- Ich habe aber auch mit den Grundstückseigentü- gen. Dieser Schritt hin zur ortsüblichen Pacht sollte mern gesprochen, die sich ärgern, daß sie nach wie auch nicht sofort, sondern in Schritten erfolgen. Die vor ihr Grundstück nicht nutzen dürfen. Diese Span- bisher erfolgten Schritte sind weitestgehend akzep- nung besteht besonders im Umfeld von Berlin, weil tiert worden; zumindestens sind mir kaum gerichtli- da viele direkte Nutzer-Eigentümer-Verhältnisse be- che Streitfälle bekannt. Das zeigt, die NutzEV hat stehen. sich bislang bewährt.

Bevor ich zum Antrag der SPD komme, lassen Sie Die Frage ist aber: Wie sieht es für die Zukunft mich einige wenige Vorbemerkungen machen. Wir aus? Bietet die NutzEV auch zukünftig die von mir haben Gott sei Dank 1990 die deutsche Einheit ge- skizzierte Gewähr? Erfüllt die NutzEV auch zukünf- schenkt bekommen. Das hat den gesamtdeutschen tig ihre Funktion sachgerecht? Bundestag jedoch vor die Aufgabe gestellt, zwei voll- kommen ungleiche Rechtssysteme zusammenführen Das Bundesjustizministerium hatte im letzten Jahr zu müssen. Ich bin seit Beginn für die Koalition im dem Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik Rechtsausschuß und eben mit diesen Fragen befaßt. ein Gutachten in Auftrag gegeben. Es sollte geprüft Ich glaube, daß das, was der Bundestag, was die werden, wie sich die Umsetzung der NutzEV gestal- Bundesregierung und was die Koalition auf den Weg tet. Ich halte das Ergebnis dieser Studie für qualitativ gebracht haben, sich vor diesem Hintergrund und gut. Die Studie benennt auch deutlich die Probleme dem Ziel der Gestaltung der deutschen Einheit und den Novellierungsbedarf. durchaus sehen lassen kann. Was sagt die Studie? Erstens. Eine Anhebung der Welche Schritte führten zu der heutigen Rechts- Pacht bis zur Ortsüblichkeit wird nicht bestritten, lage bei Wochenendgrundstücken? Der Einigungs- kann meines Erachtens auch nicht bestritten werden. vertrag und später noch einmal das Registerver- Was ist aber - und das ist das große Fragezeichen - fahrensbeschleunigungsgesetz sicherten vorläufig Ortsüblichkeit? den Bestand der Nutzungsverträge für Wochen- endgrundstücke. Die Nutzungsentgeltverordnung Zweitens. Die bisher in § 3 der NutzEV vorgesehe- (NutzEV) 1993 und das Schuldrechtsanpassungsge- nen Erhöhungsschritte erwecken den Eindruck, daß setz 1994 gestalteten den vorläufigen Bestandsschutz noch lange nicht die Ortsüblichkeit erreicht ist. Ge- aus. Das Schuldrechtsanpassungsgesetz mußte Ver- nau hier kommt die Studie des IFS aber zu dem Er- träge, die sich an § 314 ff. Zivilgesetzbuch orientier- gebnis, daß in der Regel die Ortsüblichkeit einer ten, in BGB-konformes Recht überführen. Die DDR Pacht erreicht ist bzw. man nahe daran ist. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15847*

Diese zwei Aussagen sind für mich wichtig und be- wahrheit über die bestehende Rechtslage und über schreiben auch das Ziel bei einer Novellierung der den Zeitplan und das Ziel einer Novellierung gesagt. NutzEV. Die Abgeordneten von CDU und F.D.P. aus Ich habe den Eindruck, man will die Wahrheit auch den neuen Bundesländern haben sich rechtzeitig überhaupt nicht wissen, sondern will die Siedler ver- und konstruktiv um die Novellierung dieser NutzEV unsichern und Siedler und Grundstückseigentümer Gedanken gemacht. Soweit mir bekannt ist, liegt der gegeneinander aufhetzen. So wird zum Protest ge- fertige, mit den entsprechenden Resso rts der neuen gen Vertreibung und Enteignung aufgerufen. Länder abgestimmte Entwurf einer NutzEV vor. Er soll jetzt im Kabinett verabschiedet und dem Bundes- Vertreibung ist etwas anderes. Das ist am Ende des rat zugeleitet werden. Damit kann eine Verabschie- Zweiten Weltkrieges geschehen, und das ist in der dung der NutzEV rechtzeitig vor der Sommerpause DDR aus den grenznahen Gebieten durch Zwangs- erfolgen. Ein möglicher Erhöhungsschritt, der frühe- aussiedlung geschehen. Enteignungen sind in der stens am 1. August 1997 angekündigt werden kann, DDR zuhauf vorgenommen worden. Diese Begriffe kann dann mit der neuen NutzEV als Grundlage er- sind, denke ich, hier fehl am Platz. folgen. Die Bundesregierung - das zeigt das Schuldrechts- Und nun zu den Grundsätzen: anpassungsgesetz - wi ll, daß Wochenendgrundstücke noch lange genutzt werden können, und wi ll, daß da- Erstens. Am Prinzip, ein Nutzungsentgelt in Höhe für ein verträgliches, aber übliches Nutzentgelt ent- der Ortsüblichkeit zu vereinbaren, wird und muß richtet wird. Ich denke, daß wir dabei auf gutem Weg festgehalten werden. sind. Frau Däubler-Gmelin, auch von Ihnen bin ich in diesem Zusammenhang enttäuscht. Ihre Rede in Ber- Zweitens. Für das, was Ortsüblichkeit ist, wird eine lin vor wenigen Wochen zeigt, daß Sie nicht bereit klare, sowohl für den Grundstückseigentümer als sind, die Gratwanderung, den Weg der Gerechtig- auch für den Nutzer nachvollziehbare Regelung ge- keit und des Ausgleichs zwischen den verschiedenen funden. Wenn es an vergleichbaren Neuverpachtun- Interessengruppen mitzugehen und zu verteidigen, gen fehlt, soll das ortsübliche Entgelt aus einer Ver- sondern daß Sie um des Populismus willen den Leu- zinsung des Bodenwertes entsprechend der tatsächli- ten nach dem Mund reden, ohne zu merken, daß Sie chen Nutzung abgeleitet werden. damit teilen und nicht einen. Aber wen wundert es. Drittens. Der Grundstückseigentümer muß in ei- Die Parteien der deutschen Einheit, die sich dieser nem Erhöhungsverlangen schriftlich erläutern, daß schweren Gratwanderung konsequent stellen, finden das ortsübliche Entgelt noch nicht überschritten ist. Sie allein in der Koalition. § 3 Abs. 1 Nr. 4, also der zur Zeit in der NutzEV be- Noch ein letztes Wo rt: Auch das Schuldrechtsan- schriebene Erhöhungsmechanismus, muß anders for- passungsgesetz muß auf den Prüfstand gestellt wer- muliert werden, weil er den Einruck erweckt, daß den. Eine Sammlung von Prüfwürdigem haben die ewig und ohne Ende erhöht werden kann. Es muß CDU-Abgeordneten der neuen Länder auf ihrer klargestellt werden, daß nur bis zur Ortsüblichkeit Klausurtagung am 13. und 14. April vorgelegt, und erhöht werden kann. Wenn die Ortsüblichkeit noch wir sind zur Zeit in der Fachberatung. Dazu gehören nicht erreicht ist, dann ist dieses nur in maximalen folgende Fragen: Schritten möglich. Wenn aufgrund einer Entgelterhöhung der Nutzer Viertens. Die Beweispflicht liegt beim Grund- seines Wochenendgrundstücks aus finanziellem stückseigentümer. Grunde aufgeben muß, dann sollte der Grundstücks- Fünftens. Es wird eine Auskunftspflicht der Gut- eigentümer eine Entschädigung an den Nutzer zah- achterausschüsse festgelegt. len, wenn der Grundstückseigentümer den vom Nutzer errichteten Bungalow selbst nutzen wi ll. Diese NutzEV greift die bisherigen Probleme bei der Anwendung auf und löst sie sachgerecht. Das Im Schuldrechtsanpassungsgesetz ist kein Recht nutzt dem Grundstückseigentümer und dem Nutzer. zur Neuvergabe durch den Zwischenpächter im Falle einer Vertragsbeendigung durch den unmittelbaren Warum ist die NutzEV noch nicht novelliert wor- Nutzungsberechtigten begründet worden. Es sollte den? Ich glaube, es hätte keinen Sinn gehabt, die ein Recht zur Neuvergabe durch den Zwischenpäch- NutzEV vor einem Jahr zu ändern. Gerade das Gut- ter auf der Basis des allgemeinen Pachtrechts be- achten selbst zeigt, daß viele Aussagen der Gutach- gründet werden. Die Rechte des Grundstückseigen- ter heute so nicht mehr gelten; die Zeit ist zu schnell- tümers sind allerdings mit geeigneten Regelungen lebig. zu wahren. Ich freue mich, daß die SPD nun auch einen An- Sie sehen, es gibt viel zu tun. Wir packen es an. trag in den Bundestag einbringen will, der sich mit diesem Thema befaßt. Dieser Antrag kommt aller- dings reichlich spät. Würden wir erst auf diesen An- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- trag hin handeln, dann kämen wir ganz sicher zu desminister für Wirtschaft: Das Thema „Aufbau Ost" spät. steht heute anläßlich dreier PDS-Anträge auf der Ta- gesordnung. Die Anträge aus den Drucksachen 13/ Ich hatte in Veröffentlichungen und in Gesprächen 2571 und 13/78 sind jedoch überholt. den Zeitplan und das Ziel einer Novellierung des öf- teren unmißverständlich erläutert. Trotzdem wird Die von der PDS angesprochenen Zusammenar- durch den ein oder anderen Verband bewußt die Un- beitsstrukturen zwischen BvS und den neuen Bun- 15848* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

desländern wurden im gegenseitigen Einvernehmen Aufholprozesses erklärt sich durch die folgenden bereits Ende 1994 geschaffen. Eine weitergehende Entwicklungen: Ländereinbindung wäre sicher wünschenswert ge- Wir beobachten zur Zeit einen Wechsel der Auf- wesen. Sie ist aber bisher an der mangelnden Bereit- triebskräfte. Der Bauboom der ersten Jahre läßt nach. schaft der Länder zur Übernahme von mehr Eigen- Verarbeitendes Gewerbe und Dienstleistungsbe- verantwortung und von höheren Finanzierungslasten reich, die auch in den nächsten Jahren Motor des gescheitert. Aufschwungs in der ostdeutschen Wirtschaft sein Die Frage der Besteuerung des PDS-Altvermögens werden, können aber trotz dynamischen Wachstums ist seit Mitte 1995 durch einen Vergleich gelöst. Auch (1996 rund 6 Prozent) die Lücke noch nicht füllen. über die Verwendung des Parteivermögens ist zwi- Der Lohnstückkostennachteil ostdeutscher Unter- schenzeitlich Einvernehmen erzielt worden. nehmen ist seit 1993 kaum abgebaut worden. Insofern bitte ich Sie, diese beiden Anträge gemäß Die Sonderkonjunktur Ost geht auf Grund der zu- dem Votum der beratenden Ausschüsse abzulehnen. nehmenden Verflechtung der ostdeutschen mit der Am Wochenende wurde uns mit Drucksache 13/ westdeutschen Wirtschaft zu Ende. 7519 ein neuer Antrag vorgelegt, mit dem die PDS Der Aufbau Ost wird daher länger dauern, als ur- eine „wirtschaftliche und ökologische Alternative in sprünglich erwartet. Dies bedeutet aber nicht, daß den neuen Bundesländern" vorstellt. der Aufholprozeß zum Stillstand kommt. Es gibt kei- Es wird Sie sicher nicht überraschen, daß die Bun- nen Grund zu Pessimismus. Die Bauindustrie scheint desregierung die wirtschaftspolitischen Vorstellun- die Talsohle erreicht zu haben. Experten rechnen be- gen der PDS ablehnt. In dem Antrag werden Ursache reits für dieses Jahr mit einem beachtlichen Wachs- und Wirkung verwechselt. Die Bundesregierung, tum des verarbeitenden Gewerbes urn 6 Prozent und nicht aber die Machthaber in der ehemaligen DDR, der Dienstleistungswirtschaft um 5 Prozent. Auf- soll für die wirtschaftlichen Probleme in den neuen tragseingänge und Stimmungslage im verarbeiten- Bundesländern verantwortlich gemacht werden. Das den Gewerbe weisen nach oben. werden wir nicht zulassen. Die PDS kann die Tatsa- Die Beschleunigung des Aufholprozesses wird je- chen nicht einfach auf den Kopf stellen. doch auch weiterhin abhängig sein insbesondere von Und auch auf die „Patentrezepte" der PDS zum der Rücksichtnahme der Tarifpartner auf die Lei- Aufbau Ost können wir verzichten. Milliarden- stungsfähigkeit der Unternehmen, von hohen Eigen- schwere Programme zur Investitionslenkung in aus- anstrengungen der Wirtschaft in den neuen Bundes- gesuchte Industriezweige sind weder finanzierbar ländern und von der mittelfristigen Fortsetzung der noch helfen sie weiter. Ein öffentlicher, subventio- öffentlichen Förderung. nierter Beschäftigungssektor für 200 000 bis 300 000 Die Bundesregierung wird die Förderung des wirt- Abeitnehmer - urn nur ein besonders krasses Bei- schaftlichen Aufbaus in den neuen Bundesländern spiel aus dem PDS-Antrag herauszugreifen - wird auch über 1998 hinaus fortsetzen. Leitgedanken des keine sicheren Arbeitsplätze mit Zukunftsperspek- vom Bundesminister für Wirtschaft gemeinsam mit tive schaffen. Hier scheinen die alten Planwirtschaft- dem Finanzminister vorgelegten neuen „mittelfristi- ler wieder auferstanden zu sein. gen Förderkonzepts" sind: steuerliche Förderung auf Die neuen Bundesländer brauchen eine solide, hohem Niveau auch nach 1998, insbesondere im in- vestiven Bereich; Fortführung der Investitionsförde- wachstumsorientierte Wi rtschaftspolitik, wie sie die Koalition seit 1990 eingeschlagen hat und auch künf- rungen im Rahmen der GA; Konzentration auf verar- beitendes Gewerbe und produktionsnahe Dienstlei- tig unbeirrt fortsetzen wird. stungen, die besonders im internationalen Wettbe- Gemessen an der desolaten Ausgangssituation werb stehen, sowie Existenzgründung und Unter- kann sich das bisher Erreichte - anders als dies die nehmensstabilisierung, insbesondere für den Mittel- PDS darstellt - durchaus sehen lassen. Deutliche stand; Reduzierung der Instrumente (insbesondere Fortschritte gibt es zum Beispiel bei der Steigerung Wegfall der Sonder-AfA bei erhöhter Investitionszu- der Produktivität von 31 Prozent (1991) auf 57 Prozent lage); klare mittelfristige Förderperspektive (6 Jahre). (1996) des westdeutschen Niveaus, der Steigerung Auf Grund der zunehmenden Verflechtungen zwi- der Bruttoeinkommen der Beschäftigten von schen Ost und West wird die Dynamik in den neuen 47 Prozent auf 74 Prozent der durchschnittlichen Ländern auch immer abhängiger von den Bedingun- Westeinkommen, dem Aufbau leistungs- und wett- gen für den Standort Deutschland insgesamt. bewerbsfähiger mittelständischer Unternehmen, von denen es heute 500 000 in den neuen Bundesländern Hierbei hat sich die Bundesregierung ein umfang- mit 3,4 Millionen Arbeitnehmern gibt, und beim Aus- reiches Maßnahmenbündel vorgenommen. Ich bau der Infrastruktur: 5 Mil lionen neue Telefonan- nenne nur als Stichworte: große Steuerreform, Rück- schlüsse, 11 000 km Bundesfernstraßen und 5 000 km führung der Staatsquote, Senkung der Lohnzusatz- Schienenstrecke. kosten, Flexibilisierung. am Arbeitsmarkt, Förderung der Wagniskapitalbildung, „Verschlankung des Staa- Vor dem Hintergrund dieser Erfolgsbilanz wi ll ich tes", Deregulierung und Privatisierung, mehr Wett- aber nicht verschweigen, daß sich auch die Bundes- bewerb und offene Märkte. regierung Sorgen wegen der zu beobachtenden Ver- langsamung des Aufholprozesses der neuen Bundes- Der Kurs der Bundesregierung zum Aufbau Ost ist länder macht. Die eingetretene Verzögerung des damit deutlich abgesteckt. Der PDS-Antrag stellt da- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15849* gegen einen Rückschritt in die Zeit der ideologischen Das Jahr 1996 ist verstrichen. Ein Gutachten des Debatten dar. Die Bewältigung der anstehenden Auf- Instituts für Stadtforschung und Strukturpolitik vom gaben erfordert die Zusammenarbeit aller Beteiligten Februar 1995 (erstellt im Auftrag des BMJ) liegt vor, und keine Polemik. aber die Bundesregierung rührt sich nicht. Nein, der Bundesjustizminister beteiligt sich an Bodenreform- Für die Bundesregierung kann ich hier versichern, debatten, anstatt anstehende Fragen zu lösen. daß sie gegenüber den neuen Bundesländern das bleiben wird, was sie in den letzten Jahren war: ein Es besteht dringender Handlungsbedarf. Das be- verläßlicher Partner in schwieriger Zeit. stätigt das eben zitierte Gutachten, wenn es feststellt, „daß mit dem weiteren, zum 1. November 1997 an- stehenden Erhöhungsschritt bei einer zunehmenden Zahl von Nutzern die ,Schmerzgrenze' überschritten wird, so daß Erhöhungen weniger häufig als bisher akzeptiert werden". Anlage 11 Auch zu der Problematik der Ermittlung der Orts- üblichkeit und weiteren praktischen Fragen enthält Zu Protokoll gegebene Reden das Gutachten konkrete Vorschläge, die aber an- zu Tagesordnungspunkt 6 scheinend seit dem Februar 1995 in den Tresoren des (a - Antrag: Mehr Rechtssicherheit und Rechts- BMJ ruhen. schutz für Nutzer von Freizeitgrundstücken in den neuen Bundesländern, Wer mit den Gutachterausschüssen vor Ort gespro- b - Antrag: Begrenzung des Anstiegs chen hat, wer die Entwicklung der Nutzungsentgelte der Nutzungsentgelte für Erholungsgrundstücke in den neuen Ländern analysiert hat und wer mit den in Ostdeutschland auf ein sozial erträgliches Maß) Betroffenen, d. h. mit den Nutzern, die oft aus Ödland kultivierte Erholungs- und Freizeitgrundstücke ge- Hans-Joachim Hacker (SPD): Die innere Einheit schaffen haben, gesprochen hat, der muß sich jetzt Deutschlands kann nur vollendet werden, wenn in dieser Problematik stellen und die geltende Nut- Deutschland gleiche Lebensverhältnisse geschaffen zungsentgeltverordnung novellieren. werden und wenn die Bürgerinnen und Bürger spü- ren, daß der Rechtsstaat Schutz gewährt und daß die Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen der Koali- Politik für die täglichen Probleme der Menschen ver- tionsfraktionen, mit uns gemeinsam die Bundesregie- tretbare Lösungen bringt. rung aufzufordern, die im Antrag der SPD-Bundes- tagsfraktion geforderten Ergänzungen bzw. Klarstel- Der Bereich der Vermögensfragen ist in den neuen lungen der bisher geltenden Nutzungsentgeltverord- Ländern neben dem Arbeitsmarkt zur schwersten nung vorzunehmen. Belastungsprobe nach der Wiedervereinigung ge- worden. Falsche Weichenstellungen durch die Bun- Vor allem geht es um: desregierung im Jahre 1990 und zögerliches Han- - die Begrenzung der weiteren Erhöhung der Ent- deln bis in das Jahr 1997 (Wohnraummodernisie- gelte bis zum Erreichen der ortsüblichen Beträge, rungssicherungsgesetz) kennzeichneten und kenn- zeichnen die Politik dieser Bundesregierung und der - eine klare Definition des Begriffes „Ortsüblich- sie tragenden Koalition. keit" und Bestimmung von Hilfsverfahren zur Orts- üblichkeitsbestimmung in Abhängigkeit vom Bo- Die SPD im Deutschen Bundestag ist bereit, mit denwert (eine zentrale Frage, weil damit die unver- der Koalition nach Lösungen zu suchen, um die sich tretbaren Preisentwicklungen in einzelnen Regio- immer mehr zuspitzenden Konflikte bei den Nut- nen gestoppt werden können), zungsentgelten zu entschärfen. - die Berücksichtigung von Erschließungsmaßnah- Der Antrag meiner Fraktion vom 21. März 1997 für men durch. die Grundstücksnutzer bei der Festle- mehr Rechtssicherheit und Rechtsschutz für Nutzer gung des ortsüblichen Entgeltes, von Freizeitgrundstücken in den neuen Bundeslän- dern greift diese Ängste und Sorgen der Bürgerinnen - die Regelung der Beweislast des Eigentümers bei und Bürger auf, und wir schlagen vertretbare Lösun- Streitigkeiten über die Höhe des ortsüblichen Ent- gen vor; denn unbest ritten ist, daß die geltende Nut- geltes und die Regelung der Kosten für die Erstel- zungsentgeltverordnung den Realitäten des Lebens lung des Gutachtens sowie in den neuen Ländern nicht gerecht wird und drin- - die Ergänzung des Schuldrechtsanpassungsgeset- gend novellierungsbedürftig ist. zes durch Regelungen, die den Nutzer vor unver- Jetzt zeigt sich auch, wie richtig und voraus- tretbaren Rechtsfolgen der Nutzungsentgelterhö- schauend der Bundesrat handelte, als er 1993 auf hung in der Weise schützen, daß er Vorschlag des Landes Brandenburg seine Zustim- a) in bestimmten Fällen das Nutzungsverhältnis auf mung zur Nutzungsentgeltverordnung mit der Maß- eine Teilfläche beschränken kann bzw. gabe verbunden hat, daß im Jahre 1996 keine wei- tere Erhöhung der Entgelte erfolgen darf. Zugleich b) auch bei eigener Kündigung des Vertragsverhält- sollte in diesem Zeitraum eine Überprüfung der wei- nisses infolge der Entgelterhöhung einen An- teren Erhöhungen im Lichte der Einkommens- und spruch auf Entschädigung für das Bauwerk und Vermögensentwicklung in den neuen Ländern statt- auf Befreiung der Tragung der hälftigen Abbruch- finden. lasten erhält. 15850* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997

Dieses sind im wesentlichen die Vorschläge der einer - teilweise extremen - spekulativen Überbe- SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. wertung der Grundstücke in Ostdeutschland geführt hat, insbesondere in den Einzugsbereichen von Bal- In einem eigenen Antrag legt die Gruppe der PDS lungszentren, die jetzt in den Bodenrichtwertkarten ihre Vorstellungen für eine Novellierung der Nut- festgeschrieben ist, die sich auch auf die Spekulation zungsentgeltverordnung vor. Der Antrag beschränkt mit Erholungsgrundstücken bezieht und die sich erst sich auf einen Punkt und scheint in Eile entstanden allmählich - nach Auslaufen der Sonderabschreibun- zu sein. Er klingt einleuchtend, ist es aber nicht, weil gen - wieder zu normalen, marktorientierten Boden- Dinge in Verbindung gebracht werden, die nicht ver- werten zurückentwickelt. Im Raum Berlin haben wir bunden werden können. Die Entwicklung zivilrecht- darum derzeit starke Rückgänge in den Grund- licher Vertragsverhältnisse läßt sich nicht an die Ent- stückspreisen, die sich aber erst mit großer Verzöge- wicklung der aktuellen Rentenwerte (Ost) anpassen. rung in den Kaufpreissammlungen niederschlagen. Sie sollten überlegen, ob Sie den Antrag aufrechter- halten wollen. Das ist meine Anregung; die Entschei- Die Ermittlung der Nutzungsentgelte aus der Orts- dung, meine Damen und Herren von der PDS, müs- üblichkeit steht darum vor einem doppelten Problem: sen Sie treffen. Eigentlich sind die jetzt geltenden Nutzungsentgelte der Maßstab für die Ortsüblichkeit, weil es nur sehr Die Kritik der Nutzer von Freizeitgrundstücken in wenige neue Vertragsabschlüsse gibt. Andererseits den neuen Ländern, die nachdrücklich in der Veran- soll der Pachtzins aus Bodenwerten abgeleitet wer- staltung des Verbandes Deutscher Grundstücksnut- den, die keine realen Marktwerte darstellen und die zer am 25. April d.J. in Berlin vorgetragen wurde und vielfach auch nicht mit der in Ostdeutschland vor- sich vor allem gegen die unvertretbare Entgelterhö- herrschenden Nachfrage korrelieren, weil sie an der hung und das Schweigen der Bundesregierung zu Nachfrage von Steuersparern aus Westdeutschland dieser Problematik richtet, ist verständlich. Die orientiert sind. Nutzer brauchen klare und gerechte Regelungen, die ein in Jahren und Jahrzehnten geschaffenes Wir unterstützen darum die Forderungen des SPD- Werk sichern. In diesem Sinne ist es jetzt Aufgabe Antrags nach Streckung der geltenden Erhöhungs- der Bundesregierung, einen Beitrag zum sozialen schritte, so daß ab einem Pachtzins von 1,80 DM/m 2 Frieden in den neuen Ländern dadurch zu leisten, 2 jährliche Pachterhöhung zuläs- nur noch 0,30 DM/m daß redliche Nutzer Rechts- und Bestandsschutz be- sig ist - bis zum ortsüblichen We rt. Damit sind zum kommen, und zwar nicht irgendwann, sondern un- 1. November 1997 noch einmal 0,60 DM/m 2 Er- verzüglich. höhung möglich, danach aber ist eine deutliche Streckung erforderlich. In diesem Sinne fordere ich Sie auf: Unterstützen Sie den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion! Wir akzeptieren auch ein zweites Verfahren durch Ableitung der Entgelte aus den Bodenwerten. Aller- dings muß dafür sichergestellt sein, daß spekulativ Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE überhöhte Bodenwerte, die nicht aus langfristiger GRÜNEN): Ich bedauere außerordentlich, daß die ei- Freizeitnutzung, sondern aus Baulanderwartung gentumsrechtlichen Probleme so scheibchenweise resultieren, ausgeklammert werden. Darüber hinaus behandelt werden. Es wäre sehr hilfreich gewesen, muß sichergestellt. werden, daß bauliche Aufwen- wenn das Justizministerium die dringend anste- dungen und Erschließungsmaßnahmen des Nutzers hende Änderung der Nutzungsentgeltverordnung nicht in den Bodenwert einfließen. gemeinsam mit dem Wohnraummodernisierungssi- cherungsgesetz erarbeitet und zur Diskussion ge- Wir erwarten, daß die Interpretationsprobleme, die stellt hätte. Immerhin soll ja nun wohl endlich ein Än- die geltende Verordnung verursacht hat, beseitigt derungsentwurf per Kabinettsbeschluß auf den Weg werden. Das erfordert insbesondere eine Präzisie- gebracht werden. rung des Begriffs der Ortsüblichkeit. Die Freizeitgrundstücke, um die es in der Nut- Wir unterstützen auch den Vorschlag der SPD zur zungsentgeltverordnung im wesentlichen geht, ha- Anpassung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes in ben eine sehr hohe Bedeutung für viele Menschen in der Form, daß Nutzer das Recht erhalten, bei teilba- Ostdeutschland: Menschen mit bescheidener Rente, ren Grundstücken ihr Pachtverhältnis auf eine Teil- Menschen im Vorruhestand, Arbeitslose, Haushalte fläche zu beschränken. mit kleinen Einkommen. Gerade aufgrund der radi- Den Vorschlag der PDS zur Anpassung der Nut- kalen Veränderungen und häufigen Verschlechte- zungsentgelte an die Entwicklung der Renten in Ost- rungen, die die Wende für viele Menschen in Ost- deutschland halten wir nicht für zweckdienlich. deutschland gebracht hat, und bei dem extrem ho- hen Maß an Menschen in zwangsweisem Vorruhe- Wir fordern die Bundesregierung auf, unverzüglich stand und an Arbeitslosigkeit sind die Datschen und zu handeln und Regelungen mit einem wirklich so- Erholungsgrundstücke ein ganz wesentliches Refu- zialverträglichen Verfahren vorzulegen. gium für viele Menschen. Auch der teilweise immer noch sehr problematische Zustand vieler Wohnun- gen macht das Ausweichen auf die Datsche dringend Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Wir diskutieren erforderlich. heute zum wiederholten Mal ein Problem, das ge- nauso wie die offenen Vermögensfragen Mil lionen Zentrales Problem ist, daß die Politik der Bundesre- Ostdeutsche in ihrem Leben zentral berührt. Hatten gierung, insbesondere das Fördergebietsgesetz, zu und haben doch diese Erholungsgrundstücke aus ih- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15851* rer Entstehungsgeschichte heraus für sehr viele Ost- Liegt die Pacht aber in Zukunft so hoch, daß sie deutsche eine große emotionale Bedeutung. längerfristig mehr einbringt als ein Verkauf des Grundstücks, wird es nur noch gutbetuchte und zu- Durch die große Anzahl, ihre oftma lige Konzentra- gewanderte „Neuostdeutsche" geben, die sich ein tion auf ganze Ortsteile von Kommunen, ihre Bebau- Erholungsgrundstück leisten können. So oder so gibt ung mit oft relativ großen und teilweise zur Dauer- es also keine Chance, eine „Ortsüblichkeit" heraus- nutzung geeigneten Bauten und ihre - auf Westni- zubilden. Jeder Lösungsansatz, der sich daran orien- veau bezogen - überdurchschnittliche Größe ist in tiert, muß deshalb zwangsweise falsch sein. Dies trifft Ostdeutschland eine Sondersituation entstanden, die auch auf den Antrag der SPD zu. mit westdeutschen Erholungsgebieten nicht ver- gleichbar ist. Ich empfand es übrigens als unangemessen, daß mein Kollege Hacker aus dem Rechtsausschuß der Dieser Sondersituation muß nach unserer Meinung PDS vorwarf, von der SPD abgeschrieben zu haben. auch mit besonderen Gesetzen und Verordnungen Ich hätte mich geschämt, einen solch unsozialen An- Rechnung getragen werden. trag wie den der SPD einzubringen. Er unterscheidet sich von den Vorstellungen der CDU/CSU und der Ich frage deshalb die Bundesregierung: Wie ist die bisherigen Rechtslage nur durch ein geringfügig ver- in der Nutzungsentgeltverordnung vorgesehene langsamtes Wegsterben der Nutzungsverhältnisse. „Denkpause" zwischen 1996 und 1997, in der keine Erhöhungen durchgeführt werden durften, von Ih- Ihr Vorschlag, Herr Hacker und Herr Luther, die nen genutzt worden? Sie sollte nach mehrfachen Nutzungsentgelte zukünftig vom Bodenwert abzulei- Aussagen von Ihnen dafür genutzt werden, zu über- ten führt die willkürliche und ungerechte Tradition prüfen, wie sich die Entgelte und Vertragsverhält- des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes fo rt. Damit nisse bis zu diesem Zeitpunkt entwickelt haben. Da- werden wieder alle Nutzerinnen und Nutzer immens für war die Pause gedacht. Wo bleibt diese Untersu- benachteiligt, die zufällig in Gebieten mit hohen Bo- chung? Will die Bundesregierung neue Regelungen denwerten leben. Als ob sich irgend ein Nutzer vor ohne vernünftige Rechtstatsachenforschung be- der Wende danach o rientiert hätte, viele Jahre oder schließen? Jahrzehnte später eine Situation vorzufinden, in der es eine Bedeutung hat, an diesem oder jenem Ort Nach Untersuchungen des Verbandes Deutscher sein Pacht- oder Nutzungsverhältnis abgeschlossen Grundstücksnutzer haben schon mehrere hundert- zu haben. tausend Nutzer in den letzten drei Jahren ihr Gründ- Der Effekt wird - wie beim Sachenrecht - darauf stück aufgeben müssen. Meist aus finanziellen Grün- hinauslaufen, daß Nutzerinnen und Nutzer in Gebie- den. Aber noch sind zirca 1,7 bis 1,9 Millionen Ver- ten mit niedrigen Bodenwerten relativ geschützt tragsverhältnisse über Erholungsgrundstücke in Ost- sind, während die anderen ohne eigenes Zutun, nur deutschland vorhanden. durch die zufällige „falsche Wahl" des Nutzungsor- Ich betone „noch", denn wenn sich in der Nutzungs- tes, zum Aufgeben gezwungen sind - wirklich ein fa- entgeltverordnung in kürzester Zeit nichts gravie- moses Verständnis von sozialer Ausgewogenheit und rend ändert, wird in wenigen Jahren die große Gerechtigkeit! Masse der Nutzerinnen und Nutzer vor der über- Aber dadurch wird natürlich auch nach dem Motto mächtigen Keule ständig steigender Pachten und „Teile und herrsche" der Widerstand der Betroffenen Gebühren kapituliert haben. aufgesplittert. Daß die Bundesregierung daran ein Interesse hat, ist mir klar. Daß die SPD dabei Schüt- Der Grund liegt vor allem in der völlig realitätsfer- zenhilfe leistet, aber schon nicht mehr so ganz, nen Formulierung einer imaginären „Ortsüblich- keit" . So etwas kommt eben dabei heraus, wenn Ver- Herr Hacker, Sie können froh sein, daß die fast treter eines bestehenden Rechts- und Wertesystems 2 000 Betroffenen bei der Protestveranstaltung in der einem anderen System ihren Stempel aufdrücken Berliner Kongreßhalle, an der wir ja beide teilnah- wollen, ohne historisch gewachsene Unterschiede zu men, die Tragweite Ihres Antrags nicht sofort ver- beachten. standen haben. Sonst wären Sie wahrscheinlich nicht so freundlich behandelt worden. Dabei ist allen Insidern klar, daß sich eine „Orts- üblichkeit" bei Pachten in Ostdeutschland weder bis- Unsere Lösung, die wir als einzig machbare anse- her noch zukünftig entwickeln kann. Denn dies hen, besteht jedenfalls darin, die zukünftigen Ent- würde voraussetzen, daß sich ein „Markt" für die gelte von einer nicht bestehenden „Ortsüblichkeit" Verpachtung von Erholungsgrundstücken herausbil- abzukoppeln und nur noch so weit Erhöhungen zu- det. zulassen, wie sich parallel das durchschnittliche Ein- kommen bzw. die Rente der Nutzerinnen und Nutzer Solange die zu erzielenden Marktpreise beim Ver- erhöht. Nur ein solches Vorgehen kann viele Betrof- kauf als Bauland aber um ein Mehrfaches höher als fene auf Dauer wirksam schützen. Der Vorschlag der die Einnahmen aus der Pacht liegen, wird jedes leer- SPD, daß Nutzerinnen und Nutzer bei einer durch gezogene Erholungsgrundstück sofort verkauft und eine Entgelterhöhung erzwungenen Aufgabe des umgenutzt und damit dem Vergleichssystem „Orts- Grundstücks die Baulichkeiten zum Zeitwert ent- üblichkeit" entzogen. Gefährdet sind aber vor allem schädigt bekommen, ist mit unseren Vorstellungen Nutzungsverhältnisse im Umland großer Städte - identisch. - Kein Wunder, da er auch in unserem vor also in Gebieten mit hohen Grundstückspreisen. anderthalb Jahren eingebrachten PDS-Entwurf für 15852* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 ein Nutzerschutzgesetz stand. Sie werden doch nicht tern, daß ein Wegeanschluß für die abzutrennende von uns abgeschrieben haben? Teilfläche nicht vorhanden ist. Deshalb hilft auch das Kriterium der „angemessenen Nutzbarkeit" Ich freue mich jedenfalls heute schon auf die Dis- der Teilfläche wenig. Dies gilt auch für die Ent- kussionen in den Ausschüssen, die hoffentlich dazu schädigung des Nutzers sowie für die Verteilung führen, daß Lösungen für die betroffenen Nutzerin- der Abrißkosten, wenn der Nutzer gekündigt hat. nen und Nutzer gefunden werden, die einem sozia- len Anspruch auch tatsächlich gerecht werden. Wir sollten uns im übrigen davor hüten, das Schuldrechtsanpassungsgesetz aus seinem Gleichge- wicht zu bringen. Rainer Funke, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Meine Damen und Herren, soweit Änderungen der nister der Justiz: Die Nutzungsentgeltverordnung hat Nutzungsentgeltverordnung angezeigt sind, hat die zum Ziel, die Entgelte für die Nutzung von Freizeit- Bundesregierung das Erforderliche bereits veranlaßt. oder Erholungsgrundstücken angemessen zu gestal- Es wird weiterhin unser Bestreben sein, einen ange- ten. So steht es im Einigungsvertrag. Do rt ist auch messenen Ausgleich zwischen den Interessen der bestimmt, daß die Entgelte bis zur Höhe des ortsübli- Nutzer und der Grundeigentümer zu bewirken. chen Pachtzinses angemessen sind. Die Verordnung hat in den letzten Jahren drei Er- höhungsschritte unterhalb der ortsüblichen Pachtzin- Parl. Staatssekretär beim Bun- sen zugelassen. Das Prinzip einer schrittweisen An- Joachim Günther, desminister für Raumordnung, Bauwesen und Städte- passung hat sich insoweit bewäh rt. In weiten Berei- bau: Mit dem Einigungsvertrag und dem Schuld- chen ist ein Entgeltniveau erreicht worden, das den rechtsanpassungsgesetz haben wir für die Nutzer frei vereinbarten ortsüblichen Pachtzinsen angenä- von Erholungsgrundstücken Regelungen geschaffen, hert ist. die einen langfristigen Kündigungsschutz .garantie- Damit stehen wir vor der Notwendigkeit, die ren, teilweise sogar bis an das Lebensende des jewei- Grenze über Ortsüblichkeit mit feineren Instrumen- ligen Nutzers, und wir haben eine schrittweise An- ten anzupeilen. Zu diesem Zweck haben wir eine gleichung an die ortsübliche Vergleichspacht ermög- Änderungsverordnung ausgearbeitet, die das Kabi- licht. nett in der nächsten Woche beschließen wird. Dem steht gegenüber, daß die Eigentümer nicht Lassen Sie mich zum Inhalt der Änderungsverord- über diese Grundstücke verfügen können. Nur am nung sowie zu den Anträgen der SPD und der PDS Rande sei erwähnt, daß sich diese Regelung in man- folgendes bemerken: chen Gemeinden zum Hindernis für die Innenstadt- gestaltung entwickelt. 1. Mit der bereits erwähnten Annäherung der gezahl- ten Entgelte an das ortsübliche Niveau gewinnt de- Die Eigentümer der Grundstücke können (und ren Darlegung als Obergrenze eine zentrale Be- müssen) natürlich erwarten, daß ihnen für die Nut- deutung. Die Grundeigentümer werden daher zung ein entsprechendes Entgelt gezahlt wird, des- nach der erwähnten Änderungsverordnung künf- sen Höhe sich zumindest an den sonst üblichen Ent- tig verpflichtet, ihre Entgelterhöhung zu erläutern. gelten orientiert. Um diese „ortsüblichen Entgelte" Sie müssen darlegen, daß das geforderte Entgelt zu erreichen, hat der Verordnungsgeber mit der Nut- die Grenze des Ortsüblichen nicht überschreitet. zungsentgeltverordnung Maximalschritte vorge- Auch die bereits bestehende Beweislastverteilung zeichnet, deren letzter ab dem 1. November 1997 soll verdeutlicht werden. Darüber hinaus wird das vollzogen werden könnte - ich betone: könnte (ab- Instrumentarium zur Feststellung des ortsüblichen geleitet von kann). Entgelts verbessert werden. Nun beantragt die PDS, daß die Nutzungsentgelte 2. Die von der PDS geforderte Anknüpfung der Ent- sich in Zukunft nur noch in Übereinstimmung mit geltentwicklung an die Rentenentwicklung würde den Renten erhöhen dürfen. Man gibt sich dabei wie dort , wo die ortsüblichen Entgelte noch beträcht- immer scheindemokratisch und ist so schön populi- lich über den tatsächlich gezahlten Entgelten lie- stisch. Daß unser Grundgesetz neben anderen auch gen, die Erreichung der Ortsüblichkeit um viele noch einen Art. 14 hat (Eigentumsgarantie), läßt sich Jahre verzögern. ja nach Wunsch - jedenfalls wenn es andere und 3. Weshalb sollen wir einem Eigentümer, der in der nicht die PDS trifft - trefflich ignorieren. Im übrigen Vergangenheit nicht alle Erhöhungsmöglichkeiten betreibt die PDS hier knallharte Klientelpolitik - für ausgeschöpft hat, die Nachholung dieser Entgelt- die ja nach Ihren Aussagen - meine Damen und Her- ren von der Opposition - eigentlich wir zuständig erhöhung für die Zukunft versagen? Meines Erach- - tens muß der Eigentümer in der Lage sein, sein sein sollen. Recht zur Entgelterhöhung auszuüben, auch wenn er dem Nutzer in der Vergangenheit ein niedriges Die Frage darf schon einmal erlaubt sein, wer denn Entgelt als rechtlich zulässig abverlangt hat. die Nutzer sind, die heute auf Grundstücken sitzen - zum Teil in Toplage und mit Größen von 1000 und 4. Die von der SPD geforderte Kündigung von Teilflä- mehr Quadratmetern. Ein einfacher Antrag von Bür- chen könnte nur zugelassen werden, wenn der ge- ger Meyer an den Rat der Stadt war dafür jedenfalls kündigte Flächenteil eigenständig genutzt werden nicht ausreichend. Aber gerade diese K lientel ist kann. Dies wird in aller Regel schon daran schei heute die lauteste. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 15853*

Zurück zum Gegenstand der Debatte. Wesentlich nung des Bundesjustizministeriums zur Nutzungs- differenzierter und sachlich fundierter erscheint mir entgeltverordnung zustimmt und seinerseits der Bun- der Antrag der SPD-Fraktion. Er schießt allerdings desrat der Verordnung seinen Segen erteilt und die weit über das Ziel hinaus, indem vieles geregelt wer- ostdeutschen Nutzer nicht hängen läßt. den soll, das der Verhandlung zweier Vertragspart- ner überlassen bleiben sollte - eben auch dem Marktgeschehen. Die SPD steht hier in ihrer eigenen Tradition - zusätzlich geprägt von einigen sozialisti- schen Einsprengseln. Als Freidemokrat muß ich sol- Anlage 12 che Vorschläge schon kritisch hinterfragen. Immer nach dem Motto „so wenig Regelungen wie möglich Antwort - nur so viel, wie unbedingt notwendig". Dem wer- den Sie sicher zustimmen können. Es ist schon sehr des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Fragen viel geregelt - manchmal auch zuviel -, so daß viel- des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) fach nur der Gang zum Rechtsanwalt hilft. Aber noch (Drucksache 13/7604 Fragen 38 und 39) mehr zu regeln, und vor allem doppelt zum Allgemei- Gibt es seitens der Bundesregierung Berechnungen, welche nen Schuldrecht, wäre noch ein zusätzliches Arbeits- Gesamtkosten auf die Bundesrepublik Deutschland bei einer beschaffungsprogramm für Rechtsanwälte. Erweiterung der NATO nach Osten zukommen? Mit welchem Anteil an Kosten für die Bundesrepublik Für notwendig halten wir gleichwohl einige Klar- Deutschland rechnet die Bundesregierung bei einer Erweite- stellungen insbesondere hinsichtlich der Frage orts- rung der NATO auf die Tschechische Republik? üblicher Entgelte, der Beweislast, der Abwendung „automatischer Erhöhungen" und der Informations- Zu Frage 38: beschaffung bezüglich der in den jewei ligen Ge- meinden gezahlten Entgelte, und dies soll auch gere- Die Bundesregierung hat bislang keine eigenen gelt werden, mehr nicht. Kostenberechnungen angestellt, da dies wegen der zahlreichen noch bestehenden Unsicherheitsfakto- Kleiner Exkurs: Das Bundeskleingartengesetz liegt ren als noch verfrüht erscheint. Relevante aber der- in schöner Regelmäßigkeit dem Verfassungsgericht zeit nicht quantifizierbare Kostenfaktoren sind bei- in Karlsruhe vor, vor allem hinsichtlich der stark be- spielsweise das künftige politisch-strategische Um- schränkten Entgelte, die sich in diesem Fall an der feld einschließlich der Etablierung einer politisch- Höhe der Pacht für Grünland orientieren. Im Gegen- strategischen Pa rtnerschaft von NATO und Rußland zug ist die bauliche Nutzung stark eingeschränkt. Ich in einer neuen kooperativen Sicherheitsstruktur, will damit sagen, daß immer ein Ausgleich zwischen Zahl und Größe neuer NATO-Mitgliedstaaten, der den Interessen der Eigentümer und der Nutzer zu Zeitrahmen für die Implementierung der Öffnungs- finden ist, den wir in unseren weiteren Überlegun- entscheidung und die Kostenschlüssel für alte und gen zur Nutzungsentgeltverordnung anstreben. neue Mitgliedstaaten. Die Erfahrung mit dem Mietenüberleitungsgesetz in Ostdeutschland zeigt uns noch ein weiteres. Die Zu Frage 39: Horrorszenarien, die manch einer - auch aus den Op- Im Hinblick auf die dargestellten Unsicherheitsfak- positionsfraktionen - an die Wand malte, treffen mit toren ist eine Kostenschätzung des möglichen Ko- ebensolcher Regelmäßigkeit nicht zu. Schon jetzt stenrahmens bei einer Erweiterung der NATO auf werden Erhöhungsspielräume nicht ausgenutzt, ein- die Tschechische Republik derzeit noch nicht mög- fach weil der Markt dies nicht zuläßt. lich. Die ortsüblichen Entgelte bei den Wochenend- grundstücken liegen in der Regel bei oder unter 1,80 DM/m 2 und Jahr. Mehr wird in den meisten Fällen nicht gehen, so daß auch hier Ihre Szenarien nicht eintreffen. Anlage 13 Ein Letztes. Wieder höre ich das Argument, bei Antwort den Wochenendgrundstücken wird den Ostdeut- schen von reichen Westdeutschen das Fell über die des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage der Ohren gezogen. Mehr als die Hälfte der Grundstücke Abgeordneten Dr. Elke Leonhard (SPD) (Drucksache sind im Eigentum der Gemeinden, zirca 20 Prozent 13/7604 Frage 40): gehören kirchlichen Einrichtungen oder gewerbli- Wie entkräftet die Bundesregierung den Vorwurf unprofes- chen Unternehmen, eine ganz erhebliche Anzahl von sioneller außenpolitischer Instrumentenwahl während und Eigentumsverhältnissen ist leider immer noch unge- nach dem „Mykonos"-Urteil des Berliner Kammergerichtes in Sachen Kritischer Dialog? klärt. Mithin kann der Anteil der Westeigentümer nicht mehr als ein Fünftel sein. Ich möchte von hier Der Vorwurf ist nicht begründet. Der Kritische Dia- aus die Bürger in Ostdeutschland ermutigen, sich die log der Europäischen Union mit dem Iran, der im De- Erhöhung erklären und begründen zu lassen und un- zember 1992 eingerichtet wurde, ist ein Instrument begründete Erhöhungsverlangen auch abzulehnen. der Europäischen Union als Ganzes. Die Europäische Aber eine platte Ost-West-Diskussion ist in diesem Union hat am 10. April 1997 (Tag der Verkündung Hause fehl am Platz. Dabei gehe ich davon aus, daß des Mykonos-Urteils) klar reagie rt. Sie hat die Ver- das Kabinett nächste Woche der Änderungsverord- wicklung iranischer Stellen in den Mordanschlag 15854* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 175. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Mai 1997 verurteilt, ihre Botschafter aus Teheran zurückgeru- dienstlicher Funktion beschlossen. Nach der irani- fen und festgestellt, daß für den Kritischen Dialog mit schen Reaktion vom 30. April 1997, die unseren Bot- dem Iran derzeit keine Grundlage besteht. Die Euro- schafter in Teheran für derzeit do rt unerwünscht er- päische Union hat dies durch ihre Außenminister am klärte, haben die Europäer diesen Versuch, die Euro- 29. April 1997 bekräftigt und zusätzlich u. a. sowohl päische Union zu brüskieren und zu spalten, durch die Suspendierung offizieller bilateraler Ministerbe- ihre geschlossene Reaktion noch am selben Tag zu- suche von und nach Iran sowie die Nichterteilung rückgewiesen und ihrerseits die Rückkehr der Bot- von Visa für Iraner mit nachrichten- und sicherheits- schafter suspendiert.