Eine der erfolgreichsten deutschen Forschungsuniversitäten stellt sich vor Universität

Innovation ist Tradition

Im 19. Jahrhundert als Polytechnische Lehran- stalt gegründet, hat sich die Universität Stuttgart in 175 Jahren zu einem faszinierenden „Kosmos“ der Wissenschaften entwickelt. Dieses Buch zeigt reichbebildert und verständlich das filigrane Zu- sammenspiel von Forschung, Lehre und Studium in allen Facetten. So ist ein anschauliches Portrait der modernen und lebendigen Universität Stutt- gart entstanden.

_Vom Polytechnikum zur Hochschule _Wie studiert man in Stuttgart

_Bauten für Lehre und Forschung Universität Stuttgart _Fakultäten und Forschungsschwerpunkte _Institutionen der Wissenschaft _Menschen an der Universität

THORBECKE

isbn 3-7995-0139-8 Eine der erfolgreichsten deutschen Forschungsuniversitäten stellt sich vor Universität Stuttgart

Innovation ist Tradition

Im 19. Jahrhundert als Polytechnische Lehran- stalt gegründet, hat sich die Universität Stuttgart in 175 Jahren zu einem faszinierenden „Kosmos“ der Wissenschaften entwickelt. Dieses Buch zeigt reichbebildert und verständlich das filigrane Zu- sammenspiel von Forschung, Lehre und Studium in allen Facetten. So ist ein anschauliches Portrait der modernen und lebendigen Universität Stutt- gart entstanden.

_Vom Polytechnikum zur Hochschule _Wie studiert man in Stuttgart

_Bauten für Lehre und Forschung Universität Stuttgart _Fakultäten und Forschungsschwerpunkte _Institutionen der Wissenschaft _Menschen an der Universität

THORBECKE

isbn 3-7995-0139-8 Umbruch_UNI_001_007.qxd 14.5.2004 18:12 Uhr Seite 1

Universität Stuttgart Umbruch_UNI_001_007.qxd 14.5.2004 18:12 Uhr Seite 2

Herausgegeben im Auftrag des Rektorats und der Vereinigung von Freunden der Universität Stuttgart von Norbert Becker, Ulrich Engler und Ursula Zitzler zum 175-jährigen Bestehen der Universität Stuttgart Umbruch_UNI_001_007.qxd 14.5.2004 18:12 Uhr Seite 3

UniversitätStuttgartg

Innovation ist Tradition

THORBECKE Umbruch_UNI_001_007.qxd 14.5.2004 18:12 Uhr Seite 4

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte biblio- graphische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

isbn 3-7995-0139-8 Jan Thorbecke Verlag Stuttgart

www.thorbecke.de • [email protected] Kommissionsverlag

© Universität Stuttgart 2004 Alle Rechte vorbehalten

Gesamtproduktion Verlagsbüro Wais & Partner GbR, Stuttgart www.wais-und-partner.de

Redaktion: Gabriele Gaßmann, Dr. Rainer Redies, Margit Riedmeier-Schadel, André Wais Autoren des Teils „Die Universität: Menschen, Institutionen, Ziele“: Ralf Butscher, Gabriele Gaßmann, Wieland Höhne, Petra Mostbacher-Dix, Joachim Vögele, Susanne Wetterich Gestaltung: Rainer Maucher, Stuttgart

Technische Produktion Repro: dds-Lenhard, Stuttgart Druck: Süddeutsche Verlagsgesellschaft, Bindung: Auer, Donauwörth Umbruch_UNI_001_007.qxd 14.5.2004 18:12 Uhr Seite 5

4 5 Geleitwort des Rektors

Es ist eine gute Tradition, dass sich die Univer- bis heute gültige Zielvereinbarung festgelegt: sität Stuttgart zu einem Jubiläum der Öffent- Schon der erste Lehrplan verlangte neben der lichkeit mit einem repräsentativen Buchpro- anwendungs- und berufsbezogenen Ausrich- jekt vorstellt, welches auf die Geschichte der tung eine übergreifende und allgemein bilden- leitwort des Rektors

Institution zurückblickt, das Erreichte bilan- de, an wissenschaftlichen Ansprüchen orien- Ge ziert, die Probleme der Gegenwart skizziert tierte Ausbildung. Heute bilden an der Univer- und das Kommende projektiert. Vor 50 Jahren sität Stuttgart die Ingenieurwissenschaften, legte die Universität zum 125. Geburtstag eine Naturwissenschaften und die Geistes- und Bestandsaufnahme der nach dem Kriege im Sozialwissenschaften zusammen die Grund- Wiederaufbau befindlichen Technischen Hoch- pfeiler der „Volluniversität“. Zu dieser Verbin- schule vor. Den kurzen geschichtlichen Rück- dung von Ausbildung und Bildung, von Praxis- blick von 1954 resümierte der damalige Rektor und Orientierungswissen hat sich unsere Rolf Gutbier bereits mit den Worten: „…so Hochschule bekannt, als sie noch Polytechni- waren es immer Raumnot und Geldmangel, die kum und danach Technische Hochschule hieß, ihren Weg begleiteten.“ Aber die Universität und sie hält diese Einheit auch in Zukunft als Stuttgart hat in ihrer nun 175-jährigen Ge- Universität aufrecht. schichte auf Not und Mangel nie in erster Linie Doch das Motto der letzten 175 Jahre „Innova- mit Klagen und Verzagen, sondern immer mit tion ist Tradition“ hat auch für die Gegenwart lichen Zentren und Forschungsschwerpunkten Ideen und Innovationen reagiert, um aus dem Gültigkeit. Die Universität kann nur bleiben, unterstützt und motiviert die Universität ihre Vorhandenen das Optimale zu ermöglichen: was sie ist, wenn sie sich verändert. Unter dem Wissenschaftler zu interdisziplinärer und Innovation ist ihre Tradition. Namen „Zukunftsoffensive Stuttgart“ (ZUS) transdisziplinärer Forschung. Auch mit nun 175 Jahren zählt die Universität wurde ein Prozess der Konsolidierung und der Eine Universität hat nur eine Zukunft, wenn Stuttgart nicht zu den altehrwürdigen Univer- Strukturerneuerung in Gang gesetzt, der sich sie in der Lage ist, junge und begeisterungs- sitäten des Landes. Aber ihre stete Jugend war zum Ziel gesetzt hat, die Stärken der Univer- fähige Lehrende und Lernende für sich zu von Anbeginn die Stärke dieser Universität, die sität zu stärken. Die damit angestrebte Profil- interessieren und an sich zu binden. Es muss sich seit ihrer Gründung immer schon durch bildung erforderte bereits erste Einschnitte in uns gelingen, die junge Generation für die ihren wachen Blick auf die Erfordernisse von das gewohnte Spektrum. Wir sind jedoch über- Faszination des Wissens, der Natur und der Wirtschaft und Gesellschaft auszeichnete. Die zeugt, dass die Universität als Ganze gefestigt Technik zu gewinnen. Der vorliegende Bild- gegenwärtigen Ambitionen der Politik, die aus diesem Prozess hervorgehen wird. band zum 175. Geburtstag unserer Universi- Universitäten per Gesetz zu wirtschaftlich In ihrem Jubiläumsjahr hat die Universität tät listet daher nicht nur die Meriten der Ver- orientiertem Handeln anzuhalten, haben mit Stuttgart allen Grund und Anlass, mit Stolz das gangenheit auf, sondern möchte vor allem Blick auf die Universität Stuttgart daher etwas Erreichte zu präsentieren. Waren die Anfänge ein aktuelles und anschauliches Portrait der Rührendes. Sie gleichen der alten Mutter, die vor 175 Jahren noch eher bescheiden, so ge- lebendigen und facettenreichen Universität ihrem längst erwachsenen Spross immer wie- hört die Universität heute zu den erfolgreichs- von heute geben. Nur wenn eine Universität der die Ratschläge von einst vorhält, obwohl ten Forschungsuniversitäten in Deutschland. jung bleibt, kann sie alt werden. In diesem dieser in eigener Selbstständigkeit längst In der Forschung wird Universalität schon lan- Sinne wünsche ich unserer Universität Stutt- Wohlstand und Ansehen der Familie vorange- ge nicht mehr durch genialische Einzelleistung gart – ad multos annos. bracht hat. erzielt, sondern durch die Vernetzung und Die Ratschläge von einst wurden 1829 im ers- Verzahnung von Disziplinen und Fächern. Mit Prof. Dr.-Ing. habil. Dieter Fritsch ten Statut mit innovativer Weitsicht als eine Sonderforschungsbereichen, wissenschaft- Rektor Umbruch_UNI_001_007.qxd 14.5.2004 18:12 Uhr Seite 6

Inhalt

8 Nachgefragt Studieren in Stuttgart von Rainer Redies

26 Formenvielfalt auf dem Campus Die Bauten der Universität von Karlheinz Fuchs

32 „Solide Grundlage für die technische Bildung“ Die Geschichte der Universität Stuttgart von Norbert Becker

FORSCHUNG UND LEHRE

44 Im Spannungsfeld zwischen Technik, Wissenschaft und Kunst Architektur und Stadtplanung von Tilman Harlander, Jan Knippers, Franz Pesch und Wolf Reuter

52 Konstruieren und Gestalten Bau- und Umweltingenieurwissenschaften Geodäsie und Geoinformatik von Alfred Kleusberg, Ekkehard Ramm, Balthasar Novák, Jürgen Giesecke und Gerhard Heimerl

64 Stoffen und Strukturen auf der Spur Chemie in Stuttgart – gestern und heute von Franz Effenberger

70 Wandlungsprozesse in unserer Umwelt Geo- und Biowissenschaften von André Wais, Ralf Mattes, Christina Wege, Paul Keller und Stephan Nussberger Umbruch_UNI_001_007.qxd 14.5.2004 18:12 Uhr Seite 7

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Studieren in Stuttgart Die Geschichte der Universität Forschung und Lehre Menschen, Institutionen, Ziele Inhalt 76 Von der Forschung zu neuen Produkten 124 Vielgestaltiger Kosmos der Wissenschaft Elektrotechnik DIE UNIVERSITÄT: und Informationstechnik MENSCHEN, INSTITUTIONEN, ZIELE von Joachim Speidel 126 Tellerränder gibt’s nicht mehr Interdisziplinäre Forschung 80 Kurze Vergangenheit, große Zukunft Informatik 131 Entwicklungen und Anwendungen, die greifbar sind von Volker Claus Von fliegenden Fischen und kickenden Robotern Der Traum vom Fliegen – Zeit und Raum überwinden 84 134 Studien weltweit vernetzt Luft- und Raumfahrttechnik Internationale Programme von Monika Auweter-Kurtz, und Partneruniversitäten Rudolf Voit-Nitschmann und Heiner Dörner 136 Lernen und Lehren in neuer Dimension 90 Gewaltiges Forschungspotenzial Der virtuelle Campus Maschinenbau und seine Spezialgebiete 139 Höchste Leistungen mit Höchstleistungsrechnern von Lothar Gaul, Günter Pritschow, Im „Olymp“ der Computer Hans-Gerhard Fritz und Uwe Heisel 142 „Riskantes Denken“ zwischen den Disziplinen 102 Sprache der Natur- und Ingenieurwissenschaften Internationales Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT) Mathematik von Jörg Brüdern 144 Ein Gedanke nimmt Form an Alumni Modell – Theorie – Experiment 106 146 Mit der Hochschule in die Selbstständigkeit Physik Start Up! von Michael Mehring 148 Im Dienste von Forschung und Lehre 112 Beschreiben – Verstehen – Denken Die Universität als Arbeitgeber Geisteswissenschaften 154 Förderwille seit 80 Jahren von Heinz Schlaffer und Horst Thomé Die Vereinigung von Freunden der Universität Stuttgart 118 Brückenfunktion und großes Entwicklungspotenzial Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Anhang von Ulli Arnold 156 Zahlen, Daten, Literatur Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:21 Uhr Seite 8

Nachgefragt Studieren in Stuttgart

Zwischen Köln und , und Kon- zu Fuß erreichbar ist, möchte sie nach all den den er sich schon vor dem Abitur entschieden stanz gibt es eine kaum überschaubare Zahl an Jahren in fernen Ländern längere Zeit bleiben hatte. Universitäten, Fachhochschulen und Akade- und studieren. Für Martin Baier hat sich die Frage nach einer Rainer Redies Rainer mien. Warum also ausgerechnet Stuttgart? Christian Altenhofen aus St. Augustin bei Bonn anderen Universität aus finanziellen Gründen Helene Rädler hat sich bei der Begrüßungsver- studiert Luft- und Raumfahrttechnik. Nach nicht gestellt, jedoch hielt er es mit der be- anstaltung Avete Academici gerade auf den Stuttgart kam er, weil diesen Studiengang rühmten Germanistin Käte Hamburger: Stutt- neuen Lebensabschnitt eingestimmt. Für sie außer der Bundeswehrhochschule in München garts großer Vorteil ist – jedenfalls für Litera- war das eine Frage der Kontinuität. Hier lebte nur die Uni Stuttgart anbietet. turwissenschaftler – die Nähe zum Marbacher sie zur Kindergartenzeit, dann ging sie mit Lars Frenzel stammt aus Stuttgart und hat sich Literaturarchiv. Dies kann freilich nur einer ihren Eltern, die Diplomaten sind, nach Süd- schon als Schüler für Technische Kybernetik von vielen Vorteilen sein: Wenn Martin Baier afrika, Fidschi und Thailand. Es folgten drei interessiert. Als er im Rahmen von „Jugend kenntnisreich durch die Bibliothek der Abtei- Jahre am Königin-Olga-Stift und das Abitur. forscht“ zu einem Seminar über Mikroprozes- lung für neuere deutsche Literatur führt und In dieser Zeit hat sie Stuttgarts multikulturelle sorentwicklung an die Uni eingeladen wurde, sein sowohl fachliches als auch soziales Enga- Prägung schätzen gelernt. Wo sonst, fragt sie, reifte sein Entschluss vollends. Aber wo an- gement zu erkennen gibt, wird deutlich, wie findet man so viele Museen, Theater, Bibliothe- ders hätte er studieren sollen? Nur hier gibt es stark er sich mit Stuttgart und seiner Univer- ken, Galerien auf engstem Raum? Hier, wo alles den Studiengang Technische Kybernetik, für sität identifiziert. Mit regionalen Präferenzen traf Lutz Frieß seine Entscheidung. Einen Studienplatz in Nord- deutschland hätte er nur widerwillig akzeptiert, dagegen kamen Mannheim, oder Stuttgart für ihn in Frage. Die Zusage für das Numerus-clausus-Fach „Technisch orientierte Betriebswirtschaftslehre“, das sonst nirgends angeboten wird, gab schließlich den Ausschlag. Die technische Komponente hat ihn gereizt, und er hofft, mit seinem Vertiefungsfach Bau- betriebslehre als Projektmanager oder Projekt- entwickler eine berufliche Chance zu finden. Auch für Yvonne Reinhard war mit der Wahl ihres Studienfachs Umweltschutztechnik die Frage des Studienorts entschieden. Wohnen will sie bis auf Weiteres daheim in Reutlingen. Damit gehört sie zur großen Zahl der „Heim- schläfer“ an der Universität Stuttgart, die meist mit Rücksicht auf ein schmales Budget im Lande bleiben – freilich auch in dem Be- wusstsein, an einer weltweit renommierten Universität studieren zu können. Martin Baier, der selbst dieser Gruppe angehört, meint – allerdings kritisch –, wer im gewohnten sozia-

Stuttgarts viel gerühmter Schlossplatz, von Schlössern und Museen umrahmt, bildet die Mitte der Stadt. Die Säule inmitten erinnert an das 25-jährige Regierungs- jubiläum König Wilhelms I. im Jahr 1841. Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:21 Uhr Seite 9

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Studieren in Stuttgart Die Geschichte der Universität Forschung und Lehre Menschen, Institutionen, Ziele

len Milieu verbleibe, sei oft schwer davon zu alleine bewältigen, vielmehr steht ein kaum sich als Abiturient unter Studium etwas ganz überzeugen, dass Studieren mehr bedeutet als ausschöpfbares Potenzial an Hilfen zur Verfü- anderes vorgestellt hat. Sollte er also Anfän- Lernen. Vielmehr müsse man von Anfang an gung. Mit welchen Verfahren jemand seine in- gern raten, würde er ihnen vorschlagen, einen offenen Auges durch die Stadt gehen, um das nere Landkarte entziffern, seine Fähigkeiten Job anzunehmen oder zu reisen, wenn sie sich

gesamte Gemeinwesen kennen zu lernen und und Interessen erkunden und schließlich das ihrer Entscheidung für ein Fach noch nicht Stuttgartin Studieren zu schauen, wo das im Studium Erworbene ihm gemäße Fach wählen kann, zeigt die Zen- ganz sicher sind. Allzu viele, weiß er, brechen praktisch anwendbar ist. trale Studienberatung in einem ihrer Work- nach wenigen Semestern ab. „Mathematik ist shops für Studieninteressierte auf. In anderen so komplex, dass man Probleme alleine viel- Vielerlei Orientierungshilfen Veranstaltungen umreißt sie Voraussetzungen, fach nicht durchschaut“, weiß Anika Reimann So markieren Entscheidungen und Verantwor- Inhalte und Berufsaussichten der wichtigen und nennt als Ausweg Gruppenarbeit: „Der ei- tung, aber auch große Freiheiten den Lebens- Studienrichtungen von Geistes- und Sozial- ne hat die Idee, der andere weiß etwas damit abschnitt, der mit bestandenem Abitur und wissenschaften bis hin zum Sport. anzufangen.“ Auch Praktika können zur Orien- nachfolgender Immatrikulation beginnt. Die Nahe liegend und wichtig ist das Gespräch mit tierung beitragen: Philipp Hetz hat seinen Weg mannigfachen Anforderungen der neuen älteren Kommilitoninnen und Kommilitonen. durch einen „Cut“ gefunden, wie er selber sagt. Selbstständigkeit und des vielgliedrigen Orga- Blickt zum Beispiel Lutz Frieß nach mittlerwei- Zunächst hat ihm nach dem Abitur in Ravens- nismus Universität muss allerdings niemand le zehn Semestern zurück, stellt er fest, dass er burg der Zivildienst beim Deutschen Roten

Avete Academici Im Hegelsaal der Stuttgarter Liederhalle stimmt die Univer- sität ihre Erstsemester festlich auf den neuen Lebensabschnitt ein.

Schiller Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv in Marbach sind Philologen ein Begriff. Eine Sommer- schule Literaturwissenschaft führt hier Dozenten mit jun- gen Wissenschaftlern zu Wis- senschaftsgeschichte, Inter- pretation und Quellen deut- scher Literatur zusammen.

Wein und Stuttgart gehörten schon im Mittelalter zusam- men. Rebhänge reichen bis auf den Grund des Talkessels. In eigener Kelter baut das Wein- gut der Stadt Erträge der La- gen „Stuttgarter Mönchhal- de“, „Cannstatter Halde“ und „Cannstatter Zuckerle“ aus.

Am Tag der offenen Tür bieten Studierende der Baubetriebs- lehre diese ungewöhnliche Gelegenheit, sich in schwin- delnde Höhe hieven zu lassen und den Vaihinger Campus aus der Vogelperspektive zu über- blicken. Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:21 Uhr Seite 10

Nachgefragt

ten des Akademischen Orchesters eine Fülle or- schichten im Umlauf sind. Der entsprechende ganisatorischer Aufgaben übernommen. Er rät, Anlaufpunkt in der Stadtmitte heißt ganz pro- „dem Gerücht vom faulen Studentenleben saisch Zentrales Fachschaftsbüro. Hier wie nicht zu glauben, sondern Eigenverantwortung dort engagieren sich Studierende in Arbeits- zu übernehmen und sich zu engagieren.“ kreisen zu Fragen der Hochschulpolitik, des Nahverkehrs, der Kultur oder des BAföG – und Studentische Initiativen haben zum Beispiel erreicht, dass es in Stutt- Für alle großen und kleinen Nöte, die vor allem gart Nachtbusse, ein Studententicket und das dem Studienanfänger das Leben schwer ma- vorbildliche Unithekle alias Unitop gibt. chen, fühlt sich die FaVeVe verantwortlich. Die- Zahlreiche Initiativen und Angebote gehen ses kryptische Akronym steht für Fachschafts- auch von den einzelnen Fachschaften aus. Eine vertreterversammlung, die Organisation für aktive Studentenschaft, dessen ist sich Martin Gruppenarbeit hilft Probleme zu durchschauen: studentische Mitwirkung. Das basisdemokrati- Baier sicher, wird die Universität noch stärker Der eine hat die Idee, der andere weiß etwas damit sche Eigengewächs, vom Gesetzgeber eigent- ins städtische Gemeinwesen einbinden. In anzufangen. lich gar nicht vorgesehen, beschreibt seine diesem Sinne hat er das Projekt SALIS initiiert Kompetenz selbstironisch mit dem Hinweis, und dafür 2003 in der Stuttgarter Liederhalle Kreuz so zugesagt, dass er sich anschließend man wisse alles, und falls man etwas nicht wis- aus der Hand des Rektors einen Preis entge- zum Rettungssanitäter ausbilden ließ. Folge- se, kenne man zumindest jemand, der jemand gengenommen, als die Erstsemester unter dem richtig kam dann der Wunsch auf, Medizin zu kennt, der es weiß. Auf dem Vaihinger Campus Motto Avete Academici begrüßt wurden. Im studieren, doch schob der Numerus clausus residiert die FaVeVe im „Nili“, dem hellblauen Rahmen der Fachschaft Germanistik hat diese dem einen Riegel vor. Also galt es, sich etwas Nilpferd, über dessen Namensgenese viele Ge- Initiative sich der „Förderung des Austausches Zulassungsfreies zu suchen. Heute ist Philipp Hetz froh, sich für Verfahrenstechnik entschie- den zu haben, ein Fach, das Erkenntnisse vieler Nachbardisziplinen einbezieht. Im Vorprakti- kum bei Voith in Ravensburg reifte sein Ent- Zahlreiche Treppen oder Staffeln, die von den schluss, als er „alle Teile selbst gefertigt“ und Höhen- und Halbhöhen- dabei die grundlegenden Bearbeitungsmetho- lagen rasch ins Stadt- den kennen gelernt hat: Hämmern, Feilen, innere führen, haben Meißeln, Löten, Schweißen. den Stuttgartern ihren Necknamen „Stäffeles- rutscher“ eingetragen. Schule des Ehrenamts Gefragt, was er den Studienanfängern seines Faches rät, zitiert Martin Baier den Germanis- tikprofessor Heinz Schlaffer, der seinen Stu- denten ein „heroisches Dennoch“ angeraten hat. Überdies sei es für die Studienpraxis wich- tig, sich gut zu organisieren und beispielsweise ein Auslandsstudium frühzeitig zu planen. Nicht nur Erstsemestern will Martin Baier diese Erfahrung vermitteln: Das Ehrenamt ist die ideale Schule, um Ideen zu retten und umzu- setzen. Dabei könne man der schwäbischen Lust, sich in etwas zu verbeißen, frönen oder sie lernen. Ein beachtlicher Teil der Studentin- nen und Studenten setzt sich in diesem Sinne für gemeinsame Aufgaben ein. Gunnar Grün, angehender Bauingenieur und erfahrener Schlagzeuger, hat als einer von drei Präsiden- Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:21 Uhr Seite 11

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Wie gewinnt man Kinder für die Wissenschaft? Mit viel Einfühlung und Humor hat die Fakultät Chemie eine Serie kleiner Experi- mente entwickelt, die sich beim Tag der offenen Tür lebendigen Zuspruchs er- freuen. Studieren in Stuttgartin Studieren

zwischen deutschen und ausländischen Studie- seiner Bauten. Nicht zuletzt bietet diese som- feststellungsverfahren, Hochschulauswahl- renden, der Pflege internationaler Kontakte merliche Veranstaltung aber auch Gelegenheit, verfahren und Numerus clausus aufklären las- und der Anregung von Sprach- und Literatur- in entspannter Atmosphäre akademischen sen. An die wissenschaftliche Praxis führen begegnungen“ verschrieben. Mit Erfolg, wie Lehrern und erfahrenen Studenten Fragen zu Schnupperpraktika heran, wie sie zum Beispiel angebahnte Kontakte zu Fachschaften in Pots- stellen. einige Institute der Fakultät Chemie Schülerin- dam, Leipzig und Jena oder eine Folge kulina- Wer schon weiß, was er studieren will, aber nen und Schülern ab Jahrgangsstufe 11 anbie- risch-kultureller Abende mit je 30 bis 40 Teil- noch keinen Studienplatz hat, kann sich in ten. Besonders dicht ans eigentlichen Studium nehmern belegen. Weniger spektakulär, aber einer Informationsveranstaltung der Zentralen führt der Unitag heran, wenn sich Anglistik, besonders wichtig sind Studienberatung und Studienberatung über Begriffe wie Eignungs- Biologie und Chemie, Mathematik, Kybernetik persönliche Betreuung ausländischer Studie- render. Schon vor der Auszeichnung durch den Rektor fühlte Baier sich durch Professoren und Probiert die Uni aus!

Universitätsverwaltung ermutigt. In Stuttgart, Weniger als zehn Prozent Frauen studieren in Stuttgart Fächer wie Maschi- weiß er, ist man „auf dem Weg, die Studieren- nenwesen, Softwaretechnik oder Technische Kybernetik. Hier liegen zweifel- den als mündige Subjekte zu sehen, weit voran- los große Potenziale brach. Deshalb gibt es, um Schülerinnen der Oberstufe geschritten“. die Angst vor mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern zu nehmen, seit 1997/98 das Projekt „Probiert die Uni aus! Naturwissenschaften und Die Universität informiert Technik für Schülerinnen der Oberstufe“. Hier können junge Frauen in speziell Ein breites und buntes Spektrum an Entschei- auf sie ausgerichteten Veranstaltungen ihre Fähigkeiten erproben. Dabei wird dungshilfen bieten auch die Fakultäten und Wert auf die Mitwirkung von Professorinnen, Dozentinnen und Berufsprakti- Institute der Universität. Mit Vorführungen, kerinnen gelegt, um Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen. Auch Studen- Experimenten und optisch aufbereiteten In- tinnen als altersnahe Vorbilder bringen ihre Erfahrungen ein. Fast alle in das formationen geben sie am Tag der offenen Projekt einbezogenen Fächer verzeichnen einen kontinuierlichen Anstieg des Tür Kindern und Erwachsenen auf meist sehr Frauenanteils. In Technischer Kybernetik und Maschinenwesen hat er sich unterhaltsame Weise Einblick in ihr fein ver- mehr als verdoppelt, wenn auch die Zehn-Prozent-Hürde noch nicht übersprun- ästeltes Netzwerk der Forschung. Über diesen gen ist. Auf mehr als 30 Prozent ist der Frauenanteil in den Fächern Geodäsie und Geoinformatik sowie Umweltschutztechnik geklettert. Hingegen dürfte in Informationswert hinaus bekommt man ne- Chemie und Mathematik das Verhältnis von Studentinnen und Studenten benbei einen ersten Eindruck von der beeindru- schon in wenigen Jahren ausgeglichen sein. ckenden Größe des Campus und der Vielfalt Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:21 Uhr Seite 12

Nachgefragt

verabschiedetes Gesetz (StWG 1999), das die Zwänge des öffentlichen Haushaltsrechts ge- lockert und den Studentenwerken die Möglich- keit eröffnet hat, ihre Angelegenheiten durch eine Satzung zu regeln. Seitdem versteht sich das Studentenwerk Stuttgart als Dienstleister und bringt in einem neu geschaffenen Logo zum Ausdruck, dass die Studierenden im Mit- telpunkt seiner Bemühungen stehen. Zehn Hochschulen umfasst der Zuständigkeits- bereich des Studentenwerks Stuttgart, zum Beispiel die Filmakademie Baden-Württemberg, die Hochschule der Medien, die Staatliche Aka- demie der Bildenden Künste und vor allem die Universität mit mehr als der Hälfte von insge- samt knapp 36000 Studierenden, die im Win- tersemester 2002/03 in der Landeshauptstadt immatrikuliert waren. Die Arbeitsfelder dieser Institution könnten vielfältiger kaum gedacht werden. Mit dem Im Jahr 2003 hat die Universität Stuttgart ihren Inter- zugehörigen Amt für Ausbildungsförderung net-Auftritt grundlegend überarbeitet. Weitere Online- vollzieht sie das Bundesausbildungsförde- Angebote bis hin zur Weiterbildung werden kontinuier- und Werkstoffwissenschaft en detail vorstel- rungsgesetz (BAföG): Über 6000 Anträge jähr- lich entwickelt. len, alles in allem rund 50 Studiengänge. lich müssen bearbeitet werden, ehe mehr als Als klassisches Informationsmittel und Ent- 16,6 Millionen euro zur Auszahlung kommen. scheidungshilfe gibt es, weitaus inhaltsreicher dem man sich virtuell ebenso leicht verläuft Zu dieser hoheitlichen Aufgabe tritt ein breites als der Titel verspricht, das umfangreiche Per- wie realiter auf dem Campus oder in den Kol- Dienstleistungsspektrum, das von der Kinder- sonal- und Vorlesungsverzeichnis. Ein pfiffiges legiengebäuden. Jedoch gewinnt, wer hier in betreuung bis zur psychologischen Beratung Register mit weit über 500 Stichworten von die Tiefe dringt, eine ausgezeichnete Erstin- und von der Unfallversicherung bis zum gas- „Allgemeiner Hochschulsport“ bis „Zulassung“, formation. Die angebotenen Studiengänge tronomischen Betrieb mehrerer Mensen und von „Arbeitsvermittlung“ bis „Zwischenprü- werden vorgestellt, Zulassungsbedingungen Cafeterien reicht. fung“ führt zu der Stelle, an die man sich mit erklärt. Auch über mögliche Abschlüsse, vor- entsprechenden Fragen wenden kann. Das ausgesetzte Praktika, einzuhaltende Termine Von Fast Food bis Premium Line knapp 600 Seiten starke Kompendium geleitet und gesetzte Zulassungsfristen erfährt man Bei der Wohnungsvermittlung kann das Studen- aber nicht nur sicher durch die manchmal kom- alles Notwendige. Wer sich solchermaßen vir- tenwerk in Stuttgart wie in anderen Universi- plizierten Strukturen einer großen Universität, tuell gewappnet hat, bringt zur Studienbera- tätsstädten nur mit den vorhandenen Pfunden sondern vermag auch wertvolle Anstöße zu ge- tung, falls er sie in Anspruch nimmt, bestimmt wuchern, umso mehr Dienstleistungsimpetus ben, etwa dem Leser, der sich vom „Auslands- keine nebensächlichen Fragen mehr mit. entfaltet es auf gastronomischem Feld. Ein- orientierten Studiengang Wasserwirtschaft“ fallsreich bemühen sich die Mensen um ein oder dem „Deutsch-französischen Studiengang Dienstleister Studentenwerk Angebot, das den Wünschen und Bedürfnissen Sozialwissenschaften“ faszinieren lässt. Fragt man Studierende, was sie vom Studenten- der Studierenden entspricht, ohne deren finan- Informationen für Studieninteressierte hält werk wissen, kann es passieren, dass man nur zielle Möglichkeiten zu übersteigen. Die Wochen die Universität selbstverständlich auch im den Hinweis auf den Pflichtbeitrag erhält, den voraus im Internet vorgestellte Speisekarte Internet bereit. Wer Stuttgart als Studienort sie jedes Semester zu leisten haben. Dabei versucht Vegetariern und Fast-Food-Konsu- in Betracht zieht oder sich bereits entschieden schafft die aus einem Verein hervorgegange- menten, Liebhabern mediterraner Küche und hat, sollte dem Angebot www.uni-stuttgart.de ne Anstalt des öffentlichen Rechts Grundvor- Freunden schwäbischer Hausmannskost glei- ein paar Stunden widmen. Auch hier spiegelt aussetzungen, ohne die mancher mit dem Stu- chermaßen gerecht zu werden. Da steht als sich allerdings die Vielfalt und Komplexität des dium gar nicht erst beginnen könnte. Grund- Vorschlagsessen in einer Woche „Tagessuppe, riesigen Organismus namens Universität, in lage ihrer Arbeit ist ein 1999 vom Landtag Calamares mit Salat und Country Potatoes“ Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:22 Uhr Seite 13

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neben „Tagessuppe, Maultaschen geschmälzt, Fliegen, Tauchen, Tanzen, Kämpfen … Kartoffelsalat“. Wem der Sinn nach Alternativen Ob nun Soziologie oder Maschinenbau, Archi- steht, kann Tellergerichte wie „Gnocchipfanne tektur oder Informatik, jeder möchte am Ende ‚Provençale‘ mit buntem Gemüse“ wählen oder den erfolgreichen Abschluss seines Studiums sich am Gemüse- und Pastabuffet selbst be- bestätigt bekommen. Ein verlockendes Ziel, dienen. Für Sparsame gibt es als „Renner der doch gilt es bis zum , der Magister- Woche“ beispielsweise „Tortellini Ricotta auf prüfung oder dem Staatsexamen eine Anzahl

einer fruchtigen Tomatensauce“. Deutlich tie- Hürden von teils beachtlicher Höhe zu neh- Stuttgartin Studieren fer – nomen est omen – muss man für die be- men, die zudem ganz unerwartet auftauchen liebte Premium Line in die Tasche greifen, um können. Derlei Hindernisse bewältigt besser, in den Genuss von „Thunfischsteak mit Sauce wer sich locker macht. Dieser Erfahrung trägt Bernaise, Kräuterbutter und Petersilienkartof- die Universität mit einem Angebot Rechnung, feln“ zu kommen. dessen Vielfalt und Reichtum kaum zu über- treffen sind.

Am Ball bleiben heißt für den Hochschulsport auch, sich Trendsportarten wie Inlineskating oder Paragliding Rund 5000 Essen werden am Pfaffen- zuzuwenden und wissenschaftlich untermauerte Kurse waldring in Vaihingen täglich aus- anzubieten. gegeben. Eine Wok- und Grilltheke in der Mensa und die Premium Line im an- geschlossenen Restaurant kommen dem Wunsch nach Abwechslung und auch gehobenen Ansprüchen entgegen.

Bei entsprechender Witterung hat die Mensa in der Holzgartenstraße Ruhe- bedürftigen ein besonders idyllisches Wo der Vaihinger Campus am schönsten Plätzchen zu bieten. ist, liegen die Sportanlagen der Uni- versität in unmittelbarer Nachbarschaft des Büsnauer Wiesentales. Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:22 Uhr Seite 14

Nachgefragt

Wie Phönix aus der Asche

Eine studentische Begegnungsstätte, die der Völkerverständigung und der För- derung von Kunst und Kultur dient und preiswerte Mahlzeiten bereithält, so um- reißt STUPS (Studentisches Projekt für soziale Einrichtungen e.V.) eines seiner Ziele. Mit dem inzwischen schon legendären Unithekle war es erreicht – bis des- sen Domizil, eine Bauleiterbaracke, dem Neubau des Internationalen Zentrums weichen musste. Unverhofft sah sich STUPS vor die bange Frage gestellt, ob man künftig auf eine Kneipe in studentischer Regie verzichten müsse. Not macht erfinderisch, der Gedanke an Selbsthilfe kam auf – und fand Zustim- mung. Der in Sachen Selbsthilfe erfahrene Architekturprofessor Peter Hübner nahm sich im Herbst 2002 der Idee an und führte sie dank Unterstützung von Rektorat, Sponsoren und Stuttgarter Studentenwerk e.V. mit aktiver Hilfe vieler Studierender zum guten Ende. Mit „undeutscher Schnelligkeit“ erinnert sich Architekturstudent Benjamin Dierig, sei der Bau vorangeschritten, sodass STUPS-Vorstand Bernd Siller schon am 28. Mai 2003 aus der Hand von Rektor Fritsch den Schlüssel der nun Unitop geheißenen Begegnungsstätte überneh- Aus studentischer Initiative und Mitarbeit beim Bauen men konnte. So ist inmitten der grünen Mitte des Vaihinger Campus ein bescheiden dimensionierter entstand das Unithekle. Inzwischen hat sich der freund- Holzbau mit begrüntem Dach entstanden, der die Blicke anzieht und als studentischer Treffpunkt die liche Holzbau inmitten einer grünen Oase des Vaihinger Unithekle-Tradition fortführt. Campus als Kneipe und Treffpunkt etabliert. Im freundlichen Innenraum, der den Blick auf baumbestandene Grünflächen hinauszieht, führen Steffen Key und Marcus Hofmann Regie, Luft- und Raumfahrttechniker der eine, Informatiker der an- dere. Mit einem Team von 16 Kommilitoninnen und Kommilitonen sorgen sie dafür, dass warme Speisen Am Rande des Vaihinger Campus, dem ge- und kühle Getränke auf die in studentischer Regie beschafften Tische kommen. Das geht in der neuen, schützten Büsnauer Wiesental unmittelbar professionell eingerichteten Küche wesentlich leichter vonstatten als im Unithekle, wo Arbeitsfläche benachbart, residiert das Institut für Sportwis- und Bewegungsraum kaum für drei Personen reichten. Jetzt ist endlich Platz, um Schnitzel zu panieren senschaft. Es nimmt insofern eine Sonderstel- oder rund 50 Tagesessen anzurichten, die täglich verlangt werden. Die kulinarischen Hitlisten wird das lung ein, als hier nicht nur studiert und ge- Unitop/Unithekle mit seinem preiswerten Angebot forscht, sondern darüber hinaus als Dienstleis- gewiss nicht stürmen, aber die hier herrschende tung für die gesamte Universität das Angebot Gelassenheit wird man anderswo kaum finden. Von des Hochschulsports konzipiert wird. Dafür wegen keine Studentenkneipe in Stuttgart! Schon stehen Tennisplätze, Fußball-, Handball- und macht sich das Team Gedanken darüber, wie das Sitz- Beachballfelder, Wurfanlagen und eine Lauf- platzangebot vergrößert werden könnte. Am Samstag bahn sowie die architektonisch reizvolle Drei- allerdings, wenn Party ist, ist von vorneherein Stehen fach-Sporthalle zur Verfügung. Eine Halfpipe angesagt. ist geplant, ein Kraftraum wurde soeben nach Mit den preiswerten Mahlzeiten klappt es also schon, aber wie steht es mit den STUPS-Zielen Völkerverstän- jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen digung und Förderung von Kunst und Kultur? Ein neu eingerichtet. Nicht weniger als neun Hek- Internetcafé als weitere Attraktion des Unitops ist an- tar umfassen die äußerst gepflegten Liegen- gedacht, Hardware und Netzanbindung fehlen zwar schaften des Instituts. noch, aber der separate Raum ist schon vorhanden. „Wer ständig sitzt“, argumentiert der Hoch- Sodann besteht die Möglichkeit, das Unitop für Veran- schulsport, „setzt laufend an“, und bietet, staltungen zu nutzen. Davon macht zum Beispiel die damit es nicht dazu kommt, ein Programm, Abteilung Internationale Angelegenheiten Gebrauch, das von Aerobic und Aikido über Badminton, die Begrüßungsveranstaltung und Stammtisch hier Ballett und Breakdance bis Walking und Wald- angesiedelt hat. Internationalität zeichnet auch das lauf reicht. Unithekle-Team aus und lässt Schwellenangst auslän- Mit einem Preis hat Rektor Fritsch im Jahr 2003 Anika Reimann studiert Mathematik und Volks- discher Studierender gar nicht erst aufkommen. Inter- das Unithekle-Team ausgezeichnet. Ohne Initiative wirtschaft im sechsten Semester. Seit ihrem national ist auch das Know-how, sodass es keine Pro- und Engagement von Studierenden wäre der neue Treffpunkt auf dem Vaihinger Campus nicht zustande achten Lebensjahr trainiert sie Judo und trägt bleme gibt, wenn zum Beispiel eine indische Besucher- gekommen. den schwarzen Gürtel, Beweis für einen Meis- gruppe vegetarisch bekocht werden soll. Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:22 Uhr Seite 15

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tergrad. Um in Form zu bleiben, trainiert sie Ein Arbeitskreis Druck- sechs Stunden wöchentlich. Schon zweimal technik pflegt im Rahmen des Studium Generale die hat sie an den deutschen Hochschulmeister- Schwarze Kunst. schaften teilgenommen, zuletzt 2003 in Leip- zig. Nachdem sie drei Gegnerinnen bezwun- gen hatte, stand sie unverhofft im Endkampf – und war selbst am meisten überrascht. Als es

schließlich um den Titel ging, führte sie zu- Stuttgartin Studieren nächst, doch sei ihre Nervosität so groß ge- wesen, dass ihrer Gegnerin der perfekte Wurf gelang und Anika Reimann sich mit der Vize- meisterschaft begnügen musste. Karate, dem „Kampf mit der leeren Hand“ hat sich Philipp Hetz verschrieben. Als Inlineska- ter und Skilangläufer dehnt er auf diese Weise seine Muskulatur und hält sich beweglich. Kanutraining und -ausflüge in die Alpen und nach Italien sowie einen Fitnesskurs hat Chris- tian Altenhofen vom Hochschulsport mitge- nommen. Beim Volleyball hätte er gerne mit- lang kilometerweit über die Erde hinzuschwe- Studium Generale, gemacht, aber der Andrang war zu groß. An ben. Mutige werden sich motiviert fühlen, der Blick über den Tellerrand Ausweichmöglichkeiten besteht jedoch kein wenn sie lesen, dass man sich in Sekunden bis Die Bedeutung des fächerübergreifenden Ge- Mangel: Körperliche und geistige Frische kann an die Wolkenbasis katapultiert. „Wer dann sprächs in der Universität wird mit zunehmen- man sich beim Training Vovinam Viet Do Dao noch nicht genug hat“, wird versprochen, der Spezialisierung der Studiengänge immer holen, das zudem der Selbstverteidigung in „kann sich mit Flugakrobatik … an den Rand größer. Dazu kommt in Stuttgart als Besonder- kritischen Situationen dient. Orientalischer des Bewusstseins bringen und bei der nächs- heit, dass die Ingenieurwissenschaften in Vai- Tanz, ein Angebot für Frauen, verspricht Kör- ten Achterbahnfahrt auf dem Volksfest müde hingen, Architektur, Wirtschafts- und Geistes- pererfahrung ohne Stress und die Möglichkeit, lächeln.“ wissenschaften inmitten der Stadt angesiedelt Gefühlen und Stimmungen Ausdruck zu geben. sind. Unter beiden Gesichtspunkten bietet das Sonja Amend hat einen Ruderkurs absolviert. Sie trifft sich gelegentlich in Untertürkheim mit anderen Kursabsolventen, wo die Boote weiterhin zur Verfügung stehen. Eher Männer werden sich vom Kickboxen angesprochen füh- Ein Blickfang zwischen all len. Die Grundbewegungen und Grundtechni- den Neubauten auf dem Vaihinger Campus ist die ken dieses Ganzkörper-Fitness-Trainings wer- Sternwarte der Universität. den unter trainingswissenschaftlichen Aspek- Ihr ursprünglicher Eigen- ten eingeübt. Solche Verzahnung des Sports tümer hat sie in den Dreißi- gerjahren mit zwei großen mit der Forschung gilt für das gesamte Ange- Teleskopen ausrüsten las- bot, das auf dem Vaihinger Campus, aber auch sen, die dank studentischer in Hallen und Bädern der Innenstadt wahrge- Wartung immer noch be- nommen werden kann. Als reichten über 50 triebsbereit sind. Kurse pro Semester nicht aus, bietet der Hoch- schulsport noch Reisen in die Berge oder an exotische Strände an, damit Skifahrer oder Wellenreiter ihr ideales Umfeld finden. Selbst wer vom Fliegen träumt, findet Passendes und kann sich beim Paragliding erproben, um ganz real zu erleben, wie es sich anfühlt, stunden- Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:22 Uhr Seite 16

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Das Steinfuß-Theater verdankt seinen Namen einer Steinplastik auf dem Vaihinger Campus. Jeweils zu Beginn des Wintersemesters werden Neulin- ge mit den Grundprinzipien des Schauspiels vertraut gemacht, um dann eine Inszenierung zu erarbeiten.

Aus kleinsten Anfängen heraus hat sich das Kammerorchester der Universität seinen Platz im musikalischen Leben der Uni- versität und der Stadt erspielt. Das Repertoire reicht von Kompositionen des Barock bis zur Moderne.

Studium Generale vielerlei Möglichkeiten, Bar- dierenden sich bei anderen Disziplinen um- rieren zu überwinden und gemeinsam musische sehen und dafür auch Leistungsnachweise oder auch wissenschaftliche Interessen zu pfle- erbringen. gen. Mit Gleichgesinnten in aller Welt kommt Geisteswissenschaftler können beispielsweise zum Beispiel in Kontakt, wer im Arbeitskreis Kenntnisse in „Experimentalphysik“, „Evolu- Amateurfunk dieses nachrichtentechnische tion“ oder „Tragwerkslehre“ erwerben und Hobby pflegt. Ohne Vorkenntnisse, aus blo- durch eine Hausarbeit, ein Referat oder in ei- ßer Neigung kann auch das Angebot der uni- ner Prüfung den verlangten Leistungsnachweis versitätseigenen Sternwarte wahrgenommen erbringen. Natur- oder Ingenieurwissenschaft- werden, weit über den Horizont hinauszu- ler können ihrer Pflicht durch Teilnahme an blicken. Vorlesungen wie „Alltag und Lebensformen im Im Grunde geht es dem Studium Generale je- Mittelalter“ oder „Das absurde Theater“ und doch um Horizonterweiterungen anderer Art. entsprechenden Leistungsnachweis genügen. Um ein Netzwerk fruchtbaren Austauschs über So hat Lars Frenzel sein Fach Technische Kyber- die fachlichen Grenzen hinweg immer neu und netik aus Neigung und Interesse um Neuro- immer enger zu knüpfen, fasst es in einem physiologie erweitert, eher aus Verlegenheit stattlichen Verzeichnis Veranstaltungen zu- nahm er Baugeschichte dazu, die jedoch „in- sammen, die für Studierende aller Fachberei- teressanter als erwartet“ war. Die Wahl des Vorsicht Swing! Trompeter Frédéric Rabold hat die Uni- che geeignet sind. Wer über den Tellerrand angehenden Luft- und Raumfahrttechnikers Bigband zu einem mitreißenden Klangkörper geformt. hinausblicken will, hat hier die Qual der Wahl Christian Altenhofen fiel auf „Geschichte der unter mehr als 150 Lehrveranstaltungen von Weimarer Republik“ als Wahlpflichtfach. Schon „Allgemeiner Stadtgeografie“ über „Total in den ersten Semestern hat er sich außerdem reits gerüstet. Als „Ingenieur“, den der Stun- Qualitiy Management und unternehmerisches ein weiteres Angebot des Studium Generale zu- denplan an Vaihingen bindet, kommt er ans Handeln“ bis hin zu „Neuropsychologie“ oder nutze gemacht und sein Schulfranzösisch am Sprachenzentrum der Universität zwar nur „Staatsrecht“. Es fällt schwer, sich von die- Sprachenzentrum der Universität aufgefrischt. nachmittags, doch hindert ihn diese Einschrän- sem Angebot nicht zur Ausweitung des eng Mittlerweile lernt er dort Italienisch, mehr kung nicht, das Angebot des Studium Generale umgrenzten Fachhorizonts verleiten zu las- aus Neigung als im Hinblick auf die Karriere. zu nutzen. Zertifikate in Englisch und Franzö- sen. Überdies kommt zum inhaltlichen Anreiz, Ähnlich Norbert Fabritius. Er möchte sein Fach- sisch hat er fest im Visier, überdies hat er be- dass sich auch menschliche Kontakte ergeben. praktikum mit dem Ziel, Gespür für Arbeits- gonnen, Italienisch zu lernen. Anika Reimann Um der Verführung durch das Studium Gene- abläufe zu entwickeln, Teamarbeit und Projekt- hat eine Vorliebe für nordische Länder. Da rale Nachdruck zu verleihen, fordern darüber organisation kennen zu lernen, in Kanada oder trifft es sich gut, dass ihre Fakultät Mathema- hinaus fast alle Fachbereiche, dass ihre Stu- England ableisten und hat sich sprachlich be- tik und Physik eine Partnerschaft mit der tra- Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:22 Uhr Seite 17

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ditionsreichen Universität Uppsala pflegt. Auf fürs Auge des Kunsthistorikers“ und selbst- jetzt seit einem Jahr dabei und erinnert einen ein Auslandssemester dort bereitet sie sich am verständlich einem besseren Verständnis Open-air-Auftritt im Kursaal Bad Cannstatt Sprachenzentrum mit zwei Stunden Schwedisch seiner chinesischen Kommilitonen zuträglich, und die Mitwirkung der Band beim Baden- pro Woche vor. Martin Baier studiert Germa- zu denen er vielfältige Kontakte pflegt. Eine Württemberg-Stipendium im Stuttgarter The- nistik, Anglistik, Amerikanistik und Kunstge- Reise ins Reich der Mitte macht deutlich, wie aterhaus. Ihr dichter Stundenplan, meint sie schichte, seit sechs Semestern vertieft er sich eng die Beziehungen sind, die er anknüpfen zwar, habe sie bisher daran gehindert, das außerdem ins Chinesische, „eine gute Schulung konnte. Angebot des Studium Generale systematisch

zu durchforschen. Die Ausstrahlung der Big- Stuttgartin Studieren Swingende Botschafter der Universität band hat aber offenbar ausgereicht, ihre Auf- Besonders vielfältig im Rahmen des Studium merksamkeit zu erregen. Mit dem Altsaxophon Auf mehr als drei Jahrzehnte Tradition blickt das Generale ist das Angebot für Musikbegeisterte. setzt sie hier ihre musikalische Laufbahn fort, Akademische Orchester der Universität schon zu- rück. Mit Universitätsmusikdirektorin Veronika Im Akademischen Chor, dem Akademischen die in der Grundschule mit der C-Flöte begann. Stoertzenbach erarbeiten die rund 100 Musikbe- Orchester, der Bigband, dem Kammerorchester Als Teil des Ganzen fühlt sie sich in diesem geisterten ein Repertoire aus bekannten, aber auch seltener gehörten Werken der Musikliteratur.

Im Jugendstilambiente der Gaisburger Kirche hat der Aka- demische Chor der Universität schon mehrfach gesungen. Französischen Werken mit Chor, Orgel und großem Orchester ist eine hier entstandene CD gewidmet.

Ob Tag der offenen Tür oder Icebreaker-Party im Anschluss an die Begrüßungsfeier Avete und einer Reihe weiterer Ensembles vom Chörle Ensemble wohl, das nicht nur den Bandmit- Academici: Die Allmand-Chaoten sorgen bis zum Jazz- und Rockensemble finden Ange- gliedern Freude bereitet, sondern durch seine mit heißen Rhythmen, Witz und Tanz-Perfor- mance für Stimmung und Bewegung. hörige aller Fakultäten zusammen und bleiben öffentlichen Auftritte auch zu den Botschaf- als Ehemalige oft auf Jahre hinaus ihrer Hoch- tern der Universität gehört. Mit einem breiten schule verbunden. Repertoire, das die klassischen Stücke der Meis- Auf zwei Jahrzehnte gemeinsamer Arbeit blicken ter Basie und Ellington einschließt und bis zu die Bigband der Universität und ihr in Stutt- Kompositionen und Arrangements von Herbie garts Jazzszene wohlbekannter Leiter Frédéric Hancock oder Keith Jarrett reicht, findet die Rabold zurück. Konzertreisen, Schallplatten- Bigband der Universität breite Zustimmung. aufnahmen und Festivalauftritte markieren den seitdem zurückgelegten Weg. Auch „Heim- Singen, was die Musikliteratur zu bieten hat spiele“ stehen selbstverständlich auf dem Pro- Unter der Leitung von Universitätsmusikdirek- gramm, etwa die Mitwirkung beim Uniball oder torin Veronika Stoertzenbach pflegen rund 200 dem Stuttgarter Sommerfest. Sonja Amend ist Studierende, Absolventen und – im Rahmen des Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:22 Uhr Seite 18

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Studium Generale – auch junge Berufstätige Orchester aufgeführt und auf CD aufgenommen Musikalische Visite ihr Hobby und ihre Leidenschaft, die Musik. wurden. Die fantastische Akustik, die geschlos- Im Frühjahr 2003 hat das Akademische Orches- Durch einen Handzettel, der ihm bei der Be- sene Jugendstilarchitektur und die für Stutt- ter während einer 14-tägigen Konzertreise grüßungsfeier Avete Academici in die Hände gart einzigartige historische romantische den Namen der Stuttgarter Universität durch fiel, wurde Norbert Fabritius auf den Chor auf- Orgel blieben ihm in lebhafter Erinnerung. Oregon und Nordkalifornien getragen und da- merksam. Zunächst nahm ihn aber das Studium Auch bei einem Konzert im Züblinhaus war er bei großzügige Gastfreundschaft bei Familien mit einer Vielfalt neuer Anforderungen so ge- dabei. Das Bauunternehmen Züblin veranstal- oder in Studentenhaushalten genossen. Für fangen, dass er sich seiner Sangeslust erst tet seit 15 Jahren alljährlich in seinem kathe- Gunnar Grün und seine Kollegen waren die wieder erinnerte, nachdem er erkannt hatte, dralartigen Glashaus eine Konzertreihe. Die Reisevorbereitungen eine große Herausfor- wie notwendig ein Ausgleich zum Studium ist. architektonische Kulisse mit unvergleichlicher derung und Bewährungsprobe ihres Organi- Kommilitonen, die er vom Chor reden hörte, Open-air-Atmosphäre bietet Akademischem sationstalents. Als einer der Präsidenten des nahmen ihn mit zu einer Probe. Da er schon Chor und Orchester Anregung und Gelegenheit Klangkörpers beschreibt er seine Rolle mit daheim in Hersbruck im Chor gesungen hatte, zu außergewöhnlichen Unternehmungen, etwa „zu sehen, dass das Orchester spielfähig ist“. war das obligate kleine Vorsingen keine wirk- einer szenischen Aufführung von Leonard Allein die Intensität der neunmonatigen Vor- liche Prüfung, „ein bisschen Stimmbildung Bernsteins „West Side Story“ oder der Insze- arbeiten habe ihm die Reise zum unvergess- eben“. Geprobt wird einmal wöchentlich alles, nierung populärer Opern wie „Carmen“ oder lichen Erlebnis gemacht. Feierlichkeiten zum was die Musikliteratur zu bieten hat. Inzwi- „Freischütz“. Norbert Fabritius sang im letzten 35-jährigen Bestehen des Austauschpro- schen hat Norbert Fabritius bei einem Konzert Züblinkonzert Dvorˇáks „Te Deum“ gemeinsam gramms der Universitäten von Oregon und in der Gaisburger Kirche mitgewirkt, als fran- mit einem amerikanischen Studentenchor aus Baden-Württemberg waren der Anlass des zösische Werke mit Orgel, Chor und großem Portland/Oregon. großen Unternehmens. Insbesondere die Uni- versität von Corvallis hatte sich um einen er- folgreichen Verlauf der Reise bemüht. Sieben Konzerte mit Brahms, Weber und Schumann Ob Wohnungstausch, zwischen Portland und San Francisco erbrach- Jobangebot, Fachschafts- ten vielerlei musikalische Erlebnisse und party oder Bibelstudium, menschliche Begegnungen. Pinnwände halten die In- formationsflüsse auf dem Vanessa Rebmann hat Oregon und Kalifornien Campus in Gang. noch in frischer Erinnerung. Mit einigen Freun- den aus dem Orchester hängte sie sogar noch eine Verlängerungswoche an der Westküste Kaliforniens an. Schon seit sie zehn Jahre alt war, spielt sie Geige, und als sie nach Stuttgart kam, führte ihr Weg fast zwangsläufig ins Uni- orchester. Sie spielt in der zweiten Geige, und die wöchentlichen Proben gehören zum festen Bestandteil ihres Semesterstundenplans. Den- noch setzt sie, auf die Frage, wie weit ihr künst- lerischer Ehrgeiz reiche, die Prioritäten ein- deutig zugunsten des Studiums. Um in der ersten Geige zu spielen, müsste sie mehr üben, als ihr das möglich ist, ohne das Studieren zu vernachlässigen. Gunnar Grün, derzeit im Auslandssemester, berichtet: „Da es in Calgary eine Musikfakultät mit Schlagzeugprofessur gibt, war meine Po- sition im symphonischen Orchester schon be- setzt. Nach einem Vorspiel – meinem ersten, in Stuttgart bin ich darum herumgekommen –, kam ich ins Bläserorchester. Im Unterschied zu Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:22 Uhr Seite 19

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Um die Not der Nachkriegszeit zu lindern und ein Klima Mehr als 800 Studierenden bietet die Wohn- geistiger Freiheit zu ermöglichen, stellte der Deutsch- anlage Straussäcker auf dem Vaihinger Studierende und Wissenschaftler, die man um- amerikaner Max Kade Mittel für Gemeinschaftsein- Campus Unterkunft. Küche und Bad nutzen worben hat, an Wohnraum fehlt. Obwohl die richtungen zur Verfügung. So entstand in Stuttgart das je zwei bis sechs Bewohner gemeinsam. Max-Kade-Heim, ein Denkmal humanitärer Gesinnung. Stadt große Anstrengungen unternimmt und Schritte zur Vermittlung zusätzlicher Räume eingeleitet hat, stehen im weltweit vernetzten Stuttgart wird hier alles benotet. Eine lockere Interessen im Besonderen sowie die Gnade der Wirtschaftsstandort in der Hightech-Region Atmosphäre herrscht dennoch.“ Wie leger bei Dirigentin, die dem Musiker den Weg zum Hob- Nummer 1 für rund 43000 Studierende nur rund aller ernsthaften Probenarbeit die Atmosphäre by-Perkussionisten ebnen.“ 5300 Wohnheimplätze zur Verfügung. Wenige auch im Stuttgarter Orchester ist, mag ein Zitat haben wie Benjamin Dierig oder Bernhard aus „UniSono“ belegen, wo die Bemühungen Zimmer gesucht! Kümmerle das Glück, zu Beginn ihres Studiums einer Perkussionsgruppe mit freundlicher Iro- Wie in vielen großen Universitätsstädten einen davon ergattern und jahrelang bleiben nie wie folgt kommentiert werden: „Zumindest Deutschlands offenbart sich auch in Stuttgart zu können. Wenn dagegen Sonja Amend und im vergangenen Semester waren weder Vorbil- zu Beginn jedes Wintersemesters, dass es für Lutz Frieß die Wohnungssuche als „Katastro- dung noch besondere Eignung die Auswahlkri- terien für die erlesene Gruppe. Wie sonst lässt es sich erklären, dass ausgerechnet eine erste Geige und eine Bratsche den Weg zur Perkus- Im Rahmen ihres Interna- tionalisierungsprogramms sion gefunden haben? Ersten Geigen wird ge- bietet die Universität mitt- meinhin eine gewisse Unsicherheit beim Zäh- lerweile sechs Internatio- len von Pausen mit mehr als drei Takten Länge nale Studiengänge an. Das nachgesagt – eine Pausenlänge also, die in der International Master’s Programm führt aus- Perkussionsliteratur eher als unterste Grenze ländische und deutsche anzusehen ist und um Zehnerpotenzen über- Akademiker zusammen, schritten werden kann. Bratschen hingegen die sich weiterqualifizie- weht der scharfe Wind mannigfaltiger Vorur- ren wollen. teile ins Gesicht (zu spät, zu langsam…), denen jedoch allesamt die Grundlage solider Nach- weisbarkeit fehlt. Summa summarum sind es nur der Zufall im Allgemeinen, persönliche Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:23 Uhr Seite 20

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Mit dem innerstädtischen Campus fest verwachsen: Stuttgarts Stadtgarten, quasi die Agora der Universität. Um die Verteilung der vorhandenen Wohnheim- Koch zum Beispiel ein Auto angeschafft. Dass plätze kümmert sich das Studentenwerk, eine sie bald darauf einen Studentenparkplatz be- diffizile Arbeit, wenn man in Betracht zieht, kamen, hat ihnen zusätzlichen Zeitgewinn be- phe“ und „erste Mühsal“ am Studienort Stutt- dass für 1600 Bewerber im Wintersemester schert. gart schildern, liegen sie ganz auf der Linie 2002/03 nur 580 Wohnheimplätze zur Verfü- Die englischsprachigen Masterstudiengänge einer gemeinsamen Resolution der Stuttgarter gung standen. Die Zahlen verdeutlichen den einer international ausgerichteten Universität Hochschulen, die von einer fatalen Situation Mangel, weiter reichende Auswirkungen offen- bringen Studierende ins Land, für die aufgrund spricht und erläutert, der Blick auf die vergan- baren sich erst bei genauerem Hinsehen. kurzer Verweildauer und mangels Sprachen- genen fünf Jahre zeige „einen Schereneffekt Um sich die Strapazen abendlicher Heimfahr- kenntnis möbliertes Wohnen in deutschem zwischen der Gesamtzahl der Studierenden und ten in oft überfüllten Zügen nach Reutlingen zu Umfeld gar kein Thema ist. Sie sind auf Wohn- Wohnheimplätzen auf, der mittel- und lang- ersparen, haben sich Manuel Stary und Sascha heimplätze angewiesen. Das gilt erst recht für fristig nicht nur die Internationalisierung der Hochschulen, sondern den Bildungsstandort Stuttgart gefährdet.“ Für Studierende aus dem Ausland, betont die Resolution, sei die Situa- tion unzumutbar. Das bestätigt Sybile Bayiha Nachtbusse der Stuttgarter aus Kamerun, die sich bis zum zweiten Semes- Straßenbahn AG sorgen am Wochenende für den siche- ter gedulden musste, bis sie einen Platz im ren Heimweg von Kneipen- Wohnheim bekam. Das hat ihr die Umstellung besuchern und Partygän- auf eine ungewohnte Umgebung und die Aus- gern. Unter Nachtschwär- mern gelten die mit den richtung auf ein anspruchsvolles Studium er- neuesten Hits untermalten schwert. Lobend fügt sie allerdings hinzu, es Fahrten als „Kult“. sei eine gute Erfahrung gewesen, dass sie ge- gen Ende ihres Studiums bei einem entgegen- kommenden Vermieter eine Privatwohnung gefunden hat. Um das internationale Renom- mee und die Qualität des Bildungsstandortes Stuttgart zu erhalten und weiter auszubauen, müssen allerdings noch weitaus mehr Stuttgar- ter Bürgerinnen und Bürger dafür gewonnen werden, Wohnraum an Studentinnen und Stu- denten zu vermieten. Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:23 Uhr Seite 21

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Teilnehmer an Veranstaltungen, mit denen die Hochschule sich selber vorstellt. Sie müs- sen untergebracht werden, oft nur für wenige Tage. Wen das Ansehen von Stadt und Univer- sität dagegen von fern her an den Neckar ge- lockt hat, ist meist auf Jahre von einer geeig- neten Unterkunft abhängig – und viele der in

Stuttgart studierenden Ausländer sind „free- Stuttgartin Studieren mover“, die aus eigenem Antrieb hierher kom- men. Für sie, weiß Martin Baier, der sich erfolg- reich um die Integration ausländischer Studie- render bemüht, wäre das Leben in Untermiete ideal, um deutschen Alltag gewissermaßen von innen kennen zu lernen. Interkulturelle Diffe- renzen, die dabei auftreten, betrachtet er als Bewährungsprobe schwäbischer Toleranz und Gastfreundschaft – auf die offenbar gebaut Von Stuttgarts „Tor zur Szene“, dem „Palast der Republik“, werden kann: Nach einem öffentlichen Aufruf sind es nur wenige Schritte zum innerstädtischen Campus. stellt fest, 170 euro allein fürs Studententicket von Oberbürgermeister Schuster haben private seien weitaus mehr als etwa in Hessen, wo man Vermieter im Herbst 2002 zusätzlich 618 Zim- mit dem Studentenausweis im ganzen Rhein- mer bereitgestellt! seits, erschwert aber auch die Integration, denn Main-Gebiet herumfahren dürfe. Mit dem Bei- die deutsche Minderheit in den Wohnheimen trag fürs Studentenwerk und den neu einge- Konsequenzen für die Integration kann schwerlich die Mehrheit der Ausländer führten Verwaltungsgebühren, rechnet er vor, ausländischer Studierender integrieren. kommen rasch 240 euro Grundkosten pro Se- Da der Universität an internationalen Bezie- Im Bemühen um faire Verteilung der knappen mester zusammen. Über die Kosten hinaus be- hungen und weltweitem Ansehen gelegen sein Ressourcen beschränkt das Studentenwerk die klagt er wie viele seiner Kommilitoninnen und muss, entsteht ein immer stärkerer Druck mit Wohndauer im Wohnheim auf 24 Monate. Da- Kommilitonen den „kleinstädtischen“ Fahrplan, der Konsequenz, ausländische Gäste und Stu- mit ist zwar der Gerechtigkeit Genüge getan, der in keiner Weise den Ausgehzeiten junger denten bei der Vergabe von Wohnheimplätzen aber Engagement und Verantwortungsbewusst- Menschen entspricht. Mehr Nachtbusse, meint bevorzugt zu behandeln. Das hilft ihnen einer- sein der Bewohner lassen mit zunehmender er, müssten her, aber vor allem ein preiswerte- Fluktuation nach. Auch für die Bemühungen res Studententicket. Im Vergleich mit dem Nah- um Ausländerintegration an der Hochschule verkehr in ihrer Heimatstadt Ulm sieht Anika erweist sich die rasche Rotation als weiteres Reimann dagegen die Vorteile auf Stuttgarts Hindernis. Seite, neben den vielfältigen Einkaufs- und Ausgehmöglichkeiten nennt sie das Studiticket Bei allen Kosten – sogar als ausdrücklichen Pluspunkt. ein wenig „Luxus“ muss sein! Wer das hochkarätige Angebot der Universität Ob Wohnheim oder private Unterkunft, die nutzen und die reizvoll gelegene Stadt mit ih- Miete schlägt im meist schmalen Monatsbud- rem reichen kulturellen Angebot genießen will, get zu Buche. Dazu kommen die Kosten für muss sich auch auf höhere Lebenshaltungskos- Essen und Trinken, Literatur, Semestergebüh- ten einrichten. Die Kneipen, stellt Christian ren, Nahverkehr und manches andere. „Ohne Altenhofen nüchtern fest, sind mehr auf junge Durch die S-Bahn ist der Vaihinger Campus hervor- Luxus“ kalkuliert Lars Frenzel 30000 euro für Gutverdiener als auf Studenten ausgerichtet. ragend an die Stadt und ihr Umland angebunden. Aus sein Studium, das er selbst finanziert und des- Sonja Amend, die Stuttgarts schöne Grünan- den Tiefen der architektonisch besonders geglückten halb die Regelstudienzeit überschreitet. Als lagen nebst seinen vielen Bars und Kneipen Station „Universität“ strömen während des Semesters Tag für Tag Tausende zu den Lehrveranstaltungen. hoch empfand er zu Beginn seines Studiums schätzt, sieht das ähnlich: Wie oft man aus- die Preise des Nahverkehrs. Inzwischen sind gehe und ob Cocktail oder Bier wolle gut über- die Verkehrsbetriebe den Studenten zwar ent- legt sein, denn studentische Preise kenne die gegengekommen, aber Christian Altenhofen Stadt nicht. Da „ein bisschen Luxus“ eben auch Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:23 Uhr Seite 22

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sein muss, arbeitet Christian Altenhofen als gogische Neigung und technisches Interesse Studierende aus der Dritten Welt Werkstudent bei Bosch, obwohl sein Studium miteinander verbinden. Deshalb haben sie sich urteilen differenziert großenteils die Eltern finanzieren. Da viele für den wenig bekannten Studiengang Technik- Mit Anfangsschwierigkeiten, die deutsche Kom- Firmen zunehmend darauf achten, ob Bewer- pädagogik mit dem Hauptfach Maschinenbau militoninnen und Kommilitonen zum Teil nur ber praktische Erfahrungen mitbringen, lohnt entschieden. Hier gibt es angesichts akuten vom Hörensagen kennen, musste auch Sybile die Arbeit als Werkstudent nicht nur unter Lehrermangels und nur 80 bis 90 Studierenden Bayiha aus Kamerun sich auseinander setzen. hedonistischen Gesichtspunkten, sondern pro Semester zwar keine Zulassungsbeschrän- Von Deutschland fasziniert, war sie begierig, bildet auch ein Stückchen Karriereplanung. kung, aber auch nur wenige Kommilitonen, mit eine neue Sprache, eine andere Kultur kennen denen man sich fachlich austauschen kann. Da zu lernen. In der rauen Wirklichkeit hat sie Vorbereitung, Fleiß und Ausdauer, war besonders viel Ausdauer gefragt, um sich dann manche Illusion verloren – aber auch viel damit das Studium gelingt von Institut zu Institut durchzufragen. Ihr Ide- gelernt. Es sei nicht einfach gewesen, alles Zur Hürde kann durchaus auch das Studium alismus, das räumen die angehenden Gewerbe- alleine zu machen, doch habe sie dabei ihre selbst werden, vor allem der Einstieg will be- lehrer freimütig ein, hat während des Studiums Fähigkeiten und Grenzen entdeckt. „Hier“, wältigt sein. Über die Anforderungen seines Einbußen erlitten. Teils hat die Politik mit der sagt sie, „habe ich gelernt, Verantwortung zu Fachs gut informiert, gelang Christian Alten- Ankündigung gekürzter Bezüge und verlänger- übernehmen, zielstrebig und ernsthaft zu ar- hofen der Einstieg relativ leicht, doch empfand ter Arbeitszeit für Gewerbelehrer dafür gesorgt, beiten.“ Zunächst erwies sich die Sprache als er zunächst die Stoffmengen als schockierend, teils liegt es aber auch daran, dass sie sich im hohe Hürde, die vollständiges Umdenken er- die jeder einzelne Professor ausgebreitet und Hauptfach Maschinenbau als Randgruppe er- forderte. Damit ist Sybile Bayiha fertig gewor- für besonders wichtig erklärt hat, vor allem leben, die „überall mitmachen darf“, aber nir- den, sie spricht ein ausgezeichnetes Deutsch wurde noch mehr Mathematik gefordert, als er gends richtig dazugehört. Im Rückblick haben und hat erfolgreich Betriebswirtschaft stu- sich gedacht hatte. Wären seine soliden Grund- sie die erste Orientierung im „Riesenkomplex diert. Auch die finanziellen Probleme hat sie kenntnisse aus dem Mathe-Leistungskurs am Universität“ als schwer erlebt, umso mehr aus eigener Kraft bewältigt, nachdem die Gymnasium nicht gewesen, wer weiß. konnten sie sich im Hauptstudium fachlich ver- anfängliche Unterstützung durch die Eltern Sascha Koch, Bernhard Kümmerle und Manuel tiefen. Inzwischen sehen sie mit Spannung ih- infolge der Inflation in Kamerun versiegte. Stary wollen als Diplom-Gewerbelehrer päda- rer ersten Stelle als Referendare entgegen. Bei Bosch fand sie einen verständnisvollen

Das geglückte Nebeneinander von Klassizismus und Post- moderne der Staatsgalerie Stuttgart setzt einen markanten Akzent im Bild der Stadt. Mit Kunstschätzen vom Mittelalter bis in unsere Tage gehört das Museum zu Deutschlands meistbesuchten. Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:23 Uhr Seite 23

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Ansprechpartner, der ihr in den Semesterferien Das Ökumenische Studen- immer wieder einen Job gab. Als sie im Studium tenzentrum hat als Begeg- nungsstätte aller Religionen vorangeschritten war, konnte sie ihr Budget und Kulturen auf dem Vai- außerdem mit einem Hiwi-Job aufbessern. Am hinger Campus eine wichtige Ende eines Weges, der ihr viel Einsatz abver- Funktion. langt hat, betont Sybile Bayiha, wie viel Unter- stützung Afrikaner bei der Umstellung auf eine

für sie fremde Welt benötigen. Stuttgartin Studieren Raed Abofol, Palästinenser mit israelischem Pass, hat im Ökumenischen Zentrum Wohnung und Arbeit gefunden. Soll er seinen palästinen- sischen Landsleuten die Vor- und Nachteile eines Studiums in Deutschland schildern, hebt er die Leistungsfähigkeit des universitären Systems hervor. Hier studiere man umfassen- der, nicht schmalspurig und eng auf sein Fach beschränkt. Dazu komme, dass im Vergleich zu anderen Ländern keine nennenswerten Studiengebühren anfallen und man genügend Jobs bekomme, um sich finanziell über Wasser zu halten. Als nachteilig empfindet er die län- geren Studienzeiten und eine Bürokratie, die er als allzu gründlich erlebt. Im Rahmen ihrer Bemühungen um internatio- nale Verflechtung hält die Universität eine breite Palette von Hilfsangeboten bereit, um ausländischen Studierenden die Eingewöh- nung zu erleichtern und ein erfolgreiches Studium zu sichern. Schon am Flughafen oder Bahnhof treten sozial engagierte Kommili- toninnen oder Kommilitonen in Aktion und helfen als Paten bei der ersten Orientierung, um das Einleben und förderliche Zusammen- leben im Wohnheim kümmern sich in einem weiteren Schritt erfahrene Tutoren. Dem Ken- nenlernen und der Kontaktpflege mit Kommi- litoninnen und Kommilitonen dienen Feste und ein monatlicher Stammtisch im Unithekle. Mit Exkursionen und Betriebsbesichtigungen werden Kenntnisse über den engeren Univer- Blick in die Zukunft sehr grundlagenorientiertes Studium absol- sitätsbereich hinaus angeboten, etwa die Be- Wenn Christian Altenhofen an die Zukunft viert hat, das sich durch Schwerpunktgebiete sichtigung einer Brauerei oder eine Fahrt nach denkt, spielt er mit dem Gedanken an eine wie Aerodynamik auszeichnet. Ulm und zum Blautopf. Nicht zuletzt berät Promotion. Beruflich verspricht er sich davon Soll die krönende Promotion gelingen, müs- das Büro für Internationale Angelegenheiten weniger Vorteile, aber sein Forschungsinte- sen Begabung und Ehrgeiz zusammentreffen. in sozialen Fragen und hilft finanziell beim resse würde befriedigt. Danach oder auch di- Stojanka Ivanova aus Bulgarien bringt diese Studienabschluss, wenn eine Notlage einge- rekt nach dem Diplom würde er gerne in der Voraussetzungen mit und spricht darüber hin- treten ist. Raumfahrt arbeiten, auch in Unternehmen wie aus ein fast makelloses Deutsch. Sie verdankt Daimler, Porsche oder Bosch sieht er Chancen, das zehn Stunden Deutschunterricht ab dem weil er als Luft- und Raumfahrtingenieur ein achten Schuljahr und dem Deutschen Akademi- Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:23 Uhr Seite 24

Nachgefragt

Im Wintersemester 1997/98 tung gewähre ein hohes Maß an Freiheit, be- wurde der internationale richtet Frau Ivanova und zeigt sich der Verant- Studiengang „Water Resour- wortung bewusst, die sich daraus ergibt, aber ces Engineering and Manage- ment – WAREM“ eingeführt. Zweifel am Gelingen ihres Vorhabens kommen Vor dem Hintergrund zurück- im Gespräch mit ihr keinen Moment auf. Pro- gehender Wasserreserven bleme, auch alltäglicher Art, hält sie grund- trägt er dem weltweit stei- genden Bedarf an Fachkräf- sätzlich für lösbar. Natürlich gab es bürokrati- ten Rechnung. sche Hürden, als sie in Stuttgart anfing, aber wo gibt es die nicht, fragt sie. Außerdem hät- Am Bau des Solarluftschiffs ten die transkulturell erfahrenen Kollegen des LOTTE waren von Anbeginn Studenten der Luft- und international besetzten Teams im Institut für Raumfahrt beteiligt. Seit Werkzeugmaschinen ihr geholfen, als es um Vi- 1993 übernimmt LOTTE Be- sum, Verlängerung des Arbeitsvertrages, Kon- obachtungsaufgaben, die toeröffnung, Krankenkasse, Lohnsteuerkarte Weiterleitung von Funksig- nalen und Messungen. Ohne und andere Hürden ging. Auf der Suche nach die Studierenden wäre be- einer Wohnung fand Stojanka Ivanova mit ih- sonders der personalinten- rer Familie zunächst bei einer Freundin in sive Messeinsatz undurch- Karlsruhe Unterschlupf, bis sich etwas Passen- führbar. des in Esslingen fand. Von der einstigen Reichsstadt mit ihren Wein- bergen ist sie sehr angetan, und sie ist zuver- sichtlich hier zu Lande noch viele Freunde zu finden.

Warum also Stuttgart? Das weltweit hohe Ansehen der Universität macht es den bodenständigen Schwaben leicht, bei erstklassigen Studienbedingungen im Lan- de zu bleiben. Spezielle, nur in Stuttgart an- gebotene Studiengänge locken aber auch Stu- dienbewerber aus aller Welt an. Die weite Anreise macht sich unter anderem durch aus- gesprochen kurze Wege zwischen Studierenden und ihren Lehrern bezahlt. Wer seinen „Prof“ etwas fragen will, muss keine langen Wege oder Wartezeiten in Kauf nehmen. Hochmo- dern ist auch ein automatisiertes System zur Evaluation der Lehrveranstaltungen, das den Studierenden Gelegenheit gibt, ihre Lehrer schen Austauschdienst, der seit 1991 an der die Stelle. Nach drei Monaten Einarbeitungs- kritisch zu bewerten und das universitäre Technischen Universität Sofia eine deutsch- zeit übernahm sie das Projekt „Spanraumopti- Qualitätsbewusstsein wach zu halten. Selbst- sprachige Fakultät unterhält. Dort konnte sie mierung in der Holzverarbeitung“ mit dem bewusst und von Seiten der Universität ak- unter optimalen Bedingungen Maschinenbau Ziel, zum Beispiel einen Fräser so zu gestalten, zeptiert, wirken auch die studentischen Fach- und Betriebswirtschaft studieren, mit genau dass Doppelzerspanung vermieden wird. Es schaften engagiert und kritisch auf das aka- gleichen Bedingungen und Anforderungen wie geht darum, Werkzeugverschleiß und Schäden demische Leben ein. in Deutschland. Im Internet fand sie eine Posi- an bearbeiteten Oberflächen zu vermeiden, Wie der Einstieg ins Studium gelingt, hängt tion am Institut für Werkzeugmaschinen der um Kosten zu sparen. Nach acht Monaten wol- nicht zuletzt von einer angemessenen Unter- Universität Stuttgart ausgeschrieben und be- len die auftraggebenden Unternehmen expe- kunft ab. Wer sich frühzeitig um einen Platz im warb sich. Sie wurde eingeladen und bekam rimentelle Ergebnisse sehen. Die Institutslei- Wohnheim oder etwas Passendes auf dem Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:24 Uhr Seite 25

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freien Wohnungsmarkt kümmert, darin stim- men alle Erfahrungsberichte überein, kommt in Stuttgart unter – und beginnt sich wohl zu fühlen. Sprache und Wesensart der Schwaben sind für „Reigschmeckte“ manchmal gewöh- nungsbedürftig, aber wer hinter schwäbischem Understatement die kulturelle und wirtschaft-

liche Leistungsfähigkeit der Stadt entdeckt, Stuttgartin Studieren schätzt Galerien, Konzerte, Theater – und die Möglichkeit, hier einen attraktiven Arbeitsplatz zu finden. Manche und mancher freundet sich schon während des Studiums mit dem Gedan- Stuttgarts Oper ken an, endgültig in der Landeshauptstadt zu Ob die Fachkritik das Opernhaus des Jahres, bleiben. den besten Chor oder das beste Orchester wählt, Für die Bereitschaft, sich für diesen Beitrag befragen zu mehr Preise als Stuttgart lassen, dankt der Verfasser: Raed Abofol, Christian Alten- hat in den zurückliegen- hofen, Sonja Amend, Martin Baier, Sybile Bayiha, Benja- den Jahren kein deutsches min Dierig, Norbert Fabritius, Lars Frenzel, Lutz Frieß, Musiktheater erringen können. Gunnar Grün, Philipp Hetz, Stojanka Ivanova, Steffen Key, Sascha Koch, Bernhard Kümmerle, Manuel Stary, Helene Rädler, Vanessa Rebmann, Anika Reimann und Yvonne Reinhard. Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:24 Uhr Seite 26

Formenvielfalt auf dem Campus Die Bauten der Universität

Als Keimzelle der Stuttgarter Universität gilt Gebrüdern Boisserée, die dort ihre „Altdeut- schäftigen. Als sich nach dem Ersten Weltkrieg die Untere Königstraße und dort das Haus schen“ ausstellten, niederdeutsche und hol- mit 2800 Studierenden ihre Zahl gegenüber Nr.12, der „Offizierspavillon“, ein nobles Stadt- ländische Meister aus Spätgotik und Renais- dem Vorkriegsstand gar verdreifacht hatte, palais, 1807 erbaut vom ehemaligen Hohen sance, die in Stuttgart nicht gefielen und des- wird zum ersten Mal die Verlagerung der ge- KarlheinzFuchs Carlsschüler und königlichen Hofarchitekten halb 1827 nach München kamen, wo sie noch samten Hochschule diskutiert. Paul Bonatz, Nikolaus Friedrich von Thouret. 1819 überließ immer den Grundstock der „Alten Pinakothek“ damals „Architekturpapst“ an der TH, favori- König Wilhelm I. das Offizierswohnheim den bilden. siert 1931 den Degerlocher Wald. Eine Idee, von der am Ende nur das ehemalige Unistadion auf der Waldau übrig blieb. 1945, bei Kriegsende, waren 70 Prozent der Von den Anfängen zur Stuttgarter Schule Bausubstanz zerstört, 15 von 50 Gebäuden total abgegangen, die Hochschule in ihrer Erste Architekturlehrer: Egle, Leins, Tritschler „Botanischen Garten“ zwischen 1860 und 1864 Existenz bedroht. Die Studenten hatten wie in Das „Kunsthaus“ in der Königstraße 12 stand einen höchst repräsentativen Bau im Stil der einer Art Numerus-clausus-Bedingung Aufbau- leer und bot Raum für eine „Kunst- und Gewer- italienischen Renaissance erstellt. 1853 war dienste zu leisten, etwa bei der Herstellung beschule“, die am 22. Oktober 1829 ihre Pfor- Egle am Polytechnikum „Architektur-Haupt- von Baumaterial. Otto Borst, ehedem Landes- ten für erste Eleven öffnete. Aus der Gewerbe- lehrer“ für Bauentwürfe geworden. Weitere historiker an der Stuttgarter Universität und schule wurde 1840 die „Polytechnische Schu- Gebäude in Stuttgart sind seine neogotische Chronist ihres hundertfünfzigjährigen Beste- le“. Sie blieb bis 1864 in der Königstraße. Ihr Marienkirche bei der Paulinenbrücke und die hens: „Aus Studenten sind Bautrupps gewor- erster Bau im heutigen Stadtgartengelände Villa Knosp in der Rotebühlstraße. den, Maurer, Zimmerleute, Klempner, Maler.“ stammte erwartungsgemäß von einem Ab- Nach Josef von Egle und Christian Leins (Königs- Trotz aller Schwierigkeiten hatte Richard solventen der Bauabteilung: Josef von Egle bau) war der Dritte unter den großen Architek- Döcker, seit 1947 an der TH Professor für Städ- (1818–1899) hat an der Alleestraße beim turlehrern am Polytechnikum Alexander Tritsch- tebau, den zunächst plausiblen Plan, die Hoch- ler (Hauptpost). 1865 baut er die Kirche im schule in der Innenstadt wiederzuerrichten. Alten Schloss („Schlosskirche“) nach Art der Er wollte vom Stadtgarten als Zentrum über die englischen Gotik um und zehn Jahre später nähere Umgebung Schelling-, Hofgarten und betraut man ihn zum fünfzigjährigen Bestehen Seidenstraße bis zur Wiederhold- und Azen- des Polytechnikums mit der Erweiterung des bergstraße einen verbundenen Hochschulkom- Egle-Palazzo zur Seestraße hin. Heute ein letz- plex in einem durchgrünten Stadtraum schaf- ter bauhistorischer Rest der Stuttgarter Uni- fen. Davon ist wenig mehr übrig geblieben als versität. die Bebauung am Stadtgarten.

Dauerthema: Platznot und Auslagerung Kriegsschäden und Neuplanung Die Anerkennung des Polytechnikums als Der „Urort“ des innerstädtischen Campus, „Königliche Technische Hochschule“ (TH) ge- vom früheren Schüler, nachmaligen Lehrer schah am 25. Februar 1890. Hernach wird noch und Direktor der Bauabteilung, dem königlich einmal so kräftig gebaut, dass Platznot im Ge- württembergischen Hofbaudirektor und Stutt- biet des heutigen Stadtgartens entsteht und garter Ehrenbürger Josef von Egle erbaut und man erwägt, die TH teilweise nach Ludwigs- am 29. September 1864 eingeweiht, war ja burg auszulagern: Das Thema Verlegung sollte ein palazzoartiges Gebäude: Mittelrisalit mit die Universität von nun an siebzig Jahre be- Tympanon und als kleine Krone eine weithin erkennbare, wahrzeichenhafte, schlanke Kup- pel. Links und rechts Seitenrisalite und ein ho- Von allen historischen Bauten des ehemaligen Poly- her Erdgeschossbereich für die Vorlesungssäle. technikums und der daraus hervorgegangenen TH hat nur Alexander Tritschlers Erweiterungstrakt aus den Dieser Bau stand in der Alleenstraße 33 an der Jahren 1875 bis 1879 die Zeitläufte überstanden. Ecke zur Seestraße, in die Tritschler zwischen Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:24 Uhr Seite 27

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Studieren in Stuttgart Die Geschichte der Universität Forschung und Lehre Menschen, Institutionen, Ziele

1875 und 1879 den von ihm und Leins geplan- den Gebilde des Stuttgarter Hochschulvier- drei Lehrstuhlgeschossen von je 2,50 m lichter ten Erweiterungsbau setzte. Beide „Wissen- tels.“ Und im Blick auf das gerade entstehende Raumhöhe nach Süden … Das ganze Haus schaftspaläste“ haben gleichermaßen Kriegs- und 1963 fertig gestellte K2 wird prognosti- ist schließlich eine fünffache Addition dieser schäden abbekommen, aber es wurde nur der ziert: „Zwischen beiden Hochhäusern liegt Geschossgruppen: Zehn Geschosse auf der so genannte Tritschlerbau wiedererstellt. Das nun … ein Forum, ein umschlossener Hof, der Nordseite entsprechen fünfzehn … auf der Stuttgart-Handbuch von 1985: „Die besser er- lebendig wird durch die Fußgänger des Stadt- Südseite.“ Die Bauten der Universität der Bauten Die haltene Ruine des älteren Bauflügels von Egle gartens und durch das Kommen und Gehen Der Zwillingsbau (K2), einst der Fakultät für beseitigte man restlos und errichtete an dieser zwischen beiden Hochhäusern.“ Maschinenwesen vorbehalten, birgt heute die Stelle das südliche der beiden Kollegienhoch- Die konstruktive Überraschung bei diesen bei- Sozial- und Geisteswissenschaften, denen es häuser.“ den Hochhäusern ist der „3:2-Trick“: 10 Ge- die „Technische Hochschule“ zu verdanken hat, schosse auf der Nord- und 15 auf der Südseite. dass sie 1967 eine „Universität“ wurde. Scharfsinnig konstruierte Hochhäuser Durch diese Verschiebung ergibt sich ein Ge- Etwa gleichzeitig mit den Kollegiengebäuden Für das Kollegiengebäude 1 (K1), in Verbin- winn von 2000 Quadratmetern Nutzfläche, oh- entstehen zwischen 1960 und 1963 die Insti- dung mit dem Zwillingsbau K2 Sinnbild der ne zusätzliche Aufstockung! Dem „Trick“ liegt tute für Fertigungstechnik. Der vom damaligen „neuen“ Technischen Hochschule, kam nach die Überlegung zugrunde, dass Übungs- und Hochschulbauamt konzipierte Komplex bietet damaliger Auffassung nur ein Hochhaus in Hörsäle höher sein müssen als die kleineren mit seiner „zackigen“ Fassadenfront zur Hegel- Frage. Ein entsprechender Plan der drei Hoch- Räume der Lehrstühle und Institute. „Deshalb“, straße hin und der sheddachartigen Dachhaut schulprofessoren Rolf Gutbier, Curt Siegle und so die TH-Schrift, „entsprechen in dem neuen eigentlich den lebendigsten aller Neubauten Günter Wilhelm für ein 55 Meter hohes Gebäu- Haus zwei Geschosse mit Übungssälen von je damals auf dem Campus. Irgendwo auch eine de wurde von 1956 bis 1960 realisiert. Die TH 3,80 m Höhe nach Norden auf der Gegenseite gelungene architektonische Anspielung auf die rühmt es 1961 in einer Selbstdarstellung: „Das neue Haus ist zugleich einer der wichtigsten In den frühen Sechzigerjahren entstand das nördliche Kolle- Die berühmte Zickzacklinie der Fertigungsinstitute Bausteine in dem langsam zusammenwachsen- giengebäude „K2“, nach damaliger Auffassung zusammen mit bildet einen lebendigen Akzent im Stadtbild. dem südlichen Pendant ein Sinnbild der „neuen“ Hochschule.

An Alexander Tritschlers Erweiterungs- bau im Stil der Renaissance erinnert diese Fassadenfigur im Stadtgarten. Heute beher- bergt das Gebäu- de die Zentrale Ver- waltung der Univer- sität. Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:24 Uhr Seite 28

Formenvielfalt auf dem Campus

vielen Maschinenbaufabriken im Württember- aufgrund von Kriegstrümmerverwertungen vor gischen. Über diesem zweistöckigen Komplex allem Ziegelsplitt verwendet wurde. erscheint ein viergeschossiger Büroturm, von Von Tiedje stammt auch die Mensa (1954–1956), dessen Grazie man den Kollegien-Zwillingen über die der Stuttgarter Architekturführer von gern etwas abgeben möchte. Wörner und Lupfer befindet, sein flach ge- lagerter Kubus stünde in „spannungsvollem Stuttgarts erstes Wohnhochhaus Kontrast zum Hochhaus“. Der restliche Teil des innerstädtischen Cam- pus – Studentenwohnheim, Mensa und Biblio- Haus der Bücher im Dienst der Forschung thek – hängt ganz wesentlich mit dem Namen Die Universitätsbibliothek in der Holzgarten- des New Yorker Deutsch-Amerikaners Max Kade straße 16 ist eine Arbeit des TH-Professors für zusammen, der in seinem Geleitwort zum Band Gebäudekunde und Entwerfen, Hans Volkart, über die wiedererstandene TH-Bibliothek 1962 von dem auch das Kleine Haus der Württem- zu bedenken gibt, dass das Land Baden-Würt- bergischen Staatstheater stammt. Als Volkarts Den Gedanken, unmittelbaren Zugriff auf das Buch zu temberg eine „Wiege begabter Erfinder“ sei, Universitätsbibliothek 1961 eröffnet wurde, gewähren, hat Hans Volkart mit seiner auch stilistisch geglückten Universitätsbibliothek von 1958 umgesetzt. die dem „deutschen Vaterland und der Welt war die Begeisterung allgemein. Der wortkun- Denker und Dichter, Verkünder der Freiheit und dige damalige Kultusminister Gerhard Storz Menschenrechte geschenkt“ habe. sprach in seiner Eröffnungsrede von einem Impuls genug für das Wiedererstehen der Tech- „ebenso stattlichen wie anmutigen Neubau“ nischen Hochschule. Architekt des 1952/53 und die „Stuttgarter Zeitung“ jubilierte: „Dies entstandenen Max-Kade-Heims, Stuttgarts ist der durchdachteste, der schlüssigste Bau erstem Wohn-Hochhaus, war Wilhelm Tiedje, einer Bücherei, den wir vorläufig in der Bun- Schüler und Mitarbeiter Paul Schmitthenners, desrepublik haben.“ einem vormals weithin bekannten TH-Archi- Seit den frühen Zwanzigerjahren, seit der be- tekturprofessor. Bemerkenswert an diesem rühmten Tübinger Universitätsbibliothek des sechzehngeschossigen Gebäude für etwa 160 TH-Architekturlehrers Paul Bonatz, war in Studierende ist die Schüttbetonweise, bei der Deutschland keine nennenswerte Bibliothek mehr entstanden. Die Orientierung für seine Pioniertat bezog Volkart deshalb aus Amerika, Oasen der Kreativität aus der „open-shelf“-Bibliothek, in der man als Abstand vom Alltag hilft, um Ideen und Perspektiven zu Benutzer unmittelbaren Zutritt zum Buch hat. entwickeln. Mit Tagungs- und Begegnungszentren in land- Seine bis heute für jeden Forschenden leicht schaftlich reizvoller Lage trägt die Universität dem Rech- und schnell zugängliche Bibliothek war für nung. Nahe beim Vaihinger Campus liegt die umgebaute 650000 Bände konzipiert: „Dieses Haus will Villa Eulenhof des Raketenforschers Eugen Sänger, hier ist dem Studierenden helfen, den Weg zum Buch das Internationale Begegnungszentrum untergebracht. Es zu finden, und die Bücher sind zu einem gro- bietet drei modern ausgestattete Arbeitsräume für bis zu ßen Teil so aufgestellt, dass man sagen kann, 60 Personen und einen großen Garten. Wesentlich weiter das Buch kommt ihm auf diesem Wege sichtbar Dank deutschem Perfektionismus und der List seines entfernt, in 1400 Metern Höhe, liegt das Söllerhaus über und greifbar entgegen. Diesem ernsten Zweck Architekten ist das 1962 entstandene Hörsaalproviso- rium auf Dauer in den Baubestand des innerstädtischen dem Kleinwalsertal, das je nach Jahreszeit Abwechslung dient unser Bau.“ Architektonisch orientiert Campus übergegangen. bei Wanderungen oder Wintersport bietet. Zwei- und Drei- an den Pavillonbauten des deutsch-amerikani- bettzimmer sowie angenehm helle Seminarräume für bis schen Architekten Mies van der Rohe, gilt diese zu 44 Gäste stehen bereit. Den Universitäten Karlsruhe, Bibliothek als eine der stilistisch gelungensten Mitarbeiter am Universitätsbauamt Friedrich Tübingen und Stuttgart gemeinsam gehört das Waldhotel Arbeiten Volkarts. Wagner 1962, also fast gleichzeitig mit der Zollernblick bei Freudenstadt, ein rund 100 Jahre altes Universitätsbibliothek. Wagner war gerade Schwarzwaldhaus, das die gemeinsame Forschung der drei Ein Provisorium von Dauer aus Amerika zurückgekehrt – nach drei Jah- Hochschulen fördern soll. Dieses größte Tagungszentrum Zu Mies van der Rohe gibt es auch beim Hör- ren Mitarbeit im Büro Mies van der Rohes! bietet 70 Betten und drei Seminarräume für 40, 100 und saalprovisorium am Stadtgarten Analogien. Den Glücksfall, dass auch dieses Provisorium 140 Personen. Dieser Geniestreich gelang dem ehemaligen überdauert hat, erklärt Klaus Schmiedek, der Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:24 Uhr Seite 29

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heutige Leiter des Universitätsbauamtes, mit heit, Standfestigkeit und Brandschutz. Der „deutschem Perfektionismus“. Denn: „Im Bau- Planer ging deshalb schon damals davon aus, recht gibt es für beschränkte Nutzungszeit kei- dass der Bau, wenn die Hörsäle ausgedient ne Ausnahmen von den Vorschriften für Sicher- hätten, weiter verwendbar sein sollte.“

Aufbruch in den Pfaffenwald Die Bauten der Universität der Bauten Die Bereits Mitte der Fünfzigerjahre sollte die Uni- nur an der 1963 projektierten Ruhruniversität versität in den Vaihinger Pfaffenwald auswei- . Ein Betongewitter von 13 Hochhaus- chen. Aber es fiel den TH-Planern keinesfalls scheiben! Dagegen wirkt Stuttgarts zwischen Wo es um die konstruktiv notwendige Aussteifung leicht, die Stadt zu verlassen, was allein daran 1968 und 1974 entstandenes NWZ bei aller Do- geht,dominiert in den Kollegiengebäuden Beton. deutlich wird, dass man bis 1960 nach Lösun- minanz wie eine Miniatur. gen suchte, die Hochschule schwerpunktmä- Mit dem NWZ vollzieht sich eine Umstrukturie- Schon jetzt fällt der Umschwung von den mons- ßig doch noch im Stadtbereich ausbauen zu rung: weg von angloamerikanischen oder auch trösen Betonrastern am NWZ aus den frühen können. Noch 1962 legte Rolf Gutbier seine skandinavischen Vorbildern und hin zur neuen Siebzigerjahren hin zu den immer freieren und Planungsstudie für eine geschlossene Aus- Herausforderung einer Massenuniversität für fantasiereicheren Formen der Achtziger- und bauplanung im Stadtgarten und weiter nach 20000 Studierende. Der Gebäudekomplex hat Neunzigerjahre auf. An der Weiche zu einer Norden in den Azenbergbereich vor, wohin sich sich mit seiner Hauptnutzfläche von 52000 neueren Architekturauffassung steht bereits die TH ja schon in den Zwanzigerjahren erwei- Quadratmetern durchaus bewährt. Allerdings, das „Studentenwohnheim Pfaffenhof“ (1966– tert hatte. Jedoch konnte – eine direkte Ver- und dies gilt auch für viele andere Bauten auf 1972) des Berner Architekturbüros „Atelier 5“, bindung vom Stadtgarten zum Azenberg war dem städtischen Campus: Der Beton, bevor- von dem auch die Mensa (1970–1976) stammt, damals bereits verbaut – ein geschlossener zugter Baustoff der Sechziger- und Siebziger- der wiederum ein eher elastisches Raster zu- Campus nicht mehr erreicht werden. jahre, erfreut sich nicht mehr der einstigen Be- grunde liegt: „Ausgehend von den Abmessun- Die Vaihinger Pläne wurden in den späteren liebtheit. Trotzdem sind die Kolosse des NWZ gen eines Esstisches mit je fünf Sitzplätzen an Sechzigerjahren dahingehend modifiziert, dass zum Wahrzeichen der Universität in Vaihingen einer Seite wird ein Betonskelett konstruiert die TH komplett nach Vaihingen verlegt werden geworden – so wie das Zwillingspaar der Kol- (Achsmaß 3,20 × 3,20 m), das auf verschiede- sollte, bis auf die Institute am Stadtgarten. legiengebäude den Campus am Stadtgarten nen Ebenen, vom großen Esssaal mit 1200 Sitz- Im Pfaffenwald entstanden zuerst – neben der markiert. plätzen, über ein Restaurant und eine Cafeteria Forschungs- und Materialprüfungsanstalt mit je 400–500 Plätzen, auch Club- und Auf- (FMPA) – drei Luftfahrtinstitute. So zwischen Umschwung zu fantasiereicheren Formen enthaltsräume in sich aufnimmt … Das Erstaun- 1957 und 1960 das Institut für Aero- und Gas- Vielleicht betrachtet man den Pfaffenwald- liche an diesem äußerst einfachen und grund- dynamik (IAG). Dieser „Gründerzeitbau der Pfaf- Campus eines Tages auch als Architekturpark. sätzlichen Konzept ist die Tatsache, dass die fenwaldetappe“ ist eine Arbeit Günter Wilhelms, Aber erst einmal wächst die Universität hier damals auch mit dem K1 befasst. Vom Instituts- oben in eine Parklandschaft hinein. Der Campus im Vaihinger Pfaffenwald gebäude selber ist eine 85 Meter lange Ver- vom Turm des Universitätsbauamtes aus gesehen. suchshalle abgesetzt mit vorgelagertem Werk- stattgebäude.

Dominierender Komplex in Beton Dominiert wird dieser Pfaffenwald wohl für immer vom „Naturwissenschaftlichen Zent- rum (NWZ)“, dem ersten großen Bauvorha- ben nach dem Verlegungsbeschluss. Ursprüng- lich waren drei Komplexe geplant, später musste man aufgrund der ersten Ölkrise das Projekt auf zwei Hochhäuser „verschlanken“. Ein vergleichbares Vorhaben gab es seinerzeit Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:24 Uhr Seite 30

Formenvielfalt auf dem Campus

enge Stützenstruktur tatsächlich zu einem garter Achitekturbüros Behnisch+Partner. HY- raumbildenden Element wird, das den großen SOLAR ist der Name für ein deutsch-saudi-ara- Esssaal, aber auch alle übrigen Bereiche des bisches Gemeinschaftsprojekt (=HYdrogen Hauses, in kleinmaßstäbliche ‚bewohnbare‘ from SOLAR energy) zur Erzeugung und Nut- Einheiten aufzuteilen vermag, ohne diese von- zung solaren Wasserstoffs. Eine genialisch einander abzugrenzen.“ konzipierte Collage und eine mit einem Mal In den Achtzigerjahren entstanden im Pfaffen- gänzlich „entschwerte“ Architektur. Es ist so wald vor allem Gebäude für Hightech Entwick- weit: Mit Behnischs HYSOLAR-Institut beginnt lungs- und Forschungsvorhaben, am spektaku- der Dekonstruktivismus auch in der bisher vor lärsten dabei das HYSOLAR Forschungs- und allem dem rechten Winkel huldigenden „Archi- Institutsgebäude des weithin bekannten Stutt- tekturstadt“ Stuttgart.

Unübersehbare Dominanten auf dem Pfaffenwald- Schwerelosigkeit in Variationen gelände: die von 1968 bis 1974 erbauten Zwillinge des Naturwissenschaftlichen Zentrums.

Ebenfalls ein Zeugnis für die architektonisch so Flächen sind, Durchblick gewährend, Tageshel- bewegten Achtzigerjahre sind die zwischen ligkeit im Inneren erzeugend. Schlanke Stahl- 1986 und 1989 entstandenen Hochschulsport- profile, weiß gestrichen, frei vor der Fassade Mit dem Hugo-Häring-Preis ausgezeichnet, gilt anlagen Dieter Fallers am Westrand des Campus, stehend, ihnen vorgelagert filigraner Sonnen- das FBS als eines der besten Gebäude auf dem ein Komplex aus Institut, Halle und Freisport- schutz. Überall Variationen desselben Themas: Campus. flächen. Alles, so Schmiedek, „scheint leicht Schwerelosigkeit. Das Haus ist Botschaft seines hingestellt und empfängt den Besucher mit Zwecks: Erweckung heiterer Empfindungen Innen liegende Außenräume heiterer Freundlichkeit … Hier macht sich alles beim Übertreten seiner Schwelle. Nirgends wird Ein noch jüngeres Haus ist der 1996 entstan- flach und leicht. Kein massiges Volumen domi- man einnehmender empfangen!“ dene und 1997 als „einer der beispielhaften niert, auskragende Dächer lassen die Wände zu- Von 1990–1993 entsteht das Forschungszen- Bauten Stuttgarts“ ausgezeichnete zweite Ab- rücktreten, die – wo immer möglich – gläserne trum für Bioverfahrenstechnik (FBS), ein „no- schnitt der elektrotechnischen Institute, das bles Gebäude“ des Münchener Architekturbü- ETI 2. Die Architekturzeitschrift „Baumeister“ ros Ackermann und Partner. „Für die Entwurfs- rühmt im November 1996, schon vor der offi- planung war das beachtliche Bauvolumen von ziellen Übergabe, erst einmal die Lichtführung: rund 90000 Kubikmetern umbauten Raumes „Der Umgang mit Licht, das Lenken, Brechen, für das Grundstück und für die Einfügung in die Filtern und Reflektieren zeugt von einer uner- Bebauung eine schwierige, aber interessante warteten Experimentierfreude und einem Raf- Aufgabe,“ resümiert Ackermann (auch er Lehrer finement, das sich offenbart, wenn man ver- an der Architekturfakultät in Stuttgart), der, sucht, sich die helle Freundlichkeit der Räume und auch da wird die stilistische Distanz zum zu erklären.“ NWZ deutlich, als Credo nennt, das Ziel sei Die Reihe der vom Bauamt geplanten Neubau- gewesen, „die sichtbare Baumasse möglichst ten wird fortgesetzt mit immer „gläsernerer“ gering zu halten …“ Ein komplizierter Bau, ein Architektur – zu nennen wären dabei etwa die strenger, ja spröder Bau. Ein Bau, nicht für den Institute der Fertigungstechnik. Der bisher schnellen ersten Blick, nicht spektakulär, dafür letzte „markante Bau“ ist die neue Informatik. einfach, klar und solide, von den Nutzern mit Hier ist man gegenüber früheren Instituts- großer Zustimmung angenommen. Ein Bau, der bauten neue Wege gegangen und hat einen vielleicht seine architektonischen Qualitäten großen Komplex geschaffen mit „innen liegen- aus längeren Zeitabschnitten beziehen kann. den Außenräumen“; das Atrium als Studio! Man braucht nicht vors Haus zu gehen, sondern kann im Haus an die frische Luft. Mit dem HYSOLAR-Forschungsinstitut des Architekturbüros Behnisch & Partner erreichte der Dekonstruktivismus auch Wenn sich schon keine Urbanität erzwingen Stuttgart. lässt dort oben, ist doch das Bemühen allent- Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:24 Uhr Seite 31

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Beschreibung – ein Stadtteil im und am Wald. Kilometerweit erstrecke er sich nach Westen, Norden, Osten. Und von der Mensa sei man nach wenigen Schritten im Naturschutzgebiet eines weiten Wiesentales.

Urform des Zeltdachs Wo sich schon keine Urbanität erzwingen lässt, soll der Campus wenigstens den Charakter ei- Die Bauten der Universität der Bauten Die ner gepflegten Anlage erhalten. Und wenn schon nicht „buntes Menschenleben“, dann, so Schmiedeks Credo, wenigstens ein ansehn- licher Architekturcampus. Da hat Vaihingen, Von den Nutzern zustimmend angenommen: das Kunst im Bau: Innensicht auf eine virtuelle Briefkas- wie dargelegt, jetzt schon viel zu bieten – vor Forschungszentrum für Bioverfahrenstechnik auf dem tenanlage mit Postkartenansichten des Elektrotechni- allem auch noch den Zeltbau Frei Ottos, be- Vaihinger Campus. Die Architekten waren bestrebt, schen Instituts. kannt geworden unter dem Namen „Institut für die sichtbare Baumasse möglichst gering zu halten. Leichte Flächentragwerke“, ein mit schwarzem Eternit gedecktes Zeltdach, das einen von halben spürbar, dem Campus den Charakter „Internationale Zentrum“, das im Frühherbst Glaswänden im Erdgeschoss arrondierten Ar- einer gepflegten Anlage zu geben. Schmiedek 2003 Richtfest hatte. Nach einem Bericht der beitsbereich gewissermaßen behütet. 1967/68 gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, „Stuttgarter Zeitung“ vom 30. September 2003 entstanden als Zeichen eines langsam begin- „dass Architektur allein, und wäre sie noch so ist es als „zentraler Anlaufpunkt“ für die 5500 nenden architektonischen Umbruchs, demon- gut, keine Urbanität erzeugt, ist den Planern ausländischen Studenten gedacht. Universi- striert es die Konstruktions-Urform des Mün- des Universitätsbauamts aus immer wiederhol- tätsrektor Dieter Fritsch sieht es bereits als chener Olympiazeltdachs oder auch der Mann- ter Kritik gut bekannt. Aber eine Wissenschafts- Begegnungsstätte „für alle“. Wie gründlich heimer Multihalle. Dieses kleine Stück stadt, wie die Hochschule im Pfaffenwald, ist die gegenwärtige Generation Beton als einen „andere“ Architektur, mittlerweile ja eine etwas anderes als eine Universität im Gefüge auch optisch überwiegenden Werkstoff satt Stuttgarter Ikone, war lange Zeit Pilgerziel für alter Städte, wie Heidelberg und Tübingen.“ hat, ging bei diesem Richtfest aus den Worten alle, die einfach nicht glauben mochten, der Große Hoffnungen setzt man allerdings auf das des Architekten Key van Scholley hervor: Es rechte Winkel, scharfkantig in Beton ausge- werde „kaum Betonwände“ geben, stattdessen führt, sei zwangsläufig die Ultima Ratio der transparente Gestaltungen „mit Glas“. neuen Architektur. Als Versuchspavillon für die EXPO 1967 in Montreal Dennoch: Der Campus als „öde Betonwüste“? hat Frei Otto 1967/68 das Institut für leichte Flächen- Gegen derart blindwütige Verrisse zieht tragwerke entwickelt. Es diente unter anderem dem Schmiedek naturgemäß zu Felde: Der Name Münchner Olympiadach als Vorbild. Heute trägt es Von der Leichtigkeit der Bewegung: Nirgends auf dem den Namen Institut für Leichtbau, Entwerfen und Kon- „Pfaffenwald“ sei immer noch zutreffende Campus wird man freundlicher in Empfang genommen struieren (ILEK). als von den Gebäuden des Hochschulsports. Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.200416:24UhrSeite32

Norbert Becker Studien. Das Schulgebäude erste war ein Pro- gannen 57 Schüler in zwei Klassen mit ihren Die waren klein. Anfänge Im Jahr ersten be- unserer heutigen Universität Stuttgart. temberg zur Technischen Hochschule und zu im Südwesten gelegenen Königreichs Würt- Deutschlands und seines Industrialisierung und Gewerbeförderung der der staatlichen entwickelte sich im 19. im Zuge Jahrhundert 2004 zu Denn feiern. diese Gewerbeschule Bestehen der im Universität Stuttgart Jahr Gründungsjahr ist der Anlass, das 175-jährige schule“ in Dieses der Stuttgart Unterricht. gegründeten „Königlichen Real- und Gewerbe- Am 26. Oktober 1829 begann in der gerade Die Geschichte Die der Geschichte Universität Stuttgart „Solide Grundlage für die technische Bildung“ auch Industriearbeiter, 90 die Jahre fast spä- sie behielten letztlich Recht, waren es doch aller Munde war, für unnötig Aber erachteten. wie zur sie Industrie“, später in als Schlagwort den fürchteten und „Aufruhr“ eine „Erziehung dene Massenarmut und den aus ihr resultieren- die verbun- mit staats der Industrialisierung Agrar- Verfechter eines württembergischen ge Jahre zuvor die romantisch-konservativen Man mag darüber schmunzeln, dass noch weni- doch mit Bezug zur Praxis Über handwerkliche Kenntnisse hinaus, Königstraße.Stuttgarter in der Der frühere visorium: Offizierspavillon 1864. der Polytechnischen Schule des Neuen Hauptgebäudes Festzug um 1873. der Architekturabteilung Professoren und Studenten 10000 15000 20000 5000 zur Einweihung 1829/30 1850/51 1875/76 0 hieß es im Gründungsdokument. Mit diesem bezweige Bedacht genommen werden…“, Ausbildung vollständigere für einzelne Gewer- Allgemeinen, als auf die einseitige, wenn auch solide Grundlage für die technische Bildung im verlieren. „Es soll mehr ferner auf eine recht aus Ingenieuren dem und AugeFabrikanten zu schen Praxis und zu konkreten Aufgaben von ausgingen ohne jedoch den Bezug zur techni- über die Kenntnisse eines Handwerkers hin- Schülern Fähigkeiten zu entwickeln, die weit ten. Die Intention war,des Unterrichts bei den Fächern erlang- gen geisteswissenschaftlichen Architektur,senschaften, Handel und in eini- Fächern, Mechanik und Mathematik, Naturwis- ren, die eine Ausbildung in den technischen sondern Schüler im Alter von 13 und 14 Jah- Noch waren es keine jungen Erwachsenen, die Entwicklung von Technik und Gesellschaft. und Universität Stuttgart ihre Bedeutung für Blick zurück auf zu die werfen Geschichte der dies bis zum heutigen Tag. Grund genug, einen hatten inzwischen die WeltSie tun verändert. und Technikkung zwangen. Naturwissenschaft ter die Monarchen in Deutschland zur Abdan- Deutsche männlich Deutsche weiblich Ausländer weiblich Ausländer mnnlich Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:25 Uhr Seite 33

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Studieren in Stuttgart Die Geschichte der Universität Forschung und Lehre Menschen, Institutionen, Ziele

Anlässlich des 25-jährigen Gründungen ähnlicher technischer Bildungs- Regierungsjubiläums einrichtungen in Prag (1806), Wien (1815), König Wilhelms I. von Württem- berg nahmen 1841 Lehrer und (1821), Karlsruhe (1825), München Schüler der Polytechnischen (1827) und Dresden (1828) der Stuttgarter Ge- Schule am legendären Festzug werbeschule voraus. Es folgten im deutsch- teil. sprachigen Raum Hannover (1831), Braun- schweig (1835), (1836) und erst spät, als sich die Gewerbeschulen zu universi- tätsähnlichen technischen Hochschulen wan- delten, die nahe gelegene ETH Zürich (1855) und die deutschen technischen Hochschulen in Stuttgart Universität Geschichteder Die (1870), Danzig (1904) und Breslau (1910). In England und den USA erfolgte die Anspruch war der Weg zu einer wissenschaft- Gründungswelle technischer Hochschulen zur lichen Ausbildungsstätte vorgezeigt. Als Hoch- selben Zeit, als sich die Gewerbeschulen in schule wird sie die Verbindung von Forschung Deutschland zu Hochschulen entwickelten und Lehre zu ihrem Prinzip machen. (z.B. MIT 1861). Hier dominierten das Berufs- bild aber weiterhin Ingenieure, die in der Pra- Leitbild École Polytechnique Der Hochschulbesuch xis ihre Kenntnisse erworben hatten. hängt von vielen Faktoren Der Beginn der höheren technischen Ausbil- ab: Stärke der Geburten- Wie Gewerbe und Industrie voranschritten, so dung in Stuttgart steht im Kontext zu zahlrei- jahrgänge, wirtschaftliche stand auch die Stuttgarter Schule in den chen ähnlichen Gründungen in den Nach- Konjunktur bzw. Arbeits- nächsten Jahrzehnten nicht still: Zahlreiche marktlage, politische Er- barländern. Nach der École Polytechnique in Reformen und Reformvorschläge zielten darauf eignisse, Reputation der Paris, die, 1794 eröffnet, weithin als Leitbild Hochschule oder gesell- ab, die Ausbildung auf einzelne Berufszweige der Technischen Hochschulen galt, gingen die schaftliche Entwicklungen zu spezialisieren, das Niveau und die Dauer des wie z. B. der Bildungsboom seit der Mitte der Sechzi- gerjahre des 20. Jahrhun- derts.

1900/1901 1925/26 1950/51 1975/76 2003/04 Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:25 Uhr Seite 34

„Solide Grundlage für die technische Bildung“

In der praxisorientierten Lehre fanden auch Schü- lerarbeiten Verwendung. Diese Konstruktionszeich- nung zeigt die Eisenbahn- brücke über die Aare bei Olten, eine der ersten Bo- genbrücken aus Schmiede- eisen. Ihr Erbauer, der Ei- senbahnpionier Karl Etzel (1812 bis 1865) war Absol- vent der Stuttgarter Ge- werbeschule.

Unterrichts sowie das Eintrittsalter der Schüler Ausbildung zu lehren, hat seinen Ursprung in zu heben. Auch die Schüler selbst hatten Teil der französischen Ingenieurausbildung. Im an der Fortentwicklung der Schule, indem sie Maschinenbau orientierte man sich an der im Revolutionsjahr 1848 eine Reform verlang- Schule des Karlsruher Professors Ferdinand ten, die durch Privatdozenturen und weitere Redtenbacher, die bis zur Berufung Carl von Der Chemiker Carl Hell (1849 bis 1926) bei einer Spezialisierung des Unterrichts die Schule zu Bachs maßgebliches Vorbild für die Lehre Vorlesung im Chemischen einer universitätsähnlichen Einrichtung auf- blieb. Laboratorium in der Schel- werten sollte, Forderungen, die die zukünf- lingstraße um 1901. tige Entwicklung hin zur Technischen Hoch- schule vorwegnahmen. Es mag überraschen, ist aber in der frühen Phase fast aller techni- schen Hochschulen häufig, dass die wenigsten Absolventen in den neuen Industriezweigen tätig wurden. Erst mit den Fächern Chemische Technologie und Maschinenbau wurden Aus- bildungsmöglichkeiten geschaffen, die vor- nehmlich für die Tätigkeitsfelder in den neuen Industrien qualifizierten.

Leitwissenschaft Mathematik In dieser Anfangsphase machte sich im Un- terricht der Einfluss der französischen Inge- nieurausbildung bemerkbar. Sie hatte die Ma- thematik als Leitwissenschaft und Exkursionen als Gegengewicht der Praxis etabliert. Auch der in Stuttgart verfolgte Gedanke, Infinitesimal- rechnung und darstellende oder deskriptive Geometrie als Grundlage jeder technischen Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:25 Uhr Seite 35

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Auf dem Weg zur Hochschule

In den 1860er Jahren begann eine Blütezeit waltung und zwar einen vom Lehrerkollegium kontinuierlich an und betrug 1879 fast 45 Pro- mit deutlichem Ausbau der Schule. Sie wurde (Senat) jährlich gewählten Vorstand (Rektor) zent, wobei 21 Prozent der Studierenden aus 1876 als „technische Hochschule“ definiert und Fachschulen (Fakultäten) mit jeweiligem dem übrigen Deutschland und 24 Prozent aus und demonstrierte diesen Status auch nach Vorstand (Dekan). Ab 1870 wurden Diplom- Europa und Übersee kamen. Im gleichen Zeit- außen für jedermann sichtbar in der neuen Be- prüfungen eingeführt, die vor allem in Fächern raum entwickelten sich auch eindeutige beruf- zeichnung „Polytechnikum“. Die württember- wie Chemie oder Maschinenbau, für die es liche Möglichkeiten für die Absolventen: Viele gische Regierung hielt gegen verschiedene keine Staatsprüfungen gab, nun den Studie- Studenten, die sich seit der Mitte der 1850er Widerstände an der wissenschaftlichen Aus- renden eine Abschlussprüfung ermöglichten. Jahre eingeschrieben hatten, sahen sich zum richtung des Unterrichts fest und finanzierte, Schon seit der Mitte der 1850er Jahre verdrei- fünfzigjährigen Jubiläum 1879 als „Fabrikan- die Förderung der Industrialisierung im Blick, fachte sich die Zahl der Studenten von ca. 150 ten“, Direktoren oder Besitzer von Industrie- neue Lehrstühle, Lehrmittel und neue Gebäu- auf 477 im Wintersemester 1877/78. unternehmen bei den Festlichkeiten wieder. Stuttgart Universität Geschichteder Die de. Zwischen 1862 und 1876 stieg die Zahl der Nach Reformen im württembergischen Schul- „Hauptlehrer“, wie die Professoren damals Erste Internationalisierung system konnten nun auch die mathematischen noch bezeichnet wurden, von elf auf 25. Im der Studentenschaft Vorbildungsklassen abgeschafft werden, so- Jahr 1864 wurde das neue Hochschulgebäude Der Wandel zur Hochschule wird auch in der dass seit 1876 alle Studenten als Erwachsene im selbstbewussten Stil der italienischen Re- neuen, internationalen Zusammensetzung der im Alter von frühestens 18 Jahren immatriku- naissance in der Alleenstraße (an der Stelle Studentenschaft deutlich: Kamen in der Mitte liert wurden. Das Studium dauerte nun in der des heutigen Kollegiengebäudes 1) einge- der 1850er Jahre fast 90 Prozent der Schüler Regel drei bis dreieinhalb Jahre. weiht. Es setzte den jahrzehntelangen räum- aus Württemberg, wo sie meist auch ihren spä- lichen Provisorien ein Ende und erhielt 1879 teren Wirkungskreis fanden, so stieg der Anteil Um die Wende zum 20. Jahrhundert durch einen Flügelanbau am Stadtgarten eine der „Ausländer“ aus den Gebieten des späteren dokumentieren Ingenieurlaborato- Erweiterung. Die Schule wurde 1862 wie eine Deutschen Reichs, aus Europa und Übersee nun rium und Materialprüfungsanstalt Universität dem Kultministerium unmittelbar die Entwicklung der Ingenieurwis- unterstellt, erhielt wie diese eine Selbstver- senschaft zur Erfahrungswissen- schaft, die nach amerikanischem Vorbild das Experiment zur Grund- lage von Erkenntnisgewinn und Lehre wählte. Beide Einrichtungen erlaubten nun außerdem eine ver- stärkte Zusammenarbeit mit Indus- trieunternehmen.

Ingenieurlaboratorium im Jahr 1900 Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:25 Uhr Seite 36

„Solide Grundlage für die technische Bildung“

Studenten im Material- den als problematisch angesehen. Nun streb- prüfraum 1897 ten mehr als doppelt so viele Studierende an Die Verleihung des Promo- die Hochschule wie in den besten Semestern tionsrechts im Jahr 1900 trägt dem wachsenden während des Kaiserreichs (969 im Winterse- Selbstbewusstsein der In- mester 1903/04). genieure Rechnung. Jetzt Im Wintersemester 1921/22 wurde mit 2093 durfte auch der Titel Diplom-Ingenieur verlie- Studierenden zum ersten Mal die Zweitausen- hen werden. dermarke überschritten. Der Mathematikpro- fessor Wilhelm Kutta schrieb 1919 an einen Kollegen: „Uns bleibt vorläufig nichts, als so zu denken und zu handeln, als ob es aufwärts gehen solle und müsse. Der äußerst starke Be- trieb und der Eifer der Studenten hilft einem über unerfreuliches Nachdenken fort.“ In den ersten Nachkriegsjahren waren die wichtigsten Aufgaben die Behebung der so- zialen Not der Studierenden und die Sicherung Carl Bachs richtungweisende Methode Der Erste Weltkrieg und die Folgen einer ausreichenden Finanzierung der For- Im Zuge der Entwicklung neuer Forschungs- Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Sommer schung. Zur Behebung der sozialen Not wurde und Lehrgebiete und der zunehmenden Spezi- 1914 leerten sich die Hörsäle schlagartig. Drei im Juni 1921 der Verein „Stuttgarter Studen- alisierung innerhalb der bestehenden Diszipli- Viertel der Studenten wurden zum Militärdienst tenhilfe e.V.“ gegründet, Vorläufer des heuti- nen entstanden nun neue Lehrstühle und In- eingezogen. Die tiefe Zäsur, die dieser Krieg gen Studentenwerks, das den Betrieb von Men- stitute, so für Kunstgeschichte 1865, Elektro- für die Gesellschaften Europas darstellt, er- sa, Krankenversicherung, Darlehensgewäh- technik 1883 oder Luftschifffahrt, Flugtechnik fasste auch die Technische Hochschule: Mehr und Kraftfahrzeuge 1911, die alle zu den ers- als ein Fünftel ihrer Studenten kam auf den ten ihrer Disziplin in Deutschland gehörten. Schlachtfeldern ums Leben. Der Wiederbeginn Mit Carl Bach (1847 bis 1931) wurde einer der in Studium und Forschung nach Kriegsende bedeutendsten Maschinenbauingenieure sei- war nur unter schweren Bedingungen zu meis- ner Zeit an die Hochschule berufen. Seine in- tern. genieurwissenschaftliche Methodik verbindet Nach dem Ersten Weltkrieg war die wirtschaft- Theorie und Versuch zur Lösung technischer liche Lage der Hochschule ungewiss, die Orien- Aufgaben. Sie wurde nun für die Ingenieur- tierung in einem nun demokratischen Staat wissenschaften in Deutschland richtungwei- wurde von vielen Professoren und Studieren- send und löste die Mathematik als Leitwissen- schaft ab. Unter gleichen Bedingungen wie männliche Personen

Promotionsrecht „Am 1. Dezember 1905 haben seine Königliche Majestät genehmigt, dass Einen auch in der Außenwirkung deutlichen reichsangehörige weibliche Personen unter den gleichen Bedingungen und in Abschluss erhielt die Entwicklung des Poly- der gleichen Weise wie männliche Personen an der Technischen Hochschule technikums durch die Verleihung des Namens als ordentliche Studierende aufgenommen werden“, so der Jahresbericht der „Technische Hochschule“ im Jahr 1890. Höhe- Technischen Hochschule Stuttgart für das Studienjahr 1905/06. punkt und vorläufiger Abschluss aller Bestre- Die ersten beiden Studentinnen immatrikulierten sich daraufhin im Winter- bungen der so genannten „Technikerbewe- semester 1905/06. Gertrud Sieglin (Bild) belegte Vorlesungen zu den neue- gung“ auf gesellschaftliche Gleichstellung und ren Sprachen, zu Literaturwissenschaft, Geschichte und Kunstgeschichte. Anerkennung der technischen Wissenschaf- Zwei ihrer Onkel waren Hochschulprofessoren, was den Plan eines eigenen ten als akademische Disziplinen und der Inge- Studiums nahe gelegt haben mag. Gertrud Fischer (geb. 1886) belegte nieure als Akademiker war jedoch die Verlei- naturwissenschaftliche Vorlesungen: Botanik, Zoologie, Physik, Chemie, hung des Promotionsrechts an die TH Stuttgart Mineralogie. Beide Frauen exmatrikulierten sich nach zwei Semestern. im Jahr 1900. Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:25 Uhr Seite 37

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rung sowie Wohnungs- und Arbeitsvermittlung denten“ zum Bekenntnis zur Demokratie, der übernahm. Die Vereinigung von Freunden der in den Worten mündete: „Deutsche Studenten! Technischen Hochschule Stuttgart (heute „Ver- Schließt euch an, kämpft mit uns für die Erhal- einigung von Freunden der Universität Stutt- tung der Republik…“, war weitgehend ohne gart“) wurde 1923 gegründet. Zur Unterstüt- Resonanz verhallt. Wie in fast allen deutschen zung von Lehre und Forschung traten vor allem Hochschulen war auch an der Technischen württembergische Industrielle bei, die eine Hochschule Stuttgart – noch vor der Macht- Stärkung der Hochschule als indirekte Inves- übernahme der Nationalsozialisten im Deut- tition in ihre zukünftigen Führungskräfte be- schen Reich – die studentische Vertretung in trachteten. Als ersten Vorsitzenden gewann die Hand von nationalsozialistischen Studie- man mit Robert Bosch (1861 bis 1942) eine renden gelangt. unabhängige und weit blickende Unterneh- Bei der Machtübernahme der Nationalsozialis- merpersönlichkeit. ten war die Professorenschaft der Technischen

Im Jahr 1921 erhielt die schon seit Jahrzehn- Hochschule keineswegs politisch homogen. Stuttgart Universität Geschichteder Die ten bestehende Vertretung der Studierenden Neben dem Großteil nationalkonservativer Studentenbude 1914. die staatliche Anerkennung als Teilinstitution Professoren und einem Mitglied sowie mehre- der Technischen Hochschule: Der „Allgemeine ren Sympathisanten der NSDAP gab es auch ei- Studentenausschuss“ (AStA) bildete die Ver- nige ausgesprochene Demokraten. Zu ihnen tretung der Studierenden nach außen und Studentenschaft. Die nationalsozialistischen zählte der Physiker Peter Paul Ewald (1888 bis innerhalb der TH in Studienfragen, nahm Auf- Studenten setzten in Württemberg durch, dass 1985), der Anfang 1933 von seinem Amt als gaben im Bereich der sozialen Fürsorge für bei den AStA-Wahlen nicht mehr Personen an- Rektor zurücktrat, weil er von den Plänen der Studierende wahr und sorgte für kulturelle Ver- traten, sondern seit 1932 Listenwahlen politi- neuen Machthaber erfahren hatte, die jüdi- anstaltungen. scher Gruppierungen durchgeführt wurden. schen Kollegen zu entlassen. Zahlreiche Pro- Ende 1932 erhielten völkische Studentengrup- fessoren, Assistenten und Dozenten wurden in Die Demokratie geht unter pen und der Nationalsozialistische Deutsche den nächsten Jahren aus rassistischen oder Neben demokratisch orientierten Studenten- Studentenbund (NSDStB) bei der AStA-Wahl in politischen Gründen entlassen. Zusammen mit gruppen entwickelte sich in den Zwanziger- Stuttgart zusammen 86 Prozent der Wähler- dem Ausschluss jüdischer oder politisch links jahren des 20. Jahrhunderts eine dominie- stimmen. Ein Aufruf der Stuttgarter Studen- eingestellter Studierender begann auch in rende nationalistische Grundstimmung in der tengruppe „Panstud – Republikanische Stu- Stuttgart ein unheilvoller Prozess, bei dem

Laboratorium für Röntgentechnik in der Seestraße 1929.

Mitglieder einer studenti- schen Verbindung um 1912 Der Wunsch der Techniker, den Absolventen einer Universität gleichgestellt zu werden, zeigt sich in den Gründungen der ers- ten Stuttgarter Burschen- schaften Stauffia (1847) und Teutonia (1852). In den Zwanzigerjahren war hier etwa jeder zweite Stu- dent korporiert. Als Gegen- bewegung organisierte sich die „Freistudenten- schaft“, in der Zwischen- kriegszeit zweitgrößte Gruppe im AstA. Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:25 Uhr Seite 38

„Solide Grundlage für die technische Bildung“

Der Physiker Prof. Erich Regener Anfang der Material- und testet Anfang der 30er Jahre mit Werkstoffwissenschaften Mitarbeitern und Studenten im Ein Gewinn entstand der Technischen Hoch- Hof des Physikalischen Instituts Ballons, die zur Messung der kos- schule durch die Neugründung des Kaiser-Wil- mischen Höhenstrahlung und zur helm-Instituts (heute Max-Planck-Institut) für Erforschung der Stratosphäre Metallforschung 1934 in Stuttgart. Durch Per- aufsteigen sollen. sonalunionen der dortigen Direktorenstellen Laboratorium für Betriebs- mit Professuren der Technischen Hochschule wissenschaft im Gebäude Keplerstraße 19 im Jahre 1929. und durch zahlreiche Lehraufträge der Insti- tutsmitarbeiter waren die Voraussetzungen für eine enge Zusammenarbeit mit der Hochschule und die Schaffung des Studiengangs „Metall- de und vom Ministerium ernannte Rektor, der kunde“ (heute: Werkstoffwissenschaft) im seinerseits die Dekane in ihre Ämter berief. Der Jahr 1935 geschaffen worden. In diesen Jah- kleine und der große Senat hatten keine Ent- ren entwickelten sich die Material- und Werk- scheidungskompetenzen mehr. Den gewählten stoffwissenschaften zu einem bis heute be- AStA-Vorsitzenden ersetzte nun ein vom deutenden Schwerpunkt von Forschung und Reichsstudentenführer ernannter örtlicher Lehre der Universität Stuttgart. Studentenführer. Außer von den Rektoren und von manchem Studentenführer gingen Un- rechtsakte auch vom neuen Amt des Dozenten- führers aus. Dieser bestimmte über die wissen- schaftlichen Karrieren der Assistenten und Privatdozenten. In Stuttgart wurden so nicht wenige wissenschaftliche Karrieren aufgrund des mangelnden nationalsozialistischen Enga- gements von Dozenten durch Einspruch des Dozentenführers beendet. Burschenschaften und Verbindungen wurden im Dezember 1935 aufgelöst, zuvor war die Betätigung aller ande- ren Studentischen Gruppen außer dem NSDStB unmöglich geworden. Die Pflicht zu länge- ren Arbeitseinsätzen sollte den Sinn der Studierenden für die nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ stärken. Einen Höhe- durch die Vertreibung und Ermordung von punkt der Drangsalierungen bildete die Initia- Fachgelehrten auf vielen, gerade auch techni- tive einer nationalsozialistischen Studenten- schen Gebieten die deutsche Wissenschaft ihre gruppe, die, noch bevor die jüdischen Studie- Spitzenposition mit Nachwirkungen bis zum renden am 11. November 1938 grundsätzlich heutigen Tag einbüßte. vom Studium in Deutschland ausgeschlossen wurden, in einer pogromartigen Aktion ihre Zerstörte Karrieren jüdischen Kommilitonen von der Technischen zum Schaden der Wissenschaft Hochschule vertrieb. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurden auch die akademischen und demokra- tischen Strukturen der Hochschule aufgeho- ben: Anstelle des vom Kollegium gewählten Rektors trat schon im November 1933 der sich nunmehr als Führer der Hochschule verstehen- Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:26 Uhr Seite 39

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Zerstörung und Neubeginn

Nachdem bereits in den Dreißigerjahren vor al- in einem Bericht an die amerikanische Militär- lem wegen der Wirtschaftskrise und der aus ihr regierung: „Die materiellen Schwierigkeiten, resultierenden Akademikerarbeitslosigkeit so- welche die Studenten zu meistern haben, um wie wegen der geburtenschwachen Abiturien- ihr Studium überhaupt zu ermöglichen, treffen tenjahrgänge die Studierendenzahlen rückläu- auch mehr oder weniger auf die Dozenten zu. fig waren, sanken die Zahlen während des Eine überbelegte Wohnung, eine durch Bom- Zweiten Weltkriegs weiter, und zwar im Winter- ben vernichtete wissenschaftliche Bücherei, semester 1943/44 auf 335. Ende Juli 1944 eine Ernährung, deren spürbarste Wirkung in stand die Hochschule vor einer weiteren Zäsur einer merklichen Schwäche des Erinnerungs- ihrer Geschichte: Das Hauptgebäude wurde bei vermögens besteht, ein behelfsmäßiges Labo- Bombenangriffen fast vollständig zerstört. ratorium, – alle diese Tatsachen sind für eine Stuttgart Universität Geschichteder Die Um 1944 verlagert eine Gruppe ukrainischer Zwangs- Zahlreiche Institute und die wenigen noch erfolgreiche Forschungsarbeit wenig förder- arbeiter die Bibliothek der Materialprüfungsanstalt. stattfindenden Lehrveranstaltungen wurden lich.“ Während des Zweiten Weltkriegs arbeiteten nach heu- aus Stuttgart auf verschiedene Orte in der Um- Nach dem Zweiten Weltkrieg verdoppelte sich tigem Wissensstand ca. 70 Zwangsarbeiter an der Tech- nischen Hochschule. gebung verteilt. Mit Kriegsende kamen For- wieder einmal die Zahl der Studierenden im schungsprojekte und Lehrbetrieb vollends zum Vergleich zur höchsten Zahl der Vorkriegszeit. Erliegen. Im Sommersemester 1947 waren bereits 4132 Bereits zum Rüstungsprogramm der national- Der Neubeginn von Forschung und Lehre nach Studierende immatrikuliert. sozialistischen Reichsregierung gehörte der dem Zweiten Weltkrieg fiel schwer. Mehr als Rektor Grammel bemühte sich, die durch die Ausbau des Kraftfahrzeug- und Motoren- 75 Prozent der Institutsgebäude waren zer- Nationalsozialisten aus dem Amt gedrängten wesens und der Luftfahrttechnik. Fast alle stört, fast alle Lehrsammlungen, Labore sowie Professorenkollegen wieder für die Arbeit an Institute arbeiteten an rüstungstechnischen 42 Prozent der Bibliotheksbestände vernich- der Technischen Hochschule zu gewinnen. Zu- Projekten. Die Stuttgarter Architekten und tet. Trotzdem gelang es, am 12. Februar 1946 gleich förderte er aber auch die Rückkehr der Bauingenieure hatten schon vor dem Zweiten den Lehrbetrieb wieder aufzunehmen. Die Not wegen ihres Engagements für den Nationalso- Weltkrieg maßgeblichen Anteil am Bau der der ersten Nachkriegsjahre schildert 1947 Rek- zialismus belasteten Kollegen, sodass – wie an Reichsautobahn in Südwestdeutschland. tor Richard Grammel (1889 bis 1964), Profes- fast allen deutschen Hochschulen – eine wirk- sor für Technische Mechanik und Wärmelehre, liche Auseinandersetzung und ein deutlicher

Das Gebäude Keplerstraße 10 wurde im Zweiten Weltkrieg kaum zerstört. Hier mussten ab 1945 fast alle Institute der Technischen Hochschule unterkommen.

Bulgarische Studenten reparieren das Dach des Gebäudes Keplerstraße 10 um 1944. Bulgarische Stu- dierende und Offiziere der Ingenieur-Offizier-Akade- mie, die von der Wehr- macht zum Studium freige- stellt waren, rechtfertig- ten die Aufrechterhaltung des Studienbetriebs am Ende des Zweiten Welt- kriegs. Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:26 Uhr Seite 40

„Solide Grundlage für die technische Bildung“

personeller Bruch mit der nationalsozialisti- pus, an dem heute zwei Drittel aller Institute schen Vergangenheit auch an der TH Stuttgart angesiedelt sind. Hier wurden zahlreiche mo- nicht stattfand. Ein personeller und inhalt- derne Institutsbauten errichtet, zuletzt das licher Neubeginn vollzog sich am deutlichsten Zentrum für Bioverfahrenstechnik (1993), die in der Architekturabteilung, wo man an die Tra- Elektrotechnischen Institute II (1998), das ditionen des Neuen Bauens und die aktuelle Gastdozentenhaus (1998), die Fertigungstech- Moderne wieder anknüpfte, sowie in der Physik nischen Institute (2000) und das Informatik- und in den Geisteswissenschaften, wo sich mit gebäude (2003). den Philosophen und Literaturwissenschaft- lern Max Bense (1910 bis 1990), Fritz Martini Ausbau zur Universität (1909 bis 1991) und Käte Hamburger (1896 bis Als in der Mitte der Sechzigerjahre das Bil- 1992) ein Kreis bedeutender Gelehrter der dungswesen in der Bundesrepublik Deutsch- Studienanwärterinnen bei Aufbauarbeiten Nachkriegszeit bildete. land stark ausgebaut wurde, erhielten nicht In den ersten Nachkriegsjahren musste vor der Imma- nur die technischen Disziplinen an der TH trikulation zwei bis sechs Monate Wiederaufbauarbeit Der zweite Campus entsteht Stuttgart neue Institute und Professuren. Auch geleistet werden. Anfang der Fünfzigerjahre waren die materiel- die Geistes-, Natur-, Sozial- und Wirtschafts- len Schwierigkeiten überwunden. Durch groß- wissenschaften sowie die Informatik (seit zügige Spenden des Deutsch-Amerikaners 1969) erfuhren einen deutlichen Aufschwung. Max Kade (1882 bis 1967) konnten die Neubau- Sie prägen zusammen mit der Architekturlehre ten eines Studentenwohnheims, einer Mensa und den technischen Disziplinen seither u. a. und der Bibliothek in Angriff genommen wer- auch mit technisch orientierten Studiengän- den. Um den Stuttgarter Stadtgarten und am gen das Profil der seit 1967 in Universität Stutt- Standort Azenberg- und Seestraße wurden für gart umbenannten Hochschule. Zugleich voll- verschiedene Institute Neubauten errichtet, zog sich ein deutlicher Ausbau und Wandel der darunter die Kollegiengebäude 1 und 2, Ma- Universität in ihrer Organisation, in Forschung nifestationen einer erneuerten Stuttgarter - und Lehre. Erneut erhöhte sich der Zustrom Architekturlehre. Im Pfaffenwald in Stuttgart- von Studierenden. Im Wintersemester 1973/74 Vaihingen entstand seit 1957 ein zweiter Cam- wurde zum ersten Mal die Zahl von 10000, im Chemievorlesung 1947. Wintersemester 1988/89 die Zahl von 20000 Studierenden erreicht. Im Jahr 1969 verab- schiedete der Senat eine neue Grundordnung,

Die Aufnahme aus dem Jahr 1947 zeigt das 1944 fast vollständig nieder- gebrannte Hauptgebäude und im Hintergrund das weniger beschädigte Haus Keplerstraße 10. Umbruch_UNI_008_155.qxd 14.5.2004 16:26 Uhr Seite 41

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die allen Universitätsangehörigen – Studieren- de, wissenschaftlicher Mittelbau, Mitarbeiter in Verwaltungs- und technischen Aufgaben, Professoren – in der so genannten „Gruppen- universität“ Mitsprache in den Entscheidungs- gremien zuerkennt. Als langfristiges Ergebnis der Auseinandersetzungen kann eine zuneh- mende Demokratisierung der Hochschule festgehalten werden, wodurch ihre internen Formen der Entscheidungsfindung mit der gleichzeitigen gesellschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland Schritt hielten und für die nunmehr entstehende „Massenuniversität“ angemessene Organisa- Stuttgart Universität Geschichteder Die tionsformen bereitstehen.

Die Forschung wird interdisziplinär Im selben Zeitraum wandelten sich Form und Organisation der Wissenschaft hin zu größeren Forschungsgruppen, zu Spezialisierung und Der Campus in Stuttgart-Vaihingen. Verstärkung der internationalen und inter- disziplinären Zusammenarbeit. Mit der Über- den Sechzigerjahren begünstigt, wo sich Insti- noch ca. 2000 bei ca. 6000 Studierenden, so windung der wissenschaftlichen Isolation tute der Max-Planck-Gesellschaft, der Fraunho- sind es heute mehr als 4800 bei über 20000 Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg fer-Gesellschaft und des Deutschen Zentrums Studierenden (Wintersemester 2003/04). stieg die Zahl der Partneruniversitäten auf für Luft- und Raumfahrt in enger Nachbar- Was 1829 mit zwei Lehrern und 57 Schülern als derzeit ca. 160 Universitäten in Europa und schaft der Universitätsinstitute angesiedelt Gewerbeschule begann, ist heute, 175 Jahre ca. 140 außereuropäische Hochschulen. Die haben und vielfache Kooperationen mit ihnen später, zu einer Großuniversität mit zahlrei- zunehmende Interdisziplinarität dokumen- eingegangen sind. Die Finanzierung der Uni- chen Forschungsverbünden, innovativen Stu- tiert sich nicht nur durch die Einrichtung zahl- versität durch das Land Baden-Württemberg diengängen und interdisziplinären Forscher- reicher Sonderforschungsbereiche der Deut- wird in wachsendendem Umfang durch Dritt- gruppen mit internationalen wissenschaft- schen Forschungsgemeinschaft, sondern mittel für Forschungsaufträge aus Wirtschaft lichen Kontakten, stets vorderen Plätzen in wurde auch durch die Entstehung des Wissen- und öffentlicher Forschungsförderung er- Hochschul-Rankings und Ausstrahlung in alle schaftsstandorts in Stuttgart-Vaihingen seit gänzt. Betrug die Zahl der Mitarbeiter um 1960 Welt geworden.

Studierende 1973. Februar 1968: Protest ge- gen die Hochschulgesetz- gebung. Die Jugendunru- hen am Ende der Sechzi- gerjahre, vor allem durch wachsendes Unbehagen der jungen Generation an den gesellschaftlichen Verhältnissen der Nach- kriegszeit gespeist, führ- ten auch an der TH Stutt- gart zu Spannungen zwi- schen Studierenden, akademischem Mittelbau und Professorenschaft.