Problemstellung

Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut - Aktuell für Internationale Politik und Sicherheit SWP

Thailand nach den Wahlen Suche nach Einheit in einem zerrissenen Land Markus Karbaum / Gerhard Will

Die jüngsten Parlamentswahlen in erbrachten einen klaren Sieg der Partei des früheren Ministerpräsidenten , der 2006 durch einen Militär- putsch aus seinem Amt vertrieben worden war. Trotz der eindeutigen Mehrheits- verhältnisse sieht sich , die neue Ministerpräsidentin und jüngste Schwester Thaksins, mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert. Sie muss den von ihr proklamierten nationalen Versöhnungsprozess in die Tat umsetzen, das angespann- te Verhältnis zu den ASEAN-Partnern bereinigen und nicht zuletzt das Image Thailands als lohnender Investitionsstandort mit den Forderungen nach größerer sozialer Ge- rechtigkeit in Einklang bringen.

Thailand galt lange Zeit als Musterbeispiel haus stützte, wurden daher mehr und für erfolgreiches Wirtschaftswachstum und mehr mit außerparlamentarischen Mitteln politische Transformation. Doch im ver- ausgetragen, zum Beispiel durch die Be- gangenen Jahrzehnt wurden sehr deutlich setzung des Regierungssitzes, des inter- Defizite erkennbar. Eine einseitig auf den nationalen Flughafens der Hauptstadt und Großraum Bangkok fokussierte Wirtschafts- im Frühsommer 2010 schließlich durch entwicklung löste immer heftigere Ver- die Blockade der Bangkoker Innenstadt. teilungskonflikte aus. Da das politische Thaksins Gegenspieler Abhisit Vejjajiva, System vor allem darum bemüht war, die Vorsitzender der Demokratischen Partei, Interessen der verschiedenen Elitegruppen der im Dezember 2008 mit massiver Unter- auszugleichen, aber den ärmeren Bevölke- stützung des alten Establishments eine rungsschichten kaum Mitspracherechte Mehrheit im Parlament und damit auch einräumte, war es letztlich nicht in der das Amt des Ministerpräsidenten errin- Lage, diese Konflikte gewaltfrei beizulegen. gen konnte, hat während seiner Amtszeit Die Auseinandersetzungen zwischen wiederholt den Versuch unternommen, Thaksin Shinawatra, der mit Hilfe einer Brücken zur gegnerischen Seite zu schlagen populistischen Politik die Mehrheit der und Kompromisslösungen auszuloten. Für Wähler hinter sich brachte, und dem alten diese Politik erhielt er auch wachsende Establishment, das seine Macht auf das Zustimmung. Militär, die Administration und das Königs-

Dr. Markus Karbaum arbeitet als Politikberater mit Schwerpunkt Südostasien SWP-Aktuell 45 Dr. Gerhard Will ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Asien September 2011

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Wahlergebnisse und Sitzverteilung des am 3. Juli 2011 gewählten thailändischen Parlaments

Parteien Stimmenanteil in Mandate Prozent (Listenwahl) Wahlkreise Listenwahl Gesamt 48,4 204 61 265 Demokratische Partei 35,2 115 44 159 Bhumjai Thai 3,9 29 5 34 Chart Thai Pattana 2,8 15 4 19 Phalong Chon 1,5 6 1 7 Chart Patana Puea Pandin 0,6 5 2 7 Rak Thailand 3,1 0 4 4 Matubhum 0,8 1 1 2 Rak Santi 0,9 0 1 1 Mahachon 0,4 0 1 1 New Democratic 0,4 0 1 1 Sonstige Parteien 2,1 0 0 0 Summe 100,0 375 125 500

Im Vertrauen darauf löste Abhisit am 159 Mandate und müssen die Regierung 9. Mai 2011 das Parlament auf und setzte nach gut zweieinhalb Jahren wieder ab- für den 3. Juli Neuwahlen an. Seine Her- geben. Die Wahlbeteiligung lag mit fast ausforderin, die 44-jährige Yingluck 85 Prozent deutlich über der vorangegan- Shinawatra, jüngste Schwester des 2006 gener Urnengänge. vom Militär gestürzten Regierungschefs Obwohl die PTP die absolute Mehrheit Thaksin, hatte bis dato keinerlei politische der Mandate erlangte, ging sie für die aktu- Ämter inne. Dank des Einflusses ihres elle Legislaturperiode eine Koalition mit Bruders wurde sie wenige Monate vor den etlichen kleineren Parteien ein, so dass die Wahlen zur Spitzenkandidatin der Pheu- Regierung über eine Parlamentsmehrheit Thai-Partei (PTP, dt.: Partei für die Thais) von 299 der insgesamt 500 Abgeordneten gekürt, der neuen Partei der Thaksin- verfügt. Am 8. August wurde Yingluck von Anhänger. Thaksin, der die Geschicke der König Bhumipol Adulyadej (Rama IX.) zur Partei von Dubai aus führt, machte keinen ersten Regierungschefin Thailands ernannt, Hehl daraus, dass er in seiner Schwester nachdem das Parlament sie drei Tage zuvor eine willfährige Vollstreckerin seines poli- mit 296 Stimmen in das Amt des Premiers tischen Willens sah, und umgekehrt stellte gewählt hatte. Yingluck Shinawatra ihren Wahlkampf Überraschend schnell war es Yingluck gänzlich auf die Politik ihres Bruders ab. gelungen, sich im Wahlkampf zu behaup- ten und ihre politische Unerfahrenheit mit ihrem charismatischen und attraktiven Wahlsieg der Pheu-Thai-Partei Erscheinungsbild zu kaschieren. Ihre Wahl- Offensichtlich haben Abhisit wie auch viele aussagen knüpften an die populistischen internationale Beobachter die politisch Versprechungen ihres Bruders an, der mit bislang unerfahrene Yingluck völlig unter- seiner Sozial- und Wirtschaftspolitik stets schätzt. Mit frischem Elan errang ihre PTP große Unterstützung bei der ärmeren Land- rund die Hälfte der abgegebenen gültigen bevölkerung im Norden und Nordosten Stimmen und stellt zukünftig 265 Abgeord- Thailands erfahren hatte. Dieser regionen- nete. Die Demokratische Partei und ihr spezifische Rückhalt spiegelte sich auch Spitzenkandidat Abhisit kamen nur auf deutlich im jüngsten Wahlergebnis wider.

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Darüber hinaus stellte Yingluck vor allem in den eigenen Reihen nicht weiteren Belas- das Thema »Nationale Aussöhnung« in tungstests ausgesetzt werden sollten. den Vordergrund. Offensichtlich konnte sie dieses Anliegen glaubwürdiger vertreten als ihr Kontrahent Abhisit, der gerade zum Das neue Kabinett Ende seines Wahlkampfs immer stärker Erst nach ihrer offiziellen Amtseinführung auf Konfrontation mit der »Thaksin-Partei« gab Yingluck die mit großer Spannung setzte. erwartete personelle Besetzung ihres Kabi- Der Wahlkampf verlief bis auf einige netts bekannt. Es setzt sich nicht nur aus Ausnahmen weitgehend friedlich. Dies ist engen Vertrauten Thaksins (neuer Außen- bemerkenswert, hatten doch in den letzten minister ist beispielsweise Surapong Jahren die gewaltsamen Auseinanderset- Towijakchaikul, ein Cousin Thaksins und zungen zwischen den Anhängern und den Yinglucks) zusammen, sondern überrascht Gegnern Thaksins eher das Gegenteil be- auch mit einigen Quereinsteigern. Zu Letz- fürchten lassen. Aber die erheblich gesun- teren gehören vor allem die Ökonomen kene Popularität der extrem nationalis- Thirachai Phuvanatnaranubala, der zum tischen People’s Alliance for Democracy Finanzminister ernannt wurde, und Kit- (PAD, besser bekannt als »Gelbhemden«), tiratt Na Ranong, der neue Handelsminis- die offen die Legitimität demokratischer ter. Weitere Spitzenpositionen bekleiden Wahlen in Frage stellte, kann als ein Beleg der offizielle PTP-Vorsitzende Yongyuth dafür genommen werden, dass die radi- Wichaidit als Innenminister und Ex-Gene- kalen Gruppen in Thailand insgesamt an ral Yuthasak Sasiprapha als Verteidigungs- Zulauf verlieren und die Mitte größeres minister. Beide sind wegen ihrer Professio- politisches Gewicht erhält. nalität hochgeachtet und dürften vor allem Führende Generäle, allen voran der Ober- wegen ihres mäßigenden Auftretens in befehlshaber des Heeres Prayuth Chanocha, diese für den innenpolitischen Versöh- hatten vor dem Urnengang deutlich Stel- nungsprozess extrem sensiblen Ressorts lung bezogen und ziemlich unverblümt zur berufen worden sein. Als weiteres Schwer- Wahl von Abhisits Demokratischer Partei gewicht im Kabinett Yingluck gilt Chalerm aufgerufen. Doch die Ergebnisse jener Wahl- Yoobamrung. Der enge Vertraute Thaksins kreise, in denen sehr viele Militärangehö- ist einer von fünf stellvertretenden Premier- rige wohnen, bezeugen, dass solche Wahl- ministern. Nach dessen Sturz diente er empfehlungen nicht mehr den intendier- den beiden Nachfolgern an der Regierungs- ten Erfolg haben. Denn die monolithische spitze als Gesundheits- und Innenminister. Geschlossenheit, die das thailändische Neben Yingluck und dem parteilosen Um- Militär zu vermitteln versucht, entspricht weltminister gehören der Regierung 30 mehr dessen Ideologie als der Realität. weitere PTP-Politiker an, vier Posten gingen Nicht nur bei den gewöhnlichen Soldaten, an die kleineren Koalitionsparteien. sondern auch im Offizierskorps und sogar Funktionäre der United Front for De- innerhalb der Generalität gibt es nicht mocracy against Dictatorship (UDD, besser wenige, die mit der PTP sympathisieren bekannt als »Rothemden«), die im Früh- und sich von deren Regierung Vorteile für sommer 2010 die Besetzung des Bangkoker ihre Karriere versprechen. In Thailand Geschäftsviertels organisiert hatten, sind spricht man von den »Wassermelonen«, die jedoch nicht in das Kabinett berufen wor- unauffällig Grün tragen, aber innerlich rot den, was als ein Entgegenkommen gegen- sind, das heißt Thaksin und seinen Parteien über der Opposition, dem Militär und auch nahestehen. Die sofortige Anerkennung des dem Königspalast gewertet werden kann. Wahlergebnisses durch führende Militärs Die mangelnde Einbindung der UDD in die dürfte daher auch der Einsicht geschuldet Kabinettsdisziplin könnte sich mittelfristig sein, dass die unsicheren Kräfteverhältnisse indes als Belastung für die neue Regierung

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erweisen. Denn Thailands innere Zerrissen- Thailands Zerrüttung heit hat ja eine lange Vorgeschichte und Thaksins rigoroses Vorgehen rief eine sehr geht über den Konflikt zwischen Thaksin heterogene Opposition auf den Plan. Das einerseits und dem Militär, dem Königs- Königshaus, die traditionellen Eliten in haus und dem Bangkoker Establishment Armee und Administration, aber auch die andererseits hinaus. städtischen Mittelschichten, die Speer- spitzen der demokratischen Bewegung in den neunziger Jahren, und nicht zuletzt Thaksins Konfrontationskurs Thaksins wirtschaftliche Konkurrenten Der ehemalige Polizeioffizier und spätere sahen in dem Premier einen Gegner, der sie Großunternehmer Thaksin hat das Amt des alle gleichermaßen bedrohte. Ihnen gegen- Ministerpräsidenten erstmals im Jahr 2001 über stand die Koalition Thaksins, die sich übernommen. Bei den Wahlen 2005 konnte zum Anwalt des kleinen Mannes erklärte, er – ein Novum in der Geschichte Thailands aber gleichzeitig die Interessen eines groß- – dieses Amt nicht nur erfolgreich vertei- industriellen Komplexes bediente und aus digen, sondern im Parlament eine Zwei- dieser Nähe hohe Renditen bezog. drittelmehrheit erringen. Solch heterogene Bündnisse werden nur Thaksins Regierungsstil hob sich deut- durch ein klares Feindbild und eine perma- lich vom Konsensprinzip ab, das noch in nent hohe Konfrontationsbereitschaft zu- den neunziger Jahren die thailändische sammengehalten. Thaksins Gegner konn- Politik bestimmt hatte. Sein Macht- ten sich bei diesen Auseinandersetzungen anspruch schien aus Sicht seiner Wider- auf den militärischen Machtapparat stüt- sacher die Grundfesten der Organisation zen. Im September 2006 war es so weit: Mit politischer Herrschaft in Thailand zu bedro- einem Putsch beendete das Militär die fünf- hen: des triadisch angelegten Systems von jährige Amtszeit des Ministerpräsidenten. checks and balances zwischen dem Königs- Eine neue Verfassung, die den traditio- haus, dem Militär und der zivilen Regie- nellen Eliten größere Vorrechte einräumte, rung einschließlich des Parlaments. Mit vermochte indes nicht zu verhindern, dass einem umfassenden Sozialprogramm ver- bei den Wahlen Ende 2007 Thaksins Nach- mochte er all diejenigen Thais für sich zu folgepartei eine parlamentarische Mehrheit gewinnen, denen der wirtschaftliche Boom errang und die Regierung stellte. Nur mit des Landes nur wenig gebracht hatte. Mit Hilfe eines willfährigen Justizapparats so- seinem Wahlprogramm ermutigte er diese wie der stillschweigenden, aber nachdrück- nicht gerade kleine Bevölkerungsgruppe, lichen Unterstützung des Königshauses sich ihrer Rechte und ihrer Macht als Wäh- bzw. des Kronrats konnte schließlich im ler bewusst zu werden. Damit schuf er sich Dezember 2008 eine neue Regierung der eine Anhängerschaft, auf die er sich auch Thaksin-Gegner unter Ministerpräsident in schwierigen Zeiten verlassen konnte. Abhisit installiert werden. Der im Früh- Aber Thaksin war alles andere als ein sommer 2010 unternommene Versuch der Sozialromantiker oder moderner Robin Thaksin-Anhänger, diese Regierung durch Hood. Ebenso geschickt wie skrupellos eine wochenlange Blockade der Bangkoker nutzte er sein Amt, um seine politische Innenstadt aus dem Amt zu jagen und Neu- Macht auszubauen und diese wiederum wahlen zu erzwingen, misslang. Das Militär zugunsten seines Wirtschaftsimperiums räumte die besetzten Stadtteile; an die 90 einzusetzen, das während seiner Amtszeit Todesopfer und 2000 Verletzte waren zu gigantische Dimensionen annahm. beklagen. Der Graben, der Thailands Gesell- schaft in zwei Lager spaltete, war damit tie- fer denn je geworden.

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Abhisits Vermittlungsbemühungen gleich zu sorgen und Harmonie herzustel- Die Entscheidung für die gewaltsame Räu- len. mung des Bangkoker Zentrums hatte Trotz ihres klaren Wahlsiegs bemühte Abhisit lange Zeit hinausgezögert. Erst auf sie sich sofort um eine Koalition mit eini- das offenkundige Drängen des Militärs und gen kleineren Parteien. Selbstverständlich des traditionellen Establishments hin gab wurde dem Königshaus alle erdenkliche er seine Einwilligung zu einem Gewaltakt, Reverenz erwiesen. Ohnehin pflegt die der die von ihm angestrebte Rolle eines Thaksin-Familie seit vielen Jahren gute Mediators diskreditierte. Die von ihm ein- Beziehungen zu Kronprinz Vijaralongkorn, berufene »Wahrheits- und Versöhnungs- der seinen Vater mehr und mehr bei offi- kommission«, die die Besetzung der Bang- ziellen Anlässen vertritt. koker Innenstadt und deren Räumung Auch gegenüber dem Militär legte das aufarbeiten sollte, lieferte denn auch wenig Thaksin-Lager größte Zurückhaltung an greifbare Ergebnisse. Allzu schnell wurde den Tag. Man verzichtete auf alle Themen deutlich, dass es Abhisit nicht gelang, sich oder gar Forderungen, die dort als Affront von jenen Kräften im Militär, im Königs- aufgefasst werden und Widerstand mobi- haus und in der Administration zu lösen, lisieren könnten. Ebenso ließ man bei die ihn einst in den Sattel gehoben hatten. der Besetzung aller Spitzenpositionen Dieser Verlust an Glaubwürdigkeit wog im Sicherheits- und Verteidigungssektor umso schwerer, als König Bhumipol, der größte Vorsicht walten und wählte gezielt bedrohliche Auseinandersetzungen in der Personen aus, die zwar dem Thaksin-Clan Vergangenheit mitunter durch Ex-cathedra- verbunden sind, aber auch eine respektable Entscheidungen beigelegt hatte, diese Rolle Karriere in Armee und Administration vor- als oberster Friedensrichter aufgrund seiner zuweisen haben. Die von Abhisit eingesetz- angegriffenen Gesundheit nicht mehr te »Wahrheits- und Versöhnungskommis- wahrnehmen konnte oder vielleicht auch sion« wurde nicht aufgelöst oder neu be- nicht mehr wollte. setzt, sondern beauftragt, ihre Arbeit kon- sequent fortzusetzen. Wie erfolgreich diese Umarmungsstrate- Wahlkampfthema: gie auf Dauer sein wird, bliebt abzuwarten. Nationale Aussöhnung Unstrittig ist, dass bei vielen Thais ein gro- Vor diesem Hintergrund war es ein kluger ßes Bedürfnis nach Ruhe und einem Ende Schachzug der Thaksin-Fraktion, das Thema jener gewaltsamen Auseinandersetzungen »Nationale Aussöhnung«, das Abhisit an- besteht, die in den vergangenen Jahren gegangen ist, aber nicht glaubwürdig um- das internationale Ansehen des Landes setzen konnte, zu einem zentralen Punkt beschädigt, seine wirtschaftliche Entwick- ihres Wahlkampfs zu machen. Mit seiner lung gefährdet und nicht zuletzt sehr viel politisch nicht vorbelasteten Schwester menschliches Leid mit sich gebracht haben. Yingluck, die über eine große Ausstrah- Die Konfrontation hat die jeweiligen Lager lungskraft verfügt, hat Thaksin eine Per- zusammengeschweißt. Eine Politik, die An- son gefunden, die auf überzeugende Weise gebote der Zusammenarbeit unterbreitet, eine neue Seite thailändischer Politik wird im gegnerischen Lager immer auch verkörpern kann, da sie in keinem der jene Kräfte auf den Plan rufen, die sich von vergangenen Konflikte involviert war. einem Kompromiss größere Vorteile ver- Ebenso vermochte Yingluck im Wahl- sprechen als von einem Verharren in Feind- kampf unterschwellig, aber sehr geschickt schaft. zu vermitteln, dass sie als erste Minister- Sicherlich gibt es bei den traditionellen präsidentin Thailands jenem traditio- Eliten in Armee und Administration eine nellen Rollenmuster entsprechen würde, starke, wenn auch derzeit nicht lautstarke das Frauen dazu prädestiniert, für Aus- Opposition gegen die neue Regierung, aber

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ihr fehlt eine erfolgversprechende Strategie Gebiet zurückziehe. Augenscheinlich hatte zur Durchsetzung ihrer Interessen. Drohun- die Regierung dem Druck der Militärs nach- gen mit einem Militärputsch, die immer gegeben, die diesen Streit zu einer natio- wieder die Runde machen, sind matt, wenn nalen Schicksalsfrage hochstilisierten, bei man sich vor Augen hält, wie wenig das der jedes Zugeständnis mit Verrat an den Militär mit seinem Staatsstreich im Jahr Interessen der Nation gleichzusetzen sei. 2006 letztlich erreicht hat. Mit dieser Zurückweisung regionaler Ver- mittlungsversuche, die von schrillen natio- nalistischen Tönen begleitet war, zog Thai- Der Tempelstreit mit Kambodscha land, das lange Zeit treibende Kraft des Dieser Mangel an strategischen Perspek- Integrationsprozesses der Kooperations- tiven und Alternativen zeigte sich auch auf gemeinschaft gewesen war, die offene Kri- dem Gebiet der Außenpolitik; gerade in tik einiger ASEAN-Partner wie zum Beispiel den Beziehungen zum Nachbarland Kam- Malaysia auf sich. Gleichzeitig gab Bangkok bodscha, die mehr und mehr vom Militär mit seinem Verhalten anderen Mitgliedern und immer weniger von der Regierung wie zum Beispiel Indonesien oder Vietnam Abhisit bestimmt wurden. Gelegenheit, sich als führende Akteure in Im Zentrum des Konflikts steht der hin- der ASEAN zu profilieren. duistische Tempel Preah Vihear, der sich auf kambodschanischem Territorium befindet, wobei aber der Grenzverlauf in Außenpolitische Initiativen unmittelbarer Umgebung höchst umstrit- Yinglucks ten ist. Über die Aufnahme dieses Tempels Ministerpräsidentin Yingluck hat hin- in die Weltkulturerbe-Liste der UNESCO gegen als eines ihrer vorrangigen außen- kam es im Sommer 2008 zu heftigen Aus- politischen Ziele die »Vorbereitung Thai- einandersetzungen zwischen beiden Län- lands auf die Etablierung der ›ASEAN- dern. Statt nach einer friedlichen Beilegung Community‹« im Jahre 2015 genannt. Ihr des Konflikts zu suchen, verlegten sowohl Außenminister Surapong Towijakchaikul Kambodscha wie Thailand starke Truppen- unternahm seine erste Auslandsreise in die verbände in diese Region, und es kam im ASEAN-Staaten und warb dort um Vertrau- Oktober 2008 wie auch in den folgenden en für die neue Regierung, die gerade in der Jahren immer wieder zu Feuergefechten. Kambodschafrage eine sehr viel konzilian- Im Februar 2011 eskalierten die Kampf- tere Position als ihre Vorgängerin einneh- handlungen zu einem regelrechten Grenz- men werde. Das seit langem freundschaft- krieg mit mehr als 20 Todesopfern. liche Verhältnis zwischen Thaksin und dem Im Gegensatz zur Regierung in Phnom kambodschanischen Regierungschef Hun Penh, die eine multilaterale Befriedung des Sen bietet hierfür gute Voraussetzungen. Konflikts forderte und deswegen sowohl bei Die guten Beziehungen zu den USA, zu der UNO als auch bei der ASEAN vorstellig Japan, der EU und der VR China, die schon wurde, bestand Bangkok stets auf einer bi- die Vorgängerregierung gepflegt hat, will lateralen Lösung. Vermittlungsinitiativen man fortsetzen und ausbauen. Deutschland der ASEAN, die unter anderem die Statio- und Japan haben die Einreisesperre in- nierung von 40 indonesischen Beobachtern zwischen aufgehoben, die gegen Thaksin in dem umstrittenen Gebiet vorsahen, verhängt wurde, nachdem er 2008 von stimmte die Regierung Abhisit zunächst zu. einem thailändischen Gericht wegen Amts- Dessen ungeachtet erklärte deren Außen- missbrauch und Steuerhinterziehung ver- minister wenige Tage später, dass sein Land urteilt worden war. Wenig deutet darauf sich einer solchen Stationierung nur dann hin, dass jene Zurückweisungen, die Thak- fügen werde, wenn Kambodscha zuvor all sin in den vergangenen Jahren erfahren seine Truppen aus dem umstrittenen hat, die bilateralen Beziehungen nachhaltig

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belasten werden. Vielmehr dürfte Thaksin zugesichert. Bäuerliche Familien werden aus seiner Amtszeit gelernt haben, dass Kreditkarten erhalten, mit denen sie ohne Außenpolitik eben mehr ist als Außen- größeren bürokratischen Aufwand Klein- wirtschaftspolitik und dass diesem Politik- kredite erhalten können. Darüber hinaus feld mehr Aufmerksamkeit gewidmet und soll ein Aufkaufpreis für Reis garantiert es mit größerem Nachdruck bearbeitet werden, der bis zu 40 Prozent über dem werden muss. Marktpreis liegen würde. Jedem der rund 800000 Schulkinder wurde ein kostenloser Tablet-PC in Aussicht gestellt. Außerdem ist Thailands wirtschaftliche Bilanz eine Absenkung der Unternehmenssteuern Blickt man auf die ökonomischen Daten, so von 30 auf 23 Prozent geplant. Mit Hilfe war die Regierung Abhisit durchaus erfolg- eines milliardenschweren Infrastruktur- reich. 2010 betrug das Wirtschaftswachs- programms sollen nicht nur die U-Bahn in tum 7,5 Prozent und für 2011 werden im- Bangkok, sondern auch Eisenbahnverbin- merhin noch fast 4 Prozent erwartet. Auch dungen nach Laos und in die chinesische trifft der Vorwurf nicht zu, dass diese Regie- Provinz Sichuan gebaut werden. rung die Belange der ärmeren Bevölke- Insgesamt, so eine Schätzung der franzö- rungsgruppen bzw. der weniger entwickel- sischen Bank BNP Paribas, würden sich alle ten Landesteile außer Acht gelassen habe. Wahlgeschenke auf insgesamt 8,5 Milliar- Die von Thaksin initiierten Verbesserungen den US-Dollar summieren. Ausländische des ländlichen Gesundheitswesens wurden Wirtschaftsexperten, aber auch die thai- ebenso fortgeführt wie die von ihm auf ländische Zentralbank sehen diese Rück- den Weg gebrachten Kreditprogramme zur kehr zur populistischen Wirtschaftspolitik ländlichen Entwicklung. Dennoch gelang es eher kritisch. Sie warnen vor den Risiken der Regierung Abhisit nicht, aus dem Schat- wie zum Beispiel Inflation, Gefährdung ten Thaksins herauszutreten und sich als der internationalen Wettbewerbsfähig- genuiner Interessenvertreter seiner Klientel keit durch zu hohe Lohnkosten, deutliches zu präsentieren. Wegen ihrer offenkundi- Ansteigen der Neuverschuldung etc. gen Abhängigkeit von den Kräften des alten Bangkoks Börse teilte diese Bedenken Establishments sah sie sich stets dem Gene- zunächst nicht. Obgleich die Wahlverspre- ralverdacht ausgesetzt, diese Politik allein chen der neuen Ministerpräsidentin nicht aus taktischem Kalkül und daher nur halb- gerade als unternehmensfreundlich be- herzig zu betreiben. zeichnet werden können, stieg der thai- ländische Aktienindex am Tag nach den Wahlen um 4,7 Prozent an. Der klare Wahl- Yinglucks sozialpolitisches ausgang hatte offenbar die Hoffnungen auf Programm nationale Aussöhnung, innenpolitische Yingluck konnte dagegen nicht nur dank Stabilität und damit auch wirtschaftliche ihrer Persönlichkeit oder des großen Zu- Prosperität beflügelt. Die Berufung aus- spruchs für ihre Partei, sondern auch des- gewiesener Wirtschaftsexperten in das halb die Mehrheit der Stimmen gewinnen, Kabinett hat das Vertrauen in die wirt- weil sie ein detailliertes Programm sozialer schaftliche Kompetenz der neuen Regie- Wohltaten vorlegte. Zu ihren Versprechen rung erhöht, zumal diese auch schon zu zählte vor allem der Anstieg des Mindest- erkennen gegeben haben, dass sie bereit lohns um 40 Prozent auf 300 Baht – um- ist, einige der Wahlversprechen zu modi- gerechnet knapp sieben Euro – pro Tag, in fizieren und in der Dimension zu redu- ähnlicher Höhe sollen auch die Einstiegs- zieren. gehälter in Staatskonzernen steigen. Den An dem Erfolg oder Misserfolg der 70000 Dörfern wurden Subventionen von Wirtschaftspolitik wird sich letztlich jeweils 2 Millionen Baht (rund 45000 Euro) entscheiden, wie gut es Thailand gelingt,

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sich im globalen wie regionalen Wett- »Rothemden« genannt), die im Frühsommer bewerb zu positionieren. Denn die von 2010 Bangkoks Innenstadt mit Barrikaden Thaksin stets angestrebte Öffnung des Lan- blockiert hatten und dann mit Gewalt von des zum Weltmarkt birgt gerade für die dort vertrieben worden waren, verlangen ärmeren Teile der Bevölkerung, das heißt die umfassende Aufarbeitung dieser Ereig- den Großteil seines Wählerpotentials, nicht nisse und die Bestrafung derjenigen, die unerhebliche Risiken. Das Leben dieser damals die Räumung angeordnet haben. Menschen durch Wohlfahrtsleistungen zu Sie sind es auch, die die konsequente Um- erleichtern, hat Thaksin wie seiner Schwes- setzung aller Wahlversprechen anmahnen. ter ein hohes Maß an Unterstützung ge- Nationale Aussöhnung, so ihr Standpunkt, bracht. Doch bislang hat auch das Thaksin- dürfe nicht durch allzu große Nachgiebig- Lager keine überzeugende Strategie vor- keit gegenüber dem alten Establishment gelegt, wie zugunsten jener Millionen von und damit auf Kosten derjenigen erkauft Thais, die immer noch in sehr prekären Ver- werden, die sich in den vergangenen Jahren

© Stiftung Wissenschaft und hältnissen leben, konkurrenzfähige Wirt- rückhaltlos für Thaksin und seine Parteien Politik, 2011 schaftszweige aufgebaut und zukunfts- eingesetzt hätten. Alle Rechte vorbehalten fähige Arbeitsplätze geschaffen werden Die Regierung Yingluck befindet sich

Das Aktuell gibt ausschließ- könnten. Auch bei der neuen Regierung ist daher trotz ihres Wahlsiegs und der deut- lich die persönliche Auf- höchst unklar, inwieweit sie dabei auf Libe- lichen Regierungsmehrheit in einer nicht fassung der Autoren wieder ralismus oder Protektionismus setzen wird. allzu komfortablen Position. Ein Scheitern SWP ihrer Aussöhnungspolitik hätte allerdings Stiftung Wissenschaft und Politik fatale Folgen. Denn es sind gegenwärtig in Deutsches Institut für Ausblick der thailändischen Politik keine Kräfte Internationale Politik und Sicherheit Der klare Wahlsieg der Pheu-Thai-Partei auszumachen, die willens und in der Lage und die ersten Entscheidungen und Maß- wären, diese Aufgabe zu meistern. Ludwigkirchplatz 3­4 nahmen der neuen Regierung haben zu- Die deutsche und die europäische Politik 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 mindest die Chance eröffnet, dass Thailand sind daher gut beraten, die neue Regierung Fax +49 30 880 07-100 wieder zu jener innenpolitischen Stabilität bei ihrem Bemühen um nationale Aussöh- www.swp-berlin.org [email protected] findet, die unabdingbare Voraussetzung nung nach Kräften zu unterstützen und die für internationale Anerkennung und wirt- wechselseitigen Kontakte zu vertiefen. Eine ISSN 1611-6364 schaftliche Prosperität ist. Allerdings ist breite Palette von Maßnahmen bietet sich diese Politik nach wie vor mit etlichen an: angefangen mit der partnerschaftlichen Unsicherheiten verknüpft und erheblichen Beratung bei der Stärkung eines unabhän- Gefährdungen ausgesetzt. Von der Oppo- gigen Justizwesens und beim Aufbau föde- sition inner- und außerhalb des Parlaments raler Strukturen bis hin zum finanziellen wurden schon einige rote Linien aufgezeigt, und technischen Engagement bei der Reali- deren Überschreitung nicht widerstandslos sierung von Projekten zur Errichtung drin- hingenommen würde. Hierzu zählen: ein gend benötigter Infrastruktur. Denn un- allzu manifestes Drängen Thaksins auf eine geachtet jener schweren Krisen, in die der baldige Rückkehr nach Thailand oder gar südostasiatische Staat im vergangenen der erneute Griff nach dem Amt des Minis- Jahrzehnt geraten ist, bleibt Deutschland terpräsidenten, eine Revision der Verfas- der wichtigste Handelspartner Thailands sung von 2007 und vor allem jener Artikel, in der EU. Zwischen beiden Ländern gibt die den Putschisten Immunität garantieren, es zudem ein dichtes Netz politischer, oder eine Kürzung des unter der voran- aber auch persönlicher Beziehungen, das gegangenen Regierung stark erhöhten Ver- genutzt werden sollte, um dem Verhältnis teidigungshaushalts. zu einem strategischen Partner in Südost- Auf der anderen Seite bekommt die asien neue Dynamik zu verleihen. Pheu-Thai-Partei aber auch Druck aus den eigenen Reihen. Die Aktivisten (gemeinhin

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