Gegen die Regeln? – Literatur Zeitung Seite 3

Im Jahr 1896 sorgt der Gedichtband „Weib und Welt“ für hitzige Diskussionen. Der Name seines Autors wird weithin bekannt: Richard Dehmel. Man erhebt Anklage gegen ihn wegen „Verletzung religiöser und sittlicher Gefühle“. Er wird verurteilt, eines der Gedichte im Buch muss geschwärzt werden. Zu seiner Verteidigung erklärt Dehmel: "Meine Zeit kann mich verurteilen, die Zukunft wird mich freisprechen."

Auch dieses Gedicht stammt aus „Weib und Welt“:

Verklärte Nacht

1 Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain; Der Mond läuft mit, sie schaun hinein. Der Mond läuft über hohe Eichen Kein Wölkchen trübt das Himmelslicht, 5 In das die schwarzen Zacken reichen. Die Stimme eines Weibes spricht: Ich trag ein Kind, und nit von Dir ich geh in Sünde neben Dir. Ich hab mich schwer an mir vergangen. 10 Ich glaubte nicht mehr an ein Glück Und hatte doch ein schwer Verlangen Nach Lebensinhalt, nach Mutterglück Und Pflicht; da hab ich mich erfrecht, Da liess ich schaudernd mein Geschlecht 15 Von einem fremden Mann umfangen, Und hab mich noch dafür gesegnet. Nun hat das Leben sich gerächt: Nun bin ich Dir, o Dir begegnet. Sie geht mit ungelenkem Schritt. 20 Sie schaut empor, der Mond läuft mit. Ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht. Die Stimme eines Mannes spricht: Das Kind, das Du empfangen hast, sei Deiner Seele keine Last, 25 O sieh, wie klar das Weltall schimmert! Es ist ein Glanz um Alles her, Du treibst mit mir auf kaltem Meer, Doch eine eigne Wärme flimmert Von Dir in mich, von mir in Dich. 30 Die wird das fremde Kind verklären Du wirst es mir, von mir gebären; Du hast den Glanz in mich gebracht, Du hast mich selbst zum Kind gemacht. Er fasst sie um die starken Hüften. 35 Ihr Atem küsst sich in den Lüften. Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht.

Gegen die Regeln? – Literatur Zeitung Seite 3

Infobox

Richard Dehmel, 1863 geboren, stammt aus Wendisch-Hermsdorf in Brandenburg. Nach Schulzeit und Studium arbeitet er einige Jahre lang als Sekretär für den Deutschen Versicherungsverband in .

Nebenbei veröffentlicht er Gedichtbände. Sie machen ihn zu einem der populärsten deutschen Lyriker seiner Zeit. Führende Komponisten vertonen seine Gedichte, zum Beispiel , und Arnold Schönberg („Verklärte Nacht“ op. 4, 1899).

Ab 1895 lebt Dehmel als freier Schriftsteller. 1914, bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, meldet er sich freiwillig zum Kriegsdienst. Kurz vor Kriegsende ruft er 1918 zum „Kampf bis zum Äußersten“ auf. Die Künstlerin Käthe Kollwitz widerspricht ihm öffentlich. 1920 stirbt Richard Dehmel in -Blankenese.

Richard Dehmel (Quelle: http://www.zeno.org/Literatur.images/I/dehmepor.jpg)

Aufgaben (Zeitung Seite 3)

1. Lest das Gedicht „Verklärte Nacht“ aufmerksam. Welche und wie viele „Rollen“ gibt es im Gedicht? 2. In welcher Reihenfolge sprechen die „Rollen“? 3. Welche Gefühle erleben die „Rollen“, welche Stimmungen kommen zum Ausdruck? 4. Informiert Euch in der Infobox über Richard Dehmel. Löst dann das Quiz.