Anna Gerresheim und die Künstlerkolonie Ah renshoop an der Ostsee

Im Blickpunkt stehen im Mo­ weiteren Studien zu ermög• dann hat er noch die männ• nat August zwei Grafiken der lichen. Mutter und Tochter lichen Schüler, sein Gehalt als Künstlerin Anna Gerresheim zogen nach . Über den Professor, u. dann den Verkauf (8. 3.1852 Ribnitz-1.12. Werdegang ihrer Tochter Anna seiner Bilder; für 3 Jahre ist al­ ·­ 1921 ), sicher ein zur Malerin berichtete die les was er malt, fest nach Eng­ - Name, den wenige heute ken­ Mutter in ihren Briefen an An ­ land bestellt. Ich kann seiner ca nen- zu Unrecht, denn sieben nas drei Geschwister. Die er­ Malerei aber durchaus keinen Jahre nach ihrem Tod veran­ haltenen Briefe geben uns Geschmack abgewinnen, es E staltete man 1928 in der heute ein lebendiges Bild der ist mir viel zu grob und klaxig - Großen Berliner Kunstausstel­ damaligen Ausbildungsmög• [ ... ] lung eine Gedächtnisausstel• lichkeiten einer jungen Frau lung für die norddeutsche zur Malerin. Von Ende Juli bis Mitte De­ Künstlerin, die als Malerin und zember 1880 reiste die junge Grafikerin zu ihrer Zeit durch­ Künstlerin nach dem Künstler• Von 1876 bis 1880 besuchte aus bekannt war. ort Hornb~k in Dänemark, wo Anna Gerresheim die private auch der Skagener Maler Pe­ Damenklasse von Karl Gussow der Severin Kr0yer gearbeitet Anna Gerresheim verlebte ihre in Berlin. Den Malunterricht hatte. Im folgenden Jahr 1881 Jugend in Güstrow, einem klei­ charakterisierte die Mutter wird das erste Mal ein Gemäl• ne Ort in , wo ihr offen: .. Prof. Gussow ist aber de der Malerin in der Akade­ Vater als Jurist tätig war. Ihr auch ein ganz ausgezeichneter mischen Kunstausstellung in Berufswunsch, Malerin zu wer­ Lehrer; sie [Anna] hat nur bei Berlin gezeigt. Hierzu äußert den, wurde von ihren Eitern ihm allein Unterricht. u. schrei­ sich Dorothea Gerresheim zwar unterstützt, die es ihr ermög• tet sie nur nach 1hren Fähigkei• kritisch, aber auch stolz: .. [ ... J lichten, vom Herbst 1874 bis ten allmählig weiter; er nimmt die Ausstellung ist heute erst zum Mai 1876 in der privaten auch keine Anfängerinnen , ja eröffnet; ihr Bild stel lt ein ,Mo­ Malschule von Augusttom es sind sogar bewährte Maie­ tiv aus dem Thiergarten' vor, Dieck in zu studieren. rinnen die schon vielfältig aus­ ganz grün in grün, Wasser und Nach dem frühen Tod des Va­ gestellt, unter seinen Schüle• Bäume, ich hätte es noch ein ters verkaufte seine Ehefrau rinnen, er zählt jetzt derselben Dorothea Gerresheim ihr Haus schon 24 u. dies bringt ihm die in Güstrow, um der Tochter die nette Summe von 360M ein, Mond (über Buschgehölz) vor 1903 Radierung

*) Die im Artikel vorgestellten Grafiken werden im August in der Eingangshalle in den Blick­ punkt gerückt.

monatsanzeiger 8 /01 bischen besser ausgeführt ge­ habt, im Uebrigen ist es ganz hübsch [ .. .] . [Mit] 600 M . hat A. [ ... ]es ausgezeichnet u. mit A. Gerresheim gezeichnet, demzufolge hat die Commissi­ on wohl geglaubt A. sei ein He . [=Herr] u. hat so die Adresse gemacht u. wird wohl auch im Katalog als ein solcher verzeichnet stehen! Nicht spaßhaft? in der Beziehung mag es auch wohl gut gewe­ sen sein, da die Herrenbilder gnädiger aufgenommen [wer­ den] als die der Damen [ ... ]. "

Den Herbst 1882 verbrachte Anna Gerresheim in London und Wales, um Portraitaufträ• ge zu erfüllen. Im Frühsommer 1883 war die junge Künstlerin Friedrich Gurlitt begannen, sich gen Erlegung eines angemes­ Hohes Ufer Ahrenshoop zum Studium in Paris und für ihre Arbeiten zu interessie­ senen Honorars für jedes ein­ vor 1903 Farbholzschnitt nahm dort Unterricht bei Emile ren . zelne Fach teilnehmen. Schüle• Auguste Carolus Duran und rinnen finden keine Aufnah­ Jean Jacques Henner, den da­ Im Jahr 1881 reiste die junge me. " Kein Wunder, daß die mals berühmten Portraitma­ Malerin Anna Gerresheim das Frauen dagegen opponierten. Jahre vergehen; doch im Jahr lern . Doch die Mutter zeigte erste Mal nach Wustrow, der Bis zum Tod des Direktors An­ 1891 ist es dann so weit: Die sich enttäuscht: .. [ ... J Ich hat­ Eingangspforte in das Fi sc h­ ton von Werner im Jahr 1915 .. Handzeichnung" auf ein te gehofft, A. würde in P. [= land, und zum Darß an der richteten Künstlerinnen unaus­ Grundstück in Ahrenshoop er­ Paris] das Ausführen der Bilder, Ostsee. Anna Gerresheim hat­ gesetzt die Forderung zur folgte am 10. November 1891. was ihr so groß Noth thut, er­ te zu jener Zeit ihre Ausbildung Gleichstellung im Kunststudi­ Die ältere Schwester Bertha lernen, doch ihr letzter Brief zur freien Malerin abgeschlos­ um an die Regierung. Im Jahr Gerresheim trat als Käuferin benimmt mir alle Aussicht dar­ sen. Wie damals üblich, war es 1916- ein Jahr nach dem Tod auf. Mit dem Bau des Hauses, auf, sie nennen die ausgeführ• ihr als Frau nicht möglich ge­ von Werners - hofften die das wenig später als erstes Ah­ te Malerei ,Deutsche Malerei' wesen , an einer der großen Frauen, daß sich die Einstel­ renshooper Künstlerhaus in der u. verachten dieselbe sehr; sie Akademien zu studieren, und lung an der Akademie geän• späteren Künstlerkolonie im schmieren dort noch viel mehr so hatte auch sie ihren Weg dert haben könnte, doch auch Fachwerkstil entstand, hatte als bei Gussow etc. - das sind über private Malschulen gehen Anton von Werners Nachfolger sich Anna Gerresheim für ein betrübte Aussichten für Annas müssen . Frauen konnten im Arthur Kampf beschied das Leben in Ahrenshoop und in Existenz; sie würde bei ihren Gegensatz zu ihren männli• Gesuch ebenso negativ wie der Landschaft an der Ostsee Connectionen unendlich viel chen Kollegen eine Ausbildung sein Vorgänger. Erst nach dem entschieden. Einsamkeit des Aufträge haben, wenn sie ihre an der Königlichen Akademie Ersten Weltkrieg, im Jahr 1919, Ortes und die unberührte Na­ Bilder feiner ausführte. [ ... ]" in Berlin nicht beginnen, denn wurde Frauen das Akademie­ tur waren für die Künstler am Nach ihrer Rückkehr im Jahr noch im Jahr 1900 waren sie studium gestattet. Ende des 19. Jahrhunderts das 1884 war Anna Gerresheim nicht zum Studium zugelassen. zentrale Motiv, sich auf das dem .. Verein der Bildenden Nicht einmal als Hospitanten Bereits ein Jahr nach ihrem er­ Land zurückzuziehen und in Künstlerinnen" in Berlin beige­ hatten sie Zutritt. In § 60 der sten Besuch in Wustrow dach­ einer entstehenden Künstler• treten. Ab diesem Zeitpunkt Hochschulordnung hieß es: te Anna Gerresheim daran, kolonie zu leben. reichte sie Gemälde zu den .. Hospitanten [dürfen] mit Be­ sich auf dem Fischland - in dort stattfindenden Ausstellun­ willigung des Direktors an ein­ Ahrenshoop - ein Haus zu Anna Gerresheim ist im Jahr gen ein . Kunsthändler wie zelnen Unterrichtsstunden ge- kaufen. Bis dahin sollten einige 1891 beim Grundstückskauf fast vierzig Jahre alt. Ein großes Gegensatz und heben die ge­ Landschaftsbilder im großen in Paris selbst berichtet hatte, Selbstportrait, das wohl in die­ wollte Strenge des Antlitzes et­ Format angedeutet. Man waren für sie die modernen se n Jahren entsteht (es wird im was auf. Ihre hohe Stirn wird könnte dieses Gemälde als ein Ausstellungen wichtiger als der Original in der internationalen durch einige Fransen leicht ka­ Programmbild für ihre Zukunft Unterricht bei ihren französi• Ausstellung .. Künstlerkolonien schiert, während der Großteil bezeichnen; so deutlich gibt schen Lehrern. Es ging ihr nicht in Europa" ab dem 15. No­ der dunkelblonden Haare nach die Künstlerin zu verstehen, um den Lehrstoff, so ndern um vember 2001 zu sehen sein), hinten zurückgekämmt ist. Ein daß sie sich als Landschafts­ die Kontakte zu anderen gibt das Aussehen der Malerin energisches Kinn würde für die malerin sieht. Künstlern und um das Fluidum zu jenem Zeitpunkt wieder. Die Durchsetzungskraft der zarten einer wirklichen Avantgarde. Künstlerin sitzt leicht schräg im und verletzlich wirkenden Frau Die künstlerische Laufbahn Bild und schaut den Betrachter zeugen, wenn nicht ihre Anna Gerresheims läßt sich ab Für die Grafik der Künstlerin mit großen dunklen Augen weißen Hände diesem Ein­ dieser Zeit aus den Berliner findet man in der Zeitschrift ernst und eindringlich an. Sie druck widersprächen. Sie lie­ Kritiken ablesen. So schrieb die .. Die Frau" im Jahr 1906 be­ hat ein längliches Gesicht; ihre gen fast hilflos in ihrem Schoß, "Vossische Zeitung" 1890 sondere Worte: .. [. .. ] Viel pro­ schmale Nase unterstreicht die wenn auch die rechte Hand die über die Ausstellung des "Ver­ blematischer, grüblerischer sind Form des Gesichtes. Zu dem Palette und die linke den Pinsel eins der Künstlerinnen und die Radierungen, die Anna ernsten Ausdruck stehen die hält. Ein sch lichtes Kleid mit Kunstfreundinnen": "[ ... ] Ein Gerresheim nach landschaft­ vollen Lippen in einem leichten dunkelroten und schwarzen anderes kräftiges Talent ist das lichen Motiven in einer ans Längsstreifen un­ von Anna Gerresheim. Es be­ Ornamentale streifenden Auf­ terstützt die einfa­ kundet sich hier in drei Bildern, fassung zeichnet und in merk­ che, doch ein­ welche sehr verschiedene Na­ würdig ernsten Farben druckt dringliche Aus­ turstimmungen und Szenerien [ ... ]." Die Radierungen und strahlung der dar­ mit gleicher Energie der etwas Lithografien der Künstlerin er­ gestellten Malerin. skizzenhaft breiten Behand­ schienen im Selbstverlag und Der Hintergrund lung und gleicher Wahrheit des wurden in den ,.Neuigkeiten des Gemäldes ist Eindrucks schildern: tiefes Wal­ des deutschen Kunsthandels" auf der rechten desdickicht, vom Bach durch­ veröffentlicht. Der Farbholz­ Seite sehr dunkel rieselt, eine Dorfkirche in der schnitt .. Hohes Ufer Ahrens­ gehalten. Seltsa­ Mark bei beginnender winter­ hoop" zeigt den Steilabhang me leere Bilder­ licher Abenddämmerung, Park zum Meer in Ahrenshoop. Das rahmen hängen im Frühling mit einem in andere Blatt, eine mehrfarbig dort an der Wand. Blüthe stehenden hohen Flie­ gestaltete Radierung, gibt die Mit dem Pinsel dergebüsch zwischen der frei­ Stimmung der dortigen Land­ weist die Künstle• stehenden Baumgruppe in der schaft im sanften Schein des rin auf die linke Mitte einer weiten Rasen­ Mondes wieder. Seite des Bildes. fläche. [ .. ] " Hier sind helle Anna Gerresheim blieb über Ab dem Jahr 1894 tritt die den Ersten Weltkrieg hinweg Landschaft um Ahrenshoop in der Künstlerkolonie Ahrens­ den Mittelpunkt von Anna hoop treu. Sie starb dort im Gerresheims Malerei. Nun wird Jahr 1921. Wir haben sie sie auch mit ihrem Lebens- wieder entdeckt. Reproduktion (ver­ kleinert) des Gemäl• mittelpunktals .,Anna Ger- des : Selbstbildnis resheim, Ahrenshoop" in Aus- Ruth Negendanck Anna Gerresheim stellungskatalogen genannt. nicht datiert Öl auf Leinwand Neben ihren großformatigen Gemälden entstehen zusätzlich Das Gemälde wird in Radierungen und Farbholz- der Ausstellung ,.Künstlerkolonien in schnitte, die den Einfluß des Europa. Im Zeichen in Paris neu aufkommenden der Ebene und des Japanismus erkennen lassen. Himmels" zu sehen sein. Wie sie von ihrem Aufenthalt

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