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Die neuen Wege der Grünen 10 Die politischen Perspektiven 18 Der neue Kopf der Grünen 20 Lothar Probst über die Konsequenzen Reinhard Bütikofer über die Marschrichtung , eine linke Ökologin – ­ des 22. September des grünen Europawahlkampfes porträtiert von Ulrike Winkelmann

Das Magazin der Heinrich-Böll-Stiftung Ausgabe 3, 2013 Mit Adobe- oder Foxit-Reader den vollen Funktionsumfang und die Doppelseitenanzeige nutzen Böll.Thema 3/2013

Der besondere Tipp

Konferenzen Plakate Die Stiftung in Sozialen Netzwerken

Whatever happened ... to journalism Fleisch – Daten und Fakten über Tiere als Die Heinrich-Böll-Stiftung ist in verschiedenen ­… to privacy … to the Hungarian theatre? Nahrungsmittel Sozialen Netzwerken aktiv. Fr / So, 6.–8. Dezember 2013 Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung Werden Sie Freund oder Freundin der Stiftung Eine Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, Oktober 2013, acht farbige Plakate im auf Facebook unter www.boell.de / f a c e b o o k , Kooperation mit der Digitalen Gesellschaft, der Format DIN A1, 10 Euro, zzgl. Versandkosten sehen Sie Filme und Videos bei YouTube (www. berlinergazette.de, der C-Base e.V. und dem Zu bestellen unter www.boell.de/publikationen boell.de / youtube), Bilder bei Flickr (www.flickr. Mindpirates e.V. c o m / p h o t o s / boellst iftung), hören Sie unsere www.boell.de/mobilize Audiofiles (www.soundcloud.com/boellstiftung) Publikationen oder verfolgen Sie die aktuellen Nachrichten der Stiftung über den Kurznachrichtendienst Twitter (K)ein Frühling für Frauen? Corporation 2020 unter www.twitter.com /boell_ stiftung. Politische Umbrüche und sexualisierte Gewalt: Warum wir Wirtschaft neu denken müssen Beispiele aus den arabischen Von Pavan Sukhdev. Hrsg. im oekom verlag in Transformationsländern Kop. mit der Heinrich-Böll-Stiftung Impressum Mi / Do, 11.–12. Dezember 2013 München 2013, 296 Seiten, 19,95 Euro, ISBN Herausgeberin Beletage der Heinrich-Böll-Stiftung 978-3-86581-437-1 Heinrich-Böll-Stiftung e.V. Schumannstraße 8, 10117 Berlin Bericht aus der Zukunft T 0 3 0 – 2 8 5 3 4 – 0 Ausstellung Wie der grüne Wandel funktioniert F 0 3 0 – 2 8 5 3 4 – 1 0 9 Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung im oekom Was sehen Sie, Frau Lot? E [email protected] W www.boell.de / t h e m a Zu sexualisierter Gewalterfahrung von Mädchen, Verlag Jungen und Frauen – gegen Täterschutz München 2013, 288 Seiten, 24,95 Euro, ISBN Redaktion 25. November 2013 bis 14. Januar 2014 978-3-86581-416-6 Dieter Rulff Foyer der Heinrich-Böll-Stiftung (Eröffnung am 25. November 2013, 18 Uhr) Einen Überblick über alle Publikationen finden Sie Redaktionsassistenz Infos zum Begleitprogramm unter unter: www.boell.de/publikationen Susanne Dittrich www.frau-lot.de Mitarbeit Dossiers und Blogs Ralf Fücks, Peter Siller Neue Reihen www.boell.de/de/dossier-demokratie-der- Annette Maennel (V.i.S.d.P.) Berliner Hochschuldebatten europaeischen-union Dossier zur Demokratie in der EU Art Direktion / Gestaltung Wieviel Studierende brauchen wir? Blotto Design, Berlin Fr, 6. Dezember 2013, 18:00 Uhr www.boell.de/politische-krise-tschechien www.blottodesign.de Beletage der Heinrich-Böll-Stiftung Dossier zur politischen Krise in Tschechien russland.boellblog.org Fotografie Was du nicht siehst – Konkrete Utopien Jens Siegert schaut hinter die alltäglichen Monika Keiler Fabriken für alle Meldungen aus Moskau und kommentiert sie www.monika-keiler.com Revolutionieren 3-D-Drucker und Open-Source- Produktion unser Leben? klima-der-gerechtigkeit.boellblog.org Illustrationen Mo, 16. Dezember 2013, 18:00 Uhr das Klimablog von Lili Fuhr, Arne Jungjohann Martin Nicolausson Beletage der Heinrich-Böll-Stiftung und Georg Kössler www.martinnicolausson.com heinrichvonarabien.boellblog.org das Blog unserer Büroleitungen im Nahen Osten Druck Bücherbattle und in Nordafrika. Es schreiben Bente Scheller AZ Druck und Datentechnik, Allgäu u. Berlin Gutes Leben und Ökowende – (Beirut), Marc Bertold (Tel Aviv), Rene Wild- Papier geht das zusammen? angel (­Ramallah), Joachim Paul (Tunis) Inhalt: Envirotop, 100g / m2 matt hochweiß, Marcus Franken und Angelika Zahrnt im www.boell.de/Focus-on-Hungary Recyclingpapier aus 100 % Altpapier Wettstreit um bessere Argumente englischsprachiges Dossier über die Situation Umschlag: Clarosilk, 200g / m2 Fr, 10. Januar 2014, 19 Uhr in Ungarn nach der Regierungsübernahme der Beletage der Heinrich-Böll-Stiftung Rechtspopulisten im Jahr 2010 Bezugsbedingungen www.boell.de/hochinklusiv zu bestellen bei oben genannter Adresse Alternative Grüne Woche { hochinklusiv } Zusammenhalt einer vielfältigen Gesellschaft. Veranstaltungen, Tagungen, Dossi- Die einzelnen Beiträge stehen unter der Landwirtschaft anders – unsere Grüne Woche ers und Beiträge zum Thema Inklusion Creative Commons Lizenz: CC BY-NC-ND 3.0 Ausstellung, politischer Suppentopf, Demo u.v.m. www.nutzen-statt-besitzen.de PDF-Bearbeitung :PDF4web.de 9 – 18. Januar 2014 Beiträge und Best-Practice-Beispiele für eine Beletage der Heinrich-Böll-Stiftung ­ressourcenschonendere Konsumkultur 1

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Böll.Thema 3/2013 1 Editorial

Auf ein Neues!

o schnell kann’s gehen: Gestern noch als schier unaufhaltsamer Aufstei- ger gehandelt, müssen die Grünen sich nach der Bundestagswahl mühsam S wieder aufrappeln. Das personelle Bäumchen, wechsle dich im Bundesvor- stand und in der Fraktion verlief rasch und ohne größere Blessuren. Komplizierter ist der Prozess einer strategischen Neuorientierung. Wie stark der Kurs korrigiert werden muss und wohin die Reise gehen soll, ist umstritten. Auch zum grünen Wahlergebnis kursieren konkurrierende Lesarten. Der Wahlnachlese-Parteitag im Oktober schwankte zwischen trotzigem « Weiter so » und dem Ruf nach einem Neuanfang. War die strategische Aufstellung im linken Lager ein Fehler, setzte das Wahlprogramm die falschen Akzente, verfehlten die Grünen ihre Kernthe- men – oder waren sie der Gesellschaft zu weit voraus und unterschätzten den Gegenwind, der ihnen ins Gesicht blies? Womöglich sind die acht Prozent sogar noch ein beachtliches Ergebnis für eine Wahlkampagne, in der die Grünen nie aus der Defensive herauskamen: Steuererhöhungen, Bevormundung, Pädophilie. Wenn die erfolgreichen Landtags- und Kommunalwahlen der letzten Jahre kein historischer Irrtum waren, liegt ihr Potential allerdings weit über dieser Marke. Die Frage ist also: Weshalb blieben die Grünen bei dieser Wahl so sehr hinter ihren Möglichkeiten zurück? Welche Erklärungen greifen, welche führen in die

Irre? Wie kommen sie aus dem Schatten einer Großen Koalition wieder in die Ralf Fücks Offensive? Welche Art von Opposition kann eine Brücke schlagen zwischen grü- Mitglied des ­Vorstands der ner Kernwählerschaft, politisch heimatlosen Liberalen und Wertkonservativen? Heinrich-Böll-Stiftung Mit welchen Themen und Projekten können sich die Grünen wieder als Reform- motor profilieren? Und wastreibt die jüngere Generation um, die jetzt nach vorn drängt? Zu all diesen Fragen findensich Beiträge in diesem Heft – keine abschlie- ßenden Antworten und kein einstimmiger Sprechgesang, sondern Diskussionsbei- träge aus unterschiedlichen Perspektiven. Dazu kommen noch Empfehlungen an die Adresse der Union und der SPD aus berufener Feder. Auch die Heinrich-Böll-Stiftung wird sich auf die neue politische Konstellation einstellen müssen: Welche programmatischen Impulse können wir geben, wie bleiben wir eine interessante Adresse für ein breites Spektrum gesellschaftlicher Gruppen, ein attraktives Forum für Diagnosen und Debatten? Eine besondere Stärke der politischen Stiftungen ist ihre internationale Ausrichtung. Betrach- tet man den Bundestagswahlkampf aus dieser Perspektive, erscheint er beinahe provinziell. Globale Fragen spielten kaum eine Rolle, und selbst Europa war nur Randthema. Das ändert sich hoffentlich mit den anstehenden Europawahlen. Wir danken allen Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge und hoffen auf lebhaftes Interesse unserer Leserinnen und Leser. Foto: Ludwig Rauch --- 2

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2 Böll.Thema 3/2013 Inhalt

S. 26–3 → 1

Wofür sollen die Grünen stehen? 6 junge Wähler­-­ ­innen und Wähler antworten

1 Auf ein Neues! Die neuen Köpfe Editorial von Ralf Fücks 20 Gelernte Öko, gefühlte Linke ­ Simone Peter, porträtiert von 3 Blick zurück nach vorn Ulrike Winkelmann Essay von Ralf Fücks 22 Ein neues Gesicht der Realos Gesellschaft im Umbruch Dieter Janecek, porträtiert von 5 « Die Grünen können Taktgeber einer ­ Ulrike Winkelmann neuen Mitte werden » ­ Gespräch mit Prof. Heinz Bude, geführt von 24 Von Europa über Potsdam nach Berlin Dieter Rulff , porträtiert von Ulrike Winkelmann Grüne im Umbruch 8 5 Thesen zur Koalitionsdebatte ­ Statements junger Von Michael Kellner Wählerinnen und Wähler 26 Wofür sollen die Grünen stehen? 10 Aus dem Abseits zurück ins Spiel ­ Aufgeschrieben von Jens Twiehaus Kommentar von Lothar Probst Parteien nach der Wahl 12 Die Schmelze der Kernkompetenz ­ Inhalt 32 Erhobenen Hauptes in die Große Koalition Analyse von Oliver Sartorius Empfehlung von Wolfgang Schröder 5 Gesellschaft im Umbruch 14 Das Stigma der Verbotspartei abschütteln 34 Erst kommt das Land… 8 Grüne im Umbruch Zwischenruf von Barbara Unmüßig Empfehlung von Ruprecht Polenz 20 Die neuen Köpfe 26 Statements junger 16 Freiheit, die wir meinen Politische Perspektiven Wählerinnen und Essay von Dieter Rulff 36 Paris und Berlin als Antriebsachse Kerneuropas Wähler Essay von Susanne Nies 32 Parteien nach der Solidität, Solidarität, Nachhaltigkeit 18 Wahl Aufruf von Reinhard Bütikofer 39 Der Energiewende eine Richtung geben 36 Politische

Aufruf von Regine Günther Perspektiven Foto: Monika Keiler 3

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Böll.Thema 3/2013 3 Einleitung

Mit ihrem Lagerwahlkampf haben sich die Grünen in die Defensive manövriert. Zwischen SPD und Linkspartei wächst kein Grün. Um eine eigenständige Alternative zur Großen Koalition zu bilden, müssen sie ihr ökologisches und freiheitliches Profil schärfen.

Blick zurück nach vorn

Von Ralf Fücks

chwarz-Grün ist abgehakt, und viele Ralf Fücks ist Mitglied des gerät. Es macht einen Unterschied, ob Deutschland Grüne sind darüber erleichtert. Mich Vorstands der Heinrich-Böll- in Europa und der Welt als Lokomotive oder als bedrückt eher, dass wir auf unab- Stiftung. Bremser des ökologischen Wandels auftritt. Auch sehbare Zeit die große Politik von auf andere zentrale Anliegen wie die Energiewende, der Seitenlinie aus kommentieren Elektromobilität, eine umweltverträgliche Agrarpoli- ­als dass wir sie aktiv mitgestalten tik, Bildung als Bürgerrecht, eine liberale Einwande- werden. Mit der Großen Koalition rungspolitik, Bürgerrechte im Netz und das gemein- Sdrohen verlorene Jahre für eine ambitionierte Kli- same europäische Haus werden die Grünen in den mapolitik und den ökologischen Umbau der Indust- kommenden Jahren wenig Einfluss haben.W er etwas riegesellschaft. Das ist besonders bitter mit Blick auf auf die politische Tagesordnung setzen will, wird Deutschlands Rolle in Europa und auf der interna- sich an die Regierungsparteien wenden. Wie schrieb tionalen Bühne. Im Frühjahr 2014 sollen die Klima- Bernd Ulrich in der ZEIT: Man kann auch Geschichte und Energieziele der Europäischen Union bis zum machen, indem man es lässt. Jahr 2030 beschlossen werden. Ein Jahr später findet Am Ende dieser Legislaturperiode werden die Grü- der nächste Klimagipfel in Paris statt – vielleicht der nen im Bund zwölf Jahre in der Opposition sein. Ja letzte Anlauf für ein verbindliches globales Abkom- doch, Kritik der Regierung ist eine ehrenwerte

Foto: Monika Keiler men, bevor der Treibhauseffekt außer Kontrolle Rolle in der parlamentarischen Demokratie. 4

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4 Böll.Thema 3/2013 Einleitung

Aber Franz Müntefering hatte mehr als nur ein diesen Wahlen so weit unter unserem Potential bisschen recht mit seinem berühmten Ausruf blieben, liegen tiefer. Ein Kardinalfehler war, « Opposition ist Mist ». Man macht doch Politik, « dass die Grünen sich zwischen SPD und Links- um zu gestalten. Und das geht aus dem Leitstand partei einklemmten. In dieser Nische wächst der Regierung ungleich wirkungsvoller als aus der Ein Kardinal­- kein Grün. Faktisch haben sie einen Umvertei- Opposition – zumal angesichts der überwältigen- lungswahlkampf innerhalb des linken Lagers den Mehrheit, über die Union und SPD im neuen ­fehler war, dass ­ geführt, statt in die Mitte der Gesellschaft aus- verfügen. Auch macht Daueropposition zugreifen. So gelang es nicht, das brachliegende nicht unbedingt klüger. Sie kann auch zur politi- die ­Grünen sich Reservoir aus frustrierten Liberalen und hei- schen Regression führen, zum Rückzug ins politische ­zwischen SPD matlosen Wertkonservativen anzusprechen. Das Wolkenkuckucksheim oder in trotzige Linkshaberei. historische Projekt der Grünen, die ökologische Attacke muss sein, wenn sich die Gelegenheit bietet. und Linkspartei Modernisierung der Industriegesellschaft, spielte Aber zugleich geht es darum, den programmatischen im Wahlkampf keine Rolle. Es gab kein vorwärts- Akku aufzuladen und wieder zum Zentrum interes- ­einklemmten. ­ weisendes Konzept für die Energiewende 2.0, kein santer Debatten zu werden. Soweit die Stiftung dazu In dieser grünes Investitionsprogramm für Europa, keine beitragen kann, wollen wir das gern tun. Wer über überzeugende Idee einer grünen Industriepolitik. politische Macht verfügt und über den Bundeshaushalt Nische ­ Überhaupt gab es kaum positive Botschaften. Statt entscheidet, steht von ganz allein im Zentrum der Auf- die eigenen Stärken nach vorn zu rücken, arbeitete merksamkeit. In der Opposition muss man sich diese wächst man sich verbissen an der Kanzlerin ab. Dazu kam, Aufmerksamkeit verdienen. kein dass die Partei in der heißen Phase des Wahlkampfs Welche Rolle die Grünen in den kommenden Jahren keine ernsthafte Regierungsperspektive mehr hatte. spielen werden, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Grün. Auch das wirkte nicht gerade mobilisierend auf poten- Lehren sie aus dieser Wahlniederlage ziehen. Es war tielle Wählerinnen und Wähler. erklärtes Ziel, eine Million Stimmen dazuzugewinnen. » Angesichts der wachsenden sozialen Kluft und der Am Ende verloren sie fast eine Million Wählerinnen und Verfestigung prekärer Arbeits- und Lebensbedingungen Wähler an SPD und Union. Schlimmer noch, im Lauf des im unteren Fünftel der Gesellschaft war es nicht ver- Wahlkampfs stürzten die Grünen in der öffentlichen Wahr- kehrt, die Gerechtigkeitsfrage zu stellen. Der springende nehmung brutal ab. Bis weit ins Frühjahr hinein schienen Punkt war, dass sich der grüne Gerechtigkeitsdiskurs sie auf einer Erfolgswelle zu schwimmen: eine Serie erfolg- kaum von SPD und Linkspartei unterschied: Mindest- reicher Landtagswahlen, der erste grüne Ministerpräsident lohn, Mindestrente, höhere Steuern für die Wohlhaben- in einem industriellen Kernland der Republik, Ergebnisse den, Bürgerversicherung etc. So war kein eigenes sozial- jenseits der 20-Prozent-Marke in vielen Städten. Die Partei politisches Profil zu gewinnen. Dabei verfügen die Grünen war auf dem Weg, aus ihrem bisherigen Wählerspektrum durchaus über eine Konzeption sozialer Teilhabe, die sich herauszuwachsen. Bio-Lebensmittel, alternative Energien, von der traditionellen Linken wie von neoliberalen Posi- Fairtrade, Carsharing, Ganztagsschulen, Gleichstellung von tionen unterscheidet. Die Rede ist von der Bedeutung Lesben und Schwulen, Kosmetik ohne Tierversuche, ener- öffentlicher Güter für eine inklusive Gesellschaft: Kinder- gieeffizientes Bauen, Kritik von Rüstungsexporten – der gärten, Schulen und Hochschulen, Museen und Theater, Zeitgeist schillerte grün. Im Bund lagen die Umfragen bis in Bibliotheken und Sportanlagen gehören dazu ebenso wie den Frühsommer hinein um die 14 Prozent. Danach ging es ein leistungsfähiges und erschwingliches öffentliches Ver- zunächst langsam, dann heftig bergab. kehrssystem. Zur Geschichte der Grünen gehört aber auch Vordergründig waren es drei Ereignisse, die uns in die Defen- die Idee und Praxis bürgerschaftlichen Engagements. Soziale sive brachten. Zentrale Botschaft des grünen Programmpartei- Teilhabe vermittelt sich nicht nur über den Staat, sondern tags war eine ganze Serie von Steuererhöhungen. Das brachte durch eine große Vielfalt von Bürgerinitiativen, Selbsthilfe- weite Teile des Mittelstands gegen die Partei auf. Aus Dialog projekten, Vereinen, Genossenschaften, privaten Stiftungen wurde Konfrontation. Die nächste Forderung, mit der die Grünen etc. Dieser « dritte Sektor » zwischen Staat und Markt ist heute von sich reden machten, war der « Veggie Day ». Fortan haftete politisch unterrepräsentiert. Es ist an den Grünen, dem Kon- uns das unfrohe Image der Gängelung und Bevormundung an. zept einer sozialen Bürgergesellschaft eine politische Stimme Der dritte Schlag kam mit der Zuspitzung der Päderastie-Debatte. zu geben. Sie brachte zutage, dass die Forderung nach Entkriminalisierung In jüngster Zeit ist wieder viel von grüner Eigenständigkeit sexueller Beziehungen mit Kindern in den 80er Jahren keines- die Rede. Es ist allerdings noch wenig gewonnen, wenn künf- wegs nur eine Randerscheinung war. Das war besonders bitter für tig weder Koalitionen mit der Union noch mit der Linken aus- eine Partei, die gern mit dem erhobenen Zeigefinger argumentiert. geschlossen werden sollen. Das sagt noch gar nichts über den In der Entrüstung, die sich über die Grünen ergoss, spürte man die Kurs, den die Grünen einschlagen wollen. Erfolgreich werden Genugtuung, uns endlich vom Sockel der höheren Moral zu stoßen. sie nur als politische Alternative sowohl zur Union wie zu SPD Hier geht es nicht um « Inhalte », sondern um eine Haltung, die von und Linkspartei sein. In den Gründerjahren hieß das: nicht rechts, vielen als überheblich und selbstgerecht wahrgenommen wird. nicht links, sondern vorn. Für eine Partei, die Ökologie, Freiheit Die Kombination dieser drei Faktoren reicht schon aus, um eine und soziale Teilhabe in einem neuen Politikentwurf kombiniert, Negativdynamik zu erzeugen. Aber die Ursachen, weshalb wir bei stehen viele Türen offen. --- 5

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Böll.Thema 3/2013 5 Gesellschaft im Umbruch

Merkels Politik antwortet auf den Wunsch einer zerrissenen Gesellschaft nach Majorität. Indem die Grünen die Spaltung der eigenen Klientel in Privilegierte und Verletzliche beispielgebend in ihrer Politik aufheben, können sie auf diesen Wunsch eine eigene Antwort geben, die sie wieder zum Erfolg führt.

« Die Grünen können ­ Taktgeber einer ­ neuen ­Mitte werden »

Ein Gespräch mit Heinz Bude, geführt von Dieter Rulff

Rulff: Die schwarz-gelbe Koalition war die schlechteste in der Es gibt keine grundsätzliche Lösung für diese Probleme. Wenn Geschichte der Bundesrepublik. War Merkels Sieg bei der Bun- Sie sich die Jahrgänge, die jetzt in Rente gehen, anschauen, dann destagswahl folglich weniger Belohnung eines inhaltlichen Pro- sehen Sie, dass die sich damit nolens volens arrangieren. Die Hin- fils als vielmehr die Anerkennung einer Haltung? nahmebereitschaft ist in Deutschland deutlich gewachsen. Das ist Bude: Die Wahl, und das ist das soziologisch Interessante an ihr, keine fatalistische Hinnahme, sondern erwächst aus einer Einsicht war Ausdruck eines Wunsches nach Majoritäten in der Gesellschaft. in die Realitäten. Die Formulierung des verbindlichen Maßes die- Wir hatten uns in der Folge von Foucault und anderen an das Bild ser Hinnahmebereitschaft wird im Augenblick der Regierung Mer- der modernen Gesellschaft als einer Ansammlung von Minoritäten kel zugetraut. Sie artikuliert das mehrheitlich akzeptable Maß der gewöhnt, deren Willen sich in einem überlappenden Konsens aus- Lasten und ihrer Verteilung. Und warum soll es in der Europolitik drückt, für den ein rechtlicher Rahmen gefunden werden muss. Der nicht hinnehmbar sein, wenn Griechenland und andere Länder im Trend in der Bevölkerung läuft jedoch in eine ganz andere Rich- Gegenzug zu finanziellen Hilfen Strukturreformen durchführen sol- tung. Die sagt sich: Bei so viel auseinanderlaufenden Interessen len, die sich in Deutschland bewährt und im Vergleich zum franzö- können wir nicht immer wieder zwischen ihnen Brücken bauen, sischen, britischen oder auch schwedischen Modell als überlegen sondern wir brauchen einen Baldachin der Gemeinsamkeit, unter herausgestellt haben? dem alle mit ihren jeweiligen Eigenheiten Platz finden können … Deutschland als Role-Model für die Krisenländer? … und dieser Baldachin heißt Merkel? Ohne den Einsatz eines Role-Models kommt in Europa gar nichts Merkel vertritt den intelligenten politischen Stil der Mehrheits- zustande. Und über die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen klasse in Deutschland. Dieser manifestiert sich in ihrem Satz: « Wir Modelle muss in Europa die Debatte geführt werden. Wir brauchen fliegen alle nur auf Sicht. » Sie kommen heute mit der Helmut- heute eine Vorstellung, wie Europa in 30 Jahren aussehen soll... Schmidt-Attitüde « Ich sage euch jetzt mal, wo es langgeht » nicht … das klingt nach Finalitätsdiskussion à la … mehr weiter, das glauben die Leute nicht mehr, denn wir haben … nein, nein, notwendig ist eine Debatte über eine europäische eine Reihe von Problemen, die in einer Zweck-Mittel-Rationalität Arbeitsteilung, über die Talentressourcen der verschiedenen Volks- nicht lösbar sind. Merkel verkörpert einen modernen Problem­ wirtschaften, über die Entwicklung volkswirtschaftlicher Stärken management-Stil mit konservativem Korsett, der auch ideologisch und deren Bedingungen. Wir müssen ein neues Verhandlungsre- auf Majoritäten orientiert ist und von einem gleichbleibenden gime über Europa etablieren, das sich nicht mehr als Erfüllung ­Interesse an einer gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft aus- einer historischen Mission sieht, sondern die Zukunft einer euro- geht. Und darin folgen ihr die Leute. päischen Gesellschaft und auch die Zumutungen, die damit für die In der anstehenden Legislaturperiode werden diese Leute Teilgesellschaften verbunden sind, in den Blick nimmt. Der starre Steuern zur Sanierung Griechenlands aufbringen müssen, sie Blick auf das Europäische Parlament dient oft der Verdrängung die- werden für die Energiewende zahlen und zudem die wach- ser Auseinandersetzung. senden Defizite in der Rentenkasse stopfen müssen. Der Weg Obwohl Deutschland im europäischen Kontext eine Insel der der Verschuldung wird dann versperrt sein. Kommt Merkels Glückseligen ist, reagiert die Gesellschaft ausgesprochen Politik der kleinen Schritte da nicht zwangsläufig an ihre reserviert, um nicht zu sagen furchtsam. Grenze? 6

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6 Böll.Thema 3/2013 Gesellschaft im Umbruch

Die deutsche Gesellschaft weiß nicht über ihre Erfolgsbedingun- ander setzen können. Ist diese Gemeinsamkeit mittlerweile gen Bescheid. hat 2008 gesagt, wir gehen stärker verloren gegangen? aus der Krise hervor, als wir hineingegangen sind. Das stimmt, ist Das ist der Grund für das starke Majoritätsbedürfnis in Deutsch- aber unverstanden geblieben. land: Die Leute wollen, dass wir noch in einer gemeinsamen Gesell- Merkel hat dieses Unverständnis nicht aufgehellt, es scheint schaft leben. Und da ist das entscheidende Problem, welche Über- eher die Basis ihres Charismas zu sein. Die Opposition hat gangschancen erhalten bleiben, wenn die Zukunftsperspektiven hingegen einen detaillierten Entwurf der notwendigen gesell- unterschiedlich sind. Die Leute wollen diese Übergangschancen für schaftlichen Veränderungen der kommenden Jahre vorge- alle, diese sollen sich aber an dem gemeinsamen Zukunftsverspre- legt – inklusive der dazu erforderlichen Steuermittel. Und ist chen orientieren, sie wollen nicht, dass sie quasi als Minoritätspro- damit auf die Schnauze gefallen. Hat sie, wie Jürgen Trittin gramm auf Kosten der eigenen Chancen gehen. Das ist die Lehre, die es formulierte, die Wählerschaft überfordert? die Grünen aus dem Volksentscheid über die Schulreform in Ham- Diese Formulierung war der intellektuelle Offenbarungseid einer burg ziehen mussten, wo die eigene Klientel dieser auf Förderung bestimmten Gesellschaftsbetrachtung. Zum Beispiel hat Deutsch- der unteren 10 Prozent zielenden Maßnahme eine Absage erteilte. land in den letzten Jahren durch die niedrigere Verzinsung und In welchem Maße kann Politik noch eine Klammer bilden, Steuermehreinnahmen aufgrund der robusten Wirtschaft 100 Mrd. das Wir organisieren und artikulieren? Euro mehr in den Kassen, als es vor zehn Jahren vorausgesagt Die SPD hat ja mit ihrem Wahlkampf den richtigen Riecher wurde. Wenn da eine Partei Steuererhöhungen fordert, verlangt gehabt, aber sie konnte das Wir nicht füllen. Die Unterprivilegier- doch jeder Kundige, dass sie erst einmal sagt, was mit den 100 ten haben dem Kanzlerkandidaten keine drei Meter weit getraut, Mrd. Euro passiert ist, und begründet, wieso 15 Mrd. Euro mehr und die Privilegierteren hatten den Eindruck, die SPD macht da eine zusätzliche Besserung bringen. Das ist doch eine absolut eine Politik nur noch für die Anderen. Hingegen konnte die CDU vernünftige Haltung und kein Ausdruck von Überforderung. glaubhaft den Eindruck erwecken, sie rede mit allen und kümmere Die Steuermittel sollten zu wesentlichen Teilen genutzt wer- sich vor Ort, mache also das, was eine Volkspartei ausmacht. Sie den, um die soziale Lage des unteren Drittels der Gesellschaft hat sich mit dieser Logik eines subsidiären Regionalismus gegen zu verbessern. Wie ist es zu erklären, dass dieses Drittel sich die politische Richtungslogik der SPD, die ja auf einer Diagnose davon kaum angesprochen fühlte? ­sozialer Spannungen beruhte, überraschend deutlich durchgesetzt. Das ist eines der großen Rätsel der gegenwärtigen Gesellschaft. Das würde in der Konsequenz bedeuten, dass eine linke Ich glaube mit Ihnen, dass diese Gesellschaft einen gemeinsamen Lagerpolitik, welche mit guten, normativen Gründen die Zukunftshorizont verliert. Es gibt eine sich vertiefende Spaltung Interessen des unteren Drittels im Blick hat, gegenüber einer der Gesellschaft in der Mitte selbst. Die untere Mitte verliert den Strategie, welche die Interessen der Mitte zum Ausgangs- Anschluss an die obere Mitte. Die – kurz gesprochen – gut ausgebil- punkt nimmt, von denen ausgehend auch die Belange des deten Doppelverdiener mit und ohne Kind koppeln sich von denen unteren Drittels advokatisch abgedeckt werden, das Nach- ab, die bei teilweise gleichen Bildungsvoraussetzungen aufgrund sehen hat. von falscher Berufswahl, schwierigen Beziehungen oder Trennung – Das ist eine gute Beschreibung des Merkel'schen Ansatzes. Der die das größte Armutsrisiko ist – nicht mehr mithalten können, Krisenkonstitutionalismus des Jahres 2008 und Merkels Politik seit- ohne – und das ist das Schlimme – im eigentlichen Sinne an ihrer dem haben gezeigt, dass das funktioniert. Die beste Kooperation Lage schuld zu sein. war die zwischen Merkel und dem IG-Metall-Vorsitzenden Huber. Ungleichheit als solche zu empfinden setzt voraus, dass sich Das war die Mitte-Achse. SPD und Grüne haben sich leider aus

Arme und Reiche noch als Gemeinsame in Beziehung zuein- diesem Verbund herausmanövriert. Foto: Stephan Röhl 7

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Böll.Thema 3/2013 7 Interview

«Ich glaube, dass diese Gesellschaft einen gemeinsamen Zukunftshorizont verliert. Es gibt eine sich vertiefende Spaltung der ­Gesellschaft in der Mitte selbst ...»

Auch wenn die Mitte zum strategischen Ausgangspunkt der Welche Lehre ziehen wir daraus? Politik genommen wird, gibt es unveräußerliche Rechte, auch In dieser eigenen Konstellation liegt für die Grünen eine unge- soziale Anrechte, die nicht lediglich Gegenstand einer in das heure Chance. Sie könnten Taktgeber einer neuen Mitte werden, Belieben der Politik gestellten Fürsorge sein können. wenn sie das Spannungsverhältnis von Privilegiertheit und Vulnera- Es kann selbstverständlich keinen Rückschritt hinter einen kom- bilität ernst nehmen, indem sie z. B. eine intelligente Debatte über plexen Staatsbürgerbegriff geben, zu dem naturgemäß materielle öffentliche Güter führen. Zu denen würde heute die Work-Life- Anrechte gehören. Die interessante Frage ist allerdings, welche Balance gehören, die natürlich in einem Zusammenhang steht mit Problembeschreibung diesen Anrechten unterlegt ist. Nehmen Sie der medizinischen Versorgung. Es geht darum, eine einsichtige und das Recht auf Bildung. Misst man deren Erfolg bei 15-Jährigen, so handhabbare Idee der Gesellschaft zu finden. Wenn die Grünen kommt man auf zehn Prozent Bildungsverlierer, misst man ihn bei diese Chance wahrnehmen, kommen sie aus der miserablen Lage 23-Jährigen, reduziert sich diese Zahl auf weniger als fünf Prozent. raus, in der sie sich derzeit befinden. Sie dürfen sich jedoch nicht in Das ist ein Erfolg des dualen Bildungssystems. Daraus folgt, dass falsche Gefechte mit der Linken verwickeln, auch nicht mit der FDP, ein jeder einen Rechtsanspruch auf eine berufliche Erstausbildung die sich, da bin ich mir sicher, unter Lindner sozialliberal wandeln haben sollte und nicht der Mittlere Schulabschluss das Bildungs- wird. Wenn die Grünen da nicht aufpassen, sind sie hintendran. minimum definiert. Das kostet natürlich, aber ich bin überzeugt, Die programmatische Neuaufstellung der Grünen fällt in dass die Mitte der Gesellschaft dafür eine hohe moralische Sen- eine Phase eines generationellen Umbruchs, die Gründerge- sibilität hat und es darauf ankommt – und hier spreche ich die neration tritt ab. Was wird von ihr in der Nachbetrachtung ­Grünen direkt an –, diese Sensibilität zu fördern und angemessen bleiben? zu adressieren. Von den Personen wird wenig bleiben. Das Verbraucherministe- Ist das eine Frage der Tonlage, also mehr Freiwilligkeit und rium vielleicht und das Dosenpfand. weniger Verbote im Dienste der guten Sache? Und von der Generation? Es ist auch eine Frage der Tonlage. Entscheidender für die Grü- Ihre Leistung besteht in der pragmatischen Renovierung des nen ist aber, ob es ihnen gelingt, die innere Paradoxie der eigenen Modells Deutschland, nicht jedoch in der Transzendierung des Klientel zum Maßstab der eigenen Politik zu machen, den Wider- Modells. Die ökologische Frage als Ansatzpunkt für die Inkorpo- streit nämlich zwischen Privilegiertheit und Vulnerabiliät. Die rierung von Wissens- und Dienstleistungsmomenten gerade in den grüne Klientel bewegt sich im Spaltungsraum der Gesellschaft, sie Bereichen der exportorientierten Hochproduktivitätsökonomie wie schwankt zwischen oberer und unterer Mitte, zwischen stabiler dem Werkzeugmaschinen- oder dem Anlagebau. Viele Grünen- Inklusion und Abrutschgefahr. Das macht die Grünen so interessant Wähler gehören zur Trägergeneration des Erfolges nach 2008. für diese Gesellschaft, sie müssen diesen Widerstreit nur richtig zu Wenn diese Renovierungsbereitschaft in die nächste Generation politisieren wissen. Die Klientel hat hohe Symmetrieansprüche, gerettet wird, dann ist für die Grünen alles gewonnen. etwa im Geschlechterverhältnis, zugleich ist sie verletzlich, man Ist das nachrückende Personal dazu in der Lage? könnte auch sagen, sie ist geplagt von unausgesprochenen Sorgen. Es ist in der Lage, es sind aber nicht allzu viele. Die Grünen brau- Die Politik der Grünen muss diese Sorgen ernst nehmen, und ich chen eine neue Führungsriege, die die Botschaft des « Transzendie- bin überzeugt, dass viele der klassischen Klientel die Grünen nicht rens durch Renovieren » zeitgemäß zu erneuern versteht. gewählt haben, weil sie sich mit ihren Sorgen nicht aufgehoben fühlten. Stattdessen wurden von ihnen Opfer für ein imaginä- Prof. Dr. Heinz Bude ist Leiter des Arbeitsbereichs « Die Gesellschaft der res Zukunftsprojekt gefordert, von dem aber keiner genau sagen Bundesrepublik » am Hamburger Institut für Sozialforschung und-- Profes- - sor für Makrosoziologie an der Universität Kassel.

Foto: Stephan Röhl konnte, wie es aussehen soll. 8

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8 Böll.Thema 3/2013 Grüne im Umbruch

Die Grünen stehen vor der Aufgabe, ihre Bündnisoptionen zu erweitern, ohne grüne Inhalte aufzugeben und ohne dass es dabei zu einer innerparteilichen Zerreißprobe kommt. Nach dem Generationenwechsel sind die Vorzeichen dafür günstiger.

5 Thesen zur ­ ­K o a l i ­t i ­o n s ­d e b a t t e

Von Michael Kellner

Mangelnde Macht­option wurden, hat auch unsere Mobilisierungsfä- Wir stehen nun vor der Aufgabe, daraus war ­ein Grund für die higkeit deutlich nachgelassen – sowohl in unsere Lehren zu ziehen. Wir müssen die Wahlniederlage die Partei hinein als auch in Richtung der Frage beantworten, wie wir im nächsten Wählerinnen und Wähler. Die mangelnde Wahlkampf einer mangelnden Mobilisie- Nach dem enttäuschenden Wahl- Erfolgsaussicht eines rot-grünen Bündnis- rung durch fehlende Machtoption vorbeu- ergebnis stehen wir vor der Auf- ses war ein zentraler, wenn auch bei wei- gen. Neben Rot-Grün müssen auch Koali- gabe, die Gründe für unsere Ver- tem nicht der einzige Grund für unsere tionen mit der Union sowie mit SPD und ­1 luste aufzuarbeiten und über Wahlniederlage. Linken grundsätzlich denkbar und möglich weitere Bündnisoptionen nachzudenken. Dabei hatte das Jahr 2013 vielversprechend sein. Es ist nicht einzusehen, dass die SPD 2013 haben wir keine Koalitionsmöglichkeit begonnen: Die Überfliegerwerte von 2011 mit der Union koalieren kann, wir aber explizit ausgeschlossen, aber faktisch einen waren zwar zusammengeschrumpft, aber schon bei der Erwägung eines Bündnisses rot-grünen Wahlkampf geführt – deutlich dennoch sah es nach einem erheblichen mit der Union des Verrats bezichtigt wer- sichtbar durch gemeinsame Veranstaltun- Zuwachs für uns aus. Auch ein rot-grünes den. Genauso unbefriedigend ist es, wenn gen und Presseauftritte. Damit haben wir Bündnis schien erfolgversprechend: Grüne ein rechnerisch mögliches Bündnis mit SPD angeschlossen an die vergangenen Wahl- und SPD lagen von Januar bis Anfang und Linken an den Befindlichkeiten der bei- kämpfe: 2005 sind wir nach sieben Jahren Juni 2013 gemeinsam bei über 40 Prozent. den roten Parteien scheitert. gemeinsamer Regierung erneut mit Rot- Damit hätte – insbesondere bei einem Aus- Grün angetreten, was logisch und richtig scheiden der FDP – ein kleiner Swing aus- war. Auch 2009 haben wir Rot-Grün im gereicht, um eine eigene rot-grüne Mehr- Alle müssen mit allen­­­ reden Wahlkampf stark gemacht. Alle anderen heit zu erhalten. Von Juni bis zur Wahl im Optionen – Schwarz-Grün, Jamaika und September erreichten wir allerdings nur In den kommenden Monaten Rot-Rot-Grün waren faktisch ausgeschlos- noch in einer Umfrage Anfang August einen und Jahren werden wir daran sen. Als wir angesichts schlechter Umfragen Wert über 40 Prozent, im Schnitt lagen die arbeiten müssen, diese erwei- für Rot-Grün versuchten, eine Ampelde- Werte zwischen 36 und 38 Prozent. Ein 2 terten Bündnisoptionen in den batte zu führen, erwies sich diese nach rot-grünes Bündnis erschien den Wählerin- Bereich des Möglichen zu rücken. Das muss innen wie nach außen als Rohrkrepierer. nen und Wählern – und auch der medialen aber mit der gesamten Partei geschehen. Es Trotz dieser Erfahrungen haben wir in Öffentlichkeit – nicht als realistische Option. wäre fatal für den Zusammenhalt von diesem Wahlkampf wieder auf Rot-Grün Die Konsequenzen haben wir am 22. Sep- Bündnis 90/Die Grünen, wenn die linken gesetzt. Als im Sommer die Umfragewerte tember 2013 zu spüren bekommen. Grünen Rot-Rot-Grün vorbereiten würden, für dieses Bündnis immer aussichtsloser während der Realo-Flügel an einem Bünd- 9

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Böll.Thema 3/2013 9

Generationenwechsel bei den Grünen → S. 2 0

nis mit der Union arbeitet. Gegen eine nen ist das Leben mitnichten besser. Und: bewahren. Daraus kann Vertrauen erwach- Pizza-Connection ist nichts einzuwenden – was wird mit unserer Bürgerrechtspolitik, sen und damit Kraft und neue Größe. Des- wenn dort Realos und Linke gemeinsam mit mit unserem erweiterten Gerechtigkeits- halb gilt es den Burgfrieden zu überwinden, den Unionsleuten speisen. Umgekehrt müs- begriff, mit unserem Einsatz für Minder- der dazu führte, dass der linke Flügel gegen sen bei Gesprächen mit SPD und Linken heiten? Wir können und dürfen sie nicht Schwarz-Grün mobilisierte und die andere selbstverständlich beide Flügel vertreten opfern. Auch folgt dieses Bild von Grünen Seite gegen Rot-Rot-Grün. Das Ergebnis war sein. Das Gleiche gilt auch für die anderen zwischen zwei Parteien der falschen Logik. der kleinste gemeinsame Nenner Rot-Grün – Parteien. Eine echte Annäherung und Aus- Erneut definiert es uns über andere- Par mit den bekannten Konsequenzen. lotung von Gemeinsamkeiten und Unter- teien. Das ist das Gegenteil einer selbstbe- schieden kann es nur geben, wenn liberale wussten Eigenständigkeit. Unionsleute und CSU-Hardliner am Tisch Prüfen, was geht und auf­ die sitzen. Oder wenn bei den Linken eben Wählerschaft achten nicht nur die pragmatischen ostdeutschen Generationenwechsel ­­ Reformer mit in Gesprächskreisen sind. als Chance Die Frage, welche Bündnisse wir Die Sondierungsgespräche mit der Union eingehen können, hängt nicht haben das schwarz-grüne Verhältnis ent- Seit 2005 hat es nach jeder von uns allein ab. Auch Union, krampft. Doch für eine potentielle Aufstel- Bundestagswahl – vor allem in ­5 SPD und Linke werden sich in lung für 2017 ergibt sich ein Dilemma. Man den Medien – eine Debatte dar- den kommenden Jahren weiterentwickeln kann auf einem Bein nur schlecht stehen. 4 über gegeben, ob die Vorders- und – mit uns und ohne uns – über Bünd- Ohne eine ausbalancierende Option mit ten bei den Grünen nicht langsam abtreten nisoptionen diskutieren. Steuern können Rot-Rot-Grün könnten wir leicht potenti- und Jüngeren das Feld überlassen sollten. wir diese Prozesse nicht, aber wir sollten die elle Wählerinnen und Wähler verschrecken, Mit der Neuaufstellung in Bundesvorstand Offenheit und Bereitschaft haben, mit allen wenn unsere einzige Machtoption Schwarz- und Bundestagsfraktion erfolgt nun klar die Chancen auszuloten. Dann – und erst Grün wäre. Und einen Wahlkampf, der in erkennbar ein Generationenwechsel. dann – werden wir prüfen müssen, wo es einen Schönheitswettbewerb zwischen SPD Die Generation, die heute in den Hinter- Überschneidungen gibt und wo nicht. und Grünen um die Koalition mit der Union grund tritt, ist deutlich geprägt von den Heute regieren wir in den Ländern nur ausartet, können wir auch nicht wollen. 68ern. Sie hat Deutschland verändert und mit der SPD. Das ist sicher kein Zufall. Ein zu einem vergleichsweise progressiven, Blick zurück zu den Wahlkämpfen in den modernen Land gemacht. Ländern zeigt, wie schwer die Offenheit Eigenständigkeit Die 68er Generation hat aber nicht nur für Bündnisse jenseits von Rot-Grün zu selbstbewusst definieren dieses Land verändert, sondern über die kommunizieren war. Das war ja auch der Jahre auch sich selbst. Während einige vor Hauptgrund, warum 2013 erneut Rot-Grün Neue Koalitionsoptionen der Parteiwerdung der Grünen darüber im Fokus stand. Experimente wie Schwarz- schaffen wir uns nur dann, stritten, ob Lenin, Mao oder die spontane Grün in Hamburg und Jamaika im Saarland wenn wir unseren Inhalten Kraft der Massen das richtige revolutionäre haben sich als wenig belastbar erwiesen. 3 treu bleiben, wenn wir für sie Modell sind, und noch in der Gründungszeit Im Wahlkampf in Schleswig-Holstein ist mit kämpfen und versuchen, darüber Mehrhei- genügend politische Mythen gepflegt haben, ein populärer Sympathieträ- ten zu generieren. Wenn wir uns klein arbeiten wir heute sachorientierter an den ger angetreten, der nicht aus der Gründer- machen, uns anpassen und unsere Kernan- politischen Problemen der Zeit. generation kam. Er hat einen Wahlkampf liegen verwässern, werden wir verlieren. Meine Generation muss zeigen, ob sie geführt, der von Offenheit auch gegenüber Das heißt, wir müssen so stark werden, dass die Standhaftigkeit der 68er besitzt, gegen der CDU geprägt war. Doch diese Offenheit sich die anderen unseren Themen anpassen harte Interessen Politik zu gestalten. Hier hat in Umfragen vor der Wahl dazu beige- und nicht umgekehrt. sollten wir uns an ihnen und ihrem Durch- tragen, dass Wählerinnen und Wähler abge- Ein mechanisches Politikverständnis ist setzungswillen orientieren. Wir sind mög- schreckt wurden und die Umfragen in einen da fehl am Platz. Im letzten Wahlkampf licherweise weniger wandelbar – und viel- Sinkflug übergingen. Es blieb im Endspurt standen wir nicht zwischen SPD und Lin- leicht müssen wir es auch nicht sein: Der nichts anderes übrig als umzusteuern und ken, wie einige analysieren. Beim Mindest- Weg von Lenin und Mao zu einer rot-grü- Kurs auf Rot-Grün zu nehmen, was dann lohn standen wir rechts der beiden Parteien. nen Regierung war sicherlich weiter als der auch knapp erfolgreich war. Auch in Berlin Bei Bürgerrechten oder Ökologie waren wir Weg von Rot-Grün zu einer anderen Macht- hat die signalisierte Offenheit für Schwarz- deutlich progressiver. Auch in der Außen- option je sein wird. Grün sich nicht ausgezahlt. Das zeigt, dass politik haben wir unseren eigenen Kurs Einen Vorteil hat meine Generation, und wir nicht nur grün-intern Bündnisoptionen gefahren. den gilt es zu bewahren: Wir haben uns ausloten müssen, sondern in einem offe- Aus der falschen Analyse, wir hätten zwi- (noch) nicht in tiefe persönliche Schützen- nen Prozess auch unsere Wählerinnen und schen den Linken und der SPD gestanden, gräben eingegraben. Wir arbeiten innerhalb Wähler mitnehmen müssen. Das dürfte die ziehen nun einige den Schluss, wir müssten der Partei und zwischen den Flügeln offener schwierigste Aufgabe sein. uns nun umtopfen und zwischen SPD und zusammen, bei allen Konflikten. Ich sehe es Union verorten. Das halte ich für brandge- als Aufgabe, diese Offenheit in der Kommu- Michael Kellner ist Politischer Geschäftsfüh- fährlich. Zwischen zwei großen Mühlstei- nikation und in der Auseinandersetzung zu rer von Bündnis 90 / Die Grünen.--- 10

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10 Böll.Thema 3/2013 Grüne im Umbruch

er 22. September wird als Tag der Die Grünen haben sich in ein politisches Abseits zwischen SPD verpassten Möglichkeiten in die Geschichte der Grünen eingehen. und Linken manövriert, auch weil sie nicht auf ihre Mitglieder Selten zuvor war es so einfach, grüne und Wählerinnen und Wähler gehört haben. Nun müssen sie unter Ziele in eine Koalition einzubringen erschwerten Bedingungen versuchen, die Position der Mitte-Partei und die Politik in der Bundesrepublik zurückzugewinnen. mitzugestalten. Dass es dazu nicht Dgekommen ist, liegt an den programmatischen und koalitionspolitischen Weichenstellungen, die das stra- tegische Zentrum der Grünen – und das war nicht nur Jürgen Trittin – im Wahlkampf getroffen hat. Die Grünen sind hinter die Lernfortschritte, die sie nach Aus dem Abseits der Bundestagswahl 2005 gemacht haben, zurückge- fallen. Damals hatte sich Ernüchterung in der Partei breit gemacht, die sich in einer kritischen Distanz zum rot-grünen Projekt und einer Rückbesinnung auf zurück ins Spiel den grünen Markenkern niederschlug. Ein koalitions- politischer Kurs in Richtung mehr grüne Eigenstän- digkeit und Flexibilität sowie der New Green Deal, Ein Kommentar von Lothar Probst der die ökologische Modernisierung der Gesellschaft ins Zentrum grüner Programmatik rückte, waren die Grundlage für ein zweistelliges Ergebnis bei der Bun- ren Einkommensschichten, und Steuererhöhun- destagswahl 2009. Wenngleich dieses Ergebnis sich gen stießen auch in der Bevölkerung durchaus auf angesichts des Abschneidens der beiden Mitbewerber Zustimmung. Sie wirkten sich nicht negativ auf die unter den kleineren Parteien enttäuschend anfühlte, Wahlergebnisse der Landtagswahlen aus, weil dabei war es dennoch die Basis für den anschließenden die Steuerpläne keine entscheidende Rolle spielten. Aufstieg der Grünen zur dritten politischen Kraft im Doch je näher der Termin der Bundestagswahl kam, Parteiensystem. desto stärker rückten die Steuerpläne in den Fokus, zumal es die Regierungsparteien verstanden, damit Falsche Weichenstellungen das Feuer auf die Grünen zu eröffnen. Bereits im Mai Was ist in der vergangenen Legislaturperiode falsch 2013 meinte eine Mehrheit der Wählerinnen und gelaufen, dass dieser Kredit verspielt wurde? Zwei Wähler im ARD-Deutschlandtrend, dass die umfas- Zahlen sind es, die den Grünen besonders zu den- senden Steuererhöhungspläne den Grünen schaden ken geben müssen und die viel über die versäumten würden. Im Juni wurde den Grünen in der Haushalts- Chancen des Wahlkampfes aussagen: 420 000 Wähler, und Finanzpolitik ein Kompetenzwert von 4 Prozent, die zur Union und 550 000, die zur SPD abgewandert in der Frage nach einer sicheren und bezahlbaren sind und die Grünen zusammen etwa 2,5 Prozent am Energie aber der höchste Kompetenzwert unter allen Gesamtstimmenanteil gekostet haben. Die entschei- Parteien zugewiesen. Statt die warnenden Stimmen dende Frage ist, warum das strategische Zentrum aufzugreifen, wurde in dem im April 2013 auf einem der Parteien es versäumt hat, die Signale der Mit- Parteitag verabschiedeten Wahlprogramm das Steu- glieder und Wähler für eine Kurskorrektur, die selbst erkonzept noch einmal an prominenter Stelle bekräf- im Wahlkampf noch möglich gewesen wäre, ernst tigt. Dass diese Schwerpunktsetzung nicht einmal zu nehmen. Am Ende des Superwahljahres 2011, in in der grünen Mitgliedschaft Unterstützung fand, dem die Grünen angesichts der Atomkatastrophe wurde jedoch bei dem im Juni 2013 durchgeführten in Fukushima einen hohen Glaubwürdigkeitsbonus Mitgliederentscheid deutlich, der das Projekt Ener- ausspielen konnten und mit der ihnen zugeschrie- giewende ganz oben auf die Agenda setzte, während benen energiepolitischen Kompetenz ihre größten es die Steuerpläne nicht einmal unter die ersten neun Erfolge feierten, verabschiedete der Parteitag in Kiel wichtigsten Projekte schafften. Aber statt spätestens ein steuerpolitisches Konzept, das schon damals von jetzt diesen Impuls aufzunehmen und die Energien der Süddeutschen Zeitung als « grüne Orgie der Steu- auf die ökologische Kernkompetenz der Grünen zu ererhöhungen » bezeichnet wurde, mit der man die konzentrieren, blieb ausgerechnet in der heißen gerade erst gewonnenen bürgerlichen Wählerinnen Phase des Wahlkampfes das Steuerkonzept ein zent- und Wähler verschrecken würde. Die mahnenden raler Baustein der Wahlkampagne. Hätte die Partei- Worte nicht nur von , der führung rechtzeitig ein Sensorium für die Stimmung davor gewarnt hatte, die Grünen als reine Steuerer- der Wählerinnen und Wähler und Mitglieder in die- höhungspartei zu positionieren, wurden damals in ser Frage entwickelt, wäre ein Umsteuern noch mög- den Wind geschlagen. Natürlich gab es auch Gründe lich gewesen. Dabei hätte man nicht einmal darauf

für eine Erhöhung der Steuerbelastungen der obe- verzichten müssen, die Grünen auch als sozialpoli- Illustration: Martin Nicolausson 11

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Böll.Thema 3/2013 11

Das Vertrauen der bürgerlichen Wählerinnen und Wähler ­neu erwerben Die Grünen müssen jetzt beweisen, dass sie in der Lage sind, die Erfahrungen dieser Bundestagswahl aufzuarbeiten und daraus zu lernen. Dabei muss das neue strategische Zentrum, welches sich erst her- auskristallisieren muss, in Bezug auf die zukünftige programmatische Positionierung und Strategie eine Reihe veränderter Voraussetzungen mit in den Blick nehmen. Das Parteiensystem hat sich nach dieser Wahl verändert. Die Asymmetrie zwischen Unions- parteien und SPD ist in einem Vierparteiensystem weiter gewachsen; die Linkspartei hat sich gefangen, und im rechtskonservativen Spektrum bahnen sich durch den Erfolg der AfD möglicherweise Verände- rungen an, wenn es, wie zu erwarten, zu einer Gro- ßen Koalition kommt. Aber auch für die FDP besteht beim Zustandekommen einer Großen Koalition durchaus die realistische Chance, nach vier Jahren wieder in den Bundestag einzuziehen. Das rot-grüne Lager hat zusammen nicht ein Prozentpünktchen tische Partei zu positionieren. Aus vielen Umfragen mehr erzielt als bei der Bundestagswahl 2009. Die ist bekannt, dass die sozialpolitischen Kompetenzen SPD wird angesichts dieser Ausgangssituation ihre der Grünen am besten über die Bildungspolitik sowie Koalitionsstrategie auf jeden Fall überdenken und ein eine auf kinderfreundliche Strukturen zielende Fami- Linksbündnis für die Zukunft nicht mehr ausschlie- lien- und Frauenpolitik vermittelt werden können. ßen. Das ist für Teile der Grünen eine verlockende Die zweite problematische Weichenstellung betrifft Perspektive, die sie aber elektoral und programma- die Koalitionsstrategie. Die grüne Parteiführung hat tisch in einem Segment zwischen SPD und Linkspar- sich schon sehr früh auf ein rot-grünes Bündnis fest- tei einschnüren würde. Die Grünen haben die Chance, gelegt und daran selbst zu einem Zeitpunkt festgehal- aus dem Wahlergebnis und den Veränderungen des ten, als allen klar war, dass es niemals für eine rot- Parteiensystems die richtigen Lehren zu ziehen. Wäre grüne Mehrheit reichen würde. Während es nach den es aufgrund eines anderen Wahlkampfkonzepts zu Wahlerfolgen im Superwahljahr 2011 und den Sie- einer schwarz-grünen Regierung gekommen, hätten gen von Rot-Grün bei den folgenden Landtagswahlen die Grünen jetzt die Position einer Median-Partei ein- zunächst durchaus gute Gründe gab, sich öffentlich nehmen können, also einer Partei, die programma- zu einer Präferenz für eine rot-grüne Koalition zu tisch in der Mitte des Parteiensystems steht. Noch ist bekennen, ist kaum nachvollziehbar, warum man es nicht zu spät, um diesen Platz zu kämpfen, zumal nach den Patzern des SPD-Kanzlerkandidaten und durch das Ausscheiden der FDP ein Platz frei gewor- dem Auf-der-Stelle-Treten der Sozialdemokraten in den ist, den die Grünen besetzen könnten, wenn sie den Umfragen nicht in den Monaten vor der Wahl auf ihre Tradition als freiheitliche Bürgerrechtspartei, die eine flexiblere Koalitionsstrategie umgestellt hat, um nicht nur etatistische Forderungen im Angebot hat, das Element der Eigenständigkeit stärker zu betonen. in verantwortlicher Weise wahrnehmen. 170 000 von Dabei gab es aus der Wählerschaft durchaus Signale, der FDP gewonnene Wählerinnen und Wähler sollte sich in dieser Frage nicht zu einseitig festzulegen. Im man ernst nehmen. Allerdings müssen die Grünen April 2013 äußerten 54 Prozent der grünen Wähler, erst das Vertrauen bei den bürgerlichen Wählern, die dass sie sich auch eine Koalition mit der CDU vorstel- sie seit 2009 gewinnen konnten, neu erwerben. Pro- len könnten. Im ARD-Deutschlandtrend im Mai 2013 grammatisch geht das nur als Partei der ökologischen, unterstützte zwar eine Mehrheit der grünen Wähler wirtschaftlichen und kulturellen Modernisierung, die rot-grüne Koalitionsaussage, gab aber zugleich zu die gleichwohl das Unbehagen vieler Menschen an erkennen, dass die Grünen sich eine Koalition mit der dem Stress einer durchökonomisierten Gesellschaft CDU offenhalten sollten. Stattdessen wurde gebets- mitthematisieren sollte. mühlenartig bis zum bitteren Ende an einer unrealis- tisch gewordenen Koalitionsperspektive festgehalten. Prof. Dr. Lothar Probst ist Geschäftsführer des Instituts Die Quittung folgte am Wahltag. Da eine Regierungs- für Interkulturelle und Internationale--- Studien am Fach­ bereich 8 der Universität Bremen und Mitglied der Grü- beteiligung der Grünen vollkommen aussichtslos war, nen Akademie. wählten rot-grüne Wähler lieber die SPD, um diese in einer möglichen Großen Koalition zu stärken. Illustration: Martin Nicolausson 12

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12 Böll.Thema 3/2013 Grüne im Umbruch

desregierung hatte sich im Laufe des Jahres Eine Analyse der Daten zur Bundestagswahl zeigt nicht nur, dass die von 39 Prozent auf zuletzt 51 Prozent spür- Grünen mit ihren Wahlkampfthemen Wählerinnen und Wähler verschreckt bar verbessert. Es herrschte allenfalls eine haben. Für ihre politische Zukunft gravierender ist womöglich, dass die partielle Wechselstimmung, die vor allem Union in der Umweltpolitik Profil und Zuspruch gewinnen konnte. an der Unzufriedenheit mit der FDP in der Koalition festzumachen war. Eine Mehrheit der Wahlberechtigten präferierte eine große Koalition unter Führung von Angela Merkel. Die Schmelze der

Kernkompetenz Gesamt 56 %

Von Oliver Sartorius Gesamt .. 20 % Grune it einem Anteil von 8,4 Prozent nie dagewesene Zustimmungswelle, in bzw. knapp 3,7 Mio. Zweitstimmen deren Folge sie nicht nur den ersten grü- M erzielten Bündnis 90 / Die Grünen nen Ministerpräsidenten stellen konnten, bei der Bundestagswahl 2013 das drittbeste sondern erstmalig auch in allen Bundes- Ergebnis in ihrer Geschichte. Gleichwohl ländern parlamentarisch vertreten waren. Gründe für das Abschneiden der Grünen ist das Abschneiden für die Partei enttäu- Ab Mitte 2011 war die Zustimmung zwar Gegenüber der Bundestagswahl 2009 schend. Ein Blick auf die Wahlergebnisse wieder rückläufig, aber noch in der ersten haben Bündnis 90 / Die Grünen ca. 950 Tsd. seit dem erstmaligen Einzug in den Deut- Jahreshälfte 2013 lagen die Grünen in der Zweitstimmen eingebüßt. Woran lässt sich schen Bundestag 1983 zeigt ein stetiges Sonntagsfrage konstant zwischen 13 und das schlechte Abschneiden der Grünen fest- Auf und Ab: Dabei fielen die prozentualen 15 Prozent. machen? Aus Sicht der Wahlforschung kom- Stimmenverluste zuletzt stets niedriger aus Dennoch war die Ausgangssituation für men dabei mehrere Faktoren zusammen: als die vorangegangenen Gewinne, sodass die Opposition keine einfache: Drei Vier- Der Markenkern der Grünen – die die Partei im Langzeittrend kontinuierlich tel der Wahlberechtigten bewerteten die Umweltpolitik – spielte im Wahlkampf an Anteilen zulegen konnte. Insofern ist wirtschaftliche Lage in Deutschland unmit- keine oder allenfalls eine nachgelagerte das Wahlergebnis der Grünen historisch telbar vor der Wahl als gut oder sehr gut. Rolle: Im Unterschied zu 2009 fiel Umwelt- betrachtet nicht ungewöhnlich. Zum ersten Mal seit langer Zeit teilte eine politik aus den Top 10 der wichtigen The- Mehrheit der Bevölkerung die Einschät- men heraus. Zwar sehen in diesem Politik- Ausgangssituation zung, dass es in Deutschland eher gerecht feld 56 Prozent der Wahlberechtigten die Ungewöhnlich war vielmehr das Stim- als ungerecht zugehe. Bundeskanzlerin Grünen nach wie vor als kompetenteste Par- mungshoch der Grünen im Laufe der letz- Angela Merkel erreichte mit 71 Prozent tei an, aber 2009 waren es noch 64 Prozent ten Legislaturperiode: Neben der Schwäche einen hervorragenden Zustimmungswert, gewesen. Der Union gelang es mit Umwelt- der Bundesregierung führte vor allem die und auch die Zufriedenheit mit der Bun- minister Altmaier, spürbar an Profil zu politische Agenda des Jahres 2010 (Verlän- gewinnen (20 Prozent, +7 Prozent-Punkte). gerung der Atomlaufzeiten, Stuttgart­ 21, Beim wichtigen Themenfeld Energiewende Integrationsdebatte) zu einem Anstieg fokussierte sich die öffentliche Debatte fast der Umfragewerte der Grünen auf über 29.9.2010 ausschließlich auf die Strompreise bzw. 20 Prozent. Zwar flachte das Zustimmungs- niveau Anfang 2011 wieder spürbar ab, 23 % 21.3.2011 aber im Zuge der Atomkatastrophe von 16.3.2011 Bundes- tagswahl Fukushima erlebten die Grünen eine 18 % 19 % 2013: Bundestags- 17.3.2010 21.3.2012 wahl 2009: 21.3.2013 8,4 % 16 % 15 % 15 % 10,7 % 26.9.2012 18.3.2008 Grafik: Blotto Design; Fotografie: energieagentur-nrw / flickr cc by 2.0 12 % 10 % 1.10.2008 8 % Quelle Grafik: Sonntagsumfrage Forsa «Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre …» 13

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chen sich strikt gegen Steuererhöhungen über die Grünen zustande kam und nicht 48 % aus und prangerten die Grünen als Steuer- etwa, weil sie von den Angeboten anderer erhöhungspartei an. Dies blieb nicht ohne Parteien überzeugt waren. Wirkung: Zwei Drittel (68 Prozent) der Wahlberechtigten teilten die Auffassung, Wählerwanderung dass « Grüne [die] Wähler mit ihren Steu- Diese weit verbreiteten Zweifel an den erplänen » verschrecken. Selbst 44 Prozent Grünen schlugen sich im Wahlverhalten der Grünen-Anhänger stimmten dieser Aus- entsprechend nieder. Die Partei konnte sage zu. Auch bei den Kompetenzzuschrei- nicht nur nicht zulegen, sondern musste bungen in Sachen Steuerpolitik konnten Stimmeneinbußen hinnehmen: Bei den Ver- die Grünen im Zuge des Wahlkampfs nicht lusten lassen sich sowohl soziografisch als deren Sozialverträglichkeit. Die Grünen an Profil gewinnen: enigerW als 5 Prozent auch geografisch kaum Schwerpunkte aus- wurden dafür in wesentlichem Umfang mit- sahen sie in der Steuerpolitik als kompeten- machen. Sie trafen die Grünen « auf breiter verantwortlich gemacht: Knapp die Hälfte teste Partei an. Front ». Noch am stärksten fallen die Einbu- (48 Prozent) der Wahlberechtigten teilte Insgesamt verfestigte sich dadurch bei ßen bei den unter 45-Jährigen ins Gewicht, die Auffassung, dass die Grünen einen Gut- einer Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger wo die Partei überproportional verloren hat. teil der Schuld an den hohen Stromprei- (59 Prozent) der Eindruck, dass sich « Die Von den Verlusten der Grünen profitierte sen tragen. Infolgedessen verloren sie seit Grünen […] im Wahlkampf von den Inter- vor allem die SPD, die ca. 550 Tsd. ehema- dem Frühjahr an Kompetenzzuschreibun- essen ihrer eigenen Wähler entfernt » haben. lige Grünen-Wähler auf sich ziehen konnte. gen, was « sichere und bezahlbare Energie » Die von der Bild-Zeitung am 5. August Aber auch an die Union mussten die Grü- angeht: Die Union konnte hier quasi gleich- initiierte Veggie-Day-Kampagne zeichnete nen 420 Tsd. Stimmen abgeben. Weitere ziehen. Es gelang den Grünen nur unzurei- ein Bild von den Grünen als Bevormun- Verluste in Höhe von 200 Tsd. Stimmen chend, positive Aspekte der Energiewende dungspartei, was von den Koalitionspar- an die AfD (90 Tsd.) und sonstige Parteien wie zukunftsfähige Arbeitsplätze oder die teien natürlich dankbar aufgegriffen und (110 Tsd.) konnten die Grünen mit leich- Stärkung der Innovations- und Technolo- im Wahlkampf immer wieder thematisiert ten Zugewinnen von der FDP (170 Tsd.) gieführerschaft der deutschen Wirtschaft zu wurde. So teilte vor der Wahl jeder zweite und der Linken (40 Tsd.) kompensieren. kommunizieren, mit Lösungsvorschlägen Wahlberechtigte (50 Prozent) die Auffas- Im Unterschied zur Union (+1,1 Mio.) und durchzudringen und so die alleinige Kom- sung: « Die Grünen wollen uns vorschreiben, zur SPD (+360 Tsd.) gelang es den Grünen petenzführerschaft in Bezug auf die Ener- wie wir zu leben haben .» aber nicht, per Saldo ehemalige Nichtwäh- giewende zu behaupten. Die Pädophilie-Debatte dürfte vor allem ler zu mobilisieren (– 40 Tsd.). In der Auseinandersetzung um soziale der Glaubwürdigkeit der Grünen geschadet Gerechtigkeit erlebten Teile der Wähler- haben, auch wenn diesbezüglich keine kon- Nach der Bundestagswahl: schaft die Forderungen der Grünen nach kreten empirischen Befunde vorliegen. Ein Koalitionspräferenzen Mindestlohn und mehr Verteilungsge- lediglich indirektes Indiz stellen die abneh- In der Woche nach der Bundestagswahl rechtigkeit als einen Linksruck: Knapp die mende Zufriedenheit mit dem Spitzenkan- bevorzugt eine deutliche Mehrheit der Hälfte (45 Prozent) der Wahlberechtigten didaten Jürgen Trittin insbesondere in den Wahlberechtigten eine Große Koalition teilte die Auffassung, dass sich « Die Grü- letzten zwei Wochen vor der Wahl dar sowie (48 Prozent). Eine schwarz-grüne Regie- nen […] im Wahlkampf viel weiter links die hohe Zustimmung zu der Aussage « Jür- rung erhält dagegen mit 18 Prozent nur präsentiert [haben], als ich sie eigentlich gen Trittin hat den Grünen im Wahlkampf wenig mehr Zustimmung als eine rot-rot- in Erinnerung hatte ». Profitieren konnte mehr geschadet als genützt » (46 Prozent). grüne Koalition (16 Prozent), die ebenfalls die Partei von dieser Programmatik nicht: Allerdings können diese Befunde auch auf rechnerisch eine parlamentarische Mehrheit Während SPD (+5 Prozent-Punkte) und andere Ursachen zurückzuführen sein. hätte. Die Grünen-Anhänger selbst sind in Linke (+4 Prozent-Punkte) seit dem Juni Die verschiedenen Faktoren trugen dazu dieser Frage vergleichsweise unentschie- spürbar an Kompetenzzuschreibung in bei, dass die Grünen im Wahlkampf nicht den: Schwarz-Grün (36 Prozent) erhält diesem Politikfeld gewinnen konnten, ver- mit einer klaren positiven Botschaft in Ver- zwar mehr Zustimmung als Rot-Rot-Grün loren die Grünen spürbar an Zustimmung bindung gebracht wurden. Dies wurde vor (28 Prozent), eine klare Mehrheit findet (– 4 Prozent-Punkte). allem in der Schlussphase des Wahlkampfs sich unter den Grünen-Anhängern jedoch Der Versuch der Grünen, im Wahlkampf deutlich, der erst ab Mitte August spürbar für keine der drei Optionen (Große Koali- besonders ehrlich zu agieren, inhaltliche an Fahrt aufnahm und zu einer entsprechen- tion: 21 Prozent). Vorhaben wie Investitionen in Bildung, Inf- den « Politisierung » der Stimmung führte. rastruktur und Kinderbetreuung gegenzu- Gerade in dieser Phase war eine deutlich Oliver Sartorius ist Projektleiter Politikfor- finanzieren und so die Öffentlichkeit von negative Entwicklung der Haltequote der schung bei TNS Infratest.--- der Notwendigkeit ihrer Steuerpläne zu Grünen feststellbar: Es wandten sich Wäh- überzeugen, war wenig erfolgreich. Statt lerinnen und Wähler von der Partei ab, die ihrer inhaltlichen Ziele rückten die Steuer- noch 2009 für die Grünen votiert hatten. vorhaben in den Mittelpunkt der politischen Letztlich gab etwa die Hälfte (45 Prozent) Auseinandersetzung und der medialen dieser ehemaligen Grünen-Wähler an, dass Grafik: Blotto Design; Fotografie: energieagentur-nrw / flickr cc by 2.0 Berichterstattung. Union und FDP spra- ihre Wahlentscheidung aus Enttäuschung 14

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14 Böll.Thema 3/2013 Grüne im Umbruch

Die Grünen sind von der Veggie-Day-Kampagne der Medien und der politischen Wettbewerber eingeholt worden. Selbstbewusst sollten sie auf die Kraft der eigenen Argumente vertrauen. Das Stigma der Verbots- partei abschütteln

Von Barbara Unmüßig

ideologischer Umerziehung sprach gar der CDU- Fraktionsvize Michael Fuchs. Nicht nur die üblichen Verdächtigen des Boulevards übergossen von nun ippe Metropolen wie São Paulo, Kap- an die grünen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer stadt und San Francisco haben ihn. Von mit Spott und Häme. Die seriöseren Blätter witterten Juist bis Straubing sind es über 30 deut- hinter dem harmlosen Appell, etwas weniger Fleisch sche Städte, die ihn längst praktizieren zu essen, den Furor grüner Verbotswut. Die Grünen und propagieren: den Veggie-Day. In mutierten in der medialen Perzeption zur Besserwis- HDeutschland ist der Donnerstag bevorzugt. Interna- serpartei, die den Einzelnen bevormunden will. In tional wirbt der Beatle Paul McCartney seit Langem der Mediensprache heißt das « Weiterdrehe ». Was die und mit Erfolg für einen fleischlosen Montag. Debatte rund um den Veggie-Day exemplarisch zeigt: Der Veggie-Day ist also längst Praxis. Und findet Massenmedien dominieren den Wahlkampf, und in in Umfragen – übrigens auch während des Wahl- diesem Wahlkampf haben die Grünen die Deutungs- kampfs – große Zustimmung in der Bevölkerung. Sie hoheit gleich über mehrere Themen verloren. Über liegt regelmäßig zwischen 40 und 55 Prozent. « die Energiewende wurde – trotz aller Grünen-Initi- Im Wahlkampf wurde der Veggie-Day allerdings Im ativen – einfach nicht berichtet. Aber das ging auch zur Chiffre für die Grünen als Verbotspartei. anderen Parteien mit ihren Themen so. Die Bild-Zeitung eröffnete am 5. August die Hatz Wahlkampf mit der Schlagzeile « Grüne wollen Fleisch verbieten » Eine mediale Steilvorlage und gerierte sich stellvertretend für die Republik wurde der Die mediale Steilvorlage haben die politischen Mit- als Hort des Widerstands gegen die angebliche Ver- Veggie-Day bewerber freudig aufgegriffen. So ist das eben im botsorgie. « Alberne, dumme Idee », titelte die Welt. Wahlkampf. Das sollte auch so betrachtet werden Die Straubinger und Deggendorfer also alle gaga und zur Chiffre und nicht in grüne Selbstgeißelung münden. Die dumm? Dort wurden die Veggie-Days – natürlich mit Agrarwende ebenso wie die Energiewende brauchen CSU-Stimmen – beschlossen. für die offensive und nicht defensive Grüne. Wenn sich die Negativkampagnen des politischen Gegners sind Grünen als Grünen die Zuschreibung «Verbotspartei» zu eigen Wahlkampfalltag. Und spätestens seit Jürgen Haber- machen und dieses Etikett selbst immer weiter wie- mas’ «Strukturwandel der Öffentlichkeit» wissen Verbotspartei. derholen, wird es umso schwieriger, es wieder los- wir, dass mit einer zunehmenden Vermachtung der zuwerden. Die Zuschreibung als Verbotspartei stößt öffentlichen Sphäre und mit der Dominanz und den » auch auf Resonanz in den eigenen Reihen. Die von Einflussmöglichkeiten der Massenmedien Öffentlich- den politischen Konkurrenten und den Medien insze- keit immer wieder als Mittel der Herrschaft ge- und nierte Kampagne wird erstaunlicherweise wenig hin- benutzt wird. Die durchsichtige mediale Inszenie- terfragt, man kauft ihnen das Argument ab. In kaum rung verfing. Im bündnisgrünen Wahlprogramm war einer grüninternen Wahlanalyse fehlt der Verweis der Veggy-Day lediglich eine Marginalie auf Seite darauf, dass die Veggie-Day-Debatte geschadet habe. 164 – und veranlasste nun im Wahlkampf den politi- Das stimmt, aber ist der Veggie-Day deshalb falsch? schen Gegner unversehens die Keule der Freiheitsge- Weniger Fleisch zu essen ist seit Langem eine Emp- fährdung auszupacken. Für den CDU-Wahlkampfchef fehlung und eine Anregung für mehr Vielfalt auf dem Hermann Gröhe war der Veggie-Day « ein Baustein Speisezettel. Ihnen zu folgen ist eine individuelle

für die Grüne-Bundes-Verbotsrepublik », und von Entscheidung, auf diese Weise einen Beitrag zu einer Illustration: Martin Nicolausson 15

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Böll.Thema 3/2013 15

können. Sie wissen, dass, wenn wir ernsthaft umsteu- Die Grünen sind von der Veggie-Day-Kampagne der Medien und der politischen Wettbewerber eingeholt worden. ern, es ohne Zumutungen und Abstriche bei liebge- Selbstbewusst sollten sie auf die Kraft der eigenen Argumente vertrauen. wonnenen Konsum- und Lebensstilen nicht geht.

Auf die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger bauen Wer sich ökobewusst ernährt, ist noch lange kein Das Stigma der Verbots- « ganzer » Öko; er oder sie fährt gleichzeitig gerne ein schnelles Auto – mag also Tempo 100 oder kleinere, emissionsärmere Autos vielleicht gar nicht. Gerade das sogenannte erweiterte Wählerpotential der Grü- nen dürfte sich in solchen Widersprüchen und Ziel- partei abschütteln konflikten befinden.Wie soll das also gehen mit einer Ökologie- und Klimapolitik, die um Verbote nicht herumkommen wird, die aber gegebenenfalls auf wenig Akzeptanz stößt und dann schnell als indivi- Von Barbara Unmüßig duelle Bevormundung denunziert wird? Mit diesem wachsenden Dilemma müssen sich die Grünen in artgerechten und ökologisch weniger schädlichen Zukunft viel ausführlicher befassen – programma- Landwirtschaft zu leisten. tisch und kommunikativ. Die politischen Mitbewerber Zu den ökologischen Kernaufgaben gehören der und große Teile einer den notwendigen Transforma- Klimawandel, der gerechte Umgang mit knapper tionsprozessen wenig zugeneigten Wirtschaft werden werdenden Ressourcen und die Agrarwende. Es immer wieder in diese Kerbe hauen. Wie das funkti- wäre fatal, wenn sich die Haltung breitmachte, dass oniert und wo die Grünen besonders verletzlich sind, Verbote in der Ökologiepolitik vor lauter Angst vor haben sie spätestens in diesem Wahlkampf gelernt. Medienschelte kaum noch ihren Platz fänden. Der Zu den grünen Wurzeln und zu ihrer Geschichte möglichst zielgenaue Instrumentenmix aus Anreizen, gehört, dass sie mit ihren Diskursen und politischen Ge- und Verboten ist die Aufgabe. Einen Ausstieg aus Forderungen mehrfach tradierte gesellschaftliche Agrarfabriken und Massentierhaltung wird es nur Normen und die davon getragene Politik geändert mit neuen Regeln und ja – mit Verboten der Subven- haben. Dafür waren harte Kämpfe notwendig. Ohne tionierung von Massentierställen oder Verordnungen die sozialen Bewegungen und die Grünen hätte es zur Größe von Tierställen geben. Das ist einer der keinen Atomausstieg gegeben, wäre Deutschland Kerne grüner und artgerechter Landwirtschaftspo- kein Vorreiterland bei den erneuerbaren Energien, litik. Anreize, individuelle Essgewohnheiten zu ver- gäbe es weniger emanzipatorische Fortschritte in ändern, sind eine hilfreiche und nötige Ergänzung. den Geschlechterverhältnissen und weniger Aner- Viele deutsche Städte haben das längst mit einem kennung der Vielfalt der Lebensformen. Dafür zu Veggie-Day für Kantinen auf den Weg gebracht. kämpfen bedeutet immer auch eine Gratwanderung Die Grünen sind aber nicht ausschließlich Opfer zwischen der Notwendigkeit neuer regulativer Prin- der Massenmedien geworden. Das wäre zu ein- zipien einerseits und individuellen Verhaltensweisen, fach. Schließlich gibt es Themen, die werden in den Wünschen und Vorlieben der Menschen andererseits. Medien breit berichtet und sind dennoch nicht wahl- Die Regeln und Prinzipien in einer Weise auszuhan- entscheidend. Schlagendes Beispiel in diesem Wahl- deln, dass sie mehrheitsfähig werden, ist die große kampf war der NSA-Abhörskandal. Herausforderung grüner Politik in der Demokratie: Wieso hat die Botschaft von der Verbotspartei so Barbara Unmüßig ist Mitglied nicht bevormundend, sondern auf die Mündigkeit der viel Widerhall gefunden – selbst in den eigenen Rei- des ­Vorstands der Heinrich- Bürgerinnen und Bürger bauend und auf die Stärke Böll-Stiftung hen? Ein Erklärungsversuch: Erstens: Es ist der Habi- der eigenen Argumentation vertrauend. Die Grünen tus, mit dem manche politische Forderung verkündet stehen seit ihrer Gründung dafür, dass gesellschaftli- wird. Den Zeigefinger und den konfrontativen Ton che Fortschritte immer eine Veränderung der eigenen mögen viele Menschen in Deutschland nicht. Der Lebenswelt und der politischen Rahmenbedingungen Habitus, die Tonlage, die Körpersprache – sie sind bedeuten, und sie waren damit erfolgreich. Politik häufig prägender in der Perzeption einer Botschaft der ersten Person nannte sich das früher. Die Grünen als politische und faktengestützte Argumente. sollten sich auch in Zukunft selbstbewusst an diese Zweitens findet das Verbotsargument Widerhall, Wurzeln erinnern statt unter dem Druck vermachte- weil die von den Grünen angezeigten gesellschaft- ter (Medien)-Interessen gleich einzuknicken, wenn lichen und ökologischen Transformationsprozesse der Wind schärfer bläst, und in Sack und Asche zu Abwehr und Angst auslösen. Viele Menschen in gehen. Brave Grüne sind das Letzte, was wir brau- Deutschland wissen längst, dass wir den Klimawan- chen. Das Stigma der Verbotspartei sollten sie schnell Illustration: Martin Nicolausson del nicht nur mit «unserer» Energiewende stoppen abschütteln. --- 16

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16 Böll.Thema 3/2013 Grüne im Umbruch

er Auszug der FDP aus dem Bundestag gesellschaftlicher Konflikte und damit auch unter- ist eine Zäsur in der bundesrepublika- schiedlicher Normvorstellungen prädestiniert. nischen Geschichte, und nicht wenige politische Beobachter sehen damit den Freiheit ist das Gemeinsame grüner Werte politischen Liberalismus in Deutschland Gerade weil die Grünen keine mit historischen Remi- Dverwaist. Die Grünen haben sich sofort erboten, sich niszenzen aufgeladene Weltanschauungspartei sind, des Waisen anzunehmen, was insofern nahelag, als bietet sich der nüchterne Liberalismus als Programm- zum einen bei der Bundestagswahl 170 000 frühere korsett an, das für verschiedene Zuschnitte offen ist. FDP-Wählerinnen und Wähler zu ihnen gewech- Allerdings verschieben sich mit ihm auch politische selt sind und zum anderen die Grünen der FDP als Gewichtungen und werden parteigängige Sichtwei- Bürgerrechtspartei schon seit Längerem den Rang sen korrigiert. abgelaufen haben. Allerdings dürfte sich die pro- Der Liberalismus fokussiert das Gemeinsame der grammatische Hinterlassenschaft der FDP als wenig verschiedenen grünen Anliegen, denn der Sinn von brauchbar erweisen, handelt Politik ist, so Hannah Arendt, es sich doch um angebots- Freiheit. Die dem Freiheitsge- Der Liberalismus könnte den Grünen dazu dienen, politische Versatzstücke, mit brauch angemessene Form der denen ein allen gesellschaft­ Ordnung in ihren Wertehaushalt zu bringen und sich in Politik, so lässt sich ergänzen, lichen Verpflichtungen entklei- der Parteienlandschaft gleichermaßen unabhängig und ist die Demokratie. Denn die- deter Besitz­individualismus anschlussfähig zu positionieren. ser Gebrauch folgt der Maxime, ver­brämt wurde. die die amerikanische Philoso- Zudem eignet sich der Libe- phin Judith Shklar auf die For- ralismus nur begrenzt zur Pro- mel brachte: « Jeder erwach- filschärfung im Parteienwett- sene Mensch soll in der Lage bewerb, denn Liberalität ist, sein, so viele Entscheidungen wenn auch mit unterschied- über so viele Aspekte seines lichen Akzentuierungen, ein Lebens zu fällen, wie es mit der Kennzeichen mehr oder min- gleichen Freiheit eines jeden der aller Parteien. Wenn das anderen erwachsenen Men- Verschwinden der FDP für die Freiheit, schen vereinbar ist. » Grünen ein Gelegenheitsfenster Abgesehen von dieser Regel bietet, sich ihrer stärker anzu- erlässt der Liberalismus keine nehmen, dann vor allem aus Vorschrift, wie der Einzelne zwei Gründen. Zum einen, um die wir sein Leben zu führen hat, wel- eine eigene Öffnung im Partei- chem Glücksstreben er anhän- enspektrum zu markieren, die gen will. sie gegenüber Wettbewerbern Freiheit bedarf also einer anschlussfähiger macht. Vor- meinen Ordnung, die einen gleichen aussetzung dafür ist allerdings, Zugriff auf sie für alle ermög- dass sie sich zum anderen, licht. In der demokratisch ver- parallel zur derzeit sich voll- fassten Gesellschaft ist Gleich- ziehenden personellen Neuauf- heit somit ein Attribut, eine stellung, den Liberalismus auch Von Dieter Rulff Verwirklichungsbedingung der zur Nachjustierung des eigenen Freiheit. Beide stehen also programmatischen Profils aneignen. Bislangmachten nicht wie kommunizierende Röhren zueinander, wo sich die Grünen eher einseitig für die Variante des das Mehr der einen ein Minder der anderen bedeu- Bürgerrechts-Liberalismus stark, dessen Adressat tet – wie es häufig in der sozialdemokratischen Pro- der auf den Privatbereich des Einzelnen zugreifende grammatik und auch in manch grüner Rhetorik kom- Staat ist. Freiheit spielte im Strauß der grünen Leit- muniziert wird. werte eine eher marginale Rolle neben einem ganzen Die historisch frühesten und elementarsten Bedin- Bouquet von Gerechtigkeitsnormen (Geschlechter-, gungen des Freiheitsgebrauchs, die eine liberale Ord- Generationen-, internationale Gerechtigkeit etc.), die nung zu gewährleisten hat, sind die Abwesenheit von untereinander relativ unverbunden jeweils eine Ziel- Furcht, Unterdrückung, Ausgrenzung, Verfolgung, gruppe adressieren. Mögliche Zielkonflikte, obwohl Diskriminierung, und diese Bedingungen sind bis in der Praxis immer wieder erfahren – zuletzt im heute nicht in Gänze erfüllt. Es sind die Minimalan- Bundestagswahlkampf – und Verfahren ihrer Beile- forderungen, um sich als gleiche Freie wechselseitig gung sind ausgespart, was irritiert, nehmen die Grü- anerkennen zu können. Dazu kommt die gleiche nen doch zugleich für sich einen rationalen Universa- Befähigung zur Autonomie, durch eine (berufliche) lismus in Anspruch, der sie zur integren Vermittlung Bildung, die ein selbstständiges Leben wirtschaftlich 17

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Böll.Thema 3/2013 17

ermöglicht, durch den gleichen Zugang zu öffent- und Interessen entscheidet und dazu einzig demokra- lichen Medien und Ämtern, der politisches Han- tisch legitimiert ist, hat die Generationengerechtigkeit deln ermöglicht. Ein solcher Liberalismus ist sozial gegenüber der Demokratie normativ das Nach­sehen durchaus voraussetzungsvoll, er fasst allerdings die und kann ihre Anliegen nur durch das Nadelöhr der mit ihm begründeten Leistungen als Solidarleistun- aktuellen Präferenzen zur Geltung bringen. Auch gen, als Hilfe zur Selbsthilfe, die auf wechselseitiger wenn es mit dem kleiner werdenden Zeitfenster für Anerkennung beruhen und diese festigen und dabei den Klimaschutz konfligiert: Als lediglich advokatisch den Hilfsbedarf ebenso in den Blick nehmen wie vertretbare erlangen die Interessen künftiger Genera- die Fähigkeit zur Hilfeleistung. Ein solcher liberaler tionen nur Berücksichtigung, wenn sich in den Parla- Sozialstaat ist nicht per se mager, doch dass er nicht menten Mehrheiten für sie finden werden. allein die Existenz eines Bedarfs als hinreichenden Noch in einer weiteren Hinsicht lenkt der Libe- Grund für dessen Befriedigung gelten lässt, sondern ralismus grüne Regelungsansprüche in engere Bah- ihn auch in Beziehung setzt zur Wirtschaftskraft, die nen. Fragen des guten Lebens, der Lebensführung diese Befriedigung ermöglicht, trägt diesem liberalen gehören in den Autonomiebereich des Einzelnen, Modell bisweilen den Ruf der Kälte ein. Dass aller- und Eingriffe in ihn müssen schon schwerwiegende dings diese Wirtschaftskraft notwendige Bedingung Gründe ins Feld führen. Diese Grenze haben die Grü- auch der eigenen Politik ist, ihr Erhalt und ihre Stär- nen zuletzt bei der Veggie-Day-Debatte gespürt, und kung mithin auch ein grünes Anliegen sein müssen, sie wird immer dann berührt sein, wenn für politisch ist eine Erkenntnis, die sich bei den Grünen erst erwünschtes Verhalten nicht Einsicht geweckt, son- ganz allmählich durchsetzt. Aller- dern dieses erzwungen werden soll. dings hat sich der Blick in den letz- Dies trifft die Umwelt-, aber nicht ten Jahren etwas gewandelt. Die minder die Biopolitik, in der die Dynamik des Wirtschaftsbetriebes, Grünen sich, von der Stammzell- die Notwendigkeit von Innovatio- forschung bis zur Sterbehilfe, eine nen rücken in den Fokus des eige- «Sich als liberale Partei zu eher restriktive Haltung zugute- nen Interesses, seit mit der Ener- positionieren, würde den halten. Nun ist es ein Kennzeichen giewende das eigene Programm moderner Gesellschaften, dass sie einen industriellen Niederschlag Grünen einiges abverlangen.» eine Vielzahl von Lebensentwürfen findet. Doch zeugt sie auch davon, bergen und ihre Mitglieder unter- dass der Wunsch nach Förderung schiedlichen Moralvorstellungen einer ex ante als gesellschaftlich folgen. Eine grüne Politik, die nicht nützlich erkannten Produktion das eine dauerhafte Divergenz zum Vertrauen in die Mechanismen der liberalen Markt- Mehrheitswillen riskieren will, kann dieser Plurali- ordnung schnell schwinden und an ihre Seite die len- tät nur gerecht werden, indem sie nicht davon aus- kende und bisweilen protegierende staatliche Hand geht, was grüne Abgeordnete als Gesetzgeber für treten lässt. moralisch richtig erachten, sondern welche Regelung das höhere Maß an gesellschaftlich divergierenden Demokratische Grenzen der normativen Praktiken ermöglicht. Die Grenze der Generationengerechtigkeit Divergenz wäre durch die wechselseitige Akzeptanz Im Konflikt zwischen den Belangen künftiger Genera- dieser Normen als begründungsfähige Position, wie tionen und den Interessen der jetzt Lebenden schlägt sie sich im Nationalen Ethikrat ausdrückt, gezogen. das grüne Herz auf der Seite Ersterer. Allerdings las- Eine solche liberale Regelung würde allerdings von sen sich in einer liberalen Demokratie beide Positio- nicht wenigen Grünen-Politikerinnen und -Politikern nen nicht als gleichrangige miteinander vermitteln. fordern, über den Schatten des eigenen Glaubens zu Die nachkommenden Generationen sind keine Teil- springen. Diese Fähigkeit ist auch gefordert, wo es nehmer des demokratischen Willensbildungsprozes- gilt, eine sich nicht im Gemeinwohl, sondern in Tra- ses, die Gleichheit der Staatsbürger findet keine Ent- ditionen begründende Alimentierung und damit Pri- sprechung im intergenerationellen Verhältnis, weil es vilegierung der christlichen Religionsgemeinschaften ihm an Reziprozität mangelt. Die Interessen künftiger aus Steuermitteln zurückzuweisen. Generationen können nur antizipiert werden, und sie Sich als liberale Partei zu positionieren ist also werden auch nicht dadurch real, dass, wie manche als alles andere als ein voraussetzungsloses Unterfangen, Ausweg aus dem Dilemma vorschlagen, das demokra- es würde den Grünen einiges abverlangen, allerdings tische Verfahren als ideale Kommunikationssituation wäre der Gewinn ungleich größer, als er sich an frü- rationaler Teilnehmer gedacht wird, zu denen die heren Wählerstimmen der FDP je messen ließe. noch nicht geborenen als potenzielle gezählt werden könnten, deren Artikulationsmöglichkeit nicht bereits Dieter Rulff ist freier Autor und Redakteur von jetzt eingegrenzt werden dürfe. Da immer nur das Böll.Thema . --- reale Volk mit all seinen individuellen Präferenzen 18

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18 Böll.Thema 3/2013 Grüne im Umbruch

Folge regelmäßig auf eine undurchdringliche Kom- Die Grünen müssen aus der europapolitischen Deckung treten, in bination von Ignorieren, Aussitzen, Ausgrenzen. der sie sich im Bundestagswahlkampf verkrochen haben, indem Kurz vor dem Sommer 2013 scheiterten die letzten sie sich für den Erhalt des Euros, eine gerechte Verteilung der Vorstöße für eine europapolitische Dimension des Krisenlasten und nachhaltiges Wachstum in den Krisenländern grünen Bundestagswahlkampfes im bürokratischen einsetzen. Verhau der Wahlkampfführung. Erst als die Umfra- gewerte der Grünen schon längst im Sinkflug waren, etwa vier Wochen vor dem Wahltag, präsentierte die Werbeagentur die Einsicht, dass europapolitisch vielleicht für Grün noch etwas zu mobilisieren wäre. Doch selbst das änderte dann nichts mehr an den Standard-Wahlkampfreden. ar Besonders bitter ist, dass das grüne Bundes- id i tagswahlprogramm zur Europapolitik eigentlich t eine richtige Analyse und eine tragfähige Strategie l ä enthielt. Es wurde als Stück Papier behandelt, spielte o t im Wahlkampf keine Rolle. S Das fatale Schweigen zu Europa Als Partei, die sich seit vielen Jahren in ihren Beschlüssen regelmäßig als Europapartei definiert, gaben die Bündnisgrünen mit der Europapolitik eines ihrer potentiellen Mobilisierungsinstrumente aus der Nachhaltigkeit Hand. Doch der Schaden der strategischen Fehlleis- tung, Europa auszuklammern, war noch weit größer. Indem der Bundeskanzlerin einfach keine politische Alternative in der strategisch zentralen Frage der deutschen Europapolitik, der deutschen Positionie- S rung in der gefährlichen europäischen Krise, ent- t gegengestellt wurde, anerkannte man de facto ihre o politische Hegemonie. Die unbestrittene Verteidige- l ä rin deutscher Steuergroschen, die verehrte schwäbi- i di t sche Hausfrau, die « uns » wunderbar gegenüber den vermeintlich unberechtigten Forderungen unserer europäischen Nachbarn vertritt, als die sie durch den Wahlkampf segelte, die hätte Angela Merkel ohne die indirekte Mitwirkung der Opposition gar nicht wer- den können: Unterstützung durch Unterlassen. Rot Von Reinhard Bütikofer und Grün unterminierten damit schließlich auch den gemeinsamen Anspruch auf eine andere Führung des Landes. Wenn Merkel in der großen Europafrage ie lange vor der Bundestagswahl so unbestritten führen durfte, wieso sollte man sie in der Führung von Bündnis 90/ dann durch politische Kräfte ersetzen, die bestenfalls Die Grünen die Entscheidung fiel, Begleitmusik und Nebenakzente zu bieten hatten? die Europapolitik weitestgehend Wohlgemerkt: Dass Grün – und Rot – mehrfach im aus dem Wahlkampf herauszuhal- Bundestag der Bundesregierung in europapolitischen Wten, darüber kann man nur Mutmaßungen anstellen. Beschlüssen Unterstützung angedeihen ließen, sie in Wahrscheinlich war es bereits 2011. Spätestens ab großer staatspolitischer Verantwortung stützten, das Februar 2012 war intern unübersehbar, dass ohne soll damit ausdrücklich nicht kritisiert werden. Aber innerparteiliche Debatte und ohne es klar auszu- es wurde versäumt, diese für die eigene Basis bis- sprechen eine solche Entscheidung getroffen worden weilen nicht einfach zu verstehenden, richtigen Ent- war. Alle Vorstöße in Richtung einer gegenüber dem scheidungen mit einem eigenen Narrativ zu unterle- Kurs der Bundesregierung profilierten, eigenständi- gen. Die größte Chance, das zu tun, bestand bei der gen grünen Europapolitik, ob sie von den Grünen im Entscheidung zum Fiskalpakt. Dabei konnte es nicht Europaparlament kamen, von der Grünen Jugend, darum gehen, den Fiskalpakt zu verteufeln. Aber von der parteiinternen Bundesarbeitsgemeinschaft dass das Politikkonzept, das im Fiskalpakt gipfelte, Europa, von Landesvorständen oder sogar von ein- nicht balanciert war; dass es einseitig auf Austerität zelnen Bundestagsabgeordneten, sie stießen in der setzte; dass es eine wirksame Hilfe zur Selbsthilfe 19

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Böll.Thema 3/2013 19

Zum Thema Klimawandel auf EU-Ebene → S. 3 5

im Kampf gegen erdrückende Schulden, technisch bestimmte Instrumente: « Whatever it takes! » « Einen wirtschaft­ ausgedrückt: eine Mutualisierung wenigstens von Das ist Primat der Politik. lichen Ausweg für Teilen der Staatsschulden etwa über einen Schulden- →→ 2. Einen wirtschaftlichen Ausweg für die Kri- die Krisenländer tilgungspakt, verweigerte; dass es aus der Hoffnung senländer gibt es nur durch Überwindung des gibt es nur durch auf neue Wirtschaftsdynamik in den Krisenländern Austeritäts-Paradigmas. Wir brauchen nach- Überwindung des den politischen Betrug eines angeblichen « Wachs- haltiges Wachstum. Jetzt. Wir orientieren uns tumspaktes » machte, der im Wesentlichen aus heißer dabei wenigstens an den Zielen des EU2020- Austeritäts-Para­ Luft bestand; dass Merkels Politik darauf ausgelegt Programmes. Im Grunde braucht die EU einen digmas. Wir brau- war, das Europaparlament als demokratische Kont- Green New Deal. Die öffentlichen Hände sollen chen nachhaltiges rollinstanz zu schwächen, das hätte man hart angrei- sich dabei insbesondere auf Infrastrukturinves- Wachstum. » fen müssen, und man hätte dem Fiskalpakt nicht titionen und die Finanzierungsmöglichkeiten zustimmen dürfen, ohne wesentliche Korrekturen an von kleinen und mittleren Unternehmen kon- diesen Eckpfeilern von Merkels Kurs zur Bedingung zentrieren. Das ist die ökologisch-wirtschafts- gemacht zu haben. Die Kurzformel, auf die ein eige- politische Dimension. nes Narrativ zu bringen war, hätte heißen können: →→ 3. Die verteilungspolitischen Schieflagen, die Solidarität, Solidität, Nachhaltigkeit. Hätte, hätte, bei der Finanzierung der Kosten der Krise ein- Fahrradkette. Vergangenheit. getreten sind, müssen aktiv bekämpft werden. Jetzt bekommt das Land eine Große Koalition, in Wir stimmen nicht Maßnahmen zu, die solche der von SPD-Seite wahrscheinlich die wichtigste Schieflagen verlängern oder gar verschärfen. europapolitische Forderung die nach einem bedeu- Die Politik der Troika muss unter parlamen- tenden Posten für Europaparlamentspräsident Schulz tarische Kontrolle, jedenfalls, was den Anteil sein wird. (Nichts gegen . Er ist sicher- der EU an deren Entscheidungen betrifft. Wir lich für die debattierten Ämter besser qualifiziert als müssen die Reform-Konditionalität verändern. die allermeisten anderen Prätendent/innen). Martin Bisher hieß es: Unterstützung nur bei Reform- Schulz wird mit guter Rhetorik die faktische Alterna- bereitschaft. Künftig muss es heißen: Reform- tivlosigkeit der SPD überdecken. Und für die Grünen verlangen der EU müssen durch angemessene bleibt die unbequeme Situation, eine neue Position Wachstumsimpulse begleitet werden. Die und Kommunikation ausgerechnet im Zeichen verlo- irre Vorstellung, dass man sich ins Wachstum rener Stärke entwickeln zu müssen. schrumpfen könne, muss passé sein. Das ist die Trotzdem sollten wir genau das versuchen. soziale Dimension. Bei Beschlüssen im Bundestag und im Bundesrat Drei Grundsätze grüner Europapolitik ebenso wie im Europäischen Parlament und in der Angela Merkels Europapolitik zeichnet sich habitu- allgemeinen Öffentlichkeit muss man Grüne dafür ell aus, nicht inhaltlich. Merkel präsentiert sich als kämpfen sehen. Mindestens so energisch und dickköp- Politikerin, die bestimmten Grundsätzen verpflichtet fig wie wir früher den Atomausstieg vertreten haben. scheint. Merkel agiert hartnäckig und dickköpfig. Sie Gegen die Politik der Bundesregierung wird man war aber auch bereit, wenn es gar nicht anders zu darlegen müssen, warum jede Vorgehensweise, die gehen schien, Abstriche zu machen und ein paarmal den genannten drei Grundsätzen nicht Rechnung über die zuvor gezogenen roten Linien zu springen. trägt, die Kosten der Krise – gerade auch für deut- Das übersetzt sich dann so: Sie weiß, was sie will; sche Steuerzahlerinnen und Steuerzahler – erhöht, sie ficht engagiert; sie ist trotzdem kompromissfähig. die Interessen Deutschlands schädigt und das euro- Ob die Politik, die auf diesem Weg verfochten wird, päische Projekt insgesamt gefährdet. angemessen ist, tritt dabei hinter die Haltungsnoten Natürlich werden wir auch in Zukunft europa- zurück. Um die Merkel’sche Politik zu bekämpfen, politische Kompromisse machen müssen. Aber ein sollten wir vor allem eines von ihr lernen: mehr Bot- Kompromiss, der mir erlaubt, mein Narrativ stark zu schaft, weniger politische Details. machen, unterscheidet sich eben von einem, in dem Ich möchte für die grüne Positionierung drei ich mein Narrativ nicht sichtbar machen kann. Auch Grundsätze vorschlagen, die erkennbar und insistent da kann man von Merkel lernen, um künftig gegen vertreten werden sollten: sie zu gewinnen. →→ 1. Wir folgen der Spur, die Draghi gelegt hat. Wir sind bereit, alles zu tun, was nötig ist, um Reinhard Bütikofer ist Sprecher der deutschen Grünen die Eurozone zusammenzuhalten, den Euro im Europäischen- Parlament-- und zusammen mit Monica Frassoni Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei. zu sichern und das Integrationsprojekt EU weiterzuentwickeln. Wir lassen nicht zu, dass mögliche Instrumente, seien es Eurobonds, ein neuer griechischer Schuldenschnitt oder was immer es sein möge, negativ dogmatisiert wer- den. Umgekehrt dogmatisieren wir auch nicht 20

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20 Böll.Thema 3/2013 Die neuen Köpfe

ie Stirnseite der Landespresse- konferenz des Saarlands ist blau, darauf ein Wolkenbild, das grü- beln macht: Die Wolken werden sowohl von hinten als auch von Dvorn beschienen, und dazu kommt noch ein Extrasonnenstrahl aus dem Nichts. Kleines Saarland, Ort besonderer natürlicher und vielleicht auch politischer Erscheinungen? Die neue Bundesvorsitzende der Grünen Simone Peter kommt aus diesem vollkom- men verschuldeten Zwergbundesland, in Dillingen an der Saar ist sie aufgewachsen, in Saarbrücken hat sie studiert und an der Uni gearbeitet. Vor dieser Wolkenwunderwand hat sie in den vergangenen eineinhalb Jahren Presse- konferenzen über ihre Oppositionsarbeit im Landtag gegeben, zu beinahe allen denkba- ren Themen. Denn mit nur zwei Leuten in der Fraktion muss jeder eine ganze Menge Ausschüsse besuchen – so ähnlich wie jeder der beiden Grünen-Bundesparteichefs die Hälfte der Welt erklären können muss, mindestens. Mitte Oktober, an ihrem letzten Landtags- Tag, sitzt Simone Peter in der Landespres- sekonferenz und verabschiedet sich von dem halben Dutzend Landtagskorrespon- denten. Es geht um den Saar-Haushalt 2014. Die Finanzlage ist wie immer fürch- terlich, angesichts der Auflagen durch die Schuldenbremse geradezu verzweifelt. « Ich werde das Haushalts- und Finanzthema mit auf die Bundesebene nehmen », verspricht Simone Peter ist biografisch und politisch tief im Saarland verwurzelt, Peter. Die Geldströme zwischen Bund und Ländern seien nicht anständig geregelt. lernte vom SPD-Vordenker Hermann Scheer Ökologie und Gerechtigkeit Und sie sieht keinen Anlass, von den zusammenzudenken, gestaltete als Parteilinke die erste Koalition der grünen Forderungen des Bundestagswahl- Grünen mit CDU und FDP und bildete mit ihrem innerparteilichen Gegner kampfes nach Vermögensabgabe und Steu- eine Zwei-Personen-Fraktion. Nun führt sie die Grünen in Berlin. ererhöhungen abzuweichen. « Das sehe ich nicht », sagt sie, wenn sie nach entsprechen- den Korrekturen im Programm gefragt wird. Härter wird es nicht. Doch dass es einer höheren Belastung von Besserverdienern bedarf, stellt sie – was auch immer die Rea- los verlangen – nicht zur Disposition. « Und das werde ich auch weiterhin offensiv ver- Gelernte Öko, treten », sagt sie. Zu aggressiveren Ansagen lässt sich die 47-Jährige nicht provozieren. Ihre beste Verteidigung ist nicht der Angriff, sie federt gefühlte Linke eher ab. Prompt hieß es denn auch nach ihrer blumigen Bewerbungsrede auf dem Bundesparteitag am 19. Oktober in Berlin, sie rocke nicht. Vielleicht deshalb ließen sich viele Delegierte kaum zu einem Höf- Ein Porträt von Ulrike Winkelmann

lichkeits-Zwischenapplaus hinreißen. Peter Illustration: Anja Rauenbusch 21

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Böll.Thema 3/2013 21 Porträt

bleibt sonst in der Sprache nüchtern, nahezu doch viel zu nett. » Der Journalist bezieht metaphernfrei, und sucht keine Pointen. Sie sieht keinen Anlass, von den sich auf Peters Versuch im Juni 2012, Lan- Nur manchmal nimmt sie eine ironische grünen ­Forderungen des Bundes- desvorsitzende zu werden. Sie unterlag mit Wendung und nutzt die Gelegenheit für ein tagswahlkampfes nach Vermögens- auch für sie verblüffend großem Abstand. Lachen. Dann drängt sich der Vergleich mit Peter dreht daraus einen Vorteil: Abhär- abgabe und Steuer­erhöhungen ihrer Vorgängerin unabweis- tung ist alles. Die Auseinandersetzung mit bar auf, dem sie aber grundsätzlich und zu abzuweichen. Ulrich « hat mich für Berlin gestärkt », sagt Recht lieber entgehen will. Immer besser: sie. Es ist ihr klar, dass es unter einer « XXL- gleich eine eigene Marke prägen. legte trotz bescheidenster Mittel ein Ener- Koalition im Bund » nicht leicht wird für Sie ist die Marke: « Öko gelernt, aber ganz giekonzept auf, das sie sichtlich auch heute die Grünen, ihre Botschaft zu verbreiten. klar links, Leib- und Magenthema: Ener- noch stolz macht und über das sich kaum ein Doch die Leute, die sie zur Kandidatur für giewende. » Peter ist Biologin, promovierte böses Wort in der Presse findet. den Chefposten ermutigt haben, trauen ihr 2000 über « Sauerstoffhaushalt und mikro- Nachdem das Jamaika-Experiment zu, einen neuen Ton, einen neuen Habi- biologische Prozesse in Mosel und Saar ». Anfang 2012 durch den Kollaps der FDP tus für eine Zeit zu finden, die nicht mehr Hermann Scheer holte sie 2001 zu Euroso- scheiterte, verlor Peter ihr Superministe- durch Grabenkämpfe im Bundesvorstand lar. « Ich hatte keinen Spaß mehr daran, im rium mit immerhin 2200 Mitarbeitern – sowie zwischen Fraktions- und Parteispitze Labor zu stehen », sagt sie. Sie wurde Chef- gerechnet mit Straßenbau, Saarforst und gekennzeichnet sein darf. Peter bezeichnet redakteurin einer der Zeitschriften dieser allem Drum und Dran. Stattdessen fand sie ihren Führungsstil selbst als teamorientiert, Plattform für erneuerbare Energien. An der sich nach den Neuwahlen in der Zwei-Leute- darauf bedacht, dass « jeder nach seinen Schnittstelle Wissenschaft, Journalismus Oppositionsfraktion im Landtag wieder. Fähigkeiten und Bedürfnissen » arbeiten und Lobbyismus auch ihr Job ab 2004: Da An Tagen wie dem der Haushaltsdebatte kann. baute sie im Bundesauftrag das PR-Büro Mitte Oktober führt das zu etwas eigenar- Dass Politik, Führung und Familie zusam- Agentur für Erneuerbare Energien auf. tigen Szenen. Fraktionschef Hubert Ulrich men funktionieren, hat sie selbst erlebt, sagt Über Scheer, den 2010 verstorbenen sitzt vorn, Peter hinter ihm. Peter hält ihren Peter. Sie kommt aus einer durch und durch SPD-Charismatiker und Energiewende- Redebeitrag des Tages, kritisiert einen ener- politischen Familie. Ihre Mutter ist Brun- Vordenker, habe sie zuletzt wieder mehr giepolitischen Vorschlag des Linksfraktions- hilde Peter, die unter Oskar Lafontaine 1985 nachgedacht, sagt Peter. « Seine Lebenswelt, chefs Oskar Lafontaine. Peter geht zurück nach dem ersten Sieg der SPD im Saarland seine Ansätze waren beeindruckend. » Er auf ihren Platz, Hubert Ulrich klatscht lang- Sozialministerin wurde – da machte Tochter habe – obwohl SPD-Politiker – Ökologie sam ein-, zwei-, sechsmal. Es klingt hohl Simone allerdings auch schon Abitur. Dass und Gerechtigkeit zusammengebracht, aus und befremdlich im vollen, aber ansonsten sie selbst dagegen nun eine Weile zwischen dem Klimawandel die globale soziale Frage stillen Saal. Ulrich steht auf und geht hinaus. Berlin und Saarbrücken pendeln muss, weil abgeleitet. « Solche klaren, kantigen Aus- Ausgerechnet mit ihm so eng zusam- ihr siebenjähriger Sohn zunächst auf seiner sagen werden in einer Republik, über die mengekettet zu sein, gibt Peter zu, « war Schule bleibt und der Vater für seine beruf- Angela Merkel diesen Schleier des Unbe- keine angenehme Situation ». Sie bekämpft liche Umsiedlung ebenfalls Zeit braucht, teiligtseins gebreitet hat, leider immer ihn seit den 1990er Jahren. Die Art, wie bereitet ihr ein gewisses Unbehagen. weniger. » Ulrich, Beiname « Panzer », die Saar-Grünen Es wird gehen. Es muss. Das Saarland mit Ein wenig Scheer zu Ehren trat sie dem seit 1991 lenkt, sei « wahrlich kein Vor- seinen weniger als eine Million Einwohnern Institut Solidarische Moderne bei, jenem bild », schuld auch daran, dass die Grünen hat schon eine ganze Anzahl willensstarker von Scheer initiierten Mini-Thinktank, der an der Saar stets unter 6 Prozent blieben. Politiker hervorgebracht, die auf ihre Weise den rot-rot-grünen Impuls über das Desas- Ulrich verursachte in den 90er Jahren eine in ihren Parteien Neues geschaffen haben. ter der misslungenen rot-rot-grünen Regie- ganze Reihe sehr ungrün wirkender Skan- Man ist dort nicht blind für Armut und rungsbildung in Hessen 2008 hinwegretten dale. Unter anderem ging es da um Auto- kann es auch gar nicht sein. Man kennt die sollte. Aktiv ist sie im Institut und in der verkäufe, die ebenso dubios waren wie Bedeutung der Kohle und eben darum die « Crossover »-Szene nicht, sagt sie. Doch ver- eine offensichtlich aufgeblähte Mitglieder- Gründe, sie zu ersetzen. Man pflegt seinen langt sie, über Koalitionen mit der Linkspar- kartei. Die Erneuerer um Peter suchten bei Saar-Patriotismus und ahnt doch, dass das tei « ebenso sachlich und inhaltlich zu reden den Bundesgrünen Hilfe, bekamen sie vom Land kaum lebensfähig ist. Wer im Saarland wie über andere Bündnisse ». damaligen Bundesgeschäftsführer Reinhard aufwächst, hat die Dinge schon von mehr Peter ist nun auch die Letzte, die sich Bütikofer nicht, flogen bei der Wahl 1999 als einer Seite beleuchtet gesehen. Lagerfixierung vorwerfen lassen müsste. sogar aus dem Landtag. In einem Radiointerview nach ihrer Wahl 2009 wurde sie Umwelt-, Energie- und Ver- Peters Politik im Saarland lässt sich des- zur Bundesvorsitzenden wird Peter gefragt: kehrsministerin der ersten Jamaika-Koali- halb auch als Geschichte einer glücklosen « Wie wollen Sie das schaffen, dass es in den tion aus CDU, FDP und Grünen. Ihr Job in Parteireformerin erzählen. Einige Beobach- Umfragen nicht immer heißt: Diese Politi- Berlin war gut, das öffentliche Geld im Saar- ter vor Ort waren daher perplex, als sie von kerin ist mir nicht bekannt? » Da antwortet land damals schon knapp, ihre Liebe zu CDU Peters Ruf nach Berlin erfuhren. « Die hat sie: « Ja, diese Politikerin macht sich jetzt und FDP überschaubar. « Aber den Gestal- hier noch nicht einmal ihren eigenen Kreis- bekannt. » tungsspielraum einer Ministerin schlägt man verband hinter sich gebracht und soll jetzt nicht so ohne weiteres aus. Der Koalitions- die ganzen Grünen zusammenhalten? », sagt Ulrike Winkelmann ist Redakteurin der taz.

Illustration: Anja Rauenbusch vertrag gab die Basis dafür », sagt sie. Peter ein langjähriger Regionalredakteur. « Die ist --- 22

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22 Böll.Thema 3/2013 Die neuen Köpfe

s ist wahrscheinlich nicht immer so, wenn man mit Dieter Jane- cek verabredet ist. Der neu in den Bundestag gewählte Grü- nen-Abgeordnete bringt gleich Eein ganzes Team vom Bayerischen Rundfunk mit ins Café « Zimt & Zucker » an der Spree. Die freundlichen Leute, die mit ihren hellen Lampen an langen Stangen den Raum aus- füllen und einigen Unwillen der Wirtin erre- gen, brauchen ein paar lauschige Szenen für ein Fernsehporträt des Newcomers. Am Nebentisch sitzt dann noch die Jour- nalistin, die auf ihrem Laptop an einem Janecek-Stück für die Süddeutsche schreibt. Womit zumindest medial bereits der Status des 37-Jährigen klar wäre: der neue baye- rische Obergrüne in Berlin. Passend dazu wartet im Hintergrund bereits ein weite- rer junger Mensch – der will sich auf eine der Stellen in Janeceks Abgeordnetenbüro bewerben. Janecek trägt glänzende Schuhe zum nadelgestreiften Anzug. Sollte ihn das multiple Interesse an seiner Person nervös machen, lässt er sich das jedenfalls kaum anmerken. Einzig die beim Sprechen ste- tig hin und her wandernden Augen ver- raten dann, dass er unter Spannung steht. In schnellen Sätzen, nicht laut und ohne besondere Betonung, redet er allerdings auch Dinge, die so ganz unverschnörkelt Der bayerische Landesvorsitzende der Grünen Dieter Janecek ist im und offen bei den Grünen zuletzt selten zu Bundestag ein Neuling, in der Partei aber eher ein Altvorderer. Er sieht hören waren: wer seiner Ansicht nach ver- seinen Platz im Wirtschaftsausschuss und an der Spitze des Reform- sagt hat. Was gar nicht funktioniert hat. Was Flügels ab sofort auf jeden Fall anders werden muss. Janecek ist Vorsitzender der bayerischen Grünen, und er tritt an, um die Realos der Partei aufzumöbeln. Bislang organisierte er die Länder im Realo-Flügel, jetzt will er offizieller Flügel-Koordinator werden. Was er vorhat, klingt dann so: « Alles konsensual unter der Decke zu halten, hat uns nicht nach vorn gebracht. Man muss auch kon- frontativ sein können. » Er kann es offenbar. Ein neues Gesicht Ein prominenter Bayern-Grüner, der Jane- cek schon lange beobachtet, sagt: « Janecek hat alles, was es braucht, um zu einem der zehn oder zwölf führenden und bekanntes- der Realos ten Köpfe der Grünen zu werden .» Macht- hunger und Fleiß attestiert er ihm. Die Realos brauchen nach Janeceks Ansicht nicht nur mehr beziehungsweise « überhaupt endlich » Koordination, sondern auch erkennbare Inhalte. Die bisherige Realo-Koordinatorin Brigitte Pothmer war es, die auf dem Berliner Parteitag im April Ein Porträt von Ulrike Winkelmann

die Kritik des Tübinger Oberbürgermeisters Illustration: Anja Rauenbusch 23

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Böll.Thema 3/2013 23 Porträt

Boris Palmer an der sozialpolitischen Pro- Doch kündigte Janecek, kaum dass er den grammatik zurückwies und die Umvertei- «Wir sind frustriert, dass nicht Posten hatte, auch schon im Interview an, lungsagenda des Wahlkampfs verteidigte. wir es sind, die jetzt eine 2013 in den Bundestag wechseln zu wollen. Janecek stand offen zu Palmer, hatte auch Gestaltungsposition haben in Womöglich passt er mit seiner blütenrei- zuvor gemeinsam mit dem baden-württem- nen Parteikarriere – zwischen Politologie- diesem Land.» bergischen Ministerpräsidenten Winfried studium in München und Referentenjob Kretschmann und der Wirtschaftspoliti- bei der Partei, Landesgeschäftsführung, kerin davor gewarnt, mit logischer Priorität gegen die CSU zu kämp- Landesvorsitz lagen kaum zwei Jahre als Vermögensteuerplänen den Mittelstand zu fen und trotzdem nicht mit einem linken PR-Berater in der freien Wirtschaft – auch erschrecken. Doch wie in allen Jahren der Lager identifiziert zu werden. Das Ergebnis tatsächlich besser in die Fraktion in Berlin Opposition blieb der Realo-Aufrührer-Trupp für die Bayern-Grünen in der Landtagswahl als an die bayerischen Biertische. Sein ers- klein und im Abseits. eine Woche vor der Bundestagswahl fiel tes Ziel im Bundestag ist auch schon klar: Im Licht des Wahlergebnisses ist Palmers gleichwohl enttäuschend aus – wegen des « Ich möchte in den Wirtschaftsausschuss Einschätzung nun so etwas wie Mainstream falschen Kurses im Bund, sagt Janecek. Er des Bundestags und damit auch in den geworden, und Janecek gehört zu denen, verschweigt aber auch nicht, dass sich auch Wirtschafts-Arbeitskreis der Fraktion », sagt die bereit sind, die Sozial- und Finanzpoli- einige der « klassischen » rot-grünen Wech- er. Es gelte, die Grünen bei der Wirtschaft, tik der Oppositionsära abzuwickeln. « Aber selwähler dieses Mal eher für die SPD ent- insbesondere beim Mittelstand, wieder Herr Janecek, das klingt wie ‹Zurückspulen schieden hätten. salonfähig zu machen. Nicht Sozial- und bis 2005›». « Ja », sagt er einfach. Er ist kei- Die Bayern-Grünen, deren Landesvorsitz Umverteilungspolitik, sondern die Versöh- ner, der harte Worte gern mit versöhnlicher er im kommenden Jahr abgeben möchte, nung von Ökologie und Ökonomie müssten Mimik aufweicht. Er lächelt nicht. lässt Janecek in einem wie er findet anstän- das Geschäft der Grünen sein. Ohnehin ist er wenig kokett, kein Spie- digen Zustand zurück. « Wir haben bei der « Die Realos bekommen wieder mehr ler. Seine Ernsthaftigkeit lässt selbst einen Wahl gut die Hälfte der Landtagsfraktion Schreihälse in der Fraktion », kommentiert Auftritt etwa beim 2012er Politischen austauschen können; jetzt gibt es einen bes- dies einer, der selbst dem Flügel zuge- Aschermittwoch in Landshut zu einem seren Mix mit dem Personal der 80er Jahre. » rechnet wird, und meint es auch gar nicht viertelstündigen Umwelt- und Verbrau- Politik in Bayern, sagt Janecek, sei insofern abwertend, denn die Realos bräuchten cherschutz-Seminar geraten. Der bei dieser besonders, als man im ländlichen Raum Schreihälse. bayerischen Politfolklore gepflegte derbe unterwegs sei, und die Leute – auch durch Janecek selbst hat kein Problem damit, Humor will ihm nicht so recht gelingen. das besondere bayerische Wahlrecht – einen den Konflikt zwischen den Flügeln wieder- Er selbst bekennt sich lieber zum hinter- « sehr personenlastigen » Politikbegriff hät- zubeleben. Er sagt, nicht die « Flügelstruktur gründig-schwarzen Humor Österreichs, der ten. Soll heißen: Es wird stark der Politiker- selbst ist das Problem bisher », sondern dass Heimat seiner Eltern, wo er auch bis zu sei- mensch in Augenschein genommen, seine die Leute ihre teils uralten Privatfehden nem 15. Lebensjahr aufwuchs. Dies hat ihm Fähigkeit, Heimatverbundenheit zu darzu- darüber ausgetragen hätten « und die Rea- aktuell sogar eine Einstufung in die « Abge- stellen. Es wird aber auch danach gefragt, los eher aus Seilschaften bestanden, statt ordnete-mit-Migrationshintergrund »-Statis- was einer denn schon geschafft hat. Hier hat einen Flügel darzustellen ». Mit Toni Hof- tik eingebracht. Janecek ohne Zweifel etwas vorzuweisen. reiter « habe ich, haben wir immer eine ver- Janeceks Ernsthaftigkeit ist bisweilen nicht Sein politisches Gesellenstück war die trauensvolle Zusammenarbeit gehabt »: Jan- weit entfernt von dem grünen Besserwisser- Klage gegen den Feinstaub, die er gewann. ecek hält den ebenfalls bayerischen neuen tum, das er nun als Wahlkampffehler beklagt. Janecek wohnte seit 2004 an der sechsspu- Fraktionschef für einen sehr guten Vertreter Doch steht sie in erkennbarem Kontrast zu rigen Landshuter Allee in München. 2005 des linken Flügels. « Bei uns Nachrückenden der oft ironischen Gute-Laune-Angriffslust, begann er, mit Unterstützung der Deutschen ist das Klima noch nicht so vergiftet wie bei die von den Bundesgrünen in den vergange- Umwelthilfe und auf Grundlage einer EU- den Älteren. » nen Jahren zur Schau getragen wurde. Richtlinie, die Bezirksregierung Oberbayern Nebenbei hat Janecek schon mal ein Bereits nach der Wahl 2009, als die Grü- und die Stadt München auf Schutz vor den kleines Signal zur Flügel-Neuaufstellung nen sich ihren Status als kleinste Bundes- gesundheitsschädlichen Dieselpartikeln zu gesetzt. Sein Vorschlag, die Realos sollten tagsfraktion schönredeten, rechnete Janecek verklagen. Der Europäische Gerichtshof in den irgendwann zu Regierungszeiten ange- auf dem Parteitag in Rostock mit dem rot- Luxemburg gab ihm 2008 schließlich Recht, legten Namen « Reformer » besser wieder grünen Lagerkurs der Bundesspitze ab. Noch die Städte müssen seither ihre Bürger bes- ablegen und zum bewährten Begriff « Rea- ohne Bart und schon dadurch erheblich jün- ser schützen. Janeceks Name und Gesicht los » zurückkehren, wurde umgehend auf- ger wirkend, erklärte der damals 33-Jährige: war in allen Zeitungen. genommen. Dies müsse stantepede abge- « Wir sind frustriert, dass nicht wir es sind, Gerade einmal elf Wochen später gewann stimmt und beschlossen werden, twitterte die jetzt eine Gestaltungsposition haben in er knapp die Kampfabstimmung um den Hessens Grünen-Chef Tarek Al-Wazir fröh- diesem Land. » Es gebe ein grünes Lager, und Männerplatz im bayerischen Parteivor- lich zurück. Und so geschah es. Bislang, so viele Menschen sehnten sich danach. Die sitz. Dieser wurde 2008 frei, nachdem der wäre festzuhalten, hat sich Janecek schon Partei dürfe sich nicht nur im Verhältnis zu bekannteste und beliebteste Bayern-Grüne, einmal durchgesetzt. SPD und Linkspartei definieren. der 2010 verstorbene Sepp Daxenberger, auf Wie er gern betont, gelingt das den Bay- den Fraktionsvorsitz gewechselt war und das Ulrike Winkelmann ist Redakteurin der taz.

Illustration: Anja Rauenbusch ern-Grünen durchaus: mit konsequent öko- Parteiamt statutengemäß abgeben musste. --- 24

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24 Böll.Thema 3/2013 Die neuen Köpfe

ie krächzt. « Ach, das ist doch schon wieder super », behaup- tet sie. Am Wahltag selbst, nach dem langen Sommerwahlkampf, sei gar nichts mehr übrig gewe- Ssen von ihrer Stimme. Annalena Baerbock ist neu in den Bundestag gewählt worden, als einzige Vertreterin der Grünen Bran- denburgs. Die großen und mittleren Erdbe- ben bei den Grünen seit Bekanntgabe des Wahlergebnisses haben ihr wenig Zeit zum Durchatmen gelassen. Wie auch – sie ist eine der Nachwuchs-Funktionsträger/innen, die den Generationenwechsel an der Grü- nenspitze verlangt und durchgesetzt haben, mit 32 Jahren wohl deren Jüngste. Doch sitzt Baerbock ja auch schon seit Ende 2012 im Parteirat und leitet seit 2009 die brandenburgischen Grünen. Wie Dieter Janecek aus Bayern und Chris Kühn aus Baden-Württemberg bringt sie als Landes- vorsitzende das Gewicht eines – wenn auch besonders kleinen – Landesverbands mit in die Fraktion plus entsprechende Gremiener- fahrung. Sie ist erklärte Reala und in ihrem Jahrgang damit eher eine Minderheit. Wer sich ihre Bewerbungsrede auf den Landesvorsitz vom November 2009 im Internet heraussucht, sieht eine 28-Jäh- rige, die routiniert halb vom Blatt, halb frei redet und auch die Armbewegungen nicht vergisst, um Größe oder Weite anzudeuten. Für Annalena Baerbock sind Beruf und Berufung in der Politik kein Größe und Weite findet sich auch in ihren Widerspruch. Mit ihrem selbstbewusst-zielstrebigen Weg vom Studium Ansagen: Während Schwarz-Gelb (damals über das Büro einer Europaabgeordneten auf den brandenburgischen gerade im Bund gewählt) und Rot-Rot Landesvorsitz und in den Bundestag repräsentiert sie die nachrückende (damals gerade in Brandenburg gewählt) Führungsgeneration der Grünen. bloß immer fragen und prüfen würden, « formulieren wir Grüne die Antworten ». Die Grünen Brandenburgs waren da gerade mit 5,7 Prozent wieder in den Land- tag eingezogen – nach 15 Jahren Pause. Baer­bock erklärte nun, man müsse dafür sorgen, dass die europäische Ebene, die polnische Seite, die Uckermark und über- ­Von Europa haupt alle sich besser austauschen und zusammentun, um das Gewicht des bran- denburgischen Landesverbands im Bund zu vergrößern, und zwar « fröhlich und gut und über Potsdam mit viel Spaß ». Bingo – sie bekam 67 von 73 Stimmen. Nun war sie zu diesem Zeitpunkt aber auch schon seit drei Jahren in der Berufs- nach Berlin politik, denn die EP-Abgeordnete Elisabeth Schroedter hatte die damals 25-Jährige, die im Jahr 2005 mit einem Abschluss in Völ- kerrecht von der London School of Econo- mics kam, zu ihrer Büroleiterin in Brüssel Ein Porträt von Ulrike Winkelmann

gemacht. Illustration: Anja Rauenbusch 25

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Böll.Thema 3/2013 25 Porträt

Will heißen: Baerbock ist eine dieser bei- neun Jahren Schatzmeister des Landesver- nahe beunruhigend zielbewussten und viel- «Es ist ja so falsch, immer zu bands. Baerbock musste erkennen, dass ihre sprachig-professionellen Personen, die ande- lokalen Gegner die Goetjes-Affäre genutzt unterstellen, dass ein echter ren im Raum schnell das Gefühl geben, zu hatten, um daran den Vorwurf des reinen wenig Lebensplan für diese Welt zu besitzen. Politiker seine Laufbahn minutiös Berufspolitikertums aufzuhängen. Wer wie Baerbock außerdem dann noch eine vorausplant.» Die Behauptung, nach der Grünen-Grün- gerade 2-jährige Tochter hat und auf diese der-Generation komme « nur noch Play- Weise lernen darf, mit wie wenig Schlaf back », kennt sie selbstverständlich allzu ein arbeitender Mensch auskommt, hat die Spitze, die noch im Bundestagswahlkampf gut. Was sie von einem abtretenden Grü- Sache mit dem Durchatmen für sich viel- verhinderte, dass ein einziges Europapla- nen-Oberhaupt hält, das sich als den letzten leicht sowieso vorläufig nach hinten gestellt. kat gedruckt und aufgehängt wurde, das Rock’n’Roller bezeichnet hat? « Typisches Andererseits, « es ist ja so falsch, immer vollmundige Bekenntnis zu Europa wieder Machotum », sagt sie abschätzig. Nachvoll- zu unterstellen, dass ein echter Politiker einfallen, und die Europa-Fachleute wer- ziehen kann sie aber auch, warum so viele seine Laufbahn minutiös vorausplant », den sicherlich ganz nach vorn geschoben. Grüne und ihnen Nahestehende meinen, sagt sie. Der Vater zum Kind arbeitet in der Außerdem gibt es 2014 gleich drei Land- dass den Joschka-Fischer-Nachfolgenden Grünen-Bundesgeschäftsstelle in Berlin. Je tagswahlen im Osten Deutschlands, eine das gewisse Quäntchen Willen und Risi- nun, wer wollte dauerhaft ein Pendelle- davon in Brandenburg. Auch dafür bringt kofreude zu fehlen scheint, wirklich auch ben zwischen Potsdam, Berlin und Brüssel Baerbock Kompetenz mit. zu springen, wenn springen gefordert ist. führen? « Das ist einfach eine grauenhafte Nun ja, westdeutsche Kompetenz halt, wie « Natürlich, das ist eine Frage von Rückgrat Vorstellung, so etwas. » Wo das Kind nun sie sich speziell in Potsdam, dem wöchent- und Charakter, die sich dann stellt », sagt eine engere familiäre Verzahnung verlangte lich reicher werdenden Außenposten­ Ber- sie. Wer glaubwürdig Politik machen wolle, und das Brandenburg-Ticket für den Bun- lins, ausbreitet: Eine Bündnis 90-Grüne müsse Mut beweisen, « Wer in eine Kampf- destag durch den Rückzug Cornelia Behms ist Baerbock, geboren und aufgewachsen kandidatur geht, kann auch ganz unterge- gerade frei wurde, griff Baerbock zu. Es sei in und bei Hannover, wahrhaftig nicht. Ja, hen. Das heißt eben auch: Wer Veränderung eine Mischung aus Karriere- und Familien- es gibt den Jung- und Wessi-Nachteil in will, muss auch selbst etwas einsetzen. » erwägungen gewesen, die sie in den Bun- Brandenburg, gibt sie zu; politisch spürbar Baerbocks Einsatz ist vorerst, sich klar zu destag gebracht hat, sagt sie. In den letzten wurde es zuletzt in der Lokalpresse, als der den Jungrealos und ihrem Angriff auf die Wahlkampfwochen war Baerbocks Vater Potsdamer Stadtverordnete Andreas Menzel bisherigen Kräfteverhältnisse in der Partei nett genug, sich als Babysitter in Potsdam ihr die Spitzenkandidatur zur Bundestags- zu bekennen. Von der einige Jahre lang auszuleben. « Sonst hätte das alles nicht wahl streitig machen wollte. Es ist in Bran- populären Idee, dass es doch zumindest funktioniert. » denburg, das aus vielen Gründen seinen Ruf für die jüngere Grünen-Generation lang- Als der damalige Außenminister Joschka als « kleine DDR » bis heute nicht verloren sam Zeit wäre, sich vom Flügeldenken zu Fischer 2004 auf der Brücke zwischen hat, bis heute ein Thema, wer hier schon zu verabschieden, hat sie beizeiten Abstand Frankfurt(Oder) und dem polnischen Slu- Mauerfallzeiten dabei war und wer zugezo- genommen. « Jaaa, das hab ich auch früher bice stand, um die EU-Osterweiterung feier- gen ist. gedacht. Aber das ist Quatsch. » Erstens sieht lich zu begehen, sei der Funke übergesprun- Der Stadtverordnete Menzel kann aller- sie die de facto vorhandenen Unterschiede gen, sagt sie. Europa hat sie nun im Gepäck. dings auch begründen, warum es ihm nicht zwischen den Lagern sehr gut. Und zwei- Wenn die Grünen die Partei der Europa-Ide- gefällt, dass Baerbock Brandenburg als tens « hilft es schlicht bei der Partei- und der alisten sein wollen, dürfen sie Europa nicht Sprungbrett nutzt: « Ich kann nicht erken- Selbstorgansiation », wenn man sich zuord- in den Europa-Ausschuss verbannen, son- nen, wie Leute, die alle zwei Wochen für net. Gleichwohl gibt es, darauf beharrt sie, dern Europa muss überall stattfinden, sagt zwei Stunden nach Potsdam kommen, um generationenverbindende Dinge unter den sie: zum Beispiel im Umweltausschuss des eine Vorstandssitzung zu leiten, sich für hie- vielen 30- bis 40-Jährigen beider Flügel, die Bundestags, in den Baerbock gern hinein sige grüne Projekte engagieren. » zuletzt in Parteiämter rutschten und nun möchte. Aber als Europa-Arbeiterin in Brüs- Für jemanden wie Menzel, der kaum eine auch in den Bundestag gerückt sind. « Es sel hat sie gemerkt, dass auch ihre eigene Demo gegen die Fällung von Alleebäumen sind andere, fairere Umgangsarten, man Partei in Berlin die europäische Dimension oder für den freien Zugang zu den Branden- kann sich gut einschätzen », erläutert sie. viel zu wenig mitdenkt. Der scheidende Par- burger Seen auslässt, war der Skandal um Die Verwerfungen in der Grünen-Spitze, teichef Reinhard Bütikofer dachte weiland, den Landesschatzmeister Christian Goetjes die unendlich vielen Deals und Absprachen sein politisches Kampfgewicht werde rei- daher nicht nur Ausdruck mangelhafter ums Personal seit der Wahl, behauptet sie, chen, aus Brüssel und Straßburg den Kurs Kontrolle durch die beiden Landesvorsit- hätten daran noch nichts geändert. Es sei der deutschen Grünen europäisierend mit- zenden, sondern auch Ausdruck deren man- « für manche bitter » gelaufen. « Aber ich zubestimmen. Hat nicht geklappt, bestätigt gelhafter Präsenz. Die « Schatzmeisterkrise » erkenne noch keine Brüche in den Bezie- sie. So wie das Frauenthema das Gender- hat den kleinen Landesverband zwei Jahre hungen, die zwischen uns Nachfolgenden Mainstreaming hervorgebracht hat, wird sie lang stark erschüttert. Goetjes wurde Ende ja teils über Jahre hinweg gewachsen sind. » nun im Bundestag ein Europa-Mainstrea­ 2012 wegen Untreue zu dreieinhalb Jahren Sie hofft, dass das so bleibt. ming verlangen. Haft verurteilt. Als Baerbock den Landes- Es fügt sich ganz gut, dass im Mai 2014 vorsitz mit Benjamin Raschke 2009 über- Ulrike Winkelmann ist Redakteurin der taz.

Illustration: Anja Rauenbusch Europa-Wahlen sind. Da wird der Grünen- nahm, war der heute 34-Jährige bereits seit --- 26

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26 Böll.Thema 3/2013 Statements junger Wählerinnen und Wähler

afie Mon gr ika to K o e F i le r 6 junge

Wähler­innen s

u und Wähler a h

e antworten i w T A s u en fg J es on chrieben v

Philipp Müller lassen, dass auch die kommenden Generationen noch 22 J., Student der Gesellschafts- und ­ gut leben können. Für dieses Ziel sollten alle Grünen Wirtschaftskommunikation ihre Kraft aufwenden und sonstige Politikfelder auch mal den anderen überlassen. Mal ehrlich: Für linke on den Grünen erwarte ich eine Rückbesinnung Themen gibt es auch noch die SPD und die Linkspartei. V auf die Kernthemen, aus denen sie auch einst Ich würde mir wünschen, dass die Grünen die Uhr acht entstanden sind. Für mich ist das alles, was mit der Jahre zurückdrehen. Da war noch stärker erkennbar, Umwelt zu tun hat. Ich mag vor allem den Gedanken was überhaupt Grün bedeutet. Heute versuchen ja alle, des nachhaltigen Lebens und Wirtschaftens. Wir soll- ein bisschen grün zu wirken. Wenn sich die eigentlichen ten uns immer wieder vor Augen führen, dass uns die Grünen das Grün wieder zurückerobern, dann würden Erde nicht gehört. Deshalb sollten wir sie so hinter- sie für mich auch wieder an Wert gewinnen. 27

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Böll.Thema 3/2013 27

Liv Colell 18 J.,Aktivistin bei Bürger­ energie Berlin, Studentin der Literaturwissenschaft

n den kommenden vier I Jahren wird es ganz schwer, bei der Energie- wende wirklich voranzukom- men. Die EEG-Umlage muss dringend reformiert wer- den, Kohlekraftwerke soll- ten schnell vom Netz gehen! Auch aus der Opposition heraus müssen die Grünen auf diese Fortschritte beste- hen. Die Wende passiert auf europäischer Ebene – und da sieht Deutschland, verkörpert von Angela Merkel, momen- tan echt alt aus. Außerdem glaube ich, dass die Grünen viel Kompetenz beim Thema erneuerbare Energien haben. Ihnen kommt deshalb ein Informationsauftrag zu: Eine einflussreiche Lobby verbrei- tet immer noch die Behaup- tung, dass allein der Strom aus Wind, Sonne und Was- ser die Preise extrem in die Höhe treibt. Dabei zahlen die Unternehmen mit hohem Energieverbrauch weniger in die Staatskasse, weil sie von Rabatten bei der Stromsteuer profitieren. Das müssen die Grünen den Bürgerinnen und Bürgern klarmachen. 28

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28 Böll.Thema 3/2013

Amina Abu-Gharbieh ist absurd. Eine Partei allein ist nicht in der Lage das zu 20 J., Studentin der ­Volkswirtschaftslehre verhindern, aber die Grünen können auch aus der Oppo- sition heraus Anstöße geben. Nur wenn das passiert, wird affenexporte finde ich völlig unmoralisch – das sich die Bundesregierung in der EU stärker außenpoli- W haben die Grünen richtigerweise immer wie- tisch engagieren oder Resolutionen im UN-Sicherheitsrat der betont. Nun in der Opposition sollten sie sich nicht verlangen. In der Syrienkrise etwa darf Deutschland nicht zurückziehen, sondern weiter mutig Stellung zu außen- länger so passiv bleiben. Die deutsche Regierung könnte politischen Themen beziehen. Es wird immer wieder als Vermittler und Mediator auftreten – und gleichzeitig gesagt, Deutschland könne in vielen Krisen gar nichts Druck auf Russland ausüben, das dem Assad-Regime eng machen. Aber zugleich exportieren deutsche Firmen verbunden ist. Waffen in Krisenländer und verdienen Milliarden? Das 29

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Böll.Thema 3/2013 29

Felix Banaszak bekommen Essenspakete, erhalten Arbeitsverbote und 24 J., Bundesvorstand Grüne Jugend werden in Lager gesteckt. Bündnis 90/Die Grünen müs- sen sich in den kommenden Jahren als Unterstützerin or der Küste Lampedusas sind neulich 400 Men- für Geflüchtete verstehen. Das heißt nicht, das Leid der V schen gestorben. Das hat die katastrophalen Folgen Menschen für parteipolitische Zwecke zu instrumenta- der europäischen Flüchtlingspolitik in den medialen lisieren. Die Grünen müssen ihren Forderungen Gehör Mainstream getragen. Doch das Unglück ist ja nur das schenken und die Verfolgten in ihrem Protest unterstüt- offensichtlichste Symptom einer Politik, die auf Abschot- zen. Das heißt auch, aufzustehen, wenn rassistische Res- tung und Abschreckung setzt und den Tod vieler Men- sentiments die Debatte bestimmen: auf der Straße und schen in Kauf nimmt. Menschenverachtend ist auch in den Parlamenten. Rostock-Lichtenhagen, Mölln und die Behandlung von Geflüchteten in Deutschland: Sie Hoyerswerda dürfen sich nie wiederholen! 30

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30 Böll.Thema 3/2013

Sohrab Elahwiesy 21 J., Grüne Jugend, Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung, Medizinstudent

ines vorweg: Das Programm E der Grünen zur vergangenen Bundestagswahl war gut und rich- tig. Es gibt aber noch eine ganze Menge in der Kommunikation zu verbessern: Wie kann es denn bitte sein, dass eine Partei, die größtmöglichen Wert auf die Frei- heit des Einzelnen legt, als « die Verbotspartei » wahrgenommen wird? Ich findeaußerdem, dass sie inklusiver werden muss. Gerade für Menschen ohne akademischen Wortschatz müssen die Grünen verständlicher und zugänglicher kommunizieren – oder für Bür- gerinnen und Bürger, deren Mut- tersprache nicht Deutsch ist. Ziele und Inhalte grüner Politik müssen barrierefrei vermittelt werden, damit alle Menschen Zugang zu ihnen haben können. Die Grü- nen setzen zwar auf Diversität und Partizipation, aber ihre Mit- glieder spiegeln nicht die realen Verhältnisse in der Bevölkerung wider. Auch bei uns in der Grünen Jugend gibt es kaum aktive Mit- glieder mit Migrationshintergrund. Man sollte sich fragen: Wieso? 31

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Böll.Thema 3/2013 31

Terry Reintke päische Partei. Es wird Zeit, diese Rolle auszufüllen und 26 J., Europäische Grüne Jugend, ­Exmitarbeiterin des den europäischen Gedanken endlich wieder zu leben. Die ­ausgeschiedenen Abgeordneten Ulrich Schneider Grünen haben Ideen, wie das Thema soziale Gerechtigkeit auf europäischer Ebene weitergedacht werden muss. Diese ie Grünen müssen jetzt mit voller Kraft den Kampf Gerechtigkeit gerät immer stärker ins Ungleichgewicht, D gegen die populistischen antieuropäischen Stim- doch vor der Bundestagswahl haben wir dieses Thema zu men aufnehmen! Offensiv die Debatte starten und proak- wenig in den Mittelpunkt gestellt. Mit der Zurückhaltung tiv gegen die AfD vorgehen – das ist jetzt angesagt, auch muss jetzt Schluss sein. Deshalb lasse ich mich in Gelsen- wenn die AfD bei der Bundestagswahl knapp gescheitert kirchen aufstellen: Ich will nämlich für die Grünen ins ist. Die Grünen sind für mich die einzig wirkliche euro- Europaparlament! 32

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32 Böll.Thema 3/2013 Parteien nach der Wahl

lleinregierungen und Min- Muster für etwa 20 Prozent aller Regierun- Ängste und Zumutungen derheitsregierungen sind in gen seit 1949 bildet. Auf der Bundesebene, Warum trifft die angesichts des Wahler- Deutschland die Ausnahme. wo der dualistische Parteienwettbewerb gebnisses vom 22. September mögliche Genau genommen gab es sie stärker als in den Ländern durch die Kon- Große Koalition auf so viel Widerstand in auf Bundesebene nie. Hätte kurrenz zwischen SPD und CDU/CSU den betroffenen Parteien – und zwar selbst Aes sie 2013 gegeben, wäre dies vermutlich strukturiert ist, wird die Große Koalition bei der Partei, die die Kanzlerin stellt? für die Unionsparteien mehr Last als Lust nicht nur als eine unbeliebte Regierungs- Offensichtlich ist diese Konstellation mit geworden. Der Regelfall sind vergleichs- konstellation betrachtet, sondern sogar als vielen Ängsten, Mythen und realen Zumu- weise stabile Koalitionsregierungen. Dabei eine regierungstechnische Ausnahme-, Not- tungen belastet, und dies nicht nur, weil handelt es sich nicht immer um Wunsch- behelfs- oder Sonderfallkoalition. Zuweilen die Akteure eine grundlegende Änderung koalitionen, sondern vor allem um Zweck- ist gar von einer Gefahr für die Demokra- ihrer Interaktionsgewohnheiten zu bewäl- bündnisse auf Zeit. Für die Bundesebene tie die Rede. Denn einerseits werde so die tigen haben. Tatsächlich sind es nicht nur war bisher die « kleine Koalition » der Nor- Opposition in ihrer Handlungsfähigkeit die innerparteilichen Flügel, die angesichts malfall, also das Bündnis einer größe- beschnitten, weil sie – jedenfalls in der dessen, dass die Kompromissfindung in ren Volkspartei mit einer kleineren Partei, Stärke der kommenden Legislaturperiode – einer Großen Koalition in der Mitte stattfin- meistens mit der FDP. Seit dem Einzug der aufgrund ihrer Größe noch nicht einmal in det, dagegen sind. Stärker wiegt, dass den Grünen in den Bundestag stehen sich zwei der Lage wäre, einen Untersuchungsaus- Parteien in der Großen Koalition erhebliche koalitionspolitische Präferenzen lagerartig schuss (Art. 44 I GG) einzuberufen oder Einschnitte und Zumutungen bei der eige- stabil gegenüber: Schwarz-Gelb und Rot- eine abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 III nen Profilierungs- und Abgrenzungsarbeit Grün. Daran änderte auch der Einzug der GG) zu praktizieren. So war das auch zwi- vorhergesagt werden, die auch negative PDS/Linkspartei in den Bundestag nichts, schen 1966 und 1969 (FDP = 9,8 Prozent) Konsequenzen für ihre Position im Partei- da diese weder sich selbst als potentiellen und, trotz einer deutlich größeren Opposi- enwettbewerb haben, vor allem gegenüber Bündnispartner betrachtet noch von ande- tion, mit Abstrichen auch von 2005 bis 2009 ihren Stammwählern. Offensichtlich gilt ren als solcher gesehen wird. (FDP+Grüne+Linke = 27 Prozent) der für beide Partner einer Großen Koalition, Wie sieht es nun mit der Großen Koali- Fall. Ferner bestehe die Gefahr, dass Wäh- wenngleich je nach Startposition unter- tion aus? Also jener Konstellation, bei der lerinnen und Wähler zu den kleinen demo- schiedlich, dass dieses Bündnis gegenüber die beiden Hauptkontrahenten, auf die das kratischen oder gar zu extremen Parteien einer kleinen Koalition starke Abstriche bei bundesdeutsche Parteiensystem zugeschnit- abwanderten, es also unter dem Strich zu Ressourcen, Macht und Eigenprofil bedeu- ten ist, aus dem Modus des Gegeneinanders einem weiteren Wandel des Parteiensystems ten kann. Denn statt Richtlinienkompetenz in die Praxis des temporären Miteinanders komme, indem die Ränder gestärkt wer- dominiert der Koalitionsausschuss; statt umstellen müssen. Tatsächlich ist diese den und so das Regieren noch schwieriger vieler maßgeblicher Ministerien droht ein anspruchsvolle Konstellation in 18 Legisla- gemacht werde. Bisher waren die Großen institutioneller Ressourcenverlust; statt turperioden auf der Bundesebene erst zwei Koalitionen allerdings weniger die Ursache zentrale Wahlversprechen umzusetzen, Mal zustande gekommen. Interessant ist für eine Fragmentierung des Parteiensys- muss man sich mit dem Koalitionspartner jedoch, dass die im Bund exotische Große tems; vielmehr reagierten Große Koalitio- auf Kompromisse einigen, die die eigenen Koalition zugleich auf der Länderebene das nen als Ultima ratio auf solche Phänomene. Wähler, Mitglieder und Funktionäre enttäu- schen. Der Preis für eine Große Koalition kann also hoch sein, wenn man sich nicht hinreichend vorbereitet und eine spezifi- Allen innerparteilichen Mahnungen zum Trotz: Über den Erfolg der SPD ­ sche Haltung entwickelt. Und dann kommt in einer Großen Koalition entscheiden nicht historische, demokratie­ noch hinzu, dass eine Große Koalition nur theoretische oder parteipolitische Erwägungen, sondern einzig die Haltung, auf Augenhöhe funktionieren kann, selbst mit der die SPD sie eingeht. wenn die Wahlergebnisse der beiden Par- teien voneinander abweichen. Nach den beiden bisherigen Großen Koa- litionen hat die SPD sehr unterschiedliche Ergebnisse eingefahren: Aus der ersten von 1966 bis 1969 kam die SPD gestärkt Erhobenen Hauptes in heraus. Sie konnte anschließend sogar die Regierung übernehmen. Die Bedingung die- ses Erfolgs war, dass sie damals eine klare die Große Koalition Mission hatte: Sie wollte diese Koalition nutzen, um ihre Regierungs- und Hegemo- niefähigkeit unter Beweis zu stellen. Natür- lich war diese Konstellation nicht ganz frei gewählt, denn es gab damals für die SPD keinen anderen Partner. Entscheidend war Von Wolfgang Schroeder aber, dass sie diese Koalition als Sprung- 33

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Böll.Thema 3/2013 33

brett nutzen wollte, um später selbst die schen Parteiensystems, trifft die deutsche spiegeln reale Befindlichkeiten wider, die Regierung anzuführen und die Republik Situation nicht. Zwar stimmt es, dass im sich aus zwei Quellen speisen: Da ist zum stärker nach den eigenen Vorstellungen zu Laufe der vergangenen Jahrzehnte in Berlin einen die Haltung, dass doch mit dem theo­ gestalten. Insofern kann man sagen, dass ebenso wie in Wien die beiden Volksparteien retischen Bündnis zwischen Grünen, Lin- diese Große Koalition für die Sozialdemo- an Zuspruch, Macht und Einfluss verloren ken und SPD eine klare Alternative bestehe, kratie ein Projekt war. Demgegenüber gin- haben. Gleichwohl sind die Unterschiede deren Möglichkeit fahrlässigerweise nicht gen 1969 sowohl die Kanzlerpartei CDU als bedeutend: Während in Wien der Abwärts- ausgelotet werde. Unterschlagen wird bei auch die FDP – damals einzige Oppositions- trend der beiden Volksparteien linear zu dieser « Option », dass es nicht die Auf- partei – geschwächt aus ihr hervor. verlaufen scheint, belegen die Zuwächse gabe der SPD ist, sich an die Linkspartei Ganz anders war dies 2009. Die SPD bei CDU/CSU und SPD bei der Bundes- anzupassen; vielmehr ist es die Linke, die erlebte eine erdrutschartige Niederlage, tagswahl 2013, dass diese Entwicklung zunächst die außen- und europapolitischen die heute zuweilen als Beleg dafür gewer- keinesfalls zwingend ist. Noch deutlicher Hindernisse ihrer eigenen Politik korrigie- tet wird, dass sie für ihre Mitarbeit in der ist die Situation des Umfeldes: Während ren muss. Da hierzu klare Vorfestlegungen Großen Koalition abgestraft werde. Hinge- in Deutschland die Parteien insgesamt eher getroffen wurden, ist die zweite Quelle des gen kamen die CDU sowie die Opposition Richtung Mitte-Links gerückt sind, kam es Vorbehalts gegen eine Große Koalition die massiv gestärkt aus dieser Periode heraus. in Österreich zu einer Rechtsentwicklung, eigentlich bedeutende: Es ist noch unklar, Vermutlich war in beiden Fällen nicht die angeführt von einer auf über 20 Prozent worin eigentlich die Botschaft besteht, mit Große Koalition selbst die Ursache für das angewachsenen FPÖ. Gleichwohl ist es der die Sozialdemokratie in dieses Bündnis bessere oder schlechtere Abschneiden der nicht anzustreben, die Große Koalition zu eintreten will und soll. SPD; verantwortlich für das eine wie das einem Regelfall werden zu lassen, wie dies So viel ist in der Tat sicher: Sollte die andere waren vielmehr die inhaltliche, in Österreich der Fall ist. SPD mit schlechtem Gewissen oder sogar personelle und organisatorische Aufstel- Übrigens ist auch das Argument, dass gesenkten Hauptes in diese Konstellation lung und Haltung der Partei. So spricht die SPD grundsätzlich keine Wahlen auf hineingehen, dann wäre dies eine denk- viel dafür, dass die Wahl 2009 nicht an Landesebene gewinnen könne, wenn sie bar schlechte Startprogrammierung. Da es der vorherigen Beteiligung an der Großen im Bund mitregiert, nicht zwingend. Empi- jedoch kein Naturgesetz ist, dass die SPD Koalition scheiterte, sondern an dem dama- risch jedenfalls trifft es schlicht nicht zu. So durch eine große Koalition geschwächt ligen Erscheinungsbild der SPD außerhalb errang etwa Kurt Beck in Rheinland-Pfalz wird, ist die Partei gut beraten, ihre posi- der Regierungskoalition in Berlin, welches 2006 die absolute Mehrheit; Klaus Wowe- tiven Ziele deutlich herauszuarbeiten. So – das Gesamtbild der Partei seinerzeit massiv reit erzielte 2006 sein bestes Ergebnis über- und nur so – kann die Große Koalition für prägte. Gemeint sind unter anderem: die haupt; selbst Andrea Ypsilanti führte die die SPD eine riesige Chance werden, sich Zerstrittenheit der SPD in Hessen, die fast SPD in Hessen 2008 von 29,1 auf 36,7 Pro- zu konsolidieren und die eigenen Themen das ganze Jahr 2008 Partei und Öffentlich- zent. Die Landesebene ist nicht einfach ein sowie Deutungen klarer als in den vergan- keit bundesweit beschäftigte; der Rücktritt Abbild des Bundes; sie kann sich – inner- genen Jahren zu setzen. Jedenfalls sind die von Kurt Beck als Parteichef; die Kontrover- halb bestimmter Margen – durch Personen vergangenen vier Jahre in der Opposition sen um den möglichen Parteiausschluss von und Themen eigenständig positionieren, ganz sicher nicht so erfreulich verlaufen, Wolfgang Clement; die fehlende Machtpers- auch gegen einen negativen Bundestrend. dass dieses Dasein unbedingt als verhei- pektive angesichts der Nichtkoalitionsfähig- ßungsvolle Zukunftsoption erachtet und keit der Linken und nicht zuletzt die nach- Eine Frage der Inhalte und der Haltung deshalb fortgesetzt werden müsste. wirkenden Schwierigkeiten der Agenda Was sagt uns dies alles? Auf die Frage, wie Im Ergebnis sind es daher weniger die 2010, die damit verbunden waren, dass es die SPD aus einer Großen Koalition wieder historischen, demokratietheoretischen und nicht recht gelang, diese Politik in die Tra- herauskommt, liefert deren Regierungsbi- parteipolitischen Argumente, die gegen dition der SPD einzubetten. So wenig wie lanz nur eine, wenngleich natürlich sehr eine Regierungsbeteiligung sprechen. Nur für die Dummheit der FDP im Wahljahr wichtige Antwort, um sich dem Wähler am ein Argument ist wirklich tragfähig: Wenn 2013 war Angela Merkel verantwortlich für Ende der Legislaturperiode als der eigentli- die SPD in eine Große Koalition eintritt, die Zerrissenheit der SPD vier Jahre zuvor. che « Gewinner » dieses Bündnisses präsen- dann muss sie diesen Weg mit Selbstbe- Übrigens hat die starke Konzentration auf tieren zu können. Gegenwärtig findet in der wusstsein und einer klaren zukunftsori- die Konkurrenz der SPD mit der Linkspar- SPD eine intensive Debatte über die Vor- entierten Botschaft antreten. Insofern ist tei zudem dazu beigetragen, dass die Sozi- aussetzungen und mögliche Konsequenzen bereits die sozialdemokratische Debatte aldemokratie in den vergangenen Jahren einer Großen Koalition statt. Während auf über Sinn und Ziel einer Großen Koalition die erfolgsträchtige Balance von wirtschaft- der Spitzenebene Sondierungsgespräche ein wichtiger Beitrag dazu, selbstbewusst licher Innovation und sozialer Gerechtig- geführt werden, beschreibt ein lautstarker in diese Konstellation hineinzugehen – und keit vernachlässigte. Das alles schwächte Chor von Mahnern die Große Koalition als in vier Jahren erfolgreich wieder aus ihr das Erscheinungsbild der SPD als einer riesige Gefahr, die der SPD keine Gelegen- hervorzutreten. geschlossenen und machtbewussten Partei heiten zur Profilierung biete, womit ihre massiv, obwohl sie zugleich eine allseits notwendige innere Konsolidierung behin- Prof. Dr. Wolfgang Schroeder lehrt « Politi- positiv bewertete Regierungsarbeit leistete. dert werde. sches System der--- BRD » an der Universität Kassel; seit November 2009 ist er Staatssekre- Der Vorwurf, eine Große Koalition beför- Diese lautstark vorgetragenen Vorbehalte tär im Ministerium für Arbeit, Soziales, dere eine « Österreichisierung » des deut- sind nicht nur taktisch motiviert, sondern Frauen und Familie des Landes Brandenburg. 34

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34 Böll.Thema 3/2013 Parteien nach der Wahl

Für die CDU ist die Große Koalition die naheliegende, aber keine zwingende Option für die nächsten vier Jahre und perspektivisch ist es keineswegs gesagt, dass die Grünen in einem schwarz-grünen Regierungsbündnis verlieren müssten. Voraussetzung dazu ist, dass sich beide Parteien an die Maxime halten: Erst kommt das Land …

Von Ruprecht Polenz

eil nicht sein kann, was nicht sein hat sie parteiübergreifend Wähler angesprochen und darf, sprechen manche Kommen- diese für die Union mobilisieren können. Ohne die tatoren von einem « Pyrrhus-Sieg », Öffnung für neue Wählerschichten ist der Zuwachs den die Union am 22. September nicht zu erklären. » errungen habe. Merkel sei « allein Wzu Haus », weil ihr mit der FDP der Koalitionspartner Die CDU als moderne Volkspartei ­ abhandengekommen sei. Merkel müsse sich einen hat sich geöffnet Partner suchen, und es sei der SPD nicht zu verden- Wenn manche die Reformprojekte der letzten Legis- ken, wenn sie nicht wieder in eine Große Koalition laturperiode – Atomausstieg, Energiewende, Wehr- wolle. Schließlich sei ihr die letzte schlecht bekom- pflicht-Abschaffung, Familienpolitik – eher als eine men. Die FDP habe die Zusammenarbeit mit der gelungene Strategie zur Austrocknung der Opposition Union gar das politische Überleben gekostet. Auch denn als geplante Selbstverwirklichung der Union die Grünen würden in einer Koalition mit der Union sehen, unterliegen sie einem doppelten Irrtum. Zum geschwächt. Schließlich gebe es eine Mehrheit links einen sind Parteien nun wahrlich nicht dazu da, sich von der Union, und spätestens 2017 werde man selbst zu verwirklichen. Zum anderen verwechseln sie davon endlich Gebrauch machen. Werte und Ziele mit den Mitteln, mit denen die Ziele So kann man sich als Sozialdemokrat oder als erreicht und die Werte verwirklicht werden sollen. Grüne ein Wahlergebnis zurechtreden. Die Linke, die Die Wehrpflicht war ein Mittel, die Bündnisfähig- drei Prozentpunkte und damit mehr verloren hat als keit Deutschlands und die Landesverteidigung zu die Grünen, feierte sich am Wahlabend sogar, weil sichern. Heute erfordern diese Ziele vor allem Bei- sie jetzt stärkste Oppositionspartei geworden sei. Da träge Deutschlands dazu, Krisen und Konflikte auf merkt man die alte dialektische Schulung. Distanz zu halten, einzudämmen und gemeinsam mit anderen lösen zu helfen. Wehrpflichtige können an Union nur fünf Sitze von absoluter ­ diesen Auslandseinsätzen nicht teilnehmen. Mehrheit entfernt Das « C » in unserem Parteinamen steht auch nicht Mit 41,5 Prozent und einem Zugewinn von 7,7 Pro- für Caesium. Die Union war nicht mit der Kernener- zent gegenüber der letzten Bundestagswahl von gie verheiratet – in den Führungspositionen großer 2009 hat die Union ihr bestes Wahlergebnis seit 20 Energieversorgungsunternehmen finden sich dank Jahren erzielt. Ein besseres Ergebnis erreichte zuletzt des kommunalen Einflusses auch eher Sozialdemo- Helmut Kohl im Einheitsjahr 1990. Das Centrum für kraten. Von Gazprom ganz zu schweigen. Nach Fuku- angewandte Politikforschung an der LMU München shima lassen sich die drei energiepolitischen Ziele erinnert in einer Analyse daran, dass ein Zugewinn Versorgungssicherheit – Umweltschutz – bezahlba- von 7,7 Prozentpunkten in der Geschichte der Bun- rer Preis nicht mehr mit Kernenergie verwirklichen. destagswahlen überhaupt erst einer Partei gelang: Deshalb Atomausstieg und Energiewende. Bei Letz- der Union Konrad Adenauers im Jahr 1953. Die terer scheint mir übrigens die NRW-SPD wegen ihrer Union hat nach einer Analyse der Wählerwande- Kohle-Politik zunehmend auf der Bremse zu stehen. rungen von infratest dimap nur an die AfD Stimmen Das Ziel, Familien zu stärken, erfordert heutzutage abgegeben und sonst von allen Parteien Wählerinnen andere Mittel als vor 20 oder 30 Jahren. Eltern wol- und Wähler dazugewonnen. len Kinder haben und berufstätig sein. Um die Ver- Wie die Konrad-Adenauer-Stiftung analysiert, ist einbarkeit von Familie und Beruf zu fördern, hat die dieses Wahlergebnis « vor allem ein Vertrauensbeweis Union nach dem von ihr durchgesetzten Rechtsan- gegenüber der Kanzlerin Angela Merkel. Seit 2005 spruch auf einen Kindergartenplatz jetzt auch einen 35

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Böll.Thema 3/2013 35

Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für die Die Altersentwicklung setzt nicht nur unser Ren- unter Dreijährigen durchgesetzt und Milliarden dafür tensystem unter Druck. Pflege und das Gesundheits- bereitgestellt, damit Länder und Kommunen diesen wesen sind mindestens ebenso betroffen. Denn die Anspruch auch einlösen können. gesetzlichen Versicherungen gründen wesentlich auf der Solidarität von Jung (und gesünder) mit Alt (und SPD und Grüne haben sich selbst geschwächt kränker). Hier die Weichen zu einer nachhaltigen, Der SPD hat nicht die Große Koalition gescha- generationengerechten sozialen Sicherung zu stellen, det, sondern ihre bis heute ungeklärte Haltung zur gehört zu den besonders schwierigen Herausforde- Agenda 2010. Dieses Reformprogramm der rot- rungen für die nächste Legislaturperiode. grünen Koalition, dem die Union in weiten Teilen Zur Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit bleibt zugestimmt hatte, ist einer der Gründe dafür, dass auch in den nächsten vier Jahren unerlässlich, dass sich Deutschland vom Schlusslicht wieder zur Wachs- die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und For- tumslokomotive in Europa entwickelt hat. Wer eine schung weiter steigen. Dem gleichen Ziel dienen auch der Ursachen für den Rückgang der Arbeitslosigkeit verstärkte Investitionen in den Ausbau und den Erhalt und das Entstehen neuer Arbeitsplätze bekämpft, unserer Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur. statt auf die eigene Regierungsleistung stolz zu sein, Trotzdem muss das Ziel eines ausgeglichenen darf sich nicht wundern, wenn die Wählerinnen und Haushalts im nächsten Jahr und für alle Folgejahre Wähler den politischen Grund für die gute wirtschaft- erreicht werden, damit dann Schritt für Schritt die liche Entwicklung vorwiegend bei der Union sehen. Schulden abgebaut werden können. Immerhin sind 75 Prozent der Bevölkerung mit ihrer wirtschaftlichen Lage zufrieden oder sehr zufrieden – Schwarz-Grün – ein Reformbündnis ein bisher noch nie gemessener Wert. für Deutschland Die Grünen haben ihre 2,3 Prozentpunkte ganz Im ZDF-Politbarometer befürworten 58 Prozent eine allein verloren. Als Partei in der Opposition. Als das schwarz-rote Regierung. Eine Große Koalition ist Umfragehoch von über 20 Prozent das Potential sig- auch aus meiner Sicht das wahrscheinliche Ergebnis. nalisierte, zu einer grünen Volkspartei zu werden, Ob es dazu kommt, wird nicht zuletzt von den Grü- wurde versäumt, daraus die politischen Konsequen- nen abhängen. Sie (genauso wie die Union) müssten zen zu ziehen und sich diesen neuen Wählerschichten über ziemlich lange Schatten springen und jeweils auch wirklich programmatisch und personell zu öff- bereit sein, das jahrzehntelang beiderseits voneinan- nen. Stattdessen erfolgte ein regressiver Rückgriff auf der gepflegte (Feind)bild einem Wirklichkeitscheck alte, eher auf der -Seite angesiedelte Umvertei- zu unterziehen. Denn weder sind die Grünen noch lungs- und – natürlich wohlmeinende – Bevormun- dieselbe Partei, die seinerzeit als APO in die Parla- dungstendenzen. Dann kamen noch der Umgang mit mente einzog, noch ist die Union dieselbe Partei wie dunklen Flecken in der eigenen Vergangenheit dazu vor 30 Jahren. und der Gebrauch von Entschuldigungen – « Ich kann Was die oben genannten Herausforderungen mich nicht erinnern » –, die man anderen nie hätte für die nächsten vier Jahre angeht, sehe ich keine durchgehen lassen. unüberwindlichen Hindernisse für eine Einigung zwi- schen Union und Grünen. Und in der Außenpolitik Die politischen Herausforderungen sind wir nach meiner Beobachtung der letzten Jahre der nächsten vier Jahre sowieso ziemlich dicht beieinander. Deutschland braucht eine stabile Regierung. Nur so Aber es kann ja sein, dass der Satz von Müntefering können wir unserer Verantwortung in und für Europa « Opposition ist Mist » von den Grünen nicht geteilt gerecht werden. Die Überwindung der Staatsschul- wird. Vielleicht reden sich einige ein, dass Opposition denkrise und eine dauerhafte Stabilisierung des ein Jungbrunnen sei. Schließlich hat es einen eige- Euro-Raums werden dem Bundestag noch manche nen Reiz, nach auf die Regierungserklä- schwierige Entscheidung abverlangen. Von der AfD rungen von Angela Merkel zu antworten. und ihren Unterstützermedien wird der Druck zur Wenn man nicht genau weiß, was strategisch vor- Aufkündigung europäischer Solidarität wachsen. teilhaft ist für die eigene Partei, sollte man das tun, Dem gilt es entschlossen und mit Überzeugungskraft was in der Sache richtig ist. Das zahlt sich am Ende entgegenzutreten. auch für die Partei aus. Eine Regierung ist jenseits Die Umsetzung und wirtschaftsverträgliche Gestal- aller parteitaktischen Ego-Überlegungen vor allem tung der Energiewende ist eine gewaltige Aufgabe, dazu da, unser Land gut zu regieren. Wie wär´s also die die nächsten Jahrzehnte in Anspruch nehmen mit dem Satz: Erst kommt das Land, dann kommt wird. Ein klarer Kurs ist dabei entscheidend, denn die Partei? nur dann können Unternehmen und Privathaushalte sich darauf einstellen und durch eigene Investitionen Ruprecht Polenz war von 1994 bis 2013 für die CDU dazu beitragen, dass die Energiewende gelingt. Mitglied des--- Deutschen Bundestages und ab 2005 Vor­ sitzender des Auswärtigen Ausschusses. 36

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36 Böll.Thema 3/2013 Politische Perspektiven

Die kommenden Jahre bieten die Chancen für deutsch-französische Initiativen zur ökologischen und energiepolitischen, personellen « Heute gilt es, über ein und strukturellen Erneuerung Europas ­reines Marketing des ‹ Europa ist wichtig, es hat den Krieg verhindert etc. › hinaus neue Parteigänger für ein Europa 2.0 zu finden.»

Paris und Berlin kels als flächendeckende, breite Partei der Mitte mit vielen linken Elementen positionieren konnte, fällt eine Bewertung der vormals Konservativen eher als Antriebsachse schwer. Die französischen Kommentatoren verglei- chen immer wieder die « normale » Regierungschefin Merkel, ihren Erfolg in der Wirtschaftspolitik, die stark gesunkene Arbeitslosigkeit, ihre Popularität mit Kerneuropas dem spektakulären Niedergang von François Hol- lande, der, mit viel Hoffnung gewählt, so « normal » sein wollte und nun in Umfragen bei 23 Prozent liegt und als phantasielos, richtungslos, einflusslos und langweilig gilt. Eine große Koalition gefällt in Paris auf den ersten Blick, da sie die scheinbar « richtige » Schwesterpartei in die neue Regierung hineinbringt und so eine gewisse Solidarität zumindest theore- tisch ermöglicht. Sie bringt außerdem die Chance mit sich, je nach Dossier auf unterschiedliche Kräfte in Berlin zu setzen. Es sollte nicht vergessen wer- den, dass Hollande im Wahlkampf mit einer klaren Kampfansage an Merkels Europa-Politik angetreten war und zunächst versuchte, mit Italien und Spa- nien eine andere, nachfrageorientierte Finanzpolitik Von Susanne Nies in der Eurokrise durchzusetzen. Diese populistische Startphase wurde allerdings durch die Unglaubwür- digkeit der französischen Politik und die schwere Strukturkrise Frankreichs nachhaltig desavouiert. er Wahlsieg Merkels in Berlin stellte für Heute muss das deutsch-französische Paar mit viel das politische Paris keine Überraschung mehr Ungleichgewicht leben, als das jemals zuvor dar. In weiser Voraussicht hatte der im der Fall war. Vorjahr gewählte Präsident Hollande keine besondere Sympathie für den Deutsch-französische Kontinuität und die DSPD-Kandidaten zur Schau getragen, sondern der Notwendigkeit einer gemeinsamen Führungsrolle Zusammenarbeit mit Merkel öffentlichkeitswirksam Am 50. Jahrestag des Élyseé-Vertrags im Januar 2013 den Vorrang gegeben. Nun fallen die Parti Socia- verkündeten Merkel und Hollande einen gemein- liste (PS) und die SPD sowieso nicht wirklich durch samen Plan zur Stärkung Europas, seiner Stabilität Schulterschluss auf, sie unterscheiden sich in vielerlei und Wettbewerbsfähigkeit. 1 Diese noch embryonale Hinsicht programmatisch voneinander: der Staats- Initiative ist erfreulich und muss mit Leben gefüllt kapitalismus einer PS, ihre altmodischen Rezepte, werden. Die großen Erfolge deutsch-französischer die Unfähigkeit, auch nur Teile der Schröder’schen Zusammenarbeit nach de Gaulle–Adenauer waren Arbeitsmarktreform zu übernehmen seien hier bei- immer durch parteipolitisch gegensätzliche Paare spielhaft angeführt. Seit den Jahren Mitterrands, geprägt: Giscard–Schmidt, Kohl–Mitterrand … Eine dann Schröders haben sich die Schwesterparteien solche Zusammenarbeit, wie auch immer sie sich kontinuierlich voneinander entfernt, ja sind sich ausgestalten wird, baut auf der etablierten, sehr fremd geworden. Da sich gleichzeitig die CDU Mer- positiven wechselseitigen Wahrnehmung von Deut- 37

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Böll.Thema 3/2013 37

schen und Franzosen. Heute bewundert Frankreich sche und strategische Vorschläge zu begegnen. Gute das « modèle allemand », das für Erfolg in der Wirt- Vorschläge liegen in den Archiven, ungetestet: der schaft steht und für eine herausragende Rolle auch Kerneuropa-Vorschlag von Schäuble–Lamers aus und gerade während der Rezession. Man ist sich in dem Jahr 1994 hat zum Beispiel, fast 20 Jahre später, Paris einer zunehmenden Abkopplung von Deutsch- nicht an Aktualität verloren, sondern eher gewonnen. land gerade in der Wirtschaftspolitik bewusst, ohne Eine solche verstärkte Zusammenarbeit bedeutet im Kern verstanden zu haben, welche Rezeptur dem eben nicht zwangsläufig ein exklusives Europa mit « modèle allemand » zugrundeliegt. Als vom Mittel- zwei oder mehr Geschwindigkeiten. Sie trägt viel- stand getragenes, sehr dezentrales und auf der Kraft mehr dem Umstand Rechnung, dass die EU-Bürger der Länder beruhendes Modell hat die bekannte heute etwas mit ihren Regionen und ihren Nachbar- Expertin deutsch-französischer Beziehungen Jacque- ländern anfangen können, aber nicht mit der weit line Henard es treffend beschrieben 2. Doch in jako- entfernten, als überzentralisiert und gesichtslos emp- binisch-zentralstaatlicher Tradition sucht Paris emsig fundenen EU. Sie trägt ebenfalls dem Umstand Rech- nach einem Allheilmittel made in , das von nung, dass ein « one size fits all» nicht immer passt, oben nach unten verordnet werden könnte. Dass sondern dass regionale Besonderheiten berücksich- dieses Modell viel weniger gesteuert ist, als es von tigt werden müssen, ohne dass dieser Regionalfokus den ordnungsliebenden Deutschen zu erwarten wäre, im Widerspruch zum Binnenmarkt steht. Abgestufte kommt Paris dabei nicht einmal in den Sinn. Integration, maßgeschneiderte Integration sind Ant- Warum gerade Paris und Berlin? Mit heute 28 EU- worten. Die regionale Dimension für den größeren Mitgliedsstaaten und einer grassierenden Europa-Ver- Zusammenhang nutzbar zu machen ist daher die drossenheit gilt es heute, über ein reines Marketing eigentliche Botschaft der Kerneuropa-Idee, die meh- des « Europa ist wichtig, es hat den Krieg verhindert rere Formen annehmen kann. Inhaltlich ginge es um etc. » hinaus neue Parteigänger für ein Europa 2.0 zu einen regionalen Vorstoß in der Umsetzung des in finden. Das gilt umso mehr, als nach der Rezession Maastricht versprochenen Binnenmarktes in allen der Neubeginn schleppend, langwierig, mühsam und seinen Dimensionen, aber auch um eine stärkere ohne spektakuläre Erfolge sein wird. Zusammenführung der Außenpolitik, Wirtschaftspo- Dieses Europa 2.0 müsste sich vor allem in seiner litik, Steuerpolitik etc. Deutschland und Frankreich politischen Repräsentanz deutlich dynamisieren, will sollten mit diesem mutigen Schritt vorangehen. es auch die Facebook-Generation der dritten indus- triellen Revolution gewinnen. Alle haben von der Plädoyer für eine Drei-Punkte-Agenda Wirtschaftskrise gehört, aber niemand von Barroso. Eine gemeinsame Redynamisierung des europäischen Besonders für die Jugend ist die EU grosso modo ein Projekts in den nächsten Monaten müsste die Gefahr Paradies für einen kleinen Kreis Privilegierter, ohne der zunehmenden nationalen Alleingänge inner- jede Auswirkung auf ihren Alltag und ihre Zukunft. halb der EU zum Thema machen. Ausgangspunkt Die geringe Beteiligung an den Wahlen für das einer solchen Dynamisierung wären die Erfolge im Europa-Parlament – 30 bis maximal 40 Prozent – hat Management der Euro-Krise, die insbesondere dem es seit vielen Jahren immer wieder bewiesen. Dem Team Merkel/Juncker zuzuschreiben sind. Denn Desinteresse und der Europa-Feindlichkeit, die sich trotz aller Kritik ist es ja gelungen, den Euro zu ret- am wachsenden Einfluss nationalistischer Parteien ten und die Bankenregulierung mit tatkräftiger Hilfe ablesen lassen, gilt es durch weitsichtige pragmati- aus Brüssel zu verbessern. Eine gemeinsame Initia- tive sollte drei Elemente umfassen: regionale Zusam- menarbeit – Kerneuropa 2.0; Energie und Innovation als Kernthema; Neuaufstellung des politischen Perso- « Warum nicht über Kern- nals in Brüssel. europa nachdenken, warum Erstens: Neuauflage der regionalen Zusammenarbeit nicht an die Stelle einer Eine deutsch-französische Initiative müsste zuhause anfangen und die Integration in der Region Deutsch- allzu einfachen ökologisch- land-Frankreich-Benelux nach vorn bringen. Heute oberlehrerhaften Heran­ bemüht man viel das pentalaterale Forum 3 in poli- tischen Insider-Diskursen. In der Tat stellt es eine gehensweise eine Politik Chance dar und wird von Grünen bis Schwarzen inhaltlich gutgeheißen. Ein Europa nach der Rezes- des Machbaren, der kleinen sion ist notwendigerweise introvertiert, das zei- Schritte und des Kompro- gen alle Wahlkämpfe einschließlich des deutschen: Weder Europa noch die Außenpolitik waren misses treten lassen?» Themen der Plakate im September. Seit dem 38

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38 Böll.Thema 3/2013 Politische Perspektiven

Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges ist sonal braucht eine Perestroika, eine Rundumerneu- die europäische Nachbarschaft in den Hintergrund erung, die auch die Rekrutierungspraxis in Brüssel getreten, obwohl die Pauperisierung weiter Teile verändern muss. Süd- und Südosteuropas das Antlitz der EU prägen. Acht Monate stehen zur Verfügung, um für diese Eine Kombination von der Stärkung Kerneuropas und drei Ebenen gemeinsame Vorschläge zu machen. einer mittelfristigen Strategie für Süd- und Südost- europa gehören daher zwingend zu jeder deutsch- Grüne Themen im deutsch-französischen Tandem französischen Initiative. Was bedeutet dieses alles für die Grünen? Die Grü- nen haben das große Verdienst, ökologische Themen Zweitens: Energie und Innovation in den in Deutschland und Europa auf die Agenda gesetzt Mittelpunkt stellen zu haben. In Frankreich sind die Grünen mit an der Die Energiepolitik muss in den Mittelpunkt gestellt Regierung und üben Einfluss aus. Zwar ist für die werden, denn in der Postrezession werden die der- französische Bevölkerung Atomkraft weitgehend ein zeit hohen Energiekosten zu einem schweren Han- Tabu, doch die radikale Ablehnung der Schiefergas- dicap, vor allem im Wettbewerb mit den durch das Förderung sowie eine hohe Sensibilität für Fragen Schiefergas begünstigten Amerikanern. Schiefergas der Umwelt und der Gesundheit zeugen von einer ist für Europa keine Option, man hat sich dem alpi- Veränderung der öffentlichen Agenda, die sich auch nen Projekt der Energiewende verschrieben. Klima, politisch auswirkt. Die grüne Europapolitik muss – Umwelt, Innovation, Informations- und Kommuni- über das Engagement eines Dany Cohn-Bendit hin- kationstechnologien in der Stromwelt – alles dieses aus – verstärkt die deutsch-französischen Beziehun- hat ein enormes Potential für Europa als Wirtschafts- gen für sich entdecken. Das starke Engagement der standort. Doch derzeit belasten die Kosten einer in Grünen und der Böll-Stiftung im Ost-West-Annähe- der Methode unausgereiften Wende die Budgets und rungsprozess, für das Namen wie , Lukas haben schon 15 EU-Staaten zu Kehrtwenden und Beckmann, Elisabeth Weber und Milan Horácˆek, aber Moratorien in der Entwicklung erneuerbarer Ener- auch die Böll-Stiftung stehen, hat nie ein Pendant in giequellen veranlasst. 4 Grüne Politik muss verstehen, einer grünen Westpolitik gehabt. Diese bedarf einer dass die Absicherung der Energiewende tiefgreifende Stärkung und neuer Akzente, bei denen die Grünen Eingriffe erfordert und gleichzeitig Kosten begrenzen auch vor Tabubruch nicht zurückscheuen sollten. muss. Denn viele Investitionen in das Gesamtsys- Warum nicht über Kerneuropa nachdenken, warum tem – Energieeffizienz, intelligente Netze etc. – ste- nicht an die Stelle einer allzu einfachen ökologisch- hen erst noch bevor. Bei der Energiezusammenarbeit oberlehrerhaften Herangehensweise eine Politik des liegt noch alles brach auf dem deutsch-französischen Machbaren, der kleinen Schritte und des Kompro- Feld. Und das, obwohl vieles gemeinsam besser und misses treten lassen? In diesem Zusammenhang ist günstiger ginge und man anderen EU-Mitgliedern bedauerlich, dass die Chance einer Neuausrichtung zeigen könnte, dass nicht das nationale Interesse in einer schwarz-grünen Koalition nicht wahrgenom- an erster Stelle steht, sondern man es mit Europas men wurde. Doch ob aus der Regierung oder der Zukunft ernst meint. Konkret bedeutet das eine Opposition heraus: Eine neue deutsch-französische gemeinsame Regierungsinitiative zum künftigen Initiative für ein Europa der Regionen, der Energie- Strommarkt-Design, zur Entwicklung der erneuerba- wende und der Innovation, für ein Europa, das durch ren Energien – dazu liegen alle Gesetze bereit – und sein Führungspersonal angemessen vertreten wird, für Innovationen in Technologien, Geschäftsmodelle sollte hohe Priorität für die Grünen in Deutschland und Prozesse. Eine solche Initiative muss die Wende haben. vorantreiben. Dazu gehört auch ein Energie-Sili- Der Beitrag spiegelt nur die Meinung der Autorin, nicht con Valley in der Region Elsass-Lothringen, Baden- aber von EURELECTRIC wider. Württemberg, Nordwest-Schweiz, die mehr als 14 --- Millionen Einwohner zählt. 5 Steuerliche Vorteile für Dr. Susanne Nies ist Leiterin der Unit Energy Policy & Betriebe, die in einer solchen Region in die Zukunft Generation beim europäischen Verband der Elektrizitäts- wirtschaft EURELECTRIC. investieren, wären ein Element einer solchen regio- nalen Standortpolitik. 1 → www.elysee.fr/communiques-de-presse/article/contribu- tion-franco-allemande Drittens: Perestroika in Brüssel 2 Henard, Jacqueline, «L’Allemagne, un modèle – mais Paris und Berlin dürfen sich bei der Auswahl des pour qui?» Paris 2013 nächsten Kommissionspräsidenten nicht auf den will- 3 Pentalaterales Energieforum, gegründet von den Be- fährigsten Politiker verständigen. Gefragt ist vielmehr nelux, deutschen und französischen Energieministern mit eine Person erster Klasse, mit Charisma, Erfahrung, dem Ziel, den Handel über die Grenzen voranzubringen Kooperations- und Integrationsfähigkeit, die die EU 4 Quelle Eurelectric 2013 gerade auch gegenüber der jungen Generation in 5 Nies, «Europa sucht sein Energie-Silicon Valley», Inter­ Europa repräsentieren kann. Europas politisches Per- nationale Politik Juli/August 2013 39

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Böll.Thema 3/2013 39 Politische Perspektiven

In der neuen Legislaturperiode muss die Energiewende einen rechtlichen Rahmen erhalten, der Planungs- und Investitionssicherheit garantiert. Zur Sicherung der Versorgung und Begrenzung der Kosten sollten fokussierte Kapazitätsmärkte geschaffen werden.

Der Energiewende eine Richtung geben

Ein Aufruf von Regine Günther

n der kommenden Legislaturperiode steht die Regine Günther leitet das Zentrum der öffentlichen Debatte. Und das nicht ganz nationale, europäische und auch internatio- Klima- und Energiereferat unbegründet, handelt es sich doch um einen Sektor, nale Energie- und Klimapolitik vor wichtigen des WWF Deutschland. der einerseits gewaltigen Veränderungen unterwor- Weichenstellungen. Im nationalen Kontext fen ist und der, sollte er seine Leistungen nicht auf- kommt der Gestaltung der Energiewende eine rechterhalten können, die Versorgungsicherheit und Iherausragende Bedeutung zu. Die Energiewende in die Finanzen der gesamten Wirtschaft und sämtlicher Deutschland steht weltweit als das Modell der ener- Privathaushalte in Mitleidenschaft ziehen würde. giepolitischen Umgestaltung einer Industrienation in Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich auch die- Richtung eines postfossilen Wohlstandsmodells im ser Beitrag wesentlich mit dem Stromsektor, dessen Fokus der Aufmerksamkeit. In der Europäischen Union Transformation die größte Herausforderung darstellt. werden Entscheidungen für den Zeithorizont bis 2030 Zur Bewertung der heutigen Situation in der Ener- und darüber hinaus getroffen. Und auf der Ebene der giewirtschaft ist es wichtig zu verstehen, dass die Weltgemeinschaft richten sich die Augen der Öffent- sogenannte Energiewende nicht erst im Jahr 2010 lichkeit darauf, ob es der Staatengemeinschaft gelin- mit dem Energiekonzept der schwarz-gelben Bun- gen wird, einen glaubwürdigen und ambitionierten desregierung bzw. nach dem Nuklearunfall 2011 im Klimaschutzvertrag zu schließen. In allen drei Feldern japanischen Fukushima begann. Die Energiewende hat Deutschland eine wichtige Rolle zu spielen. war ein Prozess, der mit der Liberalisierung des euro- päischen Energiemarktes 1998 seinen Anfang nahm, Nationale Herausforderungen in Deutschland mit der Einführung des Erneuerbare- Bei der Energiewende handelt es sich um das Gene- Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000 und dem rationenprojekt einer Gesellschaft, die bis 2022 voll- Atomausstieg im Jahr 2002 Dynamik erhielt, ergänzt ständig auf die Kernenergie und bis 2050 nahezu wurde durch die Einführung des europäischen Emis- vollständig auf die Emission von Treibhausgasen ver- sionshandels im Jahr 2005 und die Verabschiedung zichten wird, ohne dass dabei deren prosperierende des europäischen Energie- und Klimaschutzpaketes Volkswirtschaft zu Schaden kommen darf. Es geht 2008. All dies waren Meilensteine in Richtung einer um eine Transformation, die alle Sektoren umfas- Energieversorgung, die sich von fossilen und nukle- sen soll – nicht nur den Sektor des Stroms. Es geht aren Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien darum, Impulse für Veränderungsprozesse zum Kli- entwickelt, die auf die Steigerung der Energieeffi- maschutz in der Industrie zu senden, den Verkehrs- zienz abzielt, deren Versorgungssicherheit sich von sektor zu dekarbonisieren und die Gebäude in den teuren ausländischen Energieträgern abkoppeln kommenden Dekaden doppelt so schnell wie heute möchte und die sich mehr in Richtung dezentraler zu sanieren. In allen Sektoren muss die Energieeffi­ Energieversorgungsstrukturen bewegt. zienz drastisch steigen und der Wechsel zu erneuer- Bei der Entscheidung in den Jahren 2010 und baren Energien vollzogen werden. 2011 zum Energiekonzept und den Gesetzesbün- In den vergangenen beiden Jahren stand fast aus- deln nach Fukushima handelte es sich deshalb schließlich die Umgestaltung des Stromsektors im um eine gesellschaftliche und teilweise auch 40

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Böll.Thema 3/2013 40 Politische Perspektiven

juristische Konsolidierung dieses schon laufenden « Die Bundesregie- bauen, dass die Folgekosten im Bereich der Prozesses. Das eigentlich Spektakuläre war, dass rung ist gefordert, Infrastruktur und der Speicherung möglichst eine konservativ-­liberale Regierung diese Schritte sich für eine Ziel­ gering bleiben werden (sogenannte system- vollzogen hat. Substanziell neu an den Entscheidun- dienliche Auslegung und Betrieb) und Einspei- trias im Bereich der gen von 2010 und 2011 war, dass dem vor 15 Jahren sespitzen so weit wie möglich vermieden wer- begonnenen Umgestaltungsprozess eine verlässliche Emissionsminde- den (gerade bei der Photovoltaik). Langfristperspektive bis 2050 gegeben wurde. Die rung, des Ausbaus →→ 2. Bei der Anpassung des Fördersystems wird mühsame Startphase liegt heute hinter uns. In der der erneuerbaren es auch um eine Kostenbegrenzung gehen in kommenden Legislaturperiode wird es darum gehen, Energien und der einer Situation, in der die wesentlichen Kos- die Dynamik in strukturierte Bahnen zu lenken. Es Steigerung der tenreduktionen (mit Ausnahme der Offshore- geht einerseits darum, Institutionen zu schaffen, die Energieeffizienz Windenergie) bereits erzielt werden konnten. den Veränderungsprozess transparent und zielfüh- einzusetzen. » Es gilt, ein am Ausbau der erneuerbaren Energien rend begleiten, und andererseits, den Umgestaltungs- und den notwendigen Flexibilitätsoptionen ausge- prozess weitgehend auch europäisch einzubetten und richtetes Marktdesign zu entwickeln und in den euro- die (Infra-)Strukturen der kommenden zehn Jahre päischen Prozess einzubringen. so zu gestalten, dass die Erreichung der Ziele 2030, Auch zukünftig wird die Nutzung erneuerbarer 2040 und dann 2050 unterstützt und nicht verbaut Energien durch Backup-Kraftwerke, nachfrageseitige werden. Dabei darf der Ausbau der erneuerbaren Flexibilität und Speicher ergänzt werden müssen, Energien nicht an Dynamik verlieren. Eine komplexe, um die Versorgungssicherheit umfassend zu gewähr- aber lösbare Aufgabe. leisten. Der heutige Strommarkt kann erkennbar die notwendige Finanzierung dieser Flexibilitätsoptio- Klimaschutzgesetz einführen, Strommarktdesign nen nicht sichern. Es muss also ein System von Ein- reformieren kommensströmen geschaffen werden, das neben der Die notwendigen Veränderungen im nationalen Kon- Koordination des Betriebs und der vielfältigen Strom- text stehen unter der Prämisse, dass sie Klimaschutz, erzeugungsoptionen auch deren Finanzierung auf geringe Belastungen der Verbraucherinnen und Ver- eine robuste und langfristige nachhaltige ökonomi- braucher und Versorgungssicherheit kurz-, mittel- sche Basis stellt. Der WWF hat das Modell der fokus- und langfristig garantieren. sierten Kapazitätsmärkte vorgeschlagen, das darauf Große Umwelt- und Entwicklungsorganisationen abzielt, Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Kos- haben die Einführung eines Klimaschutz- und Ener- tenbegrenzung für den Verbraucher zu verbinden. giewenderahmengesetzes zu einer der zentralen For- derungen an die neue Bundesregierung erhoben. Der EU-Klima- und Energiepaket 2030: Zieltrias Kerngedanke der Energiewende – die Minderung der gewährleisten, Emissionshandel sanieren Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Pro- In den kommenden zwei Jahren werden die euro- zent durch den Umbau der Energieversorgung hin päischen Klimaschutz- und Energieziele bis 2030 zu erneuerbaren Energien und Energieeffizienz – ist festgelegt. Die Bundesregierung ist hier gefordert, bisher im Energiekonzept der Bundesregierung vom sich für eine Zieltrias im Bereich der Emissionsmin- Herbst 2010 verankert. Um der Gesellschaft und derung, des Ausbaus der erneuerbaren Energien Wirtschaft aber die notwenige Planungs- und Inves- und der Steigerung der Energieeffizienz einzuset- titionssicherheit zu geben, ist die Weiterentwicklung zen. Denn nur mit klaren europäischen Ausbauzielen dieses Konzeptes zu einem rechtsverbindlichen Rah- für erneuerbare Energien können die notwendigen, mengesetz erforderlich. Nur dann lassen sich die grenzüberschreitenden Konzeptionen einer angepass- benötigten Institutionen, Verantwortlichkeiten und ten Infrastruktur verfolgt und europäische Optimie- Monitoringverfahren verlässlich bestimmen, sodass rungspotentiale erschlossen werden. Zudem kann möglichen Verschiebungen oder Verzögerungen auf nur mit transparenten Zielen für erneuerbare Ener- dem Zielpfad schnell und kosteneffizient begegnet gien und Energieeffizienz die Abstimmung zwischen werden kann. dem europäischen Emissionshandel und den komple- Die erneuerbaren Energien haben durch das Erneu- mentären Politiken in diesen Bereichen gelingen, die erbare-Energien-Gesetz (EEG) eine bemerkenswerte von einigen Mitgliedsstaaten in jedem Fall verfolgt Wachstumsdynamik hinter sich. Ihr Anteil am Strom- und umgesetzt werden. Im Kontext dieser neuen mix stieg von knapp 5 Prozent im Jahr 1998 auf Ziele für 2030 und der bereits bis heute erreichten 25 Prozent im Jahr 2013. Mit diesem Fördersystem Emissionsminderung soll sich die Bundesregierung konnten die Lernkurven der Technologien (Offshore dafür einsetzen, die Emissionen in Europa bis 2020 bisher ausgenommen) weitgehend durchlaufen wer- (gegenüber 1990) um mindestens 30 Prozent zu den. Trotzdem sind Veränderungen dieses Erfolgsmo- reduzieren und den Emissionshandel grundlegend dells notwendig: zu sanieren. →→ 1. Die jetzige Fördersystematik setzt keinerlei Anreize, die erneuerbaren Energien so auszu- --- Mit Adobe- oder Foxit-Reader den vollen Funktionsumfang und die Doppelseitenanzeige nutzen Böll.Thema 3/2013

Publikationen und Veranstaltungsreihen

Veröffentlichungen zu Demokratie Veranstaltungsreihen Neues aus der Schriftenreihe in Deutschland und Europa StreitWert – Politik im Dialog Sicherheit und Fairness in der alternden Experiment Bürgerbeteiligung Nach der Pädophilie-Debatte im Wahlkampf: Gesellschaft Das Beispiel Baden-Württemberg Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der Bericht der Demografie-Kommission der Heinrich- Ein Dossier von Elisabeth Kiderlen und Helga Sackgasse!? Böll-Stiftung. Im Auftrag und hrsg. von der Metzner. Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung Di, 3. Dezember 2013, 19:00 Uhr Heinrich-Böll-Stiftung Schriften zur Demokratie, Band 32 Beletage der Heinrich-Böll-Stiftung Schriften zu Wirtschaft und Soziales, Band 12 Berlin 2013, 160 Seiten Berlin 2013, 84 Seiten Jenseits der Krise «Wie geht es uns morgen?» Die Re-Industrialisierung Europas Engagiert! Gedanken zum neuen bürgerschaft­ Wege zu mehr Effizienz, Qualität und Humanität Grüne Wirtschaftspolitik als Antwort auf die lichen Engagement in einem solidarischen Gesundheitswesen Wirtschafts- und Finanzkrise Beiträge der Arbeitsgruppe «Bürgerschaftliches Bericht der Gesundheitspolitischen Kommission Engagement» der Grünen Akademie Mi, 12. Februar 2014, 19:30 Uhr Beletage der Heinrich-Böll-Stiftung der Heinrich-Böll-Stiftung. Hrsg. von der Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung Heinrich-Böll-Stiftung Schriften zur Demokratie, Band 29 Schriften zu Wirtschaft und Soziales, Band 11 Auf der Höhe – Diagnosen zur Zeit 2. Auflage, Berlin 2013, 60 Seiten Berlin 2013, 60 Seiten Copy & Paste – Wie die digitale Revolution den Kapitalismus herausfordert Die Zukunft der Europäischen Demokratie Menschenrechte zwischen den Geschlechtern Mo, 24. Februar 2014, 19:30 Uhr Von Claudio Franzius und Ulrich K. Preuß Vorstudie zur Lebenssituation von Beletage der Heinrich-Böll-Stiftung Im Auftrag und hrsg. von der Inter*Personen Heinrich-Böll-Stiftung Von Dan Christian Ghattas. Im Auftrag und hrsg. Die regenerative Stadt Schriften zu Europa, Band 7 von der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin 2012, 160 Seiten Kommunen auf dem Weg zum Rohstoffrecycling? Schriften zur Demokratie, Band 34 Fr, 28. Februar 2014, 10 Uhr Berlin 2013, 68 Seiten Im Netz Beletage der Heinrich-Böll-Stiftung Ressourcenschwindel Schiefergas Demokratiereformen – Handlungsmöglichkeiten Von Antoine Simon, Greig Aitken, Fabian Flues auf Länderebene Kongress und Henning Mümmler Skizze von Roland Roth. Hrsg. von der Grüne Erzählung Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung in Zusam- Heinrich-Böll-Stiftung Wie geht's weiter mit den Grünen? menarbeit mit dem BUND und Friends of the Berlin 2013, 26 Seiten, nur online erschienen! Fr/Sa, 14.– 15. Februar 2014 Earth Europe, Schriften zur Ökologie, Band 34 Download: www.boell.de/de/node/277175 Beletage der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin 2013, 60 Seiten

Zuletzt erschienen Die Ausgabe 2/13 ist als Printversion vergriffen. Download unter www.boell.de / thema

2/ 13 1/ 13 3/ 12 Wie frei bin ich? – Es grünt Grenzenlos vernetzt – Lebensentwürfe in Bewegung Chancen und Risiken für die Demokratie Mit Adobe- oder Foxit-Reader den vollen Funktionsumfang und die Doppelseitenanzeige nutzen

Böll.Thema 3/13 Grüne Zeitenwende

«In jüngster Zeit ist wieder viel von grüner Eigenständigkeit die Rede. Es ist allerdings noch wenig gewonnen, wenn künftig weder Koalitionen mit der Union noch mit der Linken ausge- schlossen werden sollen. Das sagt noch gar nichts über den Kurs, den die Grünen einschlagen wollen. Erfolgreich werden sie nur als politische Alternative sowohl zur Union wie zu SPD und Linkspartei sein. In den Gründerjahren hieß das: Nicht rechts, nicht links, sondern vorn. Für eine Partei, die Ökologie, Freiheit und soziale Teilhabe in einem neuen Politikentwurf kombiniert, stehen viele Türen offen. » Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Die Heinrich-Böll-Stiftung ist len politischen Richtungen des eine Agentur für grüne Ideen und Sozialismus, des Liberalismus Projekte, eine reformpolitische und des Konservatismus heraus- Zukunftswerkstatt und ein gebildet hat. internationales Netzwerk mit Organisatorisch ist die Heinrich- weit über hundert Partnerprojek- Böll-Stiftung unabhängig und ten in rund sechzig Ländern. steht für geistige Offenheit. Mit Demokratie und Menschenrechte derzeit 30 Auslandsbüros verfügt durchsetzen, gegen die Zerstö- sie über eine weltweit vernetzte rung unseres globalen Ökosys- Struktur. Sie kooperiert mit 16 tems angehen, patriarchale Landesstiftungen in allen Bundes- Herr­schaftsstrukturen überwin- ländern und fördert begabte, den, in Krisenzonen präventiv gesellschaftspolitisch engagierte den Frieden sichern, die Freiheit Studierende und Graduierte im des Individuums gegen staatliche In- und Ausland. Heinrich Bölls und wirtschaft­liche Übermacht Ermunterung zur zivilgesell- verteidigen – das sind die Ziele, schaftlichen Einmischung in die die Denken und Han­deln der Politik folgt sie gern und möchte Heinrich-Böll-Stiftung bestim- andere anstiften mitzutun. men. Sie ist damit Teil der « grünen » politischen Grundströ- mung, die sich weit über die Bundesrepublik hinaus in Ausein- andersetzung mit den traditionel- www.boell.de