SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Citha D. Maaß im Umbruch »Bonner Prozeß« als Modell risikoreicher Stabilisierungspolitik

S 45 Dezember 2002 Berlin

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Problemstellung und Empfehlungen 5

Die Konstellation nach der Loya Jirga: Entwicklung und Ergebnis 7 Ein begrenzter Erfolg als Ausgangsbasis 8 Politische Perspektiven: Petersberger Abkommen und Bonner Prozeß 8 Legitimationsverfahren auf dem Wege zu einer gewählten Regierung 10 Politische Bewertung der Loya Jirga: eine ambivalente Bilanz 12

Übergangsverwaltung: Analyse der internen Machtverteilung 14 Rehabilitierung der Mujaheddin und Einbindung islamistischer Kräfte 14 Unterscheidung zwischen nomineller und faktischer Macht 16 Verdeckte Richtungskämpfe bei der Umsetzung des Bonner Prozesses 18

Probleme internationaler Arbeitsteilung 20 Internationales Engagement im Dilemma 20 Dominanz der USA als Gefährdung des Bonner Prozesses 21

Ausblick und Empfehlungen 24 Grundlegende Prioritäten 25 Sicherheit 25 Wiederaufbau 26 Zielgruppenförderung 26 Legitimation 27

Anhang 29 Karten 30 Agreement on Provisional Arrangements in Afghanistan Pending the Re-Establishment of Permanent Government Institutions 32 Transitional Authority: Kabinett 38 Abkürzungen 39

Problemstellung und Empfehlungen

Afghanistan im Umbruch »Bonner Prozeß« als Modell risikoreicher Stabilisierungspolitik

Das »Modell Afghanistan« muß vor dem Hintergrund des sogenannten Brahimi-Berichts vom August 2000 als Versuch der Vereinten Nationen (UN) betrachtet werden, einen neuen Ansatz für friedenschaffende und -sichernde Missionen zu verfolgen. Die Bedeutung des Vorhabens ist auch daran abzulesen, daß Bot- schafter Lakhdar Brahimi, der Leiter der damaligen Kommission, die für die Erstellung des Berichts verant- wortlich zeichnete, von UN-Generalsekretär Kofi Annan als Sonderbeauftragter für Afghanistan ein- gesetzt wurde. Im Gegensatz zu den expansiven UN-Mandaten im Kosovo und in Osttimor zeichnet sich das »Modell Afghanistan« durch konzeptionelle Restriktionen aus. So darf das Petersberger Abkommen vom 5. Dezem- ber 2001 nicht als Friedensvertrag verstanden werden, der Afghanistan unter UN-Mandat gestellt und eine afghanische Regierung eingesetzt hätte. Die Verhand- lungspartner haben sich auf dem Petersberg lediglich auf provisorische Regelungen geeinigt. Sie zielen dar- auf ab, eine »Übergangsverwaltung« (administration/ authority) zu schaffen und deren Kompetenzen schrittweise auszubauen. Das »Modell Afghanistan« besteht aus folgenden Elementen: erstens dem Grundprinzip der »afgha- nischen Eigenverantwortung«, einer lediglich indi- rekten UN-Beratung also; zweitens dem Ansatz der »light footprints«, einer entsprechend geringen Prä- senz von UN-Personal; drittens der Schaffung natio- naler Legitimität, mithin der schrittweisen Umwand- lung der UN-bevollmächtigten Übergangsverwaltung in eine afghanische Regierung; und viertens einer »exit strategy«, die vorsieht, daß nach Abhaltung von Nationalwahlen im Jahre 2004 formal die Rolle der UN beendet und ihnen Spielraum für ein neu aus- zuhandelndes Engagement eröffnet wird. Mit dem Petersberger Abkommen, international als »Bonn Agreement« bekannt, ist der sogenannte Bonner Prozeß eingeleitet. Er dient als politischer Rahmen, um in Afghanistan neue staatliche Strukturen aufzu- bauen. Sie bilden die notwendige Voraussetzung, um ein ehrgeiziges doppeltes Anliegen überhaupt erst ver- folgen zu können: zum einen Sicherheit und Frieden in einem Land zu schaffen, in dem noch immer lokale

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5 Problemstellung und Empfehlungen

Kämpfe ausgetragen werden, und zum anderen einen Mandat der multilateralen Schutztruppe ISAF zu dauerhaften Wiederaufbau in dem völlig zerrütteten überdenken und gegebenenfalls über hinaus Gebiet einzuleiten. auszudehnen. Hier zeichnet sich die größte Heraus- Der Bonner Prozeß folgt einem straffen Zeitplan, forderung für Deutschland ab. Da es – zusammen der laut Generalsekretär Kofi Annan bislang eingehal- mit dem EU-Partner Niederlande – ab Januar 2003 ten wird. Doch weist Kofi Annan ausdrücklich darauf die ISAF-Leitung übernimmt und außerdem vom hin, daß es sich um einen langen, mühsamen Prozeß gleichen Zeitpunkt an für zwei Jahre dem UN- handelt. Und Botschafter Brahimi warnt, daß ange- Sicherheitsrat als nichtständiges Mitglied angehört, sichts der schwierigen internen Bedingungen Rück- sollte es zusammen mit den europäischen Partnern schläge zu befürchten sind. die diplomatische Initiative ergreifen, um das ISAF- Erkennbar ist bereits, daß die Erfolgschancen des Mandat neu zu definieren. Bonner Prozesses durch zwei zentrale interne Probleme  Wiederaufbau. Der Bonner Prozeß ist grundsätz- belastet werden. Das Prinzip der »afghanischen Eigen- lich gefährdet, wenn das derzeitige afghanische verantwortung« erfordert auf afghanischer Seite einen Übergangskabinett weiterhin auf den Handlungs- effizienten politischen Ansprechpartner und den spielraum einer »Kabuler Stadtverwaltung« be- raschen Aufbau einer Armee, der die Verantwortung schränkt bleibt. Abgesehen von der Sicherheitslage für die Gewährleistung von Sicherheit und die Befrie- bildet die fiskalische Ohnmacht Kabuls eines der dung des Landes übertragen wird. Doch erweist sich größten internen Hindernisse. Deshalb sollte der die neue Übergangsverwaltung in Kabul als schwach, konzeptionelle Ansatz des afghanischen Finanz- und der Aufbau einer multi-ethnischen nationalen ministers unterstützt werden, eine moderne Zent- Armee verzögert sich auf unbestimmte Zeit. ralbank und Fiskalverwaltung aufzubauen und die Letztlich hängt jedoch der Erfolg des Bonner Pro- Handelssteuereinnahmen nach Kabul umzuleiten. zesses von externen Faktoren ab. Da die USA die ein-  Zielgruppenförderung. Die Reformkräfte in der deutig dominierende Macht in Afghanistan sind, wird Übergangsadministration sollten durch Ausbil- das weitere Schicksal des mühsamen Stabilisierungs- dung, Ausrüstung und umfassende Beratung unter- prozesses durch die nationalen Interessen Washing- stützt werden. Insbesondere gilt es, die Frauen im tons bestimmt. Nur wenn die USA, die UN und die Kabinett und in den Kommissionen zu fördern und internationale Staatengemeinschaft ständig in Afgha- die Fachkompetenz afghanischer Technokraten in nistan Druck auf die rivalisierenden Kräfte ausüben der Ministerialbürokratie zu verbessern. und massive Wiederaufbauhilfe leisten, kann das  Legitimität. Nationale Wahlen im Jahre 2004 erneute Absinken in das Bürgerkriegschaos verhindert setzen der indirekten UN-Verantwortung ein for- werden. Angesichts der Entschlossenheit der Bush- males Ende. Damit die neue Regierung von der Administration, einen Krieg gegen den Irak zu führen, Bevölkerung als legitim akzeptiert wird, sollte ist jedoch höchst ungewiß, ob und in welchem Aus- schon jetzt mit den Vorbereitungen für die Natio- maß sich die USA – und letztlich mit ihnen die inter- nalwahlen begonnen werden. Dazu gehören die nationale Staatengemeinschaft – nach einem mög- Erstellung eines Wählerverzeichnisses, Schulungen lichen Irak-Krieg überhaupt noch in Afghanistan für Wahlbeamte und Kampagnen zur Aufklärung engagieren werden. der Bevölkerung. Die externen Restriktionen ebenso wie die enormen internen Probleme erlauben es nicht, eine Art Mar- shallplan für Afghanistan auszuarbeiten. Realistisch sind lediglich kleine Schritte, die Bausteine in einem langfristigen Stabilisierungsprozeß bilden. Aus deutscher bzw. europäischer Sicht bietet sich ein Engagement besonders in folgenden Bereichen an:  Sicherheit. Gewährleistung der Sicherheit ist eine Grundvoraussetzung für eine zivile Nachkriegs- entwicklung und den Wiederaufbau des Landes. Zugleich ist sie die am schwierigsten zu verwirk- lichende Aufgabe. Die wachsende Unsicherheit in vielen Landesteilen macht es erforderlich, das

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6 Ein begrenzter Erfolg als Ausgangsbasis

Die Konstellation nach der Loya Jirga: Entwicklung und Ergebnis

Zwei Veranstaltungen, die zufällig beide am 26. Sep-  Grundvoraussetzungen für den Wiederaufbau. Afghanis- tember 2002 stattfanden, beleuchteten schlaglicht- tan konnte bislang die ohnehin geringen inter- artig die aktuelle Lage. In Kabul wurde die erste inter- nationalen Nothilfe- und Wiederaufbaumittel kaum nationale Wirtschaftsmesse durch indische Aussteller absorbieren, weil eine staatliche Verwaltung und im großen, von der Deutschen Gesellschaft für Tech- ein Bankwesen fehlen. Transaktionen internatio- nische Zusammenarbeit (GTZ) erbauten vormaligen naler Finanzmittel können daher nicht überwacht, Loya-Jirga-Zelt eröffnet, aus Sicherheitsgründen aller- die Mittel nicht verteilt werden. Außerdem verhin- dings ohne Präsident Karzai. Und in Washington dert die »Kontrolle großer Landesteile durch »War- trafen sich die wichtigsten internationalen Geber mit lords«,4 daß beispielsweise zerstörte Telekommuni- den afghanischen Verantwortlichen, um die enormen kationsnetze oder Straßenverbindungen rasch Probleme des Wiederaufbaus zu erörtern: wieder aufgebaut werden. Davon ist insbesondere »Der ›Steuerungsausschuß für den Wiederaufbau die zentrale Verkehrsader betroffen: die Ringstraße, in Afghanistan‹ hat in Washington eine ernüchternde die das Land in West-Ost- und Nord-Süd-Richtung Bilanz vorgelegt: Die von der internationalen Gemein- verbindet und es an die umliegenden Staaten mit schaft versprochenen Finanzmittel fließen spärlich, deren Märkten anschließt. und sie werden fast gänzlich von der Nothilfe für So besorgniserregend die nüchterne Bestands- Rückkehrer absorbiert. Der wirtschaftliche Wieder- aufnahme ist, kann sie angesichts der desolaten Lage aufbau verzögert sich angesichts der Sicherheits- in dem gescheiterten Staat Afghanistan kaum über- probleme und der fehlenden staatlichen Infrastruk- raschen. Im folgenden sollen zunächst das formale tur.«1 Ergebnis des mehrmonatigen Loya-Jirga-Wahlverfah- Beide Veranstaltungen verdeutlichen die zentralen rens dargestellt und die Intentionen des Petersberger Probleme in Afghanistan: Abkommens vom 5. Dezember 2001 hinterfragt  Sicherheitslage. Obwohl Präsident Hamid Karzai2 werden. Damit wird eine Basis geschaffen, um die Um- aufgrund seines früheren Studiums in Indien setzung der Petersberger Vorgaben im Rahmen des persönliche Bindungen an dieses Land besitzt, sogenannten Bonner Prozesses, der bis zu den für das mußte er der Messeeröffnung fernbleiben. Jahr 2004 geplanten Nationalwahlen andauern soll,  Internationale Wiederaufbaumittel. Auf dem Washing- realistisch einschätzen zu können. toner Treffen warnte US-Außenminister Colin Powell: »Das Land wird ohne zusätzliche inter- nationale Unterstützung in Kriegsräuberei und Chaos verfallen.« Diese Einschätzung wurde durch eine begleitende Studie der Weltbank unter- 3 mauert. 4 Ebd.

1 Zit. aus: Bernard Imhasly, Nach der Euphorie die Ernüchte- rung. Stockender Wiederaufbau in Afghanistan, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 2.10.2002, S. 10. 2 Vgl. die Kurzbiographie von Conrad Schetter, , in: Orient, 43 (2002) 1, S. 9–19. 3 So schrieb die Weltbank: »Falls nicht rasch geleistete Hilfe die Regierung befähigt, die Not des Volkes zu lindern, besteht eine reale Gefahr, daß sich das zerbrechliche Umfeld von Politik und Sicherheit auflösen wird.« (Zitiert nach Bernard Imhasly, Nach der Euphorie die Ernüchterung. Stockender Wiederaufbau in Afghanistan, in: NZZ, 2.10.2002, S. 10.)

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7 Die Konstellation nach der Loya Jirga: Entwicklung und Ergebnis

Ein begrenzter Erfolg als Ausgangsbasis niert waren, und drittens billigte der Rat die Schlüssel- positionen der Übergangsverwaltung. Gemäß Punkt IV des Petersberger Abkommens5 setzte Rechtzeitig vor dem Stichtag, dem 22. Juni 2002, Hamid Karzai, Vorsitzender der am 22. Dezember 2001 wurde Hamid Karzai zum Staatspräsidenten gewählt vereidigten Interimsverwaltung, termingerecht Ende und sein Kabinett vereidigt. Damit war ein vorzeitiges Januar 2002 eine 21köpfige »Unabhängige Sonder- Scheitern des Petersberger Abkommens verhindert kommission für die Einberufung einer außerordent- worden. Mit Hamid Karzais neuer Übergangs- lichen Ratsversammlung« (Loya Jirga) ein. Ausgewählt verwaltung stand den UN ein autorisierter afghani- und anschließend in ihrer mehrmonatigen Arbeit scher Ansprechpartner für den weiteren politischen beraten wurde sie durch die UNAMA (United Nations Prozeß zur Verfügung. Gemessen an diesen Ergeb- Assistance Mission in Afghanistan) unter Leitung von nissen konnte der UN-Sonderbeauftragte, Lakhdar Botschafter Lakhdar Brahimi, Sonderbeauftragter des Brahimi, berechtigterweise den erfolgreichen Ab- UN-Generalsekretärs für Afghanistan. schluß des komplizierten Loya-Jirga-Verfahrens Aufgabe der Loya-Jirga-Kommission war es, Regeln würdigen,7 zu dem Deutschland und Japan durch für ein dreistufiges indirektes Wahlverfahren mit organisatorische und logistische Unterstützung einem komplizierten Reservierungssystem aus- wesentlich beigetragen hatten.8 Allerdings schlichen zuarbeiten und direkt an dessen Umsetzung mit- sich Bedenken ein, ob die neuen Machtverhältnisse zuwirken. Auch wenn man insofern nicht nach dem tatsächlich den politischen Vorgaben entsprachen, auf Muster demokratischer Mehrheitsentscheidungen denen der Bonner Prozeß beruhte. vorging, sondern an die afghanische Tradition der Loya Jirga, der großen Versammlung also, anknüpfte, war damit eine lehrreiche Vorübung für die im Jahre Politische Perspektiven: 2004 vorgesehenen Nationalwahlen verbunden. Petersberger Abkommen und Bonner Prozeß Obwohl Afghanistan keine Wahltradition im west- lichen Sinne hat,6 konnten hier also bereits Erfah- Da sich Afghanistan im schwierigen Übergang von rungen im Umgang mit Stimmzettel und Wahlurne einem jahrzehntelangen Krieg zu einem »Noch-Nicht- gesammelt werden. Frieden« befand, wählten die internationalen Vermitt- Als nächste Stufe folgte die außerordentliche Loya ler einen pragmatischen Ansatz für das Petersberger Jirga, die noch innerhalb der im Abkommen gesetzten Abkommen, das international als »Bonn Agreement« Frist vom 11. bis 19. Juni 2002 in Kabul tagte. Die in bekannt wurde (die Umbruchphase wird von den UN Punkt IV.5 des Petersberger Abkommens genannten entsprechend als »Bonner Prozeß« bezeichnet9). Des- Ziele wurden erfüllt: erstens wählte die große Ver-

sammlung ein Staatsoberhaupt, zweitens verständigte 7 Vgl. Lakhdar Brahimi, Special Representative of the Secre- man sich über die »Strukturen« der neuen Übergangs- tary-General for Afghanistan (SRSG), Briefing to the Security verwaltung, wobei diese »Strukturen« nirgends defi- Council, 19.7.2002, www.un.org/News/dhlatest/afghan/ brahimi-sc-july19.htm. 5 Da in den vorliegenden deutschen Übersetzungen zentrale 8 So stellte die Bundesregierung mit Hilfe der GTZ das beein- Begriffe wie »authority« und »administration« (statt »govern- druckende Loya-Jirga-Zelt mit der gesamten Technik zur ment«) verlorengegangen sind, wird hier auf den englischen Verfügung und sorgte für Unterbringung und Verpflegung Originaltext zurückgegriffen (vgl. Anhang, S. 32ff), den die von ca. 2000 Delegierten und Personal auf dem Gelände des Autorin jeweils übersetzt hat. Vgl. Agreement on Provisional »Polytechnikums«. Japan übernahm die technische Ausstat- Arrangements in Afghanistan Pending the Re-Establishment tung und weltweite Medienübertragung aus dem großen of Permanent Government Institutions, UN Security Council, Pressezentrum im nahe gelegenen demolierten Hotel Inter- Document S/2001/1154, 5.12.2001, www.uno.de/frieden/ continental. Angesichts zerstörter Gebäude und fehlender afghanistan/talks/agreement. htm; deutsche Übersetzung Infrastruktur (Wasser und Strom) vollbrachten beide Regie- auf der Webseite des Auswärtigen Amtes: www.auswaertiges- rungen enorme logistische Leistungen und erwarben sich amt.de/www/de/infoservice/download/pdf/friedenspolitik/ damit große Sympathien in der afghanischen Bevölkerung. afghanistan/regelungen.pdf, und von Auszügen in: Inter- 9 »The peace process initiated in Bonn continues to move nationale Politik, 57 (März 2002) 3, S. 90–96. forward, albeit slowly. So far, all the steps provided for in the 6 Zum ersten Mal in der afghanischen Geschichte wurden im Bonn Agreement have been implemented in a timely fashion. Sommer 1965 Nationalwahlen abgehalten, zu denen aller- It should not be forgotten that the Bonn process is just that: dings keine Parteien zugelassen waren. Die letzten National- a process, and a long one« (zit. aus: The Situation in Afghani- wahlen, die der kommunistische Präsident Dr. Najibullah im stan and Its Implementation for International Peace and April 1988 abhielt, können nicht als Vorbild dienen. Security, Report of the Secretary-General, United Nations,

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8 Politische Perspektiven: Petersberger Abkommen und Bonner Prozeß halb verstanden sie das Abkommen nicht als einen sichtlich entsprechend kontrovers gestalten wird. Friedensvertrag, mit dem eine Regierung (govern- Der ehrgeizige Bonner Prozeß folgt einem festen ment) eingesetzt werden sollte.10 Statt dessen einigte Zeitplan. Die beiden ersten Wendemarken wurden man sich lediglich auf provisorische Regelungen, bereits gemeistert, zumindest wenn man als Erfolgs- um eine »Übergangsverwaltung« (administration/ kriterium die Übergabe politischer Verantwortung auf authority) zu bevollmächtigen und deren Kompe- afghanischer Seite betrachtet. So legte am 22. Dezem- tenzen schrittweise auszuweiten. Das erklärt den um- ber 2001 der bisherige nominelle Staatspräsident, ständlichen Titel: »Agreement on Provisional Arrange- Professor Burhanuddin Rabbani, sein Amt nieder. ments in Afghanistan Pending the Re-Establishment of Damit ebnete er den Weg für Hamid Karzai, der als Permanent Government Institutions«.11 Die grund- Vorsitzender eine Interimsverwaltung leitete, deren legenden Voraussetzungen für staatliche Strukturen Zusammensetzung auf dem Petersberg ausgehandelt sollen in einer festgelegten Frist bis zum Sommer und deren Amtsdauer auf sechs Monate begrenzt 2004 geschaffen werden. worden war. Die zweite grundlegende Wendemarke Konkret sieht der Bonner Prozeß Aufgaben für zahl- bildete die Amtsübernahme durch die Übergangs- reiche interimistische Institutionen und Kommissio- verwaltung Ende Juli 2002, die aus dem oben beschrie- nen vor. Sie sollen den Staat aus den Trümmern des benen Wahlverfahren der Loya Jirga hervorging. langjährigen Krieges aufbauen – ein Unterfangen, das Dieser straffe Zeitplan erfüllt eine doppelte Funk- durch die Auswirkungen des bereits im Vorkriegs- tion. Zum einen setzt er die Übergangsverwaltung mit afghanistan gescheiterten Staatsaufbaus noch zusätz- ihren internen Machtrivalitäten unter enormen Zeit- lich erschwert wird.12 Deshalb ist die Formulierung druck. Zum anderen aber entbindet er die UN nach »Wieder«-Aufbau nur als politisches Entgegenkommen der Durchführung der Nationalwahlen im Jahre 2004 an die afghanischen Verantwortlichen zu verstehen: zumindest formal von ihrer Verantwortung, unab- Staatliche Strukturen und Organe wie Oberster hängig davon, ob das anspruchsvolle Fernziel des Gerichtshof, Verwaltungsapparat, Behörden auf natio- Bonner Prozesses dann erreicht ist. Dieses Fernziel naler, provinzieller und kommunaler Ebene und wird in der Präambel des Abkommens in dem zen- essentielle Institutionen wie Zentralbank und Steuer- tralen Satz zusammengefaßt: die Übergangsregelun- verwaltung müssen völlig neu konzipiert und auf- gen seien gedacht »als erster Schritt zur Schaffung gebaut werden. einer breit verankerten, von geschlechtlicher Diskri- Lediglich die im Oktober 2002 eingesetzte Verfas- minierung freien, multi-ethnischen und uneinge- sunggebende Kommission kann sich auf relativ um- schränkt repräsentativen Regierung«. Das klingt ehr- fangreiche konzeptionelle Vorarbeiten aus den sieb- geizig, wenn nicht utopisch. ziger Jahren stützen. Doch muß sie aufpassen, daß sie Betrachtet man bestimmte Grundprinzipien des nicht das Schicksal ihrer Vorgängerinnen erleidet, Abkommens genauer, zeigt sich, daß die UN ihre nämlich ein Verfassungsdokument vorzulegen, das weitreichende Verantwortung bewußt einschränken, zwar formal angenommen, politisch aber nie verwirk- also Afghanistan nicht unter ein UN-Mandat stellen licht wird. Auf erheblichen Widerstand dürfte auch wollen. Das erklärt sich aus den Erfahrungen, die die die im Sommer 2002 eingesetzte Menschenrechts- UN mit friedenschaffenden oder -sichernden Maß- kommission stoßen, deren Arbeit angesichts der nahmen in anderen Konfliktregionen gemacht haben Kriegsgreuel besonders dringlich ist, sich aber voraus- und für deren Auswertung der UN-Chefunterhändler auf dem Petersberg, Botschafter Lakhdar Brahimi, General Assembly, Security Council, 11.7.2002, A/56/1000-S/ persönlich verantwortlich zeichnete.13 Insbesondere 2002/737, para 60). zwei Leitlinien sind in den Bonner Prozeß eingeflos- 10 Vgl. Barnett R. Rubin, A Blueprint for Afghanistan, in: sen: der Grundsatz der afghanischen Eigenverantwor- Current History, 101 (April 2002) 654, S. 155. 11 Im Deutschen lautet der Titel: »Übereinkommen über vor- tung und die Vorstellung einer »exit strategy«. läufige Regelungen in Afghanistan bis zur Wiederherstellung Die erste Leitlinie schützt die UN vor einer zu direk- dauerhafter Regierungsinstitutionen«. 12 Keinem königlichen Herrscher oder diktatorischen Macht- 13 Vgl. Winrich Kühne, Friedenseinsätze verbessern – der haber in Kabul ist es gelungen, ein Staatswesen aufzubauen, Brahimi-Report, Ebenhausen: Stiftung Wissenschaft und das sich auf ein staatliches Gewaltmonopol im ganzen Land Politik, August 2000 (SWP-Aktuell, Nr. 63); Bericht der soge- und einen Staatsapparat stützte, der vom nationalen Zent- nannten Brahimi-Kommission »Report of the Panel on United rum Kabul bis auf die kommunale Ebene reichte und von der Nations Peace Operations«, 17.8.2000, www.un.org/peace/ Hauptstadt aus alle Regionen und Provinzen durchdrang. reports/peace_operations/docs/a_55_305.pdf.

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9 Die Konstellation nach der Loya Jirga: Entwicklung und Ergebnis

ten Verantwortung. So ging bereits mit Beginn des nen. Zudem ist der »Wieder«-Aufbau mit der Hypo- Bonner Prozesses im Dezember 2001 die volle staat- thek jahrzehntelanger Kriegsfolgen belastet. liche Hoheitsgewalt auf die Interimsverwaltung Afghanistan ist wirtschaftlich und infrastrukturell über.14 Ihrerseits bat dann die Interimsadministration völlig zerstört und leidet an den Folgen einer vier- die UN um weitreichende Unterstützung bei der Über- jährigen Dürre. Die Gesellschaft ist sozial fragmen- wachung und Durchführung des Gesamtprozesses tiert, ethnisch polarisiert und durch Kriegsgreuel und (siehe Annex II des Abkommens, S. 35). Diese Ein- Vertreibung traumatisiert. Die Bevölkerung ist der schränkung legitimiert insbesondere auch das machtpolitischen Willkür rivalisierender Warlords, beschränkte Mandat der multilateralen Schutztruppe Regionalfürsten und politischer Fraktionen aus- ISAF (International Security Assistance Force), denn geliefert und zum Spielball konkurrierender Inter- die Verantwortung für die Herstellung der Sicherheit essen benachbarter Regierungen und überregionaler liegt prinzipiell bei einer – mit internationaler Hilfe – Mächte geworden. Internationale Wiederaufbau- noch aufzubauenden nationalen afghanischen Armee maßnahmen können nur an rudimentäre Strukturen (siehe Annex I des Abkommens, S. 35). im staatlichen Bereich, in der Infrastruktur oder im Die zweite Leitlinie hält den UN eine Hintertür Rechtswesen anknüpfen. offen, um sich wieder aus Afghanistan zurückziehen Hier kommt nun das Prinzip der afghanischen zu können. Nach einer Frist von insgesamt zwei- Eigenverantwortung ins Spiel. Da die UN nicht in einhalb Jahren, das heißt im Sommer 2004, sind mit eigener Regie agieren wollen, müssen ein afghani- UN-Unterstützung nationale Wahlen durchzuführen. scher Ansprechpartner für die UN, internationale Aus diesen »free and fair elections« soll ein »fully Sicherheitsorgane und Träger von Wiederaufbau- representative government« hervorgehen,15 eine programmen bereitgestellt und legitimiert werden. Regierung, die dann mit den UN die neuen Rahmen- Angesichts der faktischen Machtverteilung in Afgha- bedingungen für eine zukünftige internationale nistan stellt sich insbesondere das Problem, eine Unterstützung aushandeln könnte. geeignete afghanische Übergangsverwaltung aufzu- Das Prinzip »afghanischer Eigenverantwortung« bauen, die ausreichend kooperationswillig und durch- prägt den Ansatz des Bonner Prozesses so grund- setzungsfähig ist, um nationale Prioritäten bei Befrie- legend, daß ihm durchaus Modellcharakter für zu- dung und Wiederaufbau in allen Landesteilen zu künftige friedenschaffende und -sichernde Initiativen verfolgen. der UN zugesprochen werden kann. Im afghanischen Fall müssen zwei Doppelvorhaben gleichzeitig in Angriff genommen werden, die jeweils für sich Legitimationsverfahren auf dem Wege genommen bereits Herkulesaufgaben darstellen: zu einer gewählten Regierung  Befriedung und Gewährleistung der Sicherheit. Beides wird üblicherweise durch einen Waffenstillstand Vor diesem Hintergrund wird deutlich, welche zen- und eine anschließende Entwaffnung eingeleitet, trale Bedeutung die außerordentliche Loya Jirga für wovon in Afghanistan derzeit jedoch noch keine das grundsätzliche Anliegen des Bonner Prozesses Rede sein kann. Zum einen setzen US-Spezial- besitzt: ein Legitimationsverfahren zu fördern, das einheiten ihren Kampf gegen terroristische Grup- die Übergangsverwaltung (Interim/Transitional pen fort und rüsten dabei ihre lokalen Gewährs- Administration) in eine durch das afghanische Volk männer auf, zum anderen tragen afghanische gewählte nationale Regierung überführt. Der Bonner Warlords und autonome »Regionalfürsten« ihre Prozeß läßt sich insofern als Fahrplan zur Einrichtung internen Rivalitäten weiterhin mit Waffen aus. einer demokratisch legitimierten Regierung bezeich-  Wiederaufbau einschließlich sofortiger Nothilfe. Es ist ein nen. Angesichts der gesellschaftlichen Bedingungen logistisch schwieriges Unterfangen, die oft in unzu- sollten allerdings keine zu hohen Erwartungen an den gänglichen Regionen befindlichen Zielgruppen mit »demokratischen« Charakter der nationalen Wahlen Überlebensgütern zu versorgen, so daß neue im Jahre 2004 geknüpft werden. Trotz dieses Vor- Fluchtwellen die fragile Lage destabilisieren kön- behalts verdeutlicht ein Rückblick auf die diplomati- schen Probleme, die die internationale Staatengemein-

schaft im Umgang mit der afghanischen »Regierung« 14 Vgl. Agreement on Provisional Arrangements [wie Anm. 5], I.3. in den neunziger Jahren hatte, wie notwendig ein 15 Vgl. ebd., I.4. solches Legitimationsverfahren für eine langfristige

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10 Legitimationsverfahren auf dem Wege zu einer gewählten Regierung

Konsolidierung Afghanistans ist.  den Charakter der Legitimationsquelle qualitativ Aus verschiedenen Gründen wurde das von den mit dem Ziel zu verändern, errichtete »Islamic Emirate of Afghanistan«  eine breitere Legitimationsbasis für die neue international nicht anerkannt.16 Statt dessen beließ Übergangsverwaltung zu schaffen, als sie frühere man den UN-Sitz beim »Islamic State of Afghanistan«, Regime hatten. als dessen nomineller Staatspräsident Professor Die auf dem Petersberg ernannte Interimsverwal- Burhanuddin Rabbani fungierte. Professor Rabbani tung war ausschließlich durch das UN-Mandat legiti- war Chef der Jamiat-i Islami, eine der früher von den miert, also durch eine externe Autorität. Indem die USA und dem Westen unterstützten Mujaheddin- außerordentliche Loya Jirga durch den früheren König Parteien. Er hatte sich jedoch ebenso wie seine Mit- Zahir Shah17 einberufen wurde, sollte an afghanische streiter aus der von ihm formal geführten »Nord- Traditionen angeknüpft18 und die internationale UN- allianz« (ein bloßes Zweckbündnis ethnisch unter- Legitimation durch eine nationale Autoritätsquelle schiedlicher Gliedparteien) durch interne Machtrivali- ergänzt werden. täten seit 1992 ebenfalls international diskreditiert. Politischer Zweck der zweiten Aufgabe war es, die Nach dem 11. September 2001 eilte die militärische auf dem Petersberg anerkannte Vormacht der Panj- Entwicklung der politischen weit voraus. Militärische shiris einzuschränken. Da der Ex-König19 aus dem Fakten wurden geschaffen, als die USA mit ihrem Luft- paschtunischen Bevölkerungsteil stammte, verstanden krieg über Afghanistan einem Teil der Nordallianz, die UN seine Einbeziehung als bedeutsames Signal. dem von Kommandant Ahmed Shah Massoud inner- Die während der sechsmonatigen Interimsverwaltung halb der Jamiat-i Islami gegründeten Militärrat (Shura-e weitgehend ausgeschlossenen Paschtunen sollten in Nazar), den Weg nach Kabul frei bombten. Nachdem den politischen Prozeß einbezogen werden. Das Shah Massoud bereits am 9. September 2001 in seiner gleiche galt für andere marginalisierte ethnische Hochburg, dem Panjshir-Tal, ermordet worden war, Minderheiten, die sich scheuten, direkt mit den übernahmen seine »politischen Erben« die Macht. Als Panjshiris zu verhandeln. Sie konnten über die diese Erben, die nach ihrem gemeinsamen Herkunfts- neutrale Person des Königs integriert werden. Ent- tal als Panjshiris bekannt wurden, im November 2001 weder über die Vermittlung der königstreuen »Rom- in Kabul einmarschierten und alle wichtigen Mini- Fraktion« oder durch andere Auswahlverfahren sollten sterien besetzten, übten sie zwar faktisch die Macht zudem reformorientierte Exilafghanen aus dem nahen in Kabul aus, doch bildeten sie weder nach inter- und fernen Ausland in den Loya-Jirga-Prozeß einge- nationalen noch nach innenpolitischen Maßstäben bunden werden. eine legitime Regierung. In dieser schwierigen Situation eröffnete das Peters- berger Abkommen einen Ausweg. Der Durchbruch bei den komplizierten Verhandlungen wurde erzielt, als Professor Rabbani von dem Leiter der Panjshiri- Fraktion, Yunis Qanuni, im Verbund mit den USA, Rußland und Iran zum Verzicht auf das Präsidenten- 17 Unter strengen Auflagen der Panjshiris, die auf politische amt bewegt werden konnte. Damit wurde der Weg frei Zurückhaltung drängten, kehrte der frühere König Zahir für die Einsetzung der Interimsverwaltung unter Shah am 18. April 2002 aus dem römischen Exil zurück, in Hamid Karzai, der allerdings weitgehend von der das er 1973 geflüchtet war. Macht der Panjshiris abhängig war. 18 Kritisch bewertet werden die zumeist überschätzten Dem sollte das Loya-Jirga-Verfahren abhelfen. Es friedensichernden Funktionen der Loya Jirga von Christine Noelle-Karimi, The Loya Jirga – An Efficient Political Tool? A diente zwei zentralen Aufgaben: bei der Macht- Historical Overview, in: Noelle-Karimi u.a. (Hg.), Afghanistan übergabe von der Interims- an die Übergangs- [wie Anm. 16], S. 37–50. administration 19 Historisch gesehen hatte das Königshaus seinen Stamm- sitz unter den paschtunischen Durrani-Stämmen um die süd- 16 Vgl. Citha Maaß, The Taliban and International Standards afghanische Stadt Kandahar. Vor 200 Jahren ist er jedoch of Governance, in: Christine Noelle-Karimi/Conrad Schetter/ nach Kabul verlegt worden. Auch wurde unter Zahir Shahs Reinhard Schlagintweit (Hg.), Afghanistan – A Country without Vorgängern die Hofsprache geändert. Deshalb spricht Zahir a State?, Frankfurt a.M.: IKO Verlag für Interkulturelle Kom- Shah kein Pashtu, sondern bedient sich des in Kabul vorherr- munikation, 2002 (Schriftenreihe der Mediothek für Afghani- schenden Dari/Farsi, das ebenfalls von der Nordallianz, stan, Bd. 2), S. 191–202. einschließlich den Panjshiris, gesprochen wird.

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11 Die Konstellation nach der Loya Jirga: Entwicklung und Ergebnis

Politische Bewertung der Loya Jirga: »selektive« Interesse verantwortlich, das die Macht- eine ambivalente Bilanz haber in Kabul und in anderen Regionen an dem Loya- Jirga-Verfahren zeigten, mußten diese Gruppen doch In den internationalen Medien wurde ausführlich die Beschneidung ihres Einflusses fürchten. über die Endphase der außerordentlichen Loya Jirga Je mehr sich jedoch Tatsache und Details des Loya- in der Hauptstadt Kabul berichtet, und zwar durch- Jirga-Verfahrens auf dem Lande herumsprachen, desto weg mit kritischem Grundtenor. Die Kritik entzündete stärker ließ sich der Bewußtseinswandel während der sich insbesondere an der manipulativen Leitung ersten und zweiten Wahlphase auf vielen Wahlveran- durch den Vorsitzenden der Loya Jirga, Ismael staltungen in entlegenen Provinzorten beobachten – Qasimyar,20 an den Umständen des verspäteten sofern der Wahlgang nicht wegen Gewalteinwirkung Beginns, den teilweise chaotischen Zuständen bei der abgebrochen oder annulliert werden mußte. Nach 24 Delegiertenzulassung und während der tagelangen Jahren Krieg in Afghanistan und nach drei aufein- Sitzungen (11.–19.6.2002), den Einschüchterungen anderfolgenden gewaltsamen Regimewechseln hatte bestimmter Mujaheddin-Führer21 und an dem mas- sich eine ganze Generation daran gewöhnt, daß Macht siven Druck, den die USA hinter den Kulissen zu- und Gefolgschaft mit Waffen statt mit Worten gunsten von Karzai ausübten.22 erkämpft wurden. Im Zuge des mehrstufigen Wahl- Diese Kritik war berechtigt und spiegelte auch die verfahrens machten viele lokale Kommandanten erst- weitverbreitete Enttäuschung zahlreicher Delegierter mals die Erfahrung, daß sie mit Argumenten um die wider. Dennoch hat das mehrmonatige Loya-Jirga- Stimmen ihrer Anhänger ringen mußten. Und Dorf- Wahlverfahren zu etwas beigetragen, was man als bewohner erfuhren zum ersten Mal in ihrem Leben, »beginnender Bewußtseinswandel in der Bevölkerung« daß sie mit ihrem Stimmzettel über das Geschick der bezeichnen könnte. Dessen Bedeutung für den weite- rivalisierenden lokalen Machthaber entscheiden ren Verlauf des Bonner Prozesses läßt sich gar nicht konnten. Diese neuen Erfahrungen mochten dazu bei- hoch genug einschätzen. getragen haben, daß die Erwartungen an die dritte Daß die Bevölkerung unerwartet starkes Interesse Phase, die eigentliche Loya Jirga in Kabul, zu hoch an dem Loya-Jirga-Verfahren entwickelte, überrascht geschraubt waren und aufgrund der dortigen Vor- auch deshalb, weil sie im Vorfeld des dreistufigen kommnisse bei vielen Delegierten in Frustration, Wahlvorhabens nur ungenügend über Anliegen und Resignation und mitunter sogar Angst umschlugen. Ablauf aufgeklärt wurde. Teilweise lag das an der Auch wenn Frauen, besonders auf dem Lande, nur mangelnden Medienverbreitung (geringe geographi- in bescheidenem Umfang mitwirken konnten, fühlten sche Reichweite lokaler Fernseh- und Radiosender, sich diejenigen, die direkt an den beiden ersten Wahl- begrenzte Wirkungen weniger Zeitungen in nur phasen teilnahmen – und in etlichen Fällen sogar einigen Städten).23 Teilweise war dafür aber auch das gewählt wurden –, in ihrem lokalen Umfeld gestärkt. Und die Tatsache, daß während der dritten Phase in 20 Ismael Qasimyar war ungeschickt genug, sich nach seiner Kabul sogar ca. 200 Frauen (zunächst waren nur ca. heftig umstrittenen Wahl zum Vorsitzenden mit den Ge- 160 Plätze reserviert) im Loya-Jirga-Zelt in einem schenken zu brüsten, die ihm die Panjshiris gemacht hatten, medienwirksam geschlossenen Block in Erscheinung um in ihm einen gefügigen Mitspieler zu gewinnen. traten, wurde als ermutigende Botschaft in die 21 Sorge und Bestürzung löste die Entscheidung der UNAMA unmittelbar vor Beginn der Loya Jirga aus, dem Drängen des Heimatbezirke zurückgetragen. von den Panjshiris geleiteten Verteidigungs- und Innen- Angesichts der tatsächlichen Machtverhältnisse ministeriums nachzugeben und den Geheimdienst mit der kam allerdings die Ernüchterung während der dritten »Sicherheit« im Loya-Jirga-Zelt zu betrauen. Die Delegierten Phase keineswegs überraschend. Mochten viele Dele- fühlten sich von den 32 zivil gekleideten Geheimdienstlern gierte auch die Möglichkeiten einer Mitgestaltung observiert und bedroht. Vgl. auch International Crisis Group (ICG), Afghanistan Briefing, The Loya Jirga: One Small Step überschätzt haben, rührte ihre Frustration doch Forward?, Kabul/Brüssel, 16.5.2002, S. 3. hauptsächlich daher, daß allzu offensichtlich Macht- 22 Vgl. die detaillierten Berichte der ICG in ihren beiden kungeleien stattfanden. Auch in den internationalen Afghanistan Briefings: The Loya Jirga: One Small Step For- Medien war die unrealistische Erwartung eines »demo- ward?, Kabul/Brüssel, 16.5.2002; The Afghan Transitional kratischen Aufbruchs« unter dem international so Administration: Prospects and Perils, Kabul/Brüssel, 30.7.2002. 23 Das wichtigste Nachrichtenorgan ist die BBC (Radio), der Deutschen Welle. Im wesentlichen wurde mit Hilfe dieser gefolgt von der Voice of America und, mit einigem Abstand, Sender über den Loya-Jirga-Prozeß aufgeklärt.

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12 Politische Bewertung der Loya Jirga: eine ambivalente Bilanz populären Hamid Karzai geschürt worden. Zwar wurde er zum Staatspräsidenten gewählt, doch die Umstände seiner Wahl und die Töne, die von den selbstbewußt auftretenden Mujaheddin-Führern und Regionalfürsten angeschlagen wurden, machten deutlich, daß Karzai in einem Netz rivalisierender Interessen gefangen war. Unter überzogenen Hoffnungen litt das Peters- berger Abkommen sicher nicht. Doch selbst nach dessen pragmatischen Vorgaben erfüllte die Loya Jirga zwei wichtige politische Aufträge nicht. Zum einen sollte die Herrschaft der eigenmächtigen Regional- fürsten und Warlords signifikant geschwächt, zum anderen die Dominanz der Panjshiri-Troika – Verteidi- gungsminister General Mohammad Qassem Fahim, Außenminister Dr. Abdullah Abdullah und der bis- herige Innenminister – aufgebrochen werden. Zum Quartett wurde diese Gruppe, wenn man Wali Massoud hinzufügte, einen Bruder des ermordeten Shah Massoud, der bis vor kurzem als dessen Botschafter in London fungiert hatte und nun politische Ambitionen zeigte. Weil dieser entscheidende Durchbruch auf der Loya Jirga nicht erzielt wurde, blieb die politische Bilanz letztlich ambivalent. Unbestritten war der eingangs erläuterte begrenzte Erfolg, denn mit der neuen Admi- nistration war eine legitimierte afghanische Instanz für den weiteren Bonner Prozeß eingesetzt worden. Doch wuchs die Besorgnis, daß sich die Übergangs- verwaltung als zu schwach erweisen könnte. Würde sie willens und fähig sein, die schwierigen und kon- fliktträchtigen Maßnahmen zur Befriedung und zum Wiederaufbau tatsächlich auch umzusetzen?

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13 Übergangsverwaltung: Analyse der internen Machtverteilung

Übergangsverwaltung: Analyse der internen Machtverteilung

Seit der Weichenstellung auf der Loya Jirga hing der Sturz des kommunistischen Regimes 1992 rieben sich Bonner Prozeß nicht mehr davon ab, ob in Kabul ein die führenden Mujaheddin-Parteien im Kampf um legitimierter Verhandlungspartner für die internatio- Kabul gegenseitig auf, legten die Hauptstadt in Schutt nalen Geber bereitstand, sondern wie effizient er sein und Asche und diskreditierten damit den eigenen Ruf. würde, um mit ihnen gemeinsam die Erledigung der Dazu trug auch Ahmed Shah Massoud bei, der ständig enormen Aufgaben nach dem Grundsatz der »afghani- in neue Kämpfe verwickelt wurde, militärisch aber schen Eigenverantwortung« voranzutreiben. In die meistens die Oberhand behielt. Seinen Anspruch auf Analyse der tatsächlichen Machtverhältnisse in der eine Führungsposition schwächte er dadurch, daß es Übergangsverwaltung waren Indikatoren einzubezie- ihm nicht gelang, sein außerordentliches militär- hen, die bereits im Vorfeld der großen Versammlung strategisches in adäquates politisches Geschick um- auf verdeckte Machtverschiebungen hinwiesen, zumünzen und nationale Integrationskraft zu ent- welche die absehbaren Richtungskämpfe zwischen falten. Als er schließlich im September 1996 Kabul reformwilligen und reformfeindlichen Kräften ver- kampflos den nachrückenden Taliban überließ, hatte schärfen würden. Diese Entwicklungen trugen jedoch auch er den Haß zwischen den verschiedenen ethni- nicht zu einer Klärung der Machtverhältnisse bei, schen Gruppen geschürt. sondern machten die politische Gemengelage noch Das wurde jedoch bald vergessen. Denn als letzte komplizierter. Daraus ergibt sich ein widersprüch- militärische Bastion gegen den Vormarsch der Taliban liches Gesamtbild. wurde Massoud von einer breiten Anti-Taliban-Allianz aufgerüstet und als mutiger »Löwe des Panjshir-Tals« international bewundert und politisch unterstützt. Rehabilitierung der Mujaheddin und Nach seiner Ermordung zwei Tage vor der Zerstörung Einbindung islamistischer Kräfte des World Trade Center im September 2001 stilisierte man ihn dann zum Märtyrer. Seine politischen Erben Sichtbar wurden die versteckten Machtverschiebun- und Anhänger bauten Massoud zu einem nationalen gen an semantischen Änderungen, die auf der Loya Helden auf und begründeten einen Personenkult, der Jirga eingeführt wurden und nicht als bloße politische fortan jegliche Kritik zu einem lebensgefährlichen Rhetorik abgetan werden können. Zum einen wurde Wagnis machte. der Name »Mujaheddin« aus der politischen Versen- Ungeachtet seiner Erblast reaktivierten die Panj- kung wieder hervorgeholt und zum Ehrentitel shiris den Begriff Mujaheddin seit dem Petersberger erhoben. Zum anderen konnte die »islamische« Um- Abkommen gezielt als eine Ehrenbezeichnung, die benennung des Staatsnamens als Indiz für die ideo- den verblichenen Nimbus der anti-sowjetischen Jihad- logische Selbstbehauptung islamistischer Kräfte Kämpfer aufpolieren sollte. Teils spiegelt dies das gewertet werden. Daß islamistische Führer so selbst- Selbstbewußtsein der Panjshiris wider, teils verbarg bewußt auf der Loya Jirga auftraten, war durch eine sich dahinter eine geschickte Taktik, um die eigene im stillen betriebene Annäherung wichtiger Macht- Machtbasis zu verbreitern. haber eingeleitet worden. Diese Ambition wurde auf der großen Militär- Der Begriff Mujaheddin war während der anti- parade am 27. April 2002 sichtbar, dem zehnjährigen sowjetischen Jihad-Phase in den achtziger Jahren Jahrestag des Sturzes von Präsident Najibullah, mit geprägt worden und bezeichnete den Widerstands- dem die von Moskau gesteuerte kommunistische Herr- kämpfer gegen die sowjetische Besatzungsmacht und schaft in Afghanistan zu Ende ging. Bei dieser Gelegen- ihre einheimischen Handlanger, die afghanischen heit gaben die faktischen Machthaber drei Signale: Kommunisten. Das breite Spektrum der Mujaheddin  Zum einen demonstrierten die Panjshiris selbst- schloß unterschiedliche ideologische Richtungen ein, bewußt ihre Macht, indem sie sich über die Ab- islamistische Hardliner gehörten ebenso dazu wie machungen mit der ISAF hinwegsetzten. Denn in gemäßigte islamische Widerstandsführer. Nach dem dem am 4. Januar 2002 unterzeichneten »Military

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14 Rehabilitierung der Mujaheddin und Einbindung islamistischer Kräfte

Technical Agreement« war keine Militärparade hoffte nun, mit feuriger religiöser Rhetorik ihr frühe- vereinbart. General Fahim nutzte die Parade außer- res Ansehen wiederzugewinnen. dem, um sich den neu geschaffenen Marschall-Titel Auf diesen ideologischen Wetteifer war es zurück- verleihen zu lassen. Mit diesem Rang machte er sich zuführen, daß Sayyaf mit seinem Vorschlag, den zum Oberbefehlshaber der künftigen afghanischen »islamischen« Charakter der Übergangsverwaltung Armee, die mit amerikanischer Hilfe in einer Stärke durch die Umbenennung in »Transitional Islamic von ca. 60 000 Mann aufgebaut werden sollte. Administration« hervorzuheben, Erfolg hatte. Er  Zum zweiten bot sich dieser symbolträchtige Jahres- wurde unter enthusiastischem Beifall von anderen tag an, Ehre und Ansehen der ehemaligen Muja- Mitgliedern der alten Garde sekundiert. Rasch ging heddin wiederherzustellen. Während die Begriffe man auch dazu über, den Begriff »Regierung« statt »Nordallianz« oder »United Front« aus dem Kampf »Verwaltung« für Karzais neues Kabinett zu verwen- gegen die Taliban stammen, wurde der Name den. Mit beidem setzte man sich – zur Irritation der »Mujaheddin« mit dem ruhmreichen Widerstand zahlreichen internationalen Diplomaten – über die gegen die sowjetische Besatzungsmacht assoziiert. Bestimmungen des Petersberger Abkommens hinweg, Die Machthaber versuchten ihr Image als diskredi- das den Begriff »islamisch« nicht vorsah und bewußt tierte Führer der Nordallianz dadurch auszublen- den provisorischen Charakter des afghanischen den, daß sie sich als Protagonisten dieser Muja- Führungsgremiums betont hatte. heddin-Tradition präsentierten. Offenbar war es dem neuen Selbstbewußtsein isla-  Zum dritten wurde im Zuge dieser Renaissance ein mistischer Sympathisanten in der »Kabuler Stadt- Mujaheddin-Führer rehabilitiert, der in der Bevöl- verwaltung« zuzuschreiben, daß die Bezeichnung kerung ebenso gefürchtet wie verehrt wurde: Abdul »Transitional Islamic State of Afghanistan« rasch Rasul Sayyaf, ein islamistischer Hardliner, der dank gebräuchlich wurde.24 Zwar ließ die Bezeichnung im großzügiger saudischer Geldmittel finanziell unab- unklaren, was mit »Übergang« (Transitional) genau hängig war und die extreme saudische Richtung gemeint sein sollte, doch positionierten sich islamisti- des Wahabbismus in Afghanistan vertrat. Nur zwei sche Führer auf diese Weise im unterschwelligen der ehemaligen Mujaheddin-Führer hatten den US- Machtkampf gegenüber reformorientierten Kräften. Luftkrieg heftig kritisiert: Hekmatyar und Sayyaf. Diese Entwicklung gibt Anlaß zur Sorge, wie auch Doch im Gegensatz zu Hekmatyar, der in den folgender Vorfall belegt. Im August 2002 wurde im Untergrund abgetaucht war, hatte Sayyaf zur »Ministerium für Islamische Angelegenheiten« ein Jahreswende 2001/2002 signalisiert, daß er seine »Department for Virtue and Vice« eingerichtet, dessen scharfe Kritik an den USA mäßigen und mit dem Name an das »Ministry for the Promotion of Virtue Panjshiri-Lager kooperieren wolle. and the Prevention of Vice« erinnert, in dem die War somit der Boden bereits im April 2002 vorbe- Taliban einst ihre gefürchtete »Religionspolizei« an- reitet, konnte der eingeschlagene Kurs auf der Loya gesiedelt hatten. Zwar spielte der neue Direktor die Jirga fortgesetzt werden. Die Glorifizierung der Aufgabe seiner 300 Mann starken Einheit, zu der Mujaheddin, mit der die tadschikischen Panjshiris das auch 50 Frauen gehören sollen, umgehend herunter. weitverbreitete Mißtrauen abzubauen und einen Soli- Doch die Erinnerung an düstere Zeiten ließ die Alarm- darisierungseffekt über ethnische Grenzen hinweg zu glocken klingen.25 erzielen suchten, fand breite Resonanz. Denn prak- tisch alle älteren Afghanen hatten in einer der frühe- ren Mujaheddin-Gruppen mitgekämpft. Die gleiche Taktik wandten die Panjshiris auf der 24 Diese Bezeichnung wird inzwischen im Schriftverkehr der Übergangsverwaltung, in der Korrespondenz der diplomati- Führungsebene an, denn abgesehen von Hekmatyar schen Vertretungen im Ausland und in den von der »Kabuler und dem alten und kranken Yunus Khalis waren alle Stadtverwaltung« kontrollierten Medien verwendet. noch lebenden ehemaligen Mujaheddin-Führer zur 25 Der neue Direktor wies darauf hin, daß er bereits Mitte Loya Jirga gekommen und saßen dort in scheinbarer der neunziger Jahre in einer ähnlichen kleinen Abteilung Eintracht nebeneinander. Gleich welcher ideologi- unter den Mujaheddin gearbeitet habe und daß er sich auf schen Richtung sie angehörten, alle ließen sich – zu- »Überzeugung« statt auf Einschüchterung stützen wolle. Vgl. Amir Shah, »Virtue and Vice« back in Business, in: Associated mindest vorläufig – von den Panjshiris einbinden. Press, 12.8.2002; und: Paper Asks if Afghanistan Really Needs Besonders die bedeutungslos gewordene »alte Garde« Religious Police again, in: BBC Monitoring Global Newsline, South Asia Political File, 31.8.2002.

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15 Übergangsverwaltung: Analyse der internen Machtverteilung

Unterscheidung zwischen nomineller und loser Mann an der Spitze«, der unter der Kontrolle des faktischer Macht Panjshiri-Triumvirats stehe, das sich seinerseits im Kampf gegen die Taliban zu einem unentbehrlichen Im weiteren Verlauf des Bonner Prozesses dürfte den Partner der USA gemacht habe.28 Karzais Position UN und der internationalen Gemeinschaft mit der seit gegenüber den Panjshiris wurde durch die Ermordung Ende Juni 2002 amtierenden Übergangsverwaltung des Paschtunen Haji Abdul Qadir, dritter Vizepräsi- ein Kooperationspartner gegenüberstehen, der nur dent und Minister für Öffentliche Arbeiten, am 6. Juli begrenzt handlungsfähig ist. Das liegt zum einen 2002 in Kabul weiter geschwächt.29 Das Attentat daran, daß zwischen nomineller und faktischer beraubte den zum südpaschtunischen Stammes- Gewalt in der Übergangsadministration zu unter- verband der Durrani gehörenden Staatspräsidenten scheiden ist. Zum anderen dürfte die offensichtlich eines einflußreichen, wenn auch kontroversen Regio- von den USA gebilligte Strategie Hamid Karzais, nalfürsten aus der ökonomisch und strategisch islamistische Kräfte direkt oder indirekt einzubinden, wichtigen Provinz Nangahar im paschtunischen dazu führen, daß die Übergangsverwaltung durch Grenzgebiet, zugleich eines wichtigen Verbündeten interne Richtungskämpfe geschwächt wird. unter den ostafghanischen Ghilzai-Stämmen. Die nominelle Macht liegt bei Hamid Karzai, der »Ministerpräsident Hamid Karzai ist Paschtune, sich bislang allerdings als ein eher ohnmächtiger aber er wirkt schwach, selbst unter seinen eigenen Staatspräsident erwiesen hat. Sein Aktionsraum ist so Leuten halten ihn viele für eine Marionette der begrenzt, daß er die Erwartungen, die im In- und USA.«30 Diesen Vorbehalt nährte Karzai noch durch Ausland auf ihn gesetzt werden, kaum erfüllen kann. seine Entscheidung vom 12. Juli 2002, mitten in Geographisch bleibt seine Entscheidungskompetenz einem unterschwelligen Machtkampf mit dem Vertei- auf den Großraum Kabul beschränkt, so daß die struk- digungsminister und ersten Vizepräsidenten, Mar- turellen Voraussetzungen fehlen, um den Prozeß der schall Fahim, seine von den Panjshiris gestellten Leib- Staatsbildung und der nationalen Integration von der wächter durch 46 US-Soldaten zu ersetzen.31 Damit Hauptstadt auf das ganze Land auszudehnen. Politisch mochte Karzai zwar seine Chancen auf physisches muß er sich gegen den Verdacht wehren, daß sein als Überleben erhöht haben, doch riskiert er zugleich, an »Kabuler Stadtverwaltung« bezeichnetes Kabinett letzt- Glaubwürdigkeit bei der afghanischen Bevölkerung zu lich nur den Vorgaben der faktischen Machthaber verlieren. folgt, der tadschikischen Panjshiris. Das verschärft die Karzais Abhängigkeit von den USA wurde am ethnische Polarisierung, denn bereits einen Monat 24. August 2002 durch Meldungen über Washingtons nach der Loya Jirga sah sich der große paschtunische Pläne bestätigt, die militärischen Spezialkräfte des Bevölkerungsteil von dem paschtunischen »Vorzeige- Pentagon, die zunächst Hamid Karzais Leibwache präsidenten« Karzai enttäuscht.26 Karzais persönliche gestellt hatten, durch Sicherheitsbeamte des State Sicherheit bleibt weiterhin gefährdet, wie das durch Department zu ersetzen.32 Diese Beamten seien zudem seine amerikanischen Leibwächter vereitelte Attentat beauftragt, binnen eines Jahres eine eigene afghani- am 5. September 2002 in Kandahar zeigte.27 sche Leibgarde für den Staatspräsidenten auszubilden. So mischte sich immer mehr Ernüchterung in die

Beurteilung des Staatspräsidenten. Bezeichnend war 28 Selig S. Harrison, Afghanistan. The Welcome Is Going Sour, der Kommentar eines langjährigen Afghanistan-Exper- in: IHT, 19.7.2002, S. 6. ten aus den USA: Karzai sei »ein weitgehend macht- 29 Die Ermittlungen der multilateralen Schutztruppe ISAF wurden inzwischen ohne Ergebnis eingestellt. Vgl. Kylie Morris, Afghan Murder Probe Draws Blank, in: BBC, 19.8.2002, 26 Zum zweifachen Ressentiment unter den Paschtunen vgl. www.afgha.com/article.php?sid=16019&mode=thread& Pamela Constable, Losing Faith in Karzai and U.S., in: order=0&thold=0. International Herald Tribune (IHT), 15.7.2002, S. 4. Sie gelangt 30 Zit. aus Ulrich Landurner, Don Quijote in Kabulistan. zu folgendem Fazit: »Afghanistan’s Pashtuns, the country’s US-Soldaten bilden eine neue afghanische Armee aus. Die dominant ethnic group, say they are beginning to lose faith Warlords bleiben skeptisch, in: Die Zeit, 12.9.2002, S. 10. in President Karzai and to fear that the U.S. military cam- 31 Vgl. Michael Ware, Why Afghanistan’s Leader Wants paign here is working against them.« American Bodyguards, in: Time, 21.7.2002, www.time.com/ 27 Afghan President Hamid Karzai Survived an Apparent time/world/article/0,8599,322610,00.html. Assassination Attempt, Reuters, 5.9.2002, www.reliefweb.int/ 32 Vgl. Vernon Loeb, State Department Will Take over w/rwb.nsf/480fa8736b88bbc3c12564f6004c8ad5/ Security for Afghan Leader, in: Washington Post, 24.8.2002, 60b711e35dd679c185256c2b00538d39?OpenDocument. www.afghan-web.com/aop/today.html.

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16 Unterscheidung zwischen nomineller und faktischer Macht

Wie ungewöhnlich diese Entscheidung war, ließ könnte seinen politischen Anspruch durchsetzen, sich daran ablesen, daß das State Department bis gestützt auf seine militärische Macht. dahin nur ein einziges Mal eine derartige Verant- Ebenfalls bestätigt wurde Dr. Abdullah als Außen- wortung übernommen hatte: 1994 für den damaligen minister. Während diese Maßnahme nicht kritisiert Präsidenten von Haiti, Jean-Bertrand Aristide. Ob das wurde, löste eine andere Personalentscheidung nun in der afghanischen Bevölkerung positiv als Beleg Bedenken aus. Als neuer Innenminister wurde der fast für Washingtons langfristige Verpflichtung gegenüber 80jährige eingesetzt. Seine Afghanistan interpretiert wird oder der negative Ein- ethnische Zugehörigkeit zu den Paschtunen darf nicht druck entsteht, Karzai sei eine bloße »Marionette« der über seine tatsächlichen persönlichen Abhängigkeiten USA, muß sich zeigen. In jedem Fall klang die Lage- hinwegtäuschen. Taj Mohammad Wardak war erst einschätzung von US-Verteidigungsminister Donald R. wenige Monate zuvor aus seinem jahrzehntelangen Rumsfeld aus Anlaß dieser Maßnahmen besorgnis- Exil in den USA zurückgekehrt, hatte dort als Verehrer erregend: »Ich gehe davon aus, daß Afghanistan ein von Shah Massoud gegolten und war mit einer jungen Land ist, in dem Menschen getötet werden.«33 Nichte des bisherigen Innenministers, Yunus Qanuni, Wie steht es nun mit der faktischen Macht? Im verheiratet. Rahmen des Bonner Prozesses bestand eindeutig der Yunus Qanuni wiederum wurde nicht nur zum Auftrag, die Panjshiri-Troika zum Verzicht auf eines neuen Erziehungsminister, sondern auch zum »Natio- der drei Kernministerien zu veranlassen. Diesen Auf- nalen Berater für Innere Sicherheit« ernannt. Damit trag bestätigte UN-Generalsekretär Kofi Annan in fungiert er de facto als Innenminister. Enyatullah seinem Bericht vom 11. Juli 2002: Naziri, Minister für Flüchtlings- und Integrations- »Seit der Bonner Konferenz galt als eines der Haupt- fragen, gilt als Qanuni-Loyalist. ziele der außerordentlichen Ratsversammlung, eine Als Fazit läßt sich feststellen, daß die Panjshiris Übergangsverwaltung zu schaffen, die über ein stär- ihre Vormacht sogar noch ausgebaut haben. Damit keres Maß an Legitimität, Effektivität und Ausgewo- haben sie eindeutig die politischen Intentionen des genheit verfügt als die Interimsadministration. Es gab Bonner Prozesses unterlaufen. Ebensowenig erfüllt die weitverbreitete Erwartung, daß die neue Admini- wurde eine andere Vorgabe: die Macht der Warlords stration das Monopol der Sicherheitskräfte (Armee, zu beschneiden. Beispielsweise hat der im westlichen Polizei, Nachrichtendienste) beseitigen würde, über Herat ansässige »Regionalfürst« Ismael Khan seinen das Shura-e Nazar und insbesondere die Führungs- Sohn Mir Wais Sadiq als »Minister für Luftverkehr und figuren aus dem Panjshir-Distrikt verfügten.«34 Tourismus«, Sayyaf sogar zwei »Strohmänner« Schaut man sich die Kabinettsliste der Übergangs- (Mohammad Khan Noorzai und ) in verwaltung an,35 kommt man zu dem Schluß, daß die das Kabinett geschickt. Nimmt man weitere »Regional- politischen Intentionen des Bonner Prozesses formal fürsten« wie den Hazara Karim Khalili (zweiter Vize- in die Tat umgesetzt wurden. Nach erbittertem Ringen präsident) und den Usbeken General Dostum (stell- hinter den Kulissen haben die Panjshiris beispiels- vertretender Verteidigungsminister) hinzu, wird weise offenbar das Innenministerium »geopfert«. Doch erkennbar, daß alle wichtigen Warlords direkt oder sollte man sich durch die nominell breitere ethnische über Mittelsmänner im Kabinett vertreten sind. Zusammensetzung des Kabinetts nicht täuschen Insofern ist dem Urteil eines europäischen Spitzen- lassen, da sie durch andere Ernennungen mehr als diplomaten zuzustimmen: »Durch diese Ernennungen kompensiert wurde. haben sich Karzai und die Panjshiris mehr Gegner So wurde Marschall Fahim nicht nur als Verteidi- geschaffen, als sie zuvor hatten.«36 Und der Afghani- gungsminister im Amt bestätigt, sondern auch zum stan-Kenner Ahmed Rashid brachte die allgemeine ersten unter mehreren Vizepräsidenten ernannt. Besorgnis über den weiteren Verlauf des Bonner Sollte Hamid Karzai etwas zustoßen, würde Fahim Prozesses auf den Nenner: »Im Ergebnis können quasi automatisch als sein Nachfolger eingesetzt und Karzais Personalentscheidungen zur Kabinettsbildung die Instabilität in Afghanistan verstärken und auf 33 Ebd. 34 Zit. aus: The Situation in Afghanistan and Its Imple- mentation for International Peace and Security, Report of the 36 Dieses und das folgende Zitat stammen aus Ahmed Rashid, Secretary-General, United Nations, General Assembly, New Afghan Cabinet Configuration Source of Discontent for Security Council, 11.7.2002, A/56/1000-S/2002/737, para 40. Many Pashtuns, Kommentar vom 24.6.2002, per E-mail zirku- 35 Vgl. Anhang, S. 38f. liert.

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17 Übergangsverwaltung: Analyse der internen Machtverteilung

diesem Weg Washingtons Interessen in seinem weite- Der letzte Aspekt ist für die Erfolgsaussichten des ren Kampf gegen den Terrorismus beeinträchtigen.« Bonner Prozesses besonders wichtig. Sie hängen näm- lich wesentlich davon ab, ob die Reformkräfte im Kabinett stark genug sind, mittelfristig ein Gegen- Verdeckte Richtungskämpfe bei der gewicht zu den alten und neuen Machthabern zu Umsetzung des Bonner Prozesses bilden. Generell lassen sich die Reformkräfte im Kabinett in drei Kategorien unterteilen: Die Konstellation von offenkundiger Ohnmacht einer-  aus den USA zurückgekehrte Exilafghanen und seits und verschleierter Macht andererseits behindert Technokraten wie beispielsweise der »starke Mann« die Arbeit der Übergangsverwaltung. Die unterschwel- im Kabinett, Finanzminister Dr. Ashraf Ghani, der lige Machtkonkurrenz wird durch zwei sich ergän- Minister für Bergbau und Schwerindustrie (Erdöl, zende Einbindungsstrategien verschärft. Wie oben be- Pipelines), Juma Mohammad Mohammedi, und der reits erläutert, sind die Panjshiris und Hamid Karzai neue Gouverneur der zukünftigen afghanischen bestrebt, islamistische Führer auf ihre Seite zu ziehen. Zentralbank, Dr. Anwar Ahardy; Zum anderen hatten sich auf der Loya Jirga »die Ame-  Frauen wie die Staatsministerin für Frauenfragen, rikaner und Karzai [...] auf die Stimmen der Warlords« Professor Mahbooba Hoquqmal, die Frauenmini- gestützt, um Karzai statt des populären früheren sterin Wahida Sarabi, die Gesundheitsministerin Königs Zahir Shah zum Präsidenten wählen zu lassen, Dr. Suhaila Siddiq und Dr. Simar Samar, bisherige und einigen von ihnen hatten sie »als Dank Posten im Frauenministerin und neue Vorsitzende der Men- Kabinett« verschafft.37 Doch wurde ihre Berufung in schenrechtskommission; das Kabinett »immer mehr zur Hypothek«: »Es war die  politisch nicht mit den USA oder den Panjshiris Absicht Karzais und der Uno gewesen, mit deren Ein- affiliierte Technokraten, die ursprünglich durch die bindung in den Prozeß der Staatsbildung die Autorität Rom-Gruppe nominiert wurden, wie beispielsweise Kabuls auf die Herrschaftsgebiete der Kriegsherren der aus Deutschland zurückgekehrte Exilafghane auszuweiten. Dies verstrickte Karzai aber auch in Dr. Amin Farhang (als Wiederaufbauminister er- Intrigen und Rivalitäten, mit denen sich diese War- neut ernannt) oder – eine bemerkenswerte Aus- lords zu Hause herumzuschlagen haben.«38 nahme – der neue Minister für Ländliche Entwick- Als Folge dieser Strategien sind in der Übergangs- lung, Hanif Atmar, der in Afghanistan überlebt und verwaltung Richtungskämpfe in zweifacher Hinsicht für eine afghanische Nichtregierungsorganisation programmiert. Zum einen erhöht sich das Risiko, daß gearbeitet hat. Warlords ihre persönlichen Machtrivalitäten in das Je nach persönlichem und beruflichem Hinter- Kabinett selbst verlagern. Dessen ohnehin begrenzte grund verfolgen die einzelnen Reformer und Reform- Funktionsfähigkeit droht zusätzlich eingeschränkt zu gruppen unterschiedliche Interessen. Auch nutzen sie werden, wenn sich die ins Kabinett geholten »Stroh- ihre früheren Kontakte, wie beispielsweise die beiden männer« der islamistischen Führer gegenseitig Ex-Weltbankexperten Ashraf Ghani und Juma Moham- bekämpfen und ideologische Streitigkeiten austragen. mad Mohammedi, die – wie auch der Gouverneur der Zum anderen werden Richtungskämpfe dadurch Zentralbank – in Schlüsselpositionen für die Admini- verschärft, daß Reformkräfte im Kabinett, die wieder strierung des international finanzierten Wieder- oder neu ernannt wurden, zunehmend professioneller aufbaus sitzen. Die »strategische Plazierung« von Exil- auftreten. Je selbstbewußter sie sich geben und je afghanen mit einer engen USA-Verbindung nährt das energischer sie ihre rudimentären Ministerialapparate Mißtrauen, daß sie Washingtons geostrategischen und aufzubauen suchen, desto mehr riskieren sie, reform- geoökonomischen Interessen in und um Afghanistan feindliche Allianzen zwischen Anhängern der Panj- mittelbar oder sogar unmittelbar entgegenkommen. shiris, islamistischen Gefolgsleuten und Warlords zu Beispielhaft für die weitgehende Entmachtung des provozieren, die um ihre Pfründe bangen. ehemaligen Königs und der sogenannten Rom-Gruppe ist der politische Wechsel, den Amin Farhang voll- 37 Zit. aus Bernard Imhalsy, Zunehmende Machtkämpfe in zogen hat. Durch seine Wiederernennung in seinem Afghanistan. Schwache Regierung – Amerikanische Sonder- professionellen Selbstbewußtsein gestärkt, gab er interessen, in: NZZ, 7.8.2002, S. 4. mittlerweile zu erkennen, daß er eine politische Rolle 38 Ebd. Vgl. auch die Rechtfertigung für die Postenvergabe im Kabinett, die Kofi Annan in seinem Bericht vom 11.7.2002 des Königs ablehnt. Offensichtlich hat er seine Loya- gab: UN, A/56/1000-S/2002/737, para 41. lität vom früheren König auf Hamid Karzai verlagert

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18 Verdeckte Richtungskämpfe bei der Umsetzung des Bonner Prozesses und sich innerhalb der Panjshiri-dominierten Macht- konstellation in einem »Arbeitsverhältnis« arran- giert.39 Schließlich befinden sich insbesondere die Frauen im Kabinett bzw. im Vorsitz von Kommissionen in einer gleichermaßen exponierten wie gefährdeten Position. Sie sind den islamistischen Hardlinern ein Dorn im Auge, was ihren politischen Spielraum zwangsläufig einschränkt. Zum Opfer ist bereits Simar Samar geworden, die sich mit ihrer engagierten, mit- unter auch recht freimütigen Art den Zorn der Isla- misten zugezogen hatte. Während der Loya Jirga wurde sie persönlich bedroht und mit einer Blasphe- mieklage eingeschüchtert. Zu ihrem eigenen Schutz zog sie sich aus dem internationalen Rampenlicht des Frauenministeriums zurück. Statt dessen ging sie auf Hamid Karzais Angebot ein, die Menschenrechts- kommission zu leiten, und übernahm damit ein nicht minder kontroverses Amt. Angesichts dieser vielschichtigen Machtkonstella- tion mit sich überschneidenden Interessenallianzen, ideologischen Richtungskämpfen und verdeckten per- sönlichen Bindungen an externe Mächte und Orga- nisationen kann Botschafter Brahimis abschließender Warnung in seinem Bericht an den Sicherheitsrat nur zugestimmt werden: »Aber während der Friedensprozeß voranschreitet, müssen wir auf weitere Rückschläge und vielleicht sogar auf Krisen vorbereitet sein, denn eine derartig komplexe Situation wie in Afghanistan läßt schnelle und leichte Beschlüsse nicht zu.«40

39 So der Eindruck der Autorin aufgrund eines längeren Gesprächs mit Dr. Farhang am 22.6.2002 in Kabul. 40 Brahimi, Briefing to the Security Council, 19.7.2002 [wie Fn. 7].

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19 Probleme internationaler Arbeitsteilung

Probleme internationaler Arbeitsteilung

Internationales Engagement im Dilemma hinten aufgezäumt. Da keine glaubwürdige zentrale Autorität vorhanden sei, müßten ausländische Sol- Die UN, die internationale Staatengemeinschaft und daten lange im Land bleiben. Von daher drängt sich ganz besonders die USA sind mit einem Dilemma die Frage auf, ob der vermeintliche Ausweg aus dem konfrontiert. Ohne äußeren Druck, ständiges Inter- Dilemma nicht in ein neues Dilemma führt: Je weni- venieren und massive Wiederaufbauhilfe dürfte ger man sich direkt engagieren will, desto tiefer droht Afghanistan rasch in ein ähnliches Chaos zurückfallen man durch die afghanischen Partner in deren inter- wie nach 1992, als das Land vom globalen »Radar- nen Machtkampf hineingezogen zu werden. schirm« der USA und der international relevanten Ein weiteres Dilemma ergibt sich aus der still- Staaten verschwand. Daraus erklärt sich auch, warum schweigenden »Arbeitsteilung« zwischen den USA vielen Afghanen derzeit an einer Sache am meisten einerseits und den befreundeten Staaten und den UN liegt: »Dieses Mal brauchen wir ein Amerika, das an andererseits. Im Frühjahr 2002 kursierte in Kabul ein unserer Seite bleibt und nicht davonläuft.«41 Spruch, der die »Arbeitsteilung« mit den Worten Dennoch scheuen die USA wie auch deren westliche charakterisierte: »the UN feeds, the EU pays, and the Verbündete, die UN und Japan vor einem zu starken US decides«. Diese »Arbeitsteilung« droht sich kontra- Engagement in Afghanistan zurück. Als diplomati- produktiv auf den Bonner Prozeß auszuwirken und schen Ausweg hat man sich auf das Prinzip der »afgha- letztlich das gemeinsame Anliegen zu behindern: nischen Eigenverantwortung« geeinigt. Zwar ist dieser Afghanistan zu konsolidieren. Ansatz sinnvoll, weil er der Entstehung einer extern Die USA agieren weitgehend in eigener Regie, sind alimentierten »Nehmermentalität« vorbeugen könnte. kaum an Konsultationen mit befreundeten Staaten Doch kann er nur dann greifen, wenn auf afghani- interessiert,43 geben diesen nur zögernd Informatio- scher Seite ein kompetenter und effizienter Partner nen weiter und wenden ihre eigenen Spielregeln bei vorhanden ist. Und genau daran krankt das »Modell der Umsetzung des Bonner Prozesses an, wie die Loya Afghanistan«, wie die Analyse der internen Macht- Jirga gezeigt hat. Dagegen operieren die UN, die Euro- verhältnisse gezeigt hat. päische Union und Japan tendenziell stärker inner- Vergleicht man die derzeitige Konstellation in halb des politischen Rahmens des Bonner Prozesses Afghanistan mit jenen in anderen ehemaligen Bürger- und suchen die neu zu schaffenden Organe zu kriegsländern, so ist die labile Lage durchaus typisch stärken, selbst wenn ihre konkreten Finanzleistungen für frühe »Nachkriegsphasen«. Untypisch im Falle hinter den Anfang 2002 eingegangenen Verpflichtun- Afghanistans sind allerdings zwei Umstände: Zum gen zurückbleiben. einen werden in einigen Landesteilen die Kämpfe Die daraus resultierenden Friktionen beschrieb immer noch fortgesetzt; zum anderen kann in diesem James Dobbins, vormaliger Sonderbeauftragter für zerfallenen Staat praktisch auf keinerlei Vorkriegs- Afghanistan in der Bush-Administration, kürzlich so: strukturen zurückgegriffen werden. Die Bush-Administration habe gewarnt, daß sich der Das vertieft das Dilemma für die internationale Wiederaufbau verzögere, weil nicht genügend Geld in Staatengemeinschaft, von Diplomaten in Kabul tref- die Wiederaufbaufonds eingezahlt würde. Darum fend so formuliert: in Bonn sei »erstmals ein afgha- sollten die europäischen Staaten mehr Finanzmittel nischer Staat außerhalb des Landes gegründet zur Verfügung stellen. Dagegen konterten Hilfsorgani- worden.«42 Normalerweise habe man erst einen Staat, sationen und europäische Regierungsvertreter, daß dann eine Armee, jetzt aber habe man das Pferd von ihre Bemühungen um Wiederaufbau behindert

41 Zit. aus: John Burns, In Many Guises, the Joy of Freedom 43 Ebd. So beschwerten sich nach Haubold vor allem europä- Comes to Afghanistan, in: IHT, 11.9.2002, S. 4. ische Diplomaten über die »äußerst geringe Neigung der 42 Zit. aus: Erhard Haubold, Im Afghanistan der Freiheit, in: letzten verbliebenen Supermacht zu Konsultationen, zum Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 11.9.2002, S. 7. Austausch von Informationen.« (Zit. aus ebd.)

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20 Dominanz der USA als Gefährdung des Bonner Prozesses würden, weil nicht genügend Sicherheit herrsche. Auch sollte die Rolle, die wohlhabende Exil- Insofern drängten sie die USA, für mehr Sicherheit zu afghanen aus den USA bei der gesellschaftlichen Neu- sorgen. Dobbins resümierte, »daß der Wiederaufbau ordnung und den beginnenden privatwirtschaftlichen Afghanistans aus Mangel sowohl an Sicherheit wie Aktivitäten spielen, nicht unterschätzt werden. Als auch an Geld ins Stocken gerät«.44 prominenteste Vertreter gelten Karzais Brüder, die in den USA seit langem unternehmerisch tätig sind. Aufgrund von Geldmitteln, informellen Netzwerken Dominanz der USA als und Clanverbindungen in Afghanistan, aber auch Gefährdung des Bonner Prozesses dank ihrer Lobby in den USA dürfte diese Migran- tengruppe, die weltweit die größte afghanische Exil- Verständlicherweise konzentrieren sich afghanische gemeinschaft bildet, eine wichtige Rolle bei inter- Erwartungen in erster Linie auf den »globalen Hege- nationalen wie innerafghanischen Bemühungen um mon« USA, der Afghanistan vom Joch der Taliban und den Wiederaufbau spielen. Mit ihren Aktivitäten kann Al Qaida befreit hat und das Engagement der UN und sie einerseits Anreize für eine »Friedensdividende« der internationalen Geber entscheidend beeinflußt. schaffen, sich andererseits aber auch frühzeitig Wett- Seit dem US-Luftkrieg in Afghanistan sind die USA zu bewerbsvorteile und Einflußzonen sichern. einem derart dominierenden Faktor geworden, daß Die militärische Präsenz der USA hat große Bedeu- das Schicksal Afghanistans im generellen und die tung für die Sicherheit, könnte sich aber als ambi- Chancen des Bonner Prozesses im besonderen von valenter Faktor herausstellen. Von zwei großen US- ihrer Rolle und ihren Interessen abhängen. Militärbasen in Bagram (nördlich von Kabul) und im Der amerikanische Einfluß ist allgegenwärtig in südlichen Kandahar aus operieren 7000 bis 8000 Afghanistan. Hinter den Kulissen agiert Zalmay Soldaten zuzüglich einer unbekannten Anzahl Ange- Khalizad, naturalisierter US-Bürger afghanischer höriger von US-Spezialeinheiten tief im Hinterland.49 Abstammung und Präsident Bushs Sonderbeauftrag- Bedingt durch ihren bislang immer noch gültigen ter. Khalizad und der neue Finanzminister Ashraf militärischen Auftrag, versprengte Reste von Taliban, Ghani45 werden als »twin eminences grises in Kabul«46 Al Qaida und sich reorganisierender islamistischer bezeichnet. Die enge Zusammenarbeit mit den Gruppen (beispielsweise unter Hekmatyars Kom- Panjshiris und die Unterstützung für den Aufbau mando) zu zerschlagen, sind sie primär in paschtuni- einer nationalen Armee unter Marschall Fahim sichert schen Landesteilen in lokale Kämpfe verwickelt. Washington direkten Einfluß auf die faktischen Dabei werden sie einerseits durch ca. 4000 Mann von Machtzentren. US-Wirtschaftsinteressen dürften von Spezialeinheiten befreundeter Truppen bzw. Coalition den seit Ende Mai 2002 wiederbelebten Verhandlun- Forces (primär Briten, Kanadier und Australier sowie gen über den Bau einer Pipeline von Turkmenistan Deutsche und auch vereinzelte Angehörige anderer nach profitieren.47 Zunächst von Hamid Armeen), andererseits durch US-Kampfflugzeuge Karzai persönlich initiiert, werden sie nun durch den unterstützt. früheren Weltbankexperten und jetzigen Kabinetts- Die Frage, ob das militärische Vorgehen der minister, Joma Mohammad Mohamadi, forciert und US-Truppen auf längere Sicht die Stabilisierung Afgha- durch die Asian Development Bank (ADB) gefördert, nistans gefährden könnte, ist nicht leicht zu beant- die eine Vorstudie in Höhe von 200 Millionen worten: Zum einen können die US-Spezialeinheiten US-Dollar finanziert.48 ihren Anti-Terror-Auftrag nur erfüllen, wenn sie von lokalen Kommandanten über versteckte Schlupf- 44 Zit. aus James Dobbins, Lack of Aid Jeopardizes Afghani- winkel und Waffenlager informiert werden. Das kann stan’s Progress, in: IHT, 13.9.2002, S. 7. afghanische Warlords dazu verleiten, ihre persön- 45 Vgl. David Rohde, An Uphill Road for Afghanistan’s Money Man, in: The New York Times, 30.6.2002, www.afghan-web. lichen Rivalen als vermeintliche Taliban-Sympathi- com/aop/today.html. santen anzuschwärzen und durch US-Angriffe beseiti- 46 Zit. aus Amir Taheri, The Afghanistan Quagmire. Time for gen zu lassen. So provozierte eine gezielte Fehl- the U.S. to Say It Has Won, and Go Home, in: IHT, 16.8.2002, S. 7. 47 Vgl. Pratap Chatterjee, Afghan Pipe Dreams, in: Special to www.afghan-web.com/aop/today.html. Corpwatch, 28.6.2002, http://corpwatch.org. 49 Nach Angaben des US-Kommandanten in Afghanistan, 48 Vgl. Gas Pipeline to Be Built Connecting Afghanistan, Lt.-Gen. Dan McNeill. Vgl. hierzu James Dao, Afghan Role Not Turkmenistan, Pakistan, Xinhua via COMTEX, 16.9.2002, Nearly Over, in: IHT, 16.9.2002, S. 1.

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21 Probleme internationaler Arbeitsteilung

information beispielsweise den fatalen US-Luftangriff hatten die USA im Kampf gegen die Taliban seit auf eine afghanische Hochzeitsgesellschaft in der süd- November 2001 Pacha Khan , lokaler Komman- lichen Provinz Urozgan am 1. Juli 2002, für den sich dant und zeitweilig Gouverneur der seit Monaten um- Washington erst nach tagelangem Zögern und einer kämpften Unruheprovinzen Paktia und im ersten anti-amerikanischen Demonstration in Kabul paschtunischen Ostteil des Landes, ca. 400 000 US- entschuldigte.50 Dollar gezahlt und monatelang 600 seiner Milizange- Zum zweiten greifen die USA auf eine bedenkliche hörigen finanziert, damit er eine US-Operation gegen Taktik zurück, mit der schon die britischen Kolonial- Al Qaida unterstützte und die Grenze nach Pakistan herren im 19. Jahrhundert, die sowjetische Besat- patrouillierte. Doch nach der fehlgeschlagenen zungsmacht in den achtziger Jahren oder die Taliban Offensive distanzierte sich der neue US-Oberbefehls- in den neunziger Jahren schlecht gefahren sind. Um haber, General McNeill, von Khan Zadran. Auch Hamid Karzais politischen Einfluß über Kabul hinaus Hamid Karzai suchte mittlerweile den eigenmächtigen auszudehnen oder Machtkämpfe zwischen lokalen Gouverneur durch gefügigere Personen in Paktia und und regionalen Machthabern in unruhigen Landes- Khost zu ersetzen. Khan Zadran rächte sich, indem er teilen einzudämmen, wird die Loyalität der betreffen- seit Monaten gegen , den neuen den Warlords gekauft. Folgender Bericht dürfte glaub- schwachen Gouverneur von Khost, kämpft. Das US- würdig sein: », der Gouverneur der Militär sah sich schließlich gezwungen, Taniwal im südlichen Provinz von Kandahar, Hazrat Ali, ein Kom- Kampf gegen den vormaligen US-Verbündeten zu mandeur in der östlichen Provinz von Nangahar, und unterstützen.53 mehrere andere Personen sind mit Millionen-Dollar- Dieses Beispiel illustriert besonders deutlich die Beträgen im Rahmen von Deals aufgekauft worden, Gefahr, vor der Afghanistan-Experten das Pentagon die über amerikanische und britische Nachrichten- seit längerem gewarnt haben: nach den raschen Erst- dienste abgewickelt wurden.«51 erfolgen des Luftkriegs drohe »die Operation ›Dauer- Zu befürchten ist, daß den USA die gleiche Lektion hafte Freiheit‹ in den politisch und militärisch unkon- erteilt wird wie vormals der britischen Kolonialmacht. trollierbaren Zustand des Kleinkrieges abzugleiten – Auf die bitteren Erfahrungen, die die Briten in drei ohne eine strategische Perspektive.«54 Hinter vorgehal- verlorenen Anglo-Afghanischen Kriegen gemacht tener Hand lassen Fachleute in der Bush-Administra- haben, wird der Spruch zurückgeführt: »Man kann tion inzwischen erkennen, daß ihnen der »Wider- einen Afghanen nicht kaufen, man kann ihn nur für spruch zwischen Nation-Building und Terrorismus- einen bestimmten Zeitraum ›mieten‹.« Sobald nämlich bekämpfung«55 bewußt wird. ein attraktiveres Angebot von einem Gegenspieler Paul Wolfowitz, Stellvertretender US-Verteidigungs- kommt, wird die Seite gewechselt. Dieser »afghanische minister, erklärte in einem Interview am 27. August Pragmatismus« ist Ausdruck einer Überlebens- 2002: »Ich denke, unsere Aufmerksamkeit verlagert strategie, deren Wurzeln weit in die Geschichte sich zunehmend auf das Training der afghanischen Afghanistans zurückreichen, das viele Eroberungs- nationalen Streitkräfte, auf die Unterstützung von wellen erlebt hat. Sie hat gelehrt, die Zusammenarbeit ISAF und auf die Förderung des Wiederaufbaus – auf mit den jeweiligen Machthabern für den eigenen die Art von Maßnahmen also, die zur langfristigen Vorteil zu nutzen, der nicht unbedingt mit dem der Stabilität beitragen.«56 Zieht man allerdings die nach- Nation übereinstimmt. folgenden Verlautbarungen der Bush-Administration Zum dritten weisen erste konkrete Fälle darauf hin, daß die Anti-Terror-Taktik der USA »die Gefahr einer Survival, 44 (Herbst 2002) 3, S. 47–56 (50). Fragmentierung«52 weniger verringert als erhöht. So 53 Vgl. Erhard Haubold, Der Machtkampf in Khost, in: FAZ, 12.9.2002, S. 9; Burke/Beaumont, West Pays Warlords to Stay in Line [wie Fn. 51]. 50 Vgl. Luke Harding, No US Apology over Wedding Party, in: 54 Lothar Rühl, Vorstöße ins Leere, in: FAZ, 17.8.2002, S. 10. Guardian, 3.7.2002, www.guardian.co.uk/afghanistan/story/ 55 Zit. aus Landurner, Don Quijote in Kabulistan [wie Fn. 30], 0,1284,748300,00.html; Afghans Protest over Wedding Party, S. 10. in: CNN, 4.2.2002, www.cnn.com/2002/WORLD/asiapcf/ 56 Zit. aus: Interview und Artikel von Ahmed Rashid, US central/07/04/afghanistan.bombing/. Signals Afghan Policy Shift, Paul Wolfowitz Tells Rashid of 51 Zit. aus Jason Burke/Peter Beaumont, West Pays Warlords to America’s New Initiative to Take the Lead in Rebuilding Stay in Line, in: The Observer, 21.7.2002, www.converge.org. Afghan Society, in: London Daily Telegraph, 25.8.2002, nz/pma/usajul02.htm. www.telegraph.co.uk/news/main.jhtml?xml=/news/2002/08/ 52 Zit. aus Amin Saikal, Afghanistan after the Loya Jirga, in: 27/wafg27.xml.

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22 Dominanz der USA als Gefährdung des Bonner Prozesses heran, so scheint das Umdenken vorerst in einem So begrüßenswert diese Absichtserklärung ist, in Stadium des »ja, aber« steckengeblieben zu sein: Anbetracht der US-Kriegspläne gegen den Irak weckt Nation-Building ja, aber nur unter bestimmten Voraus- sie doch erhebliche Zweifel. Ob beim Streitkräfte- setzungen; Ausweitung der ISAF ja, aber nur ohne aufbau, bei grundsätzlichen Anliegen des Wieder- US-Beteiligung und nur, wenn Verantwortung und aufbaus oder in allen für das Gelingen des Bonner Kosten von anderen Staaten übernommen werden; Prozesses relevanten Bereichen: der Handlungs- US-Engagement beim Wiederaufbau ja, aber nur wenn spielraum für ein internationales Einwirken wird zuerst die europäischen Staaten, Japan und andere durch Washingtons Prioritäten und Vorgaben ab- Geber ihre Verpflichtungen erfüllen. gesteckt. Für Afghanistan bedeuten die USA den alles Keine andere Regierung dürfte besser geeignet sein bestimmenden Faktor; umgekehrt jedoch fungiert als die der USA, mit dem Aufbau einer afghanischen Afghanistan nur als kleiner Mosaikstein in der ameri- Armee eine zentrale Grundvoraussetzung für eine kanischen Strategie, die Großregion um den Irak neu erfolgreiche, nachhaltige Stabilisierung Afghanistans zu ordnen. Insofern besteht die Gefahr, daß die USA zu schaffen. Die Bush-Administration hat sich die im Rahmen ihrer übergeordneten Strategie Maß- Führung in diesem Kernbereich vorbehalten und nahmen ergreifen, die sich für Afghanistans schwieri- rechtfertigt das damit, daß sie mit dem Aufbau der ge Stabilisierung als kontraproduktiv erweisen und Armee den besten Beitrag zu einer »Friedenspolitik« den Bonner Prozeß gefährden. leiste. Zugleich will sie das Grundprinzip ihrer viel- Bislang herrschen in der afghanischen Öffentlich- fältigen, aber nicht zu einer klaren Gesamtstrategie keit große Sympathie und Dankbarkeit dafür vor, daß zusammengefaßten Aktivitäten57 an diesem Beispiel die USA das Land vom Kriegsjoch und der Willkür- praktisch vorexerzieren: die »afghanische Eigen- herrschaft der Taliban befreit haben. Dabei schwingt verantwortung« zu fördern. auch die Erinnerung an die achtziger Jahre mit, als Doch schon ein halbes Jahr nach Ausbildungs- Washington die Mujaheddin in ihrem Kampf gegen beginn hat die afghanische Realität die US-Pläne die sowjetische Besatzungsmacht unterstützte. Doch durchkreuzt. So äußerte General Tommy Franks, Ober- je offenkundiger Washington nun seine Macht demon- befehlshaber des U.S. Central Command, zu dem auch striert und politische Entscheidungen »diktiert«, desto Afghanistan gehört, Mitte August 2002, daß die Aus- mehr riskiert es ein Umschlagen der Sympathien in bildung zu langsam voranschreite. Von den angestreb- eine anti-amerikanische Stimmung. ten 60 000 Mann würden Ende des Jahres 2002 ledig- Selbst wenn sich diese Sorge als unberechtigt lich 3000 bis 4000 Soldaten und bis Ende 2003 höch- erweisen sollte, befürchten viele Afghanen, daß ein stens 13 000 Soldaten einsatzbereit sein.58 Krieg gegen den Irak mit den zu erwartenden Span- Auch läßt sich die politische Vorgabe des Bonner nungen im Nahen Osten das Interesse Washingtons Prozesses, eine »multi-ethnische Armee« aufzubauen, von Afghanistan ablenken würde. Deshalb warnt der nicht leicht einlösen, weil immer wieder paschtuni- afghanische Außenminister, Dr. Abdullah, bereits: sche Rekruten und Offiziere in der vom tadschiki- »Die Aufmerksamkeit sollte nicht vom Kampf gegen schen Marschall Fahim befehligten Armee nicht mehr den Terrorismus abgelenkt werden, weil diese Ausein- zum Dienst erscheinen. Auf diese Weise sind die andersetzung noch lange nicht beendet ist.« »Afgha- ersten zwei Bataillone auf weniger als die Hälfte ihrer nistan ist ein Testfall für die internationale Gemein- ursprünglichen Stärke geschrumpft. Verteidigungs- schaft, für die Vereinigten Staaten. Erfolg oder Miß- minister Donald Rumsfeld wie auch General Tommy erfolg werden von der ganzen Welt beurteilt werden Franks haben angesichts dessen inzwischen erklärt, und ihre Auswirkungen haben.«60 daß US-Truppen »noch für viele Jahre« in Afghanistan bleiben werden.59

57 Vgl. Saikal, Afghanistan after the Loya Jirga [wie Anm. 52], S. 47. 58 Vgl. Glenn Kessler, U.S. Gambles on Afghan Stability, in: IHT, 9.8.2002, S. 1; Tomas Avenarius, Der schwierigste Job im Auch den Amerikanern wird allmählich bewußt, daß ihr En- Land. Die westlichen Alliierten tun sich schwer mit dem Ziel, gagement in Afghanistan länger erforderlich ist als geplant, eine Armee als Keimzelle der Nation aufzubauen, in: Süd- in: SZ, 7.9.2002, S. 2. deutsche Zeitung (SZ), 10.8.2003, S. 2. 60 Zit. aus: Kate Clark, Afghanistan. Pashtuns Uneasy, in: 59 Vgl. Wolfgang Koydl, Der Krieg hat gerade erst begonnen. Middle East International, 11.10.2002, S. 20.

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23 Ausblick und Empfehlungen

Ausblick und Empfehlungen

»Die Vereinbarung von Bonn setzte einen Prozeß in haltende ausländische Präsenz auszuüben [a light Gang, aber die politische Grundlage des Friedens ist expatriate footprint] und sich zu bemühen, afghanische noch ungesichert.«61 Die Chancen, daß diese politi- Kapazitäten zu schaffen, damit die Afghanen mög- sche Grundlage noch während der Laufzeit des Bonner lichst viele der von uns jetzt wahrgenommenen Auf- Prozesses geschaffen wird, werden dadurch beein- gaben so schnell wir möglich übernehmen können.«62 trächtigt, daß die entscheidende Determinante Auf diese Leitlinie dringt er auch in Koordinations- externer Natur ist: die Interessen der USA. Wie gesprächen mit wichtigen internationalen Gebern wie Washington seine zukünftige Rolle in Afghanistan beispielsweise der EU und Japan. sieht, wird nicht durch die interne Entwicklung in Mit diesem Ansatz, auf afghanischer Seite Anreize Afghanistan, sondern durch die globale Orientierung für eine Kooperation zu schaffen, sollen die Erfolgs- der Bush-Administration bestimmt. chancen des Bonner Prozesses trotz der restriktiven Wie sich ein Irak-Krieg auf Afghanistan auswirken Rahmenbedingungen erhöht werden. Die »Friedens- würde, muß offen bleiben. Denkbar ist, daß Washing- dividende« lockt in Gestalt einer frühen Übernahme ton sein Engagement in Afghanistan demonstrativ von Verantwortung, in Gestalt von weitergehenden verstärkt, um eine verläßliche Gefolgschaft in Kabul Entscheidungsbefugnissen und damit auch von zu haben und anti-amerikanischen Protesten vor- Zugang zu allen möglichen Pfründen, die beim zubeugen. Denkbar ist aber auch, daß die Bush- Wiederaufbau abfallen dürften. Dem liegt die Erwar- Administration ihr Engagement deutlich reduziert, tung zugrunde, daß eine anfänglich eher scheinbare weil sie nur ein geringes Störpotential vermutet, das Verantwortung allmählich in tatsächliche Autorität ihre ehrgeizigen Pläne für eine großräumige Neu- umgewandelt wird. Selbst wenn diese Strategie aus ordnung Westasiens kaum behindern würde. der »Not der Stunde« geboren sein dürfte und dem Desgleichen dürfte auch die Bereitschaft der inter- schmalen Geldbeutel der internationalen Geber nationalen Gemeinschaft, den Bonner Prozeß in zuzuschreiben ist, stellt sie doch einen kreativen Afghanistan zu fördern, davon abhängen, inwieweit Ansatz dar. sie von der Bush-Administration im Falle eines Irak- Trotzdem sollte eine wesentliche Schwäche nicht Krieges zum »burden sharing« verpflichtet wird. Also übersehen werden, die ein schlechthin zentrales dürften auch Höhe und Intensität, mit der speziell die internes Risiko für das Gelingen des Bonner Prozesses EU und Japan die Befriedung und den Wiederaufbau darstellt: »In der Praxis aber bleibt [die Friedensopera- in Afghanistan unterstützen, durch externe Faktoren tion in Afghanistan] eng mit der afghanischen Über- bestimmt werden. gangsverwaltung und entsprechend mit dem Friedens- Das für das Gelingen des Bonner Prozesses so not- prozeß verbunden, der zu ihrem Entstehen führte. Die wendige internationale Engagement wird zusätzlich Trennung zwischen formaler Autorität und prak- eingeschränkt durch Restriktionen, die im UN- tischem Einfluß erhöht das Risiko, daß der in Bonn Konzept angelegt und bereits unter dem Stichwort begründete politische Konsens der Kontrolle der Über- »afghanische Eigenverantwortung« analysiert worden gangsverwaltung und ihres UN-Partners entgleiten sind. Zu fragen bleibt, wie dennoch konstruktiv am könnte.«63 Aufbau staatlicher Strukturen, an der Friedens- Um der Gefahr vorzubeugen, daß die UN und sicherung und am Wiederaufbau gearbeitet werden die internationale Gebergemeinschaft zu »Kollabo- kann. In seinem ersten Bericht an den UN-Sicherheitsrat nach der Loya Jirga betont der UN-Sonderbeauftragte, Lakhdar Brahimi: »die Aufgabe lautet, eine zurück- 62 Zit aus: Brahimi, Briefing to the Security Council, 19.7.2002 [wie Fn. 7]. 63 Simon Chesterman, Walking Softly in Afghanistan: The 61 Zit. aus: Simon Chesterman, Afghanistan II: The Hard Part Future of UN State-Building, in: Survival, 44 (Herbst 2002) 3, for the UN Starts Now, in: IHT, 5.7.2002, S. 6. S. 37–46 (38).

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24 Grundlegende Prioritäten rateuren« der innerafghanischen Machtrivalen und Verbündeter (sogenannte coalition forces) vorbehalten. damit letztlich zum Opfer vielschichtiger Intrigen Wohl aber dürfte die symbolische Anwesenheit von werden, drängen die UN rigoros auf die Einhaltung multilateralen Einheiten in wichtigen Provinzstädten des »Bonner Zeitplans«. Im Sinne einer konstruktiven dazu beitragen, der Bevölkerung ein Gefühl der Perspektive üben sie damit massiven Druck auf die Sicherheit zu geben, und die Regionalfürsten unter afghanischen Kontrahenten aus und ebnen den Boden Druck setzen, mit dem Kabuler Kabinett zu koope- dafür, daß sie mit der Vereidigung der im Jahre 2004 rieren und dadurch den Prozeß des nationalen poli- gewählten afghanischen Regierung den erfolgreichen tischen Aufbaus zu fördern. Abschluß des Bonner Prozesses bekanntgeben können. Deshalb wäre es empfehlenswert, das ISAF-Mandat Die Aussichten für das »Modell Afghanistan« kann über Kabul hinaus auf die wichtigsten Städte aus- man auf folgenden Nenner bringen: Im Sinne einer zudehnen. Dem stehen jedoch externe Gründe ent- termingerechten, formalen Umsetzung sind die gegen. Sie sind in den politischen Interessen der USA Erfolgschancen relativ gut; doch ob die neue afghani- und in Risikoabwägungen, Kapazitäts- und Finanzie- sche Regierung auch die politischen Intentionen des rungszwängen führender Staaten zu sehen, so daß UN Bonner Prozesses einlösen wird, ist fraglich. und ISAF berechtigterweise zögern, mehr Verant- wortung ohne ein klar definiertes Mandat und eine angemessene Finanzierungsgarantie zu übernehmen. Grundlegende Prioritäten Die bislang von den USA favorisierte Alternative, eine 60 000 Mann starke multi-ethnische Armee rasch Die komplexen Aufgaben und Widerstände machen aufzubauen und ihr die Verantwortung für die innere es schwierig, bestimmten Bereichen oder gezielten Sicherheit zu übertragen, hat sich als unrealistisch Maßnahmen prioritären Rang für ein externes erwiesen. Da das Pentagon eingeräumt hat, daß sich Engagement zuzusprechen. Deshalb wurden die die Ausbildung einer afghanischen Armee um unbe- folgenden exemplarischen Empfehlungen nach drei stimmte Zeit verzögert, dürfte für die noch verblei- Hauptkriterien ausgewählt: Zum einen soll grund- bende Laufzeit des Bonner Prozesses aber auch die legenden Gefährdungen des gesamten Bonner Pro- Option einer Sicherheitsgarantie in afghanischer zesses entgegengewirkt werden; zum zweiten sollen Eigenverantwortung irrelevant sein. Überdies würde Ansatzpunkte zur Förderung einer konsolidierten eine einheimische Armee nur dann dieser Aufgabe Eigendynamik in der afghanischen Gesellschaft iden- gewachsen sein, wenn sie tatsächlich eine multi- tifiziert werden; zum dritten sollen sich gute Chancen ethnische nationale Armee und nicht nur eine Schutz- für ein deutsches und europäisches Engagement truppe wäre, die primär aus derselben ethnischen eröffnen. Gruppe wie Verteidigungsminister Fahim stammt und nur ihm persönlich loyal ergeben ist. Hier stellt sich die wohl größte Herausforderung Sicherheit für ein deutsches und europäisches Engagement. Am 10. Oktober 2002 ließ Bundeskanzler Schröder ver- Die Gewährleistung der Sicherheit und möglichst lauten, daß er sich mit dem damaligen niederländi- sogar eine Entwaffnung, Demobilisierung und Ein- schen Regierungschef, Jan Peter Balkenende, darauf gliederung ehemaliger Kämpfer in zivile Berufe sind verständigt habe, daß beide Staaten ab Januar 2003 Grundvoraussetzungen für eine zivile Nachkriegs- gemeinsam das ISAF-Kommando übernehmen entwicklung und den Wiederaufbau. Unter den gegen- würden.64 Da Deutschland außerdem vom gleichen wärtigen Bedingungen in Afghanistan stellen sie aber Zeitpunkt an für zwei Jahre als nichtständiges Mit- auch die schwierigsten Aufgaben überhaupt dar. glied dem UN-Sicherheitsrat angehören wird, sind die Sollte sich das multilaterale Engagement weiterhin Voraussetzungen günstig, daß eine multilaterale Kom- ausschließlich auf Kabul beschränken, dürfte der promißlösung für dieses brisante Problem gefunden Erfolg des Bonner Prozesses gefährdet bleiben. Zwar werden kann. Hier soll nicht dafür plädiert werden, kann es nicht das Mandat einer multilateralen Schutz- daß Deutschland bzw. die EU quasi automatisch die truppe sein, die anhaltenden Kämpfe in verschiedenen zusätzlichen Truppenkontingente stellen. Vielmehr Landesteilen zu beenden, denn diese Aufgabe haben sich Spezialtruppen der USA und ausgewählter 64 Vgl. Elke Windisch, Auf der Suche nach Stabilität, in: Der Tagesspiegel, 12.10.2002, S. 6.

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25 Ausblick und Empfehlungen

sollte Deutschland zusammen mit dem niederlän- aufgebaut – das Angebot einer deutschen Bank, beim dischen Partner die diplomatische Initiative ergreifen, Aufbau zu beraten, hat Finanzminister Ashraf Ghani das heißt angemessene Optionen suchen, um die im bereits vor einigen Monaten abgelehnt. Bonner Prozeß übernommene multilaterale Verpflich- Immerhin wird die neue afghanische Währung von tung auch einzulösen. einer deutschen Firma gedruckt. Die im Oktober gestartete Ausgabe neuer Banknoten mit einer infla- tionsdämmenden Neudotierung könnten Deutschland Wiederaufbau und die EU zum Anlaß nehmen, Ausbildungshilfen in der Fiskalverwaltung anzubieten. Aus den unzähligen Problemen, die mit den jahrzehn- telangen Bemühungen um einen Wiederaufbau des zerstörten Landes verbunden sind, seien hier nur zwei Zielgruppenförderung herausgegriffen. Die fiskalische Ohnmacht Kabuls bildet eines der größten internen Hindernisse. Aus deutscher bzw. europäischer Sicht bietet es sich Finanzminister Ashraf Ghani verfolgt ein der Sache an, mit einem breiten Spektrum an Beratungs-, Aus- angemessenes Konzept, das aber aufgrund der kon- bildungs- und Sachleistungen sowie konstruktiver trären Interessen einen grundsätzlichen Machtkampf Imagepflege Reformkräfte zu stärken. Dazu gehören zwischen Kabul und den Regionalfürsten provoziert. zum einen Fachfrauen, die im Kabinett, in Kom- Danach sollen alle Regionalfürsten, die entlang der missionen und in neuen administrativen oder zivil- ringförmigen Hauptverkehrsader neben Gewinnen gesellschaftlichen Beratungseinrichtungen arbeiten. aus Schmuggelgeschäften Steuereinnahmen aus Da sie besonders gefährdet sind, sollten sie durch legalem Handel erzielen, einen Teil davon in die spezielle Programme gefördert werden. Zugleich leeren Kassen der Übergangsverwaltung abführen. bilden sie eine Zielgruppe, die – schon aus leidvoller Das würde Hamid Karzais Kabinett finanziell hand- Erfahrung – mit besonderer Energie eine frieden- lungsfähiger und politisch glaubwürdiger machen. schaffende Konsolidierung und gesellschaftliche Deshalb ist zu empfehlen, daß Deutschland bzw. die Veränderung anstrebt. EU zusammen mit den internationalen Gebern das Zum anderen gehören Reformkräfte dazu, die sich mutige Konzept Kabuls konsequent und mit allen um politische Neutralität bemühen und auf ethnische verfügbaren Mitteln unterstützen. Pluralität oder regionale, provinzielle Integration hin- Ergänzt werden sollte die interne fiskalische Um- arbeiten. Sofern es sich um Minister handelt, ist deren verteilung durch eine externe finanzielle Stärkung der Image, Glaubwürdigkeit und Effizienz durch raschen Übergangsverwaltung. Ob es sich um Präsident Hamid Mittelzufluß zu erhöhen. Sofern sie als Technokraten Karzai, Wiederaufbauminister Amin Farhang oder auf die noch zu schaffenden Führungsposten in der andere Mitglieder des Kabinetts handelt – sie alle Ministerialbürokratie berufen werden, sollte ihre mahnen die internationalen Geber immer wieder, die Fachkompetenz gestärkt werden. zugesagten Finanzmittel tatsächlich auch in die ver- Bei der Zusammenarbeit mit Reformern, die einen einbarten Fonds einzuzahlen. Hier tragen externe ausgeprägten US-Hintergrund besitzen, sollte auf zwei Unterlassungen dazu bei, daß sich der Wiederaufbau Aspekte geachtet werden. Zum einen ist eine sach- verzögert und die allgemeine politische Konsolidie- bezogene Kooperation uneingeschränkt zu unter- rung behindert wird. stützen, die auf komparative Vorteile in der Aufgaben- Internationale Geber rechtfertigen ihre schlechte verteilung bedacht sind und dem gemeinsamen Vor- Zahlungsmoral unter anderem mit dem Argument, gehen gegen konfliktträchtige Entwicklungen (bei- daß der afghanische Empfänger durch mangelnde spielsweise Rivalitäten zwischen Kabul und regionalen Transparenz die Korruptionsgefahr erhöhe. Dem Machthabern) dient. Zum anderen sollte die Zusam- suchen der Finanzminister und der Gouverneur der menarbeit angesichts eines zu befürchtenden Anti- Zentralbank, Anwar Ahardy, bereits entgegen- Amerikanismus so gestaltet werden, daß sie präventiv zuwirken. Wahrscheinlich in Kooperation mit einer Kooperationspartner gegen den Verdacht schützt, US-Bank wird die afghanische Zentralbank, deren lediglich als »US-Marionetten« zu agieren. Mitarbeiter von Grund auf in modernem Bank- management geschult werden müssen, völlig neu

Grundlegende Prioritäten

Legitimation geteilt hat, daß die Zeit bis zu den Wahlen nicht ausreicht, um einen Zensus durchzuführen.65 Die Nationalwahlen im Jahre 2004 sollen der inter- nationalen Staatengemeinschaft in Gestalt der UN einen legitimen Rückzug aus der weitreichenden Verantwortung in Afghanistan ermöglichen. Deshalb liegt es im eigenen Interesse der internationalen Verhandlungspartner auf dem Petersberg, diese Wahlen nicht nur formal durchzuführen, sondern sie politisch auch möglichst glaubwürdig auszugestalten. Gerieten Wahlen dagegen zu einer reinen Farce, könnten sie sich als politischer Pyrrhussieg erweisen. Diese Gefahr wird gleichermaßen von internatio- nalen Beobachtern wie von vielen Afghanen im In- und Ausland gesehen, denn ihnen sind die früheren Wendemarken im 24jährigen Konfliktverlauf noch frisch im Gedächtnis. So wurden beispielsweise die Genfer Verträge 1988 und der Sturz des Najibullah- Regimes 1992 international als Schritte zu einer frie- denschaffenden Konsolidierung oder gar Befreiung gelobt. Tatsächlich aber leiteten sie eine neue Phase des Krieges ein, nachdem die Genfer Garantiemächte USA und Sowjetunion/Rußland die Waffenarsenale ihrer jeweiligen Klientelparteien in Afghanistan auf- gestockt hatten. Dadurch wurden verstärkt Chaos und die Willkürherrschaft von Warlords begünstigt, was wiederum andere »Kriegspaten« aus der näheren und ferneren Nachbarschaft für ihre nationalen und strate- gischen Zwecke ausnutzten. Um den Bonner Prozeß vor einem ähnlichen desa- strösen Ausgang zu bewahren, wird empfohlen, bereits jetzt mit den Vorbereitungen für die National- wahlen zu beginnen. Zum einen sollten so schnell wie möglich organisatorisch-technische Voraussetzungen geschaffen werden. Beispielsweise sollte man begin- nen mit der Erstellung eines Wählerverzeichnisses, das von den ethnischen Gruppen in dem Vielvölker- staat Afghanistan als prinzipiell gültig akzeptiert wird, und mit Schulungen für Zensus- und Wahl- beamte. Zum anderen sollte der durch die Loya Jirga eingeleitete Bewußtseinswandel genutzt und voran- getrieben werden. Das könnte durch Aufklärungs- kampagnen in der Bevölkerung geschehen, mit Schwerpunkt in den ländlichen Regionen und bei weiblichen Wählern. Entsprechende Konzepte sollten möglichst bald erarbeitet und schrittweise umgesetzt 65 »With regard to the census, which was one of the requests werden. Dies ist um so dringender, als der UN-Sonder- made of the international community in the Bonn Agree- beauftragte Brahimi dem Sicherheitsrat bereits mit- ment, experts have advised us that it could take anywhere from 3 to 5 years, and perhaps even longer, in the circum- stances that exist in Afghanistan, to complete a census.« (Brahimi, Briefing to the Security Council, 19.7.2002 [wie Fn. 7]).

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Karte 1 Ethnolinguistische Gruppen in Afghanistan

Quelle: www.globalsecurity.org/military/world/afghanistan/images/ethnolingustic.jpg.

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30 Karten

Karte 2 Loya Jirga Regional Operations Map

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Agreement on Provisional Arrangements in Afghanistan Pending the Re-Establishment of Permanent Government Institutions, Petersberg/Bonn, 5.12.2001

The participants in the UN Talks on Afghanistan, The Interim Authority In the presence of the Special Representative of the Secretary-General for Afghanistan, I. General provisions Determined to end the tragic conflict in Afghanistan 1) An Interim Authority shall be established upon the and promote national reconciliation, lasting peace, official transfer of power on 22 December 2001. stability and respect for human rights in the country, 2) The Interim Authority shall consist of an Interim Reaffirming the independence, national sovereignty Administration presided over by a Chairman, a Special and territorial integrity of Afghanistan, Independent Commission for the Convening of the Acknowledging the right of the people of Afghanistan Emergency Loya Jirga, and a Supreme Court of to freely determine their own political future in Afghanistan, as well as such other courts as may be accordance with the principles of Islam, democracy, established by the Interim Administration. The com- pluralism and social justice, position, functions and governing procedures for the Expressing their appreciation to the Afghan mujahidin Interim Administration and the Special Independent who, over the years, have defended the independence, Commission are set forth in this agreement. territorial integrity and national unity of the country 3) Upon the official transfer of power, the Interim and have played a major role in the struggle against Authority shall be the repository of Afghan sover- terrorism and oppression, and whose sacrifice has eignty, with immediate effect. As such, it shall, now made them both heroes of jihad and champions throughout the interim period, represent Afghanistan of peace, stability and reconstruction of their beloved in its external relations and shall occupy the seat of Af- homeland, Afghanistan, ghanistan at the United Nations and in its specialized Aware that the unstable situation in Afghanistan agencies, as well as in other international institutions requires the implementation of emergency interim and conferences. arrangements and expressing their deep appreciation to 4) An Emergency Loya Jirga shall be convened with- His Excellency Professor Burhanuddin Rabbani for his in six months of the establishment of the Interim readiness to transfer power to an interim authority Authority. The Emergency Loya Jirga will be opened by which is to be established pursuant to this agreement, His Majesty Mohammed Zaher, the former King of Recognizing the need to ensure broad representation in Afghanistan. The Emergency Loya Jirga shall decide on these interim arrangements of all segments of the a Transitional Authority, including a broad-based tran- Afghan population, including groups that have not sitional administration, to lead Afghanistan until such been adequately represented at the UN Talks on time as a fully representative government can be Afghanistan, elected through free and fair elections to be held no Noting that these interim arrangements are intended later than two years from the date of the convening of as a first step toward the establishment of a broad- the Emergency Loya Jirga. based, gender-sensitive, multi-ethnic and fully repre- 5) The Interim Authority shall cease to exist once sentative government, and are not intended to remain the Transitional Authority has been established by the in place beyond the specified period of time, Emergency Loya Jirga. Recognizing that some time maybe required for a new 6) A Constitutional Loya Jirga shall be convened Afghan security force to be fully constituted and within eighteen months of the establishment of the functional and that therefore other security provisions Transitional Authority, in order to adopt a new con- detailed in Annex 1 to this agreement must mean- stitution for Afghanistan. In order to assist the Con- while be put in place, stitutional Loya Jirga prepare the proposed Consti- Considering that the United Nations, as the inter- tution, the Transitional Administration shall, within nationally recognized impartial institution, has a two months of its commencement and with the assis- particularly important role to play, detailed in Annex tance of the United Nations, establish a Constitutional II to this agreement, in the period prior to the estab- Commission. lishment of permanent institutions in Afghanistan, Have agreed as follows:

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II. Legal framework and judicial system composition of Afghanistan and to the importance of the participation of women. 1) The following legal framework shall be applicable 4) No person serving as a member of the Interim on an interim basis until the adoption of the new Con- Administration may simultaneously hold membership stitution referred to above: of the Special Independent Commission for the Con- i) The Constitution of 1964, a/ to the extent that its vening of the Emergency Loya Jirga. provisions are not inconsistent with those contained in this agreement, and b/ with the exception of those B. Procedures provisions relating to the monarchy and to the execu- 1) The Chairman of the Interim Administration, or in tive and legislative bodies provided in the Constitu- his/her absence one of the Vice Chairmen, shall call tion; and and chair meetings and propose the agenda for these ii) existing laws and regulations, to the extent that meetings. they are not inconsistent with this agreement or with 2) The Interim Administration shall endeavour to international legal obligations to which Afghanistan is reach its decisions by consensus. In order for any a party, or with those applicable provisions contained decision to be taken, at least 22 members must be in in the Constitution of 1964, provided that the Interim attendance. If a vote becomes necessary, decisions Authority shall have the power to repeal or amend shall be taken by a majority of the members present those laws and regulations. and voting, unless otherwise stipulated in this agree- 2) The judicial power of Afghanistan shall be inde- ment. The Chairman shall cast the deciding vote in pendent and shall be vested in a Supreme Court of the event that the members are divided equally. Afghanistan, and such other courts as may be estab- lished by the Interim Administration. The Interim C. Functions Administration shall establish, with the assistance of 1) The Interim Administration shall be entrusted with the United Nations, a Judicial Commission to rebuild the day-to-day conduct of the affairs of state, and shall the domestic justice system in accordance with have the right to issue decrees for the peace, order and Islamic principles, international standards, the rule of good government of Afghanistan. law and Afghan legal traditions. 2) The Chairman of the Interim Administration or, in his/her absence, one of the Vice Chairmen shall represent the Interim Administration as appropriate. III. Interim Administration 3) Those members responsible for the administra- tion of individual departments shall also be respon- A. Composition sible for implementing the policies of the Interim 1) The Interim Administration shall be composed of a Administration within their areas of responsibility. Chairman, five Vice Chairman and 24 other members. 4) Upon the official transfer of power, the Interim Each member, except the Chairmen, may head a Administration shall have full jurisdiction over the department of the Interim Administration. printing and delivery of the national currency and 2) The participants in the UN Talks on Afghanistan special drawing rights from international financial have invited His Majesty Mohammed Zaher, the institutions. The Interim Administration shall estab- former King of Afghanistan, to chair the Interim lish, with the assistance of the United Nations, a Administration. His Majesty has indicated that he Central Bank of Afghanistan that will regulate the would prefer that a suitable candidate acceptable to money supply of the country through transparent and the participants be selected as the Chair of the Interim accountable procedures. Administration. 5) The Interim Administration shall establish, with 3) The Chairman, the Vice Chairmen and other the assistance of the United Nations, an independent members of the Interim Administration have been Civil Service Commission to provide the Interim selected by the participants in the UN Talks on Authority and the future Transitional Authority with Afghanistan, as listed in Annex IV to this agreement. shortlists of candidates for key posts in the adminis- The selection has been made on the basis of profes- trative departments, as well as those of governors and sional competence and personal integrity from lists uluswals in order to ensure their competence and submitted by the participants in the UN Talks, with integrity. due regard to the ethnic, geographic and religious

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6) The Interim Administration shall, with the traders, both within the country and in the diaspora. assistance of the United Nations, establish an indepen- The Special Independent Commission will ensure that dent Human Rights Commission, whose responsibili- the attention is paid to the representation in the ties will include human rights monitoring, investi- Emergency Loya Jirga of a significant number of gation of violations of human rights, and develop- women as well as all other segments of the Afghan ment of domestic human rights institutions. The population. Interim Administration may, with the assistance of 3) The Special Independent Commission will pub- the United Nations, also establish any other commis- lish and disseminate the rules and procedures for the sions to review matters not covered in this agreement. convening of the Emergency Loya Jirga at least ten 7) The members of the Interim Administration weeks before the Emergency Loya Jirga convenes, shall abide by a Code of Conduct elaborated in ac- together with the date for its commencement and its cordance with international standards. suggested location and duration. 8) Failure by a member of the Interim Administra- 4) The Special Independent Commission will adopt tion to abide by the provisions of the Code of Conduct and implement procedures for monitoring the process shall lead to his/her suspension from that body. The of nomination of individuals to the Emergency Loya decision to suspend a member shall be taken by a two- Jirga to ensure that the process of indirect election or thirds majority of the membership of the Interim selection is transparent and fair. To pre-empt conflict Administration on the proposal of its Chairman or over nominations, the Special Independent Commis- any of its Vice Chairmen. sion will specify mechanisms for filing of grievances 9) The functions and powers of members of the and rules for arbitration of disputes. Interim Administration will be further elaborated, as 5) The Emergency Loya Jirga will elect a Head of the appropriate, with the assistance of the United Nations. State for the Transitional Administration and will ap- prove proposals for the structure and key personnel of the Transitional Administration. IV. The Special Independent Commission for the Convening of the Emergency Loya Jirga V. Final provisions 1) The Special Independent Commission for the Con- vening of the Emergency Loya Jirga shall be estab- 1) Upon the official transfer of power, all mujahidin, lished within one month of the establishment of the Afghan armed forces and armed groups in the country Interim Authority. The Special Independent Com- shall come under the command and control of the mission will consist of twenty-one members, a number Interim Authority, and be reorganized according to of whom should have expertise in constitutional or the requirements of the new Afghan Security and customary law. The members will be selected from armed forces. lists of candidates submitted by participants in the UN 2) The Interim Authority and the Emergency Loya Talks on Afghanistan as well as Afghan professional Jirga shall act in accordance with basic principles and and civil society groups. The United Nations will assist provisions contained in international instruments on with the establishment and functioning of the com- human rights and international humanitarian law to mission and of a substantial secretariat. which Afghanistan is a party. 2) The Special Independent Commission will have 3) The Interim Authority shall cooperate with the the final authority for determining the procedures for international community in the fight against ter- and the number of people who will participate in the rorism, drugs and organized crime. It shall commit Emergency Loya Jirga. The Special Independent Com- itself to respect international law and maintain peace- mission will draft rules and procedures specifying ful and friendly relations with neighbouring countries (i) criteria for allocation of seats to the settled and and the rest of the international community. nomadic population residing in the country; 4) The Interim Authority and the Special Indepen- (ii) criteria for allocation of seats to the Afghan dent Commission for the Convening of the Emergency refugees living in Iran, Pakistan, and elsewhere, and Loya Jirga will ensure the participation of women as Afghans from the diaspora; (iii) criteria for inclusion well as the equitable representation of all ethnic and of civil society organizations and prominent indivi- religious communities the Interim Administration duals, including Islamic scholars, intellectuals, and and the Emergency Loya Jirga.

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5) All actions taken by the Interim Authority shall Annex I be consistent with Security Council resolution 1378 International Security Force (14 November 2001) and other relevant Security Council resolutions relating to Afghanistan. 1. The participants in the UN Talks on Afghanistan 6) Rules of procedure for the organs established recognize that the responsibility for providing security under the Interim Authority will be elaborated as and law and order throughout the country resides appropriate with the assistance of the United Nations. with the Afghans themselves. To this end, they pledge their commitment to do all within their means and This agreement, of which the annexes constitute an influence to ensure such security, including for all integral part, done in Bonn on this 5th day Of Decem- United Nations and other personnel of international ber 2001 in the English language, shall be the authen- governmental and non-governmental organizations tic text, in a single copy which shall remain deposited deployed in Afghanistan. in the archives of the United Nations. Official texts 2. With this objective in mind, the participants shall be provided in Dari and , and such other request the assistance of the international community languages as the Special Representative of the Secre- in helping the new Afghan authorities in the establish- tary-General may designate. The Special Represen- ment and training of new Afghan security and armed tative of the Secretary-General shall send certified forces. copies in English, Dari and Pashto to each of the 3. Conscious that some time may be required for participants. the new Afghan security and armed forces to be fully constituted and functioning, the participants in the For the participants in the UN Talks on Afghanistan: UN Talks on Afghanistan request the United Nations Ms. Amena Afzali Security Council to consider authorizing the early Mr. S. Hussain Anwari deployment to Afghanistan of a United Nations man- Mr. Hedayat Aniln Arsala dated force. This force will assist in the maintenance Mr. Sayed Hamed Gailani of Security for Kabul and its surrounding areas. Such a Mr. Rahmatullah Mousa Ghazi force could, as appropriate, be progressively expanded Eng. Abdul Hakim to other urban centres and other areas. Mr. Houmayoun Jareer 4. The participants in the UN Talks on Afghanistan Mr. Abbas Karimi pledge to withdraw all military units from Kabul and Mr. Mustafa Kazimi other urban centers or other areas in which the UN Dr. Azizullah Ludin mandated force is deployed. It would also be desirable Mr. Ahmad Wali Massoud if such a force were to assist in the rehabilitation of Mr. Hafizullah Asif Mohseni Afghanistan’s infrastructure. Prof. Mohammad Ishaq Nadiri Mr. Mohammad Natiqi Mr. Yunus Qanooni Annex II Dr. Zalmai Rassoul Role of the United Nations during the Interim Period Mr. H. Mirwais Sadeq Dr. Mohammad Jalil Shams Prof. Abdul Sattar Sirat 1. The Special Representative of the Secretary-General Mr. Humayun Tandar will be responsible for all aspects of the United Mrs. Sima Wali Nations’ work in Afghanistan. General Abdul Rahim Wardak 2. The Special Representative shall monitor and Mr. assist in the implementation of all aspects of this Witnessed for the United Nations by: agreement. Mr. Lakhdar Brahimi 3. The United Nations shall advise the Interim Special Representative of the Secretary-General Authority in establishing a politically neutral environ- for Afghanistan ment conducive to the holding of the Emergency Loya Jirga in free and fair conditions. The United Nations shall pay special attention to the conduct of those bodies and administrative departments which could

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directly influence the convening and outcome of the by the mujahidin in protecting the independence of Emergency Loya Jirga. Afghanistan and the dignity of its people, to take the 4. The Special Representative of the Secretary- necessary measures, in coordination with the Interim General or his/her delegate may be invited to attend Authority, to assist in the reintegration of the muja- the meetings of the Interim Administration and the hidin into the new Afghan security and armed forces; Special Independent Commission on the Convening 5. Invite the United Nations and the international of the Emergency Loya Jirga. community to create a fund to assist the families and 5. If for whatever reason the Interim Administra- other dependents of martyrs and victims of the war, as tion or the Special Independent Commission were well as the war disabled; actively prevented from meeting or unable to reach a 6. Strongly urge that the United Nations, the inter- decision on a matter related to the convening of the national community and regional organizations co- Emergency Loya Jirga, the Special Representative of operate with the Interim Authority to combat inter- the Secretary-General shall, taking into account the national terrorism, cultivation and trafficking of illicit views expressed in the Interim Administration or in drugs and provide Afghan farmers with financial, the Special Independent Commission, use his/her material and technical resources for alternative crop good offices with a view to facilitating a resolution to production. the impasse or a decision. 6. The United Nations shall have the right to in- vestigate human rights violations and, where neces- sary, recommend corrective action. It will also be responsible for the development and implementation of a programme of human rights education to pro- mote respect for and understanding of human rights.

Annex III Request to the United Nations by Participants at the UN Talks on Afghanistan

The participants in the UN Talks on Afghanistan hereby 1. Request that the United Nations and the inter- national community take the necessary measures to guarantee the national sovereignty, territorial integrity and unity of Afghanistan as well as the non- interference by foreign countries in Afghanistan’s internal affairs; 2. Urge the United Nations, the international com- munity, particularly donor countries and multilateral institutions, to reaffirm, strengthen and implement their commitment to assist with the rehabilitation, recovery and reconstruction of Afghanistan, in coordi- nation with the Interim Authority; 3. Request the United Nations to conduct as soon as possible (i) a registration of voters in advance of the general elections that will be held upon the adoption of the new constitution by the constitutional Loya Jirga and (ii) a census of the population of Afghani- stan. 4. Urge the United Nations and the international community, in recognition of the heroic role played

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Annex IV Composition of the Interim Administration

Chairman: Hamid Karzai

Vice-Chairmen: Vice-Chair and Women’s Affairs: Dr. Sima Samar Vice-Chair and Defence: Muhammad Qassem Fahim Vice-Chair and Planning: Haji Muhammad Mohaqqeq Vice-Chair and Water and Electricity: Shaker Kargar Vice-Chair and Finance: Hedayat Amin Arsala

Members: Department of Foreign Affairs: Dr. Abdullah Abdullah Department of the Interior: Muhammad Yunus Qanooni Department of Commerce: Seyyed Mustafa Kazemi Department of Mines and Industries: Muhammad Alem Razm Department of Small Industries: Aref Noorzai Department of Information and Culture: Dr. Raheen Makhdoom Department of Communicatjon: Ing. Abdul Rahim Department of Labour and Social Affairs: Mir Wais Sadeq Department of Hajj and Auqaf: Mohammad Hanif Hanif Balkhi Department of Martyrs and Disabled: Abdullah Wardak Department of Education: Abdul Rassoul Amin Department of Higher Education: Dr. Sharif Faez Department of Public Healh: Dr. Suhaila Seddiqi Department of Public Works: Abdul Khalig Fazal Department of Rural Development: Abdul Malik Anwar Department of Urban Development: Haji Abdul Qadir Department of Reconstruction: Amin Farhang Department of Transport: Sultan Hamid Hamid Department for the Return of Refugees: Enayatullah Nazeri Department of Agriculture: Seyyed Hussein Anwari Department of Irrigation: Haji Mangal Hussein Department of Justice: Abdul Rahim Karimi Department of Air Transport and Tourism: Abdul Rahman Department of Border Affairs: Amanullah Zadran

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Transitional Authority: Kabinett

Hamid Karzai Ayatullah Haji Mohammad Mohaqqeq Paschtune Hazara, Schiit Präsident Planungsminister

General Mohammad Quasim Fahim Dr. Sayed Makhum Rahim Tadschike; früher Nordallianz Tadschike Verteidigungsminister und erster Vizepräsident Minister für Information und Kultur

Abdul Qadir Mohammad Masoum Stanakzai Paschtune; früher Nordallianz Paschtune Minister für Öffentliche Arbeiten und Minister für Kommunikation dritter Vizepräsident (am 6.7.2002 ermordet) Dr. S. Mohammad Amin Farhang Karim Khalili Paschtune Hazara, Schiit; früher Nordallianz Minister für Wiederaufbau Stellvertreter Präsident Karzais und zweiter Vizepräsident Hazara Prof. Dr. Neamatulla Sharani Ministerin für Frauenfragen Stellvertreter Präsident Karzais Ahmad Shaker Kargar Hedayat Amin Arsala Usbeke Stellvertreter Präsident Karzais und verantwortlich Minister für Wasser und Elektrizität für die Kommission für administrative Reformen Ing. Mohammad Yousuf Dr. Abdullah Abdullah Paschtune Tadschike Minister für städtische Angelegenheiten Außenminister Dr. Sharif Fayez Mohammad Younis Qanooni Tadschike Tadschike Minister für Höhere Bildung Berater des Präsidenten für innere Sicherheit und Erziehungsminister Mohammad Arif Noorzai Paschtune Taj Mohammad Wardak Minister für Grenzgebiete Paschtune Innenminister Enayatullah Nazari Tadschike Dr. Ashraf Ghani Minister für Flüchtlinge Paschtune; früher Weltbank Wirtschafts- und Finanzminister Mohammad Alim Razim Usbeke Abdul Rahim Karimi Minister für Leichtindustrie Usbeke Justizminister Ing. Juma Mohammad Mohammedi Paschtune; früher Weltbank Minister für Minen und Schwerindustrie

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38 Abkürzungen

Dr. Soheila Siddiq Mawlawi Fazl-ul-Hadi Shinwari Paschtunin Oberster Richter am Supreme Court Gesundheitsministerin Dr. Abdullah Ali Syed Mustafa Kasemi Neuer Minister für Öffentliche Arbeiten, Tadschike, Schiit Nachfolger des ermordeten Haji Qadir Handelsminister

Sayed Hussain Anwari Quellen: Botschaft des Transitional Islamic State of Afghanistan, Berlin, Tadschike, Schiit 6.7.2002; www.eurasianet.org/loya.jirga/cabinet.shtml. Landwirtschaftsminister

Mohammed Admin Nasiryar Paschtune Abkürzungen Minister für Pilgerfahrten (Hadsch) und Religionsfragen ADB Asian Development Bank BBC British Broadcasting Corporation CNN Cable News Network Noor Mohammad Qarqeen EU Europäische Union Turkmene FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung Minister für Arbeit und Soziales GTZ Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit ICG International Crisis Group Dr. Ahmad Yousuf Nuristani IHT The International Herald Tribune ISAF International Security Assistance Force Nuristani NZZ Neue Zürcher Zeitung Minister für Bewässerung und Umwelt SRSG Special Representative of the Secretary-General SZ Süddeutsche Zeitung Abdullah Wardak UNAMA United Nations Assistance Mission in Afghanistan Paschtune UN United Nations Minister für Märtyrer und Invaliden

Syed Ali Jawed Tadschike, Schiit Transportminister

Hanif Atmar Paschtune Minister für Ländliche Entwicklung

Mir Wais Sadiq Tadschike, Herat Minister für zivile Luftfahrt und Tourismus

Dr. Mahoba Hoqoqmal Staatsministerin für Frauen

Zalmai Rasul Berater von Präsident Karzai in Fragen nationaler Sicherheit

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