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GDR Bulletin

Volume 21 Issue 2 Fall Article 1

1994

"And the Beat Goes On": Die und der neue Realismus in der DDR

Gerrit-Jan Berendse University of Canterbury

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Recommended Citation Berendse, Gerrit-Jan (1994) ""And the Beat Goes On": Die Beat Generation und der neue Realismus in der DDR," GDR Bulletin: Vol. 21: Iss. 2. https://doi.org/10.4148/gdrb.v21i2.1135

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GERRIT-JAN BERENDSE University of Canterbury

"AND THE BEAT GOES ON": Die Beat Generation und der neue Realismus in der DDR

Um einen Monat haben sie sich verpaßt: William S. Museen und Galerien den Bezug zur amerikanischen Burroughs und Wolf Biermann—an der Grenzanlage, Wirklichkeit der Nachkriegszeit verloren. Diese hätte die Ost- und West-Berlin einst trennte. Im Dezember sich hinter der Fassade des Ästhetizismus versteckt, so 1976 besuchte Burroughs Berlin, wo sich Biermann die Neutöner. Die Alternativen hießen u.a. Walt bekanntlich seit November nicht mehr aufhielt. Auf Whitman, Henry David Thoreau, Hermann Hesse und die Frage von Christopher Isherwood, welchen Kurt Schwitters, aber auch Buddha, die Jazz- Eindruck er von seinem ersten Besuch in der geteilten Trompeter und die drogenabhängigen Penner auf dem Stadt habe, antwortete sein amerikanischer Kollege Times Square.3 Burroughs entwickelte zusammen mit lakonisch: "Ich sah mir die Mauer an. Der Streifen dem Maler Schreibtechniken des "cut- zwischen Ost und West wird von Tausenden von up" und "fold-in" und versuchte, Realien der Kaninchen bevölkert."1 Diese unpolitische Mauer- amerikanischen Gesellschaft neu zusammenzustellen. Betrachtung und die Tatsache, daß sich Biermann und Auch in der Beat-Lyrik setzte ein Wechsel der Burroughs Ende 1976 nicht begegnet sind, heißt Perspektive ein. Ginsbergs Anti-Hymne "Howl" ist nicht, daß die Beat-Einflüsse nicht schon längst ihren das bekannteste Beispiel für die Lust, Weg über die Mauer gefunden hätten. Diese waren Protestbewegung, "factual style" und neue Helden in gegen den Widerstand der Kulturfunktionäre in den Szene zu setzen: sechziger Jahren (wie in fast jedem Land) importiert und damals von etwa Wolf Biermann, aber ebenfalls Ich sah die besten Geister meiner 2 Uwe Greßmann, aufgegriffen worden. Ohne daß sie Generation vom jemals einen Beat-Autor zitiert hätten, war der Wahnsinn zerstört, hungernd in Einfluß der Nordamerikaner groß. Die Rezeption war hysterischer Nacktheit, eine strategische, die sich auf unterschiedliche Weise Sie schleppten sich durch die Straßen der gegen die Konventionen des sozialistischen Realismus Neger beim absetzte. Morgengrauen suchend nach zorniger William S. Burroughs war der Pate des Bedrängnis, literarischen Zweigs der Beat Generation, obwohl er Engelköpfige hipster verbrannten für den jegliche artistische Beziehung zwischen ihm und zum alten Beispiel seinen Freunden und Jack himmlischen Anschluß an die sternigen Kerouac grundsätzlich ablehnte. In den sechziger Dynamo Jahren attackierte er mit Romanen wie in der Maschinerie der Nacht (. . .)4 (1959), (1961), (1964) und The Wild Boys (1969) den literarischen Die öfter als Einzug des amerikanischen Modernismus in den USA. Sein Umfeld war eine Postmodernismus bezeichnete Beat-Literatur war in Gegenkultur, die sich Beat, später Hip oder Pop erster Linie eine gegen den Status quo der "Squares" nannte. Dieser Anti-Modernismus, vorangetrieben gerichtete Anti-Haltung mit jugendlichem Elan.5 von einer Vorliebe für die Arbeiten von Ezra Pound Diesen Willen, den alten, pervertierten und einer Kritik an T.S. Eliot, hatte Burroughs Realismus in eine neue literarische Wertung der allerdings mit Ginsberg, Kerouac, aber auch vorgefundenen Realität zu transformieren, griff Wolf Lawrence Ferlinghetti und Gregory Corso gemein. Sie Biermann auf. Seine Rebellion setzte Anfang der suchten nach Alternativen in der kulturellen sechziger Jahre als Reaktion auf die Bemühungen der Tradition, um sich gegen einen vom amerikanischen DDR-Kulturpolitik, die Literatur und Kunst in starre Kunst-Establishment pervertierten Realismus stalinistische Bahnen zu lenken, ein. Er wetterte etwa abzusetzen. Der "Moloch" Modernismus hatte im mit seiner ersten, in West-Berlin erschienenen Kanon der literarischen Schulen und Akademien, der Publikation Die Drahtharfe (1965) gegen die

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Vorherrschaft einer Vormoderne, die Bitterfelder Der Text, "an die alten Genossen," erinnert an die Wege ging und mit dem Bau der Mauer die Vielfalt anspruchsvollen Gedichte von Volker Braun der Traditionslinien der literarischen Moderne ("Provokation fur mich") und Rainer Kirsch ("Meinen blockierte. Seine Anti-Vormoderne introduzierte Freunden, den alten Genossen") aus jener Zeit. Sie literarische Abweichler wie Heinrich Heine, Friedrich üben sich ebenfalls im Grenzüberschreiten der Hölderlin, Georg Büchner und Francois Villon, aber Gefuhlslagen. auch den Postboten, die Verkäuferin und die Männer Ein anderer, heute fast vergessener, Vagant war von der Müllabfuhr in der Hauptstadt Berlin. Der Uwe Greßmann. Er verkörperte in den sechziger unmittelbare Einfluß liegt in der Themenwahl der Jahren sowohl den literarischen als auch den realen, Texte, die in der DDR der Sechziger ebenso tabu oder wie Hans Mayer schrieb: den intentionalen und waren, wie in den USA zehn Jahre davor: die existentiellen Außenseiter.7 Wie viele Autoren der Relativierung der Souvereinität des eigenen Staates Beat Generation ging er in der Nachkriegszeit auf die (sprich: Mauer-Thema), Sexualität, Herumtreiberei Suche nach einer "zweiten Welt." Die fand er, indem und Jazz-Musik. Einer der wichtigsten Leistungen der er Alltagserfahrungen und surreale Visionen schreibenden Beats wurde auch von Biermann kombinierte. Als Bote einer Berliner eingesetzt, nämlich die Befreiung des Ich aus der Welt Handelsorganisation durchstreifte Greßmann die der Fiktion. In dem als "Rücksichtslose Schimpferei" Viertel Mitte und Prenzlauer Berg, als Schriftsteller bezeichneten Text heißt es eingangs: "Ich Ich Ich / bin bewegte er sich in seiner Kosmogonie, in der sein voll Haß."6 Die radikale subjektive Sicht auf die Vogel Frühling, Faust, Gott und der Teufel Dinge ermöglichte einen direkteren Zugriff auf gleichzeitig regierten. Allerdings fällt bei ihm eine Realien, die nicht mehr als Abstrakta eingestuft Trennung zwischen Empirie und Fiktion nicht immer werden konnten. Diese Faktizität hinterließ in den leicht. Nachdem Biermann in der DDR mundtot "Buckower Balladen" ihre Spuren, als Biermann gemacht, andere leiser gestimmt wurden, ließ sich Oberflächenphänomene im Biotop DDR aus Greßmann nicht von seinen Weltentwürfen abhalten. analytischer, fast soziologischer Sicht analysierte. Die Devianz seiner zu Lebzeiten nur sporadisch Darin versucht er Außenseitertypen wie den veröffentlichten Gedichte wurde nicht als allzu riskant Drainage-Leger Fredi Rohsmeisl und angetrunkene eingeschätzt, vielleicht weil sie nichts mit dem Halbstarke gegen die Schönfärberei der Parteibonzen Realexistierenden zu tun haben schienen. 1965 wurde (die "Squares" der DDR) auszuspielen. Die es ihm sogar finanziell ermöglicht, freischaffend zu Demaskierung des "neuen Menschentypus" war ein werden. Ein paar Jahre später bekam er eine neue Versuch, eine alternative Geschichte der DDR zu Wohnung und einen Sitz im Deutschen schreiben. Die Außenseitertypen wurden vor allem im Schriftstellerverband. Bis zu seinem Tod, 1969, Urbanen aufgefunden und in den Liedern besungen— arbeitete er an seinem Vorhaben, Berliner Urbanität Biermanns Streifzüge durch die Großstadtviertel mit seinem kosmogonischen Entwürfen zu waren zahlreich. In seinen Chroniken aus den kombinieren. Ein Brief zum Entwurf des dann erst Berliner Stadtteilen Mitte und Prenzlauer Berg gab er 1978 erschienenen Poesiealbums gibt noch einmal dem Volk eine eigene Stimme. Eine eher Einblicke in seine Phantasien: konventionelle Schreibweise wählend, wurden Realien aus der DDR berichtet, die nicht das Prädikat "sozialistisch" verdienten. Schon der Versuch in Die Den Gegenstand des Titels bilden Kosmos Drahtharfe, der euphorischen Aufbau-Rhetorik in die und Stadt, wobei gesagt sein will: von Rede zu fallen, war Abweichung genug: welcher Seite aus wir die Stadt gleich dem Kosmos auch sehen; ob wir also die Räume eines Hauses betreten, uns darin häuslich Die Gegenwart, euch niederlassen und feststellen: ja das ist der Süßes Ziel all jener bittren Jahre Raum mit seinen möglichen Grenzen Ist mir der bittre Anfang nur, schreit (nämlich Wänden, Fenster . . .) oder ob wir Nach Veränderung. Voll Ungeduld nachts auf der Straße das Sternbild "rotes Stürz ich mich in die Kämpfe der Klassen, Rathaus" mit eckigen Sternen schon von die neueren, die weiten leuchten sehen . . . hier wie da Wenn schon ein Feld von Leichen nicht können wir die Beobachtung machen: daß So doch ein wüstes Feld der Leiden wir Weite und Nähe des Alls schon in schaffen. wohnlicher Umgebung erleben können, ohne daß wir gezwungen wären, die Erde zu verlassen.8 https://newprairiepress.org/gdr/vol21/iss2/1 DOI: 10.4148/gdrb.v21i2.1135 2 Berendse: "And the Beat Goes On": Die Beat Generation und der neue Realismu

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Die Kombination von Realem und Phantasie erklärte angeblich Indiz genug, daß es hier um einen Angriff Elke Erb 1968 mit Greßmanns natürlicher Begabung, auf den Staat ging. die Welt aus kindlicher Optik zu observieren. Die Der Anglist Martin Lehnert bestätigt, daß der Kategorie der Naivität setzt eine reine, von Dogmen Kulturimport aus den Vereinigten Staaten und ungetrübte Sicht auf die Welt voraus, die bei Großbritannien von Anfang an rege war und der Greßmann keineswegs immer im Verschwommenen fremdländische Sprachgebrauch als unpassend und Traumhaften versandet. Aus bislang erfahren wurde. In den fünfziger Jahren wurde die unveröffentlichten, in der Berliner Akademie der englische Sprache von einigen Übereifrigen als Künste archivierten Gedichten aus dem sogenannten "imperialistische Sprache" gebrandmarkt, die "Schiida"-Zyklus geht hervor, daß Greßmann so naiv ungezielt und ungesteuert über die Westmedien in die nicht war, wenn es sich um die kulturpolitische DDR käme. Später gab es gezielte und gesteuerte Realität der Sechziger handelt: Aufnahmen in den Bereichen Technik und Wirtschaft: ein "Sachimport," der einen Aber Herr Walther "Sprachimport" nach sich zog.11 Es ist aber vor allem Hielt eine Draht-Harfe der Einfluß der sogenannten Beat-Musik, die den Wie ein Kindchen auf dem Schoß Kulturfunktionären Kopfzerbrechen bereitete, denn Und sang und sprach zu ihm: die war zwar unpolitisch, entsprach aber nicht den O Kleines mein 1958 aufgestellten Zehn Geboten der sozialistischen Spiel ich mit dir Moral. Lehnen hierzu allgemein: Ja deinen kitzeligen Saiten Ist mir als wären die Töne Einen großen Reiz und eine bedeutende Die du da von dir gibst nicht kreischen Anziehungskraft übten von Anfang an die Sondern klingen von Zechern (anglo-) amerikanische Musik und Und deren hochgehaltenen Bechern Tanzmusik samt ihrer Terminologie Und schäumt das Bier man so(lchen) besonders auf die Jugend in der DDR aus. Von Leidenschaft über Von ihrer Begeisterung wurden bald auch (...)9 viele Ältere ergriffen. Doch wurden auch sehr früh schon kritische Stimmen laut.12 Diese surrealistisch verzerrte Reflektion Greßmanns trat ins Fettnäpfchen der damaligen Kulturpolitik: Der Musikwissenschaftler Olaf Leitner schreibt in eine "Unperson" hat ja nichts in der Kneipe der DDR- seinem Standardwerk Rockszene DDR (1983), daß die Helden zu suchen. Greßmann war damit einer der Geschichte der Beatmusik in der DDR mit der Häretiker, die der surrealistischen Fraktion der US- internationalen Ausbreitung des Beat Ende 1963 Beatniks zum Vorbild gemacht hatten. Ketzerisch begann. Beat wurde im umzäunten Staat verteufelt, waren nicht die politischen Aussagen, auch nicht das u.a. als Reaktion auf Ausschreitungen während Dickicht lyrischer Formexperimente, sondern eine Rockkonzerte in Westdeutschland (etwa während des Korrektur des Menschenbildes, in dem das Konzerts der Rolling Stones 1965).13 Im sauberen Hedonistische gepredigt wurde. Die Wollust war auch Staat sollte die Beatmusik verbannt werden. Auf dem den Beats nicht fremd. Vor allem Jack Kerouac und 11. Plenum des ZK der SED 1965 sagte Erich Allen Ginsberg beschrieben im Zeichen Dionysis' die Honecker: "Sie wurde als musikalischer Ausdruck des emotionale Welt der von heißen und kalten Kriegen Zeitalters der technischen Revolution 'entdeckt'. geschädigten Jugend. Zu dieser von Susan Sontag Dabei wurde übersehen, daß der Gegner diese Art bezeichneten "Neuen Subjektivität" gehörte ebenfalls Musik ausnutzt, um (. . .) Jugendliche zu Exzessen das Interesse für die neuen Jazzrhythmen in den New aufzuputschen."14 Beatanhänger wurden als Yorker Clubs. Aus dem Musikbereich soll übrigens potentielle Staatsfeinde und Kriminelle verleumdet: das Wort "Beat" herzuleiten sein. Biermann "In aller Genauigkeit schilderte die Presse Straftaten, verknüpfte die heißen Rhythmen mit dem DDR-Alltag die angeblich im Zeichen des Beat verübt worden der sechziger Jahre u.a. in der "Ballade vom Postboten waren. Die Palette der Delikte, die man Musikern und Kutte": "Wenn sein Kofferradio immerzu die heißen Fans unterschob, reichte von Rowdytum, Sachen spielte."10 Die Kulturbehörden brauchten Zusammenrottung, Gewaltverbrechen, staats• nicht die Literatur zur Ablehnung des Beat, denn der feindlicher Propaganda bis zu maßloser Import der kulturellen Phänomene Musik und Bereicherungssucht und Diebstahl."15 Einer der "slang," der amerikanische Terminus an sich, war Propagandalosungen lautete: "Heute Beat—morgen Maschinenpistolen und Helme." Schon elf Tage nach

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dem Bau der Mauer trat die "Verordnung über die Die Literatur der Beatniks war Mitte der sechziger Aufenthaltsbeschränkung" in Kraft, die es der Polizei Jahre nicht nur im Westen feuilletonreif. Die u.a. ermöglichte, Musikgruppen und ihre Anhänger Nachricht, daß sich Ginsberg 1965 in Moskau und aus bestimmten Orten und Jugendclubs Prag aufhielt, ging um die Welt. In der fernzuhalten.16 Durch Eindeutschung wurde versucht, tschechoslowakischen Hauptstadt wurde der Beat, der für Rock oder Pop stand, zu verharmlosen. Friedenskämpfer von den Studenten sogar zum Mai- Eine DDR-spezifische "Beat"-Musik wurde König ausgerufen.18 Im Zuge seiner Reisen in die zugelassen, eingedeutscht von Gruppen wie Sputniks, Sowjetunion kam es zu gemeinsamen Auftritten und Franke-Echo-Quintett, The Butlers (später: Renft- Arbeiten zwischen ihm und Autoren der sogenannten Combo). Das Nachspielen, das in der DDR immer russischen "Neuen Welle" das sind Andrey wieder diskutierte Kopieren anglo-amerikanischer Wosnetzenski, Bulat Okudschawa, Jewgeni Originale, hatte Ersatzftinktion: Da man die Beatles, Jewtuschenko u.a. Schon Ende der fünfziger Jahre Jethro Tull, Emerson, Lake & Palmer nicht im sorgten die Prozesse gegen Ginsbergs Gedicht "Howl" Konzert erleben konnte, wurde den DDR-Gruppen und Burroughs' Roman Naked Lunch für eine Stellvertreterfunktion abverlangt. Schlagzeilen, weil sie mit der Genehmigung ihrer Die in den sechziger Jahren gängige satanischen Verse auf einen Schlag die Fragen der Redewendung unter Jugendlichen, "Wie der Feind," Moral neu beantworteten. Was die DDR betraf, was so viel wie "prima," "ausgezeichnet" hieß, läßt erschien 1965 ein Artikel von Robert Weimann in die Anziehungskraft des Verbotenen ermessen, dessen Sinn und Form mit dem Titel "Allen Ginsberg und Aktualität die Tagesordnungen der SED- und ZK- das geschlagene Glück Amerikas. Beat-Lyrik Versammlungen durcheinanderbrachte. Beat hatte zwischen Anarchie und Engagement."19 in dem der hier nichts mit Beat Generation, also mit Literatur zu Anglist haargenau die Diskrepanz zwischen Geist und tun, eher mit Beatles, ihren Fanclubs und den Macht beschrieb, allerdings nur bezogen auf die USA, Gegenkulturen, die gegen die Verharmlosung des ohne die damals angespannte Situation im eigenen Beat waren. Wenn auf dem 11. Plenum von Land zu reflektieren. Biermanns Liedern die Rede war, dann in Die gefürchtete Diskrepanz zwischen Staat und Zusammenhang mit einer generellen Ablehnung des Kunst nötigte die Kulturfunktionäre, die sogenannte Einflusses westlichen "Schunds." Walther Ulbricht Lyrikwelle zu stoppen. U.a. Volker Braun, Sarah und leugnet zwar, daß es sich 1965 um eine Literatur- Rainer Kirsch, Uwe Greßmann, Bernd Jentzsch, Karl Debatte handelte, rückte Biermann jedoch scharfen Mickel und Wolf Biermann standen seit der Auges in die Nähe der Beat Generation. Lyrikwelle im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Lyrikwelle setzte ein, als Stephan Hermlin am 12. Einige Genossen versuchten den Eindruck Dezember 1962 an der Akademie der Künste in Ost- zu erwecken, als ob eine Diskussion über Berlin fast fünfzig Gedichte damals unbekannter, die Fragen der Literatur begonnen hätte. junger Dichter vorlas. Es war die DDR-Variante der Aber das stimmt nicht. Die Diskussion hat "Poetry Reading at Six Gallery" 1955 in San über ein ganz anderes Thema begonnen. Francisco, die Ginsberg, Gary Snyder, Michael Die Diskussion begann über das Thema der McClure, Philip Whalen und die Beats überhaupt Sauberkeit in der Deutschen Demokra• bekannt gemacht haben. Die Reaktionen auf die tischen Republik, begann über das Thema, Akademie-Lesung waren negativ, weil die Lyriker der ob die Beat-Gruppen und ob die Sex- später so genannten Sächsischen Dichterschule vom Propaganda, die systematisch nach drei Jahre vorher abgesegneten Bitterfelder Weg amerikanischem Vorbild betrieben wurde, abwichen. ob das die Richtung der Entwicklung der Das geschlagene Glück (= Beat), wie es in einer Kultur ist. (. . .) In dieser Schmutzlinie Kritik in der Berliner Zeitung Sonntag hieß20, wurde haben sich Biermann und einige andere nach der Blockierung der Lyrikwelle allerdings hineingeschoben und haben Politik Bestandteil vieler Texte, die trotz allem ihren Weg gemacht. Wessen Politik? Es handelt sich zum Verlag fanden. Brauns Provokation fur mich um den Kreis Havemann, Heym, Biermann (1965) wurden Kulttexte der "Ost-Beatniks" und—ich möchte jetzt die weiteren Namen (Czechowski). Im Schatten dieses auch im Westen nicht nennen, das kann man später bekannt gewordenen Lyrikbands schrieb der junge nachholen.17 Student Sonette, die erst 1989 in Annatomie auf den Markt kamen. Darin wird ebenfalls ein "freier" Lebensstil, ein Leben "On the Road" und ein https://newprairiepress.org/gdr/vol21/iss2/1 DOI: 10.4148/gdrb.v21i2.1135 4 Berendse: "And the Beat Goes On": Die Beat Generation und der neue Realismu

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abwechlungsreiches Hin und her zwischen Länd• lichkeit und Urbanität propagiert. Ja geh Ich hol mir mit dem Theodor Roszak reflektierte 1969 die Macht der Straßenpumpenschwengel Gegenkulturen, wenn sie nicht ihre Grenzen zur Zum Trost die Stimmen jener zweiten Stadt nationalen Kultur schliessen, sondern Öffnungen nach oben anbieten. Die soziale Relevanz dieser Subkulturen sah Der Rattennacht Ja geh mein ausgedienter er insbesondere für auf technologische Fortschritte Engel fixierte (also aller) Industrienationen in der Nich Dich die Stadt der Ratten will ich Beschreibung einer "zweiten Wirklichkeit," die, auf künftig loben die damalige USA bezogen, metaphysischer Art war: Einwohner zählt die hundertmalachthunderttausend An eclectic taste for mystic, occult, and Und tolle Tage immer und Massaker toben magical phenomena has been a marked Durch Katakombe und Kanal Kloake haracteristic of our postwar youth culture brausend since the days of the beatniks.21 Der riesigenRattenheer e Hin- und Hergefetze Wie David Halberstam 1993 in seinem Buch The Gleich Bombensplittern Glut und Wut und Fifties eindrucksvoll schildert, hatten neue Ereignisse Blut zersausend in den Bereichen Film, bildende Kunst, Literatur und Der Ratten Krieg um Zuzug Schlupfloch Sport größere Einwirkungen auf den Alltag der Fraß und Metze Amerikaner als politische Reden oder Ich lausch entzückt dem Goal wenn sie gut Gesetzesänderungen. Der neue Elan, der hiervon zugebissen ausging und mit Veränderungswillen einherging, Wie fern ja geh die Welt der sorgte dafür, daß der Jugendprotest nicht mehr mit der Alexanderplätze Bezeichnung "Sturm-und-Drang-Phase" verharmlost Mich laß die Rattenschnauze die hier werden konnte, sondern daß sie Utopien des neuen meine hissen Realismus bereithielten. Die Kluft zwischen konservativen und progressiven Kräften schien damit 1965/1979 unüberwindbar geworden, wobei sich das Progessive nicht außerhalb des Kultursystems befand, sondern "Ich hol mir (. . .) die Stimmen der zweiten Stadt ihm eine Alternative anbot. Die Dominanz der Beat- nach oben." Die zweite Stadt ist die zweite, die Kultur zielte nach innen. Nach außen hin hatte jene Unterwelt, bevölkert von Außenseitern. Auffallend an kulturelle Transformation, die die Beat Generation in dieser Betrachtungsweise ist, daß Endler die Sub- den Fünfzigern startete, weitreichenden Einfluß auf Kultur nicht schließt, sondern öffnet. Etwas, was viele die mondiale Kultur, auch Jahrzehnte nach ihrem Prenzlauer-Berg-Bewohner in ihrer Literatur der Höhepunkt, wie Studien zur Rezeption der Beat Achtziger versäumten zu tun. Er macht die Generation auf die britische, japanische und russische Erfahrungen der sechziger Jahre für die Jüngeren in Literatur bestätigen. Die Anti-Haltung der "counter den siebziger und achtziger Jahren produktiv. Sie culture" war in der Lage, auch in sozialistischen nahmen es, wie wir wissen, allerdings nur zögernd an. Gesellschaften, die nach dem Zweiten Weltkrieg wie die kapitalistischen in ihrer technokratischen Euphorie Alternativen auszuschliessen drohten, produktiv eingesetzt zu werden. Vielleicht war der Verzicht auf radikale Dissens bei der Bewältigung kultureller Krisen einer der wichtigsten Gründe dafür,

daß die Beat Generation solch einen großen Anklang 1 22 Literaturmagazin 8. Die Sprache des Großen bei vielen DDR-Autoren fand —auch, und das wäre Bruders. Gibt es ein ost-westliches Kartell der eine weitere Untersuchung wert, fünfzehn Jahre später in der Kunstszene im Prenzlauer Berg. Adolf Endler Unterdrückung. Hg. Nicolas Bora und Jürgen stünde für diese Kontinuität des Beat-Seins in der Manthey (Reinbek: Rowohlt, 1977) 315. 2 DDR Pate. Er machte schon 1965 in einem Gedicht Einflüsse in Japan, der Sowjetunion, England, die "zweite Wirklichkeit" transparent. Bundesrepublik Deutschland sind bekannt und Bezeichnenderweise korrigierte er es im Jahre 1979.23 beschrieben. Siehe: Gene Feldman und Max Gartenberg, Hg. The Beat Generation and the Angry Young Men (Free Port, NY: Books for Libraries Press,

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1971) [Reprint 1958]; Sanehide Kodama, American 15 Michael Rauhut, "DDR-Beatmusik zwischen Poetry and Japanese Culture (Hamden: Archon Book, Engagement und Repression." Kahlschlag. Das 11. 1984); Inger Thorup Lauridsen und Per Dalgard, The Plenum des ZK der SED 1965. Studien und Beat Generation and the Russian New Wave (Ann Dokumente. Hg. Günter Agde (Berlin: Aufbau Arbor: Ardis, 1990). Taschenbuch Verlag, 1991) 61. 3 Andreas Huyssen, After the Great Divide. 16 Horst Grunert, "Aspekte internationaler Modernism, Mass Culture, Postmodernism. Entwicklung." In: Kahlschlag, 33-36. (Bloomington and Indianapolis: Indiana UP, 1986) 17 Walter Ulbricht, "Schlußwort auf der 11. Tagung 189-195. des ZK der SED 1965." In: Ebd. 348f. 4 Allen Ginsberg, "Howl." Übersetzung von Robert 18 Jennie Skerl, "A Beat Chronology: The First Weimann ,1965. Twenty-five Years, 1944-1969." The Beats: Literary 5 Hans Bertens, Antimodernism (unveröffentlichtes Bohemians in Postwar America. Hg. Anne Charters. 2 Manuskript, 1994). Volumes. Dictionary of Literary Biographies. Vol. 16. 6 Wolf Biermann, Die Drahtharfe. Balladen, (Detroit: Bruccoli Clark Books, 1983) 604: "Ginsberg Gedichte, Lieder (Berlin: Wagenbach, 1965/ 67 / 69). travels in Cuba, Europe, the United States. Proclaimed 7 Hans Mayer, Außenseiter (Frankfurt a. M.: King of the May in Prague. Becomes involved in Suhrkamp, 1975). antiwar movement." Siehe auch Gedichte in 8 Entwurf eines Briefes an Frau Butte-Simons vom Sammlung "King of May: America to Europa" (1963- 20.4.1969 (Archiv der Akademie der Künste, Berlin). 1965) + Foto in Ginsbergs Collected Poems 1947- 9Ebd. 1980 (New York: Harper & Row, 1988) 774. 10 Wolf Biermann, Alle Lieder (Köln: Kiepenheuer & 19 Robert Weimann, "Allen Ginsberg und das Witsch, 1991)51. geschlagene Glück Amerikas. Beat-Lyrik zwischen 11 Martin Lehnert, Anglo-Amerikanistisches im Anarchie und Engagement." Sinn und Form 5 (1965): Sprachgebrauch der DDR. (Berlin: Akademie- 718-732. Verlag, 1990). 20 Gudrun Geißler, "Stephan Hermlin und die junge 12Ebd., 91. Kritisch war etwa der DDR-Komponist Lyrik." Kahlschlag, 218. Ernst Hermann Meyer. Positiv hingegen war Hanns 21 Theodor Roszak, The Making of a Counter Culture. Eisler, z.B. in seinem Beitrag "Über den Jazz" (1956): Reflections on the Technocratic Society and its Jazz als Unterstützung bei der Lösung von Problemen Youthful Opposition (Garden City: Anchor Books, unter Jugendlichen. Siehe dazu weiter: Hans Bunge 1969) 125. im Gespräch mit Hanns Eisler (1961, 6. Gespräch): 22 Vgl. David Halberstam, The Fifties (New York: "Unsere jungen Leute tanzen gerne Boogie-Woogie. Villard Books, 1993). Wir sind politisch dagegen. Aber ästhetisch siegen die 23 In: Adolf Endler, Randlage Nr. 13 (Berlin: jungen Leute, weil sie gerne danach tanzen. Wir amBeation, 1980). haben das gar nicht notwendig. Wir haben so große Vorzüge als Kommunisten und Sozialisten, daß es nicht notwendig ist, jeden Dreck zu politisieren und ihn abzumessen, ob er nun unserer Weltanschauung entspricht. Das ist einfach Schwachsinn. (...) daß mit diesem Boogie-Woogie—heute heißt das irgendwie anders—der Amerikanismus eingschleust wird. Das ist völlig richtig. Aber man kann den Amerikanismus nicht ästhetisch bekämpfen, sondern nur politisch." In: Hanns Eisler, Gespräche mit Hans Bunge. Fragen Sie mehr über Brecht (Leipzig: VEB Deutscher Verlag für Musik, 1975) 155f. 13 Vgl. Olaf Leitner, Rockszene DDR. Aspekte einer Massenkultur im Sozialismus (Reinbek: Rowohlt, 1983) 47. 14 Ebd., 53. Eine Überschrift in der Leipziger Volkszeitung aus der Zeit lautete: "Heute Beat— morgen Maschinenpistolen und Helme."

https://newprairiepress.org/gdr/vol21/iss2/1 DOI: 10.4148/gdrb.v21i2.1135 6