Plenarprotokoll 19/138

Deutscher

Stenografischer Bericht

138. Sitzung

Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 21: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadt- Vereinbarte Debatte: Zwischenbilanz der En- entwicklung und Kommunen zu dem An- quete-Kommission „Künstliche Intelligenz – trag der Abgeordneten Udo Theodor Gesellschaftliche Verantwortung und wirt- Hemmelgarn, , Frank schaftliche, soziale und ökologische Poten- ziale“ Magnitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Anpassung des öffent- René Röspel (SPD) ...... 17233 B lichen Baurechts zur Bekämpfung der (AfD) ...... 17234 C Obdachlosigkeit Drucksachen 19/7717, 19/9571 ...... 17247 A (CDU/CSU) ...... 17235 C Marc Bernhard (AfD) ...... 17247 A (Südpfalz) (FDP) ...... 17236 C (CDU/CSU) ...... 17248 A Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE) ...... 17237 C Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) . 17249 A (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 17250 A DIE GRÜNEN) ...... 17238 B (DIE LINKE) ...... 17251 B (SPD) ...... 17239 A (AfD) ...... 17253 A (AfD) ...... 17240 A Caren Lay (DIE LINKE) ...... 17253 B (CDU/CSU) ...... 17240 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ (FDP) ...... 17241 D DIE GRÜNEN) ...... 17253 C (DIE LINKE) ...... 17242 C (CDU/CSU) ...... 17254 C Udo Theodor Hemmelgarn (AfD) ...... 17256 A Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17243 B (SPD) ...... 17256 D (CDU/CSU) ...... 17244 A (FDP) ...... 17257 D (SPD) ...... 17245 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hansjörg Durz (CDU/CSU) ...... 17245 D (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 17258 C Karsten Möring (CDU/CSU) ...... 17260 A (SPD) ...... 17261 C Tagesordnungspunkt 22: a) Antrag der Abgeordneten Marc Bernhard, Udo Theodor Hemmelgarn, Frank Tagesordnungspunkt 15: Magnitz, weiterer Abgeordneter und der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Fraktion der AfD: Wohnungsnot substan- SPD: Kurzzeitpflege stärken und eine wirt- ziell bekämpfen – Migration als Ursache schaftlich tragfähige Vergütung sicherstel- für Wohnungsnot benennen len Drucksache 19/16051 ...... 17246 D Drucksache 19/16045 ...... 17263 A II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 in Verbindung mit Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Schutz der Soldatin- Zusatzpunkt 15: nen und Soldaten der Bundeswehr durch die Beschaffung von bewaffneten Antrag der Abgeordneten , Drohnen stärken , , weite- Drucksachen 19/15675, 19/16149 ...... 17284 D rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ver- Angehörige entlasten – Gute Rahmenbedin- teidigungsausschusses zu dem Antrag der gungen in der Kurzzeitpflege verwirklichen Abgeordneten Rüdiger Lucassen, Gerold Drucksache 19/16039 ...... 17263 A Otten, Jan Ralf Nolte, weiterer Abgeordne- (CDU/CSU) ...... 17263 B ter und der Fraktion der AfD: Beschaffung Dr. (AfD) ...... 17264 A bewaffneter unbemannter Luftfahrzeu- ge (SPD) ...... 17265 A Drucksachen 19/13527, 19/14499 ...... 17285 A Nicole Westig (FDP) ...... 17265 D (DIE LINKE) ...... 17266 C in Verbindung mit Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 17267 B Zusatzpunkt 16: Dr. Roy Kühne (CDU/CSU) ...... 17268 A Antrag der Abgeordneten Tobias Pflüger, (SPD) ...... 17268 C , Heike Hänsel, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine (CDU/CSU) ...... 17269 C Anschaffung, sondern Ächtung bewaffneter Drohnen Tagesordnungspunkt 23: Drucksache 19/16041 ...... 17285 A a) Antrag der Abgeordneten , (CDU/CSU) ...... 17285 A , -Förster, (AfD) ...... 17286 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion Siemtje Möller (SPD) ...... 17287 D DIE LINKE: Altschuldenfonds für Kom- munen Dr. (FDP) ...... 17289 B Drucksache 19/14153 ...... 17270 B Tobias Pflüger (DIE LINKE) ...... 17290 B b) Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 17291 A (Tübingen), , Claudia Müller, (CDU/CSU) ...... 17291 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Altschul- Namentliche Abstimmungen ...... 17293 B den – Existenzgefährdung für ostdeut- sche Wohnungsunternehmen vermeiden Namentliche Abstimmungen ...... 17293 C Drucksache 19/15921 ...... 17270 B Fabio De Masi (DIE LINKE) ...... 17270 C Ergebnisse ...... 17296 C, 17299 A (CDU/CSU) ...... 17271 D (AfD) ...... 17273 B Tagesordnungspunkt 25: (SPD) ...... 17274 D a) Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin (FDP) ...... 17276 C von Notz, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/ der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN) ...... 17277 C NEN: Maßnahmen zur Gewährleistung (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . . . 17278 D der Integrität digitaler Infrastrukturen, Udo Theodor Hemmelgarn (AfD) ...... 17279 D Geräte und Komponenten – Für eine größere digitale Souveränität Deutsch- (SPD) ...... 17280 C lands und Europas Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) . 17282 A Drucksache 19/16049 ...... 17293 D (CDU/CSU) ...... 17282 D b) Antrag der Abgeordneten , Joana Cotar, Dr. , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der Tagesordnungspunkt 24: AfD: Sicherstellung nationaler Souverä- a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ver- nität im 5G-Mobilfunknetz teidigungsausschusses zu dem Antrag der Drucksache 19/16058 ...... 17293 D Abgeordneten Dr. Marcus Faber, Dr. (BÜNDNIS 90/ Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios DIE GRÜNEN) ...... 17294 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 III

Christoph Bernstiel (CDU/CSU) ...... 17295 A Dr. (SPD) ...... 17317 A Uwe Schulz (AfD) ...... 17302 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 17318 A Falko Mohrs (SPD) ...... 17303 A (SPD) ...... 17319 A Manuel Höferlin (FDP) ...... 17304 A (Chemnitz) (CDU/CSU) ...... 17320 B (DIE LINKE) ...... 17304 D (CDU/CSU) ...... 17305 B Nächste Sitzung ...... 17321 C (SPD) ...... 17306 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 17306 D Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete ...... 17323 A Zusatzpunkt 23: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der AfD: Das Globale Flüchtlingsforum in Anlage 2 Genf und ein Grundrechtekatalog für Men- schen mit afrikanischer Abstammung Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten (CDU/CSU) zu der nament- (AfD) ...... 17308 A lichen Abstimmung über den von der Bun- Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) ...... 17309 C desregierung eingebrachten Entwurf eines (FDP) ...... 17310 C Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes- naturschutzgesetzes Dr. (SPD) ...... 17311 C (137. Sitzung, 19.12.2029, Zusatzpunkt 12) . . 17324 A Gökay Akbulut (DIE LINKE) ...... 17312 C (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 17313 D (CDU/CSU) ...... 17314 D Anlage 3 Dr. (AfD) ...... 17315 C Amtliche Mitteilungen ...... 17324 A

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(A) (C)

138. Sitzung

Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: mit Elektromobilität umweltfreundlich ans Ziel bringt, Guten Morgen, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie keinen Parkplatz zu suchen brauchen und auch wieder Bitte nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. abgeholt werden? Denken Sie bei künstlicher Intelligenz vielleicht an den Roboter, der Ihre Oma pflegen wird, so Nach dem Tagesordnungspunkt 25 soll auf Verlangen wie das in Japan in Teilen schon der Fall ist? Oder denken der Fraktion der AfD eine Aktuelle Stunde mit dem Titel Sie an den Roboter, der Sie am Knie mit hoher Präzision „Das Globale Flüchtlingsforum in Genf und ein Grund- operieren wird? rechtekatalog für Menschen mit afrikanischer Abstam- mung“ stattfinden. Sind Sie damit einverstanden? – Dann Künstliche Intelligenz kommt nicht erst; sie ist schon ist das so beschlossen. da, sie durchdringt unsere Gesellschaft bereits. Es liegt tatsächlich an uns, ob wir die Chancen oder die Risiken Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: überwiegen lassen und wie wir künstliche Intelligenz ge- (B) Vereinbarte Debatte stalten. Wir können wählen zwischen den Systemen, die (D) es schon gibt. Künstliche Intelligenz dient in China dem Zwischenbilanz der Enquete-Kommission Staat dazu, die Bürger zu überwachen; in den USA dage- „Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche gen ist alles sehr unreglementiert. Ich glaube aber, dass Verantwortung und wirtschaftliche, soziale hier Einigkeit besteht, dass wir ein europäisches, ein deut- und ökologische Potenziale“ sches Modell von künstlicher Intelligenz haben: Künst- Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten liche Intelligenz soll den Menschen dienen, darf sie aber beschlossen. nicht überwachen und soll insgesamt einen gesellschaft- lichen Fortschritt bewirken, der vernünftig ist. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen René Röspel, SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir reden heute das erste Mal über die erste Phase der Arbeit der Enquete-Kommission „Künstliche Intelli- René Röspel (SPD): genz“. Wir haben sie der Arbeit wegen in zwei Phasen aufgeteilt. Unter anderem waren in der ersten Phase Wirt- Einen schönen guten Morgen! Ich bin etwas überrascht schaft, Staat und Gesundheit Thema. Ich bin sehr davon über die Reihenfolge. überzeugt, dass im Bereich Gesundheit künstliche Intelli- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- genz das Leben in vielen Bereichen viel besser machen ren! Das Parlament ist, glaube ich, noch ein bisschen wird, nämlich da, wo es gelingt, Diagnosen schneller zu müde. Wir waren gestern Abend lange hier. Man könnte ermitteln und Therapien schneller zur Verfügung zu stel- sich wünschen, dass die eine oder andere Weihnachtsfeier len und zielgenauer zu arbeiten. Das geht am besten üb- vielleicht durch künstliche Intelligenz ersetzt werden rigens – das ist eine unserer Erkenntnisse – immer mit könnte. Das würde der Gesundheit nicht abträglich sein. Menschen zusammen. Die Interaktion von Mensch und Maschine ist wichtig, wird zum Erfolg führen und wird Woran, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, denken dazu beitragen, dass Menschen besser gepflegt und ge- Sie, wenn Sie an künstliche Intelligenz denken? Viel- sund erhalten werden können. leicht denken Sie an das autonome Fahren, daran, dass in einigen Jahren vielleicht etwas möglich sein wird, auch Aber: Für künstliche Intelligenz braucht es unglaublich wenn es jetzt noch kompliziert ist, nämlich dass, wenn Sie viele Daten, die gesammelt werden müssen. Gerade im die App drücken und sagen, Sie möchten in fünf Minuten Gesundheitsbereich sind Daten hochsensibel und sehr von A nach B gebracht werden, ein Auto kommt und Sie persönlich. Deswegen sind wir sehr der Auffassung, dass 17234 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

René Röspel (A) bei der Freigabe von Daten und die Verwendung von Ich danke ausdrücklich unseren Mitarbeitern für die (C) Daten der betroffene Patient, der Mensch mitentscheiden tolle Arbeit. Ich habe gesehen, dass die Mitarbeiter des muss und sogar widersprechen können sollte und dass mit Sekretariats der Enquete-Kommission auf der Zuschauer- den Daten sehr transparent und kontrolliert umgegangen tribüne sind. Sie haben das Jahr mit viel Arbeit toll ge- und kein Missbrauch betrieben wird. meistert. Ihnen dafür herzlichen Dank von dieser Seite aus! Im Bereich der Pflege wie im Gesundheitsbereich ins- gesamt kann künstliche Intelligenz das Leben besser ma- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie chen. Aber wir sind ausdrücklich der Auffassung, dass bei Abgeordneten der AfD, der FDP, der LIN- künstliche Intelligenz nicht menschliche Nähe und Zu- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- wendung ersetzen darf, sondern sie muss die Freiräume NEN) schaffen, die es braucht, damit Pflege weiterhin mensch- lich bleibt. Das ist Zielsetzung künstlicher Intelligenz. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Joana Cotar, der CDU/CSU) AfD. Die häufigsten Ängste und Sorgen, die ich jedenfalls (Beifall bei der AfD) höre, wenn ich mit anderen Menschen darüber diskutiere, was für sie künstliche Intelligenz ist, betreffen tatsächlich Joana Cotar (AfD): den Arbeitsplatz. Wird künstliche Intelligenz meinen Ar- Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Heute beitsplatz ersetzen? Wird künstliche Intelligenz zukünftig besprechen wir die Zwischenbilanz der Enquete-Kom- mich ersetzen? Wird künstliche Intelligenz vielleicht so- mission „Künstliche Intelligenz“. Es geht um gesell- gar über mich bestimmen oder mir sagen, wie ich mich schaftliche Verantwortung, um wirtschaftliche, soziale verhalten soll? Tatsächlich wird künstliche Intelligenz im und ökologische Potenziale. Bereich der Arbeit die Welt verändern. Viele Tausende Die einen sehen in der KI die großen Chancen für die- Jobs, Hunderttausende Jobs werden wegfallen, neue wer- ses Land, die anderen haben eher Angst davor. Was bringt den entstehen. Wir werden in der Enquete-Kommission uns die künstliche Intelligenz? Wo kann sie uns nutzen? noch darüber diskutieren, wie die Bilanz aussehen wird. Was passiert, wenn Millionen von Arbeitsplätzen weg- Ich glaube, dass sie positiv sein wird, also dass mehr fallen? Wie können neue entstehen? Wie kann die KI Arbeitsplätze entstehen werden als wegfallen. unser Alltagsleben erleichtern, in der Medizin helfen, bei der Verkehrssteuerung, in Unternehmen? Wie beein- Aber wir haben dabei einige Dinge zu beachten. Was (B) flusst die künstliche Intelligenz die Demokratie, wenn (D) bedeutet das für den einzelnen Arbeitnehmer, für die ein- lernende Algorithmen bestimmen, was wir online sehen zelne Arbeitnehmerin? Wird er oder sie den Wechsel und was nicht? Es liegt an uns, den Umgang mit der schaffen? Wird er oder sie überfordert sein von neuen künstlichen Intelligenz aktiv zu gestalten. Es liegt an Anwendungen, von neuen Jobs? Deswegen ist es richtig, uns, die Chancen, die die KI uns bietet, zu nutzen. Und dass wir zusehen, dass Menschen schon heute qualifiziert, dabei steht immer eins im Mittelpunkt: der freie Mensch. ausgebildet und vorbereitet werden auf neue Anforderun- gen, die über künstliche Intelligenz an sie herangetragen Wir brauchen einen ideologiefreien Umgang mit der werden. Deswegen bin ich sehr froh, dass von Hubertus künstlichen Intelligenz. Sie soll den Menschen nicht er- Heil als Arbeitsminister mit dem Qualifizierungschan- ziehen, ihm keine Haltung antrainieren, sie soll ihm die cengesetz der Großen Koalition der erste Schritt gemacht Freiheit zum eigenständigen Denken und Handeln lassen. wird, Menschen bereits im Job zu qualifizieren, damit sie Wir müssen darauf achten, dass Algorithmen diskriminie- den nächsten Job bewältigen können. rungsfrei sind, und zwar in alle Richtungen. Wir brauchen die Medien- und die Meinungsvielfalt, auch wenn uns (Beifall bei der SPD) einige Meinungen nicht passen. Das ist Freiheit. Die wichtige Frage wird auch sein: Werden die Arbeit- (Beifall bei der AfD) nehmerrechte, die Sozialsysteme, die wir jetzt haben, die darauf zugeschnitten sind, dass ein Mensch in einem Be- Und wir dürfen auch keine Panik schüren vor Wahlen, trieb arbeitet, dort angestellt ist, Arbeitnehmer ist, eigent- wie wir das in letzter Zeit so gerne tun: Social Bots, lich noch passen bei den Herausforderungen, bei den An- Mikrotargeting und angebliche Filterblasen würden die forderungen der künstlichen Intelligenz? Es wird noch Demokratie zerstören. Wie wir in den letzten Vorträgen eine spannende Diskussion werden: Was bedeutet künst- der Sachverständigen gehört haben, ist das durchaus nicht liche Intelligenz für Mitbestimmung, für Arbeitnehmer- der Fall. Ein wenig mehr Gelassenheit würde uns hier rechte und für das Sozialversicherungssystem, und wie guttun. gelingt es, dass trotzdem eine solidarische Krankenver- (Beifall bei der AfD – René Röspel [SPD]: Das sicherung und Rentenversicherung bezahlt werden wird? liegt daran, dass wir eine starke Demokratie Wir als SPD sehen künstliche Intelligenz als Teil des haben!) Fortschritts. Aber Fortschritt ist kein Selbstzweck. Wir Thema Daten. Sie sind die Grundlage für die künstliche wollen, dass aus technologischem Fortschritt gesell- Intelligenz. Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto schaftlicher und sozialer Fortschritt wird. – Ich bedanke besser kann man die KI trainieren. In China und in den mich für die Aufmerksamkeit. USA ist der Zugriff auf Daten meistens kein Problem; Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17235

Joana Cotar (A) hier können Forscher oft aus dem Vollen schöpfen. An- (Beifall bei der AfD) (C) ders ist das in der EU und in Deutschland. Hier macht vor allem die DSGVO den Forschern das Leben ein bisschen Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: schwer. Verstehen Sie mich nicht falsch! Wir brauchen Nächste Rednerin ist die Kollegin Ronja Kemmer, einen guten Datenschutz. Aber in Deutschland neigen wir CDU/CSU. dazu, das Sammeln und das Auswerten von Daten ge- nerell zu verteufeln. Wenn aber Datenerhebungen in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Krankenhäusern dazu führen, dass die Zahl der Todes- ordneten der SPD) fälle zurückgeht, dass neue Behandlungsmethoden ge- funden werden, dann ist das etwas Gutes. Wir müssen Ronja Kemmer (CDU/CSU): deutsche Firmen, die auf Kl-Lösungen setzen, die uns Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und welterbringen, im globalen Wettbewerb stärken; das Kollegen! Künstliche Intelligenz weckt Hoffnungen, aber heißt, wir müssen die Datenschutz-Grundverordnung auch Ängste: selbstfahrende Autos, Krebsfrüherkennung, überarbeiten und das Thema Datenspende auf die Tages- smarte Energiesysteme. Für den einen ist KI eine Tech- ordnung setzen. nologie, die unser Leben verbessern kann. Die anderen warnen vor wegfallenden Jobs. Sie fürchten um die Ent- (Beifall bei der AfD) scheidungsmacht der Menschen. Zu den Bedenkenträ- Damit die Menschen die Angst davor verlieren, wichtige gern gehören ich und meine Fraktion ausdrücklich nicht. Daten anonymisiert oder pseudonymisiert zur Verfügung Wir sehen die Chancen der künstlichen Intelligenz, und zu stellen, muss die Politik sie frühzeitig mitnehmen. Es wir wollen diese nicht zerreden. fehlt an Aufklärungskampagnen, an koordinierten Bil- (Beifall bei der CDU/CSU) dungsangeboten. Es fehlt an Medienkompetenz. Hier ist dringender Handlungsbedarf geboten. Die Entwicklung geht rasant voran. Intelligente Tech- nologien sind bereits in vielen Bereichen im Alltag fest Auch auf anderen Gebieten muss die Regierung han- verankert: ob Navigation mit Verkehrsprognosen, Medi- deln, damit uns China und die USA nicht endgültig ab- zinroboter oder eben künftig autonome Fahrzeuge. Wir hängen. Wir brauchen mehr Investitionen. Allein die müssen jetzt schnell über kluge rechtliche und ethische chinesische Stadt Tijan plant für die KI-Förderung Maßstäbe reden, um uns fit für die Zukunft zu machen. 12,8 Milliarden Euro. Wir brauchen Bürokratieabbau. Wir brauchen mehr Sandboxes, in denen neue Ideen aus- Und genau daran arbeiten wir in der Enquete-Kommis- probiert werden können. sion: Wir unterfüttern das mit zusätzlichem Wissen. Wir wollen differenzieren. Wir wollen Lösungsangebote un- (B) Wir dürfen nicht weiter zulassen, dass gut ausgebildete terbreiten. Deswegen möchte ich zunächst einmal den (D) Fachkräfte und Entwickler Deutschland verlassen, weil Sachverständigen, gerade weil sie heute persönlich leider die Bedingungen, die sie hier vorfinden, nicht passen. nicht da sein können, an dieser Stelle recht herzlich für Wir müssen den Wissenstransfer von den Universitäten den tollen Einsatz und die große Unterstützung in der und der Forschung in die Wirtschaft besser unterstützen. Enquete-Kommission danken. Wir brauchen ein bis zwei Leuchtturmprojekte mit or- dentlichem Budget zwecks internationaler Sichtbarkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Bei Plattformen und Co haben uns andere Länder abge- ordneten der SPD und der FDP) hängt. Bei der Industrie 4.0 haben wir noch eine Chance, Die Welt wartet nicht auf uns. Ob USA, China, Südko- wenn wir es denn wollen. rea, andere Länder nehmen Milliardenbeträge in die Hand. Wir brauchen mehr Geschwindigkeit und Dyna- Die Enquete-Kommission wird ihren Teil dazu beitra- mik. In der Projektgruppe Wirtschaft haben wir uns genau gen, auch wenn ich mir wünschte, dass wir manchmal deswegen über die Frage unterhalten: Wie schaffen wir mehr PS auf die Straße bringen und weniger über den es, einen eigenständigen europäischen Weg, einen nach- Istzustand als über das reden, was sein könnte. haltigen Weg zu beschreiten? Diesen Anspruch halte ich Dann ist die Regierung gefragt. Sie muss endlich aus auch für gerechtfertigt. „AI made in Europe“ ist eine ihrem Dornröschenschlaf aufwachen. Sie muss in Sachen erfolgversprechende Marke. Digitalisierung und KI einen Sprint hinlegen, damit wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mit anderen Ländern gleichziehen können. Setzen Sie den richtigen Fokus, werte Regierungsvertreter! Denken Sie Aber Vorreiter können wir nur sein, wenn wir auch den groß! Die Zeit drängt! technisch-wissenschaftlichen Vorsprung haben, wenn wir eine robuste Infrastruktur haben, wenn wir vor allem aber Zum Schluss möchte ich mich noch bei meinen En- auch zukunftsfähige und skalierbare Geschäftsmodelle quete-Kollegen und bei den Sachverständigen für die gute entwickeln. Ohne das Training von großen Datenmengen, Zusammenarbeit der letzten Monate bedanken, auch und ohne konkrete Anwendungen werden wir keinen Erfolg gerade in der Projektgruppe „KI und Medien“, die ich haben. Deswegen möchte ich zumindest drei der Empfeh- leiten darf, ebenfalls natürlich bei den guten Geistern lungen unserer Projektgruppe kurz herausgreifen. hinter den Kulissen, dem Sekretariat, das dafür sorgt, dass diese Enquete-Kommission überhaupt läuft. Zunächst: Wir wollen Unternehmen ermutigen, KI vielleicht noch stärker zu nutzen als bisher. Da sind Vielen Dank und Ihnen allen ein fröhliches Weih- Start-ups auf der einen Seite Treiber in der Entwicklung. nachtsfest! Aber sie brauchen auf der anderen Seite gute Rahmen- 17236 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Ronja Kemmer (A) bedingungen. Sie brauchen Ökosysteme und vielleicht (Zustimmung der Abg. Ursula Groden-Kranich (C) noch gezieltere Förderung an der einen oder anderen Stel- [CDU/CSU] – René Röspel [SPD]: Bertha, ge- le. Auch den Mittelstand wollen wir stärker unterstützen, nau!) wollen wir in der Transformation begleiten, zum Beispiel Sie packte im Sommer 1888 kurzerhand die Söhne ein im Bereich des Technologiescoutings. und fuhr von Mannheim nach Pforzheim. Wie wir aus der Zum Zweiten wollen wir, dass der Transfer auch Geschichte wissen: Die Fernfahrt verlief größtenteils schnell in die Mitte der Gesellschaft kommt. Wir sind problemlos. Diese Pioniertat, glaube ich, zeigt damals gut in der Grundlagenforschung, aber wir brauchen noch wie heute: Wir brauchen Mut! Wir brauchen Tatkraft! bessere praktische Regeln, was Datenpools angeht, was Wir brauchen aber vor allem weniger Bedenken, weniger Experimentierräume und Testlabore betrifft. Nur wenn Zaudern. Wir müssen einfach die Dinge auch mal aus- wir die Kräfte bündeln, können wir auch im internationa- probieren. Deswegen lassen Sie uns mit Blick auf die len Vergleich Schlagkraft und Sichtbarkeit generieren. großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, ge- meinsam mehr KI wagen! Erst vor kurzem war ich mit unserem Fraktionsvorsit- Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit in der zenden bei mir im Wahlkreis an der Enquete-Kommission. Ich will auch noch ausdrücklich Universität in Ulm unterwegs. den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und dem Sekreta- riat danken, die uns tatkräftig unterstützen. (René Röspel [SPD]: Da hat er was gelernt!) Herzlichen Dank. Dort wird am autonomen Fahren geforscht. Kluge Köpfe aus der Wissenschaft verbinden sich aber hier ganz stark (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mit Partnern aus der Wirtschaft. Der direkte Transfer von ordneten der SPD) der Wissenschaft in die Wirtschaft: Hier wird gezeigt, wie es funktionieren kann. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Mario Brandenburg, FDP, ist der nächste Redner. Zum Dritten brauchen wir sicherlich auch eine Debatte über die Frage von Akzeptanz von künstlicher Intelligenz (Beifall bei der FDP) in unserer Gesellschaft. Wir brauchen eine breitere Ver- mittlung über das Wissen von Algorithmen, von neuen Mario Brandenburg (Südpfalz) (FDP): Technologien bereits in den Schulen. Und auch für dieje- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nigen, die schon im Arbeitsleben sind, werden wir im Kollegen! Auch ich möchte einen Teil meiner Redezeit (B) Bereich der Fortbildungen sicherlich noch mehr tun müs- (D) darauf verwenden, dem Sekretariat und unseren Sachver- sen. Außerdem fordern wir mehr vertrauensbildende ständigen zu danken, die wirklich sehr viel Arbeit, aber Maßnahmen, internationale Standards und Gütesiegel, auch private Zeit in uns investieren. Ich glaube, ohne sie wie wir sie zum Beispiel von Elektrogeräten kennen. wäre diese Kommission zum Scheitern verurteilt. Vielen Gerade angesichts der Debatten, vor allem auf der lin- Dank an dieser Stelle! ken Seite in unserem Haus, muss ich sagen: Wenn wir am (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Ende jedes potenzielle Risiko, jeden möglichen Fehler SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN eines KI-Systems zum Bremsklotz werden lassen, dann und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) werden wir keine Innovationen verzeichnen, dann wer- den wir keine Sprünge machen, und vor allem werden wir Nun aber zum Thema. Der Bundestag bespricht nun dann ins Hintertreffen geraten. Diese Denke ist eine Sack- endlich zur Primetime ein Thema unserer Zeit: künstliche gasse für den Fortschritt in unserem Land. Intelligenz. Während Umfragen uns sagen, dass bei den Bürgerinnen und Bürgern immer mehr der Optimismus (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. überwiegt, werden in diesem Haus leider manche Debat- Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]) ten noch immer unter einem eher pessimistischen Vorzei- chen geführt. Das ist schade; denn wer immer wieder die Aber der technische Fortschritt musste sich schon im- gleichen Beispiele von Diskriminierung oder Voreinge- mer gegen Bedenkenträger durchsetzen. Gerade in mei- nommenheit aus der Mottenkiste holt, macht es sich zu ner Heimat, in Baden-Württemberg, wissen wir das aus einfach. der Geschichte nur zu gut. Carl Benz war ein großer Erfinder und Techniker. Bereits im Jahr 1886 hatte er Weder Rassismus noch Sexismus sind Erfindungen das erste Patent für einen Motorwagen angemeldet; das von Algorithmen oder bestehen aus Einsen und Nullen. erste Automobil der Welt. Aber auch schon damals gab es Es sind unsere gesellschaftlichen Probleme, mit der wir große Skeptiker, die gefragt haben: Ist das nicht alles zu die KI füttern. Die Daten sind ein Spiegel unserer Gesell- risikoreich? Kann das denn überhaupt funktionieren? schaft, und KI ist eben doch nur ein Werkzeug ohne eige- Wollen wir nicht lieber beim sicheren Pferdegespann ne Agenda und eigene Werte. bleiben? (Beifall bei der FDP) Der große Beweis, er hat zunächst gefehlt. So verharrte Leider haben diese teils in der Vergangenheit verhaf- die Erfindung in der Werkstatt, bis dann seine Frau Bertha teten Debatten in der Enquete-Kommission viel Zeit ge- als mutige Frau dieser Zeit die Initiative ergriff. fressen, die wir besser dafür aufgewendet hätten, um uns Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17237

Mario Brandenburg (Südpfalz) (A) über ein positives, zukunftsgewandtes Gesellschaftsbild Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) zu unterhalten. Anke Domscheit-Berg, Die Linke, hat als nächste Red- nerin das Wort. Da wir im Konsens entscheiden, was gut ist, gibt es in Berichten eben auch Passagen, die ich persönlich für (Beifall bei der LINKEN) nicht sonderlich hilfreich halte. Ich möchte ein Beispiel nennen. In einem Bericht steht: Es muss ein Recht geben, Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): sich gegen KI-Anwendungen zu entscheiden. – Das mag Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und faktisch richtig sein; es schürt aber auch subtil Ängste. Kollegen! Ich habe mich mit wirklich großem Enthusias- Denn eine Forderung, dass ich eine KI-Anwendung ein- mus in die Arbeit bei der Enquete-Kommission „Künst- setzen darf, findet sich eben nicht in diesem Text. liche Intelligenz“ gestürzt. Ich habe Transparenz und Bür- (Beifall bei der FDP) gerbeteiligung erwartet; denn KI-Computerprogramme, die selbst lernen und Entscheidungen treffen können, Wir müssen beide Seiten der Medaille betrachten. werden unsere Gesellschaft sehr verändern. Deshalb soll- Denn wer hilft mir im Zweifelsfall, mich gegen eine vor- te die Gesellschaft auch daran beteiligt sein, wenn diese eingenommene oder diskriminierende menschliche Mei- Kommission Handlungsempfehlungen für die Politik nung vielleicht mithilfe einer KI wehren zu können? Wer erarbeitet, die sich ja auf uns alle auswirken werden. die Debatte so einseitig führt, spielt damit, dass die Be- Stattdessen fand Transparenz nur sehr wenig statt, und völkerung unnötige Ängste erleiden muss. Bürgerbeteiligung fand bisher überhaupt nicht statt. (Beifall bei der FDP) Die drei Projektgruppen – Wirtschaft, Gesundheit und Es geht nicht darum, diese Ängste zu unterdrücken Staat – tagten ausschließlich hinter geschlossenen Türen. oder wegzuwischen. Denn die, die nicht wollen, dürfen Sitzungen der Gesamtkommission waren nur während wir natürlich nicht zum Fortschritt zwingen. Aber wir der Kurzvorträge von Sachverständigen öffentlich. Für dürfen genauso wenig die, die etwas mehr wollen, durch ihre anschließende Befragung wurde der Livestream ein- andauernde Bedenkenträgerei oder sonstige Regularien fach abgeschaltet, und die Gäste wurden rausgeschickt. ausbremsen. Über Stunden hieß es: Gäste rein und raus, rein und raus. – Ein wirklich absurder Vorgang! (Lachen des Abg. [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Daniela Kolbe (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- [SPD]) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unsere Anträge, die drei abgeschlossenen Teilberichte (B) Um diese Regularien eben nicht aufzustellen, bin ich (D) froh, dass es in der Projektgruppe Wirtschaft, welcher ich zu veröffentlichen, wurden abgelehnt. angehören darf, durchaus sehr gute Handlungsempfeh- (René Röspel [SPD]: Die sind nicht abge- lungen gibt, nämlich zum Beispiel zu den schon ange- schlossen!) sprochenen regulatorischen Sandkästen, um die, die ein bisschen mehr wollen, ausbrechen zu lassen und ein biss- Nur das jeweils erste Kapitel wurde gestern öffentlich. chen nach vorne gehen zu lassen. Innovative Finanzie- rungsformen wie ein Dachfonds für Innovationen werden (Sören Bartol [SPD]: Weil es noch nicht fertig dort genannt. Wir diskutieren über Datenportabilität, In- ist!) teroperabilität und Datentreuhänder. All diese Mittel kön- Der Rest wird nun ein Jahr lang in der Schublade nen es schaffen, dass wir, dass Deutschland und Europa schmoren und dabei ganz bestimmt nicht an Aktualität bei der KI unseren eigenen Weg gehen können. gewinnen. Zuletzt noch an die Große Koalition: Es freut mich Die Planung für die Bürgerbeteiligung wiederum zog sehr, dass wir laut einer Handlungsempfehlung jetzt auf sich so lange hin, dass es nur noch eine Feigenblattbetei- einmal Messkriterien für Strategien brauchen. Ich freue ligung im Frühjahr 2020 geben wird, bei der die Zivilge- mich schon, wenn Sie Ihre eher homöopathische KI-Stra- sellschaft ausgewählte Ergebnisse der Enquete noch be- tegie um ein paar Messkriterien erweitern. werten kann. Ihr Input kann zu diesem Zeitpunkt aber kaum noch einfließen. (Beifall bei der FDP) Zum Schluss möchte ich noch sagen: Egal wie viele (René Röspel [SPD]: Das merke ich auch ge- Kommissionen wir einberufen, egal wie viele Papiere wir rade bei der Rede!) schreiben – letztendlich beginnt die Veränderung mit uns. So baut man kein Vertrauen auf, liebe GroKo, und ernst- Wenn es uns als Politik und Gesellschaft nicht gelingt, ein gemeinte Bürgerbeteiligung geht anders. positives Bild der Zukunft mit Technologie zu zeichnen und Bock auf morgen zu haben, wird es schwierig. Genau (Beifall bei der LINKEN) dafür, dass es gelingt, werden wir Freie Demokraten uns Eine der drei Arbeitsgruppen – Künstliche Intelligenz weiterhin einsetzen. und Staat – habe ich geleitet. Da die Vorstellungen der Vielen Dank. Wir freuen uns auf die Rückrunde. Linksfraktion im Bericht der AG nicht ausreichend ent- halten sind, werden wir für die Themenbereiche „Innere (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sicherheit“ und „Militär“ ein Sondervotum veröffentli- der CDU/CSU) chen. 17238 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Anke Domscheit-Berg (A) (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig so!) Die Voraussetzung für gute Technologie ist, dass wir An- (C) tidiskriminierung haben. Nach unserer Überzeugung muss es rote Linien für den Einsatz von KI geben, nämlich immer dann, wenn Fehl- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) entscheidungen der selbstlernenden Systeme einen un- vertretbaren Schaden für Menschen oder die Gesellschaft Ich möchte die Diskussion nutzen, um auf die Anwen- als Ganzes nach sich ziehen. Diese roten Linien müssen dungen einzugehen. Ich war gestern auf einem Gipfel der mit einem Risikoklassenmodell gezogen werden und sind Kommunen zum Thema „künstliche Intelligenz“. Die in jedem Fall zu respektieren, auch dann, wenn die Klas- Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor Ort fragen: sifizierung ein Einsatzverbot bedeutet. Bei Grund- Wofür brauchen wir das? Das ist eine sehr berechtigte rechtseingriffen wie beim Einsatz biometrischer Ge- Frage. Es gibt Lösungen. Es gibt beispielsweise eine gan- sichtserkennung im öffentlichen Raum oder beim ze Reihe von Anwendungen im Bereich Verkehr. Die Einsatz autonomer Waffen sehe ich diese roten Linien Schweizer Bahn beispielsweise nutzt künstliche Intelli- überschritten. genz, um ihr Schienennetz besser auszulasten, sodass 30 Prozent mehr Züge darauf fahren können. Das ist ein (Beifall bei der LINKEN – René Röspel [SPD]: gutes Beispiel für künstliche Intelligenz. Andere auch! Wir sind noch nicht am Ende des Berichts!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Bericht zum Thema „Künstliche Intelligenz und Wir diskutieren über das autonome Fahren. Wenn man Staat“ ist so leider ein GroKo-Positionspapier geworden, sich ein bisschen mit der Technologie befasst, weiß man, das gerade bei sensiblen Fragen eine ausreichend klare dass sehr viel investiert wird. Es ist auch ein Zeichen, dass Haltung vermissen lässt. Unser Anspruch als Linksfrak- US-amerikanische Konzerne jetzt zu uns kommen und tion ist ein anderer. hier investieren. Aber die Nahzeitlösung wird nicht sein, dass jeder in München mit dem Auto zum Oktoberfest (Beifall bei der LINKEN) fahren, dort sein Bier trinken und mit dem Auto zurück- fahren kann. Dann würde es auch sehr viel Stau geben. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Informationen Das Modell, das wir brauchen, sind Kleinbusse an den zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafgesetz- Außenästen, um das zu ergänzen, was wir im öffentlichen buch verloren haben. § 219a gehört abgeschafft. Nahverkehr in der Fläche brauchen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Auch dort wird geprobt, auch dort gibt es Beispiele. (B) Bei mir in München gibt es den IsarTiger. Da fährt zwar (D) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: noch der Mensch, aber die Routenplanung macht die Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das künstliche Intelligenz. So kann man die Menschen besser Wort. im öffentlichen Raum abholen. Man kann das Netz besser auslasten. Man kann auch die Energiewende mit künst- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) licher Intelligenz besser steuern, sodass die vielen kleinen Produzenten und Konsumenten zusammenkommen und Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ein neuer Energiemarkt entsteht. Das alles sind sehr posi- Sehr geehrter Herr Präsident! Ich glaube, dass es uns tive Anwendungen. mit dieser Form von Debatte noch nicht gelungen ist, die Eine Debatte wird aufgrund des steigenden Energie- Menschen beim Thema „künstliche Intelligenz“ abzuho- verbrauchs im Zuge der Digitalisierung natürlich sehr len; denn wir bleiben sehr an der Oberfläche. Frau wichtig werden: Wir müssen Technologie dafür einset- Kemmer, wenn Sie sagen: „Mehr KI wagen“, dann fragen zen, die Klimakrise zu bekämpfen, und nicht dafür, sie sich die Menschen natürlich, was Sie damit meinen. Mei- zu verschärfen. nen Sie „chinesische KI wagen, also den totalen Über- wachungsstaat“? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Ronja Kemmer [CDU/CSU: Europäisch!) Wir brauchen für die Digitalisierung und insbesondere für die künstliche Intelligenz ganz klare nachhaltige Leit- Oder meinen Sie „schwedische KI wagen, also eine so- planken. zialökologische Form von Technologieeinsatz“? Das wä- re etwas, worauf wir uns einigen könnten. Es gibt auch eine ganze Reihe anderer Anwendungen, zum Beispiel Alexa von Amazon. Da möchte ich Ihnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kurz vor Weihnachten sagen: Schalten Sie es in Ihren Herr Brandenburg, Sie sagen: Diskriminierung ist kein Haushalten besser aus. Thema bei KI. – Ich meine, die Daten müssen diskrimi- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nierungsfrei sein; denn sonst bilden wir plötzlich das ab, Richtig!) was es an Rassismus und Sexismus in der Gesellschaft, im Internet gibt. Denn das, was dort stattfindet, ist der Weg in den totalen Überwachungsstaat, (Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Unser Problem! Ein menschliches!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17239

Dieter Janecek (A) und zwar nicht nur technologisch auf der Produktseite, tief ein in konkrete Handlungsfelder. Wir haben uns mit (C) sondern auch in den Amazon-Werken, wo die Menschen Gesundheit, Wirtschaft und Staat befasst und arbeiten beispielsweise überwacht werden, wenn sie auf die Toi- schon an den Bereichen Arbeit, Medien und Mobilität. lette gehen. Das ist nicht die Form von künstlicher Intelli- Dieses Konkretsein ist extrem gut und hilfreich, wie ich genz, die wir wollen. Das chinesische Modell ist nicht finde. Denn je konkreter wir ausloten, was wir in be- das, was wir wollen. Das europäische Modell muss sein: stimmten Politikbereichen tun wollen, umso weniger sozial, ökologisch, nachhaltig und die Freiheitsrechte der können wir in dem Schwarz-Weiß-Denken, können wir Bürger schützend. Dann wird ein guter Ansatz daraus. Ich in dem Gut-Böse-Schema bleiben; denn es sind konkrete freue mich auf die Debatte, und ich freue mich auf die Probleme, die konkrete Antworten brauchen. Und je Zusammenarbeit in der Enquete. breiter der gefundene Konsens ist, umso einfacher ma- chen wir alle miteinander es dem nächsten Bundestag, Danke schön. vielleicht auch diesem Bundestag, das umzusetzen, was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir beschließen. sowie bei Abgeordneten der SPD) Etwas, was uns doch allen gemein ist, ist, dass wir ans Handeln kommen wollen, dass wir die Technologie nicht Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: verschlafen wollen. Wir wollen KI nutzen. Diese Tech- Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Daniela Kolbe, nologie ist da. Das Einzige, was keine Option ist, ist SPD. Nichthandeln. Wir müssen ans Handeln kommen, (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sei es zum Beispiel im Gesundheitsbereich, in dem wir Daniela Kolbe (SPD): die riesigen Chancen für Therapie, für Diagnostik heben Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und wollen. Deswegen finde ich es gut, dass wir konkrete Kollegen! Heute ist ja der letzte Sitzungstag vor der Vorschläge zum Thema Datenfreigabe gemacht haben; Weihnachtspause. Ich merke in den Gesprächen, dass denn wir brauchen viele Menschen, die sagen: Ja, damit viele diese Pause durchaus ein bisschen herbeisehnen. KI im Gesundheitsbereich wirksam wird, gebe ich meine Als Vorsitzende der Enquete-Kommission sei mir die Be- Daten freiwillig – natürlich geschützt – zu Forschungs- merkung gestattet, dass das sicher für die Mitglieder der zwecken frei, damit wir vernünftige KI-Produkte auch Enquete noch einmal ganz besonders gilt; denn die daran aus Deutschland bekommen. beteiligten Abgeordneten haben sich neben ihrer ganz Wir wollen die Chancen für die Pflege heben; auch da normalen Wahnsinnsarbeit noch ganz tief in ein Thema gibt es gewaltige Chancen. Herr Brandenburg, ich muss (B) hineingelesen, haben diskutiert, haben Besuche gemacht (D) Ihnen sagen: Gerade deswegen ist es ja wichtig, dass wir und sich in die Arbeit reingekniet. Die Lernkurve – ich auch über die Akzeptanz reden; denn Akzeptanz der KI in kann das für mich sagen; ich schätze, für die anderen gilt der Pflege wird es nur dann geben, wenn die zu Pflegen- das auch – war und ist dabei sehr steil. Die Arbeit ist auch den auch sagen dürfen: Nein, bei mir bitte nicht. ganz schön anstrengend, aber sie ist auch lehrreich und lohnend. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Mario Bei den Sachverständigen dürfte das ähnlich sein. Sie Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Wir brauchen wissen zwar schon viel; aber für sie war dieses Jahr ge- aber auch positive Fälle!) prägt von sehr vielen Reisen quer durch die Republik und Deswegen wäre ich hier wirklich vorsichtig mit Kritik. von einem Eintauchen in ein oft nicht ganz gewohntes politisches Umfeld. Ich habe mit einigen darüber gespro- Wir haben eine ganze Menge geschafft. Was wir ge- chen. Dabei höre ich, dass die Sachverständigen faszinie- schafft haben, können Sie in Veröffentlichungen auf un- renderweise nicht abgeschreckt sind von diesem Eintau- serer Homepage nachlesen. Frau Domscheit-Berg, ich chen ins politische Geschäft. Viel zu wissen über ein finde die Art und Weise, wie Sie das hier kritisieren, Thema, ist das eine; das dann in gesellschaftliche und schon bemerkenswert. Denn es gab eigentlich einen Be- politische Handlungen umzusetzen, ist das andere. Es schluss, gar nichts zu veröffentlichen; wir sind aber ein ist mühevoll, aber offensichtlich lohnt es sich auch für ganzes Stück weitergegangen. Insofern: Informieren Sie die Sachverständigen. sich gerne! An der Stelle will ich deswegen erst mal allen ganz Wenn ich einen Wunsch beim Weihnachtsmann frei herzlich danken, die sich, egal ob MdB oder Sachverstän- hätte – ich habe bisher noch keinen Wunsch geäußert –, diger, hier eingebracht haben und richtig viel Zeit und dann diesen: dass wir im nächsten Jahr noch ein bisschen Kraft und Intellekt aufgewandt haben. Vielen Dank dafür! mehr den Geist der Überparteilichkeit walten lassen. Die Sachverständigen machen uns das schon gut vor; denn (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir arbeiten ja nicht an Parteibeschlüssen, sondern wir der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des wollen einen parlamentarischen Konsens erarbeiten. In BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) diesem Sinne freue ich mich auf das nächste Jahr. Es ist die zweite Enquete, bei der ich mitwirken darf. Ich möchte jedoch schließen mit einem ganz herzlichen Aber das Besondere an dieser Enquete „Künstliche Intel- Dank an das Sekretariat, ohne das wir nicht so weit ge- ligenz“ ist, wie konkret sie ist. Wir nehmen uns nämlich kommen wären, und möchte namentlich Claudia Bülter, nicht nur die Metadebatte vor, sondern wir tauchen auch unsere Sekretariatsleiterin, grüßen – sie ist trotz Urlaub 17240 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Daniela Kolbe (A) heute hier – und mich herzlich für die tolle Arbeit bedan- Regierung hat sich aber auch hier als Meister der Ankün- (C) ken. Auf ein gutes nächstes Jahr! digungen erwiesen. Sie wollten mit Ihrer Strategie 100 KI-Professuren besetzen. Gewonnen haben Sie dafür (Beifall im ganzen Hause) bisher zwei. Liebe Kollegen, zwei KI-Professuren! Laut Fraunhofer-Institut fehlen in Deutschland 85 000 Akade- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: miker im Bereich Datenanalyse und Big Data. Händerin- Nächster Redner ist der Kollege Peter Felser, AfD. gend werden mehr als 10 000 IT-Experten mit Kenntnis- sen in Advanced Analytics und Data Science gesucht. (Beifall bei der AfD) Wie wollen wir in den nächsten Jahren diese Lücken schließen? Verbessern Sie endlich die Forschungsbedin- Peter Felser (AfD): gungen! Wenn es am Geld fehlt: Streichen Sie doch die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Ich Gender-Studies-Professuren! Dann wird das vielleicht möchte die Gelegenheit jetzt mal nutzen, ein paar selbst- noch was. verständliche Voraussetzungen der KI-Nutzung anzu- sprechen, für die man eigentlich weder Strategiepapiere (Beifall bei der AfD – Lachen bei der SPD – noch Expertenrunden braucht und an denen deutlich wird, Zuruf von der SPD: Das musste ja kommen!) wo eigentlich die Problematik in Deutschland und Europa – Musste kommen, ja. liegt. Viertens: KMU, Mittelstand. Wenn wir den großen Da- Erstens: Sicherheit. Unter den Top Ten der Hardware- tensammlern wie Google, Amazon oder Tencent den un- hersteller ist kein einziges europäisches Unternehmen. gebremsten Zugang zu den europäischen Zukunftsmärk- Unter den Top Ten der Internetunternehmen befindet sich ten gestatten, wird vom deutschen Mittelstand nur eine auch kein einziges aus Europa. Und unter den Top Ten der vage Erinnerung zurückbleiben. Datenverfügbarkeit ist Softwarehersteller ist nur ein einziges europäisches Un- der alles begrenzende Faktor; das wissen Sie. Es ist für ternehmen: das bekannte Unternehmen SAP aus Wall- kleine und mittlere Unternehmen viel schwieriger, eigene dorf. Unsere zukünftigen Mobilfunknetze werden wohl Algorithmen zu trainieren, wenn die Trainingsdaten mög- chinesisch sein. Das ist die Situation. Wie wollen Sie licherweise bei Google, AWS oder Citrix gespeichert denn, liebe Regierung, die Kontrolle über die Daten un- sind. serer Bürger, über die wir heute sprechen, behalten? (Zuruf der Abg. Ronja Kemmer [CDU/CSU]) (Beifall bei der AfD) Es ist eine Binsenweisheit des Digital Business: Es ge- Generalleutnant Leinhos, Inspekteur des Bundeswehr- winnt immer der, der über die größere Datenmenge ver- (B) (D) kommandos Cyber- und Informationsraum, warnte mehr- fügt. Ich bezweifle sehr, dass das später der Tischler aus fach vor dem digitalen Verteidigungsfall und den Konse- Kempten oder der Maschinenbauer aus Göppingen sein quenzen für unsere Gesellschaft. Gerade in den besonders wird. vielversprechenden Anwendungsbereichen für künstliche Intelligenz – das haben wir heute auch schon gehört – ist Die Politik muss Rahmenbedingungen für eine euro- Datensicherheit die wichtigste Grundvoraussetzung, zum päische Open-Data-Lösung schaffen. Ich möchte, dass Beispiel im Gesundheitswesen oder bei der Entbürokra- unsere Kinder sich noch eine handgeschnitzte Weih- tisierung oder bei der Verschlankung der Behörden. Dazu nachtskrippe aus dem Erzgebirge kaufen können und brauchen wir schnell eigene europäische Datenräume. nicht nur das Kunststoffprodukt aus dem 3-D-Drucker in Shenzhen. Zweitens: Bürgerrechte. Bei der möglichen Verarbei- tung der Daten in der Verwaltung muss sichergestellt sein, Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten. – Danke schön. dass weder Behörden noch Unternehmen dem Bürger ei- (Beifall bei der AfD) nen Nachteil aus den erhobenen Daten erwachsen lassen können. Wir wollen keine chinesischen oder amerikani- schen Verhältnisse, liebe Kollegen! Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Stefan Sauer, CDU/CSU, hat als Nächster das Wort. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Die Politik darf nicht zulassen, dass Versicherungsbeiträ- ordneten der SPD) ge, Kreditbedingungen oder der Zugang zu medizinischer Versorgung so optimiert werden, dass Individuen oder Stefan Sauer (CDU/CSU): ganze Gruppen systematisch benachteiligt sind. Unsere Demokratie braucht dazu unabhängige Kontrollgremien, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ver- Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen und Zwang zur ehrte Gäste auf der Besuchertribüne! Künstliche Intelli- Transparenz. genz, kurz KI, ist eine Basisinnovation, die die Gesell- schaft grundlegend verändern wird. Im Zusammenhang Drittens: Bildung. Solide KI-Grundlagenforschung mit der Frage „Wie wirkt KI auf die Gesellschaft?“ gibt es und breit aufgestellte Anwenderbildung sind Vorausset- die, die schon sagen: „Es ist eine neue industrielle Revo- zungen einer gesellschaftlich nutzbringenden und vor al- lution“, und es gibt die, die sich noch gar nicht damit lem gesellschaftlich akzeptierten Verwendung künstli- befasst haben. Ich glaube, man kann feststellen, dass es cher Intelligenz. Wir brauchen einen zentralen KI- ein Stück weit vom Persönlichkeitsprofil des Einzelnen, Campus und Versuchsräume für neue Technologien. Die seiner Lebensphase, aber auch seinen Informationsquel- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17241

Stefan Sauer (A) len abhängt, wie er dazu steht. Es gibt jene, die mit Sorge Alles in allem werden wir Lebensqualität und Partizi- (C) und Unsicherheit dieser Welt entgegenblicken, und es pationsmöglichkeiten deutlich steigern. Wenn ich von Le- gibt die, die die Chancen sehen, aus der KI was zu ma- bensqualität spreche, dann ist das nicht nur die des Ein- chen. Ich darf den Sachverständigen, die uns hierbei un- zelnen, bei der es darum geht, dass wir vielleicht eine terstützt haben, auch noch mal persönlich Danke sagen. bessere Mobilität oder ein angenehmeres Leben im hohen Sie haben uns geholfen und waren dabei behilflich, Sach- Alter ermöglichen, sondern es geht auch um die kollek- verhalte besser einzuordnen. tive Lebensqualität: saubere Umwelt, bessere Luft, weni- ger Verschmutzung. Es kommt uns gerade beim Thema Ich spreche heute zur Projektgruppe „KI und Staat“. Klimaschutz sehr entgegen, wenn wir uns dem öffnen. Wir haben dort in drei Themenblöcken die Aufgabenstel- lungen schon sehr tief durchdrungen. Wir können grund- Beim dritten Block „Innere Sicherheit, Äußere Sicher- sätzlich feststellen, dass der Staat bei der Entscheidung heit, IT-Sicherheit“ – da mache ich keinen Hehl draus – für den Einsatz von KI-Systemen einer besonderen Sorg- verlief die größte Konfliktlinie, insbesondere zu den Lin- faltspflicht unterliegt. Insbesondere Transparenz und ken; da haben wir einige Debatten geführt. Nachvollziehbarkeit müssen uns hierbei wichtig sein. Denn das, was wir von den Unternehmen fordern und (Zuruf des Abg. Jessica Tatti [DIE LINKE]) was wir an Erwartungen an sie stellen, müssen wir selbst Ich freue mich dennoch, dass wir Pilotprojekte wie die erfüllen. Wir haben hier Vorbild zu sein. Für alle Bereiche Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz nüch- gelten wiederkehrende Empfehlungen, die da lauten: Mit- tern betrachtet haben. So etwas gibt es; wir müssen nur arbeiter müssen Kompetenzen aufbauen. Sie müssen die schauen, wie wir es zum Einsatz bringen. Deshalb ist Funktionsweisen der KI verstehen. Wir müssen bei Sys- zusammenfassend die zentrale Handlungsempfehlung: temen, die auf maschinellem Lernen aufbauen, die Risi- Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte. Diese ken systematisch klassifizieren, und wir müssen vor ist noch zu führen, damit wir hier vernünftig die Themen allem sicherstellen, dass diese Systeme nicht diskriminie- einsetzen. ren, das Ganze vor dem Hintergrund einer aufgeklärten Gesellschaft. Hier müssen wir die Bevölkerung entspre- Beim Themenbereich „Äußere Sicherheit“ gibt es eine chend mitnehmen und Vor- und Nachteile aufzeigen. Vielzahl von Anwendungen mit positivem Effekt; diese sind allgemein auch unumstritten. Bei dem kritischen Be- Beim ersten Themenblock „KI in der öffentlichen Ver- reich der tödlichen autonomen Waffensysteme haben wir waltung“ wünscht man sich Leitlinien. Die aus meiner den Konsens erzielt, dass diese Waffen international ge- Sicht wohl maßgebliche Leitlinie lautet: KI-Anwendun- ächtet werden sollen. Ich glaube, das ist ein guter Kon- gen haben sich am Menschen zu orientieren und auf der sens, auch wenn die Formulierungen zum Teil auseinan- (B) Basis von Verwaltungsprinzipien zu erfolgen. Für den dergingen. Bei der sicherheitsrelevanten Forschung gibt (D) Bürger muss es nachvollziehbar sein, wann und wo KI es bereits die Festlegung, dass wir europäische Positionen zum Einsatz kommt, sodass er sich darauf einstellen stärken müssen. kann. Ich finde es wichtig – das gilt, glaube ich, für alle Für unsere Behörden gilt aber auch, dass sie gute Daten Gruppen –, dass stets gilt: Der Mensch steht bei allen brauchen. In erheblichem Maße sind wir auf die Qualität Entscheidungen im Mittelpunkt. Als Kernaufgabe möch- und die Integrität der Daten sowie auf deren Struktur an- te ich formulieren: Wir blicken auf 70 Jahre erfolgreiche gewiesen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir soziale Marktwirtschaft zurück. Die gesellschaftliche möglichst vollständige und durchgehende Open-Data- Transformation muss uns jetzt gelingen, um unter Nut- Bestände brauchen, um hier erfolgreich sein zu können. zung der wirtschaftlichen, ökonomischen und sozialen Wir werden dadurch die Qualität und auch die Effizienz Potenziale der KI die Welt für uns zu verbessern. Ich der Verwaltung deutlich steigern können. Ich bin davon glaube daran, ich bin Optimist, und dabei unterstützt mich überzeugt, dass auch die Bürgerzufriedenheit steigt, wenn die CDU/CSU-Fraktion. wir KI vernünftig zum Einsatz bringen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des Abg. Mario Branden- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- burg [Südpfalz] [FDP]) ordneten der SPD) Beim zweiten Themenblock „Smart City und Open Data“ wurde eine interessante Wechselbeziehung erkenn- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: bar: Einerseits sind Smart Citys zentrale Quellen für Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Kluckert, Open Data; andererseits müssen sie von Open Data profi- FDP. tieren. – Wir wollen dieses Potenzial schöpfen. Es ist deshalb unausweichlich, dass wir operativ umsetzbare (Beifall bei der FDP) Rechtsrahmen schaffen, dass wir robuste digitale Infra- struktur generieren und – das muss allen klar sein; nicht Daniela Kluckert (FDP): nur uns, sondern der Gesellschaft insgesamt – dass wir Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- nichtpersonenbezogene Daten öffentlich, frei verfügbar ren! Bei den ganzen Themen „Social Media“, „Plattfor- und ohne jegliche Nutzungseinschränkung bereitstellen; men im Consumer-Bereich“ und bei der Kommunikation das betrifft auch Verwaltungsdaten. Von diesem Grund- schauen wir hier aus Deutschland und Europa zu, wie gedanken sind wir noch weit weg. andere Standards setzen und eben auch das Geld verdie- 17242 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Daniela Kluckert (A) nen. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir bei den neuen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) Technologien ganz weit vorne sind. der SPD) Wir müssen uns dem Thema KI positiv stellen, so wie uns das die Japaner vormachen, so wie uns das auch die Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Südkoreaner vormachen. Doch wir halten uns hier im Nächste Rednerin ist die Kollegin Jessica Tatti, Die Haus und auch in der Gesellschaft viel zu oft mit negati- Linke. ven Diskussionen über Phänomene auf, die in die Berei- che „höchst unwahrscheinlich“ oder „überhaupt nicht (Beifall bei der LINKEN) wahrscheinlich“ gehören. Wenn etwas nicht gewünscht ist, dann wird über Ethik gesprochen, dann wird über Jessica Tatti (DIE LINKE): das Verfahren diskutiert. Doch die KI geht nicht weg; Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und sie geht genauso wenig weg wie die Digitalisierung. Üb- Kollegen! Der Bundestag hatte beschlossen, dass sich rigens befinden wir uns nicht in einer Zeit vor der Digita- eine Enquete-Kommission mit den Potenzialen von KI, lisierung, sondern wir sind mittendrin. künstlicher Intelligenz, also mit selbstlernenden Compu- tersystemen, befassen soll, um wirtschaftlichen, sozialen (Beifall bei der FDP) und ökologischen Fortschritt zu erreichen. Für unseren Wohlstand, für unser Fortkommen ist es un- heimlich wichtig, dass wir bei der KI wieder auf dem Nun konnte man von einer Projektgruppe „KI und Driver Seat sitzen und nicht nebendran. Wirtschaft“ unter Leitung der CDU/CSU wohl nicht er- warten, unter Fortschritt mehr zu verstehen als Wachstum Eines dieser ständig genannten negativen Themen ist und Wettbewerb. Die Verteilung von Einkommen und das Verhalten von KI bei Entscheidungen beim autono- Vermögen, men Fahren. Doch sind diese Fragen tatsächlich real? Nein, sie sind es nicht! Denn während wir hier theoretisch (Ronja Kemmer [CDU/CSU]: Das muss man diskutieren, da schaffen die anderen Fakten. Während erst mal erwirtschaften!) Google in Kalifornien 50 000 Testmeilen fährt, haben ökologische Aspekte und die Frage, wie eine gemeinwoh- wir noch nicht einmal richtig angefangen. Während in lorientierte KI aussieht, spielte bei Ihnen höchstens eine anderen Ländern Kindern mit KI Bildungschancen eröff- untergeordnete Rolle und das finden wir unangemessen. net werden, pflegen wir hier immer noch den Overhead- projektor; denn der ist definitiv nicht vernetzt. (Beifall bei der LINKEN)

(B) (Beifall bei der FDP) Es wurde auch nicht hinterfragt, ob das prognostizierte (D) Wachstum durch KI realistisch ist. Das erinnert an den KI kann helfen, unsere Gesellschaft gerechter und auch Hype um Industrie 4.0. Auch sie wurde zum zentralen effizienter zu machen. Eine Idee wäre doch – mein Kolle- Wachstumstreiber erklärt; aber weltweit ist in Industrie- ge hat es schon gesagt – das Recht auf KI bei Behörde- nationen trotz fortschreitender Digitalisierung eine Ver- nentscheidungen, also unabhängige Entscheidungen bei langsamung des Produktivitätswachstums zu beobachten. Standardfragen, mit einem transparenten Algorithmus, Doch für CDU und FDP scheint nichts wichtiger zu sein, bei dem klar ist, auf welcher Grundlage die Entscheidun- als dass Deutschland in Sachen KI die weltweite Innova- gen gefällt werden und wie sie gewichtet sind. Also nur tionsführerschaft einnimmt. das Foul wird sanktioniert und nicht alles, was Innovation bedeutet, im Vorhinein schon verboten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Als wäre KI die Lösung all unserer Probleme und als Ich finde – ganz ehrlich –: Wir hier in Deutschland, in würde sich gesellschaftlicher Nutzen allein an der Anzahl Europa haben die feinsten Gesellschaften. Wir haben das von Start-ups bemessen. beste Gesellschaftssystem. Dann wäre es doch richtig, wenn wir von hier aus Standards setzen für eine faire (Manuel Höferlin [FDP]: Aber irgendeiner und wertvolle Zukunft. Doch das passiert weder mit muss es doch zahlen!) dem Fuß auf der Bremse noch im Schlafwagen. Die meisten KI-Geschäftsmodelle aus den USA zielen Unsere Zusammenarbeit in der Enquete-Kommission allein darauf, massenhaft persönliche Nutzerdaten zu war bisher gut und vertrauensvoll, und das liegt sicherlich sammeln und für Werbezwecke einzusetzen. auch an unserer Vorsitzenden Daniela Kolbe und dem richtig starken Team vom Sekretariat. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: So ist es!) (Beifall bei der FDP und der SPD) Das produziert keinen wirtschaftlichen Mehrwert, son- dern ist digitale Wegelagerei. Wenn wir jetzt noch größer denken, wenn wir die Infra- struktur schaffen, die für KI gebraucht wird, wenn wir (Beifall bei der LINKEN) mehr wollen und schneller sind, wenn wir vertrauen statt misstrauen, dann wird es auch einen richtig erfolgreichen Fakt ist, dass solche Geschäftsmodelle die ungleiche Abschluss geben. Verteilung des Reichtums weiter vorantreiben. Wir haben derzeit ein Wirtschaftssystem, das den Planeten zerstört Vielen Dank. und unsere Gesellschaft spaltet. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17243

Jessica Tatti (A) (Dr. [FDP]: Das haben wir 1989 zig Änderungsanträge mit zum Teil weitreichenden Än- (C) abgeschafft!) derungen eingehen. Ich denke auch, dass der Umgang Die Linke fordert: Wir müssen weg von der marktradika- miteinander in der Projektgruppe „KI und Staat“ für die len Ideologie des Wachstums allein um des Wachstums Vorsitzende nicht immer ganz leicht war. Ich würde mich willen. daher freuen, wenn wir in der zukünftigen Arbeit noch stärker an einem Strang ziehen würden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Stattdessen brauchen wir massive Investitionen in die wie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Technologien, mit denen wir das Wirtschaftssystem öko- Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]) logisch und sozial nachhaltig umbauen können. Beim Einsatz von KI in der Hoheit des Staates ist die (Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Das ist Wahrung der Grundrechte ja das zentrale Thema – Dieter auch KI!) Janecek hat eben schon auf China verwiesen; Kollege Künstliche Intelligenz kann dabei eine wichtige Rolle Sauer, es reicht nicht, nur Transparenz herzustellen –, ge- spielen, Herr Brandenburg. Dazu muss die öffentliche rade in so sensiblen Bereichen wie Gesichtserkennung Hand gezielt in gemeinwohlorientierte Projekte investie- oder Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen, bei Pre- ren, auch wenn sie keinen schnellen Gewinn versprechen, dictive Policing, also der Vorhersage von Straftaten, oder zum Beispiel in smarte Stromnetze, in KI-gesteuerte Re- eben auch beim Einsatz von tödlichen autonomen Waf- cyclinganlagen, in Rollstühle, die barrierefreie Wege fin- fen. Daher hätten wir uns im Zwischenbericht ein deut- den. licheres und konsequenteres Bekenntnis zur Ächtung von tödlichen autonomen Waffen gewünscht oder auch klare Investieren müssen wir aber nicht nur in Technik, son- verfassungsrechtliche Vorgaben bei Überwachung und dern vor allem in die Menschen. innerer Sicherheit. Da wäre sicherlich einiges mehr drin gewesen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bildung und Weiterbildung sind die Grundlage, um die Nun hat die zweite Arbeitsphase begonnen, in der wir Beschäftigten im technologischen Wandel zu stärken. Sie uns zum Beispiel in der Projektgruppe „KI und Medien“ müssen in ihren Betrieben über den Einsatz von KI-Sys- mit der Frage beschäftigen, wie künstliche Intelligenz den temen mitentscheiden können. freien Meinungsbildungsprozess bestimmt. Das sind sehr komplexe Fragestellungen. Da gibt es schon unter den (B) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (D) Sachverständigen unterschiedliche Auffassungen darü- neten der SPD) ber, ob es Social Bots überhaupt gibt und wie man diese Das A und O ist eine starke betriebliche Mitbestimmung. gegebenenfalls regulieren muss. Da müssen wir uns fo- Das Anliegen der Enquete sollte die Klärung der Frage kussieren, und zwar auf Kl-Anwendungen, die bereits sein, welche Regeln wir brauchen, damit Technik dem heute oder in Zukunft angewendet werden und einerseits Menschen dient. Eine Antwort hierauf ist die Enquete- einen konkreten Nutzen für die Menschen bringen, ande- Kommission bislang im Wesentlichen schuldig geblie- rerseits aber eben auch Risiken für den Meinungsbil- ben. Daher mussten wir den Teilbericht „KI und Wirt- dungsprozess und damit für unsere Demokratie bergen; schaft“ in dieser Form ablehnen. Wir hoffen trotzdem die müssen dann aber auch reguliert werden. Für die Re- auf gute Zusammenarbeit für die nächste Projektgruppe. gulierung – daran müssen wir die eine oder den anderen vielleicht noch einmal erinnern – sind eben wir als Ge- Ich wünsche schöne Weihnachten. setzgeber zuständig. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Die Zusammenfassungen der ersten Zwischenberichte Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste sind jetzt online abrufbar, und wir freuen uns natürlich auf Rednerin. die Debatte mit der interessierten Öffentlichkeit. Es nagt an mir aber schon die Frage: Was passiert denn jetzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eigentlich mit den ganzen Ergebnissen? Der Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesell- Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schaft“ aus der 17. Wahlperiode ist damals nämlich direkt Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch von in der Schublade verschwunden, und die Handlungsemp- meiner Seite erst einmal ganz herzlichen Dank an die fehlungen, die damals interfraktionell im Konsens erar- Kolleginnen und Kollegen, die Sachverständigen und beitet und beschlossen wurden, werden bis heute geflis- vor allen Dingen an das Sekretariat für die Zusammen- sentlich ignoriert. Von Öffentlichkeit und Transparenz arbeit insbesondere in der Projektgruppe „KI und Staat“. der Ausschusssitzungen bis zu Green IT: Wir warten im- An der einen oder anderen Stelle hätten wir uns aber viel- mer noch auf ihre Umsetzung. leicht eine kooperativere Zusammenarbeit gewünscht. Es ist sicher für alle Beteiligten nicht besonders hilfreich, Ich will es einmal unverblümt sagen: Wenn die Emp- wenn kurz vor der Deadline für den Zwischenbericht fehlungen einer Enquete-Kommission nicht in Gänze ver- 17244 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Tabea Rößner (A) öffentlicht und mit der Öffentlichkeit diskutiert, ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) schweige denn umgesetzt werden, dann ist diese ganze ordneten der SPD) Veranstaltung doch nur eine Fortbildungsmaßnahme für Wir haben uns folgende Fragen gestellt: Was kann KI im Abgeordnete; und das kann nicht der Sinn der Sache sein. Bereich Gesundheit konkret bewirken? Wie kann der Pa- Vielen Dank. tient unterstützt werden? Wie können Diagnosen effizien- ter gestellt werden? Wie kann der Arzt, wie kann das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Pflegepersonal da unterstützt werden? Da haben wir sehr wie bei Abgeordneten der LINKEN – René gute Handlungsempfehlungen erarbeitet. Dafür noch mal Röspel [SPD]: Wann machen die Grünen mal meinen herzlichsten Dank an alle, die dort mitgearbeitet wieder öffentliche Fraktionssitzungen? Das haben. war doch früher mal so!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN und des Abg. Mario Brandenburg [Süd- Andreas Steier, CDU/CSU, ist der nächste Redner. pfalz] [FDP]) (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie mich zwei Themen ansprechen, die wir auch in der Projektgruppe „KI und Gesundheit“ bespro- Andreas Steier (CDU/CSU): chen haben. Ein zentrales Thema ist das Thema Daten. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Gerade im Gesundheitsbereich können über Daten natür- Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, lich viele Diagnoseverfahren beschleunigt werden. In der wenn man sich die Debatte anhört, dann stellt man fest, Bildgebung können wir schneller Diagnosen erhalten. dass es gut ist, dass wir uns hier im Bundestag Zeit ge- Wir können in der Forschung schneller Zusammenhänge nommen haben, um mit Experten über künstliche Intelli- herstellen. Und im Bereich der Robotik kann KI natürlich genz zu reden und dieses Thema aufzuarbeiten. Wir sto- auch dem Pflegepersonal und den Ärzten sehr gut zu ßen damit den Dialog mit der Gesellschaft an, um eben Hilfe kommen. das Wissen über künstliche Intelligenz in der Gesellschaft zu erweitern, um Vertrauen in eine neue Technologie zu Beim Thema „Daten im Gesundheitsbereich“ müssen schaffen, um die Gesellschaft mitzunehmen, um Ängste wir aber auch aufpassen; denn es handelt sich hier um zu reduzieren und um eben auch ein Regelwerk hier im sensible Daten. Gerade an dem Kompromiss zwischen Bundestag anzustoßen. Deshalb ist es gut, dass wir diese der Sensibilität beim Umgang mit persönlichen Daten Debatte hier heute führen. und dem Nutzen, den sie bringen, haben wir unsere Hand- (B) lungsempfehlungen ausgerichtet und gute Vorschläge (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- erarbeitet. neten der SPD und des Abg. Mario Branden- burg [Südpfalz] [FDP]) Wenn man über Daten spricht, stellen sich natürlich auch die Fragen: Müssen wir die DSGVO im Hinblick Wenn man sich die Reden anhört, stellt man aber auch auf personalisierte Daten entsprechend weiterent- fest, dass viele Dinge kontrovers diskutiert werden. Das wickeln? Müssen wir das Regelkonstrukt, das wir in hängt damit zusammen, dass viele einzelne Dinge einfach Deutschland schon haben, gezielt vielleicht auch auf in einen Topf geworfen werden, und je nachdem, welcher den Bereich der Pseudonymisierung ausweiten und dafür politische Nutzen daraus gezogen werden kann, wird das Regeln und Handlungsempfehlungen aufstellen? Wie entweder in die eine Richtung zu Ängsten oder in die können wir mit anonymisierten bzw. pseudonymisierten andere Richtung zu positiven Hoffnungen umdefiniert. Daten umgehen? Denn letztendlich hilft es dem Patienten Daher ist es richtig, dass wir in der Enquete-Kommission vielleicht mehr, wenn er pseudonymisierte Daten von sich die Themen getrennt voneinander betrachtet haben, dass mit neuen Erkenntnissen aus der Wissenschaft abgleichen wir uns Zeit genommen haben, verschiedene Projekt- kann, um später Rückschlüsse auf seine persönliche Ge- gruppen zu gründen, und dass wir das Thema „künstliche sundheit zu ziehen. Da gilt es, das zielgenau entsprechend Intelligenz“ in den einzelnen Anwendungsgebieten im regulativ weiterzuentwickeln. Detail besprochen haben. In diesem Kontext müssen wir uns natürlich auch darü- Ich persönlich war ja in der Projektgruppe „KI und ber unterhalten, wie wir die verschiedenen Datenschutz- Gesundheit“. Da sieht man auch, wie man gemeinsam gesetze der Länder, die verschiedenen Landeskranken- an einem Thema arbeiten kann, hausgesetze harmonisieren; auch dazu haben wir etwas (Beifall bei Abgeordneten der SPD) geschrieben. Da gilt es, entsprechend weiterzumachen. wie man gemeinsam Fragen aufwerfen kann, ohne ideo- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) logisch vorgeprägt zu sein, Lassen Sie mich kurz als letzten Punkt etwas zur Pflege (Beifall des Abg. Falko Mohrs [SPD]) sagen. Im Bereich der Pflege erhoffe ich mir viele Ver- besserungen, um das Pflegepersonal entsprechend zu un- sodass man eben auch darüber diskutieren kann: Was terstützen. Ich freue mich schon auf die nächste Debatte, kann künstliche Intelligenz dem Menschen bringen? die hier gleich ansteht. Ich freue mich auch auf den wei- Der Mensch stand in unserer Projektgruppe im Zentrum teren Dialog. der Debatte; an dieser Festlegung haben wir die techni- schen Fragen ausgerichtet. Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17245

Andreas Steier (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas (C) ordneten der SPD) Steier [CDU/CSU]) Es geht auch darum, zu sagen: Wir wollen keinen Ver- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: trauens- oder Kontrollverlust. Wir wollen aber auch keine Falko Mohrs, SPD, ist der nächste Redner. überbordende Kontrolle, wie wir es in totalitären Staaten erleben. Wir erleben beispielsweise in China, dass über (Beifall bei der SPD) ein „Social Scoring System“ – das war hier in den letzten Monaten an verschiedensten Stellen Thema – mithilfe Falko Mohrs (SPD): von Gesichtserkennung und künstlicher Intelligenz ein Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- gesellschaftlich und politisch meinungskonformer Bürger ren! Auch von mir erst mal einen Dank an die Sachver- erzogen werden soll. Das, meine Damen und Herren, ist ständigen der Enquete-Kommission und das Sekretariat, nicht unser Freiheitsbild, das ist nicht unser Bild einer die unsere Arbeit wirklich maßgeblich bereichert haben – demokratischen Grundordnung. Das ist auch nicht unsere einige sitzen da oben; wir haben es gehört –: Vielen lieben Vorstellung, wie wir künstliche Intelligenz in Deutsch- Dank für die Beteiligung an unserer Arbeit. land und im Speziellen in der Wirtschaft gestalten wollen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN und des Abg. der CDU/CSU und der Abg. Jessica Tatti [DIE Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]) LINKE]) Wenn wir über künstliche Intelligenz in der Wirtschaft Wir wollen auch eine künstliche Intelligenz, die nicht reden – das war ja die Projektgruppe, die ich begleiten diskriminiert, die negative Entwicklungen aus der Ver- durfte – und an die Szenarien denken, die auf den Covern gangenheit nicht einfach auf die Zukunft überträgt. Wir der Magazine oder in den Köpfen entstehen, dann sehen wollen auch keine Reden oder Hypes über künstliche wir eine große Bandbreite: angefangen von „Die Roboter Intelligenz, die von einer reinen Sauerstoffübersättigung ersetzen die Menschen“ über „Alle Welt wird arbeitslos“ geprägt sind. Nein, meine Damen und Herren, wir wollen bis hin zu den Potenzialen, die an vielen Stellen mit Si- künstliche Intelligenz, die den Menschen in den Mittel- cherheit auch übertrieben werden. punkt stellt, die das Leben der Menschen in diesem Land Ich glaube, unsere Aufgabe in der Enquete-Kommis- konkret verbessert. Das ist unser Leitmotiv: Vom Ende sion und auch in der Projektgruppe ist es, eben nicht, in her denken. den absolute Hype der positiven Überhöhung zu verfal- Es liegt an uns, wie wir ein realistisches, ein gutes und len, aber eben auch nicht, den dramatischen Bilder zu ein verantwortungsvolles Bild von künstlicher Intelligenz (B) folgen, die von manchen gezeichnet werden. Unsere Auf- (D) in der Zukunft gestalten. Es ist auch unsere Verantwor- gabe, auch von denjenigen, die hier im Parlament Verant- tung, heute die richtigen Rahmenbedingungen dafür zu wortung tragen, ist es, einen guten, realistischen Weg setzen. Dabei, meine Damen und Herren, können Sie sich aufzuzeigen, welche Vorteile künstliche Intelligenz brin- auf die SPD verlassen. gen kann und gleichzeitig aber auch Grenzen zu ziehen und gegebenenfalls zu sagen: Das ist eine Art von KI, die Ich wünsche allen – hoffentlich bald – frohe Feiertage. wir nicht wollen. – Darin, meine Damen und Herren, be- steht unsere gemeinsame Verantwortung hier in diesem Danke sehr. Haus. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU und der LINKEN und des Abg. Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Deswegen war unser Ansatz in der Projektgruppe Wirt- Hansjörg Durz, CDU/CSU, ist der voraussichtlich letz- schaft, in Szenarien zu denken. Wir haben gesagt: Wir te Redner in dieser Debatte. wollen weder dem Hype noch der Dramatik hinterherlau- (Beifall bei der CDU/CSU) fen, sondern wir wollen für uns Szenarien beschreiben, wie wir uns künstliche Intelligenz im Jahr 2030 oder 2040 Hansjörg Durz (CDU/CSU): vorstellen. Wir wollen vom Ende her denken und sagen: Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen Wenn das das Ziel ist, das wir erreichen wollen, dann sind und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! das die Maßnahmen, die wir heute ergreifen müssen. – Noch einen halben Tag Debatte, dann verabschieden wir Ich glaube, das sind die richtige Erwartungshaltung und uns in die Weihnachtsferien. Wenn wir als Politiker mit die richtige Herangehensweise, wenn wir über eine Zu- Blick auf die Digitalwirtschaft Datenmonopole kritisie- kunftstechnologie sprechen. ren, so wird wohl niemand auf die Idee kommen, in die- Dann geht es natürlich um die Frage: Wie normieren sen Tagen eines der erfolgreichsten Monopole der wir eigentlich KI? Wie schaffen wir Transparenz? Wie Menschheit zu kritisieren; denn die Geschenke unter schaffen wir es – und das ist unser Ziel –, dass künstliche dem Weihnachtsbaum kommen auf der ganzen Welt fast Intelligenz Menschen und ihre Fähigkeiten ergänzt und ausschließlich von einem einzigen Anbieter: dem erweitert, nicht aber ersetzt? Das ist doch die wesentliche Weihnachtsmann. Wer an diesen nicht mehr glauben Frage, die uns bei der Ausgestaltung von künstlicher In- mag, kann ihn auch durch Jeff Bezos ersetzen. Diejenigen telligenz in den nächsten Jahren leiten soll. in diesem Haus, die in der christlichen Theologie bewan- 17246 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Hansjörg Durz (A) dert sind, werden uns sagen: Das stimmt nicht. Die Ge- Deshalb ist das Projekt Gaia-X mit der Idee des Daten- (C) schenke bringt das Christkind. treuhänders verbunden. Diesen benötigen nicht nur Un- ternehmen, sondern auch jeder einzelne Bürger; denn je- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ge- der von uns besitzt im Schnitt rund 200 digitale nau!) Nutzerkonten. Das klingt viel; aber wenn man mal über- Dem würde ich mich übrigens auch anschließen. legt, wo man sich überall angemeldet hat – die meisten hat man bereits vergessen –, dann kommt es hin. Um den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Überblick zu behalten, soll es jedem möglich sein, ein- Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sehr fach zu bestimmen, welches Unternehmen welche Daten gut!) nutzen darf. Die Zustimmung kann dabei ebenso leicht mit einem Klick gegeben oder entzogen werden. So Doch die Monopolstellung des Weihnachtsmannes ist so schaffen Datentreuhänder echte Datensouveränität. groß, dass das Christkind als Lieferant für die Weih- nachtsgeschenke immer weiter zurückfällt und an Markt- Wir müssen außerdem den Transfer von der Wissen- anteil verliert. schaft in Geschäftsmodelle stärken. Dazu braucht es auch gute Rahmenbedingungen für Start-ups und eine bessere (Beifall des Abg. [CDU/ Wagniskapitalförderung. Mit all dem wollen wir die Un- CSU]) ternehmen dann in regulatorische Sandkästen setzen, also Ähnlich verhält es sich zurzeit mit den Digitalunter- Experimentierräume, in denen sie neue Geschäftsmodelle nehmen und deren Möglichkeiten, KI zum Einsatz zu ausprobieren können. Übrigens muss auch der Staat dabei bringen. Mal angenommen, Weihnachtsmann und Christ- sein; denn auch für ihn gilt lebenslanges Lernen. kind wären solche Digitalunternehmen: Warum bringt In den Diskussionen der Enquete, insbesondere in der dann der Weihnachtsmann als amerikanisch geprägtes Projektgruppe „KI und Wirtschaft“, haben wir uns größ- Monopol heutzutage die meisten Geschenke? tenteils darauf konzentriert, wie wir Unternehmen in Deutschland und Europa das Aufholen in Sachen künst- (Dr. Florian Toncar [FDP]: Wann handelt die licher Intelligenz ermöglichen können. Weniger haben Regierung denn dann endlich?) wir uns über die Veränderungsprozesse der Wirtschaft Das liegt auch daran, dass er die Wünsche der Menschen als solche unterhalten. mithilfe von KI prognostiziert und somit ziemlich treff- sicher voraussagen kann, was sie sich wünschen. Das Denn die Digitalisierung und technische Entwicklun- europäisch geprägte Christkind setzt auf hohe Datenqua- gen wie das Machine Learning haben das Potenzial, un- sere Wirtschaftsstruktur grundlegend zu verändern. (B) lität, jedoch auch auf den guten alten handgeschriebenen (D) Wunschzettel. Wie können wir als Politiker dem Christ- Wie können wir beispielsweise das Rückgrat unserer kind unter die Arme greifen? Antworten auf diese Frage Wirtschaft, die KMUs, in Zukunft befähigen, weiterhin werden sich auch im Bericht dieser Enquete finden. bestehen zu können? Dieses Haus sollte sich als Vorsatz für das kommende Jahr auch vornehmen, uns verstärkt Frei nach Helmut Kohl gilt bei der Nutzung von KI diesen Fragen zu widmen. nämlich die Regel: Entscheidend ist, was vorne rein- kommt. – Der Zugriff auf einen großen und qualitativ Wünsche und Vorsätze haben auch Sie sicherlich viele hochwertigen Datenschatz ist Voraussetzung für die in diesen Tagen. Als Wirtschaftspolitiker und Christ emp- KI-Nutzung. Deshalb müssen wir die Empfehlungen der fehle ich: Lassen Sie uns Monopole aufbrechen und den Wettbewerbskommission umsetzen. Der Weihnachts- Wettbewerb stärken. Deshalb würde ich mich freuen, mann muss deshalb wie andere Marktbeherrscher auch wenn bei Ihnen dieses Jahr das Christkind die Geschenke seinen Datenpool – da, wo er seine Marktmacht aus- bringt. nutzt –, teilen, damit auch kleinere Anbieter darauf zu- greifen und Innovationen vorantreiben können; denn Da- In diesem Sinne: Ein frohes Weihnachtsfest! ten sind ein unverbrauchbares Gut, weshalb wir hier faire (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Wettbewerbsbedingungen brauchen. FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD]) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Zudem müssen wir europäische Cloud-Strukturen Damit schließe ich die Aussprache. schaffen, in denen die Daten nach europäischen Daten- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: schutzstandards gespeichert und verwertet werden. Wirt- schaftsminister hat mit seinem Projekt a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gaia-X einen Aufschlag gemacht, der große Beachtung Marc Bernhard, Udo Theodor Hemmelgarn, gefunden hat. Diesen Weg müssen wir nun konsequent , weiterer Abgeordneter und weitergehen. So können wir die Datensilos in Deutsch- der Fraktion der AfD land und Europa verknüpfen. In China werden große Da- Wohnungsnot substanziell bekämpfen – tenmengen durch den Staat gesammelt, in den USA durch Migration als Ursache für Wohnungsnot Monopole. Europa muss hier einen anderen Weg gehen, benennen einen Weg, der die Rechte der Datenemittenten wahrt und schützt. Drucksache 19/16051 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17247

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann (C) Ausschuss für Inneres und Heimat (f) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- nen (f) doch mal einen Vorschlag! Sie haben doch kei- Haushaltsausschuss ne Ahnung vom Thema Wohnungslosigkeit!) Federführung strittig b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Viele Städte sind mit diesem Zustrom hoffnungslos Berichts des Ausschusses für Bau, Wohnen, überfordert. In vielen Kommunen werden bereits 90 Pro- Stadtentwicklung und Kommunen (24. Aus- zent der Gelder für Pflichtaufgaben, die ihnen vom Bund schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten und Land aufgebürdet werden, benötigt. Udo Theodor Hemmelgarn, Marc Bernhard, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frank Magnitz, weiterer Abgeordneter und NEN]: Keine Idee zur Sozialpolitik!) der Fraktion der AfD Ihr grüner Tübinger Oberbürgermeister Palmer bringt die Anpassung des öffentlichen Baurechts zur ganze Absurdität auf den Punkt, indem er klarstellt: Ich Bekämpfung der Obdachlosigkeit bin rechtlich verpflichtet, für die Flüchtlinge zu bauen, Drucksachen 19/7717, 19/9571 aber ich bin nicht verpflichtet, für die schon länger hier Lebenden eine Wohnung bereitzustellen. Das ist die Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten Rechtslage. beschlossen. Wenn Sie bitte Platz nehmen. – Dann eröffne ich die (Beifall bei der AfD) Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Marc Das führt dann dazu, dass zum Beispiel ein Vermieter Bernhard, AfD. in Berlin 20 Prozent mehr bekommt, wenn er an einen (Beifall bei der AfD) Flüchtling vermietet statt an einen einheimischen Bedürf- tigen. In Stuttgart, wo Julia nach anderthalb Jahren immer Marc Bernhard (AfD): noch auf ihr Kinderzimmer wartet, kommt ein Asylbe- werber sofort auf die Warteliste für eine Sozialwohnung, Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Wenn Sie Kin- während Einheimische dafür mindestens drei Jahre in der haben, können Sie sicher nachempfinden, wie es sich Stuttgart gemeldet sein müssen. anfühlt, dem eigenen Kind die naheliegendsten Grund- bedürfnisse nicht erfüllen zu können. „Mama, ich will (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei der auch ein Kinderzimmer“, sagt Julia. Sie ist jetzt sechs LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jahre alt. Gemeinsam mit ihrer Mutter wohnt Julia mo- (B) NEN) (D) mentan in einem 20-Quadratmeter-Zimmer im Stuttgarter Süden ohne Heizung in Küche und Bad, mit einem alten In Rheinland-Pfalz bekommt ein Vermieter zehn Jahre Kachelofen. Seit anderthalb Jahren ist ihre Mutter auf ein zinsloses Darlehen und 10 Prozent des Kredits ge- Wohnungssuche und schreibt über 300 Bewerbungen schenkt, wenn er an Asylbewerber vermietet, während pro Jahr. er nichts bekommt, wenn er die gleiche Wohnung an Ein- heimische vermietet. Es ist unverantwortlich und unso- Das ist das Deutschland, in dem anscheinend alle so gut zial, in Städten, in denen bereits akute Wohnungsnot und gerne leben. Und nein, es ist kein Einzelfall. In Stutt- herrscht, die Situation durch Zwangszuweisung von gart kommen auf eine bezahlbare Wohnung über 1 400 Asylbewerbern weiter zu verschlimmern. Bewerber. In Berlin sind es über 1 700 und in München sogar mehr als 2 000. (Beifall bei der AfD) Laut Hans-Böckler-Stiftung fehlen 2 Millionen Woh- Der Deutsche Städte- und Gemeindebund empfiehlt nungen in Deutschland. 678 000 Menschen in unserem den Kommunen in solchen Notlagen, die Aufnahme wei- Land haben überhaupt keine Wohnung, und viele Millio- terer Flüchtlinge zu verweigern. Genau hier setzt unser nen Haushalte müssen fast die Hälfte ihres Nettoeinkom- Antrag an. Entscheidungen sollen dort gefällt werden, wo mens für die Miete ausgeben. Und die Mieten steigen fast sie auch ausgebadet werden müssen. doppelt so schnell wie die Einkommen. (Beifall bei der AfD) Es wird nicht besser. Nein, der Konkurrenzkampf um Wohnraum wird schlimmer. In den letzten Jahren ist die Wer die Rechnung bezahlt, der soll auch mitbestimmen. Bevölkerung in Deutschland durch Zuwanderung um Städte und Gemeinden sollen ein Vetorecht bekommen. über 3 Millionen Menschen gestiegen. Jedes Jahr kom- Sie müssen die Möglichkeit haben, Zwangszuteilungen men netto eine halbe Million Neubürger dazu. von Asylbewerbern abzulehnen, wenn nicht genügend Wir leben in einem der Länder mit der höchsten Bevöl- Wohnungen zur Verfügung stehen oder in angemessener kerungsdichte, so dicht bevölkert, dass Carola Rackete in Zeit gebaut werden können. naher Zukunft Deutschland verlassen will, weil ihr hier zu (Beifall bei der AfD) viele Menschen auf zu engem Raum leben. Aushalten müssen diese Situation also sicherlich nicht Carola Ra- Wir sorgen damit dafür, dass in Zukunft die Kommu- ckete oder Sie, die Entscheidungsträger hier in Berlin, nen nicht mehr gezwungen werden, verschiedene Bevöl- sondern die Menschen vor Ort in den Städten und Ge- kerungsgruppen auf dem Wohnungsmarkt gegeneinander meinden. auszuspielen. 17248 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Marc Bernhard (A) (Widerspruch bei der SPD und der LINKEN – nen. Alle anderen gelten nämlich als wohnungslos, weil (C) Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: sie in staatlich finanzierten Wohnheimen, Notunterkünf- Falsch! Sie machen das doch!) ten oder bei Freunden übernachten. So die Auskunft der zitierten BAG. Allein die erstmalige Aufnahme von Heute haben Sie mit uns zusammen die Gelegenheit, 440 000 Flüchtlingen im Jahr 2016 zeigt, dass diese Sta- dafür zu sorgen, dass auch Kinder wie Julia zukünftig in tistik einer Differenzierung bedarf. unserem Land gut und gerne leben können. (Beifall bei der AfD – [DIE Im Rahmen der föderalistisch verteilten Aufgaben stel- LINKE]: Wenn der Junge Ali heißt, soll er kei- len Kommunen Notunterkünfte bereit – auch das muss ne Wohnung haben! Das ist Ihre Politik!) man festhalten; es ist keineswegs so, dass hier keine Pflicht besteht –, die allerdings zunehmend mit den Woh- nungsangeboten insbesondere natürlich in den Ballungs- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: räumen konkurrieren. Torsten Schweiger, CDU/CSU, ist der nächste Redner. Folgerichtig ist die Schaffung von neuen Wohnungen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist auch erklärtes Ziel unserer Regierungskoalition. Und die umfassende Wohnraumoffensive mit 1,5 Millio- Torsten Schweiger (CDU/CSU): nen neuen Wohnungen, die wir gestartet haben, die Stär- Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- kung des sozialen Wohnungsbaus mit Bundesmitteln in legen! Liebe Zuschauer! Lieber Marc Bernhard, Unfug Milliardenhöhe –, das sind die sogenannten Kompensa- bleibt Unfug. Da hilft es auch nicht, wenn man es wieder- tionsmittel, das Baukindergeld, die Sonderabschreibung holt. etc. – sind richtige Schritte. Über die Weiterführung der Städtebauförderung auf Rekordniveau haben wir gestern ( [AfD]: Tatsachen bleiben gesprochen. Das ist die richtige Reaktion auf diese Prob- Tatsachen, Herr Kollege!) lematik. Aber ich will hier die Polemik mal ein bisschen beisei- telassen. Der Antrag ist nämlich eigentlich zu ernst, um (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- darüber in dieser Art und Weise zu reden. ordneten der SPD) Der Antrag der AfD geht meiner Meinung nach auch aus (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie einem anderen Grund am Problem vorbei. Er isoliert bei Abgeordneten der SPD) nämlich die Betrachtung auf die Änderung des Bauge- Der Antrag trägt den Titel „Anpassung des öffentlichen setzbuches, und das wird der Problemlage nicht gerecht, (B) Baurechts zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit“. erst recht nicht – und das ist hier das eigentlich Perfide (D) daran –, wenn man versucht, Flüchtlinge und Obdachlose (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gegeneinander auszuspielen. NEN]: Kein Wort darüber!) Er basiert im Wesentlichen auf den Angaben der BAG (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Wohnungslosenhilfe. Aus Sicht unserer Fraktion ist er der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE aber nicht geeignet, die Problematik, die hier aufgewor- GRÜNEN) fen wird, auch nur ansatzweise zu ändern. Warum das so Auch formell erfüllt der Antrag in keiner Weise die ist, will ich gerne erläutern. Anforderungen. Zuerst will man die Unterkünfte von Ob- (Enrico Komning [AfD]: Da sind wir auf Ihre dachlosen den Unterkünften für Flüchtlinge gleichstellen, Lösung mal gespannt!) dann will man die Privilegierung der Flüchtlingsunter- künfte aufheben, obwohl diese ja bereits im BauGB be- Schauen wir uns zunächst die Datenlage an, die hier fristet ist. Spätestens hier würde sich die Frage stellen: benutzt wird, um den Antrag zu begründen. Es wird über- Was ist denn mit der Gleichstellung, die man wollte? haupt nicht sauber differenziert. Aber nach den einschlä- Bedeutet das die Gleichstellung in der Abschaffung der gigen Definitionen, die die BAG übrigens selber anwen- Privilegierung? Die heiße Nadel, mit der dieser Antrag det, ist Wohnungslosenhilfe stark differenziert. Nicht alle gestrickt wurde, ist meiner Meinung nach sehr deutlich wohnungslosen Menschen sind gleichzeitig obdachlos. erkennbar. Das muss man wirklich unterscheiden. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Immer dann nämlich, wenn der Staat, aus welchen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Gründen auch immer, die Bereitstellung und Finanzie- ordneten der FDP) rung der Wohnungen oder Unterkünfte übernimmt, gelten die Personen als wohnungslos, nicht aber zwangsläufig Ich fasse zusammen: Problematische Faktenrecherche als obdachlos. Dass hier gehandelt werden muss, ist un- verbunden mit ungenügender Reichweite des Vorschla- strittig. Darauf werde ich aber später noch einmal einge- ges und das Ausspielen von Obdachlosen und Flüchtlin- hen. gen gegeneinander sind die wesentlichen Inhalte des An- trages. Der Vorschlag der Regierungskoalition reicht hier Von den im Antrag der AfD genannten 860 000 be- wirklich weiter. troffenen Personen im Jahr 2016 sind nach Angaben der BAG circa 52 000 tatsächlich obdachlos. Diese Differenz Es bleibt leider nur bei dem Resümee: Ablehnung des zeigt, dass wir hier nicht pauschal über alle urteilen kön- Antrags! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17249

Torsten Schweiger (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulli Ja, die Städte müssen mehr bauen. Hilfreich wäre es, (C) Nissen [SPD]: „Leider“?) wenn Baugenehmigungen zügiger erteilt würden. Vor al- lem müssten die Voraussetzungen, Häuser zu errichten, Im neuen Antrag – es sind ja zwei – wird es noch erleichtert werden. Zur Wahrheit gehört auch, dass alleine perfider. Es wird schon mit dem Titel suggeriert, Migra- die Energieeinsparverordnung die Baupreise rasant an- tion sei die alleinige Ursache der Wohnungsnot. Dabei steigen lässt, und dann kommen noch die hohen Neben- kommt das Wort „Migration“ – und das will ich hier kosten dazu. mal deutlich sagen; ich habe nämlich nachgeschaut –, im zitierten Artikel des „Handelsblattes“ nicht ein ein- Es gibt Bewohner, die bewegen sich frei auf dem ziges Mal vor. Markt, können viel Geld in die Hand nehmen, können bauen oder kaufen, was immer sie wollen. Es gibt aber (Ulli Nissen [SPD]: Hört! Hört!) eben auch Menschen, die einen hohen Bedarf an Sozial- Man spricht dort von „Zuzug“, der „Binnenwanderungs- wohnungen haben. Für diejenigen müssen wir da sein und verluste“ ausgleicht. Das ist richtig. Dass man eigentlich entsprechende Unterstützung gewähren. Asylsuchende und nicht Migranten meint, wird später im Wir brauchen aber vor allem mehr bezahlbaren Wohn- Antrag der AfD deutlich. raum für Menschen mit mittlerem Einkommen, die zu wenig verdienen, um sich unbeschwert auf dem freien Es bleibt auch hier leider nur ein Fazit: Ablehnung! Markt zu bewegen, und zu viel monatlich zur Verfügung (Ulli Nissen [SPD]: Schäbig! Genau!) haben, um Anspruch auf eine staatliche Leistung zu ha- ben. Vielen Dank und ein frohes Weihnachtsfest! (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Meine Damen und Herren, was fehlt, ist bezahlbarer KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wohnraum für Familien mit Kindern, für die Mitte der sowie bei Abgeordneten der FDP) Gesellschaft, für die Menschen im Land, die den norma- len Alltag am Laufen halten: Erzieherinnen und Erzieher, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die sich um unsere Kinder kümmern, Menschen, die sich Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP, ist die um unsere Sicherheit sorgen, Männer und Frauen aus nächste Rednerin. Gastronomie, Handwerk, Einzelhandel, Pflegerinnen und Pfleger, die eben nicht immer in die Städte einpen- (Beifall bei der FDP) deln wollen. Wir müssen einen anderen Rahmen setzen. (B) Wir müssen mehr bauen und gesetzliche Erleichterungen (D) Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): schaffen. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Dieses gesellschaftlich relevante Thema von fehlen- ren! Die Menschen in Deutschland zieht es aus vielen dem und zu teurem Wohnraum an Flüchtlingen festzu- Gründen immer mehr in die Städte. Das Lebensmodell, machen, beweist einmal wirklich mehr, meine Damen dass man in der Stadt lebt, dort gegebenenfalls ausgebil- und Herren von der AfD, Ihre intellektuelle Mittelmäßig- det wird und spätestens nach der Geburt des ersten Kindes keit. aufs Land zieht, gehört der Vergangenheit an. Das Gegen- teil ist richtig: Gerade junge Familien bevorzugen das (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Ulli urbane Leben. Man kann bestenfalls in der Nähe der Ar- Nissen [SPD]: Das ist aber noch positiv ausge- beitsstätte wohnen, man kann auf sein Auto verzichten drückt!) und hat alles, was man zum Leben braucht, gewisserma- Wenn man das Wort „platt“ steigern könnte, dann könnte ßen vor der Tür. man sagen: platt, platter, am plattesten. Und es nervt un- Je nach Regionen kann man in der Tat von Landflucht gemein, weil wir ganz anders ansetzen müssen, um sprechen. Die Urbanisierung hat in Deutschland vor Jah- Wohnraum zu schaffen. ren eingesetzt, und die Bundesregierung hat nicht nur viel Es wäre sehr hilfreich, wenn Sie mal die Statistiken zu spät darauf reagiert –, obwohl es kein deutsches Phä- lesen würden. nomen ist, sondern seit Jahrzehnten weltweit stattfindet –, sondern auch erst einmal nur eine Kommission gegründet (Zuruf des Abg. Marc Bernhard [AfD]) und über ein Jahr lang darüber diskutiert und analysiert, – Ja, lassen Sie stecken. – Dass Sie die Zuwanderung für was erfahrene Kommunalpolitiker und -politikerinnen ihr diese Problematik verantwortlich machen, ist ein entlar- in 15 Minuten auf ein Blatt Papier geschrieben hätten. vendes Weltbild. Und natürlich wird das Thema festge- Der Wohnraum in den Städten wird entsprechend der macht an bestimmten Gruppen aus Zuwanderern, Nachfrage und der steigenden Bodenpreise immer knap- (Marc Bernhard [AfD]: Widerlegen Sie die per und daher teurer. Die steigende Zahl von Haushalten Fakten!) und der Anspruch an die Größe einer Wohnung verschär- fen das Problem, und in den Städten sind die Mieten des- an Leuten, die aus Afrika oder dem Nahen bzw. Mittleren halb in den letzten Jahren rasant gestiegen. Für viele Osten kommen. Wissen Sie was? Sie wollen Bilder kre- Menschen bleibt der Kauf einer eigenen Immobilie leider ieren. Sie wollen Ihre kruden Ideen in die Köpfe der ein Traum. Menschen bringen – nicht mehr und nicht weniger. Lesen 17250 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) Sie Statistiken, gehen Sie in die Kommunen, und sehen das christlich-jüdische Abendland beschworen haben: Sie (C) Sie die Realität! sind die personifizierte Bankrotterklärung, wenn es um das christlich-jüdische Abendland geht. (Marc Bernhard [AfD]: Ich weiß ganz genau, was in den Kommunen ist, während Sie hier (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der herumhampeln!) CDU/CSU – Dr. [AfD]: – Ja, was Sie wissen, ist gut; wir wissen mehr. Das ist doch schön hier!) Wenn man – erst recht zu diesem Zeitpunkt – die so- Das Schlimme ist – bei allem Respekt, Herr Präsident, ziale Frage des Wohnens und der Obdachlosigkeit nutzt, vor dem Hohen Haus –: Ihre Ressentiments sind schlicht- um das Asylrecht aushebeln zu wollen, um ein solches weg einfach nur zum Kotzen. perfides Spiel zu spielen, dann ist das nichts anderes als Frohe Weihnachten! eine Schändung der christlichen Botschaft, und das muss als solches benannt werden. (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten der CDU/CSU und der LINKEN – der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist eine GRÜNEN – Lachen des Abg. Dr. Alexander schöne Mischung! Solche Kollegen habe ich Gauland [AfD]) gerne! Widerlich so was!) Wir kommen zur Beweisführung hinsichtlich Ihrer großen christlichen Tugenden. Man gucke mal in die Bi- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: bel und in das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Helge Lindh, SPD, ist der nächste Redner. Wie ist Barmherzigkeit definiert? Es gibt zwei Kriterien: Gottesliebe und Nächstenliebe. (Beifall bei der SPD) Punkt 1: Gottesliebe. Gottesliebe fällt bei Ihnen schon Helge Lindh (SPD): mal aus; denn Sie beten heute als Götzen wieder – es war Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es zu hören – den Hass und die Missgunst an. Gottesliebe? naht Weihnachten, das Fest der Liebe; es ist der Zeitpunkt Fehlanzeige! des Verzeihens. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ach, du der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Schande!) GRÜNEN) (B) (D) Ich wollte versöhnlich sein. Ich hörte diese Rede, ich las Punkt 2: Nächstenliebe. Es heißt übrigens Nächsten- die Anträge. Es geht nicht! liebe und nicht Deutschenliebe, nicht Männerliebe, nicht Weißenliebe, nicht Christenliebe. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/ (Enrico Komning [AfD]: Wir sitzen für die CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ Deutschen hier im Bundestag!) DIE GRÜNEN) In der Bibel heißt es: „Liebe den Nächsten wie dich Ich beginne aber versöhnlich, indem ich meinem In- selbst“. – Da Sie sich selbst nur hassen und jeden Tag nenausschusskollegen Herrn Herrmann ausdrücklich mehr Grund haben, sich selbst zu hassen, fällt das auch meine Hochachtung für den konsequenten und mutigen aus. Schritt ausdrücken will, die AfD-Fraktion und die AfD verlassen zu haben. Herzlichen Glückwunsch! Beweisführung erbracht! „Antichristen für Deutsch- land“ ist die Definition von AfD. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Enrico Komning [AfD]: Er hat Angst um sei- bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und nen Job! Mehr nicht!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt werde ich aber Sie verhöhnen aber nicht nur die Geflüchteten und unversöhnlich – und das nicht polemisch, sondern realis- Fremden, Sie verhöhnen doch auch die Obdachlosen. tisch. Menschen brauchen Wohnungen, Stabilität, Essen. Spätestens, wenn man vor Weihnachten solche Anträge (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- stellt, definiert sich die AfD selbst als Antichristen für SES 90/DIE GRÜNEN) Deutschland – AfD gleich „Antichristen für Deutsch- Was geben Sie ihnen? Sie geben ihnen Hass. Von Hass land“. kann man aber nicht satt werden, Hass schafft keine Woh- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nungen. Das ist Ihre Antwort. Sozialpolitik? Fehlanzeige! der CDU/CSU – Lachen des Abg. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dr. Alexander Gauland [AfD]) DIE GRÜNEN – Enrico Komning [AfD]: Aber Das ist ein moralischer Offenbarungseid. Wenn ich daran Sie hassen doch! Warum hetzen Sie hier denn denke, dass Sie hier zigmal – ich kann es Ihnen belegen – so?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17251

Helge Lindh (A) Aber nicht nur das! Sie schaffen es ja auch, nicht nur setzen Sie hier eine wohnungspolitische Debatte im Ple- (C) die Moral, das Christentum, den Islam und das Judentum num auf. zu verhöhnen, sondern Sie verhöhnen auch noch die Lo- gik. Warum? Gucken wir mal in meinen Wahlkreis Wup- ( [AfD]: Nicht zum ersten pertal. Ganz viele, die nach dem Ablaufen der Dreijahres- Mal! – Marc Bernhard [AfD]: Quatsch!) frist gemäß Wohnsitzauflage nach Wuppertal kommen, Doch, oh Wunder, es ist immer die gleiche Leier. Kurz- kommen deswegen, weil sie es nicht mehr ertragen, in fassung: Die Migranten sind schuld. AfD-Hochburgen im Osten wie im Westen zu leben. (Enrico Komning [AfD]: Ja, weil wir uns um (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Deutschen zu kümmern haben! Unser Auf- trag ist das deutsche Volk!) Folglich ist Fluchtursache die AfD, und Fluchtursachen- bekämpfung ist AfD-Bekämpfung. Diese Leier ist wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat. Das ist wenig originell. Es ist die immer gleiche (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei rassistische Hetze, und die kann kein Mensch mehr hören. Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Lachen bei der AfD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich werde meine Kommune Wuppertal auffordern, Sie in Davon abgesehen, dass bei Ihnen ja immer an jedem Regress zu nehmen für die zusätzlichen Kosten. Problem „die Migranten“ schuld sind, (Lachen bei der AfD) (Widerspruch bei der AfD) Und noch was: Sie wollen doch Wohnungsnot bekämp- verkennt Ihre Analyse einfach die Fakten. Sie haben ja fen. Wir brauchen Facharbeiter im Wohnungsmarkt. Vie- gar keine Ahnung von der Geschichte der Wohnungspo- le Facharbeiter wollen aber nicht in ein rassistisches litik der Bundesrepublik. Deutschland der AfD. Folglich verhindern Sie, dass Fach- (Leif-Erik Holm [AfD]: Lesen Sie doch mal arbeiter nach Deutschland kommen. Wohnungsnot ist richtig!) AfD; um es mal deutlich zu sagen. Ich kann Ihnen da vielleicht mal auf die Sprünge helfen. (Beifall bei der SPD – Enrico Komning [AfD]: Die Misere begann nämlich bereits 1990, als die Wohn- So ein Blödsinn!) gemeinnützigkeit abgeschafft wurde. Seither befindet sich der soziale Wohnungsbau im Niedergang. Die Zahl Sehr geehrte Damen und Herren, Sie werden gemerkt (B) der Sozialwohnungen hat sich seither auf nunmehr fast (D) haben: Versöhnlich konnte ich heute nicht sein. 1,2 Millionen Sozialwohnungen halbiert. Sämtliche Bun- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das sind Sie desregierungen haben seither das Tafelsilber verscher- nie, Herr Lindh!) belt, Wohnungen privatisiert. Aber es reicht nicht, zu sprechen. Deshalb möchte ich Sie ( [CDU/CSU]: Sie haben das ge- alle bitten – ich kann nur eine Bitte formulieren, eine tan! Sie haben es in Berlin getan! Sie haben Aufforderung, vielleicht im Sinne einer stillen Überein- doch Wohnungen verkauft, Frau Lay! – Weite- kunft –: Es wäre mal eine gute Geste angesichts eines so rer Zuruf von der CDU/CSU: Das war doch in niederträchtigen Antrages vor Weihnachten, die drehba- Berlin mit dem Verscherbeln, oder?) ren Stühle zu nutzen, um sich demonstrativ abzuwenden Die meisten Wohnungen wurden im Bund privatisiert – von der AfD-Fraktion von Schwarz-Gelb. (Enrico Komning [AfD]: Sie sind ein Hetzer! (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Hass und Hetze, Herr Lindh!) Ihre Wohnungspolitik kann man auch in die und sich aus Achtung vor den Obdachlosen, den Woh- Tonne hauen! Noch zehn Jahre Linke, und die nungslosen und den Geflüchteten und Migranten in die- Häuser sind in der Tonne!) sem Land diesen zuzuwenden. Sie haben das Mietrecht geschliffen. Sie haben Zwangs- räumungen erleichtert. Da liegt der Hase im Pfeffer. Es Vielen Dank. sind die Fehler der Politik, und es ist nicht die Schuld der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Migrantinnen und Migranten. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN – Enrico Komning [AfD]: Genau so ist es! Die Migranten sind Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nicht schuld!) Caren Lay, Die Linke, ist die nächste Rednerin. Sie spalten die schwächsten Gruppen in der Gesell- (Beifall bei der LINKEN) schaft. Sie wollen Wohnungslose nach Pässen sortieren (Marc Bernhard [AfD]: Das machen Sie doch Caren Lay (DIE LINKE): in Berlin! Ich habe es doch vorher gesagt in Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- meiner Rede, dass gerade Sie das machen in ren! Bravo, AfD! Zum ersten Mal nach über zwei Jahren Berlin, wo Sie regieren!) 17252 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Caren Lay (A) und deutsche und migrantische Obdachlose gegeneinan- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: (C) der ausspielen. Das ist doch rassistisch und unsozial, was Das sind wir allerdings auch! Das ist ein ein- Sie hier vorschlagen. ziger Schwachsinn! – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) (Beifall bei der LINKEN) gegen den Mietendeckel. Sie sind gegen den besseren Ihrem Ansatz liegt einfach ein ganz großer Trugschluss Schutz von Mieterinnen und Mietern und stehen stramm zugrunde: Nicht der Zuzug ist die Ursache für die Mieten- an der Seite von Immobilienhaien und des Finanzkapitals. krise, sondern die Geschäftemacherei mit Wohnraum. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. Nicht Migration, sondern Spekulation ist die Mutter der Mietenexplosion. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- (Beifall bei der LINKEN – Jörn König [AfD]: ordneten der CDU/CSU – Dr. Marie-Agnes Ja, wahrscheinlich!) Strack-Zimmermann [FDP]: Ich weiß nicht, Für Immobilieninvestoren rangieren vier deutsche Städte was besser ist: links oder rechts!) unter den Top Ten. Das mögen ja einige ganz toll finden. Wenn ich mir Ihre Anträge anschaue, stelle ich fest: Sie Mir macht es Sorge; denn die versprochenen Gewinne der haben gar keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Sie for- Anleger bedeuten höhere Mieten für die anderen. Hier dern hier die Rücknahme von Standards, die schon längst liegt der Hase im Pfeffer. Aber sich mit dem internationa- ausgelaufen sind. len Finanzkapital anlegen – Fehlanzeige! (Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Welche Sie machen es natürlich auch den Regierungen leicht, denn?) indem Sie nicht ihre Verantwortung benennen, sondern die Schuld auf die Schwächsten, auf die Migranten Und dann tun Sie so, dass irgendwelche Sonderkonditio- schieben. nen für Geflüchtete eingerichtet wurden; das sei so eine Art Privileg. Also, ehrlich gesagt, das Gegenteil ist rich- (Marc Bernhard [AfD]: Nein, Sie sind das! Ihre tig. Es ging darum, dass Geflüchtete in Massenunterkünf- Politik ist schuld! Was Sie als Linke machen, ten und in Gewerbegebieten untergebracht werden konn- das ist das Problem!) ten. Wir fanden das als Linke damals schon falsch. Denn Der Volksmund hat dafür eine schöne Formulierung: egal ob Geflüchtete oder Obdachlose, wir wollen nicht, Nach oben buckeln und nach unten treten. – Das können dass Menschen in Massenunterkünften leben müssen. Sie, aber das erfordert keinen Mut, meine Damen und (Beifall bei der LINKEN) Herren. (B) In meinem Wahlkreis – das ist der Landkreis Bautzen; (D) (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem die AfD war dort bei der Bundestagswahl die stärkste BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kraft – Die Migrantinnen und Migranten sind übrigens nicht (Enrico Komning [AfD]: Das wird sich auch die Ursache für die Wohnungsnot, sondern sie sind die weiter bewahrheiten!) Leidtragenden. Sie stellen unter den Wohnungslosen die größte Gruppe, und sie sind auf dem Wohnungsmarkt am stehen Tausende Wohnungen leer, und trotzdem müssen meisten diskriminiert. Deswegen brauchen wir endlich dort nach wie vor Asylbewerber in Massenunterkünften einen mutigen Neustart im sozialen Wohnungsbau, und leben. Ich finde, dort, wo Wohnungen leer stehen, soll zwar für alle; denn das Recht auf Wohnen muss für alle kein Mensch mehr unter Brücken schlafen müssen, soll gelten – unabhängig von Pass und von Herkunft. kein Mensch mehr in Massenunterkünften schlafen müs- sen. (Beifall bei der LINKEN – Marc Bernhard [AfD]: Eben, genau! Für alle!]) (Beifall bei der LINKEN und der SPD – Jörn König [AfD]: SPD-Bürgermeister!) Liebe Mieterinnen und Mieter in diesem Land, die AfD versucht heute, sich als Partei für eine soziale Wohnungs- Ich bin mal gespannt, ob Sie mit Ihrer großen Fraktion im politik zu inszenieren. Kreistag diese Forderungen unterstützen würden. (Enrico Komning [AfD]: Wir sind die einzige (Marc Bernhard [AfD]: Genau das wollen wir!) soziale Partei hier im Bundestag! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Klappt nur nicht!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Was macht denn die AfD tatsächlich hier im Bundestag in Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Bezug auf die Wohnungspolitik? Sie waren es, die im AfD? Haushalt die Gelder für den sozialen Wohnungsbau kür- zen wollten. Caren Lay (DIE LINKE): Nein, danke. – Zu guter Letzt: Sie monieren die Land- ( [Erfurt] [SPD]: Pfui! – flucht. Ja, auch ich kenne viele junge Menschen, die aus Weitere Zurufe, an die AfD gerichtet) meinem Wahlkreis in der Lausitz nach Dresden, nach Sie waren die einzige Partei im Deutschen Bundestag, die Leipzig, nach Berlin ziehen. Warum? Das eine: weil die gegen die Verlängerung des sozialen Wohnungsbaus ge- Löhne zu niedrig sind, weil die Jugendklubs, die Kitas, stimmt hat. Sie sind gegen die Mietpreisbremse, die Schulen geschlossen wurden, weil kein Bus mehr Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17253

Caren Lay (A) fährt. Klar, wer will da eine Familie gründen? Das andere: sing First“ heißt dieser Ansatz; das ist ein progressiver (C) weil es zu viele Nazis gibt Ansatz. (Lachen der Abg. Dr. Alexander Gauland (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) [AfD] und Marc Bernhard [AfD]) Das ist ganz was anderes als Ihre Hetze: Immer nur die und weil viele junge Leute auf dem Heimweg einfach Schuld auf Migrantinnen und Migranten schieben. – Das nicht mehr sicher sind und fürchten, verprügelt zu wer- ist nicht die Lösung. Es gibt genug Wohnungen in diesem den, und weil sie diese bornierte Haltung einfach nicht Landkreis für Deutsche und Migranten, und es wird mehr ertragen können, seitdem die AfD dort die Luftho- höchste Zeit, dass sie endlich in diese leerstehenden Woh- heit über die Stammtische erobert hat. Deswegen kann ich nungen einziehen dürfen. nur sagen: Weniger AfD wählen, mehr Weltoffenheit – und schon werden ländliche Räume für junge Menschen (Beifall bei der LINKEN – Karsten Hilse auch wieder attraktiver. [AfD]: Das hat aber nichts mit der AfD zu tun, oder?) (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Gauland [AfD]: Es ist wirklich ein Schwach- Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Christian sinn! Das ist unfassbar!) Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Kollegen Karsten Hilse, AfD. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Zuruf von der CDU/CSU: Muss das sein?) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei Woh- Karsten Hilse (AfD): nungs- und Obdachlosigkeit geht es um nicht weniger Ja, ganz ruhig. – Wenn die Frau Lay schon explizit als das Grundrecht auf Wohnen. unseren Landkreis anspricht, dann möchte ich dazu gern (Marc Bernhard [AfD]: Aber nicht für alle!) Stellung nehmen. Deswegen kann ich Ihnen von der AfD heute nur zurufen: (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dieses Recht, dieses Grundrecht, kennt kein Geschlecht, NEN]: Sie sind doch nur ganz selten da!) (B) keine Religion, keine Nationalität. Dieses Recht ist un- (D) Es wäre schön gewesen, wenn Sie die Zwischenfrage zu- teilbar und steht allen Menschen in diesem Land zu, gelassen hätten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ich möchte Sie einfach nur darauf hinweisen, dass die Enrico Komning [AfD]: Sie unterscheiden Asylbewerber in unserem Landkreis deswegen in großen doch!) Unterkünften untergebracht sind, weil der Landrat das so egal wann sie zu uns gekommen sind und egal woher sie entschieden hat, und der ist von der CDU. gekommen sind. Weil Sie dieses Grundrecht ganz grund- Der Leerstand kommt, zumindest in Hoyerswerda, sätzlich infrage stellen, stehen Sie mit diesen Anträgen auch dadurch zustande, dass die Wohnungsgesellschaft heute nicht mit beiden Beinen auf dem Grundgesetz. die Fördergelder für den Abriss abgreifen und deswegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN leerstehende Wohnungen nicht wieder beziehen lassen und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der will. Das ist der Grund für den Leerstand von Wohnun- LINKEN) gen. Es gibt noch eine Wohnungsgenossenschaft; dort gibt es überhaupt keinen Leerstand. Also, das, was Sie Sie wollen sich heute das Mäntelchen der Kümmerer- hier erzählen, ist absoluter Blödsinn, Entschuldigung. partei umhängen; nichts anderes wollen Sie mit diesen Anträgen machen. Denn Sie sagen: Wir als AfD küm- (Beifall bei der AfD) mern uns um die Obdachlosen und Wohnungslosen (Enrico Komning [AfD]: Um die deutschen, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: genau!) Mögen Sie erwidern, Frau Kollegin Lay? – Bitte. und um die Explosion der Mieten in unseren Städten. Caren Lay (DIE LINKE): Jetzt schauen wir uns Ihre Anträge doch einfach mal Es ist erst mal die Wahrheit, dass der Landkreis Baut- an. Sie wollen die Standards für die Obdachlosenunter- zen der Landkreis in ganz Sachsen ist, wo die meisten bringung in Deutschland absenken und Obdachlose an Asylbewerberinnen und Asylbewerber weiter in Massen- den Rand der Städte drücken; das ist der eine Vorschlag. unterkünften untergebracht werden und nicht dezentral in Der andere Vorschlag sind Änderungen im Aufenthalts- Wohnungen, wie wir als Linke es seit Langem gefordert recht. Das sind Ihre Vorschläge zur Wohnungspolitik. Das haben. Wir wollen, dass Menschen, egal ob sie deutscher ist bitter, bitter, bitter. Mit solchen Vorschlägen würden Herkunft sind oder ob sie Migrantinnen und Migranten Sie in keiner anderen Fraktion einen Antrag genehmigt sind, zuerst in Wohnungen untergebracht werden. „Hou- bekommen, weil das so dünn ist und mit der wohnungs- 17254 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Christian Kühn (Tübingen) (A) politischen Diskussion in Deutschland nichts – null, na- Danke schön. (C) da – zu tun hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – Marc Bernhard [AfD]: LINKEN) Was machen Sie denn gerade? – Enrico Sie könnten ja einen guten Antrag schreiben. Dafür Komning [AfD]: Hass und Hetze! Sie hetzen müssten Sie mal aufschreiben: Wie stehen Sie zum sozia- hier rum! Schizophren, was hier abgeht!) len Wohnungsbau? Wie stehen Sie denn zum Mietrecht? Wie wollen Sie das Mietrecht in Zukunft ausrichten? Was Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wollen Sie denn machen bei den Mietspiegeln? Dann Jetzt hat das Wort der Kollege Detlef Seif, CDU/CSU. müssten Sie eben nicht Stadt und Land gegeneinander ausspielen. Dann müssten Sie nicht Obdachlose gegen (Beifall bei der CDU/CSU) Flüchtlinge ausspielen. Das wollen Sie mit Ihren Anträ- gen tun. Aber substanzielle Vorschläge machen Sie nicht, Detlef Seif (CDU/CSU): Herr Bernhard, und deswegen schreien Sie auch hier nur Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- so rum, ne Damen und Herren! Bei dem Wohnungsmarkt oder, besser gesagt, den Wohnungsmärkten gibt es große, ganz (Enrico Komning [AfD]: Sie schreien doch große, regionale Unterschiede. Während in wachsenden gerade rum! Hass und Hetze!) Städten und Regionen eine hohe Nachfrage besteht, die weil Sie eben genau wissen, dass Ihre Anträge in der Preise durch die Decke gehen und bezahlbares Wohnen Substanz gar keine Auswirkungen in Deutschland haben. Mangelware ist, haben andere Städte, auch viele ländlich gelegene Regionen, einen Bevölkerungsrückgang hinzu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nehmen, verbunden mit Wohnungsleerständen und stag- bei der SPD und der LINKEN) nierenden Mieten. Ihre Vorschläge sind eiskalt. Obdachlose in Massen- Die Gründe für die regional bestehende Knappheit von unterkünfte in Industriegebiete zu bringen, bedeutet wei- bezahlbarem Wohnraum sind vielschichtig. Es gibt aber tere Obdachlosigkeit und Deintegration. Housing First, einen Trend zu Single- und Zweipersonenhaushalten. Die den Menschen eine Sozialwohnung zu geben, das ist die Studentenzahlen bewegen sich seit Jahren auf einem ho- Aufgabe der Stunde, und nicht, sie zu stigmatisieren, wie hen Niveau, und jeder Student braucht Wohnraum. Die Sie es in Ihren Anträgen vorschlagen. (B) Niedrigzinsphase führt dazu, dass Wohnungen zuneh- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, mend Spekulationsobjekt werden und Investitionen ge- bei der SPD und der LINKEN – Enrico tätigt werden, mit der Folge, dass der Markt heißläuft, Komning [AfD]: Hass und Hetze!) dass hier eine Übernachfrage besteht, natürlich verbun- den mit massiver Preiserhöhung für Wohnraum und Bau- Ich glaube, wir haben alle im Deutschen Bundestag tätigkeit. eine Aufgabe: uns klar zu distanzieren von Gewalt gegen Obdachlose. Wenn es nach der AfD geht, ist der Schuldige dafür schnell gefunden: (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Karsten Hilse (Marc Bernhard [AfD]: Die Regierung!) [AfD]: Das ist richtig!) Dies sei fast ausschließlich durch direkte Zuwanderung Die hat nämlich in unserem Land massiv zugenommen. aus dem Ausland entstanden. Die Sache ist für Sie noch 2011 gab es 602 Angriffe, 2017 waren es 1 389 Angriffe. einfacher, ja: Die Bundesregierung schützt die Grenzen Jetzt schauen wir mal in die Kriminalstatistik rein, woher nicht, und es gibt immer noch keine Asylzentren in Afri- diese Anschläge kommen: Sie kommen von rechter Ge- ka. walt. (Enrico Komning [AfD]: Richtig!) (Karsten Hilse [AfD]: So ein Quatsch! Wer zündet denn hier die Obdachlosen an?) Aha! Schuld sind also die Menschen, die zu uns kommen und einen Asylantrag stellen. Dazu müssen Sie Stellung beziehen. (Enrico Komning [AfD]: Nein! Die Politik ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- schuld, nicht die Migranten! Nicht die Migran- wie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- ten sind schuld, sondern Sie sind schuld!) KEN) Dabei verschweigt der AfD-Antrag gleich mehrere 85 Prozent der Hasskriminalität in diesem Land, auch wichtige Punkte. Der hohe Druck entsteht nämlich zu- gegen Obdachlose, kommt von rechts. Dass Sie dazu nächst durch ein hohes Maß an Binnenmigration. Es gibt schweigen, zeigt, wes Geistes Kind Sie sind. Deswegen eine Binnenwanderung von ländlichen Bereichen, von sage ich Ihnen eins ganz klar: Bringen Sie endlich mal der Peripherie in die Ballungszentren. substanzielle Vorschläge, und verhalten Sie sich endlich mal zu den Fakten, anstatt hier Menschen gegeneinander (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ auszuspielen! DIE GRÜNEN]: So ist es!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17255

Detlef Seif (A) Was den Wanderungsüberschuss vom Ausland nach hat und wo über 320 000 Wohnungen privatisiert wurden, (C) Deutschland angeht, verschweigen Sie zudem, dass die waren doch nun mal die Linken in der Regierung, meine Hälfte der Menschen aus den anderen EU-Mitgliedstaa- Damen und Herren. ten zu uns kommt. Niemand in diesem Hause – na ja, bei Ihnen bin ich mir nicht so sicher – käme auf die Idee, (Beifall bei der CDU/CSU – deshalb die EU-Mitgliedschaft zu kündigen und den Bin- [DIE LINKE]: Sie hatten zuvor die Kassen ge- nenmarkt aufzulösen, meine Damen und Herren. plündert!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Der AfD-Antrag – jetzt kehre ich zu Ihnen zurück – ist neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE jedenfalls handwerklich mehrfach fehlerhaft. GRÜNEN – Marc Bernhard [AfD]: Wo steht denn das in dem Antrag?) (Enrico Komning [AfD]: Ah!) Im Jahr 2015 und 2016 bestand in der Tat eine Aus- Sie verkennen, dass nach § 47 Asylgesetz im Regelfall die nahmesituation. 745 000 Menschen haben einen Erstasyl- Asylbewerber verpflichtet sind, bis zur Entscheidung antrag gestellt. Seitdem sind die Zahlen deutlich zurück- über ihren Asylantrag in einer Aufnahmeeinrichtung zu gegangen. In diesem Jahr sind es voraussichtlich 145 000. wohnen. In Nordrhein-Westfalen – als Beispiel – bedeutet Das ist ein gutes Ergebnis. das, dass der Aufenthalt in einer zentralen Unterbrin- gungseinrichtung vorgeschrieben ist, bis zu 24 Monate. (Marc Bernhard [AfD]: Was ist denn mit dem Eine Verteilung von Asylbewerbern findet nach dem Ge- Familiennachzug?) setz überhaupt nicht statt. Deutschland hat hier eindeutig seine Hausaufgaben ge- macht. (Karsten Hilse [AfD]: Nach dem Gesetz? Sie brechen das Gesetz doch ständig!) (Lachen des Abg. Jan Ralf Nolte [AfD]) Wenn das in einem Bundesland anders sein sollte, dann Aber jetzt ist die EU am Zuge. Wir brauchen ein gemein- wenden Sie sich bitte an die jeweiligen Landesregierun- sames europäisches Asylsystem, das funktioniert. gen; sie haben das Bundesgesetz umzusetzen. (Enrico Komning [AfD]: Das kriegen Sie doch nicht hin! – Karsten Hilse [AfD]: Das macht (Beifall bei der CDU/CSU – Karsten Hilse doch niemand mit!) [AfD]: So was Blödes!) Die Idee einer verbindlichen Vorprüfung an den EU-Au- Die AfD will bei der Einschränkung der Verteilung aus (B) ßengrenzen ist sehr gut und sollte verfolgt werden. wohnungspolitischen Gründen § 12a des Aufenthaltsge- (D) setzes entsprechend anwenden. Auch hier verkennen Sie, 2015/2016 herrschten teils katastrophale Zustände; das dass sich die Vorschrift auf die Verteilung der Menschen ist uns allen noch bekannt. Wir sind teilweise über die bezieht, deren Asylanspruch bereits anerkannt ist oder die Belastungsgrenze hinausgegangen. Aber jetzt haben wir einen Duldungsanspruch haben. Das hat nichts mit Asyl- eine ganz andere positive Entwicklung. bewerbern zu tun. Das ist inhaltlich-fachlich fehlerhaft (Karsten Hilse [AfD]: Ganz genau! Total!) und falsch und handwerklich nicht ordnungsgemäß auf- bereitet. Zum jetzigen Zeitpunkt zu sagen: „Wir brauchen hier eine Steuerung“, Meine Damen und Herren, der AfD-Antrag – wie soll ich es sagen? – ist aus diesem Grund bar jeder Kenntnis (Enrico Komning [AfD]: Wir brauchen? Wir und hingeschissen. wollen!) ist nur populistisch. (Karsten Hilse [AfD]: Haben Sie gerade „hin- geschissen“ gesagt?) Meine Damen und Herren, es ist schon gesagt worden, aber ich sage es noch mal deutlicher: Ich finde es schäbig, Aber mit Exkrementen, insbesondere mit Vogelschiss, dass Sie hier Menschen gegeneinander ausspielen, kennen Sie sich ja bestens aus.

(Marc Bernhard [AfD]: Genau das machen Sie Vielen Dank. doch gerade!) die in schwierigen Situationen sind und bezahlbaren (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wohnraum suchen. Schäbig, schäbig, schäbig! neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Enrico Komning (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- [AfD]: Also, Herr Präsident, „hingeschissen“ neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- geht ja wohl nicht! Was sind das für Fäkalbe- NISSES 90/DIE GRÜNEN) griffe hier?) Ein Wort an Frau Lay: Frau Lay, es wurden – das haben Sie richtig dargestellt – Fehler gemacht; der soziale Woh- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nungsbau wurde nicht ausreichend gefördert. Aber im Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist unsere letzte Land Berlin, wo, wenn ich mich richtig erinnere, über Sitzung vor Weihnachten. – Jetzt hat der Kollege Udo zehn Jahre kein sozialer Wohnungsbau stattgefunden Hemmelgarn, AfD, das Wort. 17256 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

(A) Udo Theodor Hemmelgarn (AfD): zulässig waren. Die Energieeinsparverordnung wurde für (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- die Heime komplett ausgesetzt. nen und Kollegen! Sehr geehrtes Publikum auf den Tri- All die Schritte, die wir zur Bewältigung der Woh- bünen! Es ist unbestreitbar, dass wir in unseren Groß- nungsnot gefordert haben – Förderung des seriellen städten zum Teil mit massiver Wohnungsnot Bauens, Vereinfachung und Beschleunigung der Geneh- konfrontiert sind. Ebenso unbestreitbar ist, dass die Poli- migungsverfahren, Aussetzung der Energieeinsparver- tik der Altparteien ordnung –, waren für die zum größten Teil illegal ein- (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!) gereisten Zuwanderer plötzlich möglich. diese Zustände zu verantworten hat. (Enrico Komning [AfD]: Ja! – Zuruf von der LINKEN: Wie oft soll dieser Unsinn denn noch (Beifall bei der AfD – Enrico Komning [AfD]: wiederholt werden?) Ja, darum geht es! – Ulli Nissen [SPD]: Besser als Braunpartei!) Wir fordern nicht mehr und nicht weniger, als dass diese Sondervorschriften auch auf die Wohnheime für Mit unseren Anträgen machen wir zwei Forderungen Wohnungs- und Obdachlose ausgeweitet werden. geltend, die eigentlich selbstverständlich sind. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ (Ulli Nissen [SPD]: Lieber eine Altpartei als DIE GRÜNEN]: Das ist Absenkung von Stan- eine Braunpartei! – Dr. Marie-Agnes Strack- dards! Das ist schäbig!) Zimmermann [FDP]: Besser als braun!) Nach derzeitiger Rechtslage können Flüchtlingsheime, Erstens. Nehmen Sie die Realität und die Ursachen der die nach den Sondervorschriften errichtet wurden, selbst Wohnungsnot zur Kenntnis! Wenn man in diesem Haus dann nicht für Obdachlose genutzt werden, wenn sie leer darauf hinweist, dass die Migrationspolitik der Regierung stehen. Abenteuerlich! Wir fordern Sie deshalb auf: Merkel eine wesentliche Ursache für die bestehende Schützen Sie auch das Menschenrecht der schon länger Wohnungsnot ist, wird man wahlweise als Nazi oder Ras- hier Lebenden auf ein Dach über dem Kopf. sist beschimpft. Frau Lay, Herr Schweiger, jetzt kommen wir zur Be- (Enrico Komning [AfD]: Beides! – Ulli Nissen fristung der Sondervorschriften. Als wir unseren Antrag [SPD]: Was sind Sie denn sonst?) das letzte Mal diskutierten, wurde uns entgegengehalten, dass die betreffenden Regelungen ja zum Jahresende 2019 Freundliche Kollegen erklären einem von oben herab, auslaufen würden. Es würde sich schon deshalb nicht (B) dass man keine Ahnung hat. lohnen, die geforderten Angleichungen vorzunehmen. (D) Mittlerweile wurde im Bundesrat der Antrag gestellt, Richtig ist, dass die Städte und Gemeinden immer noch die Sonderregeln bis 2022 zu verlängern – übrigens von schwer unter der Last von fast 2 Millionen Migranten zu der CDU NRW. Wir dürfen gespannt sein, mit welchen leiden haben. Die werden ihnen zugewiesen, egal ob die Argumenten man die baurechtliche Privilegierung der einheimische Bevölkerung angemessen mit Wohnraum Flüchtlingsheime dann noch aufrechterhalten will. versorgt ist oder nicht. Deshalb: Nehmen Sie zur Kennt- nis, dass die sogenannte Politik der offenen Grenzen eine Ich wünsche allen Menschen in Deutschland, insbe- wesentliche Ursache der bestehenden Wohnungsnot in sondere den Wohnungs- und Obdachlosen, eine frohe den Städten und Gemeinden ist! Weihnacht! (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Un- Danke schön. fug!) (Beifall bei der AfD – Zuruf von der LINKEN: Geben Sie den Kommunen das Recht, die weitere Zuwei- Zynisch! – Torsten Schweiger [CDU/CSU]: Ei- sung von Migranten abzulehnen! Nur so kann die Selbst- ne neue Rede wäre schön gewesen!) verwaltung der Kommunen mit Substanz gefüllt werden. Unsere zweite Forderung: Handeln Sie, um wenigstens Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die größte Not zu bekämpfen! Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulli Nissen, SPD. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Hätten Sie mal der Debatte zugehört bis jetzt!) Ulli Nissen (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Als man sich 2015 den einströmenden Menschenmassen Kollegen! Vorab eine Bemerkung zu den Anträgen der gegenübersah, musste man diese Menschen, die davon AfD: Sie sollten sich schämen, so einen Schmodder auch überzeugt waren, man hätte sie nach Deutschland einge- noch direkt vor Weihnachten hier einzubringen. laden, irgendwie unterbringen. Mit beeindruckender Präzision und Schnelligkeit wurden die Regelungen des (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Baugesetzbuchs und der Energieeinsparverordnung ange- LINKEN – Enrico Komning [AfD]: Herr Präsi- passt. Es wurde eine Sonderregelung für Flüchtlingsun- dent, jetzt reicht es aber! – Dr. Alexander terkünfte geschaffen, die die Errichtung auch dort ermög- Gauland [AfD]: Denken Sie mal an die AWO lichte, wo Wohngebäude oder Wohnheime bislang nicht in Frankfurt, Frau Nissen, und Ihren Bürger- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17257

Ulli Nissen (A) meister Feldmann! Da sollten Sie sich und die Verlängerung des Betrachtungszeitraums für die (C) schämen!) ortsübliche Vergleichsmiete von vier auf sechs Jahre. Mir persönlich ist es vollkommen egal, welche Haut- Wir halten fest: Bezahlbares Wohnen ist ein Kernthema farbe, Herkunft, Religion oder sexuelle Orientierung ein der Großen Koalition. Wir arbeiten permanent daran, Mensch hat. Ich will, dass jeder eine gute, bezahlbare Mieterinnen und Mieter vor überhöhten Mietforderungen Wohnung bekommt. Das einzig Positive an Ihren Anträ- zu schützen. gen ist: Wir können erneut über bezahlbares Wohnen re- den. (Beifall bei der SPD) Natürlich ist es sehr bedrückend, dass wir Menschen in Letzte Woche haben wir den Gesetzentwurf der Bun- Deutschland haben, die wohnungs- und obdachlos sind. desregierung debattiert, mit dem eine Wohnungslosenbe- richterstattung eingeführt werden soll. Eine bundesweite (Karsten Hilse [AfD]: Aber es ist uns scheiß- Statistik untergebrachter wohnungsloser Menschen soll egal!) erstellt werden. Diese soll dazu beitragen, vor Ort passen- de Maßnahmen und Präventionsprogramme zur Vermei- Besonders jetzt im Winter mit Kälte, Nässe und Wind ist dung und Bewältigung von Wohnungs- und Obdachlosig- es für die Betroffenen noch schlimmer. Die Beseitigung keit auf den Weg zu bringen. Mit der Einführung einer von Armut ist eines der wichtigsten Nachhaltigkeitsziele, Statistik ist nur ein erster Schritt getan. Weitere Maßnah- also der SDGs, die wir bis 2030 erreichen wollen und men müssen veranlasst werden. müssen. Dazu gehört auch, dass wir bis 2030 den Zugang zu angemessenem, sicherem und bezahlbarem Wohn- Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat die Woh- raum und zur Grundversorgung für alle sicherstellen. Be- nungslosigkeit in Deutschland untersucht. Es kritisiert in zahlbares Wohnen ist ein elementares Grundbedürfnis, seinem jüngsten Bericht die Qualität der kurzfristigen liebe Kolleginnen und Kollegen. Notunterbringung. Die Bandbreite dieser Unterkünfte ist groß. Sie reicht von Normalwohnraum bis zu Mehr- (Beifall bei der SPD) bettzimmern in Sammelunterkünften, von hygienisch ein- Wohnen ist auch ein Menschenrecht. Das Menschen- wandfrei bis an die Grenze der Verwahrlosung. recht auf Wohnen, wie im UN-Sozialpakt formuliert, zielt Das Deutsche Institut für Menschenrechte fordert, dass darauf ab, dass der Staat allen Menschen in ihrem Land vonseiten des Bundes und der Länder Empfehlungen für eine angemessene Unterkunft ermöglicht, dass er das ge- Mindeststandards entwickelt werden. Dazu gehört auch währleisten kann durch eine soziale Wohnungsbaupolitik, die rechtliche Klarstellung, dass der Auftrag zur ord- guten Mieterschutz, Sozialleistungen und auch durch eine nungsrechtlichen Unterbringung unabhängig von Aufent- (B) kurzfristige Notunterbringung. haltsstatus und Nationalität der Betroffenen gelten soll. (D) Auf dem Wohngipfel 2018 haben wir uns auf ein Maß- Das hat meine große Unterstützung, liebe Kolleginnen nahmenpaket geeinigt, das investive Impulse für den und Kollegen. Wohnungsbau vorsieht und die Bezahlbarkeit des Wohn- Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, wenn wir ens sichern soll. Wir haben inzwischen viel erreicht und uns um bezahlbaren Wohnraum und bezahlbare Mieten an vielen Stellschrauben gedreht. kümmern. Die Anträge der AfD sind gar keine Lösung. Die Modernisierungsumlage haben wir abgesenkt und Sie tragen nur zur Spaltung der Gesellschaft bei. Deshalb gedeckelt. Das Herausmodernisieren haben wir mit ei- werden wir sie natürlich mit großer Freude ablehnen. nem hohen Ordnungsgeld belegt. Die Menschen in mei- (Beifall bei der SPD) nem Frankfurter Wahlkreis waren dafür sehr dankbar; denn für einige kam unser Gesetz genau zum richtigen Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns ge- Zeitpunkt. Die Vermieter mussten sich an den Deckel meinsam alles tun, um möglichst alle Menschen aus der halten. Obdachlosigkeit zu holen! Noch besser ist es, wenn sie ihre Wohnung und damit ihr Zuhause gar nicht erst ver- Ich bin sicher, dass wir durch unsere Veränderungen lieren. Ich denke, das ist ein schöner Weihnachtswunsch. bei der Modernisierungsumlage auch Obdachlosigkeit verhindert haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Wohngeld wird zum 1. Januar 2020 kräftig steigen. Es ist (Beifall bei der SPD) uns gelungen, dass es künftig alle zwei Jahre automatisch angepasst wird. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der SPD) Jetzt erhält das Wort der Kollege Hagen Reinhold, Die nächste Erhöhung ist schon in Sicht. Zum 1. Januar FDP. 2021 soll das Wohngeld pauschal um 10 Prozent steigen – (Beifall bei der FDP) zum Ausgleich für Klimaausgaben. In dieser Woche haben wir allein drei Gesetzentwürfe Hagen Reinhold (FDP): beraten, die das Wohnen bezahlbar halten sollen: die Ver- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- schärfung der Mietpreisbremse mit Anspruch auf Rück- men und Herren! Wieder einmal liegen uns Anträge der zahlung von zu viel gezahlter Miete – das finde ich ganz AfD vor, die beim Lesen sofort offenbaren: Es geht nicht großartig –, das Bestellerprinzip bei den Maklerkosten um die Sache; sonst hätten Sie weder Widersprüchliches 17258 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Hagen Reinhold (A) noch Nichtumsetzbares aufgeschrieben. Da braucht es ne oder an die Haustür bei uns selbst, dann liegt es an uns, (C) Ruhe. Jeder, der das liest, wird so wie ich feststellen: wie die Geschichte ausgeht. So führt Ihr Weg nur in die Bedeutungslosigkeit. Warum Sie das freiwillig machen, verstehe ich zwar nicht, aber (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜND- aufhalten werde ich Sie nicht. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU und der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sie kann düster, blau auf schwarzem Grund geschrieben SES 90/DIE GRÜNEN – Jan Ralf Nolte werden, oder sie kann kunterbunt sein. Ich für meinen [AfD]: Von Bedeutungslosigkeit haben Sie ja Teil mag es bunt. Ahnung!) Ich wünsche uns allen eine frohe und besinnliche Jetzt haben wir viel über Anträge gehört, die Hass, Weihnachtszeit. Missgunst und Egoismus in sich tragen. Da wird es Zeit, eine Geschichte zu erzählen, die ich gehört habe. Viele (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten bringen Geschichten hierher. Ich bringe offensichtlich der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des eine ganz andere Geschichte als Herr Bernhard mit. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht um ein Mädchen, das man in den Zeitungen heute als bildungsfern bezeichnen würde. Ob der junge Vizepräsidentin Petra Pau: Mann, um den es geht, in Deutschland seinen Berufsab- Das Wort hat Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für die schluss anerkannt bekäme, bezweifle ich. Ich möchte Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. über einen Ort mit einem sehr angespannten Wohnungs- markt sprechen. Ich möchte darüber sprechen, was diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) junge Familie erlebt hat. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von DIE GRÜNEN): dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt ge- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schätzt würde. Und diese Schätzung war die aller- Vielen Dank für die Rede eben, die gezeigt hat: So muss erste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter man mit Menschen umgehen. in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. (Marc Bernhard [AfD]: Sie zeigen uns ja jeden Tag, wie Sie mit Menschen umgehen!) Da machte sich auf auch Joseph aus Galiläa, Die AfD hat mal wieder gezeigt, wie man das nicht (B) (D) (Marc Bernhard [AfD]: Zur Volkszählung! Sie macht. Artikel 1 des Grundgesetzes heißt: „Die Würde waren nicht geflohen! Lesen Sie mal die Bibel!) des Menschen ist unantastbar.“ Sie haben den Artikel 1 aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur mal wieder mit Füßen getreten, Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sowie bei Abgeordneten der SPD) sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie dort waren, und zwar auf übelste Art und Weise. kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar (Marc Bernhard [AfD]: Ihr Oberbürgermeister ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und hat uns doch gesagt, was die Rechtslage in legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Deutschland ist! Diskriminierung! Rassismus Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in der- gegen all die Menschen! Das ist es!) selben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. – Jetzt fangen die ruhigen Tage an, Tage der Besinnlich- keit. Beruhigen Sie sich. Kommen Sie ein bisschen zur (Jan Ralf Nolte [AfD]: Wenn Sie jetzt nur noch Besinnung. aus der Bibel vorlesen, dann hören wir Ihren Reden auch zu!) (Marc Bernhard [AfD]: Ja! Morgen dann!) Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klar- Wir haben hier einen Antrag, in dem die AfD argumen- heit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten tiert, dass in Deutschland zu viele Menschen leben und sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet wir deswegen Wohnungsnot oder sogar Obdachlosigkeit euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freu- hätten. Albert Einstein wird zugeschrieben, dass er gesagt de, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist haben soll: Auf jedes komplexe Problem gibt es eine ein- heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der fache Antwort, und die ist falsch. – Die Antwort, die die Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zei- AfD auf alle Probleme hat, ist Migration. chen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewi- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ckelt und in der Krippe liegen. SES 90/DIE GRÜNEN) Diese Geschichte ist 2 000 Jahre alt. Wie unsere Ge- Migration ist die Ursache aller Probleme. schichte ausgeht, in den nächsten Tagen, in den nächsten Jahren, das haben wir selbst in der Hand. Wenn Menschen (Enrico Komning [AfD]: Nein! Ihre Politik ist bei uns klopfen, egal ob an das Stadttor unserer Kommu- falsch!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17259

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) Diese Antwort ist gerade bei der Wohnungsnot falsch, die für Sie weniger wert sind als die Menschen, die hier (C) eindeutig falsch. geboren sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Beifall der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack- wie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Zimmermann [FDP]) KEN) Das ist das Problem, das Sie haben. Sie haben einen ras- Der Kollege Seif hat vorhin schon beschrieben, dass sistischen Antrag gestellt, und das kurz vor Weihnachten. die Ursachen vielfältig sind, ganz vielfältig. Es liegt an Das ist schäbig. der Privatisierung der letzten Jahrzehnte, es liegt daran, dass es Wanderungsbewegungen innerhalb Deutschlands (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- gibt, vom Land in die Stadt, es liegt daran, dass viele bei wie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, mir im Rhein-Main-Gebiet Wohnungsmieten zahlen kön- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE nen, Bodenpreise bezahlen können, die enorm hoch sind. GRÜNEN – Marc Bernhard [AfD]: Genau an- Wer also über Wohnungsnot redet, muss auch über Reich- dersrum!) tum in diesem Land reden. All das sind ganz vielfältige Ich will die Gelegenheit aber noch mal nutzen, um Ursachen für die Schwierigkeiten, die wir auf dem Woh- Ihnen allen frohe Weihnachten zu wünschen, Besinnlich- nungsmarkt haben. Die Migration ist es nicht. Im Gegen- keit, Zeit, um noch mal nachzudenken. Kommen Sie noch teil: Migration macht unser Land reicher, ökonomisch mal zur Ruhe. und auch gesellschaftlich reicher. (Enrico Komning [AfD]: Kommen Sie doch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- mal zur Ruhe!) wie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Zaklin Nastic [DIE LINKE] – Beatrix von Weihnachten ist das Fest der Liebe. Storch [AfD]: Bunter!) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das fehlt mir Wenn Sie argumentieren, dass wir hier in Deutschland gerade noch! Sie hetzen, und wir sollen zur zu viele Menschen haben, wie passt das eigentlich zu Ruhe kommen!) Ihrer Forderung, die Sie ja manchmal erheben, dass wir die Geburtenrate steigern sollen? – Sie hetzen, Herr Gauland! ( [SPD]: Genau!) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie hetzen!) Ganz abgesehen davon, wie wir das politisch machen – Sie hetzen die ganze Zeit! (B) sollten, heißt das ja: Sie wollen mit der Steigerung der (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie sind ein (D) Geburtenrate die Bevölkerungszahl erhöhen. Damit wür- übler Hetzer!) de man ja in Ihrer verqueren Logik dann auch die Woh- nungsnot erhöhen. Das ist ja völliger Unsinn. Das macht – Sie sind eine Gefahr für diese Gesellschaft! aber deutlich: Ihnen geht es gar nicht darum, dass wir hier zu viele sind, sondern Ihnen geht es darum, wer hier ist. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie spalten!) – Sie spalten! (Marc Bernhard [AfD]: Nein!) Damit unterteilen Sie Menschen in unterschiedliche Ka- Vizepräsidentin Petra Pau: tegorien. Es gibt gute Menschen, es gibt schlechte Men- schen. Das war eine Denke, die hatten wir in den 30er- So. und 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Da dürfen wir nie wieder hin. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist das, was Sie machen. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Enrico Komning [AfD]: Genau! Richtig!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ein Hinweis, Herr Strengmann-Kuhn: Sie müssen zum Der Antrag, den Sie hier gestellt haben, ist schlicht und Schluss kommen. einfach rassistisch, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der DIE GRÜNEN): LINKEN – Widerspruch bei der AfD) Ich rede gerade über Liebe. – Ich wünsche uns allen weil Sie die Menschen in unterschiedliche Kategorien viel Liebe. stecken. Es gibt gute Menschen, die hier leben, und es (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ihnen nicht!) gibt schlechte Menschen. Es sind diejenigen aus anderen Ländern, aus dem Süden dieses Kontinents, aus Afrika, – Ihr Schrei ist nur ein Schrei nach Liebe, Herr Gauland. Araber, die Sie als Untermenschen kategorisieren, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Marc Bernhard [AfD]: Das machen Sie doch! und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Das ist doch Ihre Politik!) CDU/CSU und der LINKEN) 17260 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) In dem Sinne wünsche ich Ihnen frohe Weihnachten – haben, darüber diskutieren, was wir machen, um das zu (C) auch Ihnen, Herr Gauland. überbrücken, und was gemacht werden muss, um den Markt wieder auszugleichen. Das will ich hier jetzt nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wiederholen. Das sind alles Gründe. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Dr. Alexander Aber „Die Flüchtlinge sind schuld“, das ist Ihre Haupt- Gauland [AfD]: Ja, ja! Ihre Liebe brauche ich botschaft. nicht zu Weihnachten!) (Enrico Komning [AfD]: Nein! Ihre Politik ist schuld! Nicht die Migranten!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Karsten Möring für die CDU/ Und dann kommen Sie und argumentieren auch noch, die CSU-Fraktion. Kommunen seien überfordert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Marc Bernhard [AfD]: Natürlich sind sie das!) ordneten der SPD) Und an anderer Stelle sagen Sie dann im Zweifelsfall auch noch, eine Kommune kann die Schultoiletten nicht Karsten Möring (CDU/CSU): sanieren, weil die Flüchtlinge das ganze Geld, das für die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kommune ist, verbrauchen. Nehmen Sie doch mal zur Das Thema „Wohnungsknappheit, Mietenbremse“ hatten Kenntnis, welche Hilfe der Bund den Kommunen leistet, wir ja eigentlich gestern. Ich frage mich, warum die AfD um diese Überforderung nicht entstehen zu lassen. die Gelegenheit nicht genutzt hat, ihre Anträge mit die- sem Tagesordnungspunkt zu verbinden. (Marc Bernhard [AfD]: Die haben Sie doch gekürzt!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜND- Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz! NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Marc Bernhard [AfD]: Um 2 Milliarden Euro Ich glaube, die Antwort ist einfach: Sie wollten unbedingt gekürzt!) noch einmal dieses Thema aufwerfen, um Ihre Hauptbot- schaft loszuwerden: Die Flüchtlinge sind schuld an allem Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir die Kosten der Unter- Elend. kunft in erheblichem Umfang finanzieren, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Marc Bernhard [AfD]: Sie haben die um (B) Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜND- 2 Milliarden Euro gekürzt!) (D) NIS 90/DIE GRÜNEN] – Leif-Erik Holm und nehmen Sie zur Kenntnis, dass von den nicht mit [AfD]: Erzählen Sie doch nicht so einen Käse!) Wohnungen versorgten Menschen in unseren Kommunen Die Flüchtlinge sind schuld. 440 000 Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften le- ben, eben weil ihnen keine Wohnung zugewiesen worden (Leif-Erik Holm [AfD]: Sie sind schuld! Ihre ist. Politik ist schuld! Sie sind schuld, dass un- gleich behandelt wird!) (Leif-Erik Holm [AfD]: Das ist doch nicht die – Ja. Gut, gut, gut. – Die Flüchtlinge sind schuld. Sie Realität, Herr Möring! Wann waren Sie denn ignorieren dabei, dass wir eine erhebliche Zuwanderung das letzte Mal außerhalb dieses Bundestages?) in unseren Arbeitsmarkt haben, eine Zuwanderung, die Und wenn Sie dann behaupten, dass es eine Privilegie- wir wollen und die wir brauchen. rung in Form von Zusatzmieten für Vermieter gibt, weil sie an einen Flüchtling vermieten, dann hätte ich dafür (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gerne mal den Beleg. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jan Ralf Nolte [AfD]: Wir haben (Leif-Erik Holm [AfD]: Realitätsverweigerung eine Zuwanderung in unsere Sozialsysteme! ist das!) Und die CDU ist schuld daran!) Denn wenn ein Sozialamt die Kosten der Miete über- Sie ignorieren dabei, dass wir ein erhebliches Maß an nimmt, dann gibt es dafür Sätze, und die hängen nicht Binnenwanderung haben, aus ländlichen Räumen in die davon ab, wer dort einzieht, sondern die hängen davon Städte, und damit eine zusätzliche Nachfrage generiert ab, was es für eine Wohnung ist, wie groß sie ist und wie wird. viel Platz eine Einzelperson, eine Familie oder ein Ehe- (Zuruf des Abg. Marc Bernhard [AfD]) paar braucht. Wir schreiben den Menschen doch nicht vor, wo sie leben (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem müssen. Wir wollen ihnen Gelegenheit bieten, dort leben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. zu können, wo sie wollen. Marc Bernhard [AfD]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Erzählen Sie hier nicht solche Märchen. Wenn es da Anpassungsprobleme gibt wie im Woh- Sie wollen, dass die Kommunen eine Art Notwehrrecht nungsbau, dann müssen wir, wie wir das gestern gemacht bekommen, um Aufnahmen abzulehnen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17261

Karsten Möring (A) (Marc Bernhard [AfD]: So wie der Städte- und (Zuruf des Abg. Marc Bernhard [AfD]) (C) Gemeindebund das auch will!) Das machen wir nicht mit. Ich will gar nicht auf Weih- Ich habe Ihnen gerade eben gesagt, warum die Kommu- nachten verweisen: Das ist zu jeder Jahreszeit gleich un- nen das nicht brauchen. Und selbst wenn, beantworten sinnig, gleich unverschämt, spaltet unsere Gesellschaft Sie mal die Frage, wie Sie sich das denn vorstellen in und löst keine Probleme. der Praxis. Unser Staatsgebiet ist in lauter Kommunen aufgeteilt, und wenn Sie in der einen Kommune keine (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Menschen unterbringen, müssen die in eine andere Kom- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mune. Dann sagen Sie der mal, dass sie diese Leistungen sowie bei Abgeordneten der FDP) erbringen soll, weil eine andere Kommune das nicht Es ist nur dazu geeignet, Ihre Botschaften unter die Leute kann, zu bringen. Diese Botschaften heißen: Wir wollen nicht zusammen sein, und wir wollen auch keine Probleme (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) lösen. – Das machen wir nicht mit. und das vor dem Hintergrund, den ich eben dargestellt Dass wir Ihre Anträge ablehnen, muss ich gar nicht habe, dass der Bund in erheblichem Umfang Hilfen dafür betonen. Das können wir mit all Ihren Anträgen machen; bereitstellt. Der Bund zahlt. denn sie sind alle gleich: substanzlos oder Hassbotschaf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ten. Wir können sie nicht teilen. Wir lehnen Ihre Anträge neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE ab. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Dann kommen wir zu dem absurdesten Teil Ihrer An- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE träge, nämlich zu der Forderung nach der Änderung von GRÜNEN) Bauvorschriften und Energieeinsparverordnungen. Wir haben diese Regelungen in einer Situation getroffen, in Vizepräsidentin Petra Pau: der wir in kurzer Zeit eine große Zahl von Menschen Das Wort hat der Kollege Klaus Mindrup für die SPD- unterbringen mussten, für die es nur Gemeinschaftsunter- Fraktion. künfte – um nicht zu sagen: Notunterkünfte – geben konnte. (Beifall bei der SPD) (Niema Movassat [DIE LINKE]: So ist es!) Klaus Mindrup (SPD): (B) Um die Plätze dafür zu schaffen, haben wir das Baurecht Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (D) geändert und gesagt: Das geht auch in Gewerbegebieten. – Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist wie immer Wir haben die Energieeinsparverordnung geändert, um bei der AfD: Migrantinnen und Migranten müssen als sagen zu können: Da kann man auch wohnen. – Wissen Sündenböcke herhalten. Sie, wo die Leute damals gewohnt haben? Ich habe das bei mir im Wahlkreis erlebt. Wir haben in einem leer- (Enrico Komning [AfD]: Nein, die Politik ist stehenden Baumarkt Kojen aufgebaut, ohne Decke, ohne das!) Tür, nur mit einer kleinen Schleuse, wo die Menschen Es werden Scheinlösungen präsentiert. Es wird gelogen, monatelang leben mussten. Das war die Art von Unter- dass sich die Balken biegen. kunft, die wir durch diese Bauvorschriften ermöglicht haben. Dann kommen Sie und sagen, das sei ein Privileg (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf (Ulli Nissen [SPD]: Pfui!) des Abg. Marc Bernhard [AfD]) und so müsste mit den Wohnungslosen in Deutschland Es werden Menschen gegeneinander ausgespielt; in die- umgegangen werden. Das ist doch absurd. sem Fall Obdachlose gegen Flüchtlinge. Sie reden unser Land schlecht. Das ist schäbig. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ GRÜNEN) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Sie wollen doch wohl nicht im Ernst eine solche Notlö- CDU/CSU und der LINKEN – Zuruf des sung zur Dauerlösung für Wohnungslose in Deutschland Abg. Marc Bernhard [AfD]) machen. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Das Thema Wohnungslosigkeit ist zu ernst für popu- listische Spielchen. (Marc Bernhard [AfD]: Wieso verlängern Sie dann bis 2022?) (Marc Bernhard [AfD]: Genau, Sie sind die echten Populisten in diesem Land! Wo sind Ihre Damit ist völlig klar, dass das, was Sie uns vorgelegt Fakten? – Gegenrufe von der SPD und der haben, blanker Unsinn, blanker Populismus ist und nichts CDU/CSU) anderes zum Zweck hat, als Ihnen die Gelegenheit zu bieten, hier Ihre Botschaften von Hass, von Neid, von – Herr Bernhard, ich mache mir langsam Sorgen um Ihre Ungleichbehandlung und die Botschaft, dass die Flücht- Gesundheit, nicht dass wir gleich noch einen Arzt brau- linge schuld sind, unter die Leute zu bringen. chen. 17262 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Klaus Mindrup (A) (Marc Bernhard [AfD]: Ich auch, ich mache (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (C) mir Sorgen um unser Land!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich mache weiter. Der beste Schutz gegen Wohnungs- Darüber müssen wir auch in der Koalition reden; denn losigkeit und Obdachlosigkeit sind die Sicherung und der die Bindungen auf Zeit helfen uns nicht weiter. Wir brau- Neubau guten und bezahlbaren Wohnraums, nicht die chen ein dauerhaftes Segment. Absenkung von Baustandards. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Das schafft auch Frieden in diesem Land. Frieden brau- NISSES 90/DIE GRÜNEN) chen wir. Wir brauchen Wohnen für alle, liebe Kollegin- nen und Kollegen. In einer alternden Gesellschaft wie Deutschland brauchen wir Zuwanderung in fast alle Berufe, um unseren Wohl- In Deutschland gibt es auch gute Beispiele. Hamburg stand zu sichern. Zuwanderung sichert den Wohlstand in geht gut voran. Die städtischen Gesellschaften und die unserem Land, ganz anders, als Sie das behaupten. Genossenschaften leisten viel. Lassen Sie uns gemeinsam in diesem Land die Aufgaben angehen und nicht popu- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem listische Scheinlösungen diskutieren. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten. Gute Arbeit bringt uns voran, Popu- Der Wohnungsmarkt ist kein normaler Markt, weil Bo- lismus nicht. den nicht vermehrbar ist. Das gilt für Berliner Boden ge- Danke schön. nauso wie für Münchener Boden. Ich muss Ihnen sagen: Dass Sie sich nicht einmal mit deutschem Boden ausken- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- nen, kennzeichnet Sie auch. KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Vizepräsidentin Petra Pau: GRÜNEN – Lachen bei der AfD) Ich schließe die Aussprache. Für die soziale Wohnraumversorgung sind nach dem Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Grundgesetz die Länder zuständig. Das haben Sie auch Drucksache 19/16051 an die in der Tagesordnung aufge- nicht verstanden. Wir haben das Grundgesetz extra ge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist (B) (D) ändert, damit wir den Bundesländern weiterhin Hilfe ge- jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD ben können. Es hat keine Kürzung gegeben, es gibt mehr wünschen Federführung beim Ausschuss für Inneres und Geld. Wir fördern auch den ländlichen Raum. Es ist zu Heimat. Die Fraktion der AfD wünscht Federführung Recht gesagt worden, dass wir auf der einen Seite, in den beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung Städten, einen Wohnungsmangel haben, auf der anderen und Kommunen. Seite, im ländlichen Raum, haben wir noch freie Woh- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- nungen. Deswegen ist das Grundgesetz geändert worden, schlag der Fraktion der AfD: Federführung beim Aus- damit wir Geld an die Länder unter anderem für Investi- schuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- tionen in den öffentlichen Nahverkehr geben können. Wir nen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – geben mehr Geld für die Digitalisierung und den Betrieb Das ist die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die des öffentlichen Nahverkehrs; CDU/CSU-Fraktion, die SPD-Fraktion, die FDP-Frak- tion, die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/ (Beifall bei der SPD) Die Grünen. Wünscht sich jemand zu enthalten? – Das ist denn es geht um gleichwertige Lebensverhältnisse in nicht der Fall. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Deutschland für alle. Wir brauchen mehr Versöhnen statt Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Spalten und nicht Spalten, Spalten, Spalten. schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- (Beifall bei der SPD) führung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt Wir können durchaus auch auf andere Länder schauen. dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Der Überwei- Tatsächlich war es ein Fehler – die SPD hat damals da- sungsvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der gegen gekämpft –, 1988 mit Wirkung zu 1990 die Ge- SPD, der FDP, der Linken und Bündnis 90/Die Grünen meinnützigkeit in der Wohnungswirtschaft abzuschaffen. gegen die Stimmen der AfD-Fraktion angenommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- In Wien haben wir noch die Gemeinnützigkeit. Da ist das munen zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel Problem nicht so groß wie bei uns. Das heißt, wir brau- „Anpassung des öffentlichen Baurechts zur Bekämpfung chen auch – darüber müssen wir diskutieren – einen Kon- der Obdachlosigkeit“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner sens für eine Investition in sozialen Wohnungsbau. Wir Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/9571, den An- brauchen eine neue Gemeinnützigkeit, liebe Kolleginnen trag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/7717 abzu- und Kollegen. lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17263

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be- Sie müssen einmal in Urlaub gehen können, sie müssen (C) schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der AfD-Frak- vielleicht einmal selber in Reha gehen und brauchen dann tion mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses einen Kurzzeitpflegeplatz. Oder sie werden von jetzt auf angenommen. gleich krank und müssen selber ins Krankenhaus, dann können sie nicht wochenlang nach einem Kurzzeitpflege- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 sowie den Zusatz- platz suchen. Der Kurzzeitpflegeplatz muss sofort zur punkt 15 auf: Verfügung stehen. Das ist leider bis jetzt noch nicht der 15 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Fall. CSU und SPD Die Menschen wollen ihren letzten Lebensabschnitt zu Kurzzeitpflege stärken und eine wirtschaftlich Hause verbringen, wollen auch zu Hause sterben. Das tragfähige Vergütung sicherstellen wissen wir. Deswegen haben wir für diese Leistungsver- Drucksache 19/16045 besserungen gesorgt. Dieses Versprechen können wir aber nur erfüllen, wenn wir Kurzzeitpflege deutlich aus- Überweisungsvorschlag: weiten. Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Neben dieser ideellen Ebene hat das auch ganz klare Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Auswirkungen auf den Haushalt, auf das Geld. Viele Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Haushaltsausschuss sind – das wissen wir – finanziell überfordert, was die Eigenanteile in der Langzeitpflege betrifft. ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Westig, Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP GRÜNEN]: Allerdings!) Angehörige entlasten – Gute Rahmenbedin- An dieser Stelle müssen wir etwas tun. Das Naheliegen- gungen in der Kurzzeitpflege verwirklichen de, was wir da tun können, ist, die Kurzzeitpflege aus- Drucksache 19/16039 zuweiten. Wenn wir Kurzzeitpflegeplätze in ausreichen- dem Maße anbieten, dann können wir Langzeitpflege Überweisungsvorschlag: verhindern oder zumindest verkürzen. Damit sind dann Ausschuss für Gesundheit auch die Eigenanteile für die Angehörigen und die pflege- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- bedürftigen Menschen deutlich geringer. schlossen. – Ich bitte um zügiges Umgruppieren in den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (B) Fraktionen. (D) der SPD) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Lothar Riebsamen für die CDU/CSU-Fraktion. Dann hat dies auch noch einen personellen Aspekt. Wir haben Personalknappheit in den Pflegeheimen. Wenn wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. durch Kurzzeitpflege Aufenthalte in der Langzeitpflege Heike Baehrens [SPD]) verkürzen oder vermeiden können, dann sparen wir auch Pflegepersonalressourcen in den Pflegeheimen. Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Wir haben in der letzten Legislaturperiode nicht nur Kollegen! Eine gute Pflege ist von zentraler Bedeutung den Anspruch auf Kurzzeitpflege von vier Wochen auf für unsere alternde Gesellschaft. Deswegen haben wir acht Wochen ausgeweitet, wir haben sozusagen auch ei- bereits in der letzten Legislaturperiode die Pflegeversi- nen neuen Anspruch geschaffen, und zwar für Menschen, cherung reformiert und die Leistungen der Pflegeversi- die aus dem Krankenhaus entlassen werden und nicht in cherung deutlich ausgeweitet, und zwar insbesondere zu- eine Pflegestufe eingestuft sind. Auch diese Menschen gunsten der pflegenden Angehörigen – und das aus gutem brauchen einen Anspruch auf einen Kurzzeitpflegeplatz. Grund. Der wichtigste Bestandteil dieser Leistungsaus- weitung war die Kurzzeitpflege. Wer ist dafür verantwortlich, wer hat den entsprech- enden Sicherstellungsauftrag? Dieser ergibt sich bezüg- Auch in dieser Legislaturperiode lassen wir nicht nach, lich der Pflegeversicherung, also für uns, in erster Linie die Pflege in unserem Land zu verbessern. Wir haben aus den §§ 12 und 69 SGB XI. Aber auch für die Länder bereits das Pflegestärkungsgesetz beschlossen, andere und die Kommunen ergibt sich ein Sicherstellungsauf- Dinge stehen an. Es steht aber auch an, dass wir das trag, und zwar aus den §§ 8 und 9 SGB XI. Nun kennen Leistungsversprechen aus der letzten Legislaturperiode, wir das Spiel zwischen Bund und Ländern aus vielen die Kurzzeitpflege an sich deutlich auszuweiten, nun abstrakten Dingen wie dem Finanzausgleich und anderem auch erfüllen und wirkliche Pflegeplätze schaffen, deren mehr. Aber hier geht es nicht um irgendeine abstrakte Zahl mit dem Bedarf, den wir haben, auch mitwachsen Angelegenheit, hier geht es um Konkretes, hier geht es muss. um Menschen, hier geht es um pflegebedürftige Men- schen. Da kann man nicht lange ein solches Spiel spielen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und den Schwarzen Peter hin und her schieben. Wir müs- ordneten der SPD) sen ganz klar adressieren, dass die Sicherstellungsaufträ- Pflegende Angehörige können nicht 365 Tage im Jahr ge bezüglich der Pflegeversicherung vom Bund und von 24 Stunden am Tag pflegen. Damit sind sie überfordert. den Ländern erfüllt werden. 17264 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Lothar Riebsamen (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Die tägliche Erstattungspauschale für die Kurzzeitpflege (C) neten der SPD und der Abg. Nicole Westig liegt bei sage und schreibe 20,15 Euro und damit bei [FDP]) einem Stundensatz von 84 Cent pro Stunde für 24 Stun- den. Dies, meine Damen und Herren, ist ein Schlag ins Die Pflegeheime brauchen eine auskömmliche Finan- Gesicht für die Menschen in unserem Land, die jeden Tag zierung, um die Pflegeplätze zur Verfügung stellen zu pflegen müssen. können. Die Finanzierung ist zurzeit nicht auskömmlich. Das ist der Kern des Problems. Deswegen haben wir im (Beifall bei der AfD) Koalitionsvertrag vereinbart, dass in dieser Legislaturpe- riode eine auskömmliche Finanzierung sichergestellt Die Erhöhung der Kurzzeitpflegeplätze, wie Sie, liebe werden muss. Insbesondere darauf zielt dieser Antrag Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der heute ab. SPD, das wollen, ist ein klassischer Rohrkrepierer, da er zum finanziellen Desaster für die Kommunen werden Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss: Ein wird. Dabei wissen Sie doch genau, dass ungefähr jede besseres Weihnachtsgeschenk können Sie den pflegenden fünfte Kommune unter Kommunalaufsicht und Haus- Angehörigen und den pflegebedürftigen Menschen über- haltssicherungskonzept arbeitet. Eine weitere milliar- haupt nicht machen, als an dieser Stelle zusammenzu- denschwere Belastung ist durch die Kommunen nicht stehen und alles dafür zu tun, gemeinsam das Ziel zu mehr zu stemmen. Nehmen Sie doch Geld aus Ihren ideo- erreichen, im nächsten Jahr zu mehr Kurzzeitpflegeplät- logischen Prestigeobjekten, und geben Sie es den Men- zen zu kommen. schen, die für einen Hungerlohn von 84 Cent wichtige gesellschaftliche Aufgaben meistern! Lösen Sie bitte die- Herzlichen Dank. ses Problem! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Denken Sie bei Ihren Anträgen auch einmal an die Menschen und daran, dass bald Weihnachten ist. In einem Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Robby Schlund für persönlichen Gespräch sagte eine Pflegefachkraft zu mir, die AfD-Fraktion. die in der Kurzzeitpflege arbeitet: Die Menschen, die (Beifall bei der AfD) krank sind, sind Menschen zweiter Klasse. Das Personal wird überall ausgebeutet und ist verbrannt. Oft kommen Dr. Robby Schlund (AfD): 25 zu Pflegende auf einen Pfleger. – Da könnte man ja fast meinen, dass der FDP-Antrag in diesem Zusammenhang Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Liebe (B) einen Glück verheißenden weihnachtlichen Segen ver- (D) Gäste auf den Rängen! Wir sehen, es ist kurz vor Weih- spricht mit Lösungsanspruch. Aber, meine Damen und nachten, es sind kaum mehr Gäste da. Aber gerade so kurz Herren, haben Sie einmal darüber nachgedacht, dass die vor Weihnachten möchte ich es nicht versäumen, den aktuelle Personalmangelsituation in der Pflege eine Er- circa 2,6 Millionen Mitmenschen in Deutschland zu dan- höhung der Zahl der Kurzzeitpflegeplätze in unseren ken, die täglich zum Teil bis zur Selbstaufgabe ihre An- Krankenhäusern, eine Erhöhung der Zahl der Kurzzeit- gehörigen pflegen. pflegebetten praktisch absolut unmöglich macht? (Beifall bei der AfD) (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE Selbst in der stillen und heiligen Zeit ist oft keine Minute GRÜNEN]: Nein!) für sich selbst, um einfach einmal – ganz kurz – loslassen Wissen Sie, was dann passiert? Ein weiterer Teil an Sta- zu können. Respekt, was sie für ihre Familie, ihre Nächs- tionen müsste aufgrund der prekären Pflegesituation ge- ten und vor allem für unsere Gesellschaft mit Selbstauf- schlossen und kranke Menschen müssten abgewiesen opferung tun. werden. Und wer zu Hause pflegt, der kennt bestimmt die Si- tuation, vorübergehend Angehörige eben nicht zu Hause (Alexander Krauß [CDU/CSU]: Was ist Ihr versorgen zu können. Dafür gibt es die Möglichkeit der Konzept?) Kurzzeitpflege. Diese tritt dann ein, wenn eine pflege- Nun möchte ich Ihnen als Arzt gern noch etwas für das bedürftige Person für eine begrenzte Zeit einer vollstatio- neue Jahr mitgeben. Denken Sie bitte immer daran, was nären Pflege bedarf, zum Beispiel nach einem Kranken- Gertrud von le Fort einmal gesagt hat – ich zitiere mit hausaufenthalt. Genau dafür brauchen unsere pflegenden Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –: Söhne und Töchter durch die Kurzzeitpflege eine Unter- stützung. Kein noch so genialer Arzt kann seine Patienten heilen, wenn die treue Pflegerin fehlt. Doch die dafür vorgesehenen Kurzzeitplätze sind teil- weise nicht verfügbar, ihre Zahl sank in den letzten Jahren Nach 74 Sitzungen im Gesundheitsausschuss – ich sogar um mehr als 30 Prozent – trotz steigender Nach- glaube, wir sind im Gesundheitsausschuss die Spitzenrei- frage. Das Problem liegt wie so oft in der ausufernden ter unter den Workaholics im Bundestag – wünsche ich Profitorientierung und Deckelung der Kosten auf niedrig- Ihnen allen und besonders den Mitgliedern des Gesund- stem Niveau. heitsausschusses ein schönes Weihnachtsfest, und sam- meln Sie viel Kraft für eine qualitativ hochwertige und (Heike Baehrens [SPD]: Völlig falsch!) gute Debatte im Gesundheitsausschuss. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17265

Dr. Robby Schlund (A) Wir stimmen den Überweisungen zu. schaffen. Wir fordern die Bundesländer auf, tatsächlich (C) das, was wir jetzt an wirtschaftlichen Rahmenbedingun- Vielen Dank. gen organisieren, dann auch durch eine Investitionsoffen- (Beifall bei der AfD) sive für die Kurzzeitpflege zu unterstützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Petra Pau: der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Das Wort hat die Kollegin Heike Baehrens für die SES 90/DIE GRÜNEN) SPD-Fraktion. Gleichzeitig sorgen wir auch dafür, dass Pflegebedürf- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tige und ihre Familien die Kosten der Kurzzeitpflege der CDU/CSU) besser stemmen können. Darum setzen wir noch einen zweiten Punkt aus unserem Koalitionsvertrag um, indem Heike Baehrens (SPD): wir nämlich die Leistungen der Pflegeversicherung für die Kurzzeit- und Verhinderungspflege und den Entlas- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und tungsbetrag von monatlich 125 Euro zusammen in einem Kollegen! Stellen Sie sich einmal vor: Sie haben einen Entlastungsbudget bündeln, das die Pflegebedürftigen schweren Unfall. Nach mehreren Operationen und einem und ihre Angehörigen dann flexibel nutzen können und mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt dürfen Sie nach bei dem sie selbst entscheiden können, ob sie dieses Geld Hause. Sie leben aber alleine und kommen zu Hause nicht monatlich einsetzen oder eben für eine Entlastung durch klar. Sie können auch noch nicht in die Rehabilitation. Kurzzeit- oder Verhinderungspflege nutzen. Was dann? Dann brauchen Sie einen Platz für eine Kurz- zeitpflege. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vor fünf Jahren schilderte mir die frühere Vorsitzende der CDU/CSU und der Abg. Nicole Westig des Stadtseniorenrats Geislingen dieses Schicksal ihrer [FDP]) Tochter. Diese fand keine Kurzzeitpflegeeinrichtung. Wir in der SPD wollen die Menschen in schwierigen Sie musste lange suchen, um einen Kurzzeitpflegeplatz Situationen nicht alleinlassen. Wir wollen pflegende An- in einem Altenpflegeheim zu finden – mit der Folge von gehörige entlasten. Es freut mich, dass die Union mit uns hohen Kosten. Lothar Riebsamen hat recht: Genau darum an einem Strang zieht haben wir in der letzten Legislaturperiode im Rahmen der Krankenversicherung einen Anspruch auf Überleitungs- ( [CDU/CSU]: Ihr auch mit uns! Das pflege geschaffen. ist ein gemeinsamer Antrag!) (B) und dass wir mit diesem Antrag einen Neustart in der (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kurzzeitpflege auf den Weg bringen. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Aber die beste Leistung der Krankenversicherung läuft (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ins Leere, wenn sie nicht eingelöst werden kann, weil es der CDU/CSU) dafür kein Angebot gibt. Bundesweit sinkt die Zahl der Pflegeeinrichtungen, die Kurzzeitpflege anbieten. Diesen Trend müssen wir umkehren. Darum dieser Antrag: Wir Vizepräsidentin Petra Pau: ändern die Rahmenbedingungen, um es den Einrichtun- Für die FDP-Fraktion hat nun die Abgeordnete Nicole gen zu ermöglichen, solche Pflegeplätze tatsächlich an- Westig das Wort. zubieten. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Nicole Westig (FDP): GRÜNEN) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe pflegende Angehörige an den Bildschirmen! Ich Nach dem völligen Unsinn, den mein Vorredner zu weiß, dass viele von Ihnen unsere Debatte heute verfol- diesem Thema gesagt hat, möchte ich einfach Folgendes gen. 76 Prozent der Pflegebedürftigen werden in ihrer ergänzen: Wer seine Pflegeeinrichtung übers Jahr zu Häuslichkeit gepflegt. Rund 4,7 Millionen Menschen 98 Prozent belegt haben muss, der kann keinen Platz frei- kümmern sich dauerhaft um einen Menschen mit Pflege- halten, um diesen Platz zum Beispiel bei einer plötzlichen bedarf. Deshalb ist es ungeheuer wichtig, dass wir uns Krankenhausentlassung zur Verfügung zu stellen. Wer noch in diesem Jahr um dieses Thema kümmern und ei- seine Einrichtung zu 98 Prozent belegt haben muss, der nen ersten Aufschlag machen; denn die pflegenden An- kann auch für eine Familie, die ihren Urlaub früh buchen gehörigen brauchen dringend unsere Aufmerksamkeit muss, aber Sicherheit braucht, dass der pflegebedürftige und mehr Unterstützung. Großvater zuverlässig versorgt wird, keinen Platz vorhal- ten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Darum müssen wir die gesetzlichen Rahmenbedingun- gen für die Kurzzeitpflege verändern. Nur wenn Einrich- Viele von ihnen sind physisch und psychisch am Ende. tungen nicht das Risiko haben, ins Defizit zu laufen, wer- Die Kurzzeitpflege kann Entlastung schaffen. Sie ist ent- den sie in die Kurzzeitpflege investieren und Pflegeplätze scheidend, damit Angehörige eine Auszeit von der Pflege 17266 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Nicole Westig (A) nehmen können, sei es für den wohlverdienten Urlaub, sei Harald Weinberg (DIE LINKE): (C) es für Rehabilitation im Krankheitsfalle. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es hier mit einem bemerkenswerten Vorgang Den Maßnahmen im vorgelegten Antrag der Koali- zu tun, wie ich finde. Die Koalitionsfraktionen stellen tionsfraktionen schließen wir uns an. Besonders wichtig einen Antrag an die Regierung, also an ihre eigene Regie- sind die wirtschaftlich tragfähige Vergütung und mehr rung, dass sie das umsetzt, was ja bereits im Koalitions- Flexibilität durch Zusammenführung der Leistungen für vertrag steht. Das ist schon bemerkenswert, muss ich sa- Kurzzeit- und Verhinderungspflege. gen. (Beifall bei der FDP) (Heike Baehrens [SPD]: Das ist doch gut!) Aber uns Freien Demokraten geht das nicht weit ge- Warum ist das so? Ich nehme an, es ist deswegen so, weil nug. Wir haben zusätzliche Forderungen. Wir wollen zum der Problemdruck in der Frage der Kurzzeitpflege so au- Beispiel die Sperrfrist von sechs Monaten für die erst- ßerordentlich groß geworden ist und Sie reagieren muss- malige Inanspruchnahme der Verhinderungspflege ab- ten. schaffen. Sie haben bei der Problembeschreibung ja absolut (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Harald recht: Wir haben zu wenige Kurzzeitpflegeplätze. Auch Weinberg [DIE LINKE]) Kurzzeitpflege muss anders finanziert werden, um gut Die Krankheit, die einen Angehörigen an der Pflege hin- und für alle verfügbar zu sein. Der Aufwand ist unter dert, fragt schließlich nicht danach, ob dieser vorher auch anderem durch die hohe Fluktuation sehr hoch. Das Sys- sechs Monate gepflegt hat. tem, so wie es ist, wird dem nicht gerecht. Auch der Bedarf an Teilpflegekräften steigt. Es ist immerhin ein (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ist Schritt, dass Sie als Koalitionsabgeordnete nun Ihre Re- es!) gierung auffordern, endlich zu handeln. Außerdem gibt es häufig Versorgungsprobleme – die Aber konkrete Politik ist das immer noch nicht. Von Kollegin Baehrens hat es angesprochen –, wenn Men- einem festen Zeitplan und einer konkreten Zielvorgabe schen – dabei geht es nicht nur um ältere Menschen – für mehr Plätze in der Kurzzeitpflege spricht der Antrag aus dem Krankenhaus entlassen werden. Oft sind sie zu nicht. Auch über die Finanzierung findet sich kein Wort. fit fürs Krankenbett, aber noch nicht fit genug für die eigene Häuslichkeit. Deshalb wollen wir es Krankenhäu- (Heike Baehrens [SPD]: Doch!) sern erleichtern, nicht belegte Betten zur Kurzzeitpflege Ich denke, es muss um mehr gehen als um eine gute PR (B) anbieten zu können. In meinem Bundesland Nordrhein- für die versprochene Reform der Pflegeversicherung aus (D) Westfalen laufen dazu gerade Modellversuche. Wir wol- dem Hause Spahn. len sie bundesweit befördern. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Da geht ja der Antrag der Kolleginnen und Kollegen Liebe Kolleginnen und Kollegen, unbürokratisch und von der FDP weiter. Vor allem schlägt die FDP Mittel, niedrigschwellig: So wünschen sich pflegende Angehöri- wie etwa die Abschaffung der Sperrfrist, vor, die unbüro- ge die Kurzzeitpflege. Für uns Freie Demokraten gehört kratisch und schnell eine Entlastung bedeuten, auch wenn dazu ein digitales Portal, das bundesweit verfügbare sie aus unserer Sicht noch nicht weit genug gehen. Aber Kurzzeitpflegeplätze übersichtlich anzeigt. immerhin: Es ist ein wesentlicher Schritt. (Beifall bei der FDP) Sie aber bleiben vage. Nun heißt es bei Ihnen, man müsse nach einem Krankenhausaufenthalt – Zitat – „neue Ich freue mich auf die konstruktive Beratung im Aus- Versorgungsformen in den Blick nehmen“. Das klingt fast schuss. Eine bessere Kurzzeitpflege ist dabei nur ein ers- schon poetisch. Aber was soll das denn heißen? Gestehen ter Schritt. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass weitere Sie damit ein, dass Menschen zu früh aus dem Kranken- Schritte folgen müssen, um pflegende Angehörige wirk- haus entlassen werden? Dann sollten wir da ansetzen und sam zu entlasten. Es bleibt noch viel zu tun. Wir werden uns nicht in der Kurzzeitpflege von den angeblichen Er- es beherzt angehen. fordernissen des unsäglichen DRG-Systems treiben las- Ich wünsche allen ein frohes Weihnachtsfest und einen sen. Das verstärkt nur den Druck auf die Pflege insge- guten Jahreswechsel. samt. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Sie wollen die Vergütung verbessern. Das ist wesent- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lich, schafft aber keinen einzigen zusätzlichen Pflege- der CDU/CSU) platz. Haben Sie deshalb den angekündigten Rechts- anspruch auf einen Kurzzeitpflegeplatz freiwillig Vizepräsidentin Petra Pau: aufgegeben? Aus unserer Sicht muss ein überarbeiteter Das Wort hat der Kollege Harald Weinberg für Die Sicherstellungsauftrag auch eine finanzielle Verantwor- Linke. tung des Bundes enthalten. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17267

Harald Weinberg (A) Hinzu kommt: Bei Ihren Überlegungen kommen die pflegen. Deswegen ist klar: Pflegende Angehörige brau- (C) Menschen mit Pflegebedarf und ihre Angehörigen kaum chen nicht nur mehr und gute professionelle Unterstüt- vor. Sie bereiten den Weg für eine einseitige Besserstel- zung bei der Pflege, sondern sie brauchen auch Auszei- lung der Leistungserbringer, ohne zu sichern, dass die ten, um ihre eigene Gesundheit zu schützen, um selber Kosten für die Menschen mit Pflegebedarf nicht immer wieder zu Kraft zu kommen. weiter über die Eigenanteile steigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Im Sommer hat der Beirat für die Vereinbarkeit von wie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Pflege und Beruf einen Lagebericht abgegeben. Dort ist Heike Baehrens [SPD]) ein klares Programm beschrieben. Ein Gesamtkonzept zur finanziellen und sozialen Absicherung pflegender Kurzzeitpflege ist ein wichtiges Angebot der Entlas- Angehöriger wird gebraucht, Stichwort „Lohnersatzleis- tung von pflegenden Angehörigen. Warum aber wird die tung“, Stichwort „Altersabsicherung“. Daran gemessen Kurzzeitpflege so wenig in Anspruch genommen? ist es unverständlich, warum Ihr Antrag freiwillig das Entlastungsbudget verkleinern will, auch wenn das Ent- Erstens. Viele pflegende Menschen wissen gar nicht, lastungsbudget nur ein Baustein ist. Warum fehlt die Ta- dass es diese Angebote gibt. In den Kommunen gibt es sie ges- und Nachtpflege, die im Koalitionsvertrag noch ge- auch zum Teil gar nicht. nannt wurde? Am Ende beschleicht einen das Gefühl, dass die Versprechen, die Sie im Koalitionsvertrag zur Zweitens. Es gibt zu wenige Plätze in der Kurzzeit- Kurzzeitpflege gemacht haben, über den Antrag viel- pflege. Die Zahl der Plätze ist in den letzten Jahren sogar leicht ein Stück weit relativiert werden sollen. gesunken. Wir brauchen eine solide Finanzierung der Kurzzeitpflege – da setzt der Antrag an; das finde ich (Heike Baehrens [SPD]: Quatsch! Wir kon- gut –, und wir brauchen eine Beteiligung der Kommunen kretisieren!) an der Planung dieser Plätze.

Natürlich dauert das Verfahren, das Sie gewählt haben – Drittens. Die heutige Finanzierung der Kurzzeitpflege das muss man in aller Deutlichkeit sagen –, länger, als ist absurd. Es gibt einen Zuschuss in Höhe von 1 612 Euro, wenn ein Gesetzentwurf vom Bundesministerium käme. der unabhängig vom Pflegegrad ist. Das hat zur Folge: Je Auch das ist aus unserer Sicht ein großes Problem. höher der Pflegegrad, umso geringer die Entlastung der Vielen Dank. pflegenden Angehörigen. Das ist doch eine absurde Kon- struktion. Dies müssen wir schnell ändern. Deswegen (Beifall bei der LINKEN) zum Beispiel ist unser Vorschlag der doppelten Pflege- (B) garantie richtig. Wir müssen die Eigenanteile senken, und (D) Vizepräsidentin Petra Pau: wir müssen sie deckeln. Das ist auch im Bereich der Das Wort hat die Kollegin Kordula Schulz-Asche für Kurzzeitpflege eine Lösung. die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der hier vorgelegte Antrag geht in die richtige Rich- Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tung. Allerdings hätte ich mich gefreut, wenn es in 21 Mo- NEN): naten das 22. Gesetz dieser Bundesregierung im Gesund- heitsbereich gewesen wäre. Denn das hätte zur Folge, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist dass jetzt schnell gehandelt wird. Der Antrag ist eine Ver- vermutlich meine letzte Rede in einem Jahrzehnt, in dem tagung; das muss man einfach sagen. Wir fordern von sich die Situation in der Pflege immer weiter verschlech- Ihnen ein Gesetz. tert und zugespitzt hat. Das gilt auch für die Kurzzeit- pflege. Die Pflege durch Angehörige ist eine wesentliche (Tino Sorge [CDU/CSU]: Einerseits kritisiert Säule der Pflegeversorgung. Rund 5 Millionen Menschen ihr, dass es zu viele Gesetze sind! Andererseits in Deutschland kümmern sich um ihre Partner, um ihre sind es zu wenig! Ihr müsst euch mal entschei- Eltern, um ihre Kinder, um die Nachbarn oder Freunde den!) mit Zuwendung und Solidarität. Unsere Gesellschaft darf pflegende Angehörige nicht länger allein lassen. Verbes- Wir müssen jetzt gemeinsam und schnell dafür sorgen, sern wir endlich die Situation dieser Menschen, und zwar dass die pflegenden Angehörigen in diesem Land entlas- spürbar und schnell. tet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich wünsche Ihnen allen eine frohe Weihnacht. sowie bei Abgeordneten der FDP) Warum ist Kurzzeitpflege so unglaublich wichtig? Bei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spiele aus dem Leben: Pflegende Angehörige arbeiten sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, und das Woche für Woche und Monat für Monat. Wenn der zu Vizepräsidentin Petra Pau: pflegende Angehörige einmal schläft, dann rennt man los, Das Wort hat Dr. Roy Kühne für die CDU/CSU-Frak- geht schnell einkaufen und macht Besorgungen. Das ist tion. der Alltag von Angehörigen, die pflegebedürftige oder schwerstpflegebedürftige Menschen bei sich zu Hause (Beifall bei der CDU/CSU) 17268 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

(A) Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): denke ich, sind wir mit unserem Minister auf einem guten (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Weg, das Korrektiv herzustellen und zu gucken, was wir Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau wo verbessert einsetzen können, sodass zum Schluss – Schulz-Asche, der Antrag ist ein klares Signal dafür, dass das ist, glaube ich, der Auftrag, den wir haben – der wir Kurzzeitpflege ernst nehmen, dass wir das, was in den Patient im Mittelpunkt all unseres Denkens steht. Das letzten zwei, drei Jahren nicht gut gemacht wurde, jetzt habe ich heute Morgen zufälligerweise auf der Homepage besser machen. Man muss der Politik zubilligen, etwas zu einer Krankenkasse gelesen. Also, irgendwas muss da verbessern. Natürlich muss man sich fragen, wieso im dran sein. Titel des Antrags gefordert wird, eine wirtschaftlich trag- Deshalb sage ich abschließend – man darf ja zu Weih- fähige Vergütung sicherzustellen. Natürlich ist die Frage nachten einen kleinen Wunsch äußern –: Lassen Sie uns berechtigt: Konnte das nicht von Anfang an gemacht wer- kritischer mit unseren eigenen Gesetzen umgehen. Las- den? Aber es gibt viele Umstände, jedenfalls in der Bund- sen Sie uns nachverfolgen, was mit denen in der Realität Länder-Problematik, warum das so ist. Ich denke, das ist passiert. Zum Schluss: Lassen Sie uns gucken, dass das ein Vorteil. Als Politiker muss man das durchaus mal dabei herauskommt, was wir für die Menschen wollen. eingestehen und fragen: Wie können wir es besser ma- Das ist hier unsere Aufgabe. chen? Was können wir voranbringen? Ich bin unserem Minister und vor allen Dingen auch meinen Kollegen Ihnen allen schöne Weihnachten. Lothar Riebsamen und von der SPD Heike Baehrens sehr dankbar, dass das Thema jetzt vorangetrieben wurde. Wir (Beifall bei der CDU/CSU) alle wissen um die Problematik in ländlichen Regionen, wenn pflegende Angehörige einmal Urlaub machen wol- Vizepräsidentin Petra Pau: len, und wir kennen die Probleme in der Überleitungs- Das Wort hat die Kollegin Claudia Moll für die SPD- pflege. Einige Dinge funktionieren dort eben nicht, und Fraktion. die Menschen müssen zum Beispiel auf einen Urlaub ver- zichten, weil wir die Pflege dort nicht im Griff haben. (Beifall bei der SPD) Aber ich sage noch einmal: Solch ein Gesetz, solch Claudia Moll (SPD): eine Korrektur ist gut und auch ein Signal der Politik: Ja, wir wissen, dass da etwas besser gemacht werden Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und muss. Ja – ich wiederhole es noch einmal –, wir müssen Kollegen! Einen wunderschönen guten Morgen! hier eine wirtschaftlich tragfähige Vergütung sicherstel- (Zurufe von der CDU/CSU: Morgen! – len. Ich finde es richtig, dass dieses einfache wirtschaft- Dr. [BÜNDNIS 90/DIE (B) liche Prinzip, das sonst überall in der Wirtschaft gilt, auch GRÜNEN]: Es ist schon 11.48 Uhr!) (D) hier angewendet wird; das wurde eben ein bisschen an- gedeutet. Immer wieder wird über die Bedeutung der – Ja, Mahlzeit. – Ich habe einige Jahre in der Kurzzeit- Pflege gesprochen und dass Plätze in der Kurzzeitpflege pflege gearbeitet, und ich weiß, wie schwierig es ist, wenn fehlen und warum. Aber man muss ehrlicherweise auch man dringend einen Platz für die Kurzzeitpflege benötigt. zugeben, dass die Anreize für die Installation einer Kurz- Leider kann die Kurzzeitpflege häufig nicht in Anspruch zeitpflege nicht vorhanden waren. Schlichtweg: Es hat genommen werden, zum einen, weil es kaum Kurzzeit- sich nicht gelohnt. pflegeplätze gibt, zum anderen, weil man sich als Ange- höriger durch einen Dschungel von Formalitäten kämp- Man muss ebenfalls die Unternehmerinnen und Unter- fen muss. An dieser Situation muss sich dringend etwas nehmer verstehen, die wir auffordern, etwas zu tun und in ändern. Kurzzeitpflege zu investieren, die uns aber dann signalisieren: Sorry, es zahlt sich nicht aus, es lohnt sich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht. – Das billigen wir VW, Mercedes und auch der der CDU/CSU) Bäckerei um die Ecke zu. Das billigen wir der Wirtschaft Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, liebe Kolleginnen zu, nur der Gesundheitswirtschaft nicht. Manchmal habe und Kollegen, Sie wissen, dass wir alle hier gut zusam- ich das Gefühl, dass gesagt wird: Pfui, es ist nicht gut, menarbeiten müssen. Ich stehe auf alle Fälle mit all mei- dass jemand mit der Krankheit und Pflege von Menschen ner Energie bereit, und davon habe ich ganz, ganz viel. Geld verdient. – Aber, Leute, wir haben auch in der Ge- sundheitswirtschaft Unternehmer. Auch dort müssen wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten entsprechend zahlen. der CDU/CSU und der FDP – Tino Sorge [CDU/CSU]: Wir auch!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es gibt Situationen, in denen für kurze Zeit eine sta- tionäre Betreuung erforderlich ist. Ein stationärer Auf- Es lohnt sich nicht, drum herumzureden. Letztendlich enthalt überbrückt die Zeit für die Angehörigen, die die finde ich diese Maßnahme auch deshalb gut, weil wir Pflegebedürftigen sonst betreuen, weil sie selbst erkrankt durchaus einmal darüber nachdenken: Wo sind wir unter- sind oder dringend eine Auszeit von der Pflege benötigen. finanziert? Welche Bereiche unserer Gesundheitsversor- gung in Deutschland sind unterversorgt? Wo müssen wir Die Kurzzeitpflege macht in vielen Fällen die häusli- nachbessern? Das impliziert aber dann auch die Frage: che Pflege überhaupt erst auf Dauer möglich. Zwar wurde Wo sind wir vielleicht überfinanziert oder falsch finan- die Kurzzeitpflege durch einige Reformgesetze der letz- ziert? Auch diese Frage muss man ehrlich stellen. Da, ten Jahre ausgeweitet und flexibilisiert, nur: Die Nach- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17269

Claudia Moll (A) frage steigt kontinuierlich an, allein im Zeitraum zwi- Claudia Moll (SPD): (C) schen 2011 und 2015 um rund 35 Prozent. Aber die Zahl Gut. – Dann wünsche ich allen frohe Weihnachten und der Plätze, die zur Verfügung stehen sollten, ist zurück- ein gutes neues Jahr. Ich freue mich auf das nächste Jahr. gegangen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, Außerdem ist wichtig: Pflegebedürftige müssen den der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE erforderlichen Kurzzeitpflegeaufenthalt finanzieren kön- GRÜNEN) nen. Die geforderten Maßnahmen zum Ausbau der Kurz- Ach so: Herr Dr. Schlund, wenn Sie einen Rohrkrepie- zeitpflege verursachen Kosten. Diese dürfen aber nicht rer haben, benutzen Sie eine Rohrzange! zulasten der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen ge- hen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Vizepräsidentin Petra Pau: GRÜNEN) Das Wort hat der Kollege Erich Irlstorfer für die CDU/ CSU-Fraktion. Deshalb ist es dringend erforderlich, den Leistungsbetrag entsprechend zu erhöhen. Wir wollen die Leistungen, die (Beifall bei der CDU/CSU) pflegende Angehörige entlasten, zu einem jährlichen Ent- lastungsbudget zusammenfassen. Dieses muss flexibel in Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Anspruch genommen werden können. Dazu gehört der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anspruch auf Kurzzeit-, Verhinderungs- und Tagespfle- Wir haben 3,4 Millionen Menschen, die pflegebedürftig ge. sind, und wir haben 2,5 Millionen Menschen, die ihre pflegebedürftigen Angehörigen zu Hause pflegen. Das (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Erich ist eine Riesenleistung. Es ist gleichzeitig für uns ein Irlstorfer [CDU/CSU] und Kordula Schulz- Auftrag, dass wir diesen Menschen auch Auszeiten ge- Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) währen. Kurzzeitpflege ist ein Instrument, pflegende An- gehörige zu stabilisieren und ihnen unter die Arme zu In der Kurzzeitpflege besteht ein höherer Pflegeauf- greifen. Deshalb sind wir dabei, Verbesserungen vorzu- wand aufgrund des spezifischen Bedarfs der zu Pflegen- nehmen. den und auch ein höherer Verwaltungs- und Organisa- tionsaufwand für die Einrichtungen aufgrund des (Beifall bei der CDU/CSU) häufigen Wechsels. Ebenso entstehen höhere Kosten auf- (B) Wir arbeiten den Koalitionsvertrag in aller Sachlich- (D) grund der schwankenden Auslastung der Belegung. Diese keit und in aller Ruhe ab. Wir müssen auch hier Anreize Kosten dürften aber nicht nur die Pflegeversicherungen schaffen. Ich glaube, dass es notwendig ist, den Einrich- tragen. Die Bundesländer müssen ihre Verantwortung zur tungen zu sagen, dass Kurzzeitpflege nicht nur ein Kos- Investitionskostenförderung bei der Kurzzeitpflege stär- tenfaktor ist, weil es keine laufende Belegung gibt. Wir ker wahrnehmen, liebe Opposition, müssen klar sagen, dass Kurzzeitpflege ihre Berechti- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gung und Notwendigkeit hat und dass man mit ihr auch der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Geld verdienen kann. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und damit Anreize für neue Anbieter schaffen. Vielerorts Ich glaube, dieses Signal ist sehr wichtig. Deswegen ist es haben sich die Bundesländer aus der öffentlichen Förde- für uns notwendig, dass wir hier die Systematik ändern rung der Einrichtungen zurückgezogen. Investitionskos- und dass wir die notwendigen Gelder zur Verfügung stel- ten werden derzeit hauptsächlich von den Pflegebedürf- len. tigen, ihren Angehörigen oder Sozialhilfeträgern bezahlt. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Kurzzeit- Der Koalitionsvertrag sieht das auch vor. Deshalb se- pflege auf eine wirtschaftlich tragfähige Struktur zu stel- hen wir den Antrag, den wir heute stellen, als Auftakt- len, um besonders auch die Angehörigen zu unterstützen, signal an alle pflegenden Angehörigen, ein Versprechen damit dieser Anspruch leichter wahrgenommen werden einzulösen. Wir werden es im nächsten Jahr auch durch- kann. – Ich glaube, ich muss zum Ende kommen. ziehen und den Menschen die Leistungen spürbar zugute- kommen lassen. (Heiterkeit) Ich möchte in dieser Großen Koalition den Initiatoren danken, Heike Baehrens und Lothar Riebsamen, die das Vizepräsidentin Petra Pau: ganze Vorhaben initiiert haben. Vielen Dank für euren Ich wollte Sie gerade darauf aufmerksam machen. Ich Einsatz! weiß, Sie haben viel Energie; aber die müssen Sie jetzt in andere Dinge stecken. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte aber auch die Opposition bitten, hier aktiv (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der AfD, mitzumachen. der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) (Zuruf von der FDP: Haben wir ja!) 17270 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Erich Irlstorfer (A) Wir brauchen hier volle Unterstützung. Die FDP hat sie Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten (C) konstruktiv geleistet. beschlossen. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ser- Gestatten Sie mir, während einige Kolleginnen und viceopposition!) Kollegen noch den Platz wechseln, einen Hinweis: Ich Ich glaube, man kann einige Punkte herausnehmen, die bitte Sie, Ihre Danksagungen, Segenswünsche für kom- man zur Verbesserung anbringen kann. Die Grünen sind mende Feiertage und Ähnliches in die verabredete Rede- ganz nah bei uns. zeit einzuplanen und sie nicht Ihren Redebeiträgen hinzu- zufügen. Wenn wir den Bereich der Kurzzeitpflege wirklich er- folgreich gestalten wollen, ist es notwendig, dass wir Fa- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege milien stärken. Dass die Familien jetzt schon viel in der Fabio De Masi für die Fraktion Die Linke. Pflege leisten, ist der Beweis, dass Familie 2019 und auch in Zukunft einen Wert in Deutschland hat. Sie ist uns (Beifall bei der LINKEN) wichtig. Deshalb gehört ihre Leistung unterstützt. Fabio De Masi (DIE LINKE): (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Kom- Ich möchte an dieser Stelle allen danken, die diese mune ist, wo wir leben und arbeiten und unsere Kinder schwierige, heikle Aufgabe erfüllen. Dabei kommen Sie groß werden. Wir sind Bundesrepublik. Wenn Städte und sicher auch an Ihre Grenzen; aber Ihre Antwort sind auf Dörfer in Deutschland abgehängt werden, 2 500 Kommu- jeden Fall Liebe, Nächstenliebe und Menschlichkeit. nen überschuldet sind, Turnhallen, Schultoiletten und Danke für Ihre Leistung und dafür, was Sie erbringen! Bibliotheken vergammeln, kaum ein Bus fährt oder es Wir wissen, was Sie leisten. Deshalb unterstützen wir Sie. kein Internet gibt, dann stirbt auch ein Stück von diesem Land. Die Linke will das nicht zulassen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Immer wenn wir zu Recht mehr Zukunftsinvestitionen Vizepräsidentin Petra Pau: in Deutschland fordern, antwortet die Bundesregierung, Ich schließe die Aussprache. das Geld fließe nicht ab. Ein Grund dafür ist die Situation der Kommunen. Sie haben kaum noch Leute, um Inves- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf titionen zu planen, und kein Geld, diese Investitionen (B) den Drucksachen 19/16045 und 19/16039 an die in der mitzufinanzieren. Wir begrüßen daher ausdrücklich die (D) Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ankündigung des Finanzministers , Kommu- Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht nen in Deutschland mit einem Altschuldenfonds zu ent- der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. lasten. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf: (Beifall bei der LINKEN) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wir wissen, dass dies ein steiniger Weg ist, weil es Fabio De Masi, Kerstin Kassner, Heidrun dafür die Zustimmung von reicheren Ländern und Kom- Bluhm-Förster, weiterer Abgeordneter und munen braucht. Der Bundestag sollte daher einen Alt- der Fraktion DIE LINKE schuldenfonds unterstützen. Die Linke wirbt dafür. Altschuldenfonds für Kommunen (Beifall bei der LINKEN) Drucksache 19/14153 Wir möchten die Debatte aber auch nutzen, um endlich Überweisungsvorschlag: eine zukunftsfeste Finanzierung für die Kommunen ein- Haushaltsausschuss (f) Finanzausschuss (f) zufordern; denn es bringt nichts, wenn wir alle wieder auf Ausschuss für Inneres und Heimat Los gehen und wir in ein paar Jahren wieder in derselben Ausschuss für Wirtschaft und Energie Sackgasse stecken. Die Linke will die Finanzen unserer Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Federführung strittig Städte und Dörfer stärken. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Claudia Müller, weiterer Abgeordneter und Der Investitionsstau bei den Kommunen beträgt der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 138 Milliarden Euro. Seit 16 Jahren verzeichnen wir ne- gative Nettoinvestitionen; das heißt, die Kommunen le- Altschulden – Existenzgefährdung für ost- ben von der Substanz, und ihre Infrastruktur schrumpft. deutsche Wohnungsunternehmen vermei- Die Altschulden betragen über 40 Milliarden Euro. Da- den von sind etwa 37 Milliarden Euro kommunale Kassen- Drucksache 19/15921 kredite. Diese sollen eigentlich wie ein Dispo auf dem Konto nur überbrücken, wenn Ausgaben kurzfristig hö- Überweisungsvorschlag: her sind als Einnahmen. Viele Kommunen stecken aber Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommu- nen (f) knietief in diesem Dispo. Zwei Drittel der Kassenkredite Haushaltsausschuss entfallen auf Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17271

Fabio De Masi (A) Eine Zinserhöhung von 1 Prozent würde allein in NRW Dass der Bund den Braunkohlerevieren beispringe, (C) zu Mehrausgaben von 250 Millionen Euro führen. Schon werde von den Kritikern … akzeptiert, sagt Dedy. heute werden viele Kommunen unter Aufsicht von „Dass aber der Bund nicht für die Zukunftsfähigkeit Sparkommissaren gestellt. Diese kommunale Troika un- der gesamten Republik zuständig sein soll, kann mir tergräbt die kommunale Selbstverwaltung. niemand erzählen.“ (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!) Ich finde, er hat recht. So stirbt auch unsere Demokratie, weil Menschen vor Ort (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. nichts mehr entscheiden können, wenn es nichts mehr zu Bernhard Daldrup [SPD]) entscheiden gibt. Die Linke meint: In Zukunft muss wieder gelten: Wer Die Sparkommissare verordneten einen Anstieg des bestellt, bezahlt. Dazu braucht es die Entlastung der Gewerbesteuersatzes, um wenigstens die gesetzlichen Kommunen bei sozialen Leistungen durch den Bund. Pflichten weiter erfüllen zu können. Steueroasen wie Wir wollen die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirt- Monheim werben jedoch Firmen und Arbeitsplätze mit schaftsteuer entwickeln, damit die Kommunen unabhän- Niedrigsteuern ab. Dadurch sinken die Gewerbesteuern giger von der Konjunktur werden. Auch Steuerberater der ärmeren Kommunen weiter, die Infrastruktur verrot- oder Architekten sollten Gewerbesteuer zahlen. Kleine tet, reichere Familien ziehen weg. Gewerbebetriebe und Freiberufler müssen aber über hö- here Freigrenzen entlastet werden. Mieten, Pachten, Lea- Warum ist das ein Problem? Weil soziale Spaltung, singraten und Lizenzgebühren sollten in voller Höhe bei verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch bedeutet, dass der Ermittlung der Steuerbasis berücksichtigt werden. Menschen in Deutschland nicht mehr wissen, wie es ihren Die Linke will starke Städte und Dörfer für starke Men- Nachbarn aus einer anderen sozialen Schicht geht, und schen in einem gerechten Land. das ist brandgefährlich, verehrte Damen und Herren. (Dr. [FDP]: Junge, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- kannst du Phrasen dreschen!) neten der SPD) Wer trägt aber Schuld für die Situation der Kommu- Wenn ich ein bösartiger Mensch wäre, würde ich jetzt nen? Der Chef der Thüringer Staatskanzlei Benjamin sagen – wie die Kanzlerin zu Andi Scheuer in der Frage- Hoff bemerkte dazu – ich zitiere –: stunde –: dass Olaf Scholz einen sehr guten Job macht. Ich meine aber ein ernstgemeintes Lob an dieser Stelle. Das Ruhrgebiet u. a. Regionen sind sicherlich nicht Bei allem, was ich an Olaf Scholz immer kritisiere: Er hat (B) für Konzentration an Spaßbädern mit goldenen Was- eine wichtige Debatte angestoßen, und er kann auf die (D) serhähnen bekannt. Unterstützung der Linken bei der Entschuldung der Kom- munen zählen. Denn Ruhr und Pfalz haben die geringsten Sachinvesti- tionen pro Einwohner. – Ich finde, da hat er recht. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) Die verfehlte Steuerpolitik der letzten 20 Jahre – Steuersenkungen für Konzerne und Spitzenverdiener – hat die Situation der Länder und somit auch der Kommu- Vizepräsidentin Petra Pau: nen verschärft. Denn es gibt auch Zeiten, in denen Das Wort hat der Kollege Christian Haase für die CDU/ Steuern eben nicht wie Milch und Honig fließen. Der CSU-Fraktion. Kern des Problems ist aber: Der Bund hat Kommunen durch Gesetze die Kosten für Sozialleistungen unterge- (Beifall bei der CDU/CSU) schoben, aber kein Geld auf den Tisch gelegt. Das wider- spricht dem Konnexitätsprinzip, wonach gilt: Wer be- Christian Haase (CDU/CSU): stellt, bezahlt. Das gilt in Deutschland in jeder Kneipe Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten und muss auch in der Politik gelten. Damen und Herren! Ich will mich an die Vorgaben halten: Ich wünsche Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest und (Beifall bei der LINKEN) danke allen für alles. Die Sozialausgaben der Kommunen sind zwischen 2003 und 2013 um 50 Prozent gestiegen. Besonders Meine Damen und Herren, wir sprechen heute über NRW, Rheinland-Pfalz und das Saarland hat dies wegen einen Antrag, der den Anschein erweckt, der Bundestag des Strukturwandels hart getroffen. Kohle und Stahl im wäre jetzt am Zug. Die Linke preist in ihrem Antrag den Ruhrgebiet und die Textilindustrie in der Pfalz sind weg- Altschuldenfonds als Allheilmittel für Kommunalfinan- gebrochen. Der Finanzminister will, dass der Bund bis zu zen. Doch damit arbeitet man ausschließlich an den 50 Prozent der Altschulden übernimmt. Dies kann nicht Symptomen und geht nicht an die Wurzeln. Wir sollten nur Sache der Länder sein – Stichwort: „Hessenkasse“ –, immer skeptisch sein, wenn uns einfache Lösungen für weil der Strukturwandel etwa NRW besonders hart trifft. komplexe Probleme vorgeschlagen werden. Das ist viel zu kurz gedacht. Allein die mangelnde Begründung des Die „FAZ“ zitiert den Geschäftsführer des Städtetages, Antrags zeigt doch, dass man hier sehr populistisch mit Helmut Dedy, so: einem ernsten Problem umgeht. 17272 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Christian Haase (A) (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Ich habe ihn teile, zum Beispiel für ländliche strukturschwache (C) doch gut begründet!) Regionen. Bei denen ist zwar das Kassenkreditproblem Das wird den Sorgen der betreffenden Kommunalpoliti- in der Regel nicht so groß; aber nur größte Sparanstren- ker in Deutschland in keinster Weise gerecht. gungen haben ein solches verhindert. Doch erst einmal zur Analyse der Situation. Die Fi- Eine Zahl, die das Ausmaß klarmacht: 2015 – und nanzlage der Kommunen ist heterogen, und man kann damit schon nach einiger Zeit des wirtschaftlichen Auf- wirklich keine allgemeinen Schlüsse ziehen. Insgesamt schwungs einerseits und einem Stärkungspakt des Landes profitieren natürlich auch die Kommunen von der guten andererseits – schafften nach den Zahlen der NRW-Lan- Lage der öffentlichen Haushalte und erzielten in den letz- desregierung nur 29 der 430 Kommunen einen echten ten Jahren Überschüsse. Das ist aber nicht überall so und Haushaltsausgleich. Die Lage bessert sich nun mit der führte nicht dazu, dass es gerade in den Kommunen, über kommunalfreundlicheren Politik der schwarz-gelben Re- die wir heute sprechen, möglich war, die angehäuften gierung deutlich; aber es ist nun mal schwer, einen Tanker Kassenkredite abzubauen. herumzureißen. Auch die Ursachen für die Verschuldung sind sehr un- (Bernhard Daldrup [SPD]: Hallo?! Also!) terschiedlich. Das hat die Kommission „Gleichwertige Und wenn auf die Sozialgesetze gezeigt wird, die auf Lebensverhältnisse“ in ihrer Arbeitsgruppe auf vielen Bundesebene beschlossen wurden, so kann ich nur sagen: Seiten festgestellt und gezeigt, dass Bund und Länder Das war schon immer so. Die Länder kriegen Ausgleich und die kommunalen Spitzenverbände unterschiedliche über Umsatzsteuerpunkte oder andere Dinge, und im Meinungen haben. Bundesrat wird dann auch zugestimmt. Aber es wäre dann ihre Pflicht gewesen, diese finanziellen Vorteile Kommen wir nun zu diesen Ursachen. Das fängt mit auch tatsächlich an die Kommunen weiterzuleiten. dem Kommunalisierungsgrad und den dafür im kommu- nalen Finanzausgleich zur Verfügung gestellten Mitteln (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) an. Wie ich bereits mehrfach erwähnt habe: Die Situation Das ist in den betroffenen Ländern leider oft nicht ge- ist in jedem Bundesland anders. Leider fehlt trotz der schehen. Aber um das im Einzelnen nachzuweisen, Grundlage im Grundgesetz und der Ausgestaltung in bräuchte man sicherlich eine aufwendige Studie. den Landesverfassungen der konkret durchsetzbare An- spruch auf eine aufgabenangemessene Finanzausstattung Wir haben also drei Ursachen; denn wir müssen fragen: gegenüber den Ländern. Ich hoffe sehr, dass die rhein- Erhalten die Kommunen von ihren Ländern entsprechend land-pfälzische Stadt Pirmasens und der Kreis Kaisers- dem Kommunalisierungsgrad aufgabenangemessene Fi- (B) lautern nun vor dem Bundesverfassungsgericht in dieser nanzmittel? Haben die Länder Entlastungen vollständig (D) Frage gegenüber ihrer rot-gelb-grünen Landesregierung weitergeleitet? Und wie sieht die wirtschaftliche Lage in recht bekommen und die Landesregierung ihre Versäum- einem Bundesland, einer Region oder letztlich einer nisse nachholt. Kommune aus? Es ist eine Binsenweisheit: Eine gute Wirtschaftspolitik ist die beste Finanzpolitik. (Beifall bei der CDU/CSU) Der zweite Ansatz bei den Ursachen betrifft die hohen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sozialen Ausgaben, die einerseits auf einen nicht bewäl- des Abg. [FDP]) tigten Strukturwandel zurückzuführen sind und zum an- Für mich als Bundestagsabgeordneten und ehemaligen deren wiederum mit dem Kommunalisierungsgrad dieser Bürgermeister ist klar: Hier gibt es keine einfachen Lö- Aufgaben zusammenhängen. Das trifft insbesondere sungen. Wir müssen strukturell ran. Und wenn wir das mein Heimatland Nordrhein-Westfalen – soweit mir sagen, müssen wir als Erstes fragen: Wer ist dafür ver- bekannt, das Land mit dem höchsten Kommunalisie- antwortlich? Da liegt der Ball wieder bei den Ländern. Sie rungsgrad in ganz Deutschland. Den roten und später sind – man kann es nicht oft genug wiederholen – für eine rot-grünen Landesregierungen ist es nicht gelungen, den aufgabenangemessene Finanzausstattung der Kommunen Strukturwandel insbesondere in den Ruhrgebietsstädten verantwortlich, und das sollten Sie, Herr De Masi, eigent- intensiver zu begleiten. Die Wirtschaftsschwäche des lich auch wissen. Landes hat deren Einnahmen geschmälert und damit auch den vertikalen Finanzausgleich. (Beifall bei der CDU/CSU) Da an dieser Stelle oft von Essen gesprochen wird: Es Im Gegenteil: Es lässt sich gut nachvollziehen, dass der ist einerseits richtig, dass Essen mit 2,2 Milliarden Euro Kassenkreditbestand stieg, nachdem das Land 1986 – ja, die höchsten Kassenkredite hat. Aber ich glaube, es muss 1986 fing es an – den kommunalen Anteil an den Steuer- andererseits auch mal erwähnt werden, dass der CDU-OB einnahmen von 28 auf 23 Prozent gekürzt hat. Das Gift Kufen es in kurzer Zeit mit solider Haushaltspolitik in der Kassenkredite hat sich dann schleichend über das Unionsmanier geschafft hat, diesen Haushalt auszuglei- ganze Land breitgemacht, ohne dass die damaligen Lan- chen. Das ist eine tolle Leistung; das müssen wir auch mal desregierungen lange Zeit bereit waren, hier gegenzu- anerkennen. steuern. Hier kann ich den betroffenen Städten aktuell selbst (Beifall bei der CDU/CSU – keine großen Vorwürfe machen. Diese haben sich ja ge- [DIE LINKE]: Wie sieht es denn in Essen aus?) gen diese Situation gestemmt, als deren Kassenkreditbe- Aber in Essen ist, wie auch in vielen Städten in Rhein- stand langsam anstieg. Ähnliches gilt für andere Landes- land-Pfalz, die Notlage mittlerweile so groß, dass zu we- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17273

Christian Haase (A) nig Personal da ist, um vernünftig Förderanträge auszu- mit Essen. Ich komme aus Essen. Viele Haushalte von (C) füllen und die Bundes- und Landesmittel, die zur Verfü- Kommunen im Ruhrgebiet sind Nothaushalte, oder die gung stehen, entsprechend abzugreifen; gleichzeitig hat Kommunen sind in der Haushaltssicherung. man die Altschulden im Rücken. Das ist keine Situation, die die Länder ruhig schlafen lassen kann. Herr De Masi hat es richtig erkannt: Die Probleme be- stehen sehr häufig darin, dass zu viele Sozialleistungen Wir haben auf Bundesebene die Probleme erkannt und von den Kommunen gezahlt werden, dass zu viele Sozial- die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ leistungsempfänger existieren. Da frage ich mich: Wo eingesetzt. Ich glaube, unsere Aufgabe ist es, in der Struk- kommen die her? turpolitik etwas draufzulegen. Damit meine ich die Auf- stockung der Mittel für die GAK und die GRW. Ich glau- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: be, darüber sollten wir uns in den nächsten Jahren Hätten sie mal ihre RWE-Aktien früher ver- vorrangig unterhalten. kauft in Essen!) (Zuruf des Abg. Stefan Schmidt [BÜND- – Da gebe ich Ihnen recht. Über die RWE-Aktien können NIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie mit dem Oberbürgermeister Kufen diskutieren, der auch gerade eben angesprochen worden ist. Lassen Sie mich kurz das eine oder andere zu den Sozialkosten erwähnen. Wir haben die Kommunalinves- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: titionsprogramme auf den Weg gebracht: 7 Milliarden Nee! Das ist unter SPD passiert!) Euro. Wir haben den DigitalPakt auf den Weg gebracht: 5 Milliarden Euro. Und da wir bei den Sozialkosten sind: – Hallo? Ich bin von der AfD, nicht von der SPD. Für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfä- higkeit stehen jährlich 7 Milliarden Euro zur Verfügung. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Auf der anderen Seite leisten wir kommunale Unterstüt- Ja! Ist doch egal!) zung mit 5 Milliarden Euro jährlich; das sind frei zu ver- Da haben Sie sich gerade vertan. Die FDP läuft hier völlig wendende Mittel. Für die U3-Betreuung stehen 4 Milliar- neben der Spur. den Euro und für die Ganztagsbetreuung 2 Milliarden Euro zur Verfügung, zur Steigerung der Qualität in den (Beifall bei der AfD – Dr. Marie-Agnes Strack- Kitas 5,5 Milliarden Euro. Hier zu behaupten, der Bund Zimmermann [FDP]: Nee! Hören Sie mal! Ich habe an dieser Stelle nichts getan, ist in meinen Augen habe mich nicht vertan!) komplett falsch. – Ja. Sie können das später kommentieren. Sie liegen (B) (Beifall bei der CDU/CSU – Volkmar Vogel gerade voll daneben. (D) [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Wenn es denn auch bei den Kommunen ankommt!) (Zuruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack- Zimmermann [FDP]) Letzter Punkt: die Flüchtlingskosten. Hier entlasten wir die Kommunen in zwei Jahren alleine mit 6 Milliarden Kommen wir zurück zu Herrn De Masi. Wo kommen Euro. diese überbordenden Sozialleistungen her? Insbesondere Also, ich glaube, es gibt an dieser Stelle gute Beispiele; von den links-grünen Bahnhofsklatschern, die eine unge- man kann nach Hessen oder ins Saarland schauen. Das zügelte Migration befördern, sind Länder, die etwas gemacht haben. Deshalb glaube (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ich, dass es wichtig ist, dass die Länder ihre Hausaufga- NEN]: Na, na, na! Vorsicht! – Sven Lehmann ben erst mal selbst machen; das ist auch in den Beschlüs- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Widerlich!) sen der Bundesregierung niedergelegt. Liebe Länder, gu- cken Sie in die anderen Länder, wie die es gemacht haben. den „sicheren Häfen“, die von den Gemeinderäten ausge- Stärken Sie die Wurzeln der Demokratie. Stärken Sie die rufen werden, und den Klimanotständen, die außer Kos- kommunale Selbstverwaltung. Lassen Sie auch gerade zu ten keine Wirkung zeigen. Weihnachten Ihre Kommunen nicht im Stich. (Gabriele Katzmarek [SPD]: Mein Gott! Ein- (Beifall bei der CDU/CSU) mal benehmen! – [SPD]: Das Niveau wird wieder gesenkt!) Vizepräsidentin Petra Pau: Sie alle kennen den Schlager „Wer soll das bezahlen?“. Das Wort hat der Abgeordnete Stefan Keuter für die Jetzt kommt es: „Wer hat das bestellt? Wer hat so viel AfD-Fraktion. Pinke-Pinke, wer hat so viel Geld?“ (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Stefan Keuter (AfD): Wir müssen unterscheiden: Sind es selbstverschuldete Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Fehlleistungen, selbstverschuldete Defizite oder unver- Herren! Liebe Zuschauer! Wir reden heute über die Fi- schuldete, verursacht durch Strukturwandel oder Sonder- nanzsituation der Kommunen. Herr Haase hat es gerade effekte? Wir dürfen hier keine Kommunen belohnen, die richtig gesagt: Wir beschäftigen uns hier insbesondere Misswirtschaft betrieben haben. Das wiederum wäre So- mit dem Ruhrgebiet, einer strukturschwachen Region, zialismus, und das ist mit uns nicht zu machen. 17274 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Stefan Keuter (A) (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Stefan Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da (C) Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das legt niemand Wert drauf! – Weitere Zurufe vom entscheiden Sie, oder wer?) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie entstehen diese Schulden? Insbesondere durch – Hören Sie mir doch erst mal zu! – Sie haben hier ge- Kassenkredite; wir haben es eben gehört. Landesbanken schrieben, dass Staatsimmobilien übergeben worden sind gewähren den Kommunen großzügig Gelder. und damit auch die Altlasten. Ja, natürlich: Keiner be- kommt was geschenkt, ohne auch die Verbindlichkeiten (Zuruf des Abg. Fabio De Masi [DIE LINKE]) mit zu übernehmen. Das ist sehr verlockend, gerade bei dem aktuellen des- Sie fordern jetzt einen Fonds im Umfang von 10 Millio- aströsen Zinsniveau. Wenn die Zinsen irgendwann stei- nen Euro. Ich habe das nicht verstanden: gen, sind die Kommunen pleite – ein Riesenproblem. (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Herr Keuter, Sie NEN]: Das könnte an Ihnen liegen!) haben ein ernstes Problem!) Haben Sie eine oder zwei Nullen vergessen? 10 Millionen Der Bundesfinanzminister hat es jetzt angedeutet: Kas- Euro, um Immobilien umzubauen, abzureißen, zurückzu- senkredite sollen unter gegebenen Umständen vom Bund bauen – das reicht noch nicht mal für 100 Wohneinheiten, übernommen werden. Der Antrag der Linken zielt darauf insbesondere mit Blick auf die Situation in Ostdeutsch- ab, das jetzt auch so umzusetzen. Der Bund soll das aus- land. gleichen, was die Kommunen zum Teil selbst verschuldet haben. Das nennen die Linken Solidarität. Wir rufen Also, Ihr Antrag ist mit der heißen Nadel gestrickt; Ihnen entgegen: Das ist nicht Solidarität; wir brauchen darauf möchte ich jetzt auch nicht weiter eingehen. hier Subsidiarität! (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD) NEN]: Dann lassen Sie es doch einfach!) Kommunale Selbstverwaltung steht schon im Grund- Ziehen Sie den am besten zurück. gebiet. (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Vizepräsidentin Petra Pau: KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Herr Keuter, Sie müssen auch einen Punkt setzen. NEN) Stefan Keuter (AfD): – Im Grundgesetz. (B) Ja, den Punkt setze ich jetzt. – Ich hatte Ihnen allen in (D) (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Keine Ahnung der letzten Woche schon frohe Weihnachten gewünscht. von nichts! – Fabio De Masi [DIE LINKE]: Da kann man schon mal durcheinanderkommen!) (Ulli Nissen [SPD]: Da können wir drauf ver- zichten!) Verantwortung für eigenes Handeln heißt auch Verant- Ich wusste nicht, dass ich aufgrund dieser Anträge heute, wortung für eigenes Misswirtschaften. Kommunen müs- wie das im Ruhrgebiet heißt, noch mal „an die Schippe“ sen in die Lage versetzt werden, ausgeglichen zu haus- musste. Deshalb mache ich das jetzt: Ich wünsche den halten; da sind wir ja einer Meinung. Wir müssen die Zuschauern und auch den Kollegen hier frohe Weihnach- strukturellen Probleme lösen – insbesondere das der un- ten. Glück auf! gezügelten Migration –, die ungeahnte Kosten für die Kommunen verursachen, und wir müssen die kommuna- Vielen Dank. len Steuern neu ordnen. (Beifall bei der AfD) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Lang- weilig!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das geht nur zusammen mit den Ländern. Wir haben Das Wort hat der Kollege Bernhard Daldrup für die schon interkommunale Systeme, beispielsweise die Hes- SPD-Fraktion. senkasse oder den Stärkungspakt NRW. (Beifall bei der SPD) Der Kommunalisierungsgrad staatlicher Leistungen liegt bei 50 Prozent – gegenüber dem Steuerverbundsatz Bernhard Daldrup (SPD): von nur 23 Prozent. Wir sehen: Hier klafft ein riesiger Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Spalt. Die Finanzkraft der Kommunen muss gestärkt wer- Christian Haase und ich kennen uns eigentlich gut genug, den. Wir brauchen mehr Geld für die Gemeinden und um sozusagen auch mal ein offenes Wort auf offener Kommunen. Überlegenswert wäre aus AfD-Sicht auch Bühne miteinander zu reden. Ich will sagen: Ich rede ein Hebesatz auf den Einkommensteueranteil. heute hier im Interesse einer Lösung. Wenn wir aber so Jetzt möchte ich noch ganz kurz zu dem Grünenantrag diskutieren, dass wir erstens sagen: „Wir prüfen die eige- kommen, der überhaupt nicht der Diskussion wert ist. ne Unzuständigkeit!“, zweitens: „Das ist Aufgabe der Länder“ und drittens: „Schuld haben wieder mal alle an- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE deren, bloß nicht die CDU“, dann kommen wir nicht GRÜNEN]: Lassen Sie es doch sein! – Sven zusammen. Und das stimmt auch so nicht; das weißt du Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17275

Bernhard Daldrup (A) ja auch. Da, glaube ich, müssen wir etwas anders disku- zungen, wenn es um eine fortschrittliche Wirtschafts- (C) tieren. und Strukturpolitik geht, spielen eine zweite Rolle. Die überproportional steigenden Sozialausgaben spielen auch Ich bin jedenfalls sehr froh, dass wir uns der Altschul- eine Rolle. Mein lieber Kollege Haase, dieser Umstand ist denproblematik angenommen haben, dass im Koalitions- nicht sozialdemokratisch verursacht, und dafür sind nicht vertrag eine Lösung angeboten worden ist und dass Olaf nur die Länder verantwortlich. Der Hinweis auf die Un- Scholz sich dieser Frage angenommen hat. Darüber soll- terfinanzierung durch die Länder stimmt, aber das betrifft ten wir gemeinsam als Koalition sehr froh sein. Das soll- eben auch den Bund. Wir haben bei der Steuerverteilung ten wir nicht einfach nur Fabio De Masi überlassen, bei längst einen dreistufigen Staatsaufbau, und Aufgaben und dem mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanke. Ausgaben im Strukturwandel sind eben nicht deckungs- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der gleich. Das ist das Problem. LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LIN- Ich bin froh, dass die Kommission „Gleichwertige Le- KE]: Guter Mann! Das macht der schon!) bensverhältnisse“ das auch akzeptiert hat. Sie hat drei Die Kommunen, die sich im Bündnis „Raus aus den Probleme festgestellt: erstens die Altschulden, zweitens Schulden – Für die Würde unserer Städte“ zusammenge- die Begrenzung der Sozialausgaben und drittens die För- schlossen haben, sprechen von einer „Vergeblichkeitsfal- derung wirtschaftlichen Wachstums in diesen Regionen. le“. Damit wollen sie sagen, dass trotz dramatischer eige- Nur wenn wir diesen Dreiklang bedenken, können wir die ner Sparanstrengungen ihre Situation auf Dauer nicht Probleme lösen. besser wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich will Ihnen das beispielhaft an den Kommunen der der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Metropole Ruhr – das ist übrigens nicht mein Wahlkreis; GRÜNEN) ich komme aus dem Münsterland, und da sind die Pro- Es nutzt überhaupt nichts – das sagt übrigens auch das bleme nicht so groß –, einer Region mit elf kreisfreien Institut der deutschen Wirtschaft, keine sozialdemokrati- Städten, vier Landkreisen und gut 5,1 Millionen Men- sche Kaderschmiede –, auf die verfassungsrechtliche Zu- schen – das ist mehr, als manche Bundesländer Einwoh- ständigkeit der Länder hinzuweisen. Sie sind zweifellos – ner haben –, etwas näherbringen. Dort werden aktuell das ist richtig und wurde mehrfach gesagt – für eine bes- übrigens Überschüsse erzielt, und die Liquiditätskredite sere Grundfinanzierung zuständig. Das ist in der Tat konnten um fast 700 Millionen auf 14,3 Milliarden Euro wahr. Dabei hat der Bund geholfen. Die Landesregierun- gesenkt werden. Die Steuereinnahmen sind gestiegen, gen sind ihre Aufgaben durchaus angegangen. Unter Rot- aber sie liegen um 12,5 Prozent unter dem westdeutschen Grün war es, dass es den ersten Stärkungspakt gab. (B) Bundesdurchschnitt, während die Hebesätze bei den Re- (D) alsteuern um 23,5 Prozent darüberliegen; bei der Grund- ( [CDU/CSU]: Sie haben die steuer sind es sogar über 50 Prozent. Die Sozialausgaben Kommunen über Jahrzehnte in NRW ausbluten in dieser Region liegen um 50 Prozent über dem west- lassen!) deutschen Durchschnitt, während gleichzeitig die Inves- Null Fortsetzung hat es durch die Laschet-Regierung ge- titionen um fast 50 Prozent unter dem westdeutschen geben, null Fortsetzung, kein Stück, überhaupt nicht. Ich Durchschnitt liegen. finde auch, dass man über Landesregierungen reden Das ist eine Region, die aufgrund von Strukturproble- muss. Dann gehört aber auch dazu, zu sagen: Der Atten- men nicht an Globalisierungsvorteilen, an Investitions- tismus der schwarz-gelben Landesregierung in dieser überschüssen aus Exporten und an wirtschaftlicher Ent- Frage ist unglaublich. wicklung hat teilhaben können. Das ist die wirtschaftliche (Beifall bei der SPD – Matthias Hauer [CDU/ Situation. Deswegen ist die Arbeitslosenquote dort mit CSU]: Das ist doch lächerlich! Über Jahrzehn- 9,1 Prozent doppelt so hoch wie im westdeutschen te! – Zuruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack- Durchschnitt und übrigens auch höher als in Ostdeutsch- Zimmermann [FDP]) land, wo es im Mittel nur noch 6,1 Prozent sind. Diese Zahlen lassen sich auch auf andere Teile übertragen, bei- Nordrhein-Westfalen wäre der größte Profiteur dieser Si- spielsweise auf Pirmasens oder Cuxhaven. Sie zeigen, tuation. wie das Land auseinanderdriftet. Das sollten wir gemein- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: schaftlich nicht akzeptieren. Das ist ja unglaublich! – Zuruf des Abg. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Matthias Hauer [CDU/CSU]) bei Abgeordneten der CDU/CSU und des – Nein, Nordrhein-Westfalen war immer ein kommunal- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) freundliches Land. Da weiß ich aber, wovon ich spreche, Denn das hat nicht nur zur Folge, dass die Personalaus- mein Lieber. stattung in den Rathäusern sinkt, sondern auch, dass die (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU Lebenschancen der Menschen in diesen Städten, dass die und der FDP) Würde dieser Städte beeinträchtigt wird. Aber hallo! Mit jedem anderen Bundesland konnten wir (Beifall bei der SPD und der LINKEN) mithalten. Wie kommt das? Ja, der Strukturwandel bei Kohle und Ich sage nur mal: Die Haltung, die Nordrhein-West- Stahl spielt eine Rolle. Ungleiche Ausgangsvorausset- falen heute einnimmt, ist wie bei „Mikado“: Nicht bewe- 17276 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Bernhard Daldrup (A) gen, mal gucken, was andere machen. – So gestaltet man Wenn sich Bund und Länder einig sind, dass denjeni- (C) Politik nicht. gen geholfen wird, die Hilfe benötigen, dass dies auch mitgetragen wird von denjenigen, die nicht betroffen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sind, wenn Länder und Kommunen sicherstellen, dass der LINKEN – Matthias Hauer [CDU/CSU]: die Hilfe auch wirkt – Reden wir mal über die Sozialausgaben! – Zu- ruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack- Zimmermann [FDP]) Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Daldrup, Sie können weitersprechen, – Lassen Sie doch die Düsseldorfer Luft raus! – Was aber auf Kosten Ihrer Kollegen. müssen wir jetzt eigentlich machen angesichts der ge- samtstaatlichen Finanzlage? Angesichts der Tatsache, dass die Zinsen uns ein Fenster der Gelegenheit ermög- Bernhard Daldrup (SPD): lichen, müssen wir jetzt handeln. – nein, tue ich nicht; ich höre auf, Frau Präsidentin –, dann werden wir jedenfalls viel für die Gleichwertigkeit (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Da haben Sie der Lebensbedingungen und für den Zusammenhalt in recht!) unserem Land tun. Das ist die Aufgabe der Zukunft. Eine Zinserhöhung um 1 Prozent – das ist eben gesagt Herzlichen Dank. worden – macht in der Gesamtheit der Kassenkredite mit einer Größenordnung von 42 Milliarden Euro 400 Millio- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nen Euro aus. Das können wir doch so nicht akzeptieren. der LINKEN) Ich bin Olaf Scholz dankbar, dass er das Problem erkannt und ein Angebot gemacht hat. Vizepräsidentin Petra Pau: (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Das Wort hat die Kollegin Ulla Ihnen für die FDP- Die SPD hat gewartet!) Fraktion. Aber es ist mit einer Frage verbunden, und die richtet sich (Beifall bei der FDP) an uns alle: Sind wir unter den Ländern, wie in der Auf- bauphase der BRD, zu Solidarität bereit und fähig? So Ulla Ihnen (FDP): wie im Einigungsprozess gegenüber den neuen Ländern, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im so wie ursprünglich gegenüber den süddeutschen Län- Laufe des Jahres hatte Bundesfinanzminister Scholz an- dern, so wie wir es gegenüber einzelnen Bundesländern geboten, einen Teil der Altschulden an Kassenkrediten (B) sind: Sind wir zu einer solchen Form von Solidarität fä- der Kommunen zu übernehmen. Damit will er knapp (D) hig, ja oder nein? Das ist, glaube ich, eigentlich die ent- ein Viertel der Kommunen in Deutschland mit Steuermit- scheidende Frage. teln entlasten. Dabei heißt es im Monatsbericht des Bun- desfinanzministers vom April dieses Jahres: „Die Finanz- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten situation der Kommunen ist – insgesamt betrachtet – sehr der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE gut.“ GRÜNEN) Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Die westdeutschen ( [FDP]: Eben! – Kerstin Kassner Kommunen haben seit 1991 bis heute für die Finanzie- [DIE LINKE]: Im Durchschnitt!) rung des Solidarpaktes sowie für die Tilgung des Fonds Die kommunale Ebene verzeichnet mittlerweile erhebli- „Deutsche Einheit“ insgesamt 70 Milliarden Euro durch che Haushaltsüberschüsse. die erhöhte Gewerbesteuerumlage gezahlt – 70 Milliarden Euro von westdeutschen Kommunen! Vor diesem Hinter- (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- grund verliert doch die Summe von 42 Milliarden Euro NEN]: „Mittlerweile“? Wie war es in den letz- bei den Kassenkrediten, von denen der Bund nur die ten Jahren?) Hälfte übernehmen soll, angesichts eines Zeitraums von Eine allgemeine strukturelle Unterfinanzierung besteht 30 Jahren nun wahrlich ihren Horror und ihren bei den Kommunen also nicht. Die kommunalen Kassen- Schrecken. Man muss sich dieser gesamtgesellschaftli- kredite sinken im Moment auch ohne Bundeshilfe. chen Verantwortung doch stellen und kann nicht sagen: Wir sind nicht zuständig. – Wo gibt’s denn so was? Laut aktueller Steuerschätzung werden die Einnahmen des Bundes für 2020 stagnieren, während die Einnahmen (Beifall bei der SPD und der LINKEN) der Länder um 3 Prozent und die der Gemeinden um Ich will an dieser Stelle noch mal ausdrücklich sagen: 3,5 Prozent zunehmen werden. Erstmals werden die Län- Wir helfen ja auch. Das gesamtdeutsche Fördersystem ist der gemeinsam mehr Steuereinnahmen erzielen als der angesprochen worden, Investitionsprojekte sind ange- Bund. Die Gleichgewichte verschieben sich also etwas. sprochen worden, die Städtebauförderung ist angespro- Dass es dennoch Kommunen gibt, die sich in arger Fi- chen worden. Das alles ist richtig; aber der Hinweis da- nanznot befinden, ist völlig unstrittig. rauf und die Litanei vereinzelter Haushälter über (Bernhard Daldrup [SPD]: Länder doch auch! fehlenden Mittelabfluss und das Eigenlob sind nicht ge- Jede Menge!) nug, wenn wir das Problem lösen wollen. So richtig es ist, Altschulden der kommunalen Ebene (Beifall bei der SPD und der LINKEN) abzubauen, so ist es doch auffällig, dass die Kassenkre- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17277

Ulla Ihnen (A) dite, die heute noch 35 Milliarden Euro ausmachen, über- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) wiegend auf Kommunen in Nordrhein-Westfalen, Rhein- der CDU/CSU und des Abg. land-Pfalz und im Saarland entfallen. [AfD]) (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Ja! Warum Deshalb lehnt zum Beispiel auch der Landkreistag zu denn?) Recht einen solchen Vorschlag ab. Im Übrigen: Die Frage der Solidarität der Länder untereinander können wir an In unserem Staatsaufbau sind für die angemessene Fi- dieser Stelle sicherlich nicht lösen; man blicke nur zur nanzausstattung ihrer Kommunen in allererster Linie Bank des Bundesrates. die Länder in der Verantwortung. (Alois Karl [CDU/CSU]: Ganz leer! Niemand (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ist da!) der CDU/CSU und des Abg. Peter Boehringer [AfD]) Als Serviceopposition noch unser Rat zu Weihnachten: Lieber nichts schenken als das Falsche schenken! Und aus dieser Verantwortung dürfen wir die Länder auch nicht entlassen. Richtig wäre, wenn die Länder ihre Spiel- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der räume nutzten und insbesondere durch ihre Kommunal- FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜND- aufsichten die überschuldeten Kommunen gezielt bei NIS 90/DIE GRÜNEN) Zins- und Tilgungslasten unterstützten. Herzlichen Dank. Ich wünsche allen frohe Weihnach- ten! (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. [CDU/CSU]) (Beifall bei der FDP) Die Mittel, die die Länder aufgrund des Konnexität- sprinzips vom Bund erhalten, sollten sie auch wirklich Vizepräsidentin Petra Pau: fair an die Kommunen weiterleiten. Das Wort hat der Kollege Stefan Schmidt für die Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Niedersachsen zum Beispiel hat das mit seinem Hilfspro- gramm in den letzten Jahren vorgemacht und die Bestän- Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): de der Kassenkredite seiner überschuldeten Kommunen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen! Große Erwartungen, herbe Enttäu- (B) um zwei Drittel reduziert. Hessen ist mit seiner Hessen- (D) kasse dabei. schung: So kann man die Ergebnisse der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ zusammenfassen. Ich selbst habe viele Jahre in einem Landkreis in Nie- Einziger Lichtblick – Herr Haase, ich sage das ganz ge- dersachsen gearbeitet, der, als ich dort anfing, nur noch zielt in Ihre Richtung – war die Ankündigung des Bundes den Mangel verwaltet hat. Aber der Landkreis hat es eines einmaligen solidarischen Beitrags zum Abbau kom- heute dank dieser Hilfe des Landes geschafft. Eine solche munaler Altschulden. Entschuldung ist keineswegs einfach für alle Beteiligten und gelingt nur mit schmerzhaften Einschnitten und unter Der Zeitpunkt ist günstig. Die konjunkturelle Lage ist größten Anstrengungen, aber eben auch ohne Hilfe des gut – noch –, die Steuereinnahmen sind hoch – noch –, Bundes. und die Zinsen sind niedrig. Herr Daldrup hat es bereits angesprochen. Jetzt gilt es also, den finanzschwachen (Beifall bei der FDP) Kommunen aus der Schuldenfalle zu helfen. Der Bund muss sich an den Altschulden der Kommunen beteiligen, Der Kollege Haase hat sehr ausführlich vorgetragen – damit sie wieder auf eigenen Beinen stehen und die Zu- ich will es nicht wiederholen –, mit wie viel Milliarden kunft ihrer Bürgerinnen und Bürger vor Ort positiv ge- Euro dennoch der Bund die Kommunen entlastet, zum stalten können. Beispiel über den Kommunalinvestitionsförderungsfonds und vieles andere mehr. Was der Bund jetzt nicht tun darf, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ist, Altschulden punktuell für einige Kommunen zu über- Otto Fricke [FDP]: Wieder neue Schulden ma- nehmen. Das setzt falsche Anreize und wäre verant- chen, klar!) wortungslos gegenüber den Kommunalaufsichten, den Kommunalpolitikern und den Kämmerern, die unter Die Linke macht es sich mit ihrem Antrag dann aller- schwierigsten Bedingungen Jahr für Jahr einen ausgegli- dings ein bisschen einfach: drei Sätze insgesamt. Die chenen Haushalt vorlegen. Fragen zur Ausgestaltung der Altschuldenhilfe bleiben unbeantwortet: Welche Schulden genau? Wie soll die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommu- der CDU/CSU und des Abg. Peter Boehringer nen aussehen? Wie soll getilgt werden? Über welchen [AfD]) Zeitraum? Welche Höhe? Wie soll der Umgang mit be- reits bestehenden Länderprogrammen wie beispielsweise Bei dem jetzigen Vorschlag zur Altschuldenübernahme die Hessenkasse sein, wo ein Land schon mit der Ent- wären die Kommunen, die sich mithilfe ihrer Länder und schuldung vorangegangen ist? mit zum Teil drastischen Einsparmaßnahmen selbst geh- olfen haben, die Dummen. Das darf nicht sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 17278 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Stefan Schmidt (A) Auf all diese Fragen geben Sie keine Antwort. Wir die Grundlage für gleichwertige Lebensverhältnisse in (C) Grünen sind da ein gehöriges Stück weiter. Es ist ja auch ganz Deutschland. nicht erst die Idee von Herrn Scholz, dass man jetzt end- lich einmal einen Altschuldenfonds auflegen könnte. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben ein umfangreiches Gutachten in Auftrag gegeben; Zum Schluss möchte ich auf ein Argument der Gegner das können Sie alle öffentlich nachlesen. Darin stehen einer Altschuldenlösung kommen. Mit dem bayerischen kluge, gangbare Wege. Finanzminister Albert Füracker, der klar dagegen ist, und meinem Kollegen Alois Karl teile ich den Heimatland- Wir haben eine doppelte Aufgabe. Zum einen müssen kreis Neumarkt, aber nicht deren Positionen. Herr Karl, wir die hohen Kassenkredite abbauen, zum Beispiel ich will Ihre Rede jetzt nicht spoilern. durch eine Drittellösung: Bund, Länder und Kommunen. Das bedeutet für jeden der Akteure 600 Millionen Euro (Alois Karl [CDU/CSU]: Doch, doch!) jährlich über 30 Jahre. Das ist kein Pappenstiel – das will ich gar nicht in Abrede stellen –, aber es ist eine unver- Aber Sie haben schon in der Pressemitteilung angekün- zichtbare Investition in unsere Zukunft. digt, was Sie sagen werden – aus meiner Sicht mit ein bisschen viel Eigenlob – und als einziges Argument an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geführt, dass verschuldete Kommunen selber schuld sind. An dieser Stelle muss ich Ihnen deutlich widersprechen. Zum anderen gilt es, die Aufnahme neuer Kassenkre- Die Ursachen für Altschulden sind doch meist strukturel- dite zu vermeiden. Dazu müssen wir sicherstellen, dass ler Natur. Diese Kommunen leiden unter dem Niedergang jede Kommune einen ausgeglichenen Haushalt erreichen ganzer Wirtschaftszweige: im Ruhrgebiet die Kohle- und kann. Das ist eben aktuell nicht der Fall. Ein möglicher Stahlindustrie, in der Pfalz die Textil- und Schuhindust- Vorschlag wäre eine höhere Bundesbeteiligung an den rie. Die Folge sind hohe Sozialausgaben und niedrige Kosten der Unterkunft kommunale Steuereinnahmen. Um ihre Pflichtaufgaben (Otto Fricke [FDP]: Noch höher?) zu finanzieren, ist diesen Städten und Gemeinden schlicht und ergreifend kein anderer Weg geblieben, als Kredite und ein sozialer Verteilungsschlüssel für den kommuna- aufzunehmen, notfalls auch Kassenkredite. len Umsatzsteueranteil. Das Problem hatten und haben wir in Bayern in dieser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Form nicht. Aber ich stelle mir vor – und ich bitte auch Sie, sich das einmal vorzustellen –, der Export von Ma- Im Zuge einer Altschuldenlösung für überschuldete schinen und Autos würde dauerhaft stocken. Dann hätten Kommunen sollten wir zusätzlich auch einen Altschul- wir auch in Bayern massive Verwerfungen, und die CSU denfonds für ostdeutsche Wohnungsunternehmen aufle- (B) würde garantiert als Erste rufen: Hier muss der Bund (D) gen; helfen und zusätzliche Finanzmittel beisteuern. (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Auch noch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- denn sie leiden unter einer doppelten Belastung: einer- wie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- seits durch die wendebedingten Altschulden, andererseits KEN) durch die hohen demografisch bedingten Leerstände. Der Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben wir den ver- Bund muss sie also entlasten, damit Leerstand zurückge- schuldeten Kommunen ihre Würde zurück! Sorgen wir baut und Investitionen in bewohnte Gebäude getätigt wer- dafür, dass nachfolgende Generationen nicht für Krisen, den können. Darum bitte ich Sie: Unterstützen Sie hierzu Umbrüche und Fehler der Vergangenheit büßen müssen! unseren Antrag! Bringen wir eine Bundesbeteiligung an den Altschulden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) unserer Kommunen jetzt endlich auf den Weg! Warum müssen wir überhaupt die Kommunen bei ihren Ich danke Ihnen ganz herzlich und wünsche frohe Fest- Altschulden entlasten? Die Frage wurde gerade aufge- tage! worfen. Ja, wir lesen häufig: Unseren Städten und Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) meinden geht es doch ganz gut. Ja, viele Kommunen ver- zeichnen aktuell tatsächlich Rekordüberschüsse. Aber es gibt viele Kommunen, die auch für 2020 keinen ausge- Vizepräsidentin Petra Pau: glichenen Haushalt vorlegen können, und das, obwohl sie Danke. – Das Wort hat der Kollege Volkmar Vogel für jetzt schon jeden Euro zweimal umdrehen. die CDU/CSU-Fraktion. Jeder und jede Vierte von uns lebt in einer Kommune (Beifall bei der CDU/CSU) unter Haushaltssicherung. Hier ist der Investitionsbedarf nach wie vor hoch. Ich war letzte Woche im Petitionsaus- Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): schuss. Es ging um den Erhalt kommunaler Schwimm- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! bäder. Immer mehr solcher Schwimmbäder müssen Vielleicht als Erstes allen denjenigen gesagt, die neue schließen. Das gilt genauso für Bibliotheken, Theater Schulden machen wollen: Schulden engen den Hand- und Spielplätze. Hier herrscht also ein ausgedünntes An- lungsspielraum sehr ein, insbesondere dann, wenn man gebot, und die Bürgerinnen und Bürger vor Ort zahlen nicht in der Lage ist, den Schuldendienst zu leisten. Viele gleichzeitig auch noch höhere Steuern und Abgaben. Da Kommunen können ein Lied davon singen, und oft sind müssen wir ansetzen. Denn nur so schaffen wir überhaupt die Kassenkredite bis zum Anschlag ausgeschöpft. Aber Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17279

Volkmar Vogel (Kleinsaara) (A) es waren auch manchmal die Länder, die dieser Entwick- besondere wenn wir über den Leerstand oder über die (C) lung nicht rechtzeitig Einhalt geboten und dafür gesorgt demografische Entwicklung reden. Diese Notwendig- haben, dass diese Situation gar nicht erst zustande ge- keit – das wurde bereits gesagt – zeigen zum einen die kommen ist. Evaluierung unserer Stadtumbauprogramme und zum an- deren die Ergebnisse der Kommission „Gleichwertige Die ostdeutschen Städte und Kommunen sind sehr Lebensverhältnisse“. dankbar für die Solidarität, die sie erfahren haben – ins- besondere in den 90er- und 2000er-Jahren –, aber es wa- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Koalition han- ren auch damals die meistens CDU-geführten Aufsichts- delt. Wir sind, was das anbetrifft, auf dem richtigen behörden der Länder, die dafür gesorgt haben, dass sich Weg. Ich sage nur: Städtebauförderung auf sehr hohem die Kommunen nicht überschulden. Davon können wir Niveau, insbesondere Stadtumbau! Wir haben die Kos- bis zum heutigen Tag profitieren. Das ist ein guter An- tenpauschale vonseiten des Bundes auf 55 Euro erhöht; satzpunkt. mit der Kofinanzierung durch die Länder sind das 110 Eu- ro. Wir haben das Baukindergeld eingeführt und Sonder- (Beifall bei der CDU/CSU) abschreibungen für Wohnungsneubau ermöglicht. All das Meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz alle- sind Maßnahmen, die wirken. Daneben stellen wir für den dem: Schauen wir uns die Situation an, und schauen wir sozialen Wohnungsbau 1 Milliarde Euro pro Jahr auch auch in die Zukunft. Wenn wir hier über Entschuldung über 2021 hinaus zur Verfügung. reden, dann muss meiner Meinung nach an erster Stelle Ich muss sagen, es ist nicht richtig, wenn der amtieren- eine klare Analyse stehen, wie die Situation im Einzelfall de Bauminister von Thüringen von den Linken sagt, wir zustande gekommen ist und welche Maßnahmen richtig hätten die Mittel gekürzt. Richtig ist, dass mit der Neu- und sinnvoll sind, dass sie sich nicht wiederholt. ordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen den Ich gebe hier uns allen und allen Beteiligten auch das Ländern insgesamt 10 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich Altschuldenhilfe-Gesetz und dessen § 6 a mit der Er- zur Verfügung stehen. Richtig ist deswegen auch der mächtigung, per Verordnung eine Härtefallregelung fest- Appell, den ich hier an die Länder richten möchte: Diese zulegen, zur Orientierung. Ich finde, das ist ein ge- 10 Milliarden Euro müssen zweckgebunden in die Kom- lungenes Beispiel für die Entschuldung ostdeutscher munen fließen – ja, wo notwendig, auch zur finanziellen Wohnungsunternehmen, und die Erfolge, die sich daraus Entlastung, aber vor allen Dingen in die Bildungsinfra- ergeben, können sich sehen lassen. Sie können sich nicht struktur, in die kommunale Infrastruktur, in den ÖPNV nur sehen lassen, sondern man kann auch in diesen Erfol- und natürlich auch in die Wohnungswirtschaft. Hier steht gen wohnen. aus unserer Sicht ganz vorne die Kofinanzierung der (B) Städteumbauprogramme und des sozialen Wohnungs- (D) Ich kann nur allen, die heute zuhören – es werden baus. hoffentlich noch einige sein –, zurufen: Es gibt gerade in den ostdeutschen Klein- und Mittelstädten hervorra- Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle- genden Wohnraum, bestens saniert, modernisiert und ginnen und Kollegen, die Koalition steht dazu: Wir wer- mit einem entsprechenden energetischen Standard, zu den auf diesem Weg weitergehen – nicht nur an Weih- moderaten Preisen. Das sind die stillen Stars, über die nachten, aber auch. wir nicht reden, aber wo es gut läuft. Auch Arbeitsplätze Deswegen von dieser Stelle: ein schönes Weihnachts- sind mittlerweile vorhanden. In diesen Regionen gibt es fest und einen guten Rutsch ins nächste Jahrzehnt! ein starkes Handwerk. Es gibt viele kleine und mittel- ständische Unternehmen, die innovativ sind und auch Danke schön. jungen Familie eine Perspektive bieten können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Aber wenn ich das so lobe, dann muss ich auch sagen: ordneten der SPD) Es ist nicht von alleine gekommen. Es war sehr harte Arbeit aller Akteure. Es ging mit Bestandsverkäufen ein- Vizepräsidentin Petra Pau: her. Es waren schmerzliche Mietanpassungen notwendig. Danke sehr. – Das Wort hat der Abgeordnete Udo Es gab Rückbau und Umgestaltung von ganzen Gebäude- Hemmelgarn für die AfD-Fraktion. komplexen bis hin zur Umstrukturierung von ganzen Quartieren. Der Weg war mit Sicherheit kein leichter, (Beifall bei der AfD) und es sollte an dieser Stelle denjenigen, die ihn gegangen sind, herzlich gedankt sein. Udo Theodor Hemmelgarn (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- Was noch dazugehört: Die Schuldenlast der Unterneh- nen und Kollegen! Sehr geehrtes Publikum auf den Tri- men damals war unverschuldet. Es war also keine Eigen- bünen! Vor einigen Wochen wurden die Feierlichkeiten verschuldung. Diese Differenzierung ist, finde ich, ganz zum 30. Jahrestag des Mauerfalls begangen. Umso inte- wichtig. Denn ich sage auch ganz klar: Wenn wir über ressanter ist es, dass wir hier und heute Probleme disku- eine Entschuldung von Kommunen reden, ungeachtet wie tieren müssen, die sich daraus ergeben, dass einige Auf- sie zustande gekommen ist, dann muss auch die Struktur- gaben im Rahmen der Wiedervereinigung nicht oder förderung der Wohnungsunternehmen in Ostdeutschland nicht richtig gelöst wurden. nachgebessert werden. Altschulden sind ein Teil des Problems, aber nicht das Einzige. Vielmehr ist es so, dass Altschulden der ostdeutschen Wohnungsunternehmen auch wieder Wolken am Himmel zu erkennen sind, ins- sind ohne Zweifel eine vereinigungsbedingte Sonderlast. 17280 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Udo Theodor Hemmelgarn (A) Schulden, die zu DDR-Zeiten aufgenommen wurden, von der Grunderwerbsteuer befreit werden, wenn sie fu- (C) mussten von den Unternehmen mit einem Kurs von eins sionieren wollen. Durch Rückbau und Leerstände können zu zwei übernommen werden. Damit fiel den Unterneh- insbesondere kleine Wohnungsunternehmen schnell in ei- men auch die Zins- und Tilgungslast zu. nen Bereich rutschen, in dem ein wirtschaftlicher Betrieb nicht mehr sinnvoll ist. Der Zusammenschluss kleinerer Abwanderung und zunehmende Leerstände in den Wohnungsunternehmen wird dann nicht zuletzt durch die strukturschwachen ostdeutschen Regionen machten es hohe Grunderwerbsteuer nachhaltig behindert. den Wohnungsunternehmen in der Folgezeit schwer, den Verpflichtungen aus den übernommenen Verbind- Ja, das alles wird Zeit und Geld kosten, aber ich ver- lichkeiten nachzukommen. Die damalige Bundesregie- sichere Ihnen, dass es in einigen Jahren noch deutlich rung unter Helmut Kohl ging fälschlicherweise davon teurer werden wird, wenn wir dieses Problem weiter ig- aus, dass überall in den neuen Bundesländern blühende norieren. Landschaften entstehen würden. Ich wünsche allen Mitarbeitern der Bundestagsverwal- Die Frage der Altschulden kommunaler Wohnungsun- tung, des Fahrdienstes dieses Hohen Hauses und natürlich ternehmen hängt dabei eng mit den vielbeschworenen Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, frohe Weihnach- gleichwertigen Lebensverhältnissen zusammen. Die ten. Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ hat in ihrem Bericht empfohlen, das Altschuldenhilfe-Gesetz (Beifall bei der AfD) neu aufzulegen. Auch die Erhaltung und Wiederbelebung ländlicher Räume wird nur dann gelingen, wenn diese Vizepräsidentin Petra Pau: Frage nachhaltig gelöst wird. Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Kaiser für die Die Lösung kann aus unserer Sicht nicht darin beste- SPD-Fraktion. hen, dass der Bund die Rückbauförderung den Ländern überlässt. Nicht nur, dass der Bund sich hier aus seiner (Beifall bei der SPD) Verantwortung stiehlt! Die Rückbauförderung allein wird das Problem nicht lösen. Alles in allem wird man um ein Elisabeth Kaiser (SPD): neues Altschuldenhilfe-Gesetz nicht herumkommen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Welche Voraussetzungen muss ein solches Gesetz er- und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ei- füllen, um das Problem nachhaltig zu lösen? Ein neues nes der zentralen Ziele der Bundesregierung, ein gutes Altschuldenhilfe-Gesetz soll sich an den Realitäten und Leben in ganz Deutschland zu ermöglichen, und ob ich (B) den tatsächlichen Problemen orientieren, und es muss frei gut lebe, hängt maßgeblich davon ab, wo ich lebe. (D) sein von ideologischen Vorgaben. Dafür ist es unerläss- Wenn es Gemeinden und Städten gut geht, dann spüren lich, dass die betroffenen Unternehmen an der Ausarbei- wir das; denn für diese Kommunen ist es überhaupt gar tung von Lösungsmöglichkeiten beteiligt werden. kein Problem, neben den Sozialkosten und den Kosten für Die Kriterien einer neuen Altschuldenhilfe müssen ein- den öffentlichen Nahverkehr, den Brandschutz und die fach und klar geregelt werden. Die bürokratischen Hür- Schulen noch Geld für die sogenannten freiwilligen Leis- den müssen möglichst niedrig gehalten werden. Es macht tungen aufzubringen, wie Bibliotheken oder Jugend- keinen Sinn, wenn die Regelungen derart kompliziert klubs. Bürgerinnen und Bürger, die in sogenannten sind, dass sie von den Berechtigten nicht verstanden wer- strukturschwachen Regionen oder in Kommunen mit den. Das alte Altschuldenhilfe-Gesetz scheint in dieser Finanznot leben, spüren das genauso. Dort stehen die Hinsicht kein leuchtendes Vorbild gewesen zu sein. freiwilligen Leistungen, wie Jugendklubs oder Freibäder, auf der Kippe. Die Möglichkeiten der neuen Altschuldenhilfe müssen flexibel ausgestaltet sein. So muss die Rückbauförderung Die Gründe für die unterschiedlichen Entwicklungen auch für den Teilabriss von Gebäuden und vielleicht sogar der Kommunen in Deutschland sind zahlreich. Fakt ist für deren Umnutzung gewährt werden. Alles andere ist aber, dass Altschulden eine wesentliche Ursache sein städtebaulich absurd. Wenn vier von fünf Plattenbauten können, warum Kommunen trotz strengen Haushaltens abgerissen wurden, wird im fünften auch niemand woh- nicht auf die Füße kommen; Bernhard Daldrup hat das nen wollen. sehr gut beschrieben. Die Entschuldung von Kommunen mit hohen Kassenkrediten ist deshalb eine Maßnahme, (Beifall bei der AfD) um die Handlungsfähigkeit vor Ort sicherzustellen und Die Förderung hat so weit wie möglich durch sinnvolle gleichwertige Lebensverhältnisse im Sinne von gleichen ökonomische Anreize zu erfolgen. Die Wohnungsgenos- Chancen auf ein gutes Leben zu ermöglichen. senschaften müssen genauso zum Kreis der Berechtigten zählen wie die kommunalen Wohnungsunternehmen. Es Wenn wir aber von gleichwertigen Lebensverhältnis- müssen Konzepte erarbeitet werden, die die Bildung von sen sprechen, dann müssen wir auf ganz Deutschland Wohneigentum fördern. Was spricht dagegen, Mieter zu schauen, und da fällt auf, dass die Situation in den neuen Eigentümern zu machen, wenn sie einen Teil der Verbind- Bundesländern noch eine andere ist als in den alten Bun- lichkeiten übernehmen? desländern. Altschulden sind auch dort ein Problem, al- lerdings weniger eines der Kommunen an sich als viel- Die ostdeutschen Wohnungsunternehmen und Genos- mehr eines der kommunalen Wohnungsgesellschaften senschaften, die zu klein zum Überleben sind, müssen und der Wohnungsgenossenschaften. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17281

Elisabeth Kaiser (A) Ich beschäftige mich schon eine Weile mit dieser Alt- (Beifall bei der SPD) (C) schuldenproblematik, und manche meinen, das sei eher Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ste- ein marginales Problem und vielleicht nicht der Rede hen für eine ziel- und zukunftsorientierte Politik statt wert. Doch wer das glaubt, der irrt sich gewaltig. einer Politik des Tropfens auf den heißen Stein. Kommu- (Beifall des Abg. Bernhard Daldrup [SPD]) nale Wohnungsunternehmen und Wohnungsgenossen- schaften wollen wir in die Lage versetzen, ihre Bestände Denn nimmt man alle fünf neuen Bundesländer – ohne zukunftsfähig und attraktiv zu machen. Wir glauben, da Berlin – zusammen, dann kommt man auf insgesamt über braucht es drei Bausteine. 4 Milliarden Euro Altschulden, die auf den kommunalen Wohnungsgesellschaften und Wohnungsgenossenschaf- Erstens. Ein Investitionsprogramm, durch das die von ten lasten. Diese Altschulden sind vor allem beim Über- Altschulden betroffenen Wohnungsunternehmen und -ge- gang in die Bundesrepublik entstanden, als die mit den nossenschaften Investitionshilfen erhalten, wenn sie ener- Krediten der DDR-Staatsbank belasteten Gebäude auf die getisch modernisieren und ihre Bestände altersgerecht heutigen kommunalen Wohnungsgesellschaften und Ge- umbauen. Förderfähig könnten zum Beispiel Unterneh- nossenschaften übertragen wurden. men und Genossenschaften in Regionen mit vergleichs- weise sehr hohem Leerstand sein. Mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz von 1993 wurde die kommunale Wohnungswirtschaft zumindest teilweise Der zweite Baustein liegt ganz klar in der Städtebau- von diesen Schulden entlastet. Auch das Städtebauförder- förderung. Hier braucht es ein passgenaues Instrument, programm „Stadtumbau Ost“ hat einen großen Beitrag das auch finanziell gut ausgestattet ist, dazu geleistet, leerstehende Wohnungen vom Markt zu (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) nehmen und die kommunale Wohnungswirtschaft von laufenden Kosten zu entlasten, und auch das hat gewirkt. das genau die Probleme des demografischen Wandels und Aber es reichte eben noch nicht aus; denn in einigen der Strukturschwäche adressiert und zum Beispiel auch Regionen hat der demografische Wandel, die Überalte- ermöglicht, dass Teilabrisse in den Quartieren möglich rung und der Wegzug von jungen Menschen eben nicht sind. aufgehört, und die Wohnungsleerstände steigen somit (Beifall bei Abgeordneten der SPD) weiter an. In der Folge steigen eben auch die Kosten bei ausbleibenden Mieteinnahmen. Aktuell sind wir in der Koalition dabei, die Städtebau- förderung grundlegend zu reformieren. Ich bin sehr froh, Demgegenüber stehen allerdings wichtige Investitio- dass es gelungen ist, den Fördersatz für Rückbaumaßnah- nen, zum Beispiel eben für die energetische Sanierung men im künftigen Programm „Wachstum und nachhaltige (B) von Gebäuden. Investiert werden muss trotzdem; denn Erneuerung“ zugunsten der neuen Länder auszugestalten. (D) die Mieterinnen und Mieter erwarten natürlich auch at- Wichtig war auch, dass der Bund die Förderhöchstgrenze traktiven Wohnraum. beim Abriss von 70 Euro pro Quadratmeter auf insgesamt (Beifall bei der SPD) 110 Euro anhebt und so eben auch auf die spürbaren Kostensteigerungen eingeht. Das alles führt am Ende zu einer finanziellen Schief- lage der Wohnungsunternehmen und Genossenschaften, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die nach wie vor zu den wichtigsten Akteuren der Stadt- Der dritte Baustein liegt in der langfristigen Stärkung und Regionalentwicklung in vielen Orten Ostdeut- der kommunalen Wohnungswirtschaft und der Woh- schlands gehören. Durch die mitgeschleppte Altschulden- nungsgenossenschaften, zum Beispiel durch gezielte An- belastung war und ist es jedoch vielfach kaum möglich, reize sowohl für die Neugründung als auch für die Betei- die Wohnungsbestände schneller attraktiv zu machen, al- ligung von bestehenden Genossenschaften. Auch hier hat so zum Beispiel mehr Fahrstühle einzubauen, Türschwel- die SPD Maßnahmen vorgelegt. len zu entfernen oder den Zuschnitt von Plattenbauwoh- nungen so anzupassen, dass auch die Erfordernisse für Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Viele altersgerechtes Wohnen erfüllt werden. Punkte aus Ihren Anträgen sind bereits in der Umsetzung, oder wir arbeiten daran. Deshalb werden wir heute die Es gilt also, zu handeln. Das haben wir bereits im Koa- vorliegenden Anträge ablehnen. Wir freuen uns aber über litionsvertrag vereinbart, und wir haben auch schon eini- die Unterstützung, das gemeinsame Ziel zu erreichen, ges auf den Weg gebracht. Auch die Kommission nämlich gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ hat hier erneut Lö- Deutschland zu schaffen. sungen angemahnt. Deshalb hätte es jetzt nicht unbedingt den Antrag der Grünen gebraucht, aber ich finde es gut, In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein wunder- dass die Opposition hier Handlungsbedarf erkennt. bares Weihnachtsfest und alles Gute fürs neue Jahr. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Vielen Dank. Ihr Vorschlag reicht meiner Meinung nach noch nicht aus; (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten denn ein Altschuldenfonds von 10 Millionen Euro ist ein- der CDU/CSU) fach zu wenig. Das könnte ein Anfang sein. Aber fraglich ist: Wer soll nachhaltig davon profitieren? Das bleibt un- klar. Für uns ist ein neues Altschuldenhilfe-Gesetz oder Vizepräsidentin Petra Pau: ein Altschuldenfonds keine Antwort auf die ostdeutsche Das Wort hat Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann Altschuldenproblematik. für die FDP-Fraktion. 17282 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Vizepräsidentin Petra Pau (A) (Beifall bei der FDP) zwangsläufig zu Frust und Unzufriedenheit bei den Bür- (C) gerinnen und Bürgern. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, wir (Beifall bei der FDP) brauchen starke Kommunen, die nicht nur ihren Pflichten Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir haben gestern nachkommen, sondern auch Gestaltungsverantwortung in Düsseldorf, meiner Heimatstadt, den Haushalt verab- übernehmen und in die Zukunft investieren können. Das schiedet – 3,1 Milliarden Euro, ohne einen Kredit aufzu- geht aber nur, wenn sie ausreichend finanzielle Mittel zur nehmen, das heißt ohne Zinsen, die uns in Grund und Verfügung haben. Da würde es schon helfen, wenn die Boden zwingen. Wir hatten noch einen Überschuss. Kommunen nicht auf den Rechnungen sitzen blieben, für die der Bund verantwortlich ist. (Bernhard Daldrup [SPD]: Negativzinsen! – Stefan Keuter [AfD]: Negativzinsen, oder (Beifall bei der FDP) was?) Aktuell überweist der Bund das Geld zur Erfüllung So kann man das auch machen, wenn der Kernhaushalt kommunaler Aufgaben an die Länder, aber die geben es schuldenfrei ist. Das ist er seit 2007. Ja, das hören Sie in äußerst seltenen Fällen zu 100 Prozent weiter. Vor allen nicht gerne, aber wenn 20 Jahre die FDP am Ruder ist, Dingen – das weiß ich –, als wir in NRW noch Rot-Grün dann hat man auch gute Nachrichten zu verkünden. hatten, sah es echt traurig aus. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir sollten in Zukunft nicht über Entschuldung nachdenken. Wir sollten vor allem Diese Kommunen verschulden sich immer mehr, erhöhen sicherstellen, dass in Zukunft das Schuldenmachen nicht dann in der Regel die Steuern, dann gehen die Unterneh- mehr erforderlich ist. men, dann gehen die Einwohner, und der Teufelskreis nimmt seinen Lauf. Deswegen fordern wir als Freie De- Vielen Dank. mokraten nicht nur das konsequente Anwenden des Kon- nexitätsprinzips, nämlich: „Wer bestellt, der bezahlt (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten auch“, sondern auch, dass der Bund das Geld direkt an der CDU/CSU) die Kommunen überweist. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Alois Karl für die CDU/ (B) (D) In diesem Fall wäre sichergestellt, dass die nötigen Mittel CSU-Fraktion. auch wirklich in den Rathäusern ankommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber es gehört auch zur Wahrheit dazu, meine Damen und Herren, dass auch in den Kommunen unvorstellbar viel Geld ausgegeben wird für Wahlgeschenke, Prestige- Alois Karl (CDU/CSU): objekte. Da wird wirklich viel Geld verbrannt. Ich erin- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und nere mich, wie einige Städte im Ruhrgebiet, die sich an Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Wo- der STEAG beteiligt haben, glänzende Augen bekommen chen war der Festtag des heiligen Nikolaus. In vier Tagen haben. Die STEAG hat Kohlekraftwerke in der Türkei ist Heiligabend. Vor zwei Wochen gab es Geschenke, in und in Kolumbien. vier Tagen wird es Geschenke geben. Den Linken reicht das noch nicht; sie möchten heute auch einen großen (Otto Fricke [FDP]: Unglaublich!) Schluck aus der Pulle nehmen und Geschenke verteilen Das ist definitiv nicht die Daseinsvorsorge für Kommu- in nicht unerheblichem Ausmaß. nen. Unklar ist, was als Geschenk denn überhaupt vergeben (Beifall bei der FDP) werden soll, lieber Kollege De Masi. Sind es die 138 Mil- liarden Euro, die Sie als Investitionsstau genannt haben, Meine Damen und Herren, intakte Kommunen bilden oder die 36 Milliarden Euro Kassenkredite? Oder die das Fundament unserer Demokratie. Dort werden Men- Hälfte davon, wie einer der betroffenen Oberbürgermeis- schen sozialisiert, dort übernehmen sie Verantwortung, ter formuliert hat: 18 Milliarden Euro? Oder sind es dort leben Familie und Freunde. Und dort lernt man auch, 21 Milliarden Euro, wie Kollege Daldrup vorhin gesagt wie bedeutend es ist, in einem Rechtsstaat zu leben, der es hat? Der Wert, die Höhe des Geschenkes ist noch nicht einem erlaubt, nach der eigenen Fasson nicht nur selig zu ausgemacht. Jedenfalls: Es wird teuer für den Bund; das werden, sondern auch sicher und frei zu leben und, ja, steht fest. sein persönliches Glück zu finden. (Bernhard Daldrup [SPD]: Nein! – Pascal Meine Damen und Herren, wenn dieses Fundament Meiser [DIE LINKE]: Nein, steht nicht fest!) bröckelt, gibt auch die dickste Mauer nach. Wenn die Kommunen nicht dazu kommen, ihre Haushalte zu kon- Wir sollen Milliarden und Abermilliarden dafür bezahlen, solidieren, weil sie immer mehr Aufgaben übernehmen und das, meine Damen und Herren, für einige – nicht müssen und die auch noch aus eigener, leerer Kasse zah- viele – Kommunen in Westdeutschland, die erheblich ver- len müssen, führt das zu einem Investitionsstillstand und schuldet sind. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17283

Alois Karl (A) Die Linken haben es nicht für wert gefunden, auch die hängen geblieben ist, wie viel Geld nicht weitergegeben (C) Diagnose zu stellen. Sie stellen bloß Forderungen. Wenn worden ist, wie viel Geld zwar weitergegeben worden ist, man diese Forderungen erfüllt, dann befindet man sich aber die Länderfinanzausgleiche damit zurückgenommen auf dem Holzweg. Es ist doch so, dass ich, bevor ich worden sind. etwas saniere, eine richtige Diagnose stellen und dann auch eine richtige Therapie wählen muss. Ansonsten, lie- Meine Damen und Herren, es ist auch falsch, was die ber Kollege De Masi, nehmen Sie nicht bloß den Tod des Linken sagen. Lieber Kollege De Masi, du bist ein guter Patienten, sondern auch noch den Tod des Arztes in Kauf, Fußballer. Aber hier bringst du manchmal links und und das ist doch der völlig verkehrte Weg. rechts und richtig und unrichtig durcheinander. (Beifall bei der CDU/CSU) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der AfD) Meine Damen und Herren, es ist schon gesagt worden: Für die Finanzausstattung der Kommunen sind die Län- Es ist nicht so, dass in den nächsten Jahren die Gemein- der zuständig. Im Grundgesetz steht das so. Die Kommu- den schrumpfende Steuereinnahmen haben. Wir werden nen haben natürlich auch ein eigenes kommunales Steuer- als Bund in den nächsten Jahren 15 Prozent mehr Steuer- recht. Sie haben eigene kommunale Hebesätze, die sie einnahmen haben, und die Kommunen werden über nutzen könnten. Der Bund ist eigentlich nicht zuständig. 21 Prozent mehr Steuereinnahmen haben. Dennoch haben wir in den letzten zehn Jahren deutlich mehr als 200 Milliarden Euro ausgegeben, um für Kom- (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Welche?) munen tätig zu sein. Das ist – das ist teilweise hier schon Also ist das doch nicht richtig. gesagt worden – unendlich viel Geld für die verschiede- nen Maßnahmen – das soll jetzt nicht alles wiederholt (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Es ist nur werden –: den Kommunalen Investitionsfonds, den Digi- durchschnittlich!) talPakt Schule, die Städtebaufördermittel, die Kinderbe- treuung, die Grundsicherung, die Kosten der Unterkunft. Das ist leeres Gerede und leeres Stroh, was du hier auf- Unendlich viel Geld! getischt hast. Das möchten wir hier durchaus einmal ganz deutlich sagen. Es ist doch verwunderlich, lieber Herr Kollege Daldrup – Sie sind doch ein tüchtiger und gut und alt (Beifall bei der CDU/CSU) gedienter treuer Sozialdemokrat –, Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland (Beifall bei der SPD) die kommunale Selbstverwaltung. Sie ist ein Glanzstück (B) dass neun der zehn am meisten verschuldeten, am meisten unserer Verfassung und nur noch vergleichbar mit den (D) mit Kassenkrediten belasteten Städte aus Nordrhein- Erfolgen aus der französischen Revolution mit der Frei- Westfalen kommen. Warum ist das so? heit, der Gleichheit, der Brüderlichkeit. Mit den Errun- genschaften in den Vereinigten Staaten von seinerzeit (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 1776, wo sie die Demokratie und den Grundrechtekatalog NEN]: Genau, das ist die entscheidende Fra- eingeführt haben, ist unser Glanzstück in der demokrati- ge! – Bernhard Daldrup [SPD]: Weil wir die schen Verfassung die kommunale Selbstverwaltung. Da Bayern unterstützt haben!) müssen wir diejenigen natürlich anders behandeln – und nicht bloß mit ein paar hingeworfenen Milliarden einen Die Frage ist noch nicht beantwortet. Es ist schon disku- Schlussstrich darunter ziehen –, die in den letzten Jahren tiert worden, dass die Städte und Gemeinden, die Kom- und Jahrzehnten nicht so gewirtschaftet haben wie andere munen in Nordrhein-Westfalen von ihrem Bundesland Städte in unserer Heimat. viel zu wenig Geld aus dem kommunalen Finanzaus- gleich erhalten haben. Lieber Herr Schmidt, Sie können sich doch glücklich (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schätzen, im Landkreis Neumarkt zu leben. Sie zieht es NEN]: Nächstes Jahr ein bisschen einfacher! – nach Regensburg. Bernhard Daldrup [SPD]: Ich fasse es nicht!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Lesen Sie doch nach, zum Beispiel bei Professor Hen- Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neke, dem Hauptgeschäftsführer des Landkreistages, der NEN]: Das liegt aber nicht allein an Ihnen, Herr gesagt hat, dass über Jahrzehnte hinweg die Gemeinden Karl!) vom Land Nordrhein-Westfalen finanziell viel zu lasch und viel zu wenig ausgestattet worden sind. Da, meine Was finden Sie denn da vor? Wären Sie doch in unserem Damen und Herren, liegt doch der Hase im Pfeffer, da Landkreis geblieben. Sie könnten noch viel mehr dazu liegt doch der Hund begraben, und nicht irgendwo anders. beitragen, dass wir weiterhin diesen guten Weg beschrei- ten. Das will ich allen anderen Städten und Gemeinden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und natürlich auch gönnen. der FDP) Die Linken agieren hier wie häufig in Robin-Hood- Meine Damen und Herren, wir haben natürlich viel Manier: Den Armen soll gegeben werden, den Reichen Geld ausgegeben. Es ist vorhin von einem der Vorredner soll vorher weggenommen werden. gesagt worden: Wir müssten eine Analyse machen, wie viel an den klebrigen Fingern der Länderfinanzminister (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) 17284 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Alois Karl (A) Sie fragen aber nicht, warum das so ist. Warum sind die (Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der (C) einen reicher und die anderen ärmer? Das alles hat seinen CDU/CSU, der SPD, der AfD und der FDP) Grund. Ich danke Ihnen herzlich für die Geduld.

Vizepräsidentin : Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Karl, eine Errungenschaft, die es auch gibt, ist, Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachten. dass wir die Redezeiten einhalten.

Alois Karl (CDU/CSU): Alois Karl (CDU/CSU): Oh! Ich bin schon wieder drüber? Ich wünsche frohe Weihnachten. Alles Gute! (Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Ab- (Heiterkeit und Beifall) geordneten der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vizepräsidentin Claudia Roth: Begrüßen wollte ich Sie auch noch, liebe Kolleginnen Ich will Sie nur mal daran erinnern. Sie sind ein biss- und Kollegen. – Damit schließe ich diese schöne Aus- chen drüber. Weihnachtlich habe ich Ihnen schon etwas sprache. geschenkt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/14153 an die in der Tagesordnung aufge- Alois Karl (CDU/CSU): führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist Frau Präsidentin, ich bin neulich schon einmal un- jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD rühmlich aufgefallen. Ich habe gedacht, das sei alles Plus, wünschen Federführung beim Haushaltsausschuss. Die was ich habe; dabei war das Minus. Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Finanz- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, ausschuss. der SPD, der AfD und der FDP) Ich lasse wie immer zuerst den Überweisungsvor- Darf ich noch zum Schluss – schlag der Fraktion Die Linke, also Federführung beim Finanzausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Ent- Vizepräsidentin Claudia Roth: haltungen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist ab- (B) Ja, bitte. gelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen der Linken, (D) von Bündnis 90/Die Grünen und der AfD. Dagegenge- Alois Karl (CDU/CSU): stimmt haben die anderen Fraktionen des Hauses. – den Kollegen Olaf Scholz hier ins Feld führen? Er ist ja verschiedentlich angesprochen worden. Ich habe groß- Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- en Respekt vor Olaf Scholz – Sie haben das auch so ähn- schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- lich gesagt –, führung beim Haushaltsausschuss. Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Überwei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sungsvorschlag ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP, und dagegen- und zwar deswegen, weil er auch gegen Ihren Widerstand gestimmt haben die Fraktionen der AfD, Bündnis 90/Die die schwarze Null verteidigt hat. In diesem Fall verhält Grünen und der Linken. sich Olaf Scholz allerdings mehr wie früher Bubi Scholz. Bubi Scholz, der Europameister, war – Tagesordnungspunkt 23 b. Interfraktionell wird Über- weisung der Vorlage auf Drucksache 19/15921 an die in Vizepräsidentin Claudia Roth: der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Das führen wir jetzt aber nicht mehr aus. gen. Weitere Überweisungsvorschläge sehe ich nicht. – Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. (Heiterkeit) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b sowie den Zusatzpunkt 16 auf: Alois Karl (CDU/CSU): – für seine gezielten Attacken bekannt. 24 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses Vizepräsidentin Claudia Roth: (12. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. Marcus Faber, Alexander Graf Ja, ich kann auch gezielt attackieren. Ich habe eine Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, weiterer harte Linke; ich sag es Ihnen. Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Heiterkeit) Schutz der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr durch die Beschaffung von Alois Karl (CDU/CSU): bewaffneten Drohnen stärken Einen linken Aufwärtshaken. – Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Drucksachen 19/15675, 19/16149 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17285

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Meine Damen und Herren, als CDU/CSU-Bundestags- (C) Berichts des Verteidigungsausschusses fraktion sprechen wir uns klar für die Beschaffung (12. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- bewaffneter Drohnen aus, neten Rüdiger Lucassen, Gerold Otten, Jan Ralf Nolte, weiterer Abgeordneter und der (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Fraktion der AfD Dann machen Sie es doch! – Dr. Marcus Faber [FDP]: Wo ist denn Ihr Antrag?) Beschaffung bewaffneter unbemannter weil sie unseren Soldatinnen und Soldaten im Bedarfsfall Luftfahrzeuge im Einsatz eine nicht vorzuenthaltende Schutzwirkung Drucksachen 19/13527, 19/14499 bieten. Bewaffnete Drohnen können das Leben unserer Soldatinnen und Soldaten retten. Deswegen sagen wir ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Tobias nochmals ganz klar Ja dazu. Pflüger, Andrej Hunko, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bereits jetzt nutzen wir in Afghanistan und in Mali die Keine Anschaffung, sondern Ächtung Beobachtungsdrohne Heron, um optimales Lagebild zu bewaffneter Drohnen bekommen. Allerdings können wir nur beobachten und Drucksache 19/16041 nicht wirken. Was bedeutet das beispielsweise? Szenario eins: Eine deutsche Patrouille gerät in einen Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Frak- Hinterhalt, wird unter Feuer genommen, und über die tion der FDP sowie über den Antrag der Fraktion Die Beobachtungsdrohne wird erkannt, dass hinter einer Linke werden wir später namentlich abstimmen. Mauer die Schussquelle sitzt. Also: identifiziert, über eine Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- Drohne einsehbar, aber nicht im direkten Feuer wirkend. schlossen. Mit einer bewaffneten Drohne allerdings kann der Be- schuss abgewendet werden. Ohne eine bewaffnete Droh- Ich eröffne sofort die Aussprache. Das Wort hat ne fehlt unserer Truppe eine lebenswichtige Wirkmög- Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion. lichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Gerold Otten [AfD]: Sie lassen die Soldaten Siemtje Möller [SPD]) schutzlos im Einsatz!) Szenario zwei: Dies geschah in Kunduz vor zwei Wo- (B) Henning Otte (CDU/CSU): chen. Mit der Reise in Begleitung unserer Bundesvertei- (D) Herzlichen Dank. – Frau Ministerin! Liebe Kollegin- digungsministerin wurde von unseren Soldaten klar und nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her- eindrucksvoll geschildert: Mit einer Beobachtungsdrohne ren! wurde gesehen, dass sich eine Raketenstellung aufstellte. Sie war identifiziert. Von dieser Raketenstellung wurde (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hat er unmittelbar das Feuer in das deutsche Lager gerichtet. gerade „Ministerin“ gesagt?) Mit einer bewaffneten Drohne hätte der Beschuss abgew- endet werden können. Ohne eine bewaffnete Drohne al- Dies ist ein wichtiges Thema, das wir ebenso beherzt lerdings fehlte diese lebenswichtige Schutzmöglichkeit. diskutieren müssen wie das Thema der vorherigen Debat- Die Rakete schlug direkt ins deutsche Lager ein. Verletzt te. Die Anträge der Oppositionsfraktionen geben uns die wurde glücklicherweise niemand. Gelegenheit, zum Ende des Jahres eine sehr wichtige De- batte zu führen: Braucht die Bundeswehr bewaffnete Meine Damen und Herren, ich frage hier im Deutschen Drohnen, ja oder nein? Wir sagen als CDU/CSU-Bundes- Bundestag: Gibt es ein Mitglied des Deutschen Bundes- tagsfraktion ganz klar Ja, meine Damen und Herren. tages, das unseren Soldatinnen und Soldaten – Frauen und Männer, Ehe- und Lebenspartner, Väter und Mütter, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Töchter und Söhne – diese überlebenswichtige Schutz- Die vorliegenden Anträge allerdings verfehlen das Ziel möglichkeit tatsächlich vorenthalten möchte? Der möge und sind eher ein Placebo. sich melden. (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Das ist unlauter! (Michael Theurer [FDP]: Was?) In höchstem Grade!) Sie verkennen die rechtlichen und realen Sachverhalte. Wir als CDU/CSU-Fraktion nehmen die Verantwortung Sie vermischen beispielsweise die KI-Debatte mit der an. Wir sagen deswegen Ja zu bewaffneten Drohnen. Debatte über bewaffnete Drohnen, oder Regierungshan- deln wird ignoriert, oder die Linken würden am liebsten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – die Bundeswehr ganz abschaffen. Michael Theurer [FDP]: Dann können Sie un- serem Antrag zustimmen! – Dr. Alexander S. (Dr. Marcus Faber [FDP]: Nennen Sie mir mal Neu [DIE LINKE]: Wir sagen: Abzug aus Af- die Zeilennummer davon!) ghanistan!) Ich sage: Wir müssen diese Debatte vielmehr auf einer Wir als Unionsfraktion wollen unseren Soldaten diese seriösen Ebene führen. Schutzmöglichkeit bieten, und zwar unverzüglich. Wir 17286 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Henning Otte (A) schützen die, die uns schützen. Wir haben im Koalitions- Das wünsche ich auch Ihnen. Alles Gute für das neue (C) vertrag mit der SPD die Entwicklung einer gemeinsamen Jahr! europäischen Drohne festgelegt. Sie steht voraussichtlich Herzlichen Dank. im Jahr 2025 zur Verfügung. Bis dahin wollen wir die Heron TP als Übergangslösung nutzen, ein israelisches (Beifall bei der CDU/CSU) Modell, auf dem deutsche Soldaten ausgebildet werden. Es muss jetzt die Entscheidung getroffen werden, ob wir diese Drohne auch bewaffnen. Im Koalitionsvertrag sind Vizepräsidentin Claudia Roth: die Voraussetzungen dafür klar geschildert: Es soll eine Vielen Dank, Henning Otte. – Herr Otte, ich darf Sie Debatte geben, die die ethischen und rechtlichen Voraus- darauf hinweisen, dass Sie mich als Ministerin begrüßt setzungen abbildet, die die Einsatzgrundsätze abbildet. haben. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das hilft (Henning Otte [CDU/CSU]: Was?) den Soldaten gar nicht! – Es mag sein, dass der Wunsch Vater des Gedankens war. [SPD]: Ergebnisoffen!) (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Das Bundesverteidigungsministerium hat in Aussicht DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei der CDU/ gestellt, dass diese Debatte vom Ministerium aus geführt CSU und der SPD – Henning Otte [CDU/ und organisiert wird und im nächsten Jahr stattfinden CSU]: Das kann ich gar nicht glauben! Ich wird. Ich danke unserer Verteidigungsministerin herzlich wüsste nicht, wofür!) für diese Initiative und dafür, dass sie aus dem Lagebild Ich bin mir nicht sicher, aber man weiß ja nie. von Kunduz diese klare Schlussfolgerung gezogen hat. Es liegt beim Verteidigungsausschuss und beim Haushalts- Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Gerold Otten. ausschuss, dafür zu sorgen, dass wir diese 25-Mio-Vor- lage hier gemeinsam beschließen können. (Beifall bei der AfD) (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Hoffentlich Gerold Otten (AfD): nicht!) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- legen! Es ist nun knapp zwei Monate her, da wurde unser Ich stelle hier für alle Zweifler, auch auf der linken Antrag zur Beschaffung bewaffneter unbemannter Luft- Seite dieses Hauses, klar: Eine bewaffnete Drohne ist fahrzeuge vom Verteidigungsausschuss abgelehnt. das Gleiche wie ein Flugzeug mit einer Waffe. Immer entscheidet ein Mensch, (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Besser ist es!) (B) (D) Die Union unterstellte dabei Desinteresse am Schutz der (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Nein! – Jan Ralf Soldaten in Afghanistan. Die SPD prüft bereits seit Jahren Nolte [AfD]: Bei der CDU entscheidet leider die völkerrechtliche Vereinbarkeit und möchte immer keiner!) noch eine breite gesellschaftliche Debatte zu diesem The- hier aber mit einer noch besseren Beobachtungsmöglich- ma anstoßen. Linke und Grüne lehnen sowieso jede Be- keit. Die Wirkmöglichkeit ist viel genauer. Die Gefahr schaffung von bewaffneten UAVs ab. kann zielgerichtet ausgeschaltet werden, durch Zerstö- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) rung oder auch durch einen gezielten Warnschuss, immer im Rahmen der mandatierten Einsätze und des Völker- Interessant war allerdings die Begründung der FDP für rechts. Meine Damen und Herren, ich stelle klar: Es gibt die Ablehnung unseres Antrags. überhaupt keinen Zweifel, dass die Bundeswehr an diesen Grundsätzen festhalten wird. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Haben Sie die überhaupt verstanden?) Wir gemeinsam tragen Verantwortung für die Soldatin- Sie meinte, es handle sich dabei um eine kurzfristige, nen und Soldaten, die wir in den Einsatz entsenden. Die übereilte Maßnahme. Nun aber wollen Sie selber eine – Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Wir müssen für ich zitiere – schnellstmögliche Beschaffung von bewaff- die finanziellen und materiellen Voraussetzungen Sorge neten UAVs. Daraus kann man nur schlussfolgern: Die tragen, AfD wirkt. (Dr. Marcus Faber [FDP]: Dann stimmt zu!) (Michael Theurer [FDP]: Ach, Quatsch!) damit die Bundeswehr gemeinsam mit befreundeten Na- Der vorliegende Versuch der FDP, einen eigenen An- tionen ihren Auftrag erfüllen kann. Und dazu gehört eben trag zu formulieren, offenbart allerdings einen eklatanten auch eine wirksame Schutzmöglichkeit. Wir als CDU/ Mangel an Fachkenntnissen; denn dieser beinhaltet eine CSU fordern dazu auf, dass wir als Deutscher Bundestag Vielzahl von sachlichen Fehlern. zu dieser Verantwortung stehen. Wir bekennen uns klar zu dieser Verantwortung. Wir stehen an der Seite unserer (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Das sagen die Soldatinnen und Soldaten. Wir danken ihnen für den Ein- Richtigen!) satz im Heimatbetrieb und in den Einsatzgebieten. Wir So verfügt die Bundeswehr nach deren Kenntnisstand an- wünschen allen Soldatinnen und Soldaten eine gute geblich erst seit 2010 über Aufklärungsdrohnen. Ein auf- Heimkehr und insbesondere allen Soldatinnen und Solda- geweckter Praktikant hätte sicher nach kurzer Recherche ten und ihren Familien ein gesegnetes Weihnachtsfest. herausgefunden, dass die Bundeswehr bereits seit Anfang Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17287

Gerold Otten (A) der 90er-Jahre über mehrere UAV-Systeme zur Aufklä- bekämpfen. Dadurch verbessern bewaffnete UAVs die (C) rung verfügt. Wirkmöglichkeiten der Bundeswehr im Einsatz. Das schreckt potenzielle Angreifer ab, steigert die Kampfkraft (Beifall bei der AfD) unserer Soldaten auf dem Gefechtsfeld und trägt so und Von der CL-289, von LUNA oder der KZO scheinen nur so zu ihrem Schutz und zur Erfüllung des Auftrags FDP-Verteidigungspolitiker noch nie etwas gehört zu ha- bei. ben. (Beifall bei der AfD) (Michael Theurer [FDP]: Die Frage ist, wer Das ist die Begründung für die Notwendigkeit einer sich hier lächerlich macht! – Gegenruf des Beschaffung bewaffneter UAVs. Das muss man aber auch Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD]: Immer verstehen, um es den Bürgern vermitteln zu können. Und der, der so blöd fragt! – Gegenruf des Abg. man muss den Mut haben, Kritik bei einer Beschaffungs- Michael Theurer [FDP]: Es gibt keine blöden entscheidung auszuhalten. Doch dazu sind Sie alle nicht Fragen! – Gegenruf des Abg. Dr. Alexander in der Lage, vor allen Dingen nicht Sie in der Koalition. Gauland [AfD]: Und ob! Viele!) Auch liest man im Antrag, die Entwicklung der Eurod- (Dr. Marcus Faber [FDP]: Stimmt! Nur Sie rohne solle im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zu- haben die Weisheit gefressen!) sammenarbeit, PESCO, mit Nachdruck verfolgt werden. Meine Damen und Herren, die Bundeswehr garantiert Dumm nur, dass PESCO nichts mit der trinationalen Ent- die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands. wicklung zu tun hat; denn im Rahmen von PESCO wer- Dazu muss sie aber auch bestens ausgerüstet sein. Daher den nur Konzeptstudien hinsichtlich einer gemeinsamen muss es der Ansatz sein, die Bundeswehr mit den effi- Ausbildung und Nutzung der Eurodrohne erstellt. zientesten Waffensystemen auszustatten. Dies zu gewähr- Weiter heißt es im Antrag, das Aufgabengebiet der leisten, ist unsere Aufgabe als Abgeordnete. Aufklärungs-UAV sei die Überwachung der eigenen Sol- (Beifall bei der AfD) daten. Meine Damen und Herren, im militärischen Sprachgebrauch versteht man unter „Überwachung“, ein Der Antrag der FDP wird dem nicht gerecht. Ich bitte bestimmtes Gebiet oder einen Raum über einen langen Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen Zeitraum ununterbrochen zu beobachten, nicht die eige- nen Soldaten im Dienst. (Ulli Nissen [SPD]: Bestimmt nicht!) Im Mittelpunkt unseres Antrags wie auch des Antrags und die Beschlussempfehlung des Verteidigungsaus- (B) der FDP steht der Schutz unserer Soldaten. Nun, wenn der schusses abzulehnen. (D) FDP der Schutz der Soldaten angeblich so am Herzen Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche liegt, warum fordern Sie dann erst jetzt dieses Waffen- Ihnen allen ein frohes Fest. system? Das hätten Sie bereits vor zwei Legislaturperio- den tun können, als Sie mit in der Regierung saßen (Beifall bei der AfD) (Dr. Marcus Faber [FDP]: Ich saß in keiner Regierung!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Danke schön. – Nächste Rednerin: Siemtje Möller für und die Bundeswehr in schwerste Gefechte in Afghanis- die SPD-Fraktion. tan verwickelt war. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD)

Und wenn der Union der Schutz der Soldaten im Ein- Siemtje Möller (SPD): satz so wichtig ist, wie wir hier gerade vom Kollegen Otte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! gehört haben, wo bleibt dann der im Koalitionsvertrag Die Bewaffnung von Drohnen ist sicherlich ein Thema, versprochene Antrag zur Beschaffung bewaffneter das unglaublich emotionalisiert diskutiert und unglaub- UAVs? lich unterschiedlich bewertet wird. Bewaffnung von (Beifall bei der AfD) Drohnen macht vielen Menschen Angst. Darauf warten wir seit zwei Jahren. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Dann erklären Sie denen, um was es geht!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Seien Sie nicht so ungeduldig!) Es verbreitet sich eine große Sorge vor dem sich ver- Oder opfern Sie etwa aus Rücksicht auf die implodieren- selbstständigenden technologischen Fortschritt, vor allen de SPD die Sicherheit unserer Soldaten zugunsten lebens- Dingen im Bereich Kriegswaffen. Bewaffnung von Droh- verlängernder Maßnahmen für die marode und abgewirt- nen macht aber auch vielen Menschen Hoffnung, bei- schaftete Koalition? spielsweise denjenigen, die sich mehr Sicherheit wün- schen, beispielsweise unseren Soldatinnen und Soldaten Ein bewaffnetes unbemanntes Luftfahrzeug ist in erster oder auch deren Angehörigen. Aber auch Angehörige der Linie ein Einsatzmittel, das in der Lage ist, Räume zu Zivilbevölkerung könnten sich mehr Schutz und Sicher- überwachen, gegnerische Kräfte aufzuklären, sie zu ver- heit von der Bewaffnung von Drohnen versprechen. Das folgen und nach klarer Zielansprache wirkungsvoll zu ist die kontroverse Situation, in der sich unsere Debatte 17288 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Siemtje Möller (A) verorten lässt – quasi zwei Pole, die sich gegenüberste- beispielsweise der Rules of Engagement und auch der (C) hen. Operationsszenarien. Auf der einen Seite steht das schwerwiegende Argu- (Dr. Marcus Faber [FDP]: Wann denn? – ment von mehr Schutz. Ich als Parlamentarierin spüre Gerold Otten [AfD]: Unsere Soldaten sind heu- diese besondere Verantwortung für unsere Soldatinnen te im Einsatz!) und Soldaten jedes Mal, wenn ich mich zu einem Antrag Diese müssen vom Verteidigungsministerium vorgelegt auf Verlängerung eines Einsatzes belese und darüber ab- werden, um dann zu einer abgewogenen Entscheidung stimme und wenn ich die Soldatinnen und Soldaten im kommen zu können. Einsatz besuche. Ich bin mir dieser Verantwortung sehr bewusst; ich bin mir sicher, das sind auch Sie alle sich. Das ist tatsächlich ein schwerwiegendes Argument. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage? (Beifall bei der SPD) Bewaffnete Drohnen könnten beispielsweise bei Pat- Siemtje Möller (SPD): rouillen mehr Sicherheit und Schutz für unsere Soldatin- Nein. – Aber Sie, beispielsweise von der FDP, wollen nen und Soldaten bieten, es ja andersrum machen. Sie wollen ja die Entscheidung (Markus Grübel [CDU/CSU]: So ist es!) und danach einen Konsens und eine breite Diskussion herbeiführen. beispielsweise wenn sie in einen Hinterhalt geraten. Dann könnte dieses Wirkmittel, das in der Luft unmittelbar vor (Dr. Marcus Faber [FDP]: Wir diskutieren seit Ort wäre, wirken und müsste eben nicht erst angefordert Jahren! Seit Jahren diskutieren wir darüber!) werden, um dann mit 30-minütiger Verzögerung Schutz Das ist falsch herum. Wir müssen erst darüber diskutie- zu gewähren. Es könnte sogar möglicherweise besser sein ren, um dann zu einer abgewogenen Entscheidung zu für den Schutz der Zivilbevölkerung durch lange Stehzei- kommen. Genau das machen wir als Koalition. ten dieses exzellenten Wirkmittels. Stellen wir uns nur mal vor, dass ein entlegenes Dorf einer ethnischen Min- (Beifall bei der SPD – Jan Ralf Nolte [AfD]: derheit, das von marodierenden Banden angegriffen wird, Seit mindestens sechs Jahren wird darüber de- durch bewaffnete Drohnen besser geschützt wäre. – Das battiert!) ist die eine Seite. Sie wollen auch jetzt eine Entscheidung, weil Sie be- Die andere Seite – ich empfinde die als ebenso schwer- haupten – das tun Sie in Ihrer Begründung –, dass die (B) wiegend – ist die Sorge und auch die Angst vor einer Regierungsfraktionen seit Jahren verzögern (D) Entgrenzung durch Technik, die Angst vor dem Kontroll- (Jan Ralf Nolte [AfD]: Wie können Sie von verlust und möglicherweise, in die Zukunft gerichtet, unseren Soldaten Mut im Einsatzland verlan- auch die Angst vor einem Kampf der Maschinen, der gen, wenn Sie nicht mal Mut zur Entscheidung manche Menschen, die sich nicht so sehr damit beschäf- haben nach sechs Jahren Diskussion? – tigen wollen, umtreibt. Es ist auch das Unbehagen, das Dr. Marcus Faber [FDP]: So ist es!) viele Menschen umtreibt, mit denen ich spreche, bei größer werdender Entfernung zwischen Pilot oder Pilotin und eine nicht hinnehmbare Situation entstehe und die und dem Luftfahrzeug, sozusagen die Entfernung zwi- Soldatinnen und Soldaten auf eine Schutzfähigkeit ver- schen Knopf und Wirkmittel, sodass das, was tatsächlich zichten müssen, obwohl sie seit Jahren verfügbar ist. ausgelöst wird, nämlich das Töten von Menschen, nicht mehr so unmittelbar verortet ist in der Person, die das zu (Dr. Marcus Faber [FDP]: Gehen Sie mal nach verantworten hat. Es ist meine Überzeugung, dass Politik Afghanistan!) genau hier ausloten muss und dass wir hier alle begleiten Meine Damen und Herren, auch von der FDP, wir ha- und abwägen müssen. Genau deshalb haben wir in den ben die Heron TP 2018 beschlossen. Diese Heron TP ist Koalitionsvertrag hineingeschrieben: bewaffnungsfähig. Sie läuft zu zum Jahre 2025. Ich ver- stehe die Eile nicht. Sie verbreiten hier eine Hysterie, und Über die Beschaffung von Bewaffnung wird der Sie verbreiten auch ein Unsicherheitsgefühl bei den Sol- Deutsche Bundestag nach ausführlicher völkerrecht- datinnen und Soldaten, das nicht gerechtfertigt ist. licher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdi- gung gesondert entscheiden. (Beifall bei der SPD) (Gerold Otten [AfD]: Dafür hatten Sie zwei Gleichzeitig müssen wir ja sagen: Bis 2025 werden wir Jahre Zeit!) die Heron 1 einsetzen. Die Heron 1 ist nicht bewaffnungs- fähig. Das heißt doch: Wir haben eine Aufklärungsdroh- Hierzu wird die Bundesregierung eine gesonderte ne, und das, was Sie uns hier suggerieren, trifft überhaupt Vorlage erstellen und dem Deutschen Bundestag zu- nicht zu. leiten. (Beifall bei der SPD) Genau um diese Würdigung – Würdigung heißt nicht eine schnelle Entscheidung, sondern heißt unter Berück- Es gibt weitere Schwachstellen in Ihrem Antrag, bei- sichtigung all dieser genannten Aspekte – vornehmen zu spielsweise die Beschaffung von bewaffnungsfähigen können, benötigen wir eine umfassende Ausarbeitung, Drohnen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17289

Siemtje Möller (A) (Dr. Marcus Faber [FDP]: Wo ist denn Ihr Es ist richtig, um die Verteidigungsfähigkeit im Einsatz (C) Antrag?) zu gewährleisten. Ich wiederhole mich: Wir haben das 2018 beschlossen. Wir haben hier heute eine unhaltbare Situation. Bei- Auch dass die Eurodrohne vorangetrieben wird, haben spiel Camp Pamir, Afghanistan. Wenn das Camp be- wir als Koalition erledigt, oder dass extralegale Tötungen schossen wird, gehen unsere Soldaten in den Bunker, teil- weiterhin geächtet werden sollen. Das tun wir jeden Tag, weise Stunden, und warten darauf, dass andere die und ich hoffe, das tun wir alle hier in diesem Hohen Haus Taliban zurückschlagen. Das kann nicht nur nicht das nicht nur in Bezug auf die Drohnen, sondern auch in Selbstverständnis Deutschlands sein, sondern auch nicht Bezug auf alle Kriegswaffen, wenn sie benutzt werden, das Selbstverständnis eines deutschen Soldaten. Wir ha- um Tötungen außerhalb des Völkerrechts durchzuführen. ben als Deutscher Bundestag die Verpflichtung gegen- über einer Parlamentsarmee, die Bundeswehr optimal (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Henning auszustatten und alles für den Schutz unserer Soldaten Otte [CDU/CSU]) zu tun. Dafür sind wir den Soldaten gegenüber verant- Ich bin überzeugt: Es ist unsere Aufgabe, Soldatinnen wortlich, aber auch ihren Angehörigen. und Soldaten bestmöglich zu schützen, und es ist unsere Aufgabe, gesellschaftlichen Frieden herzustellen. (Beifall bei der FDP) Ich verstehe nicht den Unterschied, der hier in der De- (Jan Ralf Nolte [AfD]: Der Frieden in der batte gemacht wird, beispielsweise zwischen der Panzer- Koalition ist Ihnen wichtiger!) haubitze und der bewaffneten Drohne. Der Soldat in der Das geht nur, wenn man sich die Ruhe nimmt, miteinan- Panzerhaubitze ist 40, 50 Kilometer von seinem Ziel ent- der alle Aspekte zu beleuchten. Dafür braucht man eine fernt. Debatte genau hierzu. Dazu braucht man die Vorlagen, um darüber entscheiden zu können, und keine hysterie- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: So ist es!) verbreitenden Anträge. Deswegen lehnen wir diesen An- Er bekämpft sein Ziel. Er ist geschützt, weil er weiter weg trag ab. ist. Der Drohnenpilot ist 50, vielleicht auch 500 Kilometer von seinem Ziel entfernt, und er ist geschützt, weil er von Vielen Dank. seinem Ziel entfernt ist. Die Panzerhaubitze haben wir (Beifall bei der SPD) 2010 nach Afghanistan gebracht. Das war eine richtige Entscheidung, ohne jahrelange Debatte im Vorfeld. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Wolfgang Hellmich [SPD]: Ohne einen (B) (D) Vielen Dank, Siemtje Möller. – Es gab gerade die Frage Schuss abzugeben!) nach einer Kurzintervention. Ich habe sie nicht zugelas- Sie hat dort zum Schutz unserer Soldaten beigetragen. sen. Ich lasse aber auch keine weiteren oder anderen Warum soll das, was mit der Panzerhaubitze geht, mit Kurzinterventionen zu, weil ich weiß, dass einige Kol- der bewaffneten Drohne nicht gehen? legen aus gegebenem Anlass heute Züge bekommen wol- len. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich habe mich deshalb über das Nikolausgeschenk der Ministerin, die heute leider nicht anwesend ist, sehr ge- Dr. Marcus Faber für die FDP-Fraktion ist der nächste freut, und ich halte es für an der Zeit, dass wir als Parla- Redner. ment dem ein Weihnachtsgeschenk entgegensetzen, näm- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lich heute eine Mehrheit für eine bewaffnete Drohne. Wir der CDU/CSU) haben, glaube ich, lange genug darüber debattiert. (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Wann und Dr. Marcus Faber (FDP): wo? – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Soldaten Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und zurückholen!) Kollegen! Meine Damen und Herren! „CDU-Chefin will bewaffnete Drohnen“, so stand es um den Nikolaustag in Im Koalitionsvertrag 2013 stand schon, dass die Große der „Bild“-Zeitung. So hat es auch der verteidigungspo- Koalition eine gesellschaftliche Debatte anstrengen litische Sprecher der Unionsfraktion, Herr Otte, zum Ni- möchte, die alle moralischen, ethischen, sicherheitspoliti- kolaustag in die Presse eingebracht. schen, völkerrechtlichen Aspekte beleuchtet. Im Koali- tionsvertrag 2017 stand das Gleiche. Der Kollege (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da lest Gädechens hat 2014 schon völlig zu Recht gesagt, dass ihr einmal die „Bild“-Zeitung und macht gleich wir hier eine Fähigkeitslücke haben, die wir schnellstens einen Antrag!) beheben müssen. Ich habe mich über diese Ankündigung sehr gefreut. Ich (Beifall des Abg. Dr. finde das nämlich richtig. Wir haben es eben gehört: Es ist [FDP] – Zuruf von der FDP: Kluger Mann!) richtig für den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Heute ist nicht das Jahr 2014. Heute ist das Jahr 2019. Angekündigt wurde viel – auch heute wieder –, getan (Beifall bei der FDP) wurde bisher nichts. 17290 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Dr. Marcus Faber (A) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) sicherer Distanz per Joystick. Zusammen mit künstlicher (C) Es ist an der Zeit, dass wir Entscheidungen treffen. Intelligenz können Drohnen zu autonomen Waffensyste- Dafür haben wir als FDP-Fraktion heute diesen Tages- men mutieren. Mit bewaffneten Drohnen werden soge- ordnungspunkt aufgesetzt. Wir haben heute diesen An- nannte gezielte Tötungen durchgeführt, trag gestellt, damit wir nach vielen Ankündigungen auch (Dr. Marcus Faber [FDP]: Aber doch nicht von zu Entscheidungen kommen. Das ist, glaube ich, der rich- uns! Das kann man auch mit dem Gewehr ma- tige Anlass heute am letzten Plenartag dieses Jahres. chen!) Wenn wir dann eine solche bewaffnete Drohne beschaf- fen – jeder hier im Raum weiß, dass zwischen der Ent- bei denen es sich in Wahrheit um außergerichtliche, will- scheidung darüber und der Auslieferung der bewaffneten kürliche, völkerrechtswidrige Hinrichtungen handelt. Drohne Jahre liegen –, dann werden wir bei jedem Einsatz Und diese Entwicklung ist höchst bedenklich. Genau darüber reden, mit welchen Einsatzregeln wir sie in den die wollen wir nicht. Einsatz schicken. Ob mit oder ohne Drohne: Das machen wir bei jedem Einsatz. Das haben wir bei der Panzerhau- (Beifall bei der LINKEN) bitze gemacht. Das werden wir auch bei der bewaffneten Die Bundeswehr sollte keine bewaffneten Drohnen be- Drohne machen. Deswegen sage ich Ihnen: Lassen Sie kommen. uns dafür sorgen, dass aus der Ankündigungsministerin Frau Kramp-Karrenbauer und ihrem Flugzeugträger (Zuruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack- Zimmermann [FDP]) (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Das ist genauso unsinnig!) Menschenrechtsorganisationen jetzt vielleicht die Umsetzungsministerin wird mit ihrer (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Reden bewaffneten Drohne. Dafür haben wir heute die Gelegen- Sie zur Debatte!) heit. Lassen Sie uns diese nutzen. wie Amnesty International und Human Rights Watch kri- Vielen Dank. tisieren seit Jahren die völkerrechtswidrigen Drohnenan- griffe der USA in Afghanistan, bei denen alle Getöteten (Beifall bei der FDP – Florian Hahn [CDU/ pauschal zum „enemy killed in action“ erklärt werden. CSU]: Wenn von euch der Antrag kommt!) Auf jeden Fall ist bei dieser sicheren Distanz die Hemm- schwelle für den Einsatz tödlicher Gewalt geringer. Ich Vizepräsidentin Claudia Roth: habe mich mit US-Drohnenpiloten unterhalten. Ich habe (B) Vielen Dank, Dr. Faber. – Nächster Redner: für die mich mit Bundeswehrdrohnenpiloten unterhalten, die (D) Fraktion Die Linke Tobias Pflüger. Überwachungsdrohnen steuern. Der Einsatz von Drohnen ist nicht harmlos. Der Einsatz von bewaffneten Drohnen (Beifall bei der LINKEN) ist eine neue Art der Kriegsführung, und die lehnen wir ab. Tobias Pflüger (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der LINKEN) FDP und AfD legen Anträge vor, dass bewaffnete Droh- nen bzw. die Bewaffnung für bestehende und geplante 2014 wurde im ARD-DeutschlandTrend gefragt: Was Drohnen angeschafft bzw. freigegeben werden sollen. halten Sie von bewaffneten Drohnen? 64 Prozent der Be- Ich will es klipp und klar sagen: Wir halten das für völlig völkerung in der Bundesrepublik haben dazu Nein gesagt, falsch. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Noch mehr sagen (Beifall bei der LINKEN – Grigorios Aggelidis Nein zur Linken!) [FDP]: Es sei denn, sie kommen aus Moskau!) 30 Prozent haben Ja gesagt. Es gibt eine Vereinbarung der Koalitionsfraktionen, dass eine gesellschaftliche Debatte stattfinden soll. Jetzt (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: sagen Sie: Wir haben genügend debattiert. – Nein, das Weil Sie dummes Zeug erzählen!) haben wir nicht. Hören Sie auf mit dem Mythos, es würde nur um den Schutz der eigenen Soldaten gehen! Das ist Unsinn, und (Beifall bei der LINKEN) das wissen Sie. Bewaffnete Drohnen sind dazu da, mili- Ich will, dass diese gesellschaftliche Debatte tatsäch- tärische Gegner zu töten. lich stattfindet. Ich will, dass die Probleme, die eine Droh- nenkriegsführung mit sich bringt, in der Gesellschaft end- (Dr. Marcus Faber [FDP]: Die einen angrei- lich einmal offen diskutiert werden. Was Sie mit Ihrem fen!) Antrag machen, ist, diese Debatte totzumachen und zu Die Gefahr der Tötung von Zivilisten ist enorm. Genau sagen: Jetzt lasst uns beschließen. – Das werden wir nicht das ist der Punkt, warum wir sagen: Es darf diese bewaff- mitmachen. neten Drohnen für die Bundeswehr nicht geben. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte Sie wissen ganz genau: Drohnenkriegsführung verän- [CDU/CSU]: Nichts verstanden! – Zuruf von dert Kriegsführung an sich. Das ermöglicht das Töten aus der AfD: Das haben Sie nicht zu entscheiden!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17291

Tobias Pflüger (A) Ich glaube, dass mit der Kriegsführung mit Drohnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) grundsätzlich ein Tabu gebrochen würde. Wir sagen, es und bei der LINKEN – Dr. Marcus Faber braucht die Debatte. Wir wollen, dass diese Form der [FDP]: Ja wo denn?) Kriegsführung nicht passiert. Wir lehnen die Bewaffnung Bewaffnete Drohnen treiben eine Entgrenzung der und bewaffnete Drohnen ab. Kriegsführung voran. Vielen Dank. (Zuruf des Abg. Jan Ralf Nolte [AfD]) (Beifall bei der LINKEN) Sie verursachen eine hohe Zahl an zivilen Opfern bei jedem Einsatz und sind keine saubere Lösung, weil es Vizepräsidentin Claudia Roth: eine solche nicht gibt. Das Londoner Bureau of Investi- Vielen Dank, Tobias Pflüger. – Nächste Rednerin: gative Journalism geht von 1 725 getöteten Zivilisten, Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen. davon 397 Kinder, bei US-Operationen außerhalb der ei- gentlichen Kriegsgebiete aus. Der FDP-Antrag ignoriert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) völlig das Gerichtsurteil des OVG Münster vom 19. März Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, Platz zu dieses Jahres, mit dem der Klage jemenitischer Drohnen- nehmen und Gespräche außerhalb des Plenarsaals zu füh- opfer gegen die Bundesrepublik Deutschland teilweise ren? stattgegeben worden ist: Es sei offenkundig und damit auch der Bundesregierung bekannt, dass die USA unter Katja Keul, Sie haben das Wort. Verwendung der Air Base Ramstein bewaffnete Drohnen- einsätze in der Heimatregion der Kläger durchführten, so Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): das Oberverwaltungsgericht. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um bewaffnete Drohnen für die (Dr. Marcus Faber [FDP]: Aber doch nicht Bundeswehr führen wir schon mindestens zehn Jahre wir!) lang; so lange bin ich jedenfalls dabei. Die bisherige Annahme der Bundesregierung, es bestün- (Dr. Marcus Faber [FDP]: Wunderbar!) den keine Anhaltspunkte für Verstöße der USA bei ihren Aktivitäten in Deutschland gegen deutsches Recht oder Es bleibt dabei: Nutzen und Risiken stehen bei diesem Völkerrecht, beruhe auf einer unzureichenden Tatsache- Waffensystem außer Verhältnis. nermittlung und sei rechtlich nicht tragfähig. Die Bundes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- regierung sei daher verpflichtet, wirksame amtliche Er- mittlungen vorzunehmen. (B) wie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LIN- (D) KE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN In einer konkreten Gefechtssituation kann die Bundes- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) wehr sowohl auf Aufklärungsdrohnen als auch auf be- Sehr geehrte Damen und Herren, die Welt ist durch den mannte Luftunterstützung zurückgreifen. Andererseits Einsatz bewaffneter Drohnen nicht sicherer geworden; im wird der Stützpunkt für Drohnenpiloten, wenn sie denn Gegenteil. Die Bundesregierung sollte sich dringend Ge- in Deutschland stationiert sind, zu einem legitimen mili- danken machen, wie sie ihrer Verpflichtung zur Durch- tärischen Angriffsziel. setzung des Rechts auch in Ramstein nachkommt. Für die (Gerold Otten [AfD]: Hä?) Glaubwürdigkeit dieses Anliegens wäre es wenig hilf- reich, selbst bewaffnete Drohnen zu beschaffen. Das können Sie doch nicht ernsthaft wollen. Meine Fraktion lehnt die Bewaffnung von Drohnen ab Bewaffnete Drohnen sind gerade nicht zum Schutz von und damit auch den vorgelegten FDP-Antrag. Leib und Leben entwickelt worden, sondern zur Hinrich- tung von Verdächtigen ohne Gerichtsverfahren. Sie wer- Vielen Dank. den bis heute mehr von Geheimdiensten als von regulären Streitkräften eingesetzt. Die Bundesregierung würde so (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN etwas natürlich nie tun; das glaube ich dieser Bundesre- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gierung sogar. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Dr. Marcus Faber [FDP]: Ja, ich auch! – Vielen Dank, Katja Keul. – Letzter Redner in dieser Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr Debatte: Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. gut!) Allerdings zeigt die Erfahrung: Verfügbarkeit führt zur (Beifall bei der CDU/CSU) Versuchung. Als Israel im Jahr 2000 als erstes Land be- waffnete Drohnen für Hinrichtungen einsetzte, kritisierte Florian Hahn (CDU/CSU): die US-Administration dies noch als völkerrechtswidrig. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als sie dann selbst bewaffnete Drohnen hatte, änderte sie Am Dienstag ist Heiligabend, und rund 4 000 Soldatinnen ihre Rechtsauffassung. Inzwischen verfügen nicht nur und Soldaten verbringen die Feiertage in Auslandseinsät- Iran und China über diese Systeme, sondern auch islamis- zen von Mali bis Afghanistan. Darüber hinaus versehen tische Terroristen. Diesem Rüstungswettlauf muss Ein- viele Tausende auch im Inland ihren Dienst über die halt geboten werden. Feiertage. Sie alle zusammen verdienen unseren Respekt 17292 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Florian Hahn (A) und unsere Aufmerksamkeit, unseren herzlichen Dank; Lassen Sie mich noch kurz etwas zu den vorliegenden (C) denn sie alle verteidigen zusammen mit unseren Verbün- Anträgen sagen. Der Antrag der FDP ist inhaltlich richtig. deten unser aller Freiheit und unsere Art, zu leben. Dafür Ich hoffe, dass die Liberalen die kommende Debatte in möchte ich mein herzliches „Vergelts Gott!“ sagen. diesem Sinn positiv mitgestalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall des Abg. Ulrich Lechte [FDP] – ordneten der SPD und der FDP) Dr. Marcus Faber [FDP]: Das machen wir gern!) Aber was steht nicht nur zu Weihnachten auf dem Wunschzettel unserer Soldaten? Wenn man das Gespräch Zustimmen können wir diesem Antrag natürlich nicht; mit ihnen sucht, hört man sehr schnell wichtige Punkte: denn für uns ist Vertragstreue ein wichtiges Gut. Dafür mehr Anerkennung, eine optimale Ausstattung und Aus- sollte gerade die FDP Verständnis haben. Das gilt auch für rüstung. Dies haben sie auch verdient; denn sie wären Koalitionsverträge. bereit, ihr Leben für unser Land und unsere Demokratie zu geben. An der Erfüllung ihrer Wünsche arbeiten wir Anträge zu Nikolaus zu schreiben, lieber Herr Faber, auch ständig. Dass Bundeswehrsoldaten in Uniform ab ist schön und gut. Aber vielleicht sollten Sie, wenn Sie Januar kostenlos Bahn fahren können, ist ein wichtiges ernsthaft Dinge umsetzen wollen, beim nächsten Mal ein- Zeichen des Respekts und der Anerkennung. Ich bedanke fach mehr Mut zum Regieren haben. mich beim Bundesverkehrsminister und (Zurufe von der FDP: Oah!) bei unserer Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ganz herzlich, Vielleicht haben Sie beim nächsten Mal wieder die Ge- legenheit dazu. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Jetzt mal nicht von den Drohnen ablenken!) (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Theurer [FDP]: Hätten denn die Grünen zugestimmt? dass sie dieses Anliegen der CSU und der gesamten CDU/ Mit den Grünen war es auch nicht einfach! CSU-Bundestagsfraktion so schnell umgesetzt haben. Was sagen denn die Grünen zu dem Antrag?) (Beifall bei der CDU/CSU) Der Antrag der AfD ist schlicht abzulehnen. Sie for- Wenn man sich – wie die Verteidigungsministerin in dern in Ihrem Antrag, auf die Beschaffung und den Be- Afghanistan Anfang Dezember – direkt bei den Soldaten trieb der unbewaffneten Heron TP zu verzichten. Das ist umhört, was für sie zur bestmöglichen Ausstattung ge- blanker Unsinn und höchst gefährlich. Unsere Soldatin- nen und Soldaten brauchen in jedem Fall die Aufklä- (B) hört, dann ist die Antwort eindeutig: bewaffnete Drohnen. (D) Deshalb kommt diese Debatte genau zur richtigen Zeit. rungsfähigkeit der Heron TP, ob bewaffnet oder unbe- Unsere Drohnen dienen bisher nur der Aufklärungsarbeit waffnet. und zum Selbstschutz unserer Truppen. Die Bundeswehr (Michael Theurer [FDP]: Erklären Sie einmal, hat mit der Drohne des Typs Heron TP eine optimale wie Sie das mit den Grünen umsetzen wollen!) Aufklärungsdrohne gefunden und mit ihrer Anschaffung einen richtigen Schritt gemacht. Heron TP verfügt näm- Zum Antrag der Linken, liebe Kolleginnen und Kol- lich auch über die Möglichkeit, bewaffnet zu werden. legen. Die Linke lehnt die Beschaffung einer bewaff- Dies ist der nächste folgerichtige Schritt. nungsfähigen Drohne schlichtweg ab. (Zuruf von der LINKEN: Leider!) (Beifall bei der LINKEN) Für mich steht außer Frage, dass wir unseren Soldaten – Sehen Sie! – Sie will in Wahrheit auch gar keine Diskus- im Auslandseinsatz alles zur Verfügung stellen müssen, sion darüber führen, sondern – das verwundert nicht – sie was ihr Leben schützt, auch bewaffnete Drohnen. Leider will keine Beschaffung, weil sie nie einer Beschaffung sind wir mit unserem Koalitionspartner bei diesem The- von militärischer Ausrüstung für unsere Bundeswehr zu- ma in der laufenden Legislaturperiode noch nicht richtig gestimmt hat. Sie will die Bundeswehr schlicht nicht. vorangekommen. (Zuruf von der FDP: Sie will die Rote Armee (Wolfgang Hellmich [SPD]: Das stimmt!) hier!) Aber ich bin zuversichtlich, dass wir nach einer, wie im Dass Sie ihre Ideologie haben – geschenkt; dieses Recht Koalitionsvertrag vereinbart, ausführlichen Debatte ge- haben Sie. Aber was ich Ihnen nicht durchgehen lasse, ist, meinsam zu der vernünftigen Einsicht kommen, in welches Licht Sie unsere demokratische Armee und unsere Soldatinnen und Soldaten stellen. (Zuruf von der FDP: Wann?) (Zurufe von der LINKEN) dass ein unbemanntes, aber von Menschenhand fernge- steuertes Luftfahrzeug kein autonomes Waffensystem ist, Sie schreiben in Ihrem Antrag: „Bewaffnete Drohnen die- sondern eine Fähigkeit, die denselben Einsatzregeln un- nen nicht dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten, son- terliegt wie jedes andere Waffensystem auch. dern dem Angriff“ und auch, dass eine Drohne bei den befehlshabenden Militärs zu einem hemmungslosen Ein- (Wolfgang Hellmich [SPD]: Das ist das Prob- satz tödlicher Gewalt führen würde. Damit verunglimp- lem!) fen Sie bewusst unsere Truppe Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17293

Florian Hahn (A) (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Das ist doch Wir kommen jetzt zu einer Abstimmung mittels Hand- (C) Quatsch!) zeichen. und alles wofür der Staatsbürger in Uniform und die In- Tagesordnungspunkt 24 b. Abstimmung über die Be- nere Führung stehen. Das ist schäbig und unanständig. schlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zum Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel „Beschaffung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bewaffneter unbemannter Luftfahrzeuge“. Der Aus- bei Abgeordneten der AfD) schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/14499, den Antrag der Fraktion der AfD Vizepräsidentin Claudia Roth: auf Drucksache 19/13527 abzulehnen. Wer stimmt für Kommen Sie bitte zum Schluss. diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Für die Beschlussempfehlung haben Florian Hahn (CDU/CSU): gestimmt die Fraktionen der Linken, der SPD, Bünd- Fest steht: Die Beschaffung bewaffneter Drohnen zum nis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP, dagegenge- Schutz unserer Soldaten ist notwendig. Wir alle hier, de- stimmt hat die Fraktion der AfD, und es gab zwei nen das Wohl unserer Soldaten wirklich am Herzen liegt, Enthaltungen von fraktionslosen Kollegen. Die Be- sollten deshalb diese Debatte anstoßen, offen und ehrlich, schlussempfehlung ist damit angenommen. aber auch realistisch führen und entsprechend argumen- Zusatzpunkt 16. Abstimmung über den Antrag der tieren. Das kann meiner Meinung nach am Ende nur zu Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/16041 mit dem einem Ergebnis führen. Titel „Keine Anschaffung, sondern Ächtung bewaffneter Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, unse- Drohnen“. Über diesen Antrag stimmen wir auf Verlan- ren Soldatinnen und Soldaten und Ihnen allen frohe Weih- gen der Fraktion Die Linke namentlich ab. nachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr! Die Schriftführerinnen und Schriftführer haben zum (Beifall bei der CDU/CSU) Teil die Urnen bewacht, vielen herzlichen Dank. Ich bitte, dass alle die Plätze einnehmen und uns wieder ein Zei- chen geben, ob die Boxen besetzt sind. – Das sieht gut Vizepräsidentin Claudia Roth: aus. Dann eröffne ich die zweite namentliche Abstim- Vielen Dank, Florian Hahn. – Damit schließe ich die mung, nämlich über den Antrag der Fraktion Die Linke Aussprache. auf Drucksache 19/16041. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- So, liebe Kollegen, Kolleginnen: Gibt es irgendjeman- (B) fehlung des Verteidigungsausschusses zum Antrag der den, der oder die noch nicht abgestimmt hat? – Dann (D) Fraktion der FDP mit dem Titel „Schutz der Soldatinnen schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer- und Soldaten der Bundeswehr durch die Beschaffung von innen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. bewaffneten Drohnen stärken“. Der Ausschuss empfiehlt Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/ gegeben.2) 16149, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/15675 abzulehnen. Damit rufe ich die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b auf: Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion der FDP namentlich ab. Ich bitte a) Beratung des Antrags der Abgeordneten die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe- Dr. Konstantin von Notz, Katrin Göring- nen Plätze einzunehmen und uns hier oben zu Eckardt, Britta Haßelmann, weiterer Abge- signalisieren, ob die Boxen besetzt sind. – Die Plätze an ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ den Urnen sind besetzt. Ich eröffne die erste namentliche DIE GRÜNEN Abstimmung, und zwar über die Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/16149. Maßnahmen zur Gewährleistung der In- tegrität digitaler Infrastrukturen, Geräte Gibt es Kollegen, die noch nicht abgestimmt haben? – und Komponenten – Für eine größere di- Ich frage zum letzten Mal: Gibt es jemanden, der oder die gitale Souveränität Deutschlands und Eu- noch nicht abgestimmt hat? – Das scheint nicht der Fall zu ropas sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Drucksache 19/16049 So, ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen, weil wir jetzt b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe per Handzeichen abstimmen. – Bitte Platz nehmen! – Schulz, Joana Cotar, Dr. Michael Espendiller, Darf ich die Kolleginnen und Kollegen, die hinten an weiterer Abgeordneter und der Fraktion der den Urnen schon für die nächste Abstimmung bereitste- AfD hen, bitten, Platz zu nehmen, weil die nächste Abstim- Sicherstellung nationaler Souveränität im mung per Handzeichen erfolgt? – Also, wir meinen das 5G-Mobilfunknetz ziemlich ernst. Ich führe die Abstimmung nicht weiter fort, wenn Sie sich nicht hinsetzen. Drucksache 19/16058

1) Ergebnis Seite 17296C 2) Ergebnis Seite 17299C 17294 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Überweisungsvorschlag: Die Zeit, Herr Grosse-Brömer, des Erkenntnisgewinns (C) Ausschuss für Inneres und Heimat (f) und des Schreibens von Besinnungspapieren ist lange Ausschuss Digitale Agenda (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie vorbei. Diese Themen sind einfach zu drängend und zu Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur wichtig, als dass sie auf die lange Bank geschoben werden Federführung strittig könnten, meine Damen und Herren. Ich bitte, die Diskussionen außerhalb zu führen. Ich würde gerne weitermachen mit der Tagesordnung. Es ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ja echt ätzend laut. Diese Debatte darf sich eben nicht um einzelne Anbieter und Länder drehen. Für die Aussprache sind 30 Minuten beschlossen. – Dazu höre ich nichts anderes. ( [CDU/CSU]: Haben Sie Ich eröffne die Aussprache. Ich bitte die Kollegen und doch gerade selber gemacht!) Kolleginnen noch einmal, Platz zu nehmen und die Ge- Das Thema ist zu ernst für diese Spielchen: Wer ist der spräche einzustellen, damit Sie alle dem ersten Redner beste Transatlantiker, wer der größte China-Fresser? zuhören können. Das ist Dr. Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen. (Falko Mohrs [SPD]: Sie führen die Debatte gerade in die Richtung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So befeuert man Wirtschaftskriege und Protektionismus. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es geht um harte rechtsstaatliche Kriterien und um NEN): klare sicherheitspolitische Standards, an die sich alle hal- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ten müssen. Es ist völlig klar: Nach unseren Kriterien Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stuxnet wäre Huawei draußen. Aber genauso klar ist: Es müssen 2010, die Snowden-Veröffentlichungen 2013, der Angriff sich alle nach der Decke strecken. Nur so bekommen wir auf die IT des Deutschen Bundestages 2015, WannaCry den notwendigen Wettbewerb für mehr Rechtsstaatlich- 2017, der Regierungs-Hack, anhaltende Datenskandale: keit und mehr Sicherheit, meine Damen und Herren. Seit vielen, vielen Jahren wissen wir um die eklatanten Gefahren. Sie bedrohen auch den anstehenden Ausbau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) des 5G-Netzes. In einer der wichtigsten sicherheitspoliti- Revidieren Sie Ihre bisherige IT-Politik, das anlasslose schen Fragen unserer Zeit ist diese Große Koalition, ist Massendatenspeichern und das Hehlen mit Sicherheits- die Bundesregierung, ist Ihre verfehlte, teils nicht exis- lücken, die uns alle bedrohen! Schaffen Sie vielfältige (B) tente IT-Sicherheitspolitik ein ganz relevanter Teil des digitale Ökosysteme! Setzen Sie auf Resilienz, Redun- (D) Problems, meine Damen und Herren. danzen und Eigenentwicklungen auf der Basis von offener und freier Software! Legen Sie endlich das IT- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherheitsgesetz 2.0 vor, das sich eben nicht bloß auf den sowie bei Abgeordneten der FDP) notwendigen Schutz kritischer Infrastrukturen bezieht, Die Diskussion um Huawei steht für all Ihre eklatanten sondern auch auf Mindeststandards für Endgeräte des Versäumnisse exemplarisch. Internet of Things, Vorgaben für verpflichtende Sicher- heitsupdates und klare Haftungsregelungen, meine Da- (Michael Theurer [FDP]: Ja!) men und Herren. Ihr Umgang mit diesem Thema ist – man kann es leider (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- nicht anders sagen – hochnotpeinlich. Vor vielen Mona- wie der Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE LIN- ten versprachen Sie vollmundig über die Medien: Noch KE]) vor Weihnachten, am besten interfraktionell, wird hier ein Antrag vorgelegt. – Was haben Sie bis heute vorgelegt? Schaffen Sie unabhängige Aufsichtsbehörden, die Ver- Gar nichts! Das ist blamabel, meine Damen und Herren. stöße auch tatsächlich sanktionieren! All das ist lange, lange überfällig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unseren Antrag mit all den guten Dingen, die darin Mittlerweile kursieren drei unterschiedliche dünne Pa- stehen, legen wir Ihnen zum Fest der Liebe als Geschenk pierchen in den Regierungsfraktionen, zwei der CDU/ unter den Weihnachtsbaum. – Ein frohes Fest wünsche CSU und eins der SPD. Sie alle haben eins gemeinsam: ich Ihnen allen. Sie sind weder mit dem Koalitionspartner abgestimmt noch mit der Bundesregierung – von der Opposition Herzlichen Dank. mal ganz zu schweigen. Sie haben noch was gemeinsam: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie beziehen sich ausschließlich auf das Thema 5G. Da- mit kratzen Sie nur an der Oberfläche des Gesamtprob- lems. Vizepräsidentin Claudia Roth: Hoffentlich ist noch ein Stollen dabei. – Vielen herz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – lichen Dank, Konstantin von Notz. – Nächster Redner in Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es ist der Debatte: Christoph Bernstiel für die CDU/CSU-Frak- schon mal gut, wenn einer alle drei Papiere tion. kennt! – Gegenruf des Abg. Falko Mohrs [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17295

(A) Christoph Bernstiel (CDU/CSU): sagen: „Ja, wir schließen mal den aus“, „Wir machen (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und dieses“, oder: „Das und jenes wäre richtig.“ Kollegen! Lieber Kollege Herr von Notz, vielen Dank, dass Sie uns hier die Möglichkeit geben, dieses wichtige (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Thema anzusprechen. Ich muss aber auch sagen: Ich finde GRÜNEN]: Genau das steht in unserem Antrag es schon bemerkenswert, dass wir als CDU auf unserem nicht!) Bundesparteitag einen Beschluss fassen, der natürlich das Aber in der Realität – und das ist das, was die Regierung Ergebnis eines sehr langen Prozesses ist, den wir auch macht – sorgfältig abwägen, und drei Oppositionsfraktionen, die AfD, die FDP und die Grünen, das zum Anlass nehmen, (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- um genau unseren Standpunkt hier zu diskutieren. NEN]: Die Regierung macht nichts!) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE müssen Sie sehr wohl abwägen, auch zwischen legitimen GRÜNEN]: Das haben wir lange vorher schon Interessen, zum Beispiel: „Wie schnell können wir den gemacht!) Ausbau unseres Netzes vorantreiben?“, und: „Ist es über- haupt realisierbar, solche Klauseln durchzusetzen?“ Ge- Erst mal herzlichen Dank, dass Sie unser Thema hier mit nau daran arbeiten wir gerade, lieber Herr von Notz. Ihren Anträgen zusätzlich aufwerten! (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. GRÜNEN]: Ja, wo ist es denn?) Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) – Das werden Sie sehen. Im Januar können wir Sie mit Aber in der Tat: Es geht natürlich um ein sehr ernstes einem wunderbaren Antrag überraschen. Thema. Herr von Notz, so gut ich Ihren Antrag auch (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- finde – ich muss leider sagen: In Ihrer Rede sind ein paar NEN]: Im Januar? Dann bringen wir im Januar inhaltliche Fehler. Sie beschränken sich zum Beispiel auf den Antrag noch einmal ein!) einen Hersteller von Telekommunikationstechnik, näm- lich einen chinesischen. – Jetzt hören Sie doch mal zu, seien Sie doch nicht so aufgeregt! (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört, Herr (Dr. [DIE LINKE]: Steht Bernstiel! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/ alles im Protokoll drin!) (B) DIE GRÜNEN]: Haben Sie mal in den Antrag (D) geguckt? Da steht überhaupt kein Endunterneh- Wir sind an diesem Thema dran. Wir machen das aber men drin!) in einer Sorgfältigkeit, die dem Thema auch angemessen ist. Wenn Sie sagen: „Wir diskutieren hier nur über 5G“, Gucken Sie sich den Markt an, dann wüssten Sie, es sind vier. Und wenn schon, dann müssten Sie auch noch den (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE zweiten chinesischen Hersteller nennen. GRÜNEN]: Das habe ich genau nicht gesagt, Herr Bernstiel!) Sie sagen, die Bundesregierung tue nichts, wir müssten einen Kriterienkatalog aufstellen. Genau das machen wir dann wird das der Debatte nicht gerecht. Denn 5G ist in diesem Moment. keine einfache Evolution des 3G- und 4G-Netzes. 5G ist nicht nur ein Kommunikationsnetz, sondern der integ- Aber was in Ihrem Antrag wirklich fehlt: Sie hangeln rale Bestandteil unserer digitalen Wirtschaft in den nächs- sich an technischen Kriterien entlang. ten 10 bis 15 Jahren. Dinge wie das autonome Fahren, die Telemedizin, die Entwicklung künstlicher Intelligenz (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- oder die sogenannten Campuslösungen für Industrie- NEN]: Nee, überhaupt nicht!) 4.0-Fabriken – das alles läuft in Zukunft über das 5G- Richtig wäre, zu sagen: Wir müssen selbstverständlich Netz. Deshalb ist es natürlich in unser aller Interesse, dass auch politische Kriterien mit einbeziehen. 5G so sicher und manipulationssicher wie möglich ist. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Da möchte ich noch auf einen Punkt hinweisen, der in NEN]: Genau! Steht drin! Sie müssen mal le- Ihren Anträgen nicht zur Geltung kommt. Sie sprechen sen!) immer von Sicherheit. Sie reden von Datensicherheit. Sie missachten aber oder unterschätzen ein wenig das Risiko Da geht es um die Frage der Vertrauenswürdigkeit, der Sabotage, zum Beispiel durch das Erzeugen von (Beifall des Abg. Falko Mohrs [SPD]) künstlichen Lieferengpässen oder durch das Erzeugen von Latenzen. und da – hier kann ich auch zu den anderen Antragstellern schauen – ist natürlich die Frage ganz entscheidend: Kön- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen wir den Unternehmen, die wir am Ausbau unseres NEN]: Nein! Steht alles in unserem Antrag!) Netzes beteiligen, vertrauen oder nicht? Das hat nichts mit Datensicherheit zu tun, das hat etwas Jetzt erkläre ich Ihnen den Unterschied zwischen Re- damit zu tun, wer diese Infrastruktur kontrolliert. Genau gierung und Opposition. Sie können sich hinstellen und an diesem Punkt setzen wir an. 17296 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Christoph Bernstiel (A) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) NEN]: Da steht alles drin!) NEN]: Dann gucken wir mal, wie Ihr Antrag Zum Schluss noch: Wir können Ihrem Antrag so nicht aussieht!) zustimmen, werden wir Sie alle beim Wort nehmen. Wir hoffen, dass auch wenn er über weite Strecken unsere Standpunkte Sie unserem Antrag dann zustimmen. übernimmt, wie ich schon gesagt hatte. Also: Gut zuge- hört in den letzten Wochen. Auch ich möchte Ihnen natürlich frohe Weihnachten (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE wünschen. GRÜNEN]: Machen Sie einfach Ihr Logo drauf!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ein Grund dafür ist – ich möchte das aus Ihrem Antrag [SPD]) zitieren –, dass Sie die IT-Sicherheit aus der Zuständig- keit des BMI herauslösen möchten. Nicht einmal zwei Vizepräsidentin Claudia Roth: Absätze später sagen Sie, dass Sie eine ministeriell-koor- Vielen Dank, Herr Bernstiel. Bevor der nächste Redner dinierende Zuständigkeit für hybride Bedrohungen drankommt, gebe ich Ihnen die von den Schriftführerin- möchten. Hybride Bedrohungen sind Angriffe aus dem nen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der na- Cyberraum und natürlich auch mit klassischen Spionage- mentlichen Abstimmungen bekannt. werkzeugen. Da müssen Sie sich wirklich einmal ent- scheiden, in welche Richtung das nun gehen soll: entwe- Zuerst haben wir abgestimmt über die Beschlussemp- der die Cybersicherheit beim BMI verankern oder aus fehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der dem BMI herauslösen. FDP zur Beschaffung bewaffneter Drohnen: abgegebene Das alles macht natürlich keinen Sinn. Deshalb werden Stimmkarten 597. Mit Ja haben gestimmt 526 Kollegin- wir die Anträge ablehnen. Wir freuen uns aber, dass es zu nen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 69, enthalten dem Thema einen großen Konsens gibt. Wenn wir dann haben sich 2. Die Beschlussempfehlung des Verteidi- im Januar mit unserem Antrag kommen, gungsausschusses ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Dr. Klaus-Dieter Gröhler Torbjörn Kartes Michael Grosse-Brömer Dr. Stefan Kaufmann (B) Abgegebene Stimmen: 597; (D) davon Astrid Grotelüschen Ronja Kemmer ja: 526 Markus Grübel nein: 69 Ralph Brinkhaus Michael Kießling enthalten: 2 Dr. Monika Grütters Dr. Fritz Güntzler Ja Christian Haase CDU/CSU Florian Hahn Dr. Marie-Luise Dött Jürgen Hardt Hansjörg Durz Matthias Hauer Carsten Körber Norbert Maria Altenkamp Alexander Krauß Hermann Färber Dr. Dr. Günter Krings Frank Heinrich (Chemnitz) Rüdiger Kruse Thomas Bareiß Axel E. Fischer (Karlsruhe- Mark Helfrich Land) Dr. Roy Kühne Dr. Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers (Börde) Andreas G. Lämmel Dr. Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Dr. André Berghegger (Hof) Dr. Hans-Joachim Fuchtel Alexander Hoffmann Christoph Bernstiel Ingo Gädechens Dr. Dr. Erich Irlstorfer Dr. Dr. Ursula Groden-Kranich Alois Karl Michael Brand (Fulda) Hermann Gröhe Nikolas Löbel Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17297

(A) Klaus-Peter Willsch (C) Dr. Jan-Marco Luczak Nadine Schön Christian Lange (Backnang) Dr. Klaus-Peter Schulze Dr. Dr. (Weil am Dr. Helge Lindh Rhein) Kirsten Lühmann Torsten Schweiger Dr. Thomas de Maizière SPD Isabel Mackensen Gisela Manderla Detlef Seif Dr. Astrid Mannes Christoph Matschie Ingrid Arndt-Brauer Matern von Marschall Dr. Heike Baehrens Dr. Klaus Mindrup (Altötting) Dr. Björn Simon Falko Mohrs Tino Sorge Claudia Moll Dr. Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Siemtje Möller Sören Bartol Michelbach Detlef Müller (Chemnitz) Bärbel Bas Dr. Michelle Müntefering Dr. Dr. Rolf Mützenich (Heidelberg) Karsten Möring Dr. Andreas Steier Ulli Nissen Axel Müller Sepp Müller Mahmut Özdemir Dr. Lars Castellucci Carsten Müller Christian Frhr. von Stetten (Duisburg) Bernhard Daldrup (Braunschweig) Aydan Özoğuz Dr. Karamba Diaby Stefan Müller (Erlangen) Dr. Dr. Georg Nüßlein (Minden) Dr. (B) (D) Florian Oßner Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Dr. Hans-Jürgen Thies Dr. Henning Otte Dr. Dr. Dr. René Röspel Dr. Dr. Volker Ullrich Michael Roth (Heringen) Angelika Glöckner Bernd Rützel Dr. Christoph Ploß Axel Schäfer (Bochum) Rita Hagl-Kehl Volkmar Vogel (Kleinsaara) Dr. Alois Rainer (Peine) Dr. Johann David Wadephul (Wetzlar) Dr. Carsten Schneider (Erfurt) Wolfgang Hellmich Johannes Schraps Lothar Riebsamen Gabriele Hiller-Ohm Johannes Röring (Hamburg) Dr. Norbert Röttgen Dr. (Spandau) Stefan Rouenhoff Peter Weiß (Emmendingen) Frank Schwabe Erwin Rüddel Sabine Weiss (Wesel I) Elisabeth Kaiser Rita Schwarzelühr-Sutter Stefan Sauer Gabriele Katzmarek Dr. Wolfgang Schäuble Kai Whittaker Annette Widmann-Mauz Martina Stamm-Fibich Tankred Schipanski Bettina Margarethe Sonja Amalie Steffen Dr. Wiesmann 17298 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

(A) Enrico Komning Dr. (C) Markus Töns Jörn König Kerstin Kassner Carsten Träger Steffen Kotré Dr. Kirsten Kappert- Rüdiger Lucassen Caren Lay Gonther Marja-Liisa Völlers Dirk Vöpel Dr. Ralph Lenkert Katja Keul Dr. Dr. Birgit Malsack- Maria Klein-Schmeink Winkemann Dr. Gesine Lötzsch Sylvia Kotting-Uhl Gülistan Yüksel Pascal Meiser Stephan Kühn (Dresden) Dagmar Ziegler Hansjörg Müller Christian Kühn (Tübingen) Dr. Jens Zimmermann Volker Münz Cornelia Möhring Renate Künast Sebastian Münzenmaier Niema Movassat Markus Kurth AfD Norbert Müller (Potsdam) Jan Ralf Nolte Zaklin Nastic Sven Lehmann Dr. Dr. Alexander S. Neu Steffi Lemke Marc Bernhard Gerold Otten Dr. Petra Pau Dr. Peter Boehringer Tobias Matthias Peterka Sören Pellmann Beate Müller-Gemmeke Paul Viktor Podolay Dr. Jürgen Braun Dr. Konstantin von Notz Jürgen Pohl Tobias Pflüger Marcus Bühl Martin Erwin Renner Matthias Büttner Roman Johannes Reusch Cem Özdemir Ulrike Schielke-Ziesing Eva-Maria Schreiber Dr. Robby Schlund Dr. Joana Cotar Filiz Polat Uwe Schulz Helin Dr. Gottfried Curio Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Dr. Kirsten Tackmann Dr. (B) Jessica Tatti (D) Berengar Elsner von Dr. Corinna Rüffer Gronow René Springer Dr. Michael Espendiller Beatrix von Storch Stefan Schmidt Peter Felser Andreas Wagner Dr. Charlotte Schneidewind- Dr. Harald Weinberg Hartnagel Kordula Schulz-Asche Dr. Dr. Alexander Gauland Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Christian Wirth Kuhn BÜNDNIS 90/ DIE LINKE DIE GRÜNEN Armin-Paulus Hampel Jürgen Trittin Mariana Iris Harder-Kühnel Gökay Akbulut Dr. Dr. Dr. Dr. Martin Hebner Lorenz Gösta Beutin Fraktionslos Udo Theodor Hemmelgarn Matthias W. Birkwald Dr. Jörg Cezanne Ekin Deligöz Nein Karsten Hilse Sevim Dağdelen Katharina Dröge AfD Fabio De Masi Dr. Anke Domscheit-Berg Dr. Heiko Heßenkemper Leif-Erik Holm Kai Gehring FDP Dr. Katrin Göring-Eckardt Grigorios Aggelidis Dr. Dr. André Hahn Heike Hänsel Christine Aschenberg- Stefan Keuter Matthias Höhn Britta Haßelmann Dugnus Norbert Kleinwächter Andrej Hunko Dr. Bettina Hoffmann Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17299

(A) Dr. Dr. Gero Clemens Hocker Alexander Müller (C) (Rhein-Neckar) Manuel Höferlin Frank Müller-Rosentritt Michael Theurer Mario Brandenburg Dr. (Südpfalz) Ulla Ihnen (Lausitz) Sandra Bubendorfer-Licht Hagen Reinhold Dr. Marco Buschmann Dr. Florian Toncar Dr. Dr. Karsten Klein Dr. Carl-Julius Cronenberg Dr. Dr. h. c. Thomas Britta Katharina Dassler Daniela Kluckert Sattelberger Johannes Vogel (Olpe) Bijan Djir-Sarai Christian Sauter Christian Dürr Dr. Lukas Köhler Frank Schäffler Nicole Westig Dr. Dr. Marcus Faber Matthias Seestern-Pauly Enthalten Otto Fricke Alexander Graf Lambsdorff Ulrich Lechte AfD Bettina Stark-Watzinger Dr. Rainer Kraft (Heilbronn) Dr. Marie-Agnes Strack- Zimmermann Fraktionslos Dr. Jürgen Martens

Die zweite namentliche Abstimmung war die Abstim- 598. Mit Ja haben gestimmt 54, mit Nein haben gestimmt mung über den Antrag der Fraktion Die Linke zur Äch- 485, enthalten haben sich 59 Kolleginnen und Kollegen. tung bewaffneter Drohnen: abgegebene Stimmkarten Der Antrag ist abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis Ulla Jelpke Andreas Wagner Sebastian Brehm Abgegebene Stimmen: 598; Kerstin Kassner Harald Weinberg Heike Brehmer (B) davon Jutta Krellmann Katrin Werner Ralph Brinkhaus (D) ja: 54 Caren Lay Hubertus Zdebel Dr. Carsten Brodesser nein: 485 Sabine Leidig Gitta Connemann enthalten: 59 Ralph Lenkert Nein Alexander Dobrindt Stefan Liebich Michael Donth Ja CDU/CSU Dr. Gesine Lötzsch Marie-Luise Dött AfD Thomas Lutze Dr. Michael von Abercron Hansjörg Durz Stephan Albani Dr. Heiko Heßenkemper Pascal Meiser Thomas Erndl Amira Mohamed Ali Norbert Maria Altenkamp Hermann Färber Cornelia Möhring Philipp Amthor DIE LINKE Uwe Feiler Niema Movassat Artur Auernhammer Enak Ferlemann Doris Achelwilm Norbert Müller (Potsdam) Peter Aumer Axel E. Fischer (Karlsruhe- Gökay Akbulut Zaklin Nastic Thomas Bareiß Land) Simone Barrientos Dr. Alexander S. Neu Norbert Barthle Dr. Maria Flachsbarth Dr. Dietmar Bartsch Thomas Nord Maik Beermann Thorsten Frei Lorenz Gösta Beutin Petra Pau Manfred Behrens (Börde) Dr. Astrid Freudenstein Matthias W. Birkwald Sören Pellmann Veronika Bellmann Dr. Hans-Peter Friedrich Michel Brandt Victor Perli Sybille Benning (Hof) Jörg Cezanne Tobias Pflüger Dr. André Berghegger Hans-Joachim Fuchtel Sevim Dağdelen Martina Renner Melanie Bernstein Ingo Gädechens Fabio De Masi Bernd Riexinger Christoph Bernstiel Dr. Thomas Gebhart Anke Domscheit-Berg Eva-Maria Schreiber Peter Beyer Alois Gerig Klaus Ernst Dr. Petra Sitte Marc Biadacz Eberhard Gienger Susanne Ferschl Helin Evrim Sommer Steffen Bilger Eckhard Gnodtke Dr. Gregor Gysi Friedrich Straetmanns Peter Bleser Ursula Groden-Kranich Dr. André Hahn Dr. Kirsten Tackmann Norbert Brackmann Hermann Gröhe Heike Hänsel Jessica Tatti Michael Brand (Fulda) Klaus-Dieter Gröhler Matthias Höhn Alexander Ulrich Dr. Reinhard Brandl Michael Grosse-Brömer Andrej Hunko Kathrin Vogler Silvia Breher Astrid Grotelüschen 17300 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

(A) Markus Grübel Bernhard Loos Patrick Schnieder Klaus-Peter Willsch (C) Oliver Grundmann Dr. Jan-Marco Luczak Nadine Schön Oliver Wittke Monika Grütters Daniela Ludwig Dr. Klaus-Peter Schulze Emmi Zeulner Fritz Güntzler Dr. Saskia Ludwig Uwe Schummer Paul Ziemiak Christian Haase Karin Maag Armin Schuster (Weil am Dr. Matthias Zimmer Florian Hahn Yvonne Magwas Rhein) Torsten Schweiger Jürgen Hardt Dr. Thomas de Maizière SPD Matthias Hauer Gisela Manderla Detlef Seif Niels Annen Mark Hauptmann Dr. Astrid Mannes Johannes Selle Ingrid Arndt-Brauer Dr. Matthias Heider Matern von Marschall Reinhold Sendker Heike Baehrens Thomas Heilmann Andreas Mattfeldt Dr. Patrick Sensburg Ulrike Bahr Frank Heinrich (Chemnitz) Stephan Mayer (Altötting) Thomas Silberhorn Nezahat Baradari Mark Helfrich Dr. Michael Meister Björn Simon Doris Barnett Rudolf Henke Jan Metzler Tino Sorge Dr. Matthias Bartke Michael Hennrich Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Jens Spahn Marc Henrichmann Michelbach Katrin Staffler Sören Bartol Ansgar Heveling Dr. Mathias Middelberg Frank Steffel Bärbel Bas Christian Hirte Dietrich Monstadt Dr. Wolfgang Stefinger Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Heribert Hirte Karsten Möring Albert Stegemann Dr. Eberhard Brecht Alexander Hoffmann Elisabeth Motschmann Andreas Steier Leni Breymaier Karl Holmeier Axel Müller Sebastian Steineke Katrin Budde Erich Irlstorfer Sepp Müller Johannes Steiniger Dr. Lars Castellucci Thomas Jarzombek Carsten Müller Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Andreas Jung (Braunschweig) Dieter Stier Dr. Karamba Diaby Ingmar Jung Stefan Müller (Erlangen) Gero Storjohann Esther Dilcher Alois Karl Petra Nicolaisen Stephan Stracke Sabine Dittmar Anja Karliczek Michaela Noll Max Straubinger Dr. Wiebke Esdar Torbjörn Kartes Dr. Georg Nüßlein Karin Strenz Saskia Esken Dr. Stefan Kaufmann Wilfried Oellers Dr. Peter Tauber (B) Yasmin Fahimi (D) Ronja Kemmer Florian Oßner Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Johannes Fechner Roderich Kiesewetter Josef Oster Hans-Jürgen Thies Dr. Fritz Felgentreu Michael Kießling Henning Otte Alexander Throm Dr. Edgar Franke Dr. Georg Kippels Ingrid Pahlmann Dr. Dietlind Tiemann Ulrich Freese Volkmar Klein Sylvia Pantel Antje Tillmann Dagmar Freitag Axel Knoerig Martin Patzelt Markus Uhl Martin Gerster Jens Koeppen Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Volker Ullrich Angelika Glöckner Markus Koob Stephan Pilsinger Arnold Vaatz Kerstin Griese Carsten Körber Dr. Christoph Ploß Oswin Veith Eckhard Pols Bettina Hagedorn Alexander Krauß Kerstin Vieregge Thomas Rachel Rita Hagl-Kehl Gunther Krichbaum Volkmar Vogel (Kleinsaara) Kerstin Radomski Metin Hakverdi Dr. Günter Krings Christoph de Vries Alexander Radwan Dirk Heidenblut Rüdiger Kruse Kees de Vries Alois Rainer Hubertus Heil (Peine) Michael Kuffer Dr. Johann David Wadephul Dr. Peter Ramsauer Marcus Held Dr. Roy Kühne Marco Wanderwitz Eckhardt Rehberg Wolfgang Hellmich Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Nina Warken Lothar Riebsamen Gustav Herzog Andreas G. Lämmel Kai Wegner Josef Rief Gabriele Hiller-Ohm Katharina Landgraf Marcus Weinberg Dr. Silke Launert Johannes Röring (Hamburg) Frank Junge Jens Lehmann Dr. Norbert Röttgen Dr. Anja Weisgerber Thomas Jurk Paul Lehrieder Stefan Rouenhoff Peter Weiß (Emmendingen) Oliver Kaczmarek Dr. Katja Leikert Erwin Rüddel Sabine Weiss (Wesel I) Elisabeth Kaiser Dr. Andreas Lenz Albert Rupprecht Ingo Wellenreuther Ralf Kapschack Antje Lezius Stefan Sauer Marian Wendt Gabriele Katzmarek Andrea Lindholz Dr. Wolfgang Schäuble Kai Whittaker Cansel Kiziltepe Dr. Carsten Linnemann Jana Schimke Annette Widmann-Mauz Arno Klare Patricia Lips Tankred Schipanski Bettina Margarethe Lars Klingbeil Nikolas Löbel Dr. Claudia Schmidtke Wiesmann Anette Kramme Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17301

(A) Christine Lambrecht Michael Thews Enrico Komning Otto Fricke (C) Christian Lange (Backnang) Markus Töns Jörn König Thomas Hacker Dr. Karl Lauterbach Carsten Träger Steffen Kotré Reginald Hanke Sylvia Lehmann Ute Vogt Dr. Rainer Kraft Peter Heidt Helge Lindh Marja-Liisa Völlers Rüdiger Lucassen Markus Herbrand Kirsten Lühmann Dirk Vöpel Jens Maier Torsten Herbst Isabel Mackensen Dr. Joe Weingarten Dr. Lothar Maier Katja Hessel Caren Marks Bernd Westphal Dr. Birgit Malsack- Dr. Gero Clemens Hocker Christoph Matschie Dirk Wiese Winkemann Manuel Höferlin Dr. Matthias Miersch Gülistan Yüksel Corinna Miazga Reinhard Houben Klaus Mindrup Dagmar Ziegler Andreas Mrosek Ulla Ihnen Susanne Mittag Dr. Jens Zimmermann Hansjörg Müller Olaf In der Beek Falko Mohrs Volker Münz Dr. Christian Jung Sebastian Münzenmaier Claudia Moll AfD Karsten Klein Siemtje Möller Christoph Neumann Dr. Marcel Klinge Dr. Bernd Baumann Detlef Müller (Chemnitz) Jan Ralf Nolte Daniela Kluckert Marc Bernhard Michelle Müntefering Ulrich Oehme Pascal Kober Andreas Bleck Dr. Rolf Mützenich Gerold Otten Dr. Lukas Köhler Peter Boehringer Frank Pasemann Dietmar Nietan Konstantin Kuhle Stephan Brandner Tobias Matthias Peterka Ulli Nissen Alexander Kulitz Jürgen Braun Paul Viktor Podolay Josephine Ortleb Alexander Graf Lambsdorff Marcus Bühl Jürgen Pohl Mahmut Özdemir Ulrich Lechte (Duisburg) Matthias Büttner Martin Erwin Renner Michael Georg Link Aydan Özoğuz Petr Bystron Roman Johannes Reusch (Heilbronn) Markus Paschke Tino Chrupalla Ulrike Schielke-Ziesing Oliver Luksic Christian Petry Joana Cotar Dr. Robby Schlund Till Mansmann Dr. Gottfried Curio Florian Post Uwe Schulz Dr. Jürgen Martens Siegbert Droese Achim Post (Minden) Thomas Seitz Alexander Müller Florian Pronold Thomas Ehrhorn (B) Martin Sichert Frank Müller-Rosentritt (D) Dr. Sascha Raabe Berengar Elsner von Detlev Spangenberg Gronow Dr. Martin Neumann Martin Rabanus Dr. Dirk Spaniel (Lausitz) Dr. Michael Espendiller Andreas Rimkus René Springer Hagen Reinhold Peter Felser Dennis Rohde Beatrix von Storch Bernd Reuther Dr. Anton Friesen Dr. Martin Rosemann Dr. Harald Weyel Dr. Stefan Ruppert Markus Frohnmaier René Röspel Wolfgang Wiehle Dr. h. c. Thomas Michael Roth (Heringen) Dr. Alexander Gauland Dr. Heiko Wildberg Sattelberger Bernd Rützel Albrecht Glaser Dr. Christian Wirth Christian Sauter Johann Saathoff Franziska Gminder Frank Schäffler Wilhelm von Gottberg Axel Schäfer (Bochum) FDP Dr. Wieland Schinnenburg Dr. Nina Scheer Armin-Paulus Hampel Matthias Seestern-Pauly Grigorios Aggelidis Marianne Schieder Mariana Iris Harder-Kühnel Frank Sitta Renata Alt Uwe Schmidt Dr. Roland Hartwig Judith Skudelny Dagmar Schmidt (Wetzlar) Jochen Haug Christine Aschenberg- Dugnus Bettina Stark-Watzinger Carsten Schneider (Erfurt) Martin Hebner Jens Beeck Dr. Marie-Agnes Strack- Johannes Schraps Udo Theodor Hemmelgarn Zimmermann Dr. Jens Brandenburg Michael Schrodi Waldemar Herdt (Rhein-Neckar) Benjamin Strasser Ursula Schulte Martin Hess Mario Brandenburg Katja Suding Martin Schulz Karsten Hilse (Südpfalz) Linda Teuteberg Swen Schulz (Spandau) Martin Hohmann Sandra Bubendorfer-Licht Michael Theurer Frank Schwabe Dr. Bruno Hollnagel Dr. Marco Buschmann Stephan Thomae Stefan Schwartze Leif-Erik Holm Karlheinz Busen Manfred Todtenhausen Rita Schwarzelühr-Sutter Johannes Huber Carl-Julius Cronenberg Dr. Florian Toncar Rainer Spiering Fabian Jacobi Britta Katharina Dassler Dr. Andrew Ullmann Svenja Stadler Dr. Marc Jongen Bijan Djir-Sarai Gerald Ullrich Martina Stamm-Fibich Jens Kestner Christian Dürr Johannes Vogel (Olpe) Sonja Amalie Steffen Stefan Keuter Hartmut Ebbing Sandra Weeser Kerstin Tack Norbert Kleinwächter Dr. Marcus Faber Nicole Westig 17302 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

(A) Fraktionslos Matthias Gastel Christian Kühn (Tübingen) Dr. Manuela Rottmann (C) Lars Herrmann Kai Gehring Renate Künast Corinna Rüffer Stefan Gelbhaar Markus Kurth Ulle Schauws Monika Lazar Enthalten Katrin Göring-Eckardt Stefan Schmidt Erhard Grundl Sven Lehmann Charlotte Schneidewind- BÜNDNIS 90/ Anja Hajduk Steffi Lemke Hartnagel DIE GRÜNEN Britta Haßelmann Dr. Tobias Lindner Kordula Schulz-Asche Lisa Badum Dr. Bettina Hoffmann Dr. Irene Mihalic Dr. Wolfgang Strengmann- Annalena Baerbock Dr. Anton Hofreiter Beate Müller-Gemmeke Kuhn Margarete Bause Ottmar von Holtz Dr. Ingrid Nestle Margit Stumpp Dr. Danyal Bayaz Dr. Kirsten Kappert- Dr. Konstantin von Notz Markus Tressel Canan Bayram Gonther Omid Nouripour Jürgen Trittin Dr. Franziska Brantner Uwe Kekeritz Friedrich Ostendorff Dr. Julia Verlinden Agnieszka Brugger Katja Keul Cem Özdemir Daniela Wagner Dr. Anna Christmann Maria Klein-Schmeink Lisa Paus Ekin Deligöz Sylvia Kotting-Uhl Filiz Polat Fraktionslos Katharina Dröge Oliver Krischer Tabea Rößner Harald Ebner Stephan Kühn (Dresden) Claudia Roth (Augsburg) Mario Mieruch

Jetzt kommen wir zum nächsten Redner in der laufen- siven 5G-Strategie von 2017 kam das Thema „Sicherheit den Debatte: Uwe Schulz für die AfD-Fraktion. der Netzausrüster“ nicht vor, und bei den Frequenzvers- teigerungen waren für Sie, für die Bundesregierung, die (Beifall bei der AfD) Erlöse wichtiger als alle Sicherheitsaspekte.

Uwe Schulz (AfD): (Falko Mohrs [SPD]: Das ist doch Quatsch! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits Kriterien waren doch schon angekündigt! Ein vor zehn Monaten forderte die AfD die Bundesregierung bisschen Faktenkenntnis hilft!) auf, endlich Maßnahmen für die Sicherheit unserer Kom- Dabei müsste doch auch die Bundesregierung verstan- (B) munikationsnetze zu ergreifen. Im Gegensatz zu den (D) meisten in diesem Haus war uns schon damals klar, dass den haben, um was es geht: Das 5G-Netz wird in Zukunft bei 5G in puncto Sicherheit Handlungsbedarf besteht. die zentrale kritische Infrastruktur für wesentliche gesell- schaftliche und wirtschaftliche Funktionen sein. Daher Auf der einen Seite muss der Gesetzgeber den recht- haben Ihre verantwortungsvollen Beamten in die Risiko- lichen Rahmen überprüfen und anpassen. bewertung hineingeschrieben, dass die Kernkomponen- Vor allem muss politisch garantiert sein, dass im 5G- ten des 5G-Netzes beherrschbar sein müssen und Netz- Netz nur Komponenten von vertrauenswürdigen Unter- lieferanten im Zweifel auszuschließen sind. So weit die nehmen verbaut werden. Für die AfD ist klar: Unterneh- Theorie; denn wieder scheint die Arroganz der Kanzlerin men, die unter massivem Einfluss undemokratischer die Oberhand zu gewinnen. Frau Merkel weiß zwar ganz Staaten stehen und zur Spionage gezwungen werden kön- genau, dass unsere Nachrichtendienste dringend davor nen, sind keine Partner für uns. warnen, auf den chinesischen Netzausrüster Huawei für das deutsche 5G-Netz zurückzugreifen. Aber die Bundes- (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] kanzlerin sendet trotzdem positive Signale nach China [CDU/CSU]: Was ist denn mit Russland und aus. Während Frau Merkel an ihre eigene Unfehlbarkeit China bei Ihnen?) glaubt, verfällt der Wirtschaftsminister in Angst und be- Sie alle haben unseren Antrag vom 13. Februar abgelehnt, fürchtet Sanktionen Chinas, wenn Huawei nicht zum Zu- es gab keine Änderungsanträge, nichts. ge kommt. Die Bundesrepublik Deutschland, meine Da- men und Herren, lässt sich also von einem Land (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Seit 2018!) erpressen, an das wir jährlich mehr als eine halbe Milliar- Aber jetzt kommen Sie mit ähnlichen Forderungen um de Euro an Entwicklungshilfe überweisen. die Ecke. Ihnen, liebe Kollegen von FDP und Grünen, ist (Beifall bei der AfD) Deutschlands Sicherheit offensichtlich nur dann wichtig, wenn es in Ihr parteipolitisches Konzept passt. Merken Sie was?

(Beifall bei der AfD – Ursula Groden-Kranich Sie wissen doch auch – die Bundesregierung, die nicht [CDU/CSU]: Das sagen ja die Richtigen! – vorhanden ist –, dass China zur Stärkung der eigenen Falko Mohrs [SPD]: Schon ein bisschen wirr Wirtschaft einen extrem harten Kurs fährt: Das Verban- jetzt!) nen ausländischer Computertechnik aus chinesischen Be- Meine Damen und Herren, es ist ein Trauerspiel. Ob- hörden ist da nur ein Beispiel. Sieht so Vertrauen aus, wohl 5G längst in den Startlöchern steht, zeigt die Regie- meine Damen und Herren? Sieht so Partnerschaft aus? rungskoalition keine klare Haltung. In Ihrer ach so offen- Ich meine: Nein. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17303

Uwe Schulz (A) Es geht hier um die Frage, ob wir als Bundesrepublik das will ich Ihnen gar nicht abstreiten, vor allem ich per- (C) Deutschland die Reste unserer digitalen Souveränität in sönlich nicht. Dann tun Sie hier aber so, als ob Sie mit die Hände der Kommunistischen Partei Chinas legen oder dem Antrag irgendwie maßgeblich gewesen wären. Der ob wir eine selbstbewusste Außen- und Wirtschaftspolitik Antrag – ich habe noch mal nachgeguckt – datiert vom machen wollen, die unsere Souveränität verteidigt oder 17.12. Da hatten übrigens andere Fraktionen schon längst sogar zurückbringt. einen Tagesordnungspunkt angemeldet. Es ist schon ein bisschen durchschaubar, hinterher so kurz vor knapp auf Wir fordern die Bundesregierung auf, ihr peinliches ein Thema zu setzen, das andere auf die Tagesordnung Versteckspiel zu beenden und sich endlich eindeutig zu gebracht haben. Das ist doch ein bisschen arm. positionieren. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wann (Beifall bei der SPD) fahren Sie denn wieder nach Putin?) Aber sehen wir nach vorne. Wir haben drei wichtige Aber vielleicht, meine Damen und Herren der Regie- Dimensionen der Sicherheit, die wir jetzt in den Blick rungsparteien, wird Ihr Blick etwas klarer, wenn Sie sich nehmen müssen. Wir reden eindeutig über den Schutz endlich aus der Abhängigkeit von Huawei als Sponsor vor Spionage, wir reden über den Schutz vor Sabotage, Ihrer Parteitage verabschieden; und wir reden über eine eigenständige europäische tech- nische Souveränität. Das sind die drei Dimensionen, mei- (Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Wir ne Damen und Herren, die wir als Bundesregierung in den nicht!) Blick nehmen. denn das ist längst überfällig. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank. GRÜNEN]: Als Bundesregierung?) (Beifall bei der AfD) Das tun wir am Ende übrigens nicht nur mit Blick auf ein Land oder einen Hersteller; vielmehr geht es darum, Kri- Vizepräsidentin Claudia Roth: terien aufzustellen, bei denen nicht nur technische Aspek- Danke schön. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion: te eine Rolle spielen, sondern eben auch politische Ver- Falko Mohrs. trauenswürdigkeit. Die Unabhängigkeit von nicht rechtsstaatlichen Eingriffen gehört ausdrücklich dazu, (Beifall bei der SPD) meine Damen und Herren. Das sind die wichtigen harten Falko Mohrs (SPD): Kriterien, die aus unserer Sicht am Ende für alle gelten, (B) unabhängig von der Herkunft, unabhängig vom Namen (D) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- des Herstellers, meine Damen und Herren. ren! Wir reden also über die Sicherheit einer der kriti- schen Infrastrukturen schlechthin. Auf der einen Seite (Beifall bei der SPD) wird 5G, die fünfte Mobilfunkgeneration, kritische Infra- strukturen wie die Energieversorgung steuern, Industrie- Parallel dazu muss es – das ist doch völlig klar – auch prozesse steuern, auf der anderen Seite stellt 5G selbst um technische Sicherheit gehen, also um offene Source eine kritische Infrastruktur dar. Das macht deutlich, wa- Codes. Es muss um eine Zertifizierung gehen. Da haben rum Sicherheit ein immens wichtiges Thema ist, wenn wir mit dem BSI einen guten Partner an der Seite. Aber wir über 5G reden. noch mal in aller Deutlichkeit: Die technische Sicherstel- Auch wenn das manche hier behaupten: Wir reden na- lung alleine, meine Damen und Herren, wird es nicht türlich nicht erst in den letzten Wochen über die Sicher- regeln. heit bei 5G, sondern schon seit Jahren. Herr Kollege Schulz, wenn Sie schon von Ihrer Fraktion, der AfD, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE als Redner ans Pult geschickt werden, dann tun Sie uns GRÜNEN]: Na, dann mal los!) doch wenigstens den Gefallen und machen sich vorher Deswegen: Wir brauchen einen schnellen, einen zuver- mit den Fakten vertraut. Denn bei der Frequenzvergabe lässigen, einen sicheren Ausbau. Dafür brauchen wir Anfang dieses Jahres haben beispielsweise die Kriterien – schnell Klarheit. Das werden wir hinbekommen. Das der Kollege Bernstiel hat es erwähnt –, die jetzt gerade werden wir leisten, meine Damen und Herren. Sichere formuliert werden, bereits eine Rolle gespielt, und die 5G-Netze sind notwendig. Referenz darauf war doch in der Frequenzversteigerung da. Also bitte: Faktenwissen hilft, wenn man hier im Bun- Danke schön. destag redet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie des Abg. der CDU/CSU) Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]) Herr Kollege von Notz, Sie referieren hier, über Jahre zurückblickend, warum Sie dieses Thema schon immer Vizepräsidentin Claudia Roth: als so wichtig angesehen haben; Vielen Dank, Falko Mohrs. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Manuel Höferlin. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anträge dazu gestellt haben!) (Beifall bei der FDP) 17304 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

(A) Manuel Höferlin (FDP): (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Wie soll (C) Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- denn das gehen? Das geht doch gar nicht!) legen! Herr Kollege von Notz, natürlich haben wir über Jeder, der IT kennt, weiß, das ist albern: Egal wie kurz Sie den großen Bereich der Sicherheit zu sprechen, aber heute das entschlüsseln, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geht es um 5G-Netze und um die Sicherheit darin. Des- macht nur Sinn, wenn sie wirklich von Ende zu Ende wegen will ich mich auf diesen Punkt konzentrieren. besteht. Das Entscheidende ist doch, dass Sie um den Elefanten Sie wollen Messenger-Dienste gesetzlich zur Ent- im Raum herumreden. Reden wir doch mal Klartext. Es schlüsselung zwingen. Gleichzeitig behaupten Sie aber, geht darum: Wem wollen wir wie vertrauen in den 5G- Sie wollen Verschlüsselungsland Nummer eins sein. Netzen? Das ist nichts Neues, sondern darüber wird schon lange gesprochen. Jetzt höre ich von der GroKo: Na ja, Und Sie wollen – darüber haben wir diese Woche auch wir haben schon darüber gesprochen, vom CDU-Parteitag schon diskutiert – Provider gesetzlich zwingen, Passwör- gibt es eine Haltung. ter von Nutzerkonten auszuhändigen. (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Beschluss!) (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Durch Wie- derholungen wird es nicht richtiger!) Aber es ist letztendlich nicht so klar. Es ist so unklar, dass unser Antrag, der heute eigentlich abgestimmt wer- Gleichzeitig reden Sie aber darüber, bei 5G-Netzen den sollte, am Mittwoch im federführenden Ausschuss alles sicher zu machen, nur vertrauenswürdige Partner von der Großen Koalition von der Tagesordnung genom- das 5G-Netz aufbauen zu lassen. Fangen Sie doch mal men wurde – gegen die Stimmen aller anderen Fraktio- bei sich selbst an! Einigen Sie sich mal innerhalb der nen –, weil Sie nämlich keine abgestimmte Meinung ha- CDU, wohin die Reise gehen soll, vielleicht mit Ihrer ben. Sie wissen nicht genau, was Sie wollen; sonst hätten Kanzlerin. Einigen Sie sich doch mal untereinander! Sie unseren Antrag heute hier nämlich entscheiden las- (Falko Mohrs [SPD]: Das sagt ausgerechnet die sen, meine Damen und Herren. FDP, die nichts machen will!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Herr Bernstiel, Sie haben versucht, uns zu erklären, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) was der Unterschied zwischen Regierung und Opposition Es ist auch nicht klar, was CDU-Linie ist, Kollege ist. Das kann ich Ihnen auch sagen: Bernstiel. Sie sagen: Na, da gibt es einen Beschluss. – (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir ge- Nur, Ihre Kanzlerin hat eine ganz andere Meinung. Es ist stalten, und ihr wisst es nur besser! – Heiterkeit völlig unklar, wohin eigentlich die Reise gehen soll. (B) bei Abgeordneten der CDU/CSU) (D) (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Sie hat mit- Die Opposition hat zu diesem Thema eine Haltung. gestimmt! Sie hat zugestimmt! Stimmt nicht!) (Beifall bei der FDP und der AfD sowie bei Also einigen Sie sich doch einmal! Und die Frau Kanz- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE lerin sollte mal überlegen, was ihre eigenen Nachrichten- GRÜNEN und der Abg. Anke Domscheit-Berg dienste zu ihr sagen, und vielleicht ein bisschen darauf [DIE LINKE]) hören. Es geht nämlich im Kern um die Frage: Vertrauen wir eigentlich zum Beispiel Unternehmen wie Huawei, Es geht kaum mehr Widerspruch bei diesem Thema, aber auch anderen Unternehmen aus China? Es gibt natür- meine Kollegen. Klären Sie Ihr Verhältnis zwischen den lich auch andere Unternehmen. Deswegen sollte man klar Überwachungsfantasien, die Sie haben, und der IT-Si- sagen, wie man für die IT-Sicherheit in den 5G-Netzen cherheit! Der Rest des Parlaments hat es offensichtlich sorgen möchte. getan. Man kann sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Aber finden Sie bitte Ihre Haltung! Und Sie, liebe GroKo, sollten sich auch mal auf eine gemeinsame Position einigen. Es gibt zwar schon inner- Herzlichen Dank. halb der CDU Probleme, aber dann sollten Sie sich mal (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gemeinsam einigen. Es sind nämlich nicht nur die Ge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der fahren der IT-Sicherheit da. Vielmehr ist die GroKo im Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE]) Moment selbst eine Gefahr für die IT-Sicherheit mit dem, was sie an Verfahren auf den Weg bringt. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vielen Dank, Manuel Höferlin. – Nächste Rednerin: der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- für die Fraktion Die Linke Petra Pau. NEN) (Beifall bei der LINKEN) Sie wollen nämlich auch selbst Sicherheitslücken in den 5G-Standard einbauen. Petra Pau (DIE LINKE): Sie wollen, dass Behörden weiter abhören können; Sie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und wollen, dass die Verschlüsselung, die darin eigentlich ent- Kollegen! Nach der Aktuellen Stunde vom Mittwoch, den halten sein könnte, unterwegs abgebaut wird, zwischen- Debatten gestern und dem ersten Tagesordnungspunkt durch nur für den Bruchteil einer Sekunde mal die Daten heute Morgen befassen wir uns nun zum wiederholten entschlüsselt werden. Mal mit dem Thema „Digitalisierung und Datenschutz“. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17305

Petra Pau (A) Das unterstreicht den Stellenwert dieses Themas, wie ich ber beschlossen: Über den 5G-Netzausbau muss im Deut- (C) namens der Fraktion Die Linke finde. schen Bundestag entschieden werden. Wir debattieren heute hier im Bundestag. Das ist ein erster Schritt. (Beifall bei der LINKEN) (Manuel Höferlin [FDP]: „Ein erster Schritt“ – Dazu sind mehrere Anträge im parlamentarischen Gang das ist ja dramatisch!) bzw. liegen heute hier auf dem Tisch. Der Antrag der Linken dazu stand schon im Sommer hier auf der Tages- Weitere Schritte werden folgen. ordnung. Die einzige Leerstelle besteht tatsächlich bei Das 5G-Mobilfunknetz wird im kommenden Jahrzehnt den Fraktionen, die die Große Koalition tragen. zum zentralen Nervensystem unseres Staates. Es wird alle Ich will über den Antrag der Grünen reden. Er be- Bereiche unserer Wirtschaft und Gesellschaft eng mitei- schreibt unter anderem den Nachholbedarf in der Bundes- nander verzahnen. Das unterstreicht auch die völlig neue republik. Wir als Linke stimmen Ihrer mahnenden Kritik Dimension des 5G-Mobilfunknetzes. Umso wichtiger ist: zu. Bei alledem geht es übrigens nicht um Themen für Fremde oder gar undemokratische Staaten dürfen keinen Netz- oder Datenfreaks, sondern um Grundsätzliches, uns Zugriff auf unsere 5G-Infrastruktur erlangen. Das erfor- alle im Alltag Betreffendes. Deshalb möchte ich hier an dert eine sicherheitspolitische Bewertung; eine rein si- ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr cherheitstechnische Bewertung reicht hier bei Weitem 1983 erinnern, allgemein als Volkszählungsurteil be- nicht aus. kannt. Darin heißt es sinngemäß: Bürgerinnen und (Manuel Höferlin [FDP]: Sehr richtig!) Bürger, die nicht mehr wissen oder wissen können, wer was über sie weiß, sind nicht mehr souverän. Eine Demo- Dieser Punkt muss sich deshalb auch im zu überarbeiten- kratie ohne Souveräne ist aber undenkbar. den IT-Sicherheitsgesetz und in der Novelle zum Tele- kommunikationsgesetz wiederfinden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, in unserem Land höre ich häufig die Klage: Deutsche und europäische Spitzentech- Neben dieser politischen Dimension geht es zuneh- nologien wandern immer stärker ins Ausland ab. – Wenn mend auch um ganz Alltägliches, ob Verkehr und Trans- das auch unsere Sorge hier im Bundestag ist, dann sollten port, Energie- und Wasserversorgung, Gesundheit oder wir beim 5G-Ausbau in Deutschland und Europa jetzt Ernährung: Zunehmend sind all diese Bereiche vernetzt. einen strategischen Ansatz verfolgen. Von den weltweit Die Debatte heute Morgen zur KI hat uns das noch einmal fünf Mobilfunkausrüstern, die derzeit für den 5G-Ausbau sehr deutlich gemacht. Das heißt aber auch: Unser ganzes infrage kommen, stammen zwei Unternehmen aus der Leben ist störanfällig, sofern nicht ein hinreichender (B) Europäischen Union – noch, muss man an dieser Stelle (D) Netz- und auch Datenschutz gewährleistet wird. sagen; denn der Markt ist hart umkämpft, und nicht jeder Nun reden wir aktuell über 5G, also die fünfte Genera- Marktakteur unterliegt rein betriebswirtschaftlichen Kri- tion nicht nur von Mobilfunknetzen, sondern insgesamt terien. von Datennetzen. Dabei wird der Finger gern mahnend Das heißt im Umkehrschluss: Europäische 5G-Ausrüs- Richtung China als technischem Anbieter gestreckt. Das ter können in nur wenigen Jahren aus dem Markt gedrängt mag berechtigt sein; aber genauso gut können wir in werden. Das heißt, dass wir die europäische Industriepo- Richtung USA schauen, deren Überwachungsmaschine- litik auf den Plan rufen sollten. Denn wo, wenn nicht bei rie riesig ist, wie wir spätestens seit den Enthüllungen von dieser kritischen Infrastruktur, sollten wir einen industrie- Edward Snowden wissen. Und mancher hier im Saale politischen Ansatz verfolgen? könnte sich auch an die eigene Nase fassen, wenn es um Befugnisse für unsere Sicherheitsbehörden geht. Die (Beifall bei der CDU/CSU) Gier nach persönlichen, also eigentlich geschützten Da- Dabei geht es nicht darum, die Subventionsgießkanne ten, ist auch bei deutschen Sicherheitsbehörden groß. Der auszupacken und staatliche Gelder an die 5G-Ausrüster Kollege Höferlin hat den ganzen Katalog von Fragen auf- in Europa zu verteilen. Es geht darum, europäische An- gezählt, die hier zu klären sind. bieter beim 5G-Ausbau durch entsprechende gesetzliche Also lassen Sie uns endlich über eine Strategie reden Regelungen verstärkt zu berücksichtigen – im Interesse und Maßnahmen miteinander treffen! unserer inneren Sicherheit und Ordnung und im Interesse einer stärkeren technologischen Souveränität unseres (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Landes und der Europäischen Union. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wir müssen das 5G-Netz so sicher wie möglich machen. Ich bin mir sicher, dass die Vizepräsidentin Claudia Roth: Fraktionen von Union und SPD hier schon sehr bald einen Vielen Dank, Petra Pau. – Nächster Redner: für die gemeinsamen Weg finden werden. CDU/CSU-Fraktion Stefan Rouenhoff. (Manuel Höferlin [FDP]: Das ist zu hoffen!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich lade alle anderen Parteien ein, an der Debatte weiter teilzunehmen Stefan Rouenhoff (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Manuel Höferlin [FDP]: Das machen wir ja Kollegen! Der CDU-Bundesparteitag hat am 23. Novem- jetzt schon! – Dr. Konstantin von Notz [BÜND- 17306 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Stefan Rouenhoff (A) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Hallo? Das ist unser (Manuel Höferlin [FDP]: Sehr gute Punkte!) (C) Antrag!) Das sind alles sehr klare Kriterien. Wenn man die anlegt, und den Antrag, der dann kommen wird, entsprechend dann kommt man zu einem deutlichen Ergebnis, und das mit auf den Weg zu bringen. will ich auch aussprechen: nämlich dass chinesische An- bieter am Ausbau von 5G nicht beteiligt werden sollten. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten! (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der CDU/CSU) Abg. Manuel Höferlin [FDP] und Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Vizepräsidentin Claudia Roth: Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Oh! Oh!) Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege. – Nächster Red- Damit bin ich beim zweiten Punkt, nämlich der tech- ner in der Debatte: Christoph Matschie für die SPD-Frak- nologischen Souveränität. Europa muss selbst in der Lage tion. sein, diese kritische Infrastruktur herzustellen und zu be- treiben. Wir erleben in der letzten Zeit einen massiven (Beifall bei der SPD) Verdrängungswettbewerb. Ja, China hat sich vorgenom- men, bis zur Mitte des Jahrhunderts die führende Kraft Christoph Matschie (SPD): auf diesem Globus zu sein, und es unternimmt auch tech- Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! nologisch alles, um diese Führungsrolle auszubauen. Wir Die Debatte hat es jetzt noch mal klargemacht: Wenn es dürfen aber nicht einfach zuschauen, sondern wir müssen um die digitale Souveränität Deutschlands und Europas unsere eigene Strategie dagegensetzen und dafür sorgen, geht, steht das Thema 5G-Netzausbau ganz oben auf der dass Europa technologisch unabhängig bleibt. Tagesordnung. Das ist auch nicht verwunderlich. Denn (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dieses Netz, das hier aufgebaut wird, wird so etwas wie der CDU/CSU und der Abg. Margarete Bause das Nervensystem der modernen Wirtschaft und Gesell- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schaft. Die allermeisten Kommunikationen werden darü- ber abgewickelt werden, sei es unsere persönliche Kom- munikation, sei es die in den Bereichen Verwaltungen, Vizepräsidentin Claudia Roth: Dienstleistungen und Industrie bis hin zum autonomen Herr Matschie, kommen Sie bitte zum Schluss. Fahren. Das heißt: Wir haben es hier mit einer extrem kritischen Infrastruktur zu tun, und deshalb muss für die- Christoph Matschie (SPD): sen Bereich gelten: Oberste Sicherheit hat Priorität, und Und damit bin ich beim Schluss, Frau Präsidentin. – (B) technologische Beherrschbarkeit durch uns selbst hat Einige sind ja der Meinung: Wenn man die chinesischen (D) ebenso Priorität. Anbieter ausschließt, dann kommen wir nicht schnell ge- nug ans Ziel. – Wenn man in andere Technologiestaaten (Beifall bei der SPD sowie des Abg. wie die USA oder Japan schaut, stellt man fest: Die bauen Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]) mit europäischen Anbietern ihr 5G-Netz aus und sind Was heißt das im Einzelnen? Die EU-Mitgliedstaaten zum Teil schon weiter als wir. Also daran kann es nicht haben eine gemeinsame Risikoanalyse zum 5G-Ausbau liegen. vorgenommen, und diese Risikoanalyse kommt zu einem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zu- sehr klaren Schluss, nämlich dass eine rein technische ruf der Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE LIN- Sicherheit beim Ausbau von 5G nicht herstellbar ist. 5G KE]) ist einfach nicht nur ein ein bisschen schnelleres LTE, sondern eben eine grundsätzlich deutlich verbesserte Lassen Sie uns jetzt handeln! Technologie mit einem sehr hohen Anteil an Software, Vielen Dank. der dabei eine Rolle spielt. Deshalb muss es neben tech- nischen Sicherheitsanforderungen, die natürlich für alle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Anbieter gelten, auch andere Sicherheitsanforderungen der CDU/CSU) geben. Und da ist die gemeinsame Empfehlung der euro- päischen Mitgliedstaaten auch eindeutig: Es muss die Vizepräsidentin Claudia Roth: Vertrauenswürdigkeit der Ausrüster für dieses Netzwerk geprüft werden. Vielen Dank, Christoph Matschie. – Letzter Redner in dieser Debatte: Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fraktion. der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Für die Vertrauenswürdigkeit gibt es sehr klare Kriterien. Dazu gehört zum Beispiel, dass kein anderer Staat unmit- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): telbar Einfluss auf ein solches Unternehmen ausüben Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und kann. Dazu gehört zum Beispiel, dass das Unternehmen Herren! Im nächsten Jahrzehnt wird die Frage der Cyber- rechtsstaatlich kontrollierbar sein muss. Dazu gehört un- sicherheit mit das bestimmende Thema werden. Digitali- ter anderem, dass die Eigentümerstruktur klar sein und sierung und KI bringen große Chancen, die wir aber auch das Unternehmen seine Beziehungen diesbezüglich of- absichern müssen. Wir brauchen Sicherheit für den Ein- fenlegen muss. zelnen. Der Kernbereich der Persönlichkeit muss ge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17307

Dr. Volker Ullrich (A) schützt werden, also wenn es um digitale Krankenakten, ze – und perspektivisch auch der 6G- und 7G-Netze – zu (C) E-Mails und das Einkaufsverhalten geht. Die Persönlich- einem Weltmarktführer zu machen? Welche Fähigkeiten keit kann vollständig vermessen werden. Deswegen ist brauchen wir dafür? Was müssen wir heute im Bereich die Frage des Schutzes eine der zentralen der Cybersi- Wirtschaft, aber auch in den Bereichen Bildung und For- cherheit. schung tun, um hier deutlich vorne zu liegen? Das wird die große industriepolitische Frage des kommenden Jahr- Es geht aber auch um die kritische Infrastruktur, nicht zehnts sein, und die müssen wir für uns positiv beantwor- nur um Strom- und Versorgungsnetze, sondern auch um ten. Das gelingt nicht mit kurzfristigem Denken, sondern Nahrungsmittelketten, um Zulieferung und um unser Ge- wir müssen klar und deutlich machen, dass wir bei diesem sundheitswesen. Deswegen brauchen wir hier eine Fort- Thema nicht naiv sein dürfen, meine Damen und Herren. schreibung des IT-Sicherheitsgesetzes, um das grundle- gende Zusammenleben in unserem Land absichern zu (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE können, und deswegen brauchen wir übrigens auch eine GRÜNEN]: Das ist wichtig!) klare Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Insgesamt gilt: Wir müssen das Thema 5G im Gesamt- Es war falsch und es ist nicht in Ordnung, wie auch hier zusammenhang diskutieren. Wir müssen über Zertifizie- über unsere Sicherheitsbehörden gesprochen wird. Wir rung, über Verschlüsselung, über Softwarecodes spre- brauchen gerade aufgrund der Herausforderungen durch chen, aber insgesamt eine klare Haltung haben, dass die Terrorismus und Kriminalität einen Abgleich zwischen digitale Souveränität unseres Landes im Mittelpunkt Freiheit und Sicherheit und rechtsstaatliche Befugnisse steht. für unsere Behörden, um schwere Straftaten aufzuklären und zu verhindern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Manuel Höferlin (Beifall bei der CDU/CSU) [FDP]: Aber verfassungskonforme Varianten davon!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Und ja, wir müssen auch über 5G reden. Es ist klar, Vielen Dank, Dr. Volker Ullrich. – Damit schließe ich dass dieses Netz mit das wichtigste Infrastrukturprojekt die Aussprache. der nächsten Jahre werden wird. Es geht darum, ob wir als Industriegesellschaft den Anschluss schaffen oder den Wir kommen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Anschluss verlieren. Das hängt auch vom Netzausbau Grünen auf Drucksache 19/16049 mit dem Titel „Maß- ab; das ist gar keine Frage. Aber ich glaube, wir sollten nahmen zur Gewährleistung der Integrität digitaler Infra- (B) über diese Frage sehr differenziert und besonnen spre- strukturen, Geräte und Komponenten – Für eine größere (D) chen. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir zwischen digitale Souveränität Deutschlands und Europas“. Die dem Zugangsnetz und dem Kernnetz aufteilen. Je intensi- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung ver und sensibler die jeweilige Netzinfrastruktur wird, in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und SPD desto klarer muss ein Schutz gewährleistet sein: vor Zu- wünschen Überweisung an den Ausschuss für Inneres griffen, vor Sabotage und vor dem Abfluss von Daten. und Heimat. Aber es geht nicht allein um die Frage, wie wir unser Netz vor Zugriffen schützen können, sondern auch da- Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den rum, dass wir uns nicht in eine einseitige Abhängigkeit Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: begeben dürfen. Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich nicht. Dann (Beifall der Abg. Elisabeth Motschmann ist der Überweisungsvorschlag bei Zustimmung der Frak- [CDU/CSU] und Olaf in der Beek [FDP]) tionen Die Linke, SPD, CDU/CSU und FDP und Gegen- Eine Monopolstruktur in diesem Bereich kann dazu füh- stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der AfD ange- ren, dass wir verwundbar werden. Das müssen wir unter nommen. Das heißt, wir stimmen deswegen nicht über allen Umständen vermeiden. den Antrag in der Sache ab. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf des Abg. Olaf in der Beek [FDP]) Drucksache 19/16058 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist Es gibt aber noch weitere Fragen, meine Damen und allerdings strittig. Die Fraktionen CDU/CSU und SPD Herren. Wir müssen uns fragen: Welche Fähigkeiten ha- wünschen Federführung beim Ausschuss für Inneres ben wir in Deutschland und in Europa selbst? und Heimat. Die Fraktion der AfD wünscht Federführung Es geht um die Frage, ob wir imstande sind, ein Netz beim Ausschuss Digitale Agenda. selbst zu bauen und zu betreiben, und zwar nicht in Ab- hängigkeit von einem Unternehmen, sondern durch tech- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- nologische und intellektuelle Souveränität in Europa. schlag der Fraktion der AfD, also Überweisung an den Diese Frage werden wir in den nächsten Jahren noch Ausschuss Digitale Agenda. Wer stimmt für diesen Vor- deutlicher zu diskutieren haben. schlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Zuge- Wir müssen uns fragen: Welche industriepolitische stimmt haben die Fraktionen von AfD und FDP. Dage- Strategie braucht es, um Europa im Bereich der 5G-Net- gengestimmt haben alle anderen Fraktionen hier im Haus. 17308 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- den. Kann in deutschen Behörden ja mal passieren, dass (C) schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Jetzt geht man eine Großstadt übersieht. es um die Federführung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- (Beifall bei der AfD) schlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe Herr Maas stellt sich jetzt in Genf hin und bejubelt die ich keine. Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. Migration als komplett alternativlos. Und er bejubelt sie Zugestimmt haben die Fraktionen von Linken, CDU/ gemeinsam mit NGOs, mit Nichtregierungsorganisatio- CSU, SPD und Grünen. Dagegengestimmt haben die nen. Ohne die entsprechenden Zielländer einzubeziehen, Fraktionen von AfD und FDP. – Vielen herzlichen Dank. ohne den Bundestag einzubeziehen, wird hier von NGOs und Herkunftsländern über die Zukunft der Zielländer Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 23 auf: wie Deutschland bestimmt. Denn es ging in Genf auch Aktuelle Stunde um ganz klare Verantwortlichkeiten, die dem Bundestag zukommen, und deswegen ist die Notwendigkeit einer auf Verlangen der Fraktion der AfD Debatte im Bundestag gegeben. Das Globale Flüchtlingsforum in Genf und ein Es ging in Genf mal wieder um die Verwaltung der Grundrechtekatalog für Menschen mit afrika- Migration. Es ging nicht um die Ursachenbekämpfung; nischer Abstammung es ging nicht um die Bevölkerungsexplosion gerade in Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die sich an der Afrika; es ging nicht um die Geburtenkontrolle in Afrika – Debatte beteiligen wollen, sich möglichst rasch hinzuset- unter anderem dort –, nicht um die Bekämpfung afrikani- zen, und die anderen bitte ich, zügig den Raum zu ver- scher Korruption und nicht um Waffenhandel. Nein, es lassen. ging definitiv wieder nur um die „begrüßenswerte“ Vor- gehensweise bei der Migration. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Martin Hebner von der AfD-Fraktion. Jetzt gibt es Verpflichtungen im Rahmen von Projek- ten, die sich damit beschäftigen, wie die Lage der migrier- (Beifall bei der AfD) enden Menschen zu verbessern ist, wie ihr Aufenthalt zu verbessern ist, wie auch die weiteren Fluchtrouten zu ge- Martin Hebner (AfD): stalten sind. Wieder gibt es keine Lösung für das Problem. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Jahr Dafür werden 15 000 neue Stellen für NGOs finanziert, ist es her, dass wir hier über den Globalen Pakt für Migra- unter anderem natürlich mit unserer, mit Deutschlands tion diskutiert haben; Mithilfe. (B) (D) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Meine Damen und Herren, ich war Ende letzten Mo- GRÜNEN]: Ach, daher weht der Wind!) nats auf einer der Fluchtrouten auf dem Balkan. Ich habe mir die Lage in Bihac an der Grenze zu Kroatien ange- Sie erinnern sich, auch wenn es einigen von Ihnen unan- schaut. Dort sieht man Tausende junger Männer, deren genehm sein dürfte. einziges Ziel ist, nach Deutschland zu gelangen, Tausen- de junge Muslime, die unbedingt nach Deutschland kom- (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: men wollen, Sie haben doch Angst!) Im Windschatten dieses Globalen Pakts für Migration ist (Aydan Özoğuz [SPD]: Woher wissen Sie auch der Globale Pakt für Flüchtlinge verabschiedet wor- eigentlich, dass das alles Muslime sind?) den. die durch sechs bis sieben Staaten reisen, nur um ins deutsche Sozialsystem zu fliehen. Was hier veranstaltet Gerade erst diese Woche fand das Globale Flüchtlings- wird, ist untragbar, forum in Genf statt. Es ist ein von Deutschland – genauer gesagt: vom Auswärtigen Amt, von Herrn Maaßen – ver- (Dr. Lars Castellucci [SPD]: Sie sind untrag- anstaltetes Forum. bar!) (Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Herr und es ist untragbar, dass so etwas auch in Genf nicht zur Maaßen war es nicht! Herr Maas! – Sprache kam. Dr. Karamba Diaby [SPD]: Herr Maaßen? Um Gottes willen! Den wollen wir nicht ha- (Beifall bei der AfD) ben! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ Es wurde keinerlei Lösungsansatz von Herrn Maas in DIE GRÜNEN]: Maaßen war bei Lanz!) Genf vorgestellt. Komplette Fehlanzeige! Stattdessen ha- – Herr Maas. Entschuldigung. Danke, danke. – Herr ben wir – deswegen der zweite Teil des Titels der Aktuel- Maas, der nun leider nicht da ist, hat hier weder vorab len Stunde – auch noch groben Unfug vom EU-Parlament freiwillig über seine Aussagen und seine Zustimmung vorliegen; denn aufgrund eines fehlerhaften juristischen berichtet, noch würde er jetzt hier einen Bericht abgeben. Verständnisses gibt es eine Entscheidung des EU-Parla- ments vom März 2019, veröffentlicht im Oktober, die Wir haben in Deutschland massive Probleme mit Mig- ganz klar besagt, dass Grundrechte für Menschen afrika- ration. Gerade heute haben wir wieder gehört, dass durch nischer Abstammung in Europa eingefordert werden. Das einen statistischen Trick 350 000 Ausreisepflichtige, die ist eine Entschließung, die ganz klar der bei uns geltenden sich illegal hier aufhalten, nicht als solche geführt wur- Menschenrechtslage – laut Grundgesetz haben alle Men- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17309

Martin Hebner (A) schen, gleich welcher Herkunft und Hautfarbe, gleiche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) Menschenrechte – widerspricht. ordneten der SPD)

(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): NEN]: Jetzt tut es aber weh! Jetzt wird es Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schmerzhaft! – Michael Grosse-Brömer Wir haben soeben zum wiederholten Male ein Sammel- [CDU/CSU]: Es gibt Deutschenrechte, es gibt surium der kruden Vorstellungen der AfD gehört. Menschenrechte! Sie haben ja von Verfas- sungsrecht gar keine Ahnung!) (Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) Warum um alles in der Welt braucht Europa extra Grund- Trotz aller Antworten, die Sie geben: Obwohl Sie im Juni rechte für Afrikaner mit Gesetzeskraft für Schwarze? eine Einladung erhalten haben, um als Abgeordnete der Man kann auch gleich sagen: Das ist ein rassendiskrimi- AfD beim Flüchtlingsforum mitzudiskutieren, war kein nierendes Gesetz. Das ist doch grober Unfug, was das einziger Vertreter Ihrer Fraktion vor Ort. Europaparlament hier verabschiedet hat. (Martin Hebner [AfD]: Stimmt doch gar nicht!) (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, es kann Ihnen ja gar nicht wirklich um die Sache Das, was Sie erzählen, ist grober Unfug!) gehen. Sie vertun jedes Mal die Chance, das Thema aktiv Und vor allem, meine Damen und Herren, wurde die mitzudiskutieren und mitzuentscheiden; aber das sind wir Entschließung vom Deutschen Bundestag nicht behandelt ja von Ihnen gewöhnt. und bisher keineswegs zurückgewiesen. Das ist das große Problem; das ist das Erschreckende, was hier passiert. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- (Beifall bei der AfD) SES 90/DIE GRÜNEN) Unter Punkt 23 dieser EU-Entschließung steht – ich Inhaltlich hat Bundesaußenminister in sei- zitiere –: ner Eröffnungsrede des Globalen Flüchtlingsforums am Dienstag alles Wichtige gesagt. Ich kann mich seiner … unter Berücksichtigung der bestehenden Rechts- Kernaussage nur anschließen: Wir brauchen nicht weni- vorschriften und Verfahren [ist] … ger, sondern mehr Solidarität im Umgang mit Flüchtlin- – von den Mitgliedstaaten, somit auch von Deutschland – gen. … dafür zu sorgen, dass Migranten, Flüchtlinge und (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Asylbewerber auf sicherem und legalem Wege in die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. (B) EU einreisen können. Dr. Marcel Klinge [FDP]) (D) Unvorstellbar! Hier wird komplett negiert, welche Pro- Wir brauchen mehr internationale Zusammenarbeit und bleme momentan schon existieren. Kein Wort zur Integ- mehr Multilateralismus. ration. Ganz im Gegenteil: Dort wird noch postuliert, dass (Beifall des Abg. Dr. Konstantin von Notz die Beziehung zwischen Minderheitengemeinschafen, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) besonders schwarzen Gemeinschaften und Menschen af- rikanischer Abstammung, und Sozialbehörden zu verbes- Statt dass diejenigen Mitglieder Ihrer Fraktion, die einen sern ist. Migrationshintergrund haben und die Freiheit und Sicher- heit unseres Landes schätzen, dies auch anderen Men- (René Röspel [SPD]: Wir sind alles Menschen schen gönnen würden, schotten Sie sich ab. afrikanischer Abstammung!) (Dr. Harald Weyel [AfD]: Papperlapapp!) Das steht wörtlich in diesem Antrag. 70 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Meine Damen und Herren, das ist unzuträglich. Es be- steht die dringende Notwendigkeit, dass dieser Deutsche (Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie haben den Bundestag im Interesse Deutschlands seiner Pflicht nach- Unterschied zwischen illegaler und legaler kommt und dieses Vorgehen der EU zurückweist. Migration immer noch nicht begriffen! – Wei- tere Zurufe von der AfD) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Frohe Weihnachten!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank. Jetzt ist Frau Groden-Kranich dran. (Beifall bei der AfD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Hebner, Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): hören Sie sich das nächste Mal die Weih- Aber nur 20 Prozent der 193 Staaten beteiligen sich an nachtsgeschichte genau an! Mann, Mann, deren Versorgung. Eine Lösung dieses Dilemmas wäre im Mann!) Prinzip so simpel wie naheliegend: Wenn mehr Nationen an mehr Punkten mit Hilfe ansetzten, wären die Lasten insgesamt für alle leichter zu tragen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Ursula (Martin Hebner [AfD]: Ja, aber das passiert Groden-Kranich. doch nicht!) 17310 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Ursula Groden-Kranich (A) Vorschläge wie zum Beispiel neue regionale Unterstüt- (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Gute Empfeh- (C) zungsplattformen und mehr Resettlement-Plätze sind da- lung!) her absolut unterstützenswert. Uns allen wünsche ich besinnliche Weihnachten. (Thomas Seitz [AfD]: Aber nicht in Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie land! – Dr. Harald Weyel [AfD]: Wir brauchen bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und nicht noch mehr Magnetwirkung!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Was schreien Sie denn so? Komisch, es gibt zwei The- men, bei denen Sie wie wild reinschreien. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Dr. Harald Weyel [AfD]: Da hat jemand „Ru- Vielen Dank, Ursula Groden-Kranich. – Nächster Red- hig, Brauner!“ gerufen! Wer war das?) ner in der Debatte: Ulrich Lechte für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Claudia Roth: Jetzt reicht es aber. Jetzt sind Sie mal ganz still da in der Ulrich Lechte (FDP): ersten Reihe. Wir werden uns das im Protokoll ansehen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Sie halten sich jetzt zurück. – Jetzt ist Frau Groden- Kollegen! Werte Gäste oben auf den Rängen! Weihnach- Kranich dran. ten ist das Fest der Nächstenliebe. Daher ist es eigentlich schön, dass wir uns beim letzten Tagesordnungspunkt vor (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Weihnachten mit dem Schutz von Flüchtlingen beschäf- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE tigen, also jenen Menschen, die ihre Heimat verlassen GRÜNEN) mussten, weil sie dort nicht sicher sind, Menschen, die unserer Hilfe bedürfen. Das könnte eigentlich ein schönes Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): Zeichen für Nächstenliebe zum Weihnachtsfest sein. Ein erklärtes Ziel des Globalen Pakts für Flüchtlinge (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei ist, die Eigenständigkeit von Flüchtlingen zu fördern. Für Abgeordneten der LINKEN) mich die sinnvollste Art, dies zu tun, ist, Perspektiven zu bieten, und zwar durch Bildung. Dieses Thema haben wir Nur leider hat die AfD ganz andere Ziele mit der Auf- auch im Unterausschuss für Auswärtige Kultur- und Bil- setzung dieses Tagesordnungspunktes. Sie hat den Titel dungspolitik immer wieder auf der Agenda; aber bei der gewählt – wir alle können ihn hier lesen – „Das Globale so wichtigen Sitzung am 9. Dezember, als Bundesminis- Flüchtlingsforum in Genf und ein Grundrechtekatalog für (B) ter Gerd Müller gerade zum Thema Afrika da war, haben Menschen mit afrikanischer Abstammung“. Der Kollege, (D) Sie ebenfalls mit Abwesenheit geglänzt. der vorhin gesprochen hat, hat natürlich auch gleich wie- der den Global Compact angeführt. Wir alle erinnern uns: Wir haben gehandelt; daher nimmt Bildung auch im Darüber haben wir hier genau vor einem Jahr diskutiert. Haushalt 2020 zu Recht einen wichtigen Raum ein: unter Sie haben damals einen Riesenzirkus veranstaltet; das hat anderem 13 Millionen Euro für die Deutsche Akademi- die Menschen in der Republik ganz kirre gemacht. Und sche Flüchtlingsinitiative Albert Einstein, über 10 Millio- am Ende ist es in diesem Jahr nicht so gekommen, wie Sie nen Euro für die Philipp-Schwartz-Initiative der Hum- es vorhergesagt haben. boldt-Stiftung, (Martin Hebner [AfD]: Natürlich! Schauen Sie (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Gute Sache!) sich mal die Zahlen an!) die Aufstockung um 16 Millionen Euro für das Programm Was machen wir also heute hier? Eine weitere parlamen- „Education Cannot Wait“ für Kinder und Jugendliche in tarische Märchenstunde auf Antrag der AfD. Wie schön! Konfliktgebieten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Zum Schluss. Es ist doch bemerkenswert, dass gerade der SPD und der LINKEN) heute vor Weihnachten das Thema Flüchtlinge in mehr- facher Weise von Ihnen ins Plenum gebracht wurde. Ist Was es gibt, ist eine Internationale Dekade für Men- das nicht ein Fall von unfreiwilliger Ironie? Maria und schen Afrikanischer Abstammung. Diese wurde 2013 Josef waren Flüchtlinge. von der Generalversammlung der Vereinten Nationen be- schlossen, um rassistische Diskriminierung zu bekämp- (Dr. Harald Weyel [AfD]: Sie waren römische fen. Dabei wurde der Fokus auf eine Gruppe gelegt, die Staatsbürger!) besonders von rassistischer Diskriminierung betroffen ist; denn Menschen afrikanischer Abstammung sind in Jesus wurde als Flüchtlingskind geboren. In Bethlehem vielen Teilen der Welt häufig die Nachfahren von Skla- im heutigen Westjordanland, in Palästina ist die Flücht- ven. Und dieses Unrecht der Sklaverei in der Vergangen- lingsproblematik auch 2 000 Jahre danach leider immer heit hat allzu oft noch Nachwirkungen bis in die Gegen- noch genauso aktuell. Das Christentum und die Botschaft wart. Wer sich in den USA auskennt, weiß, dass es dort des Neuen Testaments beginnen mit und beruhen auf ei- noch immer Unterschiede zwischen schwarz und weiß ner Flüchtlingsgeschichte. Ich empfehle das Lesen der gibt. heutigen Ausgabe der „FAZ“, die unter der Überschrift „Das Licht der Erkenntnis“ die Fluchtbewegung von Be- (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wir kommen amten in der AfD zum Thema macht. alle aus Afrika!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17311

Ulrich Lechte (A) – Du hast völlig recht, Kathrin: Die Wiege der Mensch- Damit wünsche ich Ihnen allen, liebe Kolleginnen und (C) heit liegt in Afrika. Wir kommen alle dorther. Kollegen im gesamten Haus, ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr- Diese Nachwirkungen der Sklaverei gibt es in vielen zehnt. Teilen der Welt. Deshalb gibt es einen Beschluss des Europäischen Parlamentes zu den „Grundrechten von (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Dir auch!) Menschen afrikanischer Abstammung in Europa“ vom Ich freue mich auf spannende Debatten nächstes Jahr. 26. März 2019. Auch in diesem Beschluss gibt es keinen Prost! „Grundrechtekatalog für Menschen mit afrikanischer Ab- stammung“. (Der Redner erhebt sein Glas – Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der (Thomas Seitz [AfD]: Dann kann man sich das CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Geschwafel sparen!) GRÜNEN) Es geht darum, dass Menschen mit afrikanischer Abstam- mung in Europa genau die gleichen Grundrechte haben Vizepräsidentin Claudia Roth: wie alle anderen Europäer auch. Prost! Vielen herzlichen Dank, Ulrich Lechte. – Näch- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der ster Redner: Dr. Lars Castellucci, SPD-Fraktion. SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN (Beifall bei der SPD) und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber sie sind besonders stark Rassismus ausgesetzt. Da- Dr. Lars Castellucci (SPD): her ist es völlig berechtigt, besondere Maßnahmen zur Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrten Bekämpfung von Rassismus zu ergreifen. Das lasse ich Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- mir von Ihnen nicht als umgekehrte Diskriminierung zer- legen! Ein Mann und eine Frau aus dem Nahen Osten sind reden. auf der Flucht mit ihrem neugeborenen Kind. Hinter ihnen wüten die Mörder, die alle Kinder töten sollen, (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei die den falschen Glauben haben. Sie erreichen das Nach- Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜND- barland, sie finden dort keine Sicherheit. Es treibt sie NISSES 90/DIE GRÜNEN – Martin Hebner weiter, beinahe geraten sie zwischen die Kämpfe, die dort [AfD]: Ja, aber natürlich ist es das!) gerade wieder aufflammen. Es geht nicht vor, und es geht Daher freut es mich, dass beim Globalen Flüchtlings- nicht zurück. Da vertrauen sie sich Leuten an, die ihnen (B) forum Finanzierungszusagen in Höhe von insgesamt die Überfahrt über das Meer versprechen. (D) 5 Milliarden US-Dollar gemacht wurden. Dazu zählen Als das überfüllte Boot kentert, ist keine Rettung in auch Zusagen in Höhe von 250 Millionen US-Dollar Sicht, nicht in dieser Jahreszeit und auch deshalb nicht, von der Privatwirtschaft. Die Bundesregierung weiß – weil die europäische Mission unterbrochen wurde und ich thematisiere das immer wieder; Frau Müntefering weil die privaten Helfer in ihrer Arbeit behindert werden ist leider gerade nicht da, aber sie kann es ja im Protokoll und nicht überall gleichzeitig sein können. nachlesen –: Wir haben auf dem Humanitären Weltgipfel in Istanbul die Zusage gemacht, dass wir den Anteil der Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob es die Heilige flexiblen Gelder für humanitäre Hilfe auf 30 Prozent der Familie im Jahr 2019 schaffen würde, sich in Sicherheit Gesamthilfen erhöhen. Das haben wir aber nach wie vor zu bringen, nicht gemacht. Das ist aber wichtig, weil in Krisen oft- mals nicht genügend Zeit für lange Verhandlungen von (Zuruf von der AfD: Blasphemie!) Finanzierungen auf Geberkonferenzen ist. Stattdessen das können wir nicht wissen. Aber wir können wissen, müssen Gelder flexibel verfügbar sein, um schnell und was unsere Aufgabe ist, nämlich dafür zu sorgen, dass unbürokratisch zu helfen. sich Menschen, die verfolgt sind, die in Not sind und die bedrängt sind, in Sicherheit bringen können. In dieser (Beifall bei der FDP) Aufgabe dürfen wir nicht nachlassen. Aber leider haben wir zuletzt nur 15 Prozent unserer Mittel an das Flüchtlingshilfswerk UNHCR als flexible (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mittel gezahlt. Der Änderungsantrag der FDP zur Flexi- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE bilisierung der Mittel für das UNHCR wurde in den Haus- GRÜNEN) haltsberatungen – welche Überraschung – 2018, 2019 Kardinal Marx hat das am Wochenende in fünf Prinzi- und 2020 jedes Mal abgelehnt. Somit liegt es jetzt wieder pien zusammengefasst. Erlauben Sie, dass ich sie kurz in der Hand des Auswärtigen Amtes – hallo, Frau nenne: Müntefering! –, das im Rahmen der Haushaltsdurchfüh- rung in die Hand zu nehmen. An unseren europäischen Außengrenzen kommt nie- mand zu Tode. Jeder, der an die Grenze kommt, wird Deshalb ist heute mein Wunsch an den Weihnachts- menschenwürdig behandelt. Jeder Asylsuchende be- mann, das Christkind oder an Heiko Maas – einer von kommt ein faires Verfahren. Niemand wird zurück- ihnen muss ihn erfüllen; deswegen bitte ich Sie, ihnen das geschickt, wo Tod und Verderben drohen. Und wir zu überbringen –, dass Deutschland endlich das 30-Pro- tun alles in den Herkunftsländern der Migranten, zent-Ziel für flexible humanitäre Hilfe einhält. dass dort Perspektiven für die Menschen sind. 17312 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Dr. Lars Castellucci (A) Ich finde, wenn man schon das christliche Abendland sie herkommen, egal wer sie sind, und dass Frieden, Ver- (C) bemüht, dann kommt man an diesen Sätzen nicht vorbei. söhnung und Verständigung möglich sind, wenn wir uns Denn sie drücken klar und einfach aus, was die Werte dafür einsetzen. sind, die uns in dieser Weltregion, in Europa, leiten. In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein frohes Fest. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vielen Dank. Gestern habe ich mit einem Teilnehmer des Globalen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Flüchtlingsforums telefoniert. Er stammt aus meinem bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und Wahlkreis, aus Sinsheim, und ist dort seit Jahrzehnten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in der Integrationsarbeit engagiert. Als Mitglied eines weltweiten evangelischen Netzwerks war er einer von 3 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Er hat mir be- Vizepräsidentin Claudia Roth: richtet, wie er das Forum empfunden hat und was seine Vielen Dank, Dr. Castellucci. – Nächste Rednerin: Erfahrungen waren. Ich habe ihn am Ende gefragt: Was Gökay Akbulut für die Fraktion Die Linke. ist das Wichtigste, das du mitnimmst? – Er hat gesagt, (Beifall bei der LINKEN) dass wir eine Verantwortung haben, zu unterstützen, dass wir nicht immer nur die Zahlen nennen dürfen. Wir müs- sen vielmehr auch immer daran denken, dass es Men- Gökay Akbulut (DIE LINKE): schen sind, die sich ihr Schicksal nicht ausgesucht haben, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und und – das ist das Wichtigste – dass wir endlich legale Kollegen! Wir alle haben gehofft, dass die AfD uns diese Wege eröffnen müssen, damit sich die Menschen nicht Woche nicht ihren völkischen Nationalismus und Rassis- zu todbringenden Reisen auf den Weg machen müssen. mus auf die Tagesordnung setzt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Jan Ralf Nolte [AfD]: Sie tun mir leid, Frau der LINKEN) Akbulut!) Ich bin der Auffassung, dass die breite Mehrheit in die- aber dann haben Sie doch eine Aktuelle Stunde zum Glo- sem Haus den Forderungen dieses Teilnehmers zustim- balen Flüchtlingsforum in Genf beantragt. Ihnen fällt ein- men und sie unterstützen kann. fach nichts Neues mehr ein, um im Grunde genommen Weil er in der Integrationsarbeit engagiert ist, will ich Ihre Hetze und Ihre Verschwörungstheorien unterzubrin- die Gelegenheit nutzen, noch etwas zu sagen. In Sinsheim gen. (B) sind beispielsweise ein Café für alle Menschen und ein (D) Wohnhaus für Geflüchtete und Einheimische eröffnet Ihre Methoden sind uns ja bekannt. Denn schon Ende worden. Das sind Orte, an denen man sich begegnet, an letzten Jahres haben Sie in Ihrer Aktuellen Stunde zum denen die Ängste heruntergefahren werden und wo Be- Globalen Flüchtlingspakt Ihre Kampagne mit Falschin- ziehungen wachsen können. Manche dieser Initiativen formationen, Lügen und persönlichen Denunziationen unterstützen wir in Form eines Projektes mit einer An- verbreitet. Damals haben Sie über Drohszenarien Ihre schubfinanzierung. Aber danach sind sie auf sich alleine Verschwörungstheorien propagiert. Herr Friesen von der gestellt und auf Spenden und ehrenamtliches Engagement AfD sprach von einem gigantischen Umverteilungspro- angewiesen. gramm, mit dem weitere Flüchtlinge nach Deutschland und Europa umgesiedelt werden sollen. Ich bin der Auffassung, die Menschen zusammenzu- bringen und Beziehungen zu fördern, ist kein Projekt; es (Martin Hebner [AfD]: Passiert ja!) ist eine Daueraufgabe in diesem Land, und wir müssen Wege finden, damit wir sie auch dauerhaft unterstützen Und was passierte? Nichts von dem, was Sie an Hetze und können. Fake News verbreitet haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE ten der SPD und der FDP – Dr. Harald Weyel GRÜNEN) [AfD]: Nur eine Drittelmillion statt einer hal- ben Million!) Das ist heute absehbar die letzte Debatte und auch der letzte Debattentag dieses Jahres, und ich frage mich und Ich muss Ihnen sogar sagen: Das Gegenteil ist der Fall. Es uns: Was soll eigentlich die Botschaft dieser letzten De- kommen nicht mehr Schutzsuchende nach Deutschland, batte sein? sondern sogar sehr viel weniger – weniger als die Bun- desregierung in ihrem eigens angelegten sogenannten (Ulrich Lechte [FDP]: Das weiß Gott allein!) Korridor für Zuwanderung festgelegt hat. Soll sie Schreierei, Hass, Trennung oder Angst sein? Bitte nicht. Deutschland hat dementsprechend sogar noch Aufnah- mekapazitäten. Dabei wäre es gut und wichtig, dass Ich glaube, vier Tage vor Weihnachten können wir Deutschland Verantwortung übernimmt, so wie wir als wissen, was die Botschaft dieser Stunde sein muss: näm- Linksfraktion das mit unserem Antrag zur Aufnahme un- lich niemanden zurücklassen, an der Seite der Schwa- begleiteter minderjähriger Schutzsuchender aus den Hot- chen, der Bedrängten, der Verfolgten stehen, egal wo spots in Griechenland fordern. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17313

Gökay Akbulut (A) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- EU-Türkei-Deal von vornherein kritisiert; denn er ist (C) NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- nichts anderes als ein Instrument, um Abschottungspoli- ten der SPD) tik zu betreiben. Kapazitäten für eine Aufnahme gäbe es, und wie wir in (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- den letzten Tagen und Wochen gesehen haben, wird die NIS 90/DIE GRÜNEN) Situation vor Ort in Griechenland immer schlechter. Laut Berichten von Ärzte ohne Grenzen verletzen junge Men- Deutschland und die EU dürfen in der Flüchtlingsfrage schen sich selber oder versuchen sogar, sich umzubrin- nicht weiter mit autoritären Regimen, wie dem der Tür- gen. Diese Zustände sowohl in den Hotspots als auch an kei, das selbst völkerrechtswidrige Kriege führt und Men- den Grenzen der Europäischen Union sind schlichtweg schen zur Flucht zwingt, zusammenarbeiten. eine Schande für die EU. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Aber nicht nur durch die Türkei, sondern auch durch NIS 90/DIE GRÜNEN) Griechenland gibt es Rechtsbrüche. Im Rahmen dieses Hotspots, die wie Gefängnisse aufgebaut sind, wo Deals sollen inzwischen von Griechenland über Menschen keine medizinische Versorgung erhalten und 60 000 Menschen illegal in die Türkei zurückgewiesen teilweise sogar in Schichten schlafen müssen, dürfen worden sein. Das, was wir brauchen, sind wirksame Mit- nicht Standard europäischer Flüchtlingspolitik sein. Wir tel, um diese Rechtsbrüche von Staaten zu verhindern. haben jetzt Winter, und es gibt keine festen Unterkünfte vor Ort. Dabei besteht die reale Gefahr, dass Menschen (Beifall bei der LINKEN) sterben werden, so wie schon in den letzten Jahren. Ge- Deshalb brauchen wir eine Stärkung der individuellen rade diejenigen, die am meisten unter diesen desaströsen Rechte von Schutzsuchenden auf europäischer Ebene, Bedingungen leiden, also die unbegleiteten minderjähri- aber auch auf internationaler Ebene. Der Global Compact gen Schutzsuchenden, sollten hier aufgenommen werden. on Refugees und das Engagement im Rahmen des Globa- len Flüchtlingsforums sind dabei wichtige Bausteine, und (Beifall bei der LINKEN) wir hoffen natürlich, dass sich die Situation für die be- Sehr geehrte Damen und Herren, das Globale Flücht- troffenen Menschen in den nächsten Jahren verbessern lingsforum dient dem Ziel, Flüchtlingsschutz internatio- wird. nal besser zu gestalten. Das begrüßen wir als Linke natür- lich. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und eine schöne Weihnachtszeit. (B) (Jan Ralf Nolte [AfD]: Das sind Migranten!) (D) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Es ist aber auch ein Schritt in die richtige Richtung, wenn ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Außenminister Heiko Maas in Genf auf dem Globalen GRÜNEN) Flüchtlingsforum mitteilt, dass Staaten sich solidarisch zeigen sollen und dass es insgesamt mehr Solidarität im Umgang mit Flüchtlingen geben soll. Derzeit ist aller- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dings das Gegenteil der Fall, egal wo wir hinschauen. Filiz Polat, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Immer mehr Staaten verweigern eine humanitäre Aufnah- Rednerin. me und handeln häufig sogar völkerrechtswidrig, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Menschen ihre Grenzen überqueren. Da brauchen wir nicht weit zu schauen. Das kann man sogar innerhalb der EU beobachten. Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Blicken wir auf die Situation auf dem Balkan. Kroatien ren! Migration ist eine Tatsache; sie ist so alt wie die beispielsweise hat massive Völkerrechtsbrüche began- Geschichte der Menschheit. Flucht und Vertreibung präg- gen, indem es Schutzsuchende gewaltvoll und unrecht- ten und prägen den Verlauf der Geschichte auf der ganzen mäßig im Rahmen illegaler Push-backs nach Bosnien- Welt – auch die Europas und nicht zuletzt die des Abend- Herzegowina zurückgewiesen hat. landes. Es gibt viele Flucht- und Migrationserzählungen. (Martin Hebner [AfD]: Die schützen ihre Gren- Am bekanntesten sind die Weihnachtsgeschichte und die zen! – Gegenruf von der LINKEN: Einfach mal Flucht der hungernden Israeliten nach Ägypten ins pha- zuhören!) raonische Reich mit dem späteren Auszug des Volkes Gottes aus Ägypten. Deshalb stellt sich nicht die Frage, Und die kroatische Präsidentin gibt das in einem Inter- ob, sondern nur, wie wir Migration und Flucht begleiten, view sogar öffentlich zu. Das müssen Sie sich mal vor- gestalten und leben. stellen: Das Land, das jetzt die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, begeht an den EU-Außengrenzen offen mas- Meine Damen und Herren, weil Migration eine Tatsa- sive Menschenrechtsverletzungen, und Deutschland und che ist, haben wir den Global Compact for Migration alle anderen EU-Staaten schweigen einfach dazu. genauso begrüßt wie den Global Compact on Refugees; Wenn es um Flüchtlingspolitik geht, macht sich die EU (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- auch weiterhin von Staaten wie der Türkei erpressbar. wie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Das darf einfach nicht sein. Wir als Linke haben den KEN) 17314 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Filiz Polat (A) denn erstmals haben sich die Länder auf einen umfang- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) reichen Katalog von Maßnahmen zur Stärkung der Rech- sowie bei Abgeordneten der SPD) te von Migrantinnen und Migranten und auf ein erneuer- tes Bekenntnis zum Schutz der Rechte von Geflüchteten Meine Damen und Herren, abschließend zur weltweit verständigt. Das ist ein wichtiger Meilenstein Weihnachtszeit – einige sind ja noch nicht dazu gekom- gewesen – und ein wirklich großer Erfolg. men, Geschenke zu kaufen – eine Buchempfehlung: Das Buch von Professor Thomas Söding, katholischer Theo- Wir Grüne stehen zu diesen Zielen und Maßnahmen loge, trägt den Titel „Das Flüchtlingskind in Gottes und wollen, dass sich die Bundesregierung nicht nur zu Hand – Die Aktualität der Weihnachtsbotschaft“. den Compacts bekennt, sondern auch ihre Politik, Frau (Jan Ralf Nolte [AfD]: Sehr, sehr einfältig!) Müntefering, danach ausrichtet. Beispielsweise ist der Familiennachzug eine gute Möglichkeit, Menschen auf Vielleicht ein kleiner Auszug aus einem Interview mit sicherem und legalem Weg Schutz vor Krieg und Verfol- Herrn Professor Söding, weil ich die Worte so treffend gung zu bieten, Herr Dr. Castellucci. finde, auch für die Debatte, die heute von der rechten Seite hier angestoßen wurde – ich zitiere –: Nicht einmal die zugesagten 1 000 Plätze monatlich für den Familiennachzug zu subsidiär Geschützten – wir ha- Wer vom christlichen Abendland redet und das als ben es diese Woche im Innenausschuss noch mal gehört – politische Parole verwendet, hat ja oft überhaupt können wegen der selbstgeschaffenen bürokratischen keine Vorstellung davon, was zum christlichen Hürden – vielleicht auch: bewusst selbstgeschaffenen Abendland gehört. bürokratischen Hürden – ausgeschöpft werden. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie die Kontin- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie wissen es gentierung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzbe- aber!) rechtigten wieder abschafft. Das christliche Abendland lebt religiös und kulturell vom Morgenland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, angesichts der zunehmend In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten! rassistischen und rechten Stimmung in Deutschland bin (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich umso dankbarer, dass ich gemeinsam mit dem Kol- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der legen Karamba Diaby über 40 Organisationen der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Schwarzen in Deutschland zur Konferenz zur UN-Deka- de für Menschen afrikanischer Herkunft, zur „PAD (B) (D) WEEK – Anerkennung. Empowerment. Ge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: rechtigkeit.“, im Deutschen Bundestag begrüßen durfte. Nächster Redner ist der Kollege Matern von Marschall, CDU/CSU. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Trotz der wirklich erschütternden Berichte über Rassis- Matern von Marschall (CDU/CSU): muserfahrungen und des auslaugenden Kampfes um An- erkennung und Gerechtigkeit waren das große Engage- Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen ment und die ansteckende Energie in Form klarer und Kollegen! Man darf der AfD dankbar sein, dass sie zu politischer Forderungen – auch an den Deutschen Bun- dieser letzten Debatte vor dem Weihnachtsfest dieses destag – wirklich inspirierend und anspornend. Die gilt es wichtige Thema – die Situation der Flüchtlinge in der jetzt, meine Damen und Herren, im Deutschen Bundestag Welt – aufgerufen hat. Ich bin sehr froh, dass das auch umzusetzen. Meine Fraktion wird da engagiert vorange- die Gelegenheit eröffnet, an dieser Stelle einmal all den- hen. jenigen sehr ausdrücklich zu danken, die sich dort in der Vergangenheit und in der Gegenwart hilfreich und nütz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lich engagiert haben. Auch vor dem Hintergrund dieser populistischen Stim- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mungsmache und Angstmacherei – das haben wir heute neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- wieder erlebt – ist aber die Bundesregierung in beson- NISSES 90/DIE GRÜNEN) derer Verantwortung, das Versprechen der pluralen De- Das sind nicht nur die Organisationen der Vereinten mokratie, die von Einwanderung geprägt ist und von Nationen – das ist nicht nur der UNHCR –, sondern das Einwanderung profitiert hat, einzulösen. Es gilt, den Per- sind auch die UN-Blauhelme und insbesondere hier in spektiven und Erfahrungen der Menschen afrikanischer Deutschland unsere christlichen Hilfswerke – Caritas in- Abstammung, die seit Jahrhunderten zu Deutschland ge- ternational, Misereor, Brot für die Welt; um nur einige zu hören, nennen. Was die Unterstützung von Flüchtlingen im In- (Lachen bei Abgeordneten der AfD) land angeht, sind das aber insbesondere auch Menschen vor Ort, in unseren Gemeinden, die sich seit Jahren un- mehr Beachtung zu schenken und die UN-Dekade für geheuer engagiert dafür einsetzen, dass Flüchtlinge, Men- Menschen afrikanischer Herkunft ambitionierter umzu- schen, die hier Schutzrecht beanspruchen können, hier setzen. auch Integration, Bildung und Entwicklungschancen er- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17315

Matern von Marschall (A) fahren. Auch all diesen Menschen möchte ich heute sehr Ich möchte einmal anregen, dass all diejenigen, die (C) herzlich danken. sich vertieft damit befassen, vielleicht einmal einen Blick nach Schnellroda werfen, um sich mal das sogenannte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Institut für Staatspolitik anzuschauen, eine rechtsradikale SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Einrichtung, aus deren Vorstand Herr Lehnert unterdes- NEN) sen in Ihre politische Stiftung gewechselt ist. Beides sind Die allermeisten Menschen, die sich auf der Flucht Einrichtungen, die offensichtlich dem völkischen Flügel befinden, sind ja in der Nähe ihrer ursprünglichen Hei- Ihrer Partei nahestehen. matländer. Der UN-Flüchtlingspakt hat zum Ziel, diese (Lachen des Abg. Peter Boehringer [AfD]) Menschen dort zu unterstützen, und das ist ganz wichtig, auch deswegen, weil unsere Möglichkeiten endlich sind, Ich frage mich, ob all diejenigen, die glauben, dass Ihre wie Joachim Gauck ja zum 25. Jahrestag der deutschen Partei christliche Werte vertreten kann, diese Überzeu- Einheit gesagt hat. Deswegen ist es wichtig, dass wir auch gung weiter teilen, wenn sie sich damit befassen. andere dazu ermutigen, ermuntern und auch befähigen, ihren Anteil an der Unterstützung von Flüchtlingen zu (Dr. Harald Weyel [AfD]: Sie sind doch die leisten. Auch dazu will der UN-Flüchtlingspakt beitra- Halbmondpartei! Sie stehen für den Halb- gen. Auch das finde ich sehr bedeutend, weil das nämlich mond!) zeigt, dass einzelne Länder diese gewaltige Aufgabe In diesem Sinne wünsche ich auch Ihren Wählern be- selbstverständlich nicht alleine schultern können. sinnliche Feiertage und ein wenig Zeit zum Nachdenken. Ich will aus diesem Grunde, Frau Kollegin von der (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an die Linken, auch noch auf Ihren Hinweis eingehen. Es ist AfD gewandt: Und dass Sie zur Besinnung selbstverständlich wichtig, auch Länder in der Umgebung kommen! – Gegenruf des Abg. Dr. Alexander der Europäischen Union zu ertüchtigen, ihre Unterstüt- Gauland [AfD]: Wir können auf Ihre Besin- zung von Flüchtlingen weiterzuführen. Ich nenne hier nung verzichten!) einen schwierigen Nachbarn, die Türkei, die in den ver- gangenen Jahren entsprechend der Vereinbarung, die sie mit der Europäischen Union geschlossen hat, über Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: 3,6 Millionen syrischen Flüchtlingen in ihrem Land Dr. Gottfried Curio, AfD, ist der nächste Redner. Schutz gewährt hat – auch mit Unterstützung von UNICEF. Da geht es auch um die Einschulung und die (Beifall bei der AfD) Ausbildung der Kinder dieser Flüchtlinge. Hunderttau- (B) (D) sende können davon profitieren. Dr. Gottfried Curio (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Dieses Programm – da bin ich ganz sicher – müssen wir ren! Mit dem Globalen Flüchtlingspakt sollen wesentli- auch in der Zukunft weiter stärken, weil wir gesehen ha- che Fehlentscheidungen des Jahres 2015 für Deutschland ben, wie stark der Druck ist, der sich auch im Augenblick in Stein gemeißelt werden. Er will Flüchtlinge internatio- wieder in Richtung Ägäis zeigt. Deswegen müssen wir nal gerecht verteilen durch vermehrte Neuansiedlung, er den Menschen dort auch eine Perspektive geben, damit will legale Aufnahmewege, und er will die Schaffung sie irgendwann hoffentlich in ihre Heimat zurückkehren legaler Arbeitsmöglichkeiten für „Menschen, die unter- können. wegs sind“. Ziel ist, jeden Binnenflüchtling in Innerafrika Wir haben darüber gesprochen, dass wir – das ist in zum Problem Europas zu erklären. vielen Debattenbeiträgen angeklungen – hier auch über Werte sprechen. Wenn wir über Werte sprechen, dann, Resettlement meint die Aufnahme von Personen aus glaube ich, dürfen wir als Christdemokraten schon sagen, einem Staat, in dem sie schon sicheren Schutz genießen – dass unsere Werte aus dem christlichen Menschenbild ein Umsiedlungsprogramm nach Deutschland und Euro- heraus entwickelt werden. Ich bin relativ sicher, dass auch pa. Zunächst denkt UNHCR an knapp anderthalb Millio- der eine oder andere Kollege oder die eine oder andere nen Personen. Allerdings: Wenn Flüchtlinge nach Kollegin aus der AfD christliche Werte für sich in An- Deutschland umgesiedelt werden, überweisen sie Geld spruch nimmt. nach Hause. Was macht man dort am besten mit dem Geld? Richtig, nach Deutschland migrieren. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Na, das Da das Verteilungsprinzip, wie seit Jahren in Europa mag ich bezweifeln! – Peter Boehringer [AfD]: erprobt, nicht funktioniert, ist das Fazit: statt Verteilung Das ist sehr großzügig!) wieder Aufnahme, vor allem durch Deutschland. Dem Ich bin nicht ganz sicher, ob diejenigen, die glauben, entspricht Heiko Maas’ Zusage einer fortschreitenden christliche Werte zu vertreten, oder die das gerne würden, Ausweitung des Aufnahmeprogramms für die nächsten aus den Debattenbeiträgen, die wir bisher gehört haben Jahre. Dabei sollte nicht vergessen werden: Unter den oder die wir nachfolgend noch von der AfD hören wer- westlichen Industrieländern führt Deutschland – betref- den, die Überzeugung ableiten werden, dass diese Partei fend milliardenteure Flüchtlingsaufnahmen – bereits jetzt christliche Werte glaubhaft vertritt. mit weitem Abstand das Ranking an. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der AfD – Helin Evrim Sommer Thomas Seitz [AfD]: Pharisäer!) [DIE LINKE]: Lesen Sie die Studien?) 17316 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Dr. Gottfried Curio (A) Die Betroffenen sollten also nicht etwa heimatnah in schaft, den Bedürfnissen einer diversen Bevölkerung zu (C) einem Nachbarland unterkommen oder gar Binnenflücht- entsprechen. linge bleiben, (René Röspel [SPD]: Was ist denn in Ihrem (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Abtei- Leben eigentlich schiefgelaufen, dass Sie sol- lung Fake News!) che Reden halten? – Helin Evrim Sommer [DIE sondern sie sollen aus ihrer kulturellen Gemeinschaft he- LINKE]: Was haben Sie geraucht?) rausgelöst und über den Globus verteilt werden. Eine Ein wahrlich pervertiertes Verständnis von Integration, Rückführung nach Beendigung des Konflikts wird damit was tatsächlich Egalisierung und Unkenntlichmachung erheblich erschwert. Nicht Menschenmassen aber sollten der eigenen Kultur meint. über den Globus verschoben werden, sondern bestenfalls Hilfsgelder. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Dieser Pakt offenbart eine tiefe Nichtachtung der De- Denn solche Umsiedlung ist eine zutiefst inhumane mokratie – nicht überraschend bei „no nations, no bor- bevölkerungspolitische Klempnerei. Sie bedeutet eine ders“. Autonome Staaten stehen diesem Pakt im Wege, kulturelle und sprachliche Entheimatung der Betroffenen. ebenso traditionsstarke Gesellschaften, die sich einer die- Für die Aufnahmegesellschaft bedeutet sie soziale Nach- sem Pakt inhärenten Unterordnung der eigenen Kultur teile, Gefährdung von innerer Sicherheit und innerem widersetzen. Frieden, Identitätsverlust, eine psychologische und ma- terielle Überforderung. Es ist ein Wahnsinn an willkür- (Abgeordnete der CDU/CSU und der FDP dre- lichen, unnötigen Belastungen für Deutschland – dieses hen sich mit dem Rücken zum Redner – Abg. reiche Deutschland, wo es keine Wohnungen gibt, keine Beatrix von Storch [AfD] fotografiert im Ple- Lehrer, keine Kitaplätze, aber Schulden und EU-Haftun- narsaal – Zurufe: Hallo? – Jetzt reicht’s aber! – gen, marode Brücken, Straßen, Schulen, und unsere Alten Unruhe) ernähren sich an der Tafel. Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen sagen: Wir (Dr. Karamba Diaby [SPD]: In welchem Land haben wirklich genug von diesem ewig großtuenden, un- leben Sie denn? – Abgeordnete der CDU/CSU stillbaren Spendierhosenkomplex einiger deutscher Ge- und der FDP drehen sich mit dem Rücken zum müter, die auf ihren eingebildeten moralischen Feldher- Redner – Abgeordnete der AfD fotografieren renhügeln permanent mit anderer Leute Geld rettende im Plenarsaal – Zurufe: Herr Präsident! – Da Weltenlenkung betreiben wollen, statt sich um die wahren (B) werden Fotos gemacht! – Unruhe) Probleme ihres eigenen Landes zu kümmern. Wir werden (D) uns kümmern um die Probleme unserer deutschen Bürger Gegenwärtig wollen über 50 Prozent der jungen Men- schen im arabischen Raum auswandern; 53 Millionen und Steuerzahler, Autofahrer und Mieter, Schüler und Kitaeltern, Mütter und Rentner. Das, meine Damen und Menschen. Mehrere Millionen Menschen warten in syri- Herren, ist rechtes Gedankengut. Wir werden uns küm- schen Lagern auf ihre Umsiedelung nach Europa. Bei einer zu erwartenden Verdopplung der afrikanischen Be- mern, und zwar in der Regierung – und das bald. Deutsch- land hat es verdient! völkerung auf 2,4 Milliarden Menschen bis 2050 dürfte allerdings als prominenter Fluchtgrund bald Überbevöl- (Beifall bei der AfD) kerung hinzukommen. Sicher wird auch die gerecht über den Globus zu verteilen sein. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Diese Personen sollen umfassende Rechte in den Gast- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben eigent- ländern haben, Integration auf dem Arbeits- und lich das Parlament, damit wir mit Wortbeiträgen und Ar- Bildungssektor, Teilhabe am Bildungswesen, am Ge- gumenten unterschiedliche Standpunkte austauschen. sundheitswesen, Stipendien, Studentenvisa. Zitat: Wir führen keine Demonstrationen, Gemeinsam können wir Ergebnisse erzielen, die das Leben von … Aufnahmegemeinschaften grundle- (Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gend ändern werden. Warum sagen Sie das in diese Richtung? Die haben fotografiert!) In der Tat. und wir fotografieren uns auch nicht gegenseitig. Wenn Das steht wohl schon fest aufgrund der Überforderung wir das jetzt für die letzten vier Wortbeiträge vor Weih- von Schulen, Polizei, Justiz, von Wohnungsmarkt und nachten auch noch zustande bringen, dann sind die Wün- Sozialsystemen, und das schon nur aufgrund der bereits sche für gesegnete Weihnachten, die jeder am Schluss hier befindlichen Flüchtlinge. seiner Rede ausspricht, auch ganz ehrlich gemeint. (Beifall bei der AfD) In diesem Sinne erteile ich jetzt dem Kollegen Und: Flüchtlinge und Aufnahmegesellschaft sollen Dr. Karamba Diaby, SPD, das Wort. sich gegenseitig anpassen. Wohlgemerkt: Auch wir sollen uns anpassen. Integration sei ein in beide Richtungen ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie laufender Prozess, der von allen Parteien Anstrengungen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE erfordert – auch die Bereitschaft der Aufnahmegemein- GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17317

(A) Dr. Karamba Diaby (SPD): sen in den Bereichen Strafverfolgung, Verbrechensverhü- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- tung und Einwanderungskontrolle. men und Herren! Kennen Sie Dr. Anton Wilhelm Amo? Unter anderem aus diesen Gründen wurde 2013 die (Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE]: Ja!) Internationale Dekade für Menschen afrikanischer Her- kunft von der UN-Generalversammlung unter dem Motto – Ah ja, eine kennt ihn. – Der ghanaische Philosoph war „Menschen Afrikanischer Abstammung – Anerkennung, der erste Mensch afrikanischer Abstammung, der an einer Gerechtigkeit und Entwicklung“ verabschiedet. Ich be- deutschen Universität – zufällig auch noch in meiner Hei- grüße ausdrücklich, dass zur Umsetzung des Beschlusses matstadt Halle – studiert, promoviert und als Dozent ge- in Deutschland einiges geschehen ist. lehrt hat. In seiner Doktorarbeit untersuchte er die Rechte von schwarzen Menschen in Europa. Und: Ich spreche Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat in Ko- hier über das 18. Jahrhundert! operation mit der Zivilgesellschaft zum Auftakt der De- kade feierlich ins Familienministerium eingeladen. Eini- Abgeordnete der AfD, alleine der Titel dieser Aktuel- ge Organisationen wie EOTO oder der Zentralrat der len Stunde verrät: Sie sind immer noch nicht in der Rea- Afrikanischen Gemeinde in Deutschland werden vom lität unseres Landes angekommen. Bund gefördert. Und: Erst im letzten Monat – das wurde von meiner Kollegin Filiz Polat angedeutet – habe ich im (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Rahmen der UN-Dekade zum Auftakt der „People of BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- African Descent“-Week in den Bundestag eingeladen. ordneten der CDU/CSU – Dr. Volker Ullrich Bei dieser Woche drehte sich alles um Menschen afrika- [CDU/CSU]: Waren die noch nie!) nischer Abstammung. Zum ersten Mal haben über In Deutschland leben mehr als 1 Million Menschen afri- 150 schwarze Menschen ihren Forderungen hier im Bun- kanischer Abstammung, und das nicht erst seit gestern. destag Gehör verschafft. Menschen afrikanischer Abstammung gehören schon seit über 400 Jahren zu Deutschland und sind somit auch Teil (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem der langen deutschen Einwanderungsgeschichte. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ordneten der FDP) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist uner- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jan Ralf Nolte träglich, dass die einzige Antwort der AfD auf globale [AfD]: Ich glaube, Sie haben das Thema gar Herausforderungen immer Ausgrenzung ist. nicht verstanden, worum es hier geht! Das ist offenbar zu schwer für Sie! – Gegenruf der (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN (B) Abg. Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (D) „Das ist zu schwer für Sie“?) bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der AfD: Das ist doch Unsinn!) – Sie sollen zuhören, damit Sie verstehen, was ich sage. Ich weiß ganz genau, wovon ich rede. – Als Bildungspo- Diese rassistische Ausgrenzung werden wir niemals zu- litiker kann ich Ihnen nur empfehlen: Machen Sie Ihre lassen. Hausaufgaben, und belesen Sie sich. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, (Beifall bei der SPD) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ungerechtigkeiten gegen Menschen afrikanischer Ab- Ja, ja!) stammung, also Versklavung und der Völkermord wäh- rend des deutschen Kolonialismus, sind nicht nur die Ur- Wir brauchen in Deutschland eine Gesamtstrategie der sachen für viele aktuelle Konflikte in Afrika, sondern Umsetzung der UN-Dekade „Menschen Afrikanischer auch für den Fortbestand rassistischer Ausgrenzung von Abstammung“. Diese Dekade muss in diesem Haus und Menschen afrikanischer Herkunft. auch auf der Regierungsebene besser platziert werden. Wir müssen schwarze Menschen in Deutschland als Historische Ereignisse bilden immer auch Bezugs- Gruppe anerkennen, die der spezifischen Form des Anti- punkte, um heutige Auseinandersetzungen zu Ideologien schwarzenrassismus ausgesetzt ist. der Ungleichwertigkeit zu verstehen und dagegen vorzu- gehen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag verein- (Jan Ralf Nolte [AfD]: Wir haben überhaupt bart, dass wir insbesondere die Aufarbeitung des Kolo- nichts gegen gut gebildete Schwarze in nialismus verstärken wollen. Deutschland! Wir sind gegen Massenimmigra- tion! Reden Sie mal zum Thema!) (Zuruf von der AfD) Alle demokratischen Parteien sind aufgefordert, Initiati- Dass die Vergangenheit Auswirkungen auf das Hier ven zur Förderung der politischen Beteiligung von Men- und Jetzt hat, belegen auch die Zahlen der Agentur der schen afrikanischer Abstammung zu unterstützen und zu Europäischen Union für Grundrechte und unserer Anti- entwickeln. diskriminierungsstelle des Bundes. Menschen afrikani- scher Abstammung sind besonders häufig Opfer rassisti- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Wo ist denn die scher Gewalt. Bei vielen fehlt es an Rechtshilfe und Gleichberechtigung, wenn man so was macht?) finanzieller Unterstützung. Auch auf staatlicher Ebene Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle- berichten Verbände häufig von Missbrauch von Befugnis- ginnen und Kollegen, das Europäische Parlament hat im 17318 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Dr. Karamba Diaby (A) März 2019 die Resolution zu den Grundrechten von Men- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem (C) schen afrikanischer Abstammung in Europa verabschie- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) det. 300 Jahre nach Anton Wilhelm Amo sollten wir das auch im Bundestag tun. Wenn Sie über Flüchtlingspolitik sprechen, dann muss auch erwähnt werden, dass die größte Herausforderung Ihnen wünsche ich schöne Weihnachten und schöne der letzten Jahre im Bereich der Flüchtlingspolitik ein- Feiertage! deutig der schlimme Bürgerkrieg in Syrien war. Über 5 Millionen Menschen mussten sich auf die Flucht ma- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, chen: in die Türkei, in den Libanon, nach Jordanien, und der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE das alles, weil das mörderische Regime von Assad seine GRÜNEN) eigenen Bürger verfolgt, in Folterkeller sperrt und sein eigenes Volk mit Giftgas bombardiert. Das hat zur Flücht- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: lingsbewegung in Europa geführt. Dann ist es nur zy- Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU, ist der nächste Redner. nisch, wenn Sie zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren mit einer Parlamentsdelegation nach Syrien fahren (Beifall bei der CDU/CSU) und diesem Regime die Aufwartung machen.

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE ren! Die Vereinten Nationen haben am 17. Dezember GRÜNEN – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Heu- 2018 den Globalen Pakt für Flüchtlinge mit übergroßer chelei ist das!) Mehrheit beschlossen, übrigens 94 Prozent aller UN- Es geht Ihnen nicht darum, über Flüchtlinge und deren Staaten. Das ist deswegen geschehen, weil wir wissen, Schicksal zu sprechen. Es geht Ihnen auch nicht um die dass Flucht und Vertreibung weltweite Phänomene sind, Aufnahmegesellschaft. Es geht Ihnen darum, durch eine bei denen eine Bekämpfung und eine Linderung der Not falsche Erzählung Gift in die Gesellschaft zu spritzen. nicht möglich ist, wenn jedes Land nur für sich arbeitet. Aber wir sind dagegen immun, weil wir deutlich machen, Der Schlüssel liegt vielmehr in der Kooperation. dass wir eine humanitäre Grundhaltung haben. Wir wis- (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Das sen, dass wir die Probleme der Welt nicht dadurch lösen, stimmt!) dass die Menschen alle zu uns kommen. Deswegen müs- sen wir auch den Menschen vor Ort helfen: durch Bil- Wenn ich jetzt hier, auch von der Seite der AfD, höre, dung, durch Ernährung, durch die UN-Flüchtlingshilfe; was dieser Globale Pakt für Flüchtlinge alles sein soll, (B) das ist gar keine Frage. Aber die Menschen, die hier bei (D) dann muss ich Ihnen zurufen: Sie sagen hier dem Deut- uns sind, die haben Würde und Anstand und Respekt ver- schen Bundestag nicht die Wahrheit. Der Globale Pakt für dient, und das ist das, was Ihnen den Menschen gegen- Flüchtlinge umfasst nämlich vier Punkte, von denen Sie über fehlt. allenfalls einen Punkt genannt haben. Die vier Punkte sind: Erstens. Druck auf die Aufnahmeländer mindern. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem Zweitens. Eigenständigkeit von Flüchtlingen fördern. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Drittens. Zugang zu Drittstaatenlösungen, sogenanntes ordneten der SPD – Dr. Harald Weyel [AfD]: Resettlement. Viertens. Bedingungen für eine Rückkehr Auch den Kriminellen gegenüber?) in Sicherheit und Würde ermöglichen. Alle vier Punkte sind notwendig. Das gilt übrigens auch für die Diskussion um einen Grundrechtekatalog oder um die Wahrnehmung von (Dr. Harald Weyel [AfD]: So sieht Vertrags- Grundrechten von Menschen afrikanischer Abstammung. wirklichkeit aus! – Gegenruf des Abg. Da kann ich Ihnen nur eines sagen: Ich bitte, dass Sie sich Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE über Weihnachten, wenn Zeit ist, einige wichtige Rechts- GRÜNEN]: Warum haben Sie das nicht be- texte zu Gemüte führen. nannt?) (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Hören Sie auf Es geht nämlich darum, dass wir wissen, dass wir eine mit dem Quatsch!) globale Verantwortung haben. Dort, wo Menschen flüch- ten, müssen diese Menschen Schutz und Zuflucht finden, Sie sollten beginnen mit der Allgemeinen Erklärung der und zwar in Würde und Sicherheit. Aber Flüchtlinge Menschenrechte. Menschenrechte sind universell und brauchen auch Unterstützung: Sie brauchen Bildung. nicht teilbar. Wir brauchen mehr Investitionen in das UN-Food-Pro- gramm und in die UN-Flüchtlingshilfe. Wir müssen aber (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, auch deutlich machen, dass natürlich bei aller Empathie der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE die Aufnahmestaaten auch vor großen Problemen stehen. GRÜNEN) (Dr. Harald Weyel [AfD]: Ja!) Das ist die Botschaft, die auch von dieser Debatte aus- geht: dass dieser Deutsche Bundestag sich hinter diese Auch das sagt dieser Globale Pakt: Es geht nur zusam- Menschenrechte stellt: hinter Würde, Respekt und einen men, indem man nämlich diese Punkte gemeinsam und toleranten und friedlichen Umgang. mit Empathie löst, und nicht, indem man die Menschen gegeneinander ausspielt. Herzlichen Dank und ein gutes neues Jahr! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17319

Dr. Volker Ullrich (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Türkei, Kolumbien, das sind die Hauptaufnahmeländer (C) bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- von Flüchtlingen weltweit. Deswegen geht es darum, SES 90/DIE GRÜNEN) für eine vernünftige und gerechtere Verteilung zu sorgen. Fünftens. Es geht in der Tat darum, die individuelle Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Lage der Geflüchteten zu verbessern, sie in die Lage zu Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Frank versetzen, ihre persönliche Entwicklung eigenständig ge- Schwabe, SPD. stalten zu können. Das ist eben nicht eine anonyme Masse von Menschen mit Gewalttäterfantasien oder Ähnlichem, (Beifall bei der SPD) sondern es geht um individuelle Schicksale. Wenn man Frank Schwabe (SPD): sich diese individuellen Schicksale anguckt, wenn man wirklich den einzelnen Menschen anguckt, dann sieht Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Eigent- man, welche erfolgreichen und sehr bewegenden Ge- lich dachte ich, dass es fünf Punkte gibt, die uns hier einen schichten mit diesen einzelnen Menschen verbunden sollten. Ich glaube, die gute Botschaft des heutigen Tages sind. ist, dass diese Punkte den größten Teil des Hauses auch einen. Aus diesen fünf Gründen und weil darüber im größten Das Erste ist, dass das Asylrecht gilt, und zwar ohne Teil dieses Hauses Einigkeit besteht, sind wir als Bundes- Wenn und Aber. Das hat was mit unserer Geschichte zu republik Deutschland in der Lage, diese Fragen interna- tun, mit schlimmsten Zeiten, in denen Menschen aus die- tional zu adressieren, und es ist richtig, das zu tun. Des- sem Land woanders, in anderen Ländern, Zuflucht ge- wegen ist es gut, dass es das Globale Flüchtlingsforum sucht und gefunden haben. Deswegen ist es für uns jen- gibt und Deutschland dabei eine führende Rolle gespielt seits der internationalen Abkommen eine Verpflichtung, hat. dieses Asylrecht zu gewährleisten. (Dr. Harald Weyel [AfD]: Eine verführende Das Zweite ist, dass wir alles tun sollten, um Konflikte Rolle!) auf der Welt zu minimieren. Denn das ist natürlich die Ich finde, diese Aktuelle Stunde bietet Gelegenheit, das Grundlage dafür, dass Menschen auf der Flucht sind. Der- gemeinsam zu würdigen. zeit sind 70 Millionen Menschen auf der Flucht: aus Sy- rien, aus Afghanistan, aus Venezuela und aus vielen ande- Welch Geistes Kind Sie von der AfD sind, sieht man an ren Ländern. dem Themenmix, den Sie heute als Aktuelle Stunde auf die Tagesordnung gesetzt haben. Das Dritte, was uns eigentlich einen sollte, ist die Fra- (B) ge, dass wir im Sinne der Menschen und im Sinne der (Zuruf des Abg. Martin Hebner [AfD]) (D) Minimierung von Konflikten natürlich wollen, dass die Sie können ja alles auf die Tagesordnung setzen, aber was Menschen nahe an ihrer Heimat bleiben können, wenn sie haben diese beiden Themen eigentlich miteinander zu fliehen. Die Menschen wollen ja gar nicht in andere Kon- tun? Das ist so, als würden Sie die Themen „5G“ und tinente der Welt fliehen, wenn sie denn da bleiben könn- „Grundrente“ zusammen in eine Aktuelle Stunde packen. ten, wo sie sind. (Dr. Harald Weyel [AfD]: Doch! – Fabian (Zurufe von der AfD) Jacobi [AfD]: Das stimmt doch gar nicht!) Sie haben es vielleicht noch nicht verstanden – Sie – Diejenigen, die jetzt am meisten schreien, sind ja inte- haben ja schon einige Hinweise erhalten, dass Sie das ressanterweise diejenigen, die die humanitäre Hilfe ab- mal nachlesen sollten –; aber wir reden darüber, dass lehnen, weil sie das als Regime Change verunglimpfen. – wir Gruppen von Menschen auf der Welt helfen müssen, Also, insofern: Wenn wir wollen, dass Menschen in der weil es eben gruppenbezogene Benachteiligung auf der Nähe des Ortes, aus dem sie flüchten mussten, bleiben Welt gibt: von Frauen, von Menschen mit Behinderungen können, müssen wir dafür sorgen, dass diese Menschen und eben auch von Schwarzen. Deswegen ist es richtig, ordentliche Bedingungen haben. sich um die Grundrechte dieser Menschen, die über Jahr- zehnte und Jahrhunderte mit Füßen getreten wurden, be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sonders zu kümmern. Es ist begrüßenswert, dass sich das der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des Europäische Parlament damit beschäftigt und der Bun- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) destag eben auch. Wir haben die Mittel für die humanitäre Hilfe gemeinsam, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Opposition und Koalition gemeinsam, in den letzten bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und sechs Jahren vervierfacht: auf 1,6 Milliarden Euro. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viertens. Allen, egal welche Meinung man zu Migra- Zum Schluss. Es hilft ja doch, weil der eine oder andere tion und Flucht hat, muss völlig klar sein: Wir wollen, von Ihnen Ihre Fraktion und Ihre Partei verlässt, weil er dass die Menschen verteilt werden, weltweit und inner- vielleicht doch auf den richtigen Weg kommt. halb der EU. Es ist nicht so, wie es immer wieder sugge- riert wird, dass die Mehrheit der Menschen nach Deutsch- (Lachen bei Abgeordneten der AfD – land kommt. 84 Prozent der flüchtenden Menschen Dr. Harald Weyel [AfD]: Aber nicht zu Ihnen! – flüchten in andere Entwicklungsländer, in Schwellenlän- Ulrich Lechte [FDP]: Die haben ihr eigenes der. Uganda, Äthiopien, Bangladesch, der Libanon, die Flüchtlingsproblem!) 17320 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

Frank Schwabe (A) Das bietet die Chance, über Weihnachten in sich zu gehen eigenständiges, neues Leben aufzubauen. Man beschloss, (C) und zu überlegen, wie das mit Ihnen so ist. Ich überlege sich alle vier Jahre zu treffen, um die Erfahrungen mit- ja: Was ist bei dem einen oder anderen von Ihnen pas- einander auszutauschen. – Darum geht es in dem ersten siert? Was ist das für ein Hass, den Sie in sich tragen? Teil des Titels dieser Aktuellen Stunde, den Sie von der AfD gewählt haben. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Was ist mit der SPD passiert? – Weitere Zurufe von der AfD) In den letzten Tagen fand das Globale Flüchtlingsfo- rum in Genf statt, mit dem Ziel, alle Staaten, aber auch Es gibt die Weihnachtsbotschaft: Es gibt Erlösung, auch Vertreter von Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft bei Hass im Herzen. an einen Tisch zu bringen, um konstruktiv zu werden. Es (Peter Boehringer [AfD]: Wünschen Sie uns ging um den Austausch von Ideen, von Erfahrungen, von doch einfach frohe Weihnachten!) Konzepten, wie Flüchtlingen in den Erstaufnahmeländern geholfen werden kann. Es ging um Integration zum Nut- Deswegen wünsche ich in der Tat allen in diesem Hau- zen der Geflüchteten wie auch der Gastländer, um das se, Ziel zu erreichen: Niemanden vergessen, niemanden zu- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Behalten Sie es rücklassen. Denn die Gefahr des Zurückgelassenwerdens bei sich! Wir brauchen es nicht!) ist für Geflüchtete besonders hoch. In dem Weltbildungs- bericht 2019 steht, dass besonders Kindern von geflüch- allen Menschen, unabhängig von Religion, unabhängig teten Menschen das Recht auf hochwertige Bildung oft von Hautfarbe, unabhängig von Gender, unabhängig nur unzureichend gewährt wird; natürlich, weil das eine von sexueller Orientierung, frohe Weihnachten. vulnerable Situation ist. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Im Bereich Bildung haben wir in Deutschland sehr viel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- erreicht. In den zehn, zwölf besten Ländern, zum Beispiel ordneten der FDP und der LINKEN – in Australien, Ungarn oder Mexiko, wird längst nicht so Dr. Harald Weyel [AfD]: Danke gleichfalls!) viel investiert für Menschen, die migriert sind. Wir brauchen aber nicht mit dem Finger auf andere zu Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: zeigen. Vorhin wurde zweimal Lesbos angesprochen, ei- Frank Heinrich, CDU/CSU, ist der letzte Redner ne Region in Europa, ein Hotspot der EU. Ein Mitarbeiter (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Dieses Jahres! – in meinem Büro hat gestern mit einem Sozialarbeiter in Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE dieser diesbezüglich wirklich schwierigen Region Euro- pas gesprochen und erfahren, dass trotz einer Kapazität (B) GRÜNEN]: Dieses Jahrzehnts!) (D) für nur 3 000 Menschen die 18 000er-Grenze überschrit- in dieser Aktuellen Stunde. ten wurde. Rund 7 000 Menschen leben im Moment in (Beifall bei der CDU/CSU) Sommerwurfzelten in den Olivenhainen um das eigent- liche Hotspotgelände herum, meist nicht mal mit einer Europalette drunter. Besonders schwer haben es die unbe- Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): gleiteten Jugendlichen. Wir haben den Sozialarbeiter ge- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und fragt, welchen Weihnachtswunsch er hat: sich um diese Kollegen! Niemanden zurücklassen – das hat schon unser Gruppe besonders zu kümmern. Kollege Castellucci vorhin gesagt –, das ist das Ziel der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Niemanden zurücklassen! Aber davon sind wir noch ein ganzes Stück entfernt. Deshalb braucht es solche Kon- Wir haben die Zahlen hier jetzt schon mehrfach ausge- ferenzen, um das zu untermauern und um uns gegenseitig tauscht – diese Debatte wird ja weit erregter geführt, als zu überprüfen. Wir haben in Deutschland Geflüchtete ich gehofft hatte so kurz vor Weihnachten –: Weltweit aufgenommen. Wir haben einiges erreicht, und vieles sind 70 Millionen Menschen unterwegs, mehr noch, die läuft gut; aber es braucht das Benennen von Missständen, meisten davon in ihren eigenen Ländern. Aber mindes- den internationalen Austausch, das Voneinanderlernen tens 25 Millionen verlassen ihre Heimat wegen Krieg, und eine Solidarisierung mit den Ländern, die viele Ge- wegen Verfolgung, wegen Verletzung von Menschen- flüchtete aufnehmen. rechten, und in ersten Fällen auch wegen der Folgen der Klimakatastrophe. In dem Text steht – das hat mein Kollege gerade vor- gelesen –, dass es um die Hilfe vor Ort geht, damit die Not (Norbert Kleinwächter [AfD]: Und vor allem der Flucht gar nicht erst zutage tritt. In diesem Sinne hat auch aus wirtschaftlichen Interessen!) das Globale Flüchtlingsforum in Genf diese Woche gute Es wurde gerade schon gesagt: Am 17. Dezember letz- Arbeit geleistet, auch im Hinblick auf Länder, die gerade ten Jahres wurde das globale Flüchtlingsabkommen ab- große Flüchtlingslager schließen wollen – ich denke an geschlossen, mit dem die internationale Zusammenarbeit Dadaab in Kenia, das auf Ersuchen von Äthiopien in Flüchtlingsfragen verbessert und eine bessere Verant- schließen will –, weil wir unsere Tantiemen, unsere An- wortungsteilung erreicht werden soll. In diesem Compact teile nicht bezahlt haben, wie schon 2015 im Zusammen- wurde ein ganz neuer Ansatz verfolgt: Geflüchtete sind in hang mit Syrien; Deutschland übrigens ausgeschlossen. die Aufnahmegemeinschaften einzubinden, ihnen ist Zu- Wir müssen doch sagen, was international passieren gang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt zu bieten, ihnen muss. Wir müssen das doch einfordern. Sonst kommt ist die Möglichkeit zu geben, sich einzubringen, sich ein das, was wir versprochen haben, nicht zustande. Dann Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17321

Frank Heinrich (Chemnitz) (A) gerät uns das außer Kontrolle. Wir müssen dafür sorgen, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) dass in Zukunft niemand zurückgelassen wird. Herr Kollege.

Meine Damen und Herren Abgeordnete von der AfD, Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): ich bedanke mich ebenso wie mein Kollege gerade dafür, In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen besinnliche dass Sie dieses Thema jetzt, kurz vor Weihnachten, auf und friedliche Weihnachten und Gottes reichen Segen, die Tagesordnung gesetzt haben. Wir feiern hier – gestern nicht nur dieses und nächstes Jahr, sondern auch im haben wir das gemeinsam im Paul-Löbe-Haus gefeiert – nächsten Jahrzehnt. die Geburt von Jesus als Mensch, der im Umfeld von Armut aufgewachsen ist, von Jesus, der bereits als Klein- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem kind Verfolgter war – immerhin sind Hunderte Gleich- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- altrige umgebracht worden –, von Jesus, der zum Flücht- ordneten der FDP und der LINKEN) ling wurde – übrigens zum Flüchtling nach Afrika –, von Jesus, der sich Zeit seines Lebens für die Schwächsten Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: und Ärmsten der Gesellschaft eingesetzt hat und dabei Die Aktuelle Stunde ist beendet. nicht nach Nationalität und Volkszugehörigkeit gefragt hat, von Jesus, der eben keinen zurückgelassen hat. Ist Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord- es nicht auch für Sie, die Sie das christliche Abendland so nung. oft im Munde führen, an der Zeit, darüber nachzudenken, Ich wünsche Ihnen allen und Ihren Familien ein ge- wie die Haltung Jesu war? segnetes Weihnachtsfest und uns allen und unserem Land (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem und der ganzen Menschheit ein friedvolles Jahr 2020. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- (Beifall) ordneten der FDP und der LINKEN) Die Sitzung ist geschlossen. Auch uns geht es nicht in erster Linie darum, alle aufzu- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- nehmen. Es geht um die Haltung, mit der wir argumen- tages auf Mittwoch, den 15. Januar 2020, 13 Uhr, ein. tieren, in der auch die Flüchtlingsdebatte in Genf geführt wurde. (Schluss: 15.39 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17323

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Altmaier, Peter CDU/CSU Korte, Jan DIE LINKE Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ Kubicki, Wolfgang FDP DIE GRÜNEN Lindner, Christian FDP Bluhm-Förster, Heidrun DIE LINKE Magnitz, Frank AfD Brunner, Dr. Karl-Heinz SPD Marwitz, Hans-Georg von CDU/CSU Buchholz, Christine DIE LINKE der Bull-Bischoff, Dr. Birke DIE LINKE Mast, Katja SPD Bülow, Marco fraktionslos Merkel, Dr. Angela CDU/CSU Burkert, Martin SPD Müller-Böhm, Roman FDP Damerow, Astrid CDU/CSU Nick, Dr. Andreas CDU/CSU De Ridder, Dr. Daniela SPD Petry, Dr. Frauke fraktionslos Föst, Daniel FDP Poschmann, Sabine SPD Freihold, Brigitte DIE LINKE Remmers, Ingrid DIE LINKE Friedhoff, Dietmar AfD Rix, Sönke SPD (B) (D) Frömming, Dr. Götz AfD Rüthrich, Susann SPD Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU Gerdes, Michael SPD Scheer, Dr. Nina SPD Gohlke, Nicole DIE LINKE Schmid, Dr. Nils SPD Groß, Michael SPD Schmidt, Dr. Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Heil, Mechthild CDU/CSU Schneider, Jörg AfD Heinrich, Gabriela SPD Schreiner, Felix CDU/CSU Hendricks, Dr. Barbara SPD Schwarz, Andreas SPD Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Solms, Dr. Hermann Otto FDP Hitschler, Thomas SPD Stefinger, Dr. Wolfgang CDU/CSU Höchst, Nicole AfD Steinke, Kersten DIE LINKE Irmer, Hans-Jürgen CDU/CSU Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE Juratovic, Josip SPD Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ Kamann, Uwe fraktionslos DIE GRÜNEN Kessler, Dr. Achim DIE LINKE Weber, Gabi SPD Kipping, Katja DIE LINKE Weiler, Albert H. CDU/CSU Konrad, Carina FDP Willkomm, Katharina FDP 17324 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019

(A) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (C) Abgeordnete(r) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Witt, Uwe AfD Sechster Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung und Zukunftsperspektiven der mari- Zimmermann (Zwickau), DIE LINKE timen Wirtschaft in Deutschland Sabine Drucksache 19/9030 Zimmermann, Pia DIE LINKE – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht nach § 7 des Transparenzgesetzes – Rück- bau von Kernkraftwerken Drucksachen 19/6223, 19/6501 Nr. 3 Anlage 2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Erklärung nach § 31 GO Bericht nach § 7 des Transparenzgesetzes – Rück- der Abgeordneten Gisela Manderla (CDU/CSU) zu bau von Kernkraftwerken der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Drucksachen 19/15495, 19/15933 Nr. 1 Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesnatur- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schutzgesetzes – Unterrichtung durch die Antidiskriminierungsstelle (137. Sitzung, 19.12.2029, Zusatzpunkt 12) des Bundes Ich habe versehentlich mit Nein gestimmt. Mein Vo- Dritter Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminie- tum lautet Ja. rungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständig- keitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundes- regierung und des Deutschen Bundestages Anlage 3 Diskriminierung in Deutschland Drucksache 18/13060 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung (B) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolge- (D) Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie nabschätzung gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von – Unterrichtung durch die Bundesregierung einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Gutachten zu Forschung, Innovation und technolo- gischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2019 Haushaltsausschuss Drucksache 19/8400 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen des – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundes zur Unterstützung von Ländern und Kom- Fortschrittsbericht zur Hightech-Strategie 2025 munen im Bereich der Flüchtlings- und Integra- tionskosten und die Mittelverwendung durch die hier: Stellungnahme zum Gutachten zu For- Länder im Jahr 2018 schung, Innovation und technologischer Leistungs- fähigkeit Deutschlands 2019 Drucksachen 19/10650, 19/11247 Nr. 2 Drucksachen 19/13030, 19/13637 Nr. 2 – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundestages in der Interparlamentarischen Konferenz Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdo- und Steuerung in der Europäischen Union kumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Zwölfte Tagung der Konferenz im Rahmen der Eu- ropäischen Parlamentarischen Woche am 18. und Ausschuss für Inneres und Heimat 19. Februar 2019 in Brüssel Drucksache 19/8458 Nr. A.3 EP P8_TA-PROV(2019)0075 Drucksachen 19/13428, 19/14232 Nr. 1.2 Drucksache 19/9106 Nr. A.4 Ratsdokument 7271/19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 19/9106 Nr. A.5 Ratsdokument 7296/19 Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung Drucksache 19/10072 Nr. A.2 der Finanzhilfen des Bundes und der Steuerver- EP P8_TA-PROV(2019)0311 Drucksache 19/10072 Nr. A.3 günstigungen für die Jahre 2017 bis 2020 (27. Sub- EP P8_TA-PROV(2019)0312 ventionsbericht) Drucksache 19/10072 Nr. A.4 Ratsdokument 8093/19 Drucksachen 19/15340, 19/15584 Nr. 1.6 Drucksache 19/10072 Nr. A.5 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. Dezember 2019 17325

(A) Ratsdokument 8094/19 Ratsdokument 13815/19 (C) Drucksache 19/10072 Nr. A.6 Ratsdokument 8095/19 Ausschuss für Tourismus Drucksache 19/10329 Nr. A.2 Drucksache 19/15590 Nr. A.17 Ratsdokument 8560/19 EP P9_TA-PROV(2019)0047 Drucksache 19/13202 Nr. A.1 Ratsdokument 10869/19 Drucksache 19/13655 Nr. A.2 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ratsdokument 11846/19 Drucksache 19/910 Nr. A.134 Drucksache 19/13655 Nr. A.3 Ratsdokument 15655/17 Ratsdokument 11848/19 Drucksache 19/1252 Nr. A.12 Drucksache 19/13655 Nr. A.4 Ratsdokument 15653/17 Ratsdokument 11857/19 Drucksache 19/8458 Nr. A.17 Drucksache 19/13655 Nr. A.5 EP P8_TA-PROV(2019)0077 Ratsdokument 11858/19 Drucksache 19/8458 Nr. A.19 EP P8_TA-PROV(2019)0079 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 19/9106 Nr. A.13 Drucksache 19/14940 Nr. A.12 Ratsdokument 6782/19 EP P9_TA-PROV(2019)0026 Drucksache 19/10072 Nr. A.25 Drucksache 19/14940 Nr. A.13 EU-Dok 126/2019 EP P9_TA-PROV(2019)0027 Drucksache 19/10072 Nr. A.26 Drucksache 19/15590 Nr. A.5 EP P8_TA-PROV(2019)0328 EP P9_TA-PROV(2019)0041 Drucksache 19/11257 Nr. A.11 Drucksache 19/15590 Nr. A.7 EU-Dok 184/2019 Ratsdokument 13679/19 Drucksache 19/11257 Nr. A.13 Ratsdokument 9830/19 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 19/13202 Nr. A.37 Drucksache 19/14239 Nr. A.8 ERH 13/2019 Ratsdokument 12399/19 Drucksache 19/13202 Nr. A.40 Drucksache 19/14239 Nr. A.9 Ratsdokument 10064/19 Ratsdokument 12546/19 Drucksache 19/14239 Nr. A.13 ERH 14/2019 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 19/15256 Nr. A.5 Drucksache 19/15590 Nr. A.9 Ratsdokument 13382/19 Ratsdokument 13687/19 Drucksache 19/15256 Nr. A.6 Drucksache 19/15590 Nr. A.10 Ratsdokument 13383/19 Ratsdokument 13811/19 Drucksache 19/15590 Nr. A.11 Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Ratsdokument 13813/19 Drucksache 19/15590 Nr. A.20 Drucksache 19/15590 Nr. A.12 Ratsdokument 13434/19 (B) (D) Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333