Plenarprotokoll 16/171

Deutscher

Stenografischer Bericht

171. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: , Bundesminister BMELV ...... 18122 B Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Ent- (CDU/CSU) ...... 18123 A wurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch Horst Seehofer, Bundesminister BMELV ...... (Drucksache 16/9690) ...... 18117 A 18123 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 18123 D Tagesordnungspunkt 2: Horst Seehofer, Bundesminister Befragung der Bundesregierung: In Form – BMELV ...... 18123 D Deutschlands Initiative für gesunde Ernäh- rung und mehr Bewegung Zusatztagesordnungspunkt 1: Horst Seehofer, Bundesminister BMELV ...... 18117 B Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zu Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ dem Bericht der US-Luftwaffe über DIE GRÜNEN) ...... 18118 B Sicherheitslücken bei den US-Atomwaffen- , Bundesministerin lagern in Deutschland und Europa BMG ...... 18118 D Dr. (FDP) ...... 18124 A (CDU/CSU) ...... 18119 A Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär Horst Seehofer, Bundesminister BMVg ...... 18125 B BMELV ...... 18119 B Inge Höger (DIE LINKE) ...... 18127 A Ulla Schmidt, Bundesministerin Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 18128 B BMG ...... 18119 C (BÜNDNIS 90/ (DIE LINKE) ...... 18120 A DIE GRÜNEN) ...... 18129 B Horst Seehofer, Bundesminister (CDU/CSU) ...... 18130 C BMELV ...... 18120 B Elke Hoff (FDP) ...... 18131 C Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) ...... 18120 D (SPD) ...... 18132 C Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG ...... 18121 A Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) ...... 18133 C Horst Seehofer, Bundesminister BMELV ...... 18121 B Gert Winkelmeier (fraktionslos) ...... 18134 C Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 18121 D Rolf Kramer (SPD) ...... 18135 C II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Gert Winkelmeier (fraktionslos) ...... 18155 A (CDU/CSU) ...... 18136 B Eckart von Klaeden (CDU/CSU) ...... 18156 A Gerd Höfer (SPD) ...... 18137 B Karin Kortmann, Parl. Staatssekretärin BMZ ...... 18156 D Tagesordnungspunkt 4: (CDU/CSU) ...... 18158 A Abgabe einer Regierungserklärung durch den Detlef Dzembritzki (SPD) ...... 18159 A Bundesminister des Auswärtigen: zu den Er- gebnissen der Afghanistan-Konferenz in Paris Tagesordnungspunkt 3: Fragestunde in Verbindung mit (Drucksachen 16/9683, 16/9740) ...... 18160 C

Zusatztagesordnungspunkt 2: Dringliche Frage 1 Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit DIE GRÜNEN) und Entwicklung zu dem Antrag der Abge- Sicherheitslage des simbabwischen Oppo- ordneten Ute Koczy, (Bre- sitionsführers Morgan Tsvangirai men), (Köln), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Antwort GRÜNEN: Entwicklung in Afghanistan – Günter Gloser, Staatsminister für Strategien für eine wirkungsvolle Aufbau- Europa ...... 18160 D arbeit kohärent umsetzen Zusatzfragen (Drucksachen 16/8887, 16/9685) ...... 18138 B Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 18161 A in Verbindung mit Dringliche Frage 2 Zusatztagesordnungspunkt 3: Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Folgerungen aus dem Beschluss des UN- Abgeordneten Jürgen Trittin, Ute Koczy, Sicherheitsrates zu Simbabwe und weitere Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter Lösungsansätze zur Deeskalation in Sim- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- babwe NEN: Staatsaufbau in Afghanistan – Pari- Antwort ser Konferenz zur kritischen Überprüfung Günter Gloser, Staatsminister für und Kurskorrektur des Afghanistan- Europa ...... 18161 B Compacts nutzen (Drucksachen 16/9428, 16/9711) ...... 18138 B Zusatzfragen Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ Dr. Frank-Walter Steinmeier, DIE GRÜNEN) ...... 18161 C Bundesminister AA ...... 18138 C Dr. (FDP) ...... 18141 B Mündliche Frage 20 Dr. Dr. (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 18142 D DIE GRÜNEN) (DIE LINKE) ...... 18144 C Vorlage des Referentenentwurfs für das (Wiesloch) (SPD) ...... 18146 D Gesetz in Sachen Fahrgastrechte sowie noch offene Sachfragen Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 18148 A Antwort Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) ...... 18149 D BMJ ...... 18162 B Hellmut Königshaus (FDP) ...... 18151 B Zusatzfragen Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ Christel Riemann-Hanewinckel (SPD) . . . . . 18152 C DIE GRÜNEN) ...... 18162 C Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 18154 A DIE GRÜNEN) ...... 18163 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 III

Mündliche Frage 21 Antwort Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin DIE GRÜNEN) BMF ...... 18166 A Erfahrungen der außergerichtlichen Zusatzfragen Schlichtung im Bereich der Fahrgastrechte Frank Schäffler (FDP) ...... 18166 B und geplante gesetzliche Regelungen in die- sem Zusammenhang Mündliche Frage 27 Antwort Frank Schäffler (FDP) Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ ...... 18163 C Zusammenhang des Ausscheidens der Ge- schäftsführer der Finanzagentur GmbH Zusatzfrage zum 31. Dezember 2007 bzw. 30. April 2008 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ mit deren Haltung zum Ausschöpfen der DIE GRÜNEN) ...... 18163 C Liquiditätslinie gegenüber der Deutschen Industriebank AG (IKB) Mündliche Frage 22 Antwort Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin DIE GRÜNEN) BMF ...... 18166 C Haltung der Bundesregierung zu einer ver- Zusatzfragen kehrsträgerübergreifenden außergerichtli- Frank Schäffler (FDP) ...... 18166 C chen Schlichtung im Bereich der Fahrgast- rechte Mündliche Frage 45 Antwort Lutz Heilmann (DIE LINKE) Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär BMJ ...... 18163 D Haltung der Bundesregierung zur Aussage des Ministerpräsidenten von Schleswig- Zusatzfragen Holstein bezüglich der Unterzeichnung des Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ deutsch-dänischen Staatsvertrags zum ge- DIE GRÜNEN) ...... 18164 A planten Bau der festen Fehmarnbelt-Que- Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ rung noch vor der Sommerpause DIE GRÜNEN) ...... 18164 A Antwort Achim Großmann, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 23 BMVBS ...... 18167 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen DIE GRÜNEN) Lutz Heilmann (DIE LINKE) ...... 18167 C Position der Bundesregierung bei der be- absichtigten Vorlage eines Entwurfs für eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie Mündliche Frage 49 durch die EU-Kommission sowie zur Ent- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ schließung des EU-Parlaments vom DIE GRÜNEN) 20. Mai 2008 Wettbewerbsvorteile der DB Rent als Antwort hundertprozentige Tochter der DB AG; Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Initiativen der Bundesregierung auf euro- BMJ ...... 18164 C päischer Ebene zur verbindlichen Berück- sichtigung des Tarifrechts bei Ausschrei- Zusatzfragen bungsverfahren Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 18164 D Antwort Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBS ...... 18168 B Mündliche Frage 26 Zusatzfragen Frank Schäffler (FDP) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 18168 C Zeitpunkt des vollen Ausschöpfens der Dorothée Menzner (DIE LINKE) ...... 18169 A Liquiditätslinie der Finanzagentur GmbH (FDP) ...... 18169 B gegenüber der IKB Deutschen Industrie- bank AG und Einfluss des Bundesministe- riums der Finanzen Nächste Sitzung ...... 18169 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Anlage 1 Flächen durch Energie- bzw. Saatgutkon- zerne in den vergangenen fünf Jahren Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 18171 A Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Anlage 2 BMELV ...... 18173 A Mündliche Fragen 1 und 2 Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Anlage 7 Haltung der Bundesregierung zur Erklä- Mündliche Frage 7 rung des US-Präsidenten Bush während Cornelia Hirsch (DIE LINKE) seines Besuches in Deutschland zur Offen- haltung eines militärischen Vorgehens ge- Geplante Maßnahmen in der verbleiben- gen den Iran den Zeit der 16. Legislaturperiode zur Antwort Stärkung des zweiten und dritten Bildungs- Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . . . 18171 C weges Antwort Andreas Storm, Parl. Staatssekretär Anlage 3 BMBF ...... 18173 B Mündliche Frage 3 Manfred Kolbe (CDU/CSU) Anlage 8 In der 16. Wahlperiode neu angesiedelte bzw. geplante Ansiedlungen von Bundes- Mündliche Frage 8 einrichtungen in den östlichen Bundeslän- Cornelia Hirsch (DIE LINKE) dern Haltung der Bundesregierung zu einem Antwort Rechtsanspruch auf einen mittleren Schul- , Parl. Staatssekretär abschluss BMI ...... 18171 D Antwort Andreas Storm, Parl. Staatssekretär Anlage 4 BMBF ...... 18173 D Mündliche Frage 4 Manfred Kolbe (CDU/CSU) Anlage 9 In der 16. Wahlperiode neu angesiedelte Mündliche Frage 9 bzw. geplante Ansiedlungen von Bundes- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ einrichtungen in den westlichen Bundes- DIE GRÜNEN) ländern Konsequenzen der Bundesregierung aus Antwort dem Eindringen von Radioaktivität in die Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär Salzlauge des Forschungsendlagers Asse BMI ...... 18172 B mit Wissen des Landesbergamtes Nieder- sachsen im Hinblick auf das Helmholtz- Zentrum als Betreiber Anlage 5 Antwort Mündliche Frage 5 , Parl. Staatssekretär Dr. (DIE LINKE) BMBF ...... 18174 A Unterrichtung der Lebensmittelproduzen- ten über die Möglichkeiten der „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung sowie hier- Anlage 10 für eingesetzte Haushaltsmittel Mündliche Frage 10 Antwort Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN) BMELV ...... 18172 D Etwaige Einschaltung der Bundesaufsicht nach dem Atomgesetz als Konsequenz feh- Anlage 6 lender Kontrolle des Helmholtz-Zentrums als Betreiber des Forschungsendlagers Mündliche Frage 6 Asse durch das Landesumweltamt Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Antwort Kenntnisse der Bundesregierung über den Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär Ankauf land- und forstwirtschaftlicher BMBF ...... 18174 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 V

Anlage 11 Haltung der Bundesregierung zur Prüfung Mündliche Frage 11 von Alternativen zum Flutungskonzept von Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Asse II DIE GRÜNEN) Antwort Haltung der Bundesregierung zur Geneh- Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär migung des Bergamtes Clausthal-Zeller- BMBF ...... 18175 C feld für das Verbringen von zum Teil kon- taminierter Lauge im Bergwerk Asse II Anlage 16 Antwort Mündliche Fragen 18 und 19 Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär (BÜNDNIS 90/ BMBF ...... 18174 D DIE GRÜNEN) Fehlende Information über stark erhöhte Anlage 12 Strahlenwerte im Forschungsendlager Asse II Mündliche Frage 12 sowie ungenehmigte Verbringung radioak- Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ tiver Substanzen durch den Betreiber DIE GRÜNEN) Antwort Haltung der Bundesregierung zum unge- Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär schützten Verbleib verstrahlten Materials BMBF ...... 18176 A im Bergwerk Asse II und zu den Möglich- keiten einer Bergung Anlage 17 Antwort Mündliche Fragen 24 und 25 Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär Jürgen Koppelin (FDP) BMBF ...... 18175 A Beantwortung der schriftlichen Frage 26 des Abg. Jürgen Koppelin in Drucksa- Anlage 13 che 16/5954 vom 30. Mai 2008; Finanzielle Mündliche Fragen 13 und 14 Einlagen von Institutionen des Bundes bei Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ der IKB in den Jahren 2006, 2007 und 2008 DIE GRÜNEN) Antwort Haltung der Bundesregierung zu den Vor- Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin schlägen von Mitgliedern des Niedersächsi- BMF ...... 18176 B schen Landtages bezüglich der Möglichkeit einer Rückholung der Atommüllfässer des Endlagers Asse; Auswirkungen des Baus Anlage 18 von Strömungsbarrieren Mündliche Frage 28 Antwort Carl-Ludwig Thiele (FDP) Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär Verlängerung und etwaige Erhöhung der BMBF ...... 18175 A bestehenden Kreditlinie für die IKB auf 500 Millionen Euro durch die Bundesrepu- Anlage 14 blik Deutschland – Finanzagentur GmbH nach dem Schnüren des ersten Rettungs- Mündliche Frage 15 paketes am 30. Juni 2007 Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin Durch radioaktive Verseuchung bedrohte BMF ...... 18176 C Einzugsgebiete der Wasserwerke im Groß- raum Braunschweig bei Durchführung des Flutungskonzepts Asse II Anlage 19 Antwort Mündliche Frage 29 Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär Carl-Ludwig Thiele (FDP) BMBF ...... 18175 B Tatsächliche Absicherung der Kreditlinie der IKB zu 100 Prozent über die gesamte Anlage 15 Laufzeit Mündliche Fragen 16 und 17 Antwort Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin DIE GRÜNEN) BMF ...... 18176 C VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Anlage 20 Anlage 24 Mündliche Frage 30 Mündliche Frage 36 Dr. (BÜNDNIS 90/ Dr. (DIE LINKE) DIE GRÜNEN) Haltung der Bundesregierung zur Schlie- Teilweise oder vollständige Besicherung ßung des nahezu gesamten eigenen Filial- des von der Finanzagentur GmbH der IKB netzes der Deutschen Post AG sowie dessen gewährten Kredits in Höhe von 500 Millio- Umwandlung in private Agenturen hin- nen Euro sichtlich der gesetzlich vorgeschriebenen Angebotsdichte von Postdienstleistungen, Antwort des Services und des Erhalts sozialver- Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin sicherungspflichtiger Beschäftigung BMF ...... 18176 D Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär BMWi ...... 18178 A Anlage 21

Mündliche Frage 31 Anlage 25 (CDU/CSU) Mündliche Fragen 37 und 38 Angabe der Höhe der Einnahmen aus der Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Mehrwertsteuer nach Bereichen und Feh- len dieser Informationen zum Beispiel bei Notwendigkeit der Aufnahme von zusätz- Kraftstoffen lichen Kriterien bezüglich der Qualität von Postdienstleistungen sowie sozialer Min- Antwort deststandards für die Arbeitsplätze in sta- Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin tionären Einrichtungen in die Post-Univer- BMF ...... 18177 A saldienstleistungsverordnung Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär Anlage 22 BMWi ...... 18178 C Mündliche Fragen 32 und 33 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Anlage 26 Entwicklung der Streitfälle und des Ver- Mündliche Fragen 39 und 40 waltungsaufwandes bezüglich der steuerli- (DIE LINKE) chen Absetzbarkeit für das häusliche Ar- Haltung der Bundesregierung zur in der beitszimmer nach dessen Einschränkung gemeinsamen Erklärung der EU-Mitglie- durch das Steueränderungsgesetz 2007 so- der Belgien, Zypern, Griechenland, Spa- wie Wahrung des objektiven Nettoprinzips nien und Ungarn geäußerten Kritik an der bei den geltenden Regelungen für die steu- Ausgestaltung der EU-Arbeitszeitrichtli- erliche Absetzbarkeit nie sowie zur weiterhin durch Frankreich Antwort beabsichtigten Wertung von Ruhezeiten als Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin aktive Arbeitszeit BMF ...... 18177 B Antwort Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär BMWi ...... 18179 B Anlage 23 Mündliche Fragen 34 und 35 Anlage 27 Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Mündliche Frage 41 Entwicklung der Gehälter der Vorstände Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) der zehn größten Unternehmen mit unmit- Haltung der Bundesregierung zum Inter- telbarer Beteiligung des Bundes in den letz- pretationsvorschlag des bayerischen ten fünf Jahren; Entwicklung der Bonus- Staatsministers für Unterricht und Kultus zahlungen der Vorstände der zehn größten bezüglich der Ratifizierung der UN-Kon- Unternehmen mit unmittelbarer Beteili- vention über die Rechte der Menschen mit gung des Bundes in den letzten fünf Jahren Behinderungen Antwort Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär BMF ...... 18177 D BMAS ...... 18179 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 VII

Anlage 28 Anlage 32 Mündliche Frage 42 Mündliche Fragen 47 und 48 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Maßnahmen der Bundesregierung zur bes- seren Versorgung von Schwerbehinderten Vorlage des Sachverständigengutachtens während ihres Krankenhausaufenthaltes zum Absturz eines Querriegels am Berliner seit Übergabe der Ergebnisse der ForseA- Hauptbahnhof am 18. Januar 2007 und Kampagne „Ich muss ins Krankenhaus ... Maßnahmen der Bundesregierung zur und nun?“ an die Beauftrage der Bundes- Aufklärung der Verantwortlichkeiten regierung für die Belange von Menschen Antwort mit Behinderungen am 27. September 2007 Achim Großmann, Parl. Staatssekretär Antwort BMVBS ...... 18181 A Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär BMAS ...... 18180 A Anlage 33 Mündliche Frage 50 Anlage 29 Veronika Bellmann (CDU/CSU) Mündliche Frage 43 Grundlagen der Erstellung der TEN-Con- Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) nect-Studie und Ergebnisse Haltung der Bundesregierung zur Behaup- Antwort tung des Ausreichens eines Einkommens in Achim Großmann, Parl. Staatssekretär Höhe von 781 Euro für die Teilhabe am ge- BMVBS ...... 18181 B sellschaftlichen Leben über den Grundbe- darf hinaus Anlage 34 Antwort Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 51 BMAS ...... 18180 B Lutz Heilmann (DIE LINKE) Von verzögerten Planungsverfahren be- troffene Flughäfen durch die fehlende Ver- Anlage 30 abschiedung des untergesetzlichen Regel- Mündliche Frage 44 werks zum Fluglärmgesetz Volker Schneider (Saarbrücken) Antwort (DIE LINKE) Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS ...... 18181 C Haltung der Bundesregierung zur Behaup- tung des Ausreichens eines Einkommens in Höhe von 781 Euro für die Teilhabe am ge- Anlage 35 sellschaftlichen Leben über den Grundbe- darf hinaus sowie angemessener Grenzwert Neuabdruck einer zu Protokoll gegebenen für die Ermittlung von Armut Rede zur Beratung des Berichts zu dem An- trag: Erarbeitung einer nationalen Strategie Antwort für den Erhalt der Gewässerbiodiversität und Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär zur Flankierung der Umsetzung der EG- BMAS ...... 18180 C Wasserrahmenrichtlinie in den Bundesländern (169. Sitzung, Tagesordnungspunkt 12) Anlage 31 Ulrich Petzold (CDU/CSU) ...... 18181 D Mündliche Frage 46 Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ Anlage 36 DIE GRÜNEN) Neuabdruck einer zu Protokoll gegebenen Unterzeichnung des Staatsvertrags zwi- Rede zur Beratung des Entwurfs eines Geset- schen Deutschland und Dänemark über zes zur Ergänzung der Bekämpfung der Geld- Bau und Betrieb einer festen Fehmarnbelt- wäsche und der Terrorismusfinanzierung Querung (Geldwäschebekämpfungsergänzungsgesetz – GwBekErgG) (169. Sitzung, Tagesordnungs- Antwort punkt 15) Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBS ...... 18181 A Frank Hofmann (Volkach) (SPD) ...... 18183 C VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Anlage 37 schen Republik Vietnam über die Zusammen- arbeit bei der Bekämpfung von schwerwie- Neuabdruck einer zu Protokoll gegebenen genden Straftaten und der Organisierten Rede zur Beratung des Entwurfs eines Geset- Kriminalität (169. Sitzung, Tagesordnungs- zes zu dem Abkommen vom 31. August 2006 punkt 23) zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialisti- Frank Hofmann (Volkach) (SPD) ...... 18184 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18117

(A) (C) Redetext

171. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: noch nie gelungen –, mit allen Akteuren auf diesem Feld Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! einen Aktionsplan zu vereinbaren, mit den Kommunen, den Bundesländern, den Sozialversicherungsträgern, den Ich eröffne hiermit die Sitzung des heutigen Tages Senioreneinrichtungen, den Akteuren im Bereich des und rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Sports und vielen anderen mehr. Das heißt, wir haben Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ jetzt zum ersten Mal einen konkreten Aktionsplan, an CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines dem sich alle Akteure beteiligen. Sie bilden ein Netz- Vierten Gesetzes zur Änderung des Zweiten werk. Ich finde, das ist ein großer Erfolg. Da hat sich Buches Sozialgesetzbuch viel bewegt. – Drucksache 16/9690 – Über die Grundidee dieser Aktion wurde in den ver- gangenen Monaten in Deutschland viel diskutiert. Wir Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) setzen auf Information, auf Anreize, auf Aufklärung und (B) Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO auf Eigenverantwortung. Wir kommen nicht mit der (D) Keule des Gesetzes und der Paragrafen, weil wir fest da- Hierfür ist heute keine Aussprache vorgesehen. Daher von überzeugt sind, dass eine Veränderung des Lebens- kommen wir direkt zur Überweisung. Interfraktionell stils nur im Miteinander möglich ist und nicht dadurch wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Druck- erreicht werden kann, dass der Staat gegenüber der Be- sache 16/9690 an die in der Tagesordnung aufgeführten völkerung obrigkeitsstaatlich auftritt. Zwischen dem Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Haus meiner Kollegin Ulla Schmidt und meinem Haus Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über- herrschte diesbezüglich immer völlige Übereinstim- weisung so beschlossen. mung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Ich verstehe manche Bewertung nicht; denn ich finde, Befragung der Bundesregierung es ist richtig, in Fragen des Lebensstils auf Freiheit und Eigenverantwortung zu setzen. Das ist natürlich nicht so Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka- verbindlich wie ein Gesetz. Würden wir aber ein Gesetz binettssitzung mitgeteilt: In Form – Deutschlands Initia- dazu verabschieden, würde es wieder heißen, dass wir tive für gesunde Ernährung und mehr Bewegung. die ganze Gesellschaft reglementieren. Wir sind dafür, Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht auf Anreize und Informationen zu setzen. haben der Bundesminister für Ernährung, Landwirt- Das Gesundheitsministerium und mein Haus haben schaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, und die für dieses Projekt – mit Ihrer Zustimmung – in den Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt. nächsten drei Jahren jeweils 15 Millionen Euro zur Ver- fügung, um Impulse und Anreize zu setzen. Ich bitte, Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, diese 15 Millionen Euro nicht als finale Summe zu be- Landwirtschaft und Verbraucherschutz: trachten. Alle Akteure, die auf diesem Gebiet aktiv sind, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! geben für diese Zwecke deutlich mehr Geld aus. Für Das Bundeskabinett hat heute die konkrete Ausgestal- mein Haus darf ich sagen: Wir finanzieren zum Beispiel tung des Aktionsplans „In Form – Deutschlands Initia- ein dreijähriges Modellprojekt in Nordrhein-Westfalen, tive für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“, was bei dem es um die Verpflegung mit Schulmilch geht. sehr gut zu einem Großereignis, das zurzeit stattfindet, Dieses Projekt verursacht knapp 10 Millionen Euro Aus- passt, beschlossen. Die Eckpunkte dieses Aktionsplans gaben im Bundeshaushalt. Der Bereich des Sports, die haben wir bekanntlich im Mai des letzten Jahres im Ka- Senioreneinrichtungen, die Krankenkassen und das Ge- binett beraten und beschlossen. In der Zwischenzeit ist sundheitsministerium stellen ebenso zusätzliche Mittel es gelungen – so etwas ist in der deutschen Geschichte zur Verfügung. 18118 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Bundesminister Horst Seehofer (A) Der Plan ist auf einen langen Zeitraum ausgelegt; das gen Debatte gelungen, mit den Ländern und Kommunen (C) muss man deutlich sehen. Um Verhaltensweisen und einen gemeinsamen Aktionsplan aufzulegen. Verhältnisse zu ändern, braucht man langen Atem. Der Zweitens sollte man die Aktionen und Aktivitäten Endpunkt ist 2020. Es handelt sich also um eine Agenda nicht unterschätzen. Wenn wir feststellen, dass ein Groß- 2020. Das ist vielleicht schon der erste Schritt von dem, was der Bundespräsident von uns eingefordert hat. Wir teil der Kinder übergewichtig ist – 800 000 sind krank- haft übergewichtig –, dann muss uns das Sorge machen. werden bis zum Jahre 2020 alle Projekte, die wir planen Experten bzw. Expertinnen sagen, dass es momentan pro oder die schon laufen, wissenschaftlich evaluieren. Jahr 210 Neuerkrankungen von Diabetes II bei Kindern Natürlich werden wir auf dieser Wegstrecke auch die und Jugendlichen gibt. Das ist eine Krankheit, die nor- Nationale Verzehrsstudie neu in Auftrag geben, damit malerweise im Alter von 60 Jahren oder später auftritt, man die erste gesamtdeutsche Verzehrsstudie, die ja ei- und nicht gerade eine Krankheit, die bei Jugendlichen nige Jahre zurückliegt und jetzt ausgewertet ist, mit einer vorkommt. Daher muss man handeln. neuen Verzehrsstudie vergleichen kann. Dadurch können Wir brauchen die Akteure vor Ort, die in die Lebens- wir sehen, was sich im Laufe der Jahre verändert hat. welten gehen. Kein Programm der Bundesregierung, Wenn man zu diesem Thema in den letzten Monaten keine Plakate oder Zeitschriften werden etwas am Ver- unterwegs war, dann konnte man sehen, dass sich in die- halten ändern können. Diejenigen, die vor Ort Verant- ser Hinsicht in Deutschland – in den Schulen, in den wortung für die Gesundheit von Kindern, von Men- Kindergärten und in den Sozialeinrichtungen – schon schen, die in benachteiligten Stadtteilen leben, und von eine ganze Menge bewegt hat. Deshalb bin ich froh, dass älteren Menschen in Senioreneinrichtungen überneh- das Kabinett heute unserem gemeinsamen Vorschlag ge- men, brauchen von uns festgelegte Rahmenbedingun- folgt ist. gen. Vor Ort gibt es Akteure wie zum Beispiel den Deut- schen Olympischen Sportbund mit seinen Sportvereinen, der sagt: Jawohl, wir sind bereit, wir brauchen eine Rah- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: menfinanzierung, wir brauchen Regeln, und wir müssen Wenn ich das richtig verstanden habe, beschränkt sich wissen, wie wir mit Schulen zusammenkommen, damit die Gesundheitsministerin darauf, Fragen mitzubeant- wir unsere Erkenntnisse einbringen können. Ich glaube, worten. dass das der richtige Weg ist. Im Übrigen baut das, was Jetzt gebe ich das Wort zur ersten Nachfrage an die wir hier zusammenführen, auf dem auf, was Ihre ehema- Kollegin Ulrike Höfken. lige Verbraucherschutzministerin mit der Plattform Er- nährung und Bewegung auf den Weg gebracht hat. Dort (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ihr steht ja haben erstmals Akteure sehr lange zusammengesessen, (B) (D) beide da! – Gegenruf des Bundesministers um zu reden. Horst Seehofer: Ja, Bewegung!) Heute sind wir einen Schritt weiter. Denn wir versu- chen das, was angeboten wird, zu vernetzen und dies mit Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dem gemeinsamen Aktionsplan für die Bundesrepublik Vielen Dank. – Mehr Bewegung würden wir uns vor zu verstetigen. Unterstützt wird die Bundesregierung allem bei diesem Aktionsplan wünschen. Denn die vielen durch die Landesregierungen und die Kommunen sowie Selbstverpflichtungen, Eckpunkte, Arbeitsgruppen und die Zivilgesellschaft. Darin liegt der Mehrwert. Fachgespräche bilden einen Maßnahmenkatalog, der nicht unbedingt geeignet ist, die ernsthaften Probleme, die wir Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: haben, ausreichend zu lösen. Eine Nachfrage? – Bitte. Wenn 800 000 Kinder so schwer krank sind, dass sie adipös sind, dann müsste das ein Grund sein, konkret zu Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): handeln, und zwar in Form von entsprechenden Maß- Wann genau und mit welchem Inhalt werden Sie dem nahmen und Gesetzen. Sie bieten nun an, eine Ge- Deutschen Bundestag das Präventionsgesetz vorlegen? schäftsstelle zu errichten. Meine ersten Fragen dazu lau- ten: Was soll sie tun, wie soll ihre Arbeit konkret Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit: aussehen? Wie soll die Koordination mit bestehenden Der Inhalt des Präventionsgesetzes, dessen Entwurf Einrichtungen in Bund, Ländern und Kommunen erfol- im Ressortkreis abgestimmt wurde, ist bekannt. Wir ha- gen? Wie bewertet die Bundesregierung den Antrag des ben in den Koalitionsfraktionen noch keine Mehrheit für Landes NRW im Bundesrat? Das Land äußert darin die das Präventionsgesetz gefunden. Das hindert uns nicht Erwartung, dass alle betroffenen Akteure einbezogen daran, den Aktionsplan auf den Weg zu bringen. Im werden, eine Ausrichtung auf Risikogruppen erfolgt und Präventionsgesetz wäre genau festgehalten, dass alle So- eine Zieldokumentation vorgenommen wird, und zwar zialversicherungsträger, nicht nur die gesetzlichen Kran- in enger Abstimmung mit den Ländern. kenkassen, sich zusammenschließen, um Gelder für die Prävention in den Lebenswelten, etwa durch die Unter- Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit: stützung von Aktionsprogrammen, zur Verfügung zu Darauf möchte ich antworten. Wir bewerten das posi- stellen. Dabei wird es sich um Angebote handeln, die tiv, weil es das bestätigt, was der Kollege Seehofer eben wissenschaftlicher Überprüfung standhalten, die eva- bereits gesagt hat. Erstens ist es im Verlauf der einjähri- luiert und dann auch gemeinsam finanziert werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18119

Bundesministerin Ulla Schmidt (A) Wichtig ist, dass sich die Krankenkassen, die viel Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit: (C) Geld für Prävention ausgeben, nicht nur an diejenigen Wir haben eine ganze Reihe von Projekten auf den wenden, die sowieso bereit sind, etwas für sich zu tun, Weg gebracht. Ich nenne nur einmal die Bewegungs- sondern sie müssen den Schwerpunkt verstärkt so set- kampagne „Jeden Tag 3 000 Schritte extra“. Über zen, dass sie einen großen Teil des Geldes für Präven- 500 000 Menschen in Deutschland haben sich mittler- tionsangebote in den Lebenswelten zur Verfügung stel- weile daran beteiligt. In diesem Rahmen haben sehr len. Dieses Vorhaben wollen wir auch mit unserem viele Aktionen stattgefunden. Wir sind mit dem, was bei Aktionsplan forcieren. diesen Veranstaltungen an Kilometern zurückgelegt wurde, sozusagen einmal um den Erdball gegangen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zusammen mit dem Deutschen Olympischen Sport- Jetzt hat der Kollege Bleser das Wort. bund haben wir eine Aktivität ins Leben gerufen, die ich besonders schätze: Jedes Kind in jeder Schule soll jeden Peter Bleser (CDU/CSU): Tag mindestens eine Stunde lang eine Bewegungsanlei- Herr Minister Seehofer, ich kann Ihnen und Frau tung bekommen. Inzwischen gibt es viele Ganztagsschu- Ministerin Schmidt nur dazu gratulieren, dass Sie diesen len. Natürlich ist es besser, wenn die Kinder in der Mit- Aktionsplan heute Morgen im Kabinett beschlossen ha- tagspause nicht nur ihre Mahlzeit zu sich nehmen, ben. Ich bin der Meinung, dass man hier nicht mit Geset- sondern Bewegungsangebote wahrnehmen können, um zen, sondern nur mit einer Bewusstseinsveränderung vo- sich zu bewegen. Wenn man die Schulen, in denen das rankommt. Diese dauert bei uns Menschen sehr lange, angeboten wird, und die Schulen, in denen das nicht an- bei älteren noch länger als bei jüngeren. geboten wird, miteinander vergleicht, stellt man fest: Die (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kinder, die sich bewegen, lernen besser; denn Bewe- NEN]: Besonders bei dir!) gung hält nicht nur den Körper fit, sondern auch den Geist. Kinder, die besser lernen, haben im Leben bessere Deswegen halte ich den Zeitplan für richtig gewählt. Chancen. So kann man mit ganz einfachen Mitteln viel- Ich will Sie noch einmal fragen, Herr Minister: Wel- leicht auch etwas dagegen tun, dass Kinder aus sozial che Maßnahmen sind mit dem Begriff „In Form“ ver- schwachen Familien oder aus Familien mit Migrations- bunden? Wie wird evaluiert? Welche Kampagnen wer- hintergrund heutzutage leider nicht die gleichen Gesund- den laufen? Insbesondere: Wird in allen Bereichen der heitschancen wie Kinder aus anderen Familien haben. Politik darauf geachtet, dass Ernährung und Bewegung angesprochen werden? Und wird das auch in den Me- Es gibt verschiedene Projekte, zum Beispiel die ge- dien und den Vereinen eine Rolle spielen? In unserem sunde Schulspeisung – (B) Land ist quasi eine kulturelle Veränderung angedacht. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) Ich glaube, das wird das Hauptziel sein. Darüber möchte NEN]: Wir hätten sie gerne!) ich gerne noch mehr erfahren, als bisher schon vorgetra- gen worden ist. für dieses Projekt ist der Kollege Seehofer zuständig – oder „Fit im Betrieb“. Im Rahmen der Gesundheitsreform haben wir die Zusammenarbeit der Akteure im Betrieb Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, zur Förderung der betrieblichen Prävention gestärkt. Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Denn Menschen, die Vollzeit beschäftigt sind, halten sich Vielleicht kann man sich die Antwort auf diese Fra- die meiste Zeit des Tages in ihrem Betrieb auf. Daher ar- gen teilen, weil vieles den Bereich des Gesundheits- beiten wir mit den Unternehmen zusammen. Es werden wesens betrifft. – Man muss vor allem dorthin gehen, wo unter anderem Programme in den Bereichen Kantine, Be- die Menschen sind. Dies gilt insbesondere für die sozia- len Schichten, in denen das Problem besonders ver- wegung und Rückenschulung durchgeführt. breitet ist. Man muss in die Kindergärten gehen, in die Wir haben in der letzten Woche im Kabinett beschlos- Schulen, in die Betriebe mit Betriebskantinen und in Se- sen, im Haushaltsgesetz zu regeln, dass jeder Arbeitge- nioreneinrichtungen. ber ab dem kommenden Jahr pro Jahr und Arbeitnehmer Angelaufen ist das mit der Verabschiedung der Eck- bzw. Arbeitnehmerin bis zu 500 Euro in Präventions- punkte im Mai des letzten Jahres, und viele Akteure ha- maßnahmen investieren kann und dass dieser Betrag ben ihrerseits Aktivitäten entwickelt. Denken Sie etwa nicht als geldwerter Vorteil behandelt werden, sondern an die Plattform Ernährung und Bewegung, bei der alle steuerfrei bleiben soll. Aktionen in einer Institution gebündelt werden. Wir wer- (Peter Bleser [CDU/CSU]: Oh! Das ist gut!) den eine gemeinsame Geschäftsstelle zwischen unseren beiden Häusern einrichten, die dies weiter koordiniert. Dadurch wollen wir auch kleinen Unternehmen die Möglichkeit geben, ihre Beschäftigten dabei zu unter- Wir werden künftige Projekte mit der Auflage aus- stützen, etwas für sich zu tun, zum Beispiel indem sie schreiben, dass sie wissenschaftlich evaluiert werden, Ernährungskurse oder ein Fitnessstudio besuchen. Au- damit wir bei jedem Projekt wissen, welche Wirkung da- ßerdem gibt es das Kursprogramm „Fit for Kids“ und mit verbunden ist. Das Ganze wird von dem Gedanken das Projekt „Ich geh’ zur U! Und Du?“. getragen: Wir warten nicht darauf, dass die Menschen unsere Prospekte lesen, sondern wir gehen dorthin, wo Entscheidend ist, dass wir in den kommenden Jahren wir Menschen antreffen und erreichen können. Das ist gemeinsam mit den Ländern Kompetenzzentren für Be- im Bereich des Gesundheitswesens besonders erfolgver- wegungsförderung aufbauen werden, die sich mit den sprechend. Fragen beschäftigen: Was ist ein guter Bewegungs- 18120 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Bundesministerin Ulla Schmidt (A) ablauf? Welche Angebote wirken wirklich? Wie kann als Oberlehrer auftritt. Denn diese Maßnahmen kommen (C) man auch älteren Menschen eine Anleitung geben, damit aus der Bevölkerung selbst. Daher werden sie ganz an- sie bis 100 fit bleiben, statt sie einfach nur aufzufordern, ders umgesetzt, als wenn wir versuchen würden, durch sich zu bewegen? Wenn ich solche Veranstaltungen für Paragrafen das Verhalten der Menschen hin zu mehr Be- Ältere besuche, stelle ich manchmal fest, dass ein 50-jäh- wegung zu ändern. riger Ungeübter zum Teil Schwierigkeiten hat, mit ei- nem 85-jährigen Geübten mitzuhalten. Diese Projekte Karin Binder (DIE LINKE): müssen wir fördern. Dabei dürfen wir kein Kind zurück- Ich hätte noch eine Nachfrage. lassen. Wir müssen alle Menschen dazu anhalten, etwas zu unternehmen, damit sie bis ins hohe Alter so fit und so selbstständig wie möglich bleiben. Die vielen Aktions- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: programme, die ich erwähnt habe, schließen den Kreis. Frau Kollegin, auf meiner Liste stehen inzwischen ganz viele Kolleginnen und Kollegen; aber ich setze Sie gerne noch einmal drauf. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat die Kollegin Binder das Wort. Karin Binder (DIE LINKE): Es bezieht sich aber genau auf das, was der Minister Karin Binder (DIE LINKE): gesagt hat. Es ging mir nicht nur um die Kinder; dass die Vielen Dank. – Meine Frage richtet sich ausdrücklich Kinder eine Zielgruppe sind, ist klar. Es ging mir um an Herrn Minister Seehofer. Herr Minister Seehofer, die diejenigen, die wir mit diesen Informationskampagnen Ergebnisse der nationalen Verzehrstudie haben deutlich nicht erreichen. gemacht, dass es sehr wichtig ist, zur Lösung dieser Pro- bleme zielgruppenorientiert vorzugehen. Auch aus der KiKK-Studie zum Thema Kindergesundheit wissen wir, Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, wie wichtig es ist, zielgerichtet auf bestimmte Personen- Landwirtschaft und Verbraucherschutz: gruppen zuzugehen. Frau Kollegin, das Gleiche machen wir in Senioren- heimen und Altentagesstätten. Wir gehen, um die Er- Wo zeigt sich in Ihrem Aktionsplan im Hinblick auf wachsenen zu erreichen, auch in die Betriebe. So haben sozial benachteiligte, einkommensschwache und eher wir Standards für eine vernünftige Verpflegung in den bildungsferne Bevölkerungsgruppen ein solcher ziel- Betriebskantinen entwickelt. Das alles ist auf wissen- gruppenorientierter Ansatz? Wo setzen Sie an? Aus der schaftlicher Grundlage geschehen und hat deshalb eine nationalen Verzehrstudie wissen wir, dass genau dieser gewisse Zeit gebraucht. Übrigens erreichen wir in den (B) Personenkreis besonders stark von Übergewicht betrof- Sportvereinen auch die Erwachsenen. Wir versuchen ge- (D) fen ist. Deshalb wäre eine gesunde Ernährung für diese meinsam mit Sozialverbänden und Sozialversicherun- Menschen besonders wichtig. Wie erreichen wir sie? gen, die Menschen in den sozialen Brennpunkten zu er- reichen. Das ist ein breiter Ansatz. Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, Ich sage noch einmal: Ich habe beim Bereisen unseres Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Landes den Eindruck gewonnen, dass vonseiten der Be- Zum Teil habe ich diese Frage schon beantwortet: in- völkerung sehr viel in Bewegung gekommen ist. Das ist dem wir uns bemühen, gemeinsam mit anderen Akteuren der richtige Ansatz. Schauen Sie, Frau Kollegin: Wenn dorthin zu gehen, wo sich Kinder aufhalten, nämlich in es an einem nicht fehlt in Deutschland, dann sind das Pa- die Schulen und in die Kindergärten. Jeder weiß aus sei- ragrafen. nem eigenen Leben: Das, was man dort mitbekommt, ist für das gesamte Leben prägender als das, was man – um (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) mein Alter als Beispiel zu nehmen – als fast 60-Jähriger Wir brauchen keine neuen Paragrafen. vielleicht noch an „Umerziehung“ erfährt.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: DIE GRÜNEN]: Es ist nie zu spät!) Die Nächste ist die Kollegin Waltraud Wolff. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Darüber hinaus gibt es Sonderprojekte, zum Beispiel das Projekt „Kinderleicht“, das in verschiedenen Regio- Vielen Dank. – Ich kann nahtlos daran anschließen. Wir alle wissen, dass es gut ist, wenn Kinder im Kinder- nen durchgeführt wird. In diesem Rahmen wird versucht, in sozialen Brennpunkten miteinander ins Gespräch zu garten ein gesundes Frühstück bekommen und wenn kommen. Dabei spielen auch die Sozialverbände, die Ge- Schüler an der Schulspeisung teilnehmen. Aber wenn die Mutter oder der Vater zu Hause nicht weiß, wie ge- werkschaften und die Sozialversicherungen eine Rolle. Es ist also sehr breit angelegt. sunde Ernährung funktioniert, hilft das Kindergarten- frühstück oder die Schulspeisung den 800 000 krankhaft Auch die Bedeutung der Sportvereine, die uns aus- übergewichtigen Kindern wenig. Ich denke, wir brau- drücklich breite Unterstützung zugesagt haben, darf man chen, über die Beschäftigung mit dem Kantinenessen in an dieser Stelle nicht unterschätzen; denn viele Jugendli- den Betrieben hinaus, auch Programme, die sich gezielt che sind in Sportvereinen aktiv. Diese Maßnahmen sind an die Eltern richten. Daran würde sich meine Frage an- viel besser, als wenn ein Minister oder ein Ministerialrat schließen: Wie können wir es schaffen, die Eltern zum Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18121

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (A) gesunden Kochen zu bewegen und für Bewegung zu ge- Gemeinsam mit der deutschen Lebensmittelwirtschaft (C) winnen? haben wir deshalb erreicht, dass die Lebensmittelkenn- zeichnung in Deutschland verbessert wird. Erfreulicher- Sind Sie mit mir ferner einer Meinung, wenn ich sage, weise wenden viele Betriebe die neue Kennzeichnung dass es ganz wichtig ist, dass wir eine knappe, gut er- bereits heute an, indem sie den prozentualen Anteil der kennbare Lebensmittelkennzeichnung in Deutschland wichtigsten Nährwerte in Bezug zu einer vernünftigen einführen, um den Familien helfen zu können, bewusst Tagesration angeben. einzukaufen? Es bleibt noch die Frage, ob diese Information farb- lich unterlegt wird. Um das hier zum hundertsten Mal Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit: klarzustellen: Ich bin gegen Farbkleckse als alleinige In- Zum letzten Punkt wird der Kollege Seehofer noch et- formation, also gegen einen roten, grünen oder gelben was sagen. Ich sage nur: Ja. Wir sind einer Meinung. Es Punkt. Man kann sich aber sehr wohl überlegen, ob man kommt allerdings darauf an, wie wir die Kennzeichnung diese Sachinformation, also den prozentualen Anteil von gestalten und wie sie für die Menschen einfach lesbar Zucker, Salz und Fett, farblich unterlegt. Wie Sie wissen, wird. besteht darüber innerhalb der Regierung keine Einigung. Ihre andere Frage war, wie wir die Eltern erreichen: Es freut mich, dass die deutsche Lebensmittelwirt- über die Kindertagesstätten, über die Schule, indem man schaft damit beginnt, diese Angaben aus eigenem An- mit Eltern und Kind arbeitet. Es ist nicht so, dass es sol- trieb farblich zu unterlegen, weil sie zunehmend erkennt, che Projekte nicht gäbe. Aber in manchen Ländern gibt dass dies ein Marketingvorteil sein könnte. es viele, während es in anderen gar keine gibt. Wir wol- (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- len, dass solche Projekte in der ganzen Bundesrepublik NEN]: Braucht man eigentlich noch eine Re- vorhanden sind. Dabei wird versucht, die Eltern einzube- gierung?) ziehen und ihnen zu vermitteln, dass möglicherweise in der Familie insgesamt das Ernährungsverhalten oder das Ich habe gestern von einem Mitarbeiter eine Packung Bewegungsverhalten umgestellt werden muss. Eine mit Kinderkakao bekommen. Auf dieser sind die Pro- Menge Kindertagesstätten bieten Kochkurse für Eltern zente angegeben. Dies ist notwendig, weil nur die Pro- oder für Eltern und Kinder gemeinsam an, in denen spie- zente eine echte, objektive Information darstellen. Über lerisch aufgezeigt wird, wie man zum Beispiel Zucchini 80 Prozent der Bevölkerung sagen übrigens, dass diese oder Paprika zubereitet bzw. dass man das überhaupt es- Angabe der Prozente eine echte Hilfe beim Einkauf ist. sen kann. Viele Dinge muss man den Kindern erst zei- Die Unternehmen haben mittlerweile erkannt, dass sie gen: Was ist welches Obst? Wie kann man es klein- diese Information für die Bevölkerung durch eine farbli- (B) schneiden? Wie kochen wir gemeinsam? Das alles sind che Unterlegung durchaus noch verbessern können. (D) Projekte, die gefördert werden. (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat Frau Künast schon Wenn man das verbindet mit den Netzen, die wir ha- vor Jahren gefordert!) ben – zum Beispiel mit dem Programm „Gesunde Kin- der“ oder mit den frühen Hilfen, die es mittlerweile gibt –, Wir denken hier nicht an Zwang. Das wäre rechtlich dann ist das der beste Weg, um auch die Erwachsenen zu auch gar nicht möglich. Das geht nur auf europäischer erreichen. Ebene. Ich möchte mich ausdrücklich bei der deutschen Lebensmittelwirtschaft bedanken, die diese Verantwor- Sie wissen, dass ich immer eine Unterstützerin der tung im Zuge einer Selbstverpflichtung übernimmt. Das Vater-Mutter-Kind-Kuren gewesen bin. Durch solche ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem, was es bis- Kuren haben gerade die Familien, in denen es besonders her gab. drängt, in denen die Belastung groß ist, die Chance, ge- meinsam zu lernen, wie man sein Leben durch entspre- Auch hier sieht man wieder – das gilt für unseren gan- chende Ernährung und Bewegung anders gestalten kann. zen Aktionsplan –: Es bringt mehr, auf die Motivation Wenn eine Familie das in dieser Form erlebt hat, ist die der Menschen und der Wirtschaft zu setzen, als Paragra- Chance groß, dass später die Kinder die Eltern ermahnen fenreiterei zu betreiben. oder dass, wenn die Eltern die Kinder ermahnen, die (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kinder wissen, worum es den Eltern geht. Eine Reihe Er sollte in einer PR-Agentur arbeiten!) solcher Projekte wird heute bereits durchgeführt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Goldmann. Bitte schön, Herr Minister. Hans-Michael Goldmann (FDP): Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, Sehr geehrter Herr Minister! Frau Ministerin! Wir Landwirtschaft und Verbraucherschutz: sind uns ja darin einig, dass Paragrafenreiterei nichts Es wurde zur Lebensmittelkennzeichnung gefragt. bringt. Sie hatten mich vorhin aber direkt angesprochen, Die derzeitige Lebensmittelkennzeichnung ist wertlos, weil in der Tagespresse steht, dass ich enttäuscht bin. Ich denke einmal, dass ich dafür allen Grund habe. da sie im Grunde genommen keine vernünftige Informa- tion für die Bevölkerung beinhaltet. Sie ist allerdings eu- Sie hatten einmal angekündigt, dass Sie den Mehr- ropaweit vorgeschrieben. wertsteuersatz auf die Schulspeisung reduzieren wollen. 18122 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Hans-Michael Goldmann (A) Wir haben Ihnen damals schon gesagt, dass Sie sich da- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich bin nicht (C) rüber erst einmal mit Ihrem Finanzminister unterhalten von uns enttäuscht, sondern von Ihnen! Auch sollten. Wir stellen heute fest, dass nach Ihrem Programm die Bürger sind von Ihnen enttäuscht!) keine entsprechende Reduzierung des Mehrwertsteuersat- zes erfolgt. Das ist aus meiner Sicht ein ernstzunehmender Sie wissen genau, dass wir für die Schulen und den Widerspruch zum Beispiel zu Ihrem Verhalten hinsicht- Unterricht nicht unmittelbar zuständig sind, lich des Mehrwertsteuersatzes auf die Verköstigung von (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann müs- Studenten in Mensen. Dieser wurde nämlich reduziert. sen Sie nicht so viel versprechen!) Sie hatten ferner angekündigt, Sie wollten das Fach Ernährungslehre bzw. Hauswirtschaftslehre ganzheitlich aber trotzdem auf die Länder eingewirkt haben, mehr zu als eigenständiges Unterrichtsfach in den Schulplänen tun. Das ist auch der Fall. Ich darf von meinem Heimat- verankern. Das haben Sie zum Beispiel den Landfrauen bundesland ausgehen, in dem das von mir versprochene zugesichert. Auch hier kommt im Grunde genommen Modell mit den Landfrauen durchaus praktiziert wird. nichts. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie sind ja Vor kurzem haben Sie noch gesagt, dass die farbliche auch schon seit Jahren in der peb drin!) Kennzeichnung durch eine Ampel eine Verbraucherver- dummung darstellt. Jetzt stelle ich fest, dass Sie sich im Sie gehören einer liberalen, freiheitsliebenden Partei Grunde genommen auf Pünktchen zubewegen. In Ihrem an. Insofern hoffe ich, dass wir darin übereinstimmen, Programm gehen Sie aber von einem ganzheitlichen Ge- dass wir dafür nicht wieder Stundentafeln, Stundenpläne sundheitsansatz und von einem ganzheitlichen Ansatz und ministerielle Vorschriften brauchen, sondern auch im Hinblick auf ausgewogene und die Leistung för- unkonventionelle Wege gehen können, indem wir nicht dernde Ernährung aus. Ich hoffe, Sie sind wie ich der akademische Vollpädagogen einstellen, sondern die Meinung, dass das durch eine Pünktchendeklarierung Landfrauen mit der Ausbildung, die sie genossen haben, nicht zu erreichen ist. in die Schulen holen, um den jungen Leute dieses Wis- sen zu vermitteln. Deswegen müssen Sie schon zur Kenntnis nehmen, dass wir von dem, was Sie hier auf den Weg bringen, Wenn Sie erst dann zufrieden sind, wenn wir alles ge- nicht überzeugt sind. Nebenbei bemerkt: Indem Sie sich regelt und reglementiert haben, selbst 2020 als Endpunkt setzen, schaffen Sie eine aben- teuerliche Perspektive. Man muss sich einmal vorstellen, (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Darum geht wie viele Menschen mit Adipositas es danach im nächs- es doch gar nicht! Warum haben Sie die Um- ten Jahrzehnt noch geben soll. Ich finde es unverant- satzsteuer nicht geregelt?) (B) (D) wortlich, wenn man eine solche Perspektive aufzeigt. Ich dann werden wir nie zusammenkommen. Wir haben aber glaube, dass Sie hier einfach nicht genügend am Ball gehandelt. Insofern haben wir absolut Wort gehalten. sind. Nehmen wir als Beispiel peb. Sie wissen, dass peb Bei den Nahrungsmitteln gilt der halbe Mehrwert- – die Plattform Ernährung und Bewegung – riesige Pro- steuersatz, der auch bei der letzten Mehrwertsteuererhö- bleme hatte, die Programme, die sie sich ausgedacht und hung nicht erhöht worden ist. die sie ausgearbeitet hat, umzusetzen, weil das an Ihrem (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Haus gescheitert ist, da Sie im Grunde genommen nicht NEN]: So ein Blödsinn! Verstehen Sie das bereit waren, die Vorstellungen von peb umzusetzen. Es nicht, oder wollen Sie das nicht verstehen? – gab Finanzierungsprobleme, doch Ihr Haus hat in den Zuruf des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP]) letzten drei bis vier Jahren nichts unternommen, um die- ses Problem vom Tisch zu bekommen. – Lieber Herr Westerwelle, weil Sie das in Ihren Rede- Insofern ist aus meiner Sicht festzustellen, dass das, beiträgen gelegentlich unterschlagen, wiederhole ich: was Sie auf den Weg bringen, enttäuschend ist. Es wird Die Mehrwertsteuersätze für Nahrungsmittel sind nicht unseren Anforderungen an Sie als leistungsfähigen Mi- erhöht worden. nister – so sehen Sie sich selbst – nicht gerecht. (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wo ist NEN]: Darum geht es doch nicht! – Hans- die Frage?) Michael Goldmann [FDP]: Es geht um Schul- speisung! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: – Ich habe jede Menge Fragen. Sie haben sie schon ver- Jetzt muss die Republik dankbar sein!) standen. – Warum kommt dieses Problem nicht vom Tisch? – Sie müssen nicht dankbar sein, sondern sollen es nur zur Kenntnis nehmen. Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Goldmann, ich habe Sie sehr gut ver- Wir führen jetzt eigentlich keine Debatte. standen und kann auch Ihre Enttäuschung verstehen. Auch ich war einige Jahre in der Opposition und war in (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich dachte, dieser Situation immer wieder enttäuscht. Ich kann das Sie wollen noch etwas zu peb sagen, Herr absolut verstehen. Minister!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18123

(A) Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, dern mit viel Spaß betrieben. Ich möchte das ausdrück- (C) Landwirtschaft und Verbraucherschutz: lich unterstreichen. Ich bin auch deshalb morgen auf Wir haben alles umgesetzt. Geben Sie konkret an, was dem Deutschen Land-Frauentag in Stuttgart. Sie meinen. Koordination und Vernetzung sind wichtig. Wir ha- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das wissen ben Netzwerke auf Landesebene und kommunaler Ebene Sie doch hoffentlich!) vereinbart. Das war auch ein Anliegen der Bundeslän- der; denn es gibt in der Tat sehr vielschichtige und unter- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schiedliche Initiativen. Ein richtiger Durchbruch lässt Ich habe schon angekündigt, dass es noch sehr viele sich nur erzielen, wenn man sich abstimmt und koordi- Fragen gibt. niert. Deshalb werden wir nicht nur oben, in der Regie- rung, eine Koordinierungsstelle einrichten. Das setzt sich vielmehr nach unten fort, sodass die Vielzahl an Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, Maßnahmen in Institutionen und Gremien ohne Büro- Landwirtschaft und Verbraucherschutz: kratie vernünftig vernetzt wird. Wir nennen das Netz- Der zuständige Staatssekretär, der gerade hinter mir werke. sitzt, bestätigt das. Nennen Sie mir ein Projekt, das aus Ihrer Sicht nicht umgesetzt worden ist. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dass Sie ein Netzwerkprofi sind, weiß ich!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: – Herr Goldmann, haben Sie eine Frage? Das muss man gegebenenfalls in einer Debatte zu die- sem Thema austragen. Jetzt möchte ich allerdings gerne im Rahmen unserer Zeit noch einige Fragen zulassen, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: bevor wir dann zur Aktuellen Stunde kommen. Nein, Herr Goldmann ist nicht dran. Ich bin noch im- mer diejenige, die das Wort erteilt. Ich gebe zunächst der Kollegin Mortler das Wort. Wie ich sehe, Frau Ministerin, wollen Sie nichts dazu sagen. Dann gebe ich der Kollegin Maisch als letzter Marlene Mortler (CDU/CSU): Fragestellerin das Wort. Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Frau Minis- terin! Erstens. Auch ich begrüße diese Initiative. Zwei- tens ist es gut, wenn eher auf Eigenverantwortung denn Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) (D) auf Gängelung gesetzt wird. Drittens begrüße ich die Ini- Danke schön. – Herr Minister, meine Frage bezieht tiative auch deshalb, weil ich Landfrau und Bäuerin bin sich auf das Thema Werbung für Kinderlebensmittel. Sie und das Ganze eine Dauerforderung von uns Landfrauen haben in Ihrem einleitenden Bericht dargelegt, dass Sie war und ist. Bisher galten wir als altmodisch. Jetzt sind einen Kodex zum Thema Werbung erarbeiten wollen, wir offensichtlich unserer Zeit voraus. die sich bewusst an Kinder und Jugendliche richtet. Es gibt bereits viele Initiativen vor Ort. Meine kon- Können Sie uns sagen, welche Zielrichtung dieser Ko- kreten Fragen lauten: Wie werden diese Initiativen in dex verfolgen soll und welche Gruppen außer dem Deut- den Aktionsplan eingebunden? Wie verläuft die Umset- schen Werberat beteiligt sein werden? Sind auch Ver- zung vor Ort bei den Ländern bzw. bei den Kommunen? braucherverbände und andere Initiativen daran beteiligt? Denn die Zielsetzung ist zwar gut, aber Erfolg ist meines Erachtens nur dann garantiert, wenn Aktionen regel- Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, mäßig, flächendeckend und – wie eine Kollegin schon Landwirtschaft und Verbraucherschutz: sagte – zielgruppenorientiert erfolgen. Die Beteiligung der Verbraucherverbände ist bei uns Danke schön. Standard. Bei den Inhalten geht es darum, auf freiwilli- ger Ebene darauf hinzuwirken, dass man gesunde Le- bensmittel bewirbt und im Übrigen zurückhaltend ist. Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, Wir haben bei objektiv gesundheitsschädlichen Genuss- Landwirtschaft und Verbraucherschutz: mitteln wie Zigaretten viel erreicht. Wir müssen aber Frau Kollegin Mortler, erstens bestätige ich ausdrück- auch die Werbung für Dinge, die man im Allgemeinen lich, dass die Landfrauen zu den Berufsgruppen gehören, bei nicht richtiger Dosierung als problematisch einstufen die uns auf diesem Sektor wegen ihrer herausragenden muss, gerade in Kinderkanälen und Kindersendungen Ausbildung am meisten vermitteln können. Deshalb ha- zurückdrängen. Ich nenne bewusst kein Produkt; denn ben wir zum Beispiel im Süden der Republik sehr darauf sonst ist wieder von Diskriminierung die Rede. Wir wol- gesetzt, amtlicherseits keine weiteren Planstellen zu len aber zu Ergebnissen kommen. Nach meiner Erfah- schaffen, wenn es um Ernährung in den Schulen oder rung mit der Lebensmittelwirtschaft wird uns das auch auch in den Kindergärten geht, sondern diejenigen zu gelingen. befragen und in die Schulen zu holen, die dafür ausgebil- det worden sind. Das funktioniert ganz hervorragend, (Hans-Michael Goldmann [FDP]: 2019?) übrigens auch in Sachsen-Anhalt, wie ich selbst gesehen habe. Es ist wunderbar; dort wird das auch mit den Kin- – Nein, nicht erst 2019. 18124 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich halte fest, dass sich der Außenminister in diese (C) Herzlichen Dank. – Damit beende ich die Befragung Richtung immer wieder direkt oder indirekt zu Wort ge- der Bundesregierung. meldet hat. Wir als freie demokratische Fraktion wollen dem Außenminister signalisieren, dass wir ihn ermun- Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: tern, sich in der Regierung bei dieser Frage durchzuset- Aktuelle Stunde zen. auf Verlangen der Fraktion der FDP (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Sie können ihn Haltung der Bundesregierung zu dem Bericht auch stützen!) der US-Luftwaffe über Sicherheitslücken bei – Wir stützen ihn dabei – Sie haben völlig Recht –, wo- den US-Atomwaffenlagern in Deutschland bei ich überrascht bin, dass das Stützen des Außenminis- und Europa ters aus der SPD-Fraktion verlangt wird. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) Kollegen Dr. Guido Westerwelle für die FDP-Fraktion. Meine Damen und Herren, wir nehmen zur Kenntnis, (Beifall bei der FDP) dass es in diesem Hohen Hause eine große Mehrheit der Fraktionen und der Abgeordneten gibt, die dieses Relikt Dr. Guido Westerwelle (FDP): aus dem Kalten Krieg ebenfalls nicht mehr in Europa, in Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Deutschland sehen wollen. Die Union sagt, sie wolle an Herren! Die Berichte über eine Studie der Luftwaffe der dieser Stationierung festhalten. Hierbei verwundert mich Vereinigten Staaten von Amerika, wonach es an der Si- vor allem die Begründung. Der Generalsekretär der cherheit der in Europa stationierten nuklearen Waffen Union wird mit folgenden Worten zitiert – wir haben Zweifel gebe, weil diese Mängel aufwiesen, sind beun- dieses Zitat aus einer Pressekonferenz selbst sehen kön- ruhigend. Wir gehen davon aus, dass die Bundesregie- nen –: rung alles tun wird, um die Zweifel auszuräumen. Wir Von einseitigen Schritten, glaube ich, sollte man erwarten von der Bundesregierung, dass sie die Unsi- Abstand nehmen. Abrüstung sollte insgesamt auf cherheiten, über die im Rahmen der amerikanischen beiden Seiten stattfinden. Streitkräfte berichtet wird, nicht als amerikanische, son- dern als eigene Angelegenheit betrachtet. Das sind wir – Welche Seiten meinen Sie, den Menschen, die in der Eifel wohnen, schuldig. Das ist (Zuruf von der CDU/CSU: Alle!) zuerst einmal das Wichtigste, was dazu zu sagen ist. (B) wenn Sie von „beiden Seiten“ sprechen? Das ist das (D) (Beifall bei der FDP) Denken der Konfrontation von NATO gegen Warschauer Herr Kollege Geisen hat in dieser Richtung mehrfach Pakt. Dass Sie in diesem Denken noch verhaftet sind, ist Initiativen für die Eifel ergriffen und hat sich an die Bun- ein Fehler, dient nicht dem Frieden und erst recht nicht desregierung gewandt. Die Fragen nach der Sicherheit, der Abrüstung. die seitens der Bundesregierung beantwortet wurden, (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ sind nicht ausreichend geklärt. Die Zweifel finden neue DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Nahrung durch die Berichte der Luftwaffe der USA. SPD und der LINKEN) Diese Berichte der Luftwaffe über die Atomwaffen, Das Beste, was wir mit diesen Waffen noch machen die in Deutschland und Europa gelagert werden, sind können, ist, sie dafür zu nutzen, der Abrüstungspolitik bestenfalls der Anlass für diese Debatte und nicht der wieder neue Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Grund. Der Grund ist, dass diese Atomwaffen, die es in Deutschland immer noch gibt, Relikte aus der Zeit des (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE Kalten Krieges sind, dass sie aus unserer Sicht nicht in LINKE]) Deutschland bleiben sollten Deswegen wollen wir – dies haben wir bereits in der Ver- (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Richtig!) gangenheit mit mehreren Anträgen im Deutschen Bundes- tag unterstrichen –, dass jetzt die Gelegenheit wahrge- und dass wir sie, eingebettet und eingebunden in eine nommen wird, damit in der NATO selbstverständlich wirkliche Abrüstungsstrategie, aus Deutschland abzie- darauf hingewirkt wird, dass diese Waffen abgezogen hen sollten. Das wäre der richtige Verhandlungsauftrag werden können, einerseits, weil Sie in den Berichten an die Bundesregierung in der NATO. über die Unsicherheit definitiv neue Gründe dafür fin- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den, andererseits aber auch, weil wir Abrüstungssignale der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE geben sollten, und darum geht es. Die Zeit des Kalten GRÜNEN – Winfried Nachtwei [BÜND- Krieges ist vorbei. Wir brauchen diese Waffen in NIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Holland und Deutschland nicht. Wir wollen sie nicht. Sie sollten ab- Belgien!) gezogen werden. Diese Waffen dienen nicht der Sicher- heit, sondern sie vergrößern eher die Unsicherheit. Wenn – In dieser Debatte geht es zunächst einmal um Deutsch- wir Vorbild für Abrüstung in der Welt sein wollen, dann land. Aber, Herr Kollege, Sie weisen zu Recht auf können wir hier mit bestem Beispiel vorangehen. Das ist Europa hin. eigentlich die gute Kontinuität deutscher Außenpolitik. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18125

Dr. Guido Westerwelle (A) Abrüstungsinitiativen aus Deutschland – das ist das sich noch an das Weißbuch, das die Bundesregierung (C) Beste, was wir aus der Geschichte lernen können. 2006 beschlossen hat.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- DIE GRÜNEN) SES 90/DIE GRÜNEN) Wir befinden uns – damit möchte ich schließen – in – Ich will Ihnen, Frau Kollegin Zapf, das gerne in Erin- einer unerfreulichen Phase, wo das Recht des Stärkeren nerung rufen. – Dort steht: in der Welt wieder mehr und mehr an Bedeutung ge- winnt. Wir sollten dem mit klaren deutschen Abrüs- Für die überschaubare Zukunft wird eine glaubhafte tungsinitiativen entgegentreten, ausdrücklich natürlich Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses neben in Europa und in der NATO. Es ist besorgniserregend, konventioneller weiterhin auch nuklearer Mittel be- dass nicht nur in Russland, sondern auch durch die dürfen. Der grundlegende Zweck der nuklearen scheidende Administration in den Vereinigten Staaten Streitkräfte der Bündnispartner ist politischer Art: von Amerika die Abrüstung mehr und mehr infrage ge- Wahrung des Friedens, Verhinderung von Zwang stellt wird, dass Abrüstungs- und Kontrollverträge ge- und jeglicher Art von Krieg. kündigt und in Zweifel gezogen werden. Das ist die fal- sche Richtung. Es muss eine neue politische Richtung So heißt es im Weißbuch zur Zukunft der Bundeswehr initiiert werden. Deswegen appellieren wir an die Bun- und zur Zukunft der Bundeswehr im Bündnis. Aus unse- desregierung, jetzt, wie übrigens auch führende amerika- rer Sicht gibt es keinen Anlass, an dieser Aussage zu rüt- nische Politiker, auf Abrüstung zu setzen. Ich sage teln. Ihnen, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kol- legen von der Union: Seien Sie nicht die Letzten, die die (Beifall bei der CDU/CSU) Bush-Doktrin auf diesem Globus noch verteidigen. Daran ändert übrigens auch nichts der Bericht, den (Zuruf von der CDU/CSU: Quatschkopf!) wir aus Amerika von dem Wissenschaftler Kristensen bekommen haben, der die Unsicherheit bei uns über das – Ich glaube, das, was Sie da rufen, ist etwas unflätig.– eingepflanzt hat, was in den Lagern in Deutschland vor Herr McCain verabschiedet sich von diesem Weg, Herr sich geht. Auslöser für diesen Bericht war eigentlich ein Obama verabschiedet sich von diesem Weg, und es wäre Vorgang in den Vereinigten Staaten, wo die Luftwaffe sinnvoll, wenn Deutschland, das ein großes Interesse an gegen Sicherheitsbestimmungen im Umgang mit Nukle- Abrüstung und daran hat, dass keine neuen Aufrüstungs- arwaffen verstoßen hat. Sie können davon ausgehen, (B) spiralen entstehen, jetzt vorangeht und auf einen Abzug dass die Sicherheit der Nuklearwaffenlager der NATO in (D) dieser nuklearen Waffen setzt. In diese Richtung muss Europa für die Allianz von höchster Bedeutung ist und in verhandelt werden. Wir wollen das, und ich hoffe auf den entsprechenden Gremien fortlaufend erörtert wird. große Zustimmung in diesem Hohen Hause. Ich will ergänzend hinzufügen: Vor drei Wochen sind die Vielen Dank. Verteidigungsminister in Brüssel zusammengekommen und haben dort den Bericht der Nuklearen Planungs- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gruppe entgegengenommen. In diesem Bericht wird – so der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- geheim er auch sein mag – regelmäßig ein Aspekt darauf SES 90/DIE GRÜNEN) verwandt, wie sicher die Lager in Europa und somit auch in Deutschland sind. Unter amerikanischem Vorsitz und Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: in Kenntnis dieses Berichts von Herrn Kristensen ist aus- Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekre- drücklich festgehalten worden, dass die Lager, die sich tär Thomas Kossendey. in Deutschland befinden, sicher sind. Sie werden gut bewacht. Wir hatten gerade im Verteidigungsausschuss (Beifall bei der CDU/CSU) eine Diskussion darüber. Ich kann Ihnen sagen: Es ging auch darum, dass die Außengrenzen dieser Lager von Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun- der Bundeswehr bewacht werden – auch von Wehr- desminister der Verteidigung: pflichtigen, Frau Kollegin Hoff – und dass der innere Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kreis von amerikanischen Fachleuten bewacht wird. Ich Herr Kollege Westerwelle, lassen Sie mich zunächst ein- glaube, das ist auch richtig so. gangs eines versichern: Der Bundesregierung liegt wie allen anderen NATO-Partnern daran, die größtmögliche Allerdings – da will ich auf Herrn Westerwelle einge- Sicherheit der in Europa lagernden Nuklearsprengköpfe hen – ist die Debatte, die sich anhand der Pressespekula- zu gewährleisten. Das, was wir diesem Bericht entnom- tionen entzündet hat, letztendlich eine Gespensterde- men haben, und das, was wir im Bündnis in diesem Zu- batte, die sich darum dreht, wer möglichst schnell alle sammenhang besprechen, zeigt uns, dass wir uns diesbe- nuklearen Sprengköpfe aus Deutschland und Europa ab- züglich keine Sorgen zu machen brauchen. Ich will ziehen will. Wer das im Augenblick einseitig von darauf gleich zurückkommen. Deutschland verlangt, der stellt in Wirklichkeit einen Kernbestand der Atlantischen Allianz infrage, und er Lassen Sie mich zu der generellen Frage der Atom- will letztendlich die Beziehungen zwischen Nordame- sprengköpfe einiges sagen. Einige von Ihnen erinnern rika und Europa dauerhaft schwächen. 18126 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Parl. Staatssekretär Thomas Kossendey (A) (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE regierung hat dies unterstrichen, indem sie unlängst in (C) GRÜNEN]: Ach nein! – Widerspruch bei der der Allianz gestaltend an einer weithin beachteten Ab- SPD und der LINKEN) rüstungsinitiative – Herr Westerwelle, möglicherweise ist Ihnen das entgangen – mitgewirkt hat. Die Diskus- – Dass das bei Ihnen so ist, wundert mich nicht, sion um Abrüstung muss auch in der Allianz – da bin ich (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE sicher – fortgesetzt werden. Wir wollen den Nichtver- GRÜNEN]: Gott sei Dank wurde auch bei der breitungsvertrag weiter stärken, damit das im Vertrag SPD gesagt: Unsinn!) formulierte Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt voran- gebracht werden kann. aber mich wundert, dass einige hier ihre Vergangenheit vergessen. – Dazu müssen wir in einem ersten Schritt die Weiter- verbreitung der auf der Welt existierenden Nuklear- (Beifall bei der CDU/CSU) waffen verhindern. Wer den Abrüstungsbericht gelesen Die Allianz setzt seit jeher zum Schutz des Bündnisses hat – ich empfehle ihn der FDP-Fraktion zur Lektüre –, auch auf die Wirkung der Abschreckung von Nuklear- wird darin ausdrücklich die wesentlichen Verpflichtun- streitkräften. Das steht im Einklang mit dem Völkerrecht gen des Vertrages zur Abrüstung und zur Nichtverbrei- und hat übrigens ganz wesentlich zur erfolgreichen Frie- tung bestätigt finden. Die Bundesregierung bekennt sich denssicherung durch das Nordatlantische Bündnis beige- weiterhin nach wie vor zur Schaffung einer Dynamik bei tragen. Das Nuklearpotenzial der NATO sorgt eben auch der nuklearen Abrüstung – auch mit dem Ziel einer ver- dafür, dass ein Angreifer im Ungewissen bleibt, wie traglichen Reduzierung aller Nuklearwaffen bis hin zur Bündnispartner auf einen militärischen Angriff reagieren vollständigen Abschaffung auf allen Seiten. werden. Wir sind uns natürlich dessen bewusst, dass die welt- (Zuruf von der LINKEN) politischen Voraussetzungen für eine nuklearwaffen- freie und insgesamt massenvernichtungswaffenfreie So wird verdeutlicht, dass ein Angriff jedweder Art Welt noch nicht gegeben sind und dass dieses Ziel auf keine vernünftige Option ist. Die Bundesregierung geht absehbare Zeit nicht zu erreichen sein wird, auch nicht wie die NATO-Partner in Europa und die NATO-Partner zum Beispiel durch einen Beschluss des Bundestages. insgesamt davon aus, dass das für eine glaubwürdige Wir werden aber in unseren Anstrengungen nicht nach- Abschreckung auf Dauer vielleicht nicht sein muss; ich lassen, den Weg hin zu diesem Ziel kontinuierlich aber sehe im Augenblick keine Perspektive, die in ab- Schritt für Schritt weiterzugehen. sehbarer Zeit eine Änderung dieser Strategie möglich macht. Wir werden durch diese nukleare Abschreckung Deswegen unterstützen wir alle Maßnahmen der Nu- (B) nicht nur ein Mehr an Sicherheit haben, sondern wir klearmächte zu einer Reduzierung des Nuklearwaffen- (D) werden auch – das ist ein zweiter Punkt – die Möglich- potenzials. Wir sind schon einen weiten Weg gegangen, keit haben, das Mitspracherecht über den Einsatz von nämlich – lassen Sie mich das hier deutlich sagen – im nuklearen Waffen innerhalb der NATO auszuüben. Zuge der Reduzierung des substrategischen Nuklear- potenzials der NATO in Europa um rund 85 Prozent seit (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE 1991 bzw. um rund 95 Prozent seit den Spitzenzeiten des GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Das trifft für Kalten Krieges. Insofern kann man hier nicht einfach be- Kanada und andere nicht zu!) haupten, wir hätten nichts getan. Das hängt miteinander zusammen. Alle Verteidigungs- minister in den Gremien der NATO haben dies zuletzt Parallel zur Absenkung des Potenzials sind auch die bei dem Treffen in Brüssel, von dem ich sprach, noch Bereitschaftsstufen aller Waffensysteme deutlich ge- einmal bekräftigt. senkt worden. Während es früher um Minuten und Se- kunden ging, ist die Einsatzbereitschaft heute eher in Auch in Zukunft muss die wirksame Abschreckungs- Wochen und Monaten zu messen. fähigkeit aufrechterhalten werden. Deutschland gehört als Nichtnuklearmacht dazu und wird auch im Rahmen Die Bundesregierung steht in allen diesen Fragen in seiner vitalen Interessen die nukleare Teilhabe weiter der Kontinuität ihrer Vorgängerin. Ende der 90er-Jahre verteidigen. Dazu gehören nicht nur die Bereitstellung gab es einmal einen Impetus, das anders zu machen; das von Trägern, zum Beispiel in Form von Flugzeugen, hat sich dann wieder beruhigt. sondern auch das anhaltende Einverständnis zur Lage- Nukleare Teilhabe, Mitsprache im Bündnis und Initia- rung von Nuklearwaffen in Europa bzw. in Deutschland. tiven für Abrüstung gehören zusammen. Wer ein einsei- Das Bekenntnis zur nuklearen Abschreckung und un- tiges Ende der nuklearen Teilhabe unseres Landes ver- sere Anstrengungen zur weiteren Abrüstung, zur Stär- langt, der muss sich darüber im Klaren sein, dass wir kung der Rüstungskontrolle gehören untrennbar zusam- damit auch das Recht auf Mitsprache beim Einsatz von men. Ich sage sehr deutlich: Wer nukleare Abschreckung Atomwaffen in der NATO aufgeben. Deutschland wäre im Augenblick für wichtig hält – wir tun das –, kann sich dann nicht mehr in den beschlussfassenden Gremien der nicht von den Bemühungen freikaufen, Abrüstung und NATO repräsentiert. Rüstungskontrolle weiter voranzutreiben. Das Thema „Nukleare Abschreckung, nukleare Teil- Auf dem Gebiet der Abrüstung haben wir in den zu- habe und Sicherheit im Umgang mit Nuklearwaffen“ rückliegenden Jahren Bedeutendes erreicht. Die Bundes- – lassen Sie mich das abschließend sagen – eignet sich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18127

Parl. Staatssekretär Thomas Kossendey (A) nicht für politische Schnellschüsse und für den tages- Eines muss klar sein: Es gibt keine sicheren Atom- (C) politischen Kleinkrieg. waffen, auch wenn alle bemängelten Sicherheitslücken in den Atomwaffenlagern geschlossen werden. Die reale (Beifall bei der CDU/CSU) Gefahr durch die Atomwaffen besteht neben ihrem Wir sollten uns gemeinsam bemühen, auf dem Weg zur Missbrauch mindestens gleichermaßen in ihrem Ge- Abrüstung, der letztendlich zur Reduzierung aller Nu- brauch. klearwaffen führen soll, konsequent Schritt für Schritt (Beifall bei der LINKEN) weiterzugehen. Am nächsten Dienstag, dem 1. Juli, wird der Atom- (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- waffensperrvertrag 40 Jahre alt. Sein Ziel war und ist es, NEN]: Aber wo ist der erste Schritt?) die Ausbreitung dieser tödlichen Technologie zu unter- Das scheint mir verlässlicher, sicherer und klüger zu binden. Der Vertrag beinhaltet die Verpflichtung zur nu- sein. klearen Abrüstung für alle Staaten. In Art. 6 fordert er die vollständige Abrüstung. Es gibt kein Recht auf den Herzlichen Dank. Besitz für Atomwaffen, für niemanden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Gerd Höfer [SPD]) Winkelmeier [fraktionslos]) Der Zeitraum, in dem die vollständige atomare Abrüs- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tung stattfinden soll, ist im Atomwaffensperrvertrag lei- Die Kollegin Inge Höger hat jetzt das Wort für die der nur vage formuliert. Doch 40 Jahre waren bei der Linke. Verfassung des Vertrages wohl nicht mit „naher Zu- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert kunft“ gemeint. Winkelmeier [fraktionslos]) Nach wie vor ist die Welt weit entfernt von der gefor- derten „vollständigen Abrüstung“. Nach SIPRI-Angaben Inge Höger (DIE LINKE): gibt es weltweit 10 200 gefechtsbereite atomare Spreng- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Warum köpfe. Zusätzlich modernisieren die Atommächte ihre ist erst eine Studie von US-Experten nötig, um das Arsenale; sie entwickeln neue Waffen und Trägersys- Thema Atomwaffenlager auf die politische Tagesord- teme. Das gilt übrigens nicht nur für die USA und Russ- nung zu setzen? land, auch unsere europäischen Nachbarn Frankreich und Großbritannien entwickeln ihr atomares Potenzial (B) (Uta Zapf [SPD]: Das hatten wir doch schon weiter. Die Weiterentwicklung der nuklearen Bewaff- (D) ein paar Mal!) nung ist vertragswidrig; sie muss sofort beendet werden. – Aber aktuell nicht, und es ist schon lange nicht mehr Proteste dagegen hat die Linke bisher von der Bundesre- über die Frage der Beendigung der atomaren Abschre- gierung und auch von der FDP nicht gehört. Wie wollen ckung gesprochen worden. Sie denn so gegenüber dem Iran eine glaubwürdige Posi- tion einnehmen? Der Streit um das iranische Atompro- (Uta Zapf [SPD]: 2005! 2006! 2007!) gramm lässt sich nur durch globale Abrüstungsanstren- Warum versteckt sich die Regierung hinter dem Argu- gungen und gegenseitige Sicherheitsgarantien lösen, ment, man müsse Rücksicht auf Bündnispartner neh- nicht durch Sanktionen und nicht durch militärisches Sä- men? Warum verstecken Sie sich hinter Konzepten der belrasseln. nuklearen Abschreckung? Ein Mehr an Sicherheit kann (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert durch Atomwaffen nie und nimmer erreicht werden, Winkelmeier [fraktionslos]) ganz im Gegenteil. Wenn wir Abrüstung ernst meinen – ich hoffe, das tun (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert hier alle –, dann gibt es noch viel zu tun, sowohl in der Winkelmeier [fraktionslos]) NATO als auch in der Europäischen Union und auch ganz direkt bei der Bundeswehr. Die US-Atomwaffen In Büchel in der Eifel lagern immer noch 10 bis würden im Einsatzfall an die Tornados des Jagdbomben- 20 Atomwaffen. Nach offiziellen Angaben sind diese geschwaders 33 der Bundesluftwaffe angehängt. Sie nur unzulänglich gesichert. Es geht hier nicht um Zäune, würden dann von Bundeswehrsoldaten abgeworfen. es geht hier nicht um Beleuchtung und Sicherheitssys- Diese nukleare Teilhabe war und ist ein Verstoß gegen teme für ein Gartenhaus, es geht um die Bewachung der den Atomwaffensperrvertrag. Er verbietet es, Atomwaf- tödlichsten Waffen, die der Menschheit zur Verfügung fen Drittstaaten zu überlassen oder Atomwaffen anzu- stehen. nehmen. Beenden Sie diesen rechtswidrigen Zustand! Meine Damen und Herren Regierungsvertreter, bitte Beenden Sie die nukleare Teilhabe! schauen Sie nicht weg bei dem, was in den US-Militär- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert basen passiert. Das gilt übrigens genauso für andere Winkelmeier [fraktionslos]) Rechtsverstöße und Gefahren, die von diesen Basen aus- gehen. Ich nenne hier nur beispielhaft die Verschleppung Wenn nun vonseiten der SPD zu hören ist, dass sie die und Entführung von Menschen in Geheimgefängnisse atomare Abrüstung auch zu ihrer Sache macht, dann ist oder die Unterstützung des Irak-Krieges. das sehr begrüßenswert. Doch den Worten müssen auch 18128 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Inge Höger (A) Taten folgen. Die Linke erwartet von Ihnen nicht zuletzt persönlich würde es begrüßen, wenn auch die restlichen (C) konkrete Initiativen in der Nuklearen Planungsgruppe Waffen aus Büchel abgezogen würden. Das wäre auch der NATO. das richtige Signal an dieser Stelle. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine weitere (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN gute Gelegenheit, bei der Sie Ihren Einsatz gegen die und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Atomwaffen auch außerhalb des Bundestages zeigen können. Kommen Sie am 30. August zur Großdemonstra- Ich meine nämlich, dass diese taktischen Atomwaffen tion nach Büchel. Unterstützen Sie dort diejenigen, die heutzutage keinen strategischen Wert mehr haben und schon seit vielen Jahren darauf aufmerksam machen, im Grunde genommen stellvertretend für die Vergangen- welche gefährliche Altlast hier liegt. heit sind. Das, was im Ost-West-Konflikt militärstrate- gisch möglicherweise richtig gewesen ist, kann es heute (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert nicht mehr sein. Deshalb habe ich folgende Bitte an die Winkelmeier [fraktionslos] – Peter Bleser Bundesregierung: Solange Sie – was Sie, Herr Parla- [CDU/CSU]: Mehr als 20 Leute habe ich da mentarischer Staatssekretär, unterstellen – innerhalb der noch nie gesehen!) NATO noch über eine angemessene Militärstrategie mit- sprechen können, sollten Sie das tun; schließlich wird Ich hoffe, Sie möglichst zahlreich in der Eifel zu sehen. das diesbezügliche Dokument nächstes Jahr vorgelegt. Die Linke wird diese Proteste in Büchel unterstützen. Das tut die Bundesregierung mit ihrer Expertise. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Ich glaube, genau das ist der Punkt, auf den wir im- Winkelmeier [fraktionslos] – Dr. Guido mer wieder aufmerksam machen müssen: Abrüstung und Westerwelle [FDP]: Das ist den Eifelern aber Weiterverbreitung sind zwei Seiten einer Medaille. unangenehm!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Der nächste Redner ist der Kollege Rolf Mützenich FDP und der LINKEN) für die SPD-Fraktion, der heute ebenso wie die Kollegin Wir können nicht auf der einen Seite über die Weiterver- Marieluise Beck Geburtstag hat. Ihnen beiden herzlichen breitung sprechen, wenn wir nicht auf der anderen Seite Glückwunsch! für Abrüstung einstehen. Das ist der entsprechende (Beifall) Punkt, und deshalb möchte ich darauf hinweisen: Wir können natürlich über die Deutschland betreffenden Fra- gen diskutieren; das ist diesem nationalen Parlament (B) Dr. Rolf Mützenich (SPD): auch angemessen. Jedoch dürfen wir nicht verkennen, (D) Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen dass 200 Kilometer von Büchel entfernt in Belgien ähn- und Kollegen! Danke für die Glückwünsche! Danke für liche Waffensysteme liegen; diese müssen wir in die die Debatte! Ich finde, wir sollten uns noch einmal rück- Diskussion mit einbeziehen. versichern, um was es bei dieser Debatte geht und wo- rauf Hans Kristensen von der Vereinigung der amerika- Noch viel wichtiger sind die russischen taktischen nischen Wissenschaftler hingewiesen hat. Atomwaffen. Wenn es im Hinblick auf Russland nur um die mangelnde Beleuchtung ginge, würde ich besser Er hat auf einen Bericht der amerikanischen Luft- schlafen. Das ist aber nicht der Punkt. In Russland liegen waffe hingewiesen, der Mängel in den europäischen 2 000 taktische Atomwaffen, die möglicherweise in fremde Standorten feststellt, die über Nuklearwaffen verfügen. Hände kommen. Deswegen fordere ich die Bundesregie- Es wird darüber berichtet, dass die Beleuchtung unzurei- rung, aber auch die NATO-Partner auf, mit Russland chend ist, dass es Probleme bei der Umzäunung gibt und über dieses Thema zu sprechen. Da setze ich auch auf dass die Stabilität der Gebäude nicht gewährleistet ist. eine neue Administration, also entweder auf Obama oder Ob es sich um Büchel handelt, wissen wir überhaupt auf McCain, die diese Abrüstungsfrage zu Recht wieder nicht. Dennoch bin ich der Meinung, dass sich die Bun- auf die Tagesordnung gesetzt haben. desregierung um diese Fragen kümmern muss, und ich glaube, das hat sie an dieser Stelle getan. Ich möchte die Taktische Atomwaffen – ich glaube, das ist ein Pro- dort bestehenden Sicherheitsprobleme nicht unter den blem, das wir in den 80er-Jahren eben nicht hatten – sind Teppich kehren, aber wir sollten sie gegenüber den Men- heute ein weltweites Phänomen. Man muss über Pakis- schen nicht dramatisieren. Ich zitiere Kristensen, der vor tan, man muss über Indien sprechen, und daher wäre es Panikmache warnt und sagt: Das heißt ja nicht, dass klug, auch über die Möglichkeiten der weltweiten Ab- diese Waffen sozusagen auf der Straße liegen und ein- rüstung und Rüstungskontrolle neu nachzudenken. Das fach gestohlen werden können. – Dennoch müssen wir bietet sich 2010 mit dem Atomwaffensperrvertrag an. diesen Dingen nachgehen, und insofern lohnt sich diese Debatte. Es ist klug gewesen, dass der Bundesaußenminister dieses Thema der Abrüstungs- und Rüstungskontrolle zu Allerdings bin ich der Meinung – deswegen wunderte einem Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht hat, seitdem ich mich eben ein bisschen –, dass wir diese Waffensys- er dieses Amt ausübt. Er hat Vorschläge für die Interna- teme schon einmal in Ramstein hatten. Dort sind sie ab- tionalisierung des Brennstoffkreislaufs unterbreitet. Das gezogen worden. Es haben sich nicht diese Fragen erge- könnte helfen, die iranische Atomkrise ein wenig auf ei- ben, die die Bundesregierung eben angedeutet hat. Ich nen anderen Pfad zu bringen. Er hat es auf dem Gipfel in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18129

Dr. Rolf Mützenich (A) Bukarest geschafft, Abrüstung und Rüstungskontrolle chanismus im Kopf damals war die totale Verdrängung, (C) wieder zu Bestandteilen der Philosophie innerhalb der nach dem Motto: Wenn es losgeht, ist sowieso alles aus. NATO zu machen. Ich muss sagen: Bei mir hat es erst ein paar Jahre spä- Im Grunde genommen erinnert er dort an eine Dis- ter gefunkt; erst dann habe ich wahrgenommen, dass die- kussion der 60er- und 70er-Jahre, die sich aus dem ses Land mit Atomwaffenlagern und mit Atomwaffen- Harmel-Bericht ergab. Man hat auf der einen Seite immer trägern vollgestellt war. Da ist mir deutlich geworden, wieder über Sicherheit diskutiert und auf der anderen was für ein organisierter Wahnsinn das war. „Atomare Seite über Abrüstung als Instrument für Kooperation. Ich Heimatverteidigung“ wurde vorbereitet und geplant. kann Sie, die gesamte Bundesregierung, nur ermuntern, Eine andere Erfahrung, die ich gemacht habe, betraf darüber auch weiterhin zu diskutieren. Für die einzelnen die systematische Verdrängung, die sich hinter der Ge- Ministerien würde sich das lohnen. Die Bundesregierung heimhaltung versteckte. Ich selbst habe in einem Feuer- ist da insgesamt auf einem guten Weg. wehrausschuss mitbekommen, dass die Atomwaffenlager (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – im Umfeld von Münster gab es zwei – in den Katastro- phenplanungen einfach kein Thema waren. Ist diese Hal- Wir brauchen eine neue Abrüstungskultur. Wir, die Bun- tung überwunden? Ich habe da große Zweifel. destagsabgeordneten, sind gemeinsam dieser Meinung, auch wenn es vielleicht die eine oder andere unterschied- Dass die großen Atomwaffenarsenale aus Westeuropa liche Auffassung über den Weg gibt. Wir als Sozialde- inzwischen zum größten Teil verschwunden sind, ist mokratische Partei stehen für diese gemeinsame Abrüs- sehr erfreulich. Aber es hat sich einiges gehalten. tungskultur ein. Erstens: die gnadenlose Verdrängung. Ich habe wirk- Vielen Dank. lich den Eindruck: Mittlerweile wissen wir mehr über Atomwaffenlagerstätten in Russland – dort sind zum (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Teil Deutsche – als über Atomwaffenlagerstätten im ei- der CDU/CSU und der FDP) genen Land. Es ist absurd.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Kollege Winfried Nachtwei hat jetzt das Wort für und bei der LINKEN) Bündnis 90/Die Grünen. Zweitens. Die Rechtfertigungen waren schon damals schwach und sehr problematisch; sie hatten – bei aller Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ethischen Fragwürdigkeit – aber immer noch eine ge- wisse Plausibilität. Heutzutage sind sie noch schwächer. (B) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (D) Heute Morgen hat das Bundeskabinett die Antwort auf Herr Staatssekretär, Sie haben hier von „glaubwürdiger die Große Anfrage der Grünen zur nuklearen Abrüstung Abschreckung“ geredet: Wen wollen Sie mit diesen tak- beschlossen. Üblich ist, dass man diese Antwort direkt tischen Atomwaffen denn abschrecken? zugestellt bekommt. Bis zur Minute haben wir sie nicht (Uta Zapf [SPD]: Uns selbst!) bekommen. Ich sage ausdrücklich: Dies ist ein parla- mentsunfreundlicher Akt. Das ist wirklich Unsinn. Gott sei Dank haben Sie diesen Teil Ihrer Rede vorgelesen. Wenn Sie an dieser Stelle (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN frei gesprochen hätten, dann hätten Sie das niemals so sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- gesagt. KEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Untersuchungsbericht der US-Luftwaffe ist im und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Hinblick auf die Sicherheitsmängel, die festgestellt wur- SPD) den, in der Tat beunruhigend. Dieser Untersuchungsbe- richt hat daran erinnert, was der Auslöser war: Sechs Stichwort „bündnispolitisch notwendig“: Seit 2005 ist Atomsprengköpfe waren im vorigen August 36 Stunden das US-Atomwaffendepot Ramstein geräumt. Nach die- lang außer Kontrolle; sie waren sozusagen Irrläufer. Au- sen Waffen kräht heute kein Hahn mehr. Man erinnere ßerdem wird in diesem Bericht der Blick auf etliche an- sich außerdem an die Signale aus der US-Administra- dere Vorfälle gerichtet, die es in diesem Zusammenhang tion, darauf könne schon längere Zeit verzichtet werden. gegeben hat. Diese Sicherheitsfrage betrifft nicht nur die Nicht einmal diese Signale werden aufgenommen. Ihre Amerikaner, sondern auch die Europäer und Deutschen. Haltung ist Unsinn. Ich erspare mir, einen deutlicheren Wie bereits angesprochen worden ist, lagern in Büchel in Ausdruck zu verwenden. der Eifel in der Nähe einer Rollbahn Atomwaffen. Über In Wirklichkeit schadet dieses Festhalten an der nu- das Internet sind Informationen darüber mittlerweile klearen Teilhabe – das ist heute besonders wichtig fest- leicht zu bekommen. zuhalten –, dem deutschen Eintreten für eine glaubwür- Ich habe mit der Frage der Atomwaffen seit inzwi- dige Nichtverbreitungspolitik. schen 40 Jahren zu tun. Anfangs war dies der Fall, als (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ich Soldat in einer deutschen Atomwaffeneinheit war; die Pershing-Ia war damals auf unseren heutigen Ver- Unsere Erfahrung im Unterausschuss „Abrüstung, Rüs- bündeten Polen gerichtet. Man kann durchaus sagen: Es tungskontrolle und Nichtverbreitung“ ist, dass dieses ist fantastisch, was sich seitdem geändert hat. Unser Me- Festhalten immer wieder einen Makel hinsichtlich eines 18130 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Winfried Nachtwei (A) glaubwürdigen Eintretens für die Nichtverbreitung dar- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) stellt. Hinzu kommen die ethische und die völkerrechtli- Jetzt hat der Kollege Eckart von Klaeden das Wort für che Ebene. Bundeswehrsoldaten dürfen selbstverständ- die CDU/CSU-Fraktion. lich keine Waffen einsetzen, die unterschiedslos wirken und die vor allem Zivilsten treffen. Deshalb dürfen sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch keine Antipersonenminen einsetzen. Eckart von Klaeden (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gen! Die Redner der geschätzten Opposition tun ja ge- In der Taschenkarte „Humanitäres Völkerrecht“, die rade so, als sei in Fragen der Abrüstungspolitik in den vom Bundesverteidigungsministerium herausgegeben wird letzten Jahren, insbesondere seit dem Ende des Kalten – Herr Staatssekretär, Sie haben uns vor wenigen Tagen Krieges, nichts geschehen. Ich will darauf hinweisen, die Ausgabe 2008 zugesandt; vorher gab es nur die Aus- dass wir in Deutschland und in Europa Abrüstungs- gabe 2006 –, sind die verbotenen Kampfmittel aufge- schritte in einem erheblichen Umfang unternommen ha- führt. Dort steht drin, dass der Einsatz von Atomwaffen ben. Die Mitgliedstaaten der NATO haben seit Anfang für Bundeswehrsoldaten verboten ist. der 90er-Jahre die Zahl der substrategischen Nuklear- waffen in Europa um mehr als 85 Prozent reduziert, ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genüber „Spitzenzeiten“ des Kalten Krieges sogar um sowie bei Abgeordneten der SPD) 95 Prozent. Was heißt das im Klartext? Diesen Einsatz zu üben, ist Was im Hinblick auf Ramstein vorhin angeführt wor- rechtswidrig. Wer solche Übungen anordnet, handelt den ist, ist ein Zeichen dafür, dass die NATO-Allianz noch rechtswidriger. das, was an Nuklearwaffen notwendig ist, auf ein Min- destmaß reduziert; das unterstützen wir ausdrücklich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Dies folgt dem strategischen Konzept, das die Mitglieder bei der FDP und der LINKEN) des Bündnisses im Konsens beschlossen haben und zu Ich habe den Minister vor einer Woche aufgefordert, dem sich auch die Bundesregierung im Weißbuch be- dazu Stellung zu nehmen: null. Er wird von Journalisten kannt hat. gefragt: null. Dies ist ein Kopf-in-den-Sand-Stecken vor Ich hatte deswegen vom Kollegen Mützenich auch ein eminent wichtigen rechtlichen Fragen. Im Rahmen der Bekenntnis zu dem Dreiklang unserer Sicherheitspolitik, Inneren Führung verlangen wir von den Soldaten, dass unserer Nuklearpolitik erwartet: zum Ersten Abrüstung sie sich rechtmäßig verhalten. So liederlich wie Sie mit und Rüstungskontrolle, zum Zweiten Raketenabwehr – die- (B) (D) dem Recht umzugehen, schadet der Inneren Führung. sem Teil hat der Außenminister beim NATO-Gipfel zuge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stimmt – und zum Dritten die nukleare Teilhabe, die als ein nicht mehr so wichtiges, aber dennoch notwendiges Element unserer Sicherheitspolitik im Weißbuch bezeich- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: net wird. Es nützt der Glaubwürdigkeit des Außenminis- Herr Kollege, Sie müssten zum Schluss kommen. ters und auch unseren gemeinsamen Abrüstungsinitiati- ven wenig, wenn im Bündnis der Eindruck entsteht, als Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): habe der Außenminister in seiner Fraktion nicht die not- Ja, ich komme dann zum Schluss. wendige Unterstützung für eine Politik, für die er im Bündnis eintritt. Es ist schon mehrfach gesagt worden: Die taktischen Atomwaffen sind ein Relikt des Kalten Krieges. Im Be- Dass die Lagerung von Nuklearwaffen in Europa, reich der Chemiewaffen machen wir die Erfahrung, dass mögen es auch noch so wenige sein, höchsten Sicher- es dort erfolgversprechend weitergeht. Die Bundesrepu- heitsstandards genügen muss, ist, so glaube ich, eine blik unterstützt wirksam Chemiewaffenvernichtungs- Selbstverständlichkeit. Denn wir müssen damit rechnen, anlagen in Russland wie sonst kein anderer. Dies ist ein dass auch Terroristen in Europa versuchen könnten, in wirklich gutes Beispiel dafür, wie man bei den takti- den Besitz von Nuklearwaffen zu kommen oder An- schen Atomwaffen weitermachen kann. Das wäre ein schläge gegen deren Lagerstätten zu verüben. wichtiger Schritt zur weiteren nuklearen Abrüstung, um Aber die eigentliche Frage ist doch – eine Antwort von uns aus wieder etwas mehr Schwung in die nukleare darauf habe ich nun wiederum bei der FDP vermisst –, Nichtverbreitung hineinzubringen. ob man unter veränderten Umständen nach wie vor der Wer dieser Position auf der Veranstaltung in Büchel Ansicht ist oder nicht mehr der Ansicht ist, dass wir am am 30. August Rückhalt geben will, der sollte das tun. Grundsatz der nuklearen Teilhabe festhalten sollten. Wer Das kann – nicht alle können physisch anwesend sein, wie Sie, Herr Kollege Westerwelle, den Abzug unter- aber möglichst viele – in der einen oder anderen Form schiedslos aller Nuklearwaffen aus Deutschland fordert, geschehen. stellt auch die nukleare Teilhabe und die gültige NATO- Strategie infrage. Das sollte man, wie ich finde, dann Danke schön. aber auch sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Das ist sowie bei Abgeordneten der LINKEN) richtig so!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18131

Eckart von Klaeden (A) – Von Ihnen wird dies konsequent vorgetragen. Aber wie und in unsere Sicherheitskalkulation mit einbeziehen. (C) gesagt, man muss dann die Frage beantworten, wie man zur gültigen Nuklearstrategie der NATO steht. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Dafür sind die Atomwaf- (Beifall bei der CDU/CSU) fen da?) Ich bin der Ansicht, dass wir, auch wenn die Notwen- digkeit der Abschreckung in den letzten Jahrzehnten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nach dem Ende des Kalten Krieges erfreulicherweise ab- Elke Hoff spricht jetzt für die FDP-Fraktion. genommen hat, zur Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger nach wie vor auf eine nukleare Abschreckungs- (Beifall bei der FDP) komponente angewiesen sind. Der offenkundigen Nu- klearisierung Indiens und Pakistans ist weltweit eine Elke Hoff (FDP): beschleunigte Proliferation der Nukleartechnologie ge- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten folgt. Wir haben – darüber diskutieren wir in diesem Damen und Herren! Der Herr Staatssekretär hat eben Hause immer wieder – mit Nordkorea und dem Iran zwei den Begriff „Gespensterdebatte“ benutzt. Staaten, die im Hinblick auf die Nukleartechnologie vor dem Überschreiten der Schwelle stehen oder diese be- (Beifall des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE reits überschritten haben. LINKE]) Der geografische Fokus der nuklearen Bedrohung hat Wir diskutieren hier über ein Thema, das wirklich der sich für die NATO in Richtung Asien sowie Nah- und Ernsthaftigkeit bedarf. Es ist gut und wichtig, dass wir Mittelost verlagert. Vor diesem Hintergrund wurden be- hier und heute diese Aktuelle Stunde durchführen. Diese deutende und von uns unterstützte Abrüstungsschritte Diskussion zeigt nämlich, dass es im Deutschen Bundes- möglich. Die Bedeutung der Nuklearwaffen hat sich in tag für die These von Herrn von Klaeden keine Mehrhei- diesem neuen Sicherheitsumfeld geändert. Die Abhän- ten mehr gibt. gigkeit der NATO von Nuklearwaffen hat sich erfreuli- cherweise weiter reduziert. Aber wir werden doch ge- (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem rade vor dem Hintergrund dieser neuen Gefahren nicht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- darauf verzichten können, dem fundamentalen Zweck geordneten der SPD und des Abg. Gert der Nuklearwaffen im Bündnis nachzukommen. Dieser Winkelmeier [fraktionslos]) ist ein eminent politischer, nämlich Frieden zu bewahren Lieber Rolf, herzlichen Glückwunsch zum Geburts- und Kriege zu verhindern sowie den politischen, strate- tag. Ich finde, du hast die Haltung deiner Fraktion mit gischen, militärischen Erfolg – wie immer Sie es auch sehr klaren Worten dargestellt. Die Unionskollegen soll- (B) nennen wollen – von jemandem, der mit dem Einsatz ten einmal innehalten und sich fragen, ob das, was sie (D) von Nuklearwaffen rechnet oder sie in das Kalkül zieht, hier argumentativ vortragen, wirklich den politischen so weit zu minimieren, dass es dazu nicht kommt. Willen des Deutschen Bundestages widerspiegelt. Ich (Beifall bei der CDU/CSU) bin sehr gespannt darauf. Wir hören doch von Ihrer Fraktion, der FDP, immer Herr von Klaeden, ich schätze Sie als außenpoliti- wieder die nachvollziehbaren und von mir auch gar nicht schen Fachmann wirklich sehr. Auch ich bedauere, dass infrage gestellten Bekenntnisse zum Existenzrecht Israels der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminis- einerseits und die ablehnende Äußerung des iranischen ter der Verteidigung angesichts dieses Themas allein auf- Präsidenten Ahmadinedschad andererseits. Jetzt zählen tritt. Ich hätte mir gewünscht, dass auch ein Vertreter des Sie doch einfach einmal die Fakten zusammen: das irani- Auswärtigen Amtes auf der Rednerliste gestanden hätte. sche Raketenprogramm, das iranische Nuklearprogramm und schließlich die ständigen Drohungen des iranischen (Beifall bei der FDP) Präsidenten gegen Israel. Die Dinge sind nämlich eng miteinander verzahnt, und (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Dafür sind die das Problem bedarf einer Antwort aus beiden Bereichen. Atomwaffen da?) (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE – Ich erkläre es Ihnen, Herr Westerwelle. GRÜNEN]: Vernetzt!) Vor diesem Hintergrund ist ja leider das Szenario – Die Dinge sind miteinander vernetzt; vielen Dank, nicht unwahrscheinlich, dass der Iran irgendwann Israel Kollege Nachtwei. mit Nuklearwaffen bedrohen könnte. Wenn wir in einer ähnlichen Situation wie im ersten Irak-Krieg, als Keiner der Redner hat in irgendeiner Form die Frage Saddam Hussein Raketen auf Israel geschossen hat, Ab- beantworten können – Herr von Klaeden, auch Sie nicht –, wehrraketen an Israel liefern würden und der Iran da- wer mit der nuklearen Teilhabe in der Bundesrepublik raufhin erklären würde, wir würden zur Kriegspartei, Deutschland abgeschreckt werden soll. Ich halte es gera- dann müssten wir eine Antwort auf eine solche strategi- dezu für einen Affront gegenüber unseren Freunden in sche Bedrohung haben. Auf solche, leider nicht völlig Israel, eine solche argumentative Hilfskonstruktion auf- unwahrscheinliche Gefahren müssen wir uns dann ein- zubauen, richten (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem ( [FDP]: Eine sehr gewagte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Theorie!) geordneten der SPD) 18132 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Elke Hoff (A) obwohl die nukleare Teilhabe aus einer Zeit stammt, in ten, um über diese Dinge zu diskutieren. Ich wünsche (C) der sich die Bedrohung aus der Blockkonfrontation er- mir, dass unserer Bevölkerung glaubhaft versichert wird, gab. Selbstverständlich müssen wir über die strategische dass die Lagerung, die zurzeit noch stattfindet, sicher ist Ausrichtung unserer Sicherheitspolitik reden und uns und die Bundesregierung alles in ihrer Macht Stehende immer wieder neu ausrichten. Mit dieser Verknüpfung dazu beiträgt, die Sicherheit zu gewährleisten. Ich wün- haben Sie sich nach meiner Meinung aber einen Bären- sche mir aber auch, dass die Regierung gleichzeitig das dienst erwiesen. Das überzeugt niemanden. klare Signal gibt – hier ist der Bundesaußenminister ge- fordert –, dass wir bereit sind, uns in Sachen Abrüstung (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten international an die Spitze zu stellen, und zwar außer- der LINKEN – Eckart von Klaeden [CDU/ halb der Sonntagsreden und Konferenzen, mit ganz kon- CSU]: Sagen Sie doch einmal ein Argument kreten Maßnahmen innerhalb der NATO. Ich wünsche dagegen!) mir, dass wir unsere Auffassung auf den Tisch legen. Solange die Frage, wer heute abgeschreckt werden Ich sehe dafür eine Mehrheit in diesem Deutschen soll, nicht beantwortet werden kann, müssen wir, die Bundestag. Werden Sie sich untereinander einig. Ich verantwortlichen Politiker im Deutschen Bundestag, uns denke, dann kann man über alles reden. fragen, ob wir es unseren Bürgerinnen und Bürgern wei- Herzlichen Dank. terhin zumuten können, dass sich Atomwaffen auf unse- rem Territorium befinden. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sehen Sie LINKEN) die neuen Gefahren nicht?) Wir müssen uns doch fragen, ob es nicht viel besser ist, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: an dieser Stelle über ernsthafte Abrüstungsinitiativen zu Uta Zapf spricht jetzt für die SPD-Fraktion. reden. Wir haben den Atomwaffensperrvertrag zwar ge- Uta Zapf (SPD): zeichnet, handeln zurzeit aber nicht vertragskonform. Es Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist ja nicht so, dass auf NATO-Ebene keine Gesprächs- Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir an Gedächtnis- bereitschaft vorhanden ist. Sowohl der NATO-General- schwund leiden. sekretär als auch Mitglieder der NATO, insbesondere die (Dr. [DIE LINKE]: Genau!) Vereinigten Staaten, haben gesagt: Es ist okay, wenn Deutschland das Thema auf die Tagesordnung setzen Im Jahre 2005 gab es schon einmal einen FDP-Antrag; (B) will. Wir können darüber diskutieren. Lieber Kollege das wissen Sie selbstverständlich. (D) Nachtwei, das war übrigens auch schon zu Zeiten der (Dirk Niebel [FDP]: Er ist von Rot-Grün aus- rot-grünen Bundesregierung der Fall. Wenn Deutschland gesessen worden!) seine Glaubwürdigkeit in Sachen Abrüstungspolitik be- wahren will, wäre es doch ein Leichtes, dieses Thema Über ihn ist damals nicht abgestimmt worden, weil die Legislaturperiode zu Ende war. Sie haben dann wie- auf die NATO-Tagesordnung zu setzen, um dann kon- derum einen Antrag eingebracht. struktiv und mit Blick in die Zukunft darüber diskutieren zu können. Am 25. Januar 2006 gab es einen Antrag der Linken. Über ihn haben wir hier und im Ausschuss mehrfach dis- (Uta Zapf [SPD]: So einfach ist das nicht!) kutiert. Am 7. März 2006 gab es einen Antrag der Grü- Das erwarten wir von der Bundesregierung. nen. Beide sind abgelehnt worden. Jetzt steht noch der Antrag von der FDP auf der Tagesordnung. Außer in (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Ilja dieser Aktuellen Stunde werden wir uns, denke ich, noch Seifert [DIE LINKE]) in einer anderen Plenardebatte damit auseinandersetzen müssen. Denn hier haben sich ganz viele dafür ausge- Herr von Klaeden, Sie haben eben gesagt, wir würden sprochen, endlich einmal über die NATO-Strategie und Antworten schuldig bleiben. Ich hatte nicht den Ein- über den Abzug der Atomwaffen aus Europa nachzuden- druck, dass Sie uns als Teil der Bundesregierung ge- ken. In diesem Zusammenhang muss auch seriös über meinsam mit Ihrem Koalitionspartner eine Antwort hät- die Möglichkeiten der Abrüstung in der Welt insgesamt ten geben können. diskutiert werden. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ich bin Im Übrigen hat diese Koalition am 8. November 2006 nicht Teil der Bundesregierung!) in einem Antrag formuliert, dass „neue Impulse zur Re- Sie sind zurzeit in der Regierungsverantwortung und duzierung substrategischer Nuklearwaffen in Europa sei- müssen uns deswegen zeigen, dass Ihre Gründe schlüs- tens der NATO sinnvoll“ sind. Über Waffen im Zusam- sig sind. menhang mit der NATO diskutieren wir doch im Moment. Der Dreiklang, der hier genannt wurde, Herr Noch einmal zurück zum Thema Sicherheit: Herr von Klaeden, wirkt auf mich im Moment wie ein Miss- Staatssekretär, Sie haben eben behauptet, dass wir über klang. Darüber muss im Rahmen einer neuen Diskussion dieses Thema im Ausschuss debattiert hätten. Wir haben über die NATO-Strategie gesprochen werden. Diese es am Rande der Sitzung nur sehr kurz angesprochen. steht an und wird unter Umständen bis 2009 auf der Ta- Ich hätte mir gewünscht, dass wir mehr Zeit gehabt hät- gesordnung gewesen sein. Das Europäische Parlament Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18133

Uta Zapf (A) hat in 2006 den Abzug gefordert. Das belgische Parla- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) ment hat ebenfalls in 2006 eine Resolution dazu be- Der Kollege Freiherr zu Guttenberg hat für die CDU/ schlossen. Es gibt ein europäisches Land, das erfolgreich CSU-Fraktion das Wort. war in der Forderung, diese Waffen von seinem Territo- rium zu entfernen: Griechenland. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/ Manchmal ist eine weitere historische Erinnerung CSU): ganz wichtig. Erinnern wir uns einmal daran, was die Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Bundesregierung 1989 gemacht hat. Sie hat von den Al- Herren! Um mit einer sich anbahnenden Legendenbil- liierten verlangt, die Kurzstreckenwaffen aus Europa dung aufzuräumen: Wir alle, auch die CDU/CSU, teilen abzuziehen. Wie wir wissen, war diese Forderung er- die Zielsetzung einer nuklearwaffenfreien Welt. folglos. Liebe Freunde, wir haben – manchmal partei- (Beifall bei der CDU/CSU – Uta Zapf [SPD]: übergreifend – im Deutschen Bundestag im Zusammen- Aber nicht so schnell!) hang mit dem Nichtverbreitungsvertrag immer wieder dieselben Forderungen gemeinsam beschlossen. Nun schwappt einmal mehr eine friedensbewegte Welle durch unser Land. Herr Westerwelle, dabei Auch die NATO hat bis zum Jahre 2000 unterstützt, schwappen Sie munter mit. was die Überprüfungskonferenz in dem Jahr gefordert hat. Sie hat die 13 Schritte, die zur totalen Abrüstung (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist das führen sollen, begrüßt. Einer dieser 13 Schritte ist, diese erste Mal in meinem Leben!) taktischen Atomwaffen von der Welt zu entfernen. Herr Mützenich hat recht: Natürlich wird das ohne Russland Das kann man auch mit guten Gründen tun. Ich teile überhaupt nicht möglich sein. Aber dazu muss eben auch nicht alle Argumente, die unser Geburtstagskind ein Impuls gegeben werden; dieser darf nicht einseitig Mützenich vorgetragen hat, aber sie liefern eine gute und sein. Es hat immer wieder Impulse in der Diskussion intellektuell saubere Begründung. Damit begibt man über die NATO-Doktrin gegeben. Ich erinnere daran, sich nicht auf das gleiche Niveau wie die Linkspartei. wie viel Prügel Außenminister Fischer eingesteckt hat, Das ist auch unter Ihrer Würde, Herr Westerwelle. Man als er versucht hat, „no first use“ in der NATO durchzu- kann das auch anders machen. setzen. Er hat es nicht geschafft. Auch Herr Struck hat (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Auch da die Themen Waffen und nukleare Teilhabe eingebracht. kann man Herrn Westerwelle in Schutz neh- Auch er ist nicht gerade freundlich empfangen worden. men!) Aber ich finde, wir haben angesichts der veränderten Man sollte auch nicht auf der Welle des Populismus rei- Lage eine große Verantwortung, unsere Strategien zu ten. Ansonsten ist man irgendwann ebenso ungesichert (B) (D) überdenken; offensichtlich steht Proliferation bzw. wie die Waffen in Büchel. Nichtverbreitung im Moment im Vordergrund. Es kann doch nicht sein – so hat es sich hier jetzt angehört –, dass Das ist die eigentliche Frage, der wir heute nachzuge- wir mit Atomwaffen gegen potenzielle Bedrohung durch hen haben. Diese Sicherheitslücke ist tatsächlich mehr Atomwaffen, Terroristen oder militärische Überlegen- als bedauerlich. Sie muss abgestellt werden und wird heiten angehen. Wir würden uns selber töten. Lassen Sie wohl auch abgestellt. Vor diesem Hintergrund kann man sich einmal von einem Wissenschaftler vorrechnen, wel- auch über anderes sprechen. Aber die Frage ist, ob man che Schäden für die gesamte Umwelt und Umgebung diese Dinge in einer Weise miteinander vermengt, die auch nur eine ganz unbedeutende Auseinandersetzung dazu führt, dass die Frage des Wie, also wie wir zu dem mit atomaren Waffen verursachen würde. Wir sind gut gemeinsam geteilten Ziel einer nuklearfreien Welt kom- beraten, uns wieder mehr der Abrüstung zuzuwenden, um men, im Grunde ad absurdum geführt wird. Gerade aber andere mitzunehmen oder davon abzuhalten, ihrerseits auf das Wie kommt es an. atomar aufzurüsten. Je länger wir auf der Abschreckung Dazu kann ich nur sagen: Die nukleare Teilhabe ist bestehen und je stärker sich unsere Strategien – wie die Mittel zum Zweck. Dieser Konnex ist in der Tat wichtig. der Amerikaner – an präemptiven nuklearen Schlägen Nukleare Teilhabe sichert Mitsprache. Diese Mitsprache orientieren, desto reizvoller wird es für andere, wie Iran geht jedoch dahin, dass wir uns irgendwann in einer nu- und Libyen – das haben wir gesehen –, sich diese Waffe klearfreien Welt bewegen können. Und ohne wird es auch zuzulegen, weil sie meinen, mit ihr besser ge- nicht funktionieren. schützt zu sein. Es ist schon interessant, wie sich mancher profilbedachte Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist auch an un- Lautsprecher in diesen Tagen nicht mehr erinnert, wie er seren Koalitionspartner ein starker Appell. Ich kann in selbst in der Regierungsverantwortung gehandelt hat. keiner Weise das unterschreiben, was hier mit großer Selbstgewissheit über die NATO gesagt worden ist. Wir (Beifall bei der CDU/CSU) sind gut beraten, wenn wir eine internationale, aber auch eine nationale Initiative für weitere Abrüstung und für Ich habe es möglicherweise aus dem Gedächtnis verlo- eine Veränderung der NATO-Strategie starten. ren, dass in den sieben Jahren der Vorgängerregierung auch nur einer oder eine einmal die nukleare Teilhabe in- Vielen Dank. frage gestellt hätte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Uta Zapf [SPD]: Doch! – Winfried DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: FDP) 2004/2005!) 18134 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (A) – Wer hat denn bitte die nukleare Teilhabe öffentlich in- ger“ Beitrag, Herr Westerwelle, der ganz in der Tradition (C) frage gestellt? Wer von den FDP-Außenministern hat je- der Außenminister Ihrer Partei steht! mals die nukleare Teilhabe öffentlich infrage gestellt? In meinen Augen müssen wir das Thema Abrüstung (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE angehen, indem wir die NATO und die Strukturen der GRÜNEN]: Nein! 2004/2005 – Dirk Niebel NATO nutzen. Dort müssen wir unser Gewicht deutlich [FDP]: Das ist zu lange her!) machen; wir müssen es uns aber auch bewahren. Die NATO ist der Ort, an dem über Abrüstung gesprochen – Das ist möglicherweise für alle etwas zu lange her, das werden muss. Unsere Zielsetzung ist eine atomwaffen- kann schon sein. Herr Westerwelle, Sie sind dann wahr- freie Welt. Dieses Ziel werden wir aber nicht erreichen, scheinlich der Erste, der im ersehnten, angestrebten wenn wir in der Art und Weise vorgehen, wie Sie es ge- Amte sofort, unverzüglich und mit entsprechender Verve tan haben. darangehen wird, diese Ziele unter plötzlicher Entde- ckung des Unilateralismus – leider an der NATO vorbei – Vielen Dank. umzusetzen. Dazu kann ich nur sagen: Das ist pure Träu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- merei. Es ist ein unseriöser Ansatz, wenn wir uns mit neten der SPD – Dr. Guido Westerwelle dieser Frage so beschäftigen, wie Sie sich heute damit [FDP]: Sie sind der Erste, der mich in die Frie- beschäftigen. densbewegung gepackt hat!) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es sind überhaupt jene, die sonst immer laut und zu Jetzt spricht Gert Winkelmeier. Recht nach Multilateralismus rufen, die plötzlich den Unilateralismus neu für sich entdecken, weil in dieser Frage nichts erreicht werden kann, ohne die Strukturen Gert Winkelmeier (fraktionslos): der NATO zu nutzen. Es ist für uns schon eine wichtige Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frage, ob man das Bündnis für diese gemeinsame Zielset- Wir sprechen heute über die US-Atomwaffenlager, spe- zung nutzen kann. Dann muss man aber auch ein Stück ziell über das im Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz. weit Bündnisverantwortung und Bündnissolidarität zei- In einer US-Studie ist von gravierenden Sicherheitsmän- gen. geln bei der Lagerung von Atomwaffen die Rede. Das eigentliche Problem sind aber die Atomwaffen selbst – Natürlich ist die Frage berechtigt: Nutzen uns die und die werden in dieser Studie leider nicht erwähnt. Waffen in Büchel noch etwas? Weitere Fragen wären: Wohin müssten sie verbracht werden? Was ist mit ihrem Ich freue mich, dass alle drei Oppositionsfraktionen (D) (B) Bedrohungspotenzial? Aber mit der Art und Weise, wie den Abzug der Atomwaffen fordern. Ich freue mich Sie Ihre Forderung vortragen, werden Sie bei unseren auch, dass sogar die rheinland-pfälzische Landesregie- amerikanischen Bündnispartnern nichts, aber auch gar rung ihren Abzug fordert. Mich ärgert aber der billige nichts erreichen. In den USA wird diese Debatte zwar Populismus, ja die Verhöhnung der Menschen, die bei noch schüchtern und für uns alle viel zu leise geführt, diesem Thema vor allem bei der SPD, aber auch bei der aber sie wird geführt. FDP Einzug gehalten haben. Wenn Herr Westerwelle und Herr Brüderle sagen, (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE diese Waffen seien ein Überbleibsel aus dem Kalten GRÜNEN]: Bei uns aber viel stärker!) Krieg, dann haben sie objektiv gesehen recht. In diesem Wenn man aber so auftritt und solche Gründe anführt Zusammenhang ist aber die Frage erlaubt: Wo waren Sie wie Sie, dann wird sich auch der neue Präsident der USA denn, als die Friedensbewegung diese Forderung bereits bei diesem Thema nicht bewegen. Es ist auch eine Frage vor Jahrzehnten aufgestellt hat? Wo waren Sie damals? des Stils, wie man hier vorgeht. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Damals hatten (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Da sind Sie ja wir ja noch einen Kalten Krieg!) Experte!) – Der Kalte Krieg ist seit mittlerweile 18 Jahren vorbei, Glauben Sie denn, dass ein Abzug der Atomwaffen Herr Westerwelle; das wissen Sie genauso gut wie ich. aus Deutschland allein unser Land sicherer machen Wo waren Sie in den letzten zehn Jahren? würde? Wissen Sie, was passieren würde, wenn wir (Dirk Niebel [FDP]: Wie Sie in der Opposition! diese Waffen an einen anderen Ort, den wir eher als unsi- Das wissen Sie doch hoffentlich!) cherer erachten, verbringen würden? Ist das ein großarti- ger Erfolg? In den letzten zehn Jahren haben Sie die Friedensinitia- tive in Büchel nicht ein einziges Mal unterstützt. Herr (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Brüderle war jahrelang stellvertretender Ministerpräsi- GRÜNEN]: Glaubwürdigkeit ist auch nicht dent von Rheinland-Pfalz. Was hätte er in diesem Amt schlecht!) nicht alles für die Umsetzung dieser Forderung tun kön- nen! Nichts hat er in diesem Sinne getan. Er hat der Frie- Ist das ein Beitrag zu unserer Sicherheit? Ist das etwas, densbewegung immer die Auskünfte verweigert. was unserer Zielsetzung entspricht? Ich glaube, nein. Das ist eher ein bemerkenswerter Beitrag zur immanen- (Dirk Niebel [FDP]: Was hat Joseph Fischer ten Entsolidarisierung der NATO. Das ist ein „großarti- eigentlich die ganze Zeit gemacht?) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18135

Gert Winkelmeier (A) Es ist erwähnt worden, dass Rheinland-Pfalz jahr- Rolf Kramer (SPD): (C) zehntelang der Flugzeugträger der NATO war; das ist Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und richtig. Das ist eine Formulierung der Friedensbewe- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden gung. Politiker von CDU und FDP waren in diesem über bis zu 20 Atomwaffen, die möglicherweise noch in Bundesland jahrzehntelang in Regierungsverantwor- Büchel gelagert sind. Ich stelle mir vor, wir hätten diese tung. Sie haben dieses Bundesland hochgerüstet und mi- Diskussion in den 60er-Jahren, in den 70er-Jahren, in litaristisch geprägt. Auch Kurt Beck lässt heute keine den 80er-Jahren geführt: Wir alle wären vor lauter Hurra Gelegenheit aus, in den USA für den Erhalt der US- an die Decke gesprungen, wir hätten es als riesengroßen Standorte in Rheinland-Pfalz zu werben. Das macht Erfolg gefeiert, dass nur noch so wenige Atomwaffen seine jetzige Forderung nach Abzug der Atomwaffen dort gelagert werden. – Man muss man sich immer wie- schlicht und einfach unglaubwürdig. der klarmachen, worüber man redet. Ich fordere einen Verzicht auf die nukleare Teilhabe. Wir haben in den fast 20 Jahren seit dem Ende des Folgen Sie den Beispielen Kanadas und Griechenlands! Kalten Krieges einen großen Weg zurückgelegt in Rich- Diese beiden Länder haben den Verzicht auf die nukleare tung weniger Atomwaffen, zumindest in Europa, in Teilhabe beschlossen und werden seit diesem Beschluss Deutschland. Wir alle sollten froh sein, dass ein Großteil allerdings nicht atomar erpresst, wie es uns die Herren der taktischen Atomwaffen nicht mehr in Europa gela- von Guttenberg und von Klaeden von der CDU/CSU gert wird. weismachen wollen. Wir sprechen heute über Sicherheitsmängel bei der Vor zwei Jahren haben Sie alle, Kolleginnen und Kol- Lagerung der Atomwaffen. Jenseits jeder Diskussion legen, dem Weißbuch zur Sicherheitspolitik zugestimmt. muss klar sein, dass Sicherheitsmängel abgestellt wer- Zu diesem Zeitpunkt hätten Sie die Frage des Atomwaf- den müssen. fenabzugs ansprechen können, hätten Sie die Frage der Herr Nachtwei hat darauf hingewiesen, dass er seinen nuklearen Teilhabe ansprechen können. Sie haben zuge- Dienst als Soldat in einer Einheit versehen hat, die mit stimmt, dass es Atomwaffen auf deutschem Boden gibt, Atomwaffen ausgerüstet war. Ich selbst durfte in einer weil Sie die Tornadopiloten für den Einsatz, für den Ab- Fla-Rak-Einheit meinen Dienst ableisten. Wir haben ge- wurf der Atomwaffen, ausbilden wollten. Deshalb glaubt übt, die Städte im Umkreis von 100 bis 200 Kilometern Ihnen von der Friedensbewegung niemand, dass Sie ehr- mit Atomwaffen zu belegen. Einige wenige – ich ge- lich für den Abzug dieser Waffen eintreten. hörte dazu – haben damals darüber nachgedacht und Einzig die Partei Die Linke und die Friedensbewe- gesagt: Es kann nicht der richtige Weg sein, das eigene gung sind glaubhaft in ihrer Forderung nach Verzicht auf Territorium mit Atomwaffen zu belegen, sprich: es zu (B) Mitsprache bei der Verfügung über Atomwaffen, in ihrer zerstören. (D) Forderung nach dem Abzug aller Atomwaffen aus Vor dem Hintergrund dessen, dass der Kalte Krieg Deutschland und in ihrer Forderung nach einer atomwaf- seit etwa 20 Jahren vorbei ist, müssen wir immer wieder fenfreien Zone. darüber nachdenken, ob die Nuklearstrategie der NATO so, wie sie angelegt ist, noch sinnvoll ist. Wer in das Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: NATO-Handbuch aus dem Jahr 1999 schaut, sieht, dass Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. in diesem Bereich große Fortschritte zu verzeichnen sind. Gert Winkelmeier (fraktionslos): Ich glaube, es war Verteidigungsminister Volker Ich komme zum Ende. – Herr Westerwelle, wenn Sie Rühe, der nach dem Ende des Kalten Krieges ausgeführt es wirklich ernst meinen, dann lassen Sie sich am hat, dass Deutschland „von Freunden umzingelt“ ist und 30. August in Büchel blicken, wo die Friedensinitiative dass wir natürlich unsere Strategie ändern müssen. Wir Westpfalz gegen diese Waffen demonstrieren will. haben, obwohl uns der Feind abhandengekommen ist, noch immer Tornadoflugzeuge in Büchel, die üben, wie (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Mit Ihnen man Atomwaffen abwirft. werde ich nicht Händchen halten!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Auf mich brauchen Sie keine Rücksicht zu nehmen. Aber ich wäre erfreut, wenn Sie sich dort sehen lassen Die militärische Notwendigkeit, den Einsatz solcher würden. Das wäre ein Stück Glaubwürdigkeit. Waffen zu üben, ist nicht mehr gegeben. Auch erschließt sich mir und den Mitgliedern meiner Fraktion die politi- Danke schön. sche Sinnfälligkeit dessen nicht. Deshalb müssen wir un- sere Strategie ändern. Wir sind für einen weiteren drasti- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – schen Abbau der vorhandenen Atomwaffen. Diese Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Diskussion – darauf ist hingewiesen worden – ist über- NEN]: Wo waren Sie denn letztes Jahr? Ach haupt nicht neu. Bei der Diskussion über das Weißbuch so, Sie waren nicht da!) haben wir schon darüber gesprochen. Ein wichtiges Ar- gument, das auch hier immer wieder gebracht wurde, ist, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dass die Teilhabe an Planungsprozessen hinsichtlich der Der Kollege Rolf Kramer hat jetzt das Wort für die Atomwaffen davon abhängig ist, ob wir in Deutschland SPD. über Atomwaffenträger verfügen und mit ihnen üben. 18136 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Rolf Kramer (A) Mein Kollege Hans-Peter Bartels hat im Februar letz- schlichtweg für eine Zumutung. Unsere Soldaten leisten (C) ten Jahres eine Anfrage an die Bundesregierung gerich- hier einen guten Dienst, und sie sichern den äußeren Be- tet, die in diese Richtung ging. Er fragte nämlich danach, reich ab. wie viele Staaten der NATO Trägersysteme zur Verfü- gung stellen. Die Antwort lautete: Es sind acht. – Die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nächste Frage war, wie viele Länder der NATO an den der SPD) Planungsprozessen teilnehmen. Die Antwort war: Bis Für den inneren Bereich sind die Amerikaner zuständig. auf Frankreich alle. – Frankreich ist im NATO-Russ- Das ist so. land-Rat und nimmt vor diesem Hintergrund auch an den Planungen teil. Herr Kollege Kramer, ich gebe Ihnen recht, dass wir das in aller Ruhe diskutieren sollten. Ich kann Ihnen aber Mir scheint das Argument, dass wir nur durch die Trä- die Sicherheit nicht ganz geben. Auch nach 2013 halten gersysteme unser Gewicht in den NATO-Gremien ein- wir Tornados vor, die nuklearwaffenfähig sind. Von da- bringen können, also sehr schwach zu sein. her läuft das 2013 nicht aus. (Beifall bei der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, es kann ein- Andere NATO-Länder verfügen nicht über Trägersys- fach nicht sein, dass wir aufgrund eines Mängelberichts teme und nehmen trotzdem an den Planungsprozessen den Abzug der Nuklearwaffen durch die Amerikaner teil. fordern, weil die Waffen angeblich unsicher bei uns ge- lagert sind. Wenn wir zu dieser Forderung kommen und Man sollte die Diskussion vielleicht auch ein wenig der Auffassung sind, dass wir auf amerikanische und gelassen führen; denn ab dem Jahre 2013 werden die sonstige Nuklearwaffen auf unserem Boden verzichten Tornados ausgephast. Es gibt dann kein Nachfolgesys- wollen, weil sich die Dinge geändert haben, dann kann tem; denn die Eurofighter, die eingeführt werden, sind dies doch nur das Ergebnis einer sicherheitspolitischen dafür nicht gedacht. Es wird auch nicht mehr geübt wer- und einer NATO-strategischen Diskussion sein, an deren den. Dieses Problem löst sich also mit der Zeit. Uns Ende wir sagen: Ja, das gesamte Szenario hat sich geän- wäre es aber lieb, wenn man dieses Problem ganz dert. Deshalb brauchen wir weder die nukleare Teilhabe schnell lösen könnte. noch – im Bereich der Abschreckung – die taktischen Vielen Dank. Atomwaffen, die mit Flugzeugen transportiert werden. – Diese Diskussion vermisse ich. Die Diskussion jetzt ist (Beifall bei der SPD) im Grunde sehr punktuell auf die Sicherheitsfragen statt auf das Grundsätzliche abgestellt. (B) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (D) Der Kollege Ernst-Reinhard Beck spricht jetzt für die Ich meine trotzdem, feststellen zu müssen, dass die CDU/CSU-Fraktion. NATO-Strategie der Abschreckung nach wie vor Gültig- keit hat, liebe Frau Kollegin Hoff. Sie haben gefragt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wen wir eigentlich abschrecken. Abschreckung ist zu- nächst einmal ein abstrakter Begriff. Ich kann jemanden Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU): abschrecken, der direkt vor mir steht, aber ich kann auch Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und gegenüber potenziellen Gefahren abschreckend wirken. Herren! Gleich vorneweg: Sollten die Ergebnisse in der Es gibt eine riesige Menge an Literatur über die Strategie amerikanischen Studie tatsächlich richtig sein, dann der Abschreckung. müssten die dort aufgeführten Mängel von den Amerika- Wenn Sie dieses Thema vereinfachen, wie es auch der nern umgehend und schnell beseitigt werden. Ich glaube, Kollege Westerwelle getan hat – er hat sich darüber lus- darüber sind wir uns völlig einig. tig gemacht und gesagt, dass wir noch im Ost-West-Kon- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- flikt seien und keine Ahnung hätten, was eigentlich pas- neten der SPD) siert ist –, dann blenden Sie aus, welche tatsächlichen Gefährdungen bestehen. Sind die iranische Nuklearrüs- Es kann nicht sein, dass in Deutschland stationierte Nu- tung, die Atombombe von Nordkorea und der Reaktor in klearwaffen nur unzulänglich gesichert sind. Es wäre in Syrien etwa nicht real? der Tat fatal und nicht erträglich, wenn davon aufgrund mangelhaften Schutzes keine Gefahr für irgendwelche Richtig ist aber – ich glaube, das hat der Kollege Gegner, sondern für unsere eigene Bevölkerung aus- Mützenich vorhin im richtigen Kontext getan –, dass wir ginge. über all diese Gefährdungen sprechen und sie in den richtigen Zusammenhang stellen müssen. Das gilt übri- In diesem Bericht steht, dass die Anlagen durch gens auch für die russischen Nuklearwaffen und Nukle- Wehrpflichtige, die nur neun Monate lang ausgebildet arreaktoren, die noch ungesichert irgendwo im Eismeer wurden, gesichert seien. Wir haben eine Wehrpflicht von liegen. Diese ganzen Bereiche müssen wir mit einbezie- neun Monaten; das scheint den Verfassern bekannt zu hen, statt uns punktuell auf Büchel zu konzentrieren. sein. Ich möchte jetzt nicht über Qualität reden, aber ich möchte unsere Wehrpflichtigen in Schutz nehmen; denn (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. nach ihrer Grundausbildung können sie in der Tat Wach- Dr. [SPD] – Winfried dienst leisten. Den Verweis auf eine Wehrpflicht, die da- Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: für vielleicht generell nicht geeignet ist, halte ich Wie sieht es mit der Rechtswidrigkeit aus?) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18137

Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (A) Wir sind – um das ganz klar zu sagen – für Abrüs- schen zunächst die Dimension und der Schrecken der (C) tung. Wir sind für eine Politik der nuklearen Abrüstung militärischen Möglichkeiten von Atomwaffen im Vor- und der Nichtverbreitung. Die Kollegin Zapf hat zu dergrund. Es wird aber übersehen, dass die Atomwaffen Recht gesagt, dies seien zwei Seiten derselben Medaille. – über die militärische Bedeutung hinaus – heute auch Ziel muss aber nicht nur die weltweite Abschaffung der eine politische Stärke – in Anführungszeichen – bewir- Nuklearwaffen, sondern die weltweite Ächtung und Ab- ken. Das hängt damit zusammen, dass Staaten, die über schaffung aller Massenvernichtungswaffen sein. Dies Atomwaffen oder Trägerraketen verfügen – auch wenn müsste, glaube ich, das Fernziel sein. Wir sind leider es nur eine einzige ist –, in ihrem politischen Gewicht noch nicht so weit. plötzlich anders beurteilt werden. (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Das wurde deutlich, als sich abzeichnete, dass der GRÜNEN]: Man darf aber die ersten Schritte eine oder andere Staat – sei es Südafrika, Israel, Pakistan nicht vergessen!) oder Indien – im internationalen Kontext und in der – Richtig. Wir haben schon erste Schritte unternommen. Frage, wie man mit diesen Staaten umgehen bzw. ver- Auch darauf ist bereits hingewiesen worden. 95 Prozent handeln soll, einen Bedeutungszuwachs erlebte. Das ist der Nuklearwaffen sind bereits aus Deutschland abgezo- ebenso pervers wie die Drohung mit dem Einsatz von gen worden, lieber Kollege Nachtwei. Atomwaffen. (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Als letzter Redner hat man es natürlich am schwers- GRÜNEN]: Aber jetzt treten Sie auf der ten. Dennoch wage ich eine Zusammenfassung: Es ist Stelle!) klar, dass kein Mitglied des Bundestages für Atomwaf- fen als Ultima Ratio eintritt, im Gegenteil. Wir streiten Ich meine, der Abzug der US-Atomwaffen wäre zum darüber, auf welchem Weg wir das, was bislang bei der jetzigen Zeitpunkt falsch. Denn im Kern geht es um die Abrüstung erreicht wurde, fortführen können. Die span- Mitsprache Deutschlands im Bündnis auf gleicher Au- nende Frage ist, ob die nukleare Teilhabe, wie sie hier genhöhe. Deshalb können wir jetzt noch nicht darauf beschrieben wurde – ich will das nicht wiederholen –, ei- verzichten. nen Weg weist oder ob der Verzicht auf die nukleare Vielen Dank. Teilhabe in der Bundesrepublik Deutschland den Weg, den wir gemeinsamen gehen wollen, verstärkt oder (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schwächt. Das ist nicht nur eine akademische Frage, son- neten der SPD – Winfried Nachtwei [BÜND- dern eine Frage der Chemie. Wir haben viel erlebt und NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür müssen die hatten große Hoffnungen. Als die Administration Soldaten etwas Rechtswidriges tun!) (B) Clinton kam, herrschte eine hoffnungsvolle Stimmung (D) im Deutschen Bundestag. Viele waren der Meinung, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dass sich die amerikanische Außenpolitik ändern wird. Der Kollege Gerd Höfer spricht jetzt für die SPD- Tatsächlich hat sie sich nicht so viel geändert. Nur der Fraktion. Ton wurde angenehmer. Ich wage vorauszusagen: Egal wie die kommende Gerd Höfer (SPD): Wahl in den USA ausgeht, an bestimmten Dingen wird Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- sich nichts ändern. Daher schlussfolgere ich, dass man legen! Das Aktuellste an der heutigen Debatte ist die über die Mitgliedschaft in der NATO und die nukleare Meldung in der Memminger Zeitung vom gestrigen Teilhabe versuchen sollte, die Dinge auf einen Weg zu Tage, die den Spiegel-Online-Bericht über Sicherheits- bringen, den die NATO-Partner gemeinsamen gehen mängel bei der Lagerung von Atomwaffen aufgegriffen können. hat. Es war mir durchaus klar, dass sich daraus eine Aktuelle Stunde entwickeln kann, die nichts mehr mit (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der der Sicherheit der Lagerung zu tun hat, sondern sich mit CDU/CSU) den politischen Dimensionen von Atomwaffen insge- Viele verkennen: Die zur Verfügung stehenden Träger- samt beschäftigt. flugzeuge stehen unter NATO-Kommando und nicht un- In meinem Wahlkreis gab es ein Atomwaffenlager. Es ter dem Kommando des Inspekteurs der Luftwaffe. Das befand sich auf einer Wiese; es verfügte über Wachturm erleichtert zwar die ganze Sache nicht, hindert uns aber und Scheinwerfer. Das friedliche Bild wurde durch in keiner Weise daran, den Verhandlungsweg zu be- Schafherden ergänzt, die dort das Gras abgeweidet ha- schreiten. ben. Die Menschen in einer benachbarten Kleinstadt Wir brauchen ein wirksameres Kontrollregime als haben sich immer gewundert, warum dort nur bislang. Denn wie ist es möglich, dass unter Beobach- 30 Amerikaner stationiert gewesen sind. Der äußere tung aller, die für die Nichtverbreitung sind, auf einmal Ring wurde durch Deutsche bewacht; der innere sah Staaten demonstrativ zeigen, dass sie Atomwaffen ganz anders aus. Insofern kann mit Sicherheit bezweifelt haben? Wie haben diese Staaten es geschafft, die Tech- werden, dass dort Sicherheitsrisiken bei der Lagerung nologie zu erwerben, zum Erstaunen aller Völker Atom- bestanden haben. bombentests durchzuführen und schließlich Mittelstre- Es ist aber schon fast ein Pawlow’scher Reflex: Wenn ckenraketen erfolgreich zu testen? Das Kontrollregime, von Atomwaffen die Rede ist, dann stehen für die Men- das dies eigentlich verhindern sollte, ist also nicht 18138 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Gerd Höfer (A) ausreichend. Die Rolle der Wirtschaft, die das ermög- Berichterstattung: (C) licht hat, muss in diesem Zusammenhang ebenfalls ge- Abgeordnete Eckart von Klaeden klärt werden. Detlef Dzembritzki Dr. Werner Hoyer Fazit: Die heutige Debatte hat sich gelohnt. Wir soll- Dr. ten weiterhin über den Weg streiten, und zwar nicht Kerstin Müller (Köln) übermorgen, sondern morgen, so bald wie möglich. Zwischen den Fraktionen ist verabredet, im An- Herzlichen Dank. schluss an die Regierungserklärung eineinhalb Stunden (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zu debattieren. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich erteile das Wort zur Abgabe einer Regierungser- Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. klärung dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Abgabe einer Regierungserklärung durch den der CDU/CSU) Bundesminister des Auswärtigen zu den Ergeb- nissen der Afghanistan-Konferenz in Paris Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Auswärtigen: Bündnis 90/Die Grünen vor. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Weiterhin ist verabredet, die Beschlussempfehlung Herren! Ich darf die Botschafterin Afghanistans begrü- des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit ßen, die diese Debatte von der Tribüne verfolgt. und Entwicklung auf Drucksache 16/9685 sowie des (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/9711 zu und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie den Anträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE Entwicklung in Afghanistan zusammen mit diesem Ta- LINKE]) gesordnungspunkt als Zusatzpunkte 2 und 3 aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann Vor einigen Wochen bekam der zivile Leiter unseres wird so verfahren. Wiederaufbauteams in Faizabad Besuch von den Dorfäl- testen und dem Mullah aus einem Gebirgsdorf in Ich rufe auch die Zusatzpunkte 2 und 3 auf: Badakhshan, dem nordöstlichsten Teil Afghanistans. (B) (D) ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Drei Tage waren die Männer unterwegs: zu Fuß, mit richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- Eseln und das letzte Stück im Sammeltaxi. sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) Sie fragen sich sicherlich: Wofür drei Tage? Diese zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Koczy, Abordnung aus dem Dorf kam bei unserem Wiederauf- Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), bauteam an und bat um Unterstützung beim Bau einer weiterer Abgeordneter und der Fraktion Jungen- und Mädchenschule. Der Leiter des Wiederauf- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bauteams wunderte sich, dass die Delegation für die Entwicklung in Afghanistan – Strategien für knapp 120 Kilometer Wegstrecke drei Tage brauchte. eine wirkungsvolle Aufbauarbeit kohärent Die Dorfältesten erwiderten darauf, dass vor zwei Jahren umsetzen die gleiche Reise noch weit über eine Woche gedauert hätte. Mittlerweile gebe es allerdings auf der Hälfte der – Drucksachen 16/8887, 16/9685 – Strecke eine neue Straße. Bald werde die Straße wohl Berichterstattung: auch das Dorf erreichen. Dann öffne sich für das Dorf Abgeordnete Dr. Christian Ruck die Welt. Das sei auch der Grund ihres Kommens. Das Christel Riemann-Hanewinckel Dorf brauche die Hilfe beim Bau der Schule, so der Mul- Hellmut Königshaus lah, „weil wir jetzt endlich eine Zukunft haben, und da- Hüseyin-Kenan Aydin rauf müssen wir unsere Kinder vorbereiten“. Ute Koczy Meine Damen und Herren, das ist in der Tat nur eine ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Dorfgeschichte aus dem Pamir-Gebirge, aber sie führt richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- uns schnurstracks ins Zentrum dieser Debatte, die wir schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen heute führen. Viel zu oft verlieren wir uns bei unseren Trittin, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), weite- leidenschaftlichen Diskussionen um Mandate und Ober- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- grenzen. Zu oft verlieren wir dabei den Blick, worum es NIS 90/DIE GRÜNEN im Kern in Afghanistan geht. Es geht im Kern um zwei Dinge: erstens um die Zukunft dieses Landes und zwei- Staatsaufbau in Afghanistan – Pariser Konfe- tens und immer noch um unsere eigene Sicherheit. renz zur kritischen Überprüfung und Kurs- korrektur des Afghanistan-Compacts nutzen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ – Drucksachen 16/9428, 16/9711 – DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18139

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) Die Menschen in diesem Dorf glauben an eine bes- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der (C) sere Zukunft. Das Entscheidende ist: Sie wissen, dass FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- diese Zukunft am Ende von ihnen selbst gestaltet werden SES 90/DIE GRÜNEN) muss. Sie kämpfen für ihre Schule. Sie kämpfen für ein besseres Leben ihrer Kinder. Wir reichen ihnen dabei im Aber wir sollten, wie ich finde, nicht nur auf uns stolz Grunde genommen nur die helfende Hand. sein. Das, was vorangekommen ist, ist entscheidend den- jenigen Menschen in Afghanistan zu verdanken, die von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten diesem Wiederaufbauwillen geprägt sind. Sie brauchen der CDU/CSU) weiterhin die Unterstützung unserer Soldaten, Polizisten, Öffnung zur Welt, Zukunft für Kinder – davon jeden- Diplomaten und zivilen Wiederaufbauhelfer. Ich will falls träumen die afghanischen Dorfleute, von denen ich diese Gelegenheit gerne nutzen, um all denen zu danken, berichtet habe, und sie drücken damit aus, was die Hoff- die sich für eine friedliche Zukunft Afghanistans enga- nung der übergroßen Mehrheit der Menschen in Afgha- gieren. Ich danke ihnen für den Mut, mit dem sie sich nistan ist. Solange diese Hoffnung lebendig ist, werden, leidenschaftlich und – ich weiß, auch viele von Ihnen ha- so bin ich sicher, die Taliban keine Chance haben. Jeder ben es gesehen – manchmal unter Entbehrungen dafür Brunnen, jede Schule, jeder Kilometer Straße ist ein einsetzen, dass die Kinder in Afghanistan eine Zukunft kleiner Sieg. haben. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Die Afghanen – viele von Ihnen, meine Damen und Herren, waren inzwischen dort – sind ganz ohne Zweifel Ich will an dieser Stelle auch meinen Kabinettskollegen ein stolzes, freiheitsliebendes Volk. Das kann jeder spü- Heidemarie Wieczorek-Zeul, Wolfgang Schäuble und ren, der mit ihnen spricht. Aber es sind auch Menschen, für die gute Zusammenarbeit danken, die nicht vergessen haben, in welches Elend sie von den ohne die all das, was ich hier berichten konnte, nicht Taliban gestürzt worden sind. Diese Art Steinzeit-Islam möglich gewesen wäre. ist für die Menschen in ihrer ganz übergroßen Mehrheit keine Zukunftsverheißung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, trotz dieser eindrucksvol- len Fortschritte sehen viele Bürgerinnen und Bürger den Deshalb ist ziviler Wiederaufbau nicht nur irgendein Afghanistan-Einsatz – ich weiß das – mit großer Skep- (B) Randaspekt unseres Engagements in Afghanistan, son- sis. Sie selber sehen sich in Ihren Wahlkreisen auch kriti- (D) dern er steht im Mittelpunkt. Hier entscheidet sich, ob schen Fragen ausgesetzt. Die Politik steht nicht nur unter die Hoffnung die Oberhand behält oder ob die Angst zu- Begründungs-, sondern manchmal sogar unter Rechtfer- rückkehrt. tigungszwang. Ich glaube, wir dürfen uns diesem auch Meine Damen und Herren, was ich hier von dem Ge- nicht entziehen, weil die Bürger einen Anspruch darauf birgsdorf in Badakhshan schildere, das ist schon lange haben, dass wir unseren Afghanistan-Einsatz – und zwar kein Einzelfall mehr. Kai Eide, der neue Sondergesandte das gesamte Engagement – immer wieder auf Erfolg, auf des Generalsekretärs der Vereinten Nationen in Afghanis- Wirksamkeit und auf Effizienz hin hinterfragen. Wir tan, hat im Rahmen der kürzlich in Paris stattgefundenen brauchen klare Ziele, und wir brauchen beständige Er- Konferenz berichtet, dass mittlerweile in 32 000 Dörfern folgskontrolle. Wir müssen uns kritisch selbst prüfen, in Afghanistan Entwicklungsprojekte erfolgreich umge- welche Erwartungen im kulturellen und politischen Kon- setzt worden sind. Nach dem Sturz der Taliban – ich habe text Afghanistans realistisch sind. Darauf haben viele hierüber bereits berichtet, aber ich möchte daran erin- von Ihnen und darauf habe ich in meinen Reden in den nern – gab es so gut wie keine Gesundheitsversorgung in vergangenen Monaten immer wieder hingewiesen. Afghanistan. Mittlerweile haben 80 Prozent der Bevölke- rung Zugang zu basismedizinischer Versorgung. Gerade wenn es um die Gesundheit und um das Le- ben von Soldaten und zivilen Wiederaufbauhelfern geht, Das Schulsystem – Sie wissen es – war damals faktisch dann kann es kein einfaches „Weiter so“ geben. Deshalb zusammengebrochen. Heute gehen 6 Millionen Kinder in hat sich auch die Bundesregierung seit der letzten Man- Afghanistan zur Schule, 30 000 Lehrer wurden ausgebil- datsdebatte im vergangenen Herbst intensiv bemüht, und det, 3 500 Schulen aufgebaut oder wiederaufgebaut. 8 Mil- zwar gemeinsam mit ihren Partnern, kritisch Bilanz zu lionen Minen wurden geräumt, 13 000 Kilometer Straßen ziehen. Die Afghanistan-Konferenz in Paris vor wenigen gebaut oder repariert. Die Menschen gründen inzwischen Tagen war aus meiner Sicht bei diesem Bemühen eine wieder Unternehmen. Die Wirtschaft entwickelt sich auf wichtige Zwischenetappe. Ich darf Ihnen sagen, dass der niedrigstem Niveau – zugegeben –, aber sie entwickelt Vertreter von UNAMA, der Vereinten Nationen in Af- sich in den Teilen des Landes, in denen die Sicherheits- ghanistan, in dieser Pariser Konferenz eine Bestandsauf- lage besser ist, auf niedrigem Niveau stetig fort – und das nahme zur Umsetzung des Afghanistan-Compact von alles in sieben Jahren. Ich finde, das ist trotz aller Schwie- London erstellt hat. Diese Analyse, diese Bestandsauf- rigkeiten, die wir vor uns haben – diese Schwierigkeiten nahme haben wir in die Schlussfolgerungen im Ab- sind gewaltig –, eine Leistung, auf die wir miteinander ein schlusskommuniqué der Pariser Konferenz übernom- bisschen stolz sein dürfen. men. 18140 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) Was heißt das? 85 Staaten und internationale Organi- wusstsein, das Afghanistan braucht. Ich freue mich über (C) sationen waren vertreten, 20 Milliarden Dollar Wieder- beides, weil wir genauso beides erreichen wollen. aufbauhilfe – eine wahrlich stolze Summe – sind zuge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sagt worden. Wir selbst hatten 140 Millionen Euro zugesagt. Für die Zeit von 2008 bis 2010 stellen wir ins- Es trifft zu – auch das war Gegenstand der Gespräche gesamt 420 Millionen Euro zur Verfügung. auf der Pariser Konferenz zu Afghanistan –, dass wir von der afghanischen Regierung mehr Elan bei der Durchset- Die Pariser Konferenz war aber auch deshalb ein Er- zung von Rechtsstaatlichkeit sowie bei der Beachtung und folg, weil die internationale Gemeinschaft und die afgha- Wahrung von Menschenrechten erwarten. Die afghani- nische Regierung sich auf einen Kurs verständigt haben, sche Regierung hat dazu – das darf ich Ihnen versichern – für den wir – Sie wissen das – schon im vergangenen Jahr in Paris eine erfreulich deutliche Selbstverpflichtung ab- intensiv geworben haben. Insofern ist der Strategiewech- gegeben, eine Selbstverpflichtung, die der afghanische sel, den – sie ist nicht hier – oder Winfried Außenminister, wie ich gesehen habe, in Interviews in Nachtwei – er ist hier – fordern, schon lange im Gange. deutschen Zeitungen wiederholt hat, eine Selbstver- Dazu braucht heute nicht aufgerufen zu werden. pflichtung, an der wir die Regierung messen werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Ich glaube, dass die Richtung in der Afghanistan-Po- bei Abgeordneten der FDP) litik, wie wir sie jetzt eingeschlagen haben, richtig ist. Wer Afghanistan kennt – viele von Ihnen sind da ge- Aber alle haben recht, die sagen: Wir dürfen uns dabei wesen –, der weiß: Der Wiederaufbau wird noch längere nicht verzetteln, sondern wir müssen uns auf die wesent- Zeit dauern, und er wird auch eine militärische Absiche- lichen Probleme konzentrieren, das heißt, die Eigenver- rung auf längere Sicht brauchen. Ohne ein sicheres Um- antwortung der Afghanen stärken. Unser oberstes Ziel feld wird der zivile Wiederaufbau nicht vorankommen. muss sein und bleiben, dass Afghanistan sich mittelfris- Mit anderen Worten: Wo es keine Sicherheit gibt, da tig selbst helfen kann. wächst die Angst, und wo die Angst wächst, da stirbt die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Hoffnung. Aus diesem Grund wird unsere militärische FDP) Präsenz weiter notwendig sein, eine Präsenz, die zum Ziel hat – das ist das Entscheidende –, sich eines Tages Ich will vier zentrale Herausforderungen nennen, die selbst überflüssig zu machen. auch Kai Eide in seinem Vortrag in Paris betont hat: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Erstens. Die Reform der afghanischen Sicherheits- Das wird gelingen, wenn wir es schaffen, genügend (B) kräfte, gerade auch der Polizei, muss beschleunigt wer- (D) den. afghanische Polizisten und Soldaten auszubilden, die dann gut motiviert für die Sicherheit im eigenen Land Zweitens. Korruption und Schattenwirtschaft müssen sorgen können. Das ist der Grund dafür, weshalb wir mit mehr Nachdruck bekämpft werden. Auch das war 2009 über 400 europäische Polizisten im Rahmen der eine Forderung von Kai Eide. EUPOL-Mission als Ausbilder nach Afghanistan entsen- Drittens. Die Investitionen beim Wiederaufbau, jetzt den wollen. Das sind immerhin mehr als doppelt so ganz besonders in zwei Bereichen, nämlich bei der viele, wie heute der EUPOL-Mission zur Verfügung ste- Stromversorgung und – das ist die neue Priorität bei hen. UNAMA – vor allen Dingen bei der landwirtschaftli- Darüber hinaus wollen wir auch weiterhin EUPOL chen Entwicklung, reichen bei Weitem nicht aus. mit bilateralen Polizeiprojekten unterstützen. Wir arbei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten in der Polizeiausbildung mittlerweile auch mit den der CDU/CSU) USA zusammen. Wir haben mehrere Hundert Polizisten gemeinsam ausgebildet. In Masar-i-Sharif entsteht eine Viertens. Die Drogenbekämpfung wird nur dann er- neue Polizeiakademie, die ebenfalls helfen soll, die zi- folgreich sein können, wenn die Bauern echte ökonomi- vile Polizeiausbildung in Afghanistan voranzubringen. sche Alternativen haben, und genau darum müssen wir uns mehr kümmern als in der Vergangenheit. Es reicht nicht, die Polizei in Afghanistan auszubil- den. Wir müssen uns auch stärker um die Ausbildung der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten afghanischen Armee kümmern. Wir werden die Zahl der der CDU/CSU) Ausbilder- und Mentorenteams, der sogenannten OMLTs, erhöhen; das wissen Sie. Wir werden Ausbildungsein- Wir wissen – darin sind wir uns vielleicht sogar ei- richtungen wie die Logistikschule in Kabul in Zukunft nig –, dass die Fortschritte in diesen vier Bereichen auch ebenfalls stärker unterstützen. ganz wesentlich von der afghanischen Regierung und von der Verwaltung dort abhängen. Immerhin hat die afghani- In dieser Debatte geht es um den zivilen Wiederauf- sche Regierung mit der Nationalen Afghanischen Ent- bau, aber nachdem wir gestern die Obleute informiert wicklungsstrategie jetzt einen eigenen Plan zum Wieder- haben, möchte ich es hier wiederholen: Wir haben uns aufbau des Landes vorgestellt. Das macht nicht nur das darauf verständigt, dass wir die Obergrenze für das größere Maß an Eigenverantwortlichkeit sichtbar, das die ISAF-Mandat von 3 500 auf 4 500 Soldaten erhöhen afghanische Regierung für sich in Anspruch nimmt, son- wollen, zum Ersten deshalb, weil wir, wie gesagt, stärker dern das ist auch Ausdruck von wachsendem Selbstbe- in Ausbildung investieren wollen, zum Zweiten, um Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18141

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) mehr Spielraum beim Kontingentwechsel zu haben, und dass Sie heute diese Regierungserklärung abgegeben ha- (C) zum Dritten, weil wir uns auf die Begleitung der Präsi- ben. Dies war in der letzten Woche nicht möglich, weil dentschaftswahlen, die im Jahre 2009 in Afghanistan natürlich der Europäische Rat und das Votum in Irland stattfinden, vorbereiten wollen,. Das Ganze wird einher- im Vordergrund standen. Heute ist in der Tat die letzte gehen mit einer weiteren Absenkung der OEF-Obergrenze Chance, noch vor der Sommerpause über Afghanistan zu auf dann 800 Soldaten. Damit sinkt die Obergrenze bei debattieren, und ich glaube, es tut dem Deutschen Bun- OEF in zwei Jahren immerhin um 1 000 Soldaten. destag sehr gut, dass wir diese Gelegenheit nutzen. Meine Damen und Herren, ich habe eingangs gesagt, (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei was aus meiner Sicht im Mittelpunkt unseres Engagements Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE in Afghanistan steht: die Zukunft dieses Landes und na- GRÜNEN) türlich unsere eigene Sicherheit. Letztlich ist entschei- Ich finde es auch sehr gut, dass Sie darauf hingewie- dend zu berücksichtigen, dass beides zusammenhängt. sen haben, dass wir weiß Gott nicht nur Rückschläge Wir müssen verhindern, dass Afghanistan wieder zu ei- und Misserfolge in Afghanistan zu verzeichnen haben, nem Rückzugsraum international tätiger Terroristen sondern dass wir gerade dann, wenn es um die ganz kon- wird. Das wird aber langfristig nur gelingen, wenn die- krete Lebenssituation der Menschen geht, auch Erfolge ses Land eine gute Zukunft hat, wenn es Nahrung, Zu- verzeichnen können. Vielleicht erzählen wir unseren gang zu Strom und Wasserversorgung gibt und Schulen Bürgerinnen und Bürgern zu wenig darüber. sowie Radiostationen und vieles andere mehr errichtet werden. Wir müssen Umstände schaffen, unter denen die (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Menschen zur Wahl gehen können. Schließlich müssen SPD) wir Umstände schaffen, in denen sich der Getreideanbau Meine Damen und Herren, diesem Lob an die Bun- mehr lohnt als der Mohnanbau. desregierung wegen der Ermöglichung dieser Debatte (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der möchte ich allerdings eine klare Kritik hinterherschi- FDP) cken: Es gibt offensichtlich ein großes Informationsdefi- zit hier im Hause. Wir tragen als Parlament die entschei- Ich komme zum Schluss: Ich will an einen längeren dende Verantwortung für die Sicherheit und den Auftrag Afghanistan-Aufsatz im Magazin der Süddeutschen Zei- unserer Soldaten und darüber hinaus vieler Polizisten, tung von Dietmar Herz, der erst vor wenigen Wochen er- ziviler Wiederaufbauhelfer, Diplomaten usw. Allerdings schienen ist, erinnern. Er spannt darin – ich sehe, viele werden wir über strategische Weichenstellungen in der haben ihn gelesen – einen weiten Bogen von Alexander Afghanistanpolitik des Bündnisses nicht informiert. dem Großen über den Mongolenherrscher Timur Leng (B) bis hin zur sowjetischen Besatzung Afghanistans und Das ist ein Zustand, der auf Dauer nicht haltbar ist, (D) sagt: Jeder hat sich an diesem Land die Zähne ausgebis- meine Damen und Herren. Es ist für uns und unser Anse- sen. Das ist aber natürlich nicht der Schluss dieses Arti- hen nicht gut, wenn wir über die Flure des Capitols in kels; vielmehr weist Dietmar Herz darauf hin, was dieses Washington laufen und dort von Kollegen auf Fakten und Berichte angesprochen werden, die diese wie selbst- Mal in Afghanistan anders ist. Die deutschen Soldaten verständlich haben, wir hier allerdings nicht; ich komme kommen eben nicht als Eroberer ins Land, sondern sie darauf zurück. haben ein Konzept, „das zusammen mit den Afghanen als gleichberechtigten Partnern das Land sichern, stabili- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sieren und“ – darum geht es ja in dieser Debatte – „auf- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – bauen“ sollte. Das ist unser Ansatz; dazu stehen wir. Dr. Peter Struck [SPD]: Herr Hoyer, was mei- nen Sie konkret mit diesen Berichten?) Die Menschen verbinden mit unserem Einsatz, dass es für sie und ihre Kinder wieder aufwärtsgeht. Hierin – Ich komme ganz konkret darauf zurück, kann es aber liegt eine Chance, die wir nicht verspielen dürfen. Dafür, auch gerne vorziehen, Herr Kollege. Ich werde gleich meine Damen und Herren, tragen wir, wie ich denke, danach etwas zur Notwendigkeit sagen, für Afghanistan nach wie vor gemeinsam Verantwortung. klare Ziele – auch Subziele – sowie Zielerreichungsstra- tegien zu definieren. Herzlichen Dank. Wenn das Bündnis in Bukarest, wie man so hört, an- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie geblich genau das getan hat, was wir seit langem einfor- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE dern – wir haben noch nicht einmal das Recht auf Ein- GRÜNEN) sicht in ein solches Dokument, und von daher wissen wir immer noch nicht, welches die in der NATO konsentier- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ten Ziele sind –, dann fällt es mir als stellvertretendem Für die FDP-Fraktion gebe ich dem Kollegen Vorsitzenden meiner Fraktion sehr schwer, dafür zu sor- Dr. Werner Hoyer das Wort. gen, dass meine Fraktion beim nächsten Mal zustimmt. Deswegen müssen wir das Verfahren in diesem Punkt (Beifall bei der FDP) deutlich ändern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dr. Werner Hoyer (FDP): des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke Ihnen, Herr Außenminister Steinmeier, dafür, Das ist der Hintergedanke der Bemerkung von eben. 18142 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Dr. Werner Hoyer (A) Meine Damen und Herren, wir müssen über die Ziele Aufklärung. Die Argumentation des Bundeswehr-Ver- (C) sprechen. Eben hat der Minister gesagt: Ja, wir müssen bandes ist mir da ausgesprochen einleuchtend. Nachdem irgendwann dazu kommen, gehen zu können, weil in Af- die Parlamentsarmee durch zwei Bundesverfassungsge- ghanistan etwas Selbsttragendes entstanden ist. – Meiner richtsurteile nach Klagen der liberalen Fraktion gestärkt Auffassung nach müssen wir bei der Definition unserer worden ist, sollten wir auf gar keinen Fall Abstriche an Ziele im Bündnis mit einem großen Schuss Demut zu den Mitwirkungsmöglichkeiten des Parlaments machen. Werke gehen. Wir werden bei weitem nicht das errei- chen können, was wir uns idealiter für Afghanistan vor- (Beifall bei der FDP) stellen. Denn wenn wir das nicht tun, besteht die Gefahr, Sie haben Fortschritte angesprochen. Wir sind uns na- dass wir uns eines Tages übernehmen, dass wir vielleicht türlich darüber im Klaren, dass wir auch Defizite haben. scheitern oder dass wir dort auf Jahrzehnte militärisch Sie haben das Thema Korruption angesprochen. Da gebunden sind, und dann wird es mit der Zustimmung muss auch die Regierung Karzai in die Pflicht genom- der Bevölkerung verdammt schwierig werden. Deswe- men werden. Das werden wir sehr genau beobachten. gen: Karten auf den Tisch! Was ist in Bukarest verein- Bei der Frage der Drogenbekämpfung haben wir über- bart worden? Vielleicht werden Sie uns damit sehr haupt keinen Fortschritt erzielt. Ich sage Ihnen – auch als glücklich machen. Volkswirt –: Ich habe ein bisschen Bedenken, ob die al- ternativen Produktionen am Ende funktionieren können. Meine Damen und Herren, mein Kollege Königshaus Hier haben wir noch echte konzeptionelle Probleme zu wird auf den Kern des Afghanistan-Compact und auf die bewältigen. Vereinbarung von Paris noch im Detail eingehen. Ich muss mich hier zum Schluss auf zwei Aspekte konzen- Letztes Wort. Es stellt sich die große Frage, wie die trieren. Weltpolitik zu Beginn des Jahres 2009 aussehen wird. Entscheidend ist, was aus den Reden des russischen Prä- Erstens. Die Bundesregierung hat gestern die Obleute sidenten Medwedew wird und wer amerikanischer Präsi- des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses un- dent wird. Ohne eine konstruktive Zusammenarbeit mit ter Geheim und anschließend sofort die Öffentlichkeit dem Iran, mit Pakistan, mit Russland, mit China und über die Presse darüber informiert, dass man ab Oktober wahrscheinlich auch mit Indien werden wir unser Pro- 1 000 zusätzliche Soldaten für Afghanistan braucht. blem in Afghanistan auf Dauer vermutlich nicht bewälti- Meine Damen und Herren, wir Liberalen haben un- gen und das Ziel, dass etwas Selbsttragendes entsteht, sere Haltung zu den Afghanistan-Mandaten immer sehr nicht erreichen können. Deswegen ist mir völlig klar, verantwortlich, besonnen und konstruktiv wahrgenom- dass am Ende ohne eine Dialogbereitschaft unseres men. wichtigsten Partners, unseres wichtigsten Verbündeten, (B) im Hinblick auf diese Länder in Afghanistan langfristig (D) ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nichts Erfreuliches stattfinden wird. Wie es eure Art ist!) Herzlichen Dank. – Das ist so, und das wird auch so bleiben. – Aber, meine Damen und Herren, einen Blankoscheck stellen wir des- (Beifall bei der FDP) wegen noch lange nicht aus. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Andreas Die Bundesregierung wird etwas präziser begründen Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion. müssen, wie sie zum Beispiel jetzt auf die Zahl von 1 000 Soldaten kommt. Das Ganze ist ja keine Lotterie; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) vielmehr muss eine Überlegung dahinterstehen. Dies gilt erst recht, da direkt gesagt wurde: Wir wollen die Erhö- Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): hung gar nicht gleich, sondern irgendwann einmal nut- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zen. – Ich habe für Flexibilitätsforderungen sehr viel Sicherheit und Entwicklung sind in Afghanistan zwei Verständnis. Nur, der Übergang zu einem Vorratsmandat Seiten einer Medaille. Gestatten Sie auch mir einen Satz vollzieht sich relativ leicht, und deswegen müssen wir zur Sicherheit, bevor ich über die Entwicklungsfort- präzise argumentieren. schritte in Afghanistan spreche. In diesem Zusammenhang muss man ferner sehen: Da Unser Verteidigungsminister hat gestern vorgeschla- nach der Übernahme der Quick-Reaction-Force-Aufga- gen, im nächsten ISAF-Mandat die Obergrenze um ben ganz konkrete und brennende Sicherheitsfragen 1 000 Soldaten zu erhöhen. Wir werden darüber im Ok- auch im Interesse der Sicherheit unserer Soldaten zu be- tober ausführlich debattieren. Wir haben den politischen antworten sind, frage ich mich, warum diese Erhöhung Auftrag erteilt, für Frieden und Sicherheit in Afghanis- so dringend nötig ist, obwohl sie erst im Oktober vorge- tan zu sorgen, auch militärisch. Aus diesem Auftrag lei- nommen werden soll. Ich stelle mir die Frage, ob wir ten die Militärplaner und die Sachverständigen ihre nicht, wenn sie so dringend ist, eigentlich erwarten Anforderungen ab. Wenn diese nun anhand von Ein- müssten, dass die Bundesregierung auf das Parlament satzerfahrungen zu dem Schluss gekommen sind, dass zukommt und sagt: Wir können nicht in die Sommer- sie zur erfolgreichen Erledigung des Auftrags mehr Sol- pause gehen, ohne für eine Verstärkung der Truppen ge- daten, eine andere Ausrüstung oder mehr Spielraum sorgt zu haben. – Dieser Widerspruch bedarf noch der brauchen, um mit Reservekräften auf künftige Gefahren- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18143

Dr. Andreas Schockenhoff (A) situationen flexibel reagieren zu können, dann müssen legt: die Nationale Entwicklungsstrategie und den Stra- (C) sie all dies erhalten. tegischen Fünfjahresplan zur Verbesserung der Regie- rungsverantwortung bis 2013. Das Fernziel wird mit Lieber Kollege Hoyer, das heißt nicht, dass am Tag der 2020 angegeben, wenn Afghanistan in eine „stabile, isla- Abstimmung im Deutschen Bundestag sofort 1 000 Sol- mische, konstitutionelle Demokratie in Frieden mit sich daten mehr nach Afghanistan geschickt werden. Wir wis- und seinen Nachbarn“ umgewandelt sein soll. Bis dahin sen, dass dort im nächsten Jahr Wahlen sind. Wir wissen, liegt noch ein großer Berg Arbeit vor uns. Um ihn er- dass es zu bestimmten Situationen kommen kann, in de- folgreich abzutragen, ist es notwendig, das bisher Ge- nen die Risiken größer werden. Ein flexibleres, für leistete zu überprüfen, gegebenenfalls zu verstärken, um 14 Monate geltendes Mandat ist darauf die richtige Ant- nicht wieder zurückzufallen. wort. Es kann nicht sein, dass wir als Parlament am mili- tärischen Bedarf für den politischen Auftrag vorbeiman- In letzter Zeit überwiegt der Eindruck, die Lage habe datieren und damit die Auftragserfüllung erschweren. sich eher verschlechtert, obwohl Milliarden von Hilfs- Wir alle kennen den Grundsatz: Keine Entwicklung geldern fließen und Tausende von Soldaten und zivilen ohne Sicherheit und keine Sicherheit ohne Entwicklung. Helfern im Einsatz sind. Die Zahl der Anschläge ist ge- stiegen, auch im Norden. Wir haben bei allen drei Säulen Die gleichzeitige Absenkung der Obergrenze bei OEF des Afghanistan-Compact neben den Fortschritten auch halten wir für vertretbar, zumal seit langem weniger als Fehlentwicklungen zu verzeichnen: bei der Sicherheit, 300 Soldaten eingesetzt sind. Wichtig ist dabei, dass die bei der guten Regierungsführung sowie bei der wirt- 100 KSK-Soldaten weiterhin im Mandat bleiben. Das ist schaftlichen und sozialen Entwicklung. Wir hören von bündnispolitisch ein wichtiges Signal. Ich begrüße aus- wachsender Korruption, von Schattenwirtschaft und ei- drücklich nicht nur, dass Außenminister Steinmeier dies ner stockenden Entwicklung im Privatsektor. für die SPD mitträgt, sondern auch, dass er dies für un- verzichtbar hält. Für die schwierige Aufgabe, Afghanistan wieder auf- zubauen und lebensfähig zu machen, brauchen wir ne- Die Konferenz von Paris war die sechste in einer Ab- ben der langfristigen Perspektive auch realistische Teil- folge von Afghanistan-Konferenzen, auf denen sich die ziele, die wir laufend überprüfen müssen. Zwei Signale internationale Gemeinschaft gemeinsam mit Afghanis- gehen von der Konferenz in Paris aus: Erstens. Die inter- tan kontinuierlich ihrer Beiträge zum Wiederaufbau ver- nationale Gemeinschaft steht zu ihrem Engagement in sichert, aber auch ihre Ziele mit dem Erreichten ab- Afghanistan. Afghanistan selbst und seine Führungseli- gleicht. Unser Ziel ist klar und seit seiner ersten ten sind zunehmend bereit, mehr Eigenverantwortung zu Formulierung 2001 gleichbleibend aktuell: ein Afgha- übernehmen. Zweitens. Wir können aus Afghanistan nistan, das für seine Sicherheit selbst sorgen kann und dann wieder heraus, wenn wir mit unserer Mission er- (B) damit keine Bedrohung mehr für unsere Sicherheit dar- folgreich waren. Ob es uns möglich sein wird, die politi- (D) stellt. sche Verantwortung an die afghanische Regierung schon Mit dieser Zielsetzung haben wir uns in einem von 2013 zu übergeben, wird sich zeigen. Auf jeden Fall ist 25 Jahren Krieg und Bürgerkrieg zerstörten Land und es unser Ziel. Das heißt dann aber auch, dass wir in den angesichts der Sabotage durch Taliban und Aufständi- nächsten fünf Jahren dringend weitere Fortschritte erzie- sche keine leichte Aufgabe gestellt, vor allem eine lang- len müssen. wierige Aufgabe, die Geduld und Ausdauer erfordert. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben in den letzten sieben Jahren schon beacht- Wir werden in Afghanistan keine Westminster-Demo- liche Fortschritte erzielt: die Talibanherrschaft beendet, kratie errichten können, aber wir können eine funktio- demokratische Institutionen geschaffen, die Lebenssitua- nierende Verwaltung und selbsttragende Sicherheits- tion der Menschen verbessert, Grundversorgung und Zu- strukturen aufbauen. Das bedeutet die Einsatzfähigkeit gang zu Bildung – auch für Mädchen – sichergestellt. der afghanischen Armee und der afghanischen Polizei. Aber wir haben unser Ziel bei weitem noch nicht er- Daher begrüße ich die im Mai von der EU beschlossene reicht. Deswegen wächst bei einigen die Ungeduld. Aber überfällige Verdopplung der Einsatzstärke von EUPOL, wir müssen realistisch sein. Vor sieben Jahren war aber auch das zusätzliche verstärkte deutsche Engage- Afghanistan ein Failed State und die wichtigste Opera- ment beim Aufbau der Polizei. tions- und Trainingsbasis des internationalen Terroris- mus. Ich sehe Handlungsbedarf bei der regionalen Koope- ration. Afghanistan grenzt an Pakistan, Iran, Turkmenis- Ich möchte noch einmal die Zeitachse aufzeigen. Mit tan, Usbekistan und Tadschikistan. Alle Entwicklungs- der ersten Konferenz auf dem Petersberg im Dezember konzepte zielen darauf ab, Afghanistan dabei zu 2001 haben wir uns verpflichtet, uns am Friedensprozess unterstützen, mit seinen Nachbarn tragfähige Beziehun- zu beteiligen und beim Wiederaufbau des Landes zu hel- gen aufzubauen. Deswegen müssen die diplomatischen, fen. Damit sind wir aus eigenem Sicherheitsinteresse sicherheitspolitischen, aber auch die handelspolitischen eine substanzielle Bindung eingegangen, die wir auf Fol- Beziehungen, die Afghanistan eingeht, weiter gestärkt gekonferenzen immer wieder erneuert haben. Der Minis- werden. ter hat daran erinnert. Ganz besonders wichtig ist eine gute Kooperation mit In Weiterentwicklung des Afghanistan-Compact von Pakistan; dies ist wichtig nicht nur für die Sicherheit in London hat die Regierung Karzai nun in Paris zwei der schwierigen Grenzregion. Denn Afghanistan impor- neue, auch für uns verbindliche Strategiepapiere vorge- tiert zwei Drittel seiner Nahrungsmittel aus Pakistan. Der 18144 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Dr. Andreas Schockenhoff (A) Wiederaufbau der afghanischen Landwirtschaft und die Oskar Lafontaine (DIE LINKE): (C) ländliche Entwicklung sind von zentraler Bedeutung für Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und die Ernährungssicherheit der Bevölkerung. Schätzungs- Herren! Wenn man den Tenor der bisherigen Reden zu- weise 7 Millionen Afghanen sind von Hunger bedroht. sammenfasst, dann ist das Ziel unserer Politik, den Men- Eine gute regionale Kooperation ist ebenfalls wichtig schen in Afghanistan zu helfen für den Kampf gegen den Rauschgifthandel, der nur in (Dirk Niebel [FDP]: Das ist wahr!) Zusammenarbeit mit den Transitländern funktioniert. Die Beseitigung der Drogenwirtschaft ist ein Quer- und gleichzeitig die Sicherheitslage in Deutschland und schnittthema durch alle drei Säulen des Compact und da- überhaupt auf der Welt zu verbessern. mit auch der Schlüssel zum Erfolg. Wir sehen zwar Erfolge in neuen opiumfreien Provinzen; aber die An- (Dirk Niebel [FDP]: Er hat es verstanden!) baufläche und der Ernteertrag wachsen weiter. Im letzten Ich habe zunächst keine Veranlassung, in Zweifel zu zie- Jahr wurden 8 200 Tonnen Opium geerntet, Rohstoff für hen, dass das die Absicht der Politik ist. Welche Gründe 93 Prozent des weltweit konsumierten Heroins. Davon gäbe es dafür, dies in Zweifel zu ziehen? profitieren die Taliban mit 100 Millionen Dollar für ihre Kriegskasse. Diese unglaublichen Zahlen steigen stetig. Wenn man das, was der Herr Bundesaußenminister Dies muss ebenso wie die wachsende Korruption konse- hier vorgetragen hat – auf diese Rede möchte ich im Be- quenter bekämpft werden. sonderen eingehen –, zusammenfasst, dann müsste man zu dem Ergebnis kommen, dass wir auf gutem Wege (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie sind und dass sich die Lebenssituation in Afghanistan bei Abgeordneten der FDP) deutlich verbessert. Wenn vor allem die schlechte Sicherheitslage Ursache (Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist doch gut! – für die florierende Opiumwirtschaft ist – über die Hälfte Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Waren des Schlafmohns wird allein in der Provinz Helmand an- Sie schon einmal da, Herr Kollege?) gebaut –, dann muss dort die Durchsetzungsfähigkeit der Zentralregierung und der jeweiligen Provinzregierungen Das wäre, unpolemisch formuliert, die Zusammenfas- besonders gestärkt werden. sung seiner Rede. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ressortübergreifend Nun hat der Bundesaußenminister die Süddeutsche müssen wir auch hier in Berlin analysieren, wie viel Zeitung zitiert; ich zitiere sie auch. Sie hat heute ganz Geld wir für Afghanistan haben, welche Prioritäten wir anders kommentiert und darauf hingewiesen, dass die setzen und wie wir bis 2013 und darüber hinaus vorge- Bundesregierung, wenn es um Afghanistan geht, mit der (B) hen. Wahrheit nicht herausrückt, dass sie vielmehr versucht, (D) Gestatten Sie mir abschließend eine etwas kritische die Dinge besser darzustellen, als sie in Wirklichkeit Anmerkung: Ich habe manchmal den Eindruck, als sind, und dass sie, insbesondere was die militärischen machten sich BMZ und AA gegenseitig Konkurrenz in Einsätze angeht, nicht bereit ist, der Bevölkerung die der Entwicklungszusammenarbeit Wahrheit zu sagen. Daher muss heute auch darüber ge- sprochen werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Carl- Ludwig Thiele [FDP]: Sehr interessant! – Fritz (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heidi, Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Gert was ist das wieder?) Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Jetzt kommt die Wahrheit!) oder als schöben AA und BMI bei EUPOL die Verant- wortung hin und her. Der sogenannte Comprehensive Ich möchte zunächst, um zu belegen, was die Süd- Approach muss eben auch hier in Berlin verwirklicht deutsche Zeitung analysiert hat, den Vortrag des Bundes- werden. Wenn wir dann das, was wir dort neben dem mi- außenministers noch einmal kurz Revue passieren las- litärischen Engagement leisten, nämlich die zivilen Bei- sen, um deutlich zu machen, wie sehr man sich selbst träge, in der Kommunikation besser herausstellen, dann täuschen und die Dinge falsch darstellen kann. Zunächst werden wir auch in der deutschen Öffentlichkeit eine hö- war im Zentrum seines Vortrages das Wort „Wiederauf- here Akzeptanz für unseren Einsatz in Afghanistan errei- bau“. Wenn man das Wort „Wiederaufbau“ hört, dann chen. hat man natürlich eine bestimmte Vorstellung. Aber der- Ich bedanke mich. jenige, der die Situation in Afghanistan kritisch sieht, denkt natürlich an Krieg, an militärische Einsätze und an (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – die Verwüstungen, die dort angerichtet werden. Es ist Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Kein Beifall bei merkwürdig, dass diese Worte in einem solchen Vortrag der SPD! Was ist mit euren Partnern los?) überhaupt nicht gefallen sind, sondern völlig ausgeblen- det wurden. Der Wiederaufbau auf der einen Seite wurde Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: erwähnt, aber die ständig zunehmende Zerstörung auf Ich gebe das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine, der anderen Seite mit keinem einzigen Wort. So kann Fraktion Die Linke. man sich eben selbst täuschen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Winkelmeier [fraktionslos]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18145

Oskar Lafontaine (A) Das setzt sich in seinem Vortrag fort. Wer wäre nicht Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie schü- (C) stolz darüber, dass 8 Millionen Minen geräumt worden ren Ängste und machen keine Hoffnung! Das sind? Wer würde das nicht massiv begrüßen? Aber wäh- ist das Problem! – Dr. Peter Struck [SPD]: rend Sie dies hier vorgetragen haben, haben wir uns na- Dummes Zeug! Waren Sie jemals in Afghanis- türlich die Frage gestellt: Wie viele Bomben sind inzwi- tan? Sie reden und haben keine Ahnung! Dum- schen wieder gefallen? Welche Qualität hat die mes Zeug!) Munition? Sind es Streubomben? Ist es Munition mit Uranerzen verseucht usw.? Kein Wort darüber! Es exis- Ich wiederhole: Sie haben gesagt, die Hoffnung solle tieren schreckliche Berichte über das, was immer noch die Oberhand behalten und die Angst werde vielleicht in Afghanistan läuft. Wie kann man in einem solchen zurückkehren. Wie viel Angst ist derzeit in Afghanistan? Vortrag lediglich darüber reden, dass 8 Millionen Minen Davon zu sprechen, dass in einem Land, in dem der geräumt wurden? Auch hieran ist ganz eindeutig zu er- Krieg tobt, in dem Tausende Menschen ums Leben kom- kennen, wie sehr man sich bemüht, die Situation nicht men, die Angst vielleicht zurückkehren könne, zeigt zur Kenntnis zu nehmen. Bei der Beschreibung der Lage doch, dass Sie sich weigern, die Wirklichkeit in diesem betreibt man eine der Sache überhaupt nicht angemes- Land zur Kenntnis zu nehmen. Das ist wirklich nicht sene Schönfärberei; so muss ich es leider nennen. nachvollziehbar. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Winkelmeier [fraktionslos]) Der Bundesaußenminister hat von Schwierigkeiten Es ist nicht nachvollziehbar, was hier vorgetragen gesprochen. Jeder stellt sich die Frage, was er mit wurde. Ich zitiere Sie nur und konfrontiere Sie mit Fak- „Schwierigkeiten“ meint. Unsereinem fällt natürlich ten. gleich ein, dass sich die Bundesregierung weigert, die genaue Zahl der Opfer anzugeben. Dann fällt einem ein, Um das Ganze abzurunden, möchte ich darauf hin- dass internationale Organisationen von Tausenden von weisen, dass an einem Tag, an dem überall in der Presse zivilen Toten im letzten Jahr ausgehen. Ist es angemes- zu lesen ist, dass das Militärische aufgestockt wird, Sie sen, angesichts dessen von „Schwierigkeiten“ zu spre- hier formuliert haben: Die militärische Präsenz muss chen? Ist das nicht völlig unangemessen? noch eine Zeit lang bleiben, sich aber „überflüssig“ ma- chen. Auch hier haben Sie das Gegenteil von dem ge- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert sagt, was zurzeit diskutiert wird. Obwohl es um eine Winkelmeier [fraktionslos]) Aufstockung geht, sprechen Sie davon, dass sich das Mi- litärische „überflüssig“ machen soll. Winston Churchill (B) Ich hatte schon ein Problem damit, als jemand während (D) des Jugoslawien-Kriegs immer wieder von Kollate- hat ein solches Vorgehen einmal mit dem ihm eigenen ralschäden gesprochen hat. In solchen Auseinanderset- Zynismus beschrieben. Er hat gesagt: zungen ist die Sprache verräterisch. In der Sprache wird Im Krieg ist die Wahrheit so kostbar, dass sie nie deutlich, dass man sich weigert, die Wirklichkeit zur anders als mit einer Leibwache von Lügen auftreten Kenntnis zu nehmen. sollte. Jetzt will ich eine Formulierung aufgreifen, die das deutlich unterstreicht. Herr Bundesaußenminister, Sie An dieses Zitat Churchills wurde ich bei den Vorträ- haben gesagt, bei unseren Bemühungen würde sich ent- gen erinnert, die ich hier gehört habe. Wenn man in Af- scheiden, „ob die Hoffnung die Oberhand behält oder ob ghanistan weiterkommen will, darf man die Wirklichkeit die Angst zurückkehrt“. Sie sehen, ich habe mitgeschrie- in Afghanistan nicht völlig ausblenden. ben. Ich habe mich gefragt: Meint er das wirklich so? (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Meint er wirklich, man könne in Afghanistan derzeit Winkelmeier [fraktionslos] – Dr. Peter Struck darüber sprechen, „ob die Hoffnung die Oberhand behält [SPD]: Das machen Sie aber! Fahren Sie denn oder ob die Angst zurückkehrt“? Ich glaube, diese Worte einmal hin? – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE richten sich selbst. GRÜNEN]: Was schlagen Sie denn vor?) (Dr. Peter Struck [SPD]: Quatsch! Das ist Wir stellen gar nicht in Abrede, dass man die Lebens- dummes Zeug! Nur dummes Zeug!) situation der Menschen in Afghanistan verbessern – Herr Kollege Struck, Ihre Formulierung, das sei dum- möchte, dass dies das Ziel ist. Ob man dies erreichen mes Zeug, ist so unqualifiziert, dass Sie sich schämen kann, indem man Kampftruppen dort hinschickt und den sollten. Umfang der militärischen Einsätze weiter steigert, ist aber fraglich. Das ist doch die Wahrheit. Unsere Fraktion (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert ist der Auffassung, dass man mit der Ausweitung militä- Winkelmeier [fraktionslos]) rischer Einsätze beide Kernziele total verfehlt: weder Sie sollten sich wirklich schämen. Manchmal ist es wirk- verbessert man die Lebenssituation der Menschen in Af- lich schwierig, Ihrem Niveau zu folgen, Herr Kollege ghanistan noch erhöht man die Sicherheit in Deutschland Struck. oder sonst irgendwo. (Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert [CDU/CSU]: Gute Beschreibung Ihrer Rede! – Winkelmeier [fraktionslos]) 18146 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Oskar Lafontaine (A) Wann endlich begreifen Sie, dass die sogenannten huma- überhaupt nicht erfolgreich sein kann; denn Sie gehen (C) nitären Interventionen nicht nur als Begriff eine Unmög- von einer falschen Analyse aus. Es ist menschlich ver- lichkeit darstellen, sondern mittlerweile auch im Ergeb- ständlich, wenn man das, was unangenehm ist, ver- nis? drängt. Es ist menschlich verständlich, wenn man das Scheitern der Politik völlig ausblendet. Das Scheitern Leute, die viel öfter als Sie, Herr Struck, in Afghanis- der Politik für uns besteht in Folgendem: Die Zahl der tan waren, sagen, dass die Irakisierung Afghanistans in zivilen Opfer nimmt immer weiter zu; das ist unabhän- vollem Gang ist, sich die Sicherheitslage immer weiter gig davon, ob Sie die Opferzahlen angeben oder nicht. verschlechtert und die Zahl der Opfer steigt. Angesichts Da das der Fall ist, kann man nicht von Wiederaufbau in dessen ist das, was Sie hier bieten, schlicht und einfach Afghanistan sprechen. eine Täuschung der Öffentlichkeit. Auf diesem Weg kommen wir in keinem Fall weiter, wenn wir Afghanis- (Beifall bei der LINKEN) tan helfen und die Lage in Deutschland verbessern wol- len. Der beste Wiederaufbau und die beste Verbesserung der Lebenssituation dort bestünde darin, dass man das Ster- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert ben der Menschen verhindert. Winkelmeier [fraktionslos]) (Zuruf von der SPD: Wie?) In der Presse wird die Argumentation der Bundes- regierung, dass die Aufstockung der Beteiligung an – „Wie“ hat hier jemand dazwischengerufen. Das will ISAF mit einer gleichzeitigen Reduktion der Truppen ich Ihnen sagen: einhergeht, die für „Operation Enduring Freedom“ zur (Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Verfügung gestellt werden, als Trickserei bezeichnet. Ich [CDU/CSU]: Mit Zynismus!) beziehe mich hier auf einen Artikel in der Frankfurter Rundschau. Dort wird erläutert, warum das Trickserei Mit Kampfeinsätzen und mit Bomben werden Sie das ist. Die Regierung verweist darauf, dass man beim Sterben der Menschen niemals verhindern. Lösen Sie Kampfeinsatz reduziert – das klingt ja sehr gut –, aber sich von diesem Irrtum, und sagen Sie insbesondere den die zivile Hilfe aufstockt. Wäre das so, würde das jeder Menschen in Deutschland die Wahrheit, damit sie zu ei- sofort unterschreiben. In dem Artikel wird dargestellt, nem richtigen Urteil kommen können. warum das in Wirklichkeit Trickserei ist. Denn in dieser (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie haben Zahl sind nie Streitkräfte zur Verfügung gestellt worden. nicht gesagt, was Sie vorschlagen!) Hier wird, wenn man so will, schlicht und einfach ein Popanz aufgebaut. In Wirklichkeit geht es um ein syste- Ich sehe hier einige Kollegen – auch aus den Regie- (B) matisches Aufstocken der Kontingente. Nichts anderes rungsfraktionen –, die sich dieser Schönfärberei verwei- (D) ist der Fall. Die vielen zivilen Organisationen haben völ- gern. Ich möchte Ihnen den Respekt unserer Fraktion lig recht, wenn sie sagen: Zivile Hilfe und militärische aussprechen. Mittel stehen in überhaupt keinem Verhältnis. Wir brau- (Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: Das chen eine Verstärkung der zivilen Hilfe, und wir müssen ist aber nett!) die militärischen Einsätze deutlich zurückfahren. Ich möchte Ihnen sagen, was wir vorschlagen. Wir sind (Beifall bei der LINKEN) für zivile Entwicklungszusammenarbeit. Positiv möchte ich würdigen, dass mein Vorredner zu- mindest an drei Stellen die Situation nicht schöngefärbt (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Mit den hat. Der Kollege der CDU/CSU-Fraktion sprach immer- Taliban oder was?) hin von der Zunahme der Korruption und davon, dass Wir halten militärische Interventionen für den verkehr- der Opiumanbau nicht zurückgegangen ist, sondern sich ten Weg, um das Leben der Menschen zu verbessern und weiter verstärkt. Beides kann nicht unser Ziel sein. Er dem Frieden in der Welt zu dienen. sprach auch davon, dass sich die Lage eher verschlech- tert habe. Das war zumindest ein realistischer Ansatz, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert um die Situation in Afghanistan zu schildern. Wenn es Winkelmeier [fraktionslos] – Christian Lange wirklich um neue Straßen, Schulen, Brunnen und Ge- [Backnang] [SPD]: Das wollen Sie mit den Ta- sundheitsversorgung ginge, wer würde hier darüber dis- liban durchführen?) kutieren, ob das notwendig und unterstützenswert sei? Darüber diskutieren wir hier nicht. Sie haben in Ihrem Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Beitrag angesprochen, dass dieses Land seit 25 Jahren Nächster Redner ist der Kollege Professor Gert Krieg hat. Es geht nicht nur um die Taliban. Es geht auch Weisskirchen, SPD-Fraktion. um die Verbrecher, die jetzt in der Regierung sitzen, die sich ebenfalls schlimmer Verbrechen schuldig gemacht (Beifall bei der SPD) haben und mit westlicher Unterstützung aufgerüstet wur- den, sodass sie ihre Verbrechen begehen konnten. Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Frau Präsidentin! Herr Lafontaine, als Sie gesprochen (Beifall bei der LINKEN) haben, habe ich mich gefragt, von welchem Lande Sie Das kann man doch nicht alles völlig ausblenden. Die eigentlich reden. Ich kann Ihnen nur sagen: Fahren Sie jetzige Debatte zeigt ganz deutlich, dass Ihre Politik doch einmal in dieses Land. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18147

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben und den wir auch erfüllen. Daran werden wir fest- (C) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE halten. GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Schauen Sie sich dort doch bitte einmal um. Ich weiß, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Herr Lafontaine, dass es Ihnen peinlich wäre, wenn Sie GRÜNEN) hinfahren würden, weil Sie erleben könnten, dass Schü- Noch eine andere Sache: 85 Staaten dieser Erde – die lerinnen und Schüler jetzt überhaupt erstmals wieder die Pariser Konferenz hat das gezeigt – haben sich in Paris Chance haben, in Primarschulen zu gehen. 75 Prozent darauf verständigt, dass der Afghanistan-Compact wei- aller Jungen und 60 Prozent aller Mädchen, die die Pri- terentwickelt werden soll und dass in den nächsten Jah- marschulreife haben, können nun in die Schule gehen. ren 20 Milliarden Dollar bis 2013 zur Verfügung gestellt Diese Tatsachen bringen das von Ihnen vorgetäuschte werden. Der Außenminister hat ausschließlich für die zi- Bild völlig durcheinander. vile Entwicklung dieses Landes 420 Millionen Euro al- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der lein aus der Bundesrepublik Deutschland zugesichert. CDU/CSU) Davon muss man reden. Es ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass der zivile Aufbau gelingt. Er kann nur ge- Ich möchte Sie darum bitten, nach Afghanistan zu fah- lingen, wenn wir diese 85 Staaten in ihrer Würde respek- ren. Sie müssen dann das überprüfen, was Sie hier erzäh- tieren. Sie stellen sich gegen 85 Staaten dieser Erde, len. Das würde ein ganz anderes Bild von einem ganz Herr Lafontaine. anderen Land ergeben, als Ihre Rhetorik glauben macht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) der CDU/CSU) Das ist die Wirklichkeit in diesem Land. Herr Auf der Pariser Konferenz – schauen Sie sich einmal Lafontaine, gehen Sie heute Abend in die sächsische die Dokumente an – wurde eine schnörkellose, nüch- terne und selbstkritische Bilanz gezogen. Die Regierung Landesvertretung. Um 19 Uhr werden dort afghanische Karzai hat zum Beispiel mit den beiden vom Kollegen Künstlerinnen, die seit einem Jahr in einem Zentrum für Schockenhoff schon genannten Strategiepapieren deut- zeitgenössische Kunst studieren und arbeiten dürfen, lich gemacht, dass sie selber einen Strategiewechsel ihre Bilder zeigen. Das durften sie vorher nicht. vollzieht und dass sie zusammen mit der Weltbank eine (Monika Knoche [DIE LINKE]: Sie sprechen nationale Entwicklungsstrategie erarbeitet. Mit diesem sich gegen den Krieg aus!) eigenständigen Beitrag hat sie den Afghanistan-Compact von 2008 selbst ausgestaltet. (B) Jetzt können sie es. Angesichts dieser Bilder, Herr (D) Lafontaine, werden Sie sehen, dass seit dem Ende der Die afghanische Regierung geht auch selbstkritisch Talibandiktatur Frauen zum ersten Mal eine Chance ha- mit ihren eigenen Fähigkeiten um. Sie hat klar gesagt: ben, ihre eigenen Fähigkeiten und ihre eigene Kreativität Wir haben Fehler gemacht. Das sagen auch wir. Wir wis- zu zeigen und darzustellen. sen doch, dass Afghanistan nicht vorankommen kann, wenn nur militärische Mittel eingesetzt werden. (Monika Knoche [DIE LINKE]: Was zeigen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) diese Bilder, Herr Weisskirchen? Sie zeigen den Schrecken des Krieges, Herr Militärische Komponenten sind nur dann tragfähig, Weisskirchen!) wenn sie dazu beitragen, dass sich dieses Land zivil und friedlich entwickeln kann. Nur dafür brauchen wir Ar- Das ist ein Zeichen von künstlerischer und bürgerschaft- meen, für nichts, aber auch gar nichts anderes. licher Freiheit. Diese wäre gefährdet, wenn Ihre Reden dazu führen würden, dass die Taliban zurückkehren. Das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wollen wir nicht. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie In den nächsten fünf Jahren wird das Unabhängige bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Direktorat für lokale Regierungsführung Mittel zur Ver- GRÜNEN – Monika Knoche [DIE LINKE]: fügung stellen, damit eines der Hauptprobleme der af- Das sind politische Bilder gegen den Krieg!) ghanischen Regierung – dass sie die Macht konzentriert und zentralisiert; das ist ein erheblicher Mangel – gelöst Gerade dann, wenn es ernst wird, muss gelten: Wir werden kann. Das Land soll in Zukunft von unten erneu- werden unsere Verpflichtungen einhalten. Lieber Kol- ert werden. Das ist ein Strategiewechsel, der zur Folge lege Lafontaine, Verpflichtungen einhalten heißt in die- haben wird, dass sich das Land von unten verändert. Die sem Fall ganz einfach und ganz schlicht: Freiheit und Kommunen, Distrikte und Provinzen werden im nächs- Selbstbestimmung können in diesem Land nur dann er- ten Jahr ihre eigenen Körperschaften wählen. reicht und stabilisiert werden, wenn es ein gewisses Maß Lieber Kollege Lafontaine, in diesem Zusammenhang an Sicherheit gibt. Diese kann von dem eigenen Land möchte ich sagen: Vor uns liegt eine wichtige Aufgabe. gegenwärtig nicht gewährleistet werden, sondern muss, Im Jahre 2009 müssen wir unseren Beitrag leisten, dass mandatiert vom Weltsicherheitsrat der UNO, von der in- in Afghanistan friedliche, faire und freie Wahlen abge- ternationalen Staatengemeinschaft garantiert werden. halten werden können. Ansonsten kann es keine stabile Entwicklung Afghanis- tans geben. Das ist der völkerrechtliche Auftrag, den wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 18148 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (A) Das ist eine der zentralen Aufgaben der internationalen ist von den Russen bezahlt worden. In Ihrer Partei gibt es (C) Staatengemeinschaft. einige Leute, die das genau wissen. Liebe Kollegin Beck, da wir in den nächsten Tagen (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- zur Parlamentarischen Versammlung der OSZE nach SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Astana fahren: Ich fände es gut, wenn die OSZE ihre Dienste zur Verfügung stellen könnte, damit die interna- Als der Kalte Krieg, der in Afghanistan heiß ausge- tionale Staatengemeinschaft ihren Beitrag dazu leisten fochten wurde, zu Ende war und man das Land sich kann, dass diese Wahlen frei und fair vonstatten gehen. selbst überlassen hat, hat dort 15 Jahre lang der brutalste Das wäre ein wichtiger Schritt, um zu helfen, dass dieses Krieg stattgefunden, ein Krieg mit Exzessen, mit Mas- Land – das in einer gefährlichen Situation ist, das sich in senmord etc., der so schlimm war, dass die Menschen einer Region befindet, in der es ständig von außen be- die Herrschaft der Taliban in den ersten Jahren sogar ein droht ist – eine Chance bekommt, sich weiterzuentwi- Stück weit als Befriedung empfunden haben. Es ist ein ckeln. Das ist unsere Aufgabe. Grundirrtum, zu denken, dass in Afghanistan Krieg herr- sche, weil auf der Basis eines Mandats der Vereinten Na- Vor diesem Hintergrund war die Pariser Konferenz tionen der Versuch gemacht wird, dieses Land, das durch von einem großen Erfolg gekrönt. Der Außenminister Verantwortungslosigkeit, durch Intervention anderer hat dazu beigetragen, dass die Pariser Konferenz, auf der Mächte und durch eigene Unzulänglichkeit in einen sehr selbstkritisch Position bezogen wurde, überhaupt Krieg geraten ist, wiederaufzubauen. In Afghanistan ha- hat stattfinden können. Vielen Dank, Herr Außenminis- ben wir keine Irakisierung, wir haben das Gegenteil von ter! Irakisierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der SPD) Es geht um den Versuch, die Herrschaft des Rechts wie- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: derherzustellen. Dies gleichzusetzen mit einer völker- Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bünd- rechtlich nicht gedeckten Intervention wie im Irak, ist nis 90/Die Grünen. ein Grundfehler. Damit redet man im Übrigen den Irak- Krieg schön. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In ei- sowie bei Abgeordneten der SPD) nem Punkt haben Sie recht, Herr Lafontaine: Der Bun- (B) desaußenminister hat eine sehr schönfärberische Rede Warum war das, was der Bundesaußenminister gesagt (D) gehalten. hat, schönfärberisch? Ich hätte mir gewünscht, lieber Frank-Walter Steinmeier, dass Sie sich die Selbstkritik, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die auf der Afghanistan-Konferenz geübt worden ist, zu Das macht Ihre Rede aber nicht wahrheitsgetreuer. Denn eigen gemacht hätten. Auf der Konferenz konnten Sie Sie haben die Schönfärberei nur gespiegelt, also Schwarz- das zugegebenermaßen nicht leisten, weil Sie nur drei malerei betrieben. Minuten Redezeit hatten – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Aber seine Rede war eine gute Rede!) Der Irrtum, dem Sie unterliegen, ist ein Irrtum, über den Sie vielleicht noch einmal nachdenken sollten. Er im Gegensatz zu Laura Bush, die für eine bekannte NGO besteht meines Erachtens in Ihrer Vorstellung, dass dort zehn Minuten über die Fortschritte im Bildungswesen Krieg herrscht – es gab dort übrigens schon 6 500 Tote, Afghanistans reden durfte. Lesen Sie einmal nach, was nicht 1 000 Tote, wie Sie sagten; die Überprüfung der Fortschritte gemäß dem Compact ergeben hat: Die Opiumproduktion habe ein alarmieren- (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Richtig des Ausmaß angenommen. Die Korruption nehme nicht zuhören!) ab, sie wachse. Die legale Wirtschaft stehe auf einer un- ich betone: jeder dieser 6 500 Toten ist ein Toter zu viel – sicheren Grundlage. Von all dem haben wir heute wenig liege daran, dass die internationale Gemeinschaft dort gehört. präsent sei. Das ist der Grundirrtum, dem Sie aufgeses- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Doch, das hat sen sind. der Außenminister gesagt!) Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Muss ich mir Zum anderen war es schönfärberisch, als Sie Leistun- so einen Quatsch wirklich anhören?) gen in Aussicht gestellt haben, die bereits zugesagt wor- Darüber muss man gar nicht spekulieren. den sind. So ist es nicht wahr, dass Deutschland zusätz- lich 140 Millionen Euro zur Verfügung stellt – diese Was ist eigentlich geschehen, als der Kalte Krieg, der Mittel stehen bereits im Haushalt. Auch ist es bis heute in Afghanistan heiß ausgefochten wurde, zu Ende war? nicht so, dass die Ankündigung, die Polizei aufzubauen Auch in diesem Punkt muss ich Sie leider belehren: Die – wofür wir übrigens seit 2004 zuständig sind; das sage Finanzierung der Nordallianz erfolgte nicht durch die ich im Hinblick auf uns beide –, umgesetzt worden wäre. USA. Die USA haben die Taliban bezahlt, die Nordallianz Tatsächlich ist es so, dass die Feldjäger der Bundeswehr Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18149

Jürgen Trittin (A) in Afghanistan mehr Polizeiausbildung betreiben, als her waren 260 Marinesoldaten am Horn von Afrika (C) Polizisten es tun. Das ist die Realität. eingesetzt. Die Gesamtzahl wollen Sie jetzt von 1 400 auf 800 reduzieren. Welch ein Fortschritt! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Haben Sie auch nur einen Tag lang mit den Amerika- Ich finde, es hätte dieser Debatte gut getan, wenn die Re- nern darüber gesprochen, ob es nicht sinnvoll ist, die gierung die real existierenden Defizite beim zivilen Auf- Ausbildung der afghanischen Armee endlich der NATO bau benannt hätte. und damit der ISAF zu überantworten? Haben Sie den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Amerikanern an dieser Stelle konkrete Vorschläge und sowie bei Abgeordneten der FDP) Angebote gemacht? Mir ist davon nichts bekannt. Das ist der Kernpunkt, weshalb ich sage: Im Zivilen wie im Ich bin beileibe nicht der Auffassung, dass man Euro Militärischen verfehlen Sie genau das, was notwendig für Euro gegenüberstellen müsse, dass man argumentie- wäre, um Afghanistan zu stabilisieren. ren könne, es sei ein Missverhältnis, dass der Tornado- Einsatz 100 Millionen Euro kostet, während für zivile (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hilfe lediglich 140 Millionen Euro bereitgestellt würden. Solche Vergleiche sind falsch. Aber es muss Sie doch um- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: treiben, dass es offensichtlich keinerlei Probleme bereitet, Herr Kollege Trittin. das Bundeswehrmandat um 1 000 auf 4 500 Soldatinnen und Soldaten aufzustocken, während in Afghanistan ge- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rade einmal 255 zivile Aufbauhelfer aus Deutschland tä- Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. tig sind. Das sind sehr wenige; so viele bräuchte man al- lein an Polizisten. Mit diesem Missverhältnis haben Ich zitiere ungern Soldaten, in diesem Fall zitiere ich viele Leute ein Problem. aber Ulrich Kirsch vom Bundeswehr-Verband. Er hat Ih- nen ins Stammbuch geschrieben: Es ist richtig: Afghanistan wird militärisch nicht zu gewinnen sein. Aber wenn Afghanistan militärisch nicht Man müsste gleichzeitig mit dem Mandat für die zu gewinnen ist, muss es uns doch umtreiben, dass im- Bundeswehr ein Zivilmandat formulieren, in dem mer dann, wenn ein militärisches Erfordernis da ist die zivilen Aufgaben so klar aufgeschrieben werden – und das muss man im Hinblick auf die 1 000 zusätzli- wie die unsrigen im militärischen Mandat. chen Soldatinnen und Soldaten nicht einmal bestreiten –, Der Mann hat Recht, und wir können das nur nach- wir sofort „liefern“ können, während es Jahre dauert, bis drücklich unterstreichen. die Defizite im Zivilen, beim Aufbau der Polizei, endlich (B) abgebaut werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Seit zwei Jahren rede ich davon, dass bei der Ausbildung Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck, der Polizei Defizite bestehen. Seit zwei Jahren verspre- CDU/CSU-Fraktion. chen Sie uns, Abhilfe zu schaffen. Doch es passiert nichts. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der LINKEN: „Schwarzmalerei“!) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Mit unseriöser Kritik an der Afghanistan-Politik trägt Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist man zur Lösung des Problems nicht bei. Sie wollen, dass wichtig, dass im Mittelpunkt der heutigen Diskussion die Opposition die deutschen Auslandseinsätze nach der zivile Aufbau steht. Möglichkeit mitträgt. Nun können Sie die Vorschläge Die Paris-Konferenz zur Zukunft Afghanistans war in der Opposition, selbst wenn wir das Gleiche wollen, was der Tat ein Schritt in die richtige Richtung, und zwar vor Sie zumindest versprechen, ablehnen. Natürlich können allem aus zwei Gründen: erstens weil die afghanische Sie uns trotzdem um Zustimmung bitten. Sie können Regierung nach einem wirklich beachtenswerten internen auch sagen: Uns interessiert nicht wirklich, was diese Entscheidungsprozess ihre eigenen Vorstellungen zu einer kleinen Oppositionsfraktionen dazu sagen. Sie haben nationalen Entwicklungsstrategie vorgelegt und damit aber ein Problem: Wenn in einer Demokratie keine Ak- eindrucksvoll ihren Willen zur Eigenverantwortlichkeit zeptanz für einen solchen sinnvollen – das betone ich – unterstrichen hat, und zweitens weil die Konferenz tat- Einsatz an dieser Stelle mehr besteht – auch von Militär –, sächlich der Versuch war, eine ehrliche Bestandsauf- dann wird dieser Einsatz zu Ende sein. Das ist das Pro- nahme der Erfolge, der Probleme und der Herausforde- blem, vor dem Sie stehen. rungen bei der bisherigen Aufbauarbeit in Afghanistan Deswegen müssen Sie die realen Defizite im Zivilen zu machen. nicht nur thematisieren und hinterfragen, sondern end- Herr Trittin, so wichtig es ist, die Defizite anzuspre- lich abbauen. Darum geht es uns im Kern, wenn wir von chen – ich glaube nicht, dass wir Entwicklungspolitiker einem Strategiewechsel sprechen. Sie kündigen ihn seit uns um diese Diskussion drücken –, so wichtig ist auch zwei Jahren an, aber er findet nicht statt. das, was schon gesagt wurde, dass es nämlich ganz ent- Ich kann das auch anhand des militärischen Bereichs scheidend darauf ankommt, der deutschen Öffentlichkeit beschreiben: Sie reduzieren jetzt die Stärke der OEF. Bis- auch die Leistungen und Erfolge der vielen zivilen 18150 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Dr. Christian Ruck (A) Aufbauhelfer, unserer Soldaten und vieler anderer – auch Es gab zwar die eine oder andere Schwierigkeit beim (C) die der deutschen Steuerzahler – zu dokumentieren. Hier Polizeiaufbau, auch bei EUPOL – damit haben wir uns kann und muss man bei allem, was deutlich wird – auch bereits befasst –, aber ich verstehe nicht, Herr Trittin, wenn man hinfährt –, sagen: Unser Einsatz ist sinnvoll dass Sie einfach leugnen, wie viele Tausende von Solda- und zeigt Wirkung. ten wir inzwischen in Afghanistan ausgebildet haben und dass eine Verdoppelung der Zahl der deutschen Poli- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zeikräfte als Ausbilder in Afghanistan vorgesehen ist. neten der SPD) Das sollte man der Ehrlichkeit halber an dieser Stelle Zu den eindrucksvollen Beispielen, die schon genannt hinzufügen. Sonst tut man nämlich den Polizisten, die in wurden – zum Beispiel im Bildungsbereich, im Gesund- Afghanistan Dienst tun, Unrecht. heitsbereich und bei der Minenräumung –, möchte ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- noch einige Dinge anführen, die vielleicht weniger be- neten der SPD) kannt, aber genauso wichtig sind. In Afghanistan steht viel auf dem Spiel, nicht nur für Wir haben zum Beispiel konkrete Erfolge beim Auf- die Afghanen selbst, unsere Soldaten und die zivilen bau der staatlichen Institutionen in Afghanistan. Von den Aufbauhelfer, sondern wegen der Lage in einer sehr ex- afghanischen Ministerien werden Mittel in Höhe von plosiven Region Afghanistans auch für unsere eigene Si- 77 Millionen Euro jährlich direkt dafür genutzt, konkrete cherheitspolitik und unsere eigenen Sicherheitsinteres- Projekte umzusetzen. Das ist zehnmal so viel wie vor sen. Deswegen sind wir es den Bürgern in Afghanistan, fünf Jahren. Dadurch wird deutlich, dass wir auch beim aber auch unseren eigenen Bürgern schuldig, die Defi- Aufbau der Kapazitäten weiterkommen. zite und die Herausforderungen, vor denen wir noch ste- Ein anderes Beispiel: Mit deutscher Hilfe wurde die hen, anzusprechen. Investitionsagentur AISA eingerichtet. Sie wird bis zum Mit der Abstimmung der zahllosen Geberländer und Ende dieses Jahres 550 000 neue Arbeitsplätze geschaf- Institutionen im zivilen Bereich untereinander, mit der fen haben. Entwicklung in der Drogenwirtschaft und mit der Si- Ich nenne ein weiteres Beispiel. Mit unserer Hilfe cherheitslage können wir nicht zufrieden sein. Aber die wurde die erste Mikrokreditbank in Kabul eröffnet. Das einzig mögliche Antwort darauf besteht darin, mit unse- hat im Land eine Investitionswelle initiiert, die vor allem ren Erfolgen im Rücken die Herausforderungen anzuge- den kleinen Leuten zugute kommt. Mit Darlehen zwi- hen. Das gilt zum Beispiel auch für die Drogenbekämp- schen 130 und 1 300 Euro werden neue Existenzgrund- fung. Was in Laos, in weiten Teilen Pakistans und auch (B) lagen für Teppichknüpferinnen, Gemüseverkäufer und in Thailand gelungen ist – übrigens auch durch deutsche (D) Automechaniker geschaffen. Das trägt zum Aufbau ei- Entwicklungszusammenarbeit –, das ist auch in Afgha- nes Mittelstandes und zur Armutsbekämpfung bei. nistan möglich, nämlich eine erfolgreiche Drogenbe- kämpfung zu organisieren, wenn man bereit ist, den Din- Ein weiterer Bereich ist die Wasserversorgung. gen konsequent auf den Grund zu gehen. 2,5 Millionen Menschen in Kabul, Herat und Kunduz profitieren jeden Tag ganz konkret von dem, was wir in Man muss die Menschen in die Lage versetzen, auch der Entwicklungszusammenarbeit geleistet haben. ohne Drogenanbau ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, zum Beispiel durch Rehabilitierung der alten Bewässe- Ich nenne ein Letztes: Wir machen auch etwas, das rungssysteme und den Wiederaufbau der Infrastruktur. uns im Kulturbereich viel Ehre und Sympathie in ganz Man muss auch deutlich machen, dass man nicht nur die Afghanistan einbringt. Wir führen zum Beispiel ein Pro- Kleinen bestraft, sondern auch die großen Drogenbarone jekt zur Sanierung der Altstadt in Herat durch und helfen nicht ungeschoren davon kommen lässt. beim Zusammensetzen der zerstörten Buddha-Statuen von Bamian. Entscheidend ist, dass wir stärker als bisher die afgha- nische Regierung und die afghanischen Entscheidungs- Das alles zusammen ergibt ein ganz anderes Bild der träger in die Pflicht nehmen und versuchen, die Wertschätzung der Afghanen für unsere Arbeit, als es Nachbarstaaten wie Pakistan in unsere Strategien einzu- Herr Lafontaine dargestellt hat. Untersuchungen der beziehen, und dass es uns gelingt, den vielstimmigen FU Berlin haben ergeben, dass 72 Prozent der Afghanen Chor der Geber auch international besser untereinander unser Engagement – vor allem im Sicherheitsbereich – abzustimmen. Dabei denke ich besonders an die Welt- begrüßen. Das macht deutlich, wie sehr die Afghanen bank und an den wichtigsten Geber, die Vereinigten unsere Arbeit wertschätzen. Staaten, aber ich denke auch an uns. Trotz der großen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Fortschritte, die die am zivilen Aufbau in Afghanistan beteiligten deutschen Ressorts gemacht haben, bleibt es Wir erleben aber auch täglich, dass der zivile Wieder- eine Daueraufgabe, möglichst konkret unser Ziel zu ver- aufbau in Afghanistan Feinde hat und dass es eine Min- folgen. Wir brauchen konkrete Planungs- und Zielvorga- derheit gibt, die mit Gewalt verhindern will, dass Demo- ben für einen überschaubaren Zeitraum, die von allen kratie, Menschen- und Bürgerrechte dauerhaft Zukunft Ressorts gemeinsam eingehalten werden. In diesem Zu- haben. Deswegen brauchen wir für den Wiederaufbau sammenhang halte ich es für sinnvoll, dass das im kom- eine entsprechende Sicherheitsstruktur mit einer funktio- menden Herbst zu beschließende Afghanistan-Mandat nierenden afghanischen Armee, Justiz und Polizei. auch eine Zwischenbilanz der zivilen Leistungen und ne- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18151

Dr. Christian Ruck (A) ben weiteren militärischen zivile Vorhaben mit konkre- und derselben Medaille, aber sie stehen im Verhältnis (C) ten Zielvorgaben und Verantwortlichkeiten beinhaltet. von Mittel zu Zweck. Wir sind dort militärisch enga- giert, weil wir aufbauen wollen, und nicht umgekehrt. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das muss man sich vor Augen führen. Herr Kollege Ruck, darf ich Sie an Ihre Zeit erinnern? (Beifall bei der FDP) Afghanistan braucht unsere Hilfe. Die Afghanen ver- Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): trauen darauf, dass wir unser Versprechen halten, wenn Jawohl, ich bin gleich so weit. es um den Aufbau einer stabilen und korruptionsfreien (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Dr. Guido Verwaltung, einer funktionierenden Polizei, von Schulen Westerwelle [FDP]: Das sollten wir mal sa- usw. geht. Das enorme Interesse, das die Afghanen an gen!) unseren Aufbaubemühungen haben, ist schon daran zu erkennen, dass die afghanische Botschafterin bis eben an Ich bin dagegen, dass man militärische und zivile der Debatte teilgenommen hat und dass das afghanische Ausgaben gegeneinander aufwiegt und ausspielt. Wir Fernsehen die Ergebnisse der Konferenz in Paris live dürfen keine Zweifel an der Sicherheit unserer Soldaten übertragen hat. Das zeigt, welch große Hoffnungen da- aufkommen lassen und an ihr sparen. Das können wir rauf ruhen. Ich bin mir aber sicher, dass die Afghanen nicht verantworten. Nun wird viel Geld zur Verfügung über die im Fernsehen übertragenen Ergebnisse der gestellt: 21 Milliarden Euro bis 2010. Hier muss eine Afghanistan-Konferenz enttäuscht sind. Diese Konfe- qualitative Umsetzung erfolgen. Wir sind jedenfalls je- renz wäre eine gute Gelegenheit gewesen, sich mit der derzeit bereit, über eine weitere Aufstockung der Haus- Situation in Afghanistan grundsätzlich auseinanderzu- haltsmittel für Afghanistan zu reden. setzen, und zwar ohne die zwanghafte Verengung auf Sicherheitsfragen. Sie hätte Anlass gegeben, sich mit der Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Rolle der afghanischen Regierung näher zu befassen, Herr Kollege, Sie reden auf Kosten Ihrer Kolleginnen insbesondere in der Drogenwirtschaft. Diese Chance und Kollegen. wurde auf der Konferenz erneut vertan, obwohl sicher- lich einige Probleme im Zusammenhang mit dem Dro- Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): genanbau festgestellt wurden. Ein Schlusssatz, Frau Präsidentin. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Für uns sind die Anstrengungen im militärischen Be- Herr Minister Steinmeier, Sie selbst haben gesagt, reich nichts anderes als die unverzichtbare Absicherung dass es ein „Weiter so“ in Afghanistan nicht geben dürfe (B) (D) des eigentlichen Ziels, nämlich der dauerhaften Stabili- und dass es nun vor allem um den Aufbau gehe. Warum sierung der jungen Demokratie in Afghanistan. Wir müs- zeigt sich dann aber die Bundesregierung gerade bei den sen sie in die Lage versetzen, in möglichst naher Zukunft Hilfszusagen so knauserig? Wir Liberale fordern seit die Aufgabe, dass die Bürger in Frieden und Freiheit le- langem – Herr Trittin, ich glaube, hier besteht Überein- ben, zu erfüllen. Das liegt auch im vitalen deutschen In- stimmung – eine Erhöhung der Mittel für Afghanistan, teresse. beispielsweise durch Umschichtung. Verschiedene Sei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ten haben gerade die Bedeutung dieses Landes unterstri- neten der SPD) chen. Wir wissen sicherlich, dass Geld allein nicht die Lösung ist; das ist klar. Aber im Vergleich zu den Leis- tungen, die etwa Kanada sowohl im zivilen als auch im Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: militärischen Bereich erbringt, ist das, was wir leisten, Ich gebe das Wort dem Kollegen Hellmut relativ gesehen viel zu gering. Königshaus, FDP-Fraktion. Meine Damen und Herren, ich habe mir vor Ort ein (Beifall bei der FDP) Bild von der Lage gemacht. Jeder Entwicklungshelfer, mit dem ich gesprochen habe, hat mir erklärt, dass er so- Hellmut Königshaus (FDP): fort mehr Geld in die laufenden Projekte einspeisen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber könnte. Die Behauptung der Entwicklungsministerin, Kollege Trittin, Oskar Lafontaine hat noch in einem wei- mehr Geld könne man in dem Land nicht einsetzen, ist teren Punkt recht: Der Kollege Dr. Schockenhoff hat schlichtweg falsch. eine erfrischende Rede gehalten. Er hat insbesondere die (Beifall bei der FDP) Probleme, die die Reibereien zwischen dem BMZ und dem Auswärtigen Amt betreffen, sehr klar beschrieben. Der Bedarf in dem Land ist vorhanden. Es gibt Er- Ich glaube, darin liegt in der Tat ein großes Problem. folge – sie werden ja immer wieder wie ein Mantra vor- weg getragen –, aber es gibt sie nur punktuell, es sind (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nicht genug, und vor allem werden die Projekte nicht der LINKEN) schnell genug umgesetzt. Das Land braucht mehr Pro- Er hat außerdem gesagt, dass Sicherheit und Aufbau jekte, vor allem in der Fläche, auf dem Land, dort, wo zwei Seiten ein und derselben Medaille seien. Damit hat noch nichts von Aufbau und Fortschritt zu spüren ist. er natürlich recht. Er hat dabei eines, glaube ich, nicht Geben wir doch die nötigen Mittel, damit der Aufbau richtig deutlich gemacht: Es sind zwar zwei Seiten ein endlich bei den Menschen auf dem Land direkt 18152 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Hellmut Königshaus (A) ankommt! Nur damit tragen wir zu einer Stabilisierung und zwar deshalb, weil ich mit den Leuten fernab der (C) der Lage bei. Es ist ja nicht so, dass wir für den Aufbau Feldlager gesprochen habe. Sprechen Sie mit denen! kein Geld hätten. Es gibt genügend Geld im Haushalt. Dann werden Sie hören, dass nicht alles das, was Ihnen Der Haushalt des BMZ ist der einzige, der kontinuierlich vom BMZ oder vom Bundesverteidigungsministerium wächst. Darüber hinaus geben wir immer noch – ich mitgeteilt wird, tatsächlich die volle Wahrheit ist, die möchte das nicht wiederholen – überdurchschnittlich volle Realität darstellt. viel Geld in Ländern aus, die dieses Geld nicht mehr Meine Damen und Herren, auch wenn es Probleme brauchen. gibt, dürfen wir die Hoffnung nicht verlieren. Wir müs- (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sen die afghanische Regierung in die Pflicht nehmen. So ein Quatsch!) Und wir müssen etwas mehr Geld in die Hand nehmen. Dann werden wir in Afghanistan zum Erfolg kommen. Hier müssen Sie kämpfen, Herr Außenminister. Wir wissen ja, dass Sie manchmal auf dem falschen Bein Ich danke Ihnen. kämpfen; das konnten wir kürzlich erleben. Sie müssen (Beifall bei der FDP) sich einmal mit Frau Wieczorek-Zeul über diese Frage auseinandersetzen. Wenn sie gut drauf ist, lässt sie Sie Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: zumindest ausreden. Heute scheint sie gut drauf zu sein. Ich gebe das Wort der Kollegin Christel Riemann- (Heiterkeit bei der FDP) Hanewinckel, SPD-Fraktion. Der zivile Aufbau ist im Übrigen auch der Schlüssel zur Drogenbekämpfung, über die wir gerade gesprochen Christel Riemann-Hanewinckel (SPD): haben. Die Drogenwirtschaft ist ein Teil der wirtschaftli- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! chen Basis des Terrors. Dadurch wird nicht nur die Si- Ich habe mich sehr gefreut, dass es der afghanischen cherheit unserer Soldaten und Helfer, sondern auch der Botschafterin möglich war, heute zumindest einen Teil Aufbau selbst bedroht. Die Menschen in Afghanistan ha- der Debatte mitzuverfolgen. Im Rahmen eines Ge- ben im Moment gar keine alternativen Einkommens- sprächs, das wir gestern in der Arbeitsgruppe Menschen- möglichkeiten. Wir müssen sie ihnen schaffen, aber mit rechte der SPD-Bundestagsfraktion geführt haben, hat vernünftigen Projekten, die die Strukturen berücksichti- sie sich sehr deutlich zu dem, was wir heute verhandeln, gen, und nicht mit irgendwelchen illusionären Projekten, und zum Einsatz der internationalen Schutztruppe geäu- für die es gar keinen Markt gibt; Stichwort Rosenöl und ßert. Darauf komme ich später zu sprechen. Ähnliches. Entwicklung nach kriegerischen Auseinandersetzun- (B) gen ist immer nur möglich, wenn es Hoffnung, Vertrauen (D) Des Weiteren müssen wir dafür sorgen, dass die Poli- und ein Mindestmaß an Sicherheit gibt. Und eines zeimission endlich vorankommt. Hierüber haben wir kommt ohne das andere nicht aus. heute im Ausschuss wieder eine Auseinandersetzung er- lebt. Der Innenminister sagte, damit habe er nichts zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tun, EUPOL sei eine Angelegenheit des Außenministers. der CDU/CSU) Egal, wer intern dafür zuständig ist: Sorgen Sie dafür, Deutschland hat sich wiederholt verpflichtet, Afghanis- dass das endlich vorankommt. Wir haben doch dort die tan bei der Herstellung und bei der Wahrung von Sicher- Verpflichtung übernommen. heit, vor allem aber auch beim Aufbau des Landes zu un- (Beifall bei der FDP) terstützen. Ohne Sicherheit ist das Wachsen von Demokratie nicht möglich, ohne Sicherheit haben Bil- Anders als der Kollege Lafontaine sage ich: Wir müs- dung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen sen mehr für die Sicherheit unserer Entwicklungshelfer überhaupt keine Chance, ohne Sicherheit werden Frauen tun. Dafür, Herr Verteidigungsminister, brauchen wir weiterhin diskriminiert und der häuslichen und traditio- mehr Soldaten, gerade in der Fläche, damit sie in der Not nellen Gewalt in Afghanistan ausgesetzt, ohne Sicher- schnell Hilfe erhalten können. Ich bin, offen gesagt, ent- heit bleibt die Müttersterblichkeit extrem hoch, und ohne täuscht darüber, dass Sie offenbar nicht beabsichtigen, Sicherheit werden permanent Menschenrechte verletzt. die durch die Heraufsetzung der Mandatsobergrenze ge- Erfahrungen und Erlebnisse aus 30 Jahren Krieg in nehmigten zusätzlichen Soldaten für diese Zwecke ein- Afghanistan müssen durch die Erfahrung abgelöst wer- zusetzen. Das ist enttäuschend. Darüber sollten Sie noch den, dass das Zusammenleben gemeinsam zu gestalten einmal nachdenken. ist. Neben die Hoffnung auf eine gute Zukunft muss das Wir dürfen uns nicht vormachen, dass, wie das oft ge- Erleben eines sich verändernden Gemeinwesens treten. sagt wird, Afghanistan schon auf dem richtigen Weg sei. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Die Bundesregierung unterliegt einem Irrtum, wenn sie Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]) das glaubt. Sie, Herr Bundesaußenminister, haben ges- tern gesagt, Sie hätten offenbar eine andere Wahrneh- Es stellt sich die Frage, ob die Afghanen das nicht al- mung von der Situation unserer Aufbauhelfer als ich. Da leine tun können bzw. was Deutschland dazu tun kann. haben Sie recht. Aber ich glaube, dass in dem Fall ich Mein erster Punkt ist, dass Deutschland durch die Betei- die richtigere Auffassung habe, ligung an der ISAF-Mission einen wichtigen Beitrag für die innere und äußere Sicherheit in Afghanistan leistet (Beifall bei der FDP) und weiterhin leisten muss. Deutschland kann durch ein Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18153

Christel Riemann-Hanewinckel (A) umfassendes Engagement in der Entwicklungszusam- einem einzigen Titel im Haushalt auskommt, sondern es (C) menarbeit zur Entwicklung der afghanischen Zivilgesell- war und ist ein Prozess, der erhebliche Mittel gebraucht schaft und eben auch der staatlichen Strukturen beitra- hat und noch immer braucht. gen. Mit dem Auftrag von ISAF wird ein politisches und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kein militärisches Ziel verfolgt. Vielleicht müssen wir das ständig wiederholen, damit es die, bei denen es noch Inzwischen dauert der Prozess 18 Jahre. Ich möchte sa- nicht angekommen ist, endlich begreifen. gen, dass wir in Deutschland vieles geschafft haben, vie- les verändert haben, und doch erfahren wir tagtäglich, (Beifall bei der SPD) was noch zu tun ist. Ich behaupte: Es ist wesentlich leichter und es ist schneller möglich, Straßen zu bauen Ich sage es noch einmal: Unsere Aufgabe lautet, Af- und Häuser zu sanieren, als Menschen für die Demokra- ghanistan bei der Herstellung und Wahrung von Sicher- tie zu begeistern und für das Mitmachen zu gewinnen. – heit und beim Aufbau des Landes zu unterstützen. So Das sind unsere Erfahrungen in Deutschland. zwiespältig es auch sein mag – ich wiederhole es –, ohne ein Mindestmaß an Sicherheit können wir und auch die Afghanistan hat Krieg und Zerstörung von Struktu- Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan keine ren, Land und Menschen hinter sich und hat eine junge Aufbauarbeit leisten. Das gilt auch und gerade in Zeiten, Generation, auf die alle setzen. Diese junge Generation in denen sich die Sicherheitslage verschlechtert. Die aber ist mit Gewalt groß geworden. Die jungen Men- Botschafterin sagte gestern sehr deutlich und unmissver- schen müssen lernen und erfahren, dass es andere Arten ständlich in dem Gespräch: Wenn die ISAF-Truppen ab- des Zusammenlebens und des gemeinsamen Aufbauens ziehen, sind die Taliban in weniger als 24 Stunden da. gibt als die, mit einer Flinte in der Hand bzw. mit Gewalt und Macht durchzusetzen, was der Einzelne oder die ( [SPD]: Hört! Hört!) Gruppe will. Das heißt – das wissen wir eigentlich alle –, dass damit Die afghanische Botschafterin hat uns um etwas ge- jegliche Entwicklung, jedes Aufwachsen von Demokra- beten. „Gebt uns Chancen!“ hat sie gesagt, und ich füge tie abgeschnitten wird. Wer das nicht begreifen will, hinzu: Vor allem in Zeiten, in denen es schwierig ist; sollte nicht immer nur mit einer Frau aus Afghanistan re- dann erst recht, liebe Kolleginnen und Kollegen! den, sondern auch mit anderen, die nicht nur das Leben Auf der Geberkonferenz in Paris hat man sich dazu dort kennen, sondern sich auch engagieren, um die De- deutlich geäußert und eine wichtige Zäsur gesetzt. Man mokratisierung in Afghanistan voranzubringen. hat nämlich Bilanz über das gezogen, was die internatio- nale Gemeinschaft und auch Deutschland mit der Unter- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stützung für Afghanistan bisher erreicht haben. Man hat der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE (B) vor allem aber auch deutlich gemacht, dass die inter- (D) GRÜNEN) nationale Gemeinschaft und Afghanistan selbst immer Wir müssen akzeptieren, dass Entwicklung und Si- wieder zu Veränderungen bereit sein müssen; es war also cherheit in Afghanistan einander bedingen. Das sehen eine kritische Bilanzierung. auch die Nichtregierungsorganisationen so. Ich will Es gibt enorme Herausforderungen, die die afghani- stellvertretend für andere an dieser Stelle „medica mon- sche Regierung mit unserer Unterstützung in den kom- diale“ nennen. „medica mondiale“ ist eine Nichtregie- menden Jahren zu bewältigen hat. Dazu gehören insbe- rungsorganisation, die sich seit vielen Jahren in unter- sondere die Verwirklichung der Verfassung, der Aufbau schiedlichen Bereichen für die Rechte von Frauen in funktionierender Institutionen und die Durchsetzung von Afghanistan einsetzt. „medica mondiale“ hat Erfahrun- Rechtsstaatlichkeit. gen auch in anderen Ländern, die in einer Nachkriegs- Am Beispiel der Frauen lässt sich das sehr gut deut- situation dabei sind, eine Zivilgesellschaft aufzubauen lich machen. Noch immer erleben mehr als 80 Prozent und die Rechte von Frauen zu stärken. Erst in der ver- der Frauen in Afghanistan Missbrauch und Gewalt. gangenen Woche hat uns eine Vertreterin dieser Organi- Wenn sie häusliche Gewalt oder Zwangsverheiratung sation berichtet, dass afghanische Frauen eindringlich anzeigen wollen, werden sie zum Teil von Richtern dis- vor einem zu frühen Abzug der internationalen Schutz- kriminiert. Unter Umständen verfügen sie nicht über die truppe warnen. Ich bin schon der Meinung, dass diese notwendige Bildung, um ihre Rechte überhaupt zu ken- das besser wissen müssen als manche hier im Parlament. nen. Staatliche Institutionen und Behörden setzen das Deshalb bin ich sehr dafür, dass wir diese Warnung der Recht, das in der Verfassung garantiert ist, nicht um. Frauen ernst nehmen. Deshalb überlagern noch immer Gewohnheitsrechte gel- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tendes Recht. Leider kommt es dann oft zu massiven DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Menschenrechtsverletzungen. CDU/CSU) Deshalb ist es gut, dass auch in den Regierungsver- handlungen zwischen Deutschland und Afghanistan Ich möchte noch einmal die Botschafterin, Frau Pro- Frauenrechte und Genderfragen ein zentrales Thema wa- fessor Dr. Maliha Zulfacar, zitieren. Sie hat gestern ge- ren und die entsprechenden finanziellen Mittel bereitge- sagt: „Die Entwicklung Afghanistans ist kein Projekt, stellt wurden. Denn auch in Afghanistan ist ohne die sondern ein Prozess.“ Wir als Mitglieder des Deutschen Frauen kein guter Staat zu machen. Bundestags können wohl auch für das geeinte Deutsch- land feststellen: Das Zusammenwachsen war und ist Ich komme zum Schluss. – Im nächsten Jahr finden in kein Projekt für eine Legislaturperiode gewesen, das mit Afghanistan die nächsten freien Wahlen statt. Deutsch- 18154 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Christel Riemann-Hanewinckel (A) land und die internationale Gemeinschaft werden auch bzw. ob wenigstens darauf hingewiesen worden ist, muss (C) mit Blick darauf weiterhin zur Stabilisierung Afghanis- man zu dem Schluss kommen: Nein, das ist nicht ge- tans beitragen. Aber die afghanische Regierung muss die schehen. Ich finde, da ist eine Chance verpasst worden. volle Verantwortung für den Aufbau ihres Landes über- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nehmen. Die Regierungsverhandlungen haben gezeigt, dass Afghanistan offensichtlich dazu bereit ist. Ich hoffe Lassen Sie mich nun zu den beiden Punkten wirt- sehr, dass wir gemeinsam mit Afghanistan zu tragfähi- schaftliche Entwicklung und Bildung etwas sagen. gen und nachhaltigen Lösungen kommen. Rufen wir uns ins Gedächtnis, dass Deutschland Vielen Dank. einstmals die Führung in der Frage der wirtschaftlichen Entwicklung übernommen hat. Insofern ist auch diese (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Frage eng mit dem deutschen Engagement verknüpft. Ja, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) es gibt Fortschritte. Es braucht aber zugleich einen lan- gen Atem; denn wir müssen erkennen, die Zielmarken, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: die wir uns im Afghanistan Compact in London gesetzt Ich gebe das Wort der Kollegin Ute Koczy, Bünd- haben, waren unrealistisch bzw. zu ehrgeizig. Noch sind nis 90/Die Grünen. nämlich über 7 Millionen Menschen in Afghanistan von Hunger bedroht. Jetzt kommen noch drastische Preisstei- gerungen hinzu. Deswegen, so sagen wir, ist die Unter- Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): stützung des Aufbaus der Landwirtschaft enorm wichtig. Geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Die ländliche Bevölkerung, die Männer und Frauen auf Kollegen! Es geht um die Ergebnisse der Afghanistan- den Dörfern müssen überleben können. Hier muss sofort Konferenz am 12. Juni. Ich sage: Aus einer solchen in- durch Not- und Übergangshilfe sowie durch Verstärkung ternationalen Konferenz zur Unterstützung Afghanistans der ländlichen Infrastruktur geholfen werden. hätte man mehr machen müssen. Mit einem solchen Er- Man muss wissen: Von den geschätzten 7,9 Millionen eignis hätte man wirklich mehr an Ergebnissen erreichen Hektar Ackerland werden nur 2,7 Millionen Hektar be- müssen. Die Bundesregierung hat es verpasst, zusam- wässert. Das heißt, es gibt Möglichkeiten, man nutzt sie men mit den anderen Gebern tatsächlich einen Kurs- und nur zu wenig. Gleichzeitig können nur 20 Prozent der Strategiewechsel einzuleiten. Sie hat es verpasst, dieses Bevölkerung auf das öffentliche Stromnetz zugreifen. Ereignis zu nutzen, um in der deutschen Bevölkerung Das alles sind Herausforderungen, denen man mit ent- um Verständnis für die Widrigkeiten und Probleme bei sprechenden Maßnahmen umgehend und massiv begeg- der Aufbauarbeit Afghanistans zu werben. Sie hat es nen müsste. Dafür braucht es noch mehr Mittel, dafür auch verpasst, eine ehrliche Bilanz zu ziehen. (B) braucht es mehr Geld. (D) Es waren wohl Anklänge davon zu finden – keine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frage –, aber die Erwartungen an Paris waren hoch, und zwar deswegen, weil die Situation in Afghanistan insta- Nun zum Thema Bildung und Capacity für Frauen bil ist, weil sich die Sicherheitslage verschlechtert hat, und Männer. Deutschland trägt mit dazu bei, dass die weil die Opiumproduktion gestiegen ist, weil die Wirt- ehrgeizigen Ziele des Bildungsministeriums umgesetzt werden. Aber zugleich ist leider festzuhalten, dass es Re- schaft instabiler wird, weil die Korruption zunimmt, weil gionen gibt, in denen Mädchen mit Steinen beworfen die Hilfen unzureichend wirken, weil die Hilfen schlecht werden, wenn sie zur Schule gehen, dass Schulgebäude ankommen, weil Frauenrechte zurückgedrängt werden, zerstört werden und dass es an weiblichen Lehrkräften weil – ja, auch das – viele Fehler gemacht worden sind. mangelt, um Mädchen und Frauen zu unterrichten. Und dann das: Zu all diesen Themen eine eintägige Kon- ferenz mit drei Minuten Redezeit für die Präsidenten und Meine Damen und Herren, das deutsche Engagement Minister! in Afghanistan hängt von der Glaubwürdigkeit und von der Legitimation ab, die in der Öffentlichkeit durch den Dabei war doch etwas Bemerkenswertes passiert. Von Nachweis der Wirksamkeit der Entwicklungszusammen- afghanischer Seite wurde eine nationale Entwicklungs- arbeit hergestellt wird. Ich finde, die Konferenz hätte strategie vorgelegt. Dieser Vorschlag der afghanischen gute Möglichkeiten geboten, die Wirksamkeit mehr in Regierung zur künftigen Ausrichtung des Aufbaus ba- den Vordergrund zu stellen. Diese Chance ist verpasst siert ja auf den Millenniumsentwicklungszielen, denen worden. Ich wage zu behaupten, dass uns dies in der an- wir uns verschrieben haben und die von uns allen ge- stehenden Diskussion über die Frage, wie wir mit dem schätzt werden. Damit werden ja Möglichkeiten an die geplanten Aufwuchs der Zahl an Soldaten umgehen sol- Hand gegeben, Strategien zur Armutsbekämpfung zu len, auf die Füße fallen wird. nutzen. Die Afghanen haben sich jetzt am Afghanistan Compact orientiert, der ja drei Kernziele umfasst: ers- tens Sicherheit, zweitens Regierungsführung, Rechts- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: staatlichkeit und Menschenrechte sowie drittens wirt- Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. schaftliche und soziale Entwicklung. Die afghanische Regierung hat in Eigenverantwortung Vorschläge vorge- Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): legt. Damit hat sie Verantwortung für die Gestaltung der Schade, ich finde, man hätte mehr tun können. Zukunft übernommen. Das hätte man noch mehr würdi- Danke. gen müssen; denn wenn man sich fragt, ob das denn der Bevölkerung hier klar und deutlich gesagt worden ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18155

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Und sie tut noch etwas: Sie stellt stets mit großem (C) Das Wort hat der Kollege Gert Winkelmeier. Stolz die Erfolge in ihrem Verantwortungsbereich, dem Regionalkommando Nord, heraus. Sie verschweigt je- Gert Winkelmeier (fraktionslos): doch, dass sie sich die relative Ruhe – im Vergleich mit dem Süden und Osten des Landes – schlicht und einfach Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! erkauft. Unsere ISAF-Kommandeure haben sich mit Nach dieser Regierungserklärung zu der Pariser Schau- Warlords wie dem Gouverneur Ata in Masar-i-Scharif fensterveranstaltung arrangiert. Das pfeifen die Spatzen im Norden von den (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Na, na, na!) Dächern, und das Motto lautet: Wir mischen uns nicht in deine schmutzigen Geschäfte ein, du darfst deine Will- kann ich nur sagen: Ich habe nichts anderes erwartet. kürherrschaft ausüben, Statthalter und Milizen einsetzen, Seit Jahren reden sich die Bundesregierungen und die deine eigenen Steuern eintreiben. Dafür sorgst du dafür, Mehrheit hier im Bundestag die sich seit 2003 massiv dass wir nicht allzu sehr belästigt werden. verschlechternde Lage in Afghanistan schön. Ich denke dabei beileibe nicht nur an die sogenannte Sicherheits- Damit komme ich zu dem Nachwuchsjournalisten lage. und Studenten Pervez Kambakhsh. Dieser Fall bündelt die tatsächliche Situation nach sieben Jahren vorgebli- Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, chen Aufbaus rechtsstaatlicher Strukturen wie in einem UNDP, stellt in seinem jüngsten Bericht fest, dass in Af- Brennglas. Er steht zugleich als Beispiel für den Ge- ghanistan als fünftärmstem Land der Welt seit 2004 ein samtzustand des Landes, den die Bundesregierung mit deutlicher Rückschritt zu verzeichnen ist: Die Lebenser- herbeigeführt hat. wartung ist auf 43 Jahre gesunken; über 6 Millionen Menschen haben nicht genügend zu essen; 50 Prozent Kambakhsh hat nichts anderes gemacht, als sein der unter Fünfjährigen sind untergewichtig. Das ist kein Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit nach der afgha- Wunder bei einem Preisanstieg von zuletzt 70 Prozent nischen Verfassung in Anspruch zu nehmen. Das ist ihn bei Brot und Mehl. Dass 99 Prozent der Waren auf dem teuer zu stehen gekommen. Unter den Augen des deut- Kabuler Markt Importwaren sind, kennzeichnet den ka- schen Regionalkommandos in Masar-i-Scharif wurde er tastrophalen Zustand der heimischen Wirtschaft. im Machtbereich des Gouverneurs Ata verhaftet und zum Tode verurteilt, weil er kritische Koraninterpretatio- Auch auf dem Gebiet, mit dem sich der Bundesaußen- nen aus dem Internet mit seinen Kommilitonen diskutie- minister immer so gerne brüstet, ist kein Licht am Hori- ren wollte. Nun wartet er seit Wochen in Haft auf die zont zu sehen. Die Alphabetisierungsrate bei Erwachse- Entscheidung des Appellationsgerichts in Kabul. Und nen ist um 5 Punkte auf 23,7 Prozent gesunken. Den was tut die Bundesregierung? – Sie duckt sich weg und (B) (D) Grund dafür hat der französische Präsident während der opfert den jungen Mann auf dem Altar der NATO-Bünd- Pariser Konferenz genannt: Wir lassen uns nicht von nissinteressen. Terroristen einschüchtern. Wir bleiben so lange, bis wir gewonnen haben. – So denkt auch die Bundesregierung. (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!) Dieser Satz zeigt zweierlei. Erstens: die völlige Reali- tätsverweigerung vor dem Charakter des afghanischen Ich nenne das feige und zynisch. Sie will die Fiktion auf- Widerstandes. Wie oft muss man noch sagen, dass die rechterhalten, es gebe in Afghanistan eine unabhängige Afghanen Fremdherrschaft schon immer abgelehnt ha- und souveräne Regierung. Wir alle hier im Plenarsaal ben und dass sie sie auch immer erfolgreich abgeschüt- wissen es besser, auch wenn es nicht alle zugeben. telt haben? Die 87 Prozent der Deutschen, die nach der jüngsten Zweitens macht der Satz deutlich, dass die westlichen Umfrage die Entsendung der Eingreiftruppe und die Politiker in den Kategorien Sieg und Niederlage denken Aufstockung des Bundeswehrkontingents ablehnen, wis- und damit der militärischen Logik folgen, anstatt sich sen es auch. Ich hoffe deswegen sehr auf eine rege Betei- um politische Lösungen zu bemühen. ligung von Abgeordneten aus allen Fraktionen an den Demonstrationen am 20. September in Stuttgart und (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Berlin. Das Motto wird sein: Bundeswehr raus aus Af- Deutlicher als der jüngst aus dem Amt geschiedene ghanistan! ISAF-Oberbefehlshaber McNeill kann man es doch (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht machen. Auf seiner letzten Pressekonferenz nannte NEN]: Bundeswehr raus! Taliban rein!) er die Zahl der Soldaten, die für eine militärische Auf- standsbekämpfung nötig seien: 400 000. Ähnliche Zah- Damit können Sie zeigen, dass Sie den Willen der Be- len hört man auch von russischen Generälen, die ihre ei- völkerung endlich ernst nehmen. genen Erfahrungen gemacht haben. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Das ist doch wohl ein indirektes Signal an die Politik, Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Genau: und im Klartext heißt das: Lasst euch endlich etwas In- Taliban rein!) telligenteres einfallen, als hier noch 500 und dort noch 1 000 Soldaten in einen Krieg zu schicken, der nicht zu Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gewinnen ist. Und was tut die deutsche Regierung? – Der nächste Redner ist der Kollege Eckart von Genau dieses. Klaeden, CDU/CSU-Fraktion. 18156 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

(A) Eckart von Klaeden (CDU/CSU): gistrierten Sicherheitsvorfällen gekommen, 114 davon (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Be- waren Schusswechsel, 35 Sprengstoffanschläge, es gab richt des Gemeinsamen Koordinierungs- und Überwa- 35-mal indirekten Beschuss durch Mörser und Raketen chungsrats, der auf der Pariser Unterstützungskonferenz sowie drei sonstige Vorfälle. für Afghanistan vorgelegt worden ist, zeigt meiner An- Die Taliban stellen zudem ihre Strategie um. Wir sicht nach ein realistisches Bild der Entwicklung in haben drei spektakuläre Anschläge beobachten müssen: Afghanistan. Licht und Schatten liegen eng beieinander. einen auf das „Serena“-Hotel, den zweiten auf die Trup- Der Bericht gibt uns die Möglichkeit, unsere Politik neu penparade in Kabul und den dritten auf das Gefängnis in zu justieren und eine ehrliche Bestandsaufnahme zu ma- Kandahar. Das zeigt uns, dass wir insbesondere bei dem chen. Sosehr wir uns davor hüten sollten, uns an den Er- Aufbau der afghanischen Sicherheitseinrichtungen, also folgen besoffen zu reden, so sehr sollten wir uns von den der afghanischen Armee und der afghanischen Polizei, Misserfolgen auch nicht entmutigen lassen. unsere Bemühungen verstärken müssen. Deshalb ist es Vielleicht liegt der schwierige Teil der Arbeit in Afgha- ausdrücklich zu begrüßen, dass es jetzt zu der von nistan noch vor uns, nämlich der, der mit dem Aufbau Deutschland und dem Auswärtigen Amt forcierten und der Staatlichkeit verbunden ist. Die Bestandsaufnahme in der EU beschlossenen Verdoppelung des EUPOL-Ein- zeigt meiner Ansicht nach auch, dass Erfolg in Afgha- satzes in Afghanistan kommt. Defizite liegen eben auf nistan möglich ist. Der Kollege Trittin hat eben einen beiden Seiten: mangelnde Erfahrung und andere beson- Angehörigen des Bundeswehr-Verbandes mit dem dere Schwierigkeiten auf der afghanischen Seite und Wunsch zitiert, für den zivilen Aufbau ähnlich detail- zum Teil zu geringer Mitteleinsatz auf unserer Seite. lierte Mandate wie für den militärischen Einsatz haben zu wollen. Man muss diesem Vertreter des Bundeswehr- Dass aber ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Verbandes sagen, dass so etwas nicht möglich ist, weil der Sicherheit in Afghanistan und der Entwicklung des der Aufbau einer Zivilgesellschaft unglaublich viel Landes besteht, kann man in großer Deutlichkeit an der schwieriger ist als der Bau einer Kaserne. Gerade die Entwicklung der Drogenökonomie im Land erkennen. Tatsache, dass solche Beschreibungen des zivilen Teils Denn dort, wo die Sicherheitslage durch den Einsatz von unseres Mandats nicht möglich sind, entspricht auf ei- ISAF und OEF sowie durch den nachfolgenden Einsatz nem höheren Niveau dem altbekannten Argument, dass von afghanischer Polizei und afghanischer Armee ver- sich die Lage in Afghanistan nicht allein militärisch ver- bessert worden ist, ist der Drogenanbau nachhaltig zu- bessern lässt. rückgegangen. Er konzentriert sich zunehmend auf die Provinzen, in denen die Sicherheitslage besonders Wir sind jetzt an dem Punkt angelangt, wo wir die schlecht ist. Allein diese Entwicklung straft die Links- Balance zwischen Fördern und Fordern finden müssen. partei Lügen. Wir können feststellen, dass sich die Zahl (B) Einerseits dürfen wir die afghanische Regierung mit der drogenfreien Provinzen von sechs auf 13 mehr als (D) dem, was wir von ihr verlangen, nicht überfordern, ande- verdoppelt hat. rerseits müssen wir unsere Förderung so justieren, dass sie nicht zu weiterer Abhängigkeit, sondern schrittweise (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: In länd- zu immer mehr Unabhängigkeit, also zu der berühmten lichen Gebieten steigt sie aber!) Hilfe zur Selbsthilfe, führt. Dabei müssen wir uns selber Das heißt, es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zugestehen, dass es nicht nur in Afghanistan, sondern zwischen der Sicherheit auf der einen und der Entwick- auch auf unserer Seite Defizite gibt. Für diese Defizite kann man aber keine bestimmten Verantwortlichen be- lung des Landes auf der anderen Seite. nennen. Wir lernen erst nach und nach, mit der Heraus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- forderung, mit der wir in Afghanistan konfrontiert sind neten der SPD) – mit der Aufgabe, einen Staat aufzubauen –, umzuge- hen. Diese Herausforderung begegnet uns in verschiede- Wir müssen also den eingeschlagenen Weg fortsetzen. nen Einsätzen, bei verschiedenen Aufgaben: im Kosovo, Aber wir müssen auch die Monate nach der Sommer- in Bosnien-Herzegowina, in Palästina und jetzt eben pause nutzen, um aus der Pariser Konferenz und den an- auch in Afghanistan. Es ist aber schon ein großer Erfolg, gesprochenen Berichten die notwendigen Konsequenzen dass wir heute wesentlich genauer wissen, was in Afgha- zu ziehen. Es ist bei Weitem nicht zu spät, aber auch nistan zu tun ist. Das begründet die Hoffnung, dass Er- hohe Zeit. folg tatsächlich möglich ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Was brauchen wir dafür? Wir brauchen Sicherheit, neten der SPD) den politischen Willen und die Führungskompetenz der afghanischen Regierung, die Schaffung der nötigen insti- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: tutionellen Voraussetzungen, eine bessere Koordinierung Ich gebe das Wort der Parlamentarischen Staatssekre- zwischen den afghanischen und den ausländischen Ak- tärin Karin Kortmann. teuren, angemessene Kapazitäten sowie einen kalkulier- baren finanziellen Mittelzufluss. Wenn wir die Gescheh- nisse der letzten Monate verfolgen, so müssen wir Karin Kortmann, Parl. Staatssekretärin bei der Bun- feststellen, dass die Entwicklung in Afghanistan auf der desministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Kippe steht. Von Kollegen ist die Verschlechterung der Entwicklung: Sicherheitslage schon angesprochen worden. Allein wäh- Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Außenminister! rend der Pariser Konferenz ist es zu 187 von ISAF re- Sehr geehrter Herr Verteidigungsminister! Liebe Ent- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18157

Parl. Staatssekretärin Karin Kortmann (A) wicklungsministerin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! die Curricula-Entwicklung und auch für Lehrerinnen- (C) Was bleibt am Ende einer Debatte zu sagen, wenn man und Lehrergehälter zuständig. Bildungsminister Atmar die vorletzte Rednerin ist und der Kopf schon voller sagte uns am Montag und Dienstag letzter Woche bei Zahlen, Fakten, Anschuldigungen und Belobigungen ist? den Regierungsverhandlungen, wie wichtig es ist, dass Es bleibt eine klare Perspektive: Wir alle wollen, dass Deutschland so frühzeitig in diesen Bereich eingestiegen der Aufbau in Afghanistan weiterhin erfolgreich von- ist und heute ein Programm umsetzt, das sich weltweit statten geht. Unsere Arbeit in den letzten sechseinhalb sehen lassen kann. Dazu sage ich, Herr Lafontaine: Die Jahren ist erfolgversprechend. Rückschläge gibt es zwar Art und Weise, wie wir den zivilen Aufbau begehen, immer, aber wir alle sind von dem Willen geprägt – das sollten Sie beklatschen. wurde auf der Pariser Konferenz deutlich –, den Afgha- nen und Afghaninnen zur Seite zu stehen. Ohne sie wird (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie es keinen Frieden, von dem wir alle profitieren, geben. bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Insofern, Herr Außenminister, kommt diese Regie- rungserklärung zur richtigen Zeit. Ich hätte sie mir aller- Ein zweites Beispiel. Christel Hanewinckel hat davon dings schon letzte Woche gewünscht. Sie zeigt, welchen gesprochen, wie wichtig es ist, die Frauenförderung zu großen Erfolg die Bundesregierung beim Wiederaufbau unterstützen. Eines der hervorragendsten Projekte, die Afghanistans verzeichnen kann. Herzlichen Dank dafür. wir ganz früh in der Entwicklungszusammenarbeit be- gonnen haben, war der Aufbau eines Frauensenders na- (Beifall bei der SPD) mens Radio Zora. Radio Zora hat den Frauen, die unter Wir halten im Parlament keine Reden für uns, son- der Burka verhüllt waren, wieder eine Stimme gegeben, dern wir richten sie an diejenigen, die wir von unserer hat ihnen die Möglichkeit gegeben, über den Äther mit- Arbeit in Afghanistan überzeugen wollen. Da jetzt neue zuteilen, was ihnen inhaltlich wichtig ist, mit welchen Besuchergruppen auf der Tribüne Platz nehmen, möchte Sorgen und Problemen Frauen in Afghanistan zu tun ha- ich gerne drei Beispiele nennen, die verdeutlichen, was ben – von Kindererziehung, Einkaufsmöglichkeiten, wir in Afghanistan auf dem Gebiet des zivilen Aufbaus Problemen mit dem Mann bis hin dazu, dass man sich tun. einfach etwas vorgelesen hat, weil viele Frauen nicht lesen können. Damit will man Frauen wieder eine Als ich vor einigen Jahren das erste Mal in Afghanis- Stimme geben, ihnen ihre Rechte zurückgeben, ihnen tan war, habe ich eine Schule besucht. Die deutsche Ent- das Empowerment geben, dass sie vollständige Mitglie- wicklungszusammenarbeit zeichnet sich besonders der der Gesellschaft sind; das hat Christel Hanewinckel durch ihr Know-how auf dem Gebiet der Schulprojekte eben eindrucksvoll beschrieben. Dieses Projekt zeigt (B) aus. Unser Schwerpunkt liegt dementsprechend auf dem auch, dass wir mit diesen Dingen zur Unterstützung bei- (D) Aufbau eines Schulwesens. Bei den Schulen handelt es tragen können. sich nicht immer um Gebäude aus Stein und Holz. Manchmal sind sie auch aus Lehm gebaut, und manch- Ein drittes Beispiel ist die Wasserversorgung. Kabul mal findet der Unterricht sogar in Zelten statt. ist eine Stadt, die ursprünglich für 500 000 Einwohner konzipiert worden ist und heute 3,5 Millionen bis Es ist wichtig, dass wir immer mehr Kinder und Ju- 4 Millionen Einwohner hat; keiner weiß es genau, weil gendliche erreichen, die aus dem Analphabetentum der die Menschen dorthin strömen, wo sie glauben, am ehes- Talibanherrschaft heraus wollen und die einen großen ten Hilfe zu bekommen, nämlich in den Städten. Dort Bildungshunger haben. Bereits heute hat jedes fünfte sind wir in der Wasserversorgung tätig. Dies ist schwer; schulpflichtige Kind die Möglichkeit, eine Schule zu be- es ist nicht einfach. Wir haben Mittel bereitgestellt, da- suchen. mit 850 000 Menschen wieder sauberes Wasser bekom- men. Wir unterstützen sie darin, dass sie nicht an Fluss- Als ich das erste Mal eine solche Schule besuchte, traf läufen ihre Tiere tränken, die Wäsche waschen und ich auf fünf Lehrerinnen, die – mit einer Burka verhüllt – Wasser entsorgen, wodurch Keime übertragen und Ge- zusammen mit dem Schulleiter dort saßen und uns das sundheitsrisiken hervorgerufen werden. Schulkonzept vorstellen wollten. Als sie auf unsere Bitte hin die Burka gelüftet haben, sahen wir, dass es sich bei Das sind drei Beispiele; ich könnte viele mehr nen- diesen Lehrerinnen um Mädchen und junge Frauen im nen. Deswegen ist es falsch, zu sagen: Das Glas ist halb Alter von 14, 16 und 17 Jahren handelte. Sie sind es, die leer. Es ist vielmehr halb voll. Nach sechseinhalb Jahren sich für das Bildungssystem in Afghanistan engagieren. können wir eine gute Bilanz ziehen. Diese Mädchen wurden entweder von ihren Vätern abends zu Hause unterrichtet – unter der Talibanherr- Ich war vor drei Wochen bei der Parlamentarischen schaft war es ihnen nämlich nicht möglich, zur Schule zu Versammlung der Westeuropäischen Union und habe das gehen – oder sie hatten während ihres Exils im Iran die Afghanistan-Konzept der Bundesregierung vorgestellt. Möglichkeit, eine Schulausbildung zu absolvieren. Diese Man hat uns dafür gratuliert, dass Deutschland den An- jungen Frauen – wir bilden weitere junge Frauen für satz hat, den Aufbau mit vier Ressorts zu gestalten – mit diese Aufgabe aus – versuchen heute, in Klassen von 50, einem gemeinsamen Ziel, aber in getrennter Verantwor- 70 oder manchmal sogar 100 Schülern Bildung zu ver- tung. Dies funktioniert, und es ist eben nicht so, Herr mitteln. Wir sind dabei eine der führenden Nationen, die Königshaus und Herr Schockenhoff, dass sich die Minis- führende Nation weltweit. Wir sind für den Aufbau von terien gegenseitig behindern. Im Gegenteil, sie stimmen Schulen, die Gestaltung von Entwicklungsprogrammen, ihre Hilfeleistungen aufeinander ab und zeigen damit 18158 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Parl. Staatssekretärin Karin Kortmann (A) eine erfolgreiche Zusammenarbeit, die viel Aufmerk- örtlicher Machthaber sind noch nicht alle entwaffnet und (C) samkeit und Lob verdient. aufgelöst. Kaum gehindert terrorisieren Kriegsfürsten die Zivilbevölkerung; auch das ist uns bekannt. Sie ent- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten führen Frauen und Mädchen. Und in Teilen der Justiz der CDU/CSU) bestimmt immer noch Willkür das Handeln. Nach den Regierungsverhandlungen auf der Paris- Es gibt aber auch Positives, das zur Realität gehört. Konferenz sagten Finanzminister Ahady und Erzie- Neben diesen Defiziten gibt es deutlich erkennbare Er- hungsminister Atmar: Würden alle Staaten so aufgestellt folge, die wir nicht einfach vergessen dürfen: Anders als sein wie der deutsche, dann wären wir längst viele vor 2001 gibt es keine systematischen Menschenrechts- Schritte weiter. – Wir befinden uns in einer partner- verletzungen durch afghanische Behörden mehr. Das be- schaftlichen Zusammenarbeit. Deswegen war die Paris- stätigen uns durch die Bank die internationalen Men- Konferenz so wichtig. Sie war erfolgreich. Danke, Herr schenrechtsorganisationen. Auf der Habenseite ist zu Minister! Das haben Sie klasse gemacht. verbuchen: Demokratisch legitimierte staatliche Struktu- (Beifall bei der SPD) ren konnten inzwischen aufgebaut werden, was ein müh- samer Prozess war; Schulen wurden errichtet – darauf ist Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: schon hingewiesen worden –; Millionen von Kindern ge- hen heute wieder in die Schule, und zwar auch Mädchen, Nächste Rednerin ist die Kollegin Erika Steinbach, für die das zuvor absolut undenkbar war; in den Art. 6 CDU/CSU-Fraktion. und 7 der afghanischen Verfassung von 2004 sind der Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde Erika Steinbach (CDU/CSU): fest verankert; die afghanischen Gesetze verbieten Men- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- schenrechtsverletzungen, und die Pressefreiheit ist eben- legen! Wir stehen im siebten Jahr des Wiederaufbaus falls in die afghanische Verfassung eingegangen. von Afghanistan. Die internationale Gemeinschaft hat seinerzeit in Afghanistan eingegriffen, um die Gewalt- Der wichtigste Indikator für den Fortschritt ist für herrschaft der Taliban zu beenden; wir alle erinnern uns mich aber die Tatsache, dass über 5 Millionen afghani- daran. Jahrzehnte des Krieges hatten in Afghanistan zu sche Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgekehrt sind, unvorstellbaren Zerstörungen nicht nur an Sachen, son- 1 Million allein aus Deutschland, wo sie Zuflucht ge- dern auch an den Seelen der Menschen geführt. Das sucht hatten. Für mich gibt es keinen besseren Beleg für Land war zerrüttet, ein ganzes Volk wirklich traumati- das Vorhandensein von Hoffnung als die Zahl der Rück- siert. Es gab keine wirkliche Zentralgewalt mehr. Gesetze kehrwilligen und der Zurückgekehrten. waren absolut bedeutungslos. Zahlreiche bewaffnete (B) Die Gesellschaft für bedrohte Völker mahnt gerade (D) Gruppen und Splittergruppen kämpften gegeneinander. deshalb völlig zu Recht die Umsetzung des Afghanistan- In der alltäglichen Gewalt in Afghanistan wurden mehr Paktes an. Sie sagt, für die internationale Gemeinschaft als 400 000 Kinder getötet. Mehr als 5 Millionen Men- gebe es keine vernünftige Alternative. Das ist richtig; schen – das ist ein Drittel der Bevölkerung – lebten in denn ein Rückzug von Truppen oder eine schrittweise riesigen Flüchtlingslagern in Pakistan und im Iran; das Verringerung der Aufbauhilfe hätte am Ende nur Chaos muss man sich noch einmal vor Augen führen. Mit dem und weitere schwere Menschenrechtsverletzungen in Af- Erfolg der Mudschaheddin eskalierte die Menschen- ghanistan zur Folge. rechtskrise ein weiteres Mal. Folter und Vergewaltigun- gen waren nun an der Tagesordnung. Sie wissen es und ich weiß es auch, dass es vielen Der Staatengemeinschaft geht es darum, den Men- Menschen in diesem Land am liebsten wäre, wenn schen in Afghanistan so lange zu helfen, bis sie das Land Deutschland sein Engagement in Afghanistan einstellen nach ihren eigenen Maßstäben friedlich weiterentwi- würde, und zwar lieber heute als morgen. Das wäre aber ckeln können und die Fähigkeiten dazu im Lande entwi- sowohl aufgrund der Menschenrechtssituation in Afgha- ckelt haben. Der Staatengemeinschaft und natürlich auch nistan als auch aus innenpolitischen Gründen ein kardi- uns in Deutschland geht es nicht zuletzt darum, eine naler Fehler, einerseits weil eine neue Flüchtlingswelle Brutstätte des Terrorismus, von der auch unser Land be- auch Deutschland erreichen würde und andererseits weil droht ist, dauerhaft auszuschalten. – darüber muss sich jeder im Klaren sein – die Terrorbe- drohung in Deutschland und anderen Ländern dann wie- Inwieweit war das internationale Engagement erfolg- der erheblich steigen würde. reich? Die heutigen Debattenbeiträge haben gezeigt, dass wir alle uns das fragen. Bei der Betrachtung der Re- Unser gemeinsames Ziel muss sein, die Sicherheit zu alität gibt es nichts zu beschönigen; dieser Auffassung stabilisieren und die Einhaltung der Menschenrechte zu bin auch ich. Die Gesellschaft für bedrohte Völker gewährleisten. Das kann aber nur gelingen, wenn wir in mahnt dieser Tage an, dass Menschenrechte und Wieder- unseren Bemühungen jetzt nicht nachlassen. Wir dürfen aufbau in Afghanistan noch immer in Gefahr sind. Die im wahrsten Sinne des Wortes die Flinte nicht einfach deutschen Aufbauhelfer stehen vor ungeheuren Heraus- ins Korn werfen. Die Ergebnisse der Pariser Afghanis- forderungen und Problemen. Die neu aufgestellte afgha- tan-Konferenz sind ein Schritt in die richtige Richtung. nische Armee und die neu aufgestellte afghanische Poli- Danke schön. zei können derzeit noch keine eigenständige, zusätzliche Sicherheit bieten. Das ist so; wir wissen das. Die Milizen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18159

(A) Präsident Dr. : nichts Böses. – Der Außenminister hat sich nun für eine (C) Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der internationale Konferenz, für eine Bestandsaufnahme, Kollege Detlef Dzembritzki, SPD-Fraktion. die im Wesentlichen unseren Vorstellungen entsprach, eingesetzt. Frau Kollegin Koczy, wir hatten dank Ihrer (Beifall bei der SPD) Initiative vor der Konferenz in Paris die Möglichkeit, uns zu positionieren und unsere Bedenken, aber auch un- Detlef Dzembritzki (SPD): sere Erwartungen zu formulieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, heute war Ich kann feststellen, dass zum Beispiel der Bericht für die Diskussion über Afghanistan ein guter Tag im des Gemeinsamen Koordinierungs- und Überwachungs- Parlament. Denn zum ersten Mal haben wir ausführlich rates quasi Bestandteil der Erklärung der internationalen und unabhängig von den Mandaten, die wir hier zu ertei- Konferenz zur Unterstützung Afghanistans geworden len haben, über die Politik der Bundesregierung, des Par- ist, veröffentlicht im Namen der drei Kovorsitzenden, laments und der internationalen Gemeinschaft gespro- Präsident Sarkozy, Präsident Karzai und Generalsekretär chen. Das ist an sich schon ein Wert. Denn wir sollten Ban Ki-moon. Darin wird festgehalten, dass gerade im keine Angst vor Informationen haben, sondern alle In- Bereich der Gesundheitsversorgung, der Bildung und der formationen, die uns zur Verfügung stehen, in die Infrastruktur Erfolge zu sehen sind. Aber er zeigt auch, Öffentlichkeit tragen. Gerade ein Parlament ist dazu bes- dass wir immer noch gewaltige Herausforderungen zu tens geeignet. Unsere kanadischen Kolleginnen und Kol- meistern haben, insbesondere in den Bereichen Rechts- legen haben das mit dem Manley-Bericht und mit der of- staatlichkeit und Rechtsdurchsetzung, Effizienz des fensiven Diskussion in der Öffentlichkeit gezeigt. Statt Regierungshandelns, Entwicklung, Wachstum des Pri- einer Minderheit stimmt nun eine Mehrheit der Afgha- vatsektors sowie persönliche Sicherheit aller Bürger nistan-Politik der kanadischen Regierung zu. Die Regie- Afghanistans. Wir stimmen diesen überzeugenden rung hat die Unterstützung der Bevölkerung. Deswegen Schlussfolgerungen zu. sollten wir uns nicht scheuen, die Öffentlichkeit auch über Kritisches und über Probleme zu informieren. Denn Ich finde, dass es ein beachtliches Ergebnis war, die wir sind doch nicht dort, weil es einfach ist, sondern wir afghanische Regierung, aber auch die internationale Ge- sind dort, weil wir gebraucht werden. meinschaft weiterhin zu verpflichten, sich diesen He- rausforderungen zu stellen. Ich halte es allerdings für (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie notwendig, auch diese Konferenz als Prozess zu sehen, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE als einen Schritt von mehreren Schritten. Nun müssen GRÜNEN) wir schauen, wie die Koordination und Kooperation im internationalen Bereich mit der afghanischen Regierung (B) Deswegen finde ich diese Diskussion wichtig. (D) weiterhin zu verbessern ist, wie Parallelstrukturen abzu- Nun haben wir im Parlament erlebt – es war nicht bauen sind, wie Kohärenz herzustellen ist und wie mit überraschend –, dass sich die Kollegen, die bei Herrn einer vernünftigen Ressourcenplanung umgegangen Lafontaine geklatscht haben, in gewisser Weise der Rea- werden kann und muss. Auch die Diskussion über die in lität verweigern. Sie wollen nicht akzeptieren, welche Afghanistan eingesetzten 5 000 Soldaten und 400 Poli- Probleme dort tatsächlich zu lösen sind. Als der Vor- zisten könnten wir in einem völlig anderen Licht führen, schlag gemacht wurde, Oskar Lafontaine möge doch wenn wir wüssten, welcher Personalbestand und welche einmal nach Afghanistan reisen, dachte ich: Einer der materiellen Ressourcen tatsächlich notwendig sind, da- großen Erfolge und der wesentliche Unterschied zum mit in Afghanistan 80 000 Armeeangehörige voll ein- Irak ist, dass Sie mit Linienmaschinen nach Kabul flie- satzfähig sind. gen können. Sie können ins Reisebüro gehen und einen Flug buchen. In der Regel fliegt man über Dubai oder Wir wollen nicht nur wissen, was zu tun ist, damit Delhi. Das läuft alles nach Fahrplan; das können Sie ma- dort 140 000 Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung ste- chen. Sie können auch innerhalb Afghanistans zum Bei- hen, die einen ausreichenden Ausbildungsstand haben, spiel von Kabul nach Herat fliegen. Das alles geht mit um Schreiben und Lesen zu vermitteln, sondern wir wol- Maschinen, die nicht auf der schwarzen Liste stehen, len auch, dass dies auf der Grundlage eines noch zu sondern seriös sind. schaffenden Bildungssystems geschieht. Wir müssen uns vornehmen, hier weiterhin für Kontinuität zu sorgen und (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE immer wieder zu evaluieren, was tatsächlich geschehen GRÜNEN]: Kann man auch Auto fahren?) ist. Machen Sie das doch einmal! Dann werden Sie erleben, Auch die heutige Diskussion hat gezeigt: Wir müssen dass dieses Land dabei ist, gemeinsam mit der inter- sicherstellen, dass die Hilfe in allen Regionen Afghanis- nationalen Gemeinschaft Schwierigkeiten in den Griff tans ankommt. Im Augenblick ist die Situation wie folgt: zu bekommen. In den Regionen, in denen PRTs sind, ist das Engage- ment besonders groß; die PRTs mancher Länder können Nun ist der Kollege Trittin nicht mehr anwesend. Als zusätzlich sogar noch zivile Hilfe leisten. Dort, wo dies er – sicherlich aufgrund der Oppositionsverpflichtung nicht so ist, werden allerdings schon wieder Reduktio- oder des Oppositionsrituals – meinte, den Außenminister nen vorgenommen. kritisieren zu müssen, fiel mir ein ehemaliger Kollege ein, der mir immer, wenn ich versuchte, Gutmensch zu Wenn man sich die Landkarte Afghanistans ansieht, sein, ironisch sagte: Tu nichts Gutes, dann widerfährt dir stellt man fest, dass es auch Regionen gibt, in denen 18160 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Detlef Dzembritzki (A) überhaupt nichts getan wird. Hier muss die internatio- in Afghanistan – Pariser Konferenz zur kritischen Über- (C) nale Gemeinschaft aktiv werden, vielleicht auch im Rah- prüfung und Kurskorrektur des Afghanistan Compacts men des nationalen Aufbau- und Entwicklungsplans. Je- nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- der Mann und jede Frau in Afghanistan muss spüren, empfehlung auf Drucksache 16/9711, den Antrag der dass etwas unternommen wird und dass sich die Situa- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9428 tion bessert. abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Stimme? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE angenommen. GRÜNEN) Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 3: Auch die regionale Zusammenarbeit spielt eine Rolle. Insbesondere nach den Wahlen in Pakistan sollte man Fragestunde gemeinsam mit den neuen Verantwortungsträgern, zum – Drucksachen 16/9683, 16/9740 – Beispiel in Peschawar, überlegen, wie man abgesehen vom militärischen Engagement, mehr Hilfe und mehr Hierzu mache ich Ihnen folgenden Verfahrensvor- Zusammenarbeit in dieser Region ermöglichen kann. Ich schlag: Die Zeitplanung für den heutigen Nachmittag ist glaube, das sind große Chancen, die wir nutzen müssen. aus bekannten Gründen hinreichend gründlich explo- Denn ohne eine vernünftige regionale Zusammenarbeit diert. Mit Rücksicht auf anderweitige Verpflichtungen – im Zweifel muss man auch versuchen, in dieser Re- und Termine im weiteren Verlauf des Tages scheint es gion mit traditionellen Strukturen für Versöhnung und mir zweckmäßig, aber auch auskömmlich, wenn wir die Verständigung zu sorgen – wird man die friedliche Ent- Dauer der Fragestunde auf eine Stunde begrenzen. wicklung Afghanistans nicht sicherstellen können. (Beifall) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Im Übrigen bin ich angesichts der Zahl der Fragen, die Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP]) schon jetzt freiwillig zur schriftlichen Beantwortung an- gemeldet sind, sogar zuversichtlich, dass wir mit dieser Man muss zur Kenntnis nehmen, dass beide Aspekte Zeit auskommen werden und dennoch all denjenigen, voneinander abhängig sind. die hier sind, Gelegenheit geben können, ihre Fragen zu Ich finde es gut, dass wir heute über dieses Thema stellen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich stelle dazu diskutieren. Unabhängig von den Mandaten sollten wir einen breiten Konsens im Hause fest. Dann ist das so be- in Zukunft, auch zur Information der Öffentlichkeit, re- schlossen. gelmäßig im Parlament über die Fortschritte und die Er- Zu Beginn der Fragestunde kommen wir zu den folge in Afghanistan diskutieren. (B) dringlichen Fragen auf Drucksache 16/9740. Sie betref- (D) Vielen Dank. fen den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Günter Gloser zur (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Verfügung. bei Abgeordneten der FDP) Ich rufe die dringliche Frage 1 der Kollegin Kerstin Müller auf: Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Debatte. Wie stellt sich in Simbabwe die Sicherheitslage für den Oppositionsführer Morgan Tsvangirai dar, der aus Angst vor Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- gewaltsamen Übergriffen in die niederländische Botschaft in ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Harare geflohen ist? Drucksache 16/9692. Wer stimmt für diesen Entschlie- Bitte schön, Herr Staatsminister. ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abge- Günter Gloser, Staatsminister für Europa: lehnt. Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Müller, in Abän- Wir kommen zur Abstimmung über Zusatzpunkt 2. derung der ursprünglich vorbereiteten Antwort kann ich Hier geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschus- sagen, dass ich eben in den Tickermeldungen gelesen ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- habe, dass Herr Tsvangirai die niederländische Botschaft lung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Harare verlassen hat mit dem Titel „Entwicklung in Afghanistan – Strategien für eine wirkungsvolle Aufbauarbeit kohärent umset- (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE zen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- GRÜNEN]: Vorübergehend!) fehlung auf Drucksache 16/9685, den Antrag der Frak- – so lauten die Presseinformationen – und angekündigt tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8887 hat, eine Presseerklärung über das weitere Vorgehen ab- abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- zugeben. Der Bundesminister des Auswärtigen, lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dr. Frank-Walter Steinmeier, hat an die Machthaber in Diese Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenom- Harare appelliert, von Gewalt und Einschüchterung als men. Mitteln der Politik abzulassen und Rahmenbedingungen Beim Zusatzpunkt 3 geht es um die Beschlussempfeh- zu schaffen, unter denen die Menschenrechte geachtet lung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Frak- werden und eine wirtschaftliche Entwicklung möglich tion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Staatsaufbau wird. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18161

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: die Ansätze in der Region, eine Regierung der nationa- (C) Zusatzfrage, Frau Kollegin Müller. len Einheit zu bilden, wie es auch der Präsident Süd- afrikas, Mbeki, vorgeschlagen hat. Tsvangirai hat die Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bildung einer Regierung der nationalen Einheit nicht NEN): von vornherein ausgeschlossen. Tsvangirai hat, wie eben Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung für den schon erwähnt, unter den gegenwärtigen Umständen Fall, dass Mugabe am ursprünglichen Wahltermin, dem seine Kandidatur bei der Wahl am 27. Juni 2008 zurück- kommenden Freitag, sich auch ohne Stichwahl zum Sie- gezogen. ger erklären wird, die Regierung Mugabe nicht anerken- Die aktuellen Äußerungen Mugabes zeigen, dass nen, wie es auch die USA heute angekündigt haben? Mugabe an der Stichwahl – wenn man das überhaupt so nennen kann – mit ihm als einzigem Kandidaten festhält. Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Eine solche „Stichwahl“ zum jetzigen Zeitpunkt ent- Wir haben schon im Vorfeld gesagt, dass die ange- spricht aus Sicht der Bundesregierung in keiner Hinsicht setzte Stichwahl eine Farce ist. Nachdem Herr Mugabe demokratischen Prinzipien; sie ist – ich habe es vorhin sich bis jetzt nicht bewegt hat und auf kritische Stimmen schon erwähnt – eine Farce. Die Bundesregierung for- nicht eingegangen ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass dert einen demokratisch legitimierten Politikwechsel. seine Regierung anerkannt werden könnte. Dazu sind Wahlen erforderlich, die unter freien und fai- ren Rahmenbedingungen stattfinden. Eine Verschiebung der Wahlen ist daher unabdingbar. Eine Regierung der Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nationalen Einheit ohne Mugabe wäre wünschenswert. NEN): Ihre vorrangige Aufgabe wäre dann allerdings die Vor- Werden Sie mit dieser Position im Vorfeld der Wahl bereitung fairer Wahlen. auf die europäischen Partner zugehen? Es könnte ja ein Signal an Mugabe sein, wenn im Vorfeld klargemacht wird, dass wir seine Regierung in diesem Fall nicht aner- Präsident Dr. Norbert Lammert: kennen werden. Bitte schön, Frau Kollegin Müller.

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir führen zurzeit Gespräche auf der europäischen NEN): Ebene, mit welchen Maßnahmen die Europäische Union Herr Staatsminister, diese Resolution des UN-Sicher- den Vorgängen in Simbabwe begegnen kann. Ich denke, heitsrates enthält weder Vorschläge für Maßnahmen noch irgendeine Verurteilung Mugabes. Ich kann deshalb (B) diese Position wird eine Grundlage dafür sein. (D) überhaupt nicht nachvollziehen, dass die Bundesregie- rung hier von einem Sinneswandel der afrikanischen Präsident Dr. Norbert Lammert: Partner ausgeht. Ich rufe die dringliche Frage 2 der Kollegin Müller auf: Wie gedenkt die Bundesregierung Druck auf den süd- Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus dem afrikanischen Präsidenten Mbeki und die Staatschefs der jüngsten VN-Sicherheitsratsbeschluss zu Simbabwe, und SADC auszuüben – beispielsweise bei dem anstehenden sieht sie kurzfristig weitere Lösungsansätze zur Deeskalation G-8-Gipfel in Japan? Die Bundeskanzlerin hat immer in Simbabwe? wieder betont, dass Afrika auch dort ein Kernthema ist.

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Die Bundesregierung begrüßt die Präsidenzielle Er- Noch einmal: Wir haben festzustellen, dass sich eine klärung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom gewisse Bewegung ergeben hat. Auch die von uns si- 23. Juni 2008, in der die Gewalt in Simbabwe verurteilt cherlich nicht befürwortete Vorgehensweise des südafri- wird. Nicht zuletzt die Zustimmung Südafrikas zu dieser kanischen Präsidenten hat das in den letzten Tagen ge- Erklärung zeigt einen Stimmungswandel innerhalb der zeigt. Andere haben sich ebenfalls bewegt, und es finden afrikanischen Staaten. weiterhin Gespräche statt. Die zur zweiten Runde der Stichwahl am 27. Juni Wir werden auf allen diplomatischen Kanälen versu- 2008 bereits angereisten Wahlbeobachter der Afrikani- chen, darauf einzuwirken, dass entsprechende Rahmen- schen Union und der Südafrikanischen Entwicklungsge- bedingungen geschaffen werden, wie ich das vorhin meinschaft, SADC, haben sich selbst ein Bild von der ausgeführt habe. Auch der G-8-Gipfel könnte mögli- Lage im Lande machen können. Sie haben die Gewalt cherweise eine Gelegenheit dafür bieten. gegenüber Anhängern der Opposition, aber auch gegen- über einfachen Bürgern kritisiert. Das sehen wir insge- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- samt positiv. Wir haben den Eindruck, dass sich Europa NEN): und die USA sowie die Afrikanische Union und die Süd- Ich habe eine zweite Zusatzfrage. – Noch einmal: afrikanische Entwicklungsgemeinschaft in der Sim- Mein Eindruck ist ganz klar, dass vor allen Dingen babwe-Frage auf eine gemeinsame Position zubewegen. Mbeki in Südafrika mit Samthandschuhen angepackt Deeskalation bleibt nur dann möglich, wenn man im wird. Das gilt auch für die SADC, die sogar noch finan- Gespräch bleibt. Die Bundesregierung unterstützt daher ziell unterstützt wird. 18162 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Kerstin Müller (Köln) (A) Nach den Einschätzungen von Experten, die heute Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) von Mitgliedern Ihrer Fraktion im Ausschuss geäußert Zusatzfrage, Herr Kollege Hofreiter. worden sind, könnte man Mugabe durch Sanktionen der umliegenden Länder innerhalb weniger Wochen – ein Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bis zwei Wochen – zu einer Umkehr zwingen. Wann än- NEN): dern die Bundesregierung und die EU endlich ihre Hal- Vielen Dank, Herr Präsident. Ich danke auch für die tung, indem sie einen entsprechenden Druck auch auf nette Ansage am Anfang. Mir ist im politischen Bereich die Nachbarstaaten ausüben? schon vieles vorgeworfen worden, aber Unauffälligkeit eigentlich noch nie. Das freut mich also. Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Frau Müller, ich darf noch einmal sagen, dass wir eine Präsident Dr. Norbert Lammert: Bewegung haben feststellen können, auch bei dem süd- Sie sehen, dass man in seiner politischen Biografie afrikanischen Präsidenten. Sie reicht aber nicht aus. Ge- immer wieder mit Überraschungen rechnen muss. rade auf der europäischen Ebene sind wir mit den Part- (Heiterkeit der Abg. Iris Gleicke [SPD]) nern in der Europäischen Union dabei, zu überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, auf die Regierung in Sim- Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- babwe einzuwirken. NEN): Es ist notwendig, dass zuerst aus Afrika bzw. aus der Wie gesagt: Es freut mich, dass immer wieder etwas Region selbst heraus Druck auf Herrn Mugabe herbeige- Neues dabei ist. führt wird. Vielleicht ist es möglich, dass wir uns diesbe- Sehr geehrter Herr Staatssekretär, mich freut auch züglich in dieser Woche in Brüssel verständigen können. Ihre Nachricht. Angesichts der Tatsache, dass es jetzt eine Einigung gibt, würde mich einfach interessieren, Präsident Dr. Norbert Lammert: wie die Einigung ausschaut. Wären Sie in der Lage, kurz Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Ich bedanke die wichtigsten Punkte darzustellen? mich für die Beantwortung. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Wir kommen jetzt zu den übrigen Fragen für die heu- desministerin der Justiz: tige Fragestunde, die in der Ihnen bekannt gemachten Herr Hofreiter, ich kann Ihnen dazu Folgendes sagen: Reihenfolge aufgerufen werden. Es gibt gewisse Gepflogenheiten. Dazu gehört, dass die beteiligten Ressorts als Erste Informationen bekommen. (B) Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des Dafür bitte ich um Verständnis. Ich kann Ihnen aber mit- (D) Bundesministeriums der Justiz. Hier ist der Parlamenta- teilen, dass sich der Referentenentwurf sehr eng an die rische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Beantwor- europäische Verordnung für Fahrgastrechte, die Sie si- tung erschienen. cherlich kennen, anlehnt. Die Fragen 20 und 21 des Kollegen Hofreiter können wir in Ermangelung seiner Anwesenheit – – Präsident Dr. Norbert Lammert: Weitere Zusatzfrage, Herr Hofreiter. (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Er ist doch hier!) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Entschuldigung. Ich bitte um Nachsicht. NEN): Dann ist es umso spannender, festzustellen, dass man- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ches – zum Beispiel, dass man sich auf eine Stunde statt NEN]: So unauffällig bin ich nicht!) einer halben Stunde geeinigt hat – schon in der Zeitung zu lesen war. Wenn das schon Vertreter der Regierungs- Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Hofreiter auf: fraktionen via Pressemitteilungen an die Zeitungen wei- Bei welchen Sachfragen besteht bei der Erarbeitung des tergeben konnten und diese Pressemitteilungen auch auf Gesetzentwurfs in Sachen Fahrgastrechte unter den beteilig- der Homepage von Regierungsfraktionen zu finden sind, ten Bundesministerien noch kein Einvernehmen, und wann dann sind Sie sicherlich in der Lage, das hier zu referie- kann mit der Vorlage eines Referentenentwurfs gerechnet werden? ren. Wenn man es an die Regierungsfraktionen weiterge- ben konnte oder wenn in Ihrem Ministerium nicht dicht- gehalten wird, dann können Sie es auch dem Hohen Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Hause zur Kenntnis geben. desministerin der Justiz: Herr Hofreiter, meine Antwort lautet: Inzwischen be- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- steht unter den beteiligten Ministerien Einvernehmen desministerin der Justiz: über die grundsätzliche Ausgestaltung des Fahrgastrech- Würden Sie das als Frage ansehen, Herr Präsident? tegesetzes. Der Referentenentwurf wird noch im Juni 2008, also in dieser Woche, an die Ressorts und sodann Präsident Dr. Norbert Lammert: an die beteiligten Kreise versandt werden. Er geht dann Ja. selbstverständlich auch den im Bundestag vertretenen Fraktionen zu. (Heiterkeit im ganzen Hause) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18163

(A) Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) desministerin der Justiz: Die Großzügigkeit scheint heute Nachmittag kaum Herr Hofreiter, wie vorsichtig man mit Pressemeldun- noch überboten werden zu können. Jetzt werden wir se- gen sein muss, sehen Sie an der gestrigen Meldung, als hen, ob sich das auch bei der nächsten Frage bestätigt. die gesamte Presse meinte, Beck habe in der SPD-Frak- Wir kommen zu Frage 21: tionssitzung seinen Rücktritt angekündigt. Ich war in der betreffenden Sitzung anwesend, ebenso wie Herr Krüger Wie bewertet die Bundesregierung die Erfahrungen der bisherigen außergerichtlichen Schlichtung im Bereich der und Frau Gleicke. Fahrgastrechte, und wie gedenkt die Bundesregierung die au- ßergerichtliche Schlichtung gesetzlich zu regeln? (Zuruf von der FDP: War das so?) – Das war nicht so. Insofern muss man mit solchen Mit- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- teilungen sehr vorsichtig umgehen. Entweder hat der In- desministerin der Justiz: formant nicht richtig zugehört, oder der Redakteur hat Meine Antwort lautet wie folgt: Die Erfahrung mit möglicherweise nicht richtig recherchiert. der Schlichtungsstelle Mobilität sind im Bereich des Ei- senbahnverkehrs positiv, da Streitigkeiten erfolgreich Ich kann als Mitglied der Bundesregierung keine Ga- durch die Schlichtungsstelle Mobilität beigelegt werden. rantie dafür übernehmen, was meine Kolleginnen und Weitere Einzelheiten über die gesetzliche Verankerung Kollegen aus der Regierungskoalition nach außen mittei- der Schlichtung werden Gegenstand der bevorstehenden len. Daraus, dass der Referentenentwurf – wie ich eben Ressortabstimmungen über den Referentenentwurf sein. ausgeführt habe – sehr eng an die europäische Verord- nung für Fahrgastrechte angelehnt ist, können Sie aber Präsident Dr. Norbert Lammert: schließen, um welche Zeiten es geht, nämlich bis 60 Mi- nuten und über 60 Minuten. Jetzt sind Sie sicherlich sehr Bitte, Herr Hofreiter. zufrieden. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie haben darauf hingewiesen, dass die Einzelheiten Jedenfalls werden Sie, Herr Kollege Hartenbach, si- im Referentenentwurf dargelegt werden. Können Sie uns cherlich sehr zufrieden sein, wenn ich Ihnen ausdrück- etwas näher erläutern, wie das im Detail ausschauen lich versichere, dass ich Ihre Stellungnahme nun auch wird, oder geht auch das erst an die Regierungsfraktio- als Antwort auf die gestellte Frage im Sinne der Ge- nen und dann an die übrigen Ministerien? schäftsordnung betrachte. (B) (D) Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz: desministerin der Justiz: Wie soll das im Detail ausschauen? Wir haben schon Ich bedanke mich sehr herzlich, Herr Präsident. jetzt die Schlichtungsstelle Mobilität, die Ende 2009 ausläuft. – Damit nehme ich die Frage von Frau Maisch vorweg. Sind Sie damit einverstanden? Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Kollegin Maisch wollte dazu noch eine Zusatz- (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- frage stellen. NEN]: Bitte!)

Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Präsident Dr. Norbert Lammert: Unter Aufrechterhaltung der Zusatzfragen können wir Danke, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, Sie ha- so verfahren. ben von 60 Minuten gesprochen. Geht die Bundesregie- rung also davon aus, dass bei einer Verspätung unter Ich rufe damit Frage 22 auf: 60 Minuten – zum Beispiel bei 58 Minuten – dem Fahr- Wie bewertet die Bundesregierung eine verkehrsträger- gast kein Schaden entstanden ist, für den er zu entschädi- übergreifende außergerichtliche Schlichtung im Bereich der gen wäre? Fahrgastrechte, und wie soll die außergerichtliche Schlichtung finanziert werden?

Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz: desministerin der Justiz: Verehrte Frau Maisch, es ist in der Tat so, dass da- Wie Sie wissen, läuft die Schlichtungsstelle Mobilität durch kein Schaden entstanden ist. Im Nahverkehr ist Ende 2009 aus. Damit endet die Förderung. Wir stellen das etwas anders, wie Sie wissen. Aber darüber können uns eine Schlichtungsstelle – ähnlich dem Ombudsmann wir uns später unterhalten. Seien Sie beruhigt: Nächste im Versicherungswesen – vor, die von allen Verkehrsträ- Woche haben Sie den Referentenentwurf auf dem Tisch. gern – Schiene, Luft – gemeinsam getragen wird. Ich muss mich korrigieren, Herr Präsident: ab 60 Mi- nuten und ab 120 Minuten. Das habe ich eben falsch dar- Präsident Dr. Norbert Lammert: gestellt. Ich bitte auch Herrn Hofreiter um Nachsicht. Eine weitere Zusatzfrage. 18164 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

(A) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- (C) NEN): desministerin der Justiz: Das heißt, sie wird von beteiligten Unternehmen und Mein Herz ist voll. Ich könnte unglaublich viel ant- nicht mehr von einer unabhängigen Stelle getragen. worten.

Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Präsident Dr. Norbert Lammert: desministerin der Justiz: Das habe ich befürchtet. Das ist eine unabhängige Stelle. Ich habe von einem Ombudsmann gesprochen. Das ist eine Stelle, die zwar Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Bundesminis- von den Unternehmen finanziert wird, die aber unabhän- teriums der Justiz. Ich rufe die Frage 23 des Kollegen gig ist und frei entscheiden kann. Wir haben ja – – Da- Beck (Köln) auf: nach können Sie noch fragen; das ist besser. Welche der folgenden Positionen zu der von der Europäi- schen Kommission beabsichtigten neuen Rahmenrichtlinie für Präsident Dr. Norbert Lammert: einen umfassenden Schutz vor Diskriminierung ist die gültige und auch in Brüssel vertretene Position der Bundesregierung: Die Innovationskraft dieser Veranstaltung nimmt a) die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales berichtete ständig zu. Jetzt regt die Regierung schon die Fragen an, Position, nach der die Bundesregierung der Initiative „ableh- die die Kollegen gegebenenfalls stellen können. nend“ gegenübersteht (Unterrichtung gegenüber dem Ausschuss für Arbeit und Soziales vom 22. April 2008, Ausschussdruck- (Heiterkeit) sache 16[11]951), b) die ablehnende Haltung der Bundes- kanzlerin, die laut FA Z vom 13. Juni 2008 beim Kommis- Frau Kollegin Maisch, möchten Sie die Frage stellen, sionspräsidenten José Manuel Barroso gegen ein solches die der Kollege Hartenbach am liebsten beantworten Vorhaben interveniert hat, oder c) die abwartend-neutrale Hal- möchte? tung, die mir die Bundesministerin der Justiz im Nachtrag zu der Fragestunde am 28. Mai 2008 in einem Schreiben vom 11. Juni 2008 mitgeteilt hat – „Die Bundesregierung möchte Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sich derzeit dazu nicht äußern, sondern wird insgesamt Stel- Danke, Herr Präsident. – Was der Staatssekretär gerne lung nehmen, wenn die EU-Kommission Vorschläge für eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie vorlegt“ –, und wie beur- möchte, kann ich von hier aus nicht genau sehen. Ich teilt die Bundesregierung die Vorschläge in der Entschließung möchte jedenfalls eine Antwort auf folgende Frage ha- des Europäischen Parlaments vom 20. Mai 2008 zu den Fort- ben: Wird der VCD, der bislang die Schlichtung verant- schritten in Bezug auf Chancengleichheit und Nichtdiskrimi- wortlich mitgetragen hat, weiterhin eine wichtige Rolle nierung in der EU mit der Vorgangsnummer 2007/2202(INI) – Kriterien, Maßnahmen – im Einzelnen (der endgültige Be- im Rahmen des neuen Modells spielen, wenn es denn schluss hat die Nummer P6_TA[2008]0212)? (B) eine Art Ombudsmann gibt? (D) Bitte, Herr Staatssekretär. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz: Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Frau Maisch, diese Frage kann ich Ihnen weder mit Ja desministerin der Justiz: noch mit Nein beantworten. Wir werden dies noch prü- Herr Beck, soll ich alles vorlesen, wonach Sie gefragt fen und ausgestalten. Auch hier werden die beteiligten haben? Ressorts noch ein Wort mitreden. Präsident Dr. Norbert Lammert: Präsident Dr. Norbert Lammert: Nein. Gibt es weitere Fragen? – Das ist nicht der Fall.

Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz: desministerin der Justiz: Frau Maisch hatte, glaube ich, noch eine Frage. Okay, Herr Präsident. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Präsident Dr. Norbert Lammert: GRÜNEN]: Die Zuschauer wird es sicherlich Danach hatte ich gerade gefragt. interessieren zu hören, dass die Bundesregie- rung zu diesem Thema keine einheitliche Mei- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- nung hat!) desministerin der Justiz: Die genannten Positionen zu der neuen, auf uns zu- Das hat sich also erledigt. Vielen Dank. – Man kann kommenden Antidiskriminierungsrichtlinie geben in der nie wissen, Herr Präsident. Tat die Haltung der Bundesregierung zutreffend wieder. Die Bundesregierung steht dem Vorhaben einer neuen Präsident Dr. Norbert Lammert: Antidiskriminierungsrichtlinie sehr skeptisch gegenüber. Herr Kollege Hartenbach, Sie haben das, was gefragt Dies hat sie gegenüber der Kommission deutlich ge- wurde, einschließlich dessen, was vielleicht hätte gefragt macht. Ihre endgültige Haltung zu den konkreten Vor- werden können, so erschöpfend beantwortet, dass es kei- schlägen der Kommission will die Bundesregierung erst nen Raum mehr für Zusatzfragen gab. festlegen, wenn diese Vorschläge vorliegen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18165

Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach (A) Zu Ihrer Frage nach der Entschließung des Europäi- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- (C) schen Parlaments vom 20. Mai hat die Frau Ministerin desministerin der Justiz: Ihnen bereits am 11. Juni schriftlich mitgeteilt: Herr Präsident, das ist eine neue Baustelle. Es geht hier um das bereits in Kraft gesetzte AGG. Herr Beck Die Bundesregierung hat zur Kenntnis genommen, fragt, wie wir uns verhielten, wenn wir die Rügen, die dass das Europäische Parlament sich in seiner Sit- die Europäische Kommission ausgesprochen hat, ernst zung vom 20. Mai 2008 mehrheitlich für eine um- nähmen. Wir nehmen alle Rügen ernst. Das hat nichts fassende neue Antidiskriminierungsrichtlinie mit mit der neuen Antidiskriminierungsrichtlinie zu tun, zu einem breiten horizontalen Ansatz, der alle Merk- der die Hauptfrage gestellt wurde. male und möglichst alle Lebensbereiche erfasst, ausgesprochen hat. Diese Auffassung des Europäi- schen Parlaments teilt die Bundesregierung nicht. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es tut mir leid, von Rügen habe ich überhaupt nicht Ende des Zitats. gesprochen. Ich habe nicht gefragt, was Sie sowieso um- setzen müssen, weil Sie mit Ihrem Gesetz vier Vertrags- Präsident Dr. Norbert Lammert: verletzungsverfahren am Hals haben, sondern ich habe Bitte schön. gefragt, was wir tun müssten, wenn die Forderungen des Europäischen Parlaments, die sich auf die Richtlinie be- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ziehen – das sind vier Ziffern in der etwas länglichen Das sorgt zumindest für Klarheit. Sie müssen aber Resolution; diese habe ich in der Grundfrage zitiert, vielleicht der Bundesjustizministerin erklären, warum weshalb es möglich sein wird, sie nachzulesen –, Richtli- Sie mir gerade das glatte Gegenteil geantwortet haben. nienrecht würden. Gäbe es dann einen Umsetzungsbe- darf – und, wenn ja, welchen – für den deutschen Ge- setzgeber beim AGG, um beurteilen zu können, ob die Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Haltung der Bundesregierung, das abzulehnen, was uns desministerin der Justiz: vielleicht gar nichts abverlangt, überhaupt einen rationa- Nein, das habe ich eben nicht gesagt. len Kern hat? Um diese Frage beurteilen zu können, bräuchte man diese Rechtsauskunft vom zuständigen Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bundesjustizministerium, das ja rechtlich immer gut ge- Sie hat gesagt: Die Bundesregierung möchte sich wappnet ist und uns deshalb das erschöpfend beantwor- dazu zurzeit nicht äußern, sondern wird erst Stellung ten kann. nehmen, wenn die EU-Kommission Vorschläge für eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie vorlegt. Nun sagen (B) Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- (D) Sie: Die Vorschläge, die das Europäische Parlament in desministerin der Justiz: der Sache macht, lehnt die Bundesregierung ab. Wir sind rechtlich immer gut gewappnet. Da haben Es scheint also nicht nur innerhalb der Bundesregie- Sie recht. Sie dürften aber auch wissen, dass heute nicht rung, sondern auch im Bundesjustizministerium ver- Fragen an das Bundesjustizministerium, sondern Fragen schiedene Auffassungen bezüglich der Haltung der Bun- an die Bundesregierung beantwortet werden. Die Bun- desregierung zu geben. Das finde ich interessant. Welche desregierung hat diesbezüglich noch keine abgestimmte Auffassung vertritt denn die Bundesregierung im Einzel- Haltung. Wenn die Bundesregierung eine abgestimmte nen zu den Vorschlägen, die in der Entschließung des Haltung hat, dann werden Sie diese erfahren. Europäischen Parlaments gemacht wurden, insbesondere zu den Punkten 34 bis 38? Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe nicht nach der Haltung der Bundesregierung, Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- sondern nach der rechtlichen Umsetzung gefragt. desministerin der Justiz: Herr Beck, ich habe Ihnen eben mitgeteilt, wie wir Präsident Dr. Norbert Lammert: uns verhalten haben und verhalten werden. Zu den ein- Herr Kollege Beck, nachdem ich schon eine dritte Zu- zelnen Punkten werden wir dann eine abgestimmte Stel- satzfrage in der sprichwörtlichen Großzügigkeit, die mir lungnahme der Bundesregierung abgeben, wenn wir so- nachgesagt wird, zugelassen habe, möchte ich es mit die- weit sind. ser ohnehin ja offenkundig vorläufigen Auskunft der Bundesregierung zu der gestellten Frage 23 gerne be- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wenden lassen. Welchen rechtlichen Änderungsbedarf beim Allge- meinen Gleichbehandlungsgesetz würde denn die Bun- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE desregierung sehen, nähme man die Forderung des Euro- GRÜNEN]: Wenn Sie mal bei der Nichtbeant- päischen Parlaments ernst, was die Bundesregierung wortung der Fragen nicht so großzügig mit der offensichtlich nicht tut? Würde die Bundesregierung Bundesregierung wären!) überprüfen, ob sich daraus Änderungsbedarf für das Zi- Manches spricht für die Vermutung, dass wir auf das vilrecht ergibt, angesichts der Tatsache, dass wir in Thema zurückkommen werden. Deutschland bereits horizontal umgesetzt haben, obwohl uns womöglich erst die kommende Richtlinie dazu zwin- Ich bedanke mich bei Herrn Hartenbach für die Be- gen würde? antwortung der an ihn gerichteten Fragen. 18166 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesminis- treffen, hier im Plenum nichts sagen darf. Insofern muss (C) teriums der Finanzen auf. Hier steht Frau Parlamentari- ich Sie auch bei dieser Frage leider wieder auf diesen sche Staatssekretärin Kressl zur Beantwortung zur Ver- rechtlichen Umstand hinweisen. fügung. Die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Koppelin Präsident Dr. Norbert Lammert: werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 27 des Kollegen Schäffler: Trifft es zu, dass die Geschäftsführer der Bundesrepublik Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Schäffler auf: Deutschland – Finanzagentur GmbH sich gegen eine Verlän- Trifft es zu, dass die Liquiditätslinie der Bundesrepublik gerung bzw. gegen eine volle Ausschöpfung dieser Liquidi- Deutschland – Finanzagentur GmbH gegenüber der IKB tätslinie ausgesprochen haben, und steht das Ausscheiden der Deutsche Industriebank AG in Höhe von 500 Millionen Euro Geschäftsführer der Finanzagentur GmbH zum 31. Dezember erst nach Bekanntwerden der IKB-Krise im August 2007 voll 2007 bzw. zum 30. April 2008 in einem Zusammenhang hier- ausgeschöpft wurde, und inwieweit hat das Bundesministe- mit? rium der Finanzen hierauf Einfluss genommen? Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun- desminister der Finanzen: desminister der Finanzen: Nein, die Unterstellung in Ihrer Frage trifft nicht zu. Herr Präsident! Herr Kollege Schäffler, es ist richtig, Die Aufrechterhaltung des Limits für Geldanlagen der dass das für die IKB gültige und mit dem BMF abge- Finanzagentur bei der IKB erfolgte vielmehr in enger stimmte Limit für Geldanlagen der Finanzagentur bei Absprache mit der Geschäftsführung der Finanzagentur. der IKB im Monat August 2007 voll ausgeschöpft Das Ausscheiden der Geschäftsführer steht dementspre- wurde. Auf den Abschluss dieses Geschäfts hat das chend nicht im Zusammenhang mit der IKB-Trans- BMF keinen Einfluss genommen. Insofern darf ich Sie aktion. auf die Antworten, die ich bereits in der vorletzten Sit- zungswoche gegeben habe, verweisen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Es trifft nicht zu, dass das mit dem BMF abgestimmte Herr Schäffler. Limit für Geldanlagen der Finanzagentur bei der IKB erstmalig im Monat August 2007 voll ausgeschöpft Frank Schäffler (FDP): wurde. Je nach Marktlage und gebotenen Konditionen Sie haben in Ihrer Antwort auf eine andere Frage von hat die Finanzagentur auch in der ersten Hälfte des Jah- mir darauf hingewiesen, dass die Kreditlinie aus besi- res 2007 sowie in den Vorjahren das Limit für Geldanla- cherten und unbesicherten Linien bestand. Wie hoch war gen der Finanzagentur bei der IKB hin und wieder voll (B) der Bereich der unbesicherten Kreditlinien der Finanz- (D) bzw. nahezu voll ausgeschöpft. agentur an die IKB?

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Bitte schön, Herr Schäffler. desminister der Finanzen: Herr Kollege, zuerst müssen Sie mir erlauben, dass Frank Schäffler (FDP): ich darauf hinweise, dass der Begriff Kreditlinie nicht Der zweite Teil meiner Frage bezog sich darauf, ob stimmt, weil eine Kreditlinie fachlich etwas anderes ist. das Finanzministerium auf die Ausschöpfungen Einfluss (Frank Schäffler [FDP]: Sie selbst haben häufig genommen hat. unterschiedliche Begriffe gewählt!)

Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun- – Ich mache das nicht aus Besserwisserei, sondern weil desminister der Finanzen: das fachliche Hintergründe hat. Deswegen ist mir das Herr Kollege Schäffler, ich fürchte, Sie haben mir wichtig. – Kreditlinien können Sie einfach anfordern. In nicht zugehört; denn ich habe gesagt, das BMF habe da- diesem Fall geht es um ein mit dem BMF abgestimmtes rauf keinen Einfluss genommen und Sie dazu auch noch Limit zur Ausschöpfung von unbesicherten Anlagen. auf meine Antwort auf die gleiche Frage in der vorletz- ten Sitzungswoche verwiesen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Weitere Zusatzfrage? Frank Schäffler (FDP): Gut, dann will ich etwas anderes in diesem Zusam- Frank Schäffler (FDP): menhang fragen. Trifft es zu, dass die IKB innerhalb der Sie haben auf eine andere Frage geantwortet, dass das letzten zwei Monate ausstehende Forderungen verkauft sowohl aus besicherten als auch aus unbesicherten Anla- bzw. abgetreten hat, und, wenn ja, an wen? gen bestand. Jetzt sagen Sie mir, dass es ausschließlich unbesicherte sind. Ist das richtig? Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun- desminister der Finanzen: Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Herr Kollege Schäffler, Sie wissen – auch das haben desminister der Finanzen: wir hier mehrfach erörtert –, dass ich zu Einzelheiten, Herr Kollege, wir hatten schon das letzte Mal sehr die die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der IKB be- ausführlich darüber gesprochen. Sie müssen zwischen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18167

Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl (A) dem Limit, das es für Geldanlagen gibt und das mit dem an einer baldigen Unterzeichnung des Staatsvertrags so- (C) BMF abgestimmt wird, und der Entscheidung der wie dessen Ratifizierung interessiert. Finanzagentur, welche Formen von Anlagen sie trifft, welche nicht in Absprache mit dem BMF, sondern in Präsident Dr. Norbert Lammert: eigener Verantwortung der Finanzagentur erfolgen, un- Bitte schön. terscheiden. Das Limit, das mit dem BMF abgestimmt ist – es ist öffentlich bekannt, dass wir in diesem Fall von 500 Millionen Euro reden –, gibt Freiraum für die Lutz Heilmann (DIE LINKE): Ausschöpfung von unbesicherten Anlagen in diesem Be- Herr Staatssekretär, mir liegen die Kieler Nachrichten reich. von gestern vor. Darin wird die Staatssekretärin im Kie- ler Wirtschaftsministerium, Karin Wiedemann, zitiert. Danach laufen die Abstimmungen auf Hochtouren. Nach Präsident Dr. Norbert Lammert: Äußerungen von Herrn Austermann bzw. der Landesre- Wir kommen zu den Fragen 28 und 29. Den Kollegen gierung laufen die Vorbereitungen für die Unterzeich- Thiele habe ich aber nicht im Saal gesehen. Es wird ver- nung auf Hochtouren und wird der Vertrag nächsten fahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Montag, in fünf Tagen, tatsächlich unterzeichnet. Frage 30 des Kollegen Gerhard Schick und die Frage 31 der Kollegin Veronika Bellmann werden schriftlich be- Seit letzter Woche ist Sommer, und demnach liegt antwortet, die Fragen 32 und 33 der Kollegin Höll eben- Montag, der 30. Juni, im Sommer und damit in dem von falls. Auch die Fragen 34 und 35 der Kollegin Gesine Ihnen genannten Zeitraum. Deshalb meine ganz kon- Lötzsch werden schriftlich beantwortet, sodass wir am krete Frage: Steht im Terminkalender des Bundesver- Ende dieses Geschäftsbereiches sind. kehrsministers oder eines seiner Staatssekretäre inner- halb der nächsten zwei Wochen ein Treffen mit der Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- dänischen Verkehrsministerin oder einem ihrer Stellver- ministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die einge- treter? Wenn ja, an welchem Tag ist dieses Treffen ge- reichten Fragen 36 bis 38 sollen schriftlich beantwortet plant? Ist dabei vielleicht sogar beabsichtigt, den Staats- werden. vertrag schon zu unterzeichnen? Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bun- Ich bitte Sie, die erste Teilfrage eindeutig mit Ja oder desministeriums für Arbeit und Soziales. Da kann ich Nein zu beantworten. die gleiche Lage melden. Die eingereichten Fragen 39 bis 44 sollen alle schriftlich beantwortet werden. Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes- (B) desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: (D) ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Auf eine Frage mit Ja oder Nein zu antworten, ist, wie Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats- Sie wissen, so eine Sache. Das würde voraussetzen, dass sekretär Großmann zur Verfügung. Sie eine einfache Frage gestellt haben. Für die Frage ha- Ich rufe die Frage 45 des Kollegen Lutz Heilmann ben Sie aber schon sehr viel Zeit gebraucht. Deshalb will auf: ich Ihnen lieber differenzierter antworten. Wieso hat die Bundesregierung am 11. Juni 2008 auf meine Vielleicht muss ich einmal erläutern, was es bedeutet, schriftliche Frage 65 auf Bundestagsdrucksache 16/9554 ge- wenn man einen Staatsvertrag verhandelt, paraphiert antwortet, dass es bezüglich der ursprünglich für Ende 2007 angestrebten Unterzeichnung des deutsch-dänischen Staats- – im Grunde braucht man ihn nicht einmal zu paraphieren – vertrages zum geplanten Bau einer festen Fehmarnbelt-Que- und unterzeichnet: rung „noch Abstimmungen und formaler Prüfungen“ bedarf und ein „Termin für die Unterzeichnung … daher noch nicht Eine solche Verhandlung ist ein iterativer Prozess. feststehe“, während der schleswig-holsteinische Ministerprä- Man sitzt an einem Tisch, man geht wieder auseinander. sident Peter Harry Carstensen laut Pressebericht vom 18. Juni In diesem Fall verhandeln die beiden Verkehrsministe- 2008 und somit nur eine Woche später sagte: „Der Entwurf ei- rien. Entwürfe von Verträgen müssen ressortabgestimmt nes Staatsvertrages liege vor und solle vor der Sommerpause des Parlaments von der deutschen und dänischen Regierung werden. Die Ressortabstimmung hat in diesem konkre- paraphiert werden“, und treffen die Aussagen von Minister- ten Fall ergeben, dass wir gegenüber der dänischen Seite präsident Peter Harry Carstensen zu, sodass der Staatsvertrag weitere Präzisierungswünsche haben. Das haben wir auf also in den nächsten Wochen paraphiert werden wird? den Weg gebracht. Die Dänen ihrerseits haben uns einige Änderungswünsche vorgelegt. Das wird jetzt sowohl auf Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- dänischer Seite wie auch auf unserer Seite geprüft. Ich desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: weiß nicht, wann die Prüfung abgeschlossen ist. Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Eine Paraphierung würde eine vertragsförmliche Prü- Heilmann, es gilt weiterhin die Antwort der Bundes- fung durch das Auswärtige Amt voraussetzen. Sie dauert regierung vom 11. Juni 2008 auf Ihre schriftliche Frage. ungefähr eine Woche. Zurzeit kann weder ein konkreter Paraphierungs- noch ein Unterzeichnungstermin genannt werden. Diese Ter- Vor dem Unterschreiben muss man eine sprachen- mine sind abhängig von den noch laufenden Abstim- förmliche Untersuchung vornehmen. Das heißt, es muss mungen und formalen Prüfungen. Im Lichte der bisheri- vom Sprachendienst geprüft werden, ob die Exemplare gen Abstimmungen wird eine Unterzeichnung noch im in den beiden Sprachen juristisch exakt übereinstimmen. Laufe des Sommers angestrebt. Die Bundesregierung ist Dazu braucht man normalerweise vier Wochen. 18168 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Parl. Staatssekretär Achim Großmann (A) Nach diesen Informationen können Sie sich die Frage Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des (C) selbst beantworten. Deutschen Bundestages vom 27. Juni 1996 von der Bun- desregierung nicht beantwortet werden. Ich bitte daher Wenn wir die Verhandlung über die beiden ausge- um Verständnis, dass die Bundesregierung zur konkreten tauschten Ergänzungs- oder Änderungswünsche ab- Ausschreibung keine Auskunft geben kann. schließen können, wenn dieser Status erreicht ist, könnte ungefähr eine Woche später die Paraphierung stattfin- Ihre Frage enthält aber auch einen allgemeinen Teil, den. Die Dänen legen aber gar keinen Wert darauf. Dann auf den ich gerne eingehe. Die DB AG hat in ihren Ge- folgt die Unterzeichnung. sprächen mit dem Bund immer darauf hingewiesen, dass Konzerntöchter bei der Zuweisung von Unternehmens- Wenn Sie die Fristen für alles das zusammenrechnen, krediten so behandelt werden, als hätten sie ein bran- stellen Sie fest, dass die Unterzeichnung nicht mehr im Juli stattfinden wird. Von daher ist meine Antwort nach chenübliches Rating. Ich glaube, das ist ganz wichtig, weil das auch die Frage nach Beihilfen betrifft. wie vor richtig: Wir gehen davon aus, dass die Unter- zeichnung im Sommer stattfindet. Aber ich glaube nicht, Nun zum zweiten Teil Ihrer Frage nach Initiativen der dass wir es schaffen, die Unterzeichnung vor der soge- Bundesregierung auf europäischer Ebene zur Durchset- nannten dänischen Sommerpause, also noch im Juli, zung von Tariftreue und sozialversicherungspflichtiger durchzuführen. Beschäftigung in Ausschreibungsverfahren. Hier gilt Folgendes: Im Hinblick auf das EuGH-Urteil zur Präsident Dr. Norbert Lammert: Rechtssache „Rüffert“ – Sie wissen, was gemeint ist – Weitere Frage? prüft das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales derzeit, ob Initiativen der Bundesregierung auf europäischer Ebene insbesondere zur Änderung der Ent- Lutz Heilmann (DIE LINKE): senderichtlinie ergriffen werden sollen. Ja, ich habe noch eine weitere Frage. – Es hieß seitens des Verkehrsministeriums auf bisherige Fragen immer, dass noch Abstimmungen und formale Prüfungen not- Präsident Dr. Norbert Lammert: wendig seien, dass – um ganz korrekt zu zitieren – eine Herr Kollege Beck. Reihe inhaltlicher und formaler Abstimmungen erforder- lich sei. Mich würde Folgendes interessieren: Was genau Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wird geprüft? Waren die Kosten des Brückenbauwerks und die Prognosen Gegenstand dieser Abstimmung? Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die Deutsche Bahn AG der DB Rent bei Zurverfügungstel- (B) lung von Parkmöglichkeiten am Hauptbahnhof Berlin (D) Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- Sonderkonditionen einräumt, die sie anderen Bewerbern desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: oder Kunden nicht anbieten würde, bzw. würden andere Herr Kollege Heilmann, Sie wissen, dass es absolut Interessenten überhaupt ein Vertragsangebot der Deut- nicht üblich ist, während solcher Vertragsverhandlungen schen Bahn AG zum dauerhaften Parken von Wagen im öffentlich über Details zu sprechen. Ich kann Sie nur bit- Bereich des Hauptbahnhofs Berlin bekommen, um gege- ten, abzuwarten, bis der zu paraphierende Entwurf vor- benenfalls Fahrdienste in der Mitte Berlins anbieten zu liegt. können?

Präsident Dr. Norbert Lammert: Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- Die Frage 46 des Kollegen Rainder Steenblock wird desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: schriftlich beantwortet. Das gilt auch für die Fragen 47 und 48 des Kollegen Peter Hettlich. Ich kann Ihnen dazu, wie ich schon bei der Beantwor- tung Ihrer Frage sagte, keine Antwort geben, weil es sich Ich rufe nun die Frage 49 des Kollegen Volker Beck um unternehmerische Daten und Fakten handelt, die mir (Köln) auf: nicht vorliegen. Inwiefern – Konditionen am Parkplatz Hauptbahnhof, Ra- batte der DB AG oder als öffentliches Unternehmen – profi- Präsident Dr. Norbert Lammert: tiert die DB Rent GmbH im Wettbewerb davon, dass sie Toch- ter der zu 100 Prozent im Bundesbesitz befindlichen DB AG Weitere Zusatzfrage? ist, und welche Initiativen ergreift die Bundesregierung auf europäischer Ebene, damit man Tariftreue und sozialversiche- rungspflichtige Beschäftigung in Ausschreibungsverfahren Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): verbindlich vorschreiben kann? Also, die Regierung kann es nicht ausschließen. – Die zweite Frage, die ich zu diesem Punkt habe, lautet: Wer- Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- den der Deutschen Bahn AG – das müssten Sie eigent- desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: lich abstrakt wissen – und ihren Töchtern Sonderkondi- Herr Kollege Beck, der erste Teil Ihrer Frage betrifft tionen gegenüber privatwirtschaftlichen Unternehmen einen Sachverhalt, der in die unternehmerische Zustän- beim An- oder Verkauf von Automobilen und derglei- digkeit der Deutschen Bahn AG bzw. deren Tochter DB chen eingeräumt? Das könnte sich ja auch auf die Wett- Rent fällt. Er kann deshalb auch vor dem Hintergrund bewerbssituation der jeweiligen Unternehmen auswir- der Umsetzung des Beschlusses des Ausschusses für ken. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18169

(A) Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- nicht nach dem konkreten Verhandlungsvorgang fragen, (C) desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: sondern nur danach, ob Sie ausschließen können, dass Auch das ist eine Frage, die nur das Unternehmen die Bundesregierung weitere Verträge mit der DB Rent selbst beantworten kann. hat, und insbesondere, dass Ihr Haus irgendwelche Ver- träge mit der DB Rent hat. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie also auch nicht ausschließen! Danke!) Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich bin über weitere Verträge zwischen der DB Rent Es gibt eine Zusatzfrage der Kollegin Menzner. und meinem Haus nicht informiert. Von daher müsste ich Ihnen auf diese Frage schriftlich antworten. Dorothée Menzner (DIE LINKE): (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Herr Staatssekretär, ich habe folgende Zusatzfrage: GRÜNEN]: Diese Antwort hätten wir alle Wie können Sie gewährleisten, dass Bereiche des DB- gerne!) Konzerns, der ja noch komplett in öffentlicher Hand ist, die nicht der Daseinsvorsorge gemäß Art. 87 e des Präsident Dr. Norbert Lammert: Grundgesetzes dienen, nicht mit Steuermitteln subven- Hiermit zugesagt. – Weitere Fragen liegen nicht vor. tioniert werden? Die Fragen 50 und 51 der Kollegin Veronika Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- Bellmann und des Kollegen Lutz Heilmann werden desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: schriftlich beantwortet. Frau Menzner, Ihre Frage beginnt mit einer falschen Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Darstellung. Die DB AG ist nicht im Besitz der öffentli- chen Hand, sondern eine Aktiengesellschaft, die nach Das Präsidium stellt mit Genugtuung fest, dass seine unternehmerischen Gesichtspunkten gemäß Aktienrecht Einschätzung des angemessenen und auskömmlichen geführt wird. Zeitbedarfs für die Fragestunde offenkundig zutreffend war. Ich bedanke mich für Ihre Mitwirkung. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Zusatzfrage des Kollegen Fricke. destages zur allgemeinen Überraschung auf morgen, Donnerstag, den 26. Juni 2008, 9 Uhr, ein. (B) Otto Fricke (FDP): (D) Die Sitzung ist geschlossen. Herr Staatssekretär, der Kollege Beck hat nach der DB Rent gefragt. Ich möchte in dem Zusammenhang (Schluss: 17.55 Uhr)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18171

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Aigner, Ilse CDU/CSU 25.06.2008 Stöckel, Rolf SPD 25.06.2008 Andres, Gerd SPD 25.06.2008 Dr. Tabillion, Rainer SPD 25.06.2008

Barnett, Doris SPD 25.06.2008* Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 25.06.2008

Bodewig, Kurt SPD 25.06.2008 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Brüning, Monika CDU/CSU 25.06.2008 sammlung des Europarates

Deittert, Hubert CDU/CSU 25.06.2008* Anlage 2 Dörmann, Martin SPD 25.06.2008 Antwort Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 25.06.2008* des Staatsministers Günter Gloser auf die Fragen des Land), Axel E. Abgeordneten Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) (Drucksache 16/9683, Fragen 1 und 2): Gerster, Martin SPD 25.06.2008 Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Erklä- Golze, Diana DIE LINKE 25.06.2008 rung des US-Präsidenten George W. Bush während seines Be- suches in Deutschland in Bezug auf ein militärisches Vorge- hen gegen den Iran: „alle Optionen liegen auf dem Tisch“ Hänsel, Heike DIE LINKE 25.06.2008 (Spiegel Online vom 11. Juni 2008)? Haibach, Holger CDU/CSU 25.06.2008* Hat die Bundeskanzlerin diesen Vorstellungen des US- (B) Präsidenten widersprochen oder akzeptiert die Bundesregie- (D) rung, dass die Konzeption der US-Administration auch ein Hintze, Peter CDU/CSU 25.06.2008 militärisches Vorgehen gegen den Iran einschließt?

Dr. Höll, Barbara DIE LINKE 25.06.2008 Zu Frage 1: Hörster, Joachim CDU/CSU 25.06.2008* Die Bundesregierung setzt sich weiterhin für eine po- litische Lösung der Auseinandersetzung um das irani- Ibrügger, Lothar SPD 25.06.2008 sche Atomprogramm ein. Dr. Keskin, Hakki DIE LINKE 25.06.2008* Auch die Regierungen unserer Partner in den soge- nannten E3/EU+3 – einschließlich der USA – verfolgen Korte, Jan DIE LINKE 25.06.2008 dieses Ziel. Lips, Patricia CDU/CSU 25.06.2008 Während seines Besuchs in Deutschland hat US-Prä- sident George W. Bush dieses Ziel bekräftigt. Merz, Friedrich CDU/CSU 25.06.2008 Zu Frage 2: Müntefering, Franz SPD 25.06.2008 Die Bundesregierung kann keine vernünftige Alterna- Nitzsche, Henry fraktionslos 25.06.2008 tive zu einer politischen Lösung des Atomstreits mit Iran erkennen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 Ramelow, Bodo DIE LINKE 25.06.2008 verwiesen. Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 25.06.2008 Claudia DIE GRÜNEN Anlage 3 Dr. Scheer, Hermann SPD 25.06.2008 Antwort Schily, Otto SPD 25.06.2008 des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage des Abgeordneten Manfred Kolbe (CDU/CSU) (Drucksa- Dr. Schui, Herbert DIE LINKE 25.06.2008 che 16/9683, Frage 3): Welche Bundeseinrichtungen wurden in der laufenden Seib, Marion CDU/CSU 25.06.2008 Wahlperiode in den östlichen Bundesländern neu angesiedelt, 18172 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

(A) und welche Ansiedlungen sind noch geplant, wie es gemäß Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums (C) dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom Novem- des Innern (BMI) hat am 2. April 2007 die – per zu- ber 2005 in Kapitel III Nr. 10 vorgesehen ist, wonach „neue Bundeseinrichtungen in den neuen Bundesländern angesiedelt grunde liegendem Gesetz vom 28. August 2006 errich- werden sollen“? tete – „Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“ (BDBOS) Für den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeri- ihre Tätigkeit in Berlin aufgenommen. ums des Innern (BMI) ist anzumerken: Im Zuge der Neuorganisation der Bundespolizei werden keine neuen Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums Behörden oder Einrichtungen gegründet, sondern bereits der Justiz (BMJ) ist am 1. Januar 2007 das „Bundesamt bestehende – zum Teil unter neuen Behördenbezeich- für Justiz“ (BfJ) gemäß dem vom Deutschen Bundestag nungen – zusammengefasst. Das neue Bundespolizeiprä- am 20. Oktober 2006 verabschiedeten „Gesetz zur Er- sidium mit derzeitigem Sitz in Potsdam vereinigt die bis- richtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundes- herigen fünf Bundespolizeipräsidien und die bisherige amts für Justiz“ in Bonn gegründet worden. Das BfJ hat Bundespolizeidirektion; zugleich werden die heutigen als Kernbestandteil sämtliche Aufgaben der Dienststelle 19 Bundespolizeiämter in zehn Bundespolizeidirektio- Bundeszentralregister des Generalbundesanwalts beim nen aufgehen. Zur Frage der endgültigen Unterbringung Bundesgerichtshof übernommen, die seit dem Regie- des Bundespolizeipräsidiums hat der Haushaltsaus- rungsumzug 1999 ihren Sitz in Bonn hatte. Weiterhin schuss des Deutschen Bundestages in seiner 70. Sitzung sind Aufgaben der Dienststelle Bonn des Bundesminis- am 4. Juni 2008 die Erweiterung der Standortsuche auf teriums der Justiz, die nicht ministerieller Natur waren, das „Umland von Berlin“ beschlossen. dorthin verlagert worden. Das BfJ nimmt also ganz über- wiegend Aufgaben wahr, die bereits bisher am Standort Durch Organisationserlass der Bundeskanzlerin vom Bonn angesiedelt waren. Ein Bezug zu der Vereinbarung 22. November 2005 wurde mit Beginn der 16. Legisla- in Punkt III, Nr. 10 des Koalitionsvertrages von CDU, turperiode das Bundesministerium für Arbeit und Sozia- CSU und SPD vom November 2005 besteht somit nicht. les (BMAS) errichtet; ihm wurden Aufgaben des ehema- ligen Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums sowie des ehemaligen Bundesministeriums für Gesund- der Finanzen (BMF) ist am 7. März 2006 das „Zollamt heit und Soziale Sicherung übertragen. Das BMAS hat Rheinfelden-Autobahn“ errichtet worden. seinen ersten Dienstsitz in Berlin und seinen zweiten Dienstsitz in Bonn. Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) wird auf der Grundlage Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernäh- des „Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der land- rung. Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) wirtschaftlichen Sozialversicherung“ zum 1. Januar 2009 (B) (D) wurden in der laufenden Legislaturperiode keine Ein- der „Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialver- richtungen der unmittelbaren Bundesverwaltung neu er- sicherung“ als bundesunmittelbare Körperschaft des richtet. Es wurde lediglich mit der „Deutschen Biomas- öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung errichtet. Der seforschungszentrum gemeinnützigen GmbH“ ein neuer Sitz des Spitzenverbandes ist durch die Satzung zu be- Zuwendungsempfänger mit Sitz in Leipzig etabliert. stimmen. Die bisherigen drei Spitzenverbände (Bundes- Die Errichtung weiterer eigenständiger Bundesein- verband der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, richtungen ist darüber hinaus nicht geplant. Es soll aber Bundesverband der landwirtschaftlichen Alterskassen, das Bundesinstitut für Risikobewertung – mit Hauptsitz Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkas- in Berlin – in Neuruppin eine neue Abteilung „Sicherheit sen) mit Sitz in Kassel (Hessen) werden durch diese Re- von verbrauchernahen Produkten“ aufbauen; ob der Ein- gelung zu einem einheitlichen Spitzenverband zusam- zug in neue Gebäude allerdings noch in dieser Legisla- mengeschlossen. turperiode möglich sein wird, steht noch nicht fest. Für den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeri- Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums ums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) wurde sind folgende Planungen zu nennen: die rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts „Bun- desstiftung Baukultur“ in Potsdam angesiedelt. Das zu – Die Ansiedlung einer Eisenbahnunfalluntersuchungs- Grunde liegende „Gesetz zur Errichtung einer Bundes- behörde (EUB) als rechtlich verselbstständigtem Teil stiftung Baukultur“ ist am 22. Dezember 2006 in Kraft des heutigen Eisenbahnbundesamtes (EBA) in getreten. Bonn; – die Ansiedlung des Bundesaufsichtsamtes für Flug- sicherung in Langen/Hessen. Anlage 4 Antwort Anlage 5 des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage des Abgeordneten Manfred Kolbe (CDU/CSU) (Drucksa- Antwort che 16/9683, Frage 4): des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage Welche Bundeseinrichtungen wurden in der laufenden Wahlperiode in den westlichen Bundesländern neu angesie- der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) delt, und welche Ansiedlungen sind noch geplant? (Drucksache 16/9683, Frage 5): Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18173

(A) Wie wird die Bundesregierung die Möglichkeiten der bzw. über die ohne formale Hochschulzugangsberechti- (C) „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung den Lebensmittelprodu- gung ein Studium aufgenommen werden kann, fällt in zenten bekannt machen, und welche Haushaltsmittel sollen dafür konkret eingesetzt werden? die Zuständigkeit der Länder. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- Nichtschülerprüfungen und der Hochschulzugang für schaft und Verbraucherschutz hat anlässlich der Verab- beruflich Qualifizierte sind Kernelemente einer Bil- schiedung der Vierten Novelle zum Gentechnikgesetz dungspolitik, welche darauf gerichtet ist, durch Bildung den Flyer Das neue Gentechnikrecht 2008 aufgelegt. Er die persönliche Entwicklung und den beruflichen Auf- informiert in leicht verständlicher Form über die Kern- stieg zu fördern und Barrieren an den Schnittstellen un- punkte der Gesetzesänderungen, darunter auch die „Ohne- seres Bildungssystems abzubauen. Gentechnik“-Kennzeichnung. Darüber hinaus sind auf Mit dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG), der Internetseite weiterführende Informationen verfüg- dem sogenannten Meister-BAföG, fördert die Bundesre- bar, die fortlaufend aktualisiert werden. Gezielte fachli- gierung den Aufstieg von Absolventen einer Berufsaus- che Fragen beantwortet das Bundesamt für Verbraucher- bildung hin zum Meister oder zu vergleichbaren Fort- schutz und Lebensmittelsicherheit. bildungsabschlüssen. Wir wollen dieses Instrument Weitere Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit in Rich- strukturell weiterentwickeln und den Kreis jener, die an- tung der Lebensmittelproduzenten sind zwar nicht in spruchsberechtigt sind, erweitern. Form einer Informations„kampagne“, geplant, sie werden Die Bundesregierung wird darüber hinaus Aufstiegs- aber in die allgemeine Informationsarbeit des Ministe- stipendien einrichten, um finanzielle Anreize für diejeni- riums eingebunden. Es kann im Übrigen davon ausgegan- gen zu setzen, die ihre Berufsausbildung erfolgreich ab- gen werden, dass die Lebensmittelhersteller über die geschlossen haben und nun ein Hochschulstudium Sachlage informiert sind. antreten. Die Bundesregierung hält es für erforderlich, darüber Anlage 6 hinaus den Weg ins Studium für beruflich Qualifizierte deutlich zu erleichtern. Der Innovationskreis Berufliche Antwort Bildung hat für transparentere Regelungen zur Hoch- des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage schulzugangsberechtigung bereits einen wichtigen An- des Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) stoß gegeben. Hinzukommen muss aber die Anrechnung (Drucksache 16/9683, Frage 6): beruflich erworbener Kompetenzen auf ein einschlägi- Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den ges Hochschulstudium. Durch die vom Bundesministe- (B) Aufkauf land- und forstwirtschaftlicher Flächen durch Ener- rium für Bildung und Forschung geförderten regionalen (D) gie- bzw. Saatgutkonzerne in den vergangenen fünf Jahren? Entwicklungsprojekte sind hierfür wichtige Grundlagen Über den Ankauf land- und forstwirtschaftlicher Flä- geschaffen worden. chen durch Energie- bzw. Saatgutkonzerne in den ver- Beide Themen, die Hochschulzugangberechtigung für gangenen fünf Jahren liegen der Bundesregierung keine beruflich Qualifizierte und die Anrechnung vorhandener statistischen Erkenntnisse vor. Personenbezogene Daten Kompetenzen, werden auf dem für den Herbst geplanten über die berufliche Qualifikation, die wirtschaftliche Be- Gipfeltreffen der Regierungschefs von Bund und Län- tätigung oder die mit dem Grundstückserwerb verfolgten dern einen hohen Stellenwert einnehmen. Absichten des Erwerbers werden schon aus Rechtsgrün- den nicht statistisch erfasst und veröffentlicht. Im Bereich der Privatisierung der ehemaligen Treu- Anlage 8 handflächen durch die Bodenverwertungs- und -verwal- Antwort tungs GmbH (BVVG) haben in den vergangenen fünf Jahren Veräußerungen von Flächen an Energie bzw. des Parl. Staatssekretärs Andreas Storm auf die Frage Saatgutkonzerne nicht in nennenswertem Umfang statt- der Abgeordneten Cornelia Hirsch (DIE LINKE) gefunden. (Drucksache 16/9683, Frage 8): Inwieweit hält es die Bundesregierung für rechtlich mög- lich und für politisch erforderlich, nicht nur den Rechtsan- Anlage 7 spruch auf einen Hauptschulabschluss wie zurzeit öffentlich diskutiert, sondern angesichts der schlechten Chancen von Antwort Hauptschülerinnen und Hauptschülern auf einen qualifizierten Ausbildungsplatz mindestens den Rechtsanspruch auf einen des Parl. Staatssekretärs Andreas Storm auf die Frage mittleren Schulabschluss über die Arbeitsmarktpolitik bun- der Abgeordneten Cornelia Hirsch (DIE LINKE) desweit zu verankern? (Drucksache 16/9683, Frage 7): Die Bundesregierung hält einen Rechtsanspruch auf Welche Schritte zur Stärkung des zweiten und dritten Bil- einen Schulabschluss weder für rechtlich möglich noch dungsweges plant die Bundesregierung in der noch verblei- für bildungspolitisch richtig (vergleiche auch die Ant- benden Legislaturperiode? wort der Bundesregierung auf Ihre Kleine Anfrage zu Die Einrichtung von Möglichkeiten des sogenannten „Planungen der Bundesregierung zur Verankerung des zweiten und dritten Bildungsweges, über die Nichtschü- Rechtsanspruchs auf einen Hauptschulabschluss in der ler die mittlere Reife oder das Abitur nachholen können Arbeitsmarktpolitik“ vom 21. Mai 2008). Diese Aussage 18174 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

(A) bezieht sich generell auf einen Schulabschluss, also so- Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass das Lan- (C) wohl auf einen Hauptschulabschluss wie auch einen desumweltamt – das seit September 2007 von der Pumppraxis wusste – nicht in der Lage ist, den Betreiber zu kontrollieren, Realschulabschluss. Ein Schulabschluss muss durch die und wird nun die Ankündigung des Bundesministers für Um- Erfüllung bestimmter Anforderungen erworben werden. welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, , um- Im Übrigen liegt die Zuständigkeit für die Vergabe von gesetzt, dass nach dem Atomgesetz die Bundesaufsicht einge- Schulabschlüssen in der Zuständigkeit der Bundeslän- schaltet wird? der. Am 19. Juni 2008 hat ein bundesaufsichtliches Ge- Für die Ausbildung in nach dem Berufsbildungsge- spräch zwischen dem niedersächsischen Umweltministe- setz oder der Handwerksordnung anerkannten Ausbil- rium und dem Bundesumweltministerium unter Beteili- dungsberufen wird nach geltendem Recht kein bestimm- gung des Landesbergamtes und in Anwesenheit eines ter Schulabschluss vorausgesetzt. Heute werden circa Vertreters des Bundesministeriums für Bildung und For- ein Viertel aller Ausbildungsverträge mit Absolventen schung zur Aufklärung der aktuellen fachlichen und von Hauptschulen geschlossen. Jugendliche mit diesem juristischen Sachverhalte stattgefunden. Es bestand Schulabschluss haben offenbar bei vielen ausbildenden Einigkeit darüber, dass die strahlenschutzrechtliche Ge- Betrieben eine gute Chance. Ein mittlerer Schulab- nehmigungslage für die Asse nicht ausreichend ist. schluss ist deshalb keineswegs erforderlich für eine qua- Darüber hinaus wurde als Ergebnis des bundesauf- lifizierte Berufsausbildung. sichtlichen Gespräches festgelegt, dass das niedersächsi- sche Umweltministerium zur lückenlosen Aufklärung al- ler Sachverhalte einen Bericht erstellen wird. Ausgehend Anlage 9 von der Feststellung des in die Schachtanlage Asse II eingelagerten radioaktiven Inventars wird dieser Bericht Antwort auch sämtliche derzeit bestehende rechtliche Grundlagen des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage des Betriebes in der Anlage erfassen und bewerten sowie des Abgeordneten Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE den Umgang mit radioaktiven Stoffen im Grubenge- GRÜNEN) (Drucksache 16/9683, Frage 9): bäude dokumentieren. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorgang, dass das Die Bundesregierung und insbesondere das Bundesum- Landesbergamt Niedersachsen seit 1997 wusste, dass im For- weltministerium in seiner Eigenschaft als atomrechtliche schungsendlager Asse Radioaktivität in die Salzlauge ein- Aufsichtsbehörde werden diese Sachverhaltsaufklärung dringt und diese von dem Helmholtz-Zentrum als Betreiber abgepumpt wurde, und was gedenkt die Bundesregierung an- und die sich daraus ergebenden Konsequenzen intensiv gesichts dieser Information zu tun? begleiten und prüfen und gegebenenfalls entsprechende (B) Schritte und Maßnahmen ableiten, welche auch die Ge- (D) In der Schachtanlage Asse werden seit 1988 Laugen- nehmigung durch das LBEG und die Aufsicht des NMU zutrittstellen auf der 750-m-Sohle auf Radioaktivität be- betreffen können. probt. Diese Beprobungen und die dabei gemessenen Überschreitungen der Freigrenzen wurden der Genehmi- Mittlerweile hat das NMU den sofortigen Stopp des gungsbehörde, dem niedersächsischen Landesamt für Verbringens der kontaminierten Salzlösungen sowie die Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) durch den Be- Abstimmung aller Entscheidungen des LBEG bezüglich treiber mitgeteilt. Gleiches gilt für die Verbringung der der Asse beim NMU angeordnet. Darüber hinaus hat das Laugen ab 2005 in den sogenannten Tiefenaufschluss. NMU die Optimierung der Fachaufsicht durch Einfüh- Diese Verbringung war aus Sicht des Betreibers erfor- rung eines Qualitätsmanagements beim LBEG zugesagt. derlich, um aus Gründen des Strahlenschutzes eine poten- zielle Gefährdung der Bergleute in der Schachtanlage auszuschließen. Nach den Erkenntnissen der Bundesre- Anlage 11 gierung hat es das LBEG versäumt, das niedersächsische Umweltministerium (NMU) als Aufsichtsbehörde recht- Antwort zeitig zu informieren und eine ausreichende strahlen- des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage schutzrechtliche Genehmigungsgrundlage für die Ver- der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ bringung der Laugen in den Tiefenaufschluss sicher zu DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/9683, Frage 11): stellen. Das BMU hat das niedersächsische Umweltmi- Wie beurteilt die Bundesregierung die Genehmigung nisterium in seiner Eigenschaft als Aufsichtsbehörde durch das Bergamt Clausthal-Zellerfeld, wonach das Verbrin- dazu aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass die ent- gen der eintretenden und zum Teil kontaminierten Lauge auf sprechenden strahlenschutzrechtlichen Grundlagen für die unterste Ebene des Bergwerks Asse II zugelassen wurde? den Betrieb der Asse geschaffen werden. Die Bundesregierung sieht in dem geschilderten Sachverhalt einen Verstoß gegen das Strahlenschutz- recht, da mit radioaktiven Stoffen umgegangen wurde, Anlage 10 ohne dass entsprechende strahlenschutzrechtliche Ge- Antwort nehmigungen vorlagen. BMU hat NMU im Rahmen des Bundesaufsichtlichen Gesprächs am 19. Juni 2008 dazu des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass die entspre- des Abgeordneten Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE chenden strahlenschutzrechtlichen Grundlagen für den GRÜNEN) (Drucksache 16/9683, Frage 10): Betrieb der Asse geschaffen werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18175

(A) Anlage 12 Zieht die Bundesregierung in Betracht, dass Einzugsge- (C) biete von Wasserwerken im Großraum Braunschweig bei der Antwort Durchführung des Flutungskonzepts von Asse II von radio- aktiver Verseuchung bedroht sind, und welche Wasserwerke des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage könnte dieses Szenario umfassen? der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Das vom Betreiber der Schachtanlage Asse (Helmholtz- DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/9683, Frage 12): Zentrum München) vorgelegte Schließungskonzept ist Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass das ver- nur genehmigungsfähig, wenn Kontaminationen des strahlte Material ungeschützt im Bergwerk Asse II verbleiben Grundwassers mit hoher Wahrscheinlichkeit ausge- soll, oder kann es von dort wieder geborgen werden? schlossen werden können. Das LBEG prüft derzeit in Die Bundesregierung prüft im Rahmen des Optionen- Zusammenarbeit mit dem NMU, ob das vom Betreiber vergleichs derzeit die Möglichkeit der Rückholung der vorgelegte Schließungskonzept diese Anforderung er- Abfälle – insbesondere der mittelradioaktiven Abfälle. füllt. Durch die Umgebungsüberwachung ist aber nach- Oberste Priorität haben dabei die Sicherheit sowohl für gewiesen, dass in der Umgebung der Asse bislang keine das Betriebspersonal als auch für Mensch und Umwelt in Kontaminationen aufgetreten sind. Hierzu wurden und der Umgebung der Schachtanlage. werden Proben von Boden und Grundwasser entnom- men sowie die Abluft der Schachtanlage überwacht. Vor diesem Hintergrund geht die Bundesregierung derzeit Anlage 13 nicht davon aus, dass eine Gefährdung der Wasserwerke im Großraum Braunschweig besteht. Antwort des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen der Abgeordneten Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ Anlage 15 DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/9683, Fragen 13 und 14): Antwort Kann die Bundesregierung ausschließen, dass mit dem Bau von Strömungsbarrieren Fakten geschaffen werden, die des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen eine Rückholung der radioaktiven Fässer erschweren oder gar der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE unmöglich machen? GRÜNEN) (Drucksache 16/9683, Fragen 16 und 17): Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag von Mit- gliedern des niedersächsischen Landtages, einen Baustopp in Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass der der Asse zu verfügen, um die Möglichkeit zur Rückholung Betreiber des Forschungsendlagers Asse II bei Wolfenbüttel der Atommüllfässer nicht zu verbauen? – entgegen seiner mehrfachen öffentlichen Verlautbarungen – (B) keine Alternativen zum Flutungskonzept tiefergehend geprüft (D) hat? Zu Frage 13: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass hier für ei- Die Bundesregierung kann aus heutiger Sicht aus- nen Optionenvergleich eine vertiefende Untersuchung zur Rückholung aller radioaktiven Abfälle mit den radiologischen schließen, dass mit dem Bau von Strömungsbarrieren Konsequenzen verschiedener Varianten einschließlich einer Fakten geschaffen werden, die eine Rückholung der ra- maschinellen und ferngesteuerten Variante anzustellen ist? dioaktiven Fässer erschweren oder eine Umsetzung al- ternativer Schließungskonzepte unmöglich machen, da Zu Frage 16: ein Rückbau der Strömungsbarrieren jederzeit möglich ist. Der Betreiber hat Alternativen zum Konzept der ab- schließenden Verfüllung der Schachtanlage mit Schutz- Zu Frage 14: fluid geprüft und diese in einem Herleitungsbericht dar- gelegt. Dennoch hat die Bundesregierung es für Die Bundesregierung geht nicht davon aus, dass die erforderlich gehalten, weitergehende und tiefere Prüfun- Verfügung eines Baustopps eine zielführende Maß- gen von Optionen durchzuführen Eine Bewertung des nahme ist. Solange keine geprüften und bewerteten Al- Herleitungsberichtes und der darin geprüften Alterna- ternativen zu dem derzeitigen Schließungskonzept vor- tiven wird deshalb durch unabhängige Experten in der liegen, müssen alle Voraussetzungen geschaffen werden, durch BMBF und BMU eingerichteten Arbeitsgruppe damit dieses Konzept noch rechtzeitig umgesetzt werden Optionenvergleich vorgenommen. Ein abschließender kann, bevor die Standsicherheit des Grubengebäudes ge- Bericht dieser Arbeitsgruppe zur umfassenden Bewer- gebenenfalls nicht mehr gegeben ist. tung alternativer Schließungskonzepte wird voraussicht- lich Ende Oktober vorliegen. Im Übrigen siehe Antwort zu Frage 13. Zu Frage 17: Anlage 14 Die Rückholung insbesondere der mittelradioaktiven Antwort Abfälle ist Gegenstand der Arbeiten der AG Optionen- vergleich. Derzeit wird im Auftrag des Bundesamtes für des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage Strahlenschutz eine entsprechende Studie erstellt, die der Abgeordneten Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE nicht nur die Rückholung im Allgemeinen, sondern auch GRÜNEN) (Drucksache 16/9683, Frage 15): unterschiedliche Varianten hierfür prüft. 18176 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

(A) Anlage 16 chung entgegenstehen. Im Übrigen erfolgt die Unterrich- (C) tung des Deutschen Bundestages über alle Fragen des Antwort Schuldenwesens im parlamentarischen Gremium nach des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen §3 BSchuWG. des Abgeordneten Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/9683, Fragen 18 und 19): Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass der Anlage 18 Betreiber des Forschungsendlagers Asse II weder die Öffent- lichkeit noch das niedersächsische Umweltministerium infor- Antwort miert hat, dass er bei der Beprobung der Laugenzuflüsse mehrfach stark erhöhte Strahlenwerte festgestellt hat? der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Frage des Abgeordneten Carl-Ludwig (FDP) (Drucksache Wie beurteilt die Bundesregierung die Zuverlässigkeit des Betreibers des Forschungsendlagers Asse II im Angesicht der 16/9683, Frage 28): Verbringung radioaktiver Substanzen ohne Transportgeneh- Ist es zutreffend, dass die Bundesrepublik Deutschland – migung durch das Bundesamt für Strahlenschutz? Finanzagentur GmbH am Montag, dem 30. Juni 2007, nach dem Schnüren des ersten „Rettungspaketes“ für die IKB die Zu Frage 18: bestehende Kreditlinie für die IKB nicht nur verlängert, son- dern auch auf 500 Millionen Euro erhöht hat? In der Schachtanlage Asse werden seit 1988 Laugen- zutrittstellen auf der 750-m-Sohle auf Radioaktivität be- Das ist nicht zutreffend. Das angesprochene Limit für probt. Diese Beprobungen und die dabei gemessenen unbesicherte Geldanlagen der Finanzagentur bei der IKB Überschreitungen der Freigrenzen wurden der Genehmi- – nicht „Kreditlinie“ – wurde von der Finanzagentur zu- gungsbehörde, dem niedersächsischen Landesamt für letzt im Monat Mai 2007 mit Wirkung ab Juni 2007 neu Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) durch den Be- berechnet bzw. erhöht. Es ist am 30. Juli 2007 nicht ver- treiber mitgeteilt. Es wäre Aufgabe des LBEG gewesen, ändert worden. die zuständige Aufsichtsbehörde – das NMU – hierüber in Kenntnis zu setzen, da das NMU nicht unmittelbarer Ansprechpartner des Betreibers ist. Allerdings ist einzu- Anlage 19 räumen, dass der Betreiber im Sinne der Schaffung von Antwort Transparenz und Glaubwürdigkeit sowohl die Öffent- lichkeit als auch die Aufsichtsbehörde hätte informieren der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Frage können. des Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele (FDP) (Druck- sache 16/9683, Frage 29): (B) Zu Frage 19: War sichergestellt, und wenn ja, wodurch, dass diese Kre- (D) ditlinie über die gesamte Laufzeit zu 100 Prozent abgesichert Im Rahmen des bundesaufsichtlichen Gesprächs am war? 19. Juni 2008 wurde vereinbart, dass das NMU einen Das Limit für unbesicherte Geldanlagen der Finanz- Bericht zur lückenlosen Aufklärung der aktuellen Sach- agentur bei der IKB – nicht „Kreditlinie“ – galt für unbe- verhalte vorlegen wird. Dabei wird auch die Zuverläs- sicherte Geldmarktgeschäfte. Geldmarktgeschäfte, für sigkeit des Betreibers eine Rolle spielen. die Sicherheiten (Bundeswertpapiere, Pfandbriefe und ähnliches) gestellt werden, fallen nicht unter dieses Li- mit. Anlage 17 Das Limit für unbesicherte Geldanlagen der Finanz- Antwort agentur bei der IKB wurde unter anderem mit Blick auf der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Fragen die Mitgliedschaft des Instituts im Einlagensicherungs- des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) (Drucksache fonds des Bundesverbandes deutscher Banken bestimmt. 16/9683, Fragen 24 und 25): Der Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes Welche Gründe hatte die Bundesregierung, auf meine Deutscher Banken sichert „Verbindlichkeiten gegenüber schriftliche Frage 26 auf Bundestagsdrucksache 16/9554 vom Kunden“ und damit auch Forderungen der öffentlichen 30. Mai 2008 in ihrer Antwort überhaupt nicht einzugehen, Hand. und warum gibt es weiterhin auch keinen Bezug der Antwort auf meine Frage? Welche finanziellen Einlagen von Institutionen des Bun- des (mit mittelbaren und unmittelbaren Bundesbeteiligungen) Anlage 20 in jedweder Rechtsform gab es in den Jahren 2006, 2007 und Antwort 2008 bei der IKB Deutsche Industriebank AG? Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die von der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Frage Ihnen erfragten Informationen aus rechtlichen Gründen des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ nicht durch die Bundesregierung bekannt gemacht wer- DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/9683, Frage 30): den können. Es obliegt den Unternehmen, gegebenen- War der Kredit über 500 Millionen Euro, den die Finanz- falls etwaige Angaben publik zu machen, da nur diese agentur GmbH der IKB gewährte, vollständig oder teilweise umfassend einschätzen können, inwiefern das Recht des besichert? Unternehmens auf Schutz von Betriebs- und Geschäfts- Bei der von Ihnen genannten Transaktion handelt es geheimnissen sowie Rechte Dritter einer Veröffentli- sich um ein unbesichertes Geldmarktgeschäft. Geld- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18177

(A) marktgeschäfte, für die Sicherheiten (Bundeswertpa- die Handhabungsvorschriften des Bundesministeriums der (C) piere, Pfandbriefe und Ähnliches) gestellt werden, fallen Finanzen im Vergleich zu vorher entwickelt, und wie zielfüh- rend hat sich diese Einschränkung hinsichtlich der Verwal- nicht unter die Kontrahentenlimite der Finanzagentur. tungsvereinfachung und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung Das Limit für unbesicherte Geldanlagen der Finanz- erwiesen? agentur bei der IKB wurde unter anderem mit Blick auf Wie sieht die Bundesregierung das objektive Nettoprinzip bezüglich der steuerlichen Absetzbarkeit für das häusliche Ar- die Mitgliedschaft des Instituts im Einlagensicherungs- beitszimmer bei der geltenden Regelung gewahrt, wenn der fonds des Bundesverbandes deutscher Banken bestimmt. Arbeitsmittelpunkt außerhalb des Arbeitszimmers liegt und Der Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes Deut- trotzdem zugleich der Betrieb eines Arbeitszimmers eine vom scher Banken sichert „Verbindlichkeiten gegenüber Kun- Berufsverband und/oder von anderen Sachverständigen aner- den“ und damit auch Forderungen der öffentlichen kannte sachliche Notwendigkeit für die Sicherung des Ge- schäftsablaufes bzw. zur Ausübung des Berufs darstellt? Hand. Zu Frage 32: Anlage 21 Die Gesetzesänderung hat zu einer erheblichen Ver- einfachung des Besteuerungsverfahrens geführt, denn Antwort die bisher notwendige Abgrenzung zwischen dem häus- der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Frage lichen Arbeitszimmer als Tätigkeitsmittelpunkt und der der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/CSU) nur beschränkten betrieblichen oder beruflichen Abgren- (Drucksache 16/9683, Frage 31): zung ist entfallen. Statistische Angaben über die Anzahl In welchen Bereichen gibt es Aufzeichnungen über die der Streitfälle können schon deswegen nicht vorliegen, Höhe der Einnahmen aus der Mehrwertsteuer, und warum gibt weil die Veranlagungen für den Veranlagungszeitraum es diese in bestimmten Bereichen (beispielsweise bei den 2007 noch nicht abgeschlossen sind. Mehrwertsteuereinnahmen auf Kraftstoffe) nicht? Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer – auch Mehr- Zu Frage 33: wertsteuer – werden im Rahmen einer seit 1996 jährlich Das objektive Nettoprinzip wird durch die Abzugsbe- durchgeführten Bundesstatistik nach der Klassifikation schränkung nicht verletzt, denn bei den Aufwendungen der Wirtschaftszweige veröffentlicht. Diese Umsatzsteuer- für das häusliche Arbeitszimmer handelt es sich um Auf- statistik weist die Höhe ausgeführter Lieferungen und wendungen, die die private Lebensführung berühren, sonstiger Leistungen gegliedert nach den Gewerbekenn- weil das häusliche Arbeitszimmer begriffsnotwendig in ziffern des leistenden Unternehmers aus. Eine Differen- die eigengenutzte Wohnung des Steuerpflichtigen inte- zierung nach einzelnen Lieferungen oder Produkten und griert ist. Verfassungsrechtliche Zweifel hieran hat das (B) sonstigen Leistungen bzw. eine Zuordnung von leisten- Finanzgericht Brandenburg verneint (Beschluss vom (D) dem Unternehmer zu erbrachter Leistung ist aufgrund 6. November 2007, 13 V 13146/07). der bei den Unternehmern erhobenen Daten nicht mög- lich. Somit ist eine verlässliche Einzeldarstellung des Steueraufkommens für bestimmte Umsätze mit Gegen- Anlage 23 ständen und sonstigen Leistungen nicht möglich. Davon betroffen sind unter anderem auch die Umsatzsteuerein- Antwort nahmen auf Kraftstoffe. Die Angaben zum Umsatz der der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Frage Tankstellen beinhalten unter anderem auch deren Um- der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) sätze mit Nahrungsmitteln, Getränken, Tabakwaren, fes- (Drucksache 16/9683, Frage 34): ten Brennstoffe, Büchern, Zeitschriften, Zeitungen, Schreibwaren und Bürobedarf. Wie haben sich die Gehälter der Vorstände der zehn größ- ten Unternehmen (bezogen auf die Höhe des Nennkapitals), Für Quantifizierungen im Umsatzsteuerbereich wer- an denen der Bund unmittelbar beteiligt ist, in den letzten fünf den weitere statistische Materialien wie zum Beispiel die Jahren entwickelt (bitte Angaben in absoluten Zahlen)? Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die Einkommens- Die zehn größten Unternehmen, an denen der Bund und Verbrauchsstichprobe bis hin zu Verbandsangaben unmittelbar beteiligt ist, sind – bezogen auf das Nennka- der Interessenvertretungen bestimmter Wirtschaftsberei- pital zum 31. Dezember 2006 – die Deutsche Telekom che hinzugezogen. Damit basieren tiefergehende Aussa- AG, die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Deutsche gen zu Steuereinnahmen auf sachkundigen Schätzungen. Bahn AG, die Flughafen München GmbH, die DFS Deut- sche Flugsicherung GmbH, die TLG IMMOBILIEN GmbH, die Internationale Mosel-Gesellschaft mbH, die Anlage 22 Duisburger Hafen AG, die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH und die BWI Antwort Informationstechnik GmbH. der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Fragen der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Die Entwicklung der Gehälter und Bonuszahlungen (Drucksache 16/9683, Fragen 32 und 33): der Mitglieder des Vorstandes der Aktiengesellschaften bzw. der Geschäftsführer der Gesellschaften mit be- Wie haben sich Anzahl der Streitfälle und Umfang des Ver- schränkter Haftung kann überwiegend den Geschäftsbe- waltungsaufwandes bezüglich der steuerlichen Absetzbarkeit für das häusliche Arbeitszimmer nach dessen Einschränkung richten bzw. dem Beteiligungsbericht entnommen wer- durch das Steueränderungsgesetz 2007 und insbesondere durch den. 18178 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

(A) In einzelnen Fällen wird unter Bezugnahme auf § 286 eröffnet. Betriebsbedingte Kündigungen seien auch mit (C) Abs. 4 HGB auf die Angabe der Gesamtbezüge verzich- Blick auf den bis 2011 verlängerten Beschäftigungspakt tet, so aktuell bei der Duisburger Hafen AG. ausgeschlossen.

Anlage 24 Anlage 25 Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf die Frage der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf die Fra- LINKE) (Drucksache 16/9683, Frage 36): gen der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE) (Drucksache 16/9683, Fragen 37 und 38): Wie bewertet die Bundesregierung die Schließung des na- hezu gesamten eigenen Filialnetzes der Deutschen Post AG Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die sowie dessen Umwandlung in private Agenturen hinsichtlich Entwicklung der Arbeitsplätze im Bereich der 12 000 statio- der gesetzlich vorgeschriebenen Angebotsdichte von Post- nären Einrichtungen, in denen Verträge über Briefbeförde- dienstleistungen, des Service und des Erhalts sozialversiche- rungsleistungen abgeschlossen und abgewickelt werden kön- rungspflichtiger Beschäftigung? nen und müssen, hinsichtlich Anzahl, tariflicher Entlohnung, Arbeitszeit infolge der Schließung der Filialen der Deutschen Der Gewährleistungsauftrag nach Art. 87 f Grundge- Post AG und der Übertragung der Erbringung entsprechender setz zur Sicherstellung einer postalischen Grundversor- Dienstleistungen auf private Agenturen bzw. Partnerfilialen, gung besteht unabhängig von der Postmarktöffnung zum und wäre es nicht notwendig, in der Post-Universaldienstleis- tungsverordnung neben einer Mindestzahl der stationären l. Januar 2008 und der ausgelaufenen Universaldienstver- Einrichtungen auch soziale Mindestkriterien für die dort vor- pflichtung der Deutschen Post AG fort. So auch die handenen Beschäftigungsverhältnisse festzuschreiben? konkreten Regelungen der Post-Universaldienstleis- Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den im tungsverordnung (PUDLV). Danach müssen zum Bei- Zusammenhang mit der Auslagerung von Filialen der Deut- spiel weiterhin bundesweit mindestens 12 000 Poststellen schen Post AG geäußerten Bedenken des Deutschen Verban- nach entfernungs-, flächen- und einwohneranzahlbezoge- des für Post, Informationstechnologie und Telekommunika- tion e. V. (DVPT), dass die Mitarbeiter in privaten Filialen nur nen Kriterien bereitgestellt werden. unzureichend angelernt würden, es dort weniger Schalter Ausgelaufen ist lediglich die in der PUDLV bis zum gäbe, außerdem viele der neu gegründeten sogenannten Post- Points nur ein eingeschränktes Angebot an Dienstleistungen 31. Dezember 2007 befristete und an den Monopolzeit- bereitstellen und sich der Service und die Beratung für die raum gekoppelte Regelung, wonach mindestens 5 000 der Postkunden durch die Auslagerung also verschlechtern 12 000 bereitzustellenden Poststellen mit unternehmens- würde, und wäre eine Aufnahme von zusätzlichen Qualitäts- kriterien – neben dem Umfang der anzubietenden Leistungen – (B) eigenem Personal zu betreiben waren. Die Postdienstun- (D) ternehmen sind nunmehr in der Wahl der Vertriebsform in den Universaldienst vor diesem Hintergrund aus Sicht der Bundesregierung sinnvoll? einer Poststelle frei. Die in der PUDLV definierten Uni- versaldienstleistungen und Qualitätsmerkmale müssen Zu Frage 37: jedoch weiterhin vollständig sowohl in den eigen- wie auch partnerbetriebenen Poststellen angeboten bzw. ein- Wie bereits in der Antwort zur mündlichen Frage gehalten werden. Nr. 36 (25. Juni 2008) der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann mitgeteilt, werden nach Kenntnislage der Eine Einschränkung des Dienstleistungsumfangs und Bundesregierung die von den betrieblichen Umstrukturie- des Service im Sinne der PUDLV wird es also trotz der rungsmaßnahmen im Filialnetz der Deutschen Post AG betrieblichen Umwandlungsmaßnahmen im Filialnetz betroffenen Mitarbeiter weiterhin gemäß dem geltenden der Deutschen Post AG nicht geben. Tarifvertrag im Konzern weiterbeschäftigt. Die Post- Die Einhaltung der postalischen Mindestvorgaben Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) konkreti- wird weiterhin durch die Bundesnetzagentur für Elektri- siert den staatlichen Infrastrukturauftrag nach Art. 87 f zität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen Grundgesetz in Verbindung mit dem Postgesetz zur Si- überprüft. Bei Feststellung etwaiger Defizite im Sinne cherstellung einer flächendeckenden Grundversorgung der PUDLV hat die Behörde nach dem Postgesetz be- mit Postdienstleistungen. Regelungszweck der PUDLV stimmte Eingriffsmöglichkeiten. Die Deutsche Post AG ist die Festlegung von qualitativen und quantitativen hat jedoch mehrmals öffentlich und auch direkt gegen- Mindestkriterien für den postalischen Universaldienst, über dem Bund versichert, die bisherige Größenordnung nicht jedoch für arbeits- und sozialrechtliche Gesichts- ihres Filialnetzes beibehalten und den Universaldienst punkte. vollumfänglich erbringen zu wollen. Zu Frage 38: Zu den von den betrieblichen Umstrukturierungsmaß- nahmen betroffenen Beschäftigten hat die Deutsche Post Die Bundesregierung hat keine Anhaltspunkte dafür, AG mitgeteilt, dass diese zwar nicht mehr in den bisheri- dass die postalischen Universaldienstleistungen in part- gen Filialen, jedoch weiterhin gemäß Tarifvertrag und nerbetriebenen Einrichtungen in einer schlechteren Qua- damit in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeits- lität angeboten werden, als in den sogenannten eigenbe- verhältnis im Konzern weiterbeschäftigt werden. Die triebenen Filialen. Einzelfälle von Kundenbeschwerden Weiterbeschäftigung solle vorrangig im Briefbereich er- hinsichtlich der Beratungsqualität hat es in der Vergan- folgen, daneben werde die Möglichkeit auf Tätigkeiten genheit sowohl in eigenbetriebenen Filialen wie auch in in Postbank-Finanzcentern und für andere freie Stellen bereits vorhandenen Postagenturen gegeben und können Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18179

(A) in einer Dienstleistungsbranche niemals völlig ausge- Zu Frage 39: (C) schlossen werden. Nach Auskunft der Deutschen Post Die Bundesregierung teilt die von 5 der 27 Mitglied- AG werden die Agenturmitarbeiter umfangreich ge- staaten zu Protokoll (Ratsdokument: 10583/08) gege- schult und können bei auftretenden Problemen auch bene Kritik an der Arbeitszeitrichtlinie nicht. Die Richt- während des Betriebes schnell mit speziellen Ansprech- linie zur Arbeitszeit enthält Mindeststandards für die partnern in Kontakt treten. Auch könne die Qualität der Arbeitszeitgestaltung in allen EU-Mitgliedstaaten. Der Dienstleistungsbereitstellung nicht an der Anzahl von erzielte Kompromiss gewährleistet ein europaweites Schaltern festgemacht werden. Vielfach werden partner- Schutzniveau, das für alle Mitgliedstaaten umsetzbar ist. betriebene Poststellen zum Beispiel aufgrund von länge- Die Regelungen versetzen viele Mitgliedstaaten in die ren Öffnungszeiten von den Kunden durchaus positiv Lage, auf die Rechtsprechung des Europäischen Ge- wahrgenommen. Die angeführten „Post-Points“ sind im richtshofes (EuGH) zum Bereitschaftsdienst zu reagie- Übrigen ein zusätzliches Dienstleistungsangebot der ren. Die Arbeitszeitrichtlinie sieht nach wie vor eine Deutschen Post AG über die 12 600 Standorte mit einem wöchentliche Höchstarbeitszeit von durchschnittlich PUDLV-Angebot hinaus. Das Unternehmen hat versi- 48 Stunden pro Woche vor. Die Bundesregierung be- chert, den Universaldienst weiterhin vollumfänglich und grüßt, dass die Möglichkeiten für die Beschäftigung von mit der Größenordnung des bisherigen Filialnetzes er- Arbeitnehmern über durchschnittlich 48 Stunden pro bringen zu wollen. Ein Erfordernis zur Anpassung der Woche hinaus (Opt-out) erhalten bleibt. Das Instrument PUDLV aufgrund der Dienstleistungsbereitstellung über wird in Deutschland bei Bereitschaftsdienst und Arbeits- Agenturen sieht die Bundesregierung nicht. Vielmehr bereitschaft genutzt. Künftig wird das Opt-out aber aus- entspricht es der grundlegenden Systematik des Postge- drücklich als Ausnahme gekennzeichnet und in seiner setzes, dass mit dem Auslaufen des Restmonopols und Nutzung eingeschränkt. Bisher ist nach der Richtlinie der Universaldienstverpflichtung der Deutschen Post AG mit Einverständnis des Arbeitnehmers eine Beschäfti- zum 31. Dezember 2007 der Universaldienst nunmehr in gung bis zu 78 Stunden möglich. In Zukunft wird die Ar- einem Mehrbetreiberumfeld erbracht wird und die Deut- beitszeit beim Opt-out auf 60 Stunden im 3-Monats- sche Post AG wie auch die Wettbewerber in der Wahl Zeitraum begrenzt. Wird beim Bereitschaftsdienst die inaktive Zeit als Arbeitszeit gewertet, so soll die Höchst- der Vertriebsform einer postalischen Einrichtung frei arbeitsgrenze 65 Stunden betragen. Die Tarifvertragspar- sind. Maßgeblich ist, dass die Kriterien und Merkmale teien haben in beiden Fällen die Möglichkeit, abwei- der PUDLV eingehalten werden. Die Bundesnetzagentur chende Regelungen zu vereinbaren. wird weiterhin die Einhaltung der PUDLV-Vorgaben im Interesse der Kunden überwachen. Etwaige Erkenntnisse Eine Aussage, dass „das EuGH-Urteil bzgl. der Wer- tung von Bereitschaftsdiensten als Arbeitszeit nicht mit (B) über die Lage und Entwicklung auf dem Gebiet des Post- (D) wesens teilt sie den gesetzgebenden Körperschaften alle Ausweitung der Arbeitszeiten beantwortet werden zwei Jahre in ihrem Tätigkeitsbericht mit. sollte“, ist in der Erklärung der fünf Mitgliedstaaten nicht enthalten.

Zu Frage 40: Anlage 26 Die Bundesregierung kann der französischen Proto- Antwort kollerklärung (Ratsdokument: 10583/08) die vom Frage- steller angegebene Aussage nicht entnehmen. Frankreich des Parl. Staatssekretärs Hartmut Schauerte auf die Fra- hat lediglich erklärt, dass es nicht beabsichtigt, die inak- gen des Abgeordneten Alexander Ulrich (DIE LINKE) tive Zeit während des Bereitschaftsdienstes auf die tägli- (Drucksache 16/9683, Fragen 39 und 40): che und die wöchentliche Ruhezeit anzurechnen. Die Bundesregierung beabsichtigt keine Änderung im Sinne Welche Haltung nimmt die Bundesregierung bezüglich der in der gemeinsamen Erklärung der Regierungen der EU-Mit- der Frage. Dies ist auch nicht erforderlich, weil in gliedstaaten Belgien, Zypern, Griechenland, Spanien und Un- Deutschland das Arbeitszeitgesetz bereits seit dem 1. Ja- garn geäußerten Kritik ein, dass die notwendige Balance zwi- nuar 2004 regelt, dass Bereitschaftsdienst in vollem Um- schen dem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fang Arbeitszeit ist. sowie einer flexiblen Arbeitsorganisation durch die EU-Ar- beitszeitrichtlinie nicht gelungen sei, kein signifikanter Fort- schritt hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitsschutzes bzw. der Sicherheit am Arbeitsplatz erzielt wurde, die Rege- Anlage 27 lungen zum Opt-Out eine Ausweitung der durchschnittlichen Antwort wöchentlichen Arbeitszeiten über 65 Stunden hinaus ermögli- chen, sowie das Urteil des Europäischen Gerichtshofes bezüg- des Parl. Staatssekretärs Klaus Brandner auf die Frage lich der Wertung von Bereitschaftsdiensten als Arbeitszeit des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) nicht mit einer Ausweitung der Arbeitszeiten beantwortet (Drucksache 16/9683, Frage 41): werden sollte (bitte einzeln begründen)? Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung des Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zur Ankündi- bayerischen Staatsministers für Unterricht und Kultus, Siegfried gung Frankreichs ein, Ruhezeiten weiterhin als aktive Ar- Schneider, welcher in einem Brief an die Beauftragte der Bun- beitszeiten zu werten und sie nicht auf die Erholungsphasen desregierung für die Belange behinderter Menschen und die der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anzurechnen, und behindertenpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der fünf weshalb beabsichtigt die Bundesregierung keine vergleich- Bundestagsfraktionen am 29. Mai 2008 folgende Interpreta- bare Regelung im nationalen Arbeitsrecht? tionserklärung bei der Ratifizierung der UN-Konvention über 18180 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

(A) die Rechte der Menschen mit Behinderungen vorschlägt: „Die Ja. Die genannten 781 Euro Nettoeinkommen pro Mo- (C) Förderung von Menschen mit Behinderungen an besonderen nat bilden die sogenannte Armutsrisikoschwelle für eine Förderschulen als integrativer Teil des allgemeinen Bildungs- systems ist im Sinne des Art. 24 Ziff. 2 Buchst. e) eine wirk- alleinlebende Person in Deutschland und beziehen sich same und individuell ausgerichtete Unterstützungsmaßnahme auf das Jahr 2005. Unterhalb dieses Wertes besteht defi- mit dem Ziel der vollständigen Einbindung in die Gesellschaft nitionsgemäß das Risiko der Armut. in einem Umfeld, das die größtmögliche schulische und sozia- le Entwicklung gestattet, und erfüllt somit das Recht auf Bil- Die Berechnung folgt der EU-weiten Definition des dung im Sinne des Art. 24“? Armutsrisikos. Danach gilt ein Bürger als armutsgefähr- det, wenn er weniger als 60 Prozent des durchschnittli- Die Interpretationserklärung wurde vom bayerischen chen äquivalenzgewichteten nationalen Nettoeinkom- Staatsministerium für Unterricht und Kultus im Abstim- mens zur Verfügung hat, wobei als Durchschnitt das mungsverfahren für die Unterzeichnung des Überein- sogenannte Medianeinkommen verwendet wird, das ge- kommens der Vereinten Nationen über die Rechte von nau in der Mitte der nach Einkommenshöhe gestaffelten Menschen mit Behinderungen für eine spätere Ratifika- Einkommen der Bevölkerung liegt. tion vorgeschlagen. Im Verfahren der Abstimmung für die Ratifikation ist dieser Vorschlag vom Land Bayern Dem Risiko der Einkommensarmut unterliegt dem- nicht wieder aufgegriffen worden. Auch die Kultusmi- nach, wer ein Einkommen unterhalb eines bestimmten nisterkonferenz hat in ihrer Stellungnahme keine Inter- Mindestabstands zum Mittelwert der Gesellschaft hat. pretationserklärung gefordert. Im Übrigen strebt die Maße relativer Einkommensarmut sagen daher vor allem Bundesregierung eine Ratifikation ohne Interpretations- etwas über die Einkommensverteilung aus. Sie sind je- erklärung zu Art. 24 an. doch kein Maß für die Ermittlung des soziokulturellen Existenzminimums.

Anlage 28 Anlage 30 Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Klaus Brandner auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) des Parl. Staatssekretärs Klaus Brandner auf die Frage (Drucksache 16/9683, Frage 42): des Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) (Drucksache 16/9683, Frage 44): Was hat die Bundesregierung seit Übergabe der Ergeb- nisse der ForseA-Kampagne „Ich muss ins Krankenhaus … Teilt die Bundesregierung die vom Parlamentarischen und nun?“ an die Beauftragte der Bundesregierung für die Be- Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Tech- (B) lange behinderter Menschen, Karin Evers-Meyer, auf einer öf- nologie Hartmut Schauerte in der Fragestunde am 18. Juni 2008 (D) fentlichen Veranstaltung im Kleisthaus am 27. September vertretene Auffassung, dass ein Einkommen von 781 Euro 2007 getan, um die laut ForseA „katastrophale“ Versorgung über den Grundbedarf hinaus auch die Teilhabe am gesell- von Schwerbehinderten während ihres Krankenhausaufent- schaftlichen Leben ermöglicht, und gilt dies bereits für den haltes zu ändern (bitte die Aktivitäten und Maßnahmen sowie Regelsatz von 351 Euro, bzw. welchen Grenzwert hält die die jeweiligen Akteure einzeln nennen)? Bundesregierung für die Ermittlung von Armut für angemes- sen? Die Bundesregierung hat bereits anlässlich der Beant- wortung der Fragen 22 und 23 in der Fragestunde am Ja. 18. Juni 2008 zugesagt, sich in kurzfristig zu führenden Ich habe bereits in der Antwort auf die Frage 43 von Gesprächen mit allen Beteiligten dafür einzusetzen, dass MdB Enkelmann deutlich gemacht, dass es sich bei den bestehende Defizite bei der umfassenden Versorgung genannten 781 Euro nicht um die Höhe des soziokultu- schwerbehinderter Krankenhauspatienten identifiziert rellen Existenzminimums handelt, sondern um 60 Pro- und überwunden werden. Weitergehende Aussagen zu zent des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens Aktivitäten und Maßnahmen sind der Bundesregierung in Deutschland im Jahr 2005. Die Berechnung dieses erst nach Abschluss der Gespräche möglich. Wertes folgt EU-weit einheitlichen Regeln. Es handelt sich hierbei um einen Verteilungsindikator und nicht um ein Maß für das soziokulturelle Existenzminimum. Anlage 29 Das soziokulturelle Existenzminimum wird in Antwort Deutschland vielmehr durch die Leistungen von SGB II und XII definiert. Die in der Frage genannten 351 Euro des Parl. Staatssekretärs Klaus Brandner auf die Frage sind der monatliche Eckregelsatz im SGB XII ab dem der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) 1. Juli 2008. Außerdem werden noch die Miet- und (Drucksache 16/9683, Frage 43): Heizkosten gezahlt. Zudem sind die Leistungsempfänger Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass – vor allem an- krankenversichert bzw. erhalten Krankenhilfe. gesichts der Inflation und enormer Preissteigerungen insbe- sondere bei Energiekosten – in Deutschland ein Einkommen Nach Berechnungen des Instituts für Sozialforschung von 781 Euro reicht, um „über den Grundbedarf hinaus auch und Gesellschaftspolitik (ISG) kommt man auf Basis des die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen“, bis 30. Juni 2008 geltenden Eckregelsatzes von 347 Euro wie der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister – ohne Krankenversicherung – auf einen rechnerischen für Wirtschaft und Technologie, Hartmut Schauerte, in seiner Antwort auf eine Frage in der Fragestunde des Bundestages durchschnittlichen Bruttobedarf für einen Alleinstehen- am 18. Juni 2008 erklärte? den von 681 Euro pro Monat. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18181

(A) Anlage 31 Auf Grundlage welcher Zuarbeiten der entsprechenden (C) Stellen wird die TEN-Connect-Studie erstellt, und welche Er- Antwort gebnisse hat diese Studie? des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Frage Die „TEN-Connect-Studie“ ist eine Studie im Auftrag des Abgeordneten Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ der Europäischen Kommission zur Vorbereitung des DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/9683, Frage 46): Grünbuchs der Europäischen Kommission zur Revision Wann wird die Bundesregierung den Staatsvertrag zwi- der Leitlinien des transeuropäischen Netzes. Mehrere schen Deutschland und Dänemark über Bau und Betrieb einer Länder der Europäischen Union, unter anderem Deutsch- festen Fehmarnbelt-Querung unterzeichnen und dem Deut- land, haben hierzu die Ergebnisse ihre aktuellsten Ver- schen Bundestag zuleiten, nachdem der Entwurf des Staats- vertrags nach Äußerungen des schleswig-holsteinischen Mi- kehrsprognosen zur Verfügung gestellt. Die Studie ist nisterpräsidenten Peter Harry Carstensen nun vorliegt? noch nicht abgeschlossen. Ein Unterzeichnungstermin für den Staatsvertrag ist abhängig von den noch laufenden Abstimmungen und formalen Prüfungen. Im Lichte der bisherigen Abstim- Anlage 34 mungen wird eine Unterzeichnung noch im Laufe des Sommers angestrebt. Die Bundesregierung ist an einer Antwort baldigen Unterzeichnung des Staatsvertrages sowie des- sen Ratifizierung interessiert. des Parl. Staatssekretärs Ulrich Kasparick auf die Frage des Abgeordneten Lutz Heilmann (DIE LINKE) (Drucksache 16/9683, Frage 51): Anlage 32 Bei welchen Flughäfen werden Planungsverfahren da- durch behindert oder verzögert, dass das untergesetzliche Re- Antwort gelwerk zum Fluglärmgesetz nicht verabschiedet ist, und wel- che weiteren rechtlichen Folgen hat es, dass dieses Regelwerk des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Fra- bislang noch nicht verabschiedet ist? gen des Abgeordneten Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/9683, Fragen 47 und 48): Nach der Novellierung des Fluglärmgesetzes sind Wie bewertet die Bundesregierung als Gesellschafter der zwei Planfeststellungsbeschlüsse ergangen. Der eine Deutschen Bahn AG (DB AG) die aktuelle Kenntnislage, dass Planfeststellungsbeschluss betrifft den Ausbau des Flug- ein Planungsfehler zum Absturz eines Querriegels am Berli- platzes Kassel-Calden, der andere den Ausbau des ner Hauptbahnhof am 18. Januar 2007 geführt hat, auf den die Flughafens Frankfurt am Main. In beiden Planfeststel- DB ProjektBau GmbH bereits am 24. April 2006 hingewiesen (B) wurde (vergleiche Berliner Zeitung vom 6. Juni 2008), und lungsbeschlüssen hat die Planfeststellungsbehörde im (D) welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung in Betracht? Hinblick auf den passiven Schallschutz und die sonsti- Seit wann ist der Bundesregierung das Sachverständigen- gen Regelungsbereiche des Fluglärmgesetzes auf das gutachten zum Beweissicherungsverfahren bekannt, und wel- novellierte Gesetz verwiesen. Die Zulässigkeit des Ver- che Schritte hat sie bislang zur Aufklärung der Verantwort- weises auf die neuen gesetzlichen Regelungen wurde lichkeiten unternommen? vom Verwaltungsgerichtshof nicht dadurch infrage ge- stellt, dass die Durchführungsverordnungen noch nicht Zu Frage 47: erlassen worden sind. Die Bundesregierung hat – auch Die Frage betrifft einen Sachverhalt, der in die allei- im Hinblick auf die passiven Schallschutzmaßnahmen nige unternehmerische Zuständigkeit der Deutschen und die Außenwohnbereichsentschädigungen – starkes Bahn AG fällt. Dieser Sachverhalt ist deshalb vor dem Interesse daran, dass die Durchführungsverordnungen Hintergrund der Umsetzung des Beschlusses des Aus- schnellstmöglich verabschiedet werden. schusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- nung des Deutschen Bundestages vom 27. Juni 1996 (Anlage 1 zu Bundestagsdrucksache 13/6149) von der Bundesregierung nicht zu bewerten. Anlage 35 Neuabdruck einer zu Protokoll gegebenen Rede Zu Frage 48: zur Beratung des Berichts zu dem Antrag: Er- Der Bundesregierung liegt das Sachverständigengut- arbeitung einer nationalen Strategie für den achten zum Beweissicherungsverfahren nicht vor, da die Erhalt der Gewässerbiodiversität und zur Flan- Zuständigkeit hinsichtlich der Bauaufsicht für die kierung der Umsetzung der EG-Wasserrah- „Bügelbauten“ ausschließlich beim Land Berlin liegt. menrichtlinie in den Bundesländern (169. Sit- zung, Tagesordnungspunkt 12) Anlage 33 Ulrich Petzold (CDU/CSU): Man ist fast versucht Antwort „Guten Morgen“ zu sagen. Verehrte Kollegen von der Grünen-Fraktion, haben Sie registriert, dass seit dem des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Frage 19. November vergangenen Jahres ein Vorentwurf eines der Abgeordneten Veronika Bellmann (CDU/CSU) Umweltgesetzbuches mit einem Teil II – Wasserwirt- (Drucksache 16/9683, Frage 50): schaft – im Internet steht? 18182 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

(A) Haben Sie registriert, dass es seit dem 20. Mai eine Der Antrag fordert die Bundesregierung auf, im Rah- (C) überarbeitete Fassung dieses Gesetzentwurfes gibt? men des Gewässerschutzes stärker Einfluss auf die Län- der zu nehmen. Wie Sie selbst wissen, arbeiten Bund Am 28. Mai, also acht Tage nach der 2. Fassung des und Länder im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Wasser UGB-Referentenentwurfes, dann mit einem Antrag zu und deren Gremien aber auch in den nationalen und in- kommen, der durch das Buch II des UGB vorwegge- ternationalen Flussgebietsgremien eng zusammen. nommen ist, zeugt nicht von großer Nähe am Ball, um am heutigen Spieltage der EM beim Fußballjargon zu Sie müssen aber auch den föderalen Aufbau der Bun- bleiben. desrepublik zur Kenntnis nehmen. Wir sind im Gegen- satz zu anderen Staaten der EU nicht zentralistisch orga- In einer Situation, in der der Opposition Konkretes nisiert, mit allen Nachteilen, aber auch unbestreitbaren vorliegt, zeugt der Antrag nicht gerade davon, dass man Vorteilen. Die von dieser Bundesregierung erfolgreich sich mit dieser Vorlage beschäftigt hat. umgesetzte Föderalismusreform schafft uns gerade auch Im Gegensatz zu dem vorliegenden Antrag, der wohl auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft neue Bewegungs- kaum einen Eindruck von Stringenz hinterlässt, fährt die möglichkeiten, die wir nutzen. Erlauben Sie mir aber Bundesregierung einen klaren, in sich geschlossenen bitte schon die Frage: – was haben Sie in den Jahren Ihrer Kurs in der Wasserpolitik. Regierungsverantwortung auf diesem Gebiet getan? Ich kann mich schon noch gut an den Dauerstreit Ihres Bun- Mit der 7. Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz wur- desministers Trittin mit Frau Umweltministerin Conrad den die schadstoffbezogenen Vorgaben der Wasserrahmen- aus Rheinland-Pfalz erinnern, weswegen sich jahrelang richtlinie fristgerecht umgesetzt. Gemeinsam mit den beim Hochwasserschutzgesetz nichts bewegte. Frau Bundesländern wurde im Anschluss daran eine Muster- Conrad hatte übrigens Recht, als sie mit ihren Interven- verordnung zur Umsetzung der Anhänge II und V, die tionen einiges vom Kopf auf die Füße stellte. die Bewertungskriterien für den guten Gewässerzustand enthalten, erarbeitet. Diese Musterverordnung wurde Wie Sie mit der Realität umgehen, zeigt sich übrigens von allen, ich betone hier „von allen“, Bundesländern als auch in Ihrer Forderung aus dem Bereich Gemein- Grundlage für den Erlass von Landesverordnungen ver- schaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und wendet. des Küstenschutzes. Wie Sie richtig in der Begründung ihres Antrages be- Wenn Sie kritisieren, dass Maßnahmen des Deich- merken, kann der Bund infolge der von uns durchgeführten und Dammbaus mit 80 Prozent gefördert werden, wissen Föderalismusreform bei den stofflich und anlagenbezo- Sie, dass diese achtzigprozentige Förderung nur auf die Deiche an Nord- und Ostsee zutreffen. Sie suggerieren (B) genen Regelungen des Wasserrechts jetzt Vollregelungen (D) abweichungsfest beschließen. Genau diesen von Ihnen jedoch mit Ihrer Formulierung, in dem Sie es in einem geforderten Ansatz verfolgen wir mit dem Teil II des Atemzug mit Flüssen und Auen benennen, dass dieses UGB. Wir haben und werden dabei grossen Augenmerk auch für Bundeswasserstraßen gelten würde. Sicherlich auf EG-Rechtskonformität legen. Das gilt insbesondere würde eine solche Förderhöhe für Deichbauten an Bun- auch für die auf dem UGB fußenden Rechtsverordnun- deswasserstraßen einige Bundesländer freuen. Aber gen zur Gewässerbewirtschaftung, wie sie im § 16 Teil II wenn Sie diese Förderung des Deichbaus so einfach ab- des UGB-Entwurfes aufgeführt sind. Selbstverständlich lehnen – wäre eine solche Förderung nicht vielleicht bindet sich die Bundesrepublik auch im europäischen auch bei Deichrückverlegungen hilfreich? Rahmen in den Umsetzungsprozess der Wasserrahmen- Sie wissen, bzw. Sie sollten es wissen, dass wir das in richtlinie ein, in dem sie an allen relevanten CIS-Leitli- Sachsen-Anhalt an der Elbe genutzt haben. Die durchge- nien mitarbeitet. führten und noch durchzuführenden Deichrückverlegun- Wenn der Antrag also fordert, dass die Bundesregie- gen sind für ein nicht so furchtbar reiches Land nur mit rung ihren Teil der Verantwortung übernimmt und den der Förderung aus der Gemeinschaftsaufgabe finanzier- Ländern die Basis für eine Umsetzung der WRRL bar. schafft, kann man nur konstatieren, dass dieses auf bes- Es bleibt übrig: Sie sind gegen den Deichbau an tem Wege ist. Die 9. Naturschutzkonferenz hat ja gerade Nord- und Ostsee. Mein Kollege wird bestätigt, dass wir eine Einheit von Biodiversitätsstrate- sich über solch eine Aussage freuen. gie und Gewässerstrategie fahren. Solche Elemente aus unserer Biodiversitätsstrategie, wie die Entwicklung von Ihre grundsätzliche Kritik an einer weiteren Verbau- Bewertungskriterien für Grundwasserhabitate oder auch ung von Fließgewässern steht natürlich gegen eine wei- das Reduktionsprogramm für Pflanzenschutz, unterstüt- tere CO2-neutrale Energiegewinnung durch Wasser- zen mit ihrer konsequenten Umsetzung die Erreichung kraft. Wir glauben hier mit den gefundenen Regelungen der Ziele der WRRL. im Teil II des UGB einen ausgewogenen Lösungsansatz zu verfolgen. Das Gleiche gilt auch beim Schutz der Meeresum- welt. Hier ist die Bundesregierung im erheblichen Maße Genau so ist ihre Behauptung der Gewässerverunrei- eingebunden in die Erfassung und Charakterisierung von nigung durch wassergekühlte Kohlekraftwerke außer- Stoffen, die für die Meeresumwelt eine Gefährdung dar- ordentlich grenzwertig. Einer Gegendruckkondensa- stellen können; die Erfassung von Gefahrstoffquellen tionsturbine, die einer Kühlung bedarf, ist es egal ob sie und die Erarbeitung von Reduzierungsmaßnahmen. in einem Kernkraftwerk, einem Kohlekraftwerk oder Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18183

(A) einem Gaskraftwerk eingesetzt ist. Eine Gegendruck- Anlage 36 (C) kondensationsturbine bleibt immer eine Gegendruck- kondensationsturbine, und sie ist immer mit einer Kühl- Neuabdruck einer zu Protokoll gegebenen Rede wasserinanspruchnahme verbunden. Die Behauptung zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur einer gesonderten Wasserverschmutzung durch wasser- Ergänzung der Bekämpfung der Geldwäsche gekühlte Kohlekraftwerke ist, mit Verlaub gesagt, haar- und der Terrorismusfinanzierung (Geldwäsche- sträubender Unsinn. Ein bisschen sollte man im Physik- bekämpfungsergänzungsgesetz – GwBekErgG) unterricht aufgepasst haben, wenn man solch einen (169. Sitzung, Tagesordnungspunkt 15) Antrag formuliert, wie sie es hier tun. Wir setzen, wie wir es in der letzten Sitzungswoche Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Mit dem vorlie- mit der Novelle des EEG auch zum Ausdruck gebracht genden Geldwäschebekämpfungsergänzungsgesetz set- haben, zukünftig verstärkt auf die Förderung der Kraft- zen wir, wie so oft im Bereich der Innenpolitik, eine EG- Wärme-Kopplung und tragen auch damit zum Gewäs- Richtlinie um. So sollen die Vorgaben der sogenannten serschutz bei. Dritten EG-Geldwäscherichtline, Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom Die von Ihnen im Antrag behauptete mangelhafte Öf- 26. Oktober 2005 zur Verhinderung der Nutzung des Fi- fentlichkeitsbeteiligung und Information muss auch in nanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Ter- das Reich der Fabel zurückverwiesen werden. Zum Vor- rorismusfinanzierung, und eine hierzu von der EG-Kom- kommen von Stoffen in den Gewässern informieren ne- mission erlassene Durchführungsrichtlinie, Richtlinie ben dem Umweltbundesamt, die Flussgebietsgemein- 2006/70/EG der Kommission vom 1. August 2006, in schaften und die Bundesländer. Hier ist in der Regel ein nationales Recht umgesetzt werden. Durch die Dritte zeitnaher Online-Zugriff auf die Daten möglich. Es EG-Geldwäscherichtlinie sind die EU-rechtlichen Vor- schürt nur das Misstrauen der Bürger, wenn die Behaup- gaben für die nationalen Geldwäschegesetzgebungen tung aufgestellt wird, dem Bürger würden vorhandene grundlegend umstrukturiert und erweitert worden. Des- halb ist es nötig gewesen, mit diesem Gesetz auch das Informationen vorenthalten werden. Ich hoffe, sie legen deutsche Geldwäscherecht vollständig neu zu fassen. Es es nicht darauf an. beschränkt sich zu über 90 Prozent darauf, die europa- In der ersten Forderung ihres Antrages verlangen sie, rechtlichen Vorgaben eins zu eins umzusetzen. In dieser dass die Bundesregierung wirksamer dazu beitragen europarechtlichen Überlagerung besteht ein wesentlicher muss, dass Deutschland den Anforderungen der EU- Kritikpunkt allgemeiner Natur: Es ist sehr unbefriedi- gend, wenn der nationale Gesetzgeber, also der Deutsche (B) Wasserrahmenrichtlinie vollständig und fristgerecht ent- (D) spricht. Seit der ersten Bestandsaufnahme im Zusam- Bundestag, keinen eigenen Entscheidungsspielraum hat, sondern auf die Rolle eines Notars herabsinkt, der die menhang mit der Umsetzung der WRRL wissen wir, Vorgaben aus Brüssel in nationales Recht umsetzen soll. dass es für 52 Prozent aller Grundwasserkörper unwahr- Dies ist eine prinzipielle Durchbrechung der Gewalten- scheinlich oder unsicher ist, ob der von der WRRL ge- teilung. Es erfolgt keine materielle, parlamentarische forderte gute chemische Zustand von diesen Grundwas- Gesetzgebung, weder durch das Europaparlament noch serkörpern erreicht wird. Diese Bestandsaufnahme durch den Deutschen Bundestag, sondern nur durch die erfolgte im Jahr 2004. Im Jahr 2004 war dafür noch ein nationalen Regierungen im Europäischen Rat. Die mit- Umweltminister Trittin zuständig. Daher sollte schon die telbare Legitimation durch die Umsetzung in nationales Frage erlaubt sein, welche nationale Strategie für den Er- Recht halte ich, insbesondere in sensiblen, grundrechts- halt der Biodiversität hat dieser Umweltminister auf den intensiven Regelungsbereichen, für problematisch. So- Weg gebracht? weit zur Kritik an dieser Verfahrensart. Ich bin mir mit meiner Fraktion sicher, dass der Weg, Nun zum Gesetzentwurf selbst. Das Gesetz ist wich- den wir im Gewässer- und Biodiversitätsschutz gemein- tig, um das Netz gegen Einschleusen von illegal erwor- sam mit den Bundesländern eingeschlagen haben, wirk- benen Vermögenswerten, zum Beispiel aus organisierter lich zielführend ist. Kriminalität, in den legalen Finanz- und Wirtschafts- kreislauf europaweit noch enger zu flechten. Geldwä- Das Tor war längst gefallen, bevor die Opposition mit sche und die Finanzströme des internationalen Terroris- ihrem Antrag auf das Spielfeld auflief. mus werden in Deutschland in Zukunft mit dem neuen Gesetz noch effektiver bekämpft. Das zur Geldwäsche- Mit der Verantwortungsübernahme im Rahmen der bekämpfung entwickelte Instrumentarium wird nun auch Föderalismusreform, der Ausgestaltung des Wasser- auf die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung aus- rechts und der Umsetzung der WRRL im Rahmen der geweitet. In Zeiten des deutschen Terrorismus der Schaffung eines Umweltgesetzbuches und den Rechts- 70er-Jahre hätte die Geldwäschebekämpfung nicht gezo- verordnungen zur Gewässerbewirtschaftung gehen wir gen. Die RAF hat sich in erster Linie finanziert durch einen Weg Zug um Zug und ich finde es gut, wenn ver- Überfälle auf Banken und Geldboten und durch Geisel- antwortungsvolle Kollegen aus den Reihen der Opposi- nahmen. Der islamistische Terrorismus dagegen nutzt tion sich kritisch aber offen mit dem Entwurf des Was- die gesamte Bandbreite der bekannten Finanzierungs- serrechtes im UGB auseinandersetzen und mit uns möglichkeiten. Bis 2005 wurden weltweit mehr als diesen Weg gemeinsam gehen. 150 Millionen Dollar, die als Terroristengelder identifi- 18184 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

(A) ziert wurden, aus dem Geldverkehr gezogen. Völlig neu es auch sicher schwer ist, im Einzelnen die Effizienz und (C) ist die industrielle Geschäftsbasis bei der Finanzierung, die Wirksamkeit zu messen, so kann man dennoch sa- wie sie für den Multimillionär Osama Bin Laden nach- gen, dass die Geldwäschevorschriften die Geldwäsche weisbar ist, ebenso wie das „Sponsoring“ aus Drogen- erschweren und somit auch die Terrorismusfinanzierung geldern. Deshalb macht die Erweiterung auf die Terro- und so einen Beitrag zur Bekämpfung von Kriminalität rismusfinanzierung Sinn. Bei der Prüfung, ob ein und Terrorismus leisten. Geldwäscheverdacht vorliegt, wird grundsätzlich ein ri- sikoorientierter Ansatz verfolgt. Dieser verdeutlicht, dass die Gefahr der Geldwäsche und der Terrorismus- Anlage 37 finanzierung nicht bei allen Transaktionen oder Geschäf- ten gleich hoch ist. Zentrales Anliegen des Gesetzent- Neuabdruck einer zu Protokoll gegebenen Rede wurfes ist daher die Ausbalancierung von vereinfachten und verstärkten Sorgfaltspflichten unter Berücksichti- zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu gung des Umstands, dass die Verpflichteten den ihnen dem Abkommen vom 31. August 2006 zwischen obliegenden Anforderungen risikoadäquat und praxisge- der Regierung der Bundesrepublik Deutschland recht unter vernünftigem Aufwand nachkommen kön- und der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam über die Zusammenarbeit bei der Be- nen. Weiterhin steht die flexiblere Normierung der den kämpfung von schwerwiegenden Straftaten und Verpflichteten auferlegten Sorgfaltspflichten gegenüber der Organisierten Kriminalität (169. Sitzung, Kunden im Vordergrund. Grundlage soll dabei insbeson- Tagesordnungspunkt 23) dere die Risikoträchtigkeit der jeweiligen Transaktion oder Geschäftsbeziehung sein, nach der jeweils allge- Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Die Regierung meine, vereinfachte oder verstärkte Sorgfaltspflichten der Bundesrepublik Deutschland hat mit der Regierung gegenüber Vertragspartnern, Kunden und Mandanten zu der Sozialistischen Republik Vietnam ein Abkommen beachten sind. Wo die Richtlinie es zuließ, erfolgte die über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Ausgestaltung des Gesetzes so, dass überflüssige Büro- schwerwiegenden Straftaten und der Organisierten Kri- kratiekosten vermieden wurden. Die häufige Kritik aus minalität – OK-Abkommen – unterzeichnet. Ziel des der Kreditwirtschaft an der übermäßigen Bürokratie des Abkommens ist es, die Zusammenarbeit bei der Be- Gesetzes, zum Beispiel an § 1 Abs. 6 des Geldwäsche- kämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und gesetzes, wonach bei Gesellschaften der wirtschaftliche des Terrorismus zu verbessern und dadurch die innere Eigentümer identifiziert werden muss, ist nicht gerecht- Sicherheit in den Vertragsstaaten zu erhöhen. fertigt. Außerdem würde man, sollte man auf die ent- (B) sprechende Verpflichtung verzichten, die Richtlinie nicht OK-Abkommen mit Deutschland im Rahmen bilate- (D) vollständig umsetzen und ein Vertragsverletzungsverfah- raler Verträge sind in den 90er-Jahren entstanden. Es wa- ren riskieren. Im Gesetzentwurf hat die Bundesregierung ren nach der Maueröffnung – als Ausgleich für die weg- Verbesserungsvorschläge des Bundesrates aufgegriffen fallenden Grenzen – die mittel- und osteuropäischen und so die Anwendung des Gesetzes praktikabler ge- Staaten, mit denen die Bundesrepublik sogenannte OK- macht. Die Aufzeichnungspflicht zur Identifizierung von Abkommen abschloss. Nach dem 11. September 2001 juristischen Personen als Vertragspartner kann nun durch hat man diese OK-Abkommen auch für Zwecke der Ter- eine Kopie des Handelsregisterauszugs erfolgen und rorismusbekämpfung geöffnet. Politische Kontroversen muss nicht manuell erfasst werden. Wird über Internet zu diesen OK-Abkommen gab es bisher im Deutschen auf ein elektronisch geführtes Register zugegriffen, Bundestag nicht. reicht die Anfertigung eines Ausdrucks aus, sodass Die datenschutzrechtlichen Regelungen dieser Ab- ebenfalls auf eine manuelle Erfassung der Daten ver- kommen sind alle – also das Abkommen mit Vietnam – zichtet werden kann. Die Einführung einer Bagatell- nach einem mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten ab- grenze von 2 500 Euro für die Identifikation bei Sorten- gestimmten Muster eingefügt. Für die Polizei werden Bar-Geschäften, also beim Umtausch von Bargeld gegen keine neuen Befugnisse geschaffen. Grundlage bleibt Devisen, wurde eingeführt. Damit wird eine übermäßige das innerstaatliche Recht insbesondere die §§ 14 und 15 Belastung von Banken in Grenzregionen verhindert. Zur des BKA-Gesetzes. dritten Beratung des Gesetzentwurfs hat die FDP kurz- fristig einen Entschließungsantrag vorgelegt, der ab- Nach Abs. 7 des § 14 wird das BKA veranlasst, da- zulehnen ist. Die Kritik am Gesetzentwurf der Bundes- rauf hinzuweisen, dass die personenbezogenen Daten regierung kann ich nicht teilen. Die Regelung zur nur zu dem Zwecke genutzt werden dürfen, zu dem sie Bestimmung des wirtschaftlich Berechtigten stellt die übermittelt worden sind. Ferner ist der beim Bundeskri- Banken keineswegs vor unlösbare Probleme. Auch gibt minalamt vorgesehene Löschungszeitpunkt mitzuteilen. es keinen Generalverdacht gegen die sogenannten poli- Die Übermittlung personenbezogener Daten unterbleibt, tisch exponierten Personen. Die FDP hat sich mit ihrem wenn Grund zu der Annahme besteht, dass mit der Über- Antrag insbesondere die Kritik der Bankenverbände zu mittlung gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes eigen gemacht, die uns nicht überzeugt. Insgesamt ist der verstoßen wird. Die Übermittlung unterbleibt außerdem, vorliegende Gesetzentwurf kaum kritikwürdig, weil er wenn durch sie schutzwürdige Interessen des Betroffe- sich ganz eng an die Richtlinie anlehnt, also dem Prinzip nen beeinträchtigt werden, insbesondere wenn im Emp- der Eins-zu-eins-Umsetzung folgt. Die Bekämpfung der fängerland ein angemessener Datenschutzstandard nicht Geldwäsche selbst hat sich grundsätzlich bewährt. Wenn gewährleistet ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008 18185

(A) Zweck von bilateralen Abkommen ist es, den Sicher- größter Handelspartner Vietnams. Betrachtet man die (C) heitsbehörden bei der Zusammenarbeit Konturen zu ver- vietnamesischen Exporte, nimmt Deutschland – hinter leihen, wie zum Beispiel Deliktfelder und den Rahmen den USA, Japan, Australien und China – Rang fünf ein. der Zusammenarbeit festzulegen. Es wird quasi der Bo- Wichtigste vietnamesische Exportprodukte nach Deutsch- den bereitet für eine gute bilaterale Zusammenarbeit. land sind Schuhe, Bekleidung, Kaffee, Fisch und Pfeffer. In umgekehrter Richtung spielt der Export von Maschi- In den vergangenen Jahren wurden sogenannte OK- nen die wichtigste Rolle. Abkommen geschlossen mit der Türkei – 2003 –, mit den Vereinigten Arabischen Emiraten – 2005 – und mit Im Juli 2006 wurde ein neues Unternehmens- und ein Kuwait – 2007. Daneben gibt es noch das hier zu behan- Investitionsgesetz verabschiedet. Die Rahmenbedingun- delnde Abkommen mit Vietnam – 2006. Es werden zur- gen für ausländische Unternehmer und Investoren haben zeit weitere Abkommen verhandelt, die jedoch noch sich dadurch verbessert. Der am 7. Januar 2007 erfolgte nicht spruchreif sind. Beitritt Vietnams zur Welthandelsorganisation – WTO – Seit Anfang der 90er-Jahre befindet sich die Wirt- wird die Attraktivität des vietnamesischen Marktes wei- schaft Vietnams in einem Übergangsprozess von einer ter erhöhen, wenngleich die Liberalisierung aufgrund Plan- zu einer Marktwirtschaft mit „sozialistischer Orien- vereinbarter Übergangsfristen nicht in allen Sektoren tierung“. Diese schrittweise betriebene Erneuerungspoli- gleich schnell voranschreiten wird. tik – „Doi Moi“ – hat in den ersten Jahren bemerkens- Es ist eine kriminalistische Erfahrung, dass mit der werte wirtschaftliche Erfolge erzielt, unter anderem wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes und ihrer in- hohe Wachstumsraten und enorme Exportsteigerungen. ternationalen Ausrichtung auch ein Mehr an internatio- Vietnam ist ein Rising Star mit großer ökonomischer naler Kriminalität einhergeht. Es ist richtig und vorsor- Entwicklung. gend, dass sich Deutschland darauf einstellt. Gerade im Insgesamt nimmt Deutschland bei den Ausfuhren Bereich der Bekämpfung besonders schwerer Straftaten nach Vietnam nur Rang 14 ein – Platz 1 China, Platz 2 kann uns dieses Abkommen mit Vietnam gute Dienste Singapur, Platz 3 Taiwan –, bleibt innerhalb der EU aber erweisen.

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