Freie Universität

Otto-Suhr Institut, Fachbereich für Politikwissenschaften

Erstbetreuer: Prof. Dr. Werner Reutter

Zweitbetreuer: Dr. Lothar Krempel

Deliberative Demokratie und virtuelle Öffentlichkeiten

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Eine Systematisierung von Einflussfaktoren politischer Online-Diskussionen

Masterarbeit

eingereicht von: Eberhard Schilling (4446510)

Berlin, den 18.09.2013 Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung...... 4 1.1. Deliberative Beteiligungschancen durch das Internet...... 4 1.2. Forschungsfrage und Herangehensweise...... 7 1.3. Forschungsstand...... 9

2 Warum Partizipation? Demokratietheoretische Überlegungen...... 13 2.1. Begriffsbestimmung: Um welche Formen der Beteiligung geht es?...... 13 2.2. Krise der Repräsentation und postdemokratische Symptome...... 18 2.3. Deliberative Demokratie...... 22

3 Öffentlichkeit neu gedacht. Spezifika der Netzkommunikation...... 25 3.1. Die veröffentlichte Meinung und der Kampf um Deutungshoheit...... 26 3.2. Entgrenzte Kommunikation: many-to-many...... 28 3.3. Integration vs. Fragmentierung...... 30 3.4. Netzwerke: Remix, weak ties und filter bubbles...... 33

4 Zwischenfazit...... 37

5 Methode...... 39 5.1. Erhebung: Das Instrument der ExpertInneninterviews...... 39 5.2. Die GesprächspartnerInnen...... 42 5.3. Auswertung: Die Thematische Analyse...... 48

6 Ergebnisse...... 50 6.1. Lernprozesse: Welche Faktoren PODs beeinflussen...... 50 6.1.1. Zielbestimmung...... 50 6.1.2. Aktivierung...... 52 6.1.3. Moderation...... 54

2 6.1.4. Repräsentativität...... 59 6.1.5. Responsivität...... 60 6.1.6. Offline-Verknüpfung...... 62 6.2. Zusammenfassung...... 64

7 Fazit...... 69

Bibliographie...... 73 Literatur...... 73 Zeitungsartikel...... 76 Internetquellen (chronologisch):...... 76

Anhang...... 77 Abbildungsverzeichnis...... 77 Interview Leitfaden...... 78 Codebuch Thematische Analyse...... 79 Transkripte der Interviews...... 81 Niklas Treutner (Liquid Democracy e.V.)...... 81 Matthias Trenél (zebralog)...... 85 Jan Kosok (Der Freitag)...... 90 Ingo Bormuth (Die Piraten, Liquid Feedback)...... 95 Frank Ulmer (BEKO)...... 100 Ralf Reinhardt (Bürgerhaushalt Jena)...... 104 Philip Stolzenberg (Wer denkt was GmbH, Bürgerhaushalt Darmstadt)...... 108 Michelle Ruesch (buergerhaushalt.org/ zebralog)...... 112 Wolfgang Lieb (NachDenkSeiten.de)...... 116 Jens Berger (Spiegelfechter.com)...... 119 Frank Porzky (Süddeutsche.de)...... 124 Maik Werther (Tagesspiegel.de)...... 127

3 1 Einleitung

1.1. Deliberative Beteiligungschancen durch das Internet

Durch universale Verfügbarkeit und die Bereitstellung vielfältiger und einfach zu handhabender Werkzeuge zur Produktion kommunikativer Inhalte ist dem Internet im Hinblick auf den quantitativen Aspekt demokratischer Beteiligung ein außerordentliches Potenzial zuzurechnen. Geht man davon aus, dass die oftmals geschilderte „Demokratieverdrossenheit“ der Menschen mitunter mit Gefühlen der Ohnmacht gegenüber dem Politikbetrieb in einer globalisierten Welt zu tun hat, dann wäre das Internet ein Werkzeug, direktere Formen der Beteiligung zu organisieren und den Menschen ein Stück weit Souveränität zurückzugeben. Daher hat der Fortschritt in den Informations- und Kommunikationsmedien (IuK) der Forderung nach mehr direkter Partizipation als Ergänzung der repräsentativen Säule der Demokratie neuen Vorschub geleistet. „Die Politikwissenschaft interessiert […], ob die IuK-Medien Fundament und Prozess politischer Partizipation neu zu organisieren vermögen“ (Kamps 2007: 299). Für den Einzelnen und die Einzelne haben sich die Möglichkeiten erweitert, sich mitzuteilen und in die Politikgestaltung einzubringen. Bedenkt man, dass sich der Großteil der BürgerInnen lange Zeit in der Rolle des passiven Publikums begnügen musste, in der gelegentliche Abstimmungs- mechanismen einziger Ausdruck der Stimmungslage innerhalb der Wahlbevölkerung waren, so eröffnet die Demokratisierung der Produktionsmittel im und durch das Internet einen flüssigeren und interaktiven Meinungsaustausch einer nahezu unbegrenzten Anzahl von BürgerInnen. Über die demokratische Qualität lässt sich dadurch jedoch noch keine hinreichende Aussage treffen, da mehr Beteiligung nicht gleichbedeutend ist mit einem Mehr an Demokratie (vgl. Helms 2011: 17). Wenn Beteiligung die Qualität der Demokratie erhöhen soll, dann setzt dies erfolgreiche Kommunikationshandlungen voraus, denn „Demokratie ist Kommunikation“ (Meyer 2009: 151). Einer gemeinwohlorientierten Deliberation, verstanden als sprachbasierte argumentative Aushandlungsprozesse zwischen unterschiedliche Interessen verfolgenden Individuen, liegt die Erfüllung einiger diskursethischer Prämissen zugrunde (vgl. Habermas 1981, siehe Kapitel 2.3.). Diese sind allerdings hochgradig normativen Ursprungs und werden durch die gängige Praxis oftmals konterkariert. Kritik ist online wie offline schnell geäußert, wie die Aussage von Mayntz im Leitartikel von „Das Parlament“ unterstreicht: „Die verbreiteten Plattitüden gegenüber „faulen Abgeordneten“ mit „Selbstbedienungsmentalität“ werden wohl niemals vollständig aus den Stammtischdebatten verschwinden“ (Mayntz 2013; Das Parlament; Hervorhebung im Original).

4 Daher verwundert es auch nicht, dass in Diskussionsforen der Trend vorherrscht, diese als offenes Mikrofon zu verstehen, um sich negativ über bestimmte Dinge zu äußern (vgl. Freund 2011). Verständigung wird durch die Abwesenheit körperlicher Hinweisreize und weitgehende Anonymität in virtuellen Räumen textbasierter Kommunikation erschwert. Dennoch werden zunehmend virtuelle Öffentlichkeiten geschaffen, in denen sich „Interpretationsgemeinschaften jenseits jener Öffentlichkeitsebene, die von den klassischen Medien realisiert wird“ (Kamps 2007: 305) konstituieren. Mehrere Städte in Deutschland haben bereits sogenannte Bürgerhaushalte durchgeführt, bei denen die EinwohnerInnen des betroffenen Gebiets online über kommunale Anliegen diskutieren können. Weitere Diskussionsplattformen bieten journalistische Dienste wie Online-Zeitungen oder Blogs. Obwohl bisher noch sehr wenig darüber bekannt ist, was innerhalb solcher diskursiv angelegten Beteiligungsformate vor sich geht, fällt die Prognose bezüglich ihrer demokratisierenden Wirkung je nach Standpunkt oft unangemessen undifferenziert und extrem aus. Sowohl subjektive Empfindungen als auch akademisch abgeleitete Theoriekonstrukte werden dem Gegenstand zu diesem Zeitpunkt nur ansatzweise gerecht.

„Im öffentlichen Metadiskurs werden oft einseitig positive oder negative Sichtweisen vertreten, werden euphorische oder apokalyptische Erwartungen an neue Medien gerichtet. Sie werden der Ambivalenz neuer Medien nicht gerecht: Im Medienwandel ist mit paradoxen Folgeproblemen der intendierten Leistungssteigerung öffentlicher Kommunikation durch neue technische Medien zu rechnen.“ (Neuberger 2009: 30)

Es ist an der Zeit, die Bipolarität optimistisch/pessimistisch zu überwinden (vgl. Witschge 2011: 3), da das Untersuchungsfeld weitaus komplexer ist als es viele der bisherigen Beurteilungen voraussetzen und daher einen differenzierteren Problemaufriss erfordert.

„We may still pose the overarching questions about the net enhancing or hampering democracy, but most research on these themes today acknowledge the overall complexity of the situation, avoid the either/or totalizing perspectives, and address more specific features within the larger landscape.“ (Dahlgren 2009: 160)

Die Frage nach dem Demokratisierungspotenzial des Internets ist keineswegs neu. Der Einzug der Technik in die zivilgesellschaftliche Nutzung hat Anfang der 1990er Jahre unmittelbar eine Debatte darüber ausgelöst (vgl. für einen Überblick Winkler 2011: 392ff.). NetzoptimistInnen, Netzneutrale und NetzpessimistInnen können sich alle jeweils auf Argumente berufen, deren Gültigkeit zwar unzweifelhaft ist, die sich gegenseitig allerdings nicht ausschließen. „Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, auf pragmatischen Netzneutralismus zu setzen, denn eine

5 Voraussetzung erfolgreichen Gestaltens ist Glaube an Gestaltbarkeit“ (ebda: 396). Sowohl technikdeterministische als auch kulturpessimistische Kausalzusammenhänge greifen zu kurz. Technische Errungenschaften sind von sich aus weder positiv noch negativ, sondern amoralischer Natur. Es auf die bewusste Verwendung durch soziale AkteurInnen an (vgl. Castells 2004: 76). Zudem ist das Medium Internet im historischen Kontext noch sehr jung, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass die Aneignung durch die NutzerInnen am Anfang eines ständigen Lernprozesses steht.

„Das Internet ist ein Medium im Werden, bei dem analytisch scharf zwischen dem technischen Potenzial und der vorfindbaren Praxis, zwischen den Möglichkeiten und dem tatsächlichen, empirisch belegbaren Gebrauch unterschieden werden muss“ (Neuberger 2009: 36).

An dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an. Das Anführen von Extrembeispielen als Beleg dafür, dass das Internet kein partizipatorisches Potenzial böte, ist kontraproduktiv und missachtet die Tatsache, dass es die eine Netzöffentlichkeit nicht gibt und die kommunikative Praxis in den unterschiedlichen Kommunikationsräumen variiert. Demokratische Aushandlungsprozesse brauchen Regeln, so dass es darum gehen muss, „wie der Diskurs im Internet insgesamt organisiert sein müsste, damit Auseinandersetzungen [...] wahrscheinlicher auf zivile Weise ausgetragen werden“ (Schloeman 2011: Sueddeutsche; Kursiv im Original), wie Schloeman es treffend formuliert hat. Wenn Partizipation innerhalb der Demokratie bestimmten Regularien folgt, um ihr Gelingen wahrscheinlicher zu machen, stellt sich die Frage, warum das nicht auch für Online-Beteiligung gelten soll. Der quantitative Aspekt rückt dabei gegenüber dem qualitativen Aspekt in den Hintergrund. Die Aussage Johan Herzbergs, Mitglied des Vereins „government 2.0“, könnte dabei handlungs- anleitend sein:

„Das eigentliche Problem der Bürgerbeteiligung besteht […] nicht so sehr in der Frage, ob es mehr Volksentscheide geben sollte oder nicht, sondern in der Suche nach Methoden und Formaten, die es erlauben, das verteilte Wissen der Gesellschaft über IT-gestützte Beteiligungsformate nachhaltig in das Wissen des Staates zu überführen.“ (Herzberg 2013; government 2.0)

Die technischen Potenziale des Internets alleine reichen nicht aus. Die Frage muss vielmehr sein, wie Kommunikationsräume im Netz gestaltet werden können, um ihre kommunikative Macht für die Demokratie fruchtbar zu machen (vgl. Harper 2011: 3). „In short, the task of doing democracy, of making democracy stronger, is incredibly hard. Yet this is not only technically possible, but

6 politically important for our democracy“ (Cavalier 2011: 266).

1.2. Forschungsfrage und Herangehensweise

So wie es im parlamentarischen Alltagsbetrieb bestimmte kommunikative Regeln und Abläufe gibt, entwickeln sich ambitioniertere politische Öffentlichkeiten im Internet ebenfalls weg vom anarchischen Kommunikationsraum hin zu strukturierteren Formaten. Dahinter steckt die Einsicht, dass bestimmte Rahmenbedingungen für dialogische Verfahren sinnvoll sein können. „Like any form of civic education, the success of a deliberative endeavor depends on choices made by its designers“ (Lupia 2009: 59). Das heißt auch, dass AkteurInnen, die im Alltag auf verschiedenen Ebenen mit solchen deliberativen Formaten zu tun haben, bestimmte Vorstellungen darüber haben, was diese leisten können und wo sie auf Grenzen stoßen. Das persönliche Arbeitsumfeld und der eigene Erfahrungshorizont beeinflussen dabei ihre Erwartungshaltungen. Die Tatsache, dass die Anzahl von Online-Beteiligungsverfahren stetig steigt, hat gleichzeitig zu deren Professionalisierung und zunehmenden Institutionalisierung durch involvierte AkteurInnen speziell in diesem Bereich geführt. Die Initiierung und Moderation solcher Formate wird mitunter an Unternehmen (zebralog, demos, init etc.) ausgelagert oder es werden eigene Koordinationsstellen innerhalb der Verwaltung eingerichtet (Bürgerhaushalt Jena). In jedem Fall steigt die Expertise in diesem Bereich, wodurch auf einen gewissen Erfahrungsschatz zurückgegriffen werden kann. Der Anspruch der vorliegenden Masterarbeit ist es, einen Teil dieser Erfahrungen durch Interviews abzuschöpfen. Der besondere Wert liegt darin, einige der verschiedenen Stränge des Themenfeldes in fruchtbarer Weise zusammenzubringen. „The challenge in creating a field for those involved in online deliberation is to identify, bring together, and organize the many strands of work that bear on this topic“ (Davies 2009: 5). Die verschiedenen persönlichen Hintergründe der Befragten ermöglichen es beispielsweise, technische Überlegungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu verknüpfen. Als ArchitektInnen virtueller Kommunikationsräume sowie durch die technische Implementierung „kanalisieren [sie] das Nutzerhandeln, wenngleich sie es nicht völlig determinieren“ (Schmidt 2012: 8). Bisher gibt es noch kaum Erkenntnisse darüber, ob solche Kommunikationsräume aktiv gestaltet werden und welchen Prämissen solche Eingriffe folgen. Ziel der Arbeit ist es, jene Einflussfaktoren ausfindig zu machen, die in den Augen der befragten ExpertInnen die Kommunikation in ihren Teilöffentlichkeiten maßgeblich beeinflussen. Die Forschungsfrage, die den empirischen Teil anleitet, lautet also:

7 „Welche Einflussfaktoren bestimmen die Kommunikation in virtuellen Teilöffentlichkeiten politischer Beteiligung und inwieweit werden Maßnahmen ergriffen, um sie erfolgreicher zu gestalten?“ „Erfolg“ muss in diesem Fall nicht erst definiert werden, da es sich um keine objektive Kategorie handelt, sondern sich an den jeweiligen Zielsetzungen der Befragten orientiert. Die Frage nach den ergriffenen Maßnahmen zielt auf die Lernprozesse der Interviewten ab. Damit wird eine prozessuale Dimension eingeführt, die praktische problemorientierte Lösungsansätze für virtuelle Beteiligung eröffnet. Die Arbeit bewegt sich demnach im Schnittfeld von Politik- und Kommunikationswissenschaften. Der übergeordneten politikwissenschaftlich relevanten Leitfrage nach dem Demokratisierungs- potenzial des Internets wird nachgegangen, indem kommunikationswissenschaftliche, sowie medien-, öffentlichkeits- und demokratietheoretische Überlegungen angestellt werden, welche den empirischen Forschungsteil inspirieren sollen. Die Herangehensweise ist aus mehreren Gründen explorativer Art. Bisher wurde noch kein Versuch unternommen, die Perspektiven von Verantwortlichen solcher Online-Diskussionsformate systematisch einzuholen. Durch die interdisziplinäre Herangehensweise lassen sich zudem auch keine passenden Theoriegebäude heranziehen, es sei denn, man lässt zu, durch hohe Abstraktion mögliche Erkenntnisse im Vorhinein auszuschließen. Die gewonnenen empirischen Daten zielen darauf ab, mögliche bisher unbeachtete Einflussfaktoren zu identifizieren. Es wird davon ausgegangen, dass beim Untersuchungsgegenstand Online-Kommunikation enorm viele intervenierenden Variablen außerhalb des Blickwinkels der Forschenden wirken, über deren Bedeutung bisher nur wenig bekannt ist, die aber Berücksichtigung finden sollten, wenn versucht wird, die Demokratiefrage differenziert beantworten zu wollen. Trotz des explorativen Zugangs zum Themenfeld wird es als sinnvoll erachtet, theoretische Vorüberlegungen anzustellen, um der Frage nach dem Demokratisierungspotenzial diskursiv angelegter Online-Beteiligung im Schlussteil ein entsprechendes Fundament geben zu können.

Hohe Bedeutung für das Verständnis der Zielsetzung kommt dem Kapitel 2.1. zu, da dort definiert wird, welcher Begriff von Beteiligung in dieser Arbeit verwendet wird. Die Zentralität des kommunikativen Aspekts impliziert, dass direktdemokratische Instrumente, die weitgehend auf Abstimmungsprozessen beruhen, hier nicht von Bedeutung sind. Es wird eine spezifische Begrifflichkeit benutzt, die die Diskursivität der Formate hervorhebt, ohne zugleich an der Hürde strikter normativer Prämissen zu scheitern. Nach dieser Begriffsklärung gilt es zunächst, die Aktualität partizipativer Forderungen, die an das demokratische System herangetragen werden, zu

8 begründen. Hier werden zum einen Defizite des derzeitigen repräsentativen Systems ausgemacht (Kapitel 2.2.) und zum anderen nachvollzogen, warum der Fortschritt in den Informations- und Kommunikationstechnologien die Forderung nach direktdemokratischen und insbesondere deliberativen Elementen neu befeuert (Kapitel 2.3.). Das deliberative Modell wird dabei im Hinblick auf den in dieser Arbeit gewählten explorativen Zugang zum Themenfeld einer kritischen Überprüfung unterzogen. Kapitel 3 stellt den zweiten Teil des theoretischen Gerüsts dar. Es wird darum gehen, das Konzept der Öffentlichkeit unter den Bedingungen des Internet-Zeitalters neuerdings zu beleuchten. Dazu wird nachvollzogen, welche Defizite die massenmedial organisierte Öffentlichkeit hinsichtlich des gesellschaftlichen Verständigungsprozesses hat (Kapitel 3.1.) und inwieweit das Internet die kommunikativen Potenziale bereithält, diese zu beheben (Kapitel 3.2.). Die Beurteilung darüber welche Auswirkungen die individualisierten Kommunikationsflüsse, die sich aus dem Internet ergeben, auf das Konzept der Öffentlichkeit haben, führt zu zwei verschiedenen Thesen (Kapitel 3.3.). Im letzten Unterkapitel dieses Abschnitts (3.4.) werden einige netzwerktheoretische Überlegungen festgehalten, die es sich im Hinblick auf die Interpretation der empirischen Ergebnisse im Hinterkopf zu behalten lohnt. Das Zwischenfazit (Kapitel 4) hat die Funktion, die Bedeutung der theoretischen Überlegungen für die anschließende empirische Untersuchung herauszustellen. Vor der eigentlichen Auswertung der ExpertInneninterviews (Kap. 6) wird die Wahl der Methode begründet, indem nachvollzogen wird, was sie letztlich leisten kann (Kap. 5.1.). Des Weiteren werden die GesprächspartnerInnen vorgestellt (Kap. 5.2.) und die Herangehensweise an das Material dokumentiert (Kap. 5.3.). Die Schlussüberlegungen (Kap. 7) sollen den Neuigkeitswert der gewonnenen Ergebnisse hervorheben und durch den Rückbezug zur Theorie einen Ausblick darauf geben, einerseits welches demokratisierende Potenzial den untersuchten Formen virtueller politischer Beteiligung zuzuschreiben ist und wo andererseits Anknüpfungspunkte weiterführender Forschung gesehen werden.

1.3. Forschungsstand

Die Bedeutung von Kommunikation als Mittel der Koordination gesellschaftlicher Interessen ist eng mit dem deliberativen Demokratiemodell verknüpft. Daher verwundert es nicht, dass mit der Verbreitung des Internets als universales Kommunikationsinstrument dieses Modells deutlich an Prominenz hinzugewonnen hat.

9 Wenn es um deliberative Ansätze von Demokratie und Kommunikation geht, führt kein Weg an Jürgen Habermas vorbei. Seine Arbeiten zum Konzept der Öffentlichkeit und der Rolle von Kommunikation als Mittel des gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses in Form seiner „Theorie des kommunikativen Handelns“ (1981) können als wegweisend bezeichnet werden. In der Tradition der Kritischen Theorie stellte Habermas einen hohen normativen Anspruch an Öffentlichkeit und sah in seiner Diskursethik einen geeigneten Weg, herrschende Machtverhältnisse durch die Ausübung kommunikativer Macht auflösen zu können. In seinem europäischen Manifest „Ach, Europa“ (2008) knapp 30 Jahre später greift er seine Überlegungen auf und bezieht darin den durch das Internet induzierten technischen Wandel ein. Empirische Übersetzung fanden die hochgradig normativen Überlegungen von Habermas vor allem durch die Arbeiten von James Fishkin, Professor für Kommunikation an der Universität Stanford, an der er das „Center for Deliberative Democracy“ leitet. Seiner Meinung nach leidet die Meinungsforschung daran, unausgegorene Ergebnisse einer weitgehend uninformierten Masse zu produzieren, während freiwillige deliberative Verfahren sich den Vorwurf mangelnder Repräsentativität gefallen lassen müssen (vgl. Fishkin 2009). Mit der praktischen Umsetzung der von ihm entwickelten „Deliberative Polls“ erzielte er nachweislich Erfolge im Sinne einer Steigerung des politischen Engagements der TeilnehmerInnen sowie ihrer Argumentations- bereitschaft (vgl. Stanford University). Weitere praktische Erfahrungen und theoretische Überlegungen zum Thema deliberative Demokratie finden sich in den Sammelbänden von Cavalier (2011) und Davies/ Gangadharan (2009). Freelons (2010) Beitrag macht auf die empirische Problematik des deliberativen Konzepts hinsichtlich seiner Anwendung auf das Untersuchungsfeld Online-Kommunikation aufmerksam. In ihrem gemeinsamen Werk „Bowling Together“ nehmen Coleman/Gøtze (2001) Robert Putnams Aufsatz von 1995 zum Anlass, auf Faktoren hinzuweisen, durch die Onlinebeteiligungsprozesse das von Putnam beobachtete schwindende soziale Vertrauen wieder herstellen können. Ähnlich wie Fishkin sind beide der Meinung, dass Beteiligungsforen bestimmte Rahmenbedingungen erfüllen müssen, damit sie einen positiven Effekt auf die Meinungsbildung und somit auf eine höhere Qualität politischer Entscheidungen haben können. Ihre Überlegungen dienen somit als Ausgangsbedingungen dieser Arbeit. Einen breiteren theoretischen Ansatz verfolgt Dahlgren, indem er einen größeren Zusammenhang zwischen Demokratie, Beteiligung und neuen Medien herstellt. Ihn interessiert, welche neuartigen Beteiligungspraxen durch den Medienwandel entstehen und welche Rolle „civic cultures“ spielen. Neben individuellen Prädispositionen sieht Dahlgren soziokulturelle und gruppenspezifische Variablen am Werk, wenn es darum geht, aktuelle hegemoniale Demokratievorstellungen

10 anzufechten (vgl. Dahlgren 2009). Kersting gibt in seinem Sammelband (2008) eine interdisziplinär angelegte Übersicht über klassische und moderne Beteiligungsverfahren und spannt dabei den Bogen von repräsentativen hin zu diskursiv-interaktiven Formaten der Partizipation. Auf der Wirkungs- und Nutzungsebene forscht eine Gruppe an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf derzeit zum Thema „Normsetting“ (www.normsetting.org). Die interdisziplinäre ForscherInnengruppe geht dabei der Frage nach, wie sich bestimmte soziale Normen durch kooperative Formen im Internet durchsetzen. Daran nimmt auch Prof. Dr. Gerhard Vowe teil, der zuletzt mit Emmer und Wolling die Ergebnisse einer breit angelegten Studie rund um die (politische) Nutzung des Netzes veröffentlichte (vgl. Emmer/Vowe/Wolling 2012), in der die Forschergruppe einen moderaten positiven Effekt des Internets auf die politische Informiertheit seitens der UserInnen beobachten konnte, der sich in ihren Augen allerdings nur unwesentlich auf Partizipation auswirke. Diese Überlegungen sind insofern interessant, da sie eine zeitliche Dimension ins Spiel bringen, und von Lern- und Konvergenzprozessen in Gruppen- kommunikationsprozessen ausgehen. Überlegungen, wie sich mit dem Internet die Öffentlichkeit und die Rolle der Massenmedien ändern, kommen neben Habermas aus der Journalismusforschung. Allen voran geht Christoph Neuberger, der im medialen Umbruch eine Chance für eine Öffnung des professionellen Journalismus gegenüber der durch das Netzwerk integrierten Zivilgesellschaft sieht (vgl. Neuberger 2009). Schließlich gibt es noch einige fallspezifische Untersuchungen onlinebasierter Beteiligungsverfahren. Freund (2011) und Perlot (2007) haben Diskussionen in Onlineforen unter deliberativen Gesichtspunkten untersucht und sind beide mehr oder weniger zu dem Entschluss gekommen, dass sachliche Diskurse dort die Ausnahme darstellen. Das Problem aus der Sicht der in dieser Arbeit vertretenen Herangehensweise an das Untersuchungsobjekt ist die Tatsache, dass ihre Methoden der Inhaltsanalyse und der quantitativen Auszählung bestimmter Beitragskategorien, die zum Teil sehr formalistischen Kriterien entsprechen, von Vornherein ein bestimmtes Ergebnis präjudizieren, vor allem dann, wenn man sich an den kaum einlösbaren normativen Idealen habermasianischer Deliberation abarbeitet, von denen die vorliegende Arbeit Abstand nehmen will. Daher untersucht Witschge (2011) Online-Diskussionen unter diskursanalytischer Perspektive. Ihr Ansatz der Critical Discourse Analysis (CDA) versteht Sprache als soziale Praxis, durch die Ausschluss- und Inklusionsmechanismen wirken und somit Machtasymmetrien im Diskurs aufdeckten, was besonders im Hinblick auf das Gleichheits- und Offenheitsideal deliberativer

11 Demokratie von Bedeutung ist. Die Erforschung der Bedeutung von Online-Kommunikation für die Demokratie erfolgt also in verschiedenen Disziplinen. Kommunikations- und Politikwissenschaft, Psychologie und Soziologie, alle haben ihren eigenen Blickwinkel auf das Untersuchungsfeld, so dass es gilt, die unterschiedlichen Stränge zusammenzuführen, um ein differenzierteres Verständnis des Feldes zu erlangen. Der theoretische Teil dieser Arbeit dreht sich vorwiegend um politik- und kommunikationswissenschaftliche Aspekte.

12 2 Warum Partizipation? Demokratietheoretische Überlegungen

2.1. Begriffsbestimmung: Um welche Formen der Beteiligung geht es?

Wenn im Folgenden von Beteiligung gesprochen wird, dann handelt es sich um Partizipation im weiteren Sinne. Politik wird hierbei nicht lediglich als institutionelle Ausprägung eines repräsentativen Demokratieverständnisses angesehen, welches durch singuläre Ereignisse (Wahlakte) und formalisierte Standardverfahren (Volksbegehren etc.) beeinflusst wird, sondern als eine jederzeit der kritischen Überprüfung ausgesetzten Vereinbarung über die Ausgestaltung des sozialen Zusammenlebens. Man kann hier Niedermayer folgen, der von „partizipativem Handeln“ spricht und damit „freiwillige Handlungen mit dem Ziel der Beeinflussung politischer Entscheidungen“ (Niedermayer 2001: 156) meint. Der informelle Charakter wird deshalb betont, da hier nicht der Eindruck entstehen soll, es gehe um direktdemokratische Verfahren im Allgemeinen, auch wenn dialogische Verfahren bei Kersting darunter fallen (vgl. Kersting 2008: 21). Diskursives bzw. deliberatives Engagement geht in seiner Qualität weit über institutionalisierte direktdemokratische Instrumente hinaus, da diese letzten Endes bloß zu Abstimmungen degenerieren und den argumentativen Charakter ausblenden. Beteiligung meint im Folgenden also argumentative themenbezogene politische Diskussionen, die maximal konsultative Wirkung in der Entscheidungsvorbereitung haben können und daher pre- legislativ sind (vgl. Kersting 2008: 27, Winkel 2009: 384). Durch diese Anmerkung soll bereits im Vorhinein verhindert werden, dass onlinebasierten Beteiligungsverfahren zu große Erwartungen entgegengebracht werden, die in naher Zukunft nicht erfüllt werden können.

„Anders als in den institutionalisierten Beratungen vor Gerichten, Parlamenten, Ausschüssen oder Kabinettssitzungen soll sich die rationalisierende Kraft der politischen Öffentlichkeit gerade nicht auf politische Entscheidungen, sondern nur auf die Meinungsbildung erstrecken.“ (Habermas 2008: 147)

Das heißt jedoch mitnichten, dass Meinungsbildung und politische Entscheidungen voneinander abgekoppelt sind, denn sonst verkäme der öffentliche Argumentationsprozess zur reinen „Schaudeliberation“. Wichtig ist nur, im Hinterkopf zu behalten, dass beispielsweise Wahlen ein Ergebnis hervorbringen (siehe auch Abb. 1), und somit die WählerInnenstimmen in Form einer gewählten Regierung homogenisiert werden, obwohl das Wahlvolk durchaus konfliktgeladen und heterogen sein kann.

13 Tabelle 1 stellt ein enges minimalistisches Verständnis von Partizipation der hier verwendeten maximalistischen Definition gegenüber.

Tab. 1: Beteiligung im engeren und im weiteren Sinne

Minimales Verständnis Maximales Verständnis

formell informell

Makrolevel Mikrolevel

Politik i.e.S. Politik i.w.S.

unidirektional multidirektional

Homogenität Heterogenität

Konsensorientierung Konfliktorientierung

Outputlegitimation Inputlegitimation

*Kategorien angelehnt an Carpentier (2011: 17)

Maximale Formen der Beteiligung verfolgen nicht das Ziel eines durch Auszählung legitimierten Outputs, sondern eine kontinuierliche und argumentativ geprägte Überprüfung aktueller politischer (Herrschafts-)Verhältnisse durch die Einbeziehung so vieler Beteiligten wie möglich. Verhandlungsgegenstand ist „das Politische“, nicht bloß die Zusammensetzung politischer Institutionen (vgl. Carpentier 2011: 18). Deliberative Beteiligungsverfahren beziehen demnach ihre demokratische Legitimation aus dem gleichberechtigten qualitativen Engagement der Betroffenen auf der Input-Seite der Entscheidungsfindung. Es wird anerkannt, dass eine Gesellschaft als Konglomerat unterschiedlichster Individuen konfliktgeladen sein muss und Ziel sein sollte, im diskursiven Prozess sämtlichen Interessen Gehör zu verschaffen. Mit Hilfe des Internets haben sich diverse Teilöffentlichkeiten herausgebildet, die auf kommunikative Weise mehr oder minder gesellschaftspolitische Entscheidungen beeinflussen wollen, die aber jenseits institutionell-verbindlicher Abstimmungsprozesse funktionieren (siehe Abb. 1). Die Einseitigkeit massenmedialer Kommunikation erfährt durch die Vernetzung kollektive Rückkopplungsprozesse (siehe Kap. 3.2.) durch die BürgerInnen (in Abb.1 vereinfacht als Zivilgesellschaft dargestellt), so dass die vormals monolithisch gedachte Öffentlichkeit ebenso wie die anderen Gesellschaftssysteme eine „offene Flanke“ (Habermas 2008: 169) bekommen hat

14 (in Abb. 1b durch die gestrichelte Linie dargestellt). Die Möglichkeit der qualitativen und diskursiven Beteiligung von unten heraus hat dazu geführt, dass die Teilbereiche poröser geworden sind, so dass eine saubere Trennung immer schwieriger wird.

Abbildung 1a: monolithische Öffentlichkeit und einseitige Kommunikation

Abbildung 1b: virtuelle Teilöffentlichkeiten und Rückkopplungsprozesse

BürgerInnen können sich mit den politischen EntscheidungsträgerInnen auseinandersetzen (z.B. abgeordnetenwatch.de), mit den VermittlerInnen (Onlinezeitungen) oder auch untereinander (Foren). Die unterschiedlichen Level der Partizipation (in Abb. 1b gekennzeichnet durch unterschiedliche Graustufen) sind offen zugänglich und bieten die Möglichkeit zum Meinungsaustausch. Auf solchen Plattformen muss es sich nicht um Belange im nationalstaatlichen Kontext (Makrolevel) handeln, es können auch Fragen von regionaler oder

15 lokaler Bedeutung zum Verhandlungsgegenstand gemacht werden. Entscheidend in deliberativer Hinsicht ist, dass ein Abstimmungsverhalten über von oben vorgegebene Themen oder gar politischen AkteurInnen von einer inhaltlichen Auseinandersetzung über Probleme, die von unten aus der Zivilgesellschaft heraus vorgetragen werden, abgelöst wird. Weder geht es um die Vereinfachung administrativer Vorgänge im Sinne von E-Government (vgl. Winkel 2011: 384ff.) noch um die Verlagerung von Abstimmungsprozessen ins Internet.1 Die Implikationen aus Abbildung 1b bestimmen die weiteren Überlegungen dieser Arbeit maßgeblich, so dass es sich lohnt, die Darstellung im Hinterkopf zu behalten. Den Untersuchungsgegenstand möglichst konkret zu benennen, damit keine Verwechslungen oder Unklarheiten auftreten, erweist sich schließlich als knifflige Aufgabe. Worüber reden wir? „Online-Deliberationen“, „politische Kommunikation im Internet“ oder „onlinebasierte Beteiligungsverfahren“? Was oftmals synonym benutzt wird, meint mitunter etwas völlig Verschiedenes. Der Begriff der Deliberation (siehe Kapitel 2.3.) enthält bereits idealtypische Vorstellungen darüber, welche Attribute Auseinandersetzungen bestenfalls aufweisen, nämlich im Wesentlichen Sachbezogenheit, Chancengleichheit und argumentative Rationalität. Da aber erst untersucht werden soll, inwieweit in virtuellen Öffentlichkeiten solche Merkmale eine Rolle spielen, wo sie zu finden sind und welche anderen Variablen zur Beschreibung von diskursiven Teilöffentlichkeiten dienen, erweist sich der Begriff als zu eng, da er das Spektrum möglicher Erkenntnisse bereits im Vorhinein verkürzt (vgl. Freelon 2010: 1174). Für die Beschreibung alltäglicher Kommunikationshandlungen im Internet, bei der die soziokulturellen Hintergründe der einzelnen TeilnehmerInnen eine Rolle spielen, scheint der stark normativ geprägte Begriff der Deliberation daher ungeeignet, wie auch Dahlgren anmerkt, wenn er schreibt, dass „its excessive emphasis on rationality and its problematic assumptions about equal footing in regard to social power and communicative competence put limits on its utility as a model for general civic participation“ (Dahlgren 2009: 8). Mit politischer Kommunikation als Begriff lässt sich ebenfalls nicht präzise arbeiten, da seine „Grenzenlosigkeit und Hyperkomplexität“ (Saxer 1998: 22, kursiv im Original) darüber hinwegtäuscht, dass es im Folgenden vor allem um zivilgesellschaftliche Kommunikation geht. Im Gegenteil wird unter politischer Kommunikation weitläufig (strategisch motivierte) Kommunikation seitens der offiziellen AkteurInnen und Institutionen der politischen Entscheidungsebene verstanden. Der Beteiligungsaspekt und die Individualkommunikation aus

1 Letzteres ist mit Blick auf ein Urteil des Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 2 BvC 3/07 vom 3.3.2009, Absatz-Nr. (1 - 163)) und die Einschätzung des Chaos Computer Club ohnehin bislang nicht durchführbar, ohne dabei die Verfassung zu verletzen.

16 der Gesellschaft heraus kommen hierbei zu kurz. Unter onlinebasierten Beteiligungsverfahren werden, wie bereits angesprochen, formalisierte Verfahren verstanden (z.B. Petitionen oder Bürgerbegehren), die bereits einen gewissen Institutionalisierungsgrad aufweisen, da sie nach wie vor die gesetzlich vorgesehenen Stationen durchlaufen müssen, auch wenn sie online initiiert und organisiert werden. Da in der vorliegenden Arbeit über Formatgrenzen hinweg untersucht wird, wie diskursive Beteiligung in den unterschiedlichen Teilöffentlichkeiten des Internets genutzt und gestaltet wird, ist es sinnvoll, einen begrifflichen Rahmen zu setzen, der die Informalität und Wechselseitigkeit der Beteiligung betont, so dass im Folgenden in Anlehnung an Freelon von „politischen Online- Diskussionen“ (PODs) die Rede sein wird (vgl. Freelon 2010: 1177). Dieser Begriff erkennt an, dass viele politische Diskussionen, die im Internet geführt werden, den deliberativen Ansprüchen nicht gerecht werden können (vgl. Gerhards/ Neidhardt 1990: 15), andererseits aber mehr sind als bloße Abstimmung über vorgegebene Alternativen.

2.2. Krise der Repräsentation und postdemokratische Symptome

In modernen Demokratien herrscht stets ein Spannungsverhältnis zwischen den beiden wesentlichen Elementen ihrer Organisation: Repräsentation und Partizipation. Ihr komplementäres Wechselspiel definiert die Beschaffenheit eines Modells, welches verschiedene Ausprägungen haben kann, so dass nicht von der Demokratie gesprochen werden kann, sondern wir es mit unterschiedlichen Ausprägungen einer Organisationsform zu tun haben (vgl. Barber 2011: 53ff., Carpentier 2011: 16). Eine weitestgehende Annäherung an das Ideal direktdemokratischer Beteiligung sämtlicher StaatsbürgerInnen bei allen angehenden Entscheidungen bestimmt das Maß an Partizipation demokratisch verfasster Nationalstaaten. Dabei ist Partizipation nicht als Gegensatz zur Repräsentation zu verstehen, sondern als deren Ergänzung. Beteiligungsmöglichkeiten ergeben sich an verschiedenen Scharnierstellen des demokratischen Systems. Parteien als „Organe einer Repräsentation ganz bestimmter Interessen und Werte der Gesellschaft im politischen System“ (Meyer 2009: 85) erfüllen den Zweck, Teile der Gesellschaft bestmöglich zu vertreten. Durch Herausforderungen einer globalisierten politischen Ökonomie, aufgelöste traditionelle Spaltungslinien, mediale Anpassungsstrategien sowie organisationssoziologische Prozesse des Parteiwesens2 gelingt es den Parteien immer weniger, als überzeugende

2 Kann die Partei das System ändern, oder ändert das System die Partei? Robert Michels gibt darauf eine Antwort,

17 Vertretungsinstitutionen gesellschaftlicher Interessen aufzutreten (vgl. ebda: 149f.). Dass der Wunsch nach alternativen Möglichkeiten der politischen Einflussnahme wächst, ist somit nachzuvollziehen. Das Aufkommen der Piratenpartei, deren Alleinstellungsmerkmale der unmittelbaren und umfassenden Beteiligung sowie weitestgehender prozessualer Transparenz schnelle Erfolge bescherte (Einzug in Landesparlamente, Mitgliederzuwachs), macht ebenfalls deutlich, dass es einen Wunsch der Repräsentierten nach mehr direkter Beteiligung zu geben scheint. Zwar handeln die Parlamente als Zusammenschlüsse der gewählten RepräsentantInnen weitgehend „im Lichte der Öffentlichkeit und bleiben damit der Beurteilung durch die Staatsbürger unterworfen“ (ebda: 84). Dieser Beurteilung haftet jedoch eine relativ passive Vorstellung der Regierten an, da sie lediglich durch Zustimmung oder Ablehnung in Form des Wahlaktes über die Performanz der RepräsentantInnen urteilen können, was üblicherweise in Form von ritualisierten Wahlakten stattfindet. „It is, however, the engagement of citizens that gives democracy its legitimacy as well as its vitality, as something propelled by conscious human intentionality, not just habit or ritual“ (Dahlgren 2009: 12). Außerinstitutionelle Formen der Unmutsbekundung werden als Instrumente benutzt, wenn die Parteiorgane in den Augen der Repräsentierten zu statisch agieren und nur unzureichend auf ihre Anliegen eingehen (vgl. Fraenkel 1958: 28).

„Dies geschieht dann, wenn zu wenige Arenen der Beteiligung und der Vermittlung zur Verfügung stehen, der Interessenwettbewerb in den bestehenden Arenen ungleich und mit unlauteren Mitteln ausgetragen wird oder aus sonstigen Gründen der Weg der vermittelten Partizipation versperrt ist. Die Bürger sehen sich in solchen Fällen gezwungen, auf unmittelbare Formen der Interessenartikulation zurückzugreifen und Kontrolle gegenüber den Repräsentanten ad hoc, in außerinstitutioneller und informeller Form, auszuüben.“ (Kestler 2011: 315)

Als Folge ist zu beobachten, dass die politische Parteienlandschaft zunehmend zerfällt, neue Parteien auftreten, und sich Interessen zudem in sachbezogenen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen organisieren. Was die Grünen für die Umweltbewegung waren, sind die Piraten für die jungen Netzaffinen geworden. Neben der Attraktivität für eine Großzahl an ProtestwählerInnen lässt sich der kurzfristige Erfolg der Piratenpartei dadurch erklären, dass sie das Internet als Chance betrachten, politische Prozesse transparenter und responsiver zu gestalten. Ihre Vorstellung einer „Liquid Democracy“ basiert auf einem plebiszitären Principal-Agent-Verhältnis, in welchem Delegationen zu jedem Zeitpunkt durch Mitglieder, die nicht selbst abstimmen wollen, an fachkundige oder indem er an Hand historischer Beispiele nachzeichnet, wie sich die ideologischen Ansprüche neu auftretender Parteien an realpolitischen Gegensätzen abreiben und dadurch das Parteiwesen als Ganzes letztlich seine oligarchischen Tendenzen aufrechterhält (vgl. Michels 1989).

18 sonstige Vertrauenspersonen vergeben können, die von diesen jenseits festgelegter Wahlzyklen aber auch jederzeit wieder entzogen werden können. Im Endeffekt handelt es sich beim Konzept der „Liquid Democracy“ also um eine Mischform zwischen direkter und repräsentativer Demokratie (vgl. Roleff 2012: 20). Das so konsequent wie möglich verfolgte Ziel basisdemokratischer Inklusion innerhalb der Partei stößt jedoch auf bundesdeutscher Ebene zunehmend an ihre Grenzen. Um parlamentarisch handlungsfähig zu sein, sehen sich die Piraten wie alle anderen Parteien vor die Herausforderung gestellt, gebündelte Meinungen einer amorphen Masse zu artikulieren. Verständlicherweise bedeutet alleine diese Tatsache für einige Mitglieder eine stückweise Aufgabe ihres basisdemokratischen Anspruchs, wobei die Veröffentlichung der teils harschen Kritik der Partei zusätzlich schadet. Ihre genuine Forderung nach Transparenz gereift sich dabei zum eigenen Nachteil. Der hohe zeitliche, organisatorische und kognitive Aufwand, dem sich die Piraten ausgesetzt sehen, ist nicht der einzige Nachteil partizipatorischer Formen. „Die neuen, post-repräsentativen Dimensionen der Demokratie begünstigen überwiegend die gebildeten und artikulierten Mittelklassen“ (Nolte 2011: 11f.). Dass viele der gegenwärtigen Probleme, mit denen moderne Demokratien zu kämpfen haben, über direktere Formen wie Referenda nicht gelöst, sondern im Gegenteil verschlimmert würden, zeigt der Demokratietheoretiker und Transformationsforscher Wolfgang Merkel (2011). Er sieht bei solchen partizipatorischen Elementen die ohnehin schon marginalisierten Schichten erneut benachteiligt, da es die gut organisierten, mit finanziellen Mitteln und entsprechendem Bildungsstand versehenen Gruppen seien, die über solche Formate ihre Interessen durchsetzen würden (Merkel 2011: 55). Auch wenn die Beteiligung zudem im Regelfall geringere Quoten aufweist als bei Parlamentswahlen sieht Merkel einzig im Zugewinn von Legitimationsglaube und Vertrauen einen positiven Beitrag von Volksabstimmungen. Das Ziel politischer Gleichheit ist also sowohl bei repräsentativen als auch direktdemokratischen Ausprägungen bisher nicht erreicht worden. Besonders die Variablen Einkommen und Bildungsniveau bestimmen unübersehbar das Ausmaß an Inklusion in den politischen Beteiligungsprozess (vgl. Geißel 2012: 33). Die Zunahme unmittelbarer Formen der Beteiligung, die sich jenseits von Wahlen, Partei- und Lobbyarbeit bewegen, ist durchaus als Zeichen der Unzufriedenheit mit dem repräsentativen System zu verstehen. Insofern mag der Begriff „Politikverdrossenheit“ als Beschreibung eines Krisensymptoms aktueller politischer Verhältnisse brauchbar sein, die daraus resultierende Implikation, dass Volk sei gekennzeichnet durch wachsendes politisches Desinteresse greift jedoch zu kurz.3 Ein Deutungsmuster ist, dass das Angebot politischer Repräsentation immer mehr

3 Bennulf/ Hedberg (1999) unterscheiden drei kognitive Gründe mangelnden politischen Engagements: Misstrauen, Ambivalenz und Gleichgültigkeit. Misstrauen ist die bewusste Ablehnung der politischen Alternativen, während

19 an Profil verloren hat und austauschbar geworden ist. Diesen Prozess nennt Mouffe „Entpolitisierung“ bzw. „postpolitisch“.

„Wenn Bürgerinnen und Bürger den Eindruck haben, dass sie bei den grundsätzlichen Entscheidungen über ihre gemeinsamen Angelegenheiten nicht mehr mitreden können, und dass sich nur noch Experten mit politischen Fragen beschäftigen, weil sie als komplexe technische Probleme angesehen werden, werden demokratische Institutionen ihrer Substanz entblößt und ihrer Legitimität beraubt. Wahlen werden darauf reduziert, der Absegnung von Maßnahmen unterschiedlicher Akteure zu dienen, deren Interessen nicht öffentlich verantwortet werden müssen.“ (Mouffe 2011: 4)

In ihrer Symptombeschreibung eines passiven Wahlvolkes folgt Mouffe jener von Colin Crouch, der den Begriff der „Postdemokratie“ durch sein gleichnamiges Buch (2008) in die politische Debatte eingebracht hat4 und der vor dem Hintergrund der Verzahnung von Wirtschaft und Politik kritisiert, dass der politische Diskurs „zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben“ (Crouch 2008: 10). Er sieht in seiner Argumentation auch die Rolle der Medien kritisch, die sich durch die Übernahme von Showelementen und der boulevardesken Aufbereitung politischer Zusammenhänge selbst ihrer Kontrollfunktion berauben würden und dadurch mitverantwortlich für den „Niedergang[] der ernsthaften Diskussionskultur“ (ebda: 41) seien. Die Ursachen der krisenhaften Symptome sind sicherlich vielschichtig, aber an dieser Stelle nicht entscheidend für unsere weiteren Überlegungen. Die Gefahren, die die zunehmende Abkopplung breiter Gesellschaftsschichten vom politischen Prozess befördern, sind jedoch präsent und sollten benannt werden.

„Wenn immer größere Teile der Bevölkerung den Eindruck haben, dass sie aus politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sind – und sich zunehmend selber ausschließen -, wächst die politische Entfremdung. Aus der Politiker- und Politikverdrossenheit kann eine Institutionen- und schließlich sogar Demokratieverdrossenheit entstehen – inklusive Abwanderung zu extremen Parteien.“ (Geißel 2012: 35)

Zeitgleich zu sozialen Ausgrenzungsprozessen großer Bevölkerungsschichten scheint sich der Handlungsspielraum nationaler Regierungen zu verengen, wodurch politischer Partizipation ihr

Ambivalenz geringeres politisches Interesse voraussetzt und zur Folge hat, dass der Aufwand zur politischen Beteiligung als zu groß angesehen wird. Gleichgültigkeit beschreibt die komplette Entfremdung vom Bereich der Politik, den die Betroffenen lediglich als nicht sonderlich relevantes Teilsystem der Gesellschaft betrachten (vgl. Dahlgren 2009: 82) 4 Crouch hat mit seinem Buch weniger eine Theorie entwickelt, als eine treffende Zustandsbeschreibung krisenhafter Symptome heutiger westlicher Demokratien geleistet. Zumindest führte die Einführung des Begriffs zu einer größeren Auseinandersetzung mit demokratiegefährdenden Entwicklungen heutiger Gesellschaften.

20 dynamisches Moment genommen wird: „Demokratische Beteiligungsformen werden einerseits eingefordert und […] regelmäßig inszeniert, andererseits werden demokratische Hoffnungen frustriert, insofern der Umfang des demokratisch zu Entscheidenden schrumpft“ (Jörke 2011: 17). Es obliegt einer funktionierenden Öffentlichkeit und einer aktiven Zivilgesellschaft, solche antidemokratischen Entwicklungen sichtbar zu machen.

2.3. Deliberative Demokratie

Unter pluralismustheoretischen Aspekten ist die Idee verstärkt deliberativer Mechanismen nah am plebiszitären Modell von Demokratie, in dem das Volk unmittelbarer an der Entscheidungs- findung beteiligt ist als es die Vorstellung von einer einzigen Machtelite oder eines starken Staates nahe legen würde (vgl. Coleman/ Gøtze 2001: 9). Dabei liegt der Fokus im deliberativen Demokratiemodell nicht so sehr auf dem letztendlichen Output, sondern auf einem transparenten, inklusiven und daher demokratischeren Prozedere der Entscheidungsfindung und ist daher kompatibel mit dem Beteiligungsbegriff, der im Kapitel 2.1. entworfen wurde. Der Prozess der Deliberation wendet sich gegen ein elitistisches und rein aggregatives Verständnis von Demokratie, in welchem Legitimität, einer ökonomischen und utilitaristischen Logik folgend, aus den erzielten Ergebnissen gezogen wird (vgl. Lösch 2004: 223f.). Deliberation setzt eine rege Beteiligung der Regierten voraus, die politische Entscheidungen nicht lediglich einer technokratischen Elite überlassen wollen. „Engaging the public in policy-making is a transformative process that will result in a model of two-way governance which is incompatible with a political culture of bureaucratic elitism“ (Coleman/ Gøtze 2001: 13). Akteure aus der Peripherie der Gesellschaft gewinnen in diesem Modell an Bedeutung, da das gemeinsam verfolgte Ziel der Verständigung über Angelegenheiten der Gesamtgesellschaft gleichberechtigten Zugang aller Teilnehmenden erfordert. Rationalität bedeutet in diesem Modell nicht so sehr das konsequente Durchsetzen eigener Interessen, sondern die auf Gerechtigkeitsvorstellungen basierende Bereitschaft, sich von den besten Argumenten überzeugen zu lassen (vgl. Meyer 2009: 77). Öffentlichkeit als Ort des argumentativen Austauschs kommt im deliberativen Demokratiemodell besonders hohe Bedeutung zu. Hier sollen als legitim angesehene Einigungen über das politische Zusammenleben durch Abwägung aller vorgebrachten Einwände und deren Aushandlung entstehen.

21 „Das deliberative Modell begreift die politische Öffentlichkeit als Resonanzboden für das Aufspüren gesamtgesellschaftlicher Probleme und zugleich als diskursive Kläranlage, die aus den wildwüchsigen Prozessen der Meinungsbildung interessenverallgemeinernde und informative Beiträge zu relevanten Themen herausfiltert und diese „öffentlichen Meinungen“ sowohl an das zerstreute Publikum der Staatsbürger zurückstrahlt wie an die formellen Agenden der zuständigen Körperschaften weiterleitet.“ (Habermas 2008: 144)

Nicht nur der wechselseitige Austausch der Argumente sollte öffentlich stattfinden, sondern auch die Diskussion darüber, welche Themen der Auseinandersetzung zugänglich gemacht werden (vgl. Dahlgren 2009: 87). Insofern verneint das deliberative Modell einen naturrechtlich abgeleiteten hypothetischen Volkswillen, da dieser immer wieder aufs Neue durch die Beteiligung des Volkes bestimmt werden muss. „Das Bekenntnis zum plebiszitären Prinzip schließt die Anerkennung eines originären präexistenten Gemeinschaftswohls aus und die Erkenntnis des derivativen Charakters des jeweils als verbindlich erklärten Gemeinwohls ein“ (Fraenkel 1958: 8). Die theoretische Herangehensweise von Habermas enthält zusätzlich einen ausgeprägten moralischen Kern. Normative Prinzipien wie Gleichheit, kritische Selbstreflexion und die Entwicklung von rationalen Sprach- und Argumentationskompetenzen benötigen hohe moralische Kapazitäten der DiskursteilnehmerInnen. Unter diesen Voraussetzungen ist auch nachvollziehbar, dass sich durch die dabei vollziehenden Lernprozesse und den kontinuierlichen Austausch die staatsbürgerlichen Qualitäten der Individuen fundamental zum Positiven entwickeln (vgl. Dahlgren 2009: 87f.). Sowohl die repräsentative als auch die direktdemokratische Praxis weisen deliberative Defizite auf. Die schon erwähnten Mängel parteizentrierter Demokratiesysteme, die besonders in Zeiten der Wahlkämpfe sichtbar werden, einerseits und die repräsentativen Defizite, die sich im Terminus der „Tyrannei der Mehrheit“ ausdrücken, andererseits, machen deutlich, dass ein inklusives, repräsentatives, aber auch umsetzbares Prozedere der Meinungsbildung und Entscheidungs- findung nicht ohne Weiteres umzusetzen ist.

„The choice seems to be between politically equal and uninformed masses, or politically unequal and more informed elites. The latter undermines the idea of popular involvement in politics, and the former involves people only under conditions where they cannot think very much about the choices they make.“ (Fishkin 2012; The European)

Es müssen also bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, damit deliberative Verfahren einen gewinnbringenden Effekt erzielen können und nicht Vorwürfen wie mangelnder Repräsentativität oder Populismus ausgesetzt sind. Sollten Wege gefunden werden, wie die BürgerInnen besser in den Willensbildungsprozess eingebunden werden können, dann sehen Coleman/Gøtze in deliberativen Mechanismen den Vorteil, dass das Verständnis beider Seiten, der politischen

22 Entscheidungsebene und der Zivilgesellschaft, für die jeweils andere Seite wächst und somit die oftmals gedachte Dichotomie zwischen Regierenden und Regierten ein Stück weit auflöst.

„By bringing citizens into the loop of governance, opportunities for mutual learning occur: representatives can tap into the experiences and expertise of the public and citizens can come to understand the complexities and dilemmas of policy-making.“ (Coleman/Gøtze 2001: 12)

Damit solche Vorteile Produkt erfolgreicher Kommunikation sein können, müssen die Öffentlichkeiten, in denen der kommunikative Austausch stattfindet, Verständigung ermöglichen. Besonders im Internet, wo institutionalisierte Formen dialogischer Partizipation die Ausnahme sind, braucht es Regeln der Konfliktaustragung, um dem deliberativen Modell neuen Vorschub leisten zu können. „Öffentlichkeit muss in diesem Modell auch als im Wesentlichen medial vermittelte die Bedingungen eines funktionierenden Verständigungsforums erfüllen“ (Meyer 2009: 153, Hervorhebung im Original). Die theoretischen Ausführungen weisen darauf hin, dass das Konzept der „Deliberation“ nicht besonders geeignet ist, um politische Beteiligung im Internet zu untersuchen. Obwohl der direktdemokratische und kommunikative Impetus sehr gut mit den neuen virtuellen Teilöffentlichkeiten vereinbar ist, stellen die diskursethischen Normen eine in der Praxis unüberwindbare Hürde dar. Im Internet als unorganisiertem Kommunikationsraum, welcher neuartige partizipative Formen hervorbringt, die jenseits von argumentativer Rationalität eigene Dynamiken entwickeln, muss das Konzept von Vornherein scheitern. Digitale Spaltung, Rückzug marginalisierter Schichten, ungleich verteilte Medienkompetenz, das alles sind Faktoren, die dem deliberativen Anspruch nicht gerecht werden können. Der betont rationale Charakter diskursethischer Ansätze lässt zudem außer Acht, dass Emotionen oder gruppendynamische Mobilisierungsprozesse sich im Endeffekt positiv auf politisches Engagement auswirken können (vgl. Loveland/ Popescu 2013: 691). Deliberative Ansätze als Schablone zur Untersuchung politischer Beteiligung im Netz sind demnach ungeeignet, denn „[t]heir „strong“ view of deliberation excludes an awful lot of discussion that can have political relevance, but has no status in a formal deliberative perspective“ (Dahlgren 2009: 89).

23 3 Öffentlichkeit neu gedacht. Spezifika der Netzkommunikation

Die Sphäre, in der sämtliche Meinungen, Vorstellungen, Wünsche und Erwartungen zusammentreffen, nennt sich Öffentlichkeit. Diese hat zwei wesentliche Funktionen zu erfüllen. Zum einen soll sie der Ort sein, an dem antagonistische Ideen und Handlungsvorschläge zusammengebracht und zur Diskussion gestellt werden, zum anderen dient sie der Kontrolle und der Kritik an den Repräsentativorganen (vgl. Gerhards/ Neidhardt 1990: 12). Habermas benennt eine funktionierende politische Öffentlichkeit, die als unabhängige „Sphäre freier Meinungs- und Willensbildung Staat und Zivilgesellschaft miteinander verbindet“ (Habermas 2008: 140), neben dem liberalen Aspekt der individuellen Freiheit und dem republikanischen Aspekt der staatsbürgerlichen Teilhabe als einen der drei wichtigsten Elemente moderner Demokratien. Die an das Konzept der Öffentlichkeit herangetragene Forderung, dass diese nicht nur vielfältige Positionen abbilden und mit Informationen unterfüttern soll, sondern „argumentative Verständigungsprozesse ermöglicht und fördert“ (Meyer 2009: 78), lässt Öffentlichkeit als Sammelbecken sämtlicher Anliegen und deren gemeinschaftlicher Abwägung gesellschafts- konstituierende Wirkung zukommen. Somit besitzt Öffentlichkeit einen doppelten Gemeinwohlcharakter: Sie ist einerseits Ort der Aushandlung über Gemeingüter und andererseits Gemeingut an sich (vgl. Neuberger 2011: 37). Im Gegensatz zum antiken Stadtstaat, in dem öffentliche Angelegenheiten an einem gemeinsamen physischen Ort der Versammlung aller Betroffenen geregelt wurden, stellt sich in modernen funktional ausdifferenzierten Gesellschaften die Frage nach einem Forum der Interessen- artikulation, in dem Anliegen vorgetragen, gesammelt und gebündelt werden können. „Nur unter Verzicht auf Anwesenheitskriterien läßt sich die Chance der Teilnahme aller gewährleisten“ (Gerhards/ Neidhardt 1990: 24). Daher haben sich Massenmedien als Vermittler einer wie auch immer gearteten Wirklichkeit herausgebildet und fungieren nach wie vor als die wichtigsten Aggregatoren politischer Meinungsbildung (vgl. ebda.). Das Internet löst zwar das Problem physischer Gebundenheit von Kommunikation, kann jedoch nicht einfach als weiteres Medium neben den klassischen Massenmedien betrachtet werden. Der Kommunikationswissenschaftler Ulrich Saxer nennt Medien „komplexe, institutionalisierte Systeme um organisierte Kommunikationskanäle von spezifischem Leistungsvermögen“ (Saxer 1998: 54). Das Internet ist dementsprechend entgegen seines Alltagsgebrauchs kein „Medium“, sondern bloß eine technische Infrastruktur.

24 Der hohe Institutionalisierungsgrad der Massenmedien wirft demokratietheoretische Fragen auf. Wer entscheidet, welche Themen auf die Agenda gesetzt werden? Finden alle Einzelmeinungen gleichermaßen Zugang zur veröffentlichten Meinung? Auf die Problematik der massenmedialen Deutungshoheit wird im nächsten Kapitel (3.1.) eingegangen. Das Internet als unorganisierter und unstrukturierter Raum besitzt große kommunikationstheoretische Potentiale (Kapitel 3.2.), die allerdings andere Probleme aufwerfen: Wie lassen sich die relevanten Informationen aus dem Gewirr an Mitteilungen herausfiltern? Wie lassen sich die vielen Einzelmeinungen synthetisieren? Was weiß man über die KommunikatorInnen der übermittelten Botschaften? Aus der Beantwortung dieser Fragen ergeben sich zwei verschiedene Thesen über die Entwicklung der Öffentlichkeit im Internet-Zeitalter, welche in Kapitel 3.3. vorgestellt werden.

3.1. Die veröffentlichte Meinung und der Kampf um Deutungshoheit

„Öffentlichkeit ist der allen Bürgerinnen und Bürgern des Landes zugängliche Raum des Austauschs von Informationen, Meinungen, Argumenten, politischen Projekten, Alternativen und der Kritik an alledem“ (Meyer 2009: 151). Diese neutrale Definition von Thomas Meyer ist normativ nachvollziehbar, verschleiert aber, dass Öffentlichkeit gleichermaßen ein umstrittener Raum ist, in dem die politische Agenda maßgeblich bestimmt wird. „Weil Öffentlichkeit in der Topographie der Gesellschaft an zentraler Stelle im Vorhof zur Macht plaziert ist, ist sie immer auch ein umkämpftes Gebiet“ (Gerhards/ Neidhardt 1990: 11).

Die veröffentlichte Meinung, verstanden als massenmedial kommuniziertes Deutungsmuster über ein Thema (vgl. Habermas 2008: 166), unterliegt Verzerrungen, da „Akteure ihre Macht zum Zweck der Einflussnahme auf die Agenda, den Inhalt und die Präsentation öffentlicher Themen einsetzen“ (ebda.: 158). Skepsis gegenüber den Leistungen der Massenmedien (siehe für einen Überblick Burkart 2002: 382) lässt sich an mehreren Ebenen anbringen. Eine nützliche Unterscheidung liefern Gerhards/ Neidhardt (1990: 13), indem sie Input, Throughput und Output unterscheiden: Informationssammlung, Informationsverarbeitung und Informationsverwendung.

Auf der Input-Seite ist relevant, welche Themen, Interessen und Organisationen Zugang zum intermediären System bekommen und ob alle Anliegen gleichermaßen Berücksichtigung finden. Wirtschaftsstarken und institutionell verdichteten Interessengruppen fällt es leichter, die massenmedial verbreitete Meinung zu beeinflussen als jenen weniger gut organisierten und finanzschwächeren Gruppen, die vorwiegend innerhalb der Zivilgesellschaft vorzufinden sind (vgl. Crouch 2008: 27f.). PR, Öffentlichkeitsarbeit und persönliche Kontakte spielen in der

25 Konkurrenz um den Zugang zur Themenagenda eine nicht zu unterschätzende Rolle. Fortschreitende Kommerzialisierungs- und Monopolisierungstendenzen machen letztlich nicht vor dem Internet halt, so dass die in Kapitel 2.2. angerissenen postdemokratischen Symptome durchaus auch auf die Medienlandschaft anwendbar sind. Unter dem Stichwort „Netzneutralität“ lassen sich Befürchtungen zusammenfassen, die die Deutungshoheit einiger weniger Unternehmen durch privilegierten Zugang über bestimmte Inhalte im Internet kritisch betrachten. Die Infrastruktur ist mit wenigen Ausnahmen in Hand privater Konzerne, die somit als Weichensteller virtuell vermittelter Kommunikationsakte agieren (vgl. Eisel 2011: 100f.). Aggregatoren und Suchmaschinen helfen, sich in der Informationsflut des Netzes zu orientieren, jedoch implizieren prominent platzierte Inhalte eine gewisse Glaubwürdigkeit, die sich durch weitere Verlinkungen nochmals verstärkt, weshalb solche Aggregatoren eher einem „quantitativen Prinzip der sich selbst verstärkenden Bedeutungsvermutung“ (ebda.: 155) folgen. Letztlich läuft die Kommerzialisierung des Internets dem basisdemokratischen Anspruch seines universellen Zugangs zuwider und etabliert neue Hierarchiestrukturen, die das neue Medium eigentlich aufzulösen gedachte. Die wohl wichtigste Funktion des professionalisierten Öffentlichkeitssystems Journalismus besteht in der Verarbeitung der Informationen. Es soll Komplexität reduzieren ohne zu stark zu vereinfachen (vgl. Gerhards/ Neidhardt 1990: 13f.). Da Massenmedien selbst aber auch an ihrem wirtschaftlichen Erfolg bewertet werden, orientieren sich diese an medialen Aufmerksamkeitsregeln zur Reichweitenoptimierung. Das hat im Trend dazu geführt, dass Elemente der Unterhaltung oder zunehmende Personalisierung der Politik eine tiefgreifende Auseinandersetzung über kontroverse Themen abgelöst haben (vgl. Filzmaier 2006: 45). Der Fokus auf Emotionen und Skandale an Stelle von ausgewogenen Analysen ist problematisch für den gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess, denn „wenn die funktionalen Imperative des Marktes in die Logik der Erzeugung und der Präsentation von Botschaften und Programmen eingreifen, wird der eine Kommunikationsmodus unauffällig durch einen anderen ersetzt“ (Habermas 2008: 186). Die Rolle der politischen Entscheidungsträgerinnen auf der Output-Seite bleibt von diesen Entwicklungen nicht unberührt. Massenmedien und politische EntscheidungsträgerInnen gehen eine synergetische Beziehung ein, in der sich die Massenmedien als größte Multiplikatoren eines privilegierten Zugangs sicher sein können, während die Politik sich der Funktionslogik der Medien anpasst, um bestmögliche Publizität zu erreichen. Modelle wie das der Mediendemokratie (vgl. Meyer 2009: 185ff.) machen auf die demokratietheoretische Problematik dieser Interdependenz aufmerksam. Wenn die Medien im Aktualitäts- und Aufmerksamkeitswettbewerb

26 politische Inhalte unkritisch übernehmen oder Ereignisse nur aus dem Grund stattfinden, weil sie sich medialer Präsenz sicher sein können (Pseudoereignisse), wodurch die eigentlichen Inhalte in den Hintergrund geraten, dann verliert Öffentlichkeit in diesem Verständnis ihre kritische Funktion, da symbolische Politik (vgl. Sarcinelli 1987) aus medienwirksamen Zwecken die sachbetonte Ebene der Validierung von politischen Tätigkeiten ablöst. „Das instrumentelle politische Handeln (Herstellung) auf der Ebene der Programme und inhaltlichen Entscheidungen wird von der öffentlichen Selbstdarstellung der Politik […] weitgehend entkoppelt“ (Meyer 2009: 192). Worin liegen nun die Potenziale des Internets begründet, die Deutungshoheit des oben beschriebenen etablierten und in sich weitgehend geschlossenen Systems anzufechten?

3.2. Entgrenzte Kommunikation: many-to-many

Die Massenmedien machen die Welt für uns erfahrbar, ihre Mitteilungen sind jedoch immer auch zu einem großen Teil ein konstruiertes Aggregat subjektiv wahrgenommener journalistischer Wirklichkeit (vgl. Burkart 2002: 273f.). Bisher erschöpfte sich die Wechselseitigkeit des intermediären Systems darin, komplexe politische Prozesse und Inhalte einer professionalisierten Politik für die BürgerInnenschaft verständlich darzustellen und umgekehrt die Stimmung des Volkes an die politischen EntscheidungsträgerInnen heranzutragen. Massenkommunikation unterscheidet sich von traditionellen Formen der (face-to-face) Kommunikation, da a) es sich um öffentlich verbreitete Kommunikation handelt, in der die RezipientInnen nicht genauer definiert sind, b) der Prozess indirekt vonstattengeht, also unabhängig von Raum und Zeit ist, c) vorwiegend einseitig kommuniziert wird, das heißt der Empfänger oder die Empfängerin der Botschaft kann nicht so einfach die Rolle des Kommunizierenden einnehmen, und d) ein technisches Hilfsmittel zur Verbreitung eingesetzt wird. So lautet die gängige Definition von Maletzke (zitiert nach Burkart 2002: 171), die auf die klassischen Massenmedien wie Fernsehen, Zeitung und Radio anwendbar ist. Das Publikum ist ein abstraktes, seine Gestaltungsformen „beschränken sich – sieht man von Leserbriefen und Anrufen ab – auf das Ausschalten bzw. die Abbestellung der „veröffentlichten Meinung“ (Gerhards/ Neidhardt 1990: 24). Die Passivität des Publikums ist größtmöglicher Durchdringung der öffentlichen Angelegenheiten geschuldet. „Nur unter Verzicht auf Anwesenheitskriterien läßt sich die Chance der Teilnahme aller gewährleisten“ (ebda.).

27 Das Internet als virtuelle Agora könnte das Dilemma zwischen unbegrenzter Reichweite durch einseitige Kommunikation einerseits und begrenzter Reichweite durch wechselseitige Kommunikation andererseits auflösen. Durch seine Multioptionalität ermöglicht es eine „ungebremste Evolution eines öffentlichen Raums direkt-kommunikativen Zuschnitts“ (Kamps 2007: 302), der die Deutungshoheit über Themen und deren Aushandlung nicht mehr ausschließlich Politik und Journalismus überlässt, sondern jeder und jedem, die oder der sich beteiligen möchte. Das liegt vordergründig an der Möglichkeit, jederzeit zum Produzenten bzw. zur Produzentin von Kommunikationsinhalten zu werden. Die durch die Digitalisierung möglich gewordene Demokratisierung der Produktionsmittel gibt potentiell jedem Menschen mit Internetanschluss die Werkzeuge in die Hand, sich einem unbegrenzt großen Publikum mitzuteilen. Die partizipativen Zugangshürden sinken.

„Weil dort technische, ökonomische, kognitive und rechtliche Barrieren für das Publizieren niedriger sind als in Presse und Rundfunk, kommt es […] zu einem Entwicklungsschub in der öffentlichen Kommunikation: Die Inklusion des Publikums erweitert sich über die Rezeption hinaus auf die Kommunikation“ (Neuberger 2009: 37).

Kommunikationsprozesse finden unmittelbarer statt und sind weder orts- noch zeitgebunden. Diese Entgrenzung entkoppelt nicht nur die Öffentlichkeit von den klassischen Massenmedien (siehe Abb. 1), sondern ermöglicht in einem weiteren Schritt die direkte Kommunikation einzelner Individuen, ohne dass diese am selben Ort körperlich anwesend sein müssen. Es ist diese many- to-many Kommunikation, die das deliberative Potenzial des Internets maßgeblich begründet (vgl. Kamps 2007: 311). Neben der abnehmenden Relevanz informationeller Ressourcenverwendung durch scheinbar unendlich hohe Speicherkapazität, ständige Abrufbereitschaft sowie permanenter Aktualisierung und der damit einhergehenden Veränderungen in Raum- und Zeitdimension, ist es vor allen Dingen die soziale Dimension, die demokratisierende Potenziale begründet. Durch den beliebig stattfindenden Rollentausch von KommunikatorIn und RezipientIn erhöht sich die Interaktivität und somit die Dynamik wechselseitiger Kommunikation, wodurch sich der Journalismus plötzlich einer Rezipientenschaft ausgesetzt sieht, die durch die unmittelbaren Kommunikationswege den einstmals monopolisierten Deutungsanspruch anzufechten sucht (vgl. Ryfe/ Mensing 2010: 37, Fröhlich/ Quiring/ Engesser 2012: 2). Individuen als auch kollektiv organisierte Akteursgruppen können im Internet ohne den Umweg über eine Vermittlungsinstanz direkt kommunizieren. Diese Disintermediation, also der Wegfall vermittelnder Knotenpunkte, unterminiert die Deutungshoheit der massenmedialen Öffentlichkeit, da die klassische „Gatekeeper“-Funktion (vgl. Burkart 2002: 276f.) des Journalismus umgangen wird (vgl. Bruns 2009). Das heißt, es obliegt nicht mehr ausschließlich den JournalistInnen,

28 welche Nachrichten ihren Filter passieren und was auf die politische Agenda gesetzt wird. Aus emanzipatorischer Perspektive ergeben sich daraus Chancen, an der Fassade einer bürgerlich verfassten Öffentlichkeit zu kratzen, die nicht nur durch einen weitgehend männlich und kommerziellen Zwängen dominierten Journalismus geprägt wird, sondern unterschiedliche Zugangschancen negiert und dadurch hegemoniale Repressionsmechanismen ausklammert. Insbesondere die feministische Kommunikationswissenschaft reibt sich am Habermasianischen Konzept einer einzigen Öffentlichkeit als relevantem Ort der Thematisierung öffentlicher Angelegenheiten und schlägt vor, dass es viele „subalterne Gegenöffentlichkeiten“ (Fraser 1996: 163) gebe, in denen alternative Lösungsvorschläge erarbeitet würden.

3.3. Integration vs. Fragmentierung

Die Sichtbarmachung dezentraler Kommunikation in Teilöffentlichkeiten jenseits der massenmedialen Öffentlichkeit erweckt den Eindruck eines Zerfalls der öffentlichen Sphäre. Die im Internet zirkulierenden Botschaften, die ohne großen Aufwand dem schon bestehenden Gewirr an produzierten Mitteilungen beigefügt werden können, stehen in Konkurrenz zu einer Vielzahl anderer Inhalte, eine Selektionsinstanz jedoch fehlt (vgl. Buchstein 1996: 594f.). „Das Web liefert die Hardware für die Enträumlichung einer verdichteten und beschleunigten Kommunikation, aber von sich aus kann es der zentrifugalen Kraft nichts entgegensetzen“ (Habermas 2008: 162). Partizipation und Interaktion stehen in einem Spannungsverhältnis, denn umso größer die Zahl der KommunikatorInnen wird, umso geringer ist die Chance, rezipiert zu werden. Habermas sieht in der durch das Internet beförderten Zersplitterung nationaler Öffentlichkeiten liberaler Demokratien eine chaotische Tendenz, da „die funktionalen Äquivalente für die Öffentlichkeitsstrukturen, die die dezentralisierten Botschaften wieder auffangen, selegieren und in redigierter Form synthetisieren“ (ebda: 160), fehlen. Das Bedürfnis nach Orientierung innerhalb einer zerklüfteten Themen- und Meinungslandschaft macht die Obsoleszenz der Massenmedien unwahrscheinlich (vgl. Kamps 2007: 308). In modernen westlichen Demokratien sieht Habermas einen tatsächlichen Nutzen von Online- Debatten nur in Anknüpfung an realpolitische Ereignisse wie beispielsweise Wahlkämpfe, da er dem Netz enormes Mobilisierungspotenzial zuschreibt (vgl. Habermas 2008: 162). Zur Kondensierung des „babylonischen Stimmengewirrs“ benötige es seiner Meinung nach jedoch Massenmedien mitsamt einer eher passiv gedachten Rezipientenschaft, weil er die Gefahr sieht,

29 dass im Internet „die gewaltigen Kommunikationsströme, die durch die politische Öffentlichkeit fließen, von kollektiven Lern- und Entscheidungsprozessen losgelöst“ seien und „Meinungen zu bloßen Meinungen degenerieren“ (ebda: 160, Hervorhebung im Original), wodurch keine Diskursivität mehr gewährleistet sei. Dass diese in den traditionellen Massenmedien ebenfalls nicht ermöglicht wird, stellt für Habermas jedoch keinen Widerspruch dar, da er ihnen quasi sein Vertrauen bezüglich des aufgearbeiteten Meinungsspektrums ausspricht und auf die ständige Anfechtbarkeit der öffentlichen Meinung von oben (dem politisch-institutionalisierten System) und von unten (der Zivilgesellschaft) verweist (vgl. ebda: 171). Damit folgt er gewissermaßen seiner Prämisse einer funktionierenden bürgerlichen Öffentlichkeit.

Abbildung 2: Persönliche Netzwerke als Agenda-Setter 2. Instanz

Allerdings missachtet die Fragmentierungsthese die Tatsache, dass es zersplitterte Teilöffentlichkeiten auch schon vor dem Internet gegeben hat. Sie sind nur nicht sichtbar und durch ihre Form der Präsenzöffentlichkeit lokal gebunden gewesen. Dieser Medienbruch ist durch das Internet aufgehoben worden (vgl. Neuberger 2009: 44). Anschlusskommunikation in peer groups wie Familie, Freundeskreis und Schule wird nun durch die Entstehung virtueller Teilöffentlichkeiten ergänzt oder in diese verlagert. Soziale Netzwerke erhöhen die

30 Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Aufmerksamkeitsebenen und können als Agenda Setter zweiter Instanz dienen, indem Themen, die von den traditionellen Leitmedien vernachlässigt werden, zur Diskussion gestellt werden und durch die netzwerkartige Struktur mitunter enorme Resonanz erzeugen, wodurch sie mitunter durch die massenmediale Ebene aufgegriffen werden (Abb. 2). Das Aufflammen von Empörungswellen oder die Einbindung von Amateuraufnahmen in klassische Nachrichtenformate können als zwei Beispiele genannt werden, die für eine leichtere Diffusion kommunikativer Inhalte auf eine reichweitenstärkere Öffentlichkeitsebene sprechen.5 Diese Annahmen laufen der These vom Zerfall der Öffentlichkeit zuwider. Neuberger spricht auf Grund dieser Überlegungen von einer „integrierten Netzwerköffentlichkeit“ (vgl. Neuberger 2009). Die Abwesenheit von Medien- und Formatbrüchen unterminiert dabei stückweise die Selektionsleistung der journalistischen „Gatekeeper“. Jedoch wird sie nicht gänzlich überflüssig, vielmehr erlebt sie einen Funktionswechsel weg vom Schleusenwärter hin zum Beobachter, oder auch „Gatewatcher“:

„Statt einer Bewachung der eigenen Eingangs- und Ausgangstore, die auf eine Beschränkung des Informationsflusses abzielt, beschreibt Gatewatching die Beobachtung der Ausgangstore von externen Nachrichten- und anderen Quellen mit der Absicht, wichtiges Material zu identifizieren, sobald es verfügbar wird.“ (vgl. Bruns 2009: 113)

Dass die Vielfalt der Informationen mit dem Anstieg der Reichweite vermittelnder Instanzen abnimmt, ist dabei kein Problem, sondern auf Grund menschlicher Aufmerksamkeitskapazitäten notwendig. Alternative Informationen liegen jedoch im „long tail“ (Anderson 2007) des Netzes jederzeit zum Abruf bereit und lassen sich durch die grenzüberschreitende Vernetzung vielfältiger Teilöffentlichkeiten leichter mobilisieren (vgl. Neuberger 2009: 49f.). Die Herausforderung bestünde dann darin, die in virtuellen Teilöffentlichkeiten aggregierten Anliegen auf eine höhere massenmedial relevante Öffentlichkeitsebene zu transportieren und dadurch einer gesellschaftlichen Debatte zugänglich zu machen. Denn: „Der Kampf darum, was mit auf die öffentliche Tagesordnung gesetzt wird, ist selbst ein Kampf um Gerechtigkeit und Freiheit“ (Benhabib 1994: 283).

5 Auf die Merkmale sogenannter „Shitstorms“ oder anderer Internetphänomene und deren Problematisierung soll an dieser Stelle verzichtet werden. Sie werden hier nur erwähnt, um zu zeigen, welch integratives Potenzial das Internet besitzen kann.

31 3.4. Netzwerke: Remix, weak ties und filter bubbles

Um grundlegende gesellschaftliche Wandlungsprozesse greifbarer zu machen, setzen sich in der Literatur und im allgemeinen Sprachgebrauch Begriffe durch, die solche tiefgreifenden Veränderungen beschreiben. Der Soziologe Manuel Castells hat mit seiner Metapher der „Netzwerkgesellschaft“ einen Paradigmenwechsel gesellschaftlicher Organisation beschrieben, die durch das Internet neuen Vorschub geleistet bekommen hat (Castells 2000). Der technologische Aspekt ist dabei nicht das Hauptmerkmal dieser Gesellschaftsform, jedoch ihr wichtigster Antriebsfaktor. Castells argumentiert, dass in einer globalisierten Welt, in der sich Grenzen zunehmend auflösen, die klassische hierarchisch durchstrukturierte Organisationsform von einer flexibleren Struktur abgelöst wird, die sich durch netzwerkförmige Beziehungen auszeichnet. Die Möglichkeit zur orts- und zeitunabhängigen Kommunikation durch die neuen Medien fördere dabei die Durchbrechung starrer Hierarchien. Machtverhältnisse würden dadurch nicht mehr durch vertikale Repressionen ausgedrückt, sondern durch die Positionierung innerhalb des Netzwerks (vgl. Castells 2000). Netzwerke konstituieren sich aus einer Vielzahl von Beziehungen und je mehr Beziehungen ein Knotenpunkt innerhalb eines Netzwerks aufweist, desto bedeutender ist seine Rolle einzuschätzen. Jedoch kann ein Netzwerk deutlich flexibler auf Ausfälle bestimmter Knotenpunkte reagieren, da es im Gegensatz zu linearen Organisationsformen die Möglichkeit besitzt, über Umwege oder Neukonfiguration ihre Funktion aufrecht zu erhalten (vgl. für eine Einführung in die Netzwerkanalyse Scott 2000). Mögliche Folgen für politische Partizipation haben z.B. Christakis/ Fowler (2009) an Hand des Wahlakts beschrieben. Sie kommen zu dem Schluss, dass Netzwerkeffekte der Grund dafür seien, dass Menschen wählen gingen, da der Wahlakt an sich auf Grund der Tatsache, dass eine einzige Stimme im Gesamtkontext quasi keinen Effekt habe, ein irrationales Verhalten darstelle (vgl. Christakis/ Fowler 2009: 174f). Menschen gehen zur Wahl, weil sie in ihrem persönlichen Umfeld sehen, dass es ihre Bezugsgruppen ebenfalls tun. Sogenannte opinion leader, also MeinungsführerInnen (in Abb. 2 als größere Elemente dargestellt), geben dabei zusätzlich die inhaltliche Richtung vor, weil sie innerhalb ihres persönlichen Netzwerks eine saliente Position einnehmen, dadurch dass sie beispielsweise besonderes Vertrauen entgegengebracht bekommen (ebda: 183). Das theoretische Fundament positiver sozialer Folgen durch Netzwerkeffekte lässt sich auf Robert

32 Putnam und sein Konzept des „sozialen Kapitals“ zurückführen. Putnam beklagt erstmals in seinem Aufsatz „Bowling Alone“ einen Verlust von Solidarität und Gemeinschaftssinn in der amerikanischen Gesellschaft. Den Anstieg kollektiven Misstrauens sieht er mitunter begründet im Rückgang sozialer Kontakte und des vormals aktiveren Vereinslebens, welches gegenseitiges Vertrauen und gemeinschaftlichen Zusammenhalt noch förderte (vgl Putnam 1995). Gruppenidentitäten sind mitunter dadurch gekennzeichnet, dass sie sich von anderen Gruppen bewusst abgrenzen. Die Annahme, dass Netzwerke nicht vollständig polarisiert und daher isoliert voneinander sind, sondern über schwache Verbindungen miteinander verbunden sind, wurde allerdings bereits in den 70er Jahren vom einflussreichen Soziologen Mark S. Granovetter populär gemacht, indem er auf die Bedeutung solcher „weak ties“ aufmerksam machte. „The strength of weak ties“ (vgl. Granovetter 1973) basiert vorwiegend auf mathematischen Gleichungen und netzwerkanalytischen Überlegungen, ist im Zusammenhang deliberativer Meinungsbildung aber insofern spannend, da Granovetter aufzeigt, dass es nicht die starken Beziehungen des näheren sozialen Umfelds sind, die Einstellungsänderungen hervorrufen, sondern die schwachen, die in ihrer Brückenfunktion sozusagen als Einfallstore alternativer Meinungen dienen (siehe Verbindungslinien in Abb. 2). Da sich Interessen und Einstellungen innerhalb primärer sozialer Bezugsgruppen größtenteils überlappen, besitzen die Informationen, die einen über weiter entfernte Knotenpunkte erreichen, einen höheren Neuigkeitswert.

„[S]uch ties are then of importance […] in that they are the channels through which ideas, influences, or information socially distant from ego may reach him. The fewer indirect contacts one has the more encapsulated he will be in terms of knowledge of the world beyond his own friendship circle (Granovetter 1973: 1370f).

Vor diesem Hintergrund und der einfachen Verfügbarkeit softwaregestützter technischer Produktionsmittel, lässt sich vermuten, dass sich die große Diffusionskraft bestimmter Informationen zu Nutze gemacht werden kann, um Inhalte neu aufzubereiten, zu verändern und wieder zu verbreiten. Wie Inhalte beschaffen sein müssen, damit sie sich viral verbreiten, darüber gibt es so gut wie keine Erkenntnisse6, jedoch steht fest, dass durch Digitalisierung und Vernetzung das Internet ein Medium ist, welches die Endgültigkeit von Kommunikationsinhalten durch kollektive Weiterverarbeitungsprozesse verneint. Web 2.0 als soziales Partizipations- instrument ermöglicht nicht nur die Produktion eigener Inhalte, sondern vereinfacht zudem den Zugriff auf Fremdinhalte und deren Neuverarbeitung. „The ease of interacting, reformatting, 6 Eine gemeinsame Studie der Europa-Universität Viadrina und xaidialoge GmbH hat sich mit dem Phänomen „Internet-Tsunamis“ auseinandergesetzt (2012). Sie haben ein Schema entwickelt, welches den Verlauf solcher Phänomene beschreiben soll. Sie kommen zu dem Schluss, dass solche Tsunamis durchaus Druck auf die politischen EntscheidungsträgerInnen ausüben könne, indem sie Deutungshoheit über bestimmte Ereignisse der Offline-Welt beanspruchen (vgl. Europa-Universität Viadrina und xaidialoge 2012: 269ff)

33 remixing, adding on to existing texts, and so forth, promotes the participatory uses of these technologies“ (Dahlgren 2009: 154). Die Nutzungsweisen im Internet fächern sich in dem Maße aus, in dem die Möglichkeiten der Unterhaltung und Vernetzung steigen. Die virtuellen Räume des „Cyberspace“ sind dabei nicht abgekoppelt von der Realität sondern dienen als komplementäres Werkzeug der sozialen Vernetzung. Drei Viertel aller Jugendlichen in Deutschland sind im sozialen Netzwerk facebook angemeldet (vgl. Feierabend/ Rathgeb 2012: 349). Freundschaften und Bekanntschaften aus dem physischen Umfeld der Jugendlichen bilden dabei auch in dem virtuellen Netzwerk den sozialen Kern. Castells versteht virtuelle Öffentlichkeiten als „self-defined electronic network of interactive communication organized around a shared interest or purpose, although sometimes communication becomes the goal in itself“ (Castells 2000: 386). Im Netz werden solche Zusammenschlüsse von Menschen mit einem hohen Maß an geteilten Einstellungen und Werten als filter bubbles oder Echokammern bezeichnet, in denen sich Gleichgesinnte Dinge erzählen, die sie eigentlich schon wissen (vgl. Eisel 2011: 164f). Die Bestätigung des Vertrauten ist hier das Grundprinzip, jedoch kein internetspezifisches Merkmal, stellt doch ein gemeinsam geteilter Vorrat an Normen und Werten die Basis jeder Freundschaft dar. In Sachen Deliberation wiegt das Argument hingegen schwerer, da diese ja eben darauf zielt, einen gesamtgesellschaftlichen Konsens, der alle Weltanschauungen berücksichtigt, zu finden. Das Problem dabei ist, dass es aus einer deliberativen Perspektive heraus keinen relevanten einheitlichen Kommunikationsraum gibt, indem sich Individuen mit unterschiedlichen politischen Ansichten begegnen. Wo finden inhaltliche Auseinandersetzungen statt? Wo ist der Ort des Politischen? Und wer nimmt daran teil? In Deutschland nutzten 2012 bereits rund vier Fünftel der Bevölkerung das Internet.7 Dabei ist es die Generation ab 60 Jahre, die mit rund 40 Prozent den Gesamtdurchschnitt maßgeblich nach unten zieht. Die Internet-Durchdringung der bis 29 Jährigen ist bereits vollständig vollzogen (vgl. ARD 2012). Allerdings sind es nicht nur demographische Faktoren, die eine „digitale Kluft“ begründen. Bildungsstand und Einkommen bestimmen das Nutzungsverhalten der UserInnen ebenso wie Alter oder rhetorische Fähigkeiten (vgl. Feierabend/ Rathgeb 2012, Price 2011: 233ff). Die Einsicht, dass es tendenziell die schon vormals politisch Aktiven und Interessierten sind, die nun auch im Internet vermehrt das Angebot politischer Information und Vernetzung wahrnehmen, lässt die „Verstärkungsthese“ glaubhafter erscheinen als die „Mobilisierungsthese“, die davon ausgeht, dass das Internet auch die vormals politisch inaktive Schicht mobilisieren könne (vgl. Eisel 2011: 55).

7 Die jährliche ARD/ZDF-Studie spricht hier von 76 Prozent Durchdringung (ard.de), während die „Internetworldstatistics“ (internetworldstats.com) von 83 Prozent ausgeht.

34 4 Zwischenfazit

Im theoretischen Teil wurde versucht, den Bogen darüber zu spannen, warum größere Beteiligungsmöglichkeiten im jetzigen Zustand der Demokratie als notwendig angesehen werden, welchen Verzerrungen die veröffentlichte Meinung unterliegt, und welche partizipatorischen und emanzipatorischen Eigenschaften dem Internet schließlich inne liegen, um die Deutungshoheit der massenmedialen Öffentlichkeit anzufechten. Nationale Politik sieht sich gleich an zwei Fronten einem Legitimationsverlust gegenüber. Zum einen verlieren die Regierungen an Souveränität gegenüber supranationalen Institutionen und zum anderen sinkt die Wahlbeteiligung innerhalb der eigenen Bevölkerung. Hinzu kommt, dass die politischen EntscheidungsträgerInnen wiederholt betonen, welchen Sachzwängen sie in einer globalisierten Welt unterlegen sind. Insofern verwundert die partizipatorische Abstinenz der BürgerInnen nicht, wenn schon das Parlament selbst darüber klagt, nicht ausreichend in wegweisende politische Richtungsentscheidungen eingebunden zu werden.8 Auf der anderen Seite verfügen alle Menschen mit einem Internetanschluss plötzlich über die Möglichkeit, ihre Meinung in verschiedensten Arenen einer allerdings noch relativ zerfaserten Öffentlichkeit kundzutun. Welchen Zugewinn kann das für unsere Demokratie haben? Die Beantwortung dieser Frage findet oftmals in Form von reflexartigen Bekundungen subjektiver Eindrücke statt, die für allgemeingültig erklärt werden.9 Es wird jedoch so langsam deutlich, dass die unüberschaubare Menge kleinster Teilöffentlichkeiten zwar kein Parlament ersetzen kann, es aber immer mehr Bemühungen gibt, auf lokaler und regionaler Ebene durch angeleitete Beteiligungsverfahren BürgerInnen in den Willensbildungsprozess einzubeziehen, wie beispielsweise die steigende Anzahl sogenannter Online-Bürgerhaushalte zeigt. Zwei Entwicklungslinien laufen hier zusammen: Einerseits die Transformation politischer Aktivität, die sich in größerer Distanz zu den etablierten politischen Institutionen vollzieht, und andererseits die Weiterentwicklung der IuKs (vgl. Dahlgren 2009: 33). Die fortschreitende soziokulturelle Diversifizierung der Gesellschaft findet ihr partizipatives Äquivalent in den

8 Zu denken ist hier an die Beschwerde des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert in Richtung Bundesregierung, als Parlament nur mangelhaft über das Ausmaß der Rettungspakete im Zuge der Eurokrise oder den „Pakt für Wetbbewerbsfähigkeit“ unterrichtet worden zu sein. 9 Angst und Euphorie sind dabei gleichermaßen vertreten. Der Generalsekretär der FDP beklagte sich darüber, dass im Netz der Eindruck entstehe, dass „wir alle, die in Parlamenten eine Arbeit machen, in welchen Parteien auch immer, die Deppen der Nation seien“ (Döring 2012, zit. n. www.golem.de). VerfechterInnen einer „Facebook-Revolution“ während des Arabischen Frühlings dagegen vergaßen offenbar, dass es richtige Menschen waren, die ihr Leben auf der Straße riskierten.

35 individuellen Beteiligungsmöglichkeiten des Netzes. Das Forschungsfeld politischer Beteiligung im Internet wirkt bisher noch relativ unsystematisch und ist je nach Erkenntnisinteresse isoliert voneinander behandelt worden. Das ist verständlich, da 1) politische Beteiligung schwer einzugrenzen ist, sobald man über formalisierte Verfahren hinausgeht und 2) das Internet ein sehr junges und unübersichtliches Forschungsfeld für die Sozialwissenschaften darstellt. In dieser Arbeit wird bewusst ein breiter Beteiligungsbegriff verwendet, da hier weniger interessiert, wie standardisierte direktdemokratische Verfahren im Internet einen zusätzlichen Kanal finden, sondern wie die Möglichkeit seitens der BürgerInnen genutzt wird, sich zu politischen Themen inhaltlich zu äußern. Natürlich stellt sich dann auch hier die Frage, wo politische Beteiligung anfängt und wo sie aufhört, welche Foren der Artikulation von Botschaften als relevant erachtet werden und welche nicht, welche (sprachlich-stilistischen) Ausdrucksformen als legitim erachtet werden und was überhaupt als „politisch“ gelten kann. Gerade im Hinblick auf postdemokratische Symptome wie Machtverschiebungen zu supranationalen Institutionen einerseits und transnationalen Unternehmen andererseits sowie neuen Formen zivilgesellschaftlichen Engagements erscheint es sinnvoll, darüber nachzudenken, wo der Ort des Politischen eigentlich ist, was im Bereich des Politischen thematisiert werden kann, und wie dies geschieht. Aus den Schlussfolgerungen des Kapitels 2.3. muss die Konsequenz gezogen werden, dass Deliberation als strenges normatives Konzept ungeeignet ist, diskursiv angelegte Beteiligungsformen im Internet zu untersuchen. Auf diese Verengung wurde mit zweierlei Maßnahmen reagiert. Erstens wurden „Online-Deliberation“, von denen häufig in der Literatur die Rede ist, durch „Politische Online-Diskussionen“ (PODs) ersetzt, was zweitens dazu führt, dass die folgende empirische Untersuchung sich nicht auf die normativen deliberativen Kriterien beschränkt, deren strikte Befolgung mögliche andere Merkmale ausklammern würde. Die Gefahr wird nämlich zudem darin gesehen, dass die eigenen Wertvorstellungen der Forschenden als Maßstab erfolgreicher Beteiligung dienen (vgl. Lupia 2009: 62). Der Cyberspace als Kommunikationsraum ist in eine Vielzahl virtueller Teilöffentlichkeiten unterteilt. Die Art und Weise der Kommunikation variiert in diesen virtuellen Räumen sehr stark, da sie von einer Reihe von Faktoren beeinflusst wird, die teilweise von den InitiatorInnen und ModeratorInnen solcher dialogischen Verfahren bewusst eingesetzt werden oder zumindest von ihnen als Einflussvariablen identifiziert werden. Von einer Diskussionskultur im Internet zu sprechen verkennt die Diversität der Kommunikationsräume. Daher wurde bewusst ein explorativer Zugang gewählt, der bestimmte Prozesse in virtuellen

36 Diskussionsforen nicht allein aus dem Grund ausblendet, weil sie nicht in das anspruchsvolle deliberative Konzept passen.

5 Methode

5.1. Erhebung: Das Instrument der ExpertInneninterviews

Mit den angestellten Vorüberlegungen im Hinterkopf gilt es nun, die Fragestellung nach dem deliberativen Potential virtueller Öffentlichkeiten durch ein geeignetes methodisches Vorgehen zu untersuchen. Eine Möglichkeit bestünde darin, Fallbeispiele auszuwählen und getätigte Kommunikations- verläufe zu untersuchen, indem man sich an aus der Theorie abgeleiteten Kriterienkatalogen abarbeitet, und anschließend Vergleiche herstellen. Jedoch scheint dieser Weg aus mehreren Gründen nicht geeignet: Erstens schließt die vorherige Definition von als relevant erachteten Kriterien mögliche Einflussfaktoren im Vorhinein bereits aus. Zweitens ist das Untersuchungsfeld theoretisch noch relativ unstrukturiert. Die wenigen anwendbaren Theorien sind in ihrer Aussagekraft auf ihr jeweiliges Explanandum beschränkt, wodurch der prognostische Anspruch bezüglich demokratischer Partizipation durch das Internet erschwert wird. Die zugrunde liegende Frage befasst sich eben nicht mit dem Ob, sondern mit dem Wo und vor allem dem Wie dialogischer Teilhabe. Drittens können bei einer Fallstudie lediglich Aussagen auf der Basis eines Ausschnitts einer spezifischen Teilöffentlichkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt getroffen werden. Für die Beantwortung der Forschungsfrage spielt die Zeitdimension allerdings eine wichtige Rolle. Wenn die Annahme stimmt, dass die Einführung bestimmter Rahmenbedingungen Kommunikationsverläufe ändern kann, dann spielen mindestens zwei Zeitspannen eine Rolle: Vor der Implementation einer Maßnahme und danach. Um einen Ausblick auf die Wirkungsweisen regulierender Vorstöße geben zu können, müssen sie über einen längeren Zeitraum beobachtet werden. Das Erkenntnisinteresse ist auf der Ebene der Grundlagenforschung zu verorten und sollte daher keinem unnötigen Empirismus verfallen. Der Versuch einer Systematisierung von Einflussfaktoren von PODs spricht daher für ein induktives Vorgehen, bei dem die relevanten Indikatoren erst noch gefunden werden müssen, um eine sinnvolle Einteilung vornehmen zu

37 können. Nennenswerte Aussagen auf Basis von quantifizierbaren Messungen lassen sich in diesem Fall nicht erhoffen. In der Praxis existieren bereits Erfahrungen mit Formen von individueller Online-Beteiligung und politischen Diskussionen im virtuellen Raum. Bisher wurden diese Hinweise jedoch nicht gesammelt oder in systematisierender Form ausgewertet. Daher wird im Folgenden der Anfang gemacht, einen Teil des vorhandenen Erfahrungsschatzes abzuschöpfen, indem AkteurInnen befragt werden, die sich regelmäßig mit PODs auseinandersetzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Motivation beruflicher Natur entspringt oder nicht. Voraussetzung ist lediglich, dass die Befragten über einen längeren Zeitraum die Entwicklung solcher dialogischen Beteiligungsformate verfolgt haben, dadurch dass sie sie beispielsweise moderieren oder initiiert haben. Mittlerweile hat sich ein Berufszweig entwickelt, der sich auf die Planung, Durchführung und Evaluation von Online-Beteiligungsverfahren spezialisiert hat. Unternehmen werden mitunter von Städten oder Kommunen beauftragt, online-basierte Bürgerhaushalte zu implementieren, da innerhalb der Behörden solch ein Aufgabenfeld üblicherweise noch nicht integriert ist. Vor allem in jenen Städten, in denen ein Online-Bürgerhaushalt das erste mal stattfindet, liegt es nahe, dass sich die entsprechende Expertise von außerhalb eingeholt wird. Formen der deliberativen Beteiligung im Internet werden maßgeblich durch ihre Rahmenbedingungen geprägt, wodurch der alleinige Blick auf die Kommunikation der TeilnehmerInnen nicht ausreicht. Wer wo was sagt und wie er oder sie es tut, hängt von vielerlei Bedingungen ab. Kausalketten können auf Grund einer Vielzahl an intervenierenden Variablen kaum Aussagekraft besitzen. Es mag nachvollziehbar sein, dass höher gebildete Menschen konstruktiver diskutieren als weniger Gebildete, allerdings macht es auch einen Unterschied, ob eine Moderation tätig ist, um welches Thema sich die Diskussion dreht, wie viele TeilnehmerInnen diskutieren usw. Aus diesen Gründen machen durchstrukturierte Interviews wenig Sinn, da die Interviews zum Ziel haben, bestimmte Problemfelder und Erfolgsfaktoren ausfindig zu machen, die PODs beeinflussen. Manche Faktoren spielen auch nur bei bestimmten Formaten eine Rolle, so dass eine fixe Struktur ungeeignet scheint.10 Die wenig strukturierten Interviews haben den Vorteil einer dichten Datengewinnung, da sie keinen Gesprächsverlauf vorgeben, sondern den ExpertInnen überlassen, welche Schwerpunkte innerhalb des Themas gelegt werden. Durch gezieltes Nachfragen kann der oder die Interviewende interessante Punkte vertiefen, ohne aber einen kompletten Themensprung zu initiieren. Ziel soll es ja gerade sein, markante Problemfelder zu lokalisieren, die sich nicht ohne

10 Um ein Beispiel vorwegzunehmen: Bei Bürgerhaushalten oder der Adhocracy-Plattform der Enquete Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages ist ein Kriterium sicher auch die Intensität der Öffentlichkeitsarbeit, um überhaupt eine gewisse Reichweite zu erlangen. Bei etablierten massenmedialen Plattformen spielt dieser Faktor überhaupt keine Rolle.

38 Weiteres aus der Theorie ergeben, sondern von den Befragten als relevant identifiziert werden. Dies bedeutet nicht, dass die BefragerInnen keinerlei Vorwissen haben oder sich nicht theoretisch mit der Materie auseinandergesetzt haben, sondern „dass wohl Vorstellungen des Befragers vorhanden sind, dass er auch bestimmte Ziele mit seinen Fragen verfolgt, dass er aber in hohem Maße den Erfahrungsbereich des Befragten zu erkunden sucht“ (Atteslander 2006: 124). Der explorative und offene Charakter der ExpertInneninterviews wird der Forschungsfrage insoweit gerecht, dass zwar Vermutungen darüber existieren, welche Variablen den Untersuchungsgegenstand der PODs beeinflussen, diese jedoch zum einen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können und zum anderen in ihrer tatsächlichen Bedeutung unterschiedlich eingeschätzt werden. Der Leitfaden der Interviews verläuft entlang folgender Dimensionen: • Ziele und Erwartungen: Was sollte erreicht werden? Wurden die Erwartungen erfüllt? Warum bzw. warum nicht? • Umsetzung: Wie wurde die Plattform gestaltet? Welche Probleme traten auf? Mit welchen Maßnahmen ist man diesen begegnet? Welche Auswirkungen hatten diese Maßnahmen? Was hat gut funktioniert? • Publikum: Was ist über die Leute bekannt, die sich beteiligen? • Kommunikation: Wie wird kommuniziert? Finden Diskussionen statt? Wie wird die Qualität der Kommunikation unter den Teilnehmenden bewertet? • Verarbeitung: Was passiert mit dem kommunikativen Input im Anschluss? Gibt es ein Feedback durch die BetreiberInnen und wie sieht das aus? Finden Evaluations- und Lernprozesse statt? • Prognose: Was können die jeweiligen Formate leisten, wo stoßen sie auf Grenzen, und wie könnte es damit in Zukunft weitergehen? Die Antworten bezüglich der Zukunft solcher Verfahren sind nur unter Vorbehalt aussagekräftig, da davon ausgegangen werden muss, dass die GesprächspartnerInnen eine gewisse Affinität zum Gegenstand der Online-Beteiligung teilen. Daher ist es wichtig, sich auf die deskriptiven Elemente der Antworten zu fokussieren und sich der Demokratiefrage erst durch Rückbezug zur Theorie zu nähern.

39 5.2. Die GesprächspartnerInnen

Die Auswahl der potentiellen ExpertInnen erfolgte mit dem Ziel, möglichst viele verschiedene Perspektiven abdecken zu können. Die theoretischen Vorüberlegungen haben bereits deutlich gemacht, dass die Art der Beteiligungsformate offener, freiwilliger und diskursiver Natur sein soll. Unidirektionale und formelle Formate wie Petitionen oder Volksbegehren beispielsweise sind in dieser Hinsicht uninteressant, da sie zwar online leichter zu organisieren sein mögen, jedoch nicht die traditionellen einseitigen Kommunikationsschemata aufbrechen. Die erste Frage, die sich bei der Suche nach potentiellen GesprächspartnerInnen stellte, war also: Welche Arten von Teilöffentlichkeiten gibt es im Internet, die es den Bürgern und Bürgerinnen erlauben, zu politischen Themen zu diskutieren? Und daran anschließend: Wer organisiert diese? Eine vollständige Auswahl relevanter Teilöffentlichkeiten ist hierbei unerreichbar, um es vorwegzunehmen. Die Frage nach der Relevanz ist zudem eine zwiespältige, abgesehen von der schwierigen Angelegenheit, wie man Relevanz operationalisiert. Denn auf der einen Seite geben möglicherweise in der Netzwelt unbeachtete kleinere Teilöffentlichkeiten spannende Hinweise darauf, wie PODs im deliberativen Sinne erfolgreich organisiert werden können, auf der anderen Seite beinhaltet die Metafrage nach dem Demokratisierungspotenzial eine gewisse Reichweitendimension, um gesamtgesellschaftlich gesehen Erklärungskraft beanspruchen zu können. Als sinnvoll wurde erachtet, anfänglich mit drei ExpertInnen verschiedener Beteiligungsformate zu sprechen, um sich eine bessere Vorstellung darüber zu machen, welchen Herausforderungen sie sich in „ihren“ Teilöffentlichkeiten gegenüber sehen. Ein pragmatischer Vorteil wurde zudem darin gesehen, Vorschläge für weitere potentielle AnsprechpartnerInnen durch die anfänglichen GesprächspartnerInnen zu bekommen. Für die ersten drei Interviews wurden jeweils eine Person aus der Informatik, aus dem Agenturwesen, und aus dem Journalismus befragt:

1) Niklas Treutner ist Mitglied bei Liquid Democracy e.V., der die Beteiligungsplattform der Enquete-Kommission für Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages aufgesetzt hat. Als Informatiker arbeitet er an der (Weiter)Entwicklung der Open Source Software „Adhocracy“ mit, die benutzt wurde, um die BürgerInnen als „18. Sachverständigen“ in die Arbeit der Kommission einzubeziehen. Der Verein „arbeitet an Projekten zukunftsweisender Bürgerbeteiligung in Organisationen, Verwaltung und Politik“ (liqd.net), z.B. dem Projekt

40 „Offene Kommune.de“, welches BürgerInnen auf kommunaler Ebene die Möglichkeit geben soll, auf unkomplizierte Weise an lokalen Entscheidungsfindungsprozessen Einfluss nehmen zu können. 2) Matthias Trénel ist Gründer und Gesellschafter der „zebralog GmbH & Co. KG“, einem Unternehmen, welches sich bereits seit über zehn Jahren mit der Optimierung von Online- Dialogen beschäftigt. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben bereits über 100 Online- Beteiligungsverfahren durchgeführt. Dazu gehörten in letzter Zeit u.a. Bürgerhaushalte in Frankfurt, Bonn und Köln und die Novellierung des Landesmediengesetzes in Nordrhein- Westfalen. Matthias Trénel ist diplomierter Organisationspsychologe, ausgebildeter Moderator und Mediator. Außerdem hat er sich bereits mehrfach wissenschaftlich mit dem Thema Online Deliberation auseinandergesetzt (vgl. Trénel 2009 als aktuellsten Beitrag). 3) Jan Kosok betreut bei der Wochenzeitung „der Freitag“ den Community-Bereich ihres Onlineauftritts. Mit einer Auflage von rund 15.000 Exemplaren gehört „der Freitag“ eher zu den kleineren Zeitungen. Der Online-Community kommt in dem Blatt eine vergleichsweise große Bedeutung zu und ist zudem eng mit der Printausgabe verzahnt. Eine Auswahl von Beiträgen, die von Community-Mitgliedern verfasst worden sind, findet Eingang in die gedruckte Version des Mediums. Umgekehrt finden sich online redaktionelle Inhalte gleichberechtigt neben Inhalten, die aus der Community heraus entstehen. Die starke Einbindung der Leser und Leserinnen wurde von Herausgeber und Chefredakteur Jakob Augstein bewusst als Nischenmerkmal befördert: „Wir suchen Leser, die Lust und Zeit haben zu partizipieren“ (ftd.de). Jan Kosok hat Volkswirtschaft studiert und den Communitybereich der Online-Ausgabe mit entwickelt.

Diese ersten drei Interviews erlaubten tiefere Einblicke in das Feld der PODs und gaben wie erhofft Hinweise auf weitere mögliche GesprächspartnerInnen. Der Interviewleitfaden wurde demnach um einige Punkte ergänzt, auf die hingeleitet werden sollte, sofern der oder die GesprächspartnerIn den Aspekt nicht von allein zur Sprache brachte. Die Moderation als Variable z.B. rückte deutlicher in den Fokus der Befragung, nachdem die ersten drei Interviews bereits unterschiedliche Ansätze bzgl. der professionellen Begleitung solcher Beteiligungsformate offenbarten. Auch das Thema Öffentlichkeitsarbeit im Sinne der Bewerbung der Beteiligungsmöglichkeit gegenüber den Betroffenen stellte plötzlich einen relevanten Faktor der Befragung dar, nachdem die Problematik seitens des Liquid Democracy e.V. in Person von Herrn Treutner benannt wurde. Mit jedem Interview wurde der Forscher ein Stück weit mehr

41 sensibilisiert hinsichtlich möglicher Einflussvariablen, wodurch mit steigender Anzahl an geführten Interviews die Zielgenauigkeit einzelner Nachfragen erhöht werden konnte, ohne den Spielraum der Befragten einzuengen. Als weitere GesprächspartnerInnen, in chronologischer Reihenfolge, stellten sich folgende Personen zur Verfügung:

4) Ingo Bormuth ist Mitglied der Bundesgeschäftsstelle der Piratenpartei und verantwortlicher Administrator der zur parteiinternen Kommunikation genutzten Software „Liquid Feedback“. Liquid Feedback wurde von der Public Software Group e.V. entwickelt und 2009 vom Landesverband der Berliner Piraten das erste Mal genutzt. Angemeldete TeilnehmerInnen können in dem System Initiativen einstellen, die dann verschiedenen Stufen des Beteiligungsprozesses durch andere ausgesetzt sind. Initiativen müssen bestimmte Quoren erreichen, können abgeändert und letztlich zur Abstimmung gebracht werden, wenn es vorher festgelegte Relevanzkriterien erfüllt. Die Besonderheit bei den Abstimmungsprozessen ist, dass sie dem Prinzip der Liquid Democracy unterliegen. Delegationen können hier basierend auf subjektiven Vorlieben wie wahrgenommener Fachkenntnis oder Vertrauen jederzeit an bestimmte Personen vergeben und wieder entzogen werden. Ingo Bormuth ist seit 2009 für die Einsetzung, Verwaltung und Instandhaltung des Instruments zuständig, ohne die Rolle einer inhaltlichen Moderation zu übernehmen. 5) Ralf Reinhardt ist seit 2009 zuständiger Koordinator des Bürgerhaushalts Jena. Die Stelle wurde geschaffen, nachdem die Fraktionen der Stadtverwaltung im April 2009 beschlossen hatten, den Bürgerdialog zu intensivieren (vgl. Beschlussvorlage Stadtrat Jena 2009). 6) Frank Ulmer hat zusammen mit Jörg Hilpert die „Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung zum integrierten Energie- und Klimaschutzkonzept“ (BEKO) geleitet. Für die Erreichung der klimapolitischen Ziele in Baden-Württemberg wurde der von den zuständigen Ministerien ausgearbeitete Entwurf online gestellt, um eine „frühzeitige und ergebnisoffene Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Verbände- und Interessenvertretern“ (vgl. BEKO) zu ermöglichen. Frank Ulmer ist diplomierter Geograph und führte mit seinem Unternehmen, der „Ulmer Kommunikationsbüro GmbH“, gemeinsam mit dem gemeinnützigen Forschungsinstitut „Dialogik“, welches er ebenfalls berät, die BEKO durch. Er hat sich bisher im Rahmen einiger Projekte mit Risiko- und Krisenkommunikation auseinandergesetzt (vgl. Dialogik GmbH). 7) Philipp Stolzenberg hat an der TU Darmstadt Politikwissenschaft studiert und seine Abschlussarbeit über Bürgerhaushalte geschrieben. Im Rahmen des Bürgerhaushalts Darmstadt

42 stieß er zur „wer denkt was GmbH“ dazu, um das Bürgerbeteiligungsprojekt zu konzipieren und zu begleiten. 8) Michelle Ruesch ist Chefredakteurin der Webseite „buergerhaushalt.org“, einer Informationsseite, die im Auftrag der „Bundeszentrale für politische Bildung“ und der „Servicestelle Kommunen in der einen Welt“ gegründet wurde. Gleichzeitig ist sie bei „zebralog“ angestellt und führt momentan in der Rolle der Projektleitung den Bürgerhaushalt Maintal durch. Sie hat ihren Master an der LSE in London im Bereich Politik und Kommunikation gemacht. 9) Wolfgang Lieb betreibt seit 2003 zusammen mit Albrecht Müller den größten politischen Blog Deutschlands, die NachDenkSeiten, für den die beiden 2009 den Alternativen Medienpreis entgegennahmen. Als promovierter Jurist durchlief er nach seiner wissenschaftlichen Karriere seit Ende der 70er Jahre einige politische Stationen auf bundesdeutscher und Landesebene. Zuletzt war er diesbezüglich als Staatssekretär im Wissenschaftsministeriums NRW in den Jahren 1996 bis 2000 tätig. 10) Jens Berger ist freier Journalist und hat bereits für mehrere Zeitungen Artikel geliefert, u.a. für die taz. 2007 errichtete er den Blog „Spiegelfechter“, der mit mehreren Tausend Klicks pro Tag mittlerweile zu den bekannteren deutschsprachigen politischen Blogs zählt. Seit 2011 ist Berger als hauptberuflicher Redakteur bei den NachDenkSeiten angestellt. 11) Frank Porzky ist bei der Süddeutschen Zeitung für den Community- und Leser-Dialog des Online-Auftritts zuständig. Er kümmert sich um die Beiträge und die Zuschriften der Leser und Leserinnen, als auch um die Repräsentation der Zeitung in den Sozialen Netzwerken. 12) Maik Werther betreut die Community auf Tagesspiegel.de. Er hat Musikwissenschaften an der FU Berlin studiert und ist damals eher zufällig im Community Support gelandet. Seit über sechs Jahren übt er diese Tätigkeit nun aus und hat auch bei der Wochenzeitung „“ Erfahrungen im Bereich der Online-Moderation gesammelt.

VertreterInnen der klassischen Leitmedien zu finden, hat sich als schwierigste Aufgabe herausgestellt. Leute aus dem unternehmerischen Sektor oder Betreiber eines Blogs antworteten hingegen sehr zeitnah und stellten sich in der Regel als sehr kooperativ dar. Die Ausnahme stellte der Blog „Politically Incorrect“ dar. Da es sich bei diesem um einen der reichweitenstärksten Blogs in Deutschland handelt, wäre ein Gespräch wünschenswert gewesen, zumal die politische Ausrichtung (der LeserInnen) im Vorhinein durchaus als eine mögliche Variable des Kommunikationsverhaltens eingeschätzt wurde. Leider wurde nach mehrmaliger Nachfrage die Beantwortung von Fragen schließlich verweigert. Die großen Medienhäuser (z.B. Axel Springer Verlag) wollten die Angelegenheit prüfen, kamen über diesen Status jedoch nicht hinaus, so dass

43 von den bundesweit rezipierten (Online-)Zeitungen nur die Süddeutsche Zeitung zum Gespräch bewegt werden konnte. Im Folgenden eine tabellarische Auflistung der Organisationen, die angefragt wurden:

Tabelle 2: Interviewanfragen

durchgeführt Datum Keine Rückmeldung/ abgesagt

Enquetebeteiligung.de/ Liquid Democracy e.V. 12.05.2013 Zeit Online (Niklas Treutner)

Zebralog GmbH (Matthias Trénel) 14.05.2013 Netzpolitik.de

derFreitag.de (Jan Kosok) 23.05.2013 Bild.de

„Die Piraten“/ LiquidFeedback (Ingo Bormuth) 07.06.2013 Welt Online

Bürgerhaushalt Jena (Ralf Reinhardt) 11.06.2013 Spiegel Online

BEKO Beteiligungsverfahren (Frank Ulmer) 11.06.2013 Faz.net

Wer denkt was GmbH/ Bürgerhaushalt 13.06.2013 LiquidFeedback Darmstadt (Philipp Stolzenberg) e.V.

Buergerhaushalt.org/ Bürgerhaushalt Bonn + 19.06.2013 Politically Frankfurt/ zebralog (Michelle Ruesch) Incorrect

NachDenkSeiten.de (Wolfgang Lieb) 27.06.2013 init

Spiegelfechter.de (Jens Berger) 28.06.2013 e-opinio

Sueddeutsche.de (Frank Porzky) 17.07.2013 demos

Tagesspiegel.de (Maik Werther) 31.07.2013

Der Versuch, die Befragten zu kategorisieren, um sie in Gruppen einteilen und später dementsprechend die Ergebnisse vergleichend darstellen zu können, ist kaum umsetzbar, da die Trennlinien zwischen den eingenommenen Perspektiven zu unscharf sind. Wird zwischen den Angebotsformaten unterschieden, oder nach den Tätigkeitsbereichen der Befragten differenziert, oder gar ihr persönlicher Hintergrund zur Einteilung herangezogen? Zwei Beispiele mögen die Problematik verdeutlichen: Ingo Bormuth ist zwar für die politische Partei der Piraten tätig,

44 besitzt jedoch einen informationswissenschaftlichen Hintergrund und ist im administrativen Bereich tätig. Michelle Ruesch verfolgt im Dienst der „zebralog GmbH“ kommerzielle Interessen, hat gleichzeitig einen akademischen Hintergrund in Wirtschaft und politischer Kommunikation und ist nebenbei journalistisch tätig als Chefredakteurin von „buergerhaushalt.org“. Funktionale Attribute der Befragten überlappen demnach sehr stark und machen eine sinnvolle Kategorisierung daher nahezu unmöglich. Nimmt man die Formate, in denen PODs stattfinden, zur Hand, so lässt sich jedoch zumindest ein wichtiger Unterschied herausstellen, und zwar jener zwischen punktuellen und latenten Beteiligungsformaten. Während auf letzteren im Prinzip kontinuierlich und zu jeder Zeit politische Belange diskutiert werden können, zielen punktuelle Formate auf eine Optimierung politischer Entscheidungen, weshalb sie thematisch und/oder zeitlich eingegrenzt sind, dafür jedoch deutlich näher an der politischen Entscheidungsebene angekoppelt sind. Als Beispiele wären hier Diskussionsforen journalistischer Angebote auf der einen und Bürgerhaushalte auf der anderen Seite zu nennen. An dieser Stelle lässt sich Kersting folgen, der in einer Zeit/Einfluss- Matrix Bürgerhaushalte stärker dezisiv und nachhaltig sowie punktuell einordnet gegenüber einem konsultativen Webforum mit kontinuierlicher Beteiligungsmöglichkeit (vgl. Kersting 2006: 28).

Tabelle 3: Punktuelle und latente PODs

punktuell latent

Bürgerhaushalt Jena derFreitag.de

Bürgerhaushalt Darmstadt Sueddeutsche.de

Bürgerhaushalt Bonn/ Frankfurt Tagesspiegel.de

BEKO Beteiligungsverfahren Spiegelfechter.de enquetebeteiligung.de NachDenkSeiten.de

LiquidFeedback

45 5.3. Auswertung: Die Thematische Analyse

Auf Grund der qualitativen Herangehensweise und der inhaltlichen Breite der erhobenen Daten, bietet sich zur Auswertung der Gespräche die „thematische Analyse“ an. Braun und Clarke (2006) weisen darauf hin, dass Themenanalysen (in der Psychologie) weit verbreitete qualitative Anwendung finden, jedoch selten als solche benannt werden und sich in diesen Fällen folgerichtig dem Vorwurf mangelnder methodischer Präzision und Nachvollziehbarkeit ausgesetzt sehen. Allerdings bietet die thematische Analyse durch ihre Offenheit und ihren theorieübergreifenden Zugang die Möglichkeit zur interdisziplinären Anwendung, insbesondere wenn es wie in unserem Fall um das Aufspüren von Erfahrungen und Bedeutungsmustern der Befragten geht. „Through its theoretical freedom, thematic analysis provides a flexible and useful research tool, which can potentially provide a rich and detailed, yet complex amount of data“ (Braun/ Clarke 2006: 5). Obwohl die Analyse ausgiebigen theoretischen Vorüberlegungen folgt, soll sie sich nicht ausschließlich aus diesen ableiten. Es wird explizit ein induktives Verfahren bevorzugt, da ja schon der Querschnitt der Interviewpartner darauf abzielt, möglichst viele verschiedene Einschätzungen zur Steuerbarkeit politischer Online-Diskussionen zu erhalten. Einige Themen, die in der Theorie bereits behandelt wurden, werden in den Ausführungen der Befragten mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederzufinden sein, so dass ein gewisses Maß an Deduktion in der Analyse enthalten sein wird. Nichts desto trotz wird an dem Ziel festgehalten, neue Aspekte in den Antworten der TeilnehmerInnen aufzuspüren. Entsprechend den Schritten, die Braun/ Clarke im Sinne einer gründlichen und systematischen Themenanalyse vorschlagen (vgl. ebda: 16ff.), werden die Interviews ausgewertet. Der Vorteil der Transkription der Interviews liegt gleich zu Beginn darin, sich das gesammelte Material vor Augen zu führen und in seiner Vollständigkeit zu erfassen. Dadurch entsteht eine erste Idee, welche semantischen Gruppen sich identifizieren lassen, die als Synthese theoretischer Vorüberlegungen als auch dem Datensatz an sich zu verstehen sind. Im Anschluss daran kann versucht werden, übergreifende Themen zu lokalisieren, in die sich die Gruppen unter Umständen durch die Schaffung von Unterthemen einfügen lassen. Bis es jedoch so weit ist, geschweige denn die Ergebnisse kohärent niedergeschrieben werden können, erfordert die Analyse „constant moving back and forward between the entire data set“ (ebda: 15). Die Herausforderung besteht eben darin, die Themen sinnvoll zu gruppieren, so dass sie Gruppen in sich schlüssig und nach außen hin abgrenzbar, thematisch nicht zu aufgefächert aber auch nicht zu allgemein gehalten sind. Bestenfalls gelingt am Ende eine nachvollziehbare Narration, die jedoch immer auch eine hohe Interpretationsleistung des Forschenden bedarf und daher intersubjektiv anfechtbar ist.

46 6 Ergebnisse

Die qualitative Auswertung der ExpertInneninterviews fokussiert sich auf die Zeitdimension und den Erfahrungshorizont der Befragten. Es geht gezielt um die Frage nach den Lernprozessen und Einsichten, die sie im Laufe der Zeit gewonnen haben, welche Faktoren ihrer Meinung nach eine erfolgreiche Gestaltung von Formaten politischer Online-Diskussionen bedingen. Hier werden also gezielt Kriterien in vertiefender Weise dargestellt, die sich schon während der Befragung als zentrale Argumente in den Augen der InterviewpartnerInnen hervorgetan haben. Produkt der systematisierten Auffächerung wird die Entwicklung eines Schemas sein (Kap. 6.2.), welches sämtliche identifizierte Einflussfaktoren darstellt, die den Ablauf und die Kommunikation diskursiver virtueller Beteiligungsformate beeinflussen. Die Demokratisierungsfrage solcher Teilöffentlichkeiten wird im Schlussteil diskutiert. Mit Rückbezug zur Theorie werden demokratie- und öffentlichkeitstheoretische Gesichtspunkte angesichts der systematisierten empirischen Ergebnissammlung neu beleuchtet.

6.1. Lernprozesse: Welche Faktoren PODs beeinflussen

Nach mehrmaliger Durchsicht der transkribierten Daten (siehe Anhang) konnten sechs Themenfelder identifiziert werden, die von den Befragten trotz ihrer unterschiedlichen Hintergründe in wiederkehrender Weise betont wurden: Zielbestimmung, Aktivierung, Moderation, Repräsentativität, Responsivität und Offline-Verknüpfung. Ihre Bedeutung ist nicht ausschließlich auf die Häufigkeit ihrer Nennung zurückzuführen. Die Einschätzung, welches Gewicht die Aspekte in den Augen der Befragten hatten, spielte ebenfalls eine Rolle, und auch ob die Analyse durch sie einen Neuigkeitswert generieren konnte in dem Sinne, dass spezifischen Faktoren bei der Beurteilung bestimmter Online-Verfahren bisher keine Beachtung geschenkt wurde.

6.1.1. Zielbestimmung

Der erste Schritt noch vor der Umsetzung eines Online-Beteiligungsverfahrens ist die Bestimmung dessen, was damit letztlich erreicht werden soll. Insbesondere bei punktuellen Partizipationsformen muss vor der Implementation geklärt werden, welches Ziel verfolgt wird,

47 denn „es hängt [...] viel vom Thema und der Zielgruppe ab, was sich da dann abspielt“ (Ruesch 2013). Die Wahl des Themas bestimmt dabei ganz wesentlich die Zielgruppe, die angesprochen werden soll. Themenoffene Formate zielen auf keine spezielle Zielgruppe ab, wohingegen bei themenspezifischen Verfahren versucht wird, Fachwissen und Expertise im entsprechenden Themengebiet zu generieren. Insbesondere punktuelle Verfahren, die den TeilnehmerInnen eine gewisse Entscheidungsrelevanz versprechen, versuchen, durch Einengung des Themas und geografischer Relevanz die Gruppe der Betroffenen klar abzugrenzen. Die Benennung eines konkreten Diskussionsgegenstandes und die Herausstellung der Betroffenheit können neben dem technischen Framing (siehe Kap 6.1.3.) günstige Voraussetzungen insbesondere bei Verfahren mit Lokalitätsbezug sein. „Onlinebeteiligungsverfahren sind eine gute Methode, lokales Wissen zu aktivieren, heißt Expertenwissen zu aktivieren“ (Ulmer 2013). Bei punktuellen Verfahren, also Verfahren mit festgelegtem Ende, spielt zudem der Zeitpunkt der Beteiligungsaufforderung eine Rolle. Da sich alle Befragten prinzipiell darin einig waren, dass PODs eine gute Möglichkeit darstellen, Meinungen herauszuziehen, stellt sich die Frage, welchen Einfluss diese auf den Entscheidungsprozess letztendlich haben können. Werden solche Verfahren zu spät initiiert oder laufen einfach nebenher, dann verkommen sie zu reinen Alibi- oder Schaudeliberationen. Das BEKO-Verfahren war laut Mitinitiator Frank Ulmer unter anderem auf Grund der Frühzeitigkeit des Verfahrens erfolgreich.

„Der Einbezug der Öffentlichkeit wurde zu einem Zeitpunkt geplant, wo tatsächlich in der Politik noch die Handlungsspielräume bestanden. Beides, online als auch offline, war zu einem Zeitpunkt, wo noch Verhandlungsmasse da war.“ (Ulmer 2013)

Bürgerhaushalte sind hinsichtlich des Lokalbezugs und vordefiniertem Ende des Verfahrens, jedoch nicht thematisch, abgegrenzt. Diese Themenoffenheit wird von den GesprächspartnerInnen als große Herausforderung angesehen, um so etwas wie Verständigung zu erreichen. Die TeilnehmerInnen neigen dazu, Themen aus ihrer persönlichen Lebenswelt anzusprechen, die ihnen am Herzen liegen. Für die Verwaltung und die politischen EntscheidungsträgerInnen ist diese Form des Inputs jedoch nahezu unmöglich, zu verarbeiten. In den seltensten Fällen wurden tatsächlich Vorschläge umgesetzt, was auch daran liegt, dass die Kommunen nur geringen Handlungsspielraum haben. Man kann also durchaus sagen, dass es mitunter darum geht, ein Gefühl der Mitbestimmung zu erzeugen.

„[E]s geht natürlich auch darum, nach außen die nicht vorhandenen Handlungsspielräume zu erklären. […] Man muss beim Bürgerhaushalt sagen: Der Fokus liegt mehr bei 'Bürger' als auf 'Haushalt'“ (Stolzenberg 2013).

48 „Was ich noch viel mehr sehe, wie Bürgerbeteiligung auch strategisch eingesetzt wird, auch als Mittel der Öffentlichkeitsarbeit. Da muss man sich gar nichts vormachen.“ (Trénel 2013)

Bei latenten Formen der politischen Beteiligung, z.B. auf journalistischen Plattformen, unterliegt die Zielgruppenbestimmung, wenn überhaupt, unternehmerischem Kalkül. Als kommerzielle Anbieter versuchen Online-Zeitungen natürlich, durch steigende Besucherzahlen Werbe- einnahmen zu generieren. Neben diesem Ziel wurde seitens der Befragten erwähnt, dass Diskussionsforen eine gute Möglichkeit darstellten, Feedback und Anregungen zu erhalten. LeserInnenmeinungen als „Resonanzboden“ des gesellschaftlichen Stimmungsbildes sind nicht zu unterschätzen, allerdings für punktuelle Verfahren mit Entscheidungsrelevanz kaum zu verarbeiten.

6.1.2. Aktivierung

Aktivierung meint die Bekanntmachung von PODs und die Mobilisation potentieller TeilnehmerInnen durch klassische Öffentlichkeitsarbeit oder andere Formen kommunikativer Durchdringung. Öffentlichkeitsarbeit spielt bei Plattformen latenter Formaten so gut wie keine Rolle, da sie ja im Grunde selber Öffentlichkeit herstellen und dauerhafte Vertreter der Medienlandschaft sind. Der Erfolg zeitlich begrenzter Verfahren ist jedoch auf Pressearbeit angewiesen, um sich nicht dem Vorwurf mangelnder Resonanz und geringen TeilnehmerInnenzahlen ausgesetzt zu sehen, insbesondere wenn zumindest teilweise Anspruch auf Repräsentativität (siehe Kap. 6.1.4.) erhoben wird. Dieses Problem sieht auch Niklas Treutner als Verantwortlicher der Adhocracy- Plattform zur Internet-Enquete des Deutschen Bundestages:

„Die Presse, die das gesamte Projekt hatte, war zu Anfang negativ, und dann nachher, als es gut lief, nicht mehr vorhanden, was für uns schade war. […] Ich glaube, wenn so ein Thema dann mal größer kommt [...] und wirklich alle Leute da mitmachen wollen, dann wird auch die Struktur der Teilnehmer anders sein. Da werden dann auch normalere Leute mitmachen.“ (Treutner 2013).

Auch wenn Repräsentativität zum jetzigen Zeitpunkt illusionär ist (siehe Kap. 6.1.4.), gibt es noch deutlich größeres Mobilisationspotenzial.

„Ich glaube, wir haben sehr große Reserven in der Öffentlichkeitsarbeit. [...] Es (der Bürgerhaushalt, E.S.) ist kein Topthema, weder im politischen Diskurs, noch in der Stadtverordnetenversammlung, noch in den Medien. Das ist dann natürlich auch bei den Teilnehmerzahlen zu bemerken.“ (Stolzenberg 2013)

49 Neben klassischer Öffentlichkeitsarbeit wurden auch die Folgen viraler Kommunikation beschrieben. Die Aussagen von Jens Berger oder Frank Porzky lassen beispielsweise erahnen, wie sogenannte Shitstorms, also Empörungswellen, entstehen können.

„Beispiel der Alternative für Deutschland: Da hatte ich ja einiges drüber geschrieben, und wenn die mit ihren, ich glaub es sind mittlerweile 50.000 facebook fans, wenn die dann hinweisen auf einen Artikel vom bösen Spiegelfechter, der da irgendeinen Unsinn über die geschrieben hat, dann hat man natürlich einen Ansturm von Lesern, die gewisse Sachen anders bewerten als die Kernleserschaft es bewerten würde.“ (Berger 2013)

Medienübergreifende Mobilisierung ist also ein Faktor, der PODs in eine bestimmte Richtung lenken kann:

„Es gibt innerhalb des Internets auch viele Blogs, die sehr aktiv sind, [...] die einfach eine klare Schiene fahren und auch sehr aktiv sind auf anderen Foren - ob das jetzt "Welt" ist, ob das "Süddeutsche" ist - und probieren, Themen entsprechend Ihrer Auslegung zu drehen.“ (Porzky 2013)

Weniger sichtbar als bei solch aktiven Versuchen der Beeinflussung (siehe auch Kap. 6.1.4.) von PODs ist die virale Verbreitung von Informationsangeboten, die der politischen Meinungsbildung dienen. Wolfgang Lieb äußert zum sprunghaften Anstieg der Zugriffszahlen bestimmter Inhalte auf seinem Blog folgende Vermutung: „Das hängt wahrscheinlich mit facebook und der viralen Kommunikation zusammen. Also dass da Leute sagen: Da ist irgendetwas Spannendes“ (Lieb 2013). Die umstandslose Beteiligungsmöglichkeit sowie der jederzeit mögliche Rückzug aus dem Kommunikationsraum machen PODs schnelllebig und unverbindlich. Daher werden Versuche der Reaktivierung unternommen, also diejenigen, die einmal partizipiert haben, z.B. mit Hilfe von Newslettern, Benachrichtigungen oder Mails als DiskutantInnen zu behalten und sie dazu zu bewegen, Freunde und Bekannte ebenfalls zu aktivieren.

„Aber ich kann mir auch vorstellen, dass wir auch noch besser darin werden, Leute reinzuziehen in so eine Diskussion. Was wir schon machen, ist, dass wer da mitmacht, der kriegt in wöchentlichem Abstand eine E-Mail. [...] Wir versuchen eine wiederkehrende Beteiligung. Dass Leute nicht nur einmal hingehen und dann wieder weg.“ (Trénel 2013)

Auf die Aktivierung und Remobilisation von TeilnehmerInnen können die Verantwortlichen aktiv einwirken, virale Diffusionsprozesse hingegen folgen bisher weitgehend undurchsichtigen Regeln.

50 6.1.3. Moderation

Das Thema Moderation nahm den wahrscheinlich prominentesten Platz innerhalb der Interviews ein. Das liegt vor allem an der Tatsache, dass sich bei fast allen Befragten über die Zeit die Einsicht entwickelt hat, dass eine gute Moderation für das Gelingen von PODs notwendig ist.

„Ich denke, für die Zukunft ist es wichtig, dass so ein Forum klare Regeln hat, dass es moderiert wird, dass eben eine fruchtbare Diskussion ermöglicht wird. Ansonsten haben Störenfriede natürlich gute Karten, so eine Diskussion platt zu machen. Ich denke, wie jede gute Podiumsdiskussion oder Diskussion im realen Raum gehört Moderation dazu und jemand, der schaut, dass sich alle an einen sachlichen Ton halten“ (Porzky 2013)

Die Begründung, dass über die Notwendigkeit weitgehend Einigkeit geherrscht hat, liegt in den Erfahrungen einer als defizitär wahrgenommenen Kommunikationskultur. Zu den offensichtlichen Verstößen gegen die Regeln, die häufig in einer sogenannten „Netiquette“ festgehalten werden, gehören persönliche Angriffe, unhaltbare Pauschalisierungen oder strafrechtlich relevante Aussagen, für die letztlich die BetreiberInnen einer Webseite in Mithaftung genommen werden. Zudem neigen Diskussionsstränge häufig dazu, vom eigentlichen Thema abzuweichen oder sie werden von persönlichen Zwistigkeiten überlagert. „Da besteht die Gefahr, dass solche Diskussionen irgendwann ins destruktive abgleiten bzw. eine Privatveranstaltung für gewisse Gruppierungen werden“ (Berger 2013). Wenn zusätzlich zu solchen Fällen der Okkupation durch einzelne Personen oder Gruppen der Umgangston rauer wird, büßt die Beteiligung für viele andere DiskutantInnen an Attraktivität ein. „Wir wissen, exkludierende Faktoren sind Schlammschlachten oder so Sachen, weil dann viele Teilnehmer, gerade Frauen, nichts mehr damit zu tun haben wollen mit dem Forum“ (Trénel 2013). Insbesondere bei Reizthemen11 polarisiert der Diskurs oftmals, ohne inhaltlichen Mehrwert zu bieten.

„Wenn man das eine Weile macht, dann stellt man fest, dass die Diskussionen viel kleiner sind, als man eigentlich denkt, also dass sich Diskussionsfäden einfach immer wiederholen und Argumente immer wieder aufgegriffen werden.“ (Werther 2013)

Diskussionen können sich also schnell verlaufen, in Grundsatzdiskussionen münden, persönlich werden oder zu einem Sammelsurium an isolierten Einzelmeinungen verkommen.

„Das war die Erfahrung mit den Mailinglisten. [...] Man kann das nicht alles lesen, man kommt nicht hinterher, ich kann nicht erkennen, welche Mail wichtig ist, und welche 11 Islam und Antisemitismus werden hier mehrmals benannt, da sich hier umgehend bestimmte politische Lager zu einem Schlagabtausch zusammenfinden, aber auch Alltagsthemen wie Homöopathie oder Rauchverbot erzeugen große Resonanz: „Grundsätzlich sind das Themen der Kategorie: Da kann jeder was zu sagen.“ (Berger)

51 nicht. Es kommt einfach alles rein und ich bin der Masse, den Emotionen und den Einzelmeinungen völlig ausgeliefert.“ (Bormuth 2013)

Dass Diskussionen, die die Meinungsbildung fördern oder gar politische Entscheidungen beeinflussen sollen, Struktur brauchen, darüber waren sich die Befragten einig. An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass der von den NetzoptimistInnen formulierte radikal-basisdemokratische Anspruch aus heutiger Sicht scheitern muss. „Eine absolute Freiheit kann es in dem Sinne nicht geben, weil du immer bestimmte Störenfriede weg haben möchtest“ (Kosok 2013). Um eine Strukturiertheit der Diskussion und somit eine Steigerung der Qualität gewährleisten zu können, benötigt es demnach Filtermechanismen. Eine Strategie ist es, die Ausübung der Filterfunktion in die Hände einer Moderation zu geben. Der Nebeneffekt, dass damit gleichzeitig ein hierarchisches Modell implementiert wird, in dem jemand steuernd in die Diskussion eingreift, führt zu demokratietheoretischen Problemen. ModeratorInnen sehen sich im Regelfall Vorwürfen der Zensur, der Parteilichkeit und der Intransparenz ausgesetzt. Die Argumentation dreht sich dabei im Prinzip um die grundsätzliche Frage, wie viel Meinungspluralismus eine Demokratie aushalten muss. Insofern ist Moderation „natürlich das Kunststück überhaupt“ (Berger 2013). Es scheint sich trotz dieser Bedenken die Einsicht durchgesetzt zu haben, dass die Eingriffe der Moderation substantieller und tiefer werden. Beschränken sich Interventionen auf formalistische Kriterien der Sachlichkeit und der Justiziabilität, lassen sich die oben erwähnten Negativeffekte durch inhaltsleere Beiträge oder sachfremde Grundsatzdiskussionen nicht verhindern. Daher wird mittlerweile auch inhaltlich gefiltert.

„Bei uns ist es auch so: Wir sperren auch viel, was einfach nur mal kurz [...] hingeworfen [wurde], selbst wenn es gar nichts Schlimmes ist, wie einfach: "Na endlich!" oder "Der gehört endlich mal entlassen!". Das bringt die Diskussion nicht weiter und so etwas verstehen wir jetzt nicht unter einem wirklichen Leserbeitrag.“ (Porzky 2013)

„Ich hab da so ein bisschen den Ansatz, der nicht so formalistisch ist, sondern der berücksichtigt, dass es sich da um Menschen handelt, die da miteinander deliberieren und nicht Maschinen und die haben bestimmte Bedürfnisse. Dafür als Moderator zu sorgen, dass sie sich da wohlfühlen in der Diskussion nach Möglichkeit, das ist so die Aufgabe.“ (Trénel 2013)

Die Gefahr, dass sich DiskutantInnen aus PODs zurückziehen, wenn sie merken, dass sie immer weniger Gehör finden in einer Atmosphäre, die zunehmend durch destruktive Elemente zersetzt wird, wächst mit der Bekanntheit der entsprechenden Plattformen. Um die Abwanderung der als

52 konstruktiv wahrgenommenen TeilnehmerInnen zu verhindern, wird stärker in den Diskussions- verlauf eingegriffen.

„[F]ür das Diskussionsklima in einem Blog ist es tatsächlich paradoxerweise das Beste, wenn das alles nicht basisdemokratisch funktioniert. […] Wenn man erstmal einmal gestattet, dass irgendwelche Trolls und Provokateure, dass die da ihr Beinchen heben, das zieht irgendwie magisch andere Störenfriede an. Und deshalb ist es da, so hab ich die Erfahrung gemacht, das Beste, dass man da klare Kante zeigt und dann auch härter moderiert.“ (Berger 2013)

Es muss allerdings erwähnt werden, dass auf privat organisierten Plattformen und bei Blogs im Besonderen von so etwas wie einem „Hausrecht“ Gebrauch gemacht werden kann und tiefere Eingriffe in die Diskussion auf dieser Grundlage legitimiert werden können. Sicherlich ist bei politischen Institutionen die Hürde zur Intervention auf Grund einer größeren Sensibilität hinsichtlich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit ungleich höher. Eine Moderation, die auf inhaltliche Kriterien achtet, ist mit großem Aufwand verbunden. Eine unterstützende Maßnahme könnte sein, durch die Etablierung eines technischen Workflows PODs bis zu einem gewissen Grad anzuleiten. Bei den Piraten beispielsweise nehmen inhaltliche Abstimmungen12 die Rolle eines Filtermechanismus ein. Themen oder Anträge, die im LiquidFeedback kein entsprechendes Quorum erreichen, werden als nicht relevant erachtet und verlieren an Beachtung. Dass diese Art der Filterung laut Bormuth zuverlässig funktioniert, liegt auch daran, dass die teilnehmende Zielgruppe durch ihre Mitgliedschaft in einer politischen Partei grundlegende Werte und Normvorstellungen teilt. Außerdem sind inhaltliche Diskussionen im LiquidFeedback nicht möglich, wodurch potentielle Diskussionen vorsätzlich herausgehalten werden, um laut Bormuth „die Negativeffekte, dass dann alle nochmal kommen und nochmal was dagegen sagen müssen, zu verhindern. Also wenn es keinen interessiert, dann geht es einfach unter“ (Bormuth 2013). Meinungen können schnell und unüberlegt geäußert werden, was jedoch eine Zerfaserung der PODs forciert,

„weil man bei vielen schon merkt, dass die Bereitwilligkeit, sich im Netz zu äußern, da ist, aber der argumentative Unterbau, dass man da jetzt argumentativ breitschultrig ist, bei den wenigsten gegeben ist.“ (Werther 2013)

Insbesondere bei den latenten und themenoffenen Formaten verstärkt sich der Eindruck, dass Meinungen oftmals isoliert und ohne Bezug geäußert werden. „Man könnte sich jetzt einen

12 Die Betonung liegt auf inhaltlichen Abstimmungen. Personelle Abstimmungen bzw. Wahlen im Internet sind demokratietheoretisch mit Folgeproblemen (Manipulationsgefahr, Klarnamenzwang) verbunden, die mit dem Wahlrecht und dem Grundgesetz in der jetzigen Form nicht vereinbar sind, und sind daher nicht möglich.

53 technischen Workflow vorstellen, dass man sagt: Bevor du einen Beitrag abgibst, guckst du dir erstmal diesen Beitrag an oder so. Das mögen die nicht“ (Trénel 2013). Bei der Enquetebeteiligung gab es die Möglichkeit, Änderungen an den Expertentexten vorzunehmen:

Was schön gewesen wäre, was die Software eben hergibt, wenn man direkt darin Änderungen vorschlägt, und das dann in Vorschlägen sammelt. Eigentlich hätte man schön mit dem Text arbeiten können, das macht aber niemand. Das wurde kaum genutzt.“ (Treutner 2013)

Beim Bürgerhaushalt Darmstadt gab es ebenfalls kaum Rückbezüge zu den eingegebenen Vorschlägen: „Von den Kommentaren wurde viel Gebrauch gemacht. Dass es wirklich Änderungen in den Vorschlägen gab, ist glaub ich, eher ein Einzelfall, das muss man schon zugeben“ (Stolzenberg 2013). Daher kommt Trénel zu dem Schluss: „[I]nsgesamt ist unsere Erfahrung, dass sich Bürger sehr wenig vorschreiben lassen, wie sie zu diskutieren haben“ (Trénel 2013). Eine gegensätzliche Strategie zum hierarchischen Modell der Moderation verfolgt die Online- Ausgabe der Tageszeitung „der Freitag“. Aus Kapazitätsgründen wurde dazu übergegangen, die Moderationsmacht in die Hände der Community zu legen. Die TeilnehmerInnen haben zu diesem Zweck Instrumente an die Hand bekommen, durch die sie mehr Möglichkeiten zur Interaktion haben. Community Manager Jan Kosok hat festgestellt, dass sich der Umgangston und die Qualität der Debatten durch die Ermächtigung ihrer TeilnehmerInnen deutlich verbessert hat.

„Dadurch, dass du die Moderationsmacht abgibst an die User und dementsprechend ein dezentrales Modell fährst, [skalierst] du eben besser nach oben hin. [...] Das ist wesentlich billiger und du hast dann zwar vielleicht den Überblick nicht, aber du kannst dir sicher sein, dass besser moderiert wird im Schnitt.“ (Kosok 2013)

Der Vorteil ist zudem, dass Vorwürfe der Zensur und der Intransparenz zentralistischer Modelle (Kosok nennt es „Blogwartmentalität“) hinfällig werden. Dass durch die Abwesenheit einer Moderation zur gleichen Zeit aber auch die Polizeifunktion wegfällt, also der Wunsch nach einer ordnenden und bestrafenden Instanz, sieht Kosok nicht als problematisch an, denn

„in dem Moment, wo du dich selbst wehren kannst, lässt eben auch dieses Gefühl nach. Wenn ich weiß, ich kann selbst entscheiden, mit wem ich sprechen möchte, wer mit mir kommunizieren kann unter meinem Beitrag, dann ist diese Not nicht mehr so da. Das ist zumindest der Eindruck, der sich bei uns in den letzten eineinhalb zwei Monaten entwickelt hat. […] Die gehen einfach respektvoller miteinander um. Die wissen: Ich kann von jemandem bestraft werden und es nicht mehr so ist: Ok, da sind ein paar Moderatoren und die kriegen nicht alles mit.“ (ebda)

54 Diese Art der netzwerkartigen Selbstregulation von PODs führt dazu, dass die Kommunikationsprozesse Charakterzüge von klassischer face-to-face Kommunikation annehmen. Indem die DiskutantInnen durch die zur Verfügung stehenden Tools ihr Repertoire kommunikativer Handlungen erweitern können, bauen sie so etwas wie Reputation auf und können sich gegenseitig besser einschätzen. Somit hat jede und jeder Einzelne es selbst in der Hand, was gefiltert wird, auf wen man sich einlässt und womit man sich erst gar nicht auseinandersetzen möchte. Es bilden sich Erfahrungswerte über die Teilnehmenden selbst und darüber, welcher Kommunikationsstil eine Diskussion befördern kann und welcher sie eher behindert. Das, was bei einer Moderation versucht wird, aktiv durchzusetzen, gelingt hierbei durch den interaktiven Umgang der KommunikationsteilnehmerInnen untereinander und größere Verantwortlichkeit des eigenen Handelns: „So etabliert sich eine soziale Norm und dann achten die Teilnehmer teilweise bereits untereinander selbst darauf, dass die eingehalten wird“ (Trénel 2013). Was erfolgreiche Deliberation so schwierig gestaltet, ist u.a. die Tatsache, dass es wahrscheinlich immer Leute geben wird, die gegenläufiger Meinung sind und sich nicht von etwas anderem überzeugen lassen (wollen). Selbst mit Argumenten gibt es kein Durchkommen. „Denn das ist nur Impuls gegen Impuls“ (Lieb 2013). Eine Moderation ist bei solchen persönlichen Debatten weitgehend machtlos.

„Was meine persönliche Erfahrung beim Moderieren ist, ist, wenn man eine Zielgruppe hat, die sich sehr gewandt und gut ausdrücken kann, macht es das Moderieren nicht unbedingt einfacher, weil es natürlich schwieriger ist, Spielregelverstöße wirklich aufzudecken. Also da kommen dann ganz oft z.B. Beleidigungen oder irgendwelche rassistischen Bemerkungen, aber so gewandt formuliert, dass man fast nichts hat, um es irgendwie anzugreifen.“ (Ruesch 2013)

Im dezentralen Modell der Selbstregulierung ließen sich solche Probleme durch die individuelle Anwendung kommunikativer Sanktionsmechanismen lösen, so dass eine Debatte nicht von Einzelnen okkupiert und individuell gestaltbar wird.

6.1.4. Repräsentativität

Über die qualitative Zusammensetzung der TeilnehmerInnen der betroffenen PODs ist nur wenig bekannt. Einhellige Übereinstimmung bestand dennoch bei allen Befragten darin, dass es vermessen sei, zu behaupten, man könne online eine repräsentative Auswahl erreichen. Die Gründe dafür stimmen mit jenen, die aus der Partizipationsforschung bereits bekannt sind, im Wesentlichen überein. „Ähnliche Faktoren, die man in der Wissenschaft gefunden hat, warum

55 Menschen sich nicht politisch beteiligen offline, gelten auch für Onlinepartizipation“ (ebda.). Daher werden die beobachteten Muster im Folgenden nur kurz behandelt. Erstens gibt es einen Kern politisch Aktiver. Mehrmals war die Rede von „der klassischen 90:9:1- Staffel“, also dem einen Prozent, der sich wirklich regelmäßig aktiv beteiligt, den neun Prozent, die gelegentlich partizipieren, und den restlichen 90 Prozent, die sich weitgehend passiv verhalten. Selbst bei den Piraten im LiquidFeedback lässt sich dieser aktive Kern identifizieren: „Ich mache mir da keine Illusionen. Da gibt es Poweruser, die das viel benutzen, oder viel Zeit haben, oder sehr renitent sind“ (Bormuth 2013). Zweitens verläuft der soziodemographische Durchschnitt von PODs jenseits der gesamtgesellschaftlichen Zusammensetzung. Bei der Enquetebeteiligung des Deutschen Bundestages hatten 90 Prozent der TeilnehmerInnen mindestens Abitur oder Fachhochschulabschluss, ihr Einkommen lag deutlich über dem bundesdeutschen Schnitt und über 80 Prozent waren männlich (vgl. Forschungsnetzwerk Liquid Democracy 2013: 16ff.). Ein ähnliches Bild ergibt eine LeserInnenumfrage des Blogs NachDenkSeiten:

„87 Prozent unserer Leser sind männlich, leider nur 13 weiblich. Unter 30 sind es 11 Prozent, 30-45 28 Prozent, 45-60 37 Prozent und sogar die Nicht-Internet-Generation über 60 haben wir 23 Prozent. Wir haben 61 Prozent mit einem Hochschulabschluss.“ (Lieb)

Interessant ist hierbei, dass die ältere Generation auffällig präsent ist gegenüber den sogenannten „digital natives“. Je nach Perspektive lässt sich diese Tatsache positiv oder negativ interpretieren: Die Älteren werden sehr wohl durch das Internet erreicht, die Jüngeren, die man durch das Medium eigentlich erreichen wollte, sind jedoch nach wie vor unterrepräsentiert, wenn es um PODs geht. Drittens sind, wie bereits angesprochen, vor allem online-basierte Beteiligungsformate anfällig für Verzerrungen durch Gruppenmobilisierungen. Beim Bürgerhauhalt in Jena, wo die BürgerInnen sowohl offline als auch online über Themen abstimmen konnten, wurde solch eine Interessenorganisation deutlich.

„Es wurde 2008 die Frage gestellt, ob für den Fußballclub Carl Zeiss Jena ein neues Stadion gebaut werden sollte. […] Bei der Onlineabstimmung [...] hat die Frage nach dem Fußballstadion mit ganz weitem Abstand gewonnen. Da war jedem klar, dass die Fußballlobby online sich untereinander mobilisiert hat.“ (Reinhardt 2013)

Bei den genannten Verzerrungen handelt es sich wie erwähnt nicht um online-spezifische Defizite. Umgekehrt ist eine Euphorie unangebracht, die sich aus der Erwartung speist, das Internet sei ein

56 Instrument zur Mobilisierung der Massen.

„Es wird bei solchen Verfahren nie eine Massenmobilisierung geben, die irgendwie zweistellige Prozentsätze der Bevölkerung aktiviert. Das ist einfach unrealistisch. Und auch die Erwartung, dass ich auf einmal alle Bevölkerungsschichten beteiligen würden, auch das ist völlig unrealistisch.“ (Stolzenberg 2013)

6.1.5. Responsivität

Rückkopplungsprozesse innerhalb der Beteiligungsformate wurden als zentral erachtet, wenngleich in diesem Bereich großer Spielraum für Verbesserungen erkannt wird. Das betrifft zum einen die Bereitschaft und den Willen, Input tatsächlich zu verarbeiten, und zum anderen, die unternommenen Versuche oder gar Maßnahmen durch Formen der Rückkopplung zu kommunizieren. Insbesondere bei punktuellen Verfahren, die zumindest ansatzweise eine entscheidungsrelevante Verwertung der BürgerInneninteressen versprechen, birgt die mangelnde Bereitschaft der InitiatorInnen die Gefahr, dass ein großer Enttäuschungseffekt bei den TeilnehmerInnen von PODs eintritt. So wird der Eindruck erweckt, dass es sich bei solchen Verfahren, wie bereits im Unterkapitel 6.1.1. angesprochen, um reine Alibiverfahren handelt, die den BürgerInnen Teilhabe bloß vorgaukeln.

„Wenn die Bürger jetzt wiederholt enttäuscht werden, glaube ich, dass das ein Problem wird, weil irgendwann keiner mehr mitmacht […]. Wenn das Gefühl entsteht, dass diese Verfahren ernst gemeint sind, und der Wille zur Bürgerbeteiligung nicht nur um der Bürgerbeteiligung Willen da ist, sondern um die Bürger tatsächlich mehr zu integrieren in politische Entscheidungen, dann kann ich mir vorstellen, dass mehr und mehr Personen mitmachen.“ (Ruesch 2013)

Die Motivation der Teilnehmenden zur Partizipation sinkt, wenn sie merken, dass ihre Eingaben keine Resonanz erzeugen und sie ihre Zeit umsonst investiert haben. Die Piratenpartei hadert in dieser Hinsicht mit der Unverbindlichkeit der erzielten Ergebnisse im LiquidFeedback.

„Wir haben es zwar vor 3 Jahren angeschaltet, aber in diesen 3 Jahren ist nicht soviel passiert. Das ist auf dieser Ebene der Unverbindlichkeit hängen geblieben [...]. Entweder es ändert sich, dann haben wir eine neue Phase, wo wir wieder gucken können, was passiert, oder halt nicht, dann wird es, glaube ich, zurückgehen. Dann wird die Piratenpartei eher klassischere Wege gehen.“ (Bormuth 2013)

Für die EntscheidungsträgerInnen bedeutet das, Teile ihrer Deutungs- und Entscheidungsmacht an die BürgerInnen abzugeben. Geschieht das nicht, wächst nicht nur das Gefühl der Resignation,

57 sondern auch das Misstrauen gegenüber der Politik als rationale Entscheidungsebene und den Medien als funktionierendes Kritik- und Kontrollorgan.

„Meistens ist es ja so, dass irgendjemand Macht hat, das macht, und hofft, dass die Leute irgendwie mitmachen, aber teilweise sind die gehemmt, Teile ihrer Macht abzugeben, quasi in das Online-System. Je verbindlicher Entscheidungen darin sind, desto riskanter wirkt das erstmal für denjenigen, der sowas initiiert, aber wenn er es nicht macht, kann er es auch genauso gut lassen, weil dann ja keiner mitmacht.“ (Treutner 2013)

Auch bei PODs kontinuierlicher Art ist die Überzeugung gewachsen, dass die VerfasserInnen politischer Inhalte und die Verantwortlichen der Diskussionsobjekte sichtbarer sein müssen, um die Wahrscheinlichkeit der Verständigung zu erhöhen.

„Auch so diese Akzeptanz, sich da in den Kommentarspalten als Autor zu erkennen zu geben und beispielsweise auf Fragen einzugehen oder Recherchekritik etc. zu entkräften, die ist nach und nach gegeben.“ (Werther 2013,)

„Deswegen machen wir auch immer ein Lob-und-Kritik Forum, wo es eine Metaebene gibt, wo dann dem Moderator vorgeworfen wird, er sei nicht neutral, und dann begründet er sich oder verhält sich entsprechend oder ist responsiv.“ (Trénel 2013)

Aus den Interviews war herauszuhören, dass der Wille zur größeren Einbindung der BürgerInnen durchaus wächst. Bei eher dezisionistischen Verfahren fällt es den InitiatorInnen allerdings oftmals schwer, über viele Jahre gewachsene Strukturen und eingeübte Verfahren der Verwaltung zu durchbrechen (siehe Kap. 6.1.6.). Aus der Zivilgesellschaft heraus dringen scheinbar kommunikative Inhalte nach oben, die als Bereicherung angesehen werden. Ob das bei Bürgerhaushalten ist:

„In dem Moment, wo da acht Bürger sitzen, die eben mehr die Sichtweise des Bürgers haben und weniger die der Verwaltung, entsteht sofort ein Diskussionsprozess und dann sagen die: Nee, das versteht kein Mensch, oder: Die Zahl müssen wir noch weiter aufschlüsseln, oder: Da müssen wir noch was ergänzen.“ (Reinhardt 2013)

Oder in den Redaktionen:

„Sozusagen waren die Leser [...] auch Informanten, Tippgeber. Es ist natürlich auch immer so, dass dieser Rückkanal ein Korrektiv ist. Wenn man beispielsweise - vor allem bei Meinungsartikeln natürlich - Positionen formuliert, die ihre Schwächen haben, ist das ein sehr guter Rückkanal, um diese Schwächen aufzudecken und dadurch auch zu lernen.“ (Berger 2013)

58 „[L]etzten Endes sitzen die wahren Experten in der Leserschaft. Ein Redakteur hat natürlich auch seine Steckenpferde, seine Fachgebiete, aber die wahren Nerds [...] sitzen dann doch oft in der Leserschaft.“ (Porzky 2013)

Die Bereitschaft zur Verarbeitung des Inputs, welches die BürgerInnen in PODs gemeinsam produzieren, sollte demnach erkennbar sein, so dass es gilt, diese entsprechend top-down zu kommunizieren. „Erfolgsfaktor […] ist dann natürlich die follow-up-Kommunikation, in der kommuniziert wird, dass es gehört wurde. Sonst haben wir eben beim zweiten und dritten Beteiligungsverfahren niemanden mehr dabei“ (Ulmer 2013). Durch Belohnungs- und Sanktionsmechanismen wird dabei versucht, gute Beiträge zu loben und konstruktive TeilnehmerInnen zu motivieren, aber auch transparent zu machen und zu erklären, warum bestimmte als destruktiv erachtete Inhalte keine Beachtung finden bzw. depubliziert werden. Diese Wechselseitigkeit ermöglicht zumindest gegenseitiges Verständnis und stellt die transparent gemachten Normen zur Disposition.

6.1.6. Offline-Verknüpfung

Der alleinige Wille zur Inklusion reicht nicht aus, wenn die Voraussetzungen der Verarbeitung des online generierten Inputs nicht gegeben sind.

„Wenn man solche Sachen online und offline zusammenbringen will, das ist mit Arbeit verbunden, wenn sich nicht alle von Vornherein darauf einlassen. […] Wenn man sich das vorher gut überlegt, dann sind solche Anpassungsschwierigkeiten, so Reibungen zwischen den beiden Welten geringer. Das macht so einen Prozess letztlich effizienter.“ (Treutner 2013)

Die Integration in administrative Strukturen, die sich in den Institutionen etabliert haben, stellt sich als eine der zentralen Herausforderungen dar. Bürgerhaushalte oder ähnliche Beteiligungsformen, die in der Nähe der Legislative angesiedelt sind, benötigen auf der einen Seite strukturelle Vorgaben, damit der Input der BürgerInnen anschlussfähig ist, und andererseits muss die Verwaltung dafür sorgen, dass sie eine Scharnierstelle schafft, die den Input in die vergleichsweise starren Abläufe offline überführt.

„Also, für die Verwaltung ist das Internet ein sehr schnelles Medium und es ist gar nicht so einfach, das in Verwaltungsabläufe zu integrieren.“ (Ruesch 2013)

„In vielen Städten, mit denen wir zusammenarbeiten, ist der Wille da. Aber es ist tatsächlich nicht so einfach. Es sind natürlich jahrelang gewachsene Routinen und Zuständigkeiten, die es so gibt in der Verwaltung. Die Haushaltsaufstellung ist ein Prozess, der seit Jahrzehnten eingeübt ist.“ (ebda.)

59 Zu große Themenoffenheit ist z.B. in dieser Hinsicht nicht zielführend, da sie den Teilnehmenden zwar Raum für ihre persönlichen Anliegen gibt, die Zuständigen am anderen Ende diese Informationen jedoch nicht verwerten können.

„Wenn ich auf der anderen Seite die Fragen etwas enger fasse, dafür das Risiko habe, dass die Bürgerinnen und Bürger vielleicht bisschen schlecht gelaunt sind, weil sie sich so vorgegeben fühlen, wo sie hin sollen, [...] hat [man] den großen Vorteil, dass das, was als Impuls kommt, die Politik aufgreifen kann und verwerten, weil der Rahmen da ist. Das halte ich für einen ganz entscheidenden Erfolgsfaktor.“ (Ulmer 2013)

Parallel dazu hat sich auch in den Redaktionen der klassischen Printmedien der Eindruck verstärkt, dass Online-Journalismus mehr ist als nur ein zusätzlicher Verbreitungskanal. Anfänglich wurde das einseitige massenmediale Kommunikationsmodell einfach ins Internet übertragen, indem die bereits produzierten Artikel crossmedial verwertet wurden. Dadurch, dass man gesagt hat, „wir kippen die [Zeitung] ins Netz und schauen mal, was passiert“ (Kosok 2013 erreichten die durch die Leserschaft erzeugten kommunikativen Rückkopplungsprozesse die klassischen Redaktionen nicht. Mittlerweile ist das deutliche Machtgefälle zwischen Print- und Online-Redaktionen eingeebnet worden und die Bereiche miteinander verzahnt.

„Anfangs waren da schon viele Kollegen noch sehr skeptisch. Teilweise - ist natürlich redaktionsabhängig - gab es klare Hierarchien: Das sind die Printleute, das sind die Onliner. […] Das hat sich jetzt nach und nach ein bisschen aufgelöst.“ (Werther 2013)

Mit ein Grund für die zunehmende Integration der Redaktionsabläufe war die Einsicht, dass die Leserschaft in einer gut strukturierten Diskussion als hilfreiches Korrektiv dienen kann. Die Community-Manager als Schnittstelle zwischen Leserschaft und RedakteurInnen einzurichten, ist möglicherweise also auch der reibungsloseren Überführung von positiven Nebeneffekten wie weiterführenden Recherchehinweisen etc. geschuldet.13 Größtenteils ist das Netz dennoch ein Ort spontaner Meinungsäußerungen geblieben. Wendet man diese Tatsache zum Positiven hin, so lässt sich das Meinungssammelsurium immerhin als eine Art Stimmungsbarometer auffassen. Trotz aller hier aufgeführten Mängel von politischen Diskussionen im Internet könnten ausgemachte Problemfelder, die von den BürgerInnen gehäuft benannt werden, offline aufgearbeitet werden und in strukturierterer und leichter zu verarbeitender Weise an diese zurückgegeben werden.

13 Dieser Punkt darf aber nicht überschätzt werden, da die wirklich interessanten Hinweise doch meist über persönlichere Kanäle (Email, Telefon) eingehen, wie Lieb betont: „Also ein Großteil der Leute sagt: Bitte, ich gebe Ihnen diese und jene Informationen und die sind gesichert, aber bitte nennen Sie unsere Namen nicht. […] Die Leute würden sich in einem Forum ja gar nicht äußern.“ (Lieb 2013, NachDenkSeiten)

60 „Ich kann mir vorstellen, dass in Zukunft solche Verfahren noch vielmehr angedockt werden an direktdemokratische Möglichkeiten. Dass es sozusagen eine Art Vorselektion ist, oder eine Art von Hörgerät für die Politik, um zu verstehen, was für Dinge sind vielleicht wichtig oder auch umstritten in der Bevölkerung, und dann zu ausgewählten Themen [...] es nochmal an die Bürgerschaft zu geben und nochmal einen Bürgerentscheid zu machen oder irgendetwas in der Art.“ (Ruesch 2013)

Einige onlinespezifische Defizite, z.B. Validierungsprobleme der Teilnehmenden, ließen sich durch nicht-virtuelle Ergänzungsverfahren ausräumen. Sämtliche Partizipationsformen haben ausgrenzende Faktoren. Eine Verzahnung unterschiedlicher Beteiligungsformen könnte einige Ausschlusskriterien zumindest entschärfen.

6.2. Zusammenfassung

Ob es sich um punktuelle oder latente Verfahren handelt, kommerzielle, gemeinnützige oder entscheidungsnahe, sie alle haben gemeinsam, dass sich die Verantwortlichen solcher Beteiligungsformen kontinuierlich Gedanken über deren Sinnhaftigkeit und Funktionsweise machen. Sie benutzen ihre Erfahrungen, um politische Online-Diskussionen derart zu gestalten, dass sie erfolgreiche Kommunikationsprozesse ermöglichen. Im vorhergehenden Kapitel wurden jene Einflussvariablen beschrieben, die sich aus den Ausführungen der Befragten ergeben haben. Abbildung 3 fasst die identifizierten Variablen plus jene, die bisher in der Forschungsliteratur diskutiert wurden, in einem Schaubild zusammen. Die Phasen der Umsetzung und Gestaltung von virtuellen Öffentlichkeiten, in denen PODs stattfinden, sind in einem Kreislaufmodell dargestellt, was die Lernprozesse ins Zentrum rücken lässt. Es ist hingegen nicht als striktes Kausalmodell zu verstehen, da sich viele der verschiedenen Einflussfaktoren gegenseitig bedingen, was durch die entsprechenden Pfeile kenntlich gemacht ist. In Folge der durch das Internet beförderten Entgrenzung der Kommunikation von Körper, Zeit und Ort, existieren unzählige unverbindliche Äußerungen im virtuellen Raum. Besteht der Anspruch, dieses Gewirr an individuellen Meinungen durch Partizipationsverfahren für die Demokratie fruchtbar zu machen, benötigt es Filtermechanismen, die den relevanten Informationen den Zugang erleichtern und die unbrauchbaren heraushalten. Um wiederum die Relevanz zu bestimmen, braucht es im Vorhinein eine klare Bestimmung dessen, was durch die Zusammenführung der vielen Einzelmeinungen erreicht werden soll. In der Vorbereitungsphase geht es also darum, sich klar zu machen, welchen Zweck eine POD erfüllen soll und welche Kapazitäten dafür zur Verfügung stehen. Thema und Zielgruppe bestimmen dabei maßgeblich die Reichweite. Hier werden bereits die Weichen für potentiellen Erfolg oder Misserfolg gestellt.

61 Abbildung 3: Einflussfaktoren von PODs

In der Aktivierungsphase wird versucht, die Zielgruppe durch klassische Öffentlichkeitsarbeit zu mobilisieren und an das laufende Geschehen zu binden. Virale Kommunikationsprozesse üben ihrerseits Einfluss auf die TeilnehmerInnenzahl und deren Beschaffenheit aus, sind allerdings nur schwer zu kontrollieren. Die Implementierung und Begleitung von PODs ist wahrscheinlich die komplexeste Herausforderung und dementsprechend ständigen Entwicklungs- und Änderungsprozessen unterlegen. Die Umsetzungsphase lässt sich in die technische Umsetzung und die Moderation unterteilen. Zur technischen Umsetzung gehören Zugangsregelungen, das Design oder Bewegungsmöglichkeiten der UserInnen auf der Webseite und Vorgaben durch einen technischen Workflow. Angesichts automatisierter Spambots und der hohen Zahl zorniger Kommentare

62 anonymer Menschen, die Diskussionsforen als Ventilfunktion zur Bekundung ihres Unmuts nutzen, haben sich beispielsweise höhere Zugangshürden etabliert, auch auf Grund der Mithaftung durch die BetreiberInnen bei strafrechtlich relevanten Inhalten. Eine Moderation wird als unabdingbar erachtet. Wer die Moderationsmacht besitzen soll, darüber gibt es hingegen zwei gegensätzliche Meinungen. Das hierarchische Modell einer zentralen Moderation übernimmt die Funktion einer Diskussionsleitung und verfügt über autonome Entscheidungsmacht, wodurch sie sich immer wieder Zensurvorwürfen ausgesetzt sieht. Das dezentrale Modell der Selbstregulation durch die Gruppe selbst wird ebenfalls als Möglichkeit gesehen, PODs zu strukturieren, sofern den Teilnehmenden Instrumente der Belohnung und Sanktionierung an die Hand gegeben werden. Welches Modell eingesetzt wird, hängt von der Größe und Beschaffenheit der Zielgruppe sowie vom basisdemokratischen Anspruch der jeweiligen Formate ab. Beide Strategien haben in den Augen der BefürworterInnen die Qualität der Diskussionen steigern können. Die Verarbeitungsphase wird maßgeblich durch die Diffusionsprozesse der Inhalte und die Responsivität der BetreiberInnen bestimmt. Finden PODs abgekoppelt im leeren Raum statt, sinken Motivation und Qualität. Im besten Fall nimmt die höher liegende Öffentlichkeits- oder politische Ebene Anregungen der Teilnehmenden auf, aber selbst wenn sie es nicht tut, sollte sie es begründen und transparent machen. PODs können durch ihre Informalität und Unverbindlichkeit nicht viel mehr als Stimmungsbilder sein, aber einer ernsthaften Diskussion über gesellschaftliche Probleme sollte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit deren „Ergebnissen“ folgen, um die Politikverdrossenheit in der Zivilgesellschaft nicht noch weiter zu fördern. Identifizierte Themen- und Problemfelder könnten durch Ergänzungsverfahren außerhalb des Internets aufgegriffen werden. Die Beschaffenheit des Publikums spielt natürlich eine entscheidende Rolle im Diskussionsprozess, denn schließlich sind sie es, die dort deliberieren. Die Netzgemeinde ist kein Abbild der Gesamtgesellschaft und die TeilnehmerInnen von PODs sind es erst recht nicht. Die DiskutantInnen politischer Beteiligungsformate im Internet unterscheiden sich hinsichtlich ihres politischen Interesses und ihres soziodemografischen Hintergrunds. Dazu kommt, dass sich im Netz Interessengruppen schnell und unkompliziert organisieren können, um eine Diskussion in ihrem Sinne zu okkupieren. Es ist bisher nicht viel über die Eigenschaften der TeilnehmerInnen von PODs bekannt. Auf Grund der mehrmals benannten Beobachtung der Okkupation durch bestimmte politische Lager wäre es z.B. interessant zu untersuchen, inwieweit ihre politische Einstellung die Art der Diskussionsführung bestimmt. Eine These dahingehend wäre, dass sich Menschen, die eine eher randständige politische Einstellung haben und die in der politischen

63 Realität nur unzureichende Beachtung geschenkt bekommen, online im Schutz der Anonymität bzw. Pseudonymität verhältnismäßig viel Stimmung machen. Eine erfolgreiche Kommunikationskultur im Sinne der Verständigung und eines zielorientierten Diskurses hängt also von zahlreichen Einflussfaktoren ab. „Qualität“ ist dabei kein absolutes, sondern ein relatives Kriterium und hat nur Aussagekraft, wenn man den vorher intendierten Zweck mit den tatsächlich erzielten Ergebnissen abgleicht. Einig waren sich alle Befragten darüber, dass PODs Struktur und Steuerungsmechanismen brauchen, um den vielfach beklagten destruktiven Entwicklungen entgegenzuwirken. Die kommunikative Freiheit, sich zu allen Belangen ganz einfach zu äußern, begünstigt durch offenen Zugang und fehlende Sanktionierung, hat nicht den erhofften Demokratisierungsschub gebracht. Das Gegenteil ist der Fall. Wie im nicht-virtuellen Raum auch müssen sich soziale Normen im (kommunikativen) Umgang miteinander entwickeln. Das Medium Internet ist vergleichsweise jung. Lernprozesse sowohl in der Strukturierung virtueller Öffentlichkeiten als auch bezüglich ihrer emanzipatorischen Nutzung sind im Gange.

64 7 Fazit

In der vorliegenden Arbeit wurde versucht, der theoretischen Diskussion um die partizipatorischen Potenziale des Internets eine empirische und praxisnahe Dimension hinzuzufügen. Bewusst wurde eine pragmatische Herangehensweise gewählt, die aus der Einsicht heraus entstanden ist, dass die idealistischen Anforderungen der Deliberation als Maßstab für eine Zustandsbeschreibung ebenso ungeeignet sind wie die oberflächliche Beobachtung, Online-Partizipation diene lediglich als Ventil der Unzufriedenen und könne daher keinen Mehrwert bieten. Intensive Bemühungen, virtuelle Teilöffentlichkeiten aktiv zu gestalten sowie die Herausbildung spezifischer Unternehmen zu diesem Zweck sprechen gegen die Annahme, dass PODs keinen zusätzlichen Nutzen stiften können. Vielmehr hat sich die Einsicht verbreitet, dass die alleinige Bereitstellung solcher Formate nicht ausreicht, um das basisdemokratische Potenzial des Netzes zu aktivieren. Unbetreute und isolierte Foren, die jegliche organische Interaktionsmerkmale vermissen lassen, fördern eine destruktive Kommunikationskultur und sind derart weit von diskursethischen Geltungsansprüchen entfernt, dass von Demokratie gar keine Rede sein kann. Welche belebenden Impulse für die Demokratie von diskursiv angelegten Formen der politischen Partizipation im Internet trotzdem ausgehen können, wurde daher nicht vor der Folie eines abstrakten Deliberationsgrades gemessen. Der Fokus lag vielmehr auf den Wirkweisen der durch das Netz ermöglichten many-to-many Kommunikation und der Frage, wie BürgerInnen davon Gebrauch machen, um sich politisch zu beteiligen. Der Vorteil der Befragung von Leuten, die solche deliberativ angelegten Formate betreuen, wurde darin gesehen, nachzuvollziehen welche interventionistischen Maßnahmen mit welchem Hintergrund getroffen wurden, um den einst anarchischen Kommunikationsraum skalierbarer zu machen, und welche Folgen sich durch diese Eingriffe ergeben haben. Jene Faktoren, die aus Sicht der Befragten die Erfolgswahrscheinlichkeit verständigungsorientierten Handelns erhöhen, lassen sich als Prämisse verstehen, damit PODs demokratische Relevanz erzielen können. In Anlehnung an Kersting (vgl. Kersting 2006: 33ff.) ließen sich die vier Kriterien Offenheit/ Gleichheit, Responsivität, Rationalität und Effektivität/Effizienz als Eckpfeiler der Evaluation heranziehen. Außerdem ist es sinnvoll, die derzeitigen Funktionsmechanismen der parlamentarischen Demokratie nicht aus den Augen zu verlieren, welche ebenfalls unter Defiziten leidet. Das Internet ist auf Grund seiner inklusiven Eigenschaften zweifellos ein sehr gutes Werkzeug offener Partizipation. Wie auch Ruesch im Interview betont, nimmt die Betonung auf Offenheit an

65 Stelle „elektronischer“ Partizipation der Online-Beteiligung seinen technikdeterministischen Charakter. Die Gefahr, dass organisierte Interessengruppen in manipulativer Weise versuchen, die Deutungshoheit über bestimmte Themen an sich zu reißen, ist im Internet gegenwärtig. Allerdings sind diese Versuche der Einflussnahme sichtbar und können im Gegensatz zur intransparenten Lobbyarbeit in der nicht-virtuellen Welt angefochten werden. Das Argument des digital divide verkommt aus dieser Perspektive zu einem Scheinargument, wenn es um Chancengleichheit der Einflussnahme geht. Was das diskursethische Ideal betrifft, könnte man zur Diskussion stellen, ob PODs nicht schon dadurch emanzipatorische Wirkung entfalten können, dass höher gelagerte Öffentlichkeitsebenen, seien es Massenmedien oder politische Institutionen, wiederkehrende Argumentationslinien aufspüren und das bisherige Meinungsspektrum um eine BürgerInnenperspektive erweitern. Eine integrierte Netzwerköffentlichkeit hält durchaus Anzeichen für solch ein bottom-up Agenda- Setting parat. Das Festhalten an einer deliberativ-rationalen Utopie verstellt dergestalt den Blick auf die kaum sichtbaren Erosionsprozesse der veröffentlichten Meinung. Auch wenn am Ende deliberativ angelegter Prozesse kein von allen geteilter Konsens herauskommt, so lohnt sich doch ein Blick auf vermehrt wahrgenommene Problemlagen der BürgerInnen, sofern die Diskussion zielgerichtet verläuft. Feedbackprozesse finden somit indirekt und weitgehend unabsichtlich statt, weichen jedoch das einst monolithische Gebilde einer einzigen massenmedialen Öffentlichkeit auf. Der Grundkonflikt zwischen Effektivität/Handlungsfähigkeit und Inklusion/Meinungsfreiheit lässt sich auch im Internet nicht auflösen. Damit Meinungen nicht bloß Meinungen bleiben, sondern auf einer höheren Ebene synthetisiert werden können, muss der Diskursraum so skaliert werden, dass sich soziale Verhaltensregeln durchsetzen. Die Möglichkeit für „Zuckerbrot und Peitsche“ obliegt dabei entweder der Moderation oder den TeilnehmerInnen selbst. In beiden Fällen nimmt die Kommunikation mehr Züge von face-to-face Kommunikation an und fördert somit verantwortlicheres Handeln. Wird das Ziel verfolgt, spezifisches ExpertInnenwissen zu generieren, könnte das Modell der Moderation und begrenzter Kommunikationsmöglichkeiten zweckdienlicher sein, um skalierbarere Ergebnisse zu generieren. Themenoffenheit und Sanktionierung korrelieren dabei immer auch ein Stück weit mit dem demokratischen Grundwert der Meinungsfreiheit. In dem Moment, wo bestimmte Beiträge aus der Diskussion herausgehalten oder gewisse TeilnehmerInnen mit der Folge ignoriert werden, dass sich weltanschauliche Filterblasen bilden, scheitert der basisdemokratische Anspruch inklusiver Verfahren. Von Repräsentativität kann im Internet allerdings sowieso nicht die Rede sein. Der aktive Kern der Gesellschaft findet im Netz einen weiteren Kanal für politisches Engagement und kann sich

66 dort leichter organisieren. „Nur wenn die Organisatoren partizipativer Verfahren Maßnahmen zur Inklusion schwacher Interessen und zur inklusiven Responsivität der politischen Repräsentanten ergreifen, kann politische Gleichheit verbessert werden“ (Geißel 2012: 37). Daher ändert sich auch im Internet-Zeitalter nichts an der Herausforderung, mehr Menschen zu ermuntern, sich politisch einzubringen. In Sachen Responsivität, das hat die Untersuchung ergeben, sind virtuelle Beteiligungs- möglichkeiten durchaus positiv zu bewerten, wenn man sie in der Praxis denn auch wirklich umsetzt. Rückkopplungsprozesse verbessern nicht nur die Kommunikation, sondern sie vermindern auch die Distanz zwischen den verschiedenen Ebenen des Entscheidungs- und Willensbildungsprozesses und ermöglichen dadurch ein besseres Verständnis für das jeweilige Gegenüber. Politikverdruss und Resignation haben mit dem Gefühl zu tun, nichts verändern zu können. Verharren Online-Debatten trotz einer besser werdenden Kommunikationskultur im luftleeren Raum, steigt die Apathie der Regierten womöglich sogar noch mehr. Dabei wird die Öffentlichkeit durchaus durchlässiger. PolitikerInnen holen sich (laut Maik Werther) Reaktionen in den Kommentarspalten von Online-Zeitungen, RedakteurInnen greifen Hinweise aus der Leserschaft auf und beobachten die Stimmung in den sozialen Medien und JournalistInnen erweitern ihr Argumentationsrepertoire durch politische Blogs. Der derzeitige politische Entscheidungsprozess ist allerdings zu starr, um die Dynamik der virtuellen Beteiligungsformen verarbeiten zu können. Die Fortschritte in der Ausgestaltung von PODs bleiben ohne Auswirkungen, wenn nicht ebenfalls die Offline-Strukturen reformiert werden. Im Gegensatz zur Projektorientierung virtueller Beteiligungsverfahren ist der parlamentarische Prozess weitestgehend ritualisiert. Eine bessere Verzahnung klassischer Entscheidungsstrukturen mit PODs sowie deren Verstetigung sind daher die zentralen Herausforderungen einer fortschrittlichen inklusiven Politik. In dieser Hinsicht wäre es übrigens auch interessant, zu erforschen, inwieweit das Wissen um die Entscheidungsrelevanz einer POD die Bereitschaft der Teilnehmenden beeinflusst, sich inhaltlich einzubringen. Denn wenn Responsivität die Wahrscheinlichkeit erfolgreicher Kommunikation erhöht, dann sollte sich die Furcht vor einem irrelevanten Meinungsrauschen in Grenzen halten. Diese Furcht befeuert möglicherweise die wachsende Kluft zwischen Politik und Bevölkerung, da zu wenig an die Motivation zur Beteiligung appelliert wird. Vielleicht reicht es nicht, dass nur das Öffentlichkeitssystem durchlässiger wird, vielleicht muss sich auch das politische System öffnen, um nicht als Gegenspieler der Zivilgesellschaft wahrgenommen zu werden. Da der Wille zur Inklusion als ein Erfolgsfaktor angesehen werden kann und zudem bereits eine Menge Erfahrungen in der Strukturierung von PODs vorhanden sind, ließe sich der Vorbehalt der

67 Politik gegenüber einer diffusen und destruktiven Masse im Netz Stück für Stück abbauen. Ob es bei PODs oder gesellschaftspolitischen Debatten generell so etwas wie eine „Weisheit der Massen“ geben kann, ist eher fraglich, solange diese Masse zu großen Teilen uninformiert und desinteressiert ist. Die erfolgreiche Gestaltung virtueller Teilöffentlichkeiten, in der nicht jede spontan geäußerte Mitteilung gleichberechtigten Zugang zum Diskursraum bekommt, sollte jedoch die Bereitschaft der RepräsentantInnen steigern, den vorgebrachten Themen der BürgerInnenschaft vermehrt Aufmerksamkeit zu schenken. Es ist an der Zeit, eine Strategie zu entwickeln, um dialogische Online-Beteiligungsprozesse zu verstetigen und anschlussfähiger zu machen. Ihre kommunikative Qualität wird in dem Maße steigen, in dem sie aus ihrer technizistischen Hülle ausbrechen.

68 Bibliographie

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72 Anhang

Abbildungsverzeichnis

Tab. 1 Beteiligung im engeren und im weiteren Sinne...... 14

Abb. 1a Monolithische Öffentlichkeit und einseitige Kommunikation...... 15

Abb. 1b Virtuelle Teilöffentlichkeiten und Rückkopplungsprozesse...... 15

Abb. 2 Persönliche Netzwerke als Agenda-Setter 2. Instanz...... 30

Tab. 2 Interviewanfragen...... 44

Tab. 3 Punktuelle und latente PODs...... 45

Abb. 3 Einflussfaktoren von PODs...... 62

73 Interview Leitfaden

Offene Einstiegsfrage: Was ist Ihre Rolle bei (…) und wie sind Sie dazu gekommen?

Wie beurteilen Sie die Qualität des Verfahrens/ der Diskussion verglichen mit Ihren Erwartungen? Warum?

Wie wird dort kommuniziert?

Was hat gut funktioniert? Warum?

Welche Probleme sind aufgetreten? Warum? Mit welchen Maßnahmen wurde diesen begegnet? Welche Wirkung erzielen diese Maßnahmen?

Wer hat sich alles beteiligt? Wer konnte/kann teilnehmen?

Was passiert mit dem Input? Wie wird er verarbeitet?

Was würden Sie beim nächsten Mal/ demnächst ändern?

Was kann so ein Verfahren leisten und was nicht?

74 Codebuch Thematische Analyse

Thema Subthema Subsubthema Ankerbeispiel

Zielbestimmung Zweck „Man muss sich im Klaren werden über die Funktion von Beteiligung grundsätzlich. Warum machen wir das?“

Zielgruppe thematisch „Man hat natürlich auch eine konkrete Zielgruppe. Das muss man vielleicht auch sagen, dass es schwierig ist, über Beteiligungsverfahren online allgemein zu sprechen. Also da gibt es natürlich ein paar Grunddinge, die überall wiederkehrend sind, aber es hängt halt auch viel vom Thema und der Zielgruppe ab, was sich da dann abspielt.“

geographisch „Onlinebeteiligungsverfahren sind eine gute Methode, lokales Wissen zu aktivieren, heißt Expertenwissen zu aktivieren, das sich auf ein konkreten Ob bezieht.“

Entscheidungs- „Wenn die Politiker mehr Macht abgeben, dann werden die Bürger mehr mitmachen relevanz/ wollen und mehr Sinn darin sehen, und bessere Ergebnisse produzieren.“ Zeitpunkt

Kapazitäten „Wir müssen gucken, dass wir die Miete zahlen können, wir haben ein Büro und Praktikanten. Da müssen wir auch andere Projekte machen, weil OffeneKommune z.B. bringt keinen Cent Geld rein. Wir sind zwar ein gemeinnütziger Verein, aber trotzdem... wir müssen gucken, dass es uns weiterhin geben kann.“

Aktivierung Öffentlichkeits- „Die Presse, die das gesamte Projekt hatte, war zu Anfang negativ, und dann nachher, arbeit als es gut lief, nicht mehr vorhanden, was für uns schade war.“

Virale „Bei aktuellen Geschichten, also wenn wir Montag den Spiegel auseinander nehmen Kommunikation oder wenn wir irgendeine Schlagzeile von der Bildzeitung verarbeiten, dann schnellen die Leserzahlen hoch. Das hängt wahrscheinlich mit facebook und der viralen Kommunikation zusammen.“

Moderation Ursache Defizitäre „Beleidigungen der Protagonisten aus dem Artikel, Beleidigung der Autoren und Kommunikations- Beleidigung anderer User. Das ist auf jeden Fall am häufigsten.“ kultur

Technische Zugang „Es konnte jeder mitmachen. Wir haben bewusst keine Prüfung der Identität Hilfsmittel vorgenommen. Wir nennen es nachgelagerte Registrierung oder niedrigschwelligen Einstieg.“

Workflow „Man könnte sich jetzt einen technischen Workflow vorstellen, dass man sagt: Bevor du nen Beitrag abgibst, guckst du dir erstmal diesen Beitrag an oder so. (lacht) Das mögen die nicht.“

Strategie hierarchisch „Aber wenn du viele Beiträge sperrst, weil da jemand über die Stränge schlägt [...] gibt es immer den Vorwurf der Zensur.“

netzwerkartig „wir haben denen jetzt Tools gegeben, mit denen die die Kommentare unter ihren eigenen Blogbeiträgen moderieren können z.B. und auch darauf hingewiesen werden, wenn ein Kommentar gemeldet wird usw.. Das funktioniert super gut, weil sich innerhalb von einem Monat oder eineinhalb der Ton in der Community total verbessert hat.“

Repräsentativität Aktiver Kern „diese 90:9:1 Regel - 90 Prozent lesen nur, 9 Prozent interagieren minimal und 1 Prozent schreibt wirklich was - ist ganz zutreffend.“

Soziodemo- 87 Prozent unserer Leser sind männlich, leider nur 13 weiblich. Unter 30 sind es 11 graphie Prozent, 30-45 28 Prozent, 45-60 37 Prozent und sogar die Nicht-Internet-Generation über 60 haben wir 23 Prozent. Wir haben 61 Prozent mit einem Hochschulabschluss, 18,4 mit Abitur, 14 Prozent mit Realschule.“

75 Organisierung „Da war jedem klar, dass die Fußballlobby online sich untereinander mobilisiert hat, gesagt hat: Du, da ist ne Abstimmung, da müssen wir für das Stadion stimmen.“

Responsivität Wille/ „Wenn die Politiker mehr Macht abgeben, dann werden die Bürger mehr mitmachen Bereitschaft wollen und mehr Sinn darin sehen, und bessere Ergebnisse produzieren.“

Feedback „Wenn die Leute sich langfristig beteiligen sollen, wollen sie zumindest eine Erklärung haben. Langfristig wollen wir natürlich schon sehen, dass auch irgendetwas wirklich umgesetzt wird, was vorgeschlagen wird. Sonst wird das dauerhaft nicht funktionieren. Man muss beim Bürgerhaushalt sagen: Der Fokus liegt mehr bei "Bürger" als auf "Haushalt".“

Offline- Integration in „Gerade wenn sie mit so einer Stadtverwaltung zusammenarbeiten, ist das immer Verknüpfung administrative unheimlich schwierig, weil die sehr hierarchisch arbeiten.“ Strukturen

Ergänzungs- „Wir hatten ja unwahrscheinlich viele Workshops parallel in der Offline-Welt und die verfahren Ergebnisse aus den Online-Geschichte haben wir in die Workshops eingespeist.“

76 Transkripte der Interviews

Niklas Treutner (Liquid Democracy e.V.)

#00:00:11-1# Interviewer: Erzähl doch mal was über die deinen Hintergrund bei Liquid Democracy und zu Adhocracy.

#00:00:16-1# [...] Wir haben ein Projekt gemacht mit dem , und zwar die Enquete Kommission für Internet und digitale Gesellschaft begleitet. [...] Es gab ein paar Startschwierigkeiten, weil verwaltungstechnisch nicht ganz klar war, wie das Ganze angelegt sein könnte. Z.B. durfte kein Geld dafür ausgegeben werden, weil das nicht im Haushalt drin war. Dann geht das alles nicht, ist ein bisschen unflexibel, formell. Praktisch wars dann doch wieder flexibler, weil, sobald es einmal lief, einige aus der Verwaltung sehr sehr kooperativ waren und sehr gut mitgearbeitet haben und uns eigentlich alles abgenommen haben, das war sehr angenehm. Wir haben letztlich nur das Ganze aufgesetzt und nen Server zur Verfügung gestellt, was natürlich schon teuer genug war, mit der Software, die wir - der Liquid Democracy e.V. und die Software ist Adhocracy - die wir in Open Source Lizenz weiterentwickeln. Es gehört keinem, ist ja Open Source, aber ich glaube nicht, dass es noch andere gibt außer uns, die dann... es gibt andere Entwickler, die aber dann mit uns zusammen daran weiterbauen. Wir haben für die Enquete-Kommission das Ganze aufgesetzt. Wir haben bisschen Starthilfe gegeben, haben das vorgestellt, wie das funktioniert. Gerade zu Anfang, da war ich öfter da im Bundestag und wir haben mit dem Sekretariat zusammen gearbeitet oder mit einzelnen Abgeordneten oder Experten und denen vorgeschlagen, wie es laufen könnte. Z.B. hatte jede der 12 Projektgruppen nen eigenen Vorsitzenden, und da konnte jeder selbst strukturieren, wie er denn seinen Arbeitsprozess haben wollte. Dann sind manche ein bisschen mehr auf uns eingegangen und haben uns vorher gefragt, wie es denn gut laufen könnte, wie man es gut strukturieren könnte. Plus: Als wir angefangen haben, das zu machen, war sogar schon 4 Projektgruppen gestartet und waren schon fast fertig. D.h. wir kamen dazu, als die Texte schon fertig waren. Das hat alles für schlechte Startpresse gesorgt. Die Presse, die das gesamte Projekt hatte, war zu Anfang negativ, und dann nachher, als es gut lief, nicht mehr vorhanden, was für uns schade war. Zu Anfang hieß es: Der Bundestag will das gar nicht. Als sie es doch gemacht haben, wurde dazu nichts mehr gesagt und dann war nur noch das Thema: Die Texte sind ja eh schon fertig, die wollen uns gar nicht mitarbeiten lassen, die sind alle doof. Dadurch gabs nicht so gigantische Zahlen, wie z.B. bei dem Merkel-Dialog, also wir waren bei ca. 3000 Mitgliedern nachher, während die Merkel, glaub ich, Hunderttausende hatte, also Stimmen zumindest. Das war nicht so toll, wie sich das manche vielleicht erhofft hatten, aber für uns war das sogar gar nicht so schlecht, weil je größer das Projekt, desto mehr kann auch schief gehen. Dafür war die Qualität sehr gut. Es gab letztlich den Abschlussbericht, der vorgestellt wurde im Plenum, im Bundestag, und da haben sich alle überschlagen mit der Qualität, die da rausgekommen ist anscheinend. Das war so der Tenor, dass die sehr viel direkt übernommen haben, und von den Redebeiträgen hab ich gehört, dass von den 2000 Seiten starken Bericht bis zu 500 Seiten, das kann ich nicht so ganz glauben, Ideen aus Adhocracy hatten und einige Sachen sogar wortgleich übernommen wurden. Das ist für uns natürlich sehr erfreulich. [...] Die Software wurde entwickelt einfach so als: Was könnte man alles machen wollen? In den letzten 2 Jahren sind wir vor allem darum gekreist, wie kann man das Ganze, was wir jetzt haben, was irgendwie im leeren Raum vielleicht funktioniert, an wirkliche Sachen anpassen. Ein gutes Beispiel find ich, dass wir Termine eingebaut haben, d.h. dass ein realer Termin ist, wo sich Leute treffen, z.B. eine Projektgruppensitzung, dass man sagt, an dem Termin sind folgende Themen auf der Agenda und da sind die und die Sachen wichtig, und das kann man sich dann alles schön zusammenstellen lassen. Das sind Sachen, die hatten wir vorher nicht bedacht, wenn wir nicht so ein reales Projekt gehabt hätten. [...] Wir machen ein paar Projekte mit der SPD, machen ein Projekt mit den Grünen in NRW...

#00:06:05-4# Interviewer: Und was habt ihr so alles gelernt in eurem ersten Projekt?

#00:06:16-0# Befragter: Einerseits, dass die alte Regel, die man mal für das Mitmachen im Internet aufgestellt hat, nämlich diese 90:9:1 Regel - 90 Prozent lesen nur, 9 Prozent interagieren minimal und 1 Prozent schreibt wirklich was - ist ganz zutreffend. Es ist schwer, Leute wirklich dazu zu bringen, was zu schreiben, z.B. haben wir bei der Enquete Beteiligung haben wir sehr viele Texte reingestellt bekommen vom Sekretariat. Die Texte, die erarbeitet wurden von den Experten, wurden reingestellt, das war ein monolithischer Text. Was schön gewesen wäre, was die Software eben hergibt, wenn man direkt darin Änderungen vorschlägt, und das dann in Vorschlägen sammelt. Eigentlich hätte man schön mit dem Text arbeiten können, das macht aber niemand. Das wurde kaum genutzt. Wir haben versucht, die Textarbeit attraktiver zu machen, wir haben auch die Mitglieder der Enquete angehalten möglichst früh selber in dem Tool zu schreiben und nicht erst den fertig ausgeklüngelten Text da rein zu schlonzen. Das hat aber auch nicht funktioniert, die wollten halt auch fertig werden. Die standen unter riesigem Zeitdruck und wollten die Sachen so, wie

77 sie es gewohnt sind, fertig machen. Die wollten keine extra Arbeit bekommen durch das Tool, was ich auch verstehen kann. Wir haben versucht, einerseits die Texte möglichst früh heranzubekommen, und andererseits das Volk dann zu motivieren, hat nicht so gut zusammengepasst. Meistens waren es einfach Vorschläge, Leute hatten ne Idee zum Thema Medienkompetenz: So und so muss das gemacht werden und dann haben die das da reingeschrieben, ohne weiteren Bezug zu irgendwas. Das ist ja auch ok. Dann ist das Sekretariat gekommen und hat diese Texte genommen, zusammengefasst, in den Sitzungen präsentiert als: das ist der Input des Netzes. Das war halt mit zusätzlicher Arbeit verbunden. Wenn man solche Sachen online und offline zusammenbringen will, das ist mit Arbeit verbunden, wenn sich nicht alle von Vornherein darauf einlassen. Es gibt immer Anpassungsschwierigkeiten, aber das hat zum Ende hin sehr gut funktioniert. Die waren sehr geschult darin und die Leute wurden auch immer offener dafür. Die anfänglichen Startschwierigkeiten, die war hatten, die wären bei nem Folgeprojekt nicht mehr da, glaube ich. Hinter vorgehaltener Hand haben wir gesagt bekommen, dass wir die repräsentative Demokratie abschaffen wollen und am Stuhl des Parlamentarismus sägen. Das würde uns jetzt keiner mehr unterstellen, glaube ich weil alle gesehen haben, dass es produktiv ist und wir nicht die Revolution vom Zaun brechen wollen und mit Fackeln und Mistgabeln das Parlament stürmen.

#00:09:14-8# Interviewer: Die politischen Entscheidungsträger haben sich also geöffnet?

#00:09:15-0# Befragter: Auf jeden Fall. [...] Zumindest haben sie erkannt, was es ihnen Gutes bringen kann, nämlich wirklich guten Input, Sachen, die sie nicht bedacht haben. Gerade, wenn eine Gruppierung keine großen Lobbybüros hat. Manche Experten, die da saßen, hatten was Großes im Hintergrund, sei es eine Uni oder eine Firma oder irgendwas anderes, andere hatten das nicht. Für diese ist es gut, wenn andere Leute, die vor den Rechnern sitzen, ihnen diese Arbeit abnehmen und gute Ideen bringen. Dass man das Spektrum öffnet, wo noch weitere Ideen reinfließen können.

#00:10:27-3# Interviewer: Was glaubst du, was das für Leute waren, die da teilgenommen haben? Was mussten die für Bedingungen erfüllen?

#00:10:32-6# Befragter: Es konnte jeder mitmachen. Wir haben bewusst keine Prüfung der Identität vorgenommen. Natürlich war es an die 82 Millionen Deutschen gerichtet, aber wenn du aus Österreich mitmachst oder den USA, hat da auch keiner was dagegen. Es gibt ne Untersuchung dazu, die wurde von der Zeppelin Uni gemacht. Die wurde allerdings relativ früh gemacht. In den ersten 6 Monaten, glaub ich, und das ganze lief 2 Jahre, glaube ich. Wir haben einen Newsletter an alle angemeldeten Mitglieder geschickt und die gebeten, da mitzumachen. Da war natürlich ne Selbstauswahl, nur die haben geantwortet, die auch antworten wollen. [...] Es waren vielleicht hundert Antworten von den 3000. Nicht so repräsentativ leider. Das Paradebeispiel: Die wörtlichen Übernahmen, die es in einer Gruppe gab, das waren einfach ein paar Lehrer, die sich im Bereich Medienkompetenz aus persönlichem Antrieb oder beruflicher Überzeugung da einfach mal eingebracht haben. [...]

#00:12:46-1# Interviewer: Hast du das Gefühl, dass das eher Experten waren?

#00:12:46-9# Befragter: Schon eher, ja. Ich wehre mich immer. Ich mag das Wort "Elite" nicht. Ich mag auch nicht, dass man behauptet, da würden wieder nur die Eliten mitmachen. Ich finde, das Gegenteil ist richtig. Es soll allen ermöglichen, so viel mitzumachen, wie sie können und wollen. Das es dahin deutet, dass die besser Ausgebildeten mitgemacht haben, so grob 80 Prozent mit Uniabschluss, glaub ich, spricht so ein bisschen dagegen. So wie in Hamburg vor ein paar Jahren, als es um diese Bildungssache ging. Furchtbar, fand ich. Ich hoffe aber, dass das nur ne Randerscheinung ist, weil es ein Nischenthema war, das die Leute nicht so bewegt hat. Da haben nur die was von mitbekommen, die eh schon in diesem Kreis drin waren. Weil wir nicht diese Presse bekommen haben, die wir gerne gehabt hätten. Ich glaube, wenn so ein Thema dann mal größer kommt, wie z.B. das Merkel-Ding, mit dem sie natürlich in der Presse war, und wirklich alle Leute da mitmachen wollen, dann wird auch die Struktur der Teilnehmer anders sein. Da werden dann auch normalere Leute mitmachen. Ich fände es nicht gut, wenn es ein Elitending wäre, und ich glaube auch nicht, dass es das ist. Es ist ja gut, wenn Leute Experten sind, und die sollen gerne mitmachen, aber es ist nicht vor allem für die, das ist eben nicht der Fall, sondern es ist für alle. Mein Lieblingsbeispiel: Wenn jemand ne gute Idee hat, aber nicht den juristischen Sachverstand, das so zu formulieren, wie es in so einem Gesetzestext formuliert sein muss. Dann kommt eben der Jurist und sagt: Gute Idee! ich schreib dir das mal so auf, wie es sein soll. Dass man so Schritte hat, in denen verschiedene Arten von Menschen ihre Kompetenzen einbringen können. Dass man interaktiv nacheinander an so einem Problem zusammen arbeitet. Dann muss man nicht immer Jurist sein. aber jeder kann sich einbringen und seine Stimme abgeben für die Themen, die einem wichtig sind.

#00:15:22-4# Interviewer: War das die Motivation des Ganzen überhaupt?

#00:15:22-4# Befragter: Ja, für mich auf jeden Fall. Ich will auf keinen Fall die repräsentative Demokratie abschaffen. Ich glaube nur, dass die Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, zu gering sind und das Gefühl bei den Leuten zurecht nicht

78 immer so ist, dass man sich immer vertreten fühlt, sondern dass man mehr Einfluss nehmen möchte. Ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit, die repräsentative Demokratie neu zu befeuern. Also ein Mittel gegen die Demokratieverdrossenheit.

#00:16:14-7# Interviewer: Auf deinen Erfahrungen beruhend: Würdest du sagen, das ist der richtige Weg?

#00:16:22-9# Befragter: Ich denk, schon. Klar, manchmal hätte man sich mehr Beteiligung gewünscht, aber dann weiß ich nicht, ob nicht andere Probleme gekommen wären. Ich habe z.B. mit diesem Menschen geredet, der diesen Merkel- Dialog geleitet hat. Deren Ding war vormoderiert, d.h. da wurden erst Sachen freigeschaltet. Wir haben immer gesagt, dass wir sowas nicht machen. Wir wollen immer ein unmoderiertes Forum haben. Keiner soll da vorher nochmal drüber schauen. Schlimmstenfalls würde man nachträglich Sachen löschen, falls es wirklich wirklich nötig ist. Er hat aber gesagt, dass sie sehr viel löschen mussten. Was für mich ernüchternd ist. Wir haben die Hoffnung, dass solche Sachen selbst durch die Community geregelt würden, d.h. wenn Leute irgendwelchen Quatsch oder Nazi-Geschichte einreichen, dass dann die Community die Sachen automatisch sortieren und nach unten voten würden, dass das nicht mehr relevant ist und die Nazis dann auch nicht mehr mitmachen, weil sie sehen, keiner hört sich meine Sachen an. Das hat bislang mit einer Ausnahme sehr gut funktioniert. Diese Ausnahme war ein 15jähriger, der ein paar Pornos reingestellt hat. Ansonsten mussten wir noch nie irgendwas löschen. Ich weiß nicht, ob es noch so gut funktionieren würde, wenn es so viele Menschen wären, wie es bei anderen Projekten sind. D.h. es wäre schön, wenn es mehr wären, aber gleichzeitig weiß ich auch, dass dann andere Probleme auftreten würden, abgesehen von Serverschwierigkeiten. Es ist ein zweischneidiges Schwert, glaub ich.

#00:18:24-6# Interviewer: Umso mehr Leute mitmachen, umso nötiger eine Moderation?

#00:18:24-6# Befragter: [...] Falls sich tatsächlich herausstellen sollte, dass bei größeren Projekten man eigentlich sowas bräuchte, dann wüsste ich nicht, wie ich damit umgehen soll. Dann wär das Ganze so ein bisschen sinnlos geworden für mich. Viele, auch nicht-politische Plattformen im Netz, zeigen ja, dass es auch geht. Vor allem, wenn es bei der Politik um etwas geht und Leute produktiv und konstruktiv mitmachen, werden die auch dafür sorgen, dass die anderen sich nicht zu destruktiv verhalten.

#00:19:29-6# Interviewer: Habt ihr ein Bewertungssystem?

#00:19:29-6# Befragter: Genau.

#00:20:12-5# Interviewer: Was habt ihr im Laufe der Zeit verändert, um eine höhere Qualität der Diskussion zu erreichen?

#00:20:12-5# Befragter: Eine Sache, die wir reingenommen haben, glaube ich, war diese Bearbeitung von Texten. Die Idee ist letztlich, dass man einen Status Quo an Texten, Gesetzen oder Vereinssatzungen oder irgendwas hat, und wenn man darum diskutiert, dann kann man sagen: Ich schlage folgende Änderung vor... und das ist dann wieder so ein Vorschlag, der das zusammenfasst. Ich schlage vor, dass wir alles gendern meinetwegen, und dann würde man durch alle Texte durchgehen und das alles ändern und dann sagen: Hier, das ist mein Paket, so schlage ich vor, dass wir das ändern. Und die Leute sagen dann: Ja, Nein, oder auch nicht. Dass man so Arbeit an konkreten Texten ermöglicht. Das war in der allerersten Version noch nicht drin. Ansonsten gabs viele neue features, wie Termine oder jetzt haben wir eine Kartenfunktion, dass man Vorschläge verorten kann: Hier ist eine Straße oder eine Bank kaputt, die muss repariert werden oder hier möchte ich, dass dieses Jugendzentrum nicht geschlossen wird oder so. Du kannst als Anwohner dann sehen, welche Vorschläge gibt es in meiner Gegend. Das ist ein Projekt, das wir machen: OffeneKommune.de. Da geht es darum, dass man in seiner Kommune nah bei sich Einfluss nehmen kann. Mit dieser Kartenfunktion wollen wir versuchen, auch Verwaltungsmenschen und Bürgermeister mit ins Boot zu holen, damit die auch da aktiv sind oder zumindest entgegen nehmen, was da an sie herangetragen wird. Das ist so ne Sache, die uns eine Herzensangelegenheit ist, weil ich glaube, dass es gerade in der lokalen Politik wichtig ist, solche Sachen zu machen.

#00:22:40-8# Interviewer: Bei der Internetenquete handelt es sich um nationale Reichweite und es ist recht themenspezifisch. Bei der Offenen Kommune ist es hingegen auf lokaler Ebene und völlig themenoffen. Siehst du Unterschiede, wie dort kommuniziert wird?

#00:24:09-4# [...] Da fehlt uns die Beispielanwendung.[...] Wir müssen gucken, dass wir die Miete zahlen können, wir haben ein Büro und Praktikanten. Da müssen wir auch andere Projekte machen, weil OffeneKommune z.B. bringt keinen Cent Geld rein. Wir sind zwar ein gemeinnütziger Verein, aber trotzdem... wir müssen gucken, dass es uns weiterhin geben kann. Die Server kosten uns jeden Monat 150, glaube ich. Mit den Mitgliedsbeiträgen können wir das nicht bezahlen. Das heißt, das Projekt kommt manchmal leider ein bisschen zu kurz.

79 #00:25:12-5# Interviewer: Mich würde interessieren, ob du glaubst, dass Onlinebeteiligungsformate eine Zukunft haben oder nicht? Und vor allem warum? Was müsste getan werden oder sich verändern, damit sowas einen höheren Impact hat?

#00:25:31-6# Befragter: Was wichtig ist, und das haben wir auch immer wieder gemerkt bei unseren Projekten... Meistens ist es ja so, dass irgendjemand Macht hat, das macht, und hofft, dass die Leute irgendwie mitmachen, aber teilweise sind die gehemmt, Teile ihrer Macht abzugeben, quasi in das Online-System. Je verbindlicher Entscheidungen darin sind, desto riskanter wirkt das erstmal für denjenigen, der sowas initiiert, aber wenn er es nicht macht, kann er es auch genauso gut lassen, weil dann ja keiner mitmacht. Weil, warum soll ich das, was ich irgendwo reinschreibe, völlig unverbindlich ist? Ein bisschen das, was die Piraten gerade haben so ein bisschen. Bei denen ist das ja auch unverbindlich. So ein Stimmungsbild... du kannst einholen, was denken die Leute gerade. Aber die wirkliche Motivation, da mitzumachen haste ja in der Regel nur, wenn du tatsächlich den Leuten sagst, das was du hier jetzt machst und wenn du hier Arbeit reinsteckst, dann hört dich auch jemand und es ist wirklich wichtig. Es geht nicht nur um Alibi... wir drucken das aus und hängen es an die Wand, es kratzt aber keinen. [...] Wenn die Politiker mehr Macht abgeben, dann werden die Bürger mehr mitmachen wollen und mehr Sinn darin sehen, und bessere Ergebnisse produzieren. Dann werden die Politiker sehen: Oh das ist ja super! Und dann wird es hoffentlich besser werden.

#00:28:21-0# Interviewer: Die Leute müssen also das Gefühl haben, dass das was sie sagen, auch gehört wird und in den Entscheidungsprozess mit einfließt?!

#00:28:11-2# Befragter: Absolut. Das war auch Ergebnis der Zeppelin-Befragung, glaub ich. Das ist sehr wichtig für den Erfolg. Ich glaube, dass auf mittlere Sicht solche Sachen immer noch parallel laufen werden zu Sachen, die offline passieren. D.h. da muss man eine gute Verzahnung machen. Das kann über Manpower gelöst werden, wie beim Bundestag... das waren zwar nicht viele Menschen, aber gute engagierte Menschen, die da ihre Zeit reingesteckt haben, um eben diese Sachen von A nach B und wieder von B nach A zu tragen, oder man muss von Vornherein so einen Prozess so organisieren und alle Leute, die beteiligt sind, von Vornherein darauf briefen, dass sie wirklich in einem vorher gut durchdachten Prozess das machen. Wenn man sowieso alles immer nach einem bestimmten Schema an den richtigen Stellen ablegt ist die Arbeit, das dann rüberzutragen, dann geringer. Wenn man sich das vorher gut überlegt, dann sind solche Anpassungsschwierigkeiten, so Reibungen zwischen den beiden Welten geringer. Das macht so einen Prozess letztlich effizienter. [...]

#00:30:06-9# Wir haben noch nicht verbindliche Entscheidungen darüber gelöst, alleine, weil es dann schon wieder zu anderen Problemen führt, ein Problem, was die Piraten genauso haben gerade mit der Registrierung. Jedes Piratenmitglied hat ja Anspruch auf einen Account in deren Software Liquid Feedback, wo sie dann freigeschaltet sind und als Mitglied kenntlich gemacht. Das ist ein Riesenaufwand verwaltungstechnisch, ich weiß nicht, wie viele Mitglieder die haben, aber lass es mal paar zig Tausende sein. Die müssen alle irgendwie mit einem Verfahren, Post oder sowas, freigeschaltet werden. Dann ist die Frage: Müssen sie als Mensch erkenntlich sein? Ist es dann noch transparent? Ist dann das Abstimmungsverhalten für alle einsehbar? Kann jeder sehen, wie ich abgestimmt habe? Möchte ich das? Das sind alles so Fragen. Ist man anonym, pseudonym, oder mit seinem echten Namen? Klarnamenzwang war ja bei den Piraten lange Thema.[...] Das sind so Sachen, die dann ins Spiel kommen, wenn man tatsächlich verbindliche Sachen da entscheiden will, die es dann wieder schwieriger machen. Wir sind ja noch in der angenehmen Situation aus der Sicht, dass wir das noch nicht haben, weil wir das ganze pseudonym machen, und nicht- verbindliche Sachen, d.h. keinerlei Registrierung und Freischaltung in der Regel machen. Das würde die Software hergeben, jetzt wenn die Grünen NRW das machen wollen würden z.B. Aber das sind dann wieder andere Fragen, bei denen man auch viel falsch machen kann. Da kann noch viel schiefgehen.

#00:31:47-4# Interviewer: Die Unterscheidung zwischen ...

#00:31:51-7# Befragter: Konsultation und Entscheidung. Bei uns waren es bisher eher Konsultationsverfahren, genau. Ich glaube, das sind so die Knackpunkte, dass man sagt: Ist es anonym, pseudonym oder mit Klarnamenzwang? Wie mach ich die Registrierung? Unsere Software sieht es nicht vor, dass man damit geheime Wahlen oder Abstimmungen vornehmen kann. Weil das Bundesverfassungsgericht und der CCC gesagt haben, das geht nicht. [...]

#00:34:42-5# Interviewer: Bei der Internetenquete war der Zugang offen?

#00:34:42-5# Befragter: Ja, völlig offen, mit Pseudonym. Besteht natürlich auch die Gefahr, dass Leute mehrere Accounts machen. Wir haben ein Projekt mit dem Zeit Magazin gemacht, machen wir grad wieder, anderes Projekt, aber damals vor nem Jahr, war die Idee, dass man denen Themen vorschlägt, die sie dann recherchieren sollen. Sozusagen die 5 Themen für das nächste Heft vorschlägt. Da haben wir schon auch gemerkt, wie z.B. Hebammen ein

80 starkes Netzwerk haben. Hätte ich auch nicht gedacht. Ich glaube, die sehen so ein bisschen ihre Zunft schwinden, und die haben das Thema gedrückt. Ich weiß nicht, entweder waren es einfach viele Hebammen, oder Hebammen mit sehr viel Zeit. Die haben es auch geschafft. Und wir haben noch ein anderes Thema gehabt, da haben wir tatsächlich nachher Accounts gelöscht wieder, weil wir gesehen haben, dass eindeutig der gleiche Mensch das gemacht hat. Das wäre also eine Sache, die möglich wäre, ist bei der Enquete allerdings nicht passiert. Das will man lösen durch freischalten, registrieren mit echten... nicht Klarnamen, aber Verifikationen, Identifizierung, irgendwie, aber hat eben auch andere Probleme. Klarnamen wollen wir nicht, weil das aus unserer Sicht eine wirklich offene Diskussion eher verhindert als befördert. [...] Klarnamenzwang würde viele Diskussionen, die ich mir so vorstellen kann online, vernichten. Anonym ist natürlich auch Quatsch, deswegen ist für mich der Mittelweg pseudonym. Wenn man es mag, nennt man sich bei seinem echten Namen, wenn nicht, dann nicht. Wenn man dann noch einen Weg findet, sich zu verifizieren, ohne dass dieses Pseudonym quasi aufgegeben wird, dann glaube ich, ist das schonmal ein guter Anfang. Dass man sich trotzdem überlegen muss, wie man Manipulationen und ähnliches verhindern kann, klar. [...]

#00:38:52-1# Es gibt so ein paar Themen, die kommen immer wieder bei uns. Klar, das wird in der Intensität, wie so eine Diskussion geführt wird, dann vielleicht noch heißer werden. Wenn man noch mehr Leute dabei hat, hat man eben auch die größeren Spinner.

Matthias Trenél (zebralog)

#00:01:08-7# Interviewer: Vielleicht kannst du erstmal anfangen und erzählen, wie zebralog entstanden ist, aus welcher Motivation heraus und was ihr so gemacht habt.

#00:05:21-6# Befragter: [...] Ich hatte nen tollen Datensatz bekommen von einem Online-Dialog zu Stadtplanungsfragen in New York City, wo es um die Frage ging, was sollen wir an Stelle des World Trade Center bauen. Da gab es 60 verschiedene Online-Gruppen á 50 Personen, die über 2 Wochen Dinge erörtert haben nach einem Plan. Ich habe die Textdateien von den Gruppen bekommen und die ausgewertet. Die eine Hälfte war moderiert und die andere war nur technisch moderiert, und dann konnte ich das vergleichen, was da so die Auswirkungen sind. [...]

#00:04:37-2# Interviewer: Was waren denn so die spannenden Ergebnisse?

#00:04:38-0# Befragter: Naja, ich habe angeschaut, wie sich über die Zeit die Drop-Out-Rate entwickelt. Am Anfang hast du 50 Teilnehmer in so einer Online-Diskussion, die über 2 Wochen geht und am Ende nur noch, sagen wir mal, 28 oder so. Ich hab mir sozusagen die 22 angeschaut, wie deren Zusammensetzung war. Weil ich wusste durch die Registrierungsdaten, ob das Männer oder Frauen sind usw. Und da war so ein Ergebnis, dass bei den moderierten Gruppen Frauen weniger stark ausgestiegen sind als in den anderen Gruppen. Also dass es da einen egalisierenden Effekt gab durch eine Moderation. Wobei ich noch weiter hätte untersuchen müssen, welcher Moderationsstil... meine Vermutung war, dass ein wertschätzender oder ein auf Narration hin orientierter Moderationsstil da den Ausschlag gibt, aber das hab ich dann nicht mehr analysiert, weil ich mit zebralog so viel zu tun hatte dann.

#00:06:02-1# Das führt ja dann zu deiner Frage, wie wir dazu gekommen sind. Und zwar: Die, die zebralog gegründet haben, wozu ich auch gehöre, haben es zuerst als Verein gegründet, das haben wir alles nebenberuflich betrieben. Ich habe am Wissenschaftszentrum Berlin Diskursforschung gemacht und mit der Doktorarbeit angefangen. Und der Olli, der das Bonner Büro leitet, hat bei Fraunhofer gearbeitet und die haben da die ersten Online-Bügerbeteiligungen durchgeführt. Damals mit noch ganz wenigen Teilnehmern. Die haben Systeme entwickelt, die Argumentationen unterstützen sollten, sehr theoretisch betrieben auch, eher Grundlagenforschung, etwas weiter weg von dem, was man heute als Foren so kennt. So haben wir uns gefunden, über den wissenschaftlichen Austausch, und dann Pilotprojekte gemacht. Zuerst ehrenamtlich, und dann auch als Dienstleistungen mehr und mehr entwickelt. 2004 haben wir den Verein gegründet, 2002 oder 2001 haben wir angefangen. Und 2009, nachdem klar wurde, dass Nachfrage besteht, haben wir das in einer Unternehmensform gemacht jetzt. [...] Wir machen halt Online-Bürgerbeteiligung, aber in ganz vielen Bereichen. Bürgerhaushalte, aber auch bei Gesetzesvorhaben, oder bei Leitbildentwicklung, bei Stadtplanungsfragen, um einige Bereiche zu nennen, Technikfolgenabschätzung. In verschiedenen Bereichen führen wir Diskursverfahren und Bürgerbeteiligung durch. Nicht nur online, das ist unser Marktkern, sondern auch vor Ort. Wir haben z.B. auch für das Verkehrsministerium Bürgerdialoge mit Zufallsauswahl von Bürgern durchgeführt an vier Standorten, das hatte überhaupt gar keine technischen Implikationen gehabt. Und das entspricht mir persönlich ganz gut, weil ich im Studium eine Moderationsausbildung auch gemacht habe, und das alles noch im face-to-face- Kontext

81 und es dann übertragen habe auf den Online-Kontext. Da sehen wir die Entwicklungen jetzt auch dahingehend, dass diese Sachen auch miteinander verschmelzen. Vorortdialoge und Onlinedialoge. Hintergrund und Bestreben und Motivation ist es, im Sinne von Habermas, Öffentlichkeit zu stärken und die Erörterung, Deliberation, in der Entscheidungsvorbereitung zu verbessern, sprich offener zu machen. Es gibt ja Deliberationen, die finden aber in geschlossenen Räumen statt, also im Stadtplanungsamt oder im Ministerium, da tauscht man sich ja untereinander aus und man holt auch Verbandsvertreter, Experten, Vertreter der Zivilgesellschaft herein zu Anhörungen. Aber das sind geschlossene Zirkel, die sind nicht von außen einsehbar, und die sind schon gar nicht betretbar für jeden, für dich und mich. Das ist unser Ziel: das durchlässiger zu machen.

#00:10:08-9# Interviewer: Und die haben relativ formelle Strukturen. Was waren die spannenden Fragen, die ihr euch gestellt habt, bevor ihr an so ein Projekt herangegangen seid? Z.B. am konkreten Beispiel "Bürgerhaushalt Köln" festgemacht?

#00:10:27-9# Wir haben uns beim Bürgerhaushalt Köln z.B. gefragt, wie machen wir das so, dass möglichst viele Menschen mitmachen können. Das war eine starke Überlegung. Und der zweite war: Wie machen wir es so, dass es responsiv gestaltet ist in dem Sinne, dass die Diskussion der Bürger anschlussfähig ist für die Verwaltung und die auch ein feedback geben. Und von der Überlegung ausgehend haben wir es so gemacht, dass es simpel strukturiert wird. Dass man Vorschläge machen kann zu übergreifenden Fragestellungen, weil wir dachten, das fällt Bürgern am leichtesten. Dass sie sich nicht groß reinarbeiten in die Materie oder in irgendwelche Diskussionsäste oder so, sondern leicht einsteigen können und möglichst viele da reingezogen werden, in der Hoffnung, dass da möglichst viele vertieft in die Diskussion einsteigen, aber da gehen wir von so Erfahrungswerten aus, dass es immer so in 10er Schritten sich darstellt. Realistischer Fall der Stadt Bonn beim Bürgerhaushalt: Du hast 100.000 Menschen, die die Plattform besuchen, individuelle unique visitors, du hast 10.000 Menschen, die sich registrieren und aktiv was schreiben, also 10mal weniger, und dann [...] von diesen 10.000 sind 1.000 auch wirklich wiederkehrende Schreiber, die vertieft in die Diskussion einsteigen. Mit diesen Zahlenverhältnissen war es auch konkret in der Stadt Bonn. Wir wollten den Bürgerhaushalt Bonn so einfach wie möglich machen. Für die Verwaltung ist das auch ganz gut verarbeitbar so, der Input, weil das einzelne Vorschläge sind, die sind wie Anträge oder kleine Anfragen, die im Stadtrat so gestellt werden, von Oppositionsfraktionen oder so, und die können sie auch verarbeiten in der Verwaltung, und von dieser Bearbeitung wurde im Netz dann auch berichtet.

#00:13:14-7# Interviewer: Es gab also ein feedback von der Verwaltung?

#00:13:14-7# Befragter: Den Bürgerhaushalt Köln gibt es schon seit mehreren Jahren. Die Stadt Köln hat es jetzt auch übernommen und macht es selber. Die haben einen eigenen Entwickler, der das übernimmt, und wir machen jetzt noch die Moderation. Ich bin über den aktuellen Bürgerhaushalt nicht so informiert, aber früher war das so, ich denk das ist immer noch so, dass man gesagt hat: Es werden von den 10.000 Vorschlägen 100 ausgewählt an Hand der likes oder votes, die die Bürger abgeben und die werden dann so bearbeitet, wie ich gesagt habe. Dass die fachlich geprüft werden und dazu eine Stellungnahme abgegeben wird.

#00:13:56-9# Interviewer: Und dieses Bewertungssystem habt ihr auch eingeführt?

#00:14:06-9# Befragter: Genau.

#00:14:10-3# Interviewer: Was waren die Zutrittsbedingungen? Konnte da jeder teilnehmen? Musste man sich registrieren?

#00:14:15-6# Befragter: Nee, es war uns ganz wichtig, dass möglichst viele ganz einfach mitmachen können in möglichst kurzer Zeit. Deswegen war die Registrierung nicht Pflicht für das mitmachen. Man kann sich auch nicht nur pseudonym, sondern komplett anonym ohne Anmeldung da beteiligen als Gast. Wir arbeiten sehr viel mit einem Open Source Management-System, das heißt Drupal, und da hast du verschiedene Module, die du benutzen kannst, wenn du deine Plattform zusammenstellst und wir haben da ein eigenes Modul für geschrieben - wir haben von den zwölf Mitarbeitern drei Programmierer bei uns - was es erlaubt, einen Beitrag zu schreiben, ohne sich vorher zu registrieren. Und danach zu registrieren, dann wird der Beitrag trotzdem erst zugeordnet. Wir nennen es nachgelagerte Registrierung oder niedrigschwelligen Einstieg.

#00:15:25-5# Interviewer: Und wenn ich völligen Stuss schreibe und agitiere oder rumhetze, und das wär mein erster Beitrag, fall ich dann durch irgendeinen Filter oder werde ich dann trotzdem veröffentlicht?

#00:15:36-4# Befragter: Naja, je nach dem, wie das mit dem Auftraggeber abgesprochen ist. Wir beraten die meistens dahingehend, dass das alles sofort veröffentlicht wird, und eine Moderation sich die Beiträge anschaut und ggf. den

82 sperrt, nicht löscht, sondern depubliziert, und den Teilnehmer darüber informiert oder so. Wobei wenn es ein Gast geschrieben hat, den kann man nicht informieren, wenn er keine Emailadresse hinterlassen hat.

#00:16:05-5# Interviewer: Was hattet ihr für Erfahrungen, wie die Diskussion qualitativ verläuft? Oder hattet ihr an einer bestimmten Stelle gedacht, jetzt müsste man was machen, um das in bestimmte Bahnen zu lenken? Oder seid ihr wirklich komplett offen?

#00:16:21-5# Befragter: Naja, also unsere ursprünglichen Überlegungen waren, dass die Moderation etwas anspruchsvoller ist und sowas tatsächlich macht. Also stark Fragen stellt oder Teilnehmer bittet, Bezug zu nehmen auf andere Stellungnahmen, um diesen deliberativen Austausch zu fördern, so dass sich Leute aufeinander beziehen, dadurch vielleicht neue Argumente finden und so Sachen.

#00:16:56-5# Interviewer: Entschuldigung, dass ich dich unterbreche, aber heißt das auch, dass ihr davon ausgeht, dass eine verstärkte Moderation nötig ist?

#00:17:09-5# Befragter: Ja, würde ich denken. Weil wenn du das einfach so laufen lässt, werden die wenigsten die Beiträge der anderen lesen und in die Diskussion einsteigen. Das ist unsere Erfahrung. Klar, es gibt einen harten Kern, der würde sowas machen. Aber insgesamt ist unsere Erfahrung, dass sich Bürger sehr wenig vorschreiben lassen, wie sie zu diskutieren haben. Z.b. ist es so, dass Auftraggeber sowas wollen, das finde ich auch gut, dass man nicht nur irgendwas fordert, sondern auch sagt, wie soll sowas umgesetzt werden, oder dass man auf Gegenseite Bezug nimmt, auf Pro und Contra. Das machen die Leute aber nicht. Die lassen sich nicht gängeln. Und technisch auch nicht. Man könnte sich jetzt einen technischen Workflow vorstellen, dass man sagt: Bevor du nen Beitrag abgibst, guckst du dir erstmal diesen Beitrag an oder so. (lacht) Das mögen die nicht. Das ist unsere Philosophie. So wie ich meine Erfahrungen einordne und interpretiere, dass man den Menschen schon ziemlich offenen, niedrigschwelligen freien Zugang ermöglichen, ohne möglichst wenig den vorzuschreiben, was sie da zu tun haben, also schon thematisch fokussieren, framen, aber nicht zu starke Vorgaben zu machen, weil das sonst abschreckt. Es ist halt ne Aufmerksamkeitsökonomie. Die haben auch alles mögliche andere zu tun. Man kann schon froh sein, wenn sie sich überhaupt damit beschäftigen und reinkommen in die Foren. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass wir auch noch besser darin werden, Leute reinzuziehen in so eine Diskussion. Was wir schon machen, ist, dass wer da mitmacht, der kriegt in wöchentlichem Abstand eine Email. Da haben wir verschiedene Muster. Da kriegste z.B. ne Email, wo drinsteht: Es gibt die zwei Diskussionsschwerpunkte in der letzten Woche, und dann noch ein konkretes Zitat, um die herauszufordern und Interesse zu wecken. Oder wir sagen: Komm, jetzt sind hier allerlei Vorschläge und Diskussionspunkte, jetzt bitte guckt doch mal, ob eure Freunde und Bekannte das auch unterstützen oder so ähnlich. Wir versuchen eine wiederkehrende Beteiligung. Dass Leute nicht nur einmal hingehen und dann wieder weg.

#00:20:00-9# Und wenn ihr Themen vorgebt, seht ihr dann den Konflikt zwischen völliger Themenoffenheit und Deliberation im Großen, und der Tatsache, etwas in eine bestimmte Richtung vorzugeben, wenn ihr denen sagt: Guckt euch das mal an?

#00:20:25-5# Befragter: Ja, das ist so eine Frage. Steuert man die Diskussion? Das sind die Auftraggeber meist sehr sensibel, das wollen die gar nicht in der Regel. Das letzte, was jemand, der Beteiligung macht, will, ist sich dem Vorwurf der Zensur ausgesetzt zu sehen. Wir haben da einen anderen Ansatz. Es gibt sozusagen den neutralen Moderator, der sich zurücknimmt, der sich am besten ganz auflöst, oder wo man sagt, es soll am besten gar keinen Moderator geben. Das ist nicht unsere Philosophie. Unsere Philosophie ist zu sagen, wir brauchen allparteiliche Moderatoren, die für alle ansprechbar sind und wenn irgendjemand was auszusetzen hat an Parteilichkeit, dass er darauf reagiert auch. Das ist ein anderes Konzept sozusagen: Allparteilichkeit heißt, dass der Moderator oder die Moderatorin in den Augen der Teilnehmer als neutral wahrgenommen wird. Er ist selbst aber nicht neutral, kein Mensch kann neutral sein, hat immer bestimmte Dinge, die er eher wahrnimmt als andere, aber er soll halt sehr viel Perspektivenübernahme betreiben, der Moderator und ansprechbar sein. Deswegen machen wir auch immer ein Lob-und-Kritik Forum, wo es eine Metaebene gibt, wo dann dem Moderator vorgeworfen wird, er sei nicht neutral, und dann begründet er sich oder verhält sich entsprechend oder ist responsiv. Die Teilnehmer sind meist zufrieden. Zensurvorwürfe sind eigentlich dann am schlimmsten, nicht wenn der Moderator proaktiv moderiert, aus meiner Erfahrung heraus, das finden die Teilnehmer auch gut, die möchten, dass es menschelt und finden es ganz gut, dass es sozusagen kein leerer Raum ist, sondern einen Gastgeber gibt. Aber wenn du viele Beiträge sperrst, weil da jemand über die Stränge schlägt oder weil - es gibt ja auch Versuche der Einflussnahme von Interessengruppen, die dann im Forum quasi spammen - wenn du dann so reingehst, gibt es immer den Vorwurf der Zensur.

#00:22:50-0# Interviewer: Ich habe in den Bürgerhaushalt reingeguckt und da gab es einen Vorschlag von wegen "Keine Hotels für Asylanten" oder so. Da hatte man ja das Gefühl, dass das so langsam von Pro Köln gekapert wird. Da musste die Moderation schlichtend eingreifen. Siehst du in der Hinsicht Probleme?

83 #00:23:16-4# Befragter: Nö. Da regen sich zwar einige drüber auf, die betroffen sind, aber aus meiner Erfahrung ist es so, dass die, die sich da nicht melden, zufrieden sind. Die freuen sich darüber, dass es jemanden gibt, der sich darum kümmert und entsprechend den Regeln - die Regeln sind Grundlagen für das Handeln von Moderatoren - da handelt. Ansonsten fällt auch die Motivation der übrigen Teilnehmer, da mitzumachen. Das ist auch interessant: Jemand, der sich mit Politik beschäftigt und studiert usw., der ist auch teilweise sehr konfliktfreudig und mag Diskussionen. Viele Menschen mögen das aber gar nicht so oder finden es gar nicht so leicht, unterschiedliche Meinungen auszutauschen. Wenn irgendjemand mit einem etwas härteren polemischen Diskussionsstil, jemand, der das von der Uni z.B. gewöhnt ist, da ankommt, finden das manche fürchterlich. Deswegen i.S. von einem Dialog, der offen ist für Bürger, ist dann auch aus meiner Sicht geboten, dass ein Moderator dann dafür sorgt. Das ist ein etwas weitergehender Begriff von Offenheit. Nicht nur rein formal und technisch, sondern auch: Wir wissen, exkludierende Faktoren sind Schlammschlachten oder so Sachen, weil dann viele Teilnehmer, gerade Frauen, nichts mehr damit zu tun haben wollen mit dem Forum. Das sind sozusagen die weichen exkludierenden Faktoren, die aber auch sehr real sind.

#00:24:59-4# Interviewer: Problem wär also gar nicht mal so sehr, dass sich Menschen organisieren und so ein Forum kapern, sondern eher dass eine Moderation untätig bliebe und das dann sozusagen verwaisen lässt?

#00:25:13-7# Befragter: Ja, das fänd ich nicht gut. Ich bin ja Psychologe: Ich hab da so ein bisschen den Ansatz, der nicht so formalistisch ist, sondern der berücksichtigt, dass es sich da um Menschen handelt, die da miteinander deliberieren und nicht Maschinen und die haben bestimmte Bedürfnisse. Dafür als Moderator zu sorgen, dass sie sich da wohlfühlen in der Diskussion nach Möglichkeit, das ist so die Aufgabe.

#00:25:49-8# Interviewer: Habt ihr dann so eine Netiquette?

#00:25:51-1# Befragter: Netiquette, genau, gibts auch. Es ist beispielsweise ganz wichtig, dass von den Moderatoren ein Foto da zu sehen ist, dass sie ansprechbar sind. Die antworten auch immer sofort, also innerhalb von wenigen Stunden, wenn da jemand was fragt.

#00:26:13-6# Interviewer: Wichtig also auch, dass der Moderator nicht von oben herab, sondern als ein Teilnehmer der Diskussion agiert?

#00:26:15-2# Befragter: Teilnehmer nur im Sinne seines Aufgabenbereiches jetzt, nicht in die inhaltliche Diskussion einsteigend. Es ist die Vorstellung und auch die Erfahrung, dass es am besten ist, als Moderator eher zu Anfang stärker sichtbar zu sein im Forum, damit den Teilnehmern klar wird: Das ist ein Forum, das ist nicht sich selbst überlassen, es gibt Regeln, und die stehen nicht nur auf dem Papier oder der Webseite, sondern die werden auch gelebt in den Foren. So etabliert sich eine soziale Norm und dann achten die Teilnehmer teilweise bereits untereinander selbst darauf, dass die eingehalten wird. Beschweren sich über andere oder sagen: Kannste nicht anders schreiben? oder sowas. [...]

#00:27:47-0# Themen, die ich interessant finde.... Es gibt diese deliberativen Zirkel innerhalb der Verwaltung oder auch zusammen mit Verbänden, teilweise sind es ja Lobbygruppen, und die Frage ist: Was ändert sich jetzt wirklich, wenn man eine Onlinekonsultation macht oder einen Gesetzesentwurf öffentlich erörtern lässt? Das fände ich mal spannend, abzugleichen. Konkreter Fall: Wir haben eine Onlinekonsultation in Nordrheinwestfalen gemacht zum Landesmediengesetz. Da wird der Gesetzesentwurf im Netz veröffentlicht und die Verbände und klassischen Akteure geben ihre Stellungnahmen ab. Allerdings haben die dafür größtenteils gar nicht dieses Onlineforum genutzt, sondern das wurde von anderen genutzt. Da ist z.B. die Frage, wer ist das eigentlich? Da waren so Bürgerfunker, also eher weniger gut organisierte Leute. Da wurden 500 600 Kommentare online abgegeben zu diesem Gesetzesentwurf, so absatzweise und die Frage ist jetzt eigentlich: Kommt durch diese Öffnung wirklich was Neues rein? Input, der durch die klassischen Akteure nicht reinkommt oder so.

#00:29:43-0# Interviewer: Die klassischen Lobbygruppen bringen ihre Vorschläge nur über die formellen Strukturen, Ausschüsse etc., ein?

#00:29:46-6# Befragter: Das ist ziemlich undurchsichtig. Diese Ministerien, bei so Gesetzesvorhaben, laden Verbände ein. Die schicken denen einen Gesetzesentwurf zu und sagen: Könnt ihr uns bis in zwei Wochen eine Stellungnahme dazu abgeben? Dann gucken die sich das an und berücksichtigen das. Aber wer eingeladen wird, eine Stellungnahme abzugeben, das ist ganz im Ermessen des Ministeriums und das erfährt auch niemand außerhalb. [...] Die Stellungnahmen kommen ja meistens auf dem üblichen Weg rein, per Brief oder per Email als Attachment, als Word- Datei. Da gibts ja diesen Lobbyplag, so eine Webseite, da wird ja teilweise stark kritisiert, dass die Lobbyverbände ihre Stellungnahmen immer als Word-Datei schicken, und dann richtig Copy/Paste gemacht. Was lobbyplag gemacht hat: Die haben Stellungnahmen von verschiedenen Verbänden genommen und mit dem Gesetzesentwurf abgeglichen und

84 dann konntest du sehen, was sich grün einfärbt, ist eins zu eins reinkopiert worden ins Gesetz. Um dann zu sehen, welche Gesetzespassage stammt eigentlich von welcher Interessengruppe.

#00:31:21-3# Interviewer: Es gab aber auch ein Onlineforum, wo jedermann schreiben konnte?

#00:31:28-1# Befragter: Wenn er davon erfahren hat. Das ist natürlich eine andere Frage: Wie haben die das bekannt gemacht? Die haben nicht so viel Geld gehabt, haben eine Pressemitteilung gemacht und über irgendwelche Kanäle, wo ich auch nicht wusste, welche, Mailings hingeschickt.

#00:31:43-2# Interviewer: Die Stellungnahmen der anderen Parteien waren nicht sichtbar? Bei Adhocracy wurden ja bestimmte Texte der Projektgruppen eingestellt und dann war das Ziel, dass sich die Leute an den Text halten. Das wäre jedenfalls der Wunsch gewesen, ist aber nicht passiert. Ist das bei dem Landesmediengesetz passiert, dass man zu den Stellungnahmen wiederum Stellung nehmen konnte?

#00:32:19-9# Befragter: Nein. Das wäre alles möglich, war in dem Fall aber nicht so. Diese Stellungnahmen sind entweder über das Onlineforum abgegeben worden oder direkt zugeschickt worden, z.B. per Email. Kann man natürlich auch fragen: Warum eigentlich? Kann man auch die Verbände interviewen: Warum habt ihr das so gemacht? Meine Vermutung ist: Für die Verbände sind solche Onlinebeteiligungen gar nicht gut eigentlich. Die profitieren ja davon, dass sie direkten Zugang zu den Ministerien haben und finden es vielleicht ganz gut, dass andere gar nicht sehen... die veröffentlichen ihre Stellungnahmen ja auch nicht, das wollen die ja lieber verdeckt halten. Ich fänd das interessant, das zu erforschen. Beim Vergleich mit der Enquete-Kommission im Bundestag müsste man zumindest berücksichtigen, dass das eine Projekt gleich beim Bundestag angesiedelt ist, beim Parlament, und das andere (Landesmediengestz) ist direkt bei der Exekutive aufgehängt, also da, wo der Gesetzesentwurf entwickelt wird. Da wurde erstmal ein Referentenentwurf gemacht, der wurde veröffentlicht, dann werden die ganzen Stellungnahmen eingearbeitet und dann entsteht der Kabinettsentwurf, und dann gehts ins NRW-Landesparlament. Dann kommen erst die Stellungnahmen der Fraktionen, und die Anhörung im Parlament. Ist ja auch die große Frage, wo finden die Deliberationen überhaupt hauptsächlich statt? Die Deliberation, die wirklich noch Einfluss nehmen kann am Parlament ,hast du halt auch Anhörungen, aber zu fertigen Gesetzen im Prinzip. Da wird nicht mehr viel geändert in der Regel. Das könnte man sehr stark kritisieren, die These: Beim Parlament gibt es nur noch Schaudeliberationen, aber keine echte, im Sinne von: hier wird wirklich abgewogen. Sondern es ist so, dass jeder Fraktion noch was sagt für die Öffentlichkeit, damit die Öffentlichkeit sich davon ein Bild machen kann, aber es geht ja so oder so durch das Parlament, durch die Regierungsfraktionen. Du kannst da mehr oder weniger zufrieden sein mit der Regierung, je nach dem, welche guten Argumente die Opposition vorbringt. Ob da öffentlicher Druck erzeugt wird, dass da doch nochmal was gekippt wird, ist höchstselten, denk ich mal. Es ist sogar so, dass die Anhörungen im Parlament, die werden teilweise... Ein Fakt, der diese Schaudeliberationsthese unterstützt ist, dass die Fraktionen Sachverständige einladen, und jede Fraktion kann einen eigenen Sachverständigen einladen, und dann finden die Sitzungen statt, und dann fragen die einzelnen Fraktionen ihre Sachverständigen, stellen denen Fragen, die vorher mit denen abgestimmt sind, und die antworten dann darauf. Die Parteien hätten natürlich auch selber sprechen können, aber sie nehmen sich einen Wissenschaftler, der ihre Meinung untermauert. Sie fragen selten andere Sachverständige von anderen Parteien. Geschweige denn, dass die Sachverständigen untereinander deliberieren. Und das sind die Ausschüsse. Dann gibts ja noch das Plenum, und da finden ja die SchauSchaudeliberationen sozusagen statt. Von daher ist es schon interessant zu gucken, was passiert vorher bei den Ministerien, also da wo Gesetzesentwürfe wirklich noch in Bewegung sind. Die meisten Lobbygruppen konzentrieren sich ja aufs Ministerium, und nicht aufs Parlament, was auch zeigt, dass da der meiste Spielraum noch da ist.

#00:37:34-9# Interviewer: Ja, spannender Punkt. Ich habe mich auch schon öfters gefragt: Selbst, wenn da Leute fantastisch miteinander kommunizieren und am Ende der Diskussion ein von allen umjubelter Konsens herauskommt, was bringt der dann überhaupt noch, wenn es keine Anknüpfungspunkte an die entscheidenden Institutionen gibt?!

#00:37:34-9# Genau. [...]

#00:38:51-3# Die Theorie der deliberativen Demokratie ist ja eine utopistische Vorstellung, nicht wahr. Es ist ein normativer Bezugspunkt, aber wir wissen genau, die Realität sieht anders aus, aber man kann versuchen, durch Schaffung von Rahmenbedingungen sich diesem Ideal zu nähern. Falls du das empirisch untersuchst, wär es gut, glaube ich, nur eine Dimension herauszusuchen, und nicht so viele und nur diese zu untersuchen. [...]

#00:42:50-6# Interviewer: Was hast du gelernt, seit es zebralog gibt, in Hinsicht auf die Erwartungen, mit denen du an die Sache herangegangen bist?

#00:43:02-0# Befragter: Ich kann heute, glaube ich, vielmehr als noch vor zehn Jahren die Deliberationsbereitschaft der

85 Menschen realistischer einschätzen kann. Auch übrigens offline. Man kann Bürger einladen, sich für einen Tag lang in Workshops zu begeben und so, mit ner Zufallsstichprobe. Was wir für das Verkehrsministerium gemacht haben. Da machen Bürger sehr gerne mit, das macht denen Spaß. Aber überhaupt die erstmal dahin zu kriegen, das ist gar nicht so leicht. Da muss man echt hunderte Leute anschreiben, damit da vielleicht zehn Leute hinkommen. Das darf man sich nicht so vorstellen, dass alle nur darauf warten, beteiligt zu werden. Wobei trotzdem jeder mal die Erfahrung macht, er würde gerne beteiligt werden. (lacht) Du willst nur nicht zu allem möglichen beteiligt werden irgendwie. Die Beteiligungsbereitschaft schätze ich realistischer ein, glaube ich. Was ich noch viel mehr sehe, wie Bürgerbeteiligung auch strategisch eingesetzt wird, auch als Mittel der Öffentlichkeitsarbeit. In so einem Ministerium oder Enquete- Kommission. Da muss man sich gar nichts vormachen. Die entscheiden sich ja ne Bürgerbeteiligung zu machen und mal entscheiden sie sich, keine Bürgerbeteiligung zu machen. Mal ein Onlineforum einzurichten, mal nicht. Die Frage ist: Wann machen sie es und wann nicht? Das hängt auch von vielen strategischen Interessen ab. Eigentlich ist es so langsam an der Zeit, dass so eine bisschen zu verstetigen. In Düsseldorf ist eine Open Government Konferenz dieses Wochenende, da fahr ich hin. Jetzt hab ich mir mal angeschaut die gemeinsame Geschäftsordnung der Ministerien in NRW. Da ist von Offenheit nicht die Spur zu sehen. Es muss eigentlich die Regel sein, eine Konsultation zu machen, wie es auch im angelsächsischen oder auf EU-Ebene immer gemacht wird, da ist das normal, muss immer gemacht werden. Es gibt hier und da Pilotprojekte, und es gibt Gründe, warum die Pilotprojekte gemacht werden, nämlich weil damit auch irgendwelche Botschaften vermittelt werden oder weil irgendwelche Konflikte entschärft werden sollen oder was auch immer. Ich denke, in Zukunft werden strategische Interessen zurückgedrängt, man müsste das viel stärker institutionalisieren. Das ist auch eine oft ungelöste Aufgabe: Wer soll eigentlich sozusagen - das führt fast wieder zur Moderation - Moderator sein für Deliberation und wo soll der Ort sein für Deliberation? Naja, Parlament ist so eine, aber die kommt relativ spät, sage ich mal. Wer ist Initiator, wer ist Moderator von sowas? Wer kann wirklich als neutral gelten? Sind das die Ministerien? Eher wohl nicht. Welche Institution kann sowas, wenn man es richtig ernst nimmt in Zukunft, machen?

#00:46:58-8# Interviewer: Oder in welchem Level? Ist es Ideensammlung oder schon an die Entscheidungsebene angeknüpft oder ist es dem nachgelagert? Das hat natürlich ganz andere Implikationen, wenn du jetzt sagst: Was da rauskommt, ist bindend, dann stellen sich da neue Fragen? Ist pseudonym ok, oder anonym, musst du Klarnamen auftreten? Wie stellst du sicher, dass derjenige derjenige ist? Sobald es einen bindenden Charakter hat, glaube ich, müssten da auch andere Voraussetzungen erfüllt sein.

#00:47:43-8# Befragter: Aber das hat ja mit deliberativer Demokratie nichts zu tun. Weil da zieht ja das gute Argument und der Austausch darüber und die gute Idee, aber es gibt ja bei deliberativer Demokratie keine Entscheidungsregel außer dem Konsens. Aber das ist ja eine Utopie. […]

Jan Kosok (Der Freitag)

#00:00:00-0# Interviewer: Ihr habt ja einen sehr großen Community-Bereich beim Freitag. Es macht die Zeitung aus, dass Ihr die Leser sehr stark einbindet. Was war die Idee dahinter?

#00:00:23-2# Befragter: Die Idee dahinter war, zu sagen: Was machen die anderen und was können wir als kleines Nischenblatt anders machen, um einfach einen Zugang zu dieser Medienwelt zu finden, der es uns ermöglicht, Gehör zu finden. Du kannst dich entscheiden: Me too, so wie alle anderen auch, oder versuchst du irgendwas anderes und hoffst dadurch einen gewissen Mehrwert zu entwickeln, der sich dann auch positiv auch Klickzahlen und Verkäufe etc. auswirkt. [...] Ich habe die Seite damals gebetatestet. Das war mal ein besseres Forum. Jeder konnte irgendwie seine Beiträge schreiben und kommentieren, aber es fehlten Vernetzungsmöglichkeiten, Austauschmöglichkeiten der User untereinander. [...] Aus wirtschaftlicher Sicht ist die Idee sicherlich, stärkeres Wachstum zu kreieren, dadurch, dass man Netzwerkeffekte erzielt, im Sinne von... ich vergleich das immer gerne mit Wikipedia. Wikipedia ist irgendwie nett und vor 10 Jahren dachten alle, Wikipedia ist das beste Start-Up und die beste Idee aller Zeiten, und inzwischen sind so Sachen wie facebook oder vorher myspace an denen vorbei gezogen, weil die Wikipedia immer noch Probleme hat, sich selbst zu finanzieren, weil es halt sehr statisch ist. Die haben zwar ne Community dahinter, die sich auch austauscht, aber der Content selbst ist relativ statisch und nicht verknüpft untereinander.

#00:02:41-7# Interviewer: Wie meinst da das: Nicht verknüpft?

#00:02:43-9# Befragter: Ich mein das im Sinne der Interaktion von Luhmann: Der Weg der Kommunikation von A nach B ist wichtiger als A und B. Es pflanzt sich fort. Du hast was, das wuchert, und du hast was statisches. Und das, was

86 wuchert, wächst eben schneller als das, was statisch ist. Das kann man auch ganz gut beobachten bei facebook, dass so Sachen, die Kommunikation erleichtern, so wie dieser like-button usw., also alles, was Kommunikation befeuert, wirkt sich positiv auf Netzwerke auf bzw. auf deren Wachstum. Facebook kann nur eine Millarde Nutzer haben, aber es kann dafür sorgen, dass die Nutzer länger da bleiben, mehr miteinander interagieren usw. und das wiederum hat wieder positive Effekte auf facebook dann. Dementsprechend ist die Community für uns ne Möglichkeit, ein bisschen an dieses Wachstum anzudocken. Laut IVW machen unterdessen Community-Inhalte am Anteil der Klicks 30 Prozent aus. Wenn du dir Zeit Online anguckst, die auch sowas wie ne Community haben, die haben 3 oder 4 Prozent. Das ist eine ganz andere Gewichtung. Dieser Anteil wächst auch immer mehr an, da geht mehr durch. Wenn du die Startseite als entry- page abziehst, dann hast du inzwischen schon die Hälfte aller Klicks auf Community-Inhalte und der Anteil steigt. Von Anfang des Jahres bei knapp 20 Prozent auf jetzt 30 Prozent der Klicks. Das ist für mich persönlich spannend. Ich bin keine Journalist, ich habe Volkswirtschaft studiert, hab früher nebenbei gebloggt, komme also aus der anderen Ecke, fand Netzwerke und deren Kraft und Möglichkeiten immer spannender als: wir machen eine Zeitung und kippen die ins Netz und schauen mal, was passiert. Ein Netzwerk ist einfach spannend, also das zu managen ist einfach spannender. Du weißt nicht, was die am nächsten Tag schreiben, was die interessiert, was die u.U. an Themen hochspülen... das kann man nicht vorhersehen, das ist ein bisschen unkontrollierbar.

#00:06:01-2# Interviewer: Hattest du Erwartungen, was da so passiert in der Community und was deine Aufgabe dann sein wird?

#00:06:11-7# Befragter: Meine Aufgabe ist im Grunde, das Konzept weiterzuentwickeln. Wie können wir damit Geld verdienen? Wie können wir dafür sorgen, dass es stärker wächst? Wie können wir aus den Leuten, die da sind, mehr rausholen? Solange das nicht abgeschlossen ist, bin ich, glaub ich, gut beschäftigt. Wir sind geschrumpft. Wir hatten ein paar Kündigungen, auch aus finanziellen Gründen, Ende letzten Jahres. Deshalb sind wir relativ schmal aufgestellt. Was dazu führt, dass du dir so Sachen überlegst wie: Wenn du nicht mehr ordentlich moderieren kannst, weil wir zu wenig Leute sind, dann lass die Leute sich doch selbst moderieren. D.h. wir haben denen jetzt Tools gegeben, mit denen die die Kommentare unter ihren eigenen Blogbeiträgen moderieren können z.B. und auch darauf hingewiesen werden, wenn ein Kommentar gemeldet wird usw.. Das funktioniert super gut, weil sich innerhalb von einem Monat oder eineinhalb der Ton in der Community total verbessert hat. Die gehen einfach respektvoller miteinander um. Die wissen: Ich kann von jemandem bestraft werden und es nicht mehr so ist: Ok, da sind ein paar Moderatoren und die kriegen nicht alles mit. Das ist nett und interessant in Bezug auf dezentrale Netzwerke: Wie komm ich weg von Moderation, die ne Institution ist, sozusagen ein zentralistisches Gebilde hin zu einem System, das sich selbst managen kann und das find ich spannend.

#00:08:07-4# [...]

#00:09:02-5# Interviewer: Kannst du dir vorstellen, woran das liegt, dass sich der Ton so drastisch ändert?

#00:09:02-0# Befragter: Das ist so ein bisschen shock-and-awe mäßig. Die wissen einfach, dass der Autor eines Artikels sich gegen dich wehren kann. Wenn der keine Lust auf dich hat und auf deine Kommentare, dann klappt er die einfach weg oder sperrt die. Man kann mittlerweile sogar User komplett ausschließen vom eigenen Kommentarstrang. Weil der vielleicht trollt und man den nicht mehr da haben will. Das wiederum führt dazu, dass der Troll sich zweimal überlegt, ob er das machen möchte, weil es einen geringeren Effekt hat. Während es früher so war, dass es viele Leute gab, die nicht diese Blogwartmentalität unterstützen wollten und nicht Bescheid sagen, wenn jemand stänkert, es lieber aushalten. Heute ist es so, dass die das einfach so unterbinden können. Ähnlich wie bei Youtube: Du kannst Kommentare einklappen, die sind sozusagen versteckt, du kannst sie immer noch lesen, aber du musst diesen einen Klick machen. Und du überliest es einfach, irgendwann gewöhnst du dich dran. Ich glaube, dieses Wissen darum, es mit jemandem zu tun zu haben, der nicht völlig wehrlos ist, und auch sagen kann, ich hab keine Lust auf einen privaten Schwatz unter meinem Blog, oder dass mir ein Maskulist mir meinen Blog über Feminismus zerschießt mit seinen 3 Freunden, das führt dann dazu, dass die Leute es auch weniger probieren. Für uns ist das total perfekt. Wir haben weniger Arbeit, die Qualität ist gestiegen. Und wir haben mehr Leute, die sich trauen, bestimmte Sachen einzustellen, weil sie wissen können... Wir haben z.B. einen homosexuellen Blogger, der hat halt nicht mehr bei uns gebloggt und jetzt bloggt er wieder, weil er einfach seine Kommentare sperrt und er schreibt seinen Text und der Text ist da.

#00:11:08-2# Interviewer: Jeder hat es also selbst in der Hand bei seinem eigenen Blog, wie er das handhaben will?

#00:11:12-8# Genau. Und das finde ich spannend. Es gibt noch weitere Überlegungen, dass wir sagen: Du kannst bestimmte Schreiber abonnieren. Du kannst den Freitag abonnieren, du kannst aber auch nen speziellen Autoren abonnieren und kannst dir dann daraus deine eigenen Startseite basteln. Dann gibts noch andere Ideen: Dass sie eigene Ressorts gründen sollen, wo sie mit anderen Leuten zusammen schreiben, dass du einem anderen User Schreibrechte auf deinem eigenen Blog geben kannst, so dass der z.B. deine Texte redigiert. Es soll bald ein Nachrichtensystem

87 geben, das ist gerade das nächste, was wir in der Pipeline haben. Dass sich Leute Nachrichten schreiben können. Und wieder das blockieren, was ich erwähnt hab. Wenn man sich Nachrichten schreiben kann, willste u.U. nicht, dass dir XY irgendwas schreibt, sondern du kannst auch sagen: Ok, Schluss. Aber es geht einfach darum, dass man den Usern die Möglichkeit gibt, sich relativ frei auf unserer Plattform zu bewegen. Und das ist halt so weg vom Forum hin zur Plattform. Wir bauen euch ne Welt, in der ihr euch relativ frei bewegen könnt, so dass es für uns relativ schmerzfrei ist, das zu moderieren bzw. zu betreuen und dann tobt bitte. [...] Wenn du dir die NEON anschaust, die haben nur User- Generated-Content, die haben Wachstumsraten von 60 Prozent in einem Jahr. Mit anderen Worten: Dieses User- Generated-Ding, das bringt schon einfach mehr Wachstum. [...] Das ist die Prämisse, an der ich mich versuche zu orientieren. Bringt das was in Sachen Vernetzung? Bringt das dementsprechend mehr Klicks? Wir wollen auch Pinback- Systeme implementieren, ähnlich, wie das Blogs haben. [...]

#00:14:24-5# Interviewer: Wisst ihr was über die Leute, die bei euch schreiben?

#00:14:26-5# Befragter: Demographische Daten?

#00:14:28-8# Interviewer: Ja.

#00:14:35-0# Befragter: Nicht wirklich viel. Es gab mal ne Marktstudie. Ich würde sagen, wir haben immer noch viele Leute an Bord, die auch vorher schon den Freitag gelesen haben. D.h. wir haben unter den dominanten Nutzern, die viel machen, auch ältere Leute, aber es wird immer jünger. Wir haben sehr viele Studenten, die Journalismus studieren, die auch bei uns regelmäßig ihre Sachen einstellen. Es gibt Autoren, die abgelehnte Texte bei uns einstellen. Wenn man mich fragen würde, müsste der Schwerpunkt bei Ende 30 liegen, nehm ich an. Relativ queerbeet aber auch.

#00:15:46-6# Interviewer: Ihr macht ja auch Treffen mit Community-Mitgliedern.

#00:15:48-5# Befragter: Ab und zu, klar. Es gab die Idee, ne Community-Seite in der Zeitung zu machen. DIe Idee gibts immer noch, nur nicht genug manpower, um die Idee umzusetzen. Wir befüllen die mit Content, der entweder schonmal bei uns online gegangen ist oder wir reden mit den Leuten und bestellen Texte bei denen, aber binden die auch in das Zeitungsmachen mit ein. Dazu z.B. haben wir uns mit denen getroffen und Brainstorming gemacht. Das ist nett, reinzuhören, wie die sich das vorstellen, was die für Ideen haben und wohin die Reise mit dem Freitag gehen soll. [...]

#00:16:51-6# Interviewer: Nochmal das Beispiel des homosexuellen Bloggers und den aufgetretenen Problemen. Wie würdest du die Qualität in der Community einschätzen, wie die miteinander diskutieren?

#00:17:19-0# Befragter: Es gibt immer Reizthemen, wo es außer Kontrolle gerät. Das sind Islam und Feminismus. Beschneidung war der Horror. Antisemitismus ist auch immer ein großes Ding. Bei Reizthemen rasten auch einige Leute, von denen man das überhaupt nicht erwarten würde, komplett aus. Ansonsten gibt es eine recht hohe Qualität, würd ich sagen. Wenn ich bei Spiegel Online in die Kommentare gucke, das ist wirklich fernab von unserer Qualität, das ist wirklich wirklich schlimm. Wobei ich nicht für jeden Beitrag meine Hand ins Feuer legen würde.

#00:18:04-0# Interviewer: Woran, glaubst du, liegt das, dass bei Spiegel Online nicht funktioniert und bei euch schon?

#00:18:05-2# Befragter: Ich glaube, Spiegel Online ist zu groß. Und die haben ein anderes Publikum, Punkt 1. Die haben einen viel größeren demografischen Schnitt als wir. Bei uns gibts viele Leute, glaub ich, die schreiben wollen, die haben nen gewissen Bildungsstandard, nehm ich einfach mal an. Kandidat XY hat sicher weniger Ansprüche, seinen eigenen Text da einzustellen. Der andere Punkt ist, dass sie es nicht hart genug moderieren (können), weil sie zu groß sind und es zu viele Kommentare sind und weil sie nicht wirklich eine Idee haben, wie man dem entgegentritt. Wenn eine Plattform wie Youtube das machen, dezentrale Modelle, die besser skalieren, sprich wenn die Leute sich selber moderieren, was auch nicht geht, es gibt keine Community in dem Sinne beim Spiegel. Du kannst nicht sagen, du hältst deinen eigenen Beitrag sauber oder sowas. [...] Die haben relativ laxe Vorschriften. Da darf jeder Unsinn gepostet werden. Darf bei uns theoretisch auch, aber man muss damit rechnen...

#00:19:41-0# Interviewer: Muss man sich anmelden bei euch?

#00:19:41-0# Befragter: Ja.

#00:19:41-0# Interviewer: Bei Spiegel Online auch?

#00:19:41-0# Befragter: Ich weiß es nicht. Ich hab noch nie nen Kommentar bei Spiegel Online hinterlassen. (lacht) Es gibt für mich keinen Anreiz. Wenn ich da rein gucke... Wozu? Du hast unter einem Beitrag 3000 Kommentare. Das

88 macht ja irgendwann überhaupt keinen Sinn mehr. Eine Debatte entsteht da ja eh nicht, sondern dann gibts irgendwie ein Meinungssammelsurium da drunter und das wars.

#00:20:09-6# Interviewer: Sagen wir, Ihr wärt so groß wie Spiegel Online und würdet die Community so skalieren, wie Ihr es jetzt macht. Glaubt Ihr, dass Eure Qualität trotzdem besser wäre?

#00:20:25-1# Befragter: Ja. Auf jeden Fall. Dadurch, dass du die Moderationsmacht abgibst an die User und dementsprechend ein dezentrales Modell fährst, du eben besser skalierst nach oben hin. Wenn du 20 Moderatoren hast und die Seite ist plötzlich dreimal so groß wie vorher, dann hast du ein Problem. Dann musst du theoretisch 60 Moderatoren einstellen. Wenn das System dezentral ist, dann brauchst du von vorn herein ein kleines Team und hast vielleicht 2 Moderatoren und stellst dann vielleicht 6 ein. Das ist wesentlich billiger und du hast dann zwar vielleicht den Überblick nicht, aber du kannst dir sicher sein, dass besser moderiert wird im Schnitt. Wenn die Leute sich blocken können, ist es überhaupt kein Problem mehr. Du hast den Einen, der ist Muslim und du hast den anderen, der ist ein verborter Deutscher und die kriegen sich immer in die Haare. Immer bei den gleichen Themen. Wenn du einfach sagen kannst: Ich will von dem nix mehr hören, dann ist da Ruhe. [...] Da kann man sagen, das ist nicht mehr demokratisch, das ist sicher ein Argument. Aber es sorgt auf der anderen Seite für einen besseren Ton. Und man muss immer die Perspektive des Publikums einnehmen. Wenn ich in so nen Beitrag reingehe und sehe, da ist die Hölle los, dann macht mir das auch keinen Spaß bzw. animiert mich nicht dazu, mitzumachen. Eine absolute Freiheit kann es in dem Sinne nicht geben, weil du immer bestimmte Störenfriede weg haben möchtest.

#00:22:13-1# Interviewer: Ich hab mit Matthias Trenel von Zebralog gesprochen. Da war der Tenor, dass die Leute gerne eine Art Kümmerer haben, der ansprechbar ist und den Eindruck erweckt, dass die Leute nicht in einen leeren Raum hineinsprechen.

#00:23:06-5# Befragter: Es lässt sich schwer vergleichen. Wenn ich einen Text irgendwo hinstelle und der Text gehört niemanden, niemand kümmert sich persönlich um diesen Text, dann brauchst du natürlich einen Moderator, der sich darum kümmert. Sonst ist darunter die Hölle los, das ist überhaupt keine Frage. Wenn wir hier Freitag-Texte haben von externen Autoren, die auch nicht in der Community aktiv sind, dann muss sich natürlich die Moderation bzw. ein Redakteur darum kümmern, dass das läuft. Und natürlich ist es auch schön, wenn du nen Ansprechpartner hast oder jemanden, von dem du weißt, dass er deine Interessen u.U. vertritt, in so einer Situation, wo es hart auf hart geht. Aber in dem Moment, wo du dich selbst wehren kannst, lässt eben auch dieses Gefühl nach. Wenn ich weiß, ich kann selbst entscheiden, mit wem ich sprechen möchte, wer mit mir kommunizieren kann unter meinem Beitrag, dann ist diese Not nicht mehr so da. Das ist zumindest der Eindruck, der sich bei uns in den letzten eineinhalb zwei Monaten entwickelt hat. Das Problem ist: Wenn ich in einem Forum teilnehme, dann bin ich wehrlos, weil ich weiß, jeder kann mir theoretisch ans Bein pinkeln und ich kann nichts dagegen tun. [...]In dem Moment, wo ich wehrlos bin, wende ich mich natürlich an denjenigen, der diese Macht hat zu sagen: Der ist raus, der ist weg. Wenn ich das aber alles selbst machen kann, dann hab ich natürlich nicht mehr das Gefühl, dass ich wehrlos bin und kann mich dementsprechend anders bewegen und hab nicht das starke Bedürfnis nach ner übergeordneten Macht, die das für mich regelt. Ich finde es gerade in solchen Netzwerksituationen absurd, dass es überhaupt sowas geben soll. Weil ein Netzwerk ist im Grunde genommen eine Plattform, auf der so etwas ähnliches wie ein Biotop entstehen soll, das sich selbst reguliert. Das muss halt lebensfähig sein, von alleine, ohne ein Gott der darüber schwebt und ab und zu mal korrigiert, wo es schief läuft.

#00:25:49-2# Interviewer: Das ist noch nicht so weit verbreitet, oder? Es gibt Bewertungssysteme, aber das ist ja wahrscheinlich noch nicht ausreichend...

#00:25:59-8# Befragter: Das macht ja noch kein Netzwerk aus. Ein Netzwerk wird es meiner Meinung nach erst dann, wenn es die Möglichkeit gibt, bestimmten Leuten zu folgen, bestimmte Leute auszusperren. Wenn das social object der Plattform der Text ist, dann musst du den Leuten die Tools geben, sich zu Gruppen zusammenzuschließen, bestimmte Sachen mit bestimmten Leuten zu teilen, so dass es wuchert. Bewertungssysteme tragen nicht unbedingt dazu bei, dass ein Netzwerk entsteht. Man hat vielleicht ein Element wie "beste Bewertung" oder die meisten Kommentare oder ähnliches, aber das ist noch keine Plattform, sondern ein besseres Forum oder ein Blog.

#00:27:04-1# Interviewer: Ist es wichtig, dass es persönlicher ist? Dass die Leute wissen, wer dahinter steht?

#00:27:08-7# Befragter: Jeder entwickelt natürlich in dem Moment, wo er bestimmte Tools benutzen kann in einem Netzwerk, auch ein gewisses Image. Weil du weißt, der eine ist strikter und sagt: Ok, du machst hier Unsinn, also hau ich dich raus. Andere lassen es durchgehen. Also es findet die Person mehr Ausdruck. Nicht nur über das, was sie schreibt, sondern auch darüber, wie sie das verwaltet, wie sie mit anderen Usern umgeht. Klar ist es schön, eine persönliche Seite zu machen, aber es ist auch spannend zu beobachten, wie die Leute mit dem Netzwerk umgehen. [...] Ich glaube, dass wenn die Leute wissen, der mag es nicht, wenn ich dies und das schreibe, dann lassen sie es einfach.

89 Wenn du einfach ein Foto mit einem kleinen Text bist, dann weiß die Person noch nicht so viel darüber, wie impulsiv du bist. Es gibt wundervolle Autoren, die Choleriker sind. Das liest du aber nicht aus dem Text raus. Der schreibt einen fantastischen Text drunter, wo du denkst: wow, super ausgewogen, und dann lernst du die Person kennen, und das ist ein krass cholerischer Typ, dem man das nicht zutrauen würde. Diesem Choleriker gibst du durch Tools die Möglichkeit, sich da so auszuleben. Da wissen die anderen Leute Bescheid. Vielleicht ist das schlecht, vielleicht auch nicht. Aber es ist näher dran an irgendwas organischem, was auch lebt als Netzwerk.

#00:28:58-8# Interviewer: Es nimmt mehr Züge von einer face-to-face-Kommunikation an.

#00:29:05-0# Befragter: Ja. [...]

#00:29:50-6# Interviewer: Heißt das, dass die Leute in der Community auch länger da sind und sich nicht nach 2 oder 3 Kommentaren wieder zurückziehen? Oder wie ist da so der Anteil?

#00:29:55-5# Befragter: Ich glaube, der ist relativ klassisch. Wir haben unterdessen 15.000-16.000 angemeldete Nutzer, von denen in den letzen 30 Tagen knapp über 1.000 aktiv waren. Ich würde sagen, es sind so hundert Leute, die einmal die Woche richtig was machen, nen Text schreiben. Die klassische 90:9:1 Staffel. Das lässt sich auch nicht vermeiden, glaub ich. Interessant ist, dass letztens unsere Kommentarzahlen durch die Decke gegangen sind. Woran das liegt, kann ich auch nicht beurteilen, weil uns jegliche Statistiktools fehlen. Eine Vergleichswoche im Dezember hatte 2300- 2500 Kommentare, und jetzt vor 2 Wochen hatten wir 3.700 Kommentare, also wirklich enorm. Das hängt natürlich auch mit den Themen zusammen. [...] Es gibt Leute, die kommen immer wieder, es gibt Leute, die melden sich neu an und sind sofort volles Programm dabei und kommentieren wie die Wahnsinnigen, und verschwinden dann wieder, sind für 2 Monate weg, und sind dann plötzlich wieder da. [...]

#00:32:43-1# Interviewer: Würdest du sagen, die Leute, die sich da bewegen, sind von der politischen Einstellung sehr unterschiedlich? Schmieren die sich Honig ums Maul oder gibt es auch richtige Debatten?

#00:32:54-8# Befragter: Natürlich, es gibt richtige Debatten, wo es richtig brennt. Am langen Ende ist es aber natürlich auch immer ein bisschen gleiches vom gleichen. Es ist ein linkes Blatt, d.h. wir haben eher ein linkes Publikum. Wobei, gerade bei den älteren Herren, die sich für links halten und eher schon so eine Stammtischmentalität entwickelt haben und langsam ins Konservative rechte abrutschen, ohne es zu merken, weil sie immer noch SPD-Mitglied sind (lacht) und was weiß ich was... Es gibt richtige Debatten. Gerade bei solchen Reizthemen gibt es immer Leute, die anderer Meinung sind. [...]

#00:34:01-4# Interviewer: Meinst du, dass sich da auch mal Einstellungen ändern?

#00:34:02-5# Befragter: [...] Ich glaube schon, dass es jemanden beeinflussen kann. Ich glaube aber auch, dass Leute, die ihre Meinung loswerden wollen, in erster Linie ihre Meinung loswerden wollen und nicht von etwas anderem überzeugt werden wollen. Ich glaube, das Netz ist eher zum Meinungsaustausch da als um wirklich tiefgründige Debatten, wo am Ende für dich selbst noch ne größere Erkenntnis steht. [...] Was es definitiv gibt, sind Leute, die sagen: Wow, super interessant, habe ich noch nie so betrachtet und das ist neu für mich. Wir haben jemanden, der schreibt viel über Nordkorea, wovon hier keiner ne Ahnung hat. Es gibt einen, der schreibt viel über Syrien und informiert sich viel über die russische Presse, die natürlich ein ganz anders Bild von der Lage da unten prägt, als es hier in den deutschen Medien der transportiert wird. Und das ist dann schon interessant für die Leute. Aber dass sich da grundlegende Weltanschauungen ändern, das glaube ich eher nicht. Es ist wahrscheinlich für einige schon so ne Serendipitätsmaschine, also so ne Entdeckungsmaschine. Die Community schreibt, was sie schreiben möchte. [...]

#00:37:53-5# Interviewer: Passiert damit dann auch irgendetwas? Dass man z.B. sagt, eine super Debatte müsste man nochmal aufarbeiten?

#00:38:14-9# Befragter: Es kommt nicht super häufig vor, aber wir haben schon versucht, so ne Debatte abzubilden in der Zeitung. [...]

#00:39:41-0# Interviewer: Meine Leitfrage ist ja: Kann Internet-Kommunikation die Demokratie beleben?

#00:41:08-0# Ich war auf der re:publica [...] Das Netz in seinem revolutionären Moment wird natürlich auch von den althergebrachten Firmen total beschlagnahmt, die mit dem Geld, was sie noch aus der "alten Welt" haben, die Leute kaufen und sagen: Ist ja alles schön und gut, aber wir geben euch jetzt 150.000 Euro und dann sieht das alles ein bisschen schicker aus hier und ihr verdient hier bei der re:publica auch ein bisschen mehr Geld. Dann ist das aber nur noch eine Werbemesse mit ein bisschen Ringelpietz mit anfassen. [...] Mobilität, super spannend. Car-Sharing etc. Aber

90 da redet einer anderthalb Stunden über Smart. Das ist dann ein einziges Advertorial im Grunde genommen. Und natürlich ist das Netz super anfällig für sowas. Weil es sich eben noch nicht selbst in der Form finanzieren kann. Es gibt wenig unabhängige Leute. Sascha Lobo schreibt für den Spiegel, verdient sich wahrscheinlich dumm und dämlich, macht Werbung. Markus Beckedahl von Netzpolitik lässt sich fürstlich entlohnen, wenn er mal 2 Stunden zum Kaffeekränzchen vorbeikommen soll. All diese Heads sind in der Wirklichkeit angekommen. [...]

#00:44:33-9# Natürlich kann man fantastisch partizipieren, aber a) gehen die Leute trotzdem jeden Tag auf spiegel.de und gucken sich da ihre Nachrichten an, weil sie da "alles" kriegen. Wo gibt es die breite Öffentlichkeit für beispielsweise Blogs? Wo ist dieser Bürgerjournalismus? Wo findet der zentral statt? [...] Das sind die Fragen, die man stellen muss, wenn das Internet als Demokratisierungstool wirklich benutzen will. [...]

#00:45:52-4# Gerade die alten Medien - Stichwort Leistungsschutzrecht - die haben jetzt ganz andere Interessen: Wie überleben wir? Wie können wir uns explizit wehren gegen Blogs? Die Blogs sind ja der Feind, muss man einfach mal so sehen. Für viele Medienhäuser ist es schon so, dass wir alles umsonst ins Netz stellen, und Blogs, und freie Meinungsäußerung, hat dazu geführt, dass wir unser Geschäft versaut haben. Also sind sie sehr restriktiv gerade und vertreten ganz sicher keine freie Meinung, sondern eine, die harten wirtschaftlichen Interessen unterliegt. Ich glaube nicht, dass man sich auf Spiegel Online ungewichtet informieren kann. Auch bei uns nicht natürlich. [...]

#00:49:52-7# Das Leistungsschutzrecht ist die Hölle für Meinungsfreiheit und kein Mensch sagt etwas. Warum nicht? Weil , weil Die Zeit, weil niemand drüber berichtet. Weil es nicht im Interesse der Medienhäuser ist z.B. In solchen Momenten versagt das Netz auf eine gewisse Art und Weise. Weil die Blogs - Netzpolitik, digitale Gesellschaft etc., selbst Sascha Lobo hat auf dem Spiegel mal einen Artikel dazu geschrieben - weil die versagen, weil die Reichweite fehlt. Weil das Gros der Masse weder erreicht wird, noch ein Verständnis für das Problem hat. In solchen Momenten wird natürlich auch ganz massiv das demokratische Potential des Netzes gefährdet. [...]

Ingo Bormuth (Die Piraten, Liquid Feedback)

Interviewer: Was ist deine Rolle bei den Piraten und wie bist du dazu gekommen?

#00:00:17-8# Befragter: Dazu gekommen bin ich 2009 irgendwie, als alle dazu gekommen sind. Das war ja so die heiße Phase, Wahlkampf, das war ja Spaß, damals Zensurgesetze usw. Ich war damals gar nicht in Berlin. Ich war in Göttingen. Das war ne kleine gemütliche Runde, wo man sich am Stammtisch getroffen hat. Da brauch man auch keinen Online-Beteiligungskram, weil das waren 20 Aktive, und da waren immer so 10,12 oder so, man kannte sich. Und hab dann mitbekommen, dass die Jungs hier in Berlin das Liquid Feedback programmiert und eingesetzt haben, und fand das toll, weil mir schon klar war, so im örtlichen Rahmen funktioniert das, aber bundesweit funktioniert das nicht mit dem politischen Diskurs, so halt mir Mailinglisten und was weiß ich, was da halt sonst noch so ging. Und hab damals auch die Stelle gekriegt, bin bisschen gependelt, hab mich getroffen, und mit denen gequatscht, hab das aufgesetzt und bin da halt so reingerutscht, und bin da halt jetzt der Admin. Also ich mach gar keine Moderation, nichts inhaltliches, sondern einfach nur, dass die Systeme laufen und dass sie einigermaßen sicher auch hoffentlich laufen, und nicht veraltet sind. In dem Liquid Feedback System, das wir benutzen, gibt es keine Moderatorrolle in dem Sinn. Also dass man da jetzt mitdiskutiert... ich bin da so wie jeder andere und kann da genauso alles machen. Aber es gibt keine von oben bestimmten Leute, die von oben bestimmen, was diskutiert und was nicht, oder was jetzt rausfliegt und was nicht.

#00:01:46-5# Interviewer: Also es ist völlig themenoffen?

#00:01:46-5# Befragter: Es ist völlig themenoffen. Es geht immer nur über Quoren, also über Abstimmung, immer wieder zwischendurch, und manche Sachen kommen rein und es interessiert keinen und die fliegen dann relativ schnell wieder raus. Aber nicht, weil das irgendjemand entscheidet, sondern weil eben niemand dafür klickt oder sowas. Und nur ganz selten passiert es, ist aber nur eins zwei mal passiert, dass halt irgendjemand was einstellt, was halt nicht geht, weil was strafrechtliches oder Holocaustleugnung oder sowas dranhängt... dann schmeißen wir auch mal was raus, aber das passiert einmal im Jahr oder einmal in zwei Jahren. Sonst ist es ein rein technischer Job, deswegen...

#00:02:22-6# Interviewer: Also der Zweck ist, dass das von alleine läuft.

91 #00:02:27-1# Interviewer: Genau. Das wär ideal. Wenn niemand mehr das Passwort hat, und die Kiste von alleine vor sich hin rödelt (Lachen) und niemand manipulieren kann... Aber gut, ganz so gehts natürlich nicht.

#00:02:41-5# Interviewer: Hattet ihr im Vorhinein Erwartungen an das System, was es generieren kann und wie würdest du das im Nachhinein beurteilen?

#00:03:27-1# ...

#00:03:27-1# Historisch war es ja so, dass die Partei ein wenig feststeckte. Es gab halt die ganzen Mailinglisten, wahrscheinlich hunderte von diesen Mailinglisten, auf jeder Ebene, zu jedem Thema... die ja meistens - ich weiß nicht, ob du da rumgelesen hast aus Quatsch - meistens werden diese Mailinglisten von einer Handvoll Leute dominiert, die halt viel schreiben, viel Zeit haben, gerne schreiben oder was weiß ich oder halt viel Meinung machen und dann gibts nen ganz großen Teil der Leute, die halt passiv sind, die so mitlesen, ab und zu was schreiben, die eins vorn Bug kriegen und... geht ja oft auch relativ rau zu... sich dann wieder zurückziehen. Und die Frage war halt immer: Ist das demokratisch? Einschätzung: eher nein! (Lachen) Wir wollten halt irgendwas haben, was ne Demokratie zum Einzelnen runterbricht, ohne dass man klassische Delegiertenversammlungen macht so wie es andere Parteien machen. Weil wir das auch... hm, "ablehnen" ist hart natürlich... aber halt nicht so toll finden, weil durch diese Delegiertengeschichten es zu einer Professionalisierung kommt, und aus jedem Kreisverband der gewählt wird, der am besten socialised, und auf der nächsten Ebene ist das dann wieder, so dass am Ende dann nicht Kompetenz in dem entsprechenden Gremium sitzt, sondern Leute, die darauf spezialisiert sind, sich wählen zu lassen. Mit den richtigen Leuten kuscheln... ich weiß es nicht. Die Idee war eben, dass wir das nicht haben wollen, sondern dass wir den Leuten die Möglichkeit geben wollen, inhaltlich mitzubestimmen. Es gibt einen großen Teil in der Partei, der sagt "basisdemokratisch": jeder muss alles abstimmen, jeder muss alles machen können. Da sehe ich, dass das an Grenzen stößt, die Leute das überfordert, würde mich auch überfordern, und die Idee von dem Liquid Democracy - und das Liquid Feedback ist eben die Implementierung davon -, war ja, dass man Delegierte hat, aber die Delegierten nicht nach diesem starren System funktionieren und nicht nach Zeit gewählt sind, und nicht auf ihrem Posten ausruhen können, sondern dass jeder an jeden beliebigen delegieren kann. Ich kann, wenn ich keinen Bock habe, wenn ich in den Urlaub fahre, delegiere ich alles an dich, und wenn ich ausm Urlaub zurückkomme, guck ich mir an, was du alles so gemacht hast, oder frag dich mal, und wenn ich denke "Gott oh Gott" (Lachen), dann nehm ich es dir wieder weg und wenn das gut war, dann lass ichs vielleicht. Der Witz ist, dass du ja deine Delegation weiterdelegieren kannst. Die Verbindung, dass es einfach online funktionieren kann, dass es dadurch skalierbar ist, dass man nicht tausend Briefwahlen machen muss, die ohne Ende Geld kosten und nicht umsetzbar sind... Mit diesem Liquid Democracy Gedanken, der dieses schnell irgendwie Machtstrukturen aufbauen durch wenige Leute, die legitimiert sind, die aber auch schnell wieder delegitimiert werden können, so dass man diese verkrusteten Strukturen nicht hat. Das hat mich fasziniert, das wollt ich sehen und das wollt ich ausprobieren. Wir haben das lokal installiert und ausprobiert. Das waren zu wenig Leute, wir saßen beim Stammtisch (Lachen) , das macht dann keinen Sinn, zu klicken. Es ist sehr umstritten in der Partei, ob das Liquid Feedback jetzt funktioniert oder nicht... da werden ja keine bindenden Entscheidungen getroffen, man kann da diskutieren und dann kommt irgendwas raus, und das muss auf nem Parteitag ganz klassisch entschieden werden, was ein Problem ist, weil die Parteitage mit dem Tempo nicht hinterher kommen. Unabhängig von der technischen Seite, versuch ich mich zu engagieren, dass bindend zu machen. Das wird dann nicht so sein, wie es jetzt läuft, weil es nicht hart genug akkreditiert ist. Wenn das ne bindende Entscheidung ist, die automatisch im Programm steht, dann muss ja auch ausgeschlossen werden, dass da gemauschelt wird und das ist momentan nicht so klar, weil die ganze Akkreditierung, die ganzen Prozesse, die laufen halt bundesweit relativ chaotisch leider. Das Ziel ist, das auf bindende Beine zu stellen, dass man wirklich Beschlüsse mit fassen kann und gleichzeitig die Akkreditierung so zu machen, dass sie den Qualitätstandards von so nem Parteitag entspricht.

#00:07:47-2# ...

#00:08:10-5# Befragter: Die Frage, ob wir in der Partei LD/LF wollen, und wirklich mehr und bindend wollen, und ob wir ne Partei sind, die sich dadurch Entscheidungen getroffen werden und so diskutiert wird, ist nicht klar. Ich würde mal sagen, ca. 60% der Leute, die auf den Parteitagen sitzen, die wollen das. Die sagen: Ja, wir wollen darüber unsere Entscheidungen treffen und ungefähr 40 % wollen das nicht. Die sagen, die wollen die Delegation nicht, die wollen keine online-Abstimmungen, die denken, dass das manipuliert wird, egal wie sicher man versucht, diese Akkreditierungsprozesse zu machen, bzw. in dem Moment, wo man ne Sicherheit haben will über das Wahlergebnis haben will, muss man wahrscheinlich namentliche Abstimmungen fordern, dass da nicht geheim abgestimmt wird online. Ein großer Teil sagt, aus Datenschutzgründen geht das gar nicht, wir können da nicht öffentlich drinnen arbeiten, sondern ich will anonym abstimmen. An diesen Fragestellungen scheiterts immer...

#00:09:36-1# Interviewer: Das sind ja Probleme, wenn es um E-Voting-Prozesse geht. LF ist ja auch dazu da, um Themen auf die Agenda zu setzen und die dann untereinander diskutiert werden können. Funktioniert das gut oder eher

92 nicht, und warum?

#00:10:14-4# Befragter: Vorneweg: Das ist natürlich auch Ansichtssache. Aus meiner Sicht würde ich sagen, das funktioniert. Es sind ein paar Tausend Themen bereits besprochen haben, von denen wahrscheinlich ein Drittel oder die Hälfte angenommen wurden... Es gibt um die zehntausend Anregungen, die Leute zu diesen Themen angeregt haben - das ist natürlich kein Qualitätskriterium - die Sachen, die ich im LF durchlaufen seh, die auch am Ende eine Mehrheit kriegen, die also nicht an Quoren scheitern, sind auch meistens gut. Nicht immer meine Meinung, logisch, aber zumindest, dass ich denk, das ist nicht völlig unausgegoren, im Gegensatz zu vielen Meinungen, die man halt sonst wo liest. In Mailinglisten, wikis, irgendwo hingeschnuddelt, was oft eher Stammtischqualität hat. Die Idee ist ja, durch die Prozesse darin und dadurch dass Leute gemeinsam oder gegeneinander Anträge ausarbeiten und am Ende abgestimmt wird und es eine Entscheidung gibt, welcher jetzt gewollt ist oder nicht... ich glaub, das bringt schon ne Qualität in den politischen Diskurs, den ich gut find. Nur das Problem ist, dass die Sachen dann versanden. Die positiv abgestimmten Themen liegen da in diesem System, und liegen da. Dann gibts einmal im Jahr nen Parteitag, wo ein Programm beschlossen wird, wo dann von denen mal dreißig beschlossen werden, die dann inzwischen vielleicht auch wieder veraltet sind, die dann jemand wieder umformuliert. Dadurch sinkt natürlich die Motivation, in dem System mitzuarbeiten, weil man da natürlich auch ein bisschen seine Zeit verbrennt, wenn da am Ende nichts bei rauskommt bzw. es andere Strukturen gibt... Das Ziel ist nicht, dass ich nen tollen Text schreib, den dann niemanden interessiert. Das Ziel ist ja, wenn ich mich politisch einbringen möchte, dass ich nen Text schreibe, der auch irgendwo ankommt. Im Programm, in der Fraktion... Wenn ich das Gefühl hab, dass das mit LF nicht passiert, weil eben große Teile der Partei aus Prinzip nicht mitmachen und das ablehnen und ich schlauer bin, wenn ich mit den richtigen Leuten spreche und mir paar Verbündete suche und auf klassischen Wegen wie im klassischen Parteileben meine Sachen einzubringen, dann werden immer mehr Leute diesen klassischen Weg gehen. Die Beteiligung geht zurück, die Menge der Sachen, die dort besprochen werden, nimmt ab. Ich hoffe, dass wir uns doch auf ein Prozedere einigen, vielleicht erstmal auf Landesebene oder bundesweit schon, diese Verbindlichkeit herzustellen und ich glaube dann, dass die Motivation auch wieder höher ist, da reinzugehen, weil die Qualität der Diskussion und der Prozesse fand ich gut. Viele finden sie nicht so gut, weil die Menge nicht so hoch ist. Also man kann nicht so Ping-Pong-Spiele spielen, wie auf ner Mailingliste oder einem persönlichen Gespräch: Ich sag was, du bist dagegen, ich sag aber Doch, und du sagst wieder Nee... das kann sich ja endlos verlaufen. Wenn man das natürlich als gute Diskussion versteht, ist LF eher schlecht, weil es das versucht, genau zu verhindern. Man kann nen Antrag einstellen, man kann zu dem Antrag Anregungen schreiben, und dann kann man aber schon auf diese Anregungen schon nicht mehr direkt antworten. Der Antragsteller kann seinen Antrag verändern oder ne neue Anregung schreiben, aber es gibt nicht diese Verläufe, diese Diskussionsstränge, weil eben ein Kriterium, das LF so zu bauen, war eben, dass in diesen Mailinglisten klassischerweise diese Diskussionsstränge über hundert Mails gibt, die am Anfang in den ersten drei Mails Argumente liefern, und dann irgendwann persönlich werden, und irgendwann schreien sich die Leute an, es wird wiederholt, irgendwann ist man bei nem anderen Thema. Und das wird als völlig ineffizient gesehen. Die Leute, die das für ein Qualitätskriterium einer Diskussion halten, die sind mit dem System vielleicht eher unzufrieden. Das ist durchaus umstritten.

#00:14:43-7# Interviewer: Hat sich der Ton geändert?

#00:15:49-5# Im Liquid Feedback passiert das nicht. Weils einfach nicht funktioniert. Ich hab da noch nie nen Thread gesehen, der komisch war. Alles, was man sagt, kann man voten. Wenn da keiner draufklickt und das gut findet, dann ist das irgendwo unten in der Liste und das liest auch keiner.

#00:16:08-6# Interviewer: Kann man auch die Anregungen voten?

#00:16:08-6# Befragter: Ja. Man kann die Anträge voten, man kann auch die Anregungen voten. Bei Initiativen kann man nur dafür voten, und wenn es einen nicht interessiert, dann macht man gar nix. Um die Negativeffekte, dass dann alle nochmal kommen und nochmal was dagegen sagen müssen, zu verhindern. Also wenn es keinen interessiert, dann geht es einfach unter.

#00:17:35-3# Interviewer: Das spannende am Internet ist ja, dass man inhaltlich diskutieren kann und eben vom Abstimmungsverhalten wegkommt und davon, dass man nur zu Sachen Ja oder Nein sagt.

#00:17:33-1# Befragter: Es stimmt nicht so ganz. Es ist kein reines Abstimmungstool, es ist aber auch kein Diskussionsdingens wie Mailinglisten oder ein Forum. Es will sich so in der Mitte positionieren. Es gibt keine Moderation, sondern alles kommt von den Nutzern, und ich kann so viel und absurdes da einstellen, wie ich möchte. Es gibt niemanden, der mich daran hindert, außer, dass es diese Abstimmungskomponente brauch. Die Leute müssen schon sagen: Interessiert mich oder nicht. Oder find ich gut, oder möchte ich weiter diskutieren. Das ist ja keine Abstimmung, das ist so ne Filtergeschichte. Wir wollen ne gewisse Effizienz haben und über ein gemeinsames Thema reden. Und nicht, dass da so ein Volksfestcharakter herrscht, wo jeder seinen Kram blubbert (lacht) und niemanden interessiert, wer

93 zuhört. Das Ziel ist schon, was Demokratie ausmacht: Wir gehören zusammen und wir sind eine Mehrheit, verbunden mit einer Diskussion, die aber hart am Inhalt fährt und eben nicht auf blabla, nicht auf persönliche Angriffe, nicht auf Verzögerungstaktiken oder tot reden hinausläuft. Es ist ne sehr formelle Diskussion, durchaus vergleichbar mit nem Parlament. Da gibts Debatten, genaue Redezeiten, und da kann ich auch nicht sagen, wenn meine Redezeit um ist, das ist ja keine Diskussion, ich würde noch gerne eine halbe Stunde erzählen. Wenn da 600 Leute im Raum sind, dann geht das halt nicht anders. Wir haben ca. 10.000 Leute im System angemeldet, von denen ungefähr 2.700 aktiv sind, d.h. die sich im letzten halben Jahr irgendwo beteiligt haben. Man kann da nicht über alles reden und erwarten, dass, wenn ich was reinschreibe, das auch alle lesen müssen. Sondern ich brauch schon ne - du nennst es Abstimmungsfunktion - ich nenne es Filterfunktion, dass klar ist, wenn die Sachen absurd sind oder off-topic, dann müssen sie halt nicht diskutiert werden. Man merkt schon: Es gibt viel, was runter fällt. Die kriegen ihr Quorum nicht. Das sind halt die Spielregeln in dem System, und man muss versuchen, außerhalb des Systems politisch zu arbeiten. Wenn ich da was reinstelle, dann muss ich paar Leute ansprechen, oder twittern, oder auf ner Mailingliste wiederum dafür Werbung machen, um Leute dazu zu bringen, das zu lesen. Die Idee ist nicht, dass alles, was ich reinmache, von allen gelesen werden muss. Das ist ja genau das Prinzip des Internets. Wer früher ein Buch gekauft hat, hat das gelesen. Und es ist ja nicht so, dass ich mir heut nen Internetanschluss hole und dann das Internet lese, sondern ich guck, was mich interessiert, ich werd von Leuten drauf gestoßen, es gibt Verlinkungen und ich bau mir meine eigene Filterblase. Und so ist es ein bisschen im LF auch. Durch diese Mehrheitsgeschichten wird versucht, diese Filterblase gemeinsam zusammenzubringen und nicht sich nicht alles zerfasert, und nur das weiterkommt, was zumindest ne Mehrheit hat.

#00:21:27-6# Interviewer: Der Versuch also, dass es nicht in die Beliebigkeit abrutscht?

#00:21:56-1# Befragter: Genau. Das sind ja die beiden Pole. Man kann sagen, wir machen alles auf, jeder kann reinschreiben und alles tun, also: Das Netz. Dann zerfasert es völlig. Dann reden wir irgendwann über irgendwas, was überhaupt nicht in diese Partei gehört. Das war die Erfahrung mit den Mailinglisten. Die kleinen Mailinglisten, wo 10 oder 20 Leute drauf aktiv sind, die ein Thema haben, die funktionieren. Aber so eine Landesverband-Mailingliste, es gibt da ne bundesweite Aktiven-Mailingliste mit zig Tausend Leuten... inzwischen haben sich da viele zurückgezogen, weils einfach nicht geht. Man kann das nicht alles lesen, man kommt nicht hinterher, ich kann nicht erkennen, welche Mail wichtig ist, und welche nicht. Es kommt einfach alles rein und ich bin der Masse, den Emotionen und den Einzelmeinungen völlig ausgeliefert. Eine Möglichkeit, das zu verhindern, ist, das zu moderieren, hierarchische Strukturen zu bauen. Der und der ist verantwortlich, Leute rauszuschmeißen, Beiträge zu sperren, Leute zurecht zu weisen. Das wollten wir aber auch nicht, denn da sind wir wieder bei dem klassischen hierarchischen Modell und das soll dazwischen sein. Das LD Modell soll die Herrschaft verhindern, aber gleichzeitig auch nicht die Masse im Chaos untergehen lassen.

#00:23:22-7# Interviewer: Kannst du was zu den Themen sagen? Gibt es Reizthemen oder so etwas?

#00:23:36-5# Befragter: Nö. Es gibt sowas um die 15 Themenbereiche. Da passiert in jedem Themenbereich etwas. Klar, vor den Bundesparteitagen, wo Programm beschlossen werden muss, da wollen viele ihre Programmthemen einstellen oder diskutieren, deswegen ist wahrscheinlich viel im Bereich Urheberrecht und Transparenz etc., aber auch im Bereich Außenpolitik. Prinzipiell ist es immer leichter, Themen anzugehen, die von allen überschaut werden können. Wenn ich da nen Eintrag mache über die Legalisierung von Marihuana oder so, da kann jeder was zu sagen, da hat jeder ne Meinung. Wenn ich nen Antrag dazu raus mache, wie man Europa koordinieren sollte, das wird dann komplex und die Beteiligung wird geringer. Aber wir sagen ja auch, das ist gar nicht so schlimm, weil wir ja das liquide Delegiertensystem haben, und wenn da 5 Leute, die ne Ahnung haben, über Europa diskutieren und gute Anträge ausarbeiten, und die haben soviele Delegationen, dass die alles alleine machen können und abstimmen können und über die Quoren heben können, ist es für mich ok. Ich finde das nicht undemokratisch, denn die sind ja demokratisch legitimiert. Aber gut, da gibt es ja unterschiedliche Meinungen. Es gibt bestimmte Bereiche, wo alle draufspringen. Z.B. die Frage: Wollen wir LF bindend machen oder nicht? Da interessieren sich viele und beteiligen sich. Dinge, die emotional sind, da gibts schon hitzige Debatten.

#00:26:56-4# Interviewer: Gabs Probleme, die ihr versucht habt, technisch oder so zu lösen bzw. Dinge, die am Anfang problematisch waren und denen ihr irgendwie begegnet seid?

#00:27:32-6# Befragter: Es gibt viele Leute, die sagen, wir brauchen ein vernünftiges Diskussionssystem. Aber der Anspruch von LF ist ja, die Diskussion aus dem System rauszuhalten. Genauso, wie die politische Diskussion nicht im Parlament stattfindet. Da wird der Antrag zwar nochmal diskutiert, aber das passiert vorher in irgendwelchen Ausschüssen oder Ministerien, jedenfalls nicht im Parlament. Die Idee des LF, dass die Leute woanders diskutieren. Eine große Forderung ist immer, ein Diskussionsforum ins LF direkt einzubauen. Das ist bisher aber nicht passiert bisher. Es gab ein paar Änderungen, z.B. war es so, dass sich Leute mal anmelden und ein oder zwei Delegationen setzen und dann nie wieder ins System gehen. Dann haben irgendwelche Leute Delegationen und können damit über

94 Jahre machen was sie wollen. Da war die Forderung, dass man den Verfall eines Stimmrechts einbaut. Das haben wir seit nen halben, dreiviertel Jahr ungefähr. Wenn man sich ein halbes Jahr lang nicht einloggt, dann erlischt das Stimmrecht komplett, egal, an wen man das delegiert hat. in der neuesten Version ist es so, dass ich auch einzelne Delegationen, also wenn ich Außenpolitik an dich delegiere, dann krieg ich nach 90 Tagen eine Erinnerung, dass ich das nochmal bestätigen muss und wenn ich das nicht mache, dann verlierst du die Delegation wieder. Einfach um zu verhindern, dass sich dann wieder feste Strukturen rausbilden, weil irgendwelche Leute mal populär waren und ganz viele Leute auf sie delegiert haben und es dann wieder vergessen haben, die Legitimation eigentlich nicht mehr haben und trotzdem noch Stimmrecht haben. Ansonsten wurde die Benutzeroberfläche komplett neu gemacht und sieht jetzt ganz anders aus. [...]

#00:32:09-2# Prinzipiell ist ja die Idee, dass da Politik gemacht wird, vergleichbar mit nem Parlament, wo es ja auch relativ strenge Regularien gibt. Die Idee ist nicht, dass LF ganz einfach sein soll. Natürlich ist es schön, wenn die Software einfach zu bedienen ist, aber ich glaube, dass das Komplizierte an dem System nicht ist, wo muss ich klicken, um ne Initiative zu erzeugen, sondern ich muss mir da Texte, die 10 DIN A4 Seiten lang sind und teilweise Richtung juristisches Deutsch gehen, lesen und verstehen und dazu sinnvolle Anregungen schreiben. Das halte ich für viel schwieriger als die Bedienung des Systems. [...]

#00:34:47-0# Was können so Verfahren leisten und was nicht? Da würde mich deine Einschätzung interessieren.

#00:35:20-3# LF kann Texte erarbeiten. Und Online-Beteiligungsverfahren generell können Meinungen herausziehen. Was sie nicht können, ist tatsächlich im echten Leben etwas bewirken. Wenn wir im LF beschließen, dass wir ne Demo machen, dann müssen die Leute da trotzdem hingehen, egal, wieviele Leute dafür gestimmt haben. ... Man kann eine Meinungsfindung darin betreiben, besser als auf vielen anderen Wegen. Da glaube ich, ist es effizienter und zweckführender und auch demokratischer. Aber die Umsetzung kann nie im Computer funktionieren, die muss im echten Leben passieren. Dafür muss man Personalentscheidungen treffen, die können auch falsch sein, und daran kann man immer noch zerbrechen (lacht), auch wenn die Theorie vorher perfekt war. Schön ist es, so ein System zu haben, damit man weiß, wie die Partei tickt und was sie will, aber nur das wissen, was richtig ist, ist nicht genug, um richtig zu handeln. Man muss ja aktiv werden, man muss Dinge tun, man muss selbst im Parlament Anträge einbringen und in einem eng gesteckten Zeitrahmen reagieren. Ich kann ja nicht jedesmal ins LF gehen. Da können nur grundsätzliche Parteimeinungen generiert werden, aber alles was darüber hinausläuft, muss so funktionieren.

#00:37:30-3# Interviewer: Das heißt: Das Internet kann evaluierte Meinungen darstellen, aber es muss auch Anknüpfungspunkte an die Entscheidungsebene geben und das Gefühl herrschen, dass damit was passiert.

#00:38:05-7# Das ist eine Graustufe. Momentan diskutieren wir im LF nur, und machen nur Texte, die keine Relevanz haben. Und dann muss der Parteitag die Sachen beschließen, d.h. relativ früh ist diese Stufe quasi. Wenn wir ein verbindliches System hätten, dann funktioniert der Diskurs immerhin schon soweit, dass eine verbindliches Programm beschlossen wird, was Rechtsgültigkeit hat. Das ist dann ein Wahlversprechen und ich muss nur noch in der Ausführung mich auf Leute verlassen. Man kann ja auch weitergehen: Man kann in dem System die Kandidaten wählen. Das wird dann schwierig, wegen der anonymen Wahl, die darf ja eben nicht offen sein. Das ist genau der Unterschied zwischen inhaltlichen Abstimmungen, die man namentlich machen kann, und Wahlen eben nicht. Theoretisch könnte ich sagen, ich mache die komplette Kandidatenaufstellung und -wahl auch da rein. Technisch geht das. Ob man das politisch will, ist ne andere Frage. Man könnte auch sagen, dass man ne komplette Haushaltsdebatte in so ein System reinzieht, in Richtung Bürgerhaushalt. Das ist ein großes Datenwerk und das könnte man auch technisch abbilden wie ne große zusammenhängende Tabelle. Und dann sitzt da nur noch eine Verwaltung, die das alles ausführt.

#00:39:49-5# Interviewer: Glaubst du, das ist ein gangbarer Weg?

#00:39:49-5# Befragter: Bürgerhaushalte gibts ja. [...]

#00:41:21-3# Interviewer: Da ist dann vielleicht die Gefahr, dass Gruppen sich organisieren und die Debatte okkupieren...

#00:41:23-3# Ja gut, aber die okkupieren ja jetzt die anderen Wege auch. Die Entscheidungen werden in Gremien getroffen und diese Gremien werden von genau solchen Leuten okkupiert und für andere schwer durchdringbar. Ich mach mir da keine Illusionen. Da gibts Poweruser, die das viel benutzen, oder viel Zeit haben, oder sehr renitent sind. Und andere, die haben nen Job oder Kinder, die können das gar nicht leisten. Aber zumindest kann man immer sehen, was passiert, und wenn man sich die Zeit nimmt, kann man sofort angreifen und das geht in einem Delegierten- oder Rätesystem in solchen Gremien... da ist das ganz schwierig, da muss ich zehn Jahre mitmachen, bevor ich in einer Position bin, wo ich was bewegen kann. Im LF: Wenn ich zwei gute Anträge schreibe und gut argumentiere, kanns auch

95 sein, dass ich nen Haufen Delegationen hab und mit mir selber Politik machen kann. Ich kann schnell an die Hebel kommen und ich kann sie schnell wieder loswerden. Das ist der Vorteil gegenüber dem klassischen System, wo die Leute sich über 10, 15 Jahre hochdienen, und wenn sie dann mal oben ist, dann ist es eher die Ausnahme, dass dann Leute wirklich weg sind. Da muss man schon schwer daneben greifen. [...]

#00:04:46-4# Dieses "Online-Forum" ist ja keine Qualität. Das sagt ja nur: Wir machen das, was im echten Leben passiert, online. Vom Parlament bis zur Klotür, wo jeder was dranschreiben kann, gibts ja alle Beteiligungsmöglichkeiten. So ein nicht-moderiertes Forum, das ist die Klotür des Internets. Da kann man sich mal auskotzen und jemanden beleidigen und dann geht man. Das würde ich nicht als demokratische Beteiligungsform sehen. Die Verlage versuchen, ihre Leser auf ihren Webseiten zu binden, weil sie wollen Klicks haben für ihre Werbung. Aber ich glaube nicht, dass diese Kommentare unter den Artikeln einen demokratischen Mehrwert oder eine Meinungsfindung bieten. Ich glaub, bei manchen Anbietern muss man sich einloggen - ich denk da an SlashDot - die haben dieses Karmasystem, d.h. man kann immer klicken und moderieren, und man verliert dann Karmapunkte und wenn man viele Karmapunkte hat, dann erscheinen die Sachen eher oben und wenn man weniger hat, unten. Dadurch versuchen die halt die Qualität der Kommentare zu verbessern. Qualität muss ja nicht heißen, intellektuell anspruchsvoll, es kann ja auch heißen: lustig oder auch mal bewusst unter die Gürtellinie, aber zumindest die Community findet es irgendwie gut, unterhaltsam. Einfach nur unter politischen Artikeln, wo es um Minderheiten oder was weiß ich was geht, Kommentare drunter zu klatschen, finde ich schon schwierig. Ich glaube, die meisten moderieren ja auch inzwischen. [...]

#00:08:03-1# Interviewer: Glaubst du, mal unabhängig davon, was Qualität wirklich bedeutet, denn das muss man erstmal definieren, dass man die schon tendenziell erhöhen kann, indem man irgendwelche Tools zum Einsatz bringt?

#00:08:28-0# Befragter: Ja klar, das machen wir ja. Das ist ja genau unser Anspruch. Ich glaube, dass man da auch noch unendlich viel weiter gehen kann. Z.B. mehr Entscheidungen in das System reinzubringen. LF ist ein zentrales Tool, was nur für die Partei geht. Man könnte sich auch vorstellen, dass sowas unabhängig von der Partei ist. Wo sich Organisationen oder NGO dranhängen können und drinnen diskutieren können und vielleicht sogar gemeinsam... - das müsste dann dezentral sein oder von einer Foundation oder einem Verein betreut werden oder man könnte sich sogar vorstellen, dass sowas als peer-to-peer Netzwerk funktioniert, was überhaupt niemand mehr kontrollieren, wo eine Einflussnahme technisch überhaupt nicht mehr möglich ist... gibts aber alles nicht. Was mich erstmal interessieren würde, ist, eine Verbindlichkeit innerhalb der Partei herzustellen, um zu gucken, ob man damit verbindliche Entscheidungen treffen kann, die eben auch die Meinung der Partei abbilden. Wenn da Sachen beschlossen werden über Delegationen, wo ja dann von 30.000 Mitgliedern nur 500 abgestimmt haben, dann ist ja die Frage, fühlen sich 29.500 übergangen oder bildet das das ganz gut ab? Im Moment haben wir ja die Parteitage, und da gehen ja auch 30.000 ungefähr 1.000 Leute hin, und da ist auch nicht so klar, ob das wirklich die Partei abbildet oder nicht. Ich würde mir wünschen, eine Verbindlichkeit herzustellen und dadurch mehr Leute dazu bringt, mitzumachen und ich würde hoffe, dass man die Partei dadurch besser repräsentieren kann und auch mehr, schneller und besser nen politischen Diskurs führen kann. Das System haben wir ja, das müssen wir nur ausprobieren. Wir haben es zwar vor 3 Jahren angeschaltet, aber in diesen 3 Jahren ist nicht soviel passiert. Das ist auf dieser Ebene der Unverbindlichkeit hängen geblieben und wir jetzt halt so in der Zeit, wo ich das Gefühl hab, vielleicht ändert sich das nochmal. Entweder es ändert sich, dann haben wir ne neue Phase, wo wir wieder gucken können, was passiert, oder halt nicht, dann wird es, glaub ich, zurückgehen. Dann wird die Piratenpartei eher klassischere Wege gehen.

Frank Ulmer (BEKO)

#00:01:38-3# Interviewer: Meine erste Frage wäre, was Ihre Rolle bei der BEKO war, wie sie dazu gekommen sind, welche Idee dahinter steckte?!

#00:01:48-5# Befragter: Ich habe gemeinsam mit meinem Kollegen Jörg Hilbert die Projektleitung innegehabt. Wir haben sowohl den Offlineteil, d.h. die Bürgertische vor Ort, als auch die Online-Geschichte konzipiert. [...] Onlinebeteiligungsverfahren erreichen ja nur ne bestimmte Schicht von Menschen, ne gewisse Auswahl, die Internet haben und ne gewisse Freude am Internet. Wir haben das von Vornherein so konzipiert, dass es uns hier nicht um eine repräsentative Erhebung geht, sondern im Grunde wir diejenigen, die sich für das Thema, was dort diskutiert wird, interessieren, dass die ihr umfangreiches Wissen im Rahmen der Onlinebefragung abladen, um die Weiterentwicklung des integrierten Energie- und Klimaschutzkonzepts, was die Landesregierung verfasst hat, wo es um die Erreichung der CO2-Ziele und darum geht, wie man das zugunsten von Wirtschaftswachstum organisieren kann bzw. sozialverträglich

96 usw... Es ging also darum, mit der Onlinebeteiligung Verbesserungshinweise zu bekommen. Es geht hier nicht, das jeder mitmachen, sondern es war bewusst angelegt, dass diejenigen, die die Entscheidung verbessern können, dort ihre Hinweise eingeben.

#00:03:56-4# Also nicht jeder Beliebige, sondern Expertenwissen, ja?

#00:03:56-4# Befragter: Jeder, der sich dazu berufen fühlt. Worauf ich hinauswill, ist der demokratietheoretische Hintergrund, dass die Internetdurchdringung nach wie vor nicht vollständig ist und entsprechend nur bedingt verwenden kann, um zu sagen: Das ist Volkes Meinung! Es war dem Volk zugänglich, aber wir haben da natürlich ein Bias drin, also eine Verzerrung, so wie eben alle Verfahren ihre Schwächen haben, haben wir die im Onlinebereich eben auch. Grundsätzlich. Bei allen Verfahren. Wer was anderes sagt, ist falsch gewickelt.

#00:04:36-0# Interviewer: Wie beurteilen sie im Nachhinein die Qualität im Vergleich zu den Erwartungen, mit denen sie da rangegangen sind?

#00:04:43-1# Befragter: Es hat alle unsere Erwartungen übertroffen.

#00:04:49-2# Interviewer: Inwiefern?

#00:04:49-2# Befragter: Teilnehmeranzahl. Sowohl die Anzahl als auch die Qualität. Wenn Sie sich auf der Webseite umgeschaut haben - wir haben ja auch die Ergebnisse online gestellt - hatten wir ja so umfangreich Bewertungen da, fast 80.000. Von daher war der Rücklauf wirklich toll.

#00:05:21-6# Interviewer: Wie ist das abgelaufen?

#00:05:45-2# Befragter: Es gab zwei Stränge. Das eine war, dass wir ne offene Frage hatten, wie insgesamt die klimapolitische Lage... ob irgendjemand irgendwas sagen will. Aber im Kern wurden 110 Maßnahmen vorgestellt, und diese wurden auf ner Skala "find ich sehr gut, find ich gar nicht gut" schlussendlich bewertet. Es gab dazu noch ein Feld für eine qualitative Bemerkung und die Ergebnisse stehen auch alle transparent so jetzt online.

#00:06:25-5# Interviewer: Konnten die Leute auch untereinander diskutieren? Oder wurde sich nur an einer Textvorgabe abgearbeitet?

#00:06:32-6# Befragter: Es konnte untereinander nicht diskutiert werden online. Lediglich offline.

#00:06:41-8# Interviewer: Gabs zwischenzeitlich Probleme, wo man sich dachte, da müsste man was machen, um das in eine andere Richtung zu bewegen oder lief das von alleine?

#00:06:53-2# Befragter: Was sehr gut lief, was uns gelungen ist, die Sache herauszustellen, um die es ging, und was mich hocherfreut hat, wir haben ne relativ langweilige technische Internetseite gehabt - also wenig Animation und Flash und Film - eine relativ nostalgische html-Seite, die jetzt technische Innovationen nicht inne hatte. Das hat mich persönlich nochmal sehr darin bestätigt, dass die Beteiligung nicht damit korreliert, je bunter und toller wir das machen - wir hatten schon andere Beteiligungsverfahren, wo Film und Zeugs und alles... man kann mit anspruchsvollen Agenturen tolle Websites machen. Wenn die Menschen ein ernstes Anliegen haben, sind diese Design-Geschichten sehr zweitrangig. Man muss richtig machen, dass es transparent ist und fair und die Leute sich gehört fühlen, aber wir haben keine Korrelation, je bunter und toller das dargestellt ist.

#00:08:02-5# Interviewer: Wie wurde darauf aufmerksam macht? Gab es Öffentlichkeitsarbeit?

#00:08:15-9# Befragter: Da gabs zwei Stränge. Zum Einen, dass der Umweltminister eine Pressekonferenz ausgerichtet hat, wo wir über das Verfahren berichtet haben. Da gibt es diese Landespressekonferenz, und da hat der Herr Untersteller die Sache grundsätzlich dargestellt, wie begrüßenswert das ist. Und ich hab die technischen Details der Onlinebefragung vor der Presse vorgestellt. Daraus ist eine gewisse mediale Aufmerksamkeit entstanden. Der andere Strang war: Wir haben einen Adressverteiler von Internetseiten und Institutionen in Baden-Württemberg, die im Bereich Energie und Klima engagiert sind. Das kann also z.B. eine regionale Greenpeace-Gruppe oder regionale BUND Gruppe oder oder sein. Die haben wir dann freundlich angesprochen mit der Bitte, das auf ihrer Internetseite zu bewerben bzw. zu verlinken in Newslettern etc. Das war so die Kernmarketing-Maßnahme. Also diese Pressearbeit und die Direktansprache von Multiplikatoren mit der Bitte, es in Newslettern und homepage aufzunehmen.

#00:09:25-7# Interviewer: Was ist mit den Ergebnissen passiert? Wurde da viel von aufgegriffen?

97 #00:11:48-9# Befragter: Die Ergebnisse der Onlinebefragung wurden zweifach verwertet. Zum Einen: Wir hatten ja unwahrscheinlich viele Workshops parallel in der Offline-Welt und die Ergebnisse aus den Online-Geschichte haben wir in die Workshops eingespeist. Also wir haben, um die Diskussion zu starten, gesagt: In den Onlineergebnissen ist das und das rausgekommen und haben damit den Diskutanten Impulse gegeben, wo die Reise hingeht. In der Sicht von vielen Baden-Württembergern, die auf der Seite waren. Das Zweite ist, dass wir das recht systematisch aufbereitet haben in der Form, wie sie es im Internet auf der Ergebnisrubrik einsehen können, und die Landesregierung prüft jetzt große Teile dieser Hinweise, ob ne weitere Verarbeitung erfolgen kann. Heißt, eine Veränderung vom geplanten Energie- und Klimaschutzkonzept - da sind 110 Maßnahmen drin. Diese 110 Maßnahmen werden mit den Impulsen aus den Workshops, vor allem aus den Workshops aber auch aus der Onlinebefragung, überprüft, ob diese Maßnahmen noch mal überdacht werden müssen. Konkret sagt die Landesregierung z.B. Wir brauchen ein neues Logistikkonzept, um Bioabfälle in Biogasanlagen zu transportieren, um da effizienter zu sein. Und dann wird die Maßnahme vorgestellt, und dann hat die Bevölkerung als auch die Workshops sowohl Bürger als auch Verbändevertreter gesagt: Da muss man das und das beachten. Somit wird die Maßnahme im Moment überarbeitet und die überarbeiteten Maßnahmen münden dann im integrierten Energie- und Klimaschutzkonzept. Das war also der sechste Entwurf, weil das schon länger entstanden ist. Der wurde jetzt quasi online wie offline kommentiert und bewertet. Im Moment ist da in den Ministerien, die überarbeiten das. Der siebte Entwurf, da wird dann auch ersichtlich, wo der Bürgerinput aufgenommen wurde. d.h. dieser Punkt, dass diese Impulse gehört wurden von der Landesregierung, das ist ein ganz zentraler Baustein der BEKO, dass das dokumentiert und kommuniziert wird. Es wird auch einen Newsletter geben, wo nochmal zusammenfassend dargestellt wird: Jawohl ja, wir haben in den Punkten durch die Beteiligung folgendes angepasst. Das wird ein erheblicher Anteil sein. Weil natürlich ein Erfolgsfaktor der Bürgerbeteiligung berücksichtigt wurde: die Frühzeitigkeit. Bedeutet: Der Einbezug der Öffentlichkeit wurde zu nem Zeitpunkt geplant, wo tatsächlich in der Politik noch die Handlungsspielräume bestanden. Beides, online als auch offline, war zu einem Zeitpunkt wo noch Verhandlungsmasse da war.

#00:15:29-1# Interviewer: Wissen Sie etwas über die Leute, die da online teilgenommen haben?

#00:15:34-3# Wir haben demographische Daten im Grunde nicht abgefragt. Man kann sich das ein bisschen denken. Das sind schon im Trend übliche Verdächtige, qualifizierte übliche Verdächtige. Ein Teil derjeniger, die Schwachstellen rausgesungen haben, Politikunverdrossenheit usw. der war relativ gering. Also, die Kommentare, wo drinstand: "Mensch, so ein Scheiß. Bringt eh alles nix." das gabs natürlich auch, wär komisch, wenns nicht drin wär. Die waren aber ein kleiner Anteil.

#00:16:16-7# Interviewer: Musste man sich registrieren?

#00:16:27-8# Befragter: Man musste sich identifizieren, auch über die Emailadresse, weil wir wollten sicherstellen, dass der Mensch aus Baden-Württemberg ist, musste eine Postleitzahl angegeben werden. Da haben wir den Eindruck erschaffen, als ob das auch validiert wird. Faktisch hätte man das natürlich umschiffen können, diese Kontrolle, aber da waren wir jetzt relativ unkritisch angesiedelt, weil wir nicht begründetes Interesse sehen konnten, dass jemand sich in anderen Bundesländern jetzt diese Befragung unbedingt mitmachen will. Weil es auch keinen attraktiven Preis gab.

#00:17:21-2# Interviewer: Worauf ich im Grunde ja hinauswill, ist auszuloten, was solche Verfahren leisten können und wo sie an ihre Grenzen stoßen. Sie haben das jetzt gemacht und sind da mit Erwartungen herangegangen. Mich würde Ihre Meinung dazu interessieren.

#00:18:01-5# Befragter: Meine Beurteilungen online wie offline sind sehr unterschiedlich. Ich würde vorschlagen, wir konzentrieren uns auf die Online-Geschichte, oder?

#00:18:07-5# Interviewer: Ja. Sie können das ja gerne abgleichen mit der Offline Welt.

#00:18:18-5# Befragter: Man muss sich im Klaren werden über die Funktion von Beteiligung grundsätzlich. Warum machen wir das? Ich warne vor dem Eindruck, dass Online-Verfahren dazu da sind, dass ein paar Leute, die daheim vorm Computer rumklicken, politische Entscheidungen treffen. Das ist es in unserem Fall natürlich nicht, und raten wir auch dringend von ab. Weil niemand in Deutschland will, dass Menschen in einer gewissen Anonymität zu Hause nachm vierten Hefeweizen irgendwas anklicken, und das nachher ne Relevanz hat, wo wir nicht mal genau wissen, wer war denn der Autor. Das ist was anderes, wie wenn wir sagen würden - das hat nix damit zu tun, dass man Wahlen ins Internet verlegen könnte, das ist das ja nicht. In einem demokratisch unklaren Raum, der genutzt wird für die Entscheidungsvorbereitung von Politik. Da ist eben der zentrale Erfolgsfaktor, dass die Beteiligung so strukturiert sein muss, dass sie nachher in der Politik aufgegriffen werden kann. So aufgegriffen, dass man sieht, die Entscheidungsvorbereitung profitiert davon, das heißt nicht, dass die Politik nachher so entscheiden muss, aber es

98 bedarf einem feedback, dass es gehört wurde. [...] Beim Bürgerdialog mit der Kanzlerin war es so, dass unsystematisch und gequirlt jeder seinen Dampf ablassen konnte. Gefühlt war in der Bevölkerung der Beteiligungswert hoch, aber faktisch die Ergebnisse so strukturiert, dass sie in die politische Entscheidungsvorbereitung nicht einfließen konnten.

#00:20:54-6# Interviewer: Woran, glauben Sie, liegt das, dass das so unterschiedlich war?

#00:20:58-9# Befragter: Es gibt ne politische Agenda und es gibt nen politischen Rahmen. Und wenn ich sehr offen frage, sind die Antworten nicht immer anschlussfähig an den laufenden politischen Entscheidungsprozess und können dann auch nicht verwertet werden. Wenn ich auf der anderen Seite die Fragen etwas enger fasse, dafür das Risiko hab, dass die Bürgerinnen und Bürger vielleicht bisschen schlecht gelaunt sind, weil sie sich so vorgegeben fühlen, wo sie hin sollen, hat man diesen Nachteil, aber man hat den großen Vorteil, dass das was als Impuls kommt, die Politik aufgreifen kann und verwerten, weil der Rahmen da ist. Das halte ich für einen ganz entscheidenden Erfolgsfaktor. Dass das Frageformat mit denjenigen, die die Ergebnisse verwerten sollen, vorher abgestimmt wird. D.h. ich hatte bevor wir diese Geschichte online geschalten haben, mit tatsächlich denjenigen, die diese Arbeit nachher verrichten sollen im Ministerium und den gesetzlichen Rahmen bauen, hab ich vorneweg mit denen den Fragebogen diskutiert und eine Vorschau denen gegeben, welche Beschaffenheit diese Ergebnisse haben werden. Und gefragt: Was würdet ihr mit dem Ergebnis denn machen, wenn wir das jetzt so online stellen. Und dann wurde solange gebogen, bis diejenigen, die die Entscheidungen verwerten mussten, tatsächlich sagten: Ok, wenn wir es so stellen, dann kann tatsächlich etwas bei rumkommen, was wir als Bereicherung empfinden, und nicht als Stress im Sinne von: Oh, da haben wir Zusatzaufgaben. Das ist ein ganz entscheidender Punkt: die Anschlussfähigkeit an politische Entscheidungen. Das ist extrem wichtig. Und auch den politischen Entscheidern klar zu machen, dass wir denen durch die Beteiligung auch keine Mandate nehmen wollen. Dass klar ist, hier wird eine Rückkopplung vorgenommen, dass die Politik, wenn sie ihre Entscheidungen trifft, sich sicher sein kann, dass es da einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung gibt. Oder auch nicht, also eben: Wie hätte die Bevölkerung entschieden? Und nicht, dass ihnen die Entscheidungen aus der Hand genommen wird. Was auch in Deutschland niemand will. Die Entscheidung, ob es Müllverbrennungsanlagen gibt, die Entscheidungshoheit in die Hände von Bürgerinnen legen würden und das online abfragen, hätten wir die Situation, dass wir bald keine Müllverbrennungsanlage mehr in Deutschland hätten. Weil viele Entscheidungen, die kleinräumig belastend sind, stiften einen hohen Nutzen für einen größeren Raum. Wenn aber die kleinräumigen Kandidaten aber immer die Entscheidungen treffen, dann haben wir entsprechend die Schwierigkeit, dass die immer ablehnen würden.

#00:24:24-9# Interviewer: Das nicht-in-meinem-Vorgarten-Prinzip.

#00:24:26-0# Befragter: not-in-my-backyard. nimby oder st.-florians-Prinzip.

#00:24:31-7# Interviewer: Wär das auch ihr Fazit, was die Zukunft solcher Beteiligungsformate betrifft? Dass völlige Themenoffenheit eher zu Frustration und Chaos führt, aber wenn man einen gewissen Rahmen setzt, sowas durchaus in einem vorbereitenden Status gewinnbringend sein kann?

#00:25:02-3# Befragter: Absolut. Erstmal möchte ich sie warnen dahingehend, dass so ein generalisierter Satz: Was können Onlineverfahren bringen? zu formulieren, schon ein gewisses Risiko in sich trägt, weil ja die Onlinepartizipation erforscht wird, und es da viel Literatur zu gibt, deswegen würde ich auf jeden Fall doch in so einer Masterarbeit die funktionale Differenzierung vornehmen, für welche Zwecke, in welcher Form Online-Beteiligung eingeschätzt werden kann.

#00:25:44-9# Interviewer: Das ist richtig. Bürgerhaushalte sind eine Sache. Ich spreche aber auch noch mit anderen Menschen, die auf anderen verschiedenen Plattformen agieren. Ich taste mich da heran. Das soll auch helfen, die Unterschiede der jeweiligen Verfahren aufzudröseln.

#00:26:08-7# Befragter: Also, mein Fazit für diese spezielle Form, die wir hier haben: Onlinebeteiligungsverfahren sind eine gute Methode, lokales Wissen zu aktivieren, heißt Expertenwissen zu aktivieren, das sich auf ein konkreten Ob bezieht. Beispiel: Wenn jemand sagt, wir planen eine Müllverbrennungsanlage, dann kann ich über die Onlinebeteiligung erfahren: Das ist Quatsch, wenn ihr das macht, weil die Verkehrsstraßen sind hier eh schon zu stark belastet, weil die LKWs fahren von da nach da und noch mehr LKWs würden uns in einem hohen Maße belasten. Das ist ein lokales Wissen. Aktivierung von lokalem Wissen, das ein Experte häufig nicht inne haben kann, ohne das lokale Wissen zu haben, für die konkrete spezifische Frage dort vor Ort. Und dieses Onlineverfahren wird in der Regel überschätzt, weil wenn ich im Rathaus einen Informationsabend mach, zu Müllverbrennungsanlagen oder egal zu was, kommen in der Regel wenig Leute. Das Problem hab ich im Onlineverfahren natürlich genauso, d.h. ein Nadelöhr, damit jemand mitmacht, ist die Betroffenheit und den Nutzen herauszustellen. Wenn das nicht gelingt, dann ist ein Onlineverfahren häufig teurer als ein Offlineverfahren, weil wenn nachher nur 30 Leute mitmachen online, was bei uns nicht der Fall war, aber dann wäre es meistens billiger, wir tun über Stichprobenziehungen drei Fokusgruppen

99 organisieren, wo je zehn Leute kommen, und wir machen einen Diskussionsabend je drei Stunden mit denen, um ihre Bedürfnisse rauszuhören. Dann haben wir eine bessere Ergebnisqualität sogar, d.h. ich würde das Onlineverfahren nur dann einsetzen, wenn wir eine begründete Annahme haben, dass mehr als hundert Leute mitmachen, weil das Thema so interessant ist. Sonst haben wir das Problem: Wer macht da mit? Wenn es gelingt, öffentlich eine Betroffenheit zu kommunizieren, dann würde ich sehr empfehlen, das zu tun, dann haben wir diese Rückläufe wie beim BEKO- Verfahren und Erfolgsfaktor dann mittelfristig, dass die Bevölkerung da drin vertraut, dass das Zeug was wird und gehört wird, ist dann natürlich die follow-up-Kommunikation, in der kommuniziert wird, dass es gehört wurde. Sonst haben wir eben beim zweiten und dritten Beteiligungsverfahren niemanden mehr dabei. Ich bin der Meinung, dass der Erfolgsfaktor, die Betroffenheit ist, das Thema herauszustellen, dass man da was bewirken kann, und multimediale Funktionen, die besonders ansprechend und toll sind, halte ich für sogar schlecht. Wenn jemand aus spielerischen Gründen in der Onlinebeteiligung mitmacht, dann ist das feedback, das wir da bekommen, so wenig substantiell häufig. Ich bin ein großer Fan von langweiligen Seiten, weil sie ein Garant dafür sind, dass eher die Leute kommen, die sich substantiell für das Thema interessieren. Wenn wir die Qualität der Entscheidung verbessern wollen, machen die für uns mehr Sinn, als wenn der Hans Dampf kommt. Der Hans Dampf von irgendwie macht in dem Fall wenig Sinn, weil wir an eine repräsentative Geschichte in der Regel eh nicht drankommen. Das ist aus meiner Sicht ne Illusion.

#00:30:17-1# Interviewer: Die politisch Interessierten bleiben die Interessierten und die politisch Aktiven bleiben die Aktiven?

#00:30:17-1# Befragter: Genau. Ich frage mich, wenn sie jetzt machen, wo sie politisch uninteressierte Leute aktivieren, die ihren Unmut loslassen, der ist sicherlich interessant, aber um Entscheidungen zu verbessern, bringt der mir in dem Fall nix. Also wenn wir repräsentative Umfrage machen, müssen wir natürlich auch vor allem diese Leute aktivieren, ganz klar. Aber wenn man sagt, die Funktion ist Entscheidungsverbesserung, dann ist der unmutige Mensch für mich nur dann interessant, wenn er durch seinen Unmut einen neuen Aspekt einbringt. Ganz wichtig: Wir reden hier nicht von repräsentativen Stimmungsbildern aus der Bevölkerung.

Ralf Reinhardt (Bürgerhaushalt Jena)

#00:01:27-5# Interviewer: Was mich als erstes mal interessieren würde, ist, welche Rolle sie da bei dem Bürgerhaushalt Jena gespielt haben und wie sie dazu gekommen sind?!

#00:01:32-0# Befragter: Die Stadt Jena hat 2009 ernsthaft beschlossen, den Bürgerhaushalt in Jena einzuführen und zu betreiben. Nachdem man das 2007 2008 so nebenbei gemacht hat - da mal Kollege eine Stunde und da mal eine Kollege ne Stunde - hat man gemerkt, dass das qualitativ nicht förderlich ist. So gab es dann im Frühsommer 2009 den Beschluss der Stadt, ne Stelle zu schaffen für den Bürgerhaushalt, wo sich dann jemand intensiv darum kümmert. Die Stelle besetze ich die Stelle seit 2009. Ich hab mich beworben, weil ich die Idee hervorragend finde, ich find das Anliegen sehr gut. Ich habe schon immer Kontakt mit den Bürgern in meiner beruflichen Tätigkeit, das lag mir von Vornherein. Meine Rolle sehe ich in erster Linie darin, den Prozess zu koordinieren, zu führen, zu moderieren, zwischen den einzelnen Bereichen Bürgerschaft, Politik und Verwaltung. Das hat die Praxis auch gezeigt, das genau das auch die Hauptaufgabe ist, und auch so umzusetzen ist.

#00:02:58-0# Interviewer: Wer hat das initiiert? Die Stadtverwaltung?

#00:02:58-0# Befragter: Impulsgeber waren anfänglich zwei Fraktionen des Stadtrates, und zwar Bündnis 90/ Die Grünen und Die Linken. Und wie sich das dann so entwickelt. Gespräche mit der Verwaltungsspitze. Schlussendlich die Beschlussvorlage erarbeitet hat dann die Stadtverwaltung, es ist aber im Stadtrat von den Fraktionen im April 2009 beschlossen worden, den Bürgerhaushalt einzuführen.

#00:03:28-2# Interviewer: Ich habe gesehen, Sie moderieren im Forum mit.

#00:03:34-2# Befragter: Im Prinzip alles, was zum Bürgerhaushalt Jena gehört. Man könnte jetzt ins Detail gehen: Über die Broschüre, die jährlich zu erarbeiten ist, das Abstimmungsverfahren, die Onlinebeteiligung, das Forum, über die logistische Vor- und Nachbereitung und Durchführung der AG-Sitzung, Bürgerversammlung. Also kurz, alles was zum Thema Bürgerhaushalt gehört. Jena ist allerdings ein Sonderfall: In Jena gibt es eine Arbeitsgruppe "Bürgerhaushalt", die besteht rein aus ehrenamtlich tätigen Bürgern, und gemeinsam, mit denen treffen wir uns mindestens einmal im

100 Monat, wird im Prinzip beraten, was kann auf der Agenda in Jena stehen, was ist gefragt, was ist sinnvoll von der Thematik her des jeweiligen Jahres. Bis hin, dass die AG auch mitwirkt bei der Erarbeitung der Broschüre, inhaltlicher Art, bei der Erarbeitung des Fragebogens. Das ist halt wichtig, weil das kommt dann seit 2009 ungefähr, oder 2010, nicht mehr aus der Verwaltung raus, wie das bei den meisten Bürgerhaushalten ist, wo es ja verwaltungsgesteuert ist... das ist in Jena total anders.

#00:04:54-0# Diese Arbeitsgruppe ist öffentlich, d.h. da kann jeder Einwohner der Stadt kommen oder auch nicht, und dann ist jetzt seit 2009 so, und da hat sich wirklich auch was entwickelt, wo man merkt, die Bürger entwickeln Verständnis für die Stadt, für die Prozesse in der Stadt, und entscheidend ist eben, dass nicht die Verwaltung sagt: So, jetzt wollen wir Thema "Bauen" oder "Umwelt" machen als Beispiel, sondern die Bürger in der AG entwickeln selber, was aus ihrer Sicht wichtig ist, welche Themen wir anfassen. Und das finde ich sehr gut so.

#00:05:30-4# Interviewer: Kann man da im Vergleich zu anderen Bürgerhaushalten erkennen, dass es die Akzeptanz steigert oder gewinnbringend ist, dass es diese AG gibt?

#00:05:48-3# Befragter: Aus meiner Sicht ist es gewinnbringend. Zum einen Mal: Die Bürger, die da dabei sind seit mehreren Jahren - ist ja immer so, da bildet sich ein harter Kern heraus, der Interesse am Thema hat und dabei bleibt, obwohl es wie gesagt offen ist, es kommen neue dazu, es scheiden welche aus... Es hat letztens ein Professor, der unseren Bürgerhaushalt evaluiert hat, sehr schön gesagt: Das, was wir machen, ist immer auch politische Bildung. Den Blickwinkel hatte ich noch gar nicht gesehen. Die Bürger bilden sich selber fort, so ganz nebenbei sozusagen. Das ist ein Riesenvorteil, dass die Verwaltung nicht sagt: Wir machen jetzt das und ihr Bürger müsst da jetzt mitmachen!, sondern aus der Bürgerschaft herauskommt, was wollen wir machen.

#00:06:38-8# Interviewer: Wie würden Sie die Qualität des Onlinebeteiligungsverfahren im Hinblick auf die Erwartungen, mit denen Sie da herangegangen sind?

#00:06:45-4# Befragter: Jena legt den Schwerpunkt bei der Abstimmung nicht auf das Onlineverfahren.

#00:07:05-0# Interviewer: Mir gehts schon ums Onlineverfahren, doch.

#00:07:05-0# Befragter: Trotzdem nur den Satz - kann ich auch kurz fassen: Jena legt den Schwerpunkt mehr auf ein Beteiligungsverfahren nach repräsentativer Auswahl. D.h. es werden jährlich 15.000 Bürger per Zufallsverfahren angeschrieben, die zwar ausgewählt werden nach Alter und Geschlecht, also in Relation (unverständlich) den tatsächlichen Zahlen in Jena, aber die Auswahl der Bürger selber, die es betrifft, ob Mann oder Frau oder Alter, das ist zufällig. Man hat die Gesamtbreite von der sozialen Seite her, und da wird bei uns der Schwerpunkt drauf gelegt. Dass man wirklich sagen kann, da erwischt man ganz viele, oder eigentlich alle Schichten, vom Alter her, vom sozialen Status her, vom Geschlecht her, und diese Rückläufe von den Abstimmungsbögen, da wird in Jena der Fokus drauf gelegt. Nebenbei natürlich gibts das Onlineverfahren, einfach schon aus dem Grunde, weil von den ca. 86.000 Wahlberechtigten, die Jena hat mit Hauptwohnsitz, werden 15.000 ausgewählt, das ist ne große Menge, statistisch auch völlig unangreifbar, aber wir schließen trotzdem va. 70.000 Menschen aus. Und deswegen ist gesagt worden, wir machen parallel die gleiche Abstimmung auch online, an der sich jeder Bürger in Jena beteiligen kann, und es wird auch im Regelwerk festgeschrieben, eine Auswertung wird vorgenommen nach Onlinestimmen und nach papiergebundener Abstimmung, dass man unterscheiden kann, wie viele Leute haben da und da mitgemacht, was gab es für Ergebnisse. Find ich auch sehr sauber, diese Trennung.

#00:08:40-6# Interviewer: Gab es da etwas, das auffällig war?

#00:08:42-3# Wenn Sie die Frage dahingehend meinen in Richtung Manipulationsversuche oder sowas...

#00:08:54-4# Nee, eher so in Bezug auf die Auswertung: Was kam online und was von den Fragebögen kam? Ob man da Unterschiede sieht?

#00:09:01-6# Befragter: Kann man relativ klar beantworten. Das machen wir jetzt in der Form seit 2009, wie gesagt, und es gab vorher, im Jahr 2008, qualitativ noch nicht so gut gemacht wie jetzt, da gabs mal einen Ausreißer, wo die Onlineabstimmung mit der papiergebundenen Abstimmung sich total unterschieden hat. Und zwar an einer Stelle. Es wurde 2008 die Frage gestellt, ob für den Fußballclub Carl Zeiss Jena ein neues Stadion gebaut werden sollte. Da war das Ergebnis bei der repräsentativen Auswahl, also auf dem Papierfragebogen, so, dass das im Mittelfeld lag, also nicht ganz vorne, nicht ganz hinten, sondern in der Mitte drin. Nicht so, dass die Bürger davon begeistert waren oder das prioritär behandelt haben wollen. Bei der Onlineabstimmung dagegen hat die Frage nach dem Fußballstadion mit ganz weitem Abstand gewonnen. Da war jedem klar, dass die Fußballlobby online sich untereinander mobilisiert hat, gesagt

101 hat: Du, da ist ne Abstimmung, da müssen wir für das Stadion stimmen. Das ist nicht verboten, Lobbyarbeit ist nicht verboten, und es ist auch nichts illegales dabei, aber jeder weiß, wie das funktioniert hat. Deswegen ist es auch gut, diese beiden Abstimmungswege getrennt auszuwerten. Das war aber im Prinzip der einzige Ausreißer in all den Jahren. Dass es mal kleine Nuancen gibt, das ist völlig normal, aber solche gravierenden Unterschiede gab es nicht, so dass man wirklich sagen kann, die Rückmeldungen, die da kommen, sowohl online, als auch auf dem Papierfragebogen, sind fast deckungsgleich. Und daraus kann man natürlich auch schließen, dass es auch in Jena bisher zumindest, keinerlei Versuche gab, die Abstimmung zu manipulieren i.d.S., dass man ein bestimmtes Projekt besonders gefördert haben will, wenn man mal diese eine Ausnahme vom Stadion nehmen will. Wobei ich da das Wort "manipulieren" gar nicht in den Mund nehmen würde, sondern die Fußballlobby hat sich organisiert.

#00:11:17-0# Interviewer: Wissen Sie etwas über die Leute, die sich da beteiligen? Ist das ne große Menge, die da teilnimmt?

#00:11:17-0# Das ist ne gute Frage. Bei dem Beispiel mit dem Fußballstadion war die Teilnahme sehr hoch, da waren es an die 3000 online, wenn ich mich recht entsinne. Das ist in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen. Kann daran liegen, weil wir zum Einen die repräsentative Bürgerauswahl deutlich ausgebaut haben, sowohl von der Menge her, das fing mit 3500 an, dann waren 5000, 7500 und seit 2009 sind es jetzt immer 15.000. Also die haben wir mehr als vervierfacht. D.h. dass viele Bürger, die vorher vielleicht online mitgemacht haben, gesagt haben: Ok, wir kriegen auch nen Briefumschlag mitgeschickt, haben also keinerlei Kosten, und sagen: da stimme ich ab. Sie können in Ruhe die Broschüre vier Wochen lang lesen, müssen sich nicht schnell entscheiden... das kann ein Grund sein, warum die Online- Abstimmungszahlen zurückgegangen sind. Die zweite Option ist, dass es vielleicht in den heutigen Zeiten nicht mehr so sehr interessiert. Das ist aber reine Mutmaßung. [...] Wir hatten 2011 an die 600 Abstimmungsteilnehmer online, und 2012 waren es nur noch 360. Das ist auch für uns enttäuschend, weil die Seiten sind gut gemacht, unkompliziert aufgebaut. Auch die Einstiegshürde ist in Jena bewusst niedrig gelegt. Ich hab da zwar immer Bedenken, dass man da im Prinzip Manipulation Tür und Tor öffnet, aber ich beug mich der Mehrheit und die Mehrheit sagt, sowohl in der AG als auch bei uns in der Verwaltungsspitze: Es ist keine Adressangabe bei uns notwendig um online abzustimmen, nicht mal ein Name oder irgendwas. Das einzige, was der Bürger braucht, ist ne Emailadresse. Die gibt er ein, und bekommt dann an diese Mailadresse den Link geschickt, wie er auf die Onlineabstimmung kommt. Das einzige, was er braucht, ist ne Emailadresse, die es tatsächlich gibt. Wir wissen nicht, wer steht dahinter. Wir kennen die Person nicht. Der Nachteil daran ist natürlich, wenn man die Hürde so niedrigschwellig macht, dass die Optionen, dass man ne Abstimmung in ne bestimmte Richtung drehen kann, gegeben ist. Mit wenig Fantasie mach ich mir ne Mailadresse bei web.de, bei google, bei gmx, da hab ich schon drei Stück, und nenn die immer bisschen anders. Schon kann ich im Prinzip dreimal abstimmen. Was wir verhindern technisch, ist natürlich, dass ich mit der gleichen Mailadresse mehrfach abstimme, das ist klar. Wenn das einer partout in eine Richtung drehen will, das kann man mit diesem Verfahren nicht verhindern. Das wird bei uns aber in Kauf genommen von der Mehrheit. Die bisherigen Ergebnisse haben bestätigt, dass der Weg richtig ist, weil es abgesehen von dem Stadion keine gravierenden Unterschiede gab.

#00:15:03-3# Interviewer: Die Leute können ja nicht nur online abstimmen, sondern sie können Themen auch diskutieren.

#00:15:10-5# Befragter: Das ist im Forum möglich.

#00:15:14-8# Interviewer: Haben Sie verfolgt, was da so passiert? Können Sie sagen, was die Leute bewegt? Was gut funktioniert hat und was nicht so?

#00:15:26-7# Befragter: Ich muss in das Forum jeden Tag reingucken, weil es a) meine Aufgabe ist, und b) leider immer wieder versucht wird, von irgendwelchen Hackern oder so Spammüll da reingeladen wird. Von daher muss ich das schon deswegen täglich kontrollieren. Ansonsten ist es auch so ein Punkt, der mich nicht zufriedenstellt. Das Forum gibt es jetzt seit 2010, und wird für meinen Geschmack sehr sehr wenig von den Bürgern genutzt. Das ist offen für jedermann, man muss sich nur einmal registrieren, das kann man auch synonym machen, man muss sich nicht zeigen, wer man ist. Wird aber ganz wenig genutzt, nur von wenigen Leuten, und die Diskussion, die ich mir eigentlich erhofft hatte, die da stattfinden soll, über Themen, über Themenvorschläge oder gewesene Beteiligungsverfahren, die ist sehr sehr dezent. Im Prinzip gibt es nur zwei drei Leute, die sich regelmäßig da beteiligen. Ich weiß allerdings von den Zugriffszahlen, die ich sehe, dass es viel mehr Leute gibt, die drinnen lesen. Die schon reingucken, Informationen rausziehen, zur AG-Sitzung oder zum Beteiligungsverfahren oder was auch immer, das seh ich. Aber dann den Schritt zu tun, auch sich zu beteiligen, seine Meinung abzugeben, den machen leider ganz wenige. Das finde ich schade, aber was soll man machen. Mehr als anbieten für den Bürger kann mans nicht. [...]

#00:21:26-4# Interviewer: Sagen wir, es gäbe nur das Forum. Wie wäre dann die Beteiligung ausgefallen?

102 #00:21:34-0# Befragter: Die AG ist das Herzstück des Bürgerhaushalts in Jena. Wenn es die AG nicht gäbe, gäbe es evtl. trotzdem nen Bürgerhaushalt. Es wäre ein Informationsangebot, was wir auf den webseiten von jena.de haben oder auch im Forum, und es gäbe vielleicht auch ne Befragung zu verschiedenen Themen. Aber da ginge es schon los: Wer macht die Themenauswahl? Wer legt fest, was kommt da rein? Und so ist das eben alles von ehrenamtlich tätigen Bürgern, die die Bürgersicht auch wirklich haben, mitorganisiert, mitgesteuert, bis dahin - wir arbeiten gerade an der Broschüre für dieses Jahr, die an die Bürger verschickt wird - und die wird, das können die Bürger ehrenamtlich gar nicht schaffen, die wird von der Verwaltung, also von mir, um das mal auf den Punkt zu bringen, erarbeitet als Entwurf, dann gibt es aber noch eine Redaktionsgruppe, die sich aus der AG bildet, weil du kannst nicht 25 Mann... das funktioniert nicht... dieses Jahr waren es 8 Leute, die sich da in der Redaktionsgruppe gefunden haben, die sich nochmal separat zu den monatlichen AG-Sitzungen getroffen haben, zwei Redaktionssitzungen mit jeweils zwei bis drei Stunden, d.h. da geht auch richtig Zeit drauf, die die Bürger da investieren, und dann bekommen diese Redaktionsgruppenmitglieder im Vorfeld den Broschürenentwurf. Und dann sitzen wir zusammen, da ist noch der Fachbereichsleiter Finanzen mit dabei und aus dem Sportbereich die Experten, logischerweise, die auch die fachliche Kompetenzen haben, und beraten miteinander: Kann man das, was wir jetzt im Entwurf haben, dem Bürger anbieten? Ist das a) sinnvoll, ist das verständlich? Sind die Zahlen drin, die gebraucht werden. Dann geben wir Verwaltungsmitarbeiter uns alle Mühe, das kann ich echt so sagen, aber wir haben eben unsere Sichtweise. In dem Moment, wo da acht Bürger sitzen, die eben mehr die Sichtweise des Bürgers haben und weniger die der Verwaltung, entsteht sofort ein Diskussionsprozess und dann sagen die: Nee, das versteht kein Mensch, oder: Die Zahl müssen wir noch weiter aufschlüsseln, oder: Da müssen wir noch was ergänzen. Und so entsteht im gemeinsamen Prozess eine Broschüre, die bisher eigentlich immer von vielen gelobt wurde, dass es sehr informativ ist. [...] Die Broschüre gäb es vielleicht auch ohne die AG, aber die würde wahrscheinlich völlig anders aussehen und hätte nicht so sehr den Blick des Bürgers drinnen. [...]

#00:24:48-7# Interviewer: Beruhend auf Ihren Erfahrungen, obwohl in Jena mehr offline als online passiert: Was können solche Onlineverfahren leisten und was nicht?

#00:25:35-0# Befragter: Es gab eine Evaluierung unseres Bürgerhaushalts in Jena. Man hat gesagt: Nach fünf sechs Jahren wollen wir einfach ne externe Sichtweise haben. Es gab keine Vorgaben, was da drin stehen soll. Das hat von der Uni Münster der Professor Kersting über ein gutes halbes Jahr dran gearbeitet, also richtig viel Zeit reingesteckt und hat den Bürgerhaushalt Jena von allen Blickwinkeln beleuchtet und angeguckt. Der steht online, kann jeder einsehen. Und es gab hier auch entsprechend eine öffentliche Versammlung dazu Ende April. Quintessenz war: Man kann eh nicht sagen, der Bürgerhaushalt muss so sein und der Bürgerhaushalt ist gut und der andere ist schlecht. Es gibt ganz viele Formen und Varianten und jede Kommune findet ihren eigenen Weg und muss auch gucken, was sie für richtig hält. Aber Prof. Kersting hat klar gesagt: So, wie es Jena macht, ist es wirklich richtig gut. Weil man bindet die Bürger ein, indem man 15.000 Leute persönlich anschreibt, hat eine repräsentative Auswahl und informiere damit automatisch 15.000 Leute. Ob die nachher mitmachen, und abstimmen, ist eine ganz andere Frage. Aber die bekommen die Informationen erstens. Das zweite ist: Diese Onlineangebote, Forum, Webseiten, auch die Onlineabstimmungen muss man natürlich lassen, das gehört einfach zur heutigen Zeit. Aber man verhindert eben dadurch rein schon die Option der Manipulation, indem man die Auswahl repräsentativ macht. Er hat uns klar empfohlen, dieses Weg genauso weiter zu gehen. Das war ne interessante Antwort. Er hat den Weg, wie wir ihn in Jena machen, im Prinzip bestätigt. [...]

#00:32:02-7# Interviewer: Wie könnte es Ihrer Meinung nach auf Basis Ihrer Erfahrungen mit dem Bürgerhaushalt Jena mit Onlinebeteiligungsverfahren weiter gehen? Was sind die Chancen, aber auch Gefahren?

#00:32:02-7# Befragter: [...] Ich glaube, dadurch dass sich der Weg für uns selber in der Praxis ganz gut bewährt hat und auch die Ergebnisse von Prof. Kersting in der Evaluierung eigentlich sehr positiv bewertet wurden, kann ich mir im Moment nicht vorstellen, dass es in Jena einen Richtungswechsel geben wird. Man weiß es nie, vielleicht gibt es im nächsten Jahr auch eine völlig andere Diskussion, und vielleicht bringt jemand Kostengründe ins Spiel, weil diese papiergebundene Variante ist schon relativ kostenintensiv, alleine vom Porto her. Das könnte man online sicher kostengünstiger machen. Im Moment glaube ich, wird Jena auf dem Weg bleiben. Allgemein gesehen, das hat auch Prof. Kersting geschrieben: Viele Kommunen machen das natürlich online: Mir fällt Köln ein, Leipzig, Hamburg, ich glaube auch Solingen, Essen, mal als Beispiele. Die haben entweder gar keine papiergebundene Abstimmungsoption, oder dann ein sehr geringes Ausmaß nur. Der Vorteil ist natürlich: Ich hab unbegrenzt Platz, Informationen darzustellen. Das ist schon das Problem, das ich in der Broschüre habe. Ich kann über Tabellen, über PDFs, über Dokumente, alles reinstellen für den Bürger, das ist ein Riesenvorteil. Ich erreich über die modernen Medien, über facebook, twitter auch Unmengen an Leuten, was auch ein Riesenvorteil ist, der dafür spricht, das zu machen. Was dagegen spricht, ist das hohe Risiko der Manipulation, jetzt nicht im Bereich der Diskussion oder von Vorschlägen, da ist es sogar gut, aber wenn es wirklich von Abstimmung geht. Das kann ich online gar nicht verhindern. Ich weiß nicht, ob sie das Beispiel von Potsdam kennen: Die hatten vor 2 Jahren ein richtig dickes Problem. Die haben bei ihrer Onlineabstimmung damals sogar verlangt, dass man sich mit Namen und Straße eintragen musste, eben um so was zu vermeiden. Dann gab es am

103 vorletzten oder letzten Tag der Abstimmung auf einmal einen Riesenhype für ein bestimmtes Projekt. Da haben sich wohl 300-400 Leute auf einmal angemeldet und für das Projekt gestimmt, das dann auch am Ende ganz weit vorne lag. Am Ende hat sich herausgestellt, dass da irgendwer manipuliert hatte, und Listen von Bürgern, die irgendwann mal eingesammelt wurden für ein anderes Projekt, wo sich Bürger mit Name und Straße eingetragen hatten, diese Liste verwendet haben. Abgesehen davon, dass das strafrechtlich relevant ist natürlich. Selbst, wenn du die Hürde so hoch legst mit Name und Adresse, kannste sowas nie zu 100 Prozent verhindern. Und das Risiko sehe ich bei ner Abstimmung immer. Was wir auch in Jena sehr sehr oft diskutiert haben an dem Punkt: Ich schließe natürlich zumindest jetzige ältere Generationen zu großen Teilen aus. Ich seh es am Beispiel meiner Eltern, die sind beide über 70, die haben mit Internet nichts am Hut. Das ist ne Generation, die sind damit nicht aufgewachsen, die haben das nicht, brauchen das nicht, wollen das nicht. In dem Moment hätten diese Menschen keine Chance, sich zu beteiligen. Mit unserer Broschüre, weil die ausgewählt ist bis ins hohe Alter, hab ich zumindest die Option, dass ich diese Altersgruppe dabei habe. Das spricht dafür, dass nicht nur online zu machen. Das mag in 20 25 Jahren anders aussehen. Meine Generation, die damit aufgewachsen ist, wir werden sicher noch in 20 25 Jahren am Computer sitzen, online sein, davon bin ich überzeugt. Aber momentan würde ich eben einige ausschließen. [...]

Philip Stolzenberg (Wer denkt was GmbH, Bürgerhaushalt Darmstadt)

#00:05:02-7# Interviewer: Was ist ihre Rolle bei "Wer denkt was?" und auch beim Bürgerhaushalt, und wie sind sie dazu gekommen, sich bei Onlinebeteiligungsverfahren zu engagieren?

#00:05:15-6# Befragter: Ich habe selber an der TU Politikwissenschaften studiert und habe meine Abschlussarbeit über Bürgerhaushalte geschrieben. Eine vergleichende Fallstudie dazu gemacht, erstmal eine Evaluation von drei Fällen, wie erfolgreich sind diese Verfahren? Und eben auch der Versuch, was bisher sehr selten gemacht wurde, da Erfolgsfaktoren herauszufinden, die wirklich erklärend sind. So Beteiligungsverfahren sind häufig Einzelfallstudien, die mehr beschreibend sind, und es gibt wenige Sachen, die wirklich einen erklärenden Ansatz haben. Das war die Idee dahinter. Zeitgleich ist in Darmstadt der Bürgerhaushalt gestartet, was eher zufällig war. Ich hab mich da einfach mal zusammengesetzt mit der Firma "Wer denkt was?", die gerade das Verfahren durchgeführt haben. Die Kollegen sind alle Informatiker, also von der anderen Seite der Beteiligungsprojekte und haben halt meistens mehr so Software verkauft. Weniger die Beratung, wie solche Verfahren ablaufen müssen, sondern einfach eine Beteiligungssoftware. Der Hintergrund ist natürlich, dass das nicht mehr ausreicht, weil eine Software können sie sich irgendwo umsonst runterladen. Wenn sie ein paar clevere Leute in der Verwaltung haben, dauert es zwar vielleicht ein bisschen länger als wenn wir das machen, aber dann kriegen die das auch hin, so eine Software da zu implementieren. Das reicht einfach nicht aus, wenn man nur das macht. Und deswegen haben sie mich dazu genommen, und meine Rolle ist eben, diese Verfahren zu konzipieren, die einzelnen Regeln und Abläufe. Das ist ja gerade beim Bürgerhaushalt immer alles sehr strikt, die einzelnen Termine und Abläufe, wie die eingehalten werden. Und eben auch das Ganze zu moderieren und zu begleiten. Also wenn die Bürger Anfragen haben, die zu beantworten, oder auch die Verwaltung... dass es sehr viel Abstimmung gibt mit den Verwaltungsleuten.

#00:07:23-4# Interviewer: Wie würden sie die Qualität des Bürgerhaushalts im Nachhinein beurteilen verglichen mit den Erwartungen, mit denen Sie da herangegangen sind?

#00:07:32-2# Befragter: Also ich habe das in meiner Abschlussarbeit durchaus kritisch beäugt. Da hatte ich natürlich noch den Vorteil des Beobachters, den Sie ja jetzt hier auch noch haben. Ich musste dann erstmal feststellen, wie kompliziert das eigentlich ist, sowas wirklich selber durchzuführen. Hab da ein Stück weit doch den Respekt gewonnen von Leuten, die solche Beteiligungsverfahren organisieren, weil es eben viel komplexer ist als, wie man sich das von außen vorstellt. Gerade wenn sie mit so einer Stadtverwaltung zusammenarbeiten, ist das immer unheimlich schwierig, weil die sehr hierarchisch arbeiten. Mit denen alles gemeinsam zu organisieren. Weil jede Pressemitteilung muss erst vom Oberbürgermeister abgesegnet werden. Wir sind eben ein kleines Unternehmen, wo alles irgendwie auf Zuruf funktioniert. Daran muss man sich erstmal gewöhnen.

#00:08:29-6# Interviewer: Hat die Stadt das organisiert und ist an Sie herangetreten?

#00:08:39-5# Befragter: In Darmstadt meinen Sie?

#00:08:39-5# Interviewer: Genau.

104 #00:08:39-5# Befragter: Soweit ich weiß, hat der Kollege mit dem jetzigen Oberbürgermeister schon vor der Wahl mal gesprochen, und die haben auch ganz klar vereinbart - hier ist ja grün-schwarze Koalition, also auch in der Reihenfolge, und deren Schwerpunkte waren eben Haushaltskonsolidierung und Bürgerbeteiligung. Also genau das, was so ein Verfahren abwickeln kann und abwickeln will und deswegen wurde das dann danach in Angriff genommen.

#00:09:07-1# Interviewer: Hatten sie konkrete Vorstellungen und Wünsche, wie das dann aussehen soll?

#00:09:15-0# Befragter: Ich muss sagen, dass ich beim ersten Verfahren in der Planung wenig involviert war. Das war relativ schnell festgelegt und da hatte ich sehr wenig damit zu tun, welche Themen da ausgewählt werden und welche Termine gesetzt wurden. Da gabs aus meiner Sicht durchaus noch Nachholbedarf, der jetzt aber in diesem Jahr schon abgearbeitet wurde. Ich bin selber kein Freund davon, nur so einen Konsolidierungsbürgerhaushalt zu machen. Das funktioniert teilweise über ein Jahr, aber es sind in den seltensten Fällen viele Sparvorschläge, die umgesetzt werden. Man kann eine Abstimmung machen über die Sparvorschläge der Verwaltung und sehen, was die Prioritäten sind, aber neue Sparvorschläge sind dann doch eher selten.

#00:10:07-4# Interviewer: Wissen Sie, was mit den Ergebnissen passiert ist? Da waren dann doch einige Vorschläge im Forum.

#00:10:17-4# Befragter: Also von der Umsetzung her ist mir was aus der Volkshochschule bekannt, die immer noch vorher Briefe geschickt, dass sie jetzt demnächst Lastschriftverfahren machen und Geld abbuchen. Und das war ein Beitrag, dass das ja überflüssig wär und dass man das ändern könnte. Das sind immer kleine Vorschläge. Wenn man ehrlich ist: Die Idee, jetzt macht man ein Onlineforum und im Web sind dann so viele Vorschläge, dass man allein davon seinen Haushalt konsolidieren kann, das ist total illusionär. Das liegt auch daran, dass sie bestimmte Haushaltsposten nicht so schnell verändern können bzw. die auch vorbestimmt werden von höheren politischen Ebenen.

#00:11:12-9# Interviewer: Stellt sich halt nur die Frage, warum das eigentlich dann gemacht wird. Was erhofft sich die Stadtverwaltung davon? Ist das ein bisschen Schaudeliberation oder ist das, um die Legitimation zu erhöhen? Oder hoffen sie auf wirklichen inhaltlichen Input?

#00:11:35-0# Befragter: Ich glaub schon, dass sie sich Input erhoffen. Um mal zu sehen, was für Vorschläge kommen, und was halten die Bürger für überflüssig an Investitionen etc. Aber es geht natürlich auch darum, nach außen die nicht vorhandenen Handlungsspielräume zu erklären. Das ist schon bei den reinen Konsolidierungsbürgerhaushalten der Fall. Der Darmstädter Bürgerhaushalt, zumindest in diesem Jahr, ist auch kein Hauptbürgerhaushalt, der auf Konsolidierung schwenkt, sondern Vorschläge sind erwünscht und erlaubt.

#00:12:30-9# Interviewer: Was mich interessieren würde, wär, wie das Forum funktioniert hat. Konnten die Leute miteinander diskutieren und wie haben sie miteinander diskutiert?

#00:12:44-9# Befragter: Da ist eben ein Unterschied zwischen diesem und letzen Jahr. In diesem Jahr wurde schon viel mehr mit der Moderation eingegriffen, in diesem Jahr diskutieren die Leute auch wirklich miteinander. Also man kann Vorschläge einbringen als Bürger natürlich, und man kann auch Vorschläge von anderen kommentieren. Wenn ich will, kann ich meinen Vorschlag auf diesen Kommentar hin auch wieder nochmal überarbeiten. Was ja Deliberation wär, indem ich meine ursprünglichen Präferenzen irgendwie ein bisschen verändere, den Vorschlag ein bisschen anpasse und verbessere. Das ist technisch möglich.

#00:13:24-4# Interviewer: Und davon haben die Leute auch Gebrauch gemacht?

#00:13:27-2# Befragter: Von den Kommentaren wurde viel Gebrauch gemacht. Dass es wirklich Änderungen in den Vorschlägen gab, ist glaub ich, eher ein Einzelfall, das muss man schon zugeben.

#00:13:38-0# Interviewer: Haben die Leute das auch noch verfolgt, die das eingestellt haben? Oder ist es viel so: Einmal rein und nie wieder gesehen?

#00:13:47-2# Befragter: Es gibt schon Leute, die häufiger da aktiv sind und sich häufiger anmelden. Und man kriegt auch eine Nachricht, wenn ein Kommentar auf seinen Vorschlag kam. Man kann auch einen Newsletter bestellen, dass man immer auf dem Laufenden gehalten wird, wenn neue Ideen kommen, dass man sich auch kontinuierlich beteiligt und nicht nur seinen einzigen Vorschlag über die Müllabfuhr in der eigenen Straße abgibt und sich dann wieder abmeldet. Die sollen schon ein bisschen länger bei der Stange gehalten werden.

105 #00:14:22-0# Interviewer: Es wird also aktiv versucht. Ist die Moderation eine Reaktion auf das letzte Jahr, dass man gesehen hat, sowas ist nötig?

#00:14:34-8# Befragter: Das war schon eine Reaktion auf das letzte Jahr, dass die Moderation jetzt ein bisschen ernster genommen wird. Man muss aber auch sagen, dass im letzten Jahr die Themen sehr schmal waren. Da ging es um ein neues Rathaus, um eine Investition, die gemacht werden soll und die Bürger sehr unzufrieden sind. Das war die Idee eigentlich: Man will Vorschläge haben, wie könnte ein neues Rathaus aussehen. Das Problem war, dass die Bürger eigentlich gar kein neues Rathaus haben wollten. Insofern hat man eine Entscheidung vorgegeben, und Spielraum da gegeben, wo sich der Bürger gar nicht mehr so sehr für interessiert hat. Da war es auch schwierig dann, zu moderieren. Auch die Idee, Vorschläge zum nächsten Bürgerhaushalt zu haben, das war auch ein weiteres Forum. Das hat auch nicht an jeder Stelle funktioniert, weil da dann sich alles gesammelt hat, was die Bürger so oder so auf dem Herzen haben. Dann doch wieder die Ampelanlage vor dem eigenen Haus. Und da ist dann der Versuch, das ganze ein bisschen zu kanalisieren und zu wichtigen Themen zuzuordnen. Das klappt auch nicht immer hundertprozentig, weil sich die Vorschläge der Bürger natürlich nicht unbedingt nach den Produktbereichen der Stadt richten. Da muss man auch flexibel sein. Das kann man auch nicht erwarten.

#00:16:01-6# Interviewer: Wurde viel moderiert? Wurde da reagiert auf bestimmte Entwicklungen?

#00:16:15-3# Befragter: Es gibt halt verschiedene Aufgaben. Die eine Aufgabe an der Moderation ist natürlich erstmal, die Inhalte überhaupt zu prüfen, ob beleidigende Inhalte etc. Die Prüfung ist natürlich notwendig, aber es ist nicht notwendig, das zu löschen. Dann ist die nächste auch etwas einfachere Aufgabe, man muss halt doppelte Vorschläge entfernen. Da gibt es auch schon eine Softwareunterstützung, indem der Bürger nämlich automatisch erkennt, dass es schon einen ähnlichen Vorschlag gibt. Da wird einfach über Synonyme und ähnliche Wörter gesucht. Aber manche geben natürlich trotzdem ihren Vorschlag doppelt und dreifach in verschiedenen Foren ab, und da ist es Aufgabe der Moderation, dafür zu sorgen, dass das chancengleich ist und jeder Vorschlag nur einmal drin ist. Dann die dritte Aufgabe, die etwas schwierig ist, ist natürlich, die Bürger manchmal aufzufordern, ihre Vorschläge zu konkretisieren. In so Onlineforen neigt man ja dazu, einfach nur eine Meinungsäußerung zu bringen. Das könnte sowas sein: Stadionneubau ist hier auch ein Thema. Schreibt jemand: Stadionneubau für 1899 find ich völlig überflüssig. Als Beitrag. Ist kein Vorschlag. Ist einfach nur ne Meinungsäußerung. Da muss man dann drauf eingehen, dass die Leute das mehr als theoretisch umsetzbare Handlungsempfehlung an die Stadt formulieren.

#00:17:53-4# Interviewer: Wie konnte man da mitmachen? Musste man sich registrieren? Wie waren die Einstiegshindernisse?

#00:18:00-0# Befragter: Man kann sich registrieren im Internet. Dann gibt es eine freiwillige Abfrage von bestimmten Daten, die zur Auswertung dienen, sprich Stadtteil und Schulabschluss oder Alter, halt so Sachen, die uns interessieren, um nachher zu gucken, wen man erreicht. Notwendig ist einfach nur eine Emailadresse.

#00:18:30-1# Interviewer: D.h. Sie wissen sogar ein bisschen was über die Leute, die da teilgenommen haben?

#00:18:35-2# Befragter: Genau. Wir werden das am Ende wieder auswerten, wieviel Prozent aus welcher Gruppe vielleicht daran teilgenommen haben.

#00:18:42-0# Interviewer: Haben Sie eine Idee?

#00:18:47-7# Befragter: Diesen Jahr weiß ich noch nicht. Ich kann mal ins letzte Jahr reingucken, das ist ja auch immer ein spannendes Thema. [...] Der Altersschnitt für eine Onlinebeteiligung ist eher überraschend. Es gibt natürlich viele, die keine Angabe gemacht haben, aber es sind eher Ältere, 60-69, die jetzt wahrscheinlich schon auch im Internet unterwegs sind. Also dass Ältere kein Internet mehr haben, ist ja inzwischen etwas, dass sich immer mehr erledigt, gerade in größeren Städten natürlich. Man kann das ganze natürlich positiv interpretieren, indem man sagt, dass man eben auch die Älteren online erreicht. Man kann aber auch sagen, wir wollten eigentlich gerade die Jüngeren durch so ein Verfahren erreichen. Das ist uns offenbar im ersten Jahr noch nicht so ganz gelungen, wie wir das wollten. Also da gibt es unterschiedliche Interpretationsweisen.

#00:20:37-1# Interviewer: Wenn Sie den Bürgerhaushalt nächstes Jahr machen, würden Sie etwas ändern?

#00:20:48-8# Befragter: Ich glaube, wir haben sehr große Reserven in der Öffentlichkeitsarbeit. man muss sagen, dass der Bürgerhaushalt im Vergleich zu Stuttgart, Berlin-Lichtenberg oder Potsdam einfach in der gesamten politischen Diskussion in Darmstadt eher eine untergeordnete Rolle spielt. Es ist kein Topthema, weder im politischen Diskurs, noch in der Stadtverordnetenversammlung, noch in den Medien. Das ist dann natürlich auch bei den Teilnehmerzahlen

106 zu bemerken. Man muss aber auch sagen, dass es auch mit eine Budgetfrage ist. Ich will jetzt hier nicht von Budgets von Frankfurt reden oder so, die für 900.000 im ersten Jahr, glaub ich, im zweiten Jahr für 250.000 riesige Marketingkampagnen organisieren können. Das funktioniert einfach mit dem vorhandenen Budget nicht. Also man muss sich wirklich auf die Sachen beschränken, die kostengünstig sind, sprich in die Stadtteilversammlung etc. gehen, das funktioniert zumindest beim Darmstädter Projekt für uns ganz gut, weil wir jetzt vor Ort sind. Bei anderen Projekten von uns wär das schon schwieriger.

#00:23:02-3# Interviewer: Stichwort Öffentlichkeitsarbeit: Der Liquid Democracy e.V. hat bei dem Projekt für die Internet Enquete des Deutschen Bundestags am Anfang auch mit schlechter Presse zu kämpfen gehabt und die Öffentlichkeitsarbeit ausbaufähig war.

#00:23:01-0# Befragter: Was in diesem Jahr gemacht wird, man hat Poster und Flyer gedruckt und in allen Verwaltungsstellen und Dienstleistungsstellen, sprich Bibliotheken, Museen etc. ausgelegt. Und man hat die Poster auch teilweise plakatiert öffentlich, aber auch eher in einer geringen Anzahl. Eben, um auf die Auftaktveranstaltung zum Bürgerhaushalt aufmerksam zu machen. Und die Flyer, muss man ehrlich sagen, das ist bei Flyern so üblich: Jeder druckt ganz viele und dann gibts irgendwo ein großes Regal, wo die dann irgendwo dazwischen liegen. Da ist dann auch wirklich noch Spielraum, vielleicht noch offensiver durch diese Flyer zu bewerben. Dann waren wir, d.h. die Bürgerbeauftragte der Stadt und ich, in mehreren Stadtteilversammlungen - da sind so 50 bis 60 Leute, die als Multiplikatoren auch agieren können. Es ist aber auch nicht in jedem Stadtteil so und in ganz unterschiedlichem Maße organisiert. Dazu gabs natürlich eine ganze Menge Pressearbeit, die wir gemacht haben, Presseerklärungen. Bei der Stadt läuft das so: Die machen ihre Presseerklärung und schicken die dann raus an die Presse, was natürlich auch nicht immer reicht, wenn man ein Thema wirklich prominent platzieren will. Was wir dann mal übernommen haben außerhalb des eigentlichen Auftrags und dann nochmal nachtelefoniert haben und bisschen Presse gekriegt haben. Es gibt noch ein paar Sachen: Die Schulen haben wir angeschrieben jetzt. Dass man das im Politikunterricht thematisiert, das machen auch wenige. Aber letztendlich große Öffentlichkeitsarbeit funktioniert immer nur in einem gewissen finanziellen Rahmen.

#00:25:32-4# Interviewer: War das gekoppelt mit irgendwelchen Offlinemaßnahmen wie Versammlungen oder so?

#00:25:38-1# Befragter: Ja, es gab eine Auftaktveranstaltung zu dem Verfahren, wo man auch Vorschläge eingeben konnte. Gleichzeitig wurde die Onlineplattform geschaltet. Was es auch gibt, ist natürlich, dass man mit den Flyern auf Postkarten Vorschläge einbringen kann. Da ist natürlich nicht sehr viel Deliberation mit drinnen. Das ist dann wirklich nur die reine Vorschlagsabgabe.

#00:26:19-8# Interviewer: Sie haben sich damit ja nun viel befasst, auch wissenschaftlich. Mich interessiert, was solche Verfahren letztlich leisten können und was nicht.

#00:27:17-3# Befragter: Ich glaube, dass es vor allem eine strukturiertere Diskussion geben kann. Gerade im Vergleich zu größeren Präsenzveranstaltungen. Bei Bürgerversammlungen mit mehreren hundert Leuten, da gibt es kaum Diskussionen. Was der Vorteil ist, dass sich Leute vielleicht einbringen, die sich sonst nicht trauen, sich einzubringen bei solch größeren Veranstaltungen. Das ist auch noch ein Vorteil. Das ist viel strukturierter. Ich kann den Leuten sagen, wie lange ihre Beiträge sein dürfe. Ich kann ihnen sagen, wann sie Beiträge machen können, wann abgestimmt wird, worauf kommentiert wird. Das ist einfach alles übersichtlicher. Ich kann sie zwingen, irgendwie Überschriften für ihre Vorschläge zu machen, damit schonmal klar ist, worum es geht. Weil das sonst eher diffus ist bei Leuten, die es nicht gewöhnt sind, vor größerem Publikum zu reden.

#00:28:45-3# Interviewer: Das heißt, dass völlige Themenoffenheit und jeder kann sagen, was er will, schlecht funktioniert?! Und wenn man die Leute in eine gewisse Struktur presst, dass es dann besser funktioniert?!

#00:28:42-3# Befragter: Genau. Man muss ja auch sagen, dass eine Onlinemoderation einfacher ist als offline, weil sie auch einfach Zeit haben, zu reagieren. Das ist ein erheblicher Unterschied. Das ist alles, wie gesagt, übersichtlich und nachlesbar. Es ist nicht zeitabhängig als Nutzer. Ich muss nicht jedes Mal sofort auf einen Beitrag reagieren, man kann eben auch später kommentieren. Jeder kann zu der Zeit und von dem Ort sich beteiligen, von dem er will. Das ist glaube ich, der große Vorteil. Und gerade durch die Strukturierung ist natürlich gerade beim Bürgerhaushalt das Gute, dass man sehr gut auch die Entscheidungsprozesse beim Haushalt nachher anbinden kann. Und dass ich permanent den Leuten rückmelden kann, was gibt es für neue Beiträge, was hat es für Entscheidungen gegeben. All das ist natürlich wesentlich schwieriger bei Offline Veranstaltungen.

#00:29:44-8# Interviewer: Glauben Sie, Feedback und Rückmeldung ist wichtig?

107 #00:29:46-8# Befragter: Natürlich. Wenn die Leute sich langfristig beteiligen sollen, wollen sie zumindest eine Erklärung haben. Langfristig wollen wir natürlich schon sehen, dass auch irgendetwas wirklich umgesetzt wird, was vorgeschlagen wird. Sonst wird das dauerhaft nicht funktionieren. Man muss beim Bürgerhaushalt sagen: Der Fokus liegt mehr bei "Bürger" als auf "Haushalt". Es sind ja jetzt meistens keine größeren haushaltsrelevanten Vorschläge. Ich würde das eher als weitgehend themenoffene Beteiligung verstehen. So wie es ursprünglich auch mal gedacht war. Bürgerhaushalt ist ein deutsche Schöpfung, die mit dem Porto Allegre eigentlich nichts zu tun hat, oder sehr wenig.

#00:30:44-2# Interviewer: Was sind so die Chancen eines Bürgerhaushalts oder eben von Onlinebeteiligung generell, wenn man ein bisschen in die Zukunft schaut?

#00:31:46-3# Befragter: Sie haben ja auch gefragt, was so ein Onlineverfahren nicht leisten kann. Da muss ich natürlich als Politikwissenschaftler auch nochmal sagen: Es wird bei solchen Verfahren nie eine Massenmobilisierung geben, die irgendwie zweistellige Prozentsätze der Bevölkerung aktiviert. Das ist einfach unrealistisch. Und auch die Erwartung, dass ich auf einmal alle Bevölkerungsschichten beteiligen würden, auch das ist völlig unrealistisch. Man kann natürlich einzelne Zielgruppen aktivieren bei den Verfahren, aber die Grundstrukturen, die es bei Partizipation gibt, werden sie auch bei Onlineverfahren nicht überwinden. Das kann man auch nicht erwarten. Was ich als Erfolgsfaktoren definieren würde, ist einmal die Unterstützung von lokalen Akteuren, ganz zentral auf lokaler Ebene eben den Bürgermeister. Weil der auch Interesse hat, Bürgernähe zu zeigen und dann doch immer der Vorzeigeonkel ist bei allen möglichen Festen. Natürlich auch die Stadträte, am besten parteiübergreifend. Dass man parteiübergreifend zumindest einen Konsens hat zu den Verfahrensregeln, natürlich nicht zu jedem einzelnen Vorschlag, das ist klar. Und wo gerade der Bürgerhaushalt in Deutschland noch Potential hat und auch in der Zivilgesellschaft, die aber in den meisten Verfahren eher am Rande läuft oder nur so involviert ist und ihre Vorschläge auch. Und Sie müssen natürlich die Verwaltung überzeugen. Also gerade beim Bürgerhaushalt ist es ja so, dass nicht nur eine Stabsstelle die Bürgerbeteiligung macht, involviert ist, sondern eigentlich fast alle Bereiche der Verwaltung. Eben diese lokalen Akteure sind das wichtigste. Den finanziellen Spielraum, den man insgesamt hat, ist glaub ich, gar nicht das relevante. Ok, der finanzielle Spielraum, den Sie für das Verfahren selbst haben, das ist relevant. Aber es muss jetzt keine reiche Kommune sein, um einen Bürgerhaushalt durchzuführen. Wo man langfristig als Kommune hinkommen muss, ist, dass man nicht mehr nur so eine Projektorientierung hat. Hier gibts einen Bürgerhaushalt, an einer anderen Stelle wird über Konversionen gesprochen, an der nächsten Stelle gibts eine Befragung. Also ganz verschiedene einzelne Projekte, die aber untereinander kaum etwas miteinander zu tun haben. Es gibt keine Gesamtstrategie für Bürgerbeteiligung. […]

Michelle Ruesch (buergerhaushalt.org/ zebralog)

#00:02:39-8# Interviewer: Als erstes würde mich Ihre Rolle bei zebralog und beim Bürgerhaushalt interessieren.

#00:02:52-1# Befragte: Also ich bin seit November 2011 Projektleiterin bei zebralog. Zebralog hat sozusagen zweierlei Rollen: Einerseits ist es Dienstleister im Gebiet E-Partizipation, medienübergreifende Dialoge und gleichzeitig Berater. Dienstleister heißt: Wir haben Entwickler bei uns im Haus. Wir stellen dann diese Plattform bereit und wir organisieren z.B. Bürgerbeteiligungsveranstaltungen auch vor Ort. Und Beratung heißt, dass wir eben auch konzeptionell beraten, und nicht einfach nur die Software stellen. Wir machen im Endeffekt beides. Ich selbst habe einen Hintergrund in Politik und Kommunikation, habe meinen Master am LSE in London gemacht. Wir sind ja nicht so groß, d.h. meine Rolle bei zebralog ist recht vielfältig. Beim Thema Bürgerhaushalt habe ich z.B. gerade einen Bürgerhaushalt, den ich als Projektleiterin betreue in Maintal. Der ist auch gerade gestartet. Ich bin Chefredakteurin von der Seite buergerhaushalt.org. Das ist ein Informationsportal, das wir im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung und der Servicestelle Kommunen in der einen Welt machen. Die Servicestelle ist eine Unterabteilung von der Engagement Global, und diese Seite ist ein Kooperationsprojekt zwischen der bpb und SKEW. In dem Sinne, was Bürgerhaushalte angeht, eine Doppelrolle, weil wir im Auftrag dieser beiden Organisationen die Seite machen, aber gleichzeitig als Dienstleister eigenständig in dem Bereich auftreten.

#00:04:56-3# Interviewer: Sie haben jetzt Frankfurt und Bonn moderiert?

#00:05:01-7# Befragte: Genau, richtig. Verschiedene Verfahren habe ich schon moderiert. Köln war jetzt nicht dieses Jahr, sondern vor einem Jahr. Frankfurt, Bonn, Maintal werde ich moderieren. Und sonst eben nicht nur Bürgerhaushalte, sondern andere Verfahren habe ich auch schon moderiert, also z.B. gibt es in NRW diese Open-NRW- Strategie und da haben wir zwei Projekte gemacht mit dem Wissenschaftsministerium in Nordrhein-Westfalen. Das eine war "besser studieren in NRW", das war ein Konsultationsprozess für Studierende zum Bologna-Prozess, wo

108 Studierende befragt wurden, was ihre Erfahrungen bisher sind, was nicht so gut läuft, was besser laufen könnte, also alles online. Das zweite Projekt war eine Gesetzeskonsultation. Da wurde ein Eckpunktepapier online gestellt zu einem neuen Gesetzesentwurf von einem Hochschulgesetz, das das Wissenschaftsministerium in NRW novellieren möchte. Da konnte man direkt am Dokument, am Papier sozusagen, online seine Kommentare abgeben.

#00:06:29-1# Interviewer: [...] Ein Unterschied wäre dann quasi, dass Bürgerhaushalte themenoffen sind und man da sozusagen alles anbringen kann, und diese anderen Geschichten sind relativ textgebunden, so dass man einen engeren thematischen Rahmen hat?!

#00:07:12-2# Befragte: Genau. Man hat natürlich auch eine konkreter Zielgruppe. Das muss man vielleicht auch sagen, dass es schwierig ist, über Beteiligungsverfahren online allgemein zu sprechen. Also da gibt es natürlich ein paar Grunddinge, die überall wiederkehrend sind, aber es hängt halt auch viel vom Thema und der Zielgruppe ab, was sich da dann abspielt.

#00:07:34-6# Interviewer: Das wäre für mich durchaus interessant. Sie haben jetzt beides schon gemacht. Was gibt es da für Unterschiede?

#00:07:52-2# Befragte: Da kann ich vielleicht zwei Dinge zu sagen. Beim Bürgerhaushalt ist es insofern schwieriger, die Leute anzusprechen, sowohl was Öffentlichkeitsarbeit angeht als auch, was die Onlineplattform angeht, weil man eben keine konkrete Zielgruppe hat. Man will ja eben alle ansprechen. Und das macht es natürlich schwierig. Wenn ich mal von uns als Dienstleister für Onlineplattformen ausgehe, da allein beim Design oder der Nutzerfreundlichkeit wirklich etwas zu finden, mit dem alle sich zufrieden geben können. Ältere Menschen mögen vielleicht Tabellen mehr, jüngere stehen eher auf ein tolles Design und Lockerheit, aber das wiederum ist verwirrend für ältere Zielgruppen. Das ist also nicht so einfach. Auch von der Sprache her ist es so, dass man beim Bürgerhaushalt irgendwie alle ansprechen muss und das ist eine hohe Erwartungsleistung. Das ist bei anderen konkreteren Verfahren natürlich einfacher. Z.B. bei der Gesetzeskonsultation war natürlich klar: Das richtet sich an Menschen mit zumindest Fachhochschulabschluss. Und das ist ein bestimmtes Niveau, was man voraussetzen kann. Das macht es in dem Sinne einfacher. Sie hatten ja auch Interesse, über Moderation etwas zu erfahren: Was meine persönliche Erfahrung beim moderieren ist, ist, wenn man eine Zielgruppe hat, die sich sehr gewandt und gut ausdrücken kann, macht es das Moderieren nicht unbedingt einfacher, weil es natürlich schwieriger ist, Spielregelverstöße wirklich aufzudecken. Also da kommen dann ganz oft z.B. Beleidigungen oder irgendwelche rassistischen Bemerkungen, aber so gewandt formuliert, dass man fast nichts hat, um es irgendwie anzugreifen. Während bei Bürgerhaushalten eher meistens der Fall ist, dass man es da wirklich mit dem Normalbürger zu tun hat. Der sagt geradeheraus, was er denkt und benutzt dann irgendwelche Schimpfwörter, bei denen für die Moderation klar ist: Ok, das müssen wir sperren oder zumindest kommentieren. Und da hatten wir bei der Hochschulgesetzeskonsultation auch größere Probleme, weil die Leute intelligent sind und sich gut ausdrücken können und dann vieles eher durch die Blume sagen, wo man als Moderator etwas entwaffnet ist, weil man nicht so eine klare Grenze ziehen kann.

#00:10:49-9# Interviewer: Wurde dem dann unterschiedlich begegnet? Dass man das bspw. technisch anders umsetzt?

#00:11:06-7# Befragte: Ja, man kann natürlich was machen mit der Registrierung. Man kann sich entscheiden, ob die Registrierung Pflicht sein soll, um z.B. Vorschläge abzugeben oder Kommentare, oder ob jeder mitmachen darf. Bei Bürgerhaushalten machen wir es meistens so, dass Registrierung Pflicht ist, wenn man einen Vorschlag oder eine Bewertung oder einen Kommentar abgeben möchte. Bei Vorschlägen sagen wir manchmal noch, dass auch Gäste das machen können, aber bei Kommentaren, weil da öfter mal mit Beleidigungen zu rechnen ist, und bei Bewertungen, weil Missbrauch sonst nicht unbedingt verhindert werden kann... Aber bei der Gesetzeskonsultation war es auch für Gäste möglich, zu kommentieren. Wir hatten das mit dem Hintergrund gemacht, dass wir gesagt haben: Na gut, dass ist jetzt eine sehr gebildete Zielgruppe, die werden da eher Fachkommentare abliefern und sich weniger gegenseitig beleidigen, aber es war dann schon doch auch so, dass die Moderation noch ein bisschen was zu tun hatte. Das war gar nicht unbedingt so, wie wir uns das gedacht haben. Das ist natürlich auch wichtig - gerade in so einem kleineren Kreis - dass man anonym sich beteiligen kann, weil man sich sonst vielleicht gar nicht beteiligt. Also ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, der sich dann um seinen Job Sorgen machen muss, wenn man erkennen kann, dass er das geschrieben hat, der würde natürlich niemals offen Kritik üben im Internet. Und das war dann gewährleistet. Was ich vielleicht auch noch dazu sagen kann und was eine Erfahrung, die wir bei dieser Gesetzeskonsultation gemacht haben, ist, dass auch das Format, wie man ein Beteiligungsverfahren online aufzieht, sehr stark abhängig ist von der Zielgruppe. Wir hatten bei dem Verfahren eine Umfrage und gleichzeitig diese direkte Kommentierungsmöglichkeit am Gesetzesentwurf, also am Eckpunktepapier. Die Umfrage wurde sehr stark kritisiert, weil sie nicht repräsentativ ist, weil nicht sichergestellt ist, dass Personen nicht mehrmals mitmachen usw. Selbstkritik: Das würden wir so wahrscheinlich nicht nochmal machen, weil es eben dieser wissenschaftliche Kontext ist und da sehr viel Wert auf Repräsentativität und diese Dinge gelegt wird. Allerdings haben wir dann bei der Auswertung der Ergebnisse festgestellt, dass die Umfrage vor allem

109 Studenten mitgemacht haben, die Kommentierung am Papier eher die tatsächlichen Experten, also die Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter der Universitäten, also diejenigen, die das Gefühl hatten, sie können dazu wirklich was sagen. Hätten wir die Umfrage nicht geschaltet, hätten sich wahrscheinlich viele Studierende gar nicht eingebracht, weil sie, gehe ich mal von aus, vielleicht dachten: Na gut, ich habe nicht genug Experten Knowhow, um so ein Eckpunktepapier zu kommentieren, aber die Umfrage kann man mal ausfüllen. Also es war ganz interessant, wie unterschiedliche Zielgruppen durch unterschiedliche Formate angesprochen wurden.

#00:14:40-9# Interviewer: Woher wussten Sie, wer sich da so beteiligt? Wurden durch die Registrierung bestimmte Sachen abgefragt?

#00:14:48-9# Genau. Man muss allerdings dazu sagen, das war freiwillig. Wir können das nicht hundertprozentig bestätigen. Es ist allerdings so, dass man bei der Umfrage freiwillig angeben konnte, welchen Hintergrund man hat, wie alt man ist, ob man weiblich oder männlich ist usw. und das sind natürlich Zeichen in eine Richtung. Allerdings haben wir diese Daten nicht von allen. Und das Gleiche bei der Kommentierungsfunktion: Da konnte man wie gesagt auch als Gast teilnehmen. Dann musste man natürlich gar nichts angeben. Ich war selbst auch bei der Auswertung der ganzen Kommentare beteiligt - die Auswertung ist auch im Internet einsehbar - und durch das Lesen der Kommentare war es auch schon relativ eindeutig, dass diese Personen, die da kommentiert haben, größtenteils sich sehr gut ausgekannt haben im universitären Umfeld. Viele haben dazu geschrieben direkt schon: Ich bin Dozent an der soundso Uni. Da konnte man es schon so ein bisschen erkennen. Aber wir haben dazu keine ganz konkreten Daten.

#00:16:09-8# Interviewer: Und wenn Sie das nochmal machen würden, würden Sie dann etwas ändern? Z.B. weil man erkannt hat, dass manche Dinge nicht so gut funktioniert haben?

#00:16:28-2# Befragte: Ich würde es das nächste mal tatsächlich mit Registrierung machen, weil das einfach ein großer Kritikpunkt war bei dem Verfahren, dass man nicht wirklich nachvollziehen konnte, ob das vielleicht nur zwei Personen sind, die sich da die ganze Zeit einbringen. Und bei der Umfrage bin ich ein bisschen zwiegespalten. Auf der einen Seite: Die Ergebnisse haben schon gezeigt, dass da ein großes Interesse bestand, dass man diese Umfrage ausfüllen kann und sich so beteiligen kann. Ich würde sie allerdings, glaube ich, ein bisschen wissenschaftlicher aufziehen. Einfach weil das ein wissenschaftliches Umfeld ist und noch ein bisschen mehr an die Zielgruppe anpassen. Vielleicht auch zusammenarbeiten mit einer Universität.

#00:17:13-6# Interviewer: Solche Abstimmungen sind wahrscheinlich leichter zu manipulieren als bei Argumenten. Das Argument bleibt ja. In Jena ging es um ein Fußballstadion, da haben sich auch viele organisiert, obwohl das in der Gemeinde als Ganzes nur ein mittelmäßig interessantes Thema war.

#00:17:51-2# Befragte: Das ist natürlich ein allgemeines Problem. Ich will es gar nicht Problem nennen. Es ist einfach ein Merkmal von allen Beteiligungsverfahren - und das gilt online genauso wie offline - dass Menschen, denen ein Thema besonders wichtig ist, natürlich die Möglichkeit haben, andere zu mobilisieren, und dann vielleicht überrepräsentiert sind auf einer Plattform oder auch einer Bürgerversammlung. Und dann der Eindruck entsteht, dass alle Bürger das denken, aber es sind natürlich eigentlich nur wenige. Das Problem besteht immer. Aber aus dem Grunde sind diese ganzen Beteiligungsverfahren, diese freiwilligen Beteiligungsverfahren, über die wir hier jetzt eigentlich sprechen, alle eher konsultativ. Es gibt ganz wenige direktdemokratische Verfahren in Deutschland, einfach, weil das rechtlich nicht möglich ist. Und eben genau aus diesem Grunde: Dass die Politiker sozusagen die Funktion, die Vorschläge der Bürgerschaft sich anzusehen und nochmal danach zu bewerten, ob sie denn wirklich dem Gemeinwohl dienen, oder ob das jetzt Lobbyismus einer kleinen Gruppe war. Also ich seh da jetzt für die Zukunft, was das angeht, schon auch noch Verbesserungspotential. Bei den Bürgerhaushalten haben wir oft das Problem, dass eine kleine Gruppe sich stark für etwas ausspricht und die Politik dann sagt: Das können wir nicht umsetzen, mit der Begründung: Ja, das war ja jetzt auch nur eine kleine Gruppe. Die Bürger sind natürlich enttäuscht, denn sie haben sich so stark eingebracht, und das wurde jetzt der Top Nr.1 Vorschlag auf der Seite - in Frankfurt war das der Fall mit dem Stadthaus z.B. - und dann wird es eben doch nicht durchgesetzt von der Politik. Und natürlich steht dann der Vorwurf im Raum: Warum fragt ihr dann die Bürger nicht wenigstens nochmal ganzheitlich? Ich kann mir vorstellen, dass in Zukunft solche Verfahren noch vielmehr angedockt werden an direktdemokratische Möglichkeiten. Dass es sozusagen eine Art Vorselektion ist, oder eine Art von Hörgerät für die Politik, um zu verstehen, was für Dinge sind vielleicht wichtig oder auch umstritten in der Bevölkerung, und dann zu ausgewählten Themen, die z.B. in die Bestenliste bei einem Bürgerhaushalt gekommen sind... wenn die Politik sich da nicht einig ist, bevor man sagt, man setzt es nicht um, es nochmal an die Bürgerschaft zu geben und nochmal einen Bürgerentscheid zu machen oder irgendetwas in der Art. Es ist ja schon so, dass man so eine Bürgerhaushaltsplattform gut nutzen kann als so eine Art von Hörgerät oder Stimmungsbarometer oder so, wo man erkennen kann, was ist den Leuten wichtig, worüber wird diskutiert in der Stadt, worüber sind sich sie Menschen vielleicht selber uneinig - das kann man ja in den Kommentaren und auch bei den Bewertungen sehen - und wo sollte die Politik vielleicht mal nachhaken und das dann nicht mehr nur wieder mitnehmen in ihr stilles

110 Kämmerchen und dann dort entschließen, sondern weiter mit den Bürgern zusammenarbeiten und dann doch noch eine repräsentative Befragung machen.

#00:21:14-4# Interviewer: Und vielleicht dann auch online und offline zu koppeln?

#00:21:13-8# Genau.

#00:21:16-3# Interviewer: Manche Probleme sind scheinbar gar nicht online spezifische. Dass es diejenigen sind, die eh schon politisch aktiv sind, die sich dann da auch beteiligen, ist womöglich keine große Neuigkeit.

#00:21:46-3# Befragte: Darauf kann ich vielleicht noch kurz eingehen. So mit Beginn der E-Partizipation gab es ja einen großen Hype: Das Internet wird alles revolutionieren, und es werden alle mitmachen. Und aktuell erleben wir ja jetzt eher - gerade auch bei Bürgerhaushalten - eher so einen Enttäuschungseffekt. Oh, die Leute machen ja gar nicht mit, nur weil es jetzt dieses neue Medium gibt. Auch in der E-Partizipationsszene und auch von den Dienstleistern her erleben wir einen Wandel. Wir z.B. sprechen oft von open participation, also offener Partizipation, und nicht mehr von E-Partizipation. Weil unserer Meinung nach dieser Fokus auf "E" und online misleading ist, nicht zielführend ist. Das Hauptkriterium der Partizipationsangebote sollte sein, dass sie offen sind. Und das Internet ist natürlich ein tolles Medium dafür, dass es offen ist, weil es sehr transparent ist, weil alle mitmachen können, und gleichzeitig ist es trotzdem so, dass das Internet natürlich auch ausgrenzende Eigenschaften haben kann für Menschen, die keinen Zugang haben z.B. Deswegen sprechen wir mittlerweile immer öfter von open participation und konzentrieren uns jetzt mehr darauf, dass wir z.B. Verfahren, wo Bedarf dafür ist, medienübergreifend machen, d.h. Offline- und Online-Angebote verknüpfen, so dass das Verfahren so offen ist wie möglich für alle verschiedenen Zielgruppen, die damit angesprochen werden sollen. Gerade beim Bürgerhaushalt ist natürlich wichtig, weil man jeden erreichen möchte, auch Vor-Ort- Veranstaltungen anzubieten, vielleicht Partizipation per Postkarte. Die Postkarten gehen aber wiederum online zu so einem zentralen Hauptkanal, der online wäre, auch im Sinne der Transparenz, um zu sehen, welche Vorschläge eingegangen sind. Das wird dann alles trotzdem alles auf einer zentralen Onlineseite abgebildet, aber es ist auch möglich, vor Ort oder mit klassischen Medien zu partizipieren.

#00:24:07-1# Interviewer: Ein Argument der partizipatorischen Euphorie, die das Internet ausgelöst hat, war ja auch die Kommunikationsmöglichkeit untereinander, was zu höherer Responsivität und Interaktivität führt. Kann man da sagen, dass die Leute das nutzen? Dass bspw. bestimmte Vorschläge aktiv diskutiert werden oder ist es eher so, dass jeder einmal seine Meinung hinterlässt?

#00:24:37-5# Befragte: Da kann man schon sagen: Eine Diskussion findet auf jeden Fall statt. Sie ist oft hitzig, nicht ganz sachlich. Aber das ist vielleicht wichtig, weil so wird nunmal diskutiert, auch vor Ort würde so diskutiert werden, auch in einer Bürgerversammlung. Da entstehen schon Diskussionen. Da entsteht schon ein PingPong zwischen den verschiedenen Meinungen und den verschiedenen Menschen. Das ist natürlich auch wertvoll für die Verwaltung und für die Politik, wenn die sich da mal so ein bisschen reinlesen, dann noch weiterführende Hinweise zu diesem Vorschlag zu erhalten, verschiedene Meinungen. Es ist wirklich wie so ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Meinung bzw. der Meinung der Teilnehmenden, so muss man es ja eigentlich formulieren, weil die sind ja nicht repräsentativ. Aber Diskussionen entstehen da schon, ja.

#00:25:31-6# Mich würde noch interessieren, wie so etwas weitergehen kann. Wenn man davon ausgeht, dass die digitale Spaltung abnimmt und die Leute mehr verstehen, dass das Internet solche Interaktivitätspotentiale bietet, wie kann sich das weiterentwickeln?

#00:26:18-0# Befragte: Ich glaube erstmal, dass der Trend weiter in Richtung open participation geht. Partizipation mit dem Hauptmerkmal der Offenheit. Und daraus resultiert dann, dass mehr Partizipationsverfahren nicht nur online sein werden, sondern auch vor Ort und das es verknüpfende Elemente gibt, verschiedene Medien genutzt werden. Ich glaube auch, dass weiterhin dieser Hype abnehmen wird. Ich glaube, dass ein gesunder Realismus entstehen wird, dass das Internet auch einfach ein weiteres hilfreichen Medium ist, aber nicht unbedingt dazu dient, die Politikverdrossenheit der Menschen oder Politiker- oder Parteienverdrossenheit zu mindern. Ähnliche Faktoren, die man in der Wissenschaft gefunden hat, warum Menschen sich nicht politisch beteiligen offline gelten auch für Onlinepartizipation. Und ich glaube, dass das ganze Verfahren online läuft, ist manchmal so eine Deckmantelkritik: Die Leute machen nicht mit, weil sie sich nicht beteiligen können, weil sie nicht im Internet sind. Vor-Ort-Veranstaltungen schließen auch viele Menschen aus. Menschen, die zu diesem Zeitpunkt arbeiten müssen, die keinen Babysitter haben. Wer kommen möchte, der kommt, also wem es besonders wichtig ist. Zu den Beteiligungszahlen, ob die weiter steigen werden, das glaub ich, hängt viel davon ab, wie es weiter geht mit dem politischen Interesse, oder dem Glauben der Bürger, etwas bewirken zu können mit solchen Verfahren. Und das wiederum hängt ein bisschen von der Politik ab, was die jetzt aus den bisher stattfindenden Beteiligungsverfahren macht. Wenn die Bürger jetzt wiederholt enttäuscht werden, glaube ich, dass das

111 ein Problem wird, weil irgendwann keiner mehr mitmacht, weil man nicht mehr dran glaubt, dass man damit irgendetwas verändern kann oder sich wirklich in der Politik integrieren kann oder irgendwas sagen kann dazu. Wenn das Gefühl entsteht, dass diese Verfahren ernst gemeint sind, und der Wille zur Bürgerbeteiligung nicht nur um der Bürgerbeteiligung Willen da ist, sondern um die Bürger tatsächlich mehr zu integrieren in politische Entscheidungen, dann kann ich mir vorstellen, dass mehr und mehr Personen mitmachen. Das Argument läuft parallel zu Wahlbeteiligung. Die Frage: Wird sich die Wahlbeteiligung erhöhen in den nächsten Jahren? Da würde ich, glaube ich, auch sagen: Ja, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass das, was die Politiker sagen, gehalten wird, könnte ich mir das vorstellen. Aber wenn dieses Gefühl nicht entsteht, dann glaube ich, ist es schwieriger. Und achso, was man natürlich auch noch dazu sagen muss, ist, dass natürlich auch von der Verwaltungsseite aus wichtige Voraussetzungen weiterentwickeln müssen. Also, für die Verwaltung ist das Internet ein sehr schnelles Medium und es ist gar nicht so einfach, das in Verwaltungsabläufe zu integrieren. Und das ist eine der zentralen Herausforderungen aktuell. Wenn man die überwinden kann, dass wirklich so ein Bürgerhaushalt in den Verwaltungsablauf integriert ist, dann kann ich mir auch vorstellen, dass es eine Zukunft für dieses Format gibt. Wenn der Bürgerhaushalt aber eher so abseits von dem läuft, was die Verwaltung macht, dann kann ich mir vorstellen, dass es nicht besonders zukunftsträchtig ist.

#00:30:32-1# Interviewer: Hat es im Moment eher so den Status, dass man es mal probiert und guckt, was dabei herauskommt, aber nicht in den politischen und administrativen Alltag eingebunden hat?

#00:30:47-8# Befragte: Genau. In vielen Städten, mit denen wir zusammenarbeiten, ist der Wille da. Aber es ist tatsächlich nicht so einfach. Es sind natürlich jahrelang gewachsene Routinen und Zuständigkeiten, die es so gibt in der Verwaltung. Die Haushaltsaufstellung ist ein Prozess, der seit Jahrzehnten eingeübt ist. Da jetzt was im Prozess selbst was zu ändern und z.B. ein Monitoring einzubauen, d.h. dass jemand sich erinnert: Ach, dieser Vorschlag, der wurde doch beim Bürgerhaushalt eingebracht. Wir setzen den jetzt um. Also geben wir auf der Online Plattform zurück: Dieser Vorschlag wird jetzt umgesetzt. Bis es dahin kommt, dass es soweit integriert ist, das ist, glaube ich, noch ein kleiner Weg. Wir machen in jetzt in Maintal z.B. so eine Monitoringplattform und erleben, dass es jetzt wirklich... Maintal möchte das auf jeden Fall, aber es ist einfach gar nicht so einfach von den Abläufen. Man muss einfach seine Verwaltungsgewohnheiten umstrukturieren und dafür auch bereit sein.

Wolfgang Lieb (NachDenkSeiten.de)

#00:00:18-6# Interviewer: Die Nachdenkseiten habe ich zunächst ja gar nicht berücksichtigt bei meinen Überlegungen, weil es bei Ihnen keine Kommentarfunktion gibt, aber immerhin gehören Sie zu den meistgelesenen Blogs in Deutschland und Sie werden sich sicherlich etwas dabei gedacht haben, nehme ich an?!

#00:01:50-8# Befragter: Albrecht Müller und ich haben vor zehn Jahren angefangen, wir sind ja keine digital natives, sondern gehören ja der älteren Generation an, in einer Phase, als wir beide publizistisch tätig waren. Ich hab journalistisch gearbeitet, Vorträge gehalten, nachdem ich aus dem Beruf ausgeschieden bin. Bei ihm war es ähnlich. Wir hatten uns schlicht und einfach mal ausgetauscht. [...] Ich halte etliche Vorträge und die Leute fragen dann immer: Kann ich das Redemanuskript haben? Dann habe ich das immer kopiert und verschickt. Dann sagt er, er hätte da einen jungen Mann getroffen, der hätte gesagt: Warum stellt ihr euer Zeug nicht einfach ins Internet? Dann könnt ihr darauf verweisen. Also haben wir damals diese Webseite gemacht. D.h. wir hatten im Prinzip gar nicht die Absicht, zunächst mal einen sogenannten Blog zu machen, sondern wir haben das nur als Verteilinstrument für Zeitungsbeiträge oder für Vorträge oder sonst was betrachtet. Thematisch haben wir eine Lücke erwischt, denn das Ganze wuchs wider unserer Erwartung und wir hatten einfach sehr viele Zugriffe, mehr und mehr. Wir haben dann auch sehr viel Post bekommen per Mail und wir haben uns dann auch überlegt: Wenn man so einen Blog macht, müsste man auch so ein Forum machen. Wir haben aber festgestellt, dass damals so soviel an zusätzlicher Information oder viel an Kritik gar nicht einging. Und das zweite Element war: Wir haben ja diese Geschichte nur zu zweit gemacht, und wir sind ja dazu übergegangen, täglich etwas zu liefern. D.h. wir waren arbeitsmäßig ziemlich stark eingespannt. Jetzt noch ein Forum zu haben, was man zwingend moderieren muss, das konnten wir schon bei unseren Mails sehen - das sage ich Ihnen mal vertraulich - man kriegt da ja teilweise Mails auch aus den politischen Lagern, mit denen man lieber nix zu tun hätte. Oder man hat viele Leute, die einfach nur ihren Zorn ablassen. Sowas in ein Forum zu stellen, da hätte man relativ schnell die Netiquette verloren. Da haben wir gesagt, wir haben schlicht und einfach keine Luft, neben der Arbeit, die wir für die Nachdenkseiten machen, da permanent ein Forum zu moderieren. Dann haben wir gesagt, das bringt uns keinen so großen Zusatznutzen, dass wir diesen Aufwand betreiben wollen. Wir sind dann eigentlich auch bestätigt worden. Zu uns stieß ja hinzu der Jens Berger, der kam ja vom Spiegelfechter und der hat ein Forum. Der Jens Berger

112 ist bei uns jetzt angestellt, der bekommt ein Redaktionsgehalt, aber er stellt seine Beiträge immer, jedenfalls so als Anreißer, auch auf den Spiegelfechter. Und wir konnten dann auch beobachten, wie entwickeln sich beim Spiegelfechter die Kommentare über seine Beiträge, die er dann auch für die Nachdenkseiten schreibt. Das hat uns eigentlich in unserem Urteil bestätigt, dass der Zugewinn, den man über ein Forum inhaltlich und in der Sache gewinnt, gemessen an dem, was uns Leute per Mail schreiben, marginal ist. Und wir haben auch den Eindruck, dass Leute, die eine Mail schreiben, sich mehr Gedanken machen als diejenigen, die einfach was in ein Forum reintippen. Das ist meistens sehr spontan, außerdem kann man ja beobachten, dass diese Diskussionen zum Teil sich völlig verselbständigen. Die gehen ja voll von dem Thema weg, dass beispielsweise mit einem bestimmten Artikel angerissen worden ist. Sondern die streiten sich dann unter sich, oder räumen Missverständnisse aus. Das können Sie ja mal beobachten, wenn sie dieses Forum im Spiegelfechter verfolgen. Es hat eigentlich gar nichts mehr mit dem Thema zu tun, mit dem sich der Artikel beschäftigt hat. [...] Wir machen ja täglich die "Hinweise des Tages", eine Art kritische Presseschau. Da können Sie ja immer wieder sehen, dass wir dazu Kommentare und Anmerkungen machen, und die schreiben uns ja Leute, die uns beispielsweise einen Tip auf diesen Beitrag, den wir in den Hinweisen eingestellt haben, gegeben haben und ihn kommentieren. Und sie geben sich dabei richtig Mühe, in der Sache zu argumentieren, und werden dann bei uns auch aufgenommen, und das animiert sie offenbar, das auch regelmäßig zu tun. Also wir haben viele Leute, die wir persönlich gar nicht kennen, also jemand namens Orlando Pascheit, oder ich will die jetzt gar nicht alle nennen, weil viele Leute gar keinen Wert darauf legen. Die geben sich richtige argumentative Mühe, sich beispielsweise mit einem bestimmten Zeitungsartikel oder einer bestimmten Studie auseinanderzusetzen. Sowas haben wir im Forum beim Spiegelfechter nie erlebt, dass da wirklich Leute sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen, sondern da kommen Bemerkungen, Anmerkungen, Kritik, flapsige Bemerkungen. Aber es ist selten ein ernsthafter Debattenbeitrag dabei. Die kriegen wir aber nahezu täglich, und zwar mehrfach über Mails, und die sind dann auch wirklich ernst zu nehmen und man kann sich mit ihnen auseinandersetzen. Vielfach ist es auch so, dass wir von Leuten Mails bekommen, wo sie einen sachlichen Beitrag leisten, aber herzlich darum bitten, bloß namentlich nicht genannt zu werden, weil sie in einer beruflichen Stellung sind, wo sie das nicht so gerne haben, dass die Informationen, die sie uns gegeben haben, in ihrem beruflichen Umfeld bekannt werden. Insofern sind wir ein Stück weit ein (unverständlich). Viele Artikel - das kommt nicht mehr so oft vor, aber immer wieder mal - da sagen uns Leute: Hier habt ihr einen Vermerk, macht daraus einen Artikel, aber macht den bitte unter eurem Namen und nicht unter meinem Namen, weil ich dort und dort beschäftigt bin und - ich nehm jetzt mal Arbeitsagenturen oder so - die wollen natürlich nicht bekannt werden. Die haben auch recht, wie man an dem Fall Hannemann sieht, dass sie sich nicht kritisch äußern gegenüber ihrem Arbeitgeber. Das hat ja dann auch manchmal Konsequenzen, wie man erkennen kann. Das heißt im Resümee: Wir sehen den Aufwand, ein Forum zu betreuen, gemessen am Nutzen, für nicht angemessen an. Uns ist es lieber, die Leute schreiben uns vernünftige Mails als dass wir die Mühe haben, da ein Forum zu betreuen. Das kann man so als Fazit sagen.

#00:10:35-8# Interviewer: Es gibt also tatsächlich Leute, die sich Mühe geben. Finden Sie es nicht schade, dass die Debatte nicht so ganz öffentlich ist? Wäre ja schön, wenn sich die Leute daran beteiligen könnten. Oder ist es einfach so, dass sich die Leute explizit äußern, dass sie diesen Weg einem Forum vorziehen?

#00:11:11-7# Befragter: Also ein Großteil der Leute sagt: Bitte, ich gebe Ihnen diese und jene Informationen und die sind gesichert, aber bitte nennen Sie unsere Namen nicht. Nicht einmal als Kürzel. Wir recherchieren natürlich nach, wenn das brisante Informationen sind, denn wir können uns natürlich nicht erlauben, irgendwelche Sachen ins Netz zu stellen, wo wir anschließend eine Unterlassungsverfügung bekommen. Es gibt ja heutzutage diese zivilrechtliche Zensur - so muss man sie ja nennen -, wir haben ja auch schon zahlreiche Unterlassungsverfügungen ins Haus bekommen von Rechtsanwälten. Bislang haben wir Gott sei Dank jede gewonnen. Wir recherchieren nochmal nach und prüfen die Informationen bzw. gucken, dass wir die journalistische Tugend einer Doppelinformation weitgehend einhalten, wenn es irgend geht. Manche Sachen kann man natürlich nicht nachrecherchieren, aber bislang haben wir jedenfalls keine Probleme damit gehabt, wenn wir diese Informationen ins Netz gestellt haben, auch wenn es sehr mächtige Institutionen sind. Hoffentlich bleibt es so. Die Leute würde sich in einem Forum ja gar nicht äußern. Auch nicht unter irgendeinem Nicknamen. Die schreiben uns, weil sie an der Sache interessiert sind, weil ihnen das Thema wichtig ist, und denen geht es nicht darum, in einen Disput mit irgendwelchen anderen Leuten zu treten, sondern die treten sozusagen mit uns in einen Disput, und ergänzen oder kritisieren unsere Position bzw. schreiben zu einem bestimmten Thema ergänzend zu dem, was wir im Netz stehen haben, mit zusätzlichen Argumente etwas hinzu. Da gäbe es, wie soll ich sagen, gar keinen Bedarf. Die Leute wollen gar nicht in ein Forum eintreten. Die wollen auch nicht in einen Dialog mit anonymen Leuten treten, sondern die treten in einen Dialog mit uns als "sachliche Gesprächspartner".

#00:13:36-2# Interviewer: Kommen auch kritische Stimmen, die argumentativ aufgebaut sind, und mit denen man sich auseinandersetzt?

#00:13:44-0# Befragter: Ja klar. In unserer Rubrik "Hinweise des Tages" z.B. - ich hab da jetzt irgendwas zu Obama geschrieben - da hat sich ein Amerikaner gemeldet und hat mich mit dem Artikel kritisiert. Daraufhin habe ich

113 selbstverständlich in den Hinweisen des Tages nochmal den Link gesetzt zu dem Artikel: Dazu hat uns Herr Soundso dieses und jenes angemerkt und den Artikel in verschiedenen Punkten in der Sache kritisiert. Das machen wir auch. Wir halten uns da an die Prinzipien der New York Times. Wenn wir auch nur ein Komma oder eine Zahl falsch gesetzt haben, dann korrigieren wir die, das ist ja selbstverständlich. Das gehört ja sozusagen zur journalistischen Tugend dazu. Also der Response ist da. Es ist ja nicht umsonst, dass wir am Tag 150 bis 200 Mails bekommen. Die Leute wissen ja, dass wir sie ernst nehmen. Von daher haben wir da ganz selten Klagen. Es gibt immer mal wieder jemanden, der schreibt: Warum haben Sie kein Forum? Und dann schreiben wir zurück ungefähr das in Kürze, was ich Ihnen erläutert habe und da gabs auch nie Beschwerden.

#00:15:24-3# Interviewer: Was mich ja auch interessiert ist die Zeitdimension. Die Leute sind ja mehr und mehr im Netz unterwegs und da entsteht vielleicht sowas wie Medienkompetenz...

#00:15:44-0# Befragter: Da muss ich Ihnen gestehen: Da werden Legenden aufgebaut. Ich habe unlängst einen Mediensoziologen gehört und ich kann Ihnen das raussuchen. Es gibt relativ wenig junge Leute, die politische Blogs besuchen. Die besuchen andere Blogs, kann man an den Blogcharts ja auch ablesen. Beispielsweise wo über Internetfragen oder technische Details oder über neue Apps (unverständlich) wird. Die jüngere Generation geht ins Netz, wenn sie konkret nach einem bestimmten Thema sucht, sie geht aber nicht ins Netz, um sich kontinuierlich zu informieren. Da sind wir in einer ähnlichen Rolle wie die Zeitungen. Wir haben ja eine kontinuierliche Berichterstattung und das ist nur ein geringer Teil der jungen Leute, die eine kontinuierliche Berichterstattung mitverfolgen. Wir haben ja eine Leserumfrage gemacht, wo sich 10.000 Leute zurückgemeldet haben. [...] 87 Prozent unserer Leser sind männlich, leider nur 13 weiblich. Unter 30 sind es 11 Prozent, 30-45 28 Prozent, 45-60 37 Prozent und sogar die Nicht-Internet- Generation über 60 haben wir 23 Prozent. Wir haben 61 Prozent mit einem Hochschulabschluss, 18,4 mit Abitur, 14 Prozent mit Realschule. Wir haben 16 Prozent mit einem Haushaltseinkommen unter 10.000 Euro, 30 Prozent mit einem Haushaltseinkommen von 10.000-30.000, 30.000-50.000 verdienen 28 Prozent, und 50.000-100.000 immerhin auch noch 23 Prozent. Also man muss es leider so sagen: Ja, studentisches Publikum. Das hängt damit zusammen, dass ich mich häufig mit bildungs- und hochschulpolitischen Fragen beschäftige. Wir haben sehr sehr viele Hochschulangehörige, auch aus diesem Grund. Wir haben sehr viele Leute aus den Gewerkschaften, Vertrauensleute und Betriebsräte, die uns vor allem an unseren Hinweisen des Tages interessiert sind. Im Prinzip sind es eigentlich so Multiplikatoren, also Pfarrer, Lehrer, Sozialkundelehrer und und und. Das ist unser Publikum. Die nehmen uns - und das bekommen wir auch mitgeteilt in zahllosen Mails - als eine zusätzliche und ergänzende Informationsquelle. Nicht als ein Diskussionsforum.

#00:19:45-6# Interviewer: [...] Kriegt man mit, welche Themen bei Ihnen am meisten Resonanz auslösen?

#00:21:00-3# Befragter: Wenn wir das wüssten, dann würden wir wahrscheinlich noch mehr Publikum ziehen. Wir hatten ja jetzt diese Snowden Geschichte drin mit zwei Artikeln, einem von Jens Berger und einem von Albrecht Müller. Das an einem Tag. Da hatten wir 96.000 Zugriffe plötzlich. Man kann so sagen: Bei aktuellen Geschichten, also wenn wir Montag den Spiegel auseinander nehmen oder wenn wir irgendeine Schlagzeile von der Bildzeitung verarbeiten, dann schnellen die Leserzahlen hoch. Das hängt wahrscheinlich mit facebook und der viralen Kommunikation zusammen. Also dass da Leute sagen: Da ist irgendetwas spannendes. Oder wenn wir was über Jauchs Talkrunde am Sonntag machen oder so, das kommuniziert sich dann innerhalb der Gemeinde relativ schnell durch und da ist wohl das Zurufsystem der Bringer. Aber es ist ganz schwierig, zu beurteilen oder vorab zu erkennen, welches Thema nun also richtig reinhaut. Wenn wir das wüssten, dann wären wir (Lachen) viele Schritte weiter. Das kann man gar nicht generalisieren. Manchmal ist man überrascht, welche Beiträge nun besonders hohen Zugriff erfahren, manchmal wundert man sich, dass man eigentlich ein spannendes Thema hatte, aber da sind die Zugriffe dann relativ moderat. Es ist ganz schwierig zu taxieren.

#00:23:00-2# Interviewer: Ihr Blog dient ja vornehmlich der Information. Was mich interessiert, ist eben auch der umgekehrte Fall, also wie die einzelnen NutzerInnen und LeserInnen mit solchen Medien umgehen. Was können solche Onlinebeteiligungsverfahren leisten und wo stoßen sie an Grenzen? Vielleicht eine Einschätzung von einem, der kein digital native ist...

#00:24:04-2# Befragter: Was das Internet natürlich bietet, das ist evident: Es ist die einzige Möglichkeit, ohne dass man viel Kapital zu besitzen braucht, die Vermachtung der veröffentlichten Meinung ein Stück weit durchbrechen zu können. Das Potential ist sicherlich da. Faktum ist natürlich, dass Deutschland im Prinzip noch ein Blog- Entwicklungsland ist. In unserem Nachbarland Niederlande werden Blogs viel häufiger frequentiert, oder in den USA werden auch Blogs auch viel häufiger frequentiert. Hängt sicherlich auch mit der Medienlage in den USA insgesamt zusammen, aber in Deutschland kann man durchaus noch sagen, dass es ein Blog-Entwicklungsland ist. Außerdem ist das Problem der Blogs - ich habe gerade mit einem Kollegen gesprochen, der betreibt den Blog Post von Horn - es gibt eine ungeheuer große Zahl von Blogs, und es ist für den Einzelnen relativ schwierig, sich da durchzuwühlen, sag ich

114 mal. Es ist auch für den einzelnen Blog ziemlich schwierig, dauerhaft Besucher bei sich zu behalten. Z.b. erzählte mir der Autor Ulrich Horn: Wenn ich mal drei Tage nichts drin habe, dann bricht die Besucherzahl wieder drastisch ein und es dauert dann Tage, bis ich sie wieder aufgebaut habe. Bei uns ist sicherlich auch eines der Kernelemente, warum wir eine relativ hohe Bindung an unsere Leserinnen und Leser haben, dass wir eben ein tägliches Angebot haben. Es ist auch so, dass wir werktäglich viel häufiger besucht werden als am Wochenende. Wir werden auch viel stärker tagsüber besucht als am Abend, weil wir wie gesagt offenbar für viele Leute sozusagen eine ergänzende Informationsfunktion haben. Es gibt ja viele Leute, die sagen, Blogs sind nicht viel mehr als ein Meinungsrauschen. Blogs sind eigentlich kein Faktor der öffentlichen Meinungsbildung, das sind Kanäle, auf die bestimmte Leute zugreifen, die sie ab und an besuchen, aber es gibt keine kontinuierliche Meinungs- und Inhaltsberichterstattung wie das beispielsweise bei den ganz gewöhnlichen Medien der Fall ist. Deswegen bin ich selbst auch skeptisch, dass man mit Blogs oder mit dem Internet eine tatsächliche Gegenöffentlichkeit gegenüber den etablierten Medien aufbauen kann. Man kann ein bisschen Sand ins Getriebe streuen, man kann Anstöße geben, man kann Material liefern für den klassischen Journalismus, das ist bei uns häufig der Fall, kriegen wir jedenfalls immer mitgeteilt. Wir geben Anstöße für Recherchen für viele Journalisten. Es gibt viele Journalisten - das wurde mir unlängst wieder gesagt - wenn die um zehn ins Büro kommen - die sind ja nicht so früh dran morgens - dann gucken sie halt erstmal bei den Nachdenkseiten, um zu gucken, was könnte man heute für ein Thema wählen bzw. welche Argumente, wenn man einen Artikel schreiben muss, ergänzend oder kritisch aufgreifen oder mit welchen Argumenten könnte man sich noch zusätzlich auseinandersetzen. Also insofern hat man natürlich eine gewisse Anstoßwirkung. Man hat auch eine gewisse, ich nenn es schon fast stigmatisierende Wirkung. Eines unserer medialen Konzepte besteht ja darin, dass wir beispielsweise bestimmte Studien nicht nur inhaltlich kritisieren, sondern immer danach fragen, wer hat die Studie in Auftrag gegeben, welche Interessen stehen hinter den Auftraggebern. Denn das ist nach dem Echo, das wir erfahren, ein wichtiges Element, dass die Leute an bestimmte Studien oder Veröffentlichungen von bestimmten Personen Zweifel aufbauen. Also wenn z.B. ein Herr Raffelhüschen über die Rente berichtet, dann wissen die Leute durch unsere Informationen, dass Herr Raffelhüschen ein Wissenschaftler im Dienste der Versicherungswirtschaft ist. Das relativiert dann halt das, was er sozusagen in seinen angeblichen wissenschaftlichen Studien veröffentlicht. Viele Leute sagen uns, sie sind herzlich dankbar, dass sie jetzt endlich erfahren, wer eigentlich der Auftraggeber bzw. wo der Interessenbezug dieser Autoren steht. Dadurch kann man ggf. auf Dauer mehr erreichen, als wenn man immer nur sachlich und fachlich argumentiert und mit einer Studie auf der wissenschaftlichen Ebene auseinandersetzt. Denn das ist nur Impuls gegen Impuls. Aber wenn man weiß, mit wem man es zu tun hat, dann klärt man viele Leute mehr auf als dass man es mit dem Austausch von Fakten könnte. Ich will ein Beispiel nehmen: In die Talkshows kommen ja immer die selben Figuren. Die werden dann als Experten eingeführt. Früher wurde z.B. nie hinzugefügt, dass jemand Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist. Inzwischen ist das Gott sie Dank, sicherlich vielleicht auch ein Stück weit mit Hilfe von uns, üblicher, nicht üblich, aber üblicher geworden, dass man wenigstens die Leute in das Lager verortet, wenn man sie vorstellt, von dem sie kommen. Also solche Elemente sind natürlich über Blogs möglich, die sonst nicht möglich gewesen wären, oder von den Medien selbst nicht aufgegriffen worden wären.

#00:31:07-0# Interviewer: Wenn der angesprochene Herr dankbar ist, dass da jemand für die Versicherungswirtschaft tätig ist, dann muss der trotzdem erstmal auf Ihren Blog kommen...

#00:31:24-1# Befragter: Der weiß ja, was wir ihm sozusagen regelmäßig anbieten. 87 Prozent unser täglichen Benutzer sind tägliche Benutzer. 12 Prozent zweimal in der Woche. 74 Prozent besuchen unseren Blog sowohl wegen der Hinweise des Tages, als auch wegen der Artikel. 61 Prozent lesen nur oder üblicherweise die Hinweise des Tages.

#00:32:25-3# Interviewer: Was war das für eine Umfrage?

#00:32:25-3# Befragter: Wir haben auf unserer homepage unseren Lesern einen Fragebogen zugeschickt, und den konnten sie uns dann zurückmailen.

#00:32:41-2# Interviewer: Das würde ein bisschen erklären, warum es so viele tägliche Leser gibt in der Statistik.

#00:32:41-2# Befragter: Natürlich. Da machen wir uns nichts vor. Aber wie gesagt, das ist immerhin ein Siebtel unserer Zugriffe täglich. Natürlich sind das die Leute, die sozusagen affin sind, das ist selbstverständlich, das wissen wir auch schon einzuschätzen. Aber es gibt ein Signal an, es gibt eine Richtung an.

Jens Berger (Spiegelfechter.com)

115 #00:02:49-2# Interviewer: Sie haben den Spiegelfechter ja schon eine Weile laufen und Sie betreiben ja auch eine Kommentarfunktion, und da würde mich interessieren, was da so passiert und wie sich das über die Zeit vielleicht auch verändert hat.

#00:04:08-9# Befragter: Der Spiegelfechter hat ja als relativ kleines Blog angefangen. Das hatte ich nebenbei als Journalist gemacht. Und da war der Rückkanal auch wichtig. Logisch, zunächst einmal als Bloggeranfänger überhaupt mal mitzubekommen, dass man gelesen wird. (Lachen) Das geht wahrscheinlich ziemlich vielen kleinen Bloggern so. Das ist ja die einzige Möglichkeit, die man überhaupt hat, um eine Rückkopplung zu bekommen, und um feedback zu bekommen. Da sind die Nachdenkseiten natürlich in der privilegierten Situation, dass wir bekannt sind und wissen, dass wir gelesen werden (Lachen), und auch über die Emails relativ viele Sachen bekommen. Dann wars beim Spiegelfechter auch anfangs so, und in kleinerem Maßstab ist das auch heute noch so, dass halt über diesen Rückkanal Leserkommentare, dass da natürlich auch jetzt nicht nur konstruktives feedback kommt, sondern auch Tips. Tips zu den Artikeln selber, zu den Themen, aber auch Tips über die man dann auf neue interessante Themen gestoßen ist, über die man dann schreiben konnte. Sozusagen waren die Leser in der Form dann auch Informanten, Tipgeber. Es ist natürlich auch immer so, dass dieser Rückkanal ein Korrektiv ist. Wenn man beispielsweise, vor allem bei Meinungsartikeln natürlich, Positionen formuliert, die ihre Schwächen haben, ist das ein sehr guter Rückkanal, um diese Schwächen aufzudecken und dadurch auch zu lernen.

#00:06:08-5# Interviewer: Wo haben Sie vorher eigentlich geschrieben?

#00:06:11-9# Befragter: Als freier Journalist für diverse Zeitungen, für den öffentlich-rechtlichen. Da gabs natürlich gar keinen Rückkanal. Jetzt hier bei den typischen Onlinezeitungen wie beispielsweise telepolis, für die hatte ich auch ziemlich viel gemacht, bei denen gibts ja typisch diese heise-Foren, die gleichzeitig Fluch und Segen sind (Lachen). Da halten sich konstruktive und destruktive Kritik immer die Waage. Und ich denke mal, gerade so für jüngere Kollegen ist dieser Kommentarbereich da in der Form, zumindest in solchen Medien dann auch eher destruktiv generell.

#00:07:01-1# Interviewer: Haben Sie das Gefühl, dass sich das über die Zeit verändert hat?

#00:07:08-4# Befragter: Ja, es hat sich verändert, und sogar massiv. Und zwar durch zwei Faktoren: Der erste Faktor ist natürlich die Bekanntheit des Blogs. Die kuschelige Wohnzimmeratmosphäre ist dadurch natürlich verloren gegangen, es kamen immer neue Kommentatoren hinzu, und die, vor allem wenn man sich mit diversen Gruppierungen oder Denkrichtungen anlegt, zieht man, ob man will oder nicht, eben immer Leser aus diesen Gruppierungen an, auf dem Blog ordentlich dagegenhalten wollen. Was einerseits im Sinne der Diskussion und der Meinungspluralität gar nicht schlecht ist, bloß kommt es dann auf die Kommentatoren an, inwieweit es denen überhaupt um eine offene Diskussion geht. Meistens ist das nämlich nicht der Fall. Beispielsweise diese Leute aus der rechten Ecke, so politically-incorrect Leser usw., die sind natürlich ganz klar gepolt, um da Krawall zu schlagen. Da kommen wir gleich zu dem Thema Moderation. Das ist natürlich das Kunststück überhaupt, solche Kommentarbereiche so zu moderieren, dass das Ganze nicht irgendwie in die komplett destruktive Ecke gerät (Lachen). Ich vergleiche das immer - es gab ja mal aus dem soziologischen Bereich von dem New Yorker Bürgermeister diese broken windows Theorie. Ich meine, in der Soziologie ist das Schwachsinn. Sprich: Wenn in einer Umgebung alles schön hergerichtet wird, dass die Leute sich dann besser benehmen und weniger kriminell werden. Das ist soziologisch, aber das kann man, denk ich, sehr gut auf Kommentarbereiche von Blogs übertragen. Wenn man erstmal einmal gestattet, dass irgendwelche Trolls und Provokateure, dass die da ihr Beinchen heben, das zieht irgendwie magisch andere Störenfriede an. Und deshalb ist es da, so hab ich die Erfahrung gemacht, das Beste, dass man da klare Kante zeigt und dann auch härter moderiert.

#00:09:38-9# Interviewer: Was heißt das?

#00:09:38-9# Befragter: Aussperrt. Das ist dann das letzte Mittel, was man hat. Und da haben wir es geschafft beim Spiegelfechter, dass es noch halbwegs einen konstruktiven Dialog gibt, obwohl der von der inhaltlichen Qualität längst nicht mehr so ist, wie er früher mal war. Gut, das ist halt der Masse geschuldet. Es ist halt so, dass Leute, die qualitativ etwas zur Diskussion beizutragen haben, dass die das natürlich vornehmlich in einem Umfeld machen, in dem auch auf einem gewissen Niveau diskutiert wird.

#00:10:13-8# Interviewer: Haben die sich dann auch zurückgezogen?

#00:10:11-8# Befragter: Ja, haben sich viele zurückgezogen, ja.

#00:10:17-4# Interviewer: Ich habe jetzt gerade nicht ganz mitbekommen, wie Moderation aussieht. Löschen? User

116 Sperren?

#00:10:26-2# Befragter: Löschen. User sperren, ja. Obwohl das User sperren technisch nicht so ganz einfach ist, da es relativ leicht umgangen werden kann. Wer technisch versiert ist, der wird das immer unterlaufen können. Aber man hat ja schon seine Mittel, z.B. IP sperren, Cookies auslesen. Aber wie gesagt, wer das wirklich will, der kann das umgehen.

#00:10:50-6# Interviewer: Wie kann man bei Ihnen teilnehmen? Durch Registrierung?

#00:10:53-8# Es muss sich registriert werden. Bei mir ist so die Einstellung, dass wer einmal einen Kommentar verfasst hat, der genehmigt wurde, dass der ohne Moderationsschlange auch kommentieren kann.

#00:11:08-1# Interviewer: Und das war von Anfang so?

#00:11:10-0# Befragter: Von Anfang an war sogar generell offen. Das war auch weniger wegen Störenfrieden, sondern wegen Spammern, die die Spamfilter unterlaufen haben. Das ganze ist automatisiert und das ist dann schon ne ganz schöne Arbeit, wenn man über Nacht da tausend Kommentare reinbekommt mit Spam, die manuell dann zu löschen. Da ist es halt besser, eine etwas höhere Zugangsschranke zu legen.

#00:11:36-1# Interviewer: Und wenn sie gar nicht moderieren würden...

#00:11:39-5# Befragter: Dann würde das Ganze komplett außer Rand und Band laufen. Kennen Sie vielleicht diesen Blog MM News? Das ist ein ehemaliger Finanzjournalist Michael Mors. Ich meine, der Inhalt ist auch unterirdisch, aber die haben so eine komische Kommentarpolitik, das sie alles zulassen. Und dementsprechend haben sie zu jedem Artikel 600 Kommentare, die allerdings allesamt nur Schrott sind. Der Betreiber freut sich, wenn er damit Werbeeinnahmen generieren kann, aber das ist natürlich für den Ruf des Blogs sehr schädlich.

#00:12:27-8# Interviewer: Ich kann mich daran erinnern, dass Markus Beckedahl auf Netzpolitik sich auch mal sehr frustriert über die Diskussionskultur auf seinem Blog geäußert hat. Er will trotzdem nach wie vor die Zugangshürden bewusst so gering wie möglich halten.

#00:13:03-0# Befragter: Da stimme ich mit ihm ein bisschen überein, aber bei ihm wird sicherlich auch ein Hauptgrund sein - das ist auch bei den Nachdenkseiten definitiv so - dass man natürlich erkennt, wenn man viele Leser hat und im Fokus steht, dass das auch sehr viel Arbeit macht bzw. bei den Nachdenkseiten machen würde, so etwas ordentlich zu moderieren. Und gerade so eine Benutzerverwaltung für den Spiegelfechter kommt auch nicht in Frage, weil es zuviel Arbeit machen würde. Prinzipiell können so etwas vielleicht irgendwelche Medienseiten machen, die dafür extra Personal haben, aber so als Blogger oder Bloggerkollektiv ist das eigentlich nicht zu stemmen von der Arbeit. Da kommt man ja zu nichts anderem mehr. So ist das beim Spiegelfechter so - das ist auch der Grund, warum ich es eher habe schleifen lassen, dass die ständige Moderation und Betreuung der Kommentatoren, dass das viel zu viel Zeit in Anspruch nimmt.

#00:14:03-1# Interviewer: Würden Sie sagen, dass es wichtig ist, dass der Autor da Rückbezug nimmt und die Leute das Gefühl haben, dass Sie sich auch anhören, was da passiert?

#00:14:19-4# Befragter: Ja, das ist so ein bisschen das Problem: Basisdemokratie gegen den gütigen Diktatoren (Lachen). Und für das Diskussionsklima in einem Blog ist tatsächlich paradoxerweise das Beste, wenn das alles nicht basisdemokratisch funktioniert, sondern wenn man da einen gütigen Diskussionsleiter hat, dem allerdings auch alle Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Bloß das hängt dann davon ab, ob er wirklich Meinungspluralismus duldet, ob er wirklich gütig ist oder ob er sich im Endeffekt als Tyrann herausstellt. Das merken die Leser ja dann relativ schnell.

#00:15:01-3# Interviewer: Blogs sind ja persönliche Geschichten, wo man sagen kann, dass da der Inhaber die Oberhand über das Ganze hat. Bei Massenmedien ist das ja vielleicht ein bisschen anders, weil sich das die Journalisten ja nicht unbedingt ankreiden lassen wollen.

#00:15:49-8# Befragter: Das Ganze ist ja völlig intransparent, hat aber auch seine guten Gründe.

#00:15:58-5# Interviewer: Ich frage mich ja: Was bringt das überhaupt, dass sich im Internet alle beteiligen können. Im Internet findet many-to-many Kommunikation statt und die Leute können untereinander bestimmte Sachen diskutieren. Bei der Welt oder so wird gerne mal was gepostet, was den Leuten auf der Seele brennt, und dann sind sie nie wieder gesehen. Bei Ihnen finden ja immerhin Diskussionen statt, kann man festhalten.

117 #00:16:33-2# Befragter: Das ist schon besser als bei der Welt, ja. (Lachen)

#00:16:41-8# Gibt es Themen, bei denen es besonders heiß hergeht?

#00:16:53-8# Befragter: Grundsätzlich sind das Themen der Kategorie: Da kann jeder was zu sagen. Nehmen wir mal als Beispiel: Rauchverbote in Kneipen. Das sind so typische Themen, da geht es richtig heiß her. Zumal - wenn man es mal aus politischen Ecken definiert - es da auch innerhalb der politischen Ecke, die man eigentlich so zu den Stammlesern zählt, auch grundverschiedene Positionen gibt, während dann bei den großen politischen Themen dann halt innerhalb der eigenen politischen Ecke doch ein gewisser Meinungskonsens vorherrscht und dadurch nicht so eine sonderlich hitzige Debatte entbrennen kann. Andere Themen wie das Thema Gender z.B., da kann man schon mit 500 bis 1000 Kommentaren rechnen. Und es gehören natürlich auch Themen dazu, bei denen es Kommentatoren gibt, die radikalisiert sind. (Lachen) Da gehören die eben genannten beiden Themen definitiv auch dazu. D.h. wenn das mal ins Verhältnis setzt: Der Spiegelfechter bspw. hat so im Schnitt 5000 bis 8000 Leser am Tag, von denen vielleicht, wenn ich das mal so grob schätze, 100 kommentieren. Und gerade Leser, die bei gewissen Themen radikalisiert sind, die vorher noch nie kommentiert haben, die fühlen sich gerade bei solchen Themen dann geradezu gezwungen, dazu dann auch ihren Senf dazu zu geben. Das sind dann natürlich Sachen, die sehr hitzig und sehr rege debattiert werden.

#00:18:47-8# Interviewer: Konstruktiv?

#00:18:47-8# Befragter: Naja, wenn zuviel Radikalität drin ist, dann eher weniger konstruktiv. (Lachen)

#00:18:52-7# Interviewer: Wissen Sie etwas über die Leute, die bei Ihnen schreiben und kommentieren?

#00:18:56-8# Befragter: Einige schon, aber eher wenige. Vielleicht ein gutes Dutzend der Kommentatoren, die habe ich auf die eine oder andere Weise auch irgendwann mal kennengelernt.

#00:19:09-2# Interviewer: Das sind wahrscheinlich auch nicht unbedingt die troublemaker, oder?

#00:19:09-9# Befragter: Nein nein, das sind nicht die troublemaker.

#00:19:16-5# Interviewer: Was mich noch interessieren würde, wäre Ihre Einschätzung, wie es mit der Einbindung von Lesern und Leserinnen weitergehen kann. Es gibt ja schon einen Trend zu mehr Beteiligung, nur dass man momentan vielleicht eher in einem Status ist, wo man den Leuten den Brocken sozusagen erstmal einfach nur hinwirft.

#00:19:43-9# Befragter: Da sehe ich Parallelen zur Entwicklung der Piratenpartei, die auch angefangen haben, das auf eine komplett basisdemokratische Ebene zu stellen und dann irgendwann festgestellt haben, dass das so nix wird, dass man damit Leute anzieht, die man eigentlich gar nicht haben will. Eben weil sie nicht konstruktiv an der Debatte teilnehmen können, und die dann auch irgendwann erkannt haben, dass es besser ist, dass man da gewisse Regeln einführt, auch, die dann diesem Ideal der ungefilterten Diskussion für alle zuwiderlaufen. Was auch vollkommen richtig ist, denn ansonsten wird das Ganze von irgendwelchen Elementen, die das wissentlich oder unwissentlich, das gibt es ja auch, torpedieren.

#00:20:43-0# Interviewer: Die vielleicht auch gar nicht an einer Diskussion interessiert sind?

#00:20:47-4# Befragter: Vielleicht das. Vielleicht allerdings auch auf Grund ihrer charakterlichen Voraussetzungen nicht imstande sind, eine ordentliche Diskussion zu führen. Das mag ja auch sein, und bei vielen wird das auch so sein, dass das halt Leute sind, die gewisse radikale Positionen vertreten und es überhaupt gar nicht gelernt haben und nicht imstande sind, eine ordentliche Diskussion zu führen. Da sie im real life geschnitten werden, zieht diese Leute das Internet und offene Diskussionsplattformen magisch an. Denn da meinen sie dann, dass sie irgendwas wichtiges beizutragen haben und die anderen müssen halt darunter leiden.

#00:21:33-0# Interviewer: Was wären denn so Regeln, die das verbessern könnten?

#00:21:34-4# Befragter: Dass auf jeden Fall eine Moderation durchgeführt wird, jeweils von Leuten, die sich mit der Thematik auskennen und die halt nicht nur nach Netiquette, sondern auch inhaltlich filtern können. Die bspw. auch erkennen, dass ein Kommentator eine bestimmte Denkrichtung vertritt, die mit der Diskussion, wie sie geplant ist, nicht mehr so viel zu tun hat und irgendwie unweigerlich auf den falschen Weg führen wird. Nur um mal ein Beispiel zu nennen: Ich schreibe ja sehr viel über volkswirtschaftliche Fragen. Und da gibts es ja so, nennen wir sie mal die Zinskritiker. Das sind Leute, die bei jeder volkswirtschaftlichen Frage das Ganze dann darauf runterbrechen, dass der Zins das Übel an sich ist, bei allen wirtschaftlichen Themen. Gut, da kann man mal drüber diskutieren, habe ich auch

118 bei den Nachdenkseiten und beim Spiegelfechter Artikel über dieses Thema geschrieben. Unter diesem Artikel beim Spiegelfechter konnte man selbstverständlich auch diskutieren. Bloß wenn man Leute hat, die bei jedem Artikel aus dem weiteren Themenbereich Volkswirtschaft genau wieder diese Diskussion anschlagen wollen, die sich teilweise auch ganz gut ausdrücken dabei und von einem Moderator, der im Themenbereich nicht so fit ist, sicherlich dann auch für konstruktive Diskutanten gehalten werden. Da besteht die Gefahr, dass solche Diskussionen irgendwann ins destruktive abgleiten bzw. eine Privatveranstaltung für gewissen Gruppierungen werden. Ich denke mal, das wird es in fast allen Bereichen geben, nicht nur im volkswirtschaftlichen. [...] Da gibt es die lustigsten Gruppierungen (Lachen). Irgendwelche Leute bspw., die der festen Überzeugung sind, dass Deutschland völkerrechtlich überhaupt gar nicht existiert und die machen das auch nicht aus Jux, sondern die sind fest davon überzeugt, dass sie die gottseligmachende Wahrheit gefunden haben, und müssen natürlich auch möglichst viele Leute daran teilhaben lassen. Mit solchen Leuten eine konstruktive Debatte zu führen, ist unmöglich.

#00:24:22-3# Interviewer: Wie wird es weitergehen bei Ihnen und den Kommentaren? Bleibt alles so, wie es ist?

#00:24:23-3# Befragter: Bei den Nachdenkseiten bleibt alles, wie es ist. Was irgendwann mal kommen wird, das ist eine parallele Plattform, auf der dann nicht nur die Artikel der Nachdenkseiten, sondern auch andere Themen debattiert werden können. Also so eine, heut würde man sagen social community Plattform, die an die Nachdenkseiten angekoppelt ist, aber dann halt doch getrennt ist. Direkt auf dem Blog Nachdenkseiten wird es das nicht geben.

#00:25:02-1# Interviewer: Also themenoffen? Z.B.: Diskutiert mal über Demokratie und Rechtsstaat oder so?!

#00:25:02-1# Befragter: Z.B., richtig. Das ist dann natürlich auch eine Finanzierungsfrage, denn wie ich eben schon sagte: Das kostet eine Menge Manpower, sowas zu moderieren. Da müsste man schon anderthalb Planstellen für sowas haben, und das muss natürlich finanziert werden. Das ist über die spendenfinanzierten Nachdenkseiten natürlich nicht möglich. Da müsste man sich dann Gedanken darüber machen, ob man eine social community, die neben den nachdenkseiten koexistiert, ob man die vielleicht werbefinanziert, aber das ist alles noch work-in-progress, das sind nur Gedankenspiele bislang. Aber was für uns feststeht, ist, dass das Ganze nicht ohne eine professionelle Moderation funktionieren kann, und auch ohne eine professionelle Moderation nicht gemacht wird. Letztendlich ist das nur eine Geld- und Budgetfrage, inwieweit sich das noch öffnet.

#00:25:58-8# Interviewer: Und beim Spiegelfechter?

#00:26:00-2# Befragter: Da wird das alles so bleiben. Ich habe ja jetzt auch einen Compagnon mit reingeholt, der sich auch noch ein bisschen darum kümmert. Nebenbei habe ich noch zwei Helfer, die das aus Spaß an der Freud ein bisschen moderieren. Die haben also vereinfachte Moderationsprivilegien, sprich die dürfen Beiträge löschen, aber mehr auch nicht. Und das funktioniert eigentlich ganz gut.

#00:26:32-8# Interviewer: Und so ein Bewertungssystem?

#00:26:34-9# Befragter: Das Problem des Bewertungssystems ist natürlich, dass diejenigen, die bewerten, rein quantitativ und nicht qualitativ... Da muss man ja im Grunde auf die Weisheit der Masse vertrauen, dass da auch die wertvollen (Lachen) Kommentare hoch bewertet werden, aber das ist ja nicht immer der Fall. Zumindest dann nicht, wenn man z.B. gerade im Fokus eines Shitstorms ist. Nehmen wir das Beispiel der Alternative für Deutschland, da hatte ich ja einiges drüber geschrieben, und wenn die mit ihren, ich glaub es sind mittlerweile 50.000 facebook fans, wenn die dann hinweisen auf einen Artikel vom bösen Spiegelfechter, der da irgendeinen Unsinn über die geschrieben hat, dann hat man natürlich einen Ansturm von Lesern, die gewisse Sachen anders bewerten als die Kernleserschaft es bewerten würde.

#00:27:32-4# Interviewer: Ich rede ja mit Leuten aus vielen verschiedenen Bereichen der Bürgerbeteiligung. Da mal zu gucken, was so spezifische Probleme und Chancen in den unterschiedlichen Teilöffentlichkeiten sind, ist so mein Anspruch.

#00:29:20-8# [...] Das kann man vielleicht mit Parallelen aus dem real life vergleichen. In meinem Wohnzimmer dulde ich bestimmte Sachen überhaupt nicht, während ich sie bei einer Diskussion in einer Kneipe bspw. dulden muss. Und wenn das Ganze dann demokratisch legitimiert sein soll, jetzt für Parteien oder kommunale Einrichtungen, dann muss das natürlich ganz besonderen Regeln folgen, bei denen keiner benachteiligt wird. Das sind natürlich ganz andere Grundvoraussetzungen. Der Spiegelfechter ist so eine Mischung aus Wohnzimmer und Kneipe. Da hat man noch die Legitimation, dass man selber undemokratisch ist, während das bei anderen Sachen natürlich gar nicht geht. Wenn ich jetzt ein Internetforum irgendeiner Partei moderieren müsste, das sind dann ganz andere Kriterien, an die man sich da halten muss, was ungleich schwerer ist.

119 Frank Porzky (Süddeutsche.de)

#00:00:19-9# Interviewer: Meine erste Frage wäre jetzt, was Ihre Rolle bei der Süddeutschen Zeitung ist, was Sie so machen und warum es diese Community gibt?

#00:01:19-8# Befragter: Ich bin Teil eines Community-Leser-Dialog-Teams hier im Hause. Wir sind so um die acht Leute. Wir kümmern uns hauptsächlich um die Leserbeiträge unter den Artikeln. Wir kümmern uns um die facebook- Seite der Süddeutschen Zeitung. Jetzt nicht um die ganzen Unterseiten, es gibt ja SZ Müchen und SZ Sport und sonst was und die ganzen Regionalausgaben. Süddeutsche Zeitung Magazin und Jetzt.de haben wir auch nichts mit zu tun. Dann kümmern wir uns noch um die GooglePlus-Seite und überwachen das Geschehen bei Twitter. Wir generieren nicht die Tweets, die werden von den Autoren immer gleich selber produziert, wenn sie die Artikel produzieren, aber wir schauen, dass da alles passt und schauen uns die messages an, ob irgendwelche Fragen aufkommen oder Fehlerhinweise oder solche Sachen. Und wir bekommen natürlich viele Emails über die Feedbackfunktion bei den Artikeln, wo man Kontakt zur Redaktion anwählen kann. Ab und zu ruft auch mal jemand an, aber eher seltener. Wir sind quasi so die Schnittstelle zwischen Leser und Redaktion. Wir leiten die Mails auch weiter an die entsprechenden Redakteure.

#00:03:13-5# Interviewer: Wie ist denn eigentlich so das Verhältnis von Nachrichten, die per Mail eingehen, und solchen im Forum?

#00:03:30-4# Befragter: Ich habe jetzt keine Mailzahlen im Kopf. Es kommen vielleicht in der Stunde fünf bis 10 Mails. Und Beiträge über das Forum bekommen wir am Tag so zwischen 1200 und 1500, aber das kann auch mal mehr sein.

#00:04:05-9# Interviewer: Gibt es eigentlich einen Grund, diese Community zu haben, neben der Leser-Blatt-Bindung?

#00:04:20-4# Befragter: Wir empfinden das schon als große Bereicherung. Mir hat neulich ein User geschrieben: Oftmals sind die Kommentare spannender als der Artikel. Ich mein, ganz so sehen wir das natürlich nicht, aber es ist schon viel gutes dabei. Die Zeiten, wo im Haus noch der Eindruck vorgeherrscht hat: Das ist ja alles Pöbelei, die Leute kotzen sich da aus in den Artikeln, darüber sind wir schon längst hinweg. Wir haben eine gute Moderation und inzwischen sehr vernünftige User, die verstehen, dass wir ausschließlich an sachlich formulierten und inhaltlich relevanten Beiträgen interessiert sind und die auch zu schätzen wissen. Von daher gibt es da immer schöne Zusatzinformationen über den Artikel hinaus und auch viele Anregungen, was weitere Recherche angeht. Gerade im Fall Mollath z.B. gab es da viele Hinweise aus der Leserschaft. Das macht einfach die Seite viel lebendiger und auch für die alteingesessenen Blattjournalisten ist es eine tolle Art des direkten unmittelbaren feedbacks, das einfach viel stärker ist viel zahlreicher als früher mit den klassischen Leserbriefen, die es natürlich immer noch gibt. Aber es geht jetzt schon viel schneller und ist viel mehr natürlich.

#00:05:54-5# Interviewer: Ich habe herausgehört, dass die Qualität sich verbessert hat. Können Sie sagen, woran das liegt?

#00:05:57-1# Befragter: Zum Einen liegt es vor allem an der Moderation. An dem, was man in der Vergangenheit hat durchgehen lassen. Da verziehen sich manche Leute schonmal auf andere Seiten, wenn sie merken: Ah, mit meinem Zeug komm ich hier eh nicht durch auf Süddeutsche.de. Zum Anderen natürlich auch mit der Vormoderation - das hängt damit eng zusammen - die wir seit geraumer Zeit auf der Seite ausschließlich haben, also dass wir gar nichts mehr direkt online gehen lassen, sondern alles erst prüfen. Und wir auch den Lesern feedback geben, warum ihr Beitrag gesperrt wurde. Das kann man natürlich nicht immer, aber wir versuchen es größtenteils, zu sagen, warum was gelöscht wurde. Und auch zu loben, wenn ein Beitrag besonders gut gefallen hat. Bzw. haben wir ja diese Rubrik: Unsere Empfehlungen. Neben den Leserempfehlungen, die auch möglich sind, eben auch Redaktionsempfehlungen ausgesprochen werden können. Das freut natürlich die User und motiviert sie auch.

#00:07:09-0# Interviewer: Kann man sagen, dass sich eine Kernleserschaft herausgebildet hat?

#00:07:20-9# Befragter: Die gibt es auf jeden Fall. Es gibt auch immer wieder neue spannende Leute, aber es gibt auf

120 jeden Fall einen festen Kern von guten wie auch von schlechten Leuten. Manche wollen es auch nie lernen (Lachen) und begleiten einen trotzdem weiterhin, aber es gibt auf jeden Fall einen Kern, ja.

#00:07:43-4# Interviewer: Wissen Sie was über die Leute, die bei Ihnen teilnehmen?

#00:07:45-8# Befragter: Auf Süddeutsche.de gibt es die Möglichkeit im "Südcafé" - so nennt sich das - da kann sich jeder User eine Profilseite anlegen. Da kann man ein paar Vorlieben eintragen. Ehrlich gesagt wird das nicht mehr sehr gepflegt, sowohl von unserer Seite als auch von den Lesern. Von daher: Alles, was wir von den Lesern wissen, setzen wir uns so zusammen aus dem, was sie in den Beiträgen schreiben. Wir haben einmal den Verfasser des 1.000.000sten Beitrags eingeladen in die Redaktion. Von dem haben wir natürlich dann ein bisschen mehr erfahren Der hat an der Redaktionskonferenz teilgenommen und sich da auch rege eingebracht, das war sehr schön. Aber ansonsten wissen wir nicht so viel über die. Natürlich die statistischen Daten, sofern sie denn stimmen, wenn sie ihr Geburtsdatum und ihre Heimatstadt richtig angeben bei der Anmeldung, das wissen wir natürlich schon, aber im Alltag arbeiten wir damit nicht.

#00:08:54-3# Interviewer: Sie hatten ja kurz gesagt, dass die Moderation eine Antwort war darauf, was so aus dem Ruder gelaufen ist. Meine Frage dahingehend, wie sich das im Zeitverlauf so entwickelt hat?! Also welchen Problemen wurde wie begegnet und was hat das gebracht?

#00:09:23-3# Befragter: Ja, die Moderation ist sicherlich eine Reaktion auf die Sachen, die so geschrieben wurden und die Art, wie diskutiert wird. Ob viel untereinander gestritten wird, ob Redakteure angegangen werden.

#00:09:38-6# Interviewer: War das anfangs so der Eindruck? Dass man den Leuten das sozusagen erstmal zum Fraß vorgeworfen hat und dann schaut, was da passiert?

#00:09:41-5# Befragter: Auf jeden Fall. Ich bin schon von Anfang an dabei. Am Anfang war es komplett offen, auch nachts haben wir es laufen lassen und geschaut, was so reinkommt. Es hat sich dann bewusst in der Zeit was verändert. Es kam dann ja erst das wegweisende Urteil, dass die Betreiber der Seite auch für den Inhalt der Kommentare verantwortlich sind rechtlich. Alleine schon deshalb wurde mehr Wert darauf gelegt, dass da nichts justitiables darunter steht unter der Artikeln. Man musste auch erst ein Gefühl dafür kriegen, wie verhält sich der Leser überhaupt, wenn er so ein Forum bekommt, was er anonym nutzen kann. Das hat schon eine Weile gedauert.

#00:10:54-7# Interviewer: Und die Moderation hat den Ton gebessert?

#00:10:54-0# Befragter: Jaja, auf jeden Fall. Es ist eigentlich unvorstellbar mittlerweile: Ein unmoderiertes Forum auf einer Seite wie der unserigen. Dafür sind auch einfach die Themen viel zu heikel. Es gibt viele Leute, die auf der Seite unterwegs sind, die sich gegenseitig piesacken könnten, viel zu viel heikle Themen, und auch die rechtliche Lage erlaubt es nicht, das einfach so laufen zu lassen.

#00:11:18-5# Interviewer: Was wären denn so Themen, wo man weiß, dass es bestimmt zur Sache geht?

#00:11:23-7# Befragter: Natürlich die, die auf der Hand liegen, auch für Außenstehende. Israel, Judentum, der Palästinakonflikt, oder witzigerweise, womit wir überhaupt nicht gerechnet hätten, Homöopathie. Wir haben den Artikel mit den meisten Beiträgen bei dem Thema Homöopathie. (Lachen) Also da gibt es sehr starke Meinungen in der Leserschaft. Keine Ahnung, ob die Leute da organisiert sind und sich zum Kommentare schreiben anstacheln. Dann beim Thema Mollath - ich weiß nicht, ob der jetzt so wahrgenommen wird über die Grenzen Bayerns hinaus. Jetzt fällt mir natürlich weniger ein, als es sollte. Natürlich politische Sachen in erster Linie. Oder auch Religion ganz groß. Egal ob Islam oder Christentum... wenn es um irgendeinen Missbrauch geht an einer katholischen Schule, bei solchen Sachen. Was weniger dramatisch ist, sind Sportthemen, egal ob Fußball oder Motorsport, das ist immer recht harmlos. Boulevardthemen sind auch nicht so...

#00:13:26-1# Interviewer: Haben Sie manchmal den Eindruck, dass sich Leute organisieren und gewissen Grüppchen bewusst...

#00:13:31-5# Befragter: Jaja, es gibt schon immer wieder merkbar solche Geschichten. Neulich gab es in München so eine Geschichte, wo Asylsuchende auf einem öffentlichen Platz in den Hungerstreik getreten sind, und sich da eben nicht wegbewegt haben. Und da hat man schon gemerkt, dass von beiden politischen Seiten getroffen haben in unserem Beitragsbereich. Oder klar, auch beim Thema Homöopathie (Lachen) . Z.B. bei Artikeln zur Alternative für Deutschland (AfD), da gibt es immer ganz stark die Mitglieder oder Supporter, die sich "engagieren", um bei Artikeln, die eher negativ gegenüber der AfD berichten, da Stimmung gegen den Artikel zu machen oder gegen den Autor auch. Es ist

121 schon manchmal auffällig. (unverständlich)

#00:15:16-8# Interviewer: Ich frage das ja alles vor dem Hintergrund, dass Leute sich durch das Internet einfacher beteiligen können und untereinander kommunizieren können. Ich frage mich eben, welchen Mehrwert das hat und wie die Leute das annehmen. Mich würde da Ihre Einschätzung interessieren, da Sie ja jeden Tag damit zu tun haben, was in Zukunft getan werden müsste, damit das noch besser funktioniert.

#00:16:24-1# Befragter: Ich habe ja vorhin schon darüber gesprochen, dass es auf jeden Fall eine Bereicherung für die Medienunternehmen ist bzw. für eine Zeitung, und auch eine viel schnellere und breitere Recherche anstößt oft, denk ich. Aspekte zur Sprache kommen oder recherchiert werden, die vorher gar nicht so im Fokus des Redakteurs waren. Ja, was es dem Einzelnen bringen kann, ist ja auch die Frage. Ich schreibe keine Beiträge und habe auch noch nie Leserbriefe geschrieben. Es ist schon toll, wahrgenommen zu werden und gehört zu werden, wenn man sich die Mühe gemacht hat, und einen sinnvollen sachlichen Beitrag geschrieben hat, der auch befruchtend sein kann geistig, wenn man Reaktionen von anderen Lesern darauf erhält und in so einen Diskurs einsteigt. Ich denke, für die Zukunft ist es wichtig, dass so ein Forum klare Regeln hat, dass es moderiert wird, dass eben eine fruchtbare Diskussion ermöglicht wird. Ansonsten haben Störenfriede natürlich gute Karten, so eine Diskussion platt zu machen. Ich denke, wie jede gute Podiumsdiskussion oder Diskussion im realen Raum gehört Moderation dazu und jemand, der schaut, dass sich alle an einen sachlichen Ton halten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemals wieder aufhört oder nur ein temporäres Phänomen ist. Es ist ja nicht weiter im Wandel, aber es wird nicht mehr verschwinden, denke ich.

#00:18:41-6# Interviewer: Wenn man das also entsprechen begleitet mit einer Moderation, die sich da auch voll drauf konzentriert und nicht nur nebenbei...

#00:18:42-5# Befragter: Man brauch da schon Erfahrung und muss die Dynamiken kennen, wie sich Diskussionen verzetteln, wer ein Troll ist und wer nur mal kurz schlechte Laune hat. Es herrscht bei vielen Lesern der Eindruck vor, die Praktikanten machen das nebenher so ein bisschen, sowohl die Artikel auf facebook erstellen als auch die Leserbeiträge moderieren, aber dem ist gar nicht so. Zum Einen ist es wahnsinnig viel Arbeit, wahnsinnig vielschichtig und je mehr Erfahrung desto besser.

#00:19:33-1# Interviewer: Was sind das für Sachen, wo die Moderation klassischerweise eingreift?

#00:19:36-2# Befragter: Beleidigungen der Protagonisten aus dem Artikel, Beleidigung der Autoren und Beleidigung anderer User. Das ist auf jeden Fall am häufigsten. So platte verbale Ausfälle. Bei uns ist es auch so: Wir sperren auch viel, was einfach nur mal kurz so... also ein Satz oder ein paar Worte einfach nur hingeworfen... selbst wenn es gar nichts schlimmes ist wie einfach: "Na endlich!" oder "Der gehört endlich mal entlassen"... das bringt die Diskussion nicht weiter und sowas verstehen wir jetzt nicht unter einem wirklichen Leserbeitrag. Deswegen sperren wir sowas auch schon zunehmend. Das ist schon so seit einem Jahr die policy, dass wir ein bisschen mehr Substanz erwarten als einfach nur "Hallelujah" oder so.

#00:20:55-3# Interviewer: Was muss man machen, um teilzunehmen?

#00:20:59-6# Befragter: Entweder auf Süddeutsche.de direkt registrieren oder mit einem facebook login auch auf unserer Seite Beiträge schreiben.

#00:21:08-3# Interviewer: Die Redaktion nimmt also tatsächlich Impulse auf, um neue Themen anzustoßen oder weiter in eine bestimmte Richtung zu gehen?

#00:21:20-9# Befragter: Auf jeden Fall. Es gibt natürlich nicht jeden Tag was, woraus ein neuer Artikel wird. Fehlerhinweise gibt es jeden Tag jede Menge. (Lachen) Die werden dann auch prompt weitergeleitet und bearbeitet. Aber inhaltlich gibt es immer wieder Anregungen, auf jeden Fall. Weil letzten Endes sitzen die wahren Experten in der Leserschaft. Ein Redakteur hat natürlich auch seine Steckenpferde, seine Fachgebiete, aber die wahren Nerds und die, die die Zahl wirklich bis auf die letzte Kommastelle wissen, oder vielleicht noch jemand anderes wissen, der in einer schmutzigen Sache mit drinhängt, die sitzen dann doch oft in der Leserschaft.

#00:22:10-7# Interviewer: Werden dann auch mal Leser versucht, zu kontaktieren?

#00:22:24-7# Befragter: Wenn ein Recherchehinweis oder etwas spannendes kommt, dann geben wir schon die Emailadresse, mit der sich der User registriert hat, an den Redakteur weiter und der wird sich dann über Email z.B. in Verbindung setzen. [...] Wir versuchen schon, die inhaltlichen Sachen über die Beiträge zu machen. Auch wenn uns jemand eine Mail schreibt, was eigentlich nur ein Diskussionsbeitrag ist, dann schreiben wir zurück: Bitte melden Sie

122 sich doch an und posten das unter den Artikel. Sonst wird es einfach zu unübersichtlich und zu viel mit den Mails. Die Diskussion soll schon in dem Beitragsteil stattfinden.

Maik Werther (Tagesspiegel.de)

#00:00:00-0# Interviewer: Wie sind Sie zum Tagesspiegel gekommen und was ist Ihre Rolle dort?

#00:00:00-0# Befragter: Also, ich bin da vor sechs Jahren so reingerutscht. Das ist ja kein Ausbildungsberuf, man konnte das auch nicht lernen oder so. Ich habe an der FU Musikwissenschaften und Geographie studiert und bin eher zufällig zum Tagesspiegel gekommen. Ich bin ja mittlerweile selber dafür zuständig, Leute anzugucken und festzustellen, was die so drauf haben und wenn ich ehrlich bin, hätte ich mich damals selber nicht genommen. Man wächst in die Rolle rein. Es ist Erfahrungssache, man muss ein Gefühl dafür bekommen, wie Diskussionen so verlaufen und wie sie sich entwickeln können. Wir moderieren ja alles vor bei uns, „die Zeit“ macht das anders, die moderieren im Nachhinein. Alles hat seine Vor- und Nachteile. Man muss halt berücksichtigen, dass es auch um juristische Fragen geht, denn der Betreiber kann haftbar gemacht werden für die Inhalte auf seiner Seite und da kann es schonmal passieren, dass dann der Presserat sich einschaltet. Das will man vermeiden. Und man muss da sensibel mit den Leuten umgehen, die täglich in der Community schreiben. Das muss man sich vorstellen, dass da einige den ganzen Tag ihre Zeit verbringen. Der Tagesspiegel hat in etwa 84.000 User, davon sind vielleicht 200 bis 300 Poweruser, die also sehr aktiv sind und sich mit dem Interface und allem sehr gut auskennen. Die merken sofort, wenn man da auch nur das geringste verändert. Sagen wir, ich komme zu Ihnen ins Wohnzimmer und stelle eine Lampe woanders hin, das würden Sie sofort merken. Naja, jetzt schweife ich ab...

#00:00:00-0# Interviewer: Hat sich im Laufe der Zeit so etwas wie eine Diskussionskultur entwickelt?

#00:00:00-0# Befragter: Nein, das würde ich nicht sagen. Der Umgang mit dem Medium Internet ist immer noch, wie soll ich sagen, das wird schon auch genutzt, um sich auf gut Deutsch mal auszukotzen. Es wird schon langsam besser, das merkt man schon, aber dass da so etwas wie eine Diskussionskultur entsteht, das würde ich nicht sagen, nein. Was man aber schon sagen kann, ist, dass es egal ist, ob jemand anonym teilnimmt oder nicht, das ändert an dem Gesamtbild eigentlich nichts.

#00:02:49-4# Was sind Gründe, warum die Moderation eingreifen muss?

#00:00:03-7# Weshalb wir am häufigsten löschen, sind traurige Klassiker: Rassismus, Beleidigungen, Antisemitismus, die wirklich klar ins Auge fallen. Was man auch nicht vergessen darf, dass so eine Seite nicht losgelöst von anderen Aktivitäten im Internet zu betrachten ist, d.h. man hat natürlich auch bei bestimmten Themen, z.B. wenn es um Artikel geht, meinetwegen ne kleine Kriminette, da steht gar nicht mal viel drin im Text, es wird erwähnt: In Neukölln, Straftäter wird nicht näher bezeichnet, ist für viele trotzdem schon klar: Ok, das muss ein Türke sein, weil dieses Bild für die schon vorgeprägt ist. Es gibt innerhalb des Internets auch viele Blogs, die sehr aktiv sind, ob es jetzt politically- incorrect ist oder irgendwelche anderen Blogs, die einfach eine klare Schiene fahren und auch sehr aktiv sind auf anderen Foren, ob das jetzt "Welt" ist, ob das "Süddeutsche" ist... und probieren, Themen entsprechend Ihrer Auslegung zu drehen. Wenn man Statistiktools bemüht, die klar machen, wo kommen die Referrer her, also der Zugriff von anderen Seiten, dass man merkt, dass bestimmte Themen versucht werden, in eine bestimmte Richtung zu drehen. Da müssen wir schon am häufigsten eingreifen, wenn man merkt, man hat ziemlich viel Fremdzugriff auf der Seite und wie sieht die Argumentation bei denen aus und probieren die die Debatte zu drehen hin zu hoch pauschalisierten und rassistischen Äußerungen.

#00:02:43-4# Interviewer: Fällt Ihnen ein Beispiel ein?

#00:02:47-5# Befragter: Da gibt es viele Beispiele. Das ist themenabhängig. Wenn man das eine Weile macht, dann stellt man fest, dass die Diskussionen viel kleiner sind, als man eigentlich denkt, also dass sich Diskussionsfäden einfach immer wiederholen und Argumente immer wieder aufgegriffen werden. Es ist natürlich klar... Da kann in einem Halbsatz einmal kurz der Islam auftauchen, dann hab ich gleich ganz viele Leute auf der Seite, die von irgendwelchen anderen Blogs rübergewandert sind. Oder irgendwelche Kriminetten. Oder vor einer Woche aktuell diese Sarrazin- Debatte. Dadurch, dass der ja von der UN - ein Interview in der La Monde Diplomatique, war das glaube ich - als rassistisch eingestuft wurde, dass die ganze Sarrazin-Debatte dadurch nochmal neu aufgekocht wurde. Das sind so

123 Klassiker, dass ich schon damit rechnen kann: Das wird eine schwierige Diskussion und hier muss man ganz genau aufpassen. Oder: Flüchtlingscamp am Oranienplatz. Das sind alles solche Debatten, wo ich weiß, da muss ich ein Auge drauf haben.

#00:04:53-4# Interviewer: Und gibt es generell Themen, bei denen rege diskutiert wird?

#00:05:07-5# Befragter: Positiv oder negativ?

#00:05:07-5# Interviewer: Das ist egal, beides.

#00:05:10-3# Befragter: Was ich gut finde, was sich auch ungemein verbessert hat, sind Verkehrsdebatten, die laufen ungemein gut. Da hat man einerseits natürlich wieder die zwei Lager: Autofahrer vs. Radfahrer. Da haben wir mittlerweile auch ziemliche Spezialisten, die sich dann mit dem Radfahrerrecht unglaublich gut auskennen. Oder beispielsweise haben wir auch User, die jede Bahnreihe seit den 50ern auswendig kennen und teilweise sogar schon unsere Ressortleiter, die zuständig sind für die Deutsche Bahn oder S-Bahn, zurechtweisen und sogar belehren können, weil sie sich ja besser auskennen. Also Verkehrsdebatten laufen unglaublich gut, weil da auch jeder mal was zu sagen kann, es ist ja jeder mal Verkehrsteilnehmer. Richtig gut und rege funktionieren Diskussionen, wo jeder sich im Alltag wiederfindet. Seien das Steuersachen, die einen dann persönlich betreffen können. Streitpunkte zur Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften, Homoehe wie sie genannt wird, da hat jeder scheinbar eine Meinung zu. Sowas funktioniert am besten.

#00:06:54-0# Interviewer: Das klingt ja jetzt alles nach sehr viel Aufwand, das alles zu begleiten. Was ist die Motivation für den Tagesspiegel, da so viel Arbeit reinzustecken?

#00:07:05-5# Befragter: Die Community ist ja bis zu einem gewissen Grad natürlich ein Abbild der Leserschaft. Man kann natürlich sagen: Das ist der Querschnitt der Gesellschaft, und so wie hier diskutiert wird, diskutieren Tagesspiegelleser im Allgemeinen. Schreiber aus der Community sind ja trotzdem auch Kunden so gesehen, die den Tagesspiegel online - sei es dadurch, dass sie klassischer Abonnent sind, sei es dadurch, dass sie App-Abonnent sind - die natürlich auch monetären Mehrgewinn bringen oder einen inhaltlichen Mehrgewinn. Also dass ich als Moderator daraus mehr schöpfe und der Redaktion einen Mehrgewinn bringe, dadurch, dass ich Themen anrege, auf die sie noch nicht gekommen sind. Einfach auch, um diese Marke Online eigenständiger werden zu lassen.

#00:08:28-6# Interviewer: Sehen die Redakteure das als Zugewinn?

#00:08:36-3# Befragter: Das hat sich auf alle Fälle entwickelt. Am Anfang waren da schon viele Kollegen noch sehr skeptisch. Teilweise - ist natürlich redaktionsabhängig - gab es klare Hierarchien: Das sind die Printleute, das sind die Onliner. Das hat sich jetzt nach und nach ein bisschen aufgelöst. Das läuft beim Tagesspiegel auch ziemlich gut, weil das frühere Team von den Onlinern wurden jetzt nach den Ressorts aufgeteilt in die Printredaktion mit integriert, so dass wir als Onliner einen Ansprechpartner in der Printredaktion haben und da einfach von beiden Seiten vermittelt wird. So dass so nach und nach die Akzeptanz da war: Ok, das ist ein Mehrgewinn, sowohl inhaltlich, als auch was die manpower angeht. Dass ich aus meinem Team was die technische Seite angeht, ein bisschen versierter bin in vielen Dingen, sei es auch nur, um einen Artikel online aufzubereiten. Das man vielen älteren Kollegen an die Hand geht. Themenentwicklung: Dass sich Ressorts daraus entwickeln, die weniger bedacht wurden. Dass es Netzkolumnen gibt beispielsweise, weil die Nachfrage da schon da ist. Dass man auch eher mal Themen aufgreift, die vielleicht auch nur bei Online laufen, als man das vielleicht früher getan hätte.

#00:10:27-9# Interviewer: Haben Sie eine Ahnung, wer bei Ihnen so schreibt, gerade im Hinblick auch auf die Poweruser?

#00:10:42-2# Befragter: Nach und nach entwickelt sich für jeden Moderatoren so ein gewisses Bild. Das sind Menschen, die verbringen unheimlich viel Zeit auf dieser Seite, ich lese ziemlich viel von diesen Menschen. Die teilen je nach Themen auch was persönliches von sich mit, dass man einfach weiß, der hat das und das studiert, wohnt in dem und dem Bezirk und hat ne Frau und zwei Kinder. Es entwickelt sich schon ein Profil. Aber die wenigsten Leser trifft man jetzt persönlich. Ab und zu ist es dann so, wenn der Tagesspiegel Tag der offenen Tür macht einmal jährlich und Lesern die Möglichkeit bietet, die Redaktionsräume zu besichtigen, dass man auch mal einen User trifft, einen Poweruser. Ist aber eher selten. Die meisten wollen diesen klaren Schnitt haben, dass man anonym bleibt. Weil man sich jetzt schon Jahre lang kennt, weil man ab und zu mal telefoniert. Es gibt nicht so dieses Standardprofil. Es gibt vom Studenten, über Lehrer, Taxifahrer, also bunt gemischt. Das macht es auch interessant, glaube ich.

#00:12:44-3# Interviewer: Sie sind ja vor ca. sechs Jahren da reingestolpert. Was hatten Sie so für Erwartungen, als sie

124 der Community entgegengetreten sind? Was hat sich erfüllt und was nicht?

#00:13:11-2# Befragter: Anfänglich hatte ich relativ wenig Erwartungen, glaube ich. Ich würde auch sagen, dass ich mich an Hand des Jobs zu einem gewissen Grad entwickelt habe. [...] Ich habe eine gewisse Souveränität erlangt in der Hinsicht, dass mich wenige Situationen in den Diskussion überraschen. [...] Als ich hier angefangen habe, habe ich noch nie irgendwo ein Kommentar in einem Forum gepostet. Dass ich diese Affinität und dieses Suchtpotential ein Stück weit nachvollziehen kann, auch wenn ich dadurch nicht zum Poweruser werde. [...] Ich kann diesen Reiz daran schon verstehen, das ist ja auch eine sehr lebendige Streitkultur. Aber mir ist mein Offline-Leben dann doch lieber.

#00:16:20-7# Interviewer: Man fragt sich ja schon manchmal: Was bringt das eigentlich, dass da jedes Individuum seine Stimme erheben kann? Was können solche Beteiligungsformate leisten und was können sie nicht leisten?

#00:17:12-3# Befragter: Wenn ich jetzt als User schreiben würde, kann man vielleicht im Internet seine Argumente austesten, die man in der realen Welt dann, um alle Fehler beseitigt, an den Mann bringen kann. Vielleicht ist es auch so, wenn man den sozialen Ausgleich nicht hat, dass man sagt: Ok, ich kann mich nicht tiefgründig politisch mit meinen Freunden unterhalten, dann treff ich mich im Netz. Ich weiß ja nicht, inwiefern das bei vielen gegeben ist. Das habe ich so für mich festgestellt. Das ist auch ein Grund, zu sagen: Man kann auch vieles in der Community einfach laufen lassen, weil nach und nach bei mir auch einfach argumentativ ein großer Raum aufgebaut hat, dass ich sagen kann: Ok, das ist eine Meinung des Users, die teile ich nicht, die ist dumm, lässt sich aber unglaublich leicht argumentativ widerlegen oder dafür soll er jetzt im Forum geradestehen und sich der Diskussion stellen. Er hat jetzt seine Meinung rausposaunt und die wird jetzt schön widerlegt.

#00:18:58-0# Interviewer: Interessant. Das ist ja im Grunde der deliberative Anspruch, der so oft auch in der Theorie formuliert wird, dass man quasi rational argumentativ zu einem Konsens kommt. Gibt es das wirklich, dass Leute mit sachlichen Argumenten vorangehen und am Ende gewinnt das Beste?

#00:19:30-3# Befragter: Das gibts. Bin ich auch immer wieder beeindruckt, dass es sowas auch gibt. Ist leider noch nicht die Regel. Es gibt so ein paar User beim Tagesspiegel, da kann man sagen: Die sind argumentativ so gut und die kann ich auch persönlich so einschätzen, dass ich mir um die keine Sorgen machen muss. Auch wenn ich Kommentare trotzdem immer lese, bin ich mir sicher, die könnte ich auch einfach so durchwinken, und die sind fast immer Gold wert. Es sind leider die wenigsten, weil man bei vielen schon merkt, dass die Bereitwilligkeit, sich im Netz zu äußern, da ist, aber der argumentative Unterbau, dass man da jetzt argumentativ breitschultrig ist, bei den wenigsten gegeben ist. Die wenigsten haben den Schneid, zuzugeben: Ok, ich hab Unsinn geschrieben und verlagern sich dann auf eine persönlichere Ebene. Das ist doch was, was sich abzeichnet. Die Bereitwilligkeit, mal eben schnell einen Kommentar rauszuhauen, ist da, manche überlegen da auch nicht großartig. Wiederum andere User tippen sich jeden Kommentar bei Word vor, speichern sich den ab und haben ein großes Archiv angesammelt inzwischen. Die können auch Kommentare von vor drei Jahren raussuchen und nochmal aufgreifen. Das variiert. Diese Sattelfestigkeit bei bestimmten Themen ist bei wenigen noch gegeben. Jeder, der sich bereitwillig zum Nahostkonflikt äußern möchte, obwohl er da nicht wirklich Ahnung von hat.

#00:21:30-8# Interviewer: Glauben Sie, Sie können das steuern? Dass Sie durch Ihre Eingriffe eine sachliche Argumentationsfolge vielleicht befördern können?

#00:21:44-2# Befragter: Es kommt drauf an. Man kann Diskussionen unglaublich gut steuern. Wir probieren das natürlich zu vermeiden, weil das ja auch ein gewisser Eingriff ist. Gerade die Community-Redaktion ist ja ständig dem Vorwurf der Zensur ausgesetzt. Oder halt manipulativ da einzugreifen, das versuchen wir schon, zu vermeiden. Wir probieren eher vorne herum durch einen Kommentar mal kurz zu sagen: Ok, gehen Sie sachlich auf die Argumente ein und verlagern sich nicht auf die persönliche Ebene, um da wieder eine gewisse Sachlichkeit reinzubringen. Natürlich ist es zu einem gewissen Grad manipulierend, indem wir bestimmte Kommentare, die zu einer Debatte auch manchmal dazugehören, aber die beleidigend sind, vorher herausnehmen. Wo man einfach sagt: Ok, vielleicht würde ich zu einem gewissen Grad auch mal den Test machen, und einfach einen Tag lang gar nicht moderieren, wie das dann laufen würde. Wird wahrscheinlich nie umgesetzt, weil man ist ja auch juristisch dafür haftbar, was auf der Seite steht. Fänd ich aber mal ganz spannend, zu sehen, wie sich Diskussionen völlig selbstständig regulieren. Aber die Tendenz, dass sich das positiv entwickeln würde, sehe ich jetzt noch nicht. Da brauch es noch eine gewisse digitale Herzensbildung, dass man jetzt sagen kann: Das fängt sich alles selbst auf und wenn jetzt einer beleidigt, dann wird der von anderen zurechtgewiesen und dann läuft das sachlich weiter.

#00:23:42-2# Interviewer: Nimmt so eine Vormoderation vielleicht die Dynamik aus einer Diskussion heraus?

#00:23:53-2# Befragter: Warum?

125 #00:23:56-6# Interviewer: Ich könnte mir vorstellen, dass Leute nicht warten wollen, bis ihr Beitrag freigeschaltet ist und dann den Kommunikationsraum verlassen.

#00:24:10-9# Befragter: Das kommt darauf an. Es ist so, dass es keine 24/7-Schicht so gut wie nie gibt bei Communityforen. Wir haben das früher mal ausprobiert, aber das hat sich nicht gelohnt. Da kommen ab 1 nur noch ein paar Kommentare rein, und für den Aufwand lohnt sich das dann nicht. Beim Tagesspiegel läuft das so, dass die Schichten bis 23 Uhr besetzt sind. Das wissen die User auch und dadurch flaut die Diskussion nachher auch meistens ab, und morgens ab 7 werden die Kommentare schnell abmoderiert und dann ist es auch wirklich live. Und unsere Prämisse ist, dass das Hauptaugenmerk auf den Kommentaren ist und die sollten eigentlich nicht länger als 10 Minuten stehen. Eigentlich werden die sofort abmoderiert. Wir haben zwei überschneidende Schichten, d.h. einer macht die neuesten, einer macht die ältesten und man trifft sich recht schnell in der Mitte. Kommentare sind dadurch schnell moderiert, die bleiben nicht lange stehen.

#00:25:26-1# Interviewer: Gibts Pläne, wie man die Community in Zukunft noch besser gestalten kann?

#00:26:04-1# Befragter: Einerseits probieren wir immer wieder, Netzdiskussionen anzusprechen. Das hat der Online- Chef Markus Hesselmann eine Zeit lang gemacht mit seinen Netzkolumnen, wo er dann auch immer wieder mal die Moderation oder einzelne technische Abläufe angesprochen hat und wir dann die Kommentare genommen haben, um im Team darüber zu diskutieren. Inwiefern haben die Recht? Inwiefern sollten wir da was ändern? Sei es an der Moderation, sei es an der technischen Umsetzung. Man versucht, immer mal wieder eine Neuerung reinzubringen. Das dauert natürlich immer ziemlich lange, sei es ein soft launch, sei es ein kompletter relaunch, dass sowas vonstatten geht. Da werden ziemlich viele Tests vorab durchgeführt. Die taz hat das z.B. gerade gemacht. Die haben ihre Seite erneuert. Dem geht ein unglaublich langer Entwicklungsprozess voraus, aber natürlich User einfach mehr einzubinden. Ich weiß nicht, ob die Zeit das immer noch macht, dass die wirklich mehr Freiräume eingebracht haben. Die Süddeutsche hat das, glaube ich, auch. Die Möglichkeit zu geben, also bei der Zeit, wo ich mal moderiert hab, gabs eben mehrere User, die total offtopic, themenunabhängig, jeden Tag ein Gedicht eingestellt haben. Die hatten auch richtig Fans. Die wurden darunter hoch bewertet: Hey, heute war dein Gedicht mal wieder richtig super. Das ist natürlich ein gewisser freier Raum, den jetzt der Tagesspiegel z.B. noch nicht abdeckt. Oder eine größere Integration von Blogs, von hauseigenen Blogs, von guten Fremdblogs vielleicht. Dass man dahin übergeht, User vielleicht upzugraden, ein System zu etablieren, wo man sagt: User, die von Redakteuren oft genug positiv vermerkt worden sind, die steigen in der Hierarchie weiter nach oben. Was dann umschlägt in, dass die vielleicht schneller abmoderiert werden, sagen wir mal sowas wie ein Golduser oder sowas, also so einen Trend wird es vielleicht geben irgendwann mal.

#00:28:58-7# Interviewer: Beim Freitag gibt es ja auch eine sehr große Community und da haben sie die Moderation zurückgefahren und den Usern Tools in die Hand gegeben, dass sie ihre Kommentarspalten besser gestalten können, so wie das in sozialen Netzwerken der Fall ist quasi. Das scheint ganz gut zu funktionieren.

#00:29:56-6# Befragter: Da wird der Weg auch hingehen, denke ich mal. Momentan sind das alles so Testabläufe beim Tagesspiegel. In der Szene ist es so, dass man viel ausprobiert und manches funktioniert dann halt nicht. Teilweise ist es auch immer wieder spannend, was allein so Upgrade/Downgrade Systeme, wo man einfach Kommentare hoch- und runterbewerten kann, positiv wie negativ, was das in der Debatte auslösen kann. Vor dem Relaunch hatten die User noch die Möglichkeit, Kommentare negativ zu bewerten. Das finde ich an sich erstmal eine neutrale Funktion. Die wird natürlich unglaublich schnell manipuliert. Wenn sich da persönliche Zwistigkeiten entsponnen haben, sich User vielleicht sogar mit einem Mehrfachaccount zur Aufgabe machen, den User, den sie nicht mögen, negativ zu bewerten, so dass wir die Funktion nachträglich dann wieder rausgenommen haben und User Beiträge nur noch positiv bewerten können, wenn sie die gut finden. Das sind viele kleine Funktionen, die die Seite nach und nach verändern werden. Die User sollen ja auch integrativer Bestandteil von der Onlineseite sein. Aber es ist wahrscheinlich ein Wandel im Kleinen, dass sich eine Seite einfach nach und nach entwickeln muss. Weil das Grundkonzept, das entwickelt sich gerade erst, auch dahingehend, dass man sagt, dass sich Onlinezeitungen ein Konzept erarbeiten, wie sie beispielsweise facebook nutzen wollen und was versprechen die sich? Wie bedienen wir sowas? Was stellen wir da für Texte online? Sind das andere User als beispielsweise bei uns im Forum?

#00:32:17-6# Interviewer: Als letztes würde mich noch Ihre Einschätzung interessieren, wie es mit Online-Beteiligung weitergehen kann. Was können solche Verfahren leisten und wo stoßen sie an ihre Grenzen?

#00:32:57-6# Befragter: Puh! Schwierig ist z.B., dass man nach und nach an die Grenzen der Kapazitäten stößt. [...] So eine Community wächst. [...] Ich glaube, dass der Trend in Richtung Teilhabe im Internet wird ernst genommen und wird in Richtung von USA gehen. Wenn man sieht, was da bestimmte Blogs für eine Macht haben, was bestimmte Medien da für eine Macht haben. Ich finde es immer wieder spannend, wenn wir mitbekommen, dass Themen von der

126 Abendschau, die lesen unsere Kommentare, um sich da Anregungen zu holen. Oder dass im Bundestag manchmal die Kommentarspalten bei bestimmten Themen bei uns durchgeguckt werden, um mal zu sehen, wie reagieren die darauf. Von außen kriegen das unsere Redakteure mal mit hereingegeben. Das finde ich schon spannend. Letztendlich dieser Trend zur virtuellen politischen Teilhabe wird zunehmen. Beispielsweise haben in den USA Portale solcher e-petitions eine viel größere Macht als bei uns. Ob das Avaas, Campact oder was auch immer ist, die haben bei uns ja keine Rechtsverbindlichkeit. Oder die von der Bundesregierung direkt, die Abstimmseite. Aber alles andere ist letztendlich, banal gesagt, für die Katz. Solange es nur in der virtuellen Welt sich abspielt und der Schritt ins Reale nicht gegangen wird, bringt erstmal der Teil der politischen Teilhabe nicht wirklich viel, sondern ist es eine Basis an Infrastruktur, die einem an die Hand gegeben wird, die man in die reale Welt übertragen muss. Aber der Trend ist mit Blick in die USA schon zu sehen, dass es immer wichtiger wird für Entscheidungsfindung.

#00:39:13-8# Interviewer: Es geht dann wohl eher um konsultative Geschichten, weil das Wahlrecht solche Abstimmungen nicht zulässt. Aber es ist ja schon spannend, dass Leute von der Abendschau kommen, Meinungen suchen und die auch irgendwie verarbeiten, auch wenn das nicht sichtbar ist.

#00:40:39-7# Befragter: Was sich positiv entwickelt hat in den Jahren, ist nicht nur diese Akzeptanz von wegen: Das ist online, das ist nicht schlecht, sondern ein Zugewinn. Die nehmen uns nicht die Jobs weg und wir alten Hasen, die noch an der Schreibmaschine gelernt haben, werden jetzt ausgetauscht. Sondern das ist eine extra Redaktion und die machen was ganz anderes als wir. Dass auch viele Redakteure dazu übergehen, was toll ist, sich einen Twitteraccount zu holen, sich bei facebook zu engagieren und einfach in Kontakt zu Lesern zu treten. Es ist nicht mehr so: Ich schreibe einen Artikel und es ist mir egal, was darunter steht, die meckern doch eh bloß, sondern ich agiere jetzt transparent als Autor mit meiner Leserschaft. [...]

#00:41:54-5# Interviewer: Das machen Ihre Autoren auch?

#00:42:07-4# Befragter: Das machen nicht viele. Mancher macht es rege, mancher zieht sich auch, positiv wie negativ, eine gewissen Kraft und Inhaltlichkeit aus den Kommentaren raus, jetzt für den eigenen Weiterdreh beispielsweise. Also diese Hierarchie verwischt so langsam. Auch so diese Akzeptanz, sich da in den Kommentarspalten als Autor zu erkennen zu geben und beispielsweise auf Fragen einzugehen oder Recherchekritik etc. zu entkräften, die ist nach und nach gegeben.

#00:42:56-7# Interviewer: Macht das ein Unterschied, ob sich ein Autor einbringt unter seinem eigenen Artikel oder nicht?

#00:43:03-1# Befragter: Doch, das macht einen Unterschied. Dass sie immer wieder für den User zu erkennen geben: Dein Kommentar verschwindet nicht im Äther und hängt an dem langen Bart an Kommentaren hier unten dran und der wird auch wirklich gelesen, nicht nur von den Usern an sich, sondern auch von "höherer" Stelle, die du als Leser auch mal treffen wolltest. [...] Ich finde es auch wichtig, mal klar zu machen, dass hinter dem Autor auch ein Mensch steht. Das vergessen viele User einfach auch. Man ist mit Kritik unglaublich schnell dabei, auch mit persönlicher Kritik. Da mal wieder klar zu stellen: Ich bin auch nur ein Mensch und vielleicht unterläuft mir auch mal ein Fehler, sollte im Regelfall natürlich nicht passieren...

127 Eidesstattliche Erklärung Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich die Masterarbeit im Studiengang Politikwissenschaften der Freien Universität Berlin, selbständig, ohne fremde Hilfe und lediglich unter Benutzung der angegebenen Quellen angefertigt habe. Ich versichere außerdem, dass die vorliegende Arbeit noch nicht einem anderen Prüfungsverfahren zugrunde gelegen hat. Ich bin damit einverstanden, dass das zweite Exemplar meiner Master-Arbeit in der Bibliothek ausgeliehen werden kann.

Ort/Datum: ______Unterschrift______

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