Ausgabe 1 · Februar 2021 · www.medizinonline.ch

CME-FORTBILDUNG

Nicht Chemotherapie- induzierte Neutropenie Ein Krankheitsbild mit vielen Gesichtern

Rheuma und Krebs Auswirkungen einer Krebs­erkran­ kung auf die Rheuma­therapie

Medizin

Nicht resektables Magenkarzinom Immuntherapie auf dem Vormarsch

Fortgeschrittenes Pankreaskarzinom Erstlinientherapien im Real Life Check

Eine Reportage aus dem Leben Der Arzt als Patient

Chronische lymphatische Leukämie BTK-Inhibitoren und andere Hoffnungsträger

Therapie des metastasierten HER2-positiven Mammakarzinoms Heilung schon bald möglich?

Myelofibrose Behandlung im Wandel

Woher kommt eigentlich… …der Name «Pancoast-Tumor»?

Praxismanagement

COVID-19 Schutz vor Ansteckung in der Arztpraxis Early Bird Anmeldung bis 21. Februar 2021

17. Schweizer Fachtagung Psychoonkologie Krebs - Komplexität in der existenziellen Krise 22. April 2021, Fabrikhalle 12, Bern www.psychoonkologie.ch KEYNOTES My Survival Story Martin Inderbitzin, Zürich Kultursensible Beratung und Behandlung in existenziellen Lebenskrisen Barbara Abdallah-Steinkopff, München Der Beitrag der klinischen Ethik im Umgang mit ethischer Komplexität WORKSHOPS Settimio Monteverde, Bern/Zürich 1. Kultursensible Beratung und Behandlung in existenziellen Lebenskrisen 2. Ethische Komplexität in der Patientenbetreuung: Lösungswege mit METAP 3. Spezialisierte Pflege — Herausforderungen und wie wir diesen begegnen 4. Über mich hinaus schreiben — kreatives Schreiben und Selbstwirksamkeit 5. Onko-Sexologie

Credits: SGPO | SGPP | SGMO | SGH | SAPPM | ASP

Tagungssekretariat Veranstalter Organizers Schweiz GmbH Schweizerische Gesellschaft für [email protected] Psychoonkologie (SGPO) InFo ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE 2021; Vol. 9, Nr. 1 EDITORIAL

Blick über den Tellerrand Neue Perspektiven zum Jahresbeginn

■ Als Ärzte behandeln wir unser ganzes Arbeits- beleuchten wir die Rolle der Immuntherapie beim leben lang Krankheiten, die wir selbst zum grössten Magenkarzinom, nehmen aktuelle therapeutische Teil noch nie erlebt haben. Und das ist gut so, wäre Optionen bei der chronischen lymphatischen Leuk- unsere Berufsspezies doch sonst schon sehr bald aus- ämie unter die Lupe und stellen rezente Daten zum gestorben. Dennoch sind wir täglich mit dem Leiden optimalen Management des fortgeschrittenen Pankre- anderer konfrontiert und zwischen Studienresultaten, askarzinoms vor – einem nach wie vor undankbaren komplexen prognostischen Scores und beinahe mathe- Gegner. Überdies, und im Sinne eines weiteren pers- matisch anmutenden Krankheitsmodellen steht immer pektivischen Wechsels, wagen wir einen Blick zurück noch der Mensch. Der Patient als Mensch und die Ärz- und gehen der Frage nach, woher eigentlich der Name tin als Mensch. Auch wir sind nicht vor Krebs gefeit, «Pancoast Tumor» kommt. Na, wissen Sie’s? auch wir werden älter. Doch wie beeinflusst unser Beruf das Empfinden einer schweren onkologischen In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine informative Erkrankung? Schlägt er sich gar in Behandlung und Lektüre, bleiben Sie offen für den Blick über den Tel- Outcome nieder? Und umgekehrt: Wie beeinflusst lerrand – und gesund! der Krebs unser ärztliches Handeln? Macht einen die Erfahrung am eigenen Leib – das Überleben vorausge- setzt – zu einem besseren Arzt? Wir haben mit einem gesprochen, der es wissen muss, und spannende Ein- blicke erhalten in ein Thema, das im hektischen Alltag der Krankenhäuser und Arztpraxen oft untergeht: Die eigene Gesundheit als limitierender und horizonter- weiternder Faktor zugleich. Unser Gesprächspartner praktiziert als Hausarzt mit einem fortgeschrittenen neuroendokrinen Tumor weiter. Dank Immunthera- pie. Und ist somit nicht nur Arzt und Patient in einer Person, sondern ausserdem Sinnbild einer onkologi- schen Ära des Umbruchs. Denn noch vor fünf Jahren hätte er seine Erkrankung kaum so lange überlebt. Auch sonst dreht sich in dieser Ausgabe alles um neue Perspektiven. Solche wurden an der Jahresta- gung der American Society of Hematology und am San Antonio Breast Cancer Symposium reichlich präsen- tiert. Neben Beiträgen zu diesen beiden Kongressen Amelie Stüger, Redaktion

Die Fortbildungsthemen in dieser Ausgabe:

Nicht Chemotherapie-induzierte Neutropenie...... Seite 5 Rheuma und Krebs...... Seite 10

CME-Fortbildungsfragen...... Seite 16

Credits auf medizinonline.ch Einloggen, Fragen beantworten und direkt CME-Zertifkat downloaden.

1 INHALTSVERZEICHNIS medizinonline.ch

EDITORIAL 31 Fortgeschrittenes high-grade seröses Ovarialkarzinom 1 Blick über den Tellerrand HRD+ Tumoren: Erster PARP-Inhibitor zur Neue Perspektiven zum Jahresbeginn Firstline-Erhaltungstherapie zugelassen Amelie Stüger, Redaktion 32 Myelofibrose Behandlung im Wandel

CME-FORTBILDUNG 34 Rezidiviertes/refraktäres Multiples Myelom Das BCMA Molekül als Hoffnungsträger 5 Nicht Chemotherapie-induzierte Neutropenie Die isolierte Neutropenie: 36 Das etwas andere Wissen Ein Krankheitsbild mit vielen Gesichtern Woher kommt eigentlich… Dr. med. Linet Njue, der Name «Pancoast-Tumor»? PD Dr. med. Alicia Rovó, Bern 37 BRAFV600E -mutiertes metastasiertes 9 Credits auf medizinonline.ch Kolorektalkarzinom (mCRC) Anleitung zur Online-Fortbildung Anhaltspunkt für Zusatznutzen der Zweifachblockade 10 Rheuma und Krebs Auswirkungen einer Krebserkrankung auf die Rheumatherapie Dr. med. Marc Schmalzing, Würzburg (D) PRAXISMANAGEMENT

16 CME-Fortbildungsfragen 39 COVID-19 Schutz vor Ansteckung in der Arztpraxis

MEDIZIN WEITERE RUBRIKEN 18 Nicht resektables Magenkarzinom Immuntherapie auf dem Vormarsch 4, 17 News

20 Hormonrezeptor-positives Mammakarzinom 38 Impressum Neue Option zur Begleittherapie

Nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom mit EGRF-Mutation Neue Zulassung für zur adjuvanten Therapie

21 Fortgeschrittenes Pankreaskarzinom Erstlinientherapien im Real Life Check

22 Eine Reportage aus dem Leben Der Arzt als Patient

24 Chronische lymphatische Leukämie BTK-Inhibitoren und andere Hoffnungsträger

26 Therapie des metastasierten HER2-positiven Mammakarzinoms Ist eine Heilung schon bald möglich?

28 Triple-negatives Mammakarzinom der Stadien I–III Angriff auf einen Unangreifbaren

Titelbild: Dr_Microbe, istock

2 NEU IN 1L LYNPARZA ® + 1 >3 Jahre PFS*2 für Patientinnen mit HRD+ Ovarialkarzinom

* bei Frauen mit neu diagnostiziertem fortgeschrittenem HRD-positiven Ovarialkarzinom.1,2 PFS: Progressionsfreies Überleben, HRD: Homologe Rekombinationsdefizienz. Referenzen: 1. Fachinformation LYNPARZA® auf www.swissmedicinfo.ch, Stand der Information: September 2020. 2. Ray-Coquard I, Pautier P, Pignata S, et al. Olaparib plus bevacizumab as first-line maintenance in ovarian cancer. N Engl J Med. 2019;381:2416–2428. Kurzfachinformation: LYNPARZA® Z: Olaparibum; Filmtabletten zu 100 mg und 150 mg; Liste A. I: Zur Erhaltungstherapie (Monotherapie) bei Patientinnen mit BRCA-mutiertem fortgeschrittenem, high-grade serösem Ovarialkarzinom im Anschluss an eine (neo)adjuvante platinhaltige Erstlinien-Chemotherapie bei Vorliegen einer kompletten oder partiellen Remission. Zur Erhaltungstherapie (Monotherapie) bei Patientinnen mit fortgeschrittenem, platin-sensitivem rezidiviertem high-grade serösem Ovarialkarzinom im Anschluss an eine platinhaltige Chemotherapie bei Vorliegen einer kompletten oder partiellen Remission. Zur Erhaltungstherapie, in Kombination mit Bevacizumab bei Patientinnen mit fortgeschrittenem (FIGO Stadium III und IV) high-grade serösem Ovarialkarzinom bei Vorliegen einer kompletten oder partiellen Remission im Anschluss an eine mit Bevacizumab kombinierte Platin-Taxan-haltige Erstlinien-Chemotherapie und deren Ovarialkarzinom eine BRCA-Mutation oder eine andere homologe Rekombinationsdefizienz (HRD) mit genomischer Instabilität aufweist. Monotherapie bei Patienten mit metastasiertem HER2-negativem Mammakarzinom mit gBRCA-Mutation, die zuvor mit Anthrazyklin und Taxan behandelt wurden. Zur Erhaltungstherapie (Monotherapie) bei Patienten mit metastasiertem Adenokarzinom des Pankreas mit gBRCA-Mutation. D: 300 mg zweimal täglich. Dosisanpassung auf 250 mg bzw. 200 mg zweimal täglich möglich. LYNPARZA® Filmtabletten dürfen nicht Milligramm per Milligramm durch LYNPARZA® Kapseln ausgetauscht werden. In Kombination mit Bevacizumab beträgt die Dosierung von Bevacizumab 15 mg/kg Körpergewicht einmal alle drei Wochen für eine maximale Dauer von 15 Monaten. KI: Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der Hilfsstoffe. Schwangerschaft und Stillzeit. V: Hämatologische Toxizität. Myelodysplastisches Syndrom/akute myeloide Leukämie. Pneumonitis. Interaktionen mit starken oder moderaten CYP3A-Modulatoren. IA: Antineoplastische Substanzen. Starke und moderate CYP3A-Modulatoren. Substrate von CYP3A und Transportproteinen. UAW: Sehr häufig: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Dyspepsie, Fatigue, Kopfschmerzen, Dysgeusie, verminderter Appetit, Schwindel, Anämie, Neutropenie, Thrombozytopenie, Leukozytopenie, Husten, Dyspnoe. Häufig: Lymphozytopenie, Rash, Stomatitis, Anstieg des Kreatininspiegels, Schmerzen im Oberbauch, Lungenembolie. Gelegentlich, selten, sehr selten: siehe www.swissmedicinfo.ch. Stand der Information: September 2020. Weitere Informationen: www.swissmedicinfo.ch oder AstraZeneca AG, Neuhofstrasse 34, 6340 Baar. www.astrazeneca.ch. Kopien der Studienpublikationen können bei Bedarf unter der unten angegebenen Adresse angefordert werden.

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Chronische myeloische Leukämie Doch wie kam das Forschungsteam auf Metoclopramid? Dazu war ein komplexes Screening-Verfahren nötig, welches die Dis- Metoclopramid als therapeutische Option? ziplinen der medizinischen Onkologie, des Departments for Biomedical Research, der Metoclopramid unterbricht spezifisch den CD93-Signalweg, den ausschliess- Zellbiologie, der orthopädischen Chirurgie und lich Leukämie-Stammzellen zur Vermehrung nutzen. Zu diesem Schluss kam der Hämatologie einschloss. Und wohl auch ein Forschungsteam des Inselspitals Bern und der Universität Bern. Bisher ein Quäntchen Glück. Weitere Studien zur klini- wurde ein längeres Überleben unter Metoclopramid-Behandlung zwar erst bei schen Wirksamkeit und Relevanz sind geplant Tieren mit chronischer myeloischer Leukämie (CML) nachgewiesen, jedoch und Prof. Dr. med. Adrian Ochsenbein ist zuver- könnten diese Resultate bald für den Menschen bestätigt werden. sichtlich, in einem sinnvollen Zeithorizont klini- sche Resultate präsentieren zu können. Sollte ■ Berner Forscher um Prof. Dr. med. Adrian genaue Rolle des Oberflächenmoleküls CD93. sich Metoclopramid in der Therapie der CML Ochsenbein, Klinikdirektor der Berner Univeri- Es zeigte sich, dass dieses Molekül für die etablieren, wäre es wohl eines der erschwing- tätsklinik für Medizinische Onkologie, und Prof. Vermehrung der entarteten Zellen von grosser licheren Onkologika. Und Langzeitdaten zu Dr. sc. nat. Carsten Riether, Forschungsleiter, Bedeutung ist. Da es bei gesunden hämato- Sicherheit und Verträglichkeit wären erst noch postulieren das weitbekannte Antiemetikum poetischen Stammzellen hingegen keine Steu- vorhanden. Metoclopramid als neue therapeutische Option erungsfunktion übernimmt, ist die Hoffnung zur Behandlung der chronischen myeloischen gross, mit CD93 ein neues therapeutisches Leukämie (CML). So fanden sie in verschiede- Target gefunden zu haben – ein Target, für das Quelle: Medienmitteilung «Chronische myeloische Leukämie (CML): Metoclopramid hemmt Leukämie- nen Experimenten Hinweise dafür, dass das potenziell bereits ein Medikament existiert. Stammzellen-Vermehrung», 26.01.2021, Insel Gruppe, Prokinetikum die Vermehrung von Leukämie- In vitro unterbrach Metoclopramid den CD93- Inselspital, Universitätsspital Bern. Stammzellen wirksam hemmen kann. Signalweg effektiv und im Tierversuch führte In Tierversuchen sowie in Experimenten dessen Gabe zu einer signifikanten Verlänge- Weiterführende Literatur – Riether C, et al.: Metoclopramide treatment blocks mit menschlichen leukämischen Zellen in vitro rung des Überlebens. Diese Resultate wurden CD93-signaling-mediated self-renewal of chronic untersuchten die Wissenschaftler zunächst die kürzlich im Journal Cell Reports veröffentlicht. myeloid stem cells. Cell Reports. 2021; 34(4).

Brustkrebs: Duktales Carcinoma in situ (DCIS) Optimierung der Radiotherapie für ein besseres Outcome

Das duktale Carcinoma in situ (DCIS) stellt weltweit eine häufige Diagnose dar, Nebenwirkungen sowie Kosten verhindern. Die die gut 25% der neu diagnostizierten Brustkrebsfälle ausmacht. Nach alleiniger finale Auswertung der Studie ist 2024 geplant. operativer Therapie kommt es bei etwa einem Drittel der Patientinnen zu einem In der aktuell präsentierten Zwischenana- Rezidiv, oftmals in Form eines invasiven Mammakarzinoms. Das lokale Wieder- lyse betrug das mediane Follow-up 6,6 Jahre. auftreten ist somit eine der grössten Herausforderungen für das Management. Nach fünf Jahren waren 93% der Patientinnen Eine internationale Studie (BIG 3-07/TROG 07.01) konnte nun zeigen, dass das in der Gruppe ohne zusätzliche Strahlendosis Risiko für ein Wiederauftreten durch die Steigerung der radiotherapeutischen im Tumorbett («Boost») rezidivfrei, unter jenen Dosis im Tumorbett signifikant gesenkt werden konnte. Ausserdem kamen die Teilnehmerinnen, die einen solchen «Boost» Autoren zum Schluss, dass eine fünfwöchige Bestrahlung der Brust einer erhalten hatten, waren es 97% (p<0,001). Der dreiwöchigen hinsichtlich der Rezidivrate nicht überlegen war. Anteil an invasiven Rezidiven war in beiden Gruppen vergleichbar und lag bei etwa 45%. ■ Über- und Unterbehandlung beim duktalen und potenzielle Rezidivmarker identifizieren zu Bezüglich der Bestrahlungsdauer fanden die Carcinoma in situ (DCIS) der Brust entgegen- können, wurde eine grosse Probensammlung Forscher keinen Unterschied hinsichtlich des zuwirken, dieses Ziel haben sich internatio- angelegt. Rezidivrisikos. Kürzere radiotherapeutische nale Forscher um Professor Boon Chua, dem Resultate der klinischen Phase-III-Studie Regimes und die Anwendung eines «Boosts» Direktor der Klinik für Onkologie und Hämato- BIG 3-07/TROG 07.01, welche 1608 Patien- zusätzlich zur Bestrahlung der ganzen Brust logie am Prince of Wales Hospital in Sydney, tinnen aus elf Ländern einschloss, wurden am könnten also schon bald zum Standard in der Australien, gesetzt. Durch die Optimierung der letzten San Antonio Breast Cancer Symposium Therapie des DCIS gehören. Bestrahlung nach brusterhaltender Operation am 9. Dezember 2020 vorgestellt – virtuell, Quelle: Medienmitteilung «Individualising radiotherapy konnten sie die Rezidivrate signifikant senken versteht sich. Die internationale Studie läuft for women with DCIS of the breast reduces recurrence und unerwünschten Langzeitfolgen vorbeugen. bereits seit 2007 und wird aktuell fortgesetzt. after surgery», 09.12.2020, Breast International Group Insbesondere untersuchten die Wissenschaftler Die Forscher haben sich ein Follow-up von zehn (Belgien) und TROG Cancer Research (Australien). den Zusatznutzen einer Steigerung der Strahlen- Jahren zum Ziel gesetzt, der Schwerpunkt liegt Weiterführende Literatur dosis im Bereich des DCIS bei Bestrahlung der neben der Optimierung des radiotherapeuti- – Chua BH., et al.: A randomized phase III study of radiation doses and fractionation schedules in non-low ganzen Brust. Auch verglichen sie die Wirksam- schen Regimes auf der Erforschung geeigneter risk ductal carcinoma in situ (DCIS) of the breast (BIG keit einer dreiwöchigen Radiotherapie mit jener Biomarker. Diese sollen zukünftig ein risikoad- 3-07/TROG 07.01). Session GS2-04, San Antonio einer Bestrahlung über fünf Wochen. Um die aptiertes Vorgehen ermöglichen und somit Breast Cancer Symposium, 09.12.2020, virtuelle Durchführung. www.abstractsonline.com/pp8/#!/ Risikostratifizierung zukünftig zu vereinfachen einerseits Rezidive und andererseits unnötige 9223/presentation/580

4 InFo ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE 2021; Vol. 9, Nr. 1 CME-FORTBILDUNG

Nicht Chemotherapie-induzierte Neutropenie Die isolierte Neutropenie: Ein Krankheitsbild mit vielen Gesichtern

Linet Njue, Alicia Rovó, Bern

Neutropenie | Agranulozytose | Unerwünschte Arzneimittelwirkung

■ Die Neutropenie ist als eigenständiges Krank- ihr Verlauf. So wird prinzipiell zwischen akuten und heitsbild, aber auch als Begleiterscheinung vieler chronischen Formen unterschieden. Die zeitliche Erkrankungen und als unerwünschte Arzneimittel- Dynamik, vorangegangene Medikamenteneinnah- wirkung ein häufiger Gast in der hämatologischen men und durchgemachte Infekte, wie auch die Fami- und onkologischen Praxis. Die damit einhergehende lienanamnese können Aufschluss über den zugrun- Infektanfälligkeit­ kann in vielen Fällen eine Heraus- deliegenden Mechanismus geben. Hierbei existieren forderung darstellen. Dies liegt unter anderem an der primäre und sekundäre Neutropenie-Formen (Über- Breite des klinischen Spektrums. Von der Notfallsi- sicht 1). Primäre Neutropenien sind weitaus seltener tuation der febrilen Neutropenie bis hin zur oftmals als extrinsisch bedingte. Insbesondere bei jüngeren harmlosen chronischen Form ist alles vertreten. Für Patienten, chronischen Verläufen seit der Kindheit das optimale Management ist es dementsprechend und einer positiven Familienanamnese müssen sie wichtig, die Ursache für die Neutropenie zu kennen. jedoch in Betracht gezogen werden [2–4]. Die chronische idiopathische Neutropenie ist eine Schweregrade der Neutropenie der häufigsten primären Neutropenien. Prädominant Je nach Schweregrad und somit Infektionsrisiko unter- sind Frauen betroffen. Mit einer Dauer von min- scheidet sich auch die therapeutische Herangehens- destens drei Monaten handelt es sich um eine Aus- weise. Unter einer milden Form versteht man absolute schlussdiagnose. Es darf dementsprechend keine gene- Neutrophilenzahlen (absolute neutrophil count, ANC) tische, infektiöse, entzündliche, autoimmune, maligne zwischen 1000 und 1500 Zellen pro Mikroliter. Eine oder medikamentöse Ursache vorliegen. Zwar besteht mässiggradige Neutropenie liegt bei ANC zwischen eine erhöhte Anfälligkeit für bakterielle Infektionen, 500 und 1000 Zellen pro Mikroliter vor und bei der die Krankheit hat jedoch in der Regel einen benignen schweren Neutropenie/Agranulozytose beträgt die Verlauf. Eine Behandlung mit G-CSF ist nicht immer ANC weniger als 500 Zellen pro Mikroliter (Tab. 1). nötig und wird bei ANC-Werten von über 500 Zellen/ Während leichte Formen oftmals keiner Behand- µl und ohne Vorkommen rezidivierender Infektionen lung bedürfen, ist bei Fieber und Agranulozytose ein nicht empfohlen [5]. Sie muss individuell abgewogen sofortiger, empirischer Einsatz von Breitspektruman- werden. Bisher konnte noch keine Ursache für die tibiotika und gegebenenfalls Granulozyten-Kolonie- grossen individuellen Unterschiede in der Infektanfäl- stimulierende Faktoren (G-CSF) indiziert [1–3]. ligkeit gefunden werden. Auch die benigne ethnische Neutropenie, die vor Neutropenie ist nicht gleich Neutropenie allem Menschen afrikanischer und mediterraner Her- Für die Charakterisierung der Neutropenie ist nicht kunft betrifft, hat in der Regel keine klinischen Aus- nur deren Schweregrad von Bedeutung, sondern auch wirkungen, beziehungsweise einen milden Verlauf [6]. Dies trifft ebenso auf die klar genetisch bedingte, aber Ethnie-unabhängige benigne familiäre Neutropenie zu Dr. med. Linet Muthoni Njue [2]. Während die genetische Grundlage der benignen Oberärztin familiären Neutropenie nicht bekannt ist, wird die gut- Universitätsklinik für Hämatologie artige ethnische Neutropenie mit Varianten des Duffy und Hämatologisches Zentrallabor Antigen-Rezeptors in Verbindung gebracht [7,8]. (UKH-HZL), Inselspital Bern, Ein weiteres Beispiel für eine meist milde, angebo- Bettenhochhaus U1 114, 3010 Bern [email protected] rene Neutropenie ist die zyklische Neutropenie. Hier- bei handelt es sich um eine autosomal-dominant ver-

PD Dr. med. Alicia Rovó Leitende Ärztin und Stv. Chefärztin Universitätsklinik für Hämatologie und Hämatologisches Zentrallabor (UKH-HZL), Inselspital Bern, Bettenhochhaus U1 156, 3010 Bern > Fortbildungsfragen auf Seite 16 [email protected]

5 CME-FORTBILDUNG medizinonline.ch

Tab. 1 Einteilung der Neutropenie nach Schweregrad

Schweregrad der Neutropenie Absolute Neutrophilenzahl (ANC) Infektionsrisiko

Mild 1000–1500 Zellen/µl Mild (variabel)

Mässig 500–1000 Zellen/µl Mild bis mässig (variabel)

Schwer (Agranulozytose) <500 Zellen/µl Hoch

Sehr schwer <200 Zellen/µl Sehr hoch

erbte Störung, häufig mit Mutationen im ELANE-Gen Übersicht 1 Ursachen der Neutropenie [9]. Sie zeichnet sich durch periodische Schwankungen Primäre Ursachen der Neutrophilenzahlen mit einer Oszillationszeit von – Chronische idiopathische Neutropenie etwa 21 Tagen aus. Während des Nadirs kommt es bei – Ethnische Neutropenie (afrikanische/mediterrane Herkunft) einigen Betroffenen zwar zu oralen Aphten oder ande- ren Infektionen, insgesamt zeigt sich aber grösstenteils – Benigne familiäre Neutropenie ein gutartiger Verlauf [2]. – Zyklische Neutropenie Das Kostmann-Syndrom, auch als schwere konge- – Schwere kongenitale Neutropenie (Kostmann-Syndrom) nitale Neutropenie (SCN) bekannt, ist hingegen eine – Neutropenie im Rahmen anderer Syndrome (z.B. Fanconi Anämie) Erkrankung, die bereits im Kindesalter zu einer hohen Sekundäre Ursachen Infektanfälligkeit führt und das Risiko für die Ent- wicklung einer akuten myeloischen Leukämie erhöht Infektions-assoziiert [10]. Eine anhaltende Neutropenie bei Kindern, – Postinfektiös Jugendlichen oder jungen Erwachsenen kann auf ein – Aktive Infektion (Virus, Sepsis) zugrundeliegendes Knochenmarkversagen hinweisen. Arzneimittelinduziert In solchen Fällen wird eine weitere Abklärung durch spezialisierte Experten empfohlen. – Chemotherapie Wenn die kongenitalen und idiopathischen Neu- – Andere Medikamente tropenien in der Ursachenabklärung auch nicht zu Autoimmun vernachlässigen sind, so ist eine isolierte Neutrope- – z.B. Felty-Syndrom nie in den meisten Fällen doch erworben. Es kom- men verschiedene Medikamente, Knochenmarkser- Maligne Erkrankungen krankungen, Mangelerscheinungen, Infektionen und immunologische Prozesse als Auslöser in Betracht. Mangelerscheinungen – Vitamin B12 Ein häufiges Phänomen: – Folsäure Die arzneimittelinduzierte Neutropenie – Kupfer Der grösste Anteil der Neutropenien ist durch Medi- – Kalorische Malnutrition kamente bedingt [1,11–13]. Die Inzidenz der iatro- adaptiert nach [2] adaptiert genen Agranulozytosen liegt bei etwa 1–5 pro einer Million Einwohner jährlich, wobei die Mortalitätsrate etwa 5% beträgt [1,14]. Typischerweise besteht eine Abb. 1 Charakteristika der Agranulozytose bei unterschiedlichen zeitliche Assoziation mit der medikamentösen Thera- Wirkstoffen pie. Prinzipiell können viele Medikamente durch zwei verschiedene Mechanismen Neutropenien hervor- rufen, wobei über die Hälfte der Fälle durch wenige Wirkstoffe ausgelöst werden (Übersicht 2) [11–16,22]. Einerseits kann es durch arzneimittelinduzierte Anti- körper zur immunvermittelten Zerstörung neutrophi- ler Granulozyten kommen. Andererseits existieren Wirkstoffe mit direkten zytotoxischen Effekten auf myeloische Vorstufen wie beispielsweise Phenothi- azine, Clozapin, Dapson und Procainamide [15]. Im Unterschied zur immunvermittelten Neutrope- nie ist die direkte Toxizität dosisabhängig. Während hier die Menge das Gift macht, ist die Schädigung der Granulozyten im Rahmen einer arzneimittelin- Memizol Riim enicillin G Ticloidin Don Cimzol llzin Clozin duzierten Antikörperbildung zeit- und dosisunabhän- gig. Da die Sensibilisierung wahrscheinlich ein Leben ei i zm een de nlozoe Te lang anhält, genügt eine kleine Dosis der auslösenden De de nlozoe Te Substanz, um immer wieder eine Neutropenie oder

adaptiert nach [11] adaptiert gar Agranulozytose hervorzurufen. Aufgrund der

6 InFo ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE 2021; Vol. 9, Nr. 1 CME-FORTBILDUNG

Unter dem Strich lässt sich sagen, dass Metami- Übersicht 2 Medikamente, die weltweit am zol – wenn auch aus hämatologischer Sicht kritisch – häufigsten Agranulozytosen in wenigen Fällen trotz des Agranulozytose-Risikos auslösen eine vertretbare Wahl ist, insbesondere verglichen Thyreostatika mit alternativen Analgetika wie nicht-steroidalen – Propylthiouracil Antirheumatika (NSARs). Diese haben tendenzi- – Carbimazol ell ein noch ungünstigeres Nebenwirkungsprofil, das nicht ausser Acht gelassen werden darf [20]. Meta- Antientzündliche Medikamente mizol sollte aber zurückhaltend und mit der nötigen – Sulfasalazin Vorsicht eingesetzt werden. Zwar sind regelmässige – Metamizol Laborkontrolle bei asymptomatischen Patienten nicht empfohlen, aber Betroffene sollten über die Gefahr Psychopharmaka einer Agranulozytose und deren Symptome aufgeklärt – Clozapin werden [21]. Generell gelten hohes Alter, ein schlechter Per- Thrombozytenaggregationshemmer formance Status, Sepsis oder Schock, Nierenversagen – Ticlopidin und ANC-Werte unter 100 Zellen/µl als prognostisch Antirheumatika ungünstige Faktoren bei einer arzneimittelinduzierten – Dapson Neutropenie [1]. Die Therapie mit intravenösen Breit- – Methotrexat spektrumantibiotika und G-CSF verbessert hingegen die Prognose [1]. Durch zunehmende Erfahrung im Antibiotika Management betroffener Patienten konnten in den – Penicillin letzten Jahren grosse Fortschritte in diesem Bereich gemacht werden. Insbesondere die Gabe von G-CSF Antikörper ist jedoch nach wie vor umstritten. Statistisch zeigen – sich bei Verabreichung kürzere Hospitalisationen und ein geringerer Antibiotikagebrauch, es existieren aber Diese Wirkstoffe lösen weltweit über die Hälfte der keine klaren Leitlinien bezüglich des Einsatzes von sicher oder wahrscheinlich medikamentös bedingten G-CSF bei nicht-Chemotherapie-, arzneimittelindu- Agranulozytosen aus. zierten Agranulozytosen [13,22–24]. Bei Neutrophi- Nicht erwähnt sind Chemotherapeutika. lenzahlen unter 100 Zellen/µl sollten hämatopoetische adaptiert nach [22] adaptiert Wachstumsfaktoren gegeben werden, ansonsten ist die Entscheidung individuell abzuwägen.

verschiedenen Mechanismen der Neutrophilenschädi- Neutropenie und Infektionen: gung sind die Effekte unterschiedlicher Medikamente Die Henne und das Ei schwierig vorherzusagen und zu charakterisieren. Viren wie HIV, EBV, CMV , Hepatitis A und Sars- Abbildung 1 gibt einen Überblick über einige Erfah- CoV-2 können Neutropenien verursachen. Zudem rungswerte. kann eine Neutropenie bei Typhus, Brucellose, Der wahrscheinlich berühmt-berüchtigtste Wirk- Tularämie, Shigellose und Tuberkulose vorkommen, stoff, von dem das Risiko einer Agranulozytose aus- wobei der Neutrophilenmangel wiederum die Infek- geht, ist Metamizol (Novalgin®). Bereits 1964 wurden tion begünstigt. Auch Rickettsien und verschiedene entsprechende Daten publiziert [16]. In der Regel tritt Parasiten können Neutropenien auslösen. In unseren der Neutropenie in den ersten zwei Behandlungs­ Breitengraden weiter verbreitet ist die Influenza, wel- monaten auf und normalisiert sich innerhalb von zwei che jedes Jahr auch die Schweiz betrifft. Meist kommt Wochen [11]. Schätzungsweise beträgt das Risiko es zu milden und transienten Fällen von Neutropenie, einer durch Metamizol bedingten Neutropenie zwi- ein klarer Zusammenhang existiert aber. Das Risiko schen 1/116 und 1/466 000 Expositionen. Das absolute scheint bei Influenza B höher zu sein als bei Influenza Risiko ist bei normaler Dosierung und kurzem Einsatz A [25]. Ein weiteres Risiko, dass durch die Grippeimp- tief, mit grossen geografischen Unterschieden [17,18]. fung eliminiert werden kann. Während die Inzidenz beispielsweise in Schweden hoch ist, scheint sie etwa in den Niederlanden oder Management im klinischen Alltag Spanien tiefer zu sein. Dies könnte auf unterschied- Während Fieber bei Neutropenie immer eine Indika- liche Einsatzmuster zurückzuführen sein, denn die tion für eine adäquate antibiotische Therapie mit oder Gefahr steigt mit der längeren Medikamentengabe ohne G-CSF Gabe darstellt, erweist sich die anschlies- und ungünstiger Ko-Medikation. Die Annahme, dass sende Ursachensuche häufig als langwieriger Prozess zum Beispiel Briten, Iren und Skandinavier aufgrund (Abb. 2) [2,3]. Chronische, insbesondere milde Ver- ihrer Ethnie ein höheres Risiko für eine Metamizol- läufe im Erwachsenenalter deuten eher auf primäre bedingte Agranulozytose haben, wurde in einer epi- Formen der Neutropenie wie die benigne ethnische demiologischen Studie untersucht [19]. Diese kam zum Neutropenie hin. Ein akutes Auftreten ist hingegen Schluss, dass auch gewisse HLA-Allele einen Zusam- ein Indikator für eine arzneimittelinduzierte oder menhang mit der Entwicklung einer Neutropenie infektiöse Genese des Störungsbildes, insbesondere unter Metamizol-Therapie haben könnten. bei entsprechender Exposition in der Vorgeschichte.

7 CME-FORTBILDUNG medizinonline.ch

Abb. 2 Abklärung der nicht Chemotherapie-induzierten Neutropenie

Neutropenie

ja Breitspektrumantibiotika und akute Erkrankung/Fieber? weiterführende Diagnostik nein

nein ethnische, benigne familiäre, neu aufgetreten? zyklische Neutropenie ja ja ja arzneimittelinduzierte oder selbstlimitierend? Medikamente? Infektion? ­infektiös bedingte Neutropenie nein nein

nein normal chronische idiopathische andere Zytopenien? Knochenmarkbiopsie Neutropenie ja

normal nicht normal MDS, Leukämie, andere Folsäure, Vitamin B12 hämatologische Neoplasien tief

perniziöse Anämie adaptiert nach [2] adaptiert

Normalisieren sich die Neutrophilenzahlen im Ver- den. Bereits eine Erhöhung des ANC auf über 250 bis lauf, ist in diesem Fall auch keine weitere Abklärung 300 Zellen/µl kann die Infektionsrate bei symptoma- nötig. Bleibt die Ätiologie jedoch unklar, sollte eine tischen Patienten drastisch senken [2]. Untersuchung des Knochenmarks erfolgen. Selbstverständlich steht – sofern vorhanden – die Die Therapie der nicht Chemotherapie-bedingten ursächliche Therapie der Neutropenie an erster Stelle. Neutropenie richtet sich primär nach dem individu- Folsäure- und Vitamin-B12-Substitution sowie bei- ellen Infektionsrisiko und der Ursache, wobei das spielsweise die Therapie autoimmun bedingter Neu- Spektrum von einer kontinuierlichen G-CSF Gabe bis tropenien durch Methotrexat oder Cyclophosphamid hin zu einem abwartenden Prozedere reicht. Wichtig sind nur einige Beispiele, die wiederum die Wichtig- ist, dass alle Patienten ihr individuelles Infektionsri- keit einer sauberen Ursachenabklärung vor Augen siko sowie Warnsignale und Vorsichtsmassnahmen führen [27]. kennen und dementsprechend handeln können. Im Falle akuter Infektionen kann eine G-CSF Sonderfall COVID-19 Gabe erwogen werden [2,3,26]. Diese sollte sich nie Zur Gabe von G-CSF bei Vorliegen einer Sars-CoV-2 rein nach der Neutrophilenzahl richten und somit nur Infektion gibt es zwar erst wenige, aber dennoch eher bei symptomatischen Neutropenien eingesetzt wer- besorgniserregende Daten, insbesondere bei Tumor- patienten. So wurde in einer Studie, die 55 Patienten einschloss, ein schlechteres Outcome der Erkrankung TAKE-HOME-MESSAGES bei Behandlung mit G-CSF beobachtet [28]. Jene 16 ― Neutropenien/Agranulozytosen sollten unsere Aufmerksamkeit wegen der Personen, die G-CSF erhielten, hatten einen grös- erhöhten Infektionsgefahr mit möglichen schweren Verläufen erlangen. seren Sauerstoffbedarf und eine höhere Mortalität. In ― Die arzneimittelinduzierte Neutropenie ist die häufigste Form der isolierten einer Case Study dreier Fälle wurden eine Begünsti- Neutropenie. gung der Inflammation und Makrophagenaktivierung durch G-CSF als Mechanismus postuliert. Bei allen ― Die chronischen benignen Formen der Neutropenien im Erwachsenenalter Patienten trat die klinische Verschlechterung rund 72 sind Ausschlussdiagnosen und haben in der Regel einen benignen Verlauf. Stunden nach Verabreichung des Medikaments auf ― Eine Behandlung mit G-CSF muss immer individuell abgewogen werden und [29]. Vergleichbare Beobachtungen wurden in einem ist bei rezidivierenden Infektionen und Neutrophilenzahlen unter 0,5 × weiteren Fallbericht über einen 47-jährigen COVID- 109/L empfohlen. Von der prophylaktischen Antibiotikagabe wird abgera- 19-Patienten geschildert [30]. ten. Das Risiko einer Behandlung mit G-CSF bei ― Neutropenie kann als Folge einer COVID-19-Infektion auftreten. Die Wir- Vorliegen von COVID-19 lässt sich anhand der aktu- kung von G-CSF bei COVID-19 Patienten ist noch unklar. Die Anwendung ellen Datenlage sicher nicht abschliessend beurteilen. von G-CSF, insbesondere bei Tumorpatienten, sollte mit Vorsicht erfolgen Der Bedarf an zusätzlichen Daten ist gross und diese bis weitere Daten verfügbar sind. könnten wegweisend sein für die nächsten Jahre.

8 InFo ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE 2021; Vol. 9, Nr. 1 CME-FORTBILDUNG

Ausblick 13. Andres E, et al.: Modern management of non- drug- Derzeit läuft am universitären Inselspital Bern eine induced agranulocytosis: a monocentric cohort study of 90 cases and review of the literature. European journal of internal medicine retrospektive Analyse aller Fälle mit isolierter Neu- 2002; 13(5): 324–328. tropenie unter 500 Zellen/µl zwischen 2015 und Sep- 14. Kaufman DW, et al.: Relative incidence of agranulocytosis and tember 2020. Nicht eingeschlossen werden Patienten aplastic anemia. Am J Hematol 2006; 81(1): 65–67. 15. Tesfa D, Keisu M, Palmblad J: Idiosyncratic drug-induced agranulo- mit Chemo- oder Radiotherapie und solche mit par- cytosis: possible mechanisms and management. American journal allel vorliegenden andere Zytopenien. Primär geht es of hematology 2009; 84(7): 428–434. 16. Huguley CM: Agranulocytosis induced by dipyrone, a hazardous darum, Daten zur Ursache, Therapie, Infektions- und antipyretic and analgesic. JAMA 1964; 189: 938–941. Hospitalisationsrate sowie weiteren Outcomes zu 17. Ibanez L, et al.: Agranulocytosis associated with dipyrone (meta- erheben. Wir hoffen auf die Entdeckung von Zusam- mizol). European journal of clinical pharmacology 2005; 60(11): 821–829. menhängen, die zur Risikostratifizierung und somit 18. Hedenmalm K, Spigset O: Agranulocytosis and other blood auch therapeutisch relevant sein könnten. dyscrasias associated with dipyrone (metamizole). European journal of clinical pharmacology 2002; 58(4): 265–274. 19. Shah RR: Metamizole (dipyrone)-induced agranulocytosis: Does the risk vary according to ethnicity? J Clin Pharm Ther 2019; 44(1): Literatur: 129–133. 1. Andres E, et al.: Clinical presentation and management of drug- 20. Fauler J: Undesired effects of NSAIDS and coxibs. MMW Fortschritte induced agranulocytosis. Expert review of hematology 2011; 4(2): der Medizin 2005; 147(31-32): 31–35. 143–151. 21. Stamer UM, et al.: Dipyrone (metamizole): Considerations on 2. Gibson C, Berliner N: How we evaluate and treat neutropenia in monitoring for early detection of agranulocytosis. Schmerz 2017; adults. Blood 2014; 124(8): 1251–1258. 31(1): 5–13. 3. Dale DC: How I diagnose and treat neutropenia. Current opinion in 22. Njue L, Baerlocher GM: Medikamentös-induzierte Neutropenien/ hematology 2016; 23(1): 1–4. Agranulozytosen. der informierte arzt 2018; 02/2018: 23–26. 4. Palmblad J, et al.: How we diagnose and treat neutropenia in adults. 23. Beauchesne MF, Shalansky SJ: Nonchemotherapy drug-induced Expert review of hematology 2016; 9(5): 479–487. agranulocytosis: a review of 118 patients treated with colony- 5. Dale DC, Bolyard AA: An update on the diagnosis and treatment of stimulating factors. Pharmacotherapy 1999; 19(3): 299-305. chronic idiopathic neutropenia. Curr Opin Hematol 2017; 24(1): 24. Sprikkelman A, de Wolf JT, Vellenga E: The application of hemato- 46–53. poietic growth factors in drug-induced agranulocytosis: a review of 6. Atallah-Yunes SA, Ready A, Newburger PE: Benign ethnic neutropen- 70 cases. Leukemia 1994; 8(12): 2031–2036. ia. Blood reviews 2019; 37: 100586. 25. Higgins P, et al.: Rates of neutropenia in adults with influenza A or 7. Rappoport N, et al.: The Duffy antigen receptor for chemokines, B: a retrospective analysis of hospitalised patients in South East ACKR1,- ‹Jeanne DARC› of benign neutropenia. British journal of Queensland during 2015. Intern Med J 2016; 46(11): 1328–1332. haematology 2019; 184(4): 497–507. 26. Dale DC, et al.: A randomized controlled phase III trial of recom- 8. Reich D, et al.: Reduced neutrophil count in people of African binant human granulocyte colony-stimulating factor () descent is due to a regulatory variant in the Duffy antigen receptor for treatment of severe chronic neutropenia. Blood 1993; 81(10): for chemokines gene. PLoS Genet 2009; 5(1): e1000360. 2496–2502. 9. Dale DC: Cyclic and chronic neutropenia: an update on diagnosis 27. Starkebaum G: Chronic neutropenia associated with autoimmune and treatment. Clinical advances in hematology & oncology 2011; disease. Seminars in hematology 2002; 39(2): 121–127. 9(11): 868–869. 28. Morjaria S, et al.: The Effect of Neutropenia and Filgrastim (G-CSF) 10. Welte K, Zeidler C, Dale DC: Severe congenital neutropenia. in Cancer Patients With COVID-19 Infection. medRxiv 2020. Seminars in hematology. 2006; 43(3): 189–195. 29. Nawar T, et al.: Granulocyte-colony stimulating factor in COVID-19: Is 11. Andersohn F, Konzen C, Garbe E: Systematic review: agranulocytosis it stimulating more than just the bone marrow? Am J Hematol 2020; induced by nonchemotherapy drugs. Annals of internal medicine 95(8): E210–E3. 2007; 146(9): 657–665. 30. Taha M, Sharma A, Soubani A: Clinical deterioration during 12. Garbe E: Non-chemotherapy drug-induced agranulocytosis. Expert neutropenia­ recovery after G-CSF therapy in patient with COVID-19. opinion on drug safety 2007; 6(3): 323–335. Respiratory medicine case reports 2020; 31: 101231.

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Rheuma und Krebs Auswirkungen einer Krebserkrankung auf die Rheumatherapie

Marc Schmalzing, Würzburg (D)

Rheuma | Krebs | TNF-Inhibitoren

■ Das zunehmende Alter der Bevölkerung und Die Studien, die sonst in der Medizin die beste die erfreulichen Fortschritte in der onkologischen Evidenz liefern, nämlich randomisiert kontrollierte Therapie führen dazu, dass man als Rheumatologe Studien, eignen sich selbst nach Metaanalyse nur sehr zunehmend mit Patienten konfrontiert wird, die eine bedingt, um die Frage zu klären, ob das jeweilige Prä- maligne Vorerkrankung haben, aber dennoch eine parat das Tumorrezidivrisiko erhöht. Dafür sind meh- leitliniengerechte Basistherapie benötigen. Basis- rere Gründe anzuführen: therapeutika sind nicht selten immunsuppressiv und – Die Fallzahlberechnung und das Design von Zulas- eine der Hauptaufgaben des Immunsystems besteht sungsstudien orientieren sich primär am Nach- darin, maligne Zellen zu erkennen und zu beseiti- weis der Effektivität. Dadurch sind die Fallzahlen gen. Entsprechend gross ist die Sorge von Ärzten und zu klein und die Nachbeobachtung zu kurz, um Patienten, dass durch Basistherapie das Tumorrezidi- bestimmte Sicherheitsaspekte zu erfassen. vrisiko erhöht wird. Gerade bei den Tumornekrose- – Bei malignen Erkrankungen handelt es sich um faktor-Inhibitoren wird diese Sorge noch durch eine seltene Ereignisse, die regelhaft erst nach langer unglückliche Namensgebung befeuert. Latenz auftreten. Unter Cyclophosphamid betragen diese Latenzen zwischen 10 und 15 Jahren. Zunehmende Datenfülle, – Maligne Vorerkrankungen (mit der Ausnahme von schwierige Interpretation nicht-melanozytären Hautkrebsformen) und oft Um derartige therapeutische Entscheidungen treffen hohes Alter stellen Ausschlusskriterien dar. Auch zu können ist es meist wenig hilfreich, sich mit der weisen ältere Patienten nicht selten Komorbiditäten beeindruckenden und spannenden Datenfülle über oder logistische Einschränkungen auf, sodass Pati- In-vitro-Experimente oder Tiermodelle zum Wech- enten mit hohem Krebsrisiko in Studien meist unter- selspiel zwischen Tumorzellen und Immunsystem zu repräsentiert sind. beschäftigen. Wie eingangs erwähnt, ist die tumor sur- Es existieren relativ wenige Studien, die das Tumor- veillance eine wichtige Funktion des Immun­systems; rezidivrisiko unter immunsuppressiver Therapie pri- inflammatorische Prozesse führen dabei zur Zerstö- mär zum Gegenstand haben. Dabei handelt es sich um rung von entarteten Zellen. Andererseits kann Ent- Auswertungen nationaler Register oder von Versiche- zündung aber auch zur Tumorproliferation beitragen rungsdatenbanken. Da die teilnehmenden Ärzte aber und tumour surveillance hemmen. Chronische Ent- in diesen Studien selber festlegen, welche Therapie ein zündung erhöht bekanntermassen das Lymphomri- Patient mit maligner Vorerkrankung erhält, kann es zu siko [1]. Ähnliche Beobachtungen existieren auch für Verfälschungen kommen, indem Präparate, denen der bestimmte solide Tumoren abhängig vom Tumorsta- Arzt ein hohes tumorförderndes Potenzial zumisst, bei dium [2–4]. Dabei können dieselben Zellgruppen Patienten mit hohem Tumorrezidivrisiko zurückhal- oder Zytokine abhängig vom Mikromilieu ganz unter- tender eingesetzt werden. Diesem Bias versucht man schiedliche Wirkungen entfalten, also sowohl tumo- in der statistischen Analyse dieser Studien dadurch zu rinhibierend als auch tumorfördernd. So kann zum begegnen, dass man nach den üblichen Risikofaktoren Beispiel TNF-alpha, das sonst vor allem als tumorinhi- für Tumorrezidive (z.B. das initiale Tumorstadium) bierendes Zytokin bekannt ist, bei Ovarialkarzinomen adjustiert. Der Vorteil von Versicherungsdatenbanken regulatorische T-Zellen stimulieren, die mit einem ist die hohe Fallzahl, der Nachteil die wenig detaillierte höheren Progressionsrisiko assoziiert sind, weil sie Information zum einzelnen Patienten, was eine Adju- wahrscheinlich tumour surveillance unterdrücken [5]. stierung erheblich erschwert. Mangels direkter Evidenz zum Tumorrezidivri- Dr. med. Marc Schmalzing siko versucht man, sich bei den meisten Präparaten Rheumatologie/ am Risiko für das Auftreten von neuen, inzidenten Klinische Immunologie Malignomen in randomisierten Studien, Registern und Medizinische Klinik und Poliklinik Versicherungsdatenbanken zu orientieren und extra- II, Universitätsklinikum Würzburg poliert dieses Risiko auf das Rezidivrisiko. Oberdürrbacher Strasse 6 Angesichts dieser Einschränkungen in der Daten- D-97080 Würzburg lage bieten sich darüber hinaus weitere Möglichkeiten [email protected] des Erkenntnisgewinns an:

10 InFo ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE 2021; Vol. 9, Nr. 1 CME-FORTBILDUNG

– Man betrachtet Studien zur immunsuppressiven TAKE-HOME-MESSAGES Therapie bei Risikopopulationen, die eine höhere ― Die Entscheidung über immunmodulierende oder immunsuppressive Thera- Wahrscheinlichkeit für maligne Erkrankungen pien bei Patienten mit Malignomanamnese muss in der Regel interdiszipli- haben: zum Beispiel Patienten mit Präkanzero- när und stets in enger Absprache mit dem Patienten getroffen werden. sen wie zervikale intraepitheliale Neoplasien oder monoklonale Gammopathien. ― Eine zunehmende Datenfülle hilft bei der Beurteilung der DMARD-Einzel- – Für Studien, in denen unterschiedliche Dosierungen substanzen. Die Datenlage ist aufgrund unterschiedlicher Einschränkungen verwendet werden, kann ein Dosiseffekt untersucht der Studienformate komplex zu beurteilen, ergibt aber bis auf ganz wenige werden. Ausnahmen ein eher positives Bild. – Bei nicht-melanozytären Hautkrebsformen (NMSC) ― Zu wenigen Substanzen (TNF-Inhibitoren, Rituximab) existieren Studien, die handelt es sich um maligne Erkrankungen, die häu- primär das Tumorrezidivrisiko bei stattgehabter maligner Erkrankung unter- figer auftreten und für die selbst bei Studien mit sucht haben. Bei anderen Substanzen kann man sich durch Daten über das kürzerer Nachbeobachtung Unterschiede gesehen Risiko inzidenter Tumoren und begrenzt durch Betrachtung präklinischer wurden [6]. Diese Entitäten könnten eingeschränkt Modelle informieren. als Surrogat für das Krebsrisiko insgesamt dienen, ― Nur zu Cyclophophosphamid in hoher Kumulativdosis besteht ein starkes zumal sie meist kein Ausschlusskriterien für rando- ­Signal für ein erhöhtes Tumorrisiko. Bei vorhandenen Alternativen sollte misiert-kontrollierte Studien darstellen. Allerdings man wahrscheinlich Abatacept, JAK-Inhibitoren und vielleicht in manchen werden NMSC selbst in Studien oft nicht komplett Situationen auch TNF-Inhibitoren eher meiden. Für TNF-Inhibitoren ist die erfasst, was den Grund darstellt, warum sie häufig Datenlage in bestimmten Situationen (z.B. Zustand nach Mammakarzinom) in Betrachtungen zum Malignitätsrisiko ausgenom- besonders aussagekräftig und erscheint dort eher günstig. men werden. ― Mehrere Substanzen erhöhen das Risiko für nicht-melanozytäre Hautkrebs- Bei der Betrachtung von Studien zur Häufigkeit von formen. Diesem Risiko kann gut durch Veranlassung eines konsequenten malignen Erkrankung gilt ein besonderes Augen- Hauttumor-Screenings begegnet werden. merk der jeweiligen Kontrollgruppe. Vergleiche mit der Normalbevölkerung sind weniger hilfreich, da rheumatisch-entzündliche Erkrankungen unabhängig In der aktuellsten Version der ACR-Empfeh- von Einflüssen der Therapie oft erhöhte Inzidenzen lungen von 2015 wurde die Unterscheidung je nach für bestimmte maligne Erkrankungen aufweisen, wie Intervall zwischen Tumor- und Rheumatherapie aber zum Beispiel das Bronchialkarzinom bei rheumatoider aufgegeben. Bei Zustand nach einem soliden Mali- Arthritis [7], Lymphome bei Sjögren-Syndrom [8] und gnom könne demnach die Basistherapie ohne Ein- das Zervixkarzinom bei Systemischem Lupus erythe- schränkung wie bei RA-Patienten ohne Malignom­ matodes [9]. anamnese behandelt werden. Ansonsten wurden für Hautkrebs und lymphoproliferative Erkrankungen Aussagen in Leitlinien und Empfehlungen Priorisierungen für DMARDs vorgenommen, die so Es existieren viele nationale und internationale Leit- sehr der Evidenz entbehren bzw. der damals schon linien zur Therapie der rheumatoiden Arthritis, die verfügbaren, nicht-zitierten Evidenz zuwiderlaufen, sich unterschiedlich detailliert mit dem Thema Mali- dass sie hier nicht widergegeben werden sollen. Dass gnomanamnese befassen [10]. Die klarsten Empfeh- diese zwei malignen Krankheitsgruppen aber der lungen hierzu wurden 2012 und 2015 vom American besonderen Beachtung bedürfen, soll im Folgenden College of Rheumatology formuliert [11,12]. In den dargestellt werden. älteren Empfehlungen von 2012 wurde noch – wie in den meisten anderen Leitlinien – unterschieden, ob Direkte Evidenz zum Tumorrezidivrisiko der Abstand zwischen Ende der kurativen Tumorthe- unter rheumatologischer Therapie rapie und Beginn der Basistherapie mehr oder höch- In nationalen Registern von RA-Patienten wurden stens 5 Jahre betrug. Dabei konnte man sich damals Patienten mit Malignomanamnese im Sinne von nur auf die übliche Zeit der höchsten Tumorrezidiv- Fall-Kontroll-Studien mit Patienten verglichen, die wahrscheinlichkeit und auf Daten aus dem Organtran- ähnliche Basistherapien hatten und keine maligne plantationsbereich berufen [13]. Jenseits der 5 Jahre Erkrankung in der Vorgeschichte aufwiesen. Dabei wurde jegliche Biologikatherapie (damals vor allem wurde meist der Versuch unternommen, nach Risi- TNF-Inhibioren) als sicher erachtet. Innerhalb der kofaktoren für eine Tumorrezidiv wie Krankheits- 5 Jahre wurde Rituximab der Vorzug gegeben, ohne aktivität oder Adipositas zu adjustieren. Die ersten dass dies zum damaligen Zeitpunkt durch Studien aussagekräftigen Daten stammten aus dem deutschen hätte begründet werden können – mit Ausnahme von RABBIT-Register [15] und dem britischen Biologika- CD20+ B-Zell-Neoplasien. Die einzige bis dato publi- Register [16]. Darüber hinaus sind vor allem noch die zierte Studie aus dem hämatoonkologischen Bereich Analysen des US-amerikanischen CORRONA-Regi- ergab sogar bei allen methodischen Problemen eher sters [17], des dänischen DANBIO-Registers [18] und den Hinweis, dass Patienten, die zusätzlich zu einer – erst kürzlich publiziert – des schwedischen ARTIS- autologen Stammzelltransplantation Rituximab Registers [19] zu nennen. Vor Kurzem wurde eine erhielten, ein höheres Risiko für Sekundärmalignome Metaanalyse von Xie und Kollegen über 11 Studien hatten als Patienten ohne Rituximabtherapie [14]. publiziert, die oben genannte Register miteinschliesst Erst in Folge wurden Register-Analysen publiziert, [20]. Verwertbar sind die Daten lediglich für TNF- die tatsächlich Rituximab als relativ unproblematisch Inhbitoren und Rituximab. Erfreulicherweise zeigte erscheinen lassen wie unten ausgeführt. sich jeweils kein erhöhtes Rezidivrisiko für TNF-Inhi-

11 CME-FORTBILDUNG medizinonline.ch

bitoren oder Rituximab im Vergleich zu Patienten, können, wurde bislang zu besonderer Vorsicht und zu die konventionell-synthetische Basistherapeutika abwartendem Verhalten bei Initiierung einer Basis- (csDMARDs) erhielten. Einschränkend ist zu bemer- therapie geraten. Diese Studie kann ein Stück weit als ken, dass bei den meisten Studien das Intervall zwi- Gegenargument gegen diese Einschätzung angeführt schen onkologischer- und rheumatologischer Therapie werden. Im britischen Register zeigte sich bei relativ durchschnittlich deutlich mehr als 5 Jahre betrug – mit grossen Fallzahlen auch keine erhöhte Inzidenz von zwei Ausnahmen: Rituximab wurde im deutschen neuen Mammakarzinomen unter TNFI im Vergleich Register, der älteren ACR-Empfehlung folgend, schon zu csDMARDs [23]. früher eingesetzt und das dänische Register erlaubte einen Vergleich von Patienten mit einem Intervall Daten zu Einzelsubstanzen bis zur TNF-Inhibitor-Therapie von mehr oder weni- Die Datenlage zu allen in der Rheumatologie gängigen ger als 5 Jahren. Hier zeigte sich numerisch sogar ein Substanzen detailliert darzustellen, würde im Rahmen etwas geringeres Risiko für Tumorrezidive bei kür- dieses Übersichtsartikels zu weit führen. Darum sollen zerem Intervall selbst nach Adjustierung für initiale im Folgenden die Datenlage stichpunktartig gemäss Tumorstadien. Allerdings zeigte sich hier, dass tatsäch- Tabelle 1 und das Tumorrisiko der Einzelsubstanzen lich die am Register teilnehmenden Ärzte Biologika oder Substanzgruppen zusammenfassend bewertet eher bei initial niedrigeren Tumorstadien einsetzten. werden. Zitiert wird nur aktuelle Literatur. Für eine Eine Metaanalyse von 16 Studien bei unterschied- vertiefte Lektüre sei hier auf aussagekräftige Über- lichen Autoimmunerkrankungen (RA, chronisch-ent- sichtsarbeiten hingewiesen [24–27]. zündliche Darmerkrankungen und Psoriasis) konnten Gleich eingangs sei erwähnt, dass lediglich für ebenfalls keinen statistisch signifikanten Unterschied Cyclophosphamid ein klares Signal für ein erhöhtes in der Tumorrezidivinzidenz bei Intervallen von mehr Tumorrisiko bzw. Tumorrezidivrisiko besteht – und oder weniger als 6 Jahren nachweisen. Die Analyse das auch nur bei höheren Kumulativdosierungen. Die bezog sich vor allem auf TNF-Inhibitoren, Thiopurine sonst in der Rheumatologie üblichen immunmodula- und Methotrexat [21]. Da die meisten Registerdaten torischen oder immunsuppressiven Therapien dürften aber im Durchschnitt lange Intervalle zwischen onko- allenfalls einen geringen – in manchen Situationen logischer und rheumatologischer Therapie aufweisen sogar günstigen – Einfluss auf diese Risiken haben. Mit und Registerstudien einem erheblichen Bias unterlie- zunehmender Evidenz bestätigt sich eher das positive gen können, sollte trotzdem weiterhin die Länge des Bild. Intervalls in die rheumatologische Therapieentschei- In Tabelle 2 wurde vor dem Hintergrund der rele- dung mit einbezogen werden. vanten Literatur der Versuch unternommen zu beur- Die wahrscheinlich aussagekräftigste Studie zum teilen, inwieweit sich Einzelsubstanzen der rheumato- Tumorrezidivrisiko mit kurzem Intervall stellt die logischen Therapie auf das Risiko für das Auftreten Analyse von US-amerikanischen Versicherungsdaten von neuen Malignomen oder Malignomrezidiven aus- mit sehr grosser Fallzahl von Mamtani und Kollegen wirken könnten. Dies stellt zwar eine erhebliche Ver- dar [22]. Es handelte sich um Patientinnen mit rheuma- einfachung der komplexen Thematik dar, soll aber als toider Arthritis (>90%) oder chronisch-entzündlichen schnelle Orientierung und als Ausgangspunkt für wei- Darmerkrankungen, die nach kurativer Operation tere Diskussion und Recherche dienen. Das Gesamt- eines Mammakarzinoms Methotrexat, Thiopurine, urteil über eine Substanz sollte sich immer sowohl auf TNF-Inhibitoren, Kombinationen davon oder keine die Güte der Datenlage als auch auf die daraus hervor- Basistherapie erhielten. Bei mehr als 90% der Patien- gehenden Hinweise zum Malignomrisiko beziehen. So tinnen wurden die TNF-Inhibitoren bereits innerhalb würde man sich im Zweifel bei alternativen Substan- eines Jahres nach OP wieder begonnen und selbst zen mit wahrscheinlich niedrigem Risiko eher für das bei kontinuierlicher Gabe der TNF-Inhibitoren liess mit der besseren Datenlage entscheiden. sich kein erhöhtes Mammakarzinom-Rezidivrisiko feststellen. Allerdings betrug die Nachbeobachtung Methotrexat: Datenlage: gut. nur 3,4 Jahre. Weil Mammakarzinom-Rezidive auch Methotrexat wird als Erhaltungstherapie bei aku- deutlich später als 5 Jahre nach Operation auftreten ten lymphatischen Leukämien eingesetzt. Es muss

Tab. 1 Bewertung der Evidenz zum Tumorrisiko immunmodulatorischer­ bzw. Immunsuppressiver ­Medikamente in der Rheumatologie Güte der Evidenz Definition

Begrenzt Keine Sicherheitsdaten aus randomisiertem Studienprogramm bei rheumatisch-entzündlichen Erkrankungen mit langer Nachbeobachtung

Mässig Sicherheitsdaten aus randomisiertem Stu-dienprogramm bei rheumatisch-entzündlichen Erkrankungen mit langer Nachbeobachtung, keine Registerdaten

Gut Zusätzlich aussagekräftige Registerdaten zum Risiko inzidenter maligner Erkrankun-gen

Sehr gut Zusätzlich aussagekräftige Daten aus Re-gistern oder Versicherungsdatenbanken zum Rezidiv- risiko bei vorbestehender mali-gner Erkrankung nach [66] nach [66]

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werden aufgrund des Effektes auf Autophagozytose Tab. 2 Versuch einer Bewertung des Tumor­ diskutiert. risikos von immunmodulatorischen und Sulfasalazin könnte ähnlich wie Mesalazin das immunsuppressiven Therapien bezüg- Risiko für Kolonkarzinome bei Colitis ulcerosa redu- lich Datenlage zieren [35]. Substanz Daten Risiko Apremilast: Datenlage: mässig. Methotrexat FDA-Nebenwirkungsberichte lassen vermuten, dass SSZ, HCQ Apremilast ein noch geringeres Tumorrisiko als Uste- kinumab aufweist [36]. Ähnlich wie bei Hydroxychlo- Leflunomid roquin und Sulfasalazin, erscheint ein ungünstiger CSA, Azathioprin Effekt auf Tumorentstehung schon allein aufgrund des Wirkmechanismus für unwahrscheinlich. Mycophenolat Azathioprin, Ciclosporin A, Mycophenolat: Datenlage: Cyclophosphamid mässig. TNF-Inhibitoren Es existieren Hinweise, dass es unter kombinierter Therapie von Azathioprin mit Infliximab bei Män- Rituximab nern mit chronisch-entzündlicher Darmerkrankung Tocilizumab zu gehäuftem Auftreten der sehr seltenen hepatosple- nischen T-Zell-Lymphome kommen könnte [37]. Abatacept Die in einer kürzlich publizierten Studie postulierte Häufung von myeloischen Neoplasien durch Aza- Interleukin 1-Inhibition thioprin bei unterschiedlichen Autoimmunerkran- Ustekinumab kungen wurde in anderen Studien nicht gefunden und ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass Andere Biologika sehr heterogene Populationen verglichen wurden [38]. JAK-Inhibitoren Sowohl für Azathioprin als auch für Ciclosporin A erscheint das Risiko für NMSC erhöht zu sein [39], bei Apremilast CSA vor allem in Zusammenhang mit Lichttherapie nach [66] nach [66] bei Psoriasis [40]. Die Daten über Azathioprin aus grün=gut, orange=mässig, rot=begrenzt; siehe auch Tabelle 1 und Hinweisen für Tumorrisiko aus der Literatur: grün=niedri­ unterschiedlichen Registern zur Inzidenz von Krebs geres Risiko, orange=gleiches Risiko oder rot=höheres Risiko im insgesamt, von Urothelkarzinomen und Lymphomen Vergleich zu anderen Substanzen. Eine grenzwertiger Bewertung ist widersprüchlich, auch wenn sich kein starkes Signal zu Datenlage und Risiko wurde durch Farbzwischentöne zum ergibt. Für MMF existieren vor allem Studien aus dem Ausdruck gebracht. Organtransplantationsbereich. Hier scheint das Risiko für Krebs insgesamt für Hauttumoren und für Post- Transplantations-lymphoproliferativen Erkrankungen von einem Kumulativdosis-abhängig leicht erhöhten im Vergleich zu anderen immunsuppressiven Regimen Risiko für nicht-melanozytären Hautkrebs ausgegan- nach Transplantation etwas niedriger zu sein [41]. gen werden, was sich auch in der grossen randomisier- ten Studie zum Einsatz von Methotrexat bei kardio- Cyclophosphamid: Datenlage: gut. vaskulären Risikopatienten nochmals zeigte [28,29]. Abhängig von der Kumulativdosis von Cyclophos- Die vor allem von japanischen Autoren beschriebene phamid ist das Risiko für das Neuauftreten von Mali- Häufung lymphoproliferativer Erkrankungen, die gnomen oder für Tumorrezidive erhöht. Die meisten zuweilen nach Absetzen von Methotrexat spontan Studien geben als Grenze, ab der dieses Risiko als remittieren [30], bestätigt sich in der Zusammenschau signifikant erhöht errechnet wird, Werte zwischen 20 sonstiger ausführlicher Registerdaten nicht [31]. und 30 g an [42]. Eine Studie über SLE-Patientinnen in Südkorea fand sogar bereits ein erhöhtes Risiko für Leflunomid, Hydroxychloroquin, Sulfasalazin: Daten- inzidente Malignome bei einer Kumulativdosis von lage: mässig für Leflunomid, schlecht für Hydroxychlo- >6 g [43]. Selbst dieser Wert wird aber durch moderne roquin und Sulfasalazin. Cyclophosphamidprotokolle wie das Euro-Lupus-Pro- Leflunomid besitzt zumindest in vitro tumorinhibie- tokoll nicht erreicht. rende Effekte. Die numerische Häufung von Pankre- askarzinomen im RABBIT-Register unter Leflunomid Biologika wurde in anderen Registern nicht gefunden [32]. TNF-Inhibitoren: Datenlage: sehr gut. Für Hydroxychloroquin suggeriert eine Studie bei Es ist ein leicht erhöhtes Risiko für NMSC zu vermu- SLE und mit geringen Fallzahlen maligner Ereignisse ten [44]. Ob ein erhöhtes Risiko für maligne Mela- einen protektiven Effekt gegen maligne Erkrankungen nome unter TNFI besteht, wurde lange Zeit kontro- [33]. Eine neuere Studie zu Kollagenosen lässt ledig- vers diskutiert ohne dass sich klare Signale ergaben. lich einen günstigen Effekt auf die Häufigkeit metasta- Eine Analyse von 11 europäischen RA-Registern [45] sierter Tumorerkranken vermuten [34]. Onkologische und die aktuellste Analyse des australischen ARAD- Therapien in Kombination mit Hydroxychloroquin Registers [46] für RA-Patienten ergaben keinen

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Hinweis auf eine Risikoerhöhung. Mehrere Studien NMSC selbst im Vergleich zu anderen Biologika. Für ergaben kein signifikant erhöhtes Risiko für eine Pro- Krebsinzidenz insgesamt und Melanominzidenz sind gression von bekannten zervikalen intraepithelialen die Daten widersprüchlich [57]. Dyspalsien in Zervixkarzinome unter TNFI [47]. In einer aktuellen Auswertung von US-amerikanischen Secukinumab, Ixekizumab: Datenlage: mässig für Versicherungsdaten wird ein erhöhtes Lymphomri- Secukinumab, begrenzt für Ixekizumab. siko vermutet [48], das sich in Studien aus mehreren IL17-Signalwege können theoretisch sowohl tumor- nationalen Registern nicht fand [49]. Die wichtigen fördernd, als auch tumorinhibierend sein. Die Argu- und beruhigenden Daten zu Studien zum Tumorrezi- mentation der deutschen S3-Leitlinie zur Behandlung divrisiko unter TNFI wurden weiter oben dargestellt. der Psoriasis, die Secukinumab und Ustekinumab bei Interessant sind in diesem Zusammenhang Daten aus maligner Vorerkrankung TNFI gegenüber den Vor- dem Bereich der immunonkologischen Therapien mit zug gibt, erscheint nicht schlüssig in Bezug auf Secu- sogenannten Checkpointinhibitoren (ICPI): Mausmo- kinumab [58]. Daten zur angeblichen Erhöhung des delle [50,51] und eine erste Fallserie [52] lassen vermu- Tumorrisikos unter TNFI werden hier überinterpre- ten, dass die Kombination von ICPI mit TNFI nicht tiert und Daten zu Secukinumab gegenübergestellt, nur zu einer geringeren Rate von immunvermittelten die zwar keine Hinweise auf erhöhte Krebsinzidenz Nebenwirkungen, sondern auch zu einer besseren ergeben, aber zur Untersuchung dieser Fragestellung Tumorkontrolle führen könnte. aufgrund geringer Fallzahlen und kurzer Nachbeo- bachtung auch nicht geeignet sind. Rituximab: Datenlage: sehr gut. Obwohl Rituximab gerade in Deutschland schon lange Ustekinumab: Datenlage: gut. den alten ACR-Empfehlungen folgend bereits relativ In einer Auswertung des PSOLAR-Registers zur kurz nach kurativer Tumortherapie eingesetzt wird, Therapie der Psoriasis wiesen Ustekinumab und finden sich in der Literatur zu rheumatologischen Methotrexat ein niedrigeres Krebsrisiko insgesamt Krankheitsbildern (vor allem zur RA) keine Hinweise im Vergleich zu TNFi auf [59]. Dies würde die oben auf ein erhöhtes Risiko für Tumorrezidive oder für erwähnte Empfehlung in der deutschen Psoriasis-Leit- neue Malignome. Die günstigen Registerdaten zum linie unterstützen, sollte aber idealerweise in anderen Tumorrezidivrisiko wurden oben präsentiert. Studien und Therapiesituationen bestätigt werden, zumal die bereits erwähnten, schwierig zu interpretie- Tocilizumab, Sarilumab: Datenlage: gut für Toci- renden Daten von FDA-Nebenwirkungsberichten für lizumab, begrenzt für Sarilumab. ein höheres Risiko im Vergleich zu Apremilast spre- Tocilizumab findet in unterschiedlichen Therapiesi- chen. tuationen in der Onkologie therapeutische Verwen- dung: Behandlung des Morbus Castleman (Zulas- Anakinra, Canakinumab: Datenlage: mässig bis gut. sung in Japan), Behandlung des Zytokinsturms nach Anakinra wird zur Therapie des Schnitzler-Syndroms CAR-T-Zell-Therapie (Zulassung), Behandlung von eingesetzt. Bei dieser Erkrankung besteht eine Assozi- immunvermittelten Nebenwirkungen von Check- ation der Urtikariavaskulitis zur monoklonalen Gam- pointinhibitoren (Fallserien, Expertenmeinung) [53]. mopathie unklarer Signifikanz, die eine Präkanzerose Die Überlegungen zum Wirkmechanismus, die Toci- darstellt. In der CANTOS-Studie erhielten Patienten lizumab im Zusammenhang mit malignen Erkran- mit erhöhtem CRP nach Myokardinfarkt entweder kungen in einem günstigen Licht erscheinen lassen, Canakinumab oder Placebo [60]. Trotz Erreichen sollten nicht überinterpretiert werden. Eine grosse des primären Endpunktes führte diese Studie zwar Analyse von US-amerikanischen Versicherungsda- nicht zur Zulassung in dieser Indikation, allerdings tenbanken fand zumindest kein höheres Risiko für fiel eine geringere Inzidenz für Bronchialkarzinome maligne Ereignisse bei RA unter Tocilizumab im Ver- im Studienarm auf. Tatsächlich kann Interleukin-1 gleich zu TNFI oder Abatacept, wobei NMSC von der tumorfördernde Effekte haben. Diese Beobachtung Analyse ausgeschlossen waren [54]. wird in einem onkologischen Studienprogramm wei- terverfolgt. Abatacept: Datenlage: gut. Auch hier sollten Überlegungen zum Wirkmechanis- : Datenlage: mässig. mus, der dem des Checkpointinhibitors Gesonderte Erkenntnisse zum Risiko für maligne genau entgegengesetzt ist, nicht überinterpetiert Erkrankungen liegen nicht vor. werden. Allerdings sprechen eine grosse Register- studie [55] und eine Analyse von US-amerikanischen JAK-Inhibitoren: Datenlage: gut für , mäs- Versicherungsdaten [56] für ein erhöhtes Risiko für sig für , begrenzt für . Die Betrachtung des Tumorrisikos von JAK-Inhibi- toren sollte jetzt und in Zukunft besonders fundiert erfolgen, da es sich um hochpotent immunsuppres- sive Medikamente handelt und bereits jetzt gewisse Signale zu verzeichnen sind, die aber noch kein ein- deutiges Bild liefern. Patienten mit Myeloprolifera- > Fortbildungsfragen auf Seite 16 tiven Neoplasien (MPN) haben gehäuft monoklonale B-Zell-Populationen im Knochenmark und damit ein

14 InFo ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE 2021; Vol. 9, Nr. 1 CME-FORTBILDUNG

höheres Risiko für B-Zell-Neoplasien. Eine häma- leicht auch TNF-Inhibitoren aufgrund der unklaren toonkologische Arbeitsgruppe aus Wien wertete eine Datenlage eher meiden, vor allem wenn alternative Kohorte mit MPN-Patienten aus, von denen ein Teil Therapieoptionen existieren. mit unterschiedlichen zugelassenen und experimentel- – Bei kurativ behandelten Lymphomen sollte man mit len JAK-Inhibitoren behandelt wurde [61]. In dieser JAK-Inhibitoren und vielleicht auch TNF-Inhibi- Kohorte zeigte sich ein signifikant erhöhtes Risiko für toren eher zurückhaltend sein. Dagegen wirken sich aggressive B-Zellneoplasien unter JAK-Inhibitoren. Rituximab und vielleicht auch Tocilizumab bei statt- Diese Beobachtung wurde durch ein Mausmodell der gehabten B-Zell-Neoplasien oder Plasmazelldyskra- Arbeitsgruppe unterstützt, aber nicht durch eine ana- sien günstig aus. loge Untersuchung einer grösseren MPN-Kohorte aus – Bei kurativem Therapieziel empfiehlt sich innerhalb dem MD Anderson bestätigt [62]. Im randomisierten des 5 Jahresintervalls: RA-Studienprogramm von Upadacitinib fand sich – Pausieren der Basistherapie und Überbrückung unter der nicht zugelassenen Dosis 30 mg ein signifi- mit Glukokortikosteroiden (bzw. nicht-steroidalen kant höheres Risiko für NMSC als unter 15 mg [63]. Antirheumatika) während Chemotherapie Auch bei Baricitinib traten unter der höheren Dosis – Beachten von Wechselwirkungen bei langfristigen 4 mg bei RA numerisch relativ mehr NMSCs auf als onkologischen Erhaltungstherapien unter 2 mg [64]. Nur für Tofacitinib existieren bereits – Ansonsten eine konsequente Basistherapie im aussagekräftige Registerdaten. Im US-amerikanischen Sinne eines abgestuften Konzeptes, das sich an CORRONA-Register waren die Raten für NMSC und individuellem Tumorrezidivrisiko und Datenlage für Krebs ohne NMSC unter Tofacitinib mit den Bio- zu den infrage kommenden DMARDs orientiert. logika vergleichbar und unterschieden sich nicht signi- Die Datenlage ist sowohl danach zu bewerten, wie fikant [65]. Allerdings sei nochmals auf die Möglich- viele Studien in welcher Qualität vorliegen, als keit des Bias in Registern verwiesen. Auch ist diese auch danach, ob sich Hinweise für geringeres oder Studie noch nicht vollpubliziert. höheres Tumorrisiko im Vergleich zu anderen Sub- stanzen gezeigt haben. Therapiestrategien abhängig von der Situation – Langfristig unkontrollierte Entzündung oder lang- Vor dem Hintergrund dieser Betrachtungen soll im fristig hoch dosierte Glukokortikoidtherapie durch Folgenden der Versuch unternommen werden, Vor- übermässige Zurückhaltung vor Basistherapie sollte schläge zur rheumatologischen Therapie von Pa­tien­ aber unbedingt vermieden werden. ten mit Malignomanamnese zu formulieren. Diese – Aufgrund der hohen Komplexität der Wechselwir- Vorschläge sind eine Synthese aus bereits bestehenden kungen von Immunsystem und Tumor in Zusam- Empfehlungen in Leitlinien und der geschilderten und menhang mit immunonkologischen Therapien gesichteten Evidenz. Sie unterlagen keinem Konsen- (Checkpointinhibitoren) empfiehlt es sich, rheuma- sus-Prozess und geben lediglich die individuelle Mei- tologische Therapieentscheidungen von einem spe- nung des Autors wider: zialisierten Zentrum treffen zu lassen. – Therapeutische Entscheidungen sind in diesem Zusammenhang emotional sehr beladen und müs- Literaturliste bei Verlag sen mit dem Patienten und dem onkologisch behan- delnden Kollegen ausführlich besprochen werden. – In einer palliativen Therapiesituation muss unter- schieden werden, ob die Prognose und onkologische Therapieoptionen sehr begrenzt sind oder ob die Anzeige Möglichkeit einer langfristigen Krankheitskontrolle durch (moderne) onkologische Therapiekonzepte besteht. Insbesondere die Bewertung von DMARD- Therapien nach immunoonkologischen Therapien fällt schwer, kann aber durch onkologische Erfah- rungen zur immunsuppressiven Therapie immun- vermittelter Nebenwirkungen dieser Behandlungen unterstützt werden. Wenn das primäre Therapieziel Symptomlinderung ist, kann die rheumatologische Therapie meist ohne Einschränkung betrieben wer- den. Beim Ziel einer langfristigen Tumorkontrolle Den Alltag bewältigen. sollte man sich ähnlich wie bei kurativen Therapie- konzepten verhalten. Wir unterstützen dich. – Bei kurativem Therapieziel kann man rheuma- Beim Thema Krebs sind Fragen ganz individuell. tologische Therapie 5 Jahre nach Abschluss der Wir sind persönlich für dich da und unterstützen onkologischen Therapie wahrscheinlich ohne Ein- dich bei einem Gespräch, per Mail oder im Chat. Damit du die Antworten findest, die du brauchst. schränkung durchführen. Mehrjährige onnkolo- gische Erhaltungstherapien sollten dieses Intervall nicht noch mehr hinauszögern. Auch jenseits eines Intervalles von 5 Jahren sollte man bei Malignem Mehr auf krebsliga.ch/beratung Melanom Abatacept, JAK-Inhibitoren und viel-

15 CME-FORTBILDUNG medizinonline.ch

CME-Fortbildung für Ärzte: Online ausfüllen auf medizinonline.ch > Fortbildungsfragen Neutropenie | Rheuma und Krebs

Zur Beantwortung der Fragen sind folgende Artikel erforderlich: – Nicht Chemotherapie-induzierte Neutropenie – Die isolierte Neutropenie: Ein Krankheitsbild mit vielen Gesichtern – Rheuma und Krebs: Auswirkungen einer Krebserkrankung auf die Rheumatherapie

1. Welches der folgenden Medikamente 4. Welches der folgenden Syndrome löst 6. Welche Aussage zum Malignom(rezidiv) verursacht in der Regel keine Neutro­ keine primäre Neutropenie aus? risiko trifft zu? penie? (gesuchte Antwort ankreuzen) (gesuchte Antwort ankreuzen) (gesuchte Antwort ankreuzen) A Benigne ethnische Neutropenie A Cyclophosphamid erhöht unabhängig A Carbimazol B Zyklische Neutropenie von der Kumulativdosis stark das Risiko. B Bisoprolol C Kostmann-Syndrom B Leflunomid erhöht das Risiko für C Ticlopidin D Fragiles X-Syndrom Pankreaskarzinome. D Penicillin C Tumornekrosefaktor-Inhibitoren sind bei Malignomanamnese kontraindiziert. 5. Die Bewertung der Datenlage zum D Abatacept ist im Vergleich zu anderen 2. Welche der folgenden Aussagen zur Malignom-Rezidivrisiko unter immun­ ­Biologika anscheinend mit einem höheren Gabe von G-CSF stimmen? suppressiver Therapie ist komplex. Risiko für nicht-melanozytäre Hautkrebs- (alle gesuchten Antworten ankreuzen) Welche Aussage trifft zu? formen assoziiert. A Die Gabe von G-CSF ist bei ANC-Werten (gesuchte Antwort ankreuzen) unter 500 Zellen/µl immer indiziert. A Die Analyse des gesamten randomisierten B G-CSF sollte bei akuten Infektionen nicht Studienprogramms inklusive Open-Label- 7. Wie sollte man bei einem Patienten mit gegeben werden. Verlängerungsstudien einer Einzelsub- Malignomanamnese vorgehen, wenn er C Oftmals reicht die Erhöhung der Neutro- stanz sind dabei am aussagekräftigsten. aufgrund von starker Krankheitsaktivität philenzahl im peripheren Blut auf 300 Zel- B Die Analyse von Versicherungsdaten- eine immunsuppressive Basistherapie len/µl aus, um Infektionen vorzubeugen. banken gewährleistet detaillierte Infor­ benötigen würde? D Eine Behandlung mit G-CSF könnte ge­ mationen zum Einzelfall. (gesuchte Antwort ankreuzen) mäss aktuellen Daten den Verlauf einer C Bei fehlender direkter Evidenz zum A Innerhalb von 5 Jahren nach kurativer vorliegenden Sars-CoV-2 Infektion ver- ­Malignom-Rezidivrisiko kann man sich ­onkologischer Therapie sind Basis­ schlechtern, insbesondere bei Tumor­ am Risiko­ für neue Malignome unter der therapeutika kontraindiziert. patienten. jeweiligen Substanz orientieren. B Die B-Zelldepletion mit Rituximab beein- D Der Grossteil der Daten spricht dafür, trächtigt die immunologische tumor dass sich die meisten rheumatologischen ­surveillance besonders stark. 3. Durch welche Mechanismen bewirkt Basistherapeutika ungünstig auf das C Hydroxychloroquin kann man wahrschein- Clozapin eine Neutropenie? Malignomrezidivrisiko auswirken. lich bei Malignomanamnese bedenkenlos (alle gesuchten Antworten ankreuzen) geben. A Direkter zytotoxischer Effekt D Die Entscheidung über eine Basistherapie B Auslösung einer Hypersensitivitätsreaktion geschieht unabhängig davon, ob eine C Immunvermittelter Effekt (arzneimittelin- ­palliative oder kurative Situation vorliegt. duzierte Bildung von Antikörpern) D Stimulation des Neutrophilenabbaus in der Milz

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16 InFo ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE 2021; Vol. 9, Nr. 1 NEWS

Checkpoint-Inhibitoren wurde ein molekulardynamisches Modell mit- tels Computersimulation. Die Bewegungen einzelner Atome und deren gegenseitige Beein- Wirkmechanismus unter der Lupe flussung wurden errechnet und mathematisch analysiert. So liessen sich in den molekularen Checkpoint-Inhibitoren wie und inhibieren Rezep- Bewegungen kleinste Unterschiede zwischen toren der Immunzellen und verhindern so deren Abschaltung durch den Tumor. dem natürlichen Molekül PD-L1 und den Medi- So weit, so gut. Doch wie funktioniert dieser Mechanismus genau? Und wie kamenten erkennen. könnte man ihn noch effektiver machen? Diesen Fragen sind Forscher der Es zeigte sich, dass einige Schleifen des Medizinischen Universität Wien intensiv nachgegangen. Mittels komplexer PD-1-Moleküls sich je nach Bindungspartner Computermodelle analysierten sie kleinste molekulare Bewegungen und anders verformten und somit unterschiedliche entdeckten eine bisher unbekannte Konformationsänderung von PD-1 durch Reaktionen auslösten – oder eben keine. Eine Pembrolizumab. wichtige Rolle spielt hierbei der sogenannte CC‘-Loop von PD-1. Nivolumab und Pemboli- ■ Um immuntherapeutische Ansätze wie die Ausschlaggebend für die Wirksamkeit der zumab lösten wider Erwarten nicht etwa die- Blockade von PD-1 (Programmed Cell Death Checkpoint-Inhibitoren Nivolumab und Pemb- selbe Konformationsänderung des Moleküls Protein-1) weiterentwickeln zu können, ist ein rolizumab ist die Blockade des PD-1-Moleküls. aus, sondern unterschiedliche. Mit dem zuneh- genaues Verständnis des Wirkmechanismus Das Medikament muss an PD-1 binden, jedoch menden Verständnis molekularer Mechanis- und der involvierten Moleküle unabdingbar. In ohne eine Aktivierung auszulösen. Denn diese men entstehen Optionen zur Weiterentwick- einer molekulardynamischen Studie, welche würde bekanntlich die Immunantwort unter- lung der Immuntherapie und zur potenziellen in der Fachzeitschrift Cancers im Dezember binden und somit das Wachstum des Tumors Optimierung der verfügbaren Medikamente auf 2020 veröffentlicht wurde, analysierte eine begünstigen. Wie diese Bindung ohne Aktivie- kleinster Ebene. österreichische Forschungsgruppe nun Details rung genau zustande kommt, war bisher unklar. der molekularbiologischen Effekte von Pemb- Die Wissenschaftler untersuchten in ihrer Stu- Quelle: Medienmitteilung «Modern anti-cancer drugs work via tiny molecular motions», 03.02.2021, Medizinische rolizumab und Nivolumab. Geleitet wurde das die nun die entscheidenden Unterschiede zwi- Universität Wien, Österreich. Projekt vom Medizininformatiker Wolfgang schen dem natürlichen, von malignen Zellen Schreiner, den Gynäkologen Heinz Kölbl und produzierten PD-L1 zur Unterdrückung der Georg Pfeiler von der MedUni Wien sowie dem Immunantwort und den bei verschiedenen Weiterführende Literatur: - Roither B, et al.: Pembrolizumab Induces an Unexpect­ Biosimulationsexperten Chris Oostenbrink von Karzinomen eingesetzten Medikamenten zur ed Conformational Change in the CC’-loop of PD-1. der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. Blockade dieses Mechanismus. Eingesetzt Cancers (Basel). 2020;13(1).

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Nicht resektables Magenkarzinom Immuntherapie auf dem Vormarsch

Mit etwa 140 000 europaweit neudiagnostizierten Fällen und 107 000 Todes- Bezüglich aller weiterer Therapielinien exis- fällen jährlich stellt das Magenkarzinom eine gefürchtete Erkrankung dar [1]. tieren aktuell keine klaren Leitlinien. In Frage Insbesondere in fortgeschrittenen Stadien – und diese sind aufgrund der kommen , Chemotherapie, Trif- typischerweise erst spät im Krankheitsverlauf auftretenden Symptome häufig luridin/Tipiracil (TAS-102) und verschiedene – ist die Prognose nach wie vor äusserst ungünstig. Neue Therapieansätze sind Checkpoint-Inhibitoren. Neben der Verbesse- dementsprechend dringend nötig. Aktuelle Erkenntnisse deuten darauf hin, rung der therapeutischen Optionen zur Erst- dass die Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren wie Nivolumab und Pembro- und Zweitlinienbehandlung des Magenkarzi- lizumab schon in naher Zukunft einen höheren Stellenwert bekommen könnte. noms im Stadium IV gilt es also, im Laufe der Sogar in der Erstlinie. nächsten Jahre einen Therapiestandard für die dritte Linie zu etablieren. ■ (st) Bisher ist die Checkpoint-Inhibitor-Thera- ist auch in der zweiten Linie eine Chemothera- pie beim Magenkarzinom in der Schweiz ledig- pie möglich. Deren Outcomes sind vergleichbar Checkpoint-Inhibitoren als Option lich in weit fortgeschrittenen Fällen zugelassen. mit jenen einer Behandlung mit Ramucirumab. Nicht nur für einen solchen Behandlungsstan- So beschränkt sich die Zulassung für Nivolumab Die besten Resultate können durch Kombina­ dard in der Drittlinie könnten Checkpoint-Inhi- auf die Drittlinientherapie und jene für Pembroli- tio­nen von Paclitaxel und dem anti-VEGFR-2-An- bitoren schon bald eine tragende Rolle spielen, zumab auf die Behandlung von metastasierten tikörper erreicht werden [4]. sondern auch zur Ergänzung der Möglichkeiten Tumoren mit hoher Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) oder fehlerhafter DNA-Mismatch-Repa- ratur (dMMR) ohne alternative Therapieoptionen Abb. 1 Aktuell gültiger Algorithmus für die Therapie des Magenkarzinoms im [2]. Resultate aus verschiedenen Studien lassen Stadium­ IV nun auf eine baldige Erweiterung dieser Indika- tionen hoffen. ECOG ≤2 Stand der Dinge Bisher war der Magenkrebs im Stadium IV Do- mäne der Chemotherapie (Abb. 1). Diese ver- HER2 negativ HER2 positiv mag die Überlebenszeit im Vergleich zur rein supportiven Behandlung zwar zu verbessern, allerdings lediglich um etwa 6,7 Monate [3]. Ein Doublet mit Platin + FP* Cisplatin + FP* + zusätzlicher Monat kann durch den Einsatz von oder Chemotherapie-Kombinationen gewonnen wer- Irinotecan + FP* den, welche aber auch erhöhte Toxizitäten mit oder sich bringen [3]. Doublet-Chemotherapien auf der Basis von Platin und einem Fluoropyrimidin Triplet mit Platin+ FP* sind der empfohlene Standard, der Nutzen von + Docetaxel Dreifachkombinationen wird kontrovers bewer- tet [4]. Während für HER2-positive Tumoren Rezidiv/Refraktärität gezielte Therapien zur Verfügung stehen, exis- tiert diese Möglichkeit bei HER2-negativen Fällen aktuell nicht. Die Hinzunahme von Tras- >3–6 Monate nach ≤3 Monate nach tuzumab zur Chemotherapie führt bei HER2- ­Erstlinientherapie Erstlinientherapie positiven Tumoren, die 10–15% der Magen- karzinome ausmachen, zu einer Steigerung der Ansprechrate sowie des progressionsfreien Wiederholung Paclitaxel + und Gesamtüberlebens. Der Effekt ist mit einer ­Erstlinientherapie Ramucirumab Erhöhung des medianen Überlebens um knapp über zwei Monate zwar nachweisbar, aber oder gering [5]. Von einer Heilung sind wir also weit Monotherapie entfernt, unabhängig vom HER2-Status. mit** Bei Versagen der Erstlinien-Chemotherapie Docetaxel mit oder ohne Trastuzumab kann der gegen Irinotecan VEGFR-2 (Vascular Endothelial Growth Factor Paclitaxel Receptor 2) gerichtete Antikörper Ramuci- Ramucirumab

rumab eingesetzt werden. Dieser bewirkt eine nach [4] modifiziert Verlängerung des Überlebens um etwa 1,5 * FP – Fluoropyrimidin (5-Fluorouracil + Folinsäure, Capecitabin, S-1) Monate im Vergleich zu Placebo [6]. Alternativ ** alphabetische Reihenfolge

18 InFo ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE 2021; Vol. 9, Nr. 1 MEDIZIN

von PD-L1 in Tumor und Stroma (kombinierter Tab. 1 Laufende Phase-III-Studien zum Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren beim Positivitätsscore), Epstein-Barr-Virus-Assozi- unresektablen Magenkarzinom ation und Mikrosatelliteninstabilität [11,12]. Name Identifier Untersuchter Therapielinie Auch hierzu laufen derzeit einige Studien. Checkpoint-Inhibitor Es bleiben zwar noch viele Fragen offen, etwa zur genauen Anwendung, zur idealen CheckMate649 NCT02872116 Nivolumab, Ipilimumab 1 Patientenselektion und auch zur Wirksamkeit ATTRACTION-4 NCT02746796 Nivolumab 1 selbst. Dennoch wird sich die Immunthera- pie – Zulassungserweiterung vorausgesetzt ATTRACTION-2 NCT02267343 Nivolumab 3 – womöglich auch beim Magenkarzinom KEYNOTE-859 NCT03675737 Pembrolizumab (bei 1 schon bald nicht mehr aus der Behandlung HER2-Negativität) wegdenken lassen. Anhand der bisher verfüg- baren Daten ist nicht mit dem ganz grossen KEYNOTE-811 NCT03615326 Pembrolizumab 1 Durchbruch zu rechnen, aber kleine Schritte (bei HER2-Positivität) in die richtige Richtung sind in greifbare Nähe KEYNOTE-063 NCT03019588 Pembrolizumab 2 gerückt.

KEYNOTE-062 NCT02494583 Pembrolizumab 1

KEYNOTE-061 NCT02370498 Pembrolizumab 2

JAVELIN Gastric 100 NCT02625610 1 (Erhaltungstherapie) Literatur: 1. Smyth EC, et al.: Gastric cancer: ESMO Clinical Prac- tice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. in früheren Behandlungsphasen. Aktuell lau- bens sowie der Ansprechrate unter Addition von Annals of Oncology. 2016; 27: v38–v49. 2. swissmedic Arzneimittelinformation. fen diverse Studien, welche den Einsatz von Nivolumab zur Chemotherapie. Das Gesamt- www.swissmedicinfo.ch (letzter Zugriff am Nivolumab, Pembrolizumab und Co. in allen überleben konnte laut dieser ersten Analyse 17.01.2021) Therapielinien prüfen (Tab. 1). Die Resulta- jedoch nicht signifikant verlängert werden. 3. Wagner AD, et al.: Chemotherapy for advanced gastric cancer. Cochrane Database Syst Rev. 2017; 8: te weisen bisher darauf hin, dass die Behand- Während zur Erstlinientherapie meist die CD004064. lung mit Checkpoint-Inhibitoren der Chemothe- zusätzliche Gabe von Immuntherapeutika 4. Lordick F, et al.: Onkopedia – Magenkarzinom. www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/ rapie zumindest nicht unterlegen ist. So wurde untersucht wird, steht in späteren Linien auch magenkarzinom (letzter Zugriff am 17.01.2021) beispielsweise in der KEYNOTE-062-Studie von die alleinige Checkpoint-Inhibitor-Therapie zur 5. Bang YJ, et al.: Trastuzumab in combination with einer vergleichbaren Wirksamkeit des PD-1-Blo- Debatte. So wurde in der ATTRACTION-2-Studie chemotherapy versus chemotherapy alone for treatment of HER2-positive advanced gastric or ckers Pembrolizumab als Monotherapie in der bereits eine signifikante Verbesserung der Pro- gastro-oesophageal junction cancer (ToGA): a phase Erstlinie berichtet, bei deutlich besserer Ver- gnose durch den Einsatz von Nivolumab in der 3, open-label, randomised controlled trial. Lancet. träglichkeit [7]. Wichtig scheint es, in der Wirk- Drittlinientherapie beobachtet. Das mediane 2010; 376(9742): 687–697. 6. Fuchs CS, et al.: Ramucirumab monotherapy for previ- samkeitsanalyse verschiedene Untergruppen Überleben konnte von 4,14 auf 5,26 Monate ously treated advanced gastric or gastro-oesophageal zu berücksichtigen. Bei hoher PD-L1-Expressi- gesteigert werden [10]. junction adenocarcinoma (REGARD): an international, randomised, multicentre, placebo-controlled, phase 3 on zeigte sich ein deutlicher Trend zu einem län- trial. Lancet. 2014; 383(9911): 31–39. geren Gesamtüberleben unter der Behandlung Ein Blick in die Zukunft 7. Shitara K, et al.: Efficacy and Safety of Pembrolizumab mit Pembrolizumab. Wenn auch längerfristige Daten noch abgewar- or Pembrolizumab Plus Chemotherapy vs Chemothera- py Alone for Patients With First-line, Advanced Gastric Die Resultate zahlreicher weiterer Studien tet werden müssen, stellt der Einsatz von Im- Cancer: The KEYNOTE-062 Phase 3 Randomized zum Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren in der muntherapeutika beim fortgeschrittenen Ma- Clinical Trial. JAMA Oncol. 2020; 6(10): 1571-80. Erstlinientherapie sind ausstehend, jedoch wur- genkarzinom eine valide Option dar. Mittlerweile 8. Moehler M, et al.: Nivolumab (nivo) plus chemotherapy (chemo) versus chemo as first-line (1L) treatment for den an verschiedenen Kongressen 2020 inte- laufen zahlreiche grosse Studien zu diesem An- advanced gastric cancer/gastroesophageal junction ressante Einblicke gewährt. Am Kongress der satz, von denen auch schon einige – teilweise cancer (GC/GEJC)/esophageal adenocarcinoma (EAC): First results of the CheckMate 649 study. Annals of European Society of Medical Oncology (ESMO) Hoffnung weckende – Resultate bekannt sind. Oncology. 2020; 31: S1142–1215. präsentierte Markus Moehler erste vielverspre- Die Gabe von Checkpoint-Inhibitoren könnte in 9. Boku N, et al.: Nivolumab plus chemotherapy versus chende Daten aus der CheckMate649 Studie, der Erstlinientherapie des nicht resektablen Ma- chemotherapy alone in patients with previously untreated advanced or recurrent gastric/gastro die 1581 Patienten einschliesst [8]. Im Ver- genkarzinoms schon bald Routine sein, insbe- esophageal junction (G/GEJ) cancer: ATTRACTION-4 gleich zur alleinigen Chemotherapie zeigte sich sondere bei PD-L1-Expression und als Zusatz (ONO-4538-37) study. Annals of Oncology. 2020; 31: bei PD-L1-Expression unter zusätzlicher Gabe zur gängigen Chemotherapie. In späteren Be- S1142–1215. 10. Chen L-T, et al.: A phase 3 study of nivolumab in pre- von Nivolumab eine signifikante Verbesserung handlungslinien steht auch der alleinige Ein- viously treated advanced gastric or gastroesophageal von Gesamtüberleben und progressionsfreiem satz von Immuntherapeutika zur Debatte, wel- junction cancer (ATTRACTION-2): 2-year update data. Gastric cancer: official journal of the International Überleben. Ein kleinerer – ebenfalls signifikan- cher der Placebo-Gabe nachweislich überlegen Gastric Cancer Association and the Japanese Gastric ter – Effekt war auch in der Gesamtgruppe vor- ist. Insgesamt scheint die Verträglichkeit jener Cancer Association. 2020; 23(3): 510–519. handen. von Chemotherapien überlegen zu sein. 11. Shitara K, et al.: Pembrolizumab versus paclitaxel for previously treated, advanced gastric or gastro- Darüber hinaus wurden erste Erkenntnisse Die Identifizierung geeigneter Biomarker oesophageal junction cancer (KEYNOTE-061): a aus der ATTRACTION-4-Studie vorgestellt, wel- würde die Selektion der richtigen Patienten für randomised, open-label, controlled, phase 3 trial. che ebenfalls die zusätzliche Gabe von Nivo- die Immuntherapie erleichtern. Dieses Thema, Lancet. 2018; 392(10142): 123–133. 12. Kim ST, et al.: Comprehensive molecular characte- lumab in der Erstlinie untersucht, allerdings an welches auch über das Magenkarzinom hinaus rization of clinical responses to PD-1 inhibition in 724 ausschliesslich asiatischen Patienten [9]. zahlreiche Krankheitsbilder betrifft, wird uns metastatic gastric cancer. Nat Med. 2018; 24(9): 1449–1458. Narikazu Boku berichtete von einer signifikan- wohl noch lange Zeit begleiten. Vielverspre- 13. ClinicalTrials.gov. www.clinicaltrials.gov (letzter Zugriff ten Steigerung des progressionsfreien Überle- chende Kandidaten sind aktuell die Expression am 17.01.2021)

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Hormonrezeptor-positives Mammakarzinom gen sind ein hohes Rezidivrisiko, die Bestäti- gung des prämenopausalen Status nach Che- motherapie sowie die gleichzeitige Gabe von Neue Option zur Begleittherapie Tamoxifen oder einem Aromataseinhibitor. In den Zulassungsstudien konnte gezeigt werden, dass die Zugabe von Pamorelin® zur Tamoxifen- MARKT & MEDIZIN Debiopharm International S.A. Behandlung sowohl das Gesamtüberleben als auch das krankheitsfreie Überleben signifikant verlängerte. Der GnRH-Agonist Triptorelin (Pamorelin®) wird bereits seit längerem erfolg- Durch die Erweiterung der Indikation steht reich in verschiedenen Bereichen eingesetzt, unter anderem zur Behandlung nun ein neuer, kassenpflichtiger Wirkstoff zur des hormonabhängigen Prostatakarzinoms. Neu ist das Medikament auch für Verfügung, dessen Anwendung in anderen die adjuvante Therapie des Hormonrezeptor-positiven Brustkrebses im Früh­ Gebieten bereits langjährig erprobt ist. Er stellt stadium zugelassen und wird seit dem 1. Dezember 2020 von den Kranken­ eine Alternative zur bisher gängigen chemi- kassen vergütet. schen Kastration mit anderen GnRH-Analoga wie Goserelin dar. Der klinische Stellenwert ■ (st) Als Weiterentwicklung von Gonadorelin ist Alternativ existieren auch Formulierungen à beim Mammakarzinom wird sich weisen, die Triptorelin (Pamorelin®) ein stärker wirkender 11.25 mg zur dreimonatlichen Injektion sowie Optionen zur Ausschaltung der Ovarialfunktion Agonist des Gonadotropin-Releasing-Hormons à 22,5 mg für eine halbjährliche Gabe. sind in jedem Fall diverser geworden. (GnRH) mit einer verstärkten Affinität zu den Bisher war Pamorelin® in der Schweiz zur Quelle: «Neu: Pamorelin® LA 3,75 mg ist zugelassen hypophysären Rezeptoren und einer langsame- Behandlung des fortgeschrittenen hormonab- und kassenpflichtig für die Behandlung von Brustkrebs», ren Inaktivierung im Zielgewebe. Eine kontinu- hängigen Prostatakarzinoms und der Endomet- Dezember 2020, Debiopharm International S.A. ierliche Dosierung der Substanz bewirkt einen riose, sowie zur Downregulation im Rahmen der Abfall des LH/FSH-Plasmaspiegels sowie der assistierten Reproduktionsmedizin zugelassen. Weiterführende Literatur: Sexualhormone Testosteron, Östrogen und Pro- Nun darf das Medikament in der Dosierung – Francis PA, et al.: Tailoring Adjuvant Endocrine Therapy gesteron. Durch die monatliche intramuskuläre von 3,75 mg ausserdem zur Begleittherapie for Premenopausal Breast Cancer. N Engl J Med. 2018; 379(2): 122–137. ® Injektion von Pamorelin 3,75 mg kann somit des Hormonrezeptor-positiven Brustkrebses im – Fachinformation Pamorelin® LA, Stand August 2020, eine chemische Kastration erreicht werden. Frühstadium eingesetzt werden. Voraussetzun- www.swissmedicinfo.ch.

Nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom mit EGRF-Mutation am Leben und krankheitsfrei – im Vergleich zu 52% unter Placebo. Alle Studienteilnehmer hat- ten vorgängig eine komplette Tumorresektion Neue Zulassung für Osimertinib und eine adjuvante Chemotherapie erhalten. Für drei Jahre oder bis zum Wiederauftreten zur adjuvanten Therapie der Erkrankung erhielt die Interventionsgruppe eine 80-mg-Tablette Osimertinib täglich, die Kontrollgruppe Placebo. Sicherheit und Verträg- MARKT & MEDIZIN AstraZeneca AG lichkeit deckten sich in der ADAURA-Studie mit bisherigen Daten zu Osimertinib. Durch die neu zugelassene adjuvante Nach überzeugenden Resultaten der Phase-III-Studie ADAURA wurde die Anwendung von Tagrisso® könnte die Rezidiv- Indikation für Osimertinib (Tagrisso®) in der Schweiz erweitert. So darf das rate von EGRF-mutierten NSCLC der Stadien IB Medikament nun auch zur adjuvanten Therapie beim nicht-kleinzelligen bis IIIA in Zukunft auch ausserhalb klinischer Lungenkarzinom (NSCLC) mit EGRF-Mutation im Frühstadium eingesetzt Studien deutlich abnehmen. Ein erstrebens- werden. Voraussetzungen sind eine vollständige Tumorresektion sowie der wertes Ziel, wenn man bedenkt, dass fast die Nachweis von Exon 19 Deletionen oder Exon 21 Substitutionsmutationen. Hälfte der Patienten mit NSCLC im Stadium IB und über 75% jener Betroffenen mit Erstdiag- ■ (st) Bisher war der irreversible EGFR-Tyrosin- mutierte NSCLC im Frühstadium nach vollstän- nose im Stadium IIIA innerhalb von fünf Jahren kinaseinhibitor (TKI) Osimertinib (Tagrisso®) in diger Tumorresektion. einen Krankheitsrückfall erleiden. der Schweiz nur zur Therapie des lokal fortge- In der internationalen Phase-III-Studie schrittenen oder metastasierten NSCLC zuge- ADAURA reduzierte die adjuvante Behandlung Quelle: Pressemitteilung «Tagrisso® (Osimertinib) mit Indikationserweiterung als adjuvante Therapie bei nicht- lassen. Hier wird er einerseits zur Erstlinien- mit Osimertinib das Rückfallrisiko bei Patienten kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) mit EGFR-Mutation behandlung von Patienten mit EGFR Exon 19 mit einer Erkrankung im Stadium II und IIIA um im Frühstadium nach vollständiger Tumorresektion», Deletionen oder Exon 21 Substitutionsmutati- 83% [1]. In der gesamten Studienpopulation, Januar 2021, AstraZeneca AG, Baar. onen eingesetzt und andererseits zur Therapie in die 682 Betroffene mit Tumoren der Stadien Weiterführende Literatur von Tumoren mit EGFR-T790-Mutation, welche IB bis IIIA eingeschlossen wurden, konnte eine – Wu YL, et al.: Osimertinib in Resected EGFR-Mutated sich unter einem anderen EGFR-TKI progredient Reduktion des Rezidivrisikos um 80% beobach- Non-Small-Cell Lung Cancer. N Engl J Med. 2020; 383(18): 1711-23. zeigen. Neue Studienresultate führten nun zu tet werden. Nach zwei Jahren waren 89% der – Fachinformation Tagrisso® auf www.swissmedicinfo.ch, einer Ausweitung dieser Indikationen auf EGFR- mit Osimertinib behandelten Patienten noch Stand der Information Januar 2021.

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Fortgeschrittenes Pankreaskarzinom Erstlinientherapien im Real Life Check

Die Prognose beim metastasierten oder inoperablen Pankreaskarzinom ist mit vorhandener Risikofaktoren ging mit einem einem medianen Gesamtüberleben von weniger als einem Jahr nach wie vor kürzeren Gesamtüberleben einher (Tab. 1) [3]. düster. Aktuell gelten Gemcitabin plus Nab-Paclitaxel und FOLFIRINOX als Standard-Erstlinientherapien. Bisher fehlt ein Direktvergleich dieser Optionen, Je schlechter die Prognose, was die Auswahl des idealen Behandlungsschemas erschwert. Eine Analyse desto wichtiger die Therapiewahl des deutschen Tumorregisters zum Pankreaskrebs zeigt: Die Prognose bleibt Während sich die Therapiewahl in prognostisch unabhängig von der Therapiewahl schlecht, in der Hochrisikogruppe scheint die günstigeren Situationen nicht im Gesamtüberle- Auswahl der Behandlung jedoch einen signifikanten Einfluss auf das Überleben ben niederschlug, profitierten Patienten mit min- zu haben. destens drei Risikofaktoren deutlich von einer Therapie mit FOLFIRINOX. In dieser Hochrisiko- ■ (st) Mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von Denn dieses ist bekanntlich oft älter und krän- gruppe betrug das durchschnittliche Überleben lediglich 8% stellt der inoperable oder metasta- ker als die Studienpopulation. Daher sind zur unter Behandlung mit Gemcitabin/nab-Paclita- sierte Bauchspeicheldrüsenkrebs eine gefährli- Bewertung der verfügbaren Medikamente Da- xel 4,3 Monate und jenes unter FOLFIRINOX- che Erkrankung dar, für die bis heute keine ten ausserhalb klinischer Studien nötig. Anhand Therapie 10,7 Monate [3]. befriedigende Behandlungsoption zur Verfü- grossflächig und über einen längeren Zeitraum Das Nebenwirkungsprofil und individuelle gung steht. Aufgrund der anfänglich oft unspe- erhobener Registerdaten können Wirksamkei- Faktoren dürfen zwar nicht ausser Acht gelas- zifischen und diskreten Symptome, sowie der ten von Behandlungen differenzierter beurteilt sen werden, dennoch scheint die Behandlung raschen Progression, sind etwa 80% aller neu werden und somit die Versorgungsqualität im mit FOLFIRINOX in den prognostisch ungüns- diagnostizierten Tumoren bereits so weit fort- Alltag verbessert werden. Dies ist vor allem nö- tigsten Situationen Vorteile zu bringen. Die brei- geschritten, dass eine Resektion nicht infrage tig, wenn – wie beim fortgeschrittenen Pankreas­ tere Einführung eines Risikoscores zur Thera- kommt. In diesen Fällen galt früher die systemi- karzinom – Studien zur direkten Gegenüberstel- piewahl sowie die Validierung dieser Ergebnisse sche Therapie mit Gemcitabin als Standard of lung therapeutischer Ansätze fehlen. in weiteren Analysen könnten das Management Care. Mittlerweile konnte gezeigt werden, dass Durch die Analyse von Daten des deut- des inoperablen Bauchspeicheldrüsenkrebses die zusätzliche Gabe von nab-Paclitaxel – also schen Tumorregisters zum Pankreaskrebs in Zukunft potenziell vereinfachen. der albuminbasierten Formulierung von Paclita- (TPK) konnte 2020 ein prognostischer Score xel – die Remissionsrate signifikant erhöht und für Patienten mit metastasiertem Bauchspei- das Überleben um durchschnittlich knapp zwei cheldrüsenkarzinom erarbeitet werden und Literatur: Monate gegenüber der Monotherapie verlängert die beiden etablierten Erstlinien-Behandlungs- 1. Oettle H, et al.: Pankreaskarzinom — Onkopedia. [1]. Alternativ wird zur Erstlinienbehandlung strategien verglichen werden [2,3]. Insgesamt Oktober 2018. www.onkopedia.com/de/onkopedia/ guidelines/pankreaskarzinom/@@guideline/html/ des inoperablem Pankreaskarzinoms FOLFI- schloss die Auswertung über 1730 Patienten index.html (letzter Zugriff am 24.01.2021) RINOX eingesetzt, eine Kombination von Fluo- ein. 443 davon erhielten Gemcitabin/nab- 2. Hegewisch-Becker S, et al.: Results from the prospec- tive German TPK clinical cohort study: Treatment rouracil, Folinsäure, Irinotecan und . Paclitaxel und 255 FOLFIRINOX. In den iden- algorithms and survival of 1,174 patients with locally Diese Therapie führte in bisherigen Studien bei tifizierten prognostischen Gruppen verglichen advanced, inoperable, or metastatic pancreatic ductal Patienten in gutem Allgemeinzustand zu einer Forscher die Wirksamkeit der beiden Erst­ adenocarcinoma. Int J Cancer. 2019; 144(5): 981-90. 3. Hegewisch-Becker S, et al.: Prognosis in patients with Steigerung der Remissionsrate und zur Verlän- linientherapien.­ Als Risikofaktoren galten ein advanced and effectiveness of gerung der progressionsfreien Überlebenszeit ECOG (Eastern Cooperative Oncology Group) 1st-line treatments – a prognostic and comparative um durchschnittlich 3,1 Monate verglichen mit – Status ≥ 2, eine Bilirubinerhöhung über den effectiveness study using propensity score weighting for patients treated with Gem+Nab vs. FOLFIRINOX der alleinigen Gemcitabin-Gabe. Allerdings war 1,5-fachen Normwert, tiefe Thrombozytenzah- from the TPK registry. Abstract präsentiert an der die Rate schwerer Nebenwirkungen unter FOL- len, hohe Leukozytenzahlen, ein Neutrophilen- Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie FIRINOX in Studien deutlich höher [1]. Neben Lymphozyten-Verhältnis ≥4 und ein Charlson- und Medizinische Onkologie; virtuelle Durchführung, FOLFIRINOX und Gemcitabin/nab-Paclitaxel ist Komorbiditätsindex ≥3. Eine steigende Anzahl 09.–11.10.2020. derzeit als einzige Kombinationssubs- tanz für die Erstlinientherapie zugelassen [1]. Tab. 1 Gesamtüberleben nach Risikogruppe

Die Qual der Wahl Risikogruppe Anzahl Risikofaktoren* Medianes Gesamtüberleben (Monate) Vor dem Hintergrund zweier Behandlungsoptio- Günstiges Risiko 0 11 nen mit unterschiedlichem Toxizitätsprofil und nur geringfügiger Abweichung des Gesamtüber- Mittleres Risiko 1–2 9 lebens stellt die Therapiewahl eine Herausforde- Hohes Risiko ≥3 8

rung dar. Hierbei spielt auch die Frage nach der nach [3] Übertragbarkeit der in Studien erhobenen Da- *Risikofaktoren: ECOG-Status ≥2, Bilirubin ≥1,5-facher Normwert, tiefe Thrombozytenzahlen, hohe Leukozyten- istock Doucefleur, ten auf das tatsächliche Patientengut eine Rolle. zahlen, Neutrophilen-Lymphozyten-Verhältnis ≥4, Charlson-Komorbiditätsindex ≥ 3

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Eine Reportage aus dem Leben Beim Wiedereinstieg in den Beruf habe er zunächst grosse Bedenken gehabt, erzählt der erfahrene Hausarzt. So dachte er, er könne Der Arzt als Patient sich nur noch für wirklich und schwer kranke Menschen interessieren. Der Gedanke daran, jammernden Patienten gegenüberzusitzen – Der Umgang mit oftmals schweren Erkrankungen ist das zentralste Element selbst weit weniger krank als er – erschien ihm des Arztberufes. Täglich behandeln und beraten wir betroffene Patienten, unerträglich. In der Praxis waren diese Beden- bilden uns fort und setzen uns auf allen Ebenen mit den diversen Krankheits- ken dann aber meist kein Problem, einerseits auswirkungen auseinander. Dabei steht die eigene Vulnerabilität meist im dank der Routine vergangener Jahre und ande- Hintergrund. Doch was, wenn es einen selbst trifft? Wie beeinflusst die rerseits auch wegen des kleinen Pensums von Erfahrung am eigenen Leib das ärztliche Handeln? Und umgekehrt: Wie 30%, mit dem er startete. Viel half ihm in dieser beeinflusst der Beruf den Umgang mit dem Krebs? Wir haben einen gefragt, Zeit seine Supervisorin, die ihn etwas in seinem der’s wissen muss, und neben einem interessanten Gespräch auch wertvolle Ehrgeiz bremste und ihn davon abhielt, zu früh Gedankenanstösse für die tägliche Praxis erhalten. und zu intensiv wiedereinzusteigen.

■ (st) Samuel Perri* sitzt im Wohnzimmer Nebenwirkungen später nahm er Abschied Neue Ehrlichkeit seines Einfamilienhauses. Der Hund, ein Wei- von seiner Familie, der Frau, den drei Kindern, Schon bald nach dem beruflichen Neustart maraner, liegt auf seinem Kissen direkt neben dem Hund. Der Tumor hatte sich im ganzen bemerkte Samuel Auswirkungen der eigenen dem Heizkörper, es läuft leise Musik. Samuel Körper ausgebreitet, selbst aus der Haut brach Krankheit auf seien Prioritäten als Arzt. «Mei- trinkt Tee aus einer grossen Tasse und erzählt er hervor. Einem letzten Therapieversuch mit ne beruflichen Prioritäten haben sich ganz klar von seiner Krankheit. Einer Krankheit, die einem Checkpoint-Inhibitor – damals off-label noch mehr dorthin verschoben, wo sie immer la- man ihm heute gar nicht – stimmte er mehr seinem gen», erzählt er. So sei ihm eine rationale, ehr- «Der Gedanke daran, jammernden mehr ansieht. Er ist gross Umfeld zuliebe zu. Mit liche und einfühlsame Medizin noch wichtiger Patienten gegenüberzusitzen, die gewachsen, trägt einen gravierenden Auswirkun- als früher. Auch gewichte er an ihn gerichtete weit weniger krank sind als ich gepflegten Dreitagebart gen, denn bereits nach Erwartungen anders und könne besser damit selbst, erschien mir unerträglich.» und sportliche Kleidung. zwei Wochen zeigte dieser umgehen, diese auch einmal nicht zu erfüllen. Vor drei Tagen hat er seinen 51. Geburtstag Erfolg und Samuel schöpfte neuen Lebensmut. Übertriebener Aktionismus komme heute selte- gefeiert, aufgrund von Corona in kleinem Rah- Nach weiteren zwei Wochen ging er wieder spa- ner vor als früher und er könne es nun besser men, nur mit der Familie. Die beiden grossen zieren, nach drei Monaten joggen. Und nach ertragen, im Sinne von «weniger ist mehr» auch Töchter waren zu Besuch, seine Frau und der einem halben Jahr arbeiten. einmal zuzuwarten. 13-jährige Sohn haben gekocht. Vor drei Jahren Samuel, selbst ohne Risikofaktoren hätte Samuel nicht gedacht, dass er diesen Tag Neuanfang als «Unversicherbarer» erkrankt, Nichtraucher, Wenigtrinker, schlank noch erleben würde. Da er die eigene Praxis aufgegeben hatte, mach- und körperlich aktiv, sieht die Prävention nach Damals wurde sein neuroendokriner Tumor te sich Samuel auf Stellensuche. Diese gestal- seiner Erkrankung etwas lockerer. Als Mensch diagnostiziert. Ihm war schon seit längerer Zeit tete sich trotz Ärzteknappheit in der Grundver- und als Arzt. «Auch mit dem gesündesten übel und so hat er in der eigenen Hausarztpra- sorgung schwierig. Eine Anstellung scheiterte Lebensstil sind wir nicht vor Krankheit und xis einfach kurz den Schallkopf auf die Leber aufgrund seiner «Unversicherbarkeit», oftmals gehalten, eigentlich ohne schlimme Vorah- waren die Pensen zu hoch. Schliesslich fand nung. Unzählige Raumforderungen waren da er aber eine Arbeitgeberin, welche das Risiko, «Meine beruflichen Prioritäten zu sehen und das Leben stand Kopf. Sechs durch einen Rückfall schnell wieder eine Arbeits- haben sich ganz klar noch mehr Monate, drei Chemotherapien und zahlreiche kraft zu verlieren, ohne zu zögern eingegangen dorthin verschoben, wo sie immer ist. «Ein grosses Glück», meint Samuel. Er ist ihr lagen: Eine rationale, ehrliche und * Name geändert nun schon gute zwei Jahre erhalten geblieben. einfühlsame Medizin anzubieten.» istock fizkes,

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frühzeitigem Tod gefeit. Natürlich haben wir auch beängstigen. Denn Samuel weiss zwar, «Wissen ist Ethik.» eine Verantwortung, dem Leben Sorge zu tra- was mittlerweile alles möglich ist, aber eben gen, doch dabei sollte das Leben selbst nicht auch, wie begrenzt unsere Optionen immer auf der Strecke bleiben», sagt er. Für die Frage, noch sind. Einerseits sei es für ihn eine enor- Das Wichtigste zum Schluss ob er nun ein besserer Arzt geworden sei, hat me Entlastung, weniger anfällig für die – wie Samuel ist zufrieden und unendlich dankbar für er nur ein müdes Lächeln über. Im Bereich der er sie nennt – alternativmedizinischen Markt- sein «zweites Leben». Als Arzt, als Mann, als Va- Onkologie kenne er sich jetzt jedenfalls besser schreier zu sein und ohne schlechtes Gewissen ter, als Mensch. Zu guter Letzt wollen wir ihn aus. Nein, im Ernst, ehrlicher sei er geworden. auf wissenschaftlich zweifelhafte Methoden wie noch selbst zu Wort kommen lassen: Und kritischer. So gehe er mit dem für ihn hochdosiertes Vitamin C verzichten zu können. grössten Dilemma der Allgemeinmedizin heute Andererseits sei er durch seine Ausbildung und Samuel, was möchtest du allen Onkologen mit anders um als vor seiner Erkrankung: «Ethik in berufliche Erfahrung auch gezwungen, sich rea- auf den Weg geben? der Medizin ist für mich mit fundiertem Wissen listisch mit seiner Prognose auseinanderzuset- Samuel Perri: Diese Frage würde wohl jeder et- verbunden. Das Wissen und das, was wir den zen, teilweise fehle ihm das Vertrauen in seine was anders beantworten. Mir fallen vier Dinge Patienten anbieten können, wächst schneller, Ärzte. Ein Instinkt, der ihm potenziell das Leben ein, die ich gerne erwähnen möchte: als jeder einzelne es lernen kann. Heute sage gerettet hat, aber dem auch unzählige schlaf- 1. Wissen ist Ethik. Und es ist aktuell aufgrund ich auch leichter als früher einmal, dass ich lose Nächte geschuldet sind. Hätte er den Arzt des rasanten Wissenszuwachses schwer, es einfach nicht weiss, aber wir beispielsweise nicht gewechselt, wäre er vermutlich tot. Ohne up-to-date zu bleiben. Mut zur off-label-The- jemand anderen fragen können.» dass irgendjemand einen Fehler gemacht hät- rapie hat mir das Leben gerettet. So etwas Unterm Strich liebt Samuel seinen Beruf te. «Wäre ich nicht Arzt und hätte vorher schon geht nur, wenn man sich als Arzt auf seinem – nach wie vor. Nur manchmal, wenn es ihm diverse Kontakte in dem Bereich gehabt, wür- Gebiet bestens auskennt. nicht so gut geht, wünscht er sich einen Job, de ich heute nicht hier sitzen. Die Schulmedizin 2. Wenn ein Patient mit euch übers Sterben in dem er schweigen darf. «Kommunizieren bietet fantastische Möglichkeiten, die aber bei reden möchte, dann tut das bitte! zu müssen kann sehr ermüdend sein, vor Weitem nicht für alle gleichermassen zugänglich 3. Sorgt für Privatsphäre bei der Chemo! Pa­tien­ allem wenn man auch noch der Arzt – also der sind. Auch in der Schweiz nicht. Einen guten Arzt ten, die Chemos bekommen, befinden sich in Gesunde in der Situa­tion – macht für mich neben fundier- einem Ausnahmezustand. Die räumlichen ist.» Nie wird er vergessen, wie «Wenn eine Patientin mit tem Wissen auch die Kenntnis Settings der Chemotherapie sind auch heute gleich nach seinem Wiederein- euch übers Sterben reden der eigenen Grenzen aus und noch grossteils eine Zumutung. Die eigenen stieg ein Patient hartnäckig möchte, dann tut das bitte!» die Offenheit, Kollegen zu fra- Tränen zu unterdrücken während die Patien- Fragen zu diversen pflanzli- gen.» tin gegenüber ganz selbstverständlich ihren chen Prostatamedikamenten, deren Vor- und Der Krebs hat Samuels Überzeugung von Port samt abgenommenem Busen entblös- Nachteilen gestellt hat, während er selbst auf der Schulmedizin weiter gestärkt, ihm jedoch sen muss, dabei Durchfalldetails von einem den MRI-Befund einer Nachsorgeuntersuchung auch ihre Limitationen vor Augen geführt und anderen anzuhören, während das Kleinkind wartete. In solchen Momenten, wenn er das seine Spiritualität wiederentdecken lassen. Ein einer weiteren Patientin zwischen den Liegen Bedürfnis hat, sich zurückzuziehen, und den Prozess der ihm aufgrund seines wissenschaft- herumsteht und mir fast das Herz bricht und Patienten nicht gerecht werden kann, werden lichen Hintergrundes schwerer gefallen sein ein fünfter Patient seine Business-Telefonate Samuel auch die negativen Auswirkungen sei- dürfte als anderen. Er habe im Rahmen seiner führt ist leider kein erfundenes Szenario. ner Erkrankung auf ihn als Arzt bewusst. Diese Erkrankung das angewandt, was er in Kindheit 4. Und: Ich habe hervorragende und einfühl- werden vor allem dann spürbar, wenn die Angst und Jugend von der katholischen Oma und same Onko-Pflegekräfte kennengelernt. ihn plagt. dem buddhistischen Onkel gelernt habe und Ihren Job kann man nicht genug würdigen! wertvolle Gespräche mit einem reformierten Wissen als Vor- und Nachteil Seelsorger geführt. Heute ist er überzeugt, dass So sehr das Wissen als Arzt für den Umgang mit die Spiritualität Hilfe bietet, welche die Medizin der eigenen Krankheit und deren Management inklusive Psychoonkologie und Psychiatrie nicht ein enormer Vorteil sein kann, so sehr kann es zu bieten vermag.

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Chronische lymphatische Leukämie BTK-Inhibitoren und andere Hoffnungsträger

Die Therapie der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) unterliegt derzeit tenter Wirkstoff zur Verfügung, der gemeinsam einem rasanten Wandel. Zunehmend wird die bisher gängige Chemoimmun­ mit dem Anti-CD20-Antikörper in therapie durch gezieltere Behandlungsmethoden ersetzt. Neben neuen der ersten Behandlungslinie eingesetzt wird [1]. Wirkstoffen wie dem BTK-Inhibitor sind auch verschiedene Bei der grossen Anzahl therapeutischer Kombina­tionstherapien und Behandlungssequenzen Gegenstand aktueller Optionen, die aktuell zur Verfügung stehen, ist Studien. die Wahl der besten Behandlung nicht immer einfach. Erschwerend kommt eine etwas ■ (st) Als häufigste leukämische Erkrankung in nutzt werden. Der PI3K-Blocker Idelalisib wird undurchsichtige Flut neuer Daten hinzu, welche Mitteleuropa betrifft die CLL insbesondere ältere vor allem in späteren Therapielinien eingesetzt die Guidelines wohl über die nächsten Jahre Menschen. Diese könnten schon bald von neuen [1]. BTK-Inhibitoren hingegen sind mittlerweile prägen werden. Erkenntnissen zur optimalen Behandlungs- als Monotherapie oder in Kombination mit Anti- strategie profitieren. Vor dem Hintergrund des CD20-Antikörpern in der Erstlinientherapie an- Neue BTK-Inhibitoren in Studien demografischen Wandels, der einen weiteren gekommen – unabhängig von Mutationsstatus vielversprechend Zuwachs der Fallzahlen um knapp 30% in den und Alter (Abb. 1) [1]. Während in der Insbesondere zum BTK-Inhibitor Acalabrutinib nächsten 25 Jahren erwarten lässt, sind Fort- Schweiz bereits seit 2014 zugelassen ist, fehlt wurden kürzlich interessante Daten veröffent- schritte in der Therapie auch auf epidemiologi- die Zulassung des BTK-Inhibitors der zweiten licht, welche bereits zur Zulassung durch die scher Ebene wünschenswert [1]. Generation Acalabrutinib hierzulande noch [2]. Europäische Arzneimittelbehörde geführt ha- Die europäische Arzneimittelbehörde hat 2020 ben. Während der neue Wirkstoff in der ELEVA- Signalwege im Fokus grünes Licht für Acalabrutinib gegeben [3]. TE TN2-Studie an zuvor unbehandelten Patien- Bereits seit mehreren Jahren spielt der B-Zell- Neben dem B-Zell-Rezeptor-Signalweg ten getestet wurde, prüfte die ASCEND3-Studie Rezeptor-Signalweg eine bedeutsame Rolle in sind auch BCL-2-abhängige Transduktions- die Anwendung bei rezidivierter oder refraktä- der Behandlung der CLL. Das maligne Wachs- wege pathogenetisch bedeutsam für die CLL. rer CLL [4,5]. tum ist stark von dessen Aktivierung abhängig Die pro-apoptotische Wirkung von BH3 (Bcl2- In der Erstlinientherapie zeigte Acalabruti- und eine Blockade von kritischen Kinasen wie homology-domain-3)-Mimetika kann diesem nib als Monotherapie wie auch in Kombination BTK (Bruton-Tyrosinkinase) und PI3K (Phos- krankheitserzeugenden Mechanismus entge- mit Obinutuzumab eine signifikante Verlänge- phoinsoditid-3-Kinase) kann therapeutisch ge- genwirken. Mit steht hier ein pon- rung des progressionsfreien Überlebens ver-

Abb. 1 Aktuelle Empfehlungen zur Erstlinientherapie der CLL

asymptomatisch symptomatisch, aktive Erkrankung

alle kein Nachweis von del(17p13)/(TP53mut) gebrechlich del(17p13)/(TP53mut) oder (no go) watch & wait oder komplexem Karyotyp komplexem Karyotyp oder IGHV unmutiert IGHV mutiert oder

oder ≤65 Jahre oder >65 Jahre oder fit (go go) unfit (slow go)

BTK-Inhibitor ± BTK-Inhibitor ± BTK-Inhibitor ± Venetoclax + Best Anti-CD20-AK Anti-CD20-AK Anti-CD20-AK Obinutuzumab Supportive Care Venetoclax + Venetoclax + Obinutuzumab Obinutuzumab

Fludarabine + Bendamustin +

Cyclophosphamide + Rituximab Rituximab (FC) Chorambucil + Obinutuzumab nach [1] modifiziert

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möglich geeigneten Patientenguts. Diesbezüg- lich wird derzeit fleissig geforscht und erste Erkenntnisse sind schon in naher Zukunft zu erwarten.

Stammzelltransplantation bald obsolet? Der einzige kurative Ansatz bei der CLL bleibt die allogene Stammzelltransplantation, den- noch rückt diese mit der Verfügbarkeit hoch wirksamer molekularer Therapien zunehmend in den Hintergrund. Sie ist heute lediglich noch Christoph Burgstedt, istock eine Option in Situationen, welche auch mit den neu verfügbaren Behandlungsmöglichkei- glichen mit der Standard-Chemotherapie mit Phase-II-Studie kam zum Schluss, dass Zanu- ten prognostisch ungünstig sind. Durch die Ent- Chlorambucil und Obinutuzumab. Die Kombi- brutinib in späteren Therapielinien gut toleriert wicklung innovativer Wirkstoffe und die Untersu- nationstherapie führte zu einer Risikoreduktion wurde und mit 84,6% hohe Ansprechraten chung verschiedener therapeutischer Regimes für das Fortschreiten der Erkrankung um 90%, zeigte [7]. Weitere Untersuchungen laufen, könnte die allogene Stammzelltransplantation die Monotherapie bewirkte eine entsprechende beispielsweise zum Einsatz bei Patienten, wel- bei der CLL in naher Zukunft noch weiter in die Risikoabnahme um 80%. Nach 24 Monaten che unter BTK-Inhibitor-Therapie bereits einen Nische gedrängt werden. Wollen wir es hoffen. betrug die progressionsfreie Überlebensrate Progress erlitten, aber auch zur Anwendung unter Acalabrutinib-Obinutuzumab 93%, jene in der Erstlinie [6,8]. Wie wurde Literatur: unter Acalabrutinib Monotherapie lag bei 87%. auch Tirabrutinib bisher insbesondere bei der 1. Wendtner C-M, et al.: Chronische Lymphatische Zum Vergleich: Lediglich 47% der Patienten, refraktären und rezidivierten CLL unter die Leukämie (CLL) — Onkopedia. September 2020. welche die Standard-Chemotherapie erhielten, Lupe genommen. In Kombination mit Idelalisib www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/ chronische-lymphatische-leukaemie-cll/@@guideline/ waren nach zwei Jahren noch ohne Progression und mit oder ohne Obinutuzumab wurden in html/index.html (letzter Zugriff am 24.01.2021) [4]. der Phase-II-Studie CLLRUmbrella1 Gesamtan- 2. swissmedic schweizerisches Heilmittelinstitut: Arzneimittelinformation. www.swissmedicinfo.ch/ Wie in der ersten Linie lieferte die neue sprechraten von 60% in der Zweier- und von (letzter Zugriff am 24.01.2021) Substanz auch in späteren Behandlungslinien über 90% in der Dreierkombination beobachtet 3. EMA: Calquence. www.ema.europa.eu/en/ vielversprechende Resultate. In der ASCEND- [9]. Zum Einsatz von Fenebrutinib bei der CLL, medicines/human/EPAR/calquence (letzter Zugriff am 24.01.2021) Studie blieben 88% der Patienten unter Aca- welches aktuell in Phase-I-Studien untersucht 4. Sharman JP, et al.: Acalabrutinib with or without labrutinib-Therapie nach einem Jahr frei von wird, wurden bis anhin noch keine Resultate obinutuzumab versus chlorambucil and obinutuzmab Krankheitsprogression, während es im Kontrol- veröffentlicht. for treatment-naive chronic lymphocytic leukaemia (ELEVATE TN): a randomised, controlled, phase 3 trial. larm 68% waren. Die Acalabrutinib Monothera- Lancet. 2020; 395(10232): 1278-91. pie wurde mit der Kombinationstherapie Idela- Was gibt es sonst noch in der Pipeline? 5. Ghia P, et al.: ASCEND: Phase III, Randomized Trial of Acalabrutinib Versus Idelalisib Plus Rituximab lisib/Rituximab oder Bendamustin/Rituximab Nicht nur BTK-Inhibitoren sind Gegenstand ak- or Bendamustine Plus Rituximab in Relapsed or verglichen [5]. Beide Studien zeigten – konsis- tueller Forschung, sondern auch diverse ande- Refractory Chronic Lymphocytic Leukemia. J Clin tent mit den bisherigen Erkenntnissen – ein re Wirkstoffe. So wird beispielsweise der Einsatz Oncol. 2020; 38(25): 2849-61. 6. ClinicalTrials.gov. www.clinicaltrials.gov (letzter Zugriff akzeptables Sicherheitsprofil. des Interleukin-1-Rezeptor-Antagonisten Anakin- am 24.01.2021) Selbst wenn Langzeitergebnisse und Daten ra in der Erstlinie derzeit in einer Phase-I-Studie 7. Xu W, et al.: Treatment of relapsed/refractory chronic zum Gesamtüberleben noch fehlen, ist Acalab- untersucht [10]. Auch diese Substanz, welche lymphocytic leukemia/small lymphocytic with the BTK inhibitor zanubrutinib: phase 2, single- rutinib ein heisser Kandidat für einen baldigen bisher vor allem bei der rheumatoiden Arthritis arm, multicenter study. Journal of hematology & verbreiteten Einsatz bei der CLL – auch in der angewandt wird, ist in der Schweiz noch nicht oncology. 2020; 13(1): 48. 8. Tam CS, et al.: Zanubrutinib monotherapy for patients Schweiz. Derzeit laufen über 70 Studien zum zugelassen. Ferner laufen Studien zum neuen with treatment naïve chronic lymphocytic leukemia neuen Wirkstoff. Diese umfassen Untersu- PI3K-Inhibitor Umbralisib in verschiedenen Er- and 17p deletion. Haematologica. 2020; Epub online chungen zur Anwendungen bei weiteren B-Zell- krankungsstadien und Wirkstoffkombinationen ahead of print. 9. Safety and Efficacy of the Combination of Tirabrutinib Neoplasien wie etwa dem Mantelzell- oder Non- [6]. Eine Zulassung der FDA wird für dieses Me- and Idelalisib With and Without Obinutuzumab in Hodgkin-Lymphom, sowie zu verschiedenen dikament schon dieses Jahr erwartet [11]. Auch Adults With Relapsed or Refractory Chronic Lympho- Wirkstoffkombinationen [6]. Metformin, der BCL-2-Inhibitor Navitoclax (ABT- cytic Leukemia (CLL) - Study Results - ClinicalTrials. gov. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/results/ Mit Zanubrutinib, Tirabrutinib und Fene- 263), verschiedene Impfungen wie Oncoquest- NCT02968563 (letzter Zugriff am 24.01.2021) brutinib existieren noch andere, neue BTK-Inhi- CLL, IO103 und IO120, der monoklonale anti- 10. Anakinra in Previously Untreated Chronic Lymphocytic Leukemia Patients - Full Text View - ClinicalTrials.gov. bitoren, deren Anwendung aktuell bei der CLL CD20-Antikörper und noch einige https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04691765 geprüft wird (Übersicht 1). Eine chinesische Wirkstoffe mehr könnten schon bald eine Rol- (letzter Zugriff am 24.01.2021) le in der Behandlung einnehmen [6]. Wie in an- 11. Rai-Roche S.: TG Therapeutics’ umbralisib, ublituxi- mab likely to face market hurdles but FDA approval deren Bereichen der Onkologie werden – unter Übersicht 1 BTK-Inhibitoren, deren highly expected. Pharmaceutical Technology. 2020. anderem mit dem bispezifischen Antikörper Ep- www.pharmaceutical-technology.com/comment/ Anwendung bei der CLL coritamab – auch immuntherapeutischen An- tg-therapeutics-umbralisib-ublituximab-likely-to-face- derzeit in klinischen market-hurdles-but-fda-approval-highly-expected/ Studien geprüft wird sätze zur Behandlung der CLL untersucht [12]. www.pharmaceutical-technology.com/comment/ Mit der überwältigenden Menge an poten- tg-therapeutics-umbralisib-ublituximab-likely-to-face- – Acalabrutinib market-hurdles-but-fda-approval-highly-expected/ ziellen und bereits zugelassenen neuen Wirk- (letzter Zugriff am 24.01.2021) – Zanubrutinib stoffen zur Behandlung der CLL stellt sich 12. Safety and Efficacy Study of Epcoritamab in Subjects vermehrt die Frage nach optimalen therapeu- With Relapsed/Refractory Chronic Lymphocytic – Tirabrutinib Leukemia - Full Text View - ClinicalTrials.gov. https:// tischen Kombinationen und Sequenzen, sowie – Fenebrutinib clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04623541 (letzter nach Biomarkern zur Selektion eines best- Zugriff am 24.01.2021)

25 MEDIZIN medizinonline.ch

Therapie des metastasierten HER2-positiven Mammakarzinoms Ist eine Heilung schon bald möglich?

KONGRESS SABCS

In den letzten Jahren konnte die Prognose des metastasierten, HER2-positiven 7,8 Monate und das mediane Gesamtüberle- Mammakarzinoms durch die Entwicklung neuer Wirkstoffe wie dem Antibody- ben von 17,4 auf 21,9 Monate erhöht werden. Drug Konjugat (ADC) Trastuzumab-Deruxtecan und dem gegen HER2 gerichte- Langzeitdaten fehlen zwar, dennoch sind diese ten Tyrosinkinaseinhibitor deutlich verbessert werden. Und zwar so ersten Resultate in Hinblick auf die bis anhin sehr, dass Nancy Lin vom Dana-Faber Cancer Institute der Harvard Medical äusserst schlechte Prognose nach Progress un- School am San Antonio Breast Cancer Symposium 2020 gar einen kurativen ter T-DM1 vielversprechend. Behandlungsansatz präsentierte. Dennoch stellen insbesondere unerklärte Neben Trastuzumab-Deruxtecan und Tu- Resistenzmechanismen, ZNS-Metastasen und die Wahl der richtigen Therapie- catinib befinden sich noch zahlreiche weitere sequenz in fortgeschrittenen Stadien auch heute noch grosse Herausforde- Substanzen in der Pipeline. Diese reichen vom rungen im klinischen Alltag dar. gegen HER2-gerichteten monoklonalen Antikör- per Margetuximab über Antikörper-Toxin Konju- ■ (st) Ein Blick auf das Gesamtüberleben Im Zentrum dieser positiven Entwicklung gate wie SYD985 bis hin zu Kombinationen mit von Patientinnen mit metastasiertem HER2- steht die Erforschung von Trastuzumab-Derux- Immuntherapie oder CDK4/6-Inhibitoren (Über- positivem Brustkrebs beweist: Es hat sich viel tecan und Tucatinib. Bei Trastuzumab-Derux- sicht 2). Ob diese Ansätze die Behandlung des getan in den letzten 20 Jahren. Während das tecan handelt es sich um ein Antibody-Drug metastasierten HER2-positiven Mammakarzi- mediane Overall Survival (OS) 2001 noch knapp Konjugat (ADC) aus drei Komponenten. Ein noms in Zukunft prägen werden, bleibt abzu- über 20 Monate betrug, lag es 2019 bei über äusserst potenter, membrangängiger Topoiso- warten. An Innovation fehlt es jedenfalls nicht. 40 Monaten mit einem 8 Jahres-Überleben von merase I-Inhibitor ist durch ein abspaltbares 37% [1]. Ausschlaggebend für diese Entwicklung Verbindungsstück an einen monoklonalen An- ZNS-Metastasierung im Fokus war sicherlich die Einführung der HER2-gerichte- tikörper mit derselben Aminosäuresequenz wie In ihrer Präsentation betonte Nancy Lin mehr- ten Therapie mit Trastuzumab, und Trastuzumab gekoppelt. Die Halbwertszeit des fach die Bedeutung der ZNS-Metastasierung. Trastuzumab-Emtansin (T-DM1). Doch auch die intakten Konjugats beträgt sechs Tage. In klini- Denn auch wenn sich die Prognose des metas- bessere Patientenselektion und frühere Erken- schen Studien zeigte sich bisher bei mit T-DM1 tasierten HER2-positiven Brustkrebses deutlich nung seien laut Nancy Lin wichtige Faktoren, vorbehandelten Patientinnen eine objektive verbessert habe, seien die Zahlen der Hirnme- die zur Verbesserung der Prognose beigetragen Ansprechrate von etwa 60%, bisher existieren tastasen nicht rückläufig und durch adjuvante hätten. allerdings keine randomisierten Untersuchun- HER2-gerichtete Therapien bisher nicht gesenkt gen [2]. worden. Zwar habe die Einführung von T-DM1 Aktuelle Entwicklung: Die Anwendung von Tucatinib anderer- die Rezidivrate insgesamt eingedämmt, jedoch Revolution in der dritten und vierten Linie seits wird in der randomisiert-kontrollierten ohne Einfluss auf ZNS-Rezidive – diese machen Neben Trastuzumab, Pertuzumab und T-DM1 ­HER2CLIMB-Studie unter die Lupe genommen einen unverändert grossen Anteil an Erstrezidi- wurden in der jüngeren Vergangenheit noch [3]. Durch die Zugabe des HER2-selektiven ven aus [4]. Eindrücklich sei, dass das Risiko weitere innovative HER2-gerichtete Wirkstoffe Tyrosinkinaseinhibitors zur Therapie mit Tras- für eine Hirnmetastasierung mit der Dauer der eingeführt, die aktuell vor allem in der Dritt- tuzumab und Capecitabin konnten das medi- Erkrankung kontinuierlich ansteige, scheinbar und Viertlinientherapie Anwendung finden. So ane progressionsfreie Überleben von 5,6 auf ohne ein Plateau zu erreichen. Diese Tat­ ­sache konnte in den letzten zwei Jahren auch für Pati- entinnen mit Krankheitsprogress ein Therapie- standard etabliert werden (Übersicht 1). Wo 2018 nach Versagen der T-DM1 Be- handlung noch verschiedene Trastuzumab- oder -Chemotherapie Kombinatio- nen – oft auf gut Glück – eingesetzt wurden, existieren heute vielversprechendere Optio- nen. Je nach intrakraniellem Befall, Komorbi- ditäten und Vorlieben wird entweder zuerst Trastuzumab-Deruxtecan oder Tucatinib an- gewandt. Nach der Erstlinientherapie mit Trastuzumab/Pertuzumab kombiniert mit Taxan-Chemo­therapie folgt wie bis anhin also die Zweitlinienbehandlung­ mit T-DM1. Versagt diese, so ­kommen alternierend die neuen Wirk- stoffe zum Zug. Unter dem Strich konnte der Therapie­standard über die letzten zwei Jahre von zwei auf vier Linien ausgedehnt werden – mit nachhaltigen­ Effekten auf das klinische

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26 InFo ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE 2021; Vol. 9, Nr. 1 MEDIZIN

Übersicht 1 Aktueller Management-Algorithmus des metastasierten HER2-positiven Mammakarzinoms Verschiedene Optionen, Tucatinib- Tucatinib- z.B. Taxan- T-DM1 Trastuzumab- Trastuzumab- Trastuzumab- Trastuzumab/ (Trastuzumab- Capecitabin Capecitabin Chemotherapie Pertuzumab Emtansin) oder oder oder Trastuzumab- Trastuzumab- - Deruxtecan Deruxtecan Capecitabin

unterstreicht die Wichtigkeit der Entwicklung die Lupe genommen wird, beschäftigt sich die Mammakarzinomen, sogenannten de novo- therapeutischer Optionen und präventiver Mass- TBCRC 022-Studie mit der Kombination aus Fällen, sei eine Heilung realistisch. Diese käme nahmen. T-DM1 und Neratinib. somit für 40% der Patientinnen mit HER2-­posi­ Aktuell wird insbesondere die Rolle von tivem metastasiertem Brustkrebs in Betracht. HER2-gerichteten Tyrosinkinaseinhibitoren wie Doppelte HER2-Blockade? Beispielsweise stelle die Sequenztherapie mit Lapatinib und Neratinib in der Behandlung von Neben der ZNS-Metastasierung stellt auch THP ­(Docetaxel, Trastuzumab und Pertuzumab) Betroffenen mit ZNS-Metastasen untersucht. die Wahl der optimalen Therapiesequenz eine gefolgt von TDM-1/Tucatinib, Trastuzumab- In Kombination mit Capecitabin zeigen sich grosse Herausforderung dar – insbesondere mit Deruxtecan, lokalen Methoden und Erhaltungs- je nach Vorbehandlung ZNS-Ansprechraten der fortlaufenden Entwicklung neuer Wirkstoffe therapie mit HP (Trastuzumab und Pertuzumab) zwischen 18 und 66% mit Verlängerung des und somit grösseren Auswahl an Substanzen. sowie Tucatinib für ein Jahr eine Möglichkeit progressionsfreien Überlebens (PFS) um etwa Am San Antonio Breast Cancer Symposium ging dar. zwei Monate [5]. Tucatinib scheint im Vergleich Nancy Lin vor allem auf die Sinnhaftigkeit ei- Selbst wenn es bis zu Kuration und The- mit Lapatinib und Neratinib grössere Vorteile ner doppelten HER2-Blockade nach Krankheits- rapiestopp noch ein weiter Weg ist, sind diese bezüglich des Gesamtüberlebens und der ZNS- progress ein. Sie betonte, dass beispielsweise Dank der rasanten Entwicklungen der letzten Rezidivrate zu bringen. die Kombination aus Trastuzumab und dem TKI Jahre doch in greifbare Nähe gerückt. Lin pro- So betrug das ZNS-PFS von Patientinnen Lapatinib klinische Vorteile bringen könne. Die gnostizierte für die nächste Dekade gar funda- mit aktiven Hirnmetastasen in der randomi- Fortführung der Trastuzumab/Pertuzumab Be- mentale Veränderungen in der Therapie des siert-kontrollierten HER2CLIMB-Studie unter handlung parallel zur TKI-Therapie sei der allei- metastasierten HER2-positiven Mammakarzi- Behandlung mit Tucatinib 9,5 Monate vergli- nigen TKI Behandlung überlegen. noms und bezeichnete die derzeitige Forschung chen mit 4,1 Monaten im Kontrollarm [6]. Auch Auch wenn in diesem Punkt zunehmend zum Abschluss ihres Vortrages als richtungs- Antibody-Drug Konjugate in der richtigen Kom- Klarheit herrscht, bleiben viele weitere Fragen weisend. Wir bleiben dran. bination könnten laut Nancy Lin in der Behand- offen. So fehlen klare Daten zur sequenziellen Quelle: San Antonio Breast Cancer Symposium lung des HER2-positiven Mammakarzinoms mit Anwendung verschiedener Tyrosinkinaseinhibi- 8.–11.12.2020, ES7 Educational Session «Treatment ZNS-Metastasen zukünftig eine Rolle spielen, toren, auch in Hinblick auf potenzielle Kreuzre- of HER2-positive metastatic breast cancer – advances and challenges», Nancy Lin (Dana-Faber Cancer Institute trotz ihrer Grösse. So wurden 2020 entspre- sistenzen. Harvard Medical School) chende Resultate zum Einsatz des ADC T-DM1 veröffentlicht [7]. Trastuzumab-Deruxtecan Zukunftsmusik: Literatur: 1. Swain SM, et al.: Pertuzumab, trastuzumab, and könnte hier ebenfalls zum Zug kommen – ein Therapiestopp und kurative Ansätze docetaxel for HER2-positive metastatic breast cancer Ansatz, der aktuell untersucht wird. Mit der steigenden Anzahl an Langzeitüber­ (CLEOPATRA): end-of-study results from a double-blind, Vielversprechend ist potenziell die Kom- lebenden­ drängt sich die Frage auf, ob und randomised, placebo-controlled, phase 3 study. Lancet Oncol 2020; 21(4): 519–530. bination von Antibody-Drug Konjugaten mit wann die onkologische Behandlung im Verlauf 2. Modi S, et al.: in Previously HER2-gerichteten Tyrosinkinaseinhibitoren. gestoppt werden kann. Oder etwas provokanter Treated HER2-Positive Breast Cancer. N Engl J Med 2020; 382(7): 610–621. Bisher Zukunftsmusik, laufen nun zwei Stu- formuliert: Ist ein Teil der Patientinnen geheilt? 3. Murthy RK, et al.: Tucatinib, Trastuzumab, and Capeci- dien an, um genau diesen Grundgedanken zu In der Langzeitanalyse der CLEOPATRA-Studie tabine for HER2-Positive Metastatic Breast Cancer. prüfen. Während in der HER2CLIMB-Studie die waren immerhin ein Viertel der Teilnehmerinnen N Engl J Med 2020; 382(7): 597–609. 4. von Minckwitz G, et al.: for Kombination von T-DM1 mit Tucatinib unter auch nach acht Jahren unter Erstlinienbehand- Residual Invasive HER2-Positive Breast Cancer. N Engl lung noch ohne Rückfall [1]. Für die möglichst J Med 2019; 380(7): 617–628. risikoarme Durchführung eines Therapiestopps 5. Freedman RA, et al.: TBCRC 022: A Phase II Trial Übersicht 2 Substanzen of Neratinib and for Patients With Human fehlt es beim HER2+ Mammakarzinom aktuell in der Pipeline Epidermal Growth Factor Receptor 2-Positive Breast noch an geeigneten Markern für ein Wiederauf- Cancer and Brain Metastases. J Clin Oncol 2019; – 37(13): 1081–1089. Margetuximab treten der Krankheitsaktivität – vergleichbar mit 6. Lin NU, et al.: Intracranial Efficacy and Survival With – SYD985 der Minimal Residual Disease bei Leukämien. Tucatinib Plus Trastuzumab and Capecitabine for Ein solcher Parameter wird derzeit gesucht und Previously Treated HER2-Positive Breast Cancer With – ZW49 Brain Metastases in the HER2CLIMB Trial. J Clin Oncol könnte laut Lin schon in näherer Zukunft den 2020; 38(23): 2610–2619. – ZW25 Weg in ein therapiefreies Leben für Betroffene 7. Montemurro F, et al.: Trastuzumab emtansine (T-DM1) – PRS343 ebnen [8]. in patients with HER2-positive metastatic breast cancer and brain metastases: exploratory final analysis of – ZN-A-1041 Auch ein primär kurativer Ansatz sei auf- cohort 1 from KAMILLA, a single-arm phase IIIb clinical – grund der aktuellen Fortschritte möglich, trial. Ann Oncol 2020; 31(10): 1350–1358. Kombinationen mit CDK4/6 Inhibitoren 8. Parsons HA, et al.: Sensitive Detection of Minimal Resi- meinte die Expertin. Insbesondere bei unbe- – Kombinationen mit Immuntherapie dual Disease in Patients Treated for Early-Stage Breast handelten metastasierten HER2-positiven Cancer. Clin Cancer Res 2020; 26(11): 2556–2564.

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Triple-negatives Mammakarzinom der Stadien I–III Angriff auf einen Unangreifbaren

KONGRESS SABCS

Während zielgerichtete Therapien auf dem Vormarsch sind, gibt es nach wie Das mögliche Downstaging durch die neo- vor auch Tumoren, welche von dieser Entwicklung (noch) nicht profitieren adjuvante Chemotherapie betrifft auch den können. Ein solcher ist das triple-negative Mammakarzinom. Doch auch hier Befall axillärer Lymphknoten. Dies sei klinisch werden fernab von Targeted Therapies – und vielleicht etwas weniger im äusserst relevant, erklärte Lisa Carey in ihrer Rampenlicht – laufend neue Erkenntnisse gewonnen. So scheint beispielswei- Präsentation, da 10 bis 20% aller Patientin- se die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren eine vielversprechende nen nach Axillardissektion ein Lymphödem Option zu sein. entwickelten. Durch Vermeidung dieser Opera- tion könne auch die oftmals schwerwiegende ■ (st) Bereits in der Bezeichnung «dreifach- verschiedener Formen des triple-negativen Komplikation verhindert werden. Eine Sentinel- negativer Brustkrebs» sind die zwei Haupt- Mammakarzinoms unter die Lupe nahm. Sie Lymphknoten Biopsie nach der neoadjuvanten schwierigkeiten für die Therapie dieser Entität betonte die Wichtigkeit solcher Analysen, Behandlung müsse zwar etwas sorgfältiger enthalten: Es handelt sich um einen Sammeltopf welche nicht nur der Risikostratifizierung die- unter Verwendung eines dualen Tracers und von Tumoren, die dadurch definiert sind, was sie nen, sondern in Zukunft auch therapeutische mit der Entnahme von mindestens drei Lymph- nicht ausmacht, und bekannte Angriffspunkte Angriffspunkte liefern könnten. Je nach Typi- knoten durchgeführt werden, sei aber verläss- für zielgerichtete Behandlungen fehlen. Da sierungsmethode zeigten sich unterschiedli- lich. Aktuell untersuchen zwei klinische Studien das triple-negative Mammakarzinom immerhin che Anteile an luminalen, mesenchymalen und die axilläre Konversion etwas detaillierter. 15–20% aller neudiagnostizierten Brustkrebs- basalen Tumorsubtypen. Einerseits wird der Frage nachgegangen, ob bei fälle ausmacht, sind gut etablierte und wirksame Patientinnen, die nach neoadjuvanter Chemo- Behandlungsregimes trotz dieser Herausforde- Eine Frage des richtigen Timings therapie immer noch einen axillären Befall auf- rungen von grosser Wichtigkeit. 95% der Diag- Mangels molekularer Angriffspunkte steht die weisen, eine Bestrahlung die Axillardissektion nosen werden in den Stadien I–III gestellt, ledig- Chemotherapie beim triple-negativen Mamma- in Zukunft ersetzen könnte. Andererseits unter- lich 5% der triple-negativen Mammakarzinome karzinom nach wie vor im Zentrum der Behand- suchen Forscher derzeit, ob die Radiotherapie sind bei Diagnosestellung bereits metastasiert. lung. Hierbei ist die Effizienz der Therapie un- ausserhalb der Brust im Falle einer Konversion Aktuell rezidivieren 20% im Verlauf – eine Zahl, abhängig vom Zeitpunkt der Verabreichung. des Lymphknotenstatus überhaupt nötig ist. die es durch Optimierung des Managements Die medikamentöse Wirkung bleibt also gleich, Nicht nur der Zeitpunkt der Chemotherapie weiter zu senken gilt. Denn auch wenn sich viel egal ob die Chemotherapie adjuvant oder neo- ist für den weiteren Verlauf ausschlaggebend, getan hat, sind die Aussichten beim triple-nega- adjuvant durchgeführt wird. Ein entscheidender sondern auch deren Frequenz. Es kommt also tiven Brustkrebs unter den Mammakarzinomen Vorteil der neoadjuvanten Therapie: Ein Downs- darauf an, in welchen Zeitabständen die Medi- immer noch am schlechtesten. taging ist möglich. In einer Studie konnten so kation verabreicht wird. Durch Steigerung der 42% aller Patientinnen, die ursprünglich nicht sogenannten «Dose Density» konnten in der Analyse eines bunten Haufens für eine brusterhaltende Operation qualifizier- Vergangenheit signifikant bessere Resultate Triple-negative Mammakarzinome sind eine ten, doch noch brusterhaltend operiert werden. erreicht werden [2]. Dank der Entwicklung von heterogene Gruppe an Tumoren, deren Ge- Und das mit einer Erfolgsrate von 91% [1]. Wachstumsfaktoren war es möglich, die Dauer meinsamkeit darin liegt, dass sie weder Östro- gen- oder Progesteronrezeptoren, noch HER2 exprimieren. Generell liegt die Proliferationsra- te meist höher als bei anderen Brustkrebstypen mit entsprechend schlechterer Prognose. Die meisten triple-negativen Mammakarzinome sind duktal, es existieren jedoch auch andere histolo- gische Typen. Da sich diese hinsichtlich der opti- malen Behandlung unterscheiden, kommt einer sorgfältigen histologischen Diagnostik ein hoher Stellenwert zu. Beispielsweise hat das adeno- id-zystische Karzinom eine gute Prognose und muss nicht zwingend chemotherapeutisch be- handelt werden. Wir haben es also mit verschiedenen Geg- nern zu tun, welche sich auch molekular unter- scheiden. Hierzu stellte Lisa Carey von der University of North Carolina im Rahmen des diesjährigen San Antonio Breast Cancer Sym- posiums die Studie CALGB 40603 vor, welche

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Referenzen: 1 Fachinformation Pamorelin® LA (Triptorelin Pamoate), Stand der Information August 2020, www.swissmedicinfo.ch 2 Harrison GS et al. Gonadotropin-releasing hormone and its receptor in normal and malignant cells. Endocr-Relat Cancer. 2004;11(4):725-748. 3 Francis P. A. Tailoring Adjuvant Endocrine Therapy for Premenopausal Breast Cancer. N Engl J Med 2018;379(2):122-137. * DFS, disease free survival, ** OS, overall survival Pamorelin® LA: Z: Triptorelin 3.75 mg. I/D: Fortgeschrittenes Prostatakarzinom: intramuskuläre Einzelinjektion von Pamorelin® LA alle Monate. Endometriose: intramuskuläre monatliche Einzelinjektion von Pamorelin ® LA 3.75 mg, insgesamt 4–6 Injektionen. Downregulation im Rahmen der Reproduktionsmedizin: einmalige Injektion von Pamorelin® LA 3.75 mg. Adjuvante Behandlung des Hormonrezeptor-positiven (Östrogen und/oder Progesteron) Mammakarzinoms im Frühstadium mit hohem Rezidivrisiko, deren prämenopausaler Status nach Chemotherapie bestätigt ist, eine Injektion von Pamorelin® LA 3.75 mg alle 4 Wochen in Kombination mit Tamoxifen oder einem Aromataseinhibitor, bis zu 5 Jahre. KI: Überempfindlichkeit gegen- über GnRH-Analoga, dem Wirkstoff oder einem der Hilfsstoffe, Schwangerschaft und Stillzeit, Hormonunabhängiges Prostatakarzinom, chirurgische Kastration, Rückenmarkskompression durch Metastasen, ungeklärte vaginale Blutungen, beginn der Behandlung mit Aromataseinhibitoren, bevor eine ausreichende Suppression der Ovarfunktion mit Triptorelin erreicht wurde VM: Die Behandlung mit Pamorelin® LA soll in Fällen von anaphylaktischem Schock, angioneurotischem Ödem und schweren oder wiederkehrenden Parästhesien oder Migräne sofort abgesetzt werden. Bei Patienten, die mit Antikoagulantien behandelt werden, ist Vorsicht geboten. Patienten mit Depressionen sollten engmaschig überwacht werden. Eine unverzügliche medizinische Intervention in Fällen einer Hypophysenapoplexie ist notwendig. Bei <5% der Patienten kann es aufgrund der anfänglichen Erhöhung des zirkulierenden Testosteronspiegels zu einer vorübergehenden Verschlechterung der Zeichen und Symptome des Prostatakarzinoms kommen. Während der Anfangsphase der Behandlung sollte die zusätzliche Gabe eines geeigneten Antiandrogens in Betracht gezogen werden, um dem initialen Anstieg des Serumtestosteronspiegels entgegenzuwirken. Eine sorgfältige Prüfung ist in den ersten Wochen der Behandlung unerlässlich, vor allem bei Patienten mit Wirbelsäulen-Metastasen und oder Harnweg- sobstruktionen. Männer mit Bluthochdruck, Hyperlipidämie oder Herz- Kreislauf-Erkrankungen sollten aufgrund eines erhöhten Risikos für Diabetes mellitus und/oder kardiovaskulärer Ereignisse überwacht werden. Langfristiger Androgenentzug kann das QT-Intervall verlängern. Die Behandlung kann mit einem vermehrten Knochenschwund einhergehen sowie das Risiko von Knochenbrüchen erhöhen. Das Risiko einer Überstimulation der Ovarien kann nicht ausgeschlossen werden, weshalb eine Ultraschall-Überwachung der Schwangerschaft während der ersten 4 Wochen erforderlich ist. W/V: Prostatakarzinom: Zusätzliche Gabe eines geeigneten Antiandrogens während Anfangsphase in Betracht ziehen, um dem initialen Anstieg des Serumtestosteronspiegels und einer Verschlechterung der klinischen Symptomatik entgegenzuwirken. Endometriose: Vor Therapiebeginn mit Pamorelin LA 3.75 mg muss eine mögliche Schwangerschaft ausgeschlossen und die Ursachen eventueller vaginaler Blutungen abgeklärt werden. Reproduktionsmedizin: klinische und echographische Überwachung bei den ersten Anzeichen einer Hyperstimulierung. Mammakarzinom: Behandlung mit Triptorelin mindestens 6-8 Wochen vor Beginn der Behandlung mit Aromataseinhibitoren anwenden, um eine ausreichende Suppression der Ovarfunktion zu gewährleisten, erhöhtes Osteoporoserisiko assoziiert mit der Kombinationstherapie erfordert engmaschige Überwachung und ggf. Einleitung einer Osteoporose-Behandlung oder -Prophylaxe, Risiko von Muskel-Skelett- Erkrankungen, regelmässige Kontrollen auf kardiovaskuläre Risikofaktoren und des Blutdrucks, regelmässige Überwachung auf Risikofaktoren für Diabetes mittels Blutzuckerkontrollen und ggf. Einleitung einer geeigneten antidiabetischen Behandlung. UAW: sehr häufig (≥1/10) oder häufig (≥1/100, <1/10). Prostatakrebs: Hitzewallungen, Impotenz und verminderte Libido, Harnwegsinfekte, vorübergehendes Aufflammen des Tumors, Grössenabnahme der Genitalien, Aufstieg der alkalischen Phosphatase, Hyperurikämie, Stimmungsschwankungen, Depressionen, Kopfschmerzen, Schwindel-Attacken, Schlaflosigkeit, Augenschmerzen, Konjunktivitis, Hypertension, idiopatisches Ödem, Husten, Dyspnoe, Pharyngitis. Bauchschmerzen, Übelkeit, Verstopfung, Durchfall, Dyspepsie, abnormale Leberfunktion, Exanthem, Knochenschmerzen, Rückenschmerzen, Schmerzen in den Beinen, Arthralgie, Myalgie, Muskelkrämpfe der unteren Gliedmassen, Dysurie, Harnverhalt, Impotenz, Gynäkomastie, Brustschmerzen, Schmerzen, Brustdrüsenschmerzen, Müdigkeit, Asthenie, Ödeme, Schmerzen an der Injektionsstelle. Prämenopausale Frauen: Überempfindlichkeitsreaktionen, Diabetes (Glukoseintoleranz), Hyperglykämie (adjuvante Behandlung des Mammakarzinoms),

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die reine Chemotherapie besser an und hatten Übersicht 1 Aktuelle Standardtherapie beim triple-negativen Mammakarzinom somit prinzipiell eine bessere Prognose. PD-L1 Basis: Anthrazyklin + Taxan (neoadjuvant) wird aktuell also eher als genereller Biomar- + gegebenenfalls Carboplatin (bei nodal positiven und schlecht resezierbaren Tumoren) ker für die Therapiesensitivität des Karzinoms interpretiert und könnte in Zukunft als Marker + gegebenenfalls adjuvant Capecitabin (bei residuellem Tumor) für hochsensible Tumoren dienen, zu deren + gegebenenfalls Checkpoint-Inhibitor (neoadjuvant und adjuvant) Behandlung das gegenwärtige Regime eventu- ell deeskaliert werden kann. zwischen den einzelnen Medikamentengaben zusätzliche Gabe von Capecitabin über sechs Als weiteren prognostischen Marker, der zu reduzieren und somit unter anderem das Monate signifikante und langanhaltende Vor- zukünftig an Bedeutung gewinnen könnte, Rezidivrisiko nachhaltig zu senken. teile hinsichtlich des Gesamtüberlebens und erwähnte Carey die Anzahl tumorinfiltrieren- der Rezidivrate bringt [5]. der Lymphozyten (TILs). Diese ist einfach zu Stadien I–III: Wahl der Medikamente Weniger erfolgreich waren die Bemühun- bestimmen und hat einen grossen Einfluss auf Über die letzten Jahre und Jahrzehnte konn- gen, Anthrazykline aufgrund ihres Herzinsuffi­ die Prognose, insbesondere bei Vorliegen von te der Therapiestandard für die adjuvante und zienz- und Leukämierisikos­ aus der Therapie zu Lymphknotenmetastasen. Können viele TILs neoadjuvante Behandlung des triple-negativen entfernen. Alle bisher getesteten Alternativen nachgewiesen werden, ist das Rezidivrisiko tie- Mammakarzinoms entscheidend verbessert zeigten sich unterlegen, insbesondere in der fer. Carey erklärte dies mit der ausgeprägteren werden. Dies zeigte Carey durch die Gegen- Behandlung nodal positiver Tumoren [6]. Immunaktivierung, die zu mehr tumorinfiltrie- überstellung der Rezidivraten in den Perioden Unter dem Strich bleiben also Anthrazyk- renden Lymphozyten führe. von 1986 bis 1992 und von 2004 bis 2008. Im line die Basis für die Chemotherapie beim nicht Sowohl die weitere Untersuchung des zweiten Zeitintervall waren insbesondere frühe metastasierten triple-negativen Mammakarzi- Potenzials der Immuntherapie als auch die Rezidive innerhalb der ersten sechs Jahre nach nom (Übersicht 1). Hinzu kommen Taxane und Erforschung der Bedeutung verschiedener Diagnosestellung deutlich seltener. Diese san- im neoadjuvanten Setting bei fortgeschrittene- Biomarker werden das Management des triple- ken um 25 bis 45%, machen jedoch nach wie vor ren Tumoren gegebenenfalls Carboplatin. Sollte negativen Mammakarzinoms in naher Zukunft den grössten Anteil der Rezidive aus. nach der Operation noch ein residueller Tumor prägen. Dabei geht es nicht nur um die Ver- Schon ältere Therapieregimes basierten vorhanden sein, ist die Gabe von Capecitabin besserung des Outcomes, sondern auch um auf dem Einsatz von Anthrazyklinen, welche indiziert. Standardmässig wird die Chemothe- die Risikoeinschätzung und somit die bessere auch heute noch die Basis der Chemothera- rapie neoadjuvant begonnen, wobei bei sehr Anpassung der Therapie an die jeweilige Situa­ pie darstellen. Im Laufe der Zeit kamen ins- kleinen Tumoren ohne Lymphknotenbefall eine tion. besondere Taxane hinzu. Der Benefit einer Ausnahme gemacht wird. zusätzlichen Gabe von Paclitaxel wurde 2007 Quelle: San Antonio Breast Cancer Symposium 8.–11.12.2020, ES4 Educational Session «Triple Negative in der CALGB 9344 Studie belegt und verän- Neue Welle: Immuntherapie Breast Cancer», Lisa Carey (University of North Carolina derte Behandlung und Prognose nachhaltig. Entsprechend der aktuellen Entwicklungen in Lineberger Comprehensive Cancer Center) So konnte durch die Therapieerweiterung das der Onkologie laufen diverse Studien zur Zu- Disease-free Survival (DFS) absolut um 15 gabe von Immuntherapie zur Chemotherapie. Weiterführende Literatur bis 20% gesteigert werden. Ebenso wurde die Während beispielsweise die KEYNOTE 522 und – Golshan M, et al.: Impact of neoadjuvant chemotherapy Zugabe von Platinen mehrfach untersucht. IMpassion 031 Studien die additive Checkpoint- in stage II-III triple negative breast cancer on eligibility for breast-conserving surgery and breast conservation Zwar bestätigte sich in verschiedenen unabhän- Inhibitor Therapie im adjuvanten und neoadju- rates: surgical results from CALGB 40603 (Alliance). gigen Studien ein Nutzen der additiven Medi- vanten Setting untersuchen, fokussiert sich die Ann Surg 2015; 262(3): 434–439; discussion 8–9. kation auf die Ansprechrate [3,4], der Effekt NeoTRIP Studie ganz auf die neoadjuvante Ate- – EBCTCG: Increasing the dose intensity of chemotherapy by more frequent administration or sequential sche- auf das Rezidivrisiko könne laut Carey jedoch zolizumab-Gabe [7,8]. Kürzlich veröffentlichte duling: a patient-level meta-analysis of 37,298 women noch nicht abschliessend beurteilt werden. Resultate zeigten unter anderem signifikant hö- with early breast cancer in 26 randomised trials. Lancet Dies liege an verschiedenen Basistherapien here Ansprechraten unter Pembrolizumab-The- 2019; 393(10179): 1440–1452. – Sikov WM, et al.: Impact of the addition of carboplatin in den Studien, die teilweise nicht dem gän- rapie. Ein Effekt, der unter den nodal metasta- and/or bevacizumab to neoadjuvant once-per-week gigen Standard entsprachen. Bis hier weitere sierten Tumoren noch eindeutiger ausfiel. Die paclitaxel followed by dose-dense doxorubicin and cy- clophosphamide on pathologic complete response rates Resultate vorliegen, empfiehlt die Expertin den Daten sind zwar noch nicht reif für die Beurtei- in stage II to III triple-negative breast cancer: CALGB Einsatz von Carboplatin bei positivem Lymph- lung der Rezidivraten, es zeichnen sich jedoch 40603 (Alliance). J Clin Oncol 2015; 33(1): 13–21. knotenstatus und Patientinnen, die ungünstige vielversprechende Tendenzen ab. Carey beton- – Loibl S, et al.: Addition of the PARP inhibitor veliparib plus carboplatin or carboplatin alone to standard neo- Voraussetzungen für eine brusterhaltende Ope- te, dass der potenzielle Benefit einer zusätzli- adjuvant chemotherapy in triple-negative breast cancer ration mitbringen. Dadurch könne die Rate an chen Immuntherapie immer in Relation zur hö- (BrighTNess): a randomised, phase 3 trial. Lancet Oncol Axillardissektionen gesenkt und die Anzahl an heren Rate schwerwiegender Nebenwirkungen 2018; 19(4): 497–509. – Masuda N, et al.: Adjuvant Capecitabine for Breast Betroffenen, für die eine brusterhaltende The- gesehen werden müsse. Ausserdem sei die ver- Cancer after Preoperative Chemotherapy. N Engl J Med rapie infrage kommt, gesteigert werden. abreichte Chemotherapie potenziell ausschlag- 2017; 376(22): 2147–2159. – Blum JL, et al.: Anthracyclines in Early Breast Cancer: Das Ansprechen auf die neoadjuvante gebend für den Zusatznutzen. In der Analyse ver- The ABC Trials-USOR 06-090, NSABP B-46-I/USOR medikamentöse Therapie spielt – wenig schiedener Studien entstehe der Eindruck, dass 07132, and NSABP B-49 (NRG Oncology). J Clin Oncol erstaunlich – für das Outcome eine bedeu- für die Wirkung des Checkpoint-Inhibitors vor 2017; 35(23): 2647–2655. – Schmid P, et al.: Pembrolizumab for Early Triple- tende Rolle. Dies belegen auch 5-jahres Follow- allem eine parallele Anthrazyklin-Therapie von Negative Breast Cancer. N Engl J Med 2020; 382(9): Up Daten aus der CALGB-40603-Studie, aus Vorteil sei. 810–821. – denen zusätzlich hervorgeht, dass auch das Hinsichtlich der PD-L1 Expression konnte Mittendorf EA, et al.: Neoadjuvant in combination with sequential nab-paclitaxel and Ausmass des Ansprechens eine prognostische in bisherigen Studien kein prädiktiver Nutzen anthracycline-based chemotherapy versus placebo Bedeutung hat. Eine neuere Studie konnte zei- für die Immuntherapie beobachtet werden. and chemotherapy in patients with early-stage triple- negative breast cancer (IMpassion031): a randomised, gen, dass im Falle eines inkompletten Anspre- PD-L1 positive Tumoren sprachen sowohl auf double-blind, phase 3 trial. Lancet 2020; 396(10257): chens auf die neoadjuvante Chemotherapie die die Checkpoint Inhibitor-Therapie als auch auf 1090–1100.

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Fortgeschrittenes high-grade seröses Ovarialkarzinom HRD+ Tumoren: Erster PARP-Inhibitor zur Firstline-Erhaltungstherapie zugelassen

MARKT & MEDIZIN AstraZeneca AG/MSD AG

Als erster und einziger PARP-Inhibitor wurde Olaparib (Lynparza®) kürzlich des Ovarialkarzinoms getan werden. Wir sind durch die swissmedic für die Erstlinien-Erhaltungstherapie bei Patientinnen mit gespannt auf weitere Resultate aus den diver- fortgeschrittenem, HRD-positivem Ovarialkarzinom zugelassen. Die Zugabe von sen Studien. Olaparib zu Bevacizumab führte in der Zulassungsstudie zu einer wesentlichen Verbesserung des progressionsfreien Überlebens (PFS) bei konsistentem Sicherheitsprofil. Quelle: Pressemitteilung « Lynparza® (Olaparib) in Kombination mit Bevacizumab in der Schweiz für die Erstlinien-Erhaltungstherapie bei fortgeschrittenen Ovari- ■ (st) Als fünfthäufigste Krebstodesursache reskongress der European Society for Medical alkarzinom mit homologer Rekombinationsdefizienz (HRD) bei Frauen stellt der Eierstockkrebs auch heute Oncology (ESMO) 2020 weitere interessante zugelassen», 1. Dezember 2020, AstraZeneca AG, Baar, Schweiz und MSD Merck Sharp & Dohme AG, Luzern. noch eine grosse therapeutische Herausforde- Daten hinzu. So zeigte die Zugabe von Olaparib rung dar. Die Fünfjahres-Überlebensrate beträgt zur Erhaltungstherapie einen Nutzen über die Weiterführende Literatur lediglich etwa 45%, was insbesondere am häufig erste Krankheitsprogression hinaus und ver- – Fachinformation Lynparza® auf www.swissmedicinfo.ch, bereits fortgeschrittenen Stadium bei Diagnose- längerte statistisch signifikant die Dauer bis zur Stand der Information September 2020. stellung liegt. Genau jene Patientinnen, deren zweiten Krankheitsprogression. Diese konnte – Ray-Coquard I, et al.: Olaparib plus bevacizumab as first-line maintenance in ovarian cancer. N Engl J Med. Tumor zum Zeitpunkt der Entdeckung bereits unter der zusätzlichen Medikation im Median 2019; 381: 2416–2428. ein FIGO Stadium III oder IV sowie eine homo- um 15 Monate hinausgezögert werden. – Gonzalez-Martin A, et al.: Maintenance olaparib plus loge Rekombinationsdefizienz (HRD) aufweist, Von allen PARP-Inhibitoren hat Olaparib bevacizumab in patients with newly diagnosed, ad- vanced high-grade ovarian carcinoma: final analysis of können nun von einer verbesserten Erhaltungs­ das breiteste und am weitesten fortgeschrit- second progression-free survival (PFS2) in the Phase III therapie profitieren. So ist neu Olaparib in der tene klinische Entwicklungsprogramm. Mit PAOLA-1/ENGOT-ov25 trial. Presented at ESMO Virtual Congress 2020, 19-21 September. Abstract #LBA33, Schweiz in Kombination mit Bevacizumab für der neuen Zulassungserweiterung konnte Annals of Oncology (2019) 30 (suppl_5): v851-v934. diese Indikation beim high-grade serösen Ova- erneut ein wichtiger Schritt in der Behandlung 10.1093/annonc/mdz394 rialkarzinom zugelassen. Voraussetzung ist eine komplette oder partielle Remission im Anschluss an eine mit Bevacizumab kombinierte Erstlinien- Chemotherapie. Jede zweite Frau mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom leidet unter einem HRD- positivem Tumor. Die homologen Rekombina- tionsdefizienzen umfassen ein breites Spek- trum genetischer Veränderungen, darunter BRCA-Mutationen. Alle Frauen mit einer BRCA- Mutation sind HRD-positiv, doch ist die BRCA- Mutation nicht die einzige Ursache für eine homologe Rekombinationsdefizienz. Durch die Erweiterung der Erstlinien-Indikation für Olapa- rib über BRCA-positive Tumoren hinaus kann Lynparza® nun auch bei Betroffenen eingesetzt werden, die andere genetische Aberrationen aufweisen. In der Phase-III-Zulassungsstudie PAOLA-1 wurde unter der Kombinations-Erhaltungs- therapie mit Olaparib und Bevacizumab ein medianes progressionsfreies Überleben von 37,2 Monaten beobachtet, verglichen mit 17,7 Monaten unter einer alleinigen Bevacizumab- Behandlung. Bei HRD-positivem, fortgeschrit- tenem Eierstockkrebs konnte das Risiko für Krankheitsprogression oder Tod mit Hilfe der Kombinationstherapie um 67% reduziert wer-

den. Während diese Resultate bereits 2019 istock FatCamera, im The New England Journal of Medicine ver- öffentlicht wurden, kamen am virtuellen Jah-

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Myelofibrose in der Vorphase einer Stammzelltransplantation sowie in der Behandlung von Betroffenen mit niedrigem bis intermediärem Risiko eingesetzt, Behandlung im Wandel vor allem beim Vorliegen krankheitsbedingter Symptome oder Splenomegalie. Alternativ zur Therapie mit können symptomati- KONGRESS ASH sche Niedrig- und Intermediärrisiko-Patienten auch problemorientiert behandelt werden. Die- ser Ansatz umfasst unter anderem den Einsatz Mit der Einführung des Januskinase (JAK)-Inhibitors Ruxolitinib hat sich die von Erythropoetin, Erythrozytentransfusionen, Therapie der Myelofibrose in den letzten Jahren dramatisch verändert. Dennoch Hydroxyurea und Steroiden [1]. ist weitere Innovation gefragt, insbesondere in der zweiten Linie. Am letzten Ruxolitinib, aber auch andere JAK-Inhibi- ASH Annual Meeting, welches Anfang Dezember 2020 stattfand, wurden toren sind also sowohl im Niedrig- als auch im vielversprechende Daten zu neuen Behandlungsmöglichkeiten präsentiert. Hochrisikobereich auf dem Vormarsch. Einer- seits dienen diese Wirkstoffe der Symptom- ■ (st) Neben der Stammzelltransplantation methoden ergänzt werden können. So berück- kontrolle und andererseits vermögen Sie laut fehlte es bei der Myelofibrose lange an wirksa- sichtigt beispielsweise das GIPSS (Genetically aktuellen Studien die Stammzelltransplanta- men therapeutischen Werkzeugen. Durch die Inspired Prognostic Scoring System) auch zyto- tion zu unterstützen. Beinahe zehn Jahre nach Entwicklung von JAK-Inhibitoren konnten in den genetische und molekulargenetische Faktoren. den ersten Studiendaten zu Ruxolitinib zeigt letzten Jahren zwar wichtige Schritte im Kampf Diese können in unklaren Fällen die Entschei- sich heute, dass der JAK-Inhibitor nachhaltige gegen die Erkrankung unternommen werden, dung für oder gegen eine Stammzelltransplan- Effekte auf die Splenomegalie sowie auf krank- eine Heilung ist dennoch nicht in Aussicht. Viel- tation erleichtern und sind daher vor allem in heitsbedingte Symptome der Myelofibrose hat, leicht rückt nun durch die Anwendung neuer, der Intermediär-1-Riskogruppe hilfreich [1]. In mit langfristiger Verbesserung der Lebensquali- innovativer Wirkstoffe zumindest eine länger- dieser Gruppe ist nämlich gemäss neuen, inter- tät [3,4]. Am ASH Annual Meeting 2020 wurde fristige Symptomkontrolle in greifbare Nähe. nationalen Leitlinien bei unter 65-Jährigen die zudem die potenzielle Überlebenszeitverlänge- Stammzelltransplantation bei Vorliegen gewis- rung des Medikaments thematisiert, zu der es State of the Art ser Kriterien empfohlen. Hierzu gehören eine immer mehr – bis anhin allerdings lediglich re- Ausschlaggebend für die Therapiewahl bei di- refraktäre, transfusionsbedingte Anämie, zirku- trospektive – vielversprechende Daten gibt [5]. agnostizierter Myelofibrose ist die Risikostra­ lierende Blasten >2% und eine ungünstige Zyto- Dennoch bleibt die Progression, insbesondere tifizierung, welche bei Diagnose nach IPSS oder Molekulargenetik [2]. in eine akute myeloische Leukämie, ein wichti- ­(International Prognostic Scoring System) und Im Gegensatz zur Intermediär-1-Risiko- ges Problem [5]. im weiteren Verlauf anhand des DIPPS (Dyna- gruppe, ist die Empfehlung zur allogenen mic International Prognostic Scoring System) in Stammzelltransplantation in der Intermediär-2 Raum für Verbesserung vier Gruppen (Niedrigrisiko, Intermediär-1, In- sowie in der Hochrisikogruppe bei unter 70-jäh- Trotz der deutlichen Therapiefortschritte über termediär-2 und Hochrisiko) erfolgt. Es handelt rigen klar (Übersicht 1). Seit 2017 kommt zu- die letzten Jahre existiert noch viel Raum für sich hierbei um klinische Scoring Systeme, wel- dem vermehrt der Tyrosinkinaseinhibitor Ruxoli- Verbesserung. Insbesondere bei Versagen der che je nach Bedarf durch weitere Klassifikations- tinib zur Anwendung. Dieser wird insbesondere Ruxolitinib-Behandlung und bei Intoleranz des

Übersicht 1 Aktuelle Empfehlungen zur Behandlung der Myelofibrose

Diagnosestellung

Risikoeinstufung gemäss IPSS (bei Diagnose) oder DIPSS (im Verlauf)

Niedrigrisiko oder Intermediärrisiko 1 Intermediärrisiko 2 oder Hochrisiko

Splenomegalie oder >70 Jahre Allogene Stammzelltransplantation krankheitsbedingte Symptome? prüfen

Ja Nein <70 Jahre

Ruxolitinib oder problem­ «Watch & Wait» Allogene Stammzelltransplantation, orientierte Therapie* oder evtl. Vorphase mit Ruxolitinib oder oder Studie Studie einem alternativen JAK-Inhibitor nach [1] * Therapie mit Erythropoetin, Erythrozytentransfusionen, Hydroxyurea, , Steroiden, Androgenen oder/und Imiden.

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sultate aus der JAKARTA-2 Studie [10]. Hier be- wies das Medikament eine starke Wirksamkeit auf die Splenomegalie und krankheitsbedingte Symptome in sämtlichen mit Ruxolitinib vorbe- handelten Untergruppen. Die Ansprechrate lag bei 55,4%. könnte also schon bald bei Ruxolitinib-Resistenz und -Intoleranz ein- gesetzt werden, insbesondere wenn sich die Ergebnisse aus JAKARTA-2 in der aktuell lau- fenden randomisiert-kontrollierten FREEDOM-2 Studie bestätigen – Voraussetzung ist die Zu- lassung in der Schweiz und Europa. Mit der Entwicklung neuer therapeutischer Optionen kommen auch diverse Fragen auf den Tisch. Beispielsweise muss der optimale Zeitpunkt für eine Umstellung auf einen alter- nativen JAK-Inhibitor evaluiert werden. Hier gilt bisher die Devise, dass die Therapie mit Ruxoli- tinib vor dem Wechsel ausgeschlichen werden sollte, um einen Rebound zu vermeiden. Auf

Arindam Ghosh, istock das Ansprechen wird heute ganze drei Monate gewartet, bevor die Behandlung als Versagen Wirkstoffs sind die Möglichkeiten aktuell noch Die positiven Effekte von Ruxolitinib kön- gewertet wird. Auch erschwert die zunehmende sehr begrenzt. Während die primäre Resistenz nen auch nicht über ein eindeutiges Manko Anzahl an Möglichkeiten die Therapiewahl. selten ist, kommen ungenügendes Ansprechen hinwegtäuschen: Echte Remissionen unter der Individuelle Vorlieben, beispielsweise zur Ein- und Verlust des Responses häufiger vor. So be- aktuellen Therapie sind im Real World-Setting nahmefrequenz, sowie das jeweilige Neben- trägt die mediane Wirkungsdauer von Ruxo- äusserst selten [9]. Dies mag unter anderem wirkungsspektrum werden wohl zukünftig eine litinib auf die Splenomegalie knapp über drei am Wirkmechanismus liegen, da die Zielmuta- grössere Rolle spielen dürfen. Jahre, was die Anwendung der Substanz oft zeit- tion JAK2V617F nicht allein für die Entstehung Quelle: 62. Jahrestagung der American Society of lich begrenzt und die Frage nach ergänzenden der Myelofibrose verantwortlich ist. Eine Elimi- Hematology (ASH Annual Meeting), 5.-8. Dezember 2020, Therapieoptionen aufwirft [3,4]. Dieser Medical nierung der Erkrankung kann also bei entspre- virtuelle Durchführung Need geht auch durch die in einer kürzlich ver- chender Blockade durch einen JAK-Inhibitor Literatur: öffentlichten Studie analysierten Abbruchraten nicht erwartet werden. 1. Griesshammer M, et al.: Onkopedia Leitlinien: Primäre der Ruxolitinib-Therapie hervor, welche nach Myelofibrose (PMF). www.onkopedia.com/de/ drei Jahren bei 50 bis 60% liegen [6]. Die medi- Ein Blick in die Zukunft onkopedia/guidelines/primaere-myelofibrose-pmf/ @@guideline/html/index.html (letzter Zugriff am ane Überlebensdauer nach Absetzen des Medi- Obwohl eine Heilung durch diese Substanz- 03.01.2021) kaments beträgt lediglich 14 Monate und wird klasse mechanistisch kaum möglich ist, liegt die 2. Barbui T, et al.: -negative classical myeloproliferative neoplasms: revised beim Vorliegen klonaler Aberrationen oder tiefer Hoffnung in der Behandlung der Myelofibrose management recommendations from European Thrombozytenzahlen weiter verkürzt [7]. weiterhin vor allem auf der Entwicklung neuer LeukemiaNet. Leukemia 2018; 32(5): 1057–1069. Ausserdem ist die Wirkung der Substanz JAK-Inhibitoren. So wurden am ASH Annual Mee- 3. Verstovsek S, et al.: Long-term treatment with ruxoliti- nib for patients with myelofibrosis: 5-year update from auf Anämie, Leukopenie und Thrombozytopenie ting 2020 Daten zu drei neuen, gegen JAK ge- the randomized, double-blind, placebo-controlled, oftmals unzureichend. Um die im Rahmen der richteten Substanzen präsentiert (Übersicht 2). phase 3 COMFORT-I trial. J Hematol Oncol 2017; Myelofibrose auftretenden Zytopenien adäquat Diese sollen zukünftig die Therapie mit Ruxoliti- 10(1): 55. 4. Harrison CN, et al.: Long-term findings from COMFORT- adressieren zu können, sind alternative Thera- nib ergänzen. Fedratinib ist in den USA und Ka- II, a phase 3 study of ruxolitinib vs best available piestrategien dringend nötig. Immerhin haben nada bereits zur Erstlinientherapie zugelassen, therapy for myelofibrosis. Leukemia 2016; 30(8): 1701–1707. fast 40% der Patienten bei Diagnosestellung zur Anwendung von und 5. Al-Ali HK, et al.: Primary analysis of JUMP, a phase Hämoglobin-Werte unter 10 g/dl und 20% sind laufen derzeit Phase III Studien. 3b, expanded-access study evaluating the safety and zu diesem Zeitpunkt bereits transfusionsabhän- Dass Fedratinib auch in der Zweitlinien­ efficacy of ruxolitinib in patients with myelofibrosis, including those with low platelet counts. Br J Haematol gig [8]. behand­lung vielversprechend ist, zeigen Re- 2020; 189(5): 888–903. 6. Harrison CN, Schaap N, Mesa RA.: Management of myelofibrosis after ruxolitinib failure. Ann Hematol 2020; 99(6): 1177–1191. Übersicht 2 JAK-Inhibitoren in der Pipeline 7. Newberry KJ, et al.: Clonal evolution and outcomes in myelofibrosis after ruxolitinib discontinuation. Blood Fedratinib 2017; 130(9): 1125–1131. – Hemmung von JAK2 und FLT3 8. Naymagon L, Mascarenhas J.: Myelofibrosis-Related Anemia: Current and Emerging Therapeutic Strategies. – In USA und Kanada zur Erstlinientherapie von Intermediär-2- und Hochrisikopatienten Hemasphere 2017; 1(1): e1. ­zugelassen 9. Gill H, et al.: Myeloproliferative neoplasms treated – Studien und Daten zur Zweitlinientherapie verfügbar (JAKARTA und JAKARTA-2) with hydroxyurea, pegylated interferon alpha-2A or ruxolitinib: clinicohematologic responses, quality-of-life – Aktuell randomisiert-kontrollierte Studie zur Zweitlinientherapie (FREEDOM-2) changes and safety in the real-world setting. Hemato- Momelotinib Pacritinib logy 2020; 25(1): 247–257. 10. Harrison CN, et al.: -2 inhibitor fedratinib – Hemmung von JAK1, JAK2 und ACVR1 – Hemmung von JAK2, FLT3 und IRAK1 in patients with myelofibrosis previously treated with – Phase III Studie (SIMPLIFY-1) – Phase III Studie (PERSIST-1) ruxolitinib (JAKARTA-2): a single-arm, open-label, – Adressiert insbesondere die Anämie – Adressiert insbesondere die Thrombozytopenie non-randomised, phase 2, multicentre study. Lancet Haematol 2017; 4(7): e317–e24.

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Rezidiviertes/refraktäres Multiples Myelom Das BCMA Molekül als Hoffnungsträger

KONGRESS ASH

Die Prognose beim rezidivierten und refraktären Multiplen Myelom (RRMM) Therapie mit dem CD38-Antikörper Daratu- ist nach wie vor düster. So beträgt das mediane Gesamtüberleben nach mumab ungünstig auf den Response auswir- Versagen der gängigen, gegen CD38 gerichteten Immuntherapie magere ken könnte. In der DREAMM-2-Studie lag die 8,6 Monate [1]. An der Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) durchschnittliche Ansprechdauer bei 11 Mo- wurden nun Daten präsentiert, die leise Hoffnung für zukünftige Behandlungs- naten mit einem medianen Gesamtüberleben methoden wecken. Im Zentrum stand unter anderem ein neuer Angriffspunkt: von 14,9 Monaten unter Behandlung mit Belan- Das BCMA Molekül. tamab Mofodotin. Diese Werte könnten laut aktuellen Ergebnissen, die am ASH Kongress ■ (st) Mit Proteasominhibitoren, immunmo- Antibody-Drug-Konjugat mit Verlängerung präsentiert wurden, durch die Zugabe des Im- dulatorischen Medikamenten (IMiDs) und der Überlebensdauer munmodulators Pomalidomid und Dexametha- anti-CD38-Antikörpern stehen zur Therapie des Belantamab Mofodotin besteht aus einem son potenziell weiter gesteigert werden [4]. Multiplen Myeloms bereits einige Wirkstoffe zur ­humanisierten monoklonalen IgG1 Antikörper Bei insgesamt tragbarer Verträglichkeit wa- Verfügung. Dennoch existiert eine beträchtliche gegen BCMA, der über ein Verbindungsstück ren Keratinopathie, Thrombozytopenie und Anä- Anzahl an Patienten, deren Erkrankung nicht mit dem zytotoxischen Monomethylauristatin F mie in den bisherigen Untersuchungen die häu- oder nur vorübergehend auf diese Substanzen (MMAF), einem Inhibitor der Tubulin-Polymeri- figsten Nebenwirkungen. Etwa die Hälfte der anspricht. In solchen Fällen ist der Bedarf an sation, gekoppelt ist. Nach der Bindung des An- Studienteilnehmer klagte über Sehstörungen. neuen Strategien gross. tikörpers an BCMA wird das Antikörper-Toxin- In den meisten Fällen war der Hornhautbefall Einen aktuellen Ansatz stellt der Angriff Konjugat in die Zelle aufgenommen, was durch selbstlimitierend und endete nach etwa einem des sogenannten B-cell maturation antigens die Freisetzung von MMAF zum Zelltod führt. Monat, führte aber teilweise zu Behandlungs- (BCMA) dar. Hierbei handelt es sich um einen Ausserdem werden durch die Antikörperbin- unterbrüchen. Eine Aufteilung der Dosierung Oberflächenrezeptor, der auf differenzierten dung körpereigene Immunzellen rekrutiert und und die Einführung einer Aufsättigungsdosis B-Zellen und Plasmazellen exprimiert wird und BCMA Oberflächenrezeptoren blockiert, was die könnte hier Abhilfe schaffen und die Rate an für das Überleben eine wichtige Rolle spielt. In Antitumorwirkung weiterhin verstärkt. Das Me- schweren Keratinopathien senken [4]. der Vergangenheit konnte gezeigt werden, dass dikament wird dreiwöchentlich intravenös ver- überdurchschnittlich viel BCMA auf malignen abreicht. Bispezifische Antikörper: Zellen beim Multiplen Myelom vorhanden ist. Bisher wurde der neue Wirkstoff in der Hilfe zur Selbsthilfe Die naheliegende Schlussfolgerung, das Mole- DREAMM-1- und in der DREAMM-2-Studie un- Mehr Aufmerksamkeit als Belantamab Mofodo- kül als Target ins Auge zu fassen, wurde an der tersucht, welche aktuell noch läuft [2,3]. Es tin erhielt an der ASH Jahrestagung die poten- ASH Jahrestagung im Dezember 2020 rege dis- zeigten sich gute objektive Gesamtansprech- zielle Einführung bispezifischer Antikörper, so- kutiert. Insbesondere standen drei Substanz- raten von 60% in der Phase I- und knapp über genannter bispecific T-cell engagers (BiTEs), in klassen im Fokus: Das Antikörper-Wirkstoff- 30% in der Phase II-Studie bei einem mehrfach die Myelomtherapie. Diese binden einerseits an Konjugat , bispezifische vorbehandelten Patientenkollektiv. Die Daten das BCMA Molekül auf der Tumorzelle und ande- Antikörper und CAR-T Zellen (Tab. 1). weisen darauf hin, dass sich eine vorgängige rerseits an den T-Zell-Rezeptor. Die so initiierte sanjeri, istock sanjeri,

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behandelte Patienten einschloss, zeigen ein Gesamtansprechen von 96,6%. 67% der Stu- dienteilnehmer erlebten gar eine komplette Remission ihrer Erkrankung. 76% waren nach 12 Monaten noch ohne Rezidiv und 88,5% der Patienten waren zu diesem Zeitpunkt noch am Leben [9]. Im Vergleich zur Therapie mit bispezifi- schen Antikörpern kam es unter Behandlung mit CAR-T Zellen zu mehr Hämatotoxizität, Neu- rotoxizität und Release Syndrome. Allerdings war die Rate an Infektionen in den bisherigen Studien vergleichbar.

Ein gemeinsames Ziel Selbst wenn sich die Wirkmechanismen und somit Nebenwirkungen, Wirksamkeiten und Si- cherheitsprofile unterscheiden, bleibt das Ziel doch dasselbe: Das BCMA-Molekül. Oder breiter gefasst: Myelompatienten in bisher aussichts- losen Situationen Hoffnung zu geben. Welche Therapien sich schliesslich durchsetzen werden, steht derzeit noch in den Sternen. Das Potenzial Meletios Verras, istock Verras, Meletios für eine baldige Zulassung ist bei diversen Wirk- Angriff einer T-Zelle auf eine maligne Zelle stoffen vorhanden und so hoffen wir auf die Be- stätigung der bisherigen Resultate im nächsten Jahr. Und auch im Jahr danach. ­Immunantwort führt zum Zelltod. Es wurden tanen Applikation geeignet ist, und REGN5458. Quelle: 62. Jahrestagung der American Society of ­Daten zu drei neuen Wirkstoffen präsentiert, die Für diese Substanzen wurde von etwas tieferen Hematology (ASH Annual Meeting), 5.-8. Dezember 2020, ­allesamt vielversprechende Optionen darstellen. Ansprechraten von 73% respektive 62,5% be- virtuelle Durchführung Zum bispezifische Antikörper AMG 420 la- richtet. Allerdings ist die Maximaldosis in bei- gen bereits im Vorfeld beeindruckende Daten den Fällen noch nicht ausgeschöpft, was sich Literatur: mit Ansprechraten um 70% und einem hohen auch in niedrigeren Toxizitäten niederschlägt 1. Gandhi UH, et al.: Outcomes of patients with multiple Anteil kompletter Remissionen vor [5]. Auf- [7,8]. myeloma refractory to CD38-targeted monoclonal grund seiner unpraktischen Applikationsart antibody therapy. Leukemia. 2019; 33(9): 2266–2275. 2. Trudel S, et al.: Targeting B-cell maturation antigen with wurde diese Substanz nun weiterentwickelt. Beinahe 100% sprechen auf GSK2857916 antibody-drug conjugate in relapsed or Bei AMG 701 ist keine kontinuierliche Infusion CAR-T-Zellen an refractory multiple myeloma (BMA117159): a dose escalation and expansion phase 1 trial. Lancet Oncol. mehr nötig, sondern das Medikament wird in Auch gegen BCMA gerichtete CAR-T-Zellen könn- 2018; 19(12): 1641–1653. wöchentlichen Gaben intravenös verabreicht. ten in Zukunft richtungsweisend in der Thera- 3. Lonial S, et al. Belantamab mafodotin for relapsed or Erste Analysen zeigen konsistent hohe An- pie des rezidivierten oder refraktären Multip- refractory multiple myeloma (DREAMM-2): a two-arm, randomised, open-label, phase 2 study. Lancet Oncol. sprechraten um 80%. Die Remissionen unter len Myeloms sein. Im Vergleich zu Belantamab 2020; 21(2): 207–221. AMG 701 hielten in vielen Fällen über ein Jahr ­Mofodotin und bispezifischen Antikörpern wa- 4. Trudel S, et al: Part 1 Results of a Dose Finding Study an, in einem Fall zum Zeitpunkt der Präsenta- ren die an der ASH-Jahrestagung präsentierten of Belantamab Mafodotin (GSK2857916) in Combi- nation with Pomalidomide (POM) and Dexamethasone tion gar 22 Monate [6]. Ansprechraten für diese Form der BCMA-gerich- (DEX) for the Treatment of Relapsed/Refractory Weitere bispezifische Antikörper in Entwick- teten Therapie noch höher. Erste Resultate der Multiple Myeloma (RRMM). 62nd ASH Annual Meeting Dec 2020. Abstract #725. lung sind Teclistamab, welches auch zur subku- Phase-I CARTITUDE-1-Studie, welche stark vor- 5. Topp MS, et al.: Anti-B-Cell Maturation Antigen BiTE Molecule AMG 420 Induces Responses in Multiple Myeloma. J Clin Oncol. 2020; 38(8): 775-83. 6. Harrison S, et al.: A Phase 1 First in Human (FIH) Tab. 1 Übersicht über BCMA-gerichtete Wirkstoffe in der Pipeline Study of AMG 701, an Anti-B-Cell Maturation Antigen (BCMA) Half-Life Extended (HLE) BiTE ® (bispecific Wirkstoffe Objektive Ansprechrate bei RRMM in bisherigen Studien T-cell engager) Molecule, in Relapsed/Refractory (RR) Multiple Myeloma (MM). 62nd ASH Annual Meeting Dec Antikörper-Wirkstoff-Konjugat 2020. Abstract #181. 7. Garfall A., et al.: Updated Phase 1 Results of Belantamab Mofodotin 30% in der Phase II-Studie [3] Teclistamab, a B-Cell Maturation Antigen (BCMA) x CD3 Bispecific Antibody, in Relapsed and/or Refractory Multiple Myeloma (RRMM). 62nd ASH Annual Meeting Bispezifische Antikörper (BiTEs) Dec 2020. Abstract #180. 8. Madduri D, et al.: REGN5458, a BCMA x CD3 Bispecific – AMG 701 – 80% [6] Monoclonal Antibody, Induces Deep and Durable – Teclistamab – 73% [7] Responses in Patients with Relapsed/Refractory Multiple Myeloma (RRMM). 62nd ASH Annual Meeting – REGN5458 – 62,5% [8] Dec 2020. Abstract #291. 9. Madduri D, et al.: CARTITUDE-1: Phase 1b/2 Study CAR-T Zellen of Ciltacabtagene Autoleucel, a B-Cell Maturation Antigen–Directed Chimeric Antigen Receptor T Cell Ciltacabtagene Autoleucel 96,6% [9] Therapy, in Relapsed/Refractory Multiple Myeloma. 62nd ASH Annual Meeting Dec 2020. Abstract #177.

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Das etwas andere Wissen Woher kommt eigentlich… der Name «Pancoast-Tumor»?

Wir alle kennen ihn, den Pancoast-Tumor. Auch unter den Namen «Superior Sulcus Tumor» und «Ausbrecherkrebs» bekannt, stellt er unter den nicht-klein- zelligen Lungenkarzinomen (NSCLC) eine distinkte Entität dar. Als Tumor der Lungenspitze mit meist rascher Proliferation unterscheidet er sich zwar histologisch nicht von anderen NSCLC, führt aber ob seiner besonderen Lokalisation zu einem eigenständigen Krankheitsbild. So weit, so gut. Doch istock Peerayot, woher stammt eigentlich die Bezeichnung «Pancoast-Tumor»? Wir sind der Sache auf den Grund gegangen. ihm berichteten bereits der englische Chirurg Edward Selleck Hare 1838 und Publio Ciuffini ■ (st) Als peripheres, nicht-kleinzelliges Bron- gebend, wird diese doch wesentlich durch das 1911 vom apikalen Lungenkrebs. Erst 1924, chialkarzinom des Apex oder der oberen Lun- Erreichen einer R0 Resektion mitbestimmt. also 86 Jahre nach der erstmaligen Erwähnung, genfurche ist der Pancoast-Tumor vor allem Auch wenn das Krankheitsbild des Pan- veröffentlichte Henry Pancoast drei Fälle. 1932 aufgrund seines raschen Übergreifens auf Rip- coast-Tumors den meisten Ärzten ein Begriff beschrieb er den späteren Pancoast-Tumor un- pen, Wirbel, Halsweichteile und Plexus brachi- ist und sicherlich der eine oder andere schon ter dem Namen «superior pulmonary sulcus tu- alis gefürchtet. Dieses führt früher oder später Berührungspunkte damit hatte, können wohl mor». zum sogenannten «Pancoast-Syndrom», einem nur wenige die Herkunft des doch ausserge- Henry Khunrath Pancoast studierte am Symptomkomplex, der durch Kompression und wöhnlich anmutenden Namens erklären. Diese Ende des 19. Jahrhunderts an der Pennsylva- Verdrängung verschiedener Strukturen entsteht. steht in der Hektik des klinischen Alltags zwi- nia Medical School und trat schon bald in die Dazu können neben dem Horner-Syndrom mit schen Diagnostik, Patientengesprächen, Thera- Fussstapfen seines Vaters, der ebenfalls Arzt Miosis, Ptosis und Enophthalmus auch neuro- pie und sehr viel Dokumentation auch nicht im war. Schon während seiner Ausbildung zum logische Beschwerden im Bereich des Arms, Zentrum, ist aber dennoch einen kurzen Exkurs Anästhesisten liebäugelte er mit der Radiolo- die Blockade des Blut- und Lymphabflusses wert. gie. 1902 – nach lediglich zwei Jahren klini- aus dem Arm, eine obere Einflussstauung und scher Tätigkeit– übernahm er die Leitung der Rippenschmerzen gehören. Entsprechend der Namensgeber aus Philadelphia Röntgenabteilung der Pennsylvania Medical involvierten Organe sind nach der Induktions- Selbst wenn er nicht der erste war, der sich mit School. Im Alter von 38 Jahren wurde er 1912 Radiochemotherapie oftmals gleich mehrere dem Krankheitsbild des NSCLC der Lungen- zum ersten US-amerikanischen Professor für operative Disziplinen gefordert: Thoraxchirurgie, spitze auseinandersetzte, ist der Pancoast-Tu- Radiologie ernannt. Orthopädie, Neurochirurgie. Das Gelingen ihres mor nach Henry Khunrath Pancoast benannt, Im Laufe seiner Karriere prägte Henry Zusammenspiels ist für die Prognose ausschlag- der 1875 in Philadelphia geboren wurde. Vor Pancoast die Entwicklung der medizinischen Bildgebung. Er legte grossen Wert auf Lehre und Forschung und war massgeblich an den Anfängen der Radiotherapie mit Röntgenstrah- len beteiligt, insbesondere an der Bestrahlung inoperabler Tumoren. Auch fokussierte er seine Tätigkeit auf Röntgenbilder des Thorax und Neurokraniums und trug zur Entdeckung der Silikosen und Pneumokoniosen bei. Bis zu sei- nem Tod 1939 hielt sein unermüdliches Enga- gement an. Ein Engagement, das bis heute gewissermassen in den Bezeichnungen des Pancoast-Tumors und -Syndroms weiterlebt. Noch 2021 trägt auch der Lehrstuhl für Radi- oonkologie an der University of Pennsylvania seinen Namen.

Literatur: 1. Rusch VW: Management of Pancoast tumours. Lancet Oncol. 2006; 7(12): 997–1005. 2. Roche Lexikon Medizin. 5th ed: Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag; 2003. 3. Griesinger F, et al.: Lungenkarzinom, nicht-kleinzellig (NSCLC). Onkopedia 2019. www.onkopedia.com/de/ onkopedia/guidelines/lungenkarzinom-nicht-kleinzellig- nsclc/@@guideline/html/index.html (letzter Zugriff am 10.01.2021) 4. Henry Khunrath Pancoast. whonamedit.com. duncan1890, istock duncan1890, www.whonamedit.com/doctor.cfm/2505.html Szene aus The Graphic, 1900: Ärzte beurteilen ein Thoraxröntgenbild. (letzter Zugriff am 10.01.2021)

36 InFo ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE 2021; Vol. 9, Nr. 1 MEDIZIN

BRAFV600E -mutiertes metastasiertes Kolorektalkarzinom (mCRC) Anhaltspunkt für Zusatznutzen der Zweifachblockade

MARKT & MEDIZIN Pierre Fabre

Ein Expertenpanel sieht in der Zweifachblockade kombiniert mit wiesen. Primäre Wirksamkeitsendpunkte wa- gegenüber der zweckmässigen Vergleichstherapie einen beträcht- ren OS und ORR in der Therapiegruppe unter licher Zusatznutzen bei der Behandlung des metastasierten Kolorektalkarzi- Dreifachblockade verglichen mit der Kontroll- noms mit BRAFV600E-Mutation nach systemischer Vortherapie. So das Fazit gruppe. Die Studie war auf den hauptsekundär- einer aktuellen Nutzenbewertung. en Endpunkt – OS in der Therapiegruppe mit Zweifachblockade gegenüber der Kontrollgrup- ■ (mp) Die Zweifachblockade bestehend aus Auch hinsichtlich der Morbidität zeigt sich laut pe – gepowert. Die Datenauswertung der Studie dem BRAF-Inhibitor Encorafenib (BRAFTOVI®) G-BA ein Vorteil für die Zweifachblockade [4]. zeigt hinsichtlich des Gesamtüberlebens (OS) [1] und dem anti-EGFR-Antikörper Cetuximab eine statistisch signifikante Verlängerung durch ist seit Juni 2020 zur Behandlung von Patien- Encorafenib kombiniert mit Cetuximab: die Behandlung mit Encorafenib + Cetuximab im ten mit BRAFV600E-mutiertem metastasierten Verlängerung Gesamtüberleben Vergleich zu Irinotecan + Cetuximab oder FOLFI- Kolorektalkarzinom (mCRC), die bereits eine Für die Nutzenbewertung wurden die Ergeb- RI + Cetuximab (Kasten). Das Ausmass der OS- systemische Vortherapie erhalten haben, durch nisse der randomisierten, offenen, multizentri- Verlängerung wird vom G-BA unter Berücksich- die Europäische Kommission zugelassen [1,2]. schen Phase-III-Studie BEACON-CRC herange- tigung der schlechten Überlebensprognose für Am 17. Dezember 2020 stellte der Gemeinsame zogen (Kasten) [3–6]. Diese Studie evaluierte Patienten mit BRAF-mutierten Tumoren sowie Bundesausschuss (G-BA)* einen «Anhaltspunkt die Kombination aus dem BRAF-Inhibitor En- dem fortgeschrittenen Krankheits- und Behand- für einen beträchtlichen Zusatznutzen» der corafenib (BRAFTOVI®) und dem anti-EGFR-An- lungsstadium als eine «deutliche Verbesserung Zweifachblockade gegenüber der zweckmässi- tikörper Cetuximab mit und ohne den MEK-In- im therapeutischen Nutzen» bewertet [4]. In gen Vergleichstherapie (Irinotecan + Cetuximab hibitor gegenüber Chemotherapie der Endpunktkategorie Morbidität besteht laut und FOLFIRI + Cetuximab) fest [3,4]. Für die End- (FOLFIRI oder Irinotecan) plus Cetuximab. Ein- G-BA unter Therapie mit der Zweifachblockade punktkategorien Mortalität und Nebenwirkun- geschlossen wurden Patienten mit metastasier- eine relevant geringere Belastung der Patien- gen bestehen laut G-BA deutliche Vorteile bei tem BRAFV600E-mutiertem Kolorektalkarzinom, ten durch Diarrhö. Hinsichtlich der Nebenwir- der Therapie mit der Zweifachblockade gegen- die eine Krankheitsprogression nach einer oder kungen konstatiert der G-BA «ausschliesslich po- über der zweckmässigen Vergleichstherapie. zwei vorherigen systemischen Therapien auf- sitive Effekte für Encorafenib + Cetuximab» [4]. In der Endpunktkategorie gesundheitsbezoge- ne Lebensqualität ergibt sich nach Ansicht des Phase-III-Studie BEACON-CRC G-BA weder ein Vorteil noch ein Nachteil durch Die BEACON-CRC Studie ist die erste und bislang einzige Phase-III-Studie zur Untersuchung die Zweifachblockade. In seinem Fazit stellt der einer kombinierten, zielgerichteten Therapie bei BRAFV600E-mutiertem metastasiertem G-BA anhand der Studiendaten einen «Anhalts- Kolorektalkarzinom (mCRC). Insgesamt wurden 665 Patienten im Verhältnis 1:1:1 in eine der punkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen folgenden Behandlungsgruppen randomisiert: für Encorafenib + Cetuximab gegenüber Irino- – Therapiegruppe mit Zweifachblockade (n=220): Encorafenib (300 mg 1x/d) und Cetuximab tecan + Cetuximab oder FOLFIRI + Cetuximab» – Therapiegruppe mit Dreifachblockade (n=224): Encorafenib (300 mg 1x/d) plus Binimetinib fest [3,4]. (45 mg bid) und Cetuximab – Chemotherapie-basierte Kontrollgruppe (n=221): Cetuximab und Irinotecan oder Cetuximab BEACON-CRC-Studie nachträglich in die und FOLFIRI (Folinsäure, Fluorouracil und Irinotecan) Bewertung ein­bezogen Durch die positive Bewertung des G-BA wur- Hinsichtlich des Gesamtüberlebens (OS) zeigt sich eine statistisch signifikante Verlängerung de der Entscheid eines Gutachtens des Insti- durch die Behandlung mit Encorafenib + Cetuximab im Vergleich zu Irinotecan + Cetuximab tutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Ge- oder FOLFIRI + Cetuximab: sundheitswesen (IQWiG) vom September 2020 – Das Mediane OS nach 7,8 Monaten medianem Follow-up betrug 8,4 Monate (Zweifachblo- revidiert, in welchem die massgebliche Zulas- ckade Encorafenib + Cetuximab) vs. 5,4 Monate (Chemotherapie-basierte Behandlung); HR sungsstudie BEACON-CRC als nicht verwertbar 0,60 (95% KI: 0,45–0,79), p < 0,001. für die Zusatznutzenbeurteilung eingestuft wor- – Das Mediane OS nach 12,8 Monaten medianem Follow-up betrug 9,3 Monate (Zweifach­ den war, da die Hinzunahme von Cetuximab blockade Encorafenib + Cetuximab) vs. 5,9 Monate (Chemotherapie-basierte Behandlung); zu Irinotecan respektive FOLFIRI im Kontrol- HR 0,61 (95% KI: 0,48–0,77). larm eine laut IQWiG nicht sachgerechte Abwei- chung von der zuvor durch den G-BA definierten zweckmässigen Vergleichstherapie darstellte *  Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) besteht aus den vier grossen Selbstverwaltungsorganisationen im [7]. Unter Berücksichtigung der gemeinsamen Gesundheitswesen Deutschlands (Kassenärztliche Bundesvereinigung, Kassenzahnärztliche Bundesvereini- gung, Deutsche Krankenhausgesellschaft und Spitzenverband der Krankenkassen). Er bestimmt, welche me- Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Inter- dizinischen Leistungen Versicherte in Anspruch nehmen können. Das Bewertungsergebnis des G-BA bildet die nistische Onkologie der (DKG), der Deutschen Basis für die Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband zum Erstattungsbetrag. Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische

37 MEDIZIN medizinonline.ch

tive Bewertung des IQWiG auf Basis der nicht 3. Gemeinsamer Bundesausschuss, Beschluss vom Übersicht 1 Kolorektalkarzinom getroffenen zweckmässigen Vergleichsthera- 17.12.2020. Arzneimittel-Richtlinie/Anlage XII: Encorafenib (neues Anwendungsgebiet: metasta- Beim Kolorektalkarzinom handelt es sich mit pie durch den G-BA vollkommen revidiert», er- siertes Kolorektalkarzinom mit BRAF-V600E-Mutation rund 1,8 Millionen Erstdiagnosen im Jahr klärt Dr. Kai Neckermann, Business Unit Direk- nach systemischer Vortherapie; in Kombination mit Cetuximab), www.g-ba.de, letzter Abruf Januar 2021. 2018 um die weltweit dritthäufigste Krebs- tor Onkologie (Deutschland-Österreich-Schweiz) 4. Gemeinsamer Bundesausschuss, Tragende Gründe art bei Männern und die zweithäufigste bei bei Pierre Fabre. Eine Entscheidung des G-BA zum Beschluss vom 17.12.2020. Arzneimittel- Frauen. Weltweit gingen 2018 etwa 881 000 entgegen der Empfehlung des IQWiG sei bemer- Richtlinie/Anlage XII: Encorafenib (neues Anwen- Todesfälle auf die Ursache CRC zurück [9]. dungsgebiet: metastasiertes Kolorektalkarzinom mit kenswert und spreche für die hohe Belastbar- BRAF-V600E-Mutation nach systemischer Vortherapie; BRAF-Mutationen werden bei 8–12% aller keit der Daten. «Wir freuen uns sehr, da dies den in Kombination mit Cetuximab), www.g-ba.de, letzter Patienten mit mCRC detektiert. Fast immer Wert der Therapie für die Patienten adäquat wi- Abruf Januar 2021. handelt es sich dabei um die V600E-Muta­ 5. Kopetz S, et al.: Encorafenib, binimetinib, and derspiegelt.», so Neckermann weiter. cetuximab in BRAFV600E–mutated colorectal cancer. tion, die mit einer sehr schlechten Prognose Auf Basis der Primäranalyse der BEACON- N Engl J Med 2019; 381(17): 1632–1643. assoziiert ist [10,11]. 6. Kopetz S et al.: J Clin Oncol 2020; 38(15_suppl): CRC Studie erteilte die Europäische Kommis- Abstract #4001 und Präsentation. sion im Juni 2020 die Zulassung für die Zwei- 7. IQWiG-Berichte – Nr. 976: Encorafenib (Kolorektal- Onkologie (DGHO) sowie der Deutschen Gesell- fachblockade aus Encorafenib (BRAFTOVI®) karzinom) – Nutzenbewertung gemäss § 35a SGB V; Dossierbewertung V1.0 Stand 29.09.2020. Abrufbar schaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und plus Cetuximab zur Behandlung erwachsener unter: www.g-ba.de, letzter Abruf Januar 2021. Stoffwechselkrankheiten e.V. (DGVS) änderte mCRC-Patienten mit BRAFV600E-Mutation nach 8. Stellungnahme zur Nutzenbewertung gemäss §35a der G-BA jedoch die zweckmässige Vergleichs- systemischer Vortherapie [1]. Die Studie wurde SGB V, Encorafenib (Neues Anwendungsgebiet metastasiertes kolorektales Karzinom), IQWiG Bericht therapie durch Ergänzung der EGFR-Inhibitoren weltweit an über 200 Zentren durchgeführt und Nr. 976; AIO, DGHO, DGVS, 22. Oktober 2020, www. (Cetuximab, ) in Kombination mit von ONO Pharmaceutical, Pierre Fabre, Array dgho.de/publikationen, letzter Abruf Januar 2021. 9. The Global Cancer Observatory, 2018. International Irinotecan-haltigen Therapien [4,8]. Aufgrund BioPharma/Pfizer und Merck unterstützt. Agency for Research on Cancer, World Health Orga- dieser nachträglichen Änderung konnte die Zu- nization, https://gco.iarc.fr/today/data/factsheets/ lassungsstudie BEACON-CRC schliesslich doch cancers/10_8_9-Colorectum-fact-sheet.pdf, letzter Literatur: Abruf Januar 2021. durch den G-BA zur Bewertung des Zusatznut- 1. Fachinformation BRAFTOVI®: Pierre Fabre Pharma 10. Van Cutsem E, et al.: Ann Oncol 2016; 27(8): zens herangezogen werden. «Mit dem ‹Anhalts- GmbH, Stand Juni 2020. 1386–1422. 2. European Medicines Agency: BRAFTOVI® (encorafenib) punkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen› für 11. Modest DP, et al.: Ann Oncol 2016; 27(9): Summary of Product Characteristics, www.ema. 1746–1753. unsere mCRC-Indikation wurde die initial nega- europa.eu, letzter Abruf Januar 2021. 12. «Anhaltspunkt für beträchtlichen Zusatznutzen beim BRAF-mutierten mCRC: G-BA bewertet Zweifach­ blockade­ bestehend aus Encorafenib und Cetuximab positiv», Pierre Fabre GmbH, 11.1.21

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Verlag und Herausgeber Autorenhinweise und Manuskripteinreichung Bezugspreise PRIME PUBLIC MEDIA AG [email protected] Einzelheft CHF 25.– inkl. Porto Neugasse 10, 8005 Zürich Jahresbezugspreis CHF 180–, für ­Studenten CHF 90.– Tel. 044 250 28 70 Copyright [email protected] Prime Public Media AG, Zürich. Alle Rechte liegen beim Gerichtsstand und Erfüllungsort: Zürich www.primemedic.ch Verlag. Nachdrucke oder Vervielfältigung von Beiträgen und Abbildungen, auch auszugsweise, nur mit schriftli- Druck Verleger: Stefan C. Schreiber cher Genehmigung des Verlags. VVA (Schweiz) GmbH, 9016 St. Gallen 9. Jahrgang Redaktion Hinweis Druckauflage 5000 Tanja Schliebe (Chefredaktorin), Für Preisangaben sowie Angaben zu Diagnose und [email protected] (tsk); Therapie, insbesondere Dosierungsanweisungen und ISSN: 2296-6250 Med. pract. Amelie Stüger, Applikationsformen, kann seitens der Redaktion und des [email protected] (st) Verlags keine Garantie/Haftung­ übernommen werden. Die Publikation Prime Public Media AG InFo ONKOLOGIE & HÄMA- Leoni Burggraf, [email protected] (lb); Geschützte Warenzeichen­ werden nicht in jedem Fall TOLOGIE ist für den persönlichen Nutzen des Lesers konzipiert und Mirjam Peter, M.Sc., [email protected] (mp); kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen­ eines solchen Hin- beinhaltet Informationen aus den Bereichen Experten­meinung, Jens Dehn, [email protected] (jd); weises kann nicht geschlossen werden, dass es sich um wissenschaftliche Studien und Kongresse sowie News. Namentlich gekennzeichnete Artikel und sonstige Beiträge sind die ­persönliche ein nicht geschütztes Produkt handelt. und/oder die wissenschaftliche Meinung des Verfassers und müs- Ständige Korrespondenten: Dr. med. Katharina sen daher nicht mit der ­Meinung der Redaktion übereinstimmen. Arnheim (ka); Mirjam Bedaf (mb); Claudia Benetti (cb), Gesponserte Inhalte Diese Beiträge fallen somit in den persön­lichen Verantwortungsbe- Dr. Klaus Duffner (kd); Alfred Lienhard Fritsche (alf); Entsprechende Beiträge sind mit «Branchen News», reich des Verfassers. Die wiedergegebene Meinung­ deckt sich nicht Roland Fath (rf); PD Dr. med. Jochen Mutschler (jm); ­­ «Publireportage» oder «Sonderreport» gekennzeichnet. in jedem Fall mit der Meinung des Herausgebers, sondern dient der Dr. med. Ulrike Novotny (un); Regina Scharf (rs); Information des Lesers. Mit der Übergabe von Manuskripten und Dr. med. Susanne Schelosky (ssl); Dr. Therese Erscheinungsweise Bildern gehen sämtliche Nutzungsrechte an Prime Public Media AG über. Für unverlangt eingereichte Manuskripte und Bilder über- Schwender (ts); Dr. med. Anka Stegmeier-Petroianu­ (as); InFo ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE erscheint sechsmal nimmt Prime Public Media AG keine Haftung. Mit der Einsendung Renate Weber (rw); Dr. Monika Walter (wa); pro Jahr. eines Manuskripts erklärt sich der Urheber/Einsender damit ein­ Dr. med. Maria Weiß (mw) verstanden, dass der entsprechende Beitrag ganz oder teilweise in Abonnement allen Publikations­organen von Prime Public Media AG und deren Mediadaten/Marketing/Verkauf Bestellung beim Verlag, beim Buch- und Zeitschriften- Medienpartner publiziert werden kann. Roman Brauchli, [email protected] handel. Bezugszeit: Das Abonnement gilt zunächst für ein Jahr. Es verlängert sich um jeweils ein Jahr, wenn die Herstellung/Layout Kündigung nicht bis 31.10. des laufenden Jahres beim Helena Rupp, Ernst Tanner Verlag vorliegt. Bei höherer Gewalt und Streik besteht kein Anspruch auf Ersatz.

38 InFo ONKOLOGIE & HÄMATOLOGIE 2021; Vol. 9, Nr. 1 PRAXISMANAGEMENT

COVID-19 Schutz vor Ansteckung in der Arztpraxis

Als Treffpunkt von Menschen aus diversen Lebensräumen und -abschnitten (TROPOS) in Kollaboration mit Forschern aus stellt die Arztpraxis einen potenziellen Hotspot für Ansteckungen mit dem Neu Delhi, Rom und Colorado wird für das Lüf- SARS-CoV-2 Virus dar. Es entstehen täglich Kontakte zwischen Patienten – tungs- und Klimasystem eine Mindesteffizienz oftmals aus der Risikogruppe – und Gesundheitspersonal – etwas seltener aus von MERV-13 (Minimum Efficiency Reporting der Risikogruppe. Entsprechend hoch ist der Stellenwert einer guten Präven­ Value; US-Norm) empfohlen [2]. Dies stelle tion. Diese ist nicht nur wichtig, um gefährdete Personen zu schützen, sondern sicher, dass auch kleine Partikel aus der Luft auch, um die Gesundheitsversorgung aufrecht erhalten zu können. gefiltert werden. In Fällen, in denen ausreichendes Lüften ■ (st) Aus Quarantänegründen geschlossene se regelmässiges Lüften, die Verwendung eines nicht möglich ist, kann die Viruskonzentration Arztpraxen sowie Ansteckungen von Personal Luftbefeuchters und der gezielte Einsatz von in der Luft durch Luftreiniger reduziert werden. und Patienten gilt es zu vermeiden. So sind Arzt- CO2-Monitoren. Wenn nicht ausreichend gelüf- Diese vermögen jedoch die Zufuhr von Sauer- praxen auch von offizieller Seite her verpflich- tet werden kann, empfiehlt sich die Anschaffung stoff und Frischluft nicht zu ersetzen. Wichtig tet, Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten eines Luftreinigers. ist, dass sie über einen sog. HEPA (High Effici- [1]. Doch wie lässt sich diese Verpflichtung am Bei einer relativen Luftfeuchtigkeit um 50% ency Particle Absorbing)-Filter verfügen. besten umsetzen? sind die menschlichen Schleimhäute am resis- Neben dem Einsatz von Hilfsmitteln zur tentesten gegenüber Infektionen und die Viren Lufthygiene und konsequentem Lüften sollten Übertragungswege kennen in den Aerosolpartikeln weniger lange über- aerosolerzeugende Verfahren in der aktuel- Um dem Ansteckungsrisiko optimal begegnen lebensfähig als bei trockener oder feuchterer len Lage nach Möglichkeit vermieden werden. zu können, ist es wichtig, die Übertragungswe- Luft [2]. Grund genug also, die Luftfeuchtigkeit Hierzu gehört beispielsweise die Anwendung ge des Virus zu kennen und somit kritische Situ- mithilfe eines Luftbefeuchters bei 40 bis 60% von Medikamenten, die über einen Zerstäu- ationen und Prozesse identifizieren zu können. zu halten – gerade in der Arztpraxis. ber verabreicht werden. Ein Dosier-Inhalator

Im Grundsatz gilt: Das Virus überträgt sich am Durch den Einsatz von CO2-Messgeräten stellt eine weniger gefährliche Alternative dar. häufigsten bei engem und längerem Kontakt. kann die Frischluftzufuhr kontrolliert werden. Die ganze Übersicht über potenziell aerosol- Und je länger und enger dieser Kontakt ist, des- Wenn die Kohlendioxid-Konzentration einen bildende Tätigkeiten ist auf der Website der to wahrscheinlicher ist eine Ansteckung. Auch Wert von 1000 ppm erreicht, ist es höchste Swissnoso zugänglich. Zur Einschätzung und wenn wir uns gerne Zeit nehmen möchten für Zeit, das Fenster zu öffnen. Denn dies indiziert, Veranschaulichung des Übertragungsrisikos unsere Patienten, macht eine fokussierte, struk- dass sich viel ausgeatmete Luft – und somit durch Aerosole hat das Max-Planck-Institut den turierte und gut vorbereitete Konsultation in der potenziell auch viel Virus – im Raum befindet. «COVID 19 Aerosol Transmission Risk Calcula- derzeitigen Situation Sinn, um die Kontaktzeit In einer kürzlich veröffentlichten Arbeit des tor» ins Leben gerufen – ein einfach anzuwen- möglichst kurz zu halten. Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung dendes Online-Tool zur Risikoberechnung [6]. Tröpfchen, Aerosole, Oberflächen und Hände stellen die Hauptübertragungswege des SARS-CoV-2 Virus dar. Beim Atmen, Sprechen, Übersicht 1 Empfehlungen zum Einsatz von Schutzmaterial Niesen oder Husten können virenhaltige Tröpf- Hygienemasken chen direkt auf die Schleimhäute von anderen – Immer, bei Nasen-Rachenabstrichen ausreichend Personen in unmittelbarer Nähe gelangen. Daher rührt auch die berühmte 1,5-Meter- FFP2/3-Masken Regel. Ebenso ist eine Übertragung durch Aero- – Bei Tätigkeiten mit grossem Risiko der Aerosolbildung bei Personen mit begründetem sole – also feinste Tröpfchen – über grössere ­Verdacht oder bestätigtem COVID-19 Distanzen möglich, kommt aber weitaus selte- – Bis 30 Minuten über die aerosol-generierende Massnahme hinaus, solange die erkrankte ner vor. Sie spielt vor allem bei Aktivitäten mit Person während dieser Zeit im Raum ist verstärkter Atmung und in schlecht belüfteten, – FFP2-Masken können von einem Mitarbeitenden während einer ganzen Schicht getragen insbesondere kleinen Räumen eine Rolle. Infek- werden tiöse Tröpfchen auf Händen und Oberflächen Schutzhandschuhe und Überschürzen bergen eine zusätzliche Ansteckungsquelle. – Untersuchung von Personen mit begründetem Verdacht oder bestätigtem COVID-19, wenn Es liegt oft an der Luft dabei ein Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann Mit Lufttrockenheit, längeren Aufenthalten in ge- Augenschutz/Schutzbrille schlossenen Räumen und der kleineren Motiva- – Bei der Durchführung von Nasopharynx- und Rachenabstrichen bei Personen mit Sympto- tion zu lüften verschärft die kalte Jahreszeit das men einer akuten Atemwegsinfektion Ansteckungsrisiko über Aerosole. Der Mund-Na- – Bei direkter Exposition gegenüber Atemwegssekreten und bei Tätigkeiten mit grossem Risi- sen-Schutz mit einer chirurgischen Maske kann ko der Aerosolbildung (durch Swissnoso definiert), wenn ein begründeter Verdacht oder eine zwar den Ausstoss der Viren deutlich vermin- bestätigte COVID-19-Erkrankung vorliegt dern, aber nicht gänzlich stoppen. Am meisten – Jede Fachperson nutzt dieselbe Brille so lange wie möglich, wiederverwendbare Schutz- Erfolg in der Aufrechterhaltung der Luftquali- brillen müssen nach jedem Gebrauch desinfiziert und an einem staubfreien Ort gelagert tät verspricht die Kombination verschiedener werden

Massnahmen [2]. Hierzu zählen beispielswei- nach [1]

39 PRAXISMANAGEMENT medizinonline.ch

Die Wahl des richtigen Schutzmaterials gut investierte Zeit. Jederzeit einfach verfüg- den. Ein hohes Risiko für Ansteckungen besteht Zusätzlich zu genügend Abstand, regelmässi- bare Materialien – insbesondere Masken und insbesondere während der Pausen. Hier gilt ger Desinfektion von Material und Oberflächen, Desinfektionsmittel – erleichtern nicht nur den es, die Hygieneregeln auch beim Essen und sauberer Luft und guter Händehygiene kann Patienten die Umsetzung der Schutz- und Hygi- Plaudern einzuhalten. Dieser Aspekt geht im auch Schutzmaterial bedeutend zur Sicherheit enemassnahmen, sondern auch dem Praxis- hektischen Praxisalltag oft unter und darf bei in der Arztpraxis beitragen (Übersicht 1). Prinzi- personal. der Massnahmenplanung nicht vernachlässigt piell sollte die Kleidung täglich gewechselt und werden. Wo möglich, kann auch in der Medizin ausschliesslich in der Praxis getragen werden. Patientenwege aktiv steuern Home-Office eine Option darstellen. Die hohen Das Zurückbinden langer Haare beugt unnöti- Die beste Ansteckungsprävention ist und bleibt Dokumentationsanforderungen unserer Zeit gen Griffen ins Gesicht vor [3]. es, persönliche Kontakte so gut es geht zu ver- haben diesbezüglich auch ihre Vorteile. In Arztpraxen herrscht eine generelle meiden. Hier kommt einerseits die Telemedi- Es bleibt zu hoffen, dass durch die Anwen- Maskentragpflicht für Personal, Patienten und zin ins Spiel, andererseits gilt es, Patientenwe- dung dieser Massnahmen so viele Praxen wie Begleitpersonen. Wenn keine starke Aerosol- ge in der Praxis aktiv zu steuern. Wo möglich, möglich offen bleiben und in dieser herausfor- bildung zu erwarten ist, reicht hier das Tragen können beispielsweise Telefonkonsultationen dernden Zeit die Versorgung sichergestellt wer- von Hygienemasken aus. Dies gilt auch für die eingesetzt werden. Dies ist im Sinne der Ver- den kann. Auch von nicht Corona-Patienten. Durchführung von Abstrichen. Ist das Risiko für sorgungsqualität zwar ein schmaler Grat, kann Aerosolbildung jedoch hoch und besteht der aber punktuell gut funktionieren. Die Anwesen- Informationsquellen Verdacht auf COVID-19 oder handelt es sich gar heit von Begleitpersonen sollte auf ein Minimum Weiterführende Informationen finden Sie unter um einen bestätigten Fall, empfiehlt das BAG reduziert werden. anderem auf den Webseiten der FMH, Swiss­ dem Gesundheitspersonal, eine FFP2/3-Maske Um Ansammlungen von Patienten zu ver- noso und des Bundesamts für Gesundheit (BAG) aufzusetzen [1]. meiden, sind der Kreativität keine Grenzen [1,3,4]. Hilfreich ist auch der deutsche Leitfaden Und wie sieht es mit Schutzhandschuhen, gesetzt. Neben einer Ausdünnung der Bestuh- «Pandemieplanung in der Arztpraxis» [5]. Dieser Überschürzen und Schutzbrillen aus? Deren lung im Wartebereich können zum Beispiel enthält Checklisten und Mustervorlagen, welche Verwendung ist je nach Situation äusserst sinn- Bodenmarkierungen, Absperrungen, zeitlich teilweise auch für den Gebrauch in der Schweiz voll (Übersicht 1). Wenn der Abstand von 1,5 und/oder räumlich getrennte COVID-19-Sprech- geeignet sind oder einfach dahingehend ange- Metern zu Verdachtspatienten oder solchen stunden oder Termin-Slots eingeführt werden. passt werden können. mit einer bestätigten COVID-19-Infektion nicht Je nach Räumlichkeiten kann die Trennung eingehalten werden kann, so ist ein zusätzli- von Patientenpfaden anders aussehen. Emp- cher Schutz mittels Überschürze und Schutz- fehlungen, die für alle Praxen gelten, sind die handschuhen angezeigt. Eine Schutzbrille wird Entfernung von Zeitschriften und anderem Literatur: in jenen Situationen empfohlen, in denen das Material, das potenziell durch mehrere Hände 1. BAG: Coronavirus: Schutzkonzepte und -massnahmen. www.admin.ch/bag/ (letzter Zugriff am 15.01.2021) Risiko für Aerosolbildung hoch ist oder es zu geht, sowie das Offenhalten von Türen. So 2. Ahlawat A, et al.: Preventing Airborne Transmission einer direkten Exposition gegenüber Atem- kann Ansteckungen über die Türklinke vorge- of SARS-CoV-2 in Hospitals and Nursing Homes. Int J Environ Res Public Health. 2020; 17(22). wegssekreten kommen kann. Auch sollte bei beugt werden. Sollte dies nicht möglich sein 3. FMH: COVID-19: Schutzkonzept der FMH zum Betrieb der Durchführung von Nasen-Rachenabstrichen – beispielsweise aus Gründen der Privatsphäre von Arztpraxen. 29.12.2020. www.fmh.ch (letzter bei Personen mit Symptomen einer akuten – müssen Türklinken wie auch andere Oberflä- Zugriff am 15.01.2021) 4. www.swissnoso.ch (letzter Zugriff am 15.01.2021) Atemwegsinfektion ein Augenschutz getragen chen regelmässig desinfiziert werden. 5. Dorbath M, Lupo C: Pandemieplanung in der Arztpraxis werden [1]. Nicht nur die aktive Steuerung der Patien- – Eine Anleitung zum Umgang mit Corona. Kompetenz­ Nicht nur das Vorhandensein dieser tenwege kann zur Sicherheit in der Praxis bei- zentrum (CoC) Hygiene und Medizinprodukte der Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassenärztlichen Schutzmaterialien muss sichergestellt werden, tragen, sondern auch die bewusste Planung Bundesvereinigung; 2020. www.kbv.de/html/ sondern auch der korrekte Umgang damit. Hier von Mitarbeitereinsätzen. Wird zum Beispiel 1150_48655.php (letzter Zugriff am 15.01.2021) 6. Max-Planck-Institut: COVID 19 Aerosol Transmission sind eingespielte Abläufe im Team sicherlich immer in den gleichen Teams gearbeitet, kön- Risk Calculator. https://www.mpic.de/4747361/ von Vorteil und ein entsprechendes Coaching nen die Kontakte untereinander reduziert wer- risk-calculator (letzter Zugriff am 17.01.2021) Inside Creative House, istock House, Creative Inside

40 ANNUAL CONGRESS 2021 Immunology after COVID-19

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# Alle zugelassenen Kombinationen mit DARZALEX® ab der 1. Linie des neudiagnostizierten, nicht-transplant- fähigen Multiplen Myeloms zeigen signifikant längere Zeit bis zur Progression in der nächsten Therapielinie oder Tod (PFS2) vs. Vergleichsarm3–7 * mit Limitatio8

6 von 10 Patienten in der 1. Linie mit DRd nach 4 Jahren weiter ohne Progression4

53.3 Monate mediane Progressionsfreiheit mit DRd in der 2. Linie6 DARZALEX® SC verabreicht in 3–5 Minuten1, 3

Gekürzte Fachinformation Darzalex® Standards. Genotypisierung der Erythrozyten jederzeit möglich. ber 2020) unter: http://www.swiss- Darzalex® SC/Darzalex®: I: Als Monotherapie für Patienten mit Bei gepl. Bluttransfusion Information der Bluttransfusions-Zentren. medicinfo.ch/ 3. Mateos MV et al. multiplem Myelom (MM), die mind. 3 frühere Therapielinien er- Falls Notfalltransfusion, AB0/RhD-komp. RBCs ohne Kreuzprobe Subcutaneous versus intravenous halten haben, einschliesslich >1 Proteasomen-Inhibitors (PI) und gemäss lok. Standard geben; Interferenz Bestimmung vollst. in patients with re- >1 immunmodulatorischen Wirkstoffs (IMiD) oder welche gegen- Ansprechens: Patienten mit IgGκ-Myelomprotein; Prophylaxe lapsed or refractory multiple myeloma über >1 PI und IMiD doppel-refraktär waren; in Kombination mit gegen Reakt. von Herpes Zoster Virus: innerhalb 1 Woche nach (COLUMBA): a multicentre, open-label, Lenalidomid und Dexamethason (DRd) od. Bortezomib und Behandlungsbeginn bis 3 Monate nach Behandlungsende; non-inferiority, randomised, phase 3 trial. Dexamethason (DVd) für Patienten mit MM, die mind. 1 frühere Reakt. von Hepatitis B (HBV): vor Beginn der Behandlung scree- Lancet Haematol. 2020 May;7(5):e370- Therapielinie erhalten haben; in Kombination mit Lenalidomid ning auf HBV, Pat. mit pos. HBV-Serologie während u. bis mind. e380. doi: 10.1016/S2352-3026(20) 30070-3. und Dexamethason (DRd) od. Bortezomib, Melphalan und 6 Monate nach Behandlungsende bzgl. HBV Reakt. überwa- Epub 2020 Mar 23. 4. Kumar S et al. Updated Prednison (D-VMP) für unbehandelte Patienten mit MM, die für chen. Keine Anwendung in Schwangerschaft und in Pat. mit Analysis of Daratumumab Plus Lenalidomide eine autologe Stammzelltransplantation nicht geeignet sind. hereditärer Fructoseintoleranz. Weitere VM s. Kompendium. and Dexamethasone (D-Rd) versus Lenalido- D: i.v.: Erw. 16 mg/kg KG; s.c.: Erw. 1800 mg. DRd (4-w. Zyklen) u. UAW: Sehr häufig: Pneumonie, Bronchitis, Infektion der oberen mide and Dexamethasone (Rd) in Patients with Monotherapie: Woche 1–8 qw, Woche 9–24 q2w, ab Woche 25 Atemwege, Neutropenie, Lymphopenie, Thrombozytopenie, Transplant-ineligible Newly Diagnosed Multiple q4w bis zur Progression; D-VMP (6-w. Zyklen): Woche 1-6 qw, Anämie, Leukopenie, Appetitmangel, Insomnie, Periphere sen- Myeloma (NDMM): the Phase 3 MAIA Study. Poster Woche 7-54 q3w, ab Woche 55 q4w bis zur Progression (für VMP- sorische Neuropathie, Parästhesie, Kopfschmerzen, Hypertonie, 2276. 62nd ASH Annual Meeting and Exposition. De- Dos. s. Kompendium); DVd (3-w. Zyklen): Woche 1-9 qw, Woche Husten, Dyspnoe, Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, cember 5-8, 2020. 5. Mateos MV et al. Daratumumab 10-24 q3w, ab Woche 25 q4w bis zur Progression. KI: Überemp- Rückenschmerzen, Muskelspasmen, Arthralgie, Fatigue, periphe- plus Bortezomib, Melphalan, and Prednisone for Untreat- findlichkeit auf Wirkstoff o. einen der Hilfsstoffe. VM: Infusionsbe- re Ödeme, Pyrexie, Asthenie, IRRs. Weitere UAW s. Kompendium. ed Myeloma. N Engl J Med. 2018 Feb 8;378(6):518-528. dingte Reaktionen (IRRs), einschl. anaphylaktischer Reaktionen: IA: Interferenz mit indirektem Coombs-Test und mit SPE- u. IFE-As- doi: 10.1056/NEJMoa1714678. 6. Kaufman J et al. Four- Überwachung während ganzer Infusionsdauer u. nach Infusion, says. Packungen: I.v. Konzentrat 20 mg/ml in Durchstechflasche Year Follow-up of the Phase 3 Pollux Study of Daratumumab Prä-/Postmedikation, Management von IRRs. Neutropenie/ zu 5 ml und zu 20 ml. S.c. 1800 mg in Durchstechflasche zu 15 ml. Plus Lenalidomide and Dexamethasone (D-Rd) Versus Thrombozytopenie: Komplettes Blutbild regelmässig überwa- Abgabekat.: A. Ausführl. Informationen: www.swissmedic.ch Lenalidomide and Dexamethasone (Rd) Alone in Relapsed chen. Pat. mit Neutropenie auf Anzeichen einer Infektion über- oder www.swissmedicinfo.ch. Zulassungsinhaberin: Janssen- or Refractory Multiple Myeloma (RRMM). Poster 1866. 61st prüfen. Aufschub der Dosis kann erforderlich sein, Dosisreduktion Cilag AG, Gubelstrasse 34, 6300 Zug (CH_CP-173191 (v0.1)) ASH Orlando. December 7th, 2019. 7. Palumbo A et al. nicht empfohlen. Bei SC: bei Pat. mit niedrigerem Körperge- Daratumumab, Bortezomib, and Dexamethasone for Mul- wicht mehr therapiebedingte Neutropenien, aber nicht mehr REFERENZEN tiple Myeloma. N Engl J Med. 2016 Aug 25;375(8):754-66. schwere Infektionen. Beeinflussung indirekter Coombs-Test: 1. Fachinformation Darzalex® SC (August 2020) unter: http:// doi: 10.1056/NEJMoa 1606038. 8. Spezialitätenliste (SL) ® CP-196105 Phänotypisierung vor Beginn der Behandlung gemäss lok. www.swissmedicinfo.ch/ 2. Fachinformation Darzalex (Novem- (Februar 2021) unter: http://www.spezialitaetenliste.ch/

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