Ortsgeschichtsschreibung im Kanton Bestandesaufnahme und Trends der letzten Jahrzehnte

Christian Lüthi1

1. Einleitung

Ortsgeschichten erleben seit den 1980er-Jahren einen eigentlichen Boom. Sie stossen bei einem grossen Publikum auf Interesse, nicht nur im Kanton Bern. Dies zeigt sich an zahlreichen historischen Publikationen, die jedes Jahr erscheinen, aber auch am Erfolg historischer Stadtrundgänge in den grösseren Städten der Schweiz oder am Aufblühen von Heimatmuseen in vielen Dörfern.2 Meistens peilen die Publikationen bloss ein lokales Publikum an. Des- halb ist es schwierig, sich einen Überblick zu verschaffen. Max Baumann hat 1991 eine Gesamtschau über die Ortsgeschichtsschreibung in der deut- schen Schweiz verfasst. Für die Kantone Aargau, Baselland und Zürich sind in den letzten Jahren zudem Überblicksartikel erschienen, welche das Bild regional ergänzen.3 Der vorliegende Artikel knüpft an diese Arbeiten an und führt sie zum Kanton Bern weiter. Anhand einer Liste der seit 1970 veröffentlichten Ortsgeschichten lassen sich die jüngsten Trends sichtbar machen. Eine Analyse der geografi schen Verteilung, des berufl ichen Hinter- grundes der Autorinnen und Autoren, der behandelten Themen und weite- rer Merkmale liefert interessante Ergebnisse zu diesem Bereich bernischer Historiografi e. Als Einstieg und als Basis, um die bernische Entwicklung in ihrem grösseren Umfeld einordnen zu können, fasst der nächste Abschnitt die Situation in der Schweiz zusammen und gibt Hinweise auf die Orts- geschichtsschreibung in einigen europäischen Ländern.

2. Die Situation in der Schweiz und in Europa

Die Anfänge in der Schweiz und im Kanton Bern

Um 1850 begann sich die Ortsgeschichtsschreibung in der Schweiz als Dis- ziplin zu entwickeln und kann heute auf eine lange Tradition zurückblicken. Die Entstehung zu diesem Zeitpunkt ist mit zwei wichtigen Ereignissen ver- knüpft. Erstens festigten die Gemeinden nach den liberalen Umwälzungen 1 in den Kantonen 1830/31 und nach der Gründung des Bundesstaates 1848 ihre Position als Kernzellen des schweizerischen Staatsaufbaus. Das ver- stärkte Nationalbewusstsein fand auch seinen Niederschlag auf lokaler Ebene. Wer sich in den Behörden seiner Gemeinde engagierte, kam mit der Geschichte seines Wohnortes in Berührung. Dies konnte ein Anstoss sein, sich mit Ortsgeschichte zu befassen. Zweitens bildeten die neu geschaffenen historischen Professuren an den Schweizer Universitäten nicht nur Histori- ker aus, sondern auch Lehrer, welche sich in ihrer Freizeit und im Rahmen des Heimatkundeunterrichtes als Ortshistoriker betätigten. Wichtig waren ausserdem lokale oder regionale historische Vereinigungen, die meist im 19. Jahrhundert gegründet wurden. Sie bildeten ein Forum, in dem sich Historiker, Lehrer, Pfarrer, Gemeindeschreiber und weitere historisch Inte- ressierte engagierten.4 Bis um 1950 lagen die Schwerpunkte der Ortsgeschichte eher in den Epochen vor 1798, und zwar besonders im Mittelalter. Thematisch waren sie stark auf die Politik- und Ereignisgeschichte orientiert. Dies ist einer- seits auf die Ausrichtung der universitären Forschung zurückzuführen und andererseits auf die Archivsituation. Neuere Bestände waren meist nicht erschlossen, und es bestanden teilweise lange Sperrfristen für die Akten- einsicht. Ein früher Impuls für Ortsmonografi en ging in Bern von der Ökonomi- schen Gesellschaft aus. Aus landeskundlich-wirtschaftlichem Interesse for- mulierte sie bereits 1762 ein Programm, wie einzelne Orte im Staatsgebiet untersucht und in einer Publikation dargestellt werden sollten. Daraus sind zwei Dutzend gedruckte «Topographische Beschreibungen» von Berner Or- ten entstanden.5 Karl Wälchli hat betont, dass die Abdankung des Patriziates im Kanton Bern 1830/31 auch eine wichtige Zäsur für die bernische Historiografi e bildete. Ab den 1830er-Jahren war der Kanton Bern Gegenstand der histo- rischen Forschung, die bis Ende des 19. Jahrhunderts durch den politischen Gegensatz zwischen Liberalen und Konservativen geprägt war. Dem kon- servativen Lager gehörten zahlreiche geschichtsbewusste Burger an, welche die Geschichte von Stadt und Kanton als Zeit vergangener Grösse anschau- ten und für sich zu monopolisieren versuchten. Der Historische Verein wur- de in diesem Kontext 1846 von vier Männern aus dem konservativen Lager gegründet.6 Eine institutionell verankerte Ortsgeschichtsschreibung ver- mochte sich im Kanton Bern bis Ende des 19. Jahrhunderts nicht zu entfal- ten. Weder der Historische Verein noch die Universität gaben dazu entschei- dende Anstösse. Das jährlich erscheinende «Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern» bildete hingegen eine Plattform für ortsgeschichtliche Arbeiten. So erschienen darin zwei Arbeiten über das Amt Aarwangen und 2 , die jedoch nur die Epochen bis zur Reformation behandelten.7 Nach 1830/31 fi el die obrigkeitliche Zensur weg und vor allem Libe- rale machten sich daran, die Geschichte ihres Wohnortes zu erforschen. Darin kommt das Selbstbewusstsein der Landstädte und der ländlichen Oberschicht zum Ausdruck. Gleichzeitig verstanden diese Männer die Heimatkunde und Ortsgeschichte als ein Instrument der Volksbildung, die eine Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist. 1855 hielt der Melchnauer Grossrat, Amtsrichter und Gemeindepräsident Jakob Käser (1806–1878) dazu fest: «Ist es eine der ersten Bedingungen, dass einem Staatsmanne, ja auch nur einem einfachen Staatsbürger, besonders in einem freien Lande, wo das Volk souverain sein soll, die Verhältnisse des Staats allseitig bekannt seien; so muss es ja nothwendig wohl auch im engern Gemeindewesen der Falle sein.»8 Die aufklärerischen Ziele, welche die liberalen Autoren mit der Ge- schichtsschreibung verfolgten, sind in den meisten Vorworten explizit for- muliert, wie in der Roggwiler Topografi e des radikalen Arztes Johannes Glur (1798–1859): «Die Kenntnis der Heimat ist die erste und geziemends- te. Sie ist ein Anfangspunkt, aus dem sich die Kenntniss der Natur, des Vaterlandes und der Welt entwickelt. Diese Kenntniss bedingt jede gemein- nützige Thätigkeit in seinem Vaterort; sie ist Bedürfniss jedem, der dem Vaterland dienen will, – sie ist die Weihe des wahren Volksfreundes. Aus dieser Kenntniss entwickelt sich auch erst die Liebe zur Heimat – und ohne dieselbe verdienen wir nie das Zutrauen unserer Mitbürger».9 Die Initiative für die wenigen Ortsgeschichten des 19. Jahrhunderts ging von historisch interessierten Einzelpersonen aus. Sie stammten zu- nächst aus Landstädten und Dörfern: 1847 erschien eine Geschichte Burg- dorfs, die der Lehrer Johann Rudolph Aeschlimann (1766–1819) bereits 1810 abgeschlossen hatte.10 In Biel kamen sogar zwei Stadtgeschichten heraus: 1834 veröffentlichte Christian Wilhelm Binder (geboren 1810), der 1831 bis 1833 in Biel als Gymnasiallehrer tätig war, seine dreibändige «Ge- schichte der Stadt und Landschaft Biel»; der Stadtpräsident von Biel, Cäsar Adolf Bloesch (1804–1863), verfasste ebenfalls eine dreibändige Geschichte seiner Stadt, die 1855 gedruckt wurde. Sein Sohn, der Oberrichter Gustav Bloesch (1828–1881), führte das Werk 1875 mit einer Chronologie weiter.11 Der Eisenhändler, Grossrat und Regierungsrat Karl Friedrich Ludwig Loh- ner (1786–1863) widmete sich intensiv der Geschichtsforschung. Seine Chronik der Stadt Thun blieb vorerst unvollendet und erschien erst post- hum 1935.12 Im Oberaargau beschäftigten sich ebenfalls mehrere Männer in ihrer Freizeit mit Lokalgeschichte. Der erwähnte Johannes Glur gab 1835 eine «historisch-topographisch-statistische Beschreibung» seines Wohnortes heraus. Jakob Käser publizierte 1855 eine landeskundlich ausgerichtete Ortsmonografi e seines Wohnortes Melchnau.13 Die Huttwiler Heimat- kunde von Johann Nyffeler (1827–1892) ist ein frühes Beispiel einer Berner 3 Ortsgeschichte, die aus der Feder eines Dorfl ehrers stammte. Der in Lan- genthal aufgewachsene Apotheker Friedrich August Flückiger (1818–1894) veröffentlichte 1848 eine Geschichte des Amtes Aarwangen.14 Weitere Publi- kationen porträtierten die Amtsbezirke Frutigen und : 1887 veröffentlichte der Frutiger Pfarrer Karl Stettler 14 Jahre nach seinem Zuzug eine historisch-heimatkundliche Monografi e des Frutiglandes.15 Der Sekundarlehrer Johann Jakob Jenzer (1825–1875) übergab 1869 seine «Heimathkunde des Amtes Schwarzenburg» der Öffentlichkeit. Seine Ar- beit erhielt einen entscheidenden Motivationsschub von der Lehrerschaft des Kantons Baselland, die 1863 eine Serie heimatkundlicher Studien für jede Gemeinde ihres Kantons vorlegte. Jenzer wünschte sich in seinem Vor- wort, «es möchte ein Kanton nach dem andern auf der rühmlich betretenen Bahn fortschreiten, damit die schweizerische Bevölkerung einmal eine Heimathkunde für jede Gemeinde und dadurch ein unschätzbares Bildungs- material für das Volk, die Lehrerschaft ein ausgezeichnetes Lehrmittel und die Nachwelt eine genaue, eingehende Kenntniss der Vergangenheit er- halte».16 Der zeitliche Rahmen all dieser Publikationen erstreckte sich meistens vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert, die Zeitgeschichte war für die Autoren kein Tabu. Einer von ihnen wies ausserdem explizit auf einen Nachholbedarf hin: «Es kann gewiss nicht verneint werden, dass die Berni- schen Geschichtsschreiber, zumal auch die unserer Zeit, nicht auf einer aus- reichenden Kenntniss der einzelnen Landestheile fussen, obwohl dies nicht ihnen allein zur Last gelegt werden darf. Denn merkwürdiger Weise haben die zwei vorigen, doch recht eigenthümlich in der Vergangenheit lebenden, Jahrhunderte in dieser Beziehung, wenigstens bei uns, die heutige Geschich- te ohne Vorarbeiten gelassen. Wohl wurde damals viel für Geschichte ge- leistet; aber bei der kleinlichen, ängstlichen und exclusiven Richtung der Zeit selbst, vergass oder verwischte der Historiker, sobald er in’s Einzelne ging, den Zusammenhang mit dem Ganzen, die Bedeutung des Gliedes im grossen Körper – eine Vernachlässigung, die namentlich der Bernischen Aristokratie nur willkommen sein musste.»17 Neben Publikationen zu einzelnen Gemeinden gehören auch lokale und regionale Jahrbücher zur Grundversorgung der Lokalgeschichte. Im Kan- ton Bern entstanden diese Periodika erst im 20. Jahrhundert. In der Reihen- folge des ersten Erscheinens zählen dazu «Der Achetringeler, Chronik für das Amt Laupen» (1926), «Bieler Jahrbuch» (1927–1935, 1962), «Burgdor- fer Jahrbuch» (1934), «Hornerblätter» der Vereinigung für Heimatpfl ege Büren an der (1942), «Jahrbuch vom Thuner- und Brienzersee» (1943), «Adelbodmer Heimatbrief» (1947), «Seebutz, Heimatbuch des Seelandes und Murtenbietes» (1951), «Schwarzenburger Altjahrsblatt» (1952), «Chro- 4 nik des Amtes » (1954–1981), «Jahrbuch des Oberaargaus» Abb. 1 Die im 19. Jahrhundert publizierten Ortsgeschichten enthielten kaum Illustrationen. Die wenigen Abbildungen waren noch nicht Fotografi en, sondern Kupferstiche oder Litho- grafi en, wie in diesem Beispiel aus Huttwil von 1871.

(1958), «Langenthaler Heimatblätter» (1961), «Saaner Jahrbuch» (1971), «Eisser Chronik» (1973), «Lysser Neujahrsblätter» (1976), «Erlacher Städt- chenchronik» (1980) sowie «Nidauer Chlouserbletter» (1990). Im Umfeld des Historischen Vereins des Kantons Bern existierten ab dem 19. Jahr- hundert Zeitschriften, welche das ganze Kantonsgebiet abdeckten. Ludwig Lauterburg (1817–1864), einer der vier Gründer des Vereins, gab 1852 das erste «Berner Taschenbuch» heraus. Er betreute dieses Jahrbuch als Redak- tor bis zu seinem Tod. Danach erschien es unter wechselnder Leitung weiter bis 1934 – ab 1896 herausgegeben von Heinrich Türler (1861–1933). Neben Aufsätzen zur bernischen Geschichte im weitesten Sinn umfasste es jährlich eine Chronologie wichtiger Ereignisse im Kanton Bern.18 Im «Hinkenden Boten» publizierte der Pfarrer Karl Hermann Kasser (1847–1906) ab 1887 zahlreiche Aufsätze unter der Rubrik «Das Bernbiet ehemals und heute».19 1901–1929 gab der Verleger Gustav Grunau (1875–1949) mit Unter- stützung des Historischen Vereins die «Blätter für bernische Geschichte, Kunst und Altertumskunde» heraus. Der Verein verfügte mit dem «Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern» über ein eigenes Publikations- organ; ab 1971, als der Verein in die Trägerschaft der Zeitschrift ein- stieg, war die «Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde» das offi zielle Vereinsorgan. Schliesslich erschienen seit 1850 immer wieder Handbücher und Lexika, die in Kurzform sämtliche Berner Gemeinden porträtierten.20 5 Einen Spezialfall unter den bernischen Ortsgeschichten stellt die Stadt Bern dar. Sie war immer auch Gegenstand der Kantons- und Landes- geschichte, da Stadt und Kanton bis 1798 eine Einheit bildeten. Zudem erschienen im 19. Jahrhundert mehrere topografi sche Beschreibungen der Hauptstadt.21 1886 trug ein Buch des Architekten und späteren Museums- direktors Eduard von Rodt (1849–1926) erstmals den Titel «Bernische Stadtgeschichte». Er präsentierte darin die Baugeschichte seines Wohnortes, die politische Geschichte handelte er bloss am Rand ab. Eigentliche histori- sche Biografi en der Stadt Bern erschienen erst im 20. Jahrhundert.22

Die Rolle der Universitäten, Archive und Bibliotheken

An den neu geschaffenen Universitäten konnte sich die Geschichte im 19. Jahrhundert als eigenständiges Fach etablieren. In Zürich wurden 1833 zwei historische Lehrstühle geschaffen, einer für «Landesgeschichte als Vaterländische Geschichte».23 In diesem Umfeld studierte um 1870 Karl Dändliker (1849–1910), der ab 1875 an der Universität Zürich als Privat- dozent Studierende und Lehrer in die Orts- und Landesgeschichte einführte. 1887 avancierte Dändliker zum ausserordentlichen Professor für schweize- rische Verfassungsgeschichte und Zürcher Geschichte. 1897 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel «Ortsgeschichte und historische Heimatkunde in Wissenschaft und Schule». Dieses Werk war die erste Anleitung für die Ortsgeschichtsschreibung in der Schweiz und fand eine grosse Verbreitung. Dändliker wollte damit «auf einem neuerlich viel angebauten Felde als Wegweiser und Ratgeber dienen, zu neuen Arbeiten ortsgeschichtlicher Art anregen und in dieselben etwas mehr Methode bringen.»24 Die Universität Bern schuf 1832 den ersten Lehrstuhl für Geschichte. Es dauerte jedoch bis 1868, ehe die Schweizer Geschichte eine eigene Pro- fessur erhielt. Im Vergleich mit Zürich gingen von Geschichtsdozenten der Berner Universität wenig Impulse für die Ortsgeschichte im Kanton aus. Die Anfänge sind vielmehr auf die Initiative von Lokalhistorikern zurückzu- führen. Einige von ihnen hatten eine akademische Ausbildung absolviert, andere waren Lehrer. Zwischen 1850 und 1910 erschienen im Kanton Bern weniger als zehn Ortsgeschichten, im Kanton Zürich waren es 23.25 Zwi- schen 1910 und 1970 lassen sich im Kanton Bern zwei bis drei Dutzend Ortsgeschichten von grösserem Umfang zählen, im Kanton Zürich 104.26 Die soziologische Zusammensetzung der Autoren änderte sich dabei im Vergleich mit dem 19. Jahrhundert nicht grundlegend. Die Dozenten der Universität standen weitgehend abseits, Akteure waren vorwiegend Amateur- historiker, die Zeit und Musse fanden, sich der Lokalgeschichte zu wid- men. Diese Männer waren fi nanziell unabhängig, gut ausgebildet und meist 6 in fortgeschrittenem Alter. Zu den Lehrern, Pfarrern und Gemeindeschrei- bern gesellten sich vermehrt leitende Angestellte von Bibliotheken und Archiven. Ab 1941 bis Anfang der 1990er-Jahre veröffentlichte der Berner Verlag Paul Haupt die Reihe «Berner Heimatbücher». Darin erschienen mehrere Dutzend Ortsmonografi en, die alle einen historischen Teil umfassten. Ein- zelne von ihnen sind so umfangreich und gut recherchiert, dass sie als Orts- geschichte gelten können. Eine eigentliche Zäsur ist – wie generell in der deutschsprachigen Ge- schichtswissenschaft – ab 1960/70 feststellbar. Ausgehend von den Universi- täten traten neue Fragestellungen und Themen ins Blickfeld der Geschichte. In Bern wandten sich die Professoren Ulrich Im Hof (1917–2001) und Erich Gruner (1915–2001) in den 1960er-Jahren neuen Themen zu. Ihre Schwerpunkte lagen jedoch stärker auf der nationalen als auf der kantona- len oder lokalen Ebene. Erst Beatrix Mesmer (geboren 1931) initiierte ab den 1970er-Jahren als Professorin für Schweizer und allgemeine Geschichte in grösserem Mass Arbeiten auf lokaler Ebene.27 Ab 1981 betreute zudem Prof. Christian Pfi ster (geboren 1944) am Historischen Institut der Univer- sität lokalhistorische Themen, dies besonders im Zusammenhang mit sei-

Abb. 2 Mitglieder des Tennis-Clubs Burgdorf um 1935. Dieser Verein existierte seit 1926. Das Tennis war eine der ersten Sportarten ohne strikte Geschlechtertrennung. Am Beispiel von Vereinen lassen sich auf lokaler Ebene zahlreiche Aspekte des gesellschaftlichen Wandels erzählen und illustrieren. 7 nem Projekt Bernhist. Bei ihm sind seit Mitte der 1980er-Jahre verschiedene Lizentiatsarbeiten und Dissertationen zu orts- und regionalgeschichtlichen Themen entstanden. Er war auch Herausgeber der Ortsgeschichte Jegens- torf 1989.28 Schliesslich hat Martin Körner (1936–2002), der Nachfolger Im Hofs auf dem Lehrstuhl für ältere Schweizer Geschichte, ebenso wie weitere Dozenten der Abteilung für Schweizer Geschichte entsprechende Arbeiten betreut. Lange Zeit war auch das Geographische Institut der Uni- versität Bern aktiv, indem vor allem Georges Grosjean (1921–2002) und Klaus Aerni (geboren 1932) die historische Geografi e pfl egten und selber an Ortsgeschichten beteiligt waren.29 Der Gang in die lokalen Archive wurde an den Universitäten Basel und Zürich in noch stärkerem Mass gefördert als in Bern. Besonders seit 1970 haben in Basel die Professoren Markus Mattmüller (1928–2003), Martin Schaffner (geboren 1940) und Regina Wecker (geboren 1944) sowie in Zürich Rudolf Braun (geboren 1930), Bruno Fritzsche (geboren 1935) und Roger Sablonier (geboren 1941) bei ihren Schülerinnen und Schülern syste- matisch Arbeiten über lokale Themen angeregt, die neuen Fragestellungen verpfl ichtet sind.30 Bei Mattmüller und Braun bestand die Zielsetzung da- rin, den sozialen Wandel seit der frühen Neuzeit zu untersuchen. Wie es der Methodik der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte entsprach, orientierte man sich an sozialwissenschaftlichen Theorien und arbeitete mit Quellen auf lokaler oder regionaler Ebene.31 Dieses Vorgehen stellte einen Bruch mit der traditionellen Heimatgeschichte dar: Ortsgeschichte galt dabei als Teil der allgemeinen Geschichte und nicht als Objekt, das aus der Froschperspektive betrachtet wurde. Ende der 1970er-Jahre geriet die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte un- ter Beschuss neuerer Forschungsansätze, und in Deutschland fanden heftige Debatten rund um das Thema Alltagsgeschichte und Mikrohistorie statt. Der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte wurde vorgeworfen, Strukturen statt Menschen ins Zentrum des Interesses zu rücken. Zudem geriet das lokale Geschehen stärker ins Blickfeld der Geschichtswissenschaft. Diese Bewe- gung wurde einerseits von einer jüngeren Generation von universitären His- torikern und andererseits von lokalen Geschichtswerkstätten getragen. In Deutschland und anderen europäischen Ländern setzte eine Gründungs- welle von Amateurgeschichtsgruppen ein. In der Schweiz wurde diese Theoriedebatte nicht so giftig geführt. Dies unter anderem deshalb, weil beispielsweise Rudolf Braun bereits in den 1960er-Jahren Sozialgeschichte mit volkskundlichen Methoden betrieben hatte. Trotzdem erhielt die gesell- schaftliche Mikroebene in der Geschichtsforschung ein grösseres Gewicht. Die Ausweitung der Fragestellungen und der Untersuchungsgegenstände fand einerseits in den bestehenden Strukturen der Universitäten und der 8 kantonalen und regionalen Geschichtsvereine statt. Andererseits entstanden in der ganzen Schweiz neue Ortsmuseen und Industrielehrpfade. Diese Ent- wicklungen der 1980er-Jahre verliefen parallel zu einem eigentlichen Boom in der Ortsgeschichtsschreibung.32 Bei den jüngsten Ansätzen und Trends der universitären Geschichts- forschung, wie der Hinwendung zur Kulturgeschichte, ist noch zu wenig klar, wie sie in die Ortsgeschichten einfl iessen. Da es immer eine Weile dauert, bis neue Methoden der Universität in der Historiografi e wirksam werden, ist eine Aussage dazu noch verfrüht. Neben den Universitäten spielen Archive und Bibliotheken eine wich- tige Rolle für die Ortsgeschichtsschreibung. Die Staats- und Stadtarchive sind Arbeitsorte in der Recherchierphase. Hier erhalten Neulinge auch pro- fessionelle Beratung, was die Archivarbeit anbelangt. Gleichzeitig bieten diese Institutionen auch die Möglichkeit der Vernetzung, indem sie Kon- takte unter den Lokalhistorikern vermitteln. Das Staatsarchiv des Kan - tons Bern engagierte sich über Jahrzehnte in der Lehrerfortbildung, vor- wiegend mit ortsgeschichtlichen Themen. Zahlreiche Archivmitarbeiter haben ausserdem selber Ortsgeschichten geschrieben. Beim Staatsarchiv des Kantons Bern waren dies Gottlieb Kurz (1866–1952), Christian Lerch (1893–1977) und Hans Schmocker (1917–1995). Der Stadtschreiber und Berner Stadtarchivar Hans Markwalder (1882–1963) verfasste 1941 zudem die Publikation «750 Jahre Bern». Der Stadt- und Hochschulbibliothekar Hans Blösch (1878–1945) veröffentlichte 1931 sein Werk «Siebenhundert Jahre Bern».

Aufschwung und Professionalisierung seit 1980

Ab 1980 und vor allem seit den 1990er-Jahren nahm die Zahl der ver- öffentlichten Ortsgeschichten stark zu.33 Gleichzeitig ist auch eine Pro- fessionalisierung feststellbar, indem sich vermehrt junge Historikerinnen und Historiker im Auftragsverhältnis um Ortsgeschichten kümmern. Dies hängt damit zusammen, dass an den Universitäten mit lokalen Quellen und Themen gearbeitet wurde. Gleichzeitig haben in der ganzen Schweiz junge Historikerinnen und Historiker die Ortsgeschichte als neues Arbeitsfeld er- schlossen. Dies ist besonders ausgeprägt in Zürich und in Nicht-Hochschul- kantonen der Fall. Im Aargau sind beispielsweise mehrere Historiker frei- berufl ich tätig und leben von Auftragsarbeiten und Projekten, die sie teil- weise selber angeregt haben.34 Eine Rolle spielt auch der Ehrgeiz zahlreicher Kleinstädte und Landgemeinden, über eine eigene Ortsgeschichte zu ver- fügen. Die Städte Olten (1991), Lenzburg (1994), Zofi ngen (1999, 2004) und Brugg (2005) bilden die jüngsten Beispiele dieser Tradition.35 Im Thur- gau sind in den letzten zehn Jahren Stadt- und Ortsgeschichten erschienen, die von jungen Historikerinnen und Historikern verfasst wurden.36 Diese 9 Berufsgruppe löst zunehmend die Lehrer, Pfarrer und Gemeindepolitiker ab, welche das Feld der Ortsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert prägten. Es erscheinen zwar immer noch Lokalgeschichten aus ihrer Feder, sie sind jedoch seit etwa 1980 gegenüber den universitär ausgebildeten Historike- rinnen und Historikern in die Minderheit geraten. Zahlreiche Historikerinnen und Historiker arbeiten als Einzelfi rma oder haben sich in einer Bürogemeinschaft zusammengeschlossen. In Bern gründeten 1990 vier Historiker das Geschichtsatelier, das in den Anfangs- jahren als Bürogemeinschaft und rechtlich als einfache Gesellschaft organi- siert war. Das Auftragsvolumen war nie so gross, dass die Mitglieder davon leben konnten. Heute arbeiten drei Gründer in verschiedenen Berufen als Angestellte und einer freiberufl ich.37 Mit dem Internet und der Kommuni- kation über E-Mail gibt es Historikerteams, die sich für Projekte zusam- menschliessen, ohne jedoch das Büro zu teilen. Parallel zum Boom der Ortsgeschichte sind in der ganzen Schweiz neue Kantonsgeschichten erschienen, in denen jüngere Historikerinnen und His- toriker zahlreich engagiert sind. Bei einigen Kantonen gaben Jubiläen den Anlass, ein Geschichtshandbuch in Auftrag zu geben (Baselland, Basel- Stadt, Schaffhausen, St. Gallen), bei anderen war der Anlass eher das Interesse von Politik und Behörden, die eigene Geschichte zu refl ektieren und einem breiteren Publikum zugänglich zu machen (Graubünden, Ob- walden, Uri, Aargau, Bern, Zürich, Tessin).38 Alle Kantonsgeschichten stützten sich dabei auch auf Erkenntnisse vieler Ortsgeschichten ab.39 Ein weiterer Grund für das grosse Interesse der Bevölkerung an Orts- geschichten ist die starke Stellung der Gemeinden in der Schweiz. In unse- rem Land identifi zieren sich viele Leute stark mit dem Wohn- oder Heimat- ort. So ist es meist die explizite Absicht der Autoren und Auftraggeber von Ortsgeschichten, Identität in der Gemeinde zu stiften. Möglicherweise hat in den letzten Jahrzehnten, einer Zeit schnellen Wandels und der Globali- sierung, das lokale Umfeld an Bedeutung gewonnen, indem man sich hier leichter orientieren und Veränderungsprozesse besser wahrnehmen und durchschauen kann. Dieses Argument fi ndet man mehrfach in Vor worten zu Ortsgeschichten. Der Gemeindepräsident von drückte dies 1995 so aus: «Je grösser nämlich die Mobilität und die umfassende Kommunikationsvernetzung den heutigen Menschen beeinfl ussen, um so wichtiger scheint mir, dass wir uns wieder auf unsere eigenen Wurzeln be- sinnen und uns Gedanken über das Woher und das Wohin machen. Das vorliegende Buch weist auf ebenso originelle wie geschichtlich fundierte Weise auf eben diese Wurzeln hin.»40 Ein weiterer Faktor, der die Publikation von Lokalgeschichten begüns- tigt, ist der Wohlstand, in dem wir leben. Breite Bevölkerungsschichten 10 fi nden Zeit und Geld, um sich der Geschichte zu widmen. Dies geschieht auf zwei Ebenen. Einerseits investieren vor allem Rentner viel Zeit und teilweise auch Geld in die private Geschichtsforschung. Andererseits fi n - den ihre Publikationen eine lokale Leserschaft, die in ihrer Freizeit die Ergebnisse der Forschung konsumiert. Schliesslich lassen sich meist öffent- liche und private Gelder beschaffen, welche die Publikation von Orts- geschichten mitfi nanzieren.

Ein Blick ins Ausland

Nicht bloss in der Schweiz, sondern auch in anderen Ländern erlebte die Ortsgeschichtsschreibung in den letzten Jahrzehnten einen Aufschwung. Die Akteure und ihre Probleme unterscheiden sich in Deutschland, Frank- reich, Grossbritannien oder den USA nicht grundlegend von der Schweiz. Ein Unterschied besteht trotzdem. In der Schweiz gibt es mit Ausnahme einer kleinen Broschüre, die drei Zürcher Archive 1979 herausgaben, keine neuere Fachliteratur zur Ortsgeschichtsschreibung.41 In den erwähnten Ländern sind jedoch Handbücher erschienen, die Amateurhistorikern das Rüstzeug zu einer professionellen Arbeit vermitteln sollen. In Frankreich haben 13 Historikerinnen und Historiker 1990 eine Anleitung für die «His- toriens du dimanche» verfasst. Sie enthält grundlegende Informationen und praktische Tipps zu Quellen, Arbeitsmethoden und historischen Themen. Das Buch ist ein Wegweiser für die Recherchier-, Schreib- und Publikations- phase. Es ist aus Weiterbildungsseminaren heraus entstanden, die im Rah- men eines lokalen Geschichtsprojektes in Nantes stattfanden.42 Ein weiteres Standardwerk zweier Pariser Professoren ist in der renommierten Reihe «Que sais-je?» erschienen. Diese Publikation führt nicht nur in die Ortsge- schichtsschreibung ein, sondern thematisiert auch Fragen lokaler Quellen- sammlungen.43 In der englischsprachigen Welt können Laienhistoriker ebenfalls auf Einführungen in die Lokalgeschichte zurückgreifen. In Eng- land sind in den letzten zwei Jahrzehnten mehrere umfangreiche Handbü- cher und ein Lexikon für Ortsgeschichtsforschende erschienen. Ein neueres amerikanisches Werk legt in einem Kapitel einen Anforderungskatalog an Lokalhistorikerinnen und -historiker vor. In den USA existieren zudem innerhalb des «H-Net, Humanities and Social Sciences online» und in Form des «American Local History Network» Internetplattformen für Lokal- geschichte.44 Vor rund 25 Jahren ist im englischen Sprachraum die Public History als akademische Disziplin und als Netzwerk von Historikerinnen und Histori- kern entstanden, welche Geschichte in verschiedenen Formen für ein breites Publikum zugänglich machen. Die Public History wird an mehreren Univer- sitäten gelehrt. Zudem kümmern sich in den USA der National Council on Public History (NCPH) und die American Historical Association um dieses 11 Themenfeld. Ihre Aktivitäten sind im Internet gut dokumentiert. Der NCPH gibt seit 1978 die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift «The Public His- torian» heraus. Im deutschsprachigen Raum ist die Public History kaum bekannt.45 Ebenso wichtig wie einführende Literatur sind Weiterbildungsveran- staltungen. In Deutschland, England, Frankreich und den USA bieten lokale historische Vereinigungen solche Kurse oder Tagungen an. Im deutschen Bundesland Niedersachsen bildete sich beispielsweise 1984 innerhalb des Niedersächsischen Heimatbundes eine Gruppe von rund 500 Ortsge- schichtsforschenden. Sie organisierten Weiterbildungsseminare und ver- netzten sich, um Erfahrungen auszutauschen.46 Sowohl Publikationen als auch Weiterbildungsveranstaltungen haben zum Ziel, die akademischen Historikerinnen und Historiker sowie die Laienforschung näher zusammen- zubringen, was in vielen Fällen auch gelungen ist.

3. Bestandesaufnahme im Kanton Bern 1970–2004

Anhand einer Auswertung der seit 1970 publizierten Ortsgeschichten lassen sich die jüngsten Trends der Lokalhistoriografi e im Kanton Bern eruieren. Die «Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde» enthält seit den 1960er-Jahren eine Rubrik mit Buchbesprechungen. Darin sind Orts- geschichten ziemlich vollständig besprochen worden, sodass relativ schnell eine Publikationenliste der letzten 30 Jahre zusammengestellt werden kann. Analog zur Auswertung von Sebastian Brändli für den Kanton Zürich habe ich Ortsgeschichten, die mehr als 75 Seiten zur Geschichte enthalten, in ei- ner Liste erfasst. Für die Aufnahme in diese Liste müssen die Publikationen weitere Kriterien erfüllen: Sie behandeln mehr als nur ein Teilgebiet wie die Kirchen- oder die Schulgeschichte einer Gemeinde, sie richten sich an eine breite Leserschaft und erscheinen als eigenständige Publikation. Neuauf- lagen, Nachdrucke sowie Publikationen zu ganzen Amtsbezirken wurden nicht mitgezählt.47 Die Liste enthält für die 1970er-Jahre 8 Titel, für die 1980er-Jahre 34 und die 1990er-Jahre 43 Publikationen. Im halben Jahr- zehnt 2000 bis 2004 waren es 17.48 Brändli kam in seiner Zusammenstel- lung für den Kanton Zürich auf 31 Publikationen für die 1970er-Jahre, 55 in den 1980er-Jahren und 53 in den 1990er-Jahren. Im Vergleich zu Zürich erschienen also im Kanton Bern weniger Ortsgeschichten. Der Kanton Zürich zählt zwar auch mehr Einwohnerinnen und Einwohner; allerdings existieren im deutschsprachigen Kanton Bern rund 350 Gemein- den, im Kanton Zürich sind es 170. Im Folgenden möchte ich die aufge- listeten Publikationen nach verschiedenen Kriterien analysieren und damit 12 weitere Entwicklungen aufzeigen. Geografi sche Verteilung

Auf den ersten Blick ergibt sich eine einigermassen regelmässige Verteilung über das Kantonsgebiet. Beim genaueren Hinschauen zeigt sich jedoch ein wichtiges Muster: Die Ortsgeschichten konzentrieren sich geografi sch ent- lang der am dichtesten bevölkerten Siedlungsachsen um die Zentren Bern, Biel, Burgdorf, Langenthal, Thun, Spiez und Interlaken. Die peripheren Ge- biete wie das Berner Oberland und das obere Emmental bilden fast weisse Flecken in dieser Publikationslandschaft. Der Berner Jura bleibt weiss, weil er in dieser Analyse ausgeklammert ist. Diese geografi sche Verteilung lässt sich erstens damit erklären, dass sich die potenzielle Leserschaft zahlen-

Ortsgeschichten im Kanton Bern 1970–2004 (ohne französischsprachiger Kantonsteil) Erscheinungsjahre 1970–1979 1980–1989 1990–1999 2000–2004

020km10 Kartengrundlage: Kanton Bern mit Amtsbezirks- und Gemeindegrenzen

Abb. 3 Die Ortsgeschichtsproduktion konzentrierte sich seit 1970 auf die Agglomera- tionsräume des Kantons. Die dünn besiedelten Gebiete in den Alpen, im oberen Emmental und ausserhalb des Städtebandes Interlaken–Thun –Bern–Burgdorf–Langenthal sowie Biel blieben davon weitgehend unberührt. 13 mässig in den bevölkerungsreichsten Gemeinden konzentriert. Zweitens ist die Verteilung ein Spiegel der Standorte höherer Bildung (Gymnasien, Fach- hochschulen, Universität). Dies wird deutlich, wenn man die Autorinnen und Autoren näher anschaut, die meist über einen höheren Bildungsab- schluss verfügen. Drittens sind die Steuereinnahmen der Gemeinden ent- lang der wichtigsten Verkehrsachsen des Mittellandes eher höher als an den Rändern des Kantons; damit ist der ökonomische Spielraum grösser, um eine Gemeindegeschichte zu fi nanzieren. Ausserdem sind die bevölkerungs- mässig grösseren Gemeinden in der Liste übervertreten. Es gibt jedoch auch kleine Gemeinden, die über eine Ortsgeschichte verfügen.

Autorinnen und Autoren

Traditionellerweise waren Pfarrer, Lehrer, Gemeindeschreiber oder ehema- lige Gemeinderäte die wichtigsten Berufsgruppen, die sich im Pensionsalter mit der Geschichte ihres Wohnortes beschäftigten.49 Seit den 1980er-Jahren beackerten zunehmend auch akademisch geschulte Leute dieses Feld, doch bis in die Gegenwart bilden die akademisch ausgebildeten Historikerinnen und Historiker nicht die Mehrheit der Engagierten. Nach wie vor sind viele Lehrerinnen und Lehrer sowie Laienhistoriker am Werk (vgl. Tabelle 1). Ein Arbeitsmodell scheint sich seit etwa 1990 bewährt zu haben: ein aus verschiedenen Berufsgruppen zusammengesetztes grösseres Team, das von einem Akademiker geleitet wird. Diese Form wählten Aarberg, Bellmund, Bleienbach, Bümpliz, Hasle, Heimberg, Kirchberg, Lengnau, Melchnau, Muri-Gümligen, Oberburg, , Uetendorf, Vechigen und . Ortsgeschichten sind fast ausschliesslich eine Männerdomäne. Einzig der Band über Nidau stammt aus der Feder einer Frau. Bei drei weiteren Publikationen hatten Frauen bis 1980 kleinere Kapitel verfasst. Wie in der Gemeindepolitik kümmerten sich die Frauen meistens um die Themen Schule, Fürsorge und Armenwesen. Seit 1990 beteiligten sich an 40 Prozent der Publikationen Autorinnen, doch bloss in den Ortsgeschichten Bannwil, Rüderswil und Worb sowie in den drei Bänden zur Stadt Bern haben sie mehr als einen Fünftel der Texte verfasst. Ein weiterer wichtiger Trend ist die Zunahme der Teamarbeit. Wäh- rend bis 1990 weniger als ein Drittel der Publikationen von Autorenteams verfasst wurden, lag der Anteil nach 1990 bei knapp zwei Dritteln. Ange- sichts der breiten Themenpalette, welche Ortsgeschichten abdecken, sind Einzelpersonen meist gar nicht mehr in der Lage, ein solches Buch allein zu verfassen. Hinzu kommen Vorteile, die Teamarbeit ganz allgemein aus- zeichnen: Teams sind kreativer und leistungsfähiger als Einzelpersonen. Die Mitglieder können sich gegenseitig Texte lesen oder Rückmeldungen zur 14 geleisteten Arbeit geben. Diese Vorteile wiegen den Nachteil des höheren Koordinationsaufwandes einer Gruppe bei weitem auf. Allerdings besteht bei einem Autorenteam, das mehr als ein halbes Dutzend Personen umfasst, die Gefahr, dass die Texte sehr heterogen sind.

Tab. 1 Autorinnen und Autoren nach Berufen (Anzahl Publikationen)

1970–1979 1980–1989 1990–1999 2000–2004 Total Publikationen 8 34 43 17 Beteiligte Berufsgruppen: Historiker 1 7 16 5 Andere Akademiker 2 9 20 7 Lehrer 3 15 18 5 Übrige Berufe 2 16 31 9

Die Zahlen der Berufsgruppen geben nicht das Total der beteiligten Personen wieder. Jede beteiligte Berufsgruppe wurde pro Publikation einmal gezählt, wenn mindestens eine Person einer Berufsgruppe mitarbeitete.

In den konkreten Fällen kann die Zusammensetzung der Teams sehr unterschiedlich aussehen. Es gibt alle Kombinationen in der Gruppenzu- sammensetzung von Laienhistorikern und akademischen Historikerinnen und Historikern. Am häufi gsten ist jedoch eine Mischform dieser beiden Gruppen. Interessant ist, welche Ergebnisse in diesen verschiedenen Kombi- nationen herausschauen. Für eine statistisch signifi kante Aussage müsste man eine grössere Zahl Publikationen auswerten. Dennoch zeigt sich der folgende Trend: Ortsgeschichten, die ausschliesslich von Laien verfasst wur- den, weisen eine sehr unterschiedliche Qualität auf. Diese reicht von Publi- kationen, die weniger eine abgerundete Darstellung sind, sondern eher Materialiensammlungen (Kallnach, Rüderswil, Zäziwil), bis zu professio- nell gemachten Publikationen (). Dieser Unterschied zeigt sich teilweise auch in der Terminologie, mit der diese Publikationen benannt werden. Werke von Laien werden häufi g als «Chronik der Gemeinde…» bezeichnet. Die Gattung der Chronik ist eine Aufl istung von Ereignissen und damit eine geordnete Materialsammlung. Die universitär geprägte Geschichtsschreibung begnügt sich nicht mit der Materialsammlung, sondern bemüht sich auch um eine Interpretation und Einordnung der lokalen Befunde. Christian Pfi ster hielt in seinem Vorwort als Redaktor der Ortsgeschichte Folgendes fest: «Eine moderne Ortsgeschichte geht dagegen von Problemen der Gegenwart aus und trägt sie an die Vergangenheit heran. Sie will nicht nur unterhalten und erheitern, sondern auch Betroffenheit auslösen und zum Nachdenken anregen.»50 Laienhistoriker haben auch eher die Tendenz, Ereignisse aufzulisten und unkritisch darzustellen. Dies hat bereits Karl Dändliker 1897 bemän - gelt: «Was solche, die sich an die Herstellung einer Ortsgeschichte oder an 15 Sammlung von Material zu historischer Heimatkunde machen, in der Regel missen, ist die Kenntnis der Litteratur, die sie zu benützen haben.»51 Fakten aus den Quellen müssen aber interpretiert und in einen Zusammenhang eingebettet werden – einerseits in der Gemeinde oder im regionalen, natio- nalen oder internationalen Rahmen und andererseits in das ent sprechende thematische Umfeld wie Schule, Kirche, Wirtschaft oder Gesellschaft. Mit dieser kritischen Einschätzung geht es keineswegs darum, die Leistungen von Laienhistorikern herabzusetzen, die teilweise über Jahre in Archiven und Bibliotheken ein Thema erforschen. Wichtig ist vielmehr, dass qualita- tiv gute Ortsgeschichten entstehen. Dazu müssen sich allerdings Laien- historiker mit den Standards einer universitären Geschichtsforschung aus- einander setzen. Die wichtigsten Voraussetzungen, um dies zu erfüllen, sind die Kenntnis der Fachliteratur und ein kritischer Umgang mit Quellen sowie die Fähigkeit, sprachlich gut zu schreiben. Ganz generell ist es empfehlens- wert, dass sich Laien rechtzeitig von Fachleuten beraten lassen.52 Die Professionalisierung ist im Kanton Bern weniger stark fortgeschrit- ten als in anderen Kantonen. Zwar übernahmen in den letzten 15 Jahren Akademiker mindestens koordinierende Funktionen in Ortsgeschichts- teams. Eine Professionalisierung im Sinne einer Auftragsarbeit für freibe- rufl iche Historikerinnen und Historiker fand kaum statt, ganz im Gegen- satz zum Aargau oder anderen Kantonen, wo diese Form sich durchgesetzt hat.53 Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass in den Agglomeratio- nen des Kantons die Universität, Gymnasien, Fachhochschulen und andere Bildungs- und Kulturinstitutionen zahlreiche Historikerinnen und Histori- ker beschäftigen, die sich in ihrer Freizeit oder auch in ihrer Arbeitszeit für Ortsgeschichtsprojekte engagieren, ohne dafür ein zusätzliches Honorar zu erhalten.

Initiative, Zielsetzung, Zielpublikum

Der Anstoss zu den Publikationen der letzten Jahrzehnte ging zu je rund einem Drittel der Fälle von den Autoren oder den Gemeindebehörden aus, und in einem Drittel der Fälle war ein Jubiläum der Anlass, das meistens auf die erste schriftliche Erwähnung des Ortes Bezug nahm. Im Normalfall übernimmt die Gemeinde mindestens die Kosten für die Buchproduktion, und der Lotteriefonds steuert zehn Prozent der Druckkosten bei. Die Pro- jektorganisation ist uneinheitlich. Wenn eine Gemeinde Auftraggeberin ist, wird eine Ortsgeschichte meist von einer Kultur- oder Ortsgeschichtskom- mission begleitet. Diese Gremien stellen den Kontakt zu den Behörden her und vermitteln auch den Kontakt zu Informationsträgern in der Gemeinde. Bei Teams übernimmt meist eine Autorin oder ein Autor die Funktion der 16 Herausgeberschaft oder die Redaktion des Werkes. Neben dem Interesse an der Geschichte gibt es mehrere Motive, um eine Ortsgeschichte zu veröffentlichen. In den Vorworten äussern sich die Behörden oder die Autorinnen und Autoren jeweils zu ihrer Zielsetzung. Häufi g besteht die Absicht, zugezogene Personen über ihre neue Wohnge- meinde zu informieren. Die Gemeindepräsidentin von Bellmund formulier- te dies 1992 im Vorwort zur Ortsgeschichte so: «Dem Gemeinderat schien es wünschenswert, mittels einer Broschüre die zahlreichen Neuzuzüger in groben Zügen über ihren neuen Wohnort zu informieren. Ein Blick auf die Geschichte unseres Dorfes sollte das Verständnis seiner Eigenarten fördern. Zugleich sollten Erinnerungen alteingesessener Bellmunderinnen und Bell- munder festgehalten werden.»54 Ein weiteres Motiv der Ortsgeschichtsschreibung ist die politische Bildung. Der Gemeinderatspräsident von Oberburg hielt dazu fest: «Wer seine Wurzeln kennt, hat Verständnis für das Fremde. Wer festen Boden unter den Füssen hat, kann dem Fremden ohne Angst begegnen. Wenn ein Bürger sein Dorf liebt und kennt, ist er eher bereit ein Amt oder eine Verantwortung zu übernehmen. Wenn man erfährt, mit wieviel Fleiss unsere Vorfahren das Gemeinwesen aufgebaut haben, ist man eher bereit, dazu Sorge zu tragen. Informierte Bürger sind bessere Bürger. Also hat eine Gemeinde höchstes Interesse daran, Geschichtsforschung zu be- treiben.»55 Das dritte Argument, um eine Ortsgeschichte zu veröffentlichen, ist die Absicht, die Identifi kation mit der Wohngemeinde zu stärken und Identität in der Gemeinde zu stiften. Der Gemeinderatspräsident von Hasle meinte 1995 dazu: «Zu wissen, wo man herkommt und wo man zu Hause ist, ist gerade in der heutigen, so schnellebigen Zeit von grosser Bedeutung. (...) In diesem Sinne soll die vorliegende Ortsgeschichte auch dazu beitragen, dass die Leserinnen und Leser sich aufgrund des Wissens um die Entwicklung in den letzten elfhundert Jahren mit der Gemeinde enger verbunden fühlen.»56 Der Gemeindepräsident von Grosshöchstetten argumentierte ähnlich: «Wir wollen uns beim Studium unserer Chronik darauf besinnen, dass wir auf unser Dorf stolz sein dürfen, dass wir etwas zu bewahren haben, ohne natürlich zu vergessen, dass es sinnlos wäre, nur rückwärts zu blicken. Wir wollen uns wohl der Vergangenheit bewusst sein, aber auch die Gegenwart und die Zukunft zu bewältigen versuchen.»57 Schliesslich bieten Ortsgeschichten den Behördenmitgliedern und Poli- tikern die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit zu profi lieren. Die Publi- kationen lösen im Normalfall positive Echos aus, und die Auftraggeber können sich im Erfolg dieser Werke sonnen. Dieses Motiv wird nie explizit in den Vorworten genannt. Das Pathos, das zuweilen zwischen den Zeilen mitschwingt, weist aber darauf hin, dass man sich mit Stolz für die Publi- kation einer Ortsgeschichte engagiert. 17 Abb. 4 Schülerinnen und Schüler des Primarschulhauses Friedbühl in Bern posieren wäh- rend einer Papiersammlung in den 1930er-Jahren für den Fotografen. Das Thema Schule gehört zum Pfl ichtprogramm in jeder Ortsgeschichte, da das Schulwesen zu den zentralen Aufgaben einer Gemeinde zählt.

Das Zielpublikum der Ortsgeschichten sind primär die erwachsene Wohnbevölkerung und allenfalls ausgewanderte Gemeindebürgerinnen und -bürger. Ferner kommen die Publikationen im Schulunterricht zum Einsatz. In Ausnahmefällen ist die Historikerzunft eine wichtige Adressatin. Dies trifft besonders bei den Publikationen zur Stadt Bern zu. Andere Beispiele sind die Dissertation von Ueli Haefeli, der die Geschichte von München- buchsee seit 1945 untersucht hat, und die Lizentiatsarbeiten von Alfred Kuert über Langenthal sowie von Gabriela Neuhaus über Nidau.58

Inhalte, Themen

In den letzten Jahrzehnten entstanden viele Ortsgeschichten, die wie eine althergebrachte Heimatkunde aufgebaut sind: Nach einem Einstiegskapitel über die Geologie und Landschaftsformen folgen Abschnitte zu Flurnamen und in chronologischer Reihenfolge die historischen Kapitel zu Ur- und Frühgeschichte, alter Geschichte, Mittelalter, früher Neuzeit sowie zum 18 19. und 20. Jahrhundert. Je nach Vorlieben der Autoren und je nach Quel- lenlage sind die einzelnen Epochen länger oder kürzer dargestellt. Häufi g umfassen die Publikationen Abschnitte zu den Spezialthemen Wirtschaft, Bevölkerung, Schule, Armenwesen, Gesundheitswesen, Behörden, Burger- gemeinde, Kirche, Verkehr, Feuerwehr, Vereine und Ortsplanung. Vor al- lem das Schulwesen und die Kirchengeschichte werden oft ausführlich dar- gestellt. Dies ist kein Zufall, da diese Bereiche stark auf die Gemeinden ausgerichtet sind. Manche Ortsgeschichten enthalten in lexikalischer Form Kurzporträts von Vereinen, Firmen und Parteien (Hasle, Jegenstorf, Leng- nau, Oberburg). Gute neuere Beispiele, die einen breiten Themenmix auf- weisen, sind die Ortsgeschichten von Aarberg, Bellmund, Hasle, Ittigen, Kirchberg, Oberburg, Vechigen und Worb. Auffallend ist, dass die politische Geschichte des 19. und 20. Jahr- hunderts ein eigentliches Tabuthema darstellt. Nur in den Städten Bern und Biel ist die politische Geschichte breit aufgearbeitet worden. Über die Ursachen dieses erstaunlichen Befundes kann man bloss spekulieren. Der wichtigste Grund ist wohl die persönliche und zeitliche Nähe der Autorin- nen und Autoren zu den politischen Akteuren im Ort. Politische Auseinan- dersetzungen können zu harten Diskussionen und Konfl ikten führen. Im überschaubaren lokalen Rahmen sind Konfl iktlinien und persönliche Diffe- renzen allen Beteiligten bekannt. Das Schreiben über lebende Personen und über Auseinandersetzungen, die noch im kollektiven Bewusstsein sind, ist heikel. Im Extremfall kann man als Historiker sogar mit dem Persönlich- keits- oder Datenschutz in Konfl ikt geraten. Da möchten sich viele Lokal- historiker nicht die Finger verbrennen.59 Ein weiterer Grund, warum die Politik in der Ortsgeschichte ausgeblendet wird, ist die Quellenlage. Die Auseinandersetzungen werden zwischen politischen Parteien im Gemeinde- archiv nur dann aktenkundig, wenn sie im Rahmen von Sachgeschäften in die Protokolle der Gemeindeversammlungen oder des Gemeinderates ein- fl iessen. Archivalien der Parteien gelangen meist nicht in die Archive, und bei neueren Akten bestehen zudem Sperrfristen für die Benutzung. In grös- seren Orten haben sich politische Debatten in Berichten und Leserbriefen von Tageszeitungen niedergeschlagen. Diese Quellengattung existiert je- doch nicht in jeder Gemeinde.60 Glücklicherweise gibt es dennoch Autoren, die keinen Bogen um die Politik herum gemacht haben. So hat Ueli Haefeli die politischen Debatten in der Vorortsgemeinde Münchenbuchsee während des Suburbanisierungs- prozesses nach 1945 analysiert. Innovativ ist seine systematische Erschlies- sung mündlicher Quellen und die Beschränkung auf den Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg, als Münchenbuchsee ein stürmisches Wachstum erlebte. Ein anderes Beispiel ist die langwierige Geschichte der Aufteilung der Gemeinde , die Karl Ludwig Schmalz in der Ortsgeschichte Bolligen von 1982 dargestellt hat. Die Ortsgeschichte Bellmund enthält 19 Abb. 5 Gemeinderatssitzung in Rüderswil 1938. Die Politik ist ein eigentliches Tabuthema in Ortsgeschichten.

neben Kurzporträts der Parteien einen kurzen Überblick über das politische Geschehen im 20. Jahrhundert.61 Die Geschlechtergeschichte ist ein weiteres Thema, das in Ortsgeschich- ten kaum vorkommt. Dies hängt sicher damit zusammen, dass diese Pub- likationen vorwiegend von Männern verfasst werden. Das Geschlecht als Kategorie ist jedoch nützlich, um gesellschaftliche Veränderungen zu ana- lysieren und darzustellen. In Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hatten Frauen teilweise nicht die gleichen Handlungsmöglichkeiten wie die Männer. Dies lässt sich auf lokaler Ebene gut zeigen.62 Die Stadtgeschichte Berns im 19. und 20. Jahrhundert hat die Geschlechtergeschichte bereits in der Konzeptphase als Querschnittsthema defi niert, da es nicht sinnvoll erschien, separate Kapitel zur Frauengeschichte zu schreiben. In der Publikation neh- men Frauen und Geschlechterrollen vor allem in den Kapiteln zur Politik, zur Wirtschaft und zur Gesellschaft breiten Raum ein. Zudem wurde dar- auf geachtet, dass Frauen und Männer in den Illustrationen etwa gleich häufi g präsent sind.63

Quellenlage

So uneinheitlich wie die Grösse der Gemeinden im Kanton Bern ist die Quellenlage. Zwar sind sämtliche Gemeinden verpfl ichtet, ein Gemeinde- 20 archiv zu führen. In den 1980er-Jahren erstellte das Historische Institut der Universität Bern im Auftrag des Kantons ein Inventar sämtlicher lokaler Bestände. Gleichzeitig übernahm das Staatsarchiv einen grossen Teil der Kirchenbücher und weiterer lokaler Quellen aus der Zeit vor 1875.64 Die kommunalen Archive enthalten nicht zu sämtlichen Themenbereichen und Epochen Material. Im Staatsarchiv ist die Situation ähnlich. Kantonale Akten zur Geschichte einzelner Gemeinden entstanden nur dann, wenn Gemeinden mit kantonalen Amtsstellen in Berührung kamen, etwa im Zu- sammenhang mit Konfl ikten oder Gerichtsfällen, oder wenn der Kanton Aufsichts- oder Koordinationsfunktionen ausübte, wie in der Raumpla- nung, bei Regionalisierungsprojekten oder Ortsinventaren des Kulturgüter- schutzes. Trotzdem suchen die meisten Forschenden im Rahmen von Orts- geschichten das Staatsarchiv auf, da sie dort auch kompetente Beratung in Sachen Archivwesen erhalten. Besonders bei kleinen Gemeinden ist nicht für alle Epochen ein Quel- lenbestand vorhanden, der als Basis einer ausführlichen Geschichte aus- reicht. Daher empfi ehlt es sich manchmal, bestimmte Epochen wegzulassen und dafür Besonderheiten der lokalen Geschichte vertieft zu behandeln. Dafür gibt es zahlreiche bemerkenswerte Beispiele: Die Ortsgeschichte Os- termundigen umfasst einen Abschnitt über die Geschichte der Sandstein- brüche in der Gemeinde. Die Debatten, ob sich Bolligen der Gemeinde Bern anschliessen oder sich in drei Gemeinden aufteilen solle, fi ndet man in der Ortsgeschichte von Karl Ludwig Schmalz. In der Publikation über Aar - berg existiert ein Kapitel über Heimatschutz und Stadtverschönerung im 20. Jahrhundert. Im Werk über Lengnau ist die Geschichte der Autobahn- planung A5 ausführlich dargestellt. Die Ittiger Geschichte enthält einen Abschnitt über die Industrie im unteren Worblental. Ein anderes Problem stellte sich in Jegenstorf. Dort liess sich keine Person fi nden, welche den Abschnitt über das Mittelalter schreiben wollte. Deswegen verzichtete man auf dieses Kapitel.65 Zur Baugeschichte sind wichtige Grundlagen erst in den letzten Jahren entstanden. Die kantonale Denkmalpfl ege erstellte für jede Gemeinde ein Inventar der schützens- und erhaltenswerten Bauten. Die Stadt Bern inven- tarisierte ihren Baubestand zwischen 1980 und 2000 ebenfalls. Die Reihen «Die Kunstdenkmäler des Kantons Bern» und «INSA Inventar der neueren Schweizer Architektur 1850–1920» decken in Bern nur einen Bruchteil des Kantonsgebietes ab. Deshalb sind eigene baugeschichtliche Recherchen zum Teil unumgänglich, gute Beispiele dafür sind die Ortsgeschichten über Ittigen, Lauperswil und Muri. Statistische Daten zu Bevölkerung, Wirtschaft und weiteren Themen sind in den Publikationen des Bundesamtes für Statistik greifbar. Im Gegen- satz zu anderen Kantonen existiert in Bern seit 1989 kein kantonales statis- tisches Amt mehr, aber seit 1918 eines der Stadt Bern.66 21 Abb. 6 Umzug beim Grossen Schweizerischen Skirennen von 1917 in Gstaad. Mit dieser Veranstaltung versuchte der Kurort, den Wintersport während der Krise des Ersten Welt- krieges anzukurbeln. Bilder wie dieses aus einer privaten Sammlung bilden einen reichen Quellenfundus für Ortsgeschichten.

Ortsgeschichten basieren auch auf privatem Quellenmaterial wie zum Beispiel Vereinsarchiven. Für die jüngste Geschichte sind ausserdem Erinne- rungen von Zeitgenossen wichtige Quellen. Innerhalb der Geschichtswis- senschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten die so genannte Oral History als Methode etabliert, mit der Zeitzeugen systematisch befragt werden. Es gibt jedoch nur wenige Gemeinden, die ältere Einwohnerinnen und Ein- wohner interviewen liessen und diese Quellen zur Alltagsgeschichte auch archiviert haben. In der Arbeit über Münchenbuchsee sind 54 Interviews transkribiert und publiziert worden. Die Gemeinde hat Mitte der 1990er-Jahre durch das Geschichtsatelier Interviews durchführen lassen. Diese lagern seither als Tondokumente im Gemeindearchiv, ohne dass sie für die neuste Ortsgeschichte verwendet wurden.67 In den 1990er-Jahren hat die Geschichtswissenschaft Bilder als histori- sche Quellen neu «entdeckt» und in die Arbeit einbezogen. Besonders in der Lokalgeschichte liefern Fotos und andere Bildquellen wertvolle Informatio- nen und dienen als Illustrationen für die Publikationen.68 Viele Gemeinden verfügen über eine eigene Sammlung an Bildquellen. Häufi g bildet zudem eine Ortsgeschichte den Anlass, alte Fotos oder anderes Bildmaterial zu 22 sammeln. Mit Aufrufen an die Bevölkerung gelingt es dabei, private Foto- alben und Sammlungen in diese Dokumentationsarbeit einzubeziehen. Ein- zelne Sammler haben sogar eigene Bildbände mit Fotomaterial publiziert, zum Beispiel für die Städte Bern, Biel und Thun.69 Auch wenn bereits viele Bilder in publizierter oder unpublizierter Form vorliegen, lohnt es sich, die einschlägigen Archive systematisch nach Bildmaterial zu durchsuchen. Im Rahmen des Projektes Stadtgeschichte Bern im 19. und 20. Jahrhundert hat eine Historikerin alle grossen öffentlichen Archive der Bundesstadt sowie einige zusätzliche Bestände durchstöbert. Dabei fertigte sie mit einer Digitalkamera Arbeitskopien von rund 2500 Illustrationen an. Ausserdem durchsuchte das Autorenteam gezielt weitere Bildarchive von Firmen und Privatpersonen. Dieser Bildkorpus diente den Autorinnen und Autoren als Steinbruch für die Bebilderung. Dank diesem Vorgehen enthält das Buch zu über 50 Prozent unpubliziertes Bildmaterial, das bei der Leserschaft meist auf ein begeistertes Echo stösst.

Buchgestaltung, Publikationsformen

Bei der Buchgestaltung zeichnet sich im untersuchten Zeitraum ein Trend zu mehr Illustrationen ab. Diese Entwicklung verlief mehr oder weniger parallel zur Bebilderung anderer Printmedien wie den Tageszeitungen. Ein Publikum, das vom Fernsehen mit Bildern überfl utet wird, muss heutzutage im Sachbuchbereich mit attraktiven Illustrationen bedient werden. In jüngs- ter Zeit überwiegen quadratische oder hohe Buchformate, die Spielraum für unterschiedliche Bildgrössen bieten. Der Text ist dabei zweispaltig oder in einer Spalte plus Randspalte für schmale Bilder und Bildlegenden angeord- net. Eine professionelle Gestaltung ist heute selbstverständlich. Innerhalb der Publikationen der letzten zehn Jahre bestehen allerdings immer noch grosse Unterschiede in der Bildqualität und in der Sorgfalt der grafi schen Gestaltung. Der Stämpfl i Verlag hat etliche Ortsgeschichten verlegt und dabei auch das grafi sche Bild geprägt. Hans Gugger (geboren 1921) spielte dabei eine zentrale Rolle. Er hatte seine Berufslaufbahn im grafi schen Gewerbe absol- viert und war zuletzt technischer Direktor bei der Firma Stämpfl i. Gleich- zeitig betätigte er sich in seiner Freizeit als Historiker. Er veröffentlichte 1997 die Geschichte seiner Wohngemeinde Ittigen. Zudem beriet er zahl- reiche Laienhistoriker bei den Recherchen für Ortsgeschichten und steuerte mehrmals eigene Texte bei. Dabei gelang es ihm, die Publikation oder zu- mindest den Druck bei Stämpfl i einzufädeln.70 Zwei Drittel der Ortsgeschichten weisen einen Umfang zwischen 100 und 400 Seiten auf. Damit lässt sich ein breites Publikum ansprechen und der Band bleibt auch bei Hochglanzpapier und Hochformat immer noch handlich. Einzelne Publikationen zählen über 500 Seiten. Diese Werke sind 23 für eine bequeme Lektüre im Lehnstuhl zu schwer, man muss sie beim Benutzen auf einen Tisch legen; zudem steigen auch die Produktionskosten und der Verkaufspreis des Buches. Im untersuchten Zeitraum erschienen zwei stadtgeschichtliche Lexika: 1976 das historisch-topographische Lexikon der Stadt Bern von Berchtold Weber, das seit 2002 auch in einer elektronischen Form im Internet zugäng- lich ist; 1999 publizierte Werner Hadorn, Gymnasiallehrer und Journalist im Medienbüro Cortesi, das «Stadtgeschichtliche Lexikon Biel». Ausgangs- material waren Zettelkästen der beiden früheren Stadtarchivare Werner Bourquin (Amtszeit 1945–1970) und Marcus Bourquin (1970–1992). Ha- dorn überarbeitete und ergänzte die Sammlung zu einem Lexikon mit über 2500 Stichwörtern zu Personen, Institutionen, Örtlichkeiten und Ereignis- sen Biels. Es erschien in einer kleinen Aufl age. Der Preis von 240 Franken verhindert eine grössere Verbreitung.71 In jüngster Zeit bietet sich das Internet als Kommunikationsplattform für Ortsgeschichtsprojekte an. Die im Herbst 2004 publizierte Ortsge- schichte Worb war seit dem Projektstart 1999 im Internet präsent. Die Web- seite, die auch über die Internetseite der Gemeinde zugänglich ist, enthält

Abb. 7 Kleinmontageraum der Firma Hasler im Liebefeld 1942. Grosse Firmen ver- mögen die Entwicklung von Gemeinden oder Quartieren mitzuprägen. Deshalb sind ihnen 24 oft einzelne Kapitel in Ortsgeschichten gewidmet. unter anderem das Konzept, ein Inhaltsverzeichnis und ein Verzeichnis der Mitarbeitenden, Quellen und Zeitungsberichte, ferner gehört auch ein Chat- room dazu. Angesichts eines grossen Autorenteams mit mehreren Dutzend Beteiligten ist ein passwortgeschützter Server eine günstige und effi ziente Plattform, um die interne und externe Kommunikation sicherzustellen.72 Ähnliche Erfahrungen hat auch das Projekt Stadtgeschichte Bern gemacht. Bei Projektbeginn 1998 standen die wichtigsten Informationen im Inter - net und seit dem Erscheinen des Bandes sind das Inhaltsverzeichnis und Zeitungsberichte sowie Buchbesprechungen im PDF-Format zugänglich. Aufgrund dieser Internetpräsenz gingen immer wieder Anfragen aus dem In- und Ausland ein.73

4. Bewährte Konzepte und Ausblick

Das Ziel dieses Artikels ist es, die wichtigsten Trends der letzten Jahrzehnte aufzuzeigen und gleichzeitig einige Einblicke in die Arbeitsweise von Orts- geschichtsprojekten zu geben. Er hat nicht den Anspruch, dieses Feld ab- schliessend darzustellen. Die Hinweise auf gute Beispiele bernischer Lokal- geschichte und einige Angaben zur schweizerischen und internationalen Fachliteratur zu diesem Thema sollen Anstösse geben, um sich in diesem Bereich der Historiografi e zu betätigen und qualitativ gute Arbeiten zu ver- fassen. Dazu sind einige Bedingungen nötig, die ich ganz kurz nochmals erwähnen möchte. Erstens erleichtert ein Geschichtsstudium im Rucksack den Start. Als Minimum ist die Beratung durch ausgebildete Historikerinnen und His- toriker zu empfehlen. In zahlreichen bernischen Projekten haben auch Berufsleute mit Laien in gemischten Teams erfolgreich zusammengearbeitet. Wichtig ist zudem der Beizug von Fachliteratur und die Einordnung ins his- torische Umfeld. Wenn Ortsspezifi sches in einen übergeordneten Rahmen eingebettet ist, wird es für die Leserschaft leichter nachvollziehbar. Die zweite Voraussetzung ist ein Auftrag oder die fi nanzielle Unter- stützung der betreffenden Gemeinde. Falls die Gemeinde nicht sämtliche Kosten trägt, braucht es einen substanziellen fi nanziellen Grundstock, den die Gemeinde beisteuert, damit Sponsoren und weitere Geldgeber um Unter- stützung angefragt werden können. Drittens hat sich ein Inhaltskonzept mit einer thematischen Breite und vielfältigen Fragestellungen bewährt. Dadurch lässt sich eine breitere Leser- schaft ansprechen, als wenn man nur das Schulwesen oder die Kirchen- geschichte bearbeitet. Eine Gestaltung mit einem hohen Illustrationsanteil und vielen unpublizierten Bildern kommt bei der Leserschaft ebenfalls gut an. 25 Viertens ist ab dem Projektstart ein klares Inhalts- und Gestaltungs- konzept notwendig. Nur so lassen sich Zeitpläne aufstellen und die Kosten berechnen. Im Interesse der Leserschaft sollte auch der Umfang einer Orts- geschichte begrenzt sein. Bei der Erarbeitung von Band 3 der Zofi nger Geschichte haben wir im Autorenteam immer vom «Badewannentest» ge- sprochen: Eine Ortsgeschichte muss so handlich sein, dass man sie in der Badewanne lesen kann. Zudem muss sie so spannend geschrieben sein, dass man dabei nicht merkt, wenn das Wasser langsam kalt wird.

Abkürzungen

AHVB Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern BZGH Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde HBLS Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz. Bd. 1–7. Neuenburg, 1921–1934

Bildnachweis

Umschlagbild Schweizerische Landesbibliothek, Bern, Graphische Sammlung, Plakate. Abb. 1 Nyffeler, Johann: Heimatkunde von Huttwil. Bern, 1871, Frontispiz. Abb. 2 Privatbesitz Dr. Franz Della Casa, Burgdorf, Fotograf unbekannt. Abb. 3 Kartografi e: Andreas Brodbeck, Geographisches Institut der Universität Bern. Abb. 4 Stadtarchiv Bern, Fotosammlung, SFA 18, Nr. 27. Abb. 5 Foto: Theo Frey (1908–1997). Eidgenössisches Archiv für Denkmalpfl ege, Bern, EAD-FREY-505-kn. Abb. 6 Privatbesitz Gottfried von Siebenthal, Gstaad. Abb. 7 Ascom-Museum, Bern, Negativ-Nr. 18 159.

26 Anhang: Liste der seit 1970 erschienenen Ortsgeschichten

Die Liste umfasst Ortsgeschichten, die mehr als 75 Seiten zur Vergangenheit einer Gemeinde enthalten. Einzelne Publikationen wurden weggelassen, weil sie sich nur mit einem Teilgebiet wie der Schul- oder Kirchengeschichte befassen. Zu den Städten Bern und Biel enthält die Liste Publikationen, die nur bestimmte Epochen abdecken. Da diese Werke jedoch sehr umfassend und umfangreich sind, zähle ich sie mit.

1970–1979 Ort Bibliografi sche Angaben Burgdorf Wegmüller, Jürg et al.: Burgdorf. Geschichte und Gegenwart. Burgdorf, 1972. Heimiswil Leuenberger, Walter: Heimiswil einst und jetzt. Langnau, 1978. Krauchthal Schweingruber, Max et al.: Krauchthal, Thorberg. Burgdorf, 1971 (Heimatbuch Krauchthal, Thorberg, Bd. 1). Krauchthal Schweingruber, Max: Krauchthal. Burgdorf, 1977 (Heimatbuch Krauchthal, Thorberg, Bd. 2). Oberbipp Flatt, Karl H.: 1000 Jahre Oberbipp. Das Dorf in der Geschichte. Langenthal, 1971. Schwarzhäusern Burkhard, Ernst: Schwarzhäusern. Ein Rückblick. Schwarz- häusern, 1972. Seedorf Studer, Alfred: Seedorf einst und jetzt. Überblick über die Ent- wicklung der Dorfschaften unserer Gemeinde. Riniken, 1976. Unterseen Schläppi, Ernst: Ein Beitrag zur Geschichte Unterseens, von den Anfängen bis zur Reformation. Unterseen, 1979.

1980–1989 Ort Bibliografi sche Angaben Allmendingen. Eine kleine Gemeinde vor den Toren Berns, dem Kranz der Alpen zugewendet. Allmendingen, 1989. Attiswil Gygax, Ernst: Attiswil und seine Dorfgeschichte. Attiswil, 1988. Lehmann, Wolfgang: Belp und das Gürbetal. Geschichte und Geschichten. Belp, 1983. Lehmann, Wolfgang: Belper Chronik 1900–1985. Belp, 1987. Biel Kästli, Tobias: Die Vergangenheit der Zukunftsstadt. Arbeiter- bewegung, Fortschritt und Krisen in Biel 1815–1919. Bern, 1989. Kästli, Tobias: Das rote Biel, 1919–1939. Probleme sozialpoliti- scher Gemeindepolitik. Bern, 1988. Bolligen Schmalz, Karl Ludwig: Bolligen. Geschichte, Gemeindeentwick- lung, Heimatkunde. Hrsg. von der Viertelsgemeinde Bolligen. Bern, 1982. Büren an der Aare Gribi, Max: Büren an der Aare. Kleinstadt im . Bern, 1988 (Berner Heimatbücher, 138). Büren zum Hof Schmalz, Fritz: Büren zum Hof. Eine Dorfchronik als Zeitspiegel des Amtes Fraubrunnen. Büren zum Hof, 1980. Dotzigen Aerni, Klaus et al.: Dotzigen. Zur Erinnerung an die erstmalige urkundliche Erwähnung im Jahr 1182 und zum Anlass der 800-Jahr-Feier 1982. Dotzigen, 1982. Gals Moser, Andres; Bellwand, Ueli; Niklaus, Hans: Gals. Beiträge zur Gemeindegeschichte. Bern, 1985. Grindelwald Rubi, Christian; Rubi, Rudolf: Im Tal von Grindelwald. Bilder aus seiner Geschichte. Bd. 1–6. Grindelwald, 1985–1993. 27 Grosshöchstetten Michel, Peter et al.: Grosshöchstetten. Grosshöchstetten, 1985. Heiligenschwendi Heimann, Erwin: Chronik von Heiligenschwendi, 1285–1985. Heiligenschwendi, 1985. Herzogenbuchsee Henzi, Hans; Staub, Werner; Gerber, Samuel: Herzogenbuchsee. Bern, 1985 (Berner Heimatbücher, 136). Hilterfi ngen, Hünibach Häsler, Fritz: Hilterfi ngen und Hünibach in Vergangenheit und Gegenwart. Bern, 1985 (Berner Heimatbücher, 135). Hindelbank Schweingruber, Max: Hindelbank. Ein Blick in die Vergangenheit. Hindelbank, 1989. Jegenstorf Pfi ster, Christian (Red.): Jegenstorf. Eine Ortsgeschichte. Jegens- torf, 1989. Waber, Heinrich C.: Kiesen. Texte und Bilder aus Vergangen- heit und Gegenwart einer kleinen bernischen Gemeinde. Kiesen, 1986. Grosjean, Georges: Lindenach 1185, Kirchlindach 1985. Fest- schrift. Kirchlindach, 1985. Konolfi ngen Schmocker, Hans (Red.): Konolfi ngen. Texte und Bilder über eine bernische Gemeinde. Konolfi ngen, 1983. Krauchthal Schweingruber, Max; Zwahlen, Ulrich: Krauchthal. Handel und Wandel in Wort und Bild. Burgdorf, 1988 (Heimatbuch Krauch- thal, Thorberg, Bd. 4). Langenthal Binggeli, Valentin et al.: Langenthal. Eine heimatkundliche Bild- dokumentation mit wissenschaftlichen Beiträgen zur Geographie und Geschichte. Langenthal, 1981. Langenthal Gugger, Beat: Streifzug durch die Geschichte Langenthals. Lan- genthal, 1987. Lauterbrunnen Graf, Christian et al.: Geschichte der Talschaft Lauterbrunnen. 2 Bde. Lauterbrunnen, 1988/89. Lotzwil Stettler, Karl et al.: Die Kirchgemeinde Lotzwil. Bilder aus ihrer Geschichte. Lotzwil, 1983. Matten Zwahlen, Hans: Heimatkunde des Dorfes Matten. Matten, 1981. Nidau Neuhaus, Gabriela: Nidau. 650 Jahre Wandlung. Nidau, 1988. Oberhofen Heimann, Erwin: Chronik von Oberhofen, 1133–1983. Ober- hofen, Bern, 1983. Ostermundigen Schmalz, Karl Ludwig: Ostermundigen. Geschichte, Gemeinde- entwicklung, alte Ansichten. Ostermundigen, 1983. Rüti bei Büren Buri, Markus: Rüti bei Büren. Jubiläumsschrift zur 800-Jahrfeier, 1185–1985. Rüti bei Büren, 1985. Strättligen Hänni, Louis: Strättligen. 475 Jahre Burgergemeinde Strättligen 1511–1986, 1225 Jahre Scherzligen 761–1986. Thun, 1984. Thun Küffer, Peter: Thun. Geschichtliche Zusammenfassung von einst bis heute. Thun, 1981. Uettligen Jenni, Ernst: Uettligen: 1185–1985. Texte und Bilder zur 800- Jahr-Feier. Bern, 1985. Wilderswil Grossniklaus, Hans Ulrich: Wilderswil. Geschichte und Volks- kunde. Unterseen, 1988. Wynigen Schneider, Hanspeter et al.: Wynigen. Aus Anlass der erstmaligen urkundlichen Erwähnung im Jahr 1185 und zur Erinnerung an die 800-Jahr-Feier 1985. Burgdorf, 1985. 1990–1999 Ort Bibliografi sche Angaben Aarberg Rubli, Markus F. (Red.): Aarberg. Porträt einer Kleinstadt. Aar- 28 berg, 1999. Aeschi Stalder, Walter: Aeschi. Aus Geschichte und Heimatkunde. Bern, 1991 (Berner Heimatbücher, 139). Bannwil Bannwil. Ein Dorf im Oberaargau. Hrsg. anlässlich der 700-Jahr- feier, 1293–1993. Herzogenbuchsee, 1993. Bellmund Zürcher, Christoph (Red.): Bellmund, unsere Gemeinde. Bell- mund, Nidau, 1992. Bern Beer, Ellen J. et al. (Hrsg.): Berns grosse Zeit. Das 15. Jahrhundert neu entdeckt. Bern, 1999. Biel Bourquin, Werner; Bourquin, Marcus: Biel, stadtgeschichtliches Lexikon. Redaktion und Lektorat: Werner Hadorn. Biel, 1999. Bleienbach Binggeli, Valentin (Hrsg.): Dorfbuch von Bleienbach. Beiträge zur Heimatkunde einer ländlichen Gemeinde. Bleienbach, 1994. Bremgarten Fallet, Eduard M.: Bremgarten. Lese- und Schaubuch zur Ge- schichte des Kirchspiels Bremgarten sowie der Gemeinden Zolli- kofen, Bremgarten-Stadtgericht und . Bern, 1991 (Berner Heimatbücher, 141). Stalder, Paul: Bowil und seine Geschichte. Bowil, 1996. Bümpliz Erne, Emil (Red.): Bümpliz: Königshof, Bauerndorf, Stadtteil. Zur Geschichte der alten Gemeinde Bümpliz und des Stadtteils VI der Stadt Bern. Bern, 1994. Burgistein Egger, Hans et al.: Burgistein. Ausschnitte aus dessen Geschichte. Burgistein, 1991. Epsach Landolf, Urs: Bilder aus der Geschichte eines Bauerndorfes. Epsach 1244–1994. Nidau, 1994. Gsteigwiler Häsler, Heinz: Gsteigwiler. Bilder einer kleinen Gemeinde. Gsteig- wiler, 1995. Hasle Käser, Daniel et al.: Hasle bei Burgdorf. Ortsgeschichte. Burgdorf, 1995. Heimberg Buchs, Hermann et al.: 850 Jahre Heimberg, 1146–1996. Heim- berg, 1995. Interlaken Gallati, Rudolf: Aarmühle Interlaken 1838–1988. Eine Ortsge- schichte. Interlaken, 1991. Iseltwald Michel, Peter: Iseltwald. Geschichte und Geschichten über das Fischerdorf am Brienzersee. Iseltwald, 1993. Ittigen Gugger, Hans et al.: Ittigen. Eine junge Gemeinde mit alter Ge- schichte. Bern, 1998. Kallnach Hurni-Schwab, Fritz et al.: Kallnach. Kallnach, 1999. Kirchberg Meichtry, Daniel et al.: Kirchberg. Ortsgeschichte zum 1000- Jahr-Jubiläum 1994. Bern, 1994. Langenthal Kuert, Alfred: Ein Dorf übt sich in Demokratie. Langenthal zwi- schen 1750 und 1850. Lebensverhältnisse in einem der meist- beniedenen Marktorte des Kantons Bern. Bern, 1997. Leimiswil Hofstetter, Walter: Chronik von Leimiswil. Eine Gemeinde im Wandel der Zeit. Von Leimolteswilare um 820 bis Leimiswil 1996. Leimiswil, 1996. Leissigen Schläppi, Ernst: Leissigen. 2 Bde. Leissigen, 1996. Lengnau Geiselmann, Fred (Hrsg.): Tausend Jahre Lengnau, 997–1997. Ein Dorf im Wandel der Zeit. Lengnau, 1997. Kuert, Alfred: Lyssach 894–1994. Lyssach, 1994. Madiswil Kuert, Simon: 1200 Jahre Madiswil. Die Geschichte einer Land- gemeinde. Langenthal, 1995. Münchenbuchsee Haefeli, Ueli: Ein Dorf wird Vorstadt. Suburbanisierung am Bei- spiel der bernischen Agglomerationsgemeinde Münchenbuchsee. Zürich, 1996. 29 Münchenwiler Schmalz, Karl Ludwig et al.: Münchenwiler : Dorf, Kirche, Klos- ter, Schloss, Erwachsenenbildungszentrum. Bern, 1994 (Berner Heimatbücher, 143). Muri-Gümligen Rubli, Markus F. (Red.): . Eine Gemeinde, zwei Dörfer. Muri bei Bern, 1993. Niederbipp Niederbipp und seine Bewohner: was und wer ist das? Ein dorf- geschichtlicher Beitrag zum 700jährigen Bestehen der Eidgenos- senschaft und zur Gründung des Dorfmuseums. Rückblick in die Vergangenheit, Blick in die Gegenwart, Ausblick in die Zukunft. Niederbipp, 1991. Oberburg Oberburg. Eine Gemeinde im unteren Emmental. Oberburg, 1992. Oberwichtrach Winnewisser, Max et al.: Oberwichtrach, gestern und heute: eine Ortschronik. Oberwichtrach, 1991. Oeschenbach Fuhrimann, Werner: Chronik von Oeschenbach. Oeschenbach, 1991. Eicher, Ueli (Hrsg.): Riggisberg. Aus Geschichte und Gegenwart einer ländlichen Gemeinde. Riggisberg, 1998. Ringgenberg, Goldswil Ritschard, Gustav: Ringgenberg, Goldswil. Geschichte, Volks- kunde. Ringgenberg, 1990. Schoren Jufer, Max; Marti, Hans: Schoren. Langenthal, 1998 (Langen- thaler Heimatblätter, 1998). Berner, Otto: Toffen. Chronik unserer Gemeinde im Gürbetal. Wabern, 1990. Uetendorf Anderegg, Paul et al.: 1000 Jahre Uetendorf, 994–1994. Ueten- dorf, 1993. Vechigen Müller, Peter et al.: Geschichte der Gemeinde Vechigen. Boll, 1995. Wimmis 1000 Jahre Wimmis. Ein Querschnitt. Wimmis, 1993. Zäziwil Burckhardt, Hans Rudolf; Kammermann, Jean-Pierre; Stegmann, Alfred: Zäziwil. Beiträge zur Geschichte unserer Gemeinde. Zäziwil, 1999. Zimmerwald Brönnimann, Fritz: 700 Jahre Zimmerwald. Bilder aus der Ge- schichte einer alten Dorfgemeinde. Zimmerwald, 1996. Junger, Bernhard; Sterchi, Peter; Weibel, Hugo: Zollikofen. Eine Dorfchronik. Bern, 1991 (Berner Heimatbücher, 140).

2000–2004 Ort Bibliografi sche Angaben Bern Schwinges, Rainer Christoph (Hrsg.): Berns mutige Zeit. Das 13. und 14. Jahrhundert neu entdeckt. Bern, 2003. Bern Barth, Robert; Erne, Emil; Lüthi, Christian (Hrsg.): Bern – die Geschichte der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Stadtentwick- lung, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur. Bern, 2003. Tschannen, Rudolf: Gerzensee. Chronik bis Ende 1999. Gerzen- see, 2000. Goldiwil Schneider, Ernst: Goldiwil. Geschichte eines Dorfes. Thun, 2000. Hilterfi ngen, Hünibach Ganz, Robert et al.: Hilterfi ngen und Hünibach. Eine Gegenwart, zwei Vergangenheiten. Bern, 2002. Ipsach Schärli, Paul et al.: Ipsacher Chronik. Ipsach, 2001. Kandersteg Stettler, Emanuel: Kandersteg und sein LWK. Kandersteg, 30 2002. Lauperswil Minder, Hans: Lauperswil. Geschichte einer emmentalischen Gemeinde und ihrer Bewohner. Lauperswil, 2002. Melchnau Wenger, Lukas et al.: Melchnau auf dem Weg. 900 Jahre Melchnau. Langenthal, 2000. Ostermundigen Ostermundigen. Gemeindeentwicklung, Geschichte. Ostermun- digen, 2003. Pieterlen Rauscher, Heinz: Pieterlen und seine Nachbarn. 2000 Jahre Ge- schichte und Geschichten. Band I: Von den Helvetiern bis zu den Belleleymönchen. Büren a.A., 2002. Rubigen Hasler, Martin et al.: Rubigen. Ort und Landschaft, Rubigen, 2001. Rüderswil Ruprecht, Menga (Hrsg.): Rüderswil. Eine Landgemeinde im Herzen des Emmentals. Rüderswil, 2003. Schwanden Am Acher, Paul: Ob ächt… Geschichte, Geschichten, Gedanken und Gedichte über das Dorf Schwanden am Sonnenhang des Brienzersees. Schwanden, 2001. Unterseen Geschichte und Geschichten um Unterseen. Unterseen, 2004. Hänni, Beat: Geschichte der Gemeinde Walkringen. Walkringen, 2000. Worb Schmidt, Heinrich Richard (Hrsg.): Worber Geschichte. Bern, 2005 (erschienen 2004).

Anmerkungen

1 Der Text basiert auf zwei Referaten des Autors zu diesem Thema: 8.11.2000 im Rahmen der Reihe «Buch am Mittag» der Stadt- und Universitätsbibliothek Bern; 23.6.2001 an der Tagung «Theorie und Praxis der Orts- und Stadtgeschichtsschreibung in der (deut- schen) Schweiz» des Projektes Stadtgeschichte Bern und des Schweizer Arbeitskreises für Stadtgeschichte. Ich bedanke mich bei Anna Bähler, Robert Barth, Emil Erne und Peter Martig für die kritische Lektüre des Manuskripts. Verschiedene Anregungen dieser Fachkollegen und -kollegin sind in die defi nitive Fassung des vorliegenden Textes ein- gefl ossen. 2 Vgl. zu den Ortsmuseen im Kanton Bern: Rubli, Markus F. (Hrsg.): Berner Museen. Museen, Sammlungen, Kunsthäuser, Botanische Gärten, Schlösser, Gedenkstätten und ein Zoo. Ein Überblick. Bern, 1995; Schweizer Museumsführer, http://museumsfuehrer. vms-ams.ch. 3 Baumann, Max: Orts- und Regionalgeschichte. In: Schneider, Boris; Python, Francis (Hrsg.): Geschichtsforschung in der Schweiz. Bilanz und Perspektiven 1991. Basel, 1992, 417–428. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 41 (1991), 169–180; Salathé, René: Ein Blick auf die Gipfelfl ur der landeskundlichen Forschung im Kanton Basel-Landschaft. In: Baselbieter Heimatblätter, Jg. 66 (2001), 97–120; Brändli, Sebastian: Konstruierte Heimat. Zürcher Gemeinden im Bundesstaat. Ortsgeschichte und nationale Identitätsbildung. In: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 51 (2001), 318–341; Brändli, Sebastian: Lokalgeschichte als Geschichtsschreibung von unten? Zür- cher Ortsgeschichten: Anlässe, Autoren, Themen. In: Geschichte schreiben in Zürich. Die Rolle der Antiquarischen Gesellschaft bei der Erforschung und Pfl ege der Vergangenheit. Zürich, 2002 (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 69), 59–92; Meier, Bruno: Geschichtsschreibung im Lokalen. Ergebnisse und Trends aus dem Aargau in den letzten 25 Jahren. In: Argovia, 115 (2003), 39–45; Orsouw, Michael van: Von Amriswil bis Zofi ngen. Warum Lokal-, Gemeinde- und Regionalgeschichten gedeihen, während nationale Projekte stagnieren. In: Die Weltwoche, 11.2.1999, 19. 31 4 Baumann (wie Anm. 3), 417f.; Brändli 2002 (wie Anm. 3), 59–66; Salathé (wie Anm. 3), 100f. 5 Abhandlungen und Beobachtungen durch die ökonomische Gesellschaft zu Bern gesam- melt, Jg. 3 (1762), 1. Stück, 4–6. Hinweis von Gerrendina Gerber-Visser und Martin Stuber, die sich am Historischen Institut der Universität Bern im Rahmen des Forschungs- projektes «Nützliche Wissenschaft, Naturaneignung und Politik. Die Ökonomische Ge- sellschaft Bern im europäischen Kontext (1750–1850)» mit diesem Thema beschäftigen. 6 Wälchli, Karl F.: Geschichte in der Öffentlichkeit. Die Rolle des Historischen Vereins im Kanton Bern 1846–1996. Gedanken zum 150-Jahr-Jubiläum. In: BZGH, 58 (1996), 301–314, hier 303–309; Bergen, Stefan von: Berner Geschichte. Abschied von der Nos- talgie. Wie Berns Geschichtsschreibung die jüngere Vergangenheit scheute. In: Berner Zeitung, 25.10.2003, 22. 7 Flückiger, Friedrich August: Geschichte des Amtes Aarwangen. Versuch einer historischen Monographie. In: AHVB, 1 (1848), 81–165. Blösch, Emil: Die Geschichte von Laupen. In: AHVB, 8 (1875), 564–634. Greyerz, Hans von: Nation und Geschichte im bernischen Denken. Vom Beitrag Berns zum schweizerischen Geschichts- und Nationalbewusstsein. Bern, 1953, 231f. 8 Käser, Jacob: Topographische, historische und statistische Darstellung des Dorfes und Gemeindebezirkes Melchnau in seinen Beziehungen zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Langenthal, 1855, IV. Vgl. dazu: Junker, Beat: Geschichte des Kantons Bern seit 1798. Bd. 2: Die Entstehung des Volksstaates 1831–1880. Bern, 1990, 80–85; Mesmer, Beatrix: Burgdorf und Thun. Bernische Kleinstädte im 19. Jahrhundert. In: Burgdorfer Jahrbuch, 1985, 112–132, hier 115–117; Greyerz (wie Anm. 7), 159. 9 Glur, Johannes: Roggwyler-Chronik, oder historisch-topographisch-statistische Be- schreibung von Roggwyl, im Ober-Aargau, Amts Aarwangen, Cantons Bern. Zofi ngen 1835, IV. Zu Glur: HBLS, Bd. 3 (1926), 571f.; Zürcher, Christoph: Johannes Glur. Ver- sion 5.2.2004. In: Historisches Lexikon der Schweiz, www.dhs.ch. 10 Aeschlimann, Johann Rudolph: Geschichte von Burgdorf und Umgegend. Zwickau, 1847/48. Zu Aeschlimann: HBLS, Bd. 1(1921), 154. 11 Binder, Christian Wilhelm: Geschichte der Stadt und Landschaft Biel. 3 Bde. Biel, 1834; Bloesch, Cäsar Adolf: Geschichte der Stadt Biel und ihres Panner-Gebietes. 3 Bde. Biel, 1855/56; Bloesch, Gustav: Chronik von Biel von den ältesten Zeiten bis zu Ende 1873. Biel, 1875. 12 Lohner, Karl Friedrich Ludwig: Chronik der Stadt Thun. In kurzen Auszügen zusammen- gestellt und hrsg. von seiner Urenkelin Gertrud Züricher. Bern, Leipzig, 1935. 13 Glur (wie Anm. 9); Käser (wie Anm. 8). 14 Flückiger (wie Anm. 7); Nyffeler, Johann: Heimatkunde von Huttwil. Bern, 1871. Greyerz (wie Anm. 7), 230, bezeichnete Nyffelers Werk als «erste bernische Ortsge- schichte». 15 Stettler, Karl: Das Frutigland. Der bernische Amtsbezirk Frutigen nach allen Seiten beleuchtet. Bern, 1887. Nachdruck Adelboden, 1985. 16 Jenzer, Johann Jakob: Heimatkunde des Amtes Schwarzenburg. Bern, 1869, IV. Zu Baselland vgl. Salathé (wie Anm. 3), 100f. 17 Flückiger (wie Anm. 7), 81f. 18 Siehe Fischer, Nicolette von: Register zum Berner Taschenbuch 1852–1934. In: BZGH, 17 (1955), 42–59, 96–123, www.digibern.ch. 19 Greyerz (wie Anm. 7), 265; Schürch, Ernst: Paul Georg Kasser (1876–1945). In: BZGH, 12 (1950), 115–142, hier 120. 20 Wyss, Johann Rudolf: Geographisch-statistische Darstellung des Cantons Bern. Teil 1–3. Zürich, 1819–1822. Reprint Genf, 1978; Jahn, Albert: Chronik oder geschichtliche, orts- kundliche und statistische Beschreibung des Kantons Bern, alten Theils. Bern, 1857; Brunner, Heinrich et al. (Hrsg.): Geographisches Lexikon der Schweiz. 6 Bde. Neuenburg, 1902–1910; HBLS; Historisches Lexikon der Schweiz HLS. Bd. 1 ff. Basel, 2002 ff., 32 www.dhs.ch. 21 Walthard, Rudolf: Description topographique et historique de la ville et des environs de Berne. Bern, 1827; Sommerlatt, Christian Vollrath: Adressenbuch der Republik Bern für Wissenschaft, Kunst, Handel und Gewerbe, sammt Beschreibung der Merkwürdigkeiten, öffentlichen Anstalten und sonstigen nützlichen Einrichtungen. Erste Abtheilung: Haupt- stadt Bern. Bern, 1836; Durheim, Karl Jakob: Historisch-topographische Beschreibung der Stadt Bern und ihrer Umgebungen, mit Rückblicken auf ihre frühern Zustände, nebst einer Berner-Chronik, (…) von 1191 bis 1850. Bern, 1859. 22 Rodt, Eduard von: Bernische Stadtgeschichte. Bern, 1886; Erne, Emil: Einleitung. Erst- mals ein Überblick über die Stadtgeschichte Berns. In: Barth, Robert; Erne, Emil; Lüthi, Christian (Hrsg.): Bern – die Geschichte der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Stadt- entwicklung, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur. Bern, 2003, 7–9, hier 7. 23 Brändli 2002 (wie Anm. 3), 60. 24 Dändliker, Karl: Ortsgeschichte und historische Heimatkunde in Wissenschaft und Schu- le, ihre Methode und Hilfmittel. Zürich, 1897, IIIf. Brändli 2002 (wie Anm. 3), 76–80; Sigg, Otto: Karl Dändliker. Version 18.3.2004. In: Historisches Lexikon der Schweiz. www.dhs.ch; Feller, Richard; Bonjour, Edgar: Geschichtsschreibung der Schweiz. Vom Spätmittelalter zur Neuzeit. 2. Aufl . Basel, Stuttgart, 1979, 736–739. 25 Scandola, Pietro (Red.): Hochschulgeschichte Berns, 1528–1984. Zur 150-Jahr-Feier der Universität Bern 1984. Bern, 1984, 711; Feller/Bonjour (wie Anm. 24), 756–762; Brändli 2002 (wie Anm. 3), 76. Die frühesten im Kanton Bern veröffentlichten Orts- geschichten lassen sich aus zwei Bibliografi en eruieren: Brandstetter, Josef Leopold: Bibliographie der schweiz. Landeskunde, Fasc. 5.3: Kantons- und Ortsgeschichte. Bern, 1906, 87–106; Barth, Hans: Bibliographie der Schweizer Geschichte, enthaltend die selbständig erschienenen Druckwerke zur Geschichte der Schweiz bis Ende 1913. Bd. 2. Basel, 1914, 496–507. 26 Brändli 2002 (wie Anm. 3), 76. Im Kanton Zürich schrieben die Brüder Paul Kläui (1908–1964) und Hans Kläui (1906–1992) damals eine grosse Zahl dieser Publikationen. Vgl. dazu Brändli 2002 (wie Anm. 3), 81–84. Die Zahl zum Kanton Bern ist eine Schätzung aufgrund: Bibliographie zur Geschichte des Kantons Bern. In: Berner Taschenbuch, 1918–1934; Stadt- und Universitätsbibliothek Bern: Alter Alphabetischer Katalog, www.stub.ch. 27 Scandola (wie Anm. 25), 712f. Die Themen der betreuten Dissertationen und Lizentiats- arbeiten wurden ab 1977 jährlich im Bulletin der Allgemeinen geschichtforschenden Ge- sellschaft der Schweiz veröffentlicht. 28 Pfi ster, Christian; Lüthi, Christian: Stadt- und ortsgeschichtliche Forschung mit Daten- bank Bernhist. In: Informationen zur modernen Stadtgeschichte, 1996, H. 1, 43–49; Imfeld, Klaus; Pfi ster, Christian; Häberli, Peter: Bernhist. Eine raum-zeitliche Datenbank für den Schweizer Kanton Bern im Internet. In: Historical social research = Historische Sozialforschung, Vol. 20 (1995), No. 3, 102–133. 29 Grosjean verfasste die Ortsgeschichte von Kirchlindach, Aerni war massgeblich an den Publikationen zu Dotzigen, Hasle, Kirchberg und Oberburg beteiligt. 30 Universitätsdozenten haben in verschiedenen Ortsgeschichtsprojekten Beratungsfunk- tionen übernommen, beispielsweise die Zürcher Professoren Bruno Fritzsche und Roger Sablonier. Sablonier gründete 1988 an der Universität Zürich die Beratungsstelle für Landesgeschichte, welche gegen Bezahlung professionelle Unterstützung an Gemeinden, Ortsmuseen usw. anbietet: www.landesgeschichte.ch. 31 Baumann (wie Anm. 3), 420–422; Mesmer, Beatrix: Vorwort. In: Schneider/Python (Hrsg.) (wie Anm. 3), 9. 32 Schulze, Winfried (Hrsg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion. Göttingen, 1994 (Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1569); Iggers, Georg G.: Geschichtwissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein kritischer Überblick im internationalen Zusammenhang. Göttingen, 1993 (Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1565), 73–87; Heer, Han- nes; Ullrich, Volker (Hrsg.): Geschichte entdecken. Erfahrungen und Projekte der neuen Geschichtsbewegung. Reinbek bei Hamburg, 1985 (rororo Sachbuch, 7935); Hauptmeyer, 33 Carl-Hans: Heimatgeschichte heute. In: Hauptmeyer, Carl-Hans (Hrsg.): Landesge - schichte heute. Göttingen, 1987 (Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1522), 77–96, hier 80f., 89. 33 Brändli 2002 (wie Anm. 3), 76. Für den Kanton Bern siehe Abschnitt 3. 34 Dazu zählen Bruno Meier und Andreas Steigmeier, die u.a. mit Partnern in Baden den Verlag hier+jetzt gegründet haben, sowie Max Baumann und Dominik Sauerländer. Inner- halb der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte hat eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Peter Hug einen «Leitfaden für freiberufl iche Historiker und Historikerinnen» au s g e a rb e it e t u nd i m M ä r z 2 0 03 ve r ab s c h i e d e t . D i e s e s Pap i e r i s t i m P DF - For m at ab r u f b a r : www.sgg-ssh.ch. 35 Olten, Einwohnergemeinde (Hrsg.): Olten 1798–1991. Vom Untertanenstädtchen zum Wirtschaftspol. Olten, 1991; Neuenschwander, Heidi: Lenzburg im 19. und 20. Jahr- hundert. Aarau, 1994 (Argovia, 106,1) (Geschichte der Stadt Lenzburg, Bd. 3); Lüthi, Christian et al.: Zofi ngen im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Kleinstadt sucht ihre Rolle. Baden, 1999 (Veröffentlichungen zur Zofi nger Geschichte, Bd. 3); Hunziker, Edith et al.: Zofi ngen vom Mittelalter bis 1798. Baden, 2004 (Veröffentlichungen zur Zofi nger Ge- schichte, Bd. 4); Stadtgeschichte Brugg: In einem sechsköpfi gen Autorenteam unter der Leitung von Andreas Steigmeier entsteht bis 2005 eine Geschichte der Stadt Brugg vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Es ist eine Publikation in einem Themenband (Längs- schnitte) von 400 und einem Zeitbilderband (Querschnitte) von 200 Seiten vorgesehen. 36 Gnädinger, Beat; Spuhler, Gregor: Frauenfeld. Geschichte einer Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Frauenfeld, 1996; Länzlinger, Stefan: Amriswil. Von der Mitte des 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Amriswil, 1999; Bürgi, Michael et al. (Hrsg.): Kreuzlingen. Kinder, Konsum und Karrieren, 1874–2000. Weinfelden, 2001. 37 Die Mitglieder sind Walter Frey, Alfred Kuert, Christian Sonderegger und Marc Stampfl i. Alfred Kuert verfasste die Ortsgeschichte von Lyssach. Mündliche Auskunft von Christian Sonderegger, 2.9.2004. 38 Nah dran, weit weg. Geschichte des Kantons Basel-Landschaft. Liestal, 2001; Kreis, Georg et al. (Hrsg.): Basel – Geschichte einer städtischen Gesellschaft. Basel, 2000; Schaff- hauser Kantonsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. 3 Bde. Schaffhausen, 2001–2002; Bucher, Silvio (Hrsg.): Sankt-Galler Geschichte 2003, in neun Bänden. St. Gallen, 2003; Verein für Bündner Kulturforschung (Hrsg.): Handbuch der Bündner Geschichte. 4 Bde. Chur, 2000; Garovi, Angelo: Obwaldner Geschichte. Sarnen, 2000; Stadler-Planzer, Hans: Geschichte des Landes Uri. Schattdorf, 1993; Seiler, Christophe; Steigmeier, Andreas: Geschichte des Aargaus. Illustrierter Überblick von der Urzeit bis zur Gegen- wart. 2. Aufl . Aarau, 1998; Geschichte des Kantons Zürich. 3 Bde. Zürich, 1994–1996; Ceschi, Raffaello (ed.): Storia del Cantone Ticino. 2 Bde. Bellinzona, 1998. Zur Kantons- geschichtsschreibung: Hubler, Lucienne: Histoire(s) cantonale(s). In: Schneider/Python (wie Anm. 3), 410–416; Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 43 (1993), Nr. 4. 39 Brändli 2001 (wie Anm. 3), 337; Brändli 2002 (wie Anm. 3), 78. 40 Müller, Peter et al.: Geschichte der Gemeinde Vechigen. Boll, 1995, 7. 41 Staatsarchiv des Kantons Zürich; Stadtarchiv Zürich; Stadtarchiv Winterthur: Vom Archivdokument zur Gemeindegeschichte. Ein Wegweiser zu gemeindegeschichtlicher Arbeit im Kanton Zürich. Zürich, 1979. 42 Croix, Alain; Guyvarc’h, Didier (dir.): Guide de l’histoire locale. Faisons notre histoire. Paris, 1990. 43 Thuillier, Guy; Tulard, Jean: Histoire locale et régionale. Paris, 1992 (Que sais-je?, 2689). 44 Riden, Philip: Local history. A handbook for beginners. London, 1983; Campbell- Kease, John: A companion to local history research. London, 1989; Friar, Stephen: The Batsford companion to local history. London, 1991; Kammen, Carol: On doing local history. 2nd ed. Walnut Creek, 2003 (American association for state and local history book series), 143–155. www.h-net.org/~local; American Local History Network, 34 www.alhn.org. 45 Rauthe, Simone: Public history in den USA und der Bundesrepublik Deutschland. Essen, 2001, 150. National Council on Public History, www.ncph.org; Public History Resource Center, www.publichistory.org; H-Public Discussion Network, www.h-net.org/~public; American Historical Association, www.historians.org/info/public.htm. 46 Hauptmeyer (wie Anm. 32), 79. www.niedersaechsischer-heimatbund.de. Kammen (wie Anm. 44), 150. Am. 6.6.2002 führte die Berner einen Weiterbildungstag zum Thema «Wie entsteht eine Ortsgeschichte?» durch. Der Staatsarchivar des Kantons Bern, Peter Martig, und die drei Professoren der Universität Bern, André Holenstein, Christian Pfi ster sowie Heinrich-Richard Schmidt, traten als Referenten auf. 47 Es existieren mehrere Publikationen zu ganzen Amtsbezirken: Erlach (1974), Frutigen (1977), Konolfi ngen (1999), Oberhasli (1979). 48 Brändli 2002 (wie Anm. 3). Sebastian Brändli hat mir freundlicherweise die Zürcher Liste zur Verfügung gestellt. Die Liste zum Kanton Bern befi ndet sich im Anhang S. 27–31. 49 Dieses soziologische Profi l gilt auch für Deutschland und Frankreich. Der Geschichtspro- fessor Carl-Hans Hauptmeyer aus Hannover charakterisierte um 1985 den «Durchschnitts- typ der Heimatforscher»: «65 Jahre alt, wohnhaft in einem (…) Dorf, wirtschaftlich gut situiert, sozial abgesichert, gewisse Allgemeinbildung, sehr grosse Lernbereitschaft, lang- jähriges Interesse für Heimat und Geschichte, hohe Arbeitszeit- und Geldinvestition für die Heimatforschung.» Hauptmeyer (wie Anm. 32), 78f.; Thuillier/Tulard (wie Anm. 43), 13. 50 Pfi ster, Christian (Red.): Jegenstorf. Eine Ortsgeschichte. Jegenstorf, 1989, 7. Vgl. auch Ott, Norbert H.: Chronik. In: Jordan, Stefan (Hrsg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe. Stuttgart, 2002, 48–51. 51 Dändliker (wie Anm. 24), IV. 52 Vgl. Hauptmeyer (wie Anm. 32) 78, 91; Croix/Guyvarc’h (wie Anm. 42), 12f. 53 Meier (wie Anm. 3), 40. Eine Ausnahme bilden die Berner Stadtgeschichte, Barth/Erne/ Lüthi (wie Anm. 22), sowie die Ortsgeschichte Wohlen im 19. und 20. Jahrhundert, die zurzeit entsteht. In diesen Beispielen verfassen Historikerinnen und Historiker Texte auf der Basis eines Werkvertrages. 54 Zürcher, Christoph (Red.): Bellmund, unsere Gemeinde. Bellmund, Nidau, 1992, 5. 55 Oberburg, eine Gemeinde im unteren Emmental. Oberburg, 1992, 9. 56 Käser, Daniel et al.: Hasle bei Burgdorf. Ortsgeschichte. Burgdorf, 1995, 11. 57 Michel, Peter et al.: Grosshöchstetten. Grosshöchstetten, 1985, 5. 58 Haefeli, Ueli: Ein Dorf wird Vorstadt. Suburbanisierung am Beispiel der bernischen Agglomerationsgemeinde Münchenbuchsee. Zürich, 1996; Kuert, Alfred: Ein Dorf übt sich in Demokratie. Langenthal zwischen 1750 und 1850. Lebensverhältnisse in einem der meistbeniedenen Marktorte des Kantons Bern. Bern, 1997; Neuhaus, Gabriela: Nidau, 650 Jahre Wandlung. Nidau, 1988. Ein weiteres Beispiel ist die Dissertation von Bietenhard, Benedikt: Langnau im 18. Jahrhundert. Die Biografi e einer ländlichen Kirch- gemeinde im bernischen Ancien Régime. Thun, 1988. Diese Arbeit wurde hier nicht mitgezählt, da sie nur einen beschränkten Zeitraum und vor allem die Bevölkerungs- geschichte analysiert. 59 Hauptmeyer (wie Anm. 32), 88, stellte in Deutschland fest, dass Laienhistoriker in Ortsgeschichten meistens soziale Konfl ikte ausblenden und eine bäuerliche heile Welt darstellen. 60 Diese Erfahrung habe ich im Rahmen der Stadtgeschichte Zofi ngen gemacht: Lüthi et al. (wie Anm. 35), 103–115, 236–239. 61 Haefeli (wie Anm. 58); Schmalz, Karl Ludwig: Bolligen – Geschichte, Gemeindeentwick- lung, Heimatkunde. Bern, 1982; Zürcher (wie Anm. 54), 233–239. 62 Ziegler, Béatrice: Für eine aargauische Geschlechtergeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In: Argovia, 115 (2003), 128–137. 63 Bähler, Anna: Geschlechtergeschichte: Theorie und Umsetzung im Projekt «Stadtge- schichte Bern». Referat 23.6.2001 (wie Anm. 1); Barth, Robert; Erne, Emil; Lüthi, Chris- 35 tian: Konzept für eine Stadtgeschichte Berns im 19. und 20. Jahrhundert, 5.9.2000, 2, Typoskript. 64 Mesmer, Beatrix: Neue Wege zu alten Quellenbeständen. In: BZGH, 50 (1988), 199–213. Die gesetzliche Grundlage für die Gemeindearchive im Kanton Bern ist die Gemeindever- ordnung vom 16.12.1998, Art. 128–138. Ferner regeln die Verordnung über das Staats- archiv des Kantons Bern vom 24.6.1992 sowie die Verordnung über die Bezirksarchive vom 6.8.1943 die kantonale Archivierung. 65 Pfi ster (wie Anm. 50), 7. 66 Pfi ster, Christian; Egli, Hans-Rudolf (Hrsg.): Historisch-Statistischer Atlas des Kantons Bern 1750–1995. Umwelt, Bevölkerung, Wirtschaft, Politik. Bern, 1998, 14. 67 Zur Oral History: Haefeli, Ueli: Oral History – mehr als eine Methode der Alltagsge- schichte. In: Traverse, 1995, H. 1, 131–137; Vorländer, Herwart (Hrsg.): Oral history, mündlich erfragte Geschichte. Acht Beiträge. Göttingen, 1990 (Kleine Vandenhoeck- Reihe, 1552). Haefeli (wie Anm. 58), 147–294. Zu Ostermundigen: Mündliche Auskunft von Christian Sonderegger, 2.9.2004. Besprechung der Ortsgeschichte Ostermundigen in: BZGH, Jg. 66 (2004), 54f. 68 Jäger, Jens: Photographie: Bilder der Neuzeit. Einführung in die Historische Bild- forschung. Tübingen, 2000 (Historische Einführungen, Bd. 7); Fritzsche, Bruno: Das Bild als historische Quelle. Über den (Nicht-)Gebrauch von Bildern in der historischen For- schung. In: Volk, Andreas (Hrsg.): Vom Bild zum Text. Die Photographiebetrachtung als Quelle sozialwissenschaftlicher Erkenntnis. Zürich, 1996, 11–24; Talkenberger, Heike: Von der Illustration zur Interpretation. Das Bild als Historische Quelle. Methodische Überlegungen zur Historischen Bildkunde. In: Zeitschrift für Historische Forschung, Bd. 21 (1994), 289–313. 69 Die Gemeinde Wohlen legte ein Fotoarchiv an. Der Bund, 26.1.2002, 25. Vgl. Schürpf, Markus: Ein Kulturgut im Dilemma. Über die Situation historischer Fotografi en im Kan- ton Bern. In: BZGH, 65 (2003), 151–201, hier 179–183, Anm. 153. Ein Fotobildband liegt ausserdem für Gstaad vor: Siebenthal, Gottfried von: Gstaad, eine Reise in die Ver- gangenheit. Gstaad, 2004. 70 Der Bund, 24.2.2001, 9; 26.2.2001, 19. Mündliche Mitteilung Hans Gugger vom 20.6.2004. 71 Weber, Berchtold: Historisch-topographisches Lexikon der Stadt Bern in ihren Grenzen vor der Eingemeindung von Bümpliz am 1. Januar 1919. Bern, 1976 (Schriften der Berner Burgerbibliothek, 11); www.digibern.ch/weber. Bourquin, Werner; Bourquin, Marcus: Biel, stadtgeschichtliches Lexikon. Redaktion und Lektorat: Werner Hadorn. Biel, 1999. Vgl. Der Bund, 5.1.1999, 25. 72 Schmidt, Heinrich Richard (Hrsg.): Worber Geschichte. Bern, 2004. www.worb.ch, www.hist.unibe.ch/schmidt/worb/. 73 www.stub.unibe.ch/extern/hv/be19_20/index.html.

36 «Wir sind willens ein kronick beschriben ze lassen» Bernische Geschichtsschreibung im 16. und 17. Jahrhundert

Urs Martin Zahnd

1. Chronisten und ihre Auftraggeber

«Unnser fruntlich gruss und was wir liebs und guts vermogen zuvor, hoch- gelerter, wyser, sunders lieber und guter fründ. Wir sind willens ein kronick beschriben ze lassen. Da unns nun anzöugt und zum teyll ouch gut wüssen tragen, das ir zu sollichem togenlich syend, desshalb ann üch unnser begär wäre, wo üch sollichs ze thund anmutig, das ir zu unns keren wellend und üch solliches undernemmen, wellen wir üch zimliche besoldung darumb gebenn, namlich järlichen sechzigk gulden unnser wärung, 20 mudt dinkell und 10 fuder holtz, alls lang ir in beschrybung unnser cronicken beharren werdend, doch söllend noch werdend ir üch keiner anderer sachen dar- näbenn beladenn noch annemen, biss ir die cronicken vom burgundischen krieg biss uff dise stund ganntz und gar beschriben hand, sampt dem sich hiezwuschen zutragen wirt. Hiemit sind gott bevolchen.»1 Mit diesem Schreiben wandten sich Schultheiss und Rat von Bern am 29. Januar 1529 an den ehemaligen Berner Stadtarzt Doktor Valerius Ans- helm (1475–1547), der sich 1525 wegen des reformationsfeindlichen Klimas in Bern in seine Vaterstadt Rottweil zurückgezogen hatte. Jetzt, wenige Monate nach dem Durchbruch der Reformation in Stadt und Landschaft Bern, wurde Valerius Anshelm in aller Form ersucht, als offi ziell bestallter städtischer Chronist die unmittelbare Vergangenheit des Stadtstaates Bern, den Schwabenkrieg, die oberitalienischen Feldzüge und vor allem die Refor- mationsgeschichte, in einem repräsentativen Geschichtswerk festzuhalten. Valerius Anshelm nahm die Berufung an, übersiedelte noch im Frühjahr 1529 nach Bern, bezog eine Amtswohnung im ehemaligen Dominikanerin- nenkloster St. Michael und begann mit der Arbeit an seiner Chronik.2 Rund 100 Jahre später, am 30. Dezember 1624, schrieb der bernische Ratsschreiber ins Ratsmanual: «Als dann myn gnädiger herr schultheiss Manuel by mynen gnedigen herrn anzug gethan, wie das herr Stephen Schmidt us anlass herr alt landtvogt Michel Stettlers ime fürgebracht, es möchtend irer vil uss der burgerschaft es wünschen, dass er, herr Stettler, der statt cronicken zu menklichen nitt unfruchtbare und lehrryche nach- 37 richt in offnen truck geben wolle, darufhin er so wol ime, herrn Steffen Schmidt, als ir gnaden, herrn schultheissen ettliche ckurz beschribne cahier fürgewisen, zu erschouwen, ob ein sölliche form in beschrybung diser statt denkwürdigen sachen gebrucht und volgends under die press gelegt werden möchte. Jedoch dass hierzu einer verordnet werde, der jeder zyt ufachtung habe, was ze trucken oder ze underlassen sye, also sölliches ir gnaden gefal- len heimgesetzt. Habendt dieselben uss vilen wollbedencklichen ryffen gründen und motiven […] angesechen, dass herr Stettler einmal undt be- vorderst albereit beschribne sachen herrn stattschryber überlifferen sölle, damit sy durch denselben meinen herrn den herren rhäten von einem zum anndern communiciert werdindt, uf das die notdurfft hierüber deliberiert werde, und ime, herrn Stettler, im übrigen heimgesetzt syn, in söllicher kurtzen form die geschichten und verhandlungen dieser statt untz zum paner zug zu beschryben.»3 Erneut befassten sich Schultheiss und Räte mit der historischen Auf- arbeitung der jüngeren bernischen Vergangenheit, das Thema wurde sogar vom Schultheissen persönlich zur Diskussion gestellt. Diesmal ging es aber nicht nur um die Niederschrift eines repräsentativ ausgestatteten, in erster Linie für die Obrigkeit bestimmten Einzelmanuskriptes, das mit seinen Vor- gängern zusammen in die «Stadtkiste» (ins Archiv) zu liegen käme, sondern um eine Chronik, die durch den Druck einer breiteren Öffentlichkeit zu- gänglich gemacht werden sollte. Deshalb wollten die Ratsherren sich auch ein möglichst genaues Bild vom Charakter des geplanten Werkes machen und verlangten, die ersten Druckbogen seien dem Rat vorzulegen. Diese Massenzensur scheint günstig ausgefallen zu sein: Am 25. März 1625 er - hielt Michael Stettler (1580–1642) die Erlaubnis, sein Werk in Druck zu geben.4 Der Unterschied zwischen den beiden Chronik-Projekten ist zwar nicht zu übersehen: Das Werk Anshelms wurde durch die Initiative der städti- schen Obrigkeit initiiert, der Rat ersuchte den Autor, sich mit der berni- schen Geschichte zu befassen. Im Gegensatz dazu ging die Anregung zur Drucklegung von Michael Stettlers Chronik vom Autor aus (beziehungs- weise von seinem Umkreis), der Rat musste von der Nützlichkeit des Unter- fangens zuerst überzeugt werden. Dennoch dürfen die Gemeinsamkeiten in der Ausgangslage nicht übersehen werden: In beiden Fällen belegen die Chroniken das grosse Interesse der bernischen Obrigkeit an der Geschichte, insbesondere der jüngeren Vergangenheit des eigenen Staatswesens. Valerius Anshelm erhielt als Stadtchronist ein festes Jahreseinkommen in Geld und Naturalien sowie eine Amtswohnung, und mehrfach wandte sich der Rat sogar an befreundete eidgenössische Regierungen (Zürich, Luzern, Schaff- hausen), um dem Chronisten Abschriften wichtiger Dokumente aus frem- 38 den Archiven zu verschaffen. Der Staatsbeamte Michael Stettler wurde bereits für seine früheren, handschriftlich festgehaltenen historischen Ar- beiten mit namhaften fi nanziellen Zuwendungen aus der Staatskasse und für sein Publikationsprojekt mit einem Druckprivileg bedacht.5 Sowohl Valerius Anshelm als auch Michael Stettler sind mit ihren Wer- ken in die bemerkenswerte Tradition der im Spätmittelalter einsetzenden offi ziellen bernischen Geschichtsschreibung einzuordnen: Nach der Erobe- rung des Aargaus, nach der Beendigung des Walliser-Krieges und nach den Besuchen von Papst und König erhielt Conrad Justinger (gestorben 1438) 1420 von der Obrigkeit den Auftrag, die Stadtgeschichte in einer repräsen- tativen Chronik festzuhalten; nach der Überwindung innerer Gegensätze, nach dem siegreich bestandenen Burgunderkrieg sowie nach der Konsolidie- rung der eigenen Machtstellung im westlichen Mittelland sollte um 1480 Diebold Schillings Darstellung der bernischen Geschichte in Wort und Bild den nun beanspruchten Rang der Kommune sichtbar machen.6 Und in be- wusster Anknüpfung an diese Werke erhielt Valerius Anshelm den Auftrag, die Denkwürdigkeiten der jüngst vergangenen Jahrzehnte zu sichten, zu deuten und dem Gedächtnis der Nachfolgenden zu erhalten. 100 Jahre spä- ter, mitten im Dreissigjährigen Krieg, verlangten Angehörige des Grossen Rates, der territoriale Aufstieg der Republik, die Behauptung des Gewon- nenen und die Bewahrung vor Kriegsgräueln seien allen Interessierten in der Darstellung Michael Stettlers vor Augen zu führen.

2. Valerius Anshelm und Michael Stettler: Umfeld, Biografi e, Werk

Zweifellos sind Valerius Anshelm und Michael Stettler die beiden bekann- testen bernischen Historiker des 16. und 17. Jahrhunderts. Das heisst aber nicht, dass sich nicht auch andere Berner in der fraglichen Zeit mit Ge- schichte, insbesondere mit Zeitgeschichte, auseinander gesetzt hätten. Lud- wig Schwinkhart (1495–1522), seit 1517 Mitglied des Grossen Rates von Bern, schrieb nach 1519 eine eidgenössische Chronik der Jahre 1507 bis 1521 aus bernischer Sicht, in die er seine Erfahrungen mit dem Kriegshand- werk und mit den Verstrickungen der Eidgenossen in die grosse Politik ein- fl iessen liess; 1522 fi el er in der Schlacht bei Bicocca, seine Chronik blieb Torso.7 Samuel Zehender (1529–1564) wurde nach Garde- und Solddiens- ten in Italien und Frankreich Chorgerichtsschreiber in Bern, gelangte 1558 in den Grossen Rat und erlag 1564 der Pest. In seinem «Memorial» hielt er fest, was ihm denkwürdig erschien: Witterung und Lebensmittelpreise, Ver- brechen und Ratsverhandlungen – Letztere für den Historiker von Interesse, weil sie ungewöhnliche Einblicke in die bernische Politik unmittelbar vor dem Lausanner Frieden von 1564 erlauben.8 Zweifellos besass auch Johan- nes Haller (1523–1575), seit 1552 Dekan am Berner Münster, historische 39 Abb. 1 Erste Seite des Autographs von Valerius Anshelms Chronik. Der um 1530 in einer typischen Humanisten-Handschrift geschriebene Text zeigt den Beginn der Vor- rede mit der Majuskel-Invokation (JHS = Jesus Hominum Salvator).

Interessen; dafür zeugen seine Exzerpte aus Schilling und Anshelm. Sein «Chronicon breve Ecclesiae et Reipublicae Bernensis» ist aber doch eher eine Sammlung von Memorabilia aus den Jahren 1550 bis 1573 als ge - staltete Geschichtsschreibung. Entsprechendes gilt für Abraham Müslin (1534–1591), den Fortsetzer von Hallers Aufzeichnungen in den Jahren 1574 bis 1587.9 Aus dem 17. Jahrhundert sind, abgesehen von den frühen Arbeiten Michael Stettlers, keine privaten historischen Arbeiten zur eidgenössischen oder bernischen Geschichte überliefert worden, auch Chronikprojekte lassen sich keine belegen. Sowohl der Landwirt Jodokus Jost (zirka 1590–1657) aus Brechershäusern (Wynigen) und der Pfarrer Michael Ringier (1585–1661) von Birr als auch die Ratsherren Gabriel von Weiss (1613–1684) und Karl Manuel (1645–1700) verfassten zwar durchaus lesenswerte Tagebücher und Aufzeichnungen. Den historischen Rahmen dieser Denkwürdigkeiten klammerten sie aber aus, sei es, weil ihnen der Überblick dazu fehlte, sei es aus Vorsicht vor unerwünschten Lesern.10 Ferner verfassten Gabriel Hermann (1556–1631) und Wilhelm Lutz (1625–1708) als Schulmeister an der deutschen Schule von Bern zwar ein wichtiges Stück Schulgeschichte, indem sie die Umformung der ursprünglich privaten Elementarschule zur 40 staatlichen Volksschule (nach 1594) beziehungsweise den Schulalltag im ausgehenden 17. Jahrhundert zu ihrem Thema machten; eine Darstellung der allgemeinen Geschichte ihrer Zeit strebten sie aber nicht an.11 Damit wird deutlich: Valerius Anshelm und Michael Stettler waren im bernischen Umfeld des 16. und 17. Jahrhunderts singuläre Erscheinungen. Als einzige versuchten sie, von ihrem bernischen Standort aus das histori- sche Geschehen der unmittelbaren Vergangenheit und Gegenwart möglichst umfassend zu sammeln, prüfend zu sichten und ordnend zu deuten. Wie ihren Vorgängern Konrad Justinger und Diebold Schilling standen ihnen für ihre Arbeit nicht nur die Dokumente des städtischen Archivs zur Verfü- gung, sondern auch die Werke ihrer Vorgänger, die sich in der Büchersamm- lung des Rates befanden. Zwar hebt Valerius Anshelm in der Einleitung zu seiner Chronik hervor, er benütze die Darstellung Schillings lediglich «mit vorgönder besserung des anfangs bschribner kronick».12 Michael Stettler betont aber mehrmals, wie hoch er die Arbeit seines Vorgängers Valerius Anshelm schätze, habe er doch für seine Arbeit «bevorderst unter andern E.G. Statt Chronik, und fürnemblich den Hochgelehrten Valerium Ans- helmum, gewesenen Statt-Artzt, so drei Theil oder Bücher […] beschriben hat»13 verwendet. Und dieses Interesse erstreckt sich durchaus auch auf die Person Valerius Anshelms: Michael Stettler rückt in seine Chronik Nach- richten über den Vorgänger ein, die in dessen eigener Chronik nicht erwähnt werden, zum Beispiel einen Brief Berchtold Hallers von 1527 an den in Rottweil lebenden ehemaligen Stadtarzt oder die Nachricht von dessen Er- nennung zum Berner Stadt-Chronisten im Jahre 1529.14 Angesichts der engen Beziehungen Stettlers zu Anshelms Werk ist eine vergleichende Betrachtung der beiden Chroniken zweifellos hilfreich. Ein kurzer Blick auf Leben und Werk der beiden Historiker erlaubt, den äussern Rahmen dazu abzustecken.

Valerius Anshelm

Valerius entstammte der angesehenen Familie Anshelm, genannt Ryd, aus dem schwäbischen Rottweil; sein Geburtsjahr ist unbekannt. 1492 hielt er sich in Krakau auf, am 23. April 1493 immatrikulierte er sich an der dorti- gen Universität und 1495 wurde er Baccalaureus artium. 1496 setzte er seine Studien in Tübingen und 1501 in Lyon fort. Wie verschiedene andere Rottweiler Gelehrte und Handwerker des 15. und 16. Jahrhunderts (unter anderen der Chronist Konrad Justinger, die Schulrektoren Michael Röttli und Melchior Volmar, der Baumeister Johannes Hetzel oder der Theologe Berchtold Haller) liess sich Valerius Anshelm nach seinem Studienabschluss in Bern nieder, wo ihn der Rat am 22. August 1505 als Nachfolger von Heinrich Wölfl i zum Leiter der städtischen Lateinschule und 1509 zum Stadtarzt ernannte. In regem Gedankenaustausch mit Berchtold Haller 41 Abb. 2 Erste Seite der amtlichen Abschrift von Valerius Anshelms Chronik. Der Berner Rat beauftragte nach 1532 mehrere Schrei- ber, das Autograph Valerius Anshelms in repräsentativer Schönschrift auf Pergament zu kopieren. Die abgebildete Seite aus dem ersten Band schrieb Peter Paul Anshelm (gestorben um 1545), einer der Söhne des Chronisten.

(1494–1536), Ulrich Zwingli (1484–1531) und Joachim Vadian (1484– 1551) verfolgte er das Wirken Martin Luthers (1483–1546) und zählte bereits um 1520 zu den überzeugten Anhängern der Reformation in Bern. Eine unvorsichtige Bemerkung von Anshelms Gattin Elsbeth Huber über die Wirksamkeit von Gebeten an die Jungfrau und die Berechtigung des Zölibates trugen dem Stadtarzt 1523 nicht nur eine Rüge des Rates, son- dern auch eine empfi ndliche Lohnkürzung ein. Verschnupft über diese Be- handlung, gab Valerius Anshelm sein Berner Amt auf und zog sich 1525 in seine Vaterstadt Rottweil zurück. Allerdings geriet er auch hier in die Aus- einandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern der Reformation, die darin gipfelten, dass die Protestanten 1529 aus der Stadt verbannt wurden. Deshalb bemühte sich Anshelm nach dem Durchbruch der Reformation in Bern, in der Aarestadt erneut ein Amt zu erhalten. Erfüllt wurde dieser Wunsch 1529 mit der eingangs zitierten Ernennung zum Berner Stadt- Chronisten. Wieweit bei diesem Auftrag die Vermittlung Ulrich Zwinglis eine Rolle gespielt hat, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Nach seiner Übersiedlung nach Bern im Frühjahr 1529 begann Valerius Anshelm mit der Arbeit an seiner Chronik, mit der er, abgesehen von sporadischer ärzt- licher Tätigkeit (1535–1537 erneut als Stadtarzt), bis zu seinem Tod Anfang 42 1547 beschäftigt war.15 Die bernische Obrigkeit beauftragte nicht von ungefähr Valerius Ans- helm damit, die Geschichte des Stadtstaates Bern von den Burgunderkriegen bis zur Gegenwart darzustellen, hatte sich der Stadtarzt doch bereits um 1510 mit historischen Fragen beschäftigt und unter dem Titel «Catalogus annorum et principum geminus ab homine condito usque in praesentum […]» ein lateinisches Kompendium der Weltgeschichte verfasst, das er in Ab- schriften verschiedenen hohen Herren, in deutscher Übersetzung auch dem bernischen Rat zukommen liess. 1540 wurde das Werk in Bern bei Apiarius gedruckt. Bereits 1520 beabsichtigte der Rat, Valerius Anshelm mit der Fort- setzung der Stadtchronik zu betrauen. Ob ein erster Auftrag bereits damals erteilt worden ist, lässt sich nicht eruieren. Ebenso unklar ist, ob Anshelm die eine Fassung der doppelt überlieferten Darstellungen der Jahre 1474 bis 1477 und die in sich geschlossene, das annalistische Prinzip durchbrechende Erzählung des Jetzer-Handels schon in der ersten Hälfte der 1520er-Jahre verfasst hat. Der Hauptteil der Chronik entstand sicher erst nach 1529. Überliefert wurde Anshelms Text in zwei Fassungen: Zum einen blieb sein Autograph in vier Bänden erhalten (I: 1032–1499; II: 1500–1511; III: 1512– 1526; IV: 1526–1536). Die Blätter des vierten Bandes hinterliess der Autor allerdings in unfertigem Zustand, einige gingen verloren und andere blieben lediglich in der Abschrift Michael Stettlers erhalten, der die losen Lagen zu Beginn des 17. Jahrhunderts sammelte und einbinden liess. Zum anderen liegt die Chronik in vier repräsentativen, auf Pergament geschriebenen Bän- den vor, die der Rat zwischen 1532 und 1552 von verschiedenen Berner Kanzlisten nach Anshelms Autograph anfertigen liess; sie umfassen aller- dings nur die Geschehnisse bis 1525.16 Sowohl Autograph als auch Rein- schrift gelangten ins bernische Archiv und blieben damit während langer Zeit lediglich einem kleinen Kreis von Interessierten zugänglich. Die Zahl der Abschriften von Valerius Anshelms Werk in Privatbibliotheken ist auf- fallend gering. Ob die Auftraggeber mit dem Werk des Chronisten zufrieden gewesen sind, ob es ihren Erwartungen entsprochen hat, bleibt ungewiss.17

Michael Stettler

Michael Stettler, 1580 in Bern geboren, entstammte einer Handwerker- familie, studierte in Lausanne oder Genf vermutlich Jurisprudenz, bereiste 1599/1600 Frankreich, England und Italien und wurde nach seiner Rück- kehr 1601 als bernischer Notar vereidigt. 1605 begann er seine Ämter- laufbahn als Chor- und Ehegerichtsschreiber, 1606 wurde er Mitglied des Grossen Rates, 1610 Deutschseckelschreiber, von 1616 bis 1620 verwaltete er die Landvogtei Oron und von 1627 bis 1629 diejenige von St. Johannsen. Danach versah er bis zu seinem Tod 1642 das Amt eines Oberkommissärs der welschen Lande.18 43 Die ersten schriftstellerischen Versuche Michael Stettlers galten der Poesie: Um 1600 verfasste er einen Bericht über seine Studienreise in Versen, 1602 ein Gedicht zu Ehren der Eidgenossenschaft und eines zum Lob des Bundes zwischen Bern und Graubünden vom selben Jahr, 1605 folgte eine Tragikomödie über den Ursprung der Eidgenossenschaft (in 33 Akten!), 1606 ein Hochzeitsspiel zur Vermählung von Schultheiss Albrecht Manuel und 1609 eine Komödie über die Erbauung Berns in 19 Akten. Parallel zu diesen dichterischen Versuchen beschäftigten Michael Stettler aber auch historische Arbeiten: Zwischen 1602 und 1609 fertigte er Abschriften der Chroniken von Justinger, Tschachtlan, Schilling und vor allem von Anshelm an und stellte ein erstes «Konzept helvetischer Sachen» der Jahre 1272 bis 1519 zusammen. Von den Ratsherren Anton von Graffenried (1573–1628), Theobald von Erlach (1561–1622) und David Fellenberg (1587–1628) er- muntert, ersuchte er den Rat, ihn mit der Fortsetzung der Stadtchronik Va- lerius Anshelms zu betrauen, ein Auftrag, den er 1614 auch wirklich erhielt. Bereits am 22. Dezember 1614 überreichte er der Obrigkeit den ersten Teil seines «Verzeichnus oder Zythregister der loplichen Stadt Bern Geschich- ten» in drei Bänden mit der Darstellung der Jahre 1527 bis 1587. Ein vierter Band mit den Geschehnissen von 1588 bis 1616 folgte 1616. Während seiner Amtszeit in Oron überarbeitete Michael Stettler dieses Zeitregister und überreichte 1623 dem Rat die verbesserte Fassung der «Berner Chronik» von 1526 bis 1610 in zehn kalligrafi sch und buchbinderisch reich ausge- statteten Bänden. Anschliessend beschäftigte er sich in einem vierbändigen Zeitregister mit der älteren Geschichte der Stadt Bern, das heisst mit den Jahren 1191 bis 1477, das er 1624 abschloss. Und 1624/25 schliesslich er- hielt er die eingangs erwähnte Erlaubnis des Rates, sein Werk auch im Druck zu veröffentlichen. Der Titel des ersten Bandes dieser gedruckten Chronik, der im Frühjahr 1626 erschienen ist und bis zum Jahr 1527 reicht, lautet: «Grundliche Beschreibung Nüchtländischer Geschichten»; er wurde für den Ende 1626 erschienenen zweiten Band (1528–1626) in «Chronikon oder Grundliche Beschreibung der denckwürdigsten sachen und thaten, welche in den helvetischen Landen […] verloffen» geändert und in der Ausgabe von 1631 (mit einem Anhang über die Jahre 1627–1630) durch «Schweitzer- Chronic, das ist, Gründliche und wahrhafte Beschreibung der fürnehmsten Jahresgeschichten […]» ersetzt. Für dieses publizierte Werk erhielt Michael Stettler vom Rat ein Privileg zum Schutz vor Nachdrucken.19 Michael Stett- lers Arbeit als Historiker wurde in seiner Zeit offensichtlich geschätzt; das belegen nicht nur die Geldgeschenke des Rates und das Drängen der Mit- bürger, sein Werk zu publizieren, sondern auch die Abschriften, die sich interessierte Kreise bereits von der ersten Fassung des Zeitregisters anlegen liessen.20 Es steht ausser Zweifel: Michael Stettler erfüllte die Erwartungen 44 bestens, die seine bernischen Zeitgenossen an einen Chronisten stellten. Abb. 3 Titelbild von Michael Stettlers Berner Chronik, Band A. Michael Stettler liess sein (nicht erhaltenes) Autograph der Berner Chronik von Berufsschreibern kopieren und mit kalligrafi schen Auszierungen und reich gestalteten Titelblättern versehen. 45 Die äusseren Lebensumstände von Valerius Anshelm und Michael Stettler sind von auffallender Ähnlichkeit: Beide verfügten über eine um- fassende schulische Bildung, beide sahen sich vor ihrem Wirken in Bern in der Welt um, beide durchliefen in der Aarestadt eine ansehnliche Beamten- karriere in Schule und Gesundheitswesen beziehungsweise in der Kanzlei. Zwar kam Anshelm als Fremder nach Bern. Noch um 1500 wurden aber neu Zugewanderte ohne Berührungsängste in Stadt und Burgerschaft auf- genommen, insbesondere wenn es sich um Angehörige befreundeter Kom- munen und vor allem um dringend benötigte Fachkräfte handelte.21 Weder Anshelm noch Stettler wurden Mitglieder des Kleinen Rates. Sie standen zwar von ihren Funktionen her in engem Kontakt mit den Angehörigen der entscheidenden Führungsgruppen, gehörten aber selber weder politisch, noch gesellschaftlich, noch wirtschaftlich der Schicht des sich allmählich abschliessenden Patriziates an. Sowohl Anshelm als auch Stettler erfuhren als Chronisten in hohem Mass die Unterstützung der Obrigkeit: Beide konnten sich in ihrer Darstellung auf die Quellen im obrigkeitlichen Archiv stützen und zahlreiche Akten im Wortlaut in ihren Chroniktext einbauen, der «auff authentische Gewarsame, Eydgnössische und andere Abscheyden, Raths-Bücher, Bericht, Missiven, und dergleichen Sachen gegründet, unnd desswegen an der Warheit beschriebener Geschichten keinswegs zuzweif- feln»22 sei. Die Berührungspunkte zwischen Valerius Anshelm und Michael Stett- ler zeigen sich auch im Aufbau und in der äusseren Gestaltung ihrer Chro- niken. Beide folgen mit ihrer Anordnung des Stoffes nach einzelnen Jahren der von den Humanisten erneuerten Tradition annalistischer Geschichts- schreibung. Sowohl Anshelm als auch Stettler eröffnen jedes Jahreskapitel mit der Nennung der jeweils regierenden Häupter der Christenheit: Papst (auch nach der Reformation!), Kaiser, französischer König, englischer Kö- nig, Herzog von Savoyen (die beiden Letzteren nur bei Stettler) und Schult- heiss von Bern. Nach dieser Aufzählung der Obrigkeiten wenden sich in der Regel beide zuerst der Kirchen- und Konfessionsgeschichte zu, danach den politischen Verhältnissen in Europa, in der Eidgenossenschaft und in Bern. Das von Michael Stettler angekündigte Gliederungsschema (Religions- sachen – politische Sachen, das heisst Aussenpolitik – Civilische Sachen – Stadtsatzungen) hält er allerdings weder in seiner Berner noch in seiner Schweizer Chronik wirklich ein. Und schliesslich liegt das Hauptaugenmerk bei beiden auf der unmittelbaren Vorgeschichte ihrer eigenen Zeit, bei Anshelm auf den Jahren 1477 bis 1536, bei Stettler auf den Jahren 1527 bis 1631.23

46 3. Wozu Geschichte? Refl exionen Valerius Anshelms und Michael Stettlers

Bei aller Verwandtschaft in der Gestaltung und im formalen Aufbau, die die Chroniken Valerius Anshelms und Michael Stettlers verbindet, dürfen aber die deutlichen Unterschiede zwischen den beiden Werken nicht übersehen werden. Die Unterschiede lassen sich nicht nur auf die veränderten Um- stände der Abfassungszeit zurückführen; vielmehr liegen sie in der unter- schiedlichen Zielsetzung der beiden Autoren und in ihrem unterschiedlichen Charakter begründet. Einen ersten Einblick erlauben hier die jeweiligen Chronik-Einleitungen. Valerius Anshelm eröffnet sein Werk mit einem um- fangreichen Prolog, in dem er sich zur Aufgabe der Geschichtsschreibung insgesamt und zum Zweck seiner vorliegenden Chronik im Besondern äus- sert. Er hebt die Bedeutung der Geschichtsschreibung hervor: Nicht von un- gefähr seien im alten Orient die obersten Priester für die Überlieferung der Vergangenheit verantwortlich gewesen. Allein die schriftlich fi xierte Dar- stellung der Vergangenheit verhindere, dass Recht und Unrecht vergessen werde, und nur dieses Wissen erlaube es den Menschen (im Gegensatz zu den Tieren) zu lernen, was in ihren Tagen gut, was böse sei. Deshalb habe er die Berner Chronistenstelle angenommen «zu nutz, rat und tat, ze volgen oder ze fl ühen, ze riemen oder zu schelten, den ietzt wesenden und nach- kommenden dienlich».24 Er umreisst genau, was den Menschen förderlich sei, was richtiges, gutes politisches Handeln auszeichne: Damit Menschen friedlich zusammenleben könnten, benötigten die Regierenden sowohl Weisheit (im Gegensatz zu Ehrgeiz und Eigennutz) als auch Stärke der Ge- sinnung (nicht allein militärische Macht). In Anlehnung an Platon betont Anshelm, in der Politik verkomme Weisheit allein zu Schwäche, Stärke allein zu Tyrannei. Wo die Balance aber eingehalten werde, da breiteten sich Gerechtigkeit, Gemeinsinn, Liebe, Gehorsam, Ordnung, Einmütigkeit, Stärke, Arbeit, Wohlstand, Ehre und Friede aus; wo diese Balance nicht erreicht werde, da ende menschliche Gemeinschaft in Eigennutz, Zwie- tracht, Schande und Verderben. Ganz im Sinn spätantiker und hochmittel- alterlicher Konzepte deutet Anshelm Geschichte, auch die Geschichte der Stadt Bern, stets als Handeln Gottes mit der Welt. Bezeichnenderweise stützt er sich bei seiner Darstellung der Reichsgeschichte zur Zeit der An- fänge Berns unter anderem auf Otto von Freising (um 1112–1158). Er ist überzeugt, dass Regenten ihre Herrschaft zwar von Gott erhielten, dass er sie aber Unwürdigen auch wieder wegnehme. «Und das ists glückrad, darin der ganzen welt unbeständiger stand stetz umgat, welches nit, wie doch vil witziger narren meinend, das gestirn, sunder die gwaltige hand Gotz tribt alle sine welt, nach sinem almächtigen, frien willen, durch gebürliche mittel verwaltend und verschaffend.»25 Diese Abhängigkeit sieht er auch im Fall 47 Berns gegeben: Die Blüte der Stadt sei die Folge ihrer Gottesfurcht; weil Recht und Gesetz für alle, für Obrigkeit und Untertanen, gleichermassen gegolten habe, sei auch ihre Politik erfolgreich gewesen: «Si welle und sol ir êr wol bedencken, und Got siner richlichen gaben andächtig danken».26 Die Autoritäten, auf die er sich in seiner Argumentation beruft, sind – bei einem humanistisch gebildeten Chronisten eher ungewöhnlich – nicht in erster Linie antike Autoren, sondern vornehmlich Propheten und Weisheits- lehren des Alten Testaments (Hiob, Jeremia, Weisheit Salomos, Jesus Sirach, Hosea). Konsequenterweise leitet er den Prolog der Chronik mit einer Invo- kation ein und beschliesst dessen ersten Teil mit einem Gebet.27 Auch Michael Stettler hat seinen historischen Arbeiten breit angelegte Einleitungen vorangestellt. Sowohl in der zehnbändigen Berner Chronik als auch in der Schweizer Chronik bezeichnet er sie als Dedikationen (Wid- mungen) und Vorreden, wobei er sich in den Dedikationen Gedanken zur Arbeit des Chronisten macht, in den Vorreden auf den Stoff eingeht, den er im nachfolgenden Band darstellen will. Auch Stettler hält die Vergangenheit fest, damit die Gegenwart daraus ihre Einsicht und ihren Nutzen ziehen könne, «also dass Historien wissen ein gewisse anleyt- und zubereitung ist zu aller Weltlichen fürsichtigen Regierung und der aller beste Schulmeister, der allerley verenderung des Glücks recht verwalten und tragen lernet»28; wer dieses Glücksrad in Bewegung hält, erörtert Stettler allerdings nicht. Seine These von der notwendigen Unterweisung der Regenten durch die Geschichte untermauert er mit zahlreichen Verweisen auf Sentenzen antiker Autoren: Angesichts der Erfolge bernischer Politik verweist er als Erklärung auf Cicero, «da er spricht: geschefte ervordrent die arbeit, gfar die stercke, verhandlung die geschickligkeit und volfürung die schlünige abfertigung».29 Sein Urteil über die Kriegstüchtigkeit der Eidgenossen untermauert er mit der Charakterisierung der Helvetier bei Tacitus, und für die Umschreibung bernischer Regenten-Tugenden beruft er sich auf Sueton und Euripides. Zwar weiss auch er um die Bedeutung von Gottesfurcht und Gerechtig- keit, und mehrmals ruft er zur Dankbarkeit auf für den Wohlstand und Frieden, der den Eidgenossen inmitten der Kriegsgräuel erhalten geblieben sei.30 Dass Stettler seine Chroniken aber im Bemühen geschrieben hätte, das von ihm dargestellte Geschehen in einem heilsgeschichtlich gedeuteten Rahmen zu verorten, davon kann keine Rede sein. Vielmehr strebt er eine gewissenhafte, auf respektvollem Umgang mit dem Werk der Vorgänger und auf sorgfältiger Aufarbeitung der Archivalien beruhende Anordnung historischer Ereignisse an. Bezeichnenderweise werden seine Dedikationen zwar von volltönenden, barocken Widmungen an Schultheiss und Rat von Bern eingeleitet, denen in der Druckfassung von 1631 auf neun Seiten Lob- gedichte auf das vollendete Werk folgen; Invokationen oder Gebetsformen 48 tauchen aber nirgends auf. 4. Ausgewählte Chronikpartien im Vergleich

Burgunderkriege und Mailänderfeldzüge

In welcher Weise haben nun diese unterschiedlichen Auffassungen von Wesen und Funktion der Geschichte auch Valerius Anshelms und Michael Stettlers Darstellungen einzelner historischer Ereignisse geprägt? Diese Frage soll geklärt werden aufgrund eines Vergleiches einzelner Aspekte von Anshelms und Stettlers Ausführungen zu den Jahren 1474 bis 1536. Dieser Zeitausschnitt bietet sich an, weil es sich um die einzige Epoche handelt, die in der Darstellung beider Chronisten vorliegt. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass Stettler die Geschehnisse von den Burgunderkriegen bis zur Reformation (abgesehen von den Entwürfen in seinem Konzept helvetischer Sachen von 1609) erst in seinem letzten Werk, der gedruckten Schweizer Chronik von 1626–1631, aufgearbeitet hat. Die Vermutung liegt nahe, es hätten hier nicht nur praktische Überlegungen mitgespielt, sondern auch eine gewisse Scheu Stettlers, das eigene Schaffen neben das Werk des ver- ehrten Vorgängers zu stellen. Valerius Anshelm wirft einen durchaus kritischen Blick auf die jüngere Vergangenheit und die Gegenwart Berns sowie der übrigen eidgenössischen Orte. Seit den Burgunderkriegen herrsche die Gier nach Geld, nach Pensio- nen auswärtiger Mächte, ersetzten Solddienste die Arbeit in Landwirtschaft und Handwerk, gerieten die alten Tugenden ins Hintertreffen. Auslöser der unseligen Entwicklung sei die gegen Karl den Kühnen von Burgund ge- richtete französische Politik, insbesondere Ludwigs XI., gewesen. In einem eigenen Kapitel wendet er sich dem Valois-König zu, schildert ihn als un- gehorsamen Sohn, als Ränkeschmied, als Verführer der Berner und Eidge- nossen. Verblendet vom französischen Gold sei der Krieg gegen Burgund ausgelöst worden, hätten sich Ludwigs Interessen durchgesetzt, der «wie wol er zu allen nötten der Eidgnossen zum höchsten um zustand gemanet ward, dennocht, durch kunst und glück siner verpensionierten jägermeistren, ent- hielt er sich den ganzen krieg uss, dass er um halb gelt, zulugend wie der fuchs uf den roub, stil sass, und liess si uf ire weg und glück angehözt jagen».31 Entsprechend beurteilt Anshelm die bernischen Politiker: Der um einen Ausgleich mit Burgund bemühte Adrian von Bubenberg (zirka 1434– 1479) ist für ihn das Muster eines edlen, weisen, tapferen und strengen Ritters, dessen Politik leider dem Einfl uss des französischen Geldes unter- legen sei. Niklaus von Diesbach (1430–1475), der einem neuen Geschlecht entstammende, kluge, wortgewandte, kontaktfreudige und gastfreundliche Gegenspieler Bubenbergs im Rat, ist in seinen Augen der Mann, der Bern den französischen Pensionen und Soldgeldern geöffnet hat.32 Wohl aner- kennt Anshelm die militärische Leistung der Eidgenossen in den Schlachten 49 gegen den Herzog von Burgund; insgesamt kritisiert er aber die Burgunder- kriege und deren Folgen mit aller Schärfe, sei doch nun das Geld der euro- päischen Könige und Fürsten Herr im Lande geworden: «und welcher am meisten hat geben, der hat bi disen gwerbslüten den stärksten gunst und anhang gewunnen, so doch ir lobrichen fromen altvordren uber 250 jar uber alle Tütsche nationen gerüemt und geachtet sind worden, als die, so einige gerechtigkeit und êrbarkeit ansehid».33 Deutlich hebt er sich mit die- ser Sicht der Dinge von der Darstellung seines Vorgängers Diebold Schilling ab, auf dessen mangelnde Klarsicht und Voreingenommenheit Anshelm mehrfach hinweist. Unverkennbar hat dieses Bild von den Burgunderkrie- gen bis hin zum Schaffen eines Richard Feller (1877–1958) nachgewirkt.34 Diesen kritischen Blick auf die Zeit der Burgunderkriege gestattet sich Michael Stettler nirgends. Er lobt die Ewige Richtung von 1474 ebenso wie die Übereinkunft mit Ludwig XI., stellt sowohl Adrian von Bubenberg als auch Niklaus von Diesbach in freundlichem Licht dar, ohne auf die per- sönlichen und politischen Gegensätze im bernischen Rat im Vorfeld der Burgunderkriege einzugehen, und meldet auch das Einsetzen der fran- zösischen Pensionszahlungen ohne jeden kritischen Unterton. Letzteres ist umso erstaunlicher, als er im unmittelbaren Anschluss daran anführt, die Nachbarstadt Freiburg habe das Pensionsangebot mit der Begründung aus- geschlagen, «sie hetten wenig Volcks, das wolten sie nicht also von Gelts wegen hinweg senden noch sich mit einichem Fürsten unnd Herren inn das künfftige verbinden».35 Valerius Anshelm erkennt den Höhepunkt der verwerfl ichen Entwick- lung in der Verstrickung Berns und der Eidgenossen in die oberitalienischen Kriege, in der Abhängigkeit von französischem, kaiserlichem, päpstlichem, mailändischem Geld. Pensions- und Soldzahlungen weckten die Habgier, vergifteten die Stimmung, führten zum Zwiespalt in und zwischen den Orten, hätten die Verrohung der Sitten zur Folge und zerrütteten die Be- ziehungen zwischen Stadt und Land, zwischen Obrigkeit und Untertanen. Am markantesten holt Anshelm bei der Schilderung der Niederlage von Marignano 1515 zur Schelte aus, denn «zweiung, unbeständikeit, git und nid gepêrit: warlich nüt dan schand, schaden, verderbung und zerstörung aller fromkeit, ufrechtikeit und êren».36 Bereits das Bündnis der Eidgenossen vom 17. Juli 1515 mit dem Papst, dem Kaiser, dem spanischen König, dem Herzog von Mailand und anderen kommentiert er mit dem Hinweis, der lange und wohl gesetzte, aber kaum eingehaltene Vertrag tauge nichts ange- sichts der Unbeständigkeit der Fürsten, deren Bemühen von Gott bereits verworfen sei. Die Ursache der Niederlage sieht er aber in erster Linie in der Uneinigkeit und Bestechlichkeit der Eidgenossen: «In einer sum, da kam kein ort on grossen schaden heim, der inen, wie vil redlicher Eidgnossen 50 klagten, me vom guldinen, dan vom isninen gschüz begegnet was, dan mit Abb. 4 Titelblatt von Michael Stettlers Schweizer Chronik von 1631. Die reich gestaltete Eingangsseite von Stettlers gedruckter Chronik zeigt Figuren, Wappen und Embleme aus der eidgenössischen und bernischen Geschichte: Kaiser Friedrich II., Herzog Berchtold V. von Zähringen, Wilhelm Tell, der «alte Eidgenosse» (in der Gestalt von Mars), Minerva und Pax. 51 dem guldinen vorgeschüz was zwitracht und zertrennung under si geschos- sen».37 Und entsprechend lautet sein Urteil über die Schlacht bei Bicocca 1522, wo sich die eidgenössischen Söldner um des schnöden Geldes willen unmittelbar nach der blutigen Niederlage wie Vieh gleich wieder hätten verkaufen wollen.38 Valerius Anshelm nimmt die unmittelbare Vergangen- heit durchaus als Ganzes wahr, er versucht einen Bogen zu spannen von der Ewigen Richtung bis hin zu Marignano. Seine kritische Beurteilung der jüngsten Geschichte bekräftigt er mit dem Hinweis auf die Integrität der führenden Köpfe in der Zeit vor den Burgunderkriegen: Bruder Klaus (1417–1487), der Seckelmeister Hans Fränkli (zirka 1410–1478), die «alten Eidgenossen» schlechthin. «Hie ist wol zu ermessen, was endrung in fünfzig jaren in einer Eidgnoschaft sîe beschechen.»39 Diese deutlich wertende, das Fehlverhalten der Eidgenossen klar benen- nende Sichtweise fi ndet sich in Michael Stettlers Darstellung der Mailänder- kriege nirgends. Zwar geht auch er in aller Ausführlichkeit auf die Ereig- nisse der Jahre 1512 bis 1516 ein, schildert, wie die Eidgenossen von den Fürsten Europas umworben worden seien, vermeldet voller Stolz ihre Siege von Pavia und Novara und befasst sich eingehend mit den Ereignissen von Marignano: Er erwähnt ausdrücklich die Rachgier der deutschen Lands- knechte, lobt die Hilfsbereitschaft der lombardischen Bevölkerung und führt die gefallenen eidgenössischen und französischen Heerführer einzeln an. Von der Verführung der Eidgenossen durch fremde Gelder, von ihrer Sittenlosigkeit im Krieg, von ihrer Zwietracht sagt er aber nichts. Die Schuld am Debakel von 1515 trügen der Papst und der spanische König, die einen Teil der Eidgenossen veranlasst hätten, dem Frieden von Gallarate mit Frankreich nicht beizutreten, so dass «aller unglimpff uber die theils un- schuldige, und theils ubel verführte Eydgnossen grirochen worden.»40 Eine Kritik an der eidgenössischen Politik, gar an eidgenössischen Obrigkeiten erlaubt sich Stettler nicht. Scharfe Worte fi ndet er allerdings – darin durch- aus Anshelm verwandt – gegenüber aufrührerischen Untertanen, etwa den Bauern, die 1513 den Köniz-Sturm ausgelöst haben. Anders als sein Vor- gänger thematisiert er aber den Zusammenhang zwischen Pensionenwesen, Solddiensten und ländlichen Unruhen nicht.41

Reformation

Die Versuchung liegt nahe, in Valerius Anshelm lediglich einen jener Kriti- ker zu sehen, die aufgrund ihrer Betrachtung der Vergangenheit in erster Linie die Schlechtigkeit der eigenen Zeit zu erkennen glauben. Wie verfehlt dieses Urteil wäre, wie differenziert Anshelm die Wandlungen in Staat und Gesellschaft wahrnimmt, hat kürzlich Arnold Esch minutiös belegt.42 Dar- 52 über hinaus ist Anshelm aber die kritische Darstellung von unmittelbarer Vergangenheit und Gegenwart nicht Selbstzweck, vielmehr nimmt er sie zum Anlass, zur Erneuerung von Kirche, Staat und Gesellschaft aufzuru- fen. Den Beginn dieser Erneuerung glaubt er im Ausbruch der Reformation zu erkennen – eine in Humanistenkreisen weit verbreitete Erwartung. Wie stellt nun Valerius Anshelm dieses Reformationsgeschehen dar? Die Ausführungen zum Jahr 1517 eröffnet er mit einer breit angelegten Einleitung, die sich sprachlich und inhaltlich von allen übrigen Jahres- anfängen in seiner Chronik deutlich abhebt: Sein Bemühen, der deutschen Sprache die Eleganz und Stringenz lateinischer Syntax zu verleihen, führt zu deutschen Sätzen komplexester Struktur, zusammengezwungen mit Akkusativen mit Infi nitiv, Partizipialkonstruktionen, absoluten Ablativen; allein der erste Satz erstreckt sich in seiner Handschrift über zwei Seiten! Diesem formalen Aufwand entspricht die inhaltliche Gewichtung: Gott habe der Welt immer wieder Propheten erweckt, «die vorab zum trost siner begnadten und demnach zum gericht der verdamten söltid wider harfür- stellen, ernüweren und ussrüefen das heilsam evangelium sines suns».43 Dass dies auch jetzt bitter nötig sei, zeige der Verfall und die Verirrung der römischen Kirche, zeigten die Herrschaftsansprüche der Päpste, jüngst die Politik Alexanders VI., Julius II. oder Leos X. Deshalb habe Gott mit Martin Luther gleichsam einen neuen Elias berufen, der anfänglich ledig- lich beabsichtigt habe, «nüt umstossen, noch zerbrechen, sunder allein nach aller gelêrten und schulen wis und gwonheit um grunt der sach disputierlich erfarung tun».44 Dieser programmatischen Einleitung lässt Anshelm Jahr um Jahr eine detailreiche Geschichte des Reformationsgeschehens folgen. Zum Jahr 1517 teilt er einen Auszug aus den 95 Thesen mit und zeichnet die Anfänge der kirchlichen Auseinandersetzung nach. Zum Jahr 1518 schil- dert er die Anfänge der päpstlichen Gegenmassnahmen, Luthers Reaktion darauf und sein Gespräch mit dem Legaten Cajetan in Augsburg. Zudem fügt er mehrere übersetzte Dokumente im Wortlaut ein, etwa das päpst- liche Schreiben an Luther vom Januar, die Bulle vom August und die Ant- worten und das Appellationsschreiben Luthers. In ähnlicher Weise und Ausführlichkeit sind die Reformationsereignisse auch in den folgenden Jah- reskapiteln geschildert. Höhepunkte bilden etwa die Disputation zu Leipzig 1519 mit der wörtlichen Wiedergabe der Reden von Andreas Karlstadt (um 1480–1541), Johannes Eck (1486–1543) oder Martin Luther, der Wormser Reichstag von 1521 mitsamt den Stellungnahmen Luthers vor den Grossen des Reiches oder der Bauernkrieg von 1525, wiederum unter Einschluss von Luthers Aufrufen im Wortlaut.45 Erst nach den Ausführungen zur kirch- lichen Erneuerung folgen jeweils Angaben zur europäischen, eidgenössi- schen und bernischen Politik. Mit uneingeschränkter Aufmerksamkeit verfolgt Valerius Anshelm die kirchlichen Erneuerungsansätze auch im schweizerischen Raum. Den ersten 53 Auftritt Ulrich Zwinglis als Prediger in Zürich im Jahr 1519 setzt er in Parallele zu den Anfängen von Luthers Wirken, habe doch auch Zwingli begonnen, «ernstlich ze ermanen, alein Gots wort zehören, zelesen, an- zenemen und zeglowen, als ein unbeweglich gruntveste unsers heils und selikeit».46 Minutiös geht er den Anfängen der Reformation in Bern nach und schildert, etwa im Jahr 1522, das Wirken Berchtold Hallers, den Streit um Jörg Brunner in Kleinhöchstetten, die Fasnachtsspiele Niklaus Manuels. Ins Zentrum seiner Darstellung rücken die bernischen und eidgenössischen Ereignisse insbesondere in den Jahren 1527 bis 1529: Er kommentiert aus- führlich den Ratsbeschluss zur Durchführung einer Glaubensdisputation in Bern, die Disputationseinladung, die Disputationsthesen, den Schriftwech- sel mit Kaiser und Bischöfen über die Disputationsberechtigung, die Dispu- tationsteilnehmer, die Verhandlungen der einzelnen Tage und schliesslich den Reformationsentscheid sowie die Durchsetzung der Reformation im bernischen Staat und zitiert die entscheidenden Dokumente im Wortlaut.47 Offenkundig geht es Valerius Anshelm aber nicht allein um die theo- logischen Probleme, mit denen sich die von ihm in den Chroniktext ein- gefügten Quellen befassen, etwa um die Abendmahlsfrage auf dem Mar- burger Gespräch von 1529.48 Wichtig ist ihm die Reformation vor allem deshalb, weil er sie als Auslöser einer elementaren Erneuerung von Gesell- schaft, Staat und Politik deutet. So unterstellt er denn auch den Gegnern der Reformatoren, ihre theologischen Argumente seien lediglich vorgeschoben; die altgläubigen eidgenössischen Orte beispielsweise lehnten Zwinglis Reformationsansinnen nur deshalb ab, weil er «wider unsern schantlichen, plutigen gewerb, wie wir um frömds gelts und eigens nutzes willen einer frommen Eidgnoschaft lob, êr, glowen, lib und leben […] versetzen und verkoufen, untrüw, ubermut und alle uppikeit pfl anzen»49 predige. Dabei sei die kirchliche Erneuerung der Beginn einer Kehrtwende, einer Conversio, die herausführe aus den Irrwegen, auf denen sich die Eidgenossen seit den Burgunderkriegen, verführt durch fremdes Geld, Habgier und Zwietracht, bewegt hätten. Die Reformation wird für Anshelm gleichsam zum Flucht- punkt, auf den hin er die Darstellung von Vergangenheit und Gegenwart bezieht, sie bietet ihm die Grundlage für die Beurteilung historischer Er- scheinungen und die Möglichkeit zur Orientierung in der Fülle des Über- lieferten. Selbstverständlich geht auch Michael Stettler in seiner Chronik von 1626–1631 auf die Geschichte der Reformation ein, aber er tut es aus einer wesentlich veränderten Perspektive: Die Ereignisse rund um Martin Luther werden in der Regel nur angedeutet, oft auch ganz weggelassen. Die Disputationen von Heidelberg und Leipzig erwähnt Stettler nicht, der Wormser Reichstag von 1521 wird lediglich angeführt, weil die Eidgenos- 54 sen nicht daran teilgenommen hätten, der deutsche Bauernkrieg wird ohne Hinweis auf Luthers Rolle gestreift, Speyrer Protestation und Confessio Augustana bleiben ausgeblendet. Etwas ausführlicher geht er in seinen Aus- führungen zum Jahr 1517 auf den deutschen Reformator ein, rechtfertigt seine Darstellung aber nicht (wie Anshelm) mit der epochalen Bedeutung von Luthers Auftreten, sondern mit den Widersprüchen in den bisher vor- gelegten Darstellungen des Reformationsgeschehens, «welches aber alles durch unterschiedenliche Historicos selbiger zeiten weitläuffi g, jedoch von einem jeden der Partey nach, so ihm zum besten gewogen, beschrieben, auch desswegen den Ursprung desselbigen etwas weitläuffi ger zu verzeich- nen, den begierigen Leser zu desswegen aussgangenen Schrifften zuweisen gantz nothwendig und erforderlich ist.» Das Anliegen Luthers, die in den 95 Thesen aufgeworfene Rechtfertigungsfrage, verschweigt Stettler und ver- weist lediglich auf das damals in der römischen Kirche überhand nehmende Ablasswesen. Ausdrücklich kündigt er aber an, sein Interesse gelte nicht der Reformationsentwicklung im Reich, vielmehr sollten «hernach der Eydgnössischen Religion Geschichten in kurtzen Jahren nach diesem grosse Anläss zugedencken vorfallen und auch als Helvetischen Landen zugehörig in aller trew ohne einige Partheyische affection»50 dargestellt werden. Die- sem Vorsatz bleibt Stettler durchaus treu: Das erste Auftreten Zwinglis in Zürich 1519 ist ihm Anlass, die Lebensgeschichte des Toggenburgers auf- zurollen, samt Hinweisen auf dessen Studien und Teilnahme an den ober- italienischen Feldzügen als Feldprediger der Glarner – allerdings ohne Er- wähnung von Zwinglis vehementer Ablehnung der Solddienste. Das Zürcher Religionsgespräch von 1523 wird zumindest erwähnt, ebenso die Abschaf- fung der Messe in der Limmatstadt und die Badener Disputation von 1526. Genau seiner Vorlage Anshelm folgend schildert er die Kappelerkriege so- wie den Tod Zwinglis.51 Eingehend befasst sich Stettler mit der bernischen Reformation: Die Erlasse und Briefe des Berner Rates zum Streit in der Kir- che und zwischen den eidgenössischen Orten werden häufi g wörtlich zitiert und kommentiert, so etwa die Mandate von 1523 bis 1527 oder Berns Reaktionen auf die Druckversuche der altgläubigen Orte nach 1526. Aus- drücklich vermerkt er, welche Kleriker ihren geistlichen Stand aufgegeben und geheiratet hätten; und eingehend schildert Stettler schliesslich die Disputation von 1528 und deren Folgen: die kaiserliche Reaktion auf die Disputationsausschreibung, die Unterzeichner der zehn Schlussreden, die Umsetzung im Staat Bern samt den Unruhen im Oberland.52 Michael Stettler konzentriert sich in seiner Reformationsdarstellung nicht nur geo- grafi sch auf den eidgenössischen und vor allem den bernischen Raum, er rückt zudem die politischen Auswirkungen des kirchlichen Umbruchs auf Staat und Rechtsordnung ins Zentrum. Die theologischen Kontroversen und die Konsequenzen der reformatorischen Ansätze für die gesamte Ge- sellschaft blendet er aus. 55 Unterschiedliche Rahmenbedingungen des Schaffens

Werden das Werk Valerius Anshelms und die Schweizer Chronik Michael Stettlers miteinander verglichen, gilt es stets auch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen ihres Schaffens zu berücksichtigen: Anshelm wirkte 1529 bis 1547 in einem Stadtstaat und einer Gesellschaft, deren Aus - dehnung, Verfassung und Gefüge sich in vielfältigen Umformungsprozessen befanden. Er schrieb in der Aufbruchstimmung der Reformationsjahr - zehnte mit all ihren Unsicherheiten und Freiheiten; und er beurteilte insbe- sondere kirchliche Fragen innerhalb eines historischen Horizontes, der ihm das Erlahmen des Erneuerungsschubes und die Endgültigkeit der Kirchen- spaltung noch verbarg. Demgegenüber war Michael Stettler 100 Jahre spä- ter Bürger einer Zeit, in der die Offenheit und Labilität gesellschaftlicher und politischer Strukturen einer deutlichen Verfestigung wichen. Er wandte sich Anshelms Zeitgeschichte aus der distanzierenden Rückschau des Nach- geborenen zu; an die Stelle der Aufbruchstimmung trat das Bemühen um sorgfältiges Bewahren des Erreichten. Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen des Schaffens von Anshelm und Stettler gilt es auch im Hinblick auf die Publikationsformen (Hand- schrift und Druck) und den dadurch mitbestimmten Umfang der Werke und der Leserschaft im Auge zu behalten. Gerade die Hintergründe dieser un- terschiedlichen Publikationsform machen eine Gegenüberstellung der bei- den Geschichtswerke aber deshalb besonders ergiebig, weil Stettler seine Darstellung der Epoche von 1474 bis 1536 im Jahr 1626–1631 unter sehr genauer Kenntnis von Anshelms Arbeit veröffentlicht hat. Sowohl sein Kon- zept helvetischer Sachen von 1609 als auch der erste Band seines Zeitregis- ters von 1610–1614 und die ersten drei Bände der revidierten Fassung seiner Berner Chronik von 1616–1623 gehen auf seine Anshelm-Abschriften von 1606–1608 zurück. Stoffauswahl, Stoffanordnung, eingefügte Archivalien, ja sogar sprachliche Eigenheiten übernahm Stettler in diesen früheren Wer- ken getreulich von seinem Vorgänger. Damit wird aber deutlich, dass sich der Jüngere sehr wohl bewusst gewesen sein muss, wo und in welchem Masse er mit seiner gedruckten Darstellung vom verehrten Vorbild abge- wichen ist. Diese Unterschiede gilt es abschliessend kurz zu beleuchten.

5. Ergebnisse

1) Valerius Anshelm bemüht sich, Hintergründe und Verfl echtungen des historischen Geschehens, das Wirken einzelner Personen, die Einordnung der bernischen Verhältnisse ins ganze Zeitalter von seinem einmal gewähl- 56 ten Standpunkt aus zu charakterisieren und zu beurteilen. Anshelm strebt Präzision an, belegt mit Quellen, wahrt zu seinen Vorgängern kritische Dis- tanz. Auf dieser Grundlage erlaubt er sich, deutlich zu werten, zu loben und zu verurteilen. Michael Stettler übt gegenüber den historischen Fakten we- sentlich mehr Zurückhaltung. Oft verzichtet er auf kausale Verknüpfungen und bringt kaum Kritik an Personen oder gar an der bernischen Obrigkeit an. Die Nachricht vom unerwarteten Tod des Schultheissen Wilhelm von Diesbach im Jahr 1517 kommentiert Anshelm mit einem kurzen Rückblick auf die glanzvolle Karriere des Verstorbenen, fügt diesem Nachruf aber eine kritische Bemerkung über die immensen Schulden des Schultheissen und ein Vanitas-Gedicht an. Stettler übernimmt diese Nachricht fast wört- lich aus Anshelm, lässt aber Bemerkung und Verse weg.53 2) Mit der Reformation setzt für Valerius Anshelm ein entscheidender Neubeginn in Gesellschaft, Staat und Politik ein. Er ist erfüllt von der Hoff- nung, die unheilvolle Verwicklung in fremde Händel, die Abhängigkeit von fürstlichen Pensionen und Soldzahlungen, die daraus erwachsende Habgier, Arbeitsscheu, Verrohung und Zwietracht in der Eidgenossenschaft seien mit der Ausrichtung auf die reformatorischen Grundsätze zu überwinden. Die- ses Vertrauen in die Breitenwirkung der Reformation ist bei Michael Stettler kaum auszumachen, zu sehr ist ihm im Rückblick die kirchliche Erneuerung mit dem Gezänk der Theologen verbunden. Von der grossen «zwüschen iren predicanten von dess heiligen abentmals wegen endstandene verdrüssige unruw»54 spricht Stettler bereits in der handschriftlichen Berner Chronik von 1616–1623. Die kirchlichen Verhältnisse in Bern 1525 schildert er in der Fassung von 1626–1631 vornehmlich deshalb, weil sie das Eingreifen und die erweiterten Kompetenzen des Rates gegenüber Klöstern und Kir- chen legitimieren. Dazu verwendet er zwar Formulierungen, die sich eng an die Fassung Anshelms anlehnen. Anshelm beendet den Abschnitt aber mit dem Hinweis, das Eingreifen der Obrigkeit in kirchliche Belange sei gefähr- lich, wenn ihr Sachkenntnis fehle. Deshalb sei die «einig sichere, bständige reformation, namlich: gestrax uf Gots wort sehen und halten»55; diese Bemerkungen fehlen bei Stettler bezeichnenderweise. 3) Genau besehen geht Valerius Anshelm in seiner Berner Chronik von einem heilsgeschichtlichen Konzept aus. Zwar schreibt er nicht Weltchro- nistik, sondern ausdrücklich eine Stadtchronik, in der das Weltgeschehen lediglich in seiner Verfl echtung mit den lokalen Ereignissen, das heisst aus bernischer Perspektive, beschrieben wird. Diese bernischen Ereignisse sind aber für Anshelm immer Teil der gesamten Menschheitsgeschichte, einer Geschichte, die mit der Schöpfung beginnt und die letztlich von Gott be- stimmt wird. Konsequenterweise setzt Anshelm an den Beginn seiner Vor- rede eine Symbol- und eine ausgedehnte Verbalinvokation, beschliesst den ersten Teil des Prologs mit einem Gebet und nennt bereits in den ersten Abschnitten den Sündenfall als Ursache von Tod, Vergänglichkeit und 57 Vergessen, woraus er die Rechtfertigung der Geschichtsschreibung ableitet. Und diese religiöse Deutung lässt sich auch in unzähligen Interpretationen historischer Prozesse und Ereignisse in Anshelms Werk nachweisen, etwa bei der Schilderung eines Reliquienhandels 1518, der Überreichung der Confessio Augustana 1530 oder Zwinglis Amtsantritt in Zürich 1519 mit der fortlaufenden Auslegung des Neuen Testamentes, der «unbewegliche gruntveste unsers heils und selikeit».56 Eine derartige heilsgeschichtliche Verankerung historischer Darstellung ist Michael Stettler fremd. Wohl wird in der Vorrede seiner Schweizer Chronik (ebenso in den Dedikationen und Vorreden seiner Berner Chronik) der Name Gottes mehrmals genannt. Stettler behauptet sogar, die Geschichte der Eidgenossen belege, dass Wohl- ergehen und Friede die Frucht von Gottesfurcht und Gerechtigkeit seien; in der Aufarbeitung und Ausbreitung des historischen Stoffes spielt dieser Gesichtspunkt aber kaum mehr eine Rolle. Damit wird wohl der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Chronisten angesprochen: Aufgrund seines heilsgeschichtlichen Konzeptes kann Valerius Anshelm den Stoff seiner Chronik in ein festes Kausalsystem einordnen, er fi ndet mit der Reformation einen Bezugspunkt für die Beurtei- lung seiner unmittelbaren Vergangenheit und leitet daraus die Beurteilungs- massstäbe für Handeln und Versäumnisse der Menschen ab. Dass ihn die Begeisterung, der Mut und die geistige Unabhängigkeit, die er dieser Grund- lage verdankt, auch zu ungerechten Urteilen und zu Verkürzungen führen können, ist der Preis, den er zu bezahlen hat. Michael Stettler ist diese ein- deutige, bohrende und zugleich wertende Haltung fremd. Der vorsichtige Umgang mit historischen Kausalverknüpfungen, die Zurückhaltung in Urteilen über Personen und Prozesse, das Bemühen um Ausgleich und Ver- mittlung und die sorgfältige Rücksicht auf die Adressaten seines Werkes bewahren ihn zwar meist vor schwerwiegenden faktischen Irrtümern; zum grossen historiografi schen Wurf wird seine Schweizer Chronik aber trotz jahrzehntelanger Vorarbeit nicht. Das Motto, das Michael Stettler dem letz- ten Band seiner Berner Chronik vorangestellt hat, kann nicht nur als Merk- satz für die bernische Obrigkeit gelesen werden, sondern durchaus auch als eine Art Selbstcharakterisierung des Chronisten: «Klug und fürsichtig sin inn einem regiment ist nitt die geringste gabe, mitt deren gott der allmechtig diejenigen, so er beschirmen und erhalten will, erlüchtet.»57

58 Abkürzungsverzeichnis

BBB Burgerbibliothek Bern StABE Staatsarchiv des Kantons Bern

Bildnachweis

Abb. 1 BBB, Mss.h.h. I. 47, Autograph von Valerius Anshelms Chronik, S. 1. Abb. 2 BBB, Mss.h.h. I. 4, amtliche Abschrift von Valerius Anshelms Chronik, S. 1. Abb. 3 StABE, DQ 11, Michael Stettler, Berner Chronik, Bd. A, Titelbild. Abb. 4 Stettler, Michael: Schweitzer-Chronic […]. Bern, Bd. I (1631), Titelbild.

Anmerkungen

1 StABE, A.III.20, Deutsches Missivenbuch R, fol.154v; vgl. auch Tobler, Gustav: Die Chronisten und Geschichtsschreiber des alten Bern. In: Festschrift zur VII. Säkular- feier der Gründung Berns, 1191–1891. Bern, 1891, 45f.; Anshelm, Valerius: Die Berner Chronik des Valerius Anshelm. Hrsg. von Emil Blösch. Bern, 1884–1901, Bd. VI, XVI. 2 Tobler (wie Anm. 1), 46. 3 StABE, A.II.359, Ratsmanual 48, 450; vgl. auch Tobler (wie Anm. 1), 61f. 4 Tobler (wie Anm. 1), 62; Tobler, Gustav: Die historiographische Thätigkeit Michael Stett- lers. In: Anzeiger für schweizerische Geschichte, 5 (1889), 204. 5 Tobler (wie Anm. 4), 201f., 205; Tobler (wie Anm. 1), 50, 61; Anshelm (wie Anm. 1), Bd. VI, XVIIf. 6 Tobler (wie Anm. 1), 9–37; Feller, Richard; Bonjour, Edgar: Geschichtsschreibung der Schweiz. Vom Spätmittelalter zur Neuzeit. 2. Aufl ., Basel, Stuttgart, 1979, 7–27; Zahnd, Urs Martin: Die Bildungsverhältnisse in den bernischen Ratsgeschlechtern im ausgehen- den Mittelalter. Bern, 1979 (Schriften der Berner Burgerbibliothek, 14), 24–26; Zahnd, Urs Martin: «…zu ewigen zitten angedenck…». Einige Bemerkungen zu den bernischen Stadtchroniken aus dem 15. Jahrhundert. In: Beer, Ellen J. et al. (Hrsg.): Berns grosse Zeit. Bern, 1999, 187–195. 7 Schwinkhart, Ludwig: Chronik 1506 bis 1521. Hrsg. von Hans von Greyerz. Bern, 1941 (Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, Bd. 36); Feller/Bonjour (wie Anm. 6), 27–29. 8 Zehender, Samuel: Memorial. Hrsg. von Gottlieb Studer. In: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, 5 (1863), 16–104, 143–198, 307–368; Tobler (wie Anm. 1), 52f.; Greyerz, Hans von: Nation und Geschichte im bernischen Denken. Bern, 1953, 50; Feller/Bonjour (wie Anm. 6), 175–177. 9 Haller, Johannes; Müslin, Abraham: Chronik. Hrsg. von Samuel Gränicher. Zofi ngen, 1829; Tobler (wie Anm. 1), 53–55; Feller/Bonjour (wie Anm. 6), 177–179; Haller, Albert: Johannes Haller d.J. In: Sammlung bernischer Biographien. Bern. Bd. 2 (1896), 22–35. 10 Bärtschi, Alfred (Hrsg.): Die Chronik Josts von Brechershäusern. In: Burgdorfer Jahrbuch, 25 (1958), 79–132; Holenweg, Otto (Hrsg.): Tagebuch von Michael Ringier. In: Jahrbuch des Oberaargaus, 1960, 159–178; Weiss, Gabriel von: Selbstbiographie eines bernischen Staatsmannes aus dem 17. Jahrhundert. Hrsg. von Ludwig von Ougsburger. In: Berner Taschenbuch, 24/25 (1875/76), 1–82; Manuel, Karl: Eines Berners Kalendernotizen im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts. Hrsg. von Franz Thormann. In: Blätter für ber- nische Geschichte, Kunst und Altertumskunde, 19 (1923), 158–205; Feller/Bonjour (wie Anm. 6), 359–364. 59 11 Fluri, Adolf: Zur Beschreibung der deutschen Schule zu Bern. Aufzeichnungen der deut- schen Lehrmeister Gabriel Hermann und Wilhelm Lutz. In: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, Bd. 16 (1902), 492–651, 17 (1903), 1–224. Feller/Bonjour (wie Anm. 6) 179f., 364. 12 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. I, 4, Z. 29. 13 Stettler, Michael: Schweitzer-Chronic […]. Bern, Bd. I (1631), Dedication. 14 Stettler (wie Anm. 13), Bd. I, 668; Bd. II, 34. 15 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. I, 63, Z. 10; 357, Z. 18; Bd. II, 141, Z. 9; 323, Z. 8; 418, Z. 7; Bd. III, 107, Z. 30; 377, Z. 29; Bd. IV, 261, Z. 18; 386, Z. 4; Bd. V, 26, Z. 18; 186, Z. 16; 377, Z. 29; Bd. VI, IV–XIII, XXV; Tobler (wie Anm. 4), 202; Tobler (wie Anm. 1), 40–48; Fluri, Adolf: Zur Biographie des Chronisten Valerius Anshelm. In: Anzeiger für schweizerische Geschichte, 7 (1897), 380–384; Tobler, Gustav: Valerius Anshelm in Krakau. In: Anzeiger für schweizerische Geschichte, 8 (1901), 199; Rettig, Georg: Bittschrift der vertriebenen Rottweiler an die Eidgenossen 1529. In: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, 11 (1886), 410–422; Greyerz, Hans von: Studien zur Kulturgeschichte der Stadt Bern am Ende des Mittelalters. In: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, 35 (1940), 243–247. 16 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. VI, XIII–XXVII; Tobler (wie Anm. 1), 48–52; Autograph in BBB, Mss.h.h. I. 47–50; amtliche Abschrift in BBB, Mss.h.h. I. 4–7; Feller/Bonjour (wie Anm. 6), 173. 17 Teilabschriften von Anshelms Chronik aus dem 16./17. Jahrhundert: BBB, Mss.h.h. I. 75, 75a, 107. 18 Tobler (wie Anm. 1), 57; Tobler (wie Anm. 4), 199–207; Tobler, Gustav: Michael Stettler. In: Sammlung bernischer Biographien. Bern, Bd. 2 (1896), 49–58; Feller/Bonjour (wie Anm. 6), 356–359; Bonjour, Edgar: Michael Stettler. In: Bonjour, Edgar: Die Schweiz und Europa. Ausgewählte Reden und Aufsätze. Basel, Bd. 2 (1961), 281–286; Greyerz (wie Anm. 8), 57–61. 19 Tobler (wie Anm. 18), 50–55; Nordmann, Theodor: Eine wiedergefundene Stettler Chronik. In: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, 27 (1924), 171–186; Zeitregister in StABE, DQ 12; Berner Chronik in StABE, DQ 11; Vorarbeiten und Materialsammlungen Stettlers in BBB, Mss.h.h. I. 36, 42.2, 46; 78–80, 94; Mss.h.h. VIII. 74; Mss.h.h. XIII. 56. 20 BBB, Mss.h.h. XII. 28–40; Mss.h.h. XV. 12–18. 21 Gerber, Roland: Migration. In: Beer et al. (wie Anm. 6), 116f. 22 Stettler (wie Anm. 13), Bd. I, Dedication. 23 Jaeschke, Kurt-Ulrich: Annalen. In: Lexikon des Mittelalters. München, Zürich, Bd. 1 (1980), Spalte 657–661; Bonjour (wie Anm. 18), 283; StABE, DQ 11, Michael Stettler, Berner Chronik, Bd. A, fol.9r. 24 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. I, 4, Z. 17–19. 25 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. I, 7, Z. 26–31; Angenendt, Arnold: «Gesta Dei» – «gesta hominum». Religions- und theologiegeschichtliche Anmerkungen. In: Scharer, Anton; Scheibelreiter, Georg (Hrsg.): Historiographie im frühen Mittelalter. Wien, München, 1994, 41–67. 26 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. I, 9, Z. 3f. 27 Moser, Franz: Valerius Anshelms Staats- und Geschichtsauffassung. In: Archiv des His- torischen Vereins des Kantons Bern, 39 (1948), 273–289; Greyerz (wie Anm. 8), 43–46; Feller/Bonjour (wie Anm. 6), 165–174; Esch, Arnold: Wahrnehmungen sozialen und politischen Wandels in Bern an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Thüring Fricker und Valerius Anshelm. In: Esch, Arnold: Alltag der Entscheidung. Bern, Stuttgart, Wien, 1998, 87–136. 28 Stettler (wie Anm. 13), Bd. I, Dedication. 29 Stettler (wie Anm. 23), Bd. A, fol. 11v. 30 Stettler (wie Anm. 23), Bd. C, Vorrede; Bd. J, Vorrede; Stettler (wie Anm. 13), Bd. I, 60 Dedication. 31 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. I, 70, Z. 17–22; Esch (wie Anm. 27), 105–127. 32 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. I, 81, Z. 8–26; 82, Z. 1–16. 33 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. I, 108, Z. 6–11. 34 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. I, 64, Z. 8–10; 77, Z. 1–7; Feller, Richard: Geschichte Berns. Bd. 2: Von der Reformation bis zum Bauernkrieg, 1516 bis 1653. 2. durchges. Aufl . Bern, 1974, 110–182; vgl. dazu Schaufelberger, Walter: Spätmittelalter. In: Helbling, Hanno (Hrsg.): Handbuch der Schweizer Geschichte. Zürich, Bd. 1 (1972), 312–328; Sablonier, Roger: Die Burgunderkriege und die europäische Politik. In: Schmid, Alfred A. (Hrsg.): Die grosse Burgunderchronik des Diebold Schilling von Bern, Kommentarband. Luzern, 1985, 39–51; Esch, Arnold: Berns Weg in den Burgunderkrieg. In: Esch, Arnold: Alltag der Entscheidung. Bern, Stuttgart, Wien, 1998, 9–86; Himmelsbach, Gerrit: Die Burgun- derkriege und ihre Auswirkung auf Bern. In: Beer et al. (wie Anm. 6), 285–296. 35 Stettler (wie Anm. 13), Bd. I, 214. 36 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. IV, 145, Z. 16–19. 37 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. IV, 143, Z. 5–9; vgl. auch 40, Z. 23–27; 78, Z. 23–25; 88, Z. 24; 119, Z. 13–16; 143, Z. 12–14. 38 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. IV, 519, Z. 18–20. 39 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. IV, 146, Z. 1f. 40 Stettler (wie Anm. 13), Bd. I, 552. 41 Stettler (wie Anm. 13), Bd. I, 501; Anshelm (wie Anm. 1), Bd. III, 446, 452, 464; Feller, Richard: Geschichte Berns. Bd. 1: Von den Anfängen bis 1516. 2. durchges. Aufl . Bern, 1974, 495–574; Schaufelberger (wie Anm. 34), 336–388; Esch, Arnold: Mit Schweizer Söldnern auf dem Marsch nach Italien. In: Esch, Arnold: Alltag der Entscheidung. Bern, Stuttgart, Wien, 1998, 249–328. 42 Esch (wie Anm. 27), 106f. 43 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. IV, 213, Z. 2–4. 44 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. IV, 215, Z. 30–32. 45 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. IV, 242–258, 276–286, 390–398. 46 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. IV, 287, Z. 12–15. 47 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. V, 219–321. 48 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. V, 381–383. 49 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. IV, 288, Z. 17–22. 50 Stettler (wie Anm. 13), Bd. I, 567. Vgl. zudem 635f., 642; Bd. II, 24–26. 51 Stettler (wie Anm. 13), Bd. I, 579, 624, 628, 654–660; Bd. II, 42–53. 52 Stettler (wie Anm. 13), Bd. I, 625, 629–631, 644–646, 662, 666–668; Bd. II, 1–7; Feller (wie Anm. 34), Bd. 2, 110–258; , Kurt: Bernische Kirchengeschichte. Bern, 1958, 55–146; Die Reformation in Bern. Beiträge aus einem Vortragszyklus, gehalten im Jahre 1978. In: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, 64/65 (1980/81), 7–284. 53 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. IV, 241; Stettler (wie Anm. 13), Bd. I, 572. 54 Stettler (wie Anm. 23), Bd. D, Vorrede. 55 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. V, 118, Z. 20–22; Stettler (wie Anm. 13), Bd. I, 644f. 56 Anshelm (wie Anm. 1), Bd. IV, 287, Z. 15. Vgl. auch 263; Bd. VI, 5–12. 57 Stettler (wie Anm. 23), Bd. K, Vorrede.

61 Buchbesprechungen

Museum Schwab Biel: Das archäologische Fenster der Region. Biel: Museum Schwab, 2004. 177 S., ill. ISBN 3-9521892-5-1.

Zum neu gestalteten Museum Schwab in Biel ist in Zusammenarbeit mit dem Ar- chäologischen Dienst des Kantons Bern ein Museumsführer in deutscher und fran- zösischer Version erschienen. Das Layout lehnt sich eng an das Ausstellungskonzept an. Die gut durchdachte Didaktik und eine Signaletik mittels Piktogrammen waren bereits bei Sonderausstellungen vor dem Umbau eine Spezialität des Museums. Das einzige reine Archäologiemuseum des Kantons Bern zählt sowohl alte Samm- lungen als auch neuere Funde zu seinen Beständen, die in der Dauerausstellung nun als «archäologisches Fenster der Region» der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Die Drei-Seen-Region gilt als eine der wichtigsten archäologischen Landschaften der Schweiz. Durch die erste Juragewässerkorrektion kamen Über- reste von Pfahlbausiedlungen zum Vorschein. Diese bewegten die Pioniere der Ar- chäologie – namentlich Oberst Friedrich Schwab – dazu, Sammlungen anzulegen. Aber auch aktuelle Grabungen fördern immer wieder neue Funde zu Tage. Verschiedene fachlich ausgewiesene Autorinnen und Autoren führen in einzelnen Kapiteln durch die Epochen der Ur- und Frühgeschichte. Es wurde eine Gliederung in drei Themenbereiche angestrebt: Geschichte und Aktualität; Leben und Über- leben; Gräber und Riten. Im Kapitel zur Forschungsgeschichte werden die ersten Grabungen in der Region vorgestellt. 1937/38 leitete das Museum Schwab mit dem Freiwilligen archäologischen Arbeitsdienst der Stadt Biel zwei Ausgrabungen. Es handelte sich um die Pfahlbausiedlung Lüscherz-Fluhstation und um den römischen Fundort Petinesca bei Studen. Eine für die moderne Forschung bahnbrechende Gra- bung des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern fand in den 1970er-Jahren in Twann statt. Dies war die erste Grossgrabung einer Feuchtbodensiedlung in der Schweiz. Steinwerkzeuge altsteinzeitlicher Jäger bilden die ältesten Zeugnisse mensch- licher Anwesenheit in der Bieler Gegend. Damals lebte der Mensch als Jäger und Sammler. Diese Lebensweise änderte sich in der Jungsteinzeit ab 6000 vor Christus. Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht wurden zu den wichtigsten Grundlagen des Lebens. Am Bielersee konnten anhand organischer Reste die Umwelt und die Ernährungsgewohnheiten dieser ersten Bauern rekonstruiert werden. Aus Twann stammt sogar das älteste ganz erhaltene Brot Europas! Auf die Jungsteinzeit folgte um 2200 vor Christus die Bronzezeit. Ein ausführ- liches Kapitel ist der Bronze als namengebendem Werkstoff gewidmet. Der Übergang zur Eisenzeit markierte eine Klimaverschlechterung. Durch erhöhte Niederschläge wurden die Seebecken der Juragewässer überfl utet. Die Siedlungen mussten aufge- geben werden. Auf den Moränenhügeln zwischen dem Bielersee und dem Grossen Moos hat man etliche gut erhaltene Grabhügel der frühen Eisenzeit entdeckt. Die hier Bestatteten wurden mit grossem Prunk für die Reise ins Jenseits ausgerüstet. Im 5. Jahrhundert vor Christus, zu Beginn der Latènezeit, veränderten sich die Bestattungssitten. Die Grabhügel verschwanden. Stattdessen wurden Flachgräber aneinander gereiht. Beibehalten wurde die Sitte, die Verstorbenen samt Schmuck und Waffen zu beerdigen. «Wie im Leben, so im Grab» lautet denn auch der Titel 62 eines Kapitels. Eng mit dem Totenbrauchtum ist die Religion verknüpft. Bei La Tène am Neuenburgersee fand man Überreste eines keltischen Kultplatzes mit grossen Mengen geopferter Waffen. Von der Anwesenheit der Römer zeugen die Ausgrabungen in Petinesca. Friedhof, Tempel, Siedlungsreste, Befestigungsanlagen, ja selbst der Name (Macrinus) und der Ofen eines Töpfers konnten hier archäologisch erforscht werden. Erläuterungen zur Römerquelle in Biel, einer alten Kultstätte für Apollo Belenus und zum reich ausgestatteten Mausoleum eines römischen Offi ziers, über dem später die Kirche von Mett entstand, leiten zum Frühmittelalter über. Mit dem Kapitel über den Martinsklafter wird die Sicht in die Vergangenheit abgerundet. Mit dieser Publika- tion liegt ein informativer und übersichtlicher Führer durch das Museum vor.

Sabine Bolliger Schreyer

Hafner, Albert; Suter, Peter J.: 5000 Jahre abgetaucht – aufgetaucht 1984–2004. Bern: Archäologischer Dienst des Kantons Bern, 2004. 57 S., ill. ISBN 3-906140- 58-X.

Das neu gestaltete Museum Schwab in Biel hat grosszügig Raum geschaffen für Wechselausstellungen. Von Mai bis September 2004 stellte der Archäologi - sche Dienst des Kantons Bern hier in der Ausstellung «5000 Jahre. Abgetaucht – 20 Jahre Unterwasserarchäologie im Kanton Bern» zahlreiche neuste Funde und Ergebnisse aus den Rettungsgrabungen rund um den Bielersee vor. Die Ausstellung fand im Rahmen des gesamtschweizerisch gefeierten 150-Jahr-Pfahlbaujubiläums statt. Als Begleitschrift wurde die vorliegende Broschüre herausgegeben. Wie die Ausstellung besticht auch die Publikation durch ihre ästhetische Gestaltung und reiche Bebilderung. Die Publikation vermittelt keine verstaubte und antiquierte Pfahlbau romantik, sondern es wird ersichtlich, dass Ausgrabungsmethoden und Forschung modernen Ansprüchen gerecht werden. So sind neben konventionellen Literatur zitaten auch viele interessante Internetadressen zum Thema Pfahlbauten aufgeführt. In einzelnen Kapiteln schildern die Autoren sowohl die Geschichte der Unter- wasserarchäologie als auch die Entdeckungs- und Forschungsgeschichte der Pfahl- bauten. Unter anderem erklären sie gut verständlich die Dendrochronologie, also die Methode, mit der Hölzer aus archäologischen Grabungen jahrgenau (bis ins Jahr 8480 vor Christus!) datiert werden können. Das Kapitel über die versunkenen Dörfer in Sutz-Lattrigen verlangt dagegen vom Lesenden schon etwas mehr Kon- zentration, verblüfft aber durch die vielfältigen Aussagemöglichkeiten der Dendro- chronologie zur Siedlungsgeschichte. Ein Exkurs behandelt die Bedrohung der Pfahlbauten durch Plünderungen, Aus- baggerungen und Erosion. Mittels künstlicher Schutzmassnahmen (Abdeckung des Seegrundes) und politischer Bestrebungen (ICOMOS-Konvention, Malta-Abkom- men, UNESCO-Konvention usw.) versuchen Fachleute, der Zerstörung dieses rei- chen kulturellen Erbes der Schweiz Einhalt zu gebieten. Die folgenden Kapitel zu Themen wie Neolithisierung, Ernährung, Handwerk, Schmuck, Kleidung und Mobilität gewähren einen Einblick in die Welt der jung- steinzeitlichen Pfahlbauer. Der Beitrag zur Keramik könnte allerdings die wohl als 63 Zielpublikum angepeilten, archäologisch interessierten Laien etwas überfordern. Sätze wie «Die ältesten Gefässe aus den Ufersiedlungen der Jurafussseen sind den gleichzeitigen Keramikkomplexen Südostfrankreichs und Oberitaliens ähnlich. Sie sind ein Indiz dafür, dass das westliche und zentrale schweizerische Mittelland von Südwesten her neolithisiert wurde» gehören wohl eher in eine fachspezifi sche Publikation. Im Gegenzug ist der Abschnitt «Bierkult in der Steinzeit?» allzu ober- fl ächlich ausgefallen. Darin wird versucht, das um 2400 vor Christus in ganz Europa zu beobachtende, komplexe Phänomen des Aufkommens einer neuen Becherform als Indiz für die Verbreitung einer neuen Religion deuten zu wollen. In der folgenden Abhandlung zu den Beilen und Äxten gelingt dagegen die Synthese von experimentellen, typologischen und soziologischen Ansätzen. Hier wird ein Kapitel der menschlichen Technologiegeschichte lebendig. Zweifellos ist den Autoren und Herausgebern eine hervorragende und sehr schöne Schrift zur Unterwasserarchäologie und zu den jungsteinzeitlichen Ufer- siedlungen gelungen. Sabine Bolliger Schreyer

Engel, Max: Die Gnade der Gnädigen. Ein historischer Kriminal- und Sittenroman. Zürich: Editions à la Carte, 2003. 272 S., ill. ISBN 3-908730-14-7.

Ereignisse, Begebenheiten und Personen des bernischen Ancien Régime haben in den letzten Jahren wiederholt Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu Romanen angeregt. Man denke etwa an Katharina Zimmermanns «Furgge» (1989), Lukas Hartmanns «Mohrin» (1995), Ursula Meier-Nobs’ «Musche» (1998), Jost Imbachs «Inselglück» (2002) oder neuerdings an «Tells Tochter» von Eveline Hasler (2004) und an Therese Bichsels «Catherine von Wattenwyl» (2004). Allen gemeinsam ist, dass sie sich mit randständigen und exotischen Figuren befassen, mit Minderheiten, die vom Glanz von Berns mächtiger und stolzer Zeit kaum etwas, von dessen Schat- tenseiten dafür umso mehr mitbekamen. Sie alle litten unter der harten Hand der Gnädigen Herren, weil sie gegen Moral und Sitte, Ordnung und Gesetz oder Recht- gläubigkeit und Obrigkeitsglauben verstiessen. Max Engels «historischer Kriminal- und Sittenroman» (Untertitel) «Die Gnade der Gnädigen» reiht sich in diese Serie ein. Die Geschichte vom Gauner und Räuber Johann Georg Schneider, genannt Schwarzbeck, und seiner Gefährtin Cilla, die zusammen mit einer Räuberbande 1728 das Pfarrhaus von Seengen im aargauischen Seetal überfallen und ausrauben, daraufhin von der bernischen Justiz verfolgt und gefasst, vor Gericht gebracht und unter Folter zu einem Geständnis gebracht werden, beruht auf einem historischen Ereignis, das über die Grenzen des Stadtstaates Bern hinaus Aufmerksamkeit er- regte. Max Engel hat in verschiedenen Archiven in der Schweiz, Deutschland und Österreich Quellen aufgestöbert und Ende der 1990er-Jahre in verschiedenen lokal- und regionalhistorischen Zeitschriften seine darauf beruhenden Kenntnisse publiziert und will nun mit dem vorliegenden Roman seinen gehobenen Schatz mit einem breiteren Publikum teilen. Zu Beginn des Romans begleiten wir Grindskopf, einen Hausierer und Mitglied der Bande um Schwarzbeck, bei der Rekognoszierung des späteren Tatortes. In eher langfädigen und von einem belehrenden Unterton nicht ganz freien Schilderungen 64 der Gegend um Seengen werden uns die geschichtliche Einbettung, die politischen Verhältnisse, die Sitten und Gebräuche und die gesellschaftlichen Verhältnisse vor- gestellt, vor deren Hintergrund wir den Überfall auf das Pfarrhaus ebendieses Dorfes verstehen sollen. Der eigentliche Aufhänger des Buchs, der Einbruch im Pfarrhaus, die anschliessende Flucht, die Fahndung und Arretierung Schwarzbecks, dauert nur rund 40 Seiten. Engel zieht die Geschichte aber nicht als Kriminalroman oder Action-Thriller auf, sondern gibt eher einen historischen Bericht, in dem immer wieder die Quellen selbst sprechen sollen. Erst im zweiten Teil kommen romanhafte Elemente ins Spiel. Ort der Handlung ist nun der Berner Käfi gturm, wo Schwarzbeck und seine Lebensgefährtin Cilla einsitzen. Die unzimperlichen Ermittlungen und Verhöre der Behörden bilden den Rahmen. Die offi ziellen Nachforschungen werfen Schlaglichter auf Schwarzbecks Leben und geben Einblick in das international agierende Gaunerwesen der dama- ligen Zeit. Die Figur Schwarzbeck jedoch bleibt merkwürdig blass. Viel kontrast- reicher hingegen erscheint die von Tag zu Tag verzweifeltere Cilla, die in zahlreichen Rückblenden ihr eigenes Schicksal nochmals durchlebt. Hier fi nden wir denn auch die stärksten Passagen des Buches. Besonders Cillas Wirken in den Bädern von Baden breitet ein spannungsvolles Panorama der Bäderkultur aus, an der die ver- schiedensten gesellschaftlichen Schichten in unterschiedlichster Weise teilhaben. Mit der grausamen Hinrichtung Schwarzbecks hätte der Roman eigentlich einen markanten Schluss fi nden können, der den Lesenden ein eigenes Urteil über das Geschehene abverlangt hätte. Engel mag aber den Lesern (und wohl auch sich selbst) keinen so anstrengenden und hoffnungslosen Ausgang zumuten. So kommt also noch die gute Bäuerin Bernadette Hasler ins Spiel, die dem durch die Strafpraxis der Obrigkeit vernichteten Schwarzbeck seine Menschenwürde zurückgibt und der Cilla einen Neuanfang ermöglicht: Happy End und Moral der Geschichte gleich- zeitig. Der trotz der erwähnten Schwächen für historisch Interessierte durchaus lesens- werte Roman hätte ein gründliches Lektorat und ein professionelles Layout verdient. Auch hätte man dem Autor zwischendurch ein bisschen mehr Mut gewünscht, Quellen-Facts und Fiktion literarisch dichter zu verweben, anstatt sie typografi sch zu unterscheiden. Stefan Hächler

Weber, Berchtold; Ryser, Martin: Wappenbuch der Burgergemeinde Bern. Heraus- gegeben von der Burgergemeinde Bern. Bern, 2003 (Schriften der Burgerbibliothek Bern). 352 S., ill. ISBN 3-7272-1221-7.

Die Burgergemeinde Bern führt als einzige öffentlich-rechtliche Institution der Schweiz ein amtliches Wappenregister. Bereits im Jahr 1932 hat sie das «Wappen- buch der burgerlichen Geschlechter der Stadt Bern» mit mehr als 1700 Berner Familienwappen herausgegeben. Das im Jahr 2003 erschienene «Wappenbuch der Burgergemeinde Bern» bildet dazu eine Art Fortsetzung, unterscheidet sich aber in mehrfacher Hinsicht von der älteren Publikation. Der Band von 1932 ist schwer, unförmig und nicht gerade benützerfreundlich. Das neue Wap penbuch dagegen weist ein handliches Format auf und orientiert sich an den Bedürfnissen der Leser- schaft. Es ist vorzüglich gestaltet und übersichtlich. 65 Der Autor Berchtold Weber stellt eine kurze, prägnante Einführung in die Heraldik an den Anfang der Publikation. Eine informative Übersicht über die Wappentradition in der Stadt Bern und einleitende Bemerkungen zur Neuausgabe schliessen an. Der Hauptteil enthält 13 Berner Zunft- und Gesellschaftswappen, drei Wappen privater burgerlicher Vereinigungen und 1176 Familienwappen, die alle farbig wiedergegeben und mit Erläuterungen versehen sind. Während in den Band von 1932 auch Wappen ausgestorbener Familien aufgenommen wurden, be- schränkt sich das neue Werk auf die Wappen der noch lebenden Burgerfamilien. Die sauberen, gefälligen Wappenzeichnungen stammen von Martin Ryser. Die Familien wappen werden in alphabetischer Reihenfolge präsentiert, je vier Wappen- schilde pro Seite. Die erläuternden Texte sind unmittelbar neben jedem Wappen angeordnet und enthalten die zur Identifi kation der Familien notwendigen Angaben (Familienname, Einbürgerungsjahr, frühere Herkunft, Zunftzugehörigkeit), die Beschreibung der Wappen in Worten (Blasonierung) sowie Hinweise auf die Her- kunft und Deutung der Wappen. Die Wiedergabe der Blasonierungen bildet einen grossen Fortschritt und Qualitätssprung gegenüber dem alten Wappenbuch. Mit der präzisen Beschreibung aller Wappen in heraldischer Fachsprache hat der Autor eine ausgezeichnete Leistung erbracht. Von den im neuen Wappenbuch vertretenen Familien hat die Mehrheit das Berner Burgerrecht erst nach dem Erscheinen des Wappenbuchs von 1932 erworben. Ein grosser Teil der dargestellten Wappen gehört Familien, die ihren Ursprung auf der Berner Landschaft haben. Unter den Nichtbernern sind Familien mit Herkunft aus den Kantonen Aargau und Zürich am meisten vertreten, aber auch zum Beispiel 12 Tessiner Familien befi nden sich darunter. Der Nutzen des neuen Nachschlage- werkes reicht damit weit über den Kanton Bern hinaus. Hans Ulrich Pfi ster

Koller, Christophe: L’industrialisation et l’Etat au pays de l’horlogerie. Contri- bution à l’histoire économique et sociale d’une région suisse. Courrendlin: Editions Communication jurassienne et européenne (CJE), 2003. 610 S., ill. ISBN 2-940112-09-6.

Dans l’ouvrage «L’industrialisation et l’Etat au pays de l’horlogerie», Christophe Koller s’intéresse au rôle de l’administration publique dans le processus d’industria- lisation d’une région. D’emblée, il faut souligner et saluer le travail de l’auteur dans les domaines biographiques et statistiques. Christophe Koller a ainsi synthétisé la vie de plusieurs fi gures importantes, qui ont marqué de leur empreinte «la nouvelle partie du canton de Berne» et son histoire. Il a également établi de multiples gra- phiques. Ces derniers offrent une image synthétique de l’évolution tant industrielle, fi nancière et humaine de son sujet de recherche (par exemple, citons ceux relatifs aux forces motrices, aux accidents en fabrique, aux types d’emploi, aux mouvements des capitaux dans les banques, aux taux de productivité annuelle par personne, aux prix moyens des garde-temps, etc.). Issu du travail de doctorat de l’auteur, cette publication a pour objectif de démontrer comment l’Etat interagit avec l’industrie entre 1846 et 1951 dans un espace géographique, économique et politique à dominance horlogère et micro- technique. Le territoire pris en compte pour cette étude recouvre les sept districts 66 du Jura bernois (Porrentruy, Delémont, Franches-Montagnes, Courtelary, Moutier, La Neuveville et Laufon) ainsi que la région biennoise (Bienne et Nidau). Les sour- ces utilisées par Christophe Koller sont essentiellement administratives. Le point de vue industriel est abordé par le biais de l’Etat, comme par exemple, au travers des rapports annuels des Préfets ou des Inspecteurs fédéraux des fabriques. A partir de la seconde moitié du 19e siècle, le secteur horloger se caractérise par le déplacement du travail à domicile vers des ateliers et des usines. Christophe Koller démontre que parallèlement, l’Etat met en place plusieurs instruments, afi n d’accompagner ce développement économique régional. Ainsi, l’Etat encourage les industriels à participer aux expositions internationales et nationales. Il fi nance éga- lement un réseau de formation professionnelle à l’écoute avec les demandes et des attentes des industriels. Par l’application d’une loi sur le travail en fabrique (1877), il codifi e les conditions de travail et défi nit le nombre d’heures hebdomadaires pas- sées en atelier. L’entrée en vigueur de cette loi est également un important outil statistique sur l’état de croissance d’un secteur. Les inspecteurs des fabriques établissent des rapports. Ils sont légitimés à contrôler et observer les activités des industriels. Les crises des années 1920 mettent à mal l’économie horlogère. Après plusieurs tentatives infructueuses de régulation du marché (conventions, création d’orga- nismes faîtiers), les industriels horlogers demandent expressément que l’Etat inter- vienne. Ce dernier édicte plusieurs arrêtés fédéraux afi n de régler la situation et sauver les intérêts de l’industrie horlogère helvétique. Parallèlement, l’Etat instaure d’autres instruments économiques. Ces derniers soutiennent et protègent des risques d’exportation (garantie contre les risques d’exportation, mesure de clearing, etc.). La progressive cartellisation de l’industrie horlogère se répercute sur l’économie rég ionale ju rassien ne. Ch ristophe Kol ler ex pl ique que la hold i ng Ebauches SA s’éver- tue à racheter les entreprises dissidentes, afi n de tuer la concurrence. De fait, sur les 56 entreprises acquises entre 1927 et 1941, 54% sont établies dans le Jura bernois. Il faut noter que cette région s’était spécialisée dans la production d’ébauches hor- logères depuis le milieu du 19e siècle. Les fabriques sont progressivement fermées. Il s’en suit un regroupement et une concentration des activités d’ébauche au pied du Jura. Ceci implique un déplacement de la population vers le bas de l’arc jurassien (Bienne, Granges, Soleure). La région de Delémont perd progressivement son caractère horloger au profi t de la machine-outil. A l’inverse, la ville de Bienne se spécialise dans l’horlogerie. Elle accueille plusieurs organismes décisionnels et de surveillance du monde horloger. Avant de conclure, Christophe Koller aborde la question des migrations de l’in- dustrie horlogère au cours du 20e siècle. Il explique que devant l’ampleur de la tâche, il a choisi d’illustrer ces propos à partir d’exemples. Parmi eux, il évoque l’émigra- tion d’horlogers vers l’Allemagne dans le courant des années 1920. Il relate également la tentative de réimplantation de l’industrie horlogère suisse en Angleterre après la Seconde Guerre mondiale. Ces cas de fi gure sont fort intéressants. Ils s’attardent sur la manière dont l’information d’origine industrielle est relayée à travers le réseau des consulats et des ambassades. Ils analysent la manière dont l’état fédéral perçoit et craint la fuite d’un secteur économique fl orissant vers l’étranger. Les moyens et les mesures politiques mis en œuvre afi n de lutter contre cette migration sont décrits. Ils permettent aussi de cerner la façon dont l’administration fédérale communique et essaie de minimiser ces phénomènes de départ. Par la suite, Christophe Koller s’attarde sur les divergences affi chées par le monde horloger et le secteur des ma- 67 chines par rapport aux possibilités d’exportations. Ces dernières sont limitées par les arrêtés fédéraux. Ils ont pour objectif de protéger l’horlogerie suisse de la fuite du savoir-faire et de la production. Ce cas particulier est extrêmement intéressant. Il offre la possibilité d’aborder la notion de lobby et d’enjeux industriels par rapport au pouvoir fédéral. Dommage que ces exemples n’aient pas été plus au cœur de l’analyse de Chris- tophe Koller. Ils auraient permis de mieux ancrer les propos macroéconomiques. Ils auraient amené une analyse plus fi ne des liens, des hypothèses, des rumeurs et fi nalement de la perception du monde industriel par l’Etat dans la «nouvelle partie du canton de Berne». Hélène Pasquier

Thut, Walter: Vom Zwei-Mann-Labor zum Weltkonzern. Georg Wander (1841– 1897), Albert Wander (1867–1950), Georges Wander (1898–1969). Zürich: Verein für wirtschaftshistorische Studien, 2005 (Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik, 79). 96 S., ill. ISBN 3-909059-29-5.

2004 feierte die Firma Wander den 100. Geburtstag ihres bekanntesten Produkts, der Ovomaltine. Im Rahmen dieses Jubiläums veröffentlichte der Berner Historiker Walter Thut eine Geschichte des Unternehmens, die sich eng an die Biografi e von drei Generationen Wander anlehnt. Dieses biografi sche Konzept ist ein Merkmal der Reihe «Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik», in der dieses Heft erschienen ist. Der Firmengründer Georg Wander stammte aus Deutschland und kam 1862 als Assistent an die Universität Bern. Drei Jahre später übernahm er mit einem Partner eine Mineralwasserfabrik in der Bundesstadt. 1867 trennten sich die beiden, und Wander baute zusätzlich ein chemisch-pharmazeutisches Labor auf, in dem er mit Malzextrakt experimentierte. Als er 1897 starb, stieg sein Sohn Albert Wander in die kleine Firma ein und verlegte die Produktion von der Stadtbachstrasse ins Weis- senbühlquartier. Mit seinen Mitarbeitern erfand er neue Produkte wie die Ovomal- tine. Dieses qualitativ hoch stehende Erzeugnis entwickelte sich dank geschickter Werbung zu einem populären Stärkungsgetränk. Neben der Nahrungsmittelproduk- tion baute die Firma erfolgreich eine pharmazeutische Abteilung auf. Gute Beziehun- gen des Chefs zu Universitäten kamen der Forschungsabteilung der Wander zugute. 1927 trat der Enkel des Firmengründers nach seiner universitären Ausbildung in Pharmazie und Chemie in das Familienunternehmen ein. Er baute eine neue Fabrik in auf, wo ab 1928 die Ovomaltine und weitere Produkte hergestellt wurden. Er setzte den Ausbau des Unternehmens zu einem weltweit agierenden Konzern fort. Am Ende seiner Berufslaufbahn leitete er 1967 die Fusion mit der Sandoz AG in Basel ein. Dies geschah, um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben in einem Umfeld, das zunehmend Investitionen in die Forschung erforderte. Zudem drängte sich in der Familie Wander niemand für die Übernahme der Firmenleitung auf. Sandoz führte die Arzneimittelbereiche der beiden Unternehmen schrittweise zusammen. Die Wander-Ernährungsmittelsparte behielt hingegen eine grosse Au- tonomie. In den 1980er- und 1990er-Jahren unterlag Wander permanenten Um- strukturierungen. Nach der Fusion der Basler Konzerne Ciba-Geigy und Sandoz zu Novartis verschwand der Name Wander aus dem Pharma-Bereich des Konzerns, 68 1997 schloss Novartis die Forschungsabteilung in Bern. 2002 verkaufte schliesslich Novartis die Ernährungs-Division von Wander (mit dem Flaggschiff Ovomaltine) an den britischen Konzern Associated British Foods. Seither produziert die Fabrik in Neuenegg sämtliche Ovomaltine für ganz Europa. Bisher existierten bloss einige ältere Festschriften der Firma Wander sowie zwei neuere Lizentiatsarbeiten zu Teilbereichen ihrer Geschichte. Zur Entwicklung nach 1965 gab es bisher keine Publikation. Mit dem Werk von Walter Thut liegt eine handliche Unternehmensgeschichte vor, die bis in die Gegenwart reicht. Sie ist sehr schön illustriert dank dem reichen Bilderfundus, welchen das Firmenarchiv Wander in Neuenegg sorgfältig aufbewahrt. Einige Fotos sind in der Publikation leider nicht näher datiert. Christian Lüthi

Bilfi nger, Monica et al. (Red.): Bundesplatz. Neugestaltung Bundesplatz 2004. Bern: Bundesamt für Bauten und Logistik, 2004. 112 S., ill.

Die Neugestaltung des Bundesplatzes fand ihren Niederschlag nicht nur in der Tagespresse, sondern auch in einem Buch, das diesem Ort gewidmet ist. Die erste Hälfte des Bandes enthält historische Beiträge zum Bundesplatz. Armand Baeriswyl und Christiane Kissling fassen anhand von Plänen und Fotos die Erkenntnisse zu- sammen, die sie aus ihrer archäologischen Grabung gewonnen haben. Sie haben Überreste der mittelalterlichen Befestigung, Fundamente von Wohnhäusern, die bis 1900 hier standen, sowie Abwasserkanäle vorgefunden. Die meisten Haus- fundamente stammen aus der Zeit nach 1630. Monica Bilfi nger schildert in Bild und Text, wie um 1900 die ältere Bebauung dem Bundeshaus-Ost und dem Parlamentsgebäude weichen musste. Der Bundesplatz entstand im Rahmen dieser Planung. Zwischen 1900 und 1920 siedelten sich rund um den Platz verschiedene Banken an, die an der repräsentativen Adresse Gefallen fanden. Jürg Sulzer zeigt im dritten Beitrag, wie die Stadt Bern im Verlauf der Jahrhunderte Plätze anlegte und wie die Stadtplanung nach 1945 den Bundesplatz zur Verkehrsfl äche umwan- delte. In den 1980er-Jahren gab es verschiedene Vorstösse, den Platz vom Verkehr zu befreien. Bis zur Umsetzung dieser Idee verfl ossen rund 20 Jahre. Der zweite Teil der Publikation beschreibt die Entstehungsgeschichte des «neuen» Bundesplatzes. Die zwei Gestalter Christian Stauffenegger und Ruedi Stutz sowie der Architekt Stephan Mundwiler erzählen von ihrer Idee und deren Umsetzung. Ausserdem rollt Gemeinderat Alexander Tschäppät das Projekt aus Sicht des Poli- tikers nochmals auf. Ein Beitrag zum Valser Granit, der als Oberfl ächenbelag ver- wendet wurde, und der Bericht des Stadtingenieurs Hans-Peter Wyss zum techni- schen Ablauf des Projekts runden das Buch ab. Der Buchumschlag im Design des Valser Granits fasst eine interessante Publika- tion ein, die eine gelungene städtebauliche Aufwertung dokumentiert. Zahlreiche Abbildungen machen die Baugeschichte und die jüngste Umgestaltung nachvollzieh- bar. Einzig die Bibliografi e ist etwas dünn geraten, da nur zum archäologischen Beitrag weiterführende Literatur angegeben ist. Eine Fotografi e des Bundesplatzes als Parkplatz vor 2003 mit parkierten Autos (Seite 74) wirkt heute wie ein Bild aus einer längst vergangenen Zeit, obwohl sich der Platz erst seit dem Sommer 2004 in neuer Form präsentiert. Christian Lüthi 69 Gaberell, Daniel (Hrsg.): Bern – Gesichter, Geschichten. Bern: gab-Verlag, 2004. 176 S., ill. ISBN 3-033-00113-0.

Die Putzfrau auf dem verschneiten Dach des Bundeshauses fällt auf und macht neugierig. Auf dem Umschlag einer Art «Heimatbuch», das der Kulturjournalist Daniel Gaberell herausgegeben hat, blickt sie in die Ferne. Die Schwarzweissfotos von Rudolf Steiner und Hansueli Trachsel ziehen den Betrachter beim Durchblättern schnell in ihren Bann. Sie zeigen bekannte und vor allem weniger bekannte Orte in der Stadt Bern und illustrieren die Texte dieses Bandes sehr schön. Die abtretende Gemeinderätin Therese Frösch verfasste das Vorwort, zudem steuerten Schrift - steller wie Lukas Hartmann und Pedro Lenz sowie rund zehn Journalistinnen und Journalisten kurze Texte bei. Thematisch porträtiert der Band verschiedene Kultur- institutionen, den Berner Sandstein, das neue Stadion Wankdorf, die Siedlung Zaf- faraya, die Kehrichtverbrennungsanlage, «städtische Oasen», Bümpliz und den Wochenmarkt. Ferner kommen Menschen aus dem Kleingewerbe, Prominente aus der nationalen Politik sowie einige unbekannte Bernerinnen und Berner zu Wort. Sie äussern sich zu ihrer Wahrnehmung der Bundesstadt. Die Texte sind fl üssig und in einem unterhaltenden Stil geschrieben. Dadurch eignet sich das Buch als leichte Nachttischlektüre. Daniel Gaberell hat 2003 ein ähnliches Buch über Langenthal herausgeben. Diese Publikation vermittelt ein einigermassen abgerundetes Bild über diese Klein- stadt. Der Band über Bern vermag vom Konzept her nicht vollständig zu überzeugen. Nach der Lektüre fragt man sich, was eigentlich der rote Faden dieses Buches sein könnte. Die präsentierten Orte und Personen sind etwas willkürlich zusammen- gewürfelt. Vielleicht verändert sich das Urteil über diese Publikation in Zukunft, wenn die Texte als Quellen und Zeugnisse des frühen 21. Jahrhunderts gelesen werden können. Christian Lüthi

Hascher, Tina; Wepf, Lorenz (Hrsg.): Das Sekundarlehramt. Geschichte – Geschich- ten. Thun: Weber AG, 2004. 191 S., ill. ISBN 3-909532-17-9.

Mit der Reform der Lehrerbildung wird das Sekundarlehramt an der Universität Bern (SLA) aufgehoben und 2005 durch ein neues, in die Pädagogische Hoch schule Bern integriertes Institut ersetzt. Zu diesem Anlass gaben Tina Hascher, letzte Direktorin des SLA, und Lorenz Wepf, Dozent und letzter Vizedirektor des SLA, ein handliches und sorgfältig gestaltetes Buch heraus – eine Art Schwanengesang auf die traditionsreiche Institution, welche Generationen bernischer Lehrkräfte ge- prägt hat. Das nur in kleiner Aufl age erschienene Buch richtet sich an Personen aus dem Umfeld des SLA. Dies schlägt sich in der inhaltlichen Ausrichtung nieder, indem weniger die Geschichte als vielmehr Geschichten im Vordergrund des Werkes stehen. Trotzdem bietet es auch geschichtlich Interessierten einiges, besonders wenn sie – wie die Schreibende – ehemalige SLA-Absolventinnen sind. Arturo Hotz fasst in einem zwölfseitigen, chronologisch geordneten Abriss die Geschichte der Sekundarlehrer- ausbildung im Kanton Bern zusammen; Werner Künzler stellt die im Lauf seiner Geschichte häufi g gewechselten Lokalitäten des SLA mit einschlägigem Bildmaterial 70 vor. Weitere Kapitel gehen auf den Wandel in den Fächern Deutsch und Mathema- tik sowie in der berufspraktischen Ausbildung und in der Didaktik ein. Allerdings beziehen sich diese Darstellungen lediglich auf die letzten paar Jahrzehnte. Ebenfalls nur die Zeitgeschichte decken die verschiedenen im Buch abgedruckten Gespräche, Kurzporträts und Interviews ab, die jedoch ein lebendiges Bild der letzten Jahre des SLA vermitteln. Hilfreich für Historikerinnen und Historiker, die sich mit der ber- nischen Lehrerausbildung befassen möchten, sind die Literaturhinweise, wobei wichtige Werke fehlen: der 2002 von Claudia Crotti und Jürgen Oelkers herausge- gebene Sammelband «Ein langer Weg. Die Ausbildung der bernischen Lehrkräfte von 1798 bis 2002» sowie das Buch «Lehrerinnen und Lehrer zwischen Schule, Stand und Staat» von Pietro Scandola, Franziska Rogger und Jürg Gerber von 1992. Diese Publikationen enthalten zur Ausbildung der bernischen Lehrkräfte zahlreiche Informationen, die im Buch über das Sekundarlehramt fehlen.

Anna Bähler

Arni, Caroline: Entzweiungen. Die Krise der Ehe um 1900. Köln etc.: Böhlau Verlag, 2004. 415 S. ISBN 3-412-11703-X.

Im letzten Jahr erschien die Dissertation von Caroline Arni, Historikerin und So- ziologin an der Universität Bern, in Buchform. Das Thema ist spannend: Die Auto- rin versucht eine Rekonstruktion von Beziehungskulturen und Beziehungsproble- matiken des Ehepaars in der Zeit um 1900. Damals forderten feministische und sozialistische K reise eine Reform oder gar Revolution der Ehe. Dieser Disku rs erhielt besonders in der Schweiz eine gesellschaftspolitische Relevanz, denn hier stieg die Scheidungsrate an und lag weit über dem europäischen Durchschnitt. In einer ausführlichen Einführung geht Arni grundsätzlich auf die Problematik der Ehe ein, die sich im Spannungsfeld zwischen individuellem Erleben und gesell- schaftlicher Institution befi ndet. Ausserdem legt sie Fragestellungen und Intentionen ihrer Studie dar und stellt die verwendeten Quellen vor. Sie stützt sich auf Prozess- dossiers zu Scheidungen am Amtsgericht Bern von 1912–1916, die es ihr dank deren Vollständigkeit erlauben, verschiedene Fälle akribisch genau nachzuvollziehen. Im Gegensatz zu den Jahren vor- und nachher sind aus diesem Zeitraum nicht nur die Protokolle der Gerichtsverhandlungen archiviert, sondern die Dossiers enthal- ten auch Fragmente des Alltagslebens wie zum Beispiel Familienkorrespondenz, Liebesbriefe oder Arbeitszeugnisse. Das erste Kapitel befasst sich mit der Kodifi zierung des Ehe- und Scheidungs- rechtes in der Schweiz, also der rechtlichen Entwicklung und deren Einbettung in den zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Diskurs zum Thema Ehe. Damit schafft Arni die Voraussetzungen zum besseren Verständnis der in den Kapiteln 2–5 exemplarisch dargestellten vier Scheidungsprozesse, welche sie aus den 479 Fällen auswählte, die in den Jahren 1912–1916 vor das Scheidungsgericht des Amtes Bern kamen. Darunter befi nden sich die ursprünglich aus Russland stam- mende Sozialistin Rosa Grimm und ihr Mann, der Berner Sozialdemokrat Robert Grimm; dieses Paar scheiterte im Alltag mit seinem Anspruch einer kameradschaft- lichen Ehe. Die drei andern Fälle sind nicht weniger interessant und betreffen Ehe- paare aus diversen sozialen Milieus. Die Arztfrau Madeleine Frey wird mit fort- 71 schreitender Karriere ihres Mannes Emil Frey immer mehr aus dessen Berufsalltag hinausgedrängt, was die Eheleute schliesslich so stark voneinander entfremdet, dass die Scheidung unausweichlich wird. Der Arbeiter Johann Probst hingegen erträgt nicht, dass der Lebensunterhalt seiner in instabilen ökonomischen Verhältnissen lebenden Familie zumindest zeitweise von seiner Frau bestritten wird, die als Kell- nerin arbeitet. Es ist jedoch Anna Probst, welche die Scheidung verlangt. Als Grund macht sie geltend, ihr Ehemann kränke, misshandle und bedrohe sie. Die Ehe von Clara und Henri Dubois-Tobler aus bürgerlichem Milieu wiederum zerbricht, weil sich die Ehefrau zwar keinen Ehebruch, doch immerhin einen Flirt mit einem reichen Verehrer aus Genf leistet, worauf der Ehemann die Scheidungsklage einreicht: we- gen Ehrenkränkung und tiefer Zerrüttung der Ehe. Arni beschränkt sich bei weitem nicht auf eine blosse Beschreibung der Schei- dungsfälle, sondern sie interpretiert die verschiedenen Aussagen in den Prozess- akten, vergleicht sie mit ähnlich gelagerten Fällen und ordnet sie in ihr Umfeld ein. In den Einzelgeschichten sucht sie die Ursachen der «Krise der Ehe», indem sie die individuellen Schicksale mit dem gesellschaftlichen Wandel verknüpft. Dabei betrachtet sie die Ehe als «ein dynamisches Relais von Geschlechterpolitik und Geschlechterbeziehung, als ein politisches Problem und als eine biographische Er- fahrung» (S. 9). Arnis Werk ist nicht leicht lesbar, denn sie pfl egt – besonders in der inhaltlich hoch interessanten Einführung – eine mit Fremdwörtern gespickte wissenschaftliche Sprache. Ich erlaube mir an dieser Stelle eine persönliche Bemerkung: Es ist anzu- nehmen, dass ein beträchtlicher Teil der Leserschaft die Einführung nach wenigen Sätzen oder Seiten überspringt und die Lektüre auf die folgenden Fallbeispiele be- schränkt, die den Blick durchs Schlüsselloch ins Private ermöglichen, auch wenn dies nicht in der Absicht der Autorin liegt. Es stellt sich hier die Frage, wie sinnvoll es ist, wissenschaftliche Bücher in einem Stil zu schreiben, der einen Teil der poten- ziellen Leserschaft ausschliesst. Gut geschriebene Fachliteratur kann auch auf sprachlicher Ebene Genuss bieten – und dies tut diese Publikation leider über weite Strecken nicht. Anna Bähler

Krebser, Markus: Thun und seine Landschaft in der Kunst der Kleinmeister. Druck- grafi k von 1548 bis 1868. Thun: Krebser, 2004. 191 S., ill. ISBN 3-85777-147-X.

Markus Krebser, der im Lauf der letzten 25 Jahre vier historische Fotobände zum Raum Thun, Thunersee und Interlaken publiziert hat, legt nun ein neues Werk vor. Diesmal sind es nicht Fotografi en, mit denen er die Entwicklung der Stadt Thun illustriert, sondern Druckgrafi ken aus der Zeit von 1548 bis 1868. Das Buch ist in einen Bilderteil, einen Fachteil sowie einen Katalogteil gegliedert. Eine kurze Ein- führung in die Geschichte der Schweizer Kleinmeisterkunst stellt zudem die abge- bildeten Werke leicht verständlich in den geschichtlichen und kunsthistorischen Kontext, und das Register erleichtert das gezielte Suchen nach Orten und Perso- nen. Der Bilderteil besticht durch ausserordentlich schöne, grossformatige Bildrepro- duktionen. Jede Abbildung mit Legende beansprucht eine Buchseite. Nebst den wichtigsten Angaben zum Bild (Künstlername, Titel des Bildes, Drucktechnik und 72 Datierung) beschreibt und erklärt Krebser im Begleittext die dargestellte Szenerie, die Landschaft, die Gebäude usw. Zudem macht er einerseits auf Details aufmerk- sam, die vielen Betrachterinnen und Betrachtern wohl entgehen würden, anderer- seits zeigt er in manchen Darstellungen auch Ungenauigkeiten auf. Jede Abbildung ist unter derselben Laufnummer wie im Bilderteil auch im Katalogteil zu fi nden, der weitere Angaben zu den Bildern enthält. Sehr interessant ist der Fachteil, der die damals üblichen Drucktechniken wie zum Beispiel Holzschnitt, Kupferstich oder Radierung erklärt und – veranschaulicht mit Illustrationen – deren Entwicklung beschreibt. Zudem enthält der Fachteil eine Auswahl an Biografi en von Künstlern, welche in einer besonderen Beziehung zu Thun standen. 473 Ansichten, die Markus Krebser auf seiner jahrelangen Suche gefunden hat, sind im Katalogteil enthalten und im Kleinformat abgebildet. Sie sind nicht chro- nologisch, sondern geografi sch geordnet, was den Vorteil bietet, dass zum Teil der gleiche Ort aus unterschiedlichem Blickwinkel und in der zeitlichen Entwicklung verglichen werden kann. Jede Abbildung ist mit einer Legende versehen, welche Titel und Format des Bildes, Drucktechnik, ergänzende Bemerkungen und, wo immer möglich, den Namen des Künstlers, die Datierung und das Quellenwerk enthält. Die Texte sind informativ und gut lesbar geschrieben. Aus Sicht der Historikerin ist lediglich ein Kritikpunkt anzumerken: Leider fehlt der Bildnachweis. Wo sich die Vorlagen für die abgedruckten Grafi ken befi nden, bleibt somit im Dunkeln. Auch wenn sich das ausserordentlich sorgfältig gestaltete Buch auf das Gebiet Thun beschränkt, spricht es nicht nur Leserinnen und Leser an, die eine Beziehung zu diesem an sich kleinen geografi schen Raum haben, sondern auch Liebhaberinnen und Liebhaber der schweizerischen Kleinmeisterkunst sowie Menschen, die schöne Bildbände zu schätzen wissen. Händlern von Schweizer Druckgrafi k kann es zudem als Nachschlagewerk dienen. Anna Bähler

Gallati, Rudolf et al.: Geschichten und Geschichte um Unterseen. Unterseen: Gemeindeverwaltung, 2004. 108 S., ill.

725 Jahre ist nicht gerade eine umwerfende Zahl für ein Jubiläum. Die Gemeinde Unterseen feierte es 2004 gleichwohl und publizierte dazu eine kleine Broschüre. Diese war als Weihnachtsgabe des Verlages Schlaefl i & Maurer konzipiert, was Umfang und Gestaltung vorgab. Entstanden ist ein Sammelwerk mit sehr unterschiedlichen Themen zur Vergan- genheit und Gegenwart der obersten Stadt an der Aare. Rund ein Dutzend Autoren beleuchten vor allem Aspekte des 19. und 20. Jahrhunderts. Von der älteren Zeit handelt nur Rudolf Gallatis Beitrag über den Sefi nenbrief von 1529, eine Belohnung des Städtchens für seine Loyalität in den Wirren der Reformation. Dankbar sind wir Ernst Schläppi für seine detaillierte Behandlung der Rolle von Unterseen im Aufstand von 1814. Die weiteren Beiträge behandeln alte Stadtansichten, die Ge- schichte des Stadthauses, Pläne für eine hydrotherapeutische Wasserheilanstalt um 1900, das Spital, die Harderbahn, die Weissenau, die Burgergemeinde sowie Unter- seens Originale, Künstler und Jugend. Artikel über den Lombach und über das 73 Flachmoor Luegiboden führen in die Naturgeschichte der Gemeinde ein. Die Bib- liografi e am Schluss der Broschüre belegt ein bemerkenswert breites Publikationen- spektrum zur Ortsgeschichte. Ohne diesen neusten Beitrag geringschätzen zu wol- len, lässt sich doch feststellen, dass nun allmählich eine umfangreichere Synthese fällig wäre. Kompetente Autoren sind vorhanden, wie die vorliegende Schrift be- weist. Quirinus Reichen

Siebenthal, Gottfried von: Gstaad, eine Reise in die Vergangenheit. Gstaad: G. von Siebenthal, 2004. 238 S., ill. ISBN 3-907041-12-7.

Am 19. Juli 1898 brannte der kleine Weiler Gstaad bei Saanen ab; ein paar Bauern-, Wohn- und Geschäftshäuser wurden ein Raub der Flammen. Die wenigsten der geschädigten Menschen gaben auf. Vielmehr begann ein rascher Aufbau und eine neue Epoche des Weilers, was man in diesem Moment gar nicht so recht bemerkte. Dieser Wiederaufbau war, zusammen mit der Eröffnung der Eisenbahnlinie Zwei- simmen–Montreux 1904, der Anfang des raschen Aufstiegs zum Weltkurort. Von allen wichtigen Fremdenorten des Berner Oberlandes startete Gstaad am spätesten, zugleich erfolgte sein Aufstieg am raschesten. Die Krone, aber ganz gewiss noch nicht den Schlussstein, bildete der Bau des «Palace», des letzten grossen Hotelschlos- ses der Schweiz: Es wurde auf den Winter 1913 eröffnet und zeichnete bereits den Beginn des immer wichtiger werdenden Wintersportes ab. Eine Geschichte des Kurortes Gstaad hat bisher gefehlt. Das vorliegende Buch füllt diese Lücke und enthält eine Fülle an Informationen. Der Autor hat nicht nur wertvolle Bildquellen erschlossen, sondern gerade rechtzeitig auch die letzten Zeugen dieser Zeit befragt. Entstanden ist ein kommentiertes Fotoalbum der Sonderklasse, das eigentlich fast alle Themen zu Gstaad abdeckt: Der Gstaadbrand, die Gstaadkapelle, die Gstaadschule, die Geschäfte, die Hotels, die Eisenbahn, der Kurdirektor, der Skiclub, der Wintersport, die Bergbahnen, der Viehmarktplatz, Tennis, Flugplatz und vieles mehr. Die vorwiegend grossformatigen Illustrationen, Ansichtskarten oder Abzüge von Originalplatten sind kompetent kommentiert. Zu den Gebäuden oder Betrieben wird die Besitzergeschichte gleich mitgeliefert; auf vielen Fotos kann der Autor gar die abgebildeten Personen benennen. Die Bilder sind in Chamois gedruckt und in einer zurückhaltenden, aber vornehmen Gestaltung präsentiert, und selbstverständlich gehört ein Schuber dazu. Dass ein so aufwändig gestaltetes Buch seinen Preis hat, muss nicht erklärt werden. Die 149 Franken sind klar berechtigt, wirken jedoch für ein breites Publikum wohl eher abschreckend. Es stellt sich daher die Frage, ob das Buch auch die Saanenländer Bergbauern oder das Gstaader Hotelpersonal erreichen wird. Längst nicht alle Schweizer Kurorte verfügen über derart reiches Bildmaterial wie Gstaad und auch nicht über einen so geduldigen, hartnäckigen und kompeten- ten Autor wie in diesem Fall. Diejenigen, die über ähnliche Voraussetzungen verfü- gen, haben jetzt ein Vorbild! Quirinus Reichen

74 Linder, Nikolaus: Die Berner Bankenkrise von 1720 und das Recht. Eine Studie zur Rechts-, Banken- und Finanzgeschichte der Alten Schweiz. Zürich: Schulthess, 2004 (Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte, 53), 298 S. ISBN 3-7255-4641-X

Spätestens seit dem Zusammenbruch der Spar- und Leihkasse Thun im Jahre 1991 und dem Platzen der so genannten «dot.com-Blase» sind uns Vorgänge wieder vertrauter, wie sie Nikolaus Linder in seiner rechtshistorischen Dissertation be- schreibt. Zwischen November 1720 und Juni 1721 wurden die Stadtberner Bank Malacrida & Cie. und die von ihr mitbegründete Bank Samuel Müller & Cie. in London zahlungsunfähig. Beide Häuser waren als Depositen- und Leihbanken für die Einwohner Berns tätig gewesen und verwalteten daneben obrigkeitliche Kapi- talien in Holland und England. Nachdem die mit dem Namen des Schotten John Law verbundene Spekulationsblase geplatzt war, wurden auch die beiden Banken von der Krise erfasst, die nun von den Zentren Paris und London ausging und bald weite Teile Europas erfasste. Die spektakulären Ereignisse sind aus Berner Sicht bisher nur selten sowie bloss kursorisch und oberfl ächlich untersucht worden. Linder rekonstruiert minuziös den Verlauf und die Bewältigung der Krise, wobei er sich zu einem grossen Teil auf ungedruckte Quellen in Bern und London stützt. Dabei wird bald klar, dass im Höhepunkt des spekulativen Börsenbooms nicht nur überlange Kommunikations- wege, sondern auch die ungenügende Zahl von eigentlichen Spezialisten Berns Han- deln ungünstig beeinfl ussten. Überzeugend schildert Linder dann die Interessen, Handlungsweisen und Verfl echtungen der verschiedenen Akteure und Gläubiger- gruppen. Die langjährigen und langwierigen Folgen des Bankzusammenbruchs illustrieren, dass Bern damals für solche Fälle über kein taugliches Konkursrecht verfügte. Das gesetzliche wie auch ein Ad-hoc-Verfahren zur Liquidation der Bank Malacrida liessen sich nicht durchführen. Zur grossen Erleichterung aller Beteilig- ten übernahm 1722 schliesslich David Gruner das Haus mit allen Aktiven und Passiven, doch kam dieser Auskauf formell erst 1732 zum Abschluss. Da nicht nur der Staat, sondern auch weite Teile des bernischen Patriziats zu den Gläubigern von Malacrida & Cie. gehörten, führte der Bankrott der Bank zeit - weise zu einer Überlastung der politischen Strukturen, und etablierte Verfahren versagten, bevor situatives Verhandeln und Lavieren schliesslich zu Auswegen aus scheinbaren Sackgassen führten. Von den wirtschaftlichen Folgen des Bankrotts war fast ausschliesslich die Bevölkerung der Hauptstadt betroffen. Die privaten Einzelgläubiger verloren eine Summe, die ungefähr den Kosten des Zweiten Villmer- gerkriegs entsprochen haben soll, doch sind aufgrund der Quellenlage nur wenige Einzelfälle auch konkret fassbar. Da moderne Untersuchungen zum Staatshaushalt fehlen, lässt sich auch der Verlust der Stadt Bern kaum einschätzen. Linders sorgfältige Studie wird im Anhang durch Kurzbiografi en der wichtigsten Protagonisten und mit dem Abdruck von besonders relevanten Quellenstücken er- gä n z t . M it tels ei ner hö ch st problem at is chen Um re ch nu ng i n heut ige Fra n kenb eträge versucht der Autor – wie viele andere Verfasser – immer wieder die Höhe der zahl- reichen Geldbeträge zu verdeutlichen. Gerade bei Laien, für die solche Verfahren gedacht sind, werden damit aber eher falsche Vorstellungen geweckt. Besser geeignet wäre beispielsweise eine Umrechnung in damalige Tages- oder Jahreslöhne. Trotz solcher Bedenken und einzelner Ungenauigkeiten ist Linders Arbeit aber auch für Nichtspezialisten eine leicht lesbare und spannende Lektüre über einen der grössten Finanzskandale des alten Bern. Niklaus Bartlome 75