Hartmut Georg Urban

Bemerkungen zu Steinhäusern des späten 14. und 15. Jahrhunderts und einer Burganlage in , Ostfriesland

Frühe Anlagen frühe 14. Jahrhundert datiert werden. Küstengebiet verbreitet9. Als Werk- Aus vorgeschichtlicher Zeit sind in Sie hatte wahrscheinlich eine zentrale stoff diente der Backstein, dessen Her- 1 Überwachungsfunktion an dem er- stellung im nördlichen Teil der Nie- Ostfriesland bisher keine Burg- und 4 Wehrbauten festgestellt worden. Die wähnten Heerweg . derlande bereits im späten 12. Jahr- ältesten noch erhaltenen Reste von Die Beningaburg bei Wirdum, benannt hundert von den Zisterziensern und Wehranlagen stammen aus dem frü- nach einer Adelsfamilie des frühen Prämonstratensern aufgenommen hen und hohen Mittelalter. Es handelt Mittelalters, lag an einem schiffbaren wurde und der das Erscheinungsbild sich dabei um vereinzelte Burgwälle Tief, das mit der etwa 1 km entfernten der Bauten des späten Mittelalters we- und Turmhügelburgen, von denen ei- Leybucht in Verbindung stand. Es wird sentlich prägte. Es wird vermutet, die nige näher untersucht worden sind. angenommen, dass zunächst zwei Backsteinherstellung habe durch die Wurten mit Holzgebäuden bestanden, Klostergründungen in Ostfriesland Als Beispiele können die Kirchen- 10 burg in Jever, Borgholt bei Ardorf von denen die größere nach 1250 er- Verbreitung gefunden . Somit war in (Stadt Wittmund) und die Beninga- weitert und zu einem befestigten der Folgezeit des 13. Jahrhunderts burg bei Wirdum (Krummhörn) ge- Adelssitz ausgebaut wurde. Zu Beginn zunächst der Backsteinkirchenbau 2 des 14. Jahrhunderts erfolgte eine er- vorherrschend, während im 14. Jahr- nannt werden . 11 Der Burgwall des Kirchhofs in Jever neute Vergrößerung der Burg. Der hundert der Burgenbau dominierte . weist drei Phasen auf, die nach den Haupthügel erhielt einen Erdauftrag Als größere Anlage des älteren Stein- Befunden dem 11. und 12. Jahrhun- von einem Meter, so dass er nun eine haustyps kann die etwa gleichzeitig dert angehören könnten. Innerhalb Grundfläche von 70 x 58 m und eine mit Greetsiel 1383 erbaute und 1433 des Erdwalls wurde an der Nordseite Höhe von mindestens 4,6 m erreichte. zerstörte Sibetsburg im heutigen eine dreischiffige Kirche mit Feld- Nach den Grabungsbefunden entstand Stadtgebiet von Wilhelmshaven ange- steinfundament und einem Oberbau um 1300 zunächst ein Turmhaus in führt werden, die durch Ausgrabung aus Fachwerk errichtet, der zweimal leichterer Bauweise, etwa 1350 folgte erschlossen ist. abbrannte und auf den älteren Funda- dann ein massiver, aus zwei Teilen Das Hauptgebäude bildete ein (mehr- menten erneuert worden ist. bestehender Gebäudekomplex, eine geschossiger) Wehrturm von ca. 17 x Überdies befand sich nördlich von Backsteinburg mit Außenmaßen von 12 m Grundfläche, dessen Außen- Jever eine noch ungeklärte hochmit- 21,40 x 11,40 m. In einer weiteren mauern etwa 3 m stark waren; er stand telalterliche Befestigungsanlage, die Bauphase könnte ein inzwischen in sei- auf einem 6 m hohen Hügel von 30 m auf einer Wurt (künstlich aufgeschüt- nen Fundamenten freigelegter Turm- Durchmesser, der etwa auf halber teter Wohnhügel im Marschgebiet) bau mit den Außenmaßen von etwa Höhe von einer 2-3 m hohen Wehr- am Zugang Jevers zum Meer errichtet 9,35 x 7,80 m bei einer Innenfläche von mauer mit Torhaus umfasst wurde. Im wurde: der Woltersberg3. 6,90 x 5,25 m entstanden sein. Der Osten war der Burghügel durch einen Die Anlage in Borgholt deutet auf Wohn- und Wehrturm entsprach in sei- doppelten Wall und dreifachen Gra- eine Turmhügelburg oder Motte hin. nen Proportionen annähernd dem noch ben gesichert, im Westen außer durch erhaltenen Steinhaus in Bunderhee den inneren noch durch einen äußeren Sie liegt auf einem Geestvorsprung, 5 der im Westen, Norden und Osten von (Maße 11,40 x 7,60 m) . Graben, der hier eine Vorburg um- schloss12. den Niederungen zweier Geestrinnen Steinhäuser des 14. Jahrhun- umgeben ist. Im Süden verlief ein Einer Beschreibung des im frühen 14. derts (Turmhäuser) alter Weg, der das Harlingerland mit Jahrhundert errichteten, nicht mehr einem mittelalterlichen von Olden- Im Gegensatz zu den recht spärlichen vorhandenen Steinhauses in Edenser- burg nach Jever führenden Heerweg Befunden des frühen und hohen Mit- loog (Kreis Wittmund) ist zu entneh- verband. telalters sind für das späte Mittelalter men, dass es zwei Geschosse über Die Anlage besteht aus zwei etwa etwa 150 Burgstellen belegt6. Sie be- gewölbtem Untergeschoss aufwies, gleich großen Teilen (Haupt- und Vor- fanden sich größtenteils in der jedoch abweichend von der Sibets- burg) mit annähernd rechteckigem Marsch7, seltener in Geestgebieten8. burg auf einem flachen und vierecki- Grundriss (mit abgerundeten Ecken) Spätere Schlossbauten gehen meist gen Platz stand, der von einer starken von jeweils ca. 20 x 30 m, die durch auf Burgen aus dieser Zeit zurück. Mauer und einem breiten Graben um- einen umlaufenden Graben zusam- Bei den als „Steinhaus“ (Stins) be- geben war13. mengefasst und von einem querlau- zeichneten spätmittelalterlichen Bau- Eine ähnliche Höhenentwicklung fenden Graben getrennt werden. Die ten werden zwei Typen unterschieden: zeigt das erhaltene spätere Steinhaus Hauptburg ist höher aufgeschüttet als der ältere des Turmhauses (14. Jahr- in Bunderhee (Reiderland) und die die Vorburg und weist in der Mitte hundert) und der jüngere des Lang- Harderwykenburg (Unkenburg) in eine runde Mulde auf. Die erhöhten oder Saalhauses (15. Jahrhundert). Die Leer. Beide stammen vermutlich aus Randpartien im Osten, Süden und frühen Steinhäuser, denen beispiels- dem späten 14. oder frühen 15. Jahr- Westen wurden vermutlich von Ge- weise der Ursprungsbau der Greetsie- hundert bzw. aus der Mitte des 15. bäuden eingenommen, die ein Hufei- ler Burg zuzuordnen ist, hatten meist Jahrhunderts14. Bei ersterem ist der sen bildeten. Nach den Funden könn- die Form kleinerer wehrhafter Wohn- ursprüngliche Zustand noch am bes- te diese Burganlage in das 13. und türme und waren im ostfriesischen ten erkennbar. Es hat eine Grundriss-

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Kappengewölbe wurden etwas später, vermutlich aus Sicherheits- gründen, eingezogen. Bei gleicher Gelegenheit könnte dieses Ge- schoss ein ebenerdiges Portal auf der Südseite erhalten haben. Eine Umgestaltung vom Wehrbau zum Wohnturm vollzog sich in Bunder- hee in spätgotischer Zeit, etwa um 150017. Auf der Westseite wurde ein Anbau errichtet, der einen ge- schützten Zugang zum ersten Ober- und in das Untergeschoss ermög- lichte. Der vorhandene Eingang im Süden konnte nun zu einem Fenster reduziert werden. Vermutlich er- hielt das Dachgeschoss mit schrä- gen Giebeln anstelle der vermute- ten Treppengiebel und einem Sat- teldach im Wesentlichen seine heu- tige Form. Im ersten Obergeschoss baute man einen spätgotischen Kamin mit ge- mauerten Wangen sowie einem kräf- tigen Holzbalken als Sturz ein und versah die Ost- und Nordwand mit schlanken rechteckigen Fenstern. Nach 1579 erfolgte dann wohl ein Ausbau des zweiten Obergeschos- ses, das mit einem Kamin an der Südseite und zudem mit jeweils drei über die Ost- und Westwand gleichmäßig verteilten Fenstern versehen wurde18. Diese Fenster haben einen Sand- steinsturz und oberhalb der Mitte eine Sandsteinunterteilung, die den oberen Bereich, der verglast ist, von dem mit einer Klappe versehe- nen unteren Lüftungsbereich trenn- te. Seitlich werden die Fenster von Abb. 1. Kartenausschnitt Ostfriesland Backsteinmauerwerk eingefasst, (Zeichnung: Verf.). die Laibungen sind nach innen ab- geschrägt. Spätestens während der genannten größe von 11,40 x 7,56 m und erreicht Von den ursprünglich sechs Steinla- Umbauphase könnte in der Nordost- mit zwei Stockwerken über einem gen hohen Scharten (ca. 0,60 x 0,15 ecke eine steinerne Wendeltreppe später gewölbten Untergeschoss 15 m m) haben sich einige in aufgeweiteter zwischen Unter- und erstem Oberge- Höhe. Form, mit Verglasung versehen, er- schoss eingebaut worden sein. Gleiches trifft auf die Harderwyken- halten, davon eine in der Süd-, zwei in Im Jahr 1712 erfolgte überdies der burg zu, die eine Grundfläche von der Ost- sowie zwei weitere in der Anbau eines eingeschossigen baro- 11,20 x 8,20 m aufweist. Beide Anla- Nordwand, während zwei in der Süd- cken Wohnhauses, dessen Satteldach bis zum Dachansatz des Steinhauses gen hatten ihren Zugang ursprünglich und eine in der Ostwand gut erkennbar 19 im ersten Stock. Das Steinhaus in vermauert worden sind. Der Eingang reicht . Bunderhee15 war zunächst ein weitge- befand sich in 3 m Höhe in der westli- Das Steinhaus der Harderwyken- hend geschlossener Schutz- und Spei- chen Längswand; die daneben ange- burg20 ist nach 1450 vermutlich nicht cherbau, der auf einem Geestsporn ordnete (runde) Schießscharte und als reiner Wehrbau, sondern schon zu errichtet wurde; zur Zeit der größten zwei weitere, heute als Nischen ge- Wohnzwecken am Ostende einer älte- Ausdehnung des Dollart im 15. Jahr- nutzte darunter, könnten der Verteidi- ren Siedlungsachse in Leer errichtet hundert lag es unmittelbar am Was- gung des Einganges gedient haben. worden. ser16. Die Innenräume wurden durch Das Untergeschoss soll einen Brun- Der etwas schiefrechteckige Bau mit schartenartige Öffnungen spärlich be- nen enthalten haben und war zunächst Außenmaßen von 11,17 x 8,15 m lichtet. ungewölbt; die vier sog. böhmischen (Stadtvermessung von 1962) und ei-

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Abb. 2. Steinhaus Bunderhee, Grundrisse, Südansicht nach H. Schmidt mit Ergänzungen (Zeichnung: Verf.). Lageplan nach J. Engelmann (Zeichnung: Verf.; aus: Zeitschrift für Kultur, Wirtschaft und Verkehr 1978/2, S. 6,7 und 17. Ansichten, Schnitt nach K. Schwally. 1943 mit Ergänzungen (Zeichnung: Verf.); aus: Unser Ostfries- land, Ostfriesen-Zeitung 08.03.1990, Nr. 2, S. 6.

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Abb. 3. Steinhaus Bunder- Die Bauten in Leer und Bunderhee hee, Ansicht von Südosten zeigen überdies Gemeinsamkeiten (Foto: Verf. 2002). mit Wohntürmen im nordwestdeut- schen Raum. Diese gelangten eben- falls über drei Geschosse nicht hinaus, wie an den Steinhäusern in Osna- Anstelle der wenigen klei- brück, Bierstraße (Grundrissgröße neren Fensteröffnungen 10,40 x 14,0 m) und Dielingerstraße des Ursprungsbaues zeigt (mit Außenmaßen von 10,0 x 12,0 m), das Gebäude heute neu- festzustellen ist. Beide hatten ihre zeitliche Fensterformen Zugänge im ersten Obergeschoss. Sie aus der Zeit nach 1800, stammen aus der Zeit nach 1250. zudem überzog man die Eine ähnliche Grundrissgestalt ist aber Außenwände mit einem auch bei Steinhäusern jenseits des Dol- grauen Zementputz. larts in den Niederlanden festzustellen, Auf einer Flurstückskarte so zum Beispiel in Wedde mit einem „Caerte van den Landen Grundrissmaß von 10,50 x 8,30 m, onder de Borch tot Lier in Dijksterhuis von 10,50 x 7,50 m und Oostfrieslant – Anno Do- Lellens von 10,50 x 7,50 m. mini 1645“ ist neben dem Von den erwähnten niederländischen Steinhaus, zusammen mit Beispielen sind lediglich Grundrisse einer Toranlage und dem bekannt. Das Aussehen eines solchen Burggraben, ein größerer Gebäudes zeigt ein Gemälde des im eingeschossiger Anbau 13. Jahrhundert errichteten Turmes Schierstins zu Venwouden, Provinz dargestellt, der später ver- 26 ändert worden ist23. Friesland , der ebenfalls als ein Das Schalenmauerwerk schlichter rechteckiger Backsteinbau der Außenmauern hat in zu bezeichnen ist, eine ähnliche Hö- Leer und Bunderhee je- henentwicklung aufweist und ohne ner Höhe von ca. 16,20 m zeigt Paral- weils etwa 1,10 bis 1,20 m Dicke Zwischengliederung erbaut wurde. lelen zum Steinhaus in Bunderhee. (Oberkante Untergeschoss) und ver- Der Charakter niederländischer Bur- Es hat ebenfalls drei Geschosse: ein jüngt sich bis zur Oberkante des zwei- gen des 14. Jahrhunderts kann zudem niedriges mit flachem Kappengewöl- ten Obergeschosses auf ca. 95 cm. an bestehenden Anlagen festgestellt be versehenes Untergeschoss, zwei In Leer ist das Giebelmauerwerk zu- werden, die allerdings im Grundriss Obergeschosse und einen freien dem im Osten und Westen lediglich 34 und Aufbau verschieden sind. Dachraum; der Eingang befand sich in cm stark, was auf Veränderungen im Der Hauptbautrakt von Muiden der Südwand des ersten Obergeschos- Dachgeschoss hindeutet. (Loord-Holland), Muiderslot, wurde ses. Die Backsteinformate betragen in im 14. Jahrhundert erbaut und weist Das untere Geschoss, das keine Ver- Leer 28,5 x 14,5/14 x 8 cm und in noch einen Staffelgiebel auf; ein un- bindung zum darüber liegenden hatte, Bunderhee etwa 29 x 14 x 9 cm. Ziegel gegliederter Backsteinbau, der zwi- war durch eine Tür von außen zugäng- dieser Größe werden allgemein als schen 1357 und 1368 entstanden ist, lich und enthielt vermutlich ebenfalls „Klostersteine“ bezeichnet. Das For- befindet sich in Poederrojen (Gelder- einen Brunnen. mat der Steine in Leer, gemessen im land); schließlich vermittelt Medem- Durch Hochziehen oder Vernichten Untergeschoss, könnte die angenom- blik (1288) Noord-Holland noch ei- der äußeren Holztreppe oder Leiter mene Bauzeit – nach der Mitte des 15. nen Eindruck von einer mittelalterli- waren die oberen Geschosse schwer Jahrhunderts – bestätigen24. chen Burganlage. einnehmbar, da das Untergeschossge- Die Steinlagen der Außenmauern sind Bestimmend ist in allen vier Fällen die wölbe einer möglichen Ausräuche- an beiden Bauten unregelmäßig. Zwei glatte Backsteinwand, die – wie in rung widerstanden hätte21. bis vier Läufer wechseln mit Bindern, Bunderhee – nur an einigen Stellen Die Obergeschosse mit zunächst ge- die in den aus Mörtel und Ziegelbrok- von einfachen Scharten durchbrochen ringerer Wohnqualität baute man erst ken bestehenden Gussmauerkern ein- wird; zudem wurden an allen Bauwer- nach 1588 komfortabler aus. Der greifen. Eine regelmäßige Ordnung ken zur Stabilisierung Maueranker Wohnturm erhielt einen (u-förmi- im Verband ist nicht erkennbar. verwendet. gen) Anbau. Auch die ursprünglich Für das Mauerwerk der Außenschalen geradlinigen Giebel sind mit renais- wurde jeweils Muschelkalk-Mörtel Steinhäuser des 15. Jahrhun- sancezeitlichen Zierformen ver- verwendet. derts (Saalbauten) sehen worden. In den Geschossen Auf einem Foto der Harderwyken- Der jüngere Typ des Steinhauses, der wurde nun eine Raumaufteilung vor- burg aus der Zeit zwischen 1860 und im 15. Jahrhundert aufkam und sich genommen, Fenster wurden verän- 1890 ist noch ein Burggraben erkenn- besonders nach der Jahrhundertmitte dert und ein Kamin eingebaut – Ver- bar. Auch in Bunderhee waren Gräben durchsetzte, war ein Saalbau, der sich besserungen, wie sie etwa zeitgleich vorhanden, wie man 1977 bei Unter- in seinen Proportionen deutlich von auch in Bunderhee durchgeführt suchungen des umgebenden Geländes den älteren Turmhäusern unter- worden sind22. feststellte25. schied27. An die Stelle des „Hohen

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Abb. 4. Harderwykenburg in Leer, Grundrisse, Schnitte, Ostansicht (Zeichnung: Verf.) nach Prof. Peter R. Voss aus: Festschrift Kurt Asche 1990, S. 142 und 143. Ansicht Nordosten nach G. Robra (Zeichnung: Verf.) aus: Unser Ostfriesland, Ostfriesen-Zeitung 08.03.1990, Nr. 2, S. 5.

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Abb. 5. Harderwykenburg gann etwa nach der Mitte des 14. Jahr- Leer, Ostansicht (Foto: hunderts in Greetsiel mit dem Bau Verf. 2002). einer Burgstelle. Das „olde huus“ war 12,60 m (44. Emd. Fuß) lang und 11,50 m (38 Emd. Fuß) breit, die Grundmauern waren 2 ein- und zweigeschossi- 31 gen Aufbau. Diese Bauten m dick (7 Emd. Fuß) . sind allgemein als Giebel- Der Grundriss dieses ältesten Stein- häuser zu bezeichnen, da hauses in Greetsiel bildete demnach ihre Giebel zum Beispiel ein Rechteck, das einem Quadrat sehr als Staffelgiebel (Hinte) nahe kam. Es handelte sich um ein Turmhaus, das zwischen 1362 und besonders betont sein 32 können. 1388 errichtet wurde . Der Großen- Der erhaltene Staffelgie- kel Edzards, Enno Edzardsna, wird bel auf der Südseite des später als erster urkundlich bezeich- Saalbaues in Hinte wird neter Besitzer einer Burg erwähnt. Es durch hohe, schmale Ab- wird vermutet, dass dieses von Was- sätze gekennzeichnet, sergräben umgebene Steinhaus in überdies haben sich in der etwa dem Typ eines bescheidenen Giebelfläche vier Blend- wehrhaften Wohnturmes mit Neben- fenster erhalten, die eine gebäuden, unter anderem Ställen für betont schmale und ge- das Vieh, entsprach. Außerdem gab es streckte Form aufweisen. eine doppelte Wasserversorgung Sie sind mit einem Flach- durch einen Brunnen wie durch eine bogensturz abgeschlossen Regenwasser-Zisterne, „Regenba- und unterhalb des mittle- cke“ genannt. Vorteilhaft für die Anla- ren Flachbogens durch ge war, dass sich zur Verteidigung die Klappen verschließbar. Sieltore öffnen ließen und die dann Neben den An- oder Aus- einsetzende Überflutung wie Morast- Hauses“ trat nun das „Lange Haus“. bauten bestehender Anlagen, wie in bildung der umliegenden Landflä- Ein wachsendes Bedürfnis nach Kom- oder Greetsiel, konnten ent- chen Schutz boten. fort und Repräsentation bestimmte weder ältere Burgplätze, wie in Hinte, Auf Enno folgte 1430 dessen Sohn zunehmend den Burgenbau. wieder bebaut werden oder, falls sie Edzard, der nach einem Jahr verstarb, Der spätere ostfriesische Graf Ulrich sich für eine Anlage in Vierkantform so dass sein Bruder Ulrich 1431 den Cirksena fügte 1458 an das vorhande- („int veerkant“) nicht eigneten, neue Besitz übernahm. Ulrich wurde 1454 ne Turmhaus in Emden ein Langhaus Bauplätze erschlossen werden. in den Grafenstand erhoben. Zum ers- von 27 m Länge und 10 m Breite, „dat Bei mehrflügeligen Anlagen, wie in ten Mal in der Geschichte hatte damit langhe hues“ oder „dat saell“ genannt, Hinte, war stets der Saalbau das Ostfriesland einen einheimischen an. Hauptgebäude. Soweit die offenen Grafen. Während die Burg in Emden nach der Seiten des viereckigen Burgplatzes 1457 wird von einem neuen Burgbau Mitte des 18. Jahrhunderts abgebro- nicht von Nebengebäuden ausgefüllt berichtet. Das neue Burggebäude chen wurde, haben sich das Steinhaus wurden, sind sie von Mauern (mit To- wurde vermutlich in zwei Bauperi- der Osterburg in Groothusen (22,50 m ren) eingeschlossen worden29. oden errichtet, und zwar 1456 der grö- L x 9 m B x 12,5 m H), Burg Hinte/ Dieser Burgenneu-, -um- und -ausbau ßere Teil und 1460 der westliche Flü- Emden, Saalbau, „Hohes Haus“ (35 m des 15. Jahrhunderts war im ostfriesi- gel. Das Siel verlegte man damals in L x 10 m B x 17 m H), beide aus der schen Raum verbreitet; mit ihm nah- den Schussbereich der Burg33. Im Jah- ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, so- men die Wasserburgen und -schlösser re 1457 hatte also Ulrich „dat princi- wie die Alte Burg , Hauptflü- der Spätgotik, Renaissance, des Ba- pale huus int veerkante mit den toren gel (15/16,50 m L x 7,50 m B x 14 H) rock und neuerer Stilepochen ihre Ge- by dat olde huus in de Greedt anleg- aus der Zeit um 1458, erhalten. stalt als Viereckanlagen an30. gen“ lassen. Das Alte Haus wird dem- Von den Anlagen in Grimersum „Burg nach zunächst den Ostflügel der neuen der Beninga“, Saalbau (30 m L x 10 m Burg Greetsiel Viereck-Anlage gebildet haben. B x 17 m H) und Petkum a. d. Ems (35 Der ehemalige Handelsplatz und heu- Ein Abbruch des älteren Burghauses m L x 8 m B), beide nach 1450 errich- tige Fischer- und Fremdenverkehrsort dürfte im Zusammenhang mit einer tet und im 19. Jahrhundert verfallen Greetsiel zeichnet sich durch seine Erweiterung der Burg nach Osten er- bzw. abgebrochen, sind die Abmes- Lage an einem Siel in der Nähe des folgt sein. Dem entspricht auch der sungen bekannt28. Mündungsgebiets der Ems und einer Befund, der sich nach dem Abbruch Aus den Höhenangaben geht hervor, ursprünglich tideabhängigen Schiff- der Burg ergab: Im Osten des Burgho- dass die Saalbauten etwa die gleiche fahrtsverbindung über das Greetsieler fes stieß man im Erdreich auf die Höhe aufweisen wie die Turmhäuser Außentief zur südlichen Lay-Bucht Grundmauern eines Gebäudes, dessen des 14. Jahrhunderts; in der Höhen- aus. Längsachse (Nordost-Südwest) der aufteilung vollzog sich jedoch ein Ein Sohn wohlhabender Bürger der Querachse der Burg entsprach und das Übergang vom dreigeschossigen zum Stadt Norden, Edzard Cirksena, be- in seiner Länge von 12,60 m die ge-

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samte Breite des Burghofes einnahm. Es könnte sich hier um die Grundmau- ern des Alten Hauses gehandelt haben, der ersten Burg der Cirksena in Greet- siel, die Ulrich noch in seinen Neubau einbezogen hatte. Die Viereck-Anlage Ulrichs war also in ihrer Nordwest-Südost-Ausdeh- nung kürzer. Die Gebäude gruppier- ten sich um einen engen Hof. Als Herr- schersitz ist die Greetsieler Burg we- niger genutzt worden; die Cirksena besaßen außerdem Schlösser in Au- rich und Emden. Ulrichs Witwe, Gräfin Theda, be- wohnte die Anlage und starb hier am 17.09.1494. Gräfin Anna erwählte 1558 die Burg ebenfalls als Witwen- sitz bis zu ihrem Tode am 08.11.1575. Mitte des 16. Jahrhunderts übertrug man die Verwaltung der Burg einem Drosten. Nach dem Tode der letzten Grafen wurde Ostfriesland zur preußi- schen Provinz. In den Gebäuden brachte man zunächst ein Gefängnis unter, ehe sie 1777 auf Anordnung Friedrichs des Großen auf Abbruch zum Verkauf standen. Der Erlös be- trug 3 500 Reichstaler. Die Abbruch- arbeiten begannen 1778; 322 Jahre lang hatte die Anlage das Ortsbild Greetsiels mitgeprägt34. Der Leiter des Abbruchs, Wilt Garrelts, hinter- ließ einen ausführlichen Bericht, der Aussagen über die Größe, Bauweise und Ausstattung der Burg enthält und Grundlage für die folgenden Ausfüh- rungen bildet. Die Anlage, ein vierseitiger Back- steinbau, maß von Nordosten nach Südwesten 31,40 m. Die Dächer der Burg waren mit Schiefer, die der Ne- bengebäude mit Dachpfannen oder Reith (Schilf) gedeckt. Die Höhe vom Burggraben bis zum Dach betrug 9,42 m. An der Nordecke befand sich ein runder Burgturm (Eckturm), der zu einem Drittel in die Burgmauer einge- bunden war. Die Gesamthöhe dieses Turmes über Wasser betrug 31,40 m, unter dem Wasserspiegel 3,14 m bei einem Durchmesser von 10 m. Turm- und Burgmauerfundamente ruhten auf einem Pfahlrost, bestehend

Abb. 6. Osterburg Groothusen, Süd- ansicht (Foto: Verf. 2004). Abb. 7. Burg Hinte, Südwestansicht (Foto: Verf. 2004). Abb. 8. Burg Pewsum, Südwestansicht (Foto: Verf. 2004).

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Abb. 9. Burg Greetsiel, Grundriss nach Abbruchplan 1778 von W. Garrelts mit Ergänzungen (Zeichnung: Verf.). Eckturm, Rekonstruktion nach Beschrei- bung von W. Garrelts (Zeichnung: Verf.); aus: Kalender für Jedermann 1934, S. 139–144. Südostansicht, Rekonstruktion nach Kup- ferstich von C. B. Meyer mit Ergänzungen (Zeichnung: Verf.). Lageplan nach J. Engelmann (Zeichnung: Verf.); aus: F. Weber, Greetsiel. Das Dorf der Fischer und Künstler, Norden 1980, S. 137–139.

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aus 1500 Ellernholzpfählen (Erlen- böden. Darüber befand sich ein spitz- dachten Umgang etwa 3,70 m stark holzpfählen) 3 bis 5,5 m lang und 500 winkliges Dach. Den in der Südost- und ragte 7,85 m über den Wasserspie- Pfählen 2 bis 3 m lang; sämtliche ecke des Burghofes errichteten klei- gel des Burggrabens. Der Umgang auf Pfähle wiesen einen Durchmesser von nen spitzhelmigen Turm betrat man der Burgmauer, begrenzt durch eine 25 cm auf. Auf diesen senkrechten durch einen gewölbten Eingang vom äußere und innere Brustwehr, war ca. Holzpfählen befand sich ein starker Burghof aus. Im Turminneren befand 1,50 m breit. An den Ecken dieses eichener Planrost (liegender Rost). sich auch der Kellereingang. Umganges stand je ein Wachthäus- Trotz der drei Jahrhunderte soll das Die Höhe dieses Turmes war zwar in chen. Die Burg wurde eingefasst von unter Wasser stehende Holz so gut der Originalbeschreibung nicht ange- einem 25 m breiten und 6,25 m tiefen erhalten gewesen sein, dass es teilwei- geben, doch führte eine 34-stufige, Wassergraben. Der einzige Zugang se zu Möbeln verarbeitet werden aus Sandstein hergestellte Wendel- zur Anlage führte über eine mit Gelän- konnte. treppe im Turminneren zu den Ober- der versehene, auf Jochen ruhende Das Mauerwerk des Eckturmes hatte geschossräumen des Südostflügels. Holzbrücke. Durch Hochziehen von unter dem Wasserspiegel des Burg- Dieser Gebäudeflügel ist von 1755 bis je zwei nebeneinander liegenden grabens eine Stärke von 3,77 m und 1777 als Zuchthaus, als erstes Zucht- Klappbrücken für Fußgänger und zeigte bis zu 6,28 m Höhe und dort, wo haus Ostfrieslands, genutzt worden. Wagenverkehr war die Verbindung zu Sandsteinbänder in das Mauerwerk Das Erdgeschoss diente als Wärter- unterbrechen. Auf dem Mittelteil zwi- eingefügt waren, noch 3,14 m Stärke. wohnung. schen den Klappbrücken befand sich In dieser Turmhöhe lag der so genann- In dem zweistöckigen Gebäude der ein Wachtlokal. Der Zutritt zur Brücke te Umkranz (Umgang), ein Turmab- Südwestseite waren das Backhaus erfolgte durch ein Steinportal mit an- satz, dessen Brustwehr 1 m Höhe und und ein Teil der Magazinräume unter- gegliedertem Schilderhäuschen. Wie 68 cm Stärke aufwies. An der Außen- gebracht. Außerdem gab es in diesem bei vergleichbaren Burgbauten lagen seite war dieser Umkranz rund, an der Gebäudeflügel fünf gewölbte Keller- vermutlich auch bei der Greetsieler Innenseite jedoch achteckig und mit räume. Die Hauptfront der Burg, mit Burg das Eingangstor und der Burg- mehreren Geschützlöchern versehen. einer überwölbten Toreinfahrt verse- hof mit seinen Gebäuden ca. 3 m über Die unterste Turmkammer schloss ein hen, befand sich auf der Nordwestsei- dem Wasserspiegel des Burggrabens. Kuppelgewölbe ab, in dessen Scheitel te. Dieses in der Mitte der Front ange- Man schaffte dadurch trockene Kel- sich eine viereckige, mit Sandstein- ordnete Einfahrtsgewölbe wurde lerräume, schützte sich gegen Über- rahmung versehene Einstiegsöffnung durch zwei hintereinander eingebaute flutungen bei Deichbrüchen und si- befand. Dieses Turmverlies erhielt zweiflügelige, mit Eisenbeschlägen cherte sich eine erhöhte Verteidi- spärliches Tageslicht durch vier klei- verstärkte Eichenholztore geschlos- gungsstellung. Die auffallendsten nere vergitterte Maueröffnungen. sen. Merkmale der Anlage waren also ne- In der Fortsetzung des auf einen Auch dieser Nordwestflügel war ben dem mächtigen Eckturm (30 m Durchmesser von 7 m (oben 6 m) zweistöckig ausgeführt und mit einem hoch) die starken Außenmauern (ca. verjüngten Turmbaues befanden sich Pultdach versehen. 3,70 m stark) und der groß dimensio- – übereinander angeordnet – drei Räu- Die im Gebäude vorhandenen Räume nierte Graben (annähernd 25 m breit me (Kammern), jede mit einer Feuer- sind teils von der Besatzung als Unter- und 6 m tief). Eine Besonderheit in stelle und mit einem gemeinschaftli- kunftsräume, teils als Magazinräume Greetsiel, der runde Eckturm (Batte- chem Rauchabzug versehen, der an genutzt worden. Über dem Eingangs- rieturm), könnte auf eine Funktion der der Turmsüdwestseite auf der oberen tor war an der Außenseite ein kleiner Burg als wehrhafter Stützpunkt hin- Brustwehr endete. zweistöckiger Erker (Aussteck ge- deuten. Lediglich in Wittmund und Die Lichtzufuhr zu den einzelnen nannt) angeordnet. Stickhausen sind ähnliche Ecktürme Turmkammern vermittelten je drei Der mit Feldsteinen gepflasterte festzustellen. Im Sommer 1784 war Fensteröffnungen. Wendeltreppen im Burghof zeigte in der Mitte einen die Burgstelle von allen Baumateriali- Turminneren, teils aus Sandstein, teils Brunnen, überspannt von einem leich- en gesäubert und der Graben zuge- aus Holz, führten zum oberen Um- ten Eisengerüst, woran Laufrolle, Seil worfen, nur der Brunnen im ehemali- kranz bzw. Umgang auf der obersten und Wassereimer hingen. Das Regen- gen Burghof ist längere Zeit erhalten Plattform. Dort deckten graue Fliesen wasser wurde von den Dächern aufge- geblieben. Das Gelände teilte man in das abschließende Turmgewölbe ab. 15 Parzellen auf, von denen neun mit fangen und durch Dachrinnen und 35 Über dem Gewölbe empor ragte noch Bleirohre zur unterirdisch angelegten Häusern bebaut werden mussten . eine 1 m hohe Brustwehr. Die Bekrö- Zisterne geleitet. Die meisten Fenster nung des Turmes bildete eine 3,14 m der Burg zeigten auf den Burghof, Zusammenfassung hohe Haube, geschmückt mit eiserner während die starken äußeren Burg- Windfahne, „De witte Hoed“ (weißer mauern, außer den eingebauten Lage Hut) genannt, weil sie, mit weißer Schießscharten, nur wenige kleinere Die Übersichtskarte macht deutlich, Farbe gestrichen, vermutlich als weit- Lichtöffnungen in größerer Höhe auf- dass bei den Burgen eine Lage unmit- hin sichtbares Seezeichen benutzt wiesen. telbar an der Küste oder an einem wurde. Aus dem Turminneren gelang- Von jenen Außenfenstern waren im schiffbaren Gewässer gewählt wurde. te man in den Nordostflügel der Burg, Nordostflügel zwei, im Südostflügel Diese Standortwahl ermöglichte eine der gewölbte Kellerräume aufwies, drei, im Südwestflügel eins und im Beteiligung am Handel, der sich we- im Erdgeschoss zwei Räume für die Nordwestflügel drei vorhanden. Die gen der unwegbaren Moorgegend auf Besatzung und im ersten sowie zwei- äußere Burgmauer, „de dikke Mur“, dem Seeweg vollzog (Greetsiel, Em- ten Stockwerk langgestreckte Korn- war bis zum wahrscheinlich über- den). Überdies waren die Randgebiete

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Abb. 10. Greetsiel, Kup- ferstiche von C. B. Meyer nach Gemälden von J. G. Berkenkamp (Staatsar- chiv ).

Ostfrieslands wegen ihrer fruchtbaren Marschböden von größerer Bedeu- tung36. Die Nutzung dieser güns- tigen Standortfaktoren er- forderte aber auch einen Schutz der Anlagen vor Sturmfluten. Eine Mög- lichkeit bestand darin, die Burgen dort zu errichten, wo die höhere Geest in das Marschland vordrang (Burgen des 14. Jahrhun- derts). Meist wurden die Burgen aber auf Warften (Wurten) gebaut, die sich in der Marsch befanden (Burgen des 15. Jahrhun- derts). Auf diese Bedin- gungen konnte jedoch weitgehend verzichtet werden, als Deiche exis- tierten. Wichtig für die Lage der Burgen blieb aber weiterhin die Abhän- gigkeit von ausreichender Wasserversorgung für die schützenden Gräben. Bauherren Im 13. Jahrhundert war Ostfriesland in zwölf selb- ständige Landesgemein- den gegliedert, in denen Angehörige der Ober- schicht als Richter ab- wechselnd politische, richterliche und militärische Gewalt dessen Mauern aus Stein nicht „höher Einige charakteristische Familienna- ausübten. als zwei Rutenfuß hoch im Geviert“ men aus dieser Zeit sind zum Beispiel Diesem Zweck diente auch der Bau und dessen Keller nicht „über zwei Allena (Hinte), Attena (Dornum) oder von Burgen durch die Landesgemein- Hausfächer im Geviert reichen“ durf- Beninga (Groothusen). Die Häuptlin- den. Neben der Aufrechterhaltung der ten, wie es im Brokmer Recht, den so ge waren ursprünglich Bauern bzw. Ordnung innerhalb des Landes spielte genannten Brokmerbriefen hieß38. Großbauern, die im Laufe der Zeit die Errichtung von Grenzfesten gegen Diese Ordnung hatte jedoch keinen einen ansehnlichen Besitz zusam- äußere Feinde eine wichtige Rolle. dauerhaften Bestand gegenüber einer menbrachten. Durch die Beteiligung Ein Verbot der Errichtung von Eigen- im 14. Jahrhundert zunehmenden Ver- am Handel konnten sie ihre militä- burgen sollte mögliche Fehden zwi- selbständigung von Landesteilen und risch-politischen Unternehmungen fi- schen Einzelbesitzern einschränken37. der Ermächtigung von Einzelperso- nanzieren. Einige dieser spätmittelal- Noch um 1300 sollte keiner besondere nen. Damit kündigte sich der Beginn terlichen Häuptlingsfamilien stiegen Rechte und Macht dadurch erlangen, der Häuptlingszeit an, in deren Ver- zu Landesherren auf, denen sich ande- dass er sich eine massive Burg baute. lauf es zu einer uneingeschränkten re Häuptlinge unterordnen mussten. Zugelassen war lediglich ein Haus, Ausbreitung der Eigenburgen kam39. Ein Beispiel dafür sind die Cirksena.

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Ulrich Cirksena wurde 1454 in den Die Höhenausdehnung der Burgen ist zulesen ist: Turmbau, Eingangshöhe, Grafenstand erhoben, damit vollzog relativ konstant, da die Bauten über Mauerstärke, Schießscharten, Burg- sich der Übergang vom Häuptlings- eine Dreigeschossigkeit nicht hinaus- graben (Bunderhee, Leer)43. Das erste wesen zur Grafenzeit40. gingen. Während die Turmbauten des Obergeschoss war überdies als ge- 14. Jahrhunderts etwa die gleiche schützter Speicherraum nutzbar. Im Baukörper Höhe aufweisen wie die Saalbauten Allgemeinen waren bei Steinhäusern Von den zahlreichen Wehrbauten des des 15. Jahrhunderts, vollzieht sich des 13. bis 15. Jahrhunderts Fenster- späten Mittelalters hat sich nur eine aber in der Höhenaufteilung der Über- öffnungen des ersten Obergeschosses relativ geringe Zahl in meist verän- gang von Dreigeschossigkeit zur Ein- kleiner als die des oberen bewohnba- derter Form erhalten. Diese Anlagen bzw. Zweigeschossigkeit. Diese Bau- ren Geschosses. Es fehlte in diesem waren häufigen Fehden ausgesetzt, ten werden als Giebelhäuser bezeich- Geschoss auch der Komfort, so dass die ihre Besitzer im späteren 14. und net, da ihre Giebelansichten zum Bei- vermutet werden kann, dass man über 15. Jahrhundert miteinander führten. spiel durch Staffelgiebel betont sind. die äußere Treppe zunächst in einen Einzelne Burgen, wie zum Beispiel Die Form des Giebelhauses kommt Speicherraum gelangte. Vom meist Hinte, wurden mehrfach zerstört und sowohl an Bürgerhäusern als auch an gewölbten Untergeschoss gab es im wiederaufgebaut41. Hierdurch bot Kirchen vor. Inneren keine Verbindung zu den obe- sich einerseits die Möglichkeit der Bedingt durch die Verwendung des ren Geschossen. Der Zugang erfolgte Veränderung der Burg und ihrer An- Backsteins sind keine komplizierteren bis in das 16. Jahrhundert nicht eben- passung an neue Anforderungen, an- Steinformen festzustellen. Die Wand erdig und stets von der Traufseite aus. dererseits fielen aber zahlreiche von ist flächig, dennoch werden die ma- Die sehr alte Verbindung von Wohn- ihnen den Auseinandersetzungen terialeigenen Möglichkeiten ausge- turm (Steinwerk) und Lagerhaus ist zum Opfer. schöpft. Aus dem Backsteinverband durch ganz Europa zu verfolgen …. Die ersten ostfriesischen Backstein- heraus, der zunächst ungeordnet (Bun- Der Gutsherr lebte damals mit Fami- Burgen sind als Turmbauten zu be- derhee), dann geordnet (Hinte) vor- lie und Gesinde im bäuerlichen Fach- zeichnen, die über einem rechtecki- kommt, ergab sich der Staffelgiebel. werkhaus. Er scheint sein privilegier- gen Grundriss errichtet worden sind Dieser ermöglichte eine Betonung der tes Steinhaus im Wesentlichen als (Bunderhee, Leer). Sie verkörpern vertikalen Tendenz, die im 14. Jahrhun- Speicher, als Fluchtburg und Reprä- den üblichen Bautyp des 14. Jahrhun- dert durch hohe Schießscharten und im sentationshaus genutzt zu haben44. derts, während im 15. Jahrhundert 15. Jahrhundert durch schmale, hohe Während bei diesem Bautyp eine anstelle des „Hohen Hauses“ das Fenster mit mittlerer Unterteilung und Wohnnutzung ursprünglich nur zeit- „Lange Haus“ tritt, dessen wesentli- Flachbogenaufsatz unterstützt wird. weilig (bei Gefahr) erfolgte, ist diese ches Kennzeichen der Saal ist und das Funktion an Bauten des 15. Jahrhun- sich in seinen Ausmaßen erheblich Funktion derts durch das Vorhandensein eines von den Turmbauten unterscheidet42. Es wird angenommen, dass die hoch- Saalbaues und durch die Existenz von Zudem gibt es in diesem Jahrhundert mittelalterlichen ostfriesischen Anla- Kaminen zu belegen. Überdies ge- neben den Einflügelanlagen (Groot- gen in erster Linie als Wehr- und winnt der Repräsentationsgedanke husen) auch Zweiflügelanlagen (Hin- Fluchtburgen gedient haben. Diese mehr an Gewicht. An diesen Bauten te, Pewsum), wodurch der Übergang Nutzung könnte auch für Bauten des wird die Wehrfunktion reduziert auf zu den Wasserschlössern des 16. Jahr- 14. Jahrhunderts zutreffen, deren die Faktoren Mauerstärke und Burg- hunderts angedeutet wird. Wehrcharakter an einigen Details ab- graben (Hinte).

Anmerkungen 1 Als Ostfriesland bezeichnet man die Küs- 2 H. v. Lengen, Burgen und Schlösser in Denkmalpflege, H. 23, Oldenburg 2002, tenlandschaft im nördlichen Niedersach- Ostfriesland, in: Bulletin van de S. 61–64. sen zwischen Dollart und Jadebusen, die koninklijke Nederlandse Outheidkundige 6 Lengen (wie Anm. 2), S. 49. als Halbinsel in die Nordsee hineinragt. Bond, Jg. 71/Aflevering 2, Mai 1972, S. 7 Als Marsch wird das fruchtbare Das Gebiet wird somit geografisch defi- 49. Schwemmland an der Küste bezeichnet, niert, im Gegensatz zur politischen Sicht, 3 Ebd., S. 49 das aus dem Alluvium stammt. Das in der unter Ostfriesland nur der Regie- 4 H. Schlachter/W. Reinhardt, Wo Häupt- Marschgebiet ist weiterhin auch dadurch rungsbezirk Aurich mit den Landkreisen linge und Adel lebten, Burgen und Schlös- gekennzeichnet, dass sich seine Gestalt Aurich, Leer, Norden, Wittmund und ser in Ostfriesland, Oldenburg und im durch Verlandung und Überflutung lau- Emden verstanden wird. Durch die geo- nördlichen Emsland, Norden 1997, S. 11. fend verändert. Im Mittelalter schnitt das grafische Definition kommen aus dem 5 H. v. Lengen, Die Burg der Beninga zu Meer zahlreiche, oft tief ins Land reichen- Verwaltungsbezirk Oldenburg der Kreis Wirdum, Archäologische Untersuchun- de Buchten ein, von denen heute noch drei Friesland und die kreisfreie Stadt Wil- gen in den Jahren 1999 und 2000, hrsg. erhalten sind: Dollart, Lay-Bucht und der helmshaven hinzu. vom Niedersächsischen Landesamt für Jade-Busen.

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8 Geest ist eine niederdeutsche Bezeich- formate. Bei ihrer Bewertung kann die 1934, S. 139–144; dazu auch: F. Weber, nung für die aus dem Diluvium stammen- Arbeit von Eberhard G. Neumann (Die Greetsiel, Das Dorf der Fischer und den sandigen Ablagerungen des Nord- Backsteintechnik in Niedersachsen wäh- Künstler, Norden 1980, S. 136–139. westdeutschen und Belgisch-Niederlän- rend des Mittelalters, Lüneburger Blätter, 34 Ebd., Aufzeichnungen und Angaben des dischen Tieflandes. In Ostfriesland er- H. 10, Lüneburg 1959, S. 21 ff.) herange- Abbruchleiters der Burg W. Garrelts, S. streckt es sich auf der Linie Leer – Norden zogen werden. Das Baumaterial, das als 141–144. – Esens – Jever – Varel. „Klosterstein“ bezeichnet wird, ist in sei- 35 Lengen (wie Anm. 31), S. 160, Anmerkun- 9 Lengen (wie Anm. 2), S. 50. nen Abmessungen nicht immer gleich ge- gen. 10 R. Noah, Die mittelalterlichen Kirchen im wesen; seine Maße waren durch die Jahr- 36 Lengen (wie Anm. 2), S. 49. Harlingerland, hrsg. von der Ostfries. hunderte großen Schwankungen unter- 37 Lengen (wie Anm. 2), S. 51. Landschaft in Verbindung mit dem Nie- worfen. In diesem Zusammenhang ist 38 Lengen (wie Anm. 5), S. 62. dersächsischen Staatsarchiv in Aurich, Neumanns Übersichtstafel Ziegelformate 39 Lengen (wie Anm. 2), S. 51. Aurich 1969, S. 106 f. in Niedersachsen vom 12. bis 16. Jahrhun- 40 Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts ist 11 Lengen (wie Anm. 2), 1972, S. 50. dert von besonderem Interesse. Vor allem innerhalb der großbäuerlichen Schicht 12 Ebd., S. 51. die Dicke der Steine wird als Kriterium eine Aristokratisierung zu beobachten, 13 Ebd., S. 51. angesehen. Hier gilt es, das Format der eine Zuspitzung auf einen engen Kreis 14 H. v. Lengen, Die mittelalterlichen Burgen Steine der Harderwykenburg (gemessen von „divites“, „pontents“, „nobiles“, die zwischen Dollart und Jadebusen, aus: im Keller) 28,5 x 14,5 / 14,0 x 8 cm in die ein ausgeprägtes Eigenständigkeitsstre- Ringwall und Burg in der Archäologie Tabelle einzuordnen. Es stellt sich heraus, ben an den Tag legten. Die neuen Herren, West-Niedersachsens, Cloppenburg 1971, dass diese Formate in erster Linie nach der denen sich die bäuerlichen Gemeinden S. 20. Mitte des 15. Jahrhunderts verwendet seit der Mitte des 14. Jahrhunderts unter- 15 R. Poppe, Die Baugeschichte des Stein- wurden. ordneten, hießen: „capitales“ und „hovet- hauses in Bunderhee, in: Smidt-Smidt- 25 Schwarz (wie Anm. 16), 1978/2, S. 14–18. linge“ (Häuptlinge). Ulrich Cirksena zu Oberdiek, Das Steinhaus in Bunderhee, 26 H. v. Lengen, Geschichte des Emsigerlan- Greetsiel war mit Seehandel und Weide- Aurich 1970, S. 7–19, dazu auch: H. v. des vom frühen 13. bis zum späten 15. wirtschaft vermögend genug, die Geld- Lengen, Zur Baugeschichte des Steinhau- Jahrhundert, Aurich 1973, Teil II, S. 83. schwierigkeiten Kaiser Friedrichs III. zu ses in Bunderhee. in: Ostfriesland, 1978/ 27 Lengen (wie Anm. 14), S. 21, dazu auch: nutzen und sich den erblichen Reichsgra- 2, S. 8–14, siehe auch: A. Schmidt, ebd. H. v. Lengen, Der mittelalterliche Wehr- fentitel zu kaufen (1464). Hierdurch voll- Baubeschreibung nach der Restaurierung bau im ostfriesischen Küstenraum, Aus- zog sich der Übergang vom Häuptlings- 1976–1978, S. 1–8. zug aus dem Protokoll Nr. 176 des Kon- wesen zur Grafenzeit. Die Grafen waren 16 A. Schwarz, Ausgrabung am Steinhaus zu stanzer Arbeitskreises für mittelalterliche somit Nachkommen der mittelalterlichen Bunderhee. in: Ostfriesland, 1978/2, S. Geschichte e. V. von der Tagung auf der Häuptlinge. Die Grafenzeit war überdies 17. Insel Reichenau vom 10.–13.10.1972, S. durch eine Zeit des Ausgleichs gekenn- 17 Lengen (wie Anm. 15), S. 9. 110–122. zeichnet, in der sich befehdende Häuptlin- 18 Ebd., S. 11. 28 Lengen (wie Anm. 2), S. 52. ge unter einer straffen, aber gerechten 19 Ebd., S. 12. 29 Lengen (wie Anm. 14), S. 21 f. Neben und Lenkung zusammengefasst wurden. Dies 20 P. R. Voss, Die Harderwykenburg in Leer, anstelle von Steinhäusern dienten auch gelang vor allen Dingen dem Sohn Ul- in: Festschrift Kurt Asche, Worpswede Steinkirchen im späten Mittelalter als richs, Edzard „dem Großen“. Als es 1513 1990, S. 140–146; dazu auch: G. Robra, Wehrbauten. Edzard nicht gelungen war, dem Herzog Profane Gebäude, in: P. Elster, Heimat- 30 Lengen (wie Anm. 2), S. 52. von Sachsen die friesischen Besitzungen chronik des Kreises Leer, S. 139–147. 31 Lengen (wie Anm. 26), Teil I. S. 159, abzukaufen, plante er einen Angriff auf 21 Voss (wie Anm. 20), S. 142. dortige Anm.: Acta der Niederemsischen sächsisches Gebiet. Als diese Absicht er- 22 Ebd., S. 144. Deichacht für das Jahr 1775/76, worin kannt wurde, musste er (1514) um Ost- 23 Ebd., S. 144, dazu auch: G. Robra, Die Acta von Ankauf der Greetsieler Burg friesland kämpfen, in das sächsische Söld- Harderwykenburg ältester Profanbau von (zwecks Abbruchs), 1774, De Burg in ner vordrangen (Sächsische Fehde). Die Leer, in: Unser Ostfriesland, Ostfriesen- Greetziel, Bericht des Greetsieler Kauf- Auseinandersetzung lief positiv für Ed- zeitung vom 08.03.1990, Nr. 2, S. 5–8. manns P. C. Petersen nach Aufzeichnun- zard aus, da dem Herzog die Gelder ausge- Der gegenwärtige Anbau hatte einen Vor- gen und Angaben des Abbruchleiters der gangen waren und Edzard Verbündete fin- gänger. Dieser ist auf einer Abbildung aus Burg W. Garrelts in niederländischer den konnte. dem Jahre 1645 als eingeschossiges Wirt- Sprache (um 1780), Ostfries. Monatsbl. 6 41 Lengen (wie Anm. 2), S. 54. schaftsgebäude gezeichnet. Auch auf ei- (1878), S. 3–8; dazu Barth, 1934. Es ist in 42 Ebd., S. 52. ner Abbildung aus der Mitte des 19. Jahr- Emder Fuß gemessen worden (1 Emd. 43 Ebd., S. 51. Auf die Bedeutung von Stein- hunderts ist dieses Gebäude noch vorhan- Fuß = 0,91 Rhein. Fuß; 1 Rhein. Fuß = kirchen als Wehrbauten wird hingewie- den. Der Stadtplan des Geometers C. 0,314 m, 1. Emd. Fuß = 0,286 m). sen. Dank ihrer herausragenden Lage auf Reinhold von 1826 verzeichnet einen 32 Ebd., S. 160. Ohne Zweifel haben wir hier einem eingefriedeten Hügel und der Ei- Winkelbau. Danach muss das niedrigere den Typ eines Turmhauses vor uns, wie er genschaft des Kirchhofes als eines beson- Wirtschaftsgebäude direkt mit dem Stein- uns in ähnlichem Ausmaß in der Sibets- ders geschützten Bereiches boten sich die haus verbunden gewesen sein, wie das burg begegnet, die ebenfalls in neu einge- Kirchen als natürliche Zufluchtstätten an. auch in Bunderhee der Fall ist. Ein ähnli- deichtem Land und zur gleichen Zeit er- Einen zusätzlichen Befestigungscharak- ches Turmhaus mit Anbau gab es nach baut wurde: im Jahre 1383 die Sibetsburg, ter bekamen sie in vielen Fällen auch einer Zeichnung von 1620 außerdem auf zwischen 1362 und 1388 das „olde huus“ durch die Kirchturmbauten des 14. Jahr- der Festung Leerort. in Greetsiel. hunderts, die den Steinhausbauten nicht 24 Ebd., S. 6 und 7. Einen Aufschluss über 33 F. Barth, Greetsiel, die Stammburg der nachstanden. das Alter des Turmhauses geben die Stein- Cirksena, aus: Kalender für Jedermann 44 Robra (wie Anm. 20), S. 7.

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