#22 / Dezember 2015 / www.filmmuseum-.de

Die Hansestadt als Drehort: Erich Engel und seine Hamburg-Filme

Alte Hamburger Lichtspielhäuser: Kiez-Kinos ALADIN und OASE 2 KOLUMNENTITEL

René Deltgen 1954 im Schminkraum des Studios Bendestorf 4 FERNSEHGESCHICHTE „Du ziehst eine Nummer“ Ein sensationeller Fund aus der Frühgeschichte des Fernsehens

10 VERANSTALTUNGEN Arbeitsalltag im Glanz des alten Films Wasser-Filme von Bodo Menck

12 FILMARCHIVE Das schleswig-holsteinische Landesfilmarchiv

15 BUCHREZENSION Zur Geschichte der Filmkritik – Keine neuen Entdeckungen

16 FILMTECHNIK Filme abtasten – Wer macht es, was kostet es?

18 FIRMENPORTRÄT Porträt einer Hamburger Filmfirma Wilhelm Siem und seine Roto-Film

22 FILMTECHNIK Erfindungsort Hamburg – Pilotton bei der Wochenschau

24 FERNSEHGESCHICHTE Akte „Karl-May-Vorhaben / NDR“ Wie der NDR Winnetou verfilmen wollte

28 FERNSEHGESCHICHTE Vor 62 Jahren Neues NWDR-Pausenzeichen per Preisausschreiben

30 ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER Die Kiez-Kinos Aladin und Oase

38 FILMGESCHICHTE „Eine tragische Figur in der Hand der Filmmanager“ Hamburger Episoden im Filmschaffen von Erich Engel

45 FILMMUSEEN Studio Bendestorf: Auf dem Weg zu einem cineastischen Kulturraum

47 BUCHREZENSION Zum Nachkriegskino in Deutschland Beschädigter Gesamteindruck

48 KINOGESCHICHTE „Im Kino gewesen, geweint“ (Kafka) – Die geopferten Geheimnisse des Kinos

52 DREHORT HAMBURG Heinz Rühmann im Real-Film Der Lügner Eimsbüttel als Drehort

56 BUCHREZENSION Eine vielversprechende neue Reihe zum Filmerbe Auf dem Wege zur Filmwissenschaft

57 AUS DEM VEREIN / MATINEEN Aus dem Verein – Jahresrückblick 2014/15 Filmmatineen im Abaton-Kino

Impressum Hamburger Flimmern Die Zeitschrift des Film- und Fernsehmuseums Hamburg e.V. www.filmmuseum-hamburg.de, www.fernsehmuseum-hamburg.de Redaktion: Jürgen Lossau (V.i.S.d.P.), Dr. Joachim Paschen, Volker Reißmann Layout: atelier anita wertiprach | Adresse: Sierichstraße 145, 22299 Hamburg Telefon 040-468855-0, Fax -99, [email protected] Erscheinen: unregelmäßig 1–2 mal jährlich | Anzeigen: sind gern gesehen Bezug: für Mitglieder kostenlos | Titelblatt und Fotos Innenseiten: Horst Janke / Conti-Press

Der Verein „Film- und Fernsehmuseum Hamburg e.V.“ wird unterstützt von der 4 FERNSEHGESCHICHTE FERNSEHGESCHICHTE 5

Archäologische Fundstücke aus der Frühzeit des deutschen Fernsehens der 1950er Jahre sind rar: Es gibt Gerätschaften, Bilder, Bücher, aber die meisten der damals ausgestrahlten Sendungen bleiben unsichtbar. Die Puristen des Fernsehens sahen sich damals als Vertre- ter eines Live-Mediums, das nur in Ausnah- „Du ziehst eine Nummer“ mefällen Konserven auf Film verbreiten dürfe. Überdies war die technische Entwicklung für Ein sensationeller Fund aus der Frühgeschichte des Fernsehens eine elektronische Aufzeichnung auf Magnet- band noch nicht ausgereift. Von Joachim Paschen s war eine Riesenüberraschung, als uns eine verrostete Filmbüchse übergeben wurde, die E die Aufschrift trägt: „Die große Chance mit Georg Thomalla und Grethe Weiser – Hamburg 1956“. Es ist die Geburtsstunde der Deutschen Fernsehlotterie zu sehen. Und es ist ein guter An- lass, einen gezielten Blick auf das Fernsehpro- gramm vor 60 Jahren zu werfen. Gegen eine monatliche Gebühr von fünf Deut- scher Mark boten die Fernsehsender in West- deutschland und Westberlin 1956 täglich ein Pro- gramm von vier bis fünf Stunden Länge: Ab 16.30 Uhr gab es zunächst eine Jugendstunde, und dann etwas Für die Frau. Zwischen 19 und 20 Uhr brach- ten einige Sender Regionalberichte. An drei Tagen in der Woche (montags, mittwochs und freitags) war dann für 20 Minuten Tagesschau-Zeit ein- schließlich Wetterbericht. Der Abend bis etwa 22 Uhr war meist der Unterhaltung vorbehalten, vor allem an den Wochenenden. Fernsehen war auch 1956 noch eine Minderheiten- Veranstaltung. Rund 360.000 Teilnehmer hatten ihre Geräte angemeldet, es wurden weitere 60.000 Schwarzseher vermutet. Fast die Hälfte der Appa- rate, für die ein doppelter Durchschnittsmonats- lohn und damit mehr als für einen Kühlschrank oder eine Waschmaschine bezahlt werden musste, standen in Gaststuben und den Schaufenstern der Radiohändler. Selbst wenn alle Bildschirme flim- merten, war nicht mit viel mehr als einer Million Zuschauern zu rechnen. Allerdings begann sich die Werbeindustrie nach amerikanischem Vorbild für das neue Medium zu interessieren. Das deutsche Fernsehen war nach der Unterbre- chung der 1935 /36 aufgenommen Ausstrahlungen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren gegenüber den USA und Großbritannien ins Hintertreffen geraten. Für die Ende 1952 aufgenom- mene Aufholjagd war ein attraktives Programm er- Foto: / Staatsarchiv Conti-Press forderlich. Dafür gab es

Georg Thomalla und Ilse Werner bei der ersten Fernsehlotterie 6 KOLUMNENTITELFERNSEHGESCHICHTE FERNSEHGESCHICHTE 7

leidenschaft sollte das Motiv der guten Tat mit dem erste Ausgabe der Fernsehlotterie ist dem Hambur- persönlichen Streben nach Gewinn und Wohlstand ger Abendblatt nur eine Zwölf-Zeilenmeldung wert. verbunden werden. Teilnehmen konnte jeder, der Immerhin hat der Fotograf der Hamburger Bildage- 5 DM auf das Konto 100.000 beim Postscheckamt ntur Conti-Press einen Kleinbildfilm belichtet sowie Hamburg einzahlte. Außerdem wurde in West- einige 6mal6-Aufnahmen gemacht. Auch im NDR- deutschland zur Bereitstellung von Sommerquar- Archiv finden sich neben den Sendeprotokollen tieren für Berliner Kinder aufgerufen. und Pressemitteilungen einige Fotos. Die überra- Unter dem Titel Die große Chance vollzogen am schend aufgetauchte Filmbüchse ist also eine echte 28. April 1956 bekannte Schauspieler mit Unterstüt- Sensation. zung der Schöneberger Sängerknaben und weiterer Musikanten in der großen Festhalle von Planten DER SENSATIONELLE FUND un Blomen die erste Verlosung unter der öffentli- chen Aufsicht von drei Fernsehkameras. Insgesamt Was finden wir darin? Es sind zwei kleine Rollen, waren 665.567 DM zusammengekommen; davon jeweils 16 mm breit. Auf der einen Rolle befindet konnten, nach Abzug der Auslagen für 50 Preise sich ein positiv belichteter Schwarz-weiß-Film mit im Wert von 1000 bis 8000 DM (Hauptgewinn: einer Perforation auf beiden Seiten, auf der ande- ein Mercedes 180), Ferienreisen für 784 Kinder aus ren ein Magnetband, ein Cordband, offensichtlich Westberlin bezahlt werden, damit sie einen „Platz mit der dazugehörigen Tonaufnahme. Tatsächlich an der Sonne“ haben, wie es sich schon Kaiser ist auf beiden Bändern ein gekreuztes Synchron- Wilhelm II. gewünscht hatte. Endlich, jubelte die Zeichen zu erkennen. Die gemessene Länge: jeweils im Hamburger Bauer-Verlag erscheinende Rund- elf Meter. Ein Vier-Teller-Schneidetisch bestätigt die funkzeitschrift Hören und Sehen, gibt es eine Sen- Büchsenaufschrift und die anderen Vermutungen: dung, bei der „die ganze Familie mitmachen kann: Es ist ein synchroner Bild- und Tonausschnitt einer Foto: NDR Das Fernsehen aktiviert die Zuschauer.“ Lotterieverlosung, exakt 60 Sekunden von knapp Der Erfolg blieb weit hinter der Erwartung zu- 90 Minuten Sendezeit. rück, mindestens für 20.000 Kinder vierwöchige Aber es ist ein entscheidender Ausschnitt: Er Ferienreisen finanzieren zu können, so dass bereits zeigt die Auswahl eines Gewinners durch die fünf Wochen später eine zweite Verlosung übertra- beiden Hauptakteure, die für ihre komödianti- 1956 einige gute Angebote. Zu Beginn des Jahres kämpften gegeneinander, am 4. April 1956 stand Die Kamera ist auf gen wurde, diesmal aus der Niedersachsen-Halle schen und volkstümlichen Bühnen- und Filmauf- wurden aus dem norditalienischen Cortina d’Am- Paris im Endspiel gegen Rom. Ein heiteres Spiel Grethe Weiser gerichtet in Hannover, und weitere vier Wochen später am tritte bekannten Schauspieler Georg Thomalla pezzo zum ersten Mal olympische Winterspiele um die Psychologie veranstaltete Robert Lembke 1. Juli 1956 eine dritte in der Düsseldorfer Rhein- (1915 – 1999) und Grethe Weiser (1905 – 1970). direkt übertragen, und zwar über mehrere ange- (1913 – 1989) vom Bayerischen Rundfunk mit Wer halle, diesmal mit Peter Frankenfeld als Conferen- Das kleine Podest ist bestückt mit zwei Lostrom- schlossene europäische Sender (Eurovision). Euro- bin ich? cier. Damit war der inzwischen erfolgten Trennung meln, einer kleinen und einer großen. Thomalla paweit war Mitte April die Fürstenhochzeit von des NWDR in NDR und WDR Rechnung getragen, dirigiert als „Lotterie-Direktor“ das Spiel, Grethe Rainier III. mit Grace Kelly in Monte Carlo in allen DIE Grosse CHANCE die jedoch beim Fernsehen als Nordwestdeutscher Weiser macht die Glücksfee: Sie greift in die große Einzelheiten drei Tage lang zu beobachten: eine Rundfunkverband / NWRV weiter zusammenarbei- Trommel, gefüllt mit den zusammengerollten und

Serenade vor dem Schloss, eine Festvorstellung Mit einer ganz neuen Idee kam der 40-jährige teten. Richerts Ehefrau Marcelline sorgte für den einem Gummiband zusammengehaltenen Über- links: Bühnenaufbau in der Oper und die Zeremonie in der Kathedra- Jochen Richert, Pressesprecher des Hilfswerks wirkungsvollen Slogan: Mit 5 Mark sind sie dabei! weisungsscheinen, auf denen die Einsender Name in der Festhalle von le. Im Juni stand in Lugano dann zum ersten Mal , Ende 1955 zum Nordwestdeutschen Rund- und warb so doppeldeutig für das Lotteriespiel wie und Adresse deutlich schreiben sollten; entspre- Planten un Blomen der European Song Contest (damals: Festival de la funk/NWDR in Hamburg. Er hatte kurz zuvor in für das Fernsehen. chend der im Hintergrund aufgestellten Tafel rechts: In Düsseldorf Chanson) auf dem Programm mit Teilnehmern einer ebenfalls vom Fernsehen übertragenen Wohl- Von all diesen Sendungen ist nichts erhalten haben sich rund 133.000 Leute an der Lotterie macht Peter Fran- aus sieben europäischen Ländern: Den Grand Prix tätigkeitsveranstaltung mit einer Amerikanischen geblieben. Auch die Presse hielt sich gegenüber beteiligt, also etwa jeder dritte Besitzer eines Fern- kenfeld den Lotterie- gewann die 31-jährige Schweizerin Lys Assia mit Versteigerung 30.000 DM für hundert von Adenau- dem aufstrebenden Konkurrenten zurück. Die sehapparates. Direktor Refrain, nicht der 24-jährige Österreicher Fred- er aus der Sowjetunion befreiten deutschen Kriegs- dy Quinn mit So geht es jede Nacht, der deutschen gefangenen zusammengebracht. Nun schlug er vor, „Schnulze des Jahres“. mit einer Lotterie „zugunsten der ärmsten Kinder Neben diesen Höhepunkten wurde 1956 das “ Geld zu „sammeln“. Es war die Zeit der normale Abendprogramm mit Musikdarbietungen, Notopfer für die vom sowjetischen Machtbereich Theaterstücken, Fernsehspielen, Reportagen ge- umgebene Frontstadt des Westens, deren Durch- Ankündigung für den füllt. Freitags lief z.B. in regelmäßigen Abständen haltewillen gestärkt werden sollte. Konsequent 27. April 1956 in Hören und Sehen Jürgen Rolands Polizeibericht meldet mit Kriminal- wurde daher das Angebot des Magistrats im Ost- fällen aus Norddeutschland. An den Sonnabenden sektor der Stadt abgelehnt, 10.000 Westerberliner wechselten sich zukünftige Fernsehstars mit ihren Kindern Ferien in der sowjetischen Besatzungs- aus den USA übernommenen Quizshows ab. Im zone zu ermöglichen. Be- Norden unterhielt Peter Frankenfeld (1913 – 1979) gründung: Man wolle die mit Bitte recht freundlich! das Publikum bei Rate- Kinder nicht zu „Objekten und Geschicklichkeitsspielen. Aus Frankfurt brach- der Propaganda“ machen. te sich Hans-Joachim Kuhlenkampff (1921 – 1998) Die Idee zur Lotterie mit dem Quizturnier Wer gegen wen? ein: Mann- war einfach und genialisch: schaften aus acht europäischen Hauptstädten Unter Nutzung der Spiel- Foto: NDR Foto: NDR 8 KOLUMNENTITEL FERNSEHGESCHICHTEKOLUMNENTITEL 9

Das im NDR-Archiv bewahrte Protokoll des PROTOKOLL DER 60 SEKUNDEN Sendeablaufs für Sonnabend, den 28. April 1956 macht deutlich, dass es sich um eine vollstän- dige Live-Sendung gehandelt hat, die von 20.35 Bild Ton bis ca. 22 Uhr durch einen bei Planten un Blomen stationierten Übertragungswagen zum Studio in Weiser und Thomalla vor W: So, was mache ich … Lokstedt gelangte und von dort an alle westdeut- großer Lostrommel; davor schen Sender, den Sender Freies Berlin sowie an kleiner Junge mit Käppchen den österreichischen Fernsehsender in Wien weiter vor kleiner Lostrommel; verbreitet wurde. Auch die unmittelbar zuvor aus- Mikrophon gestrahlte 20-minütige Fernsehreportage zur Eröff- nung der Deutschen Industriemesse in Hannover war Im Hintergrund Tafel mit eine Live-Sendung. Es musste jeweils umgeschaltet Einzahlungsergebnissen: Geldspende: 0665567 DM – (damaliger Jargon: umgezündet) werden. Das galt 0784 Freiplätze auch für das anschließend ausgestrahlte Wort zum Sonntag mit Kaplan Erich Klausner im Studio. Lostrommel wird geöffnet T: Warte, Grethe, warte! Zum Schluss der Sendung zählte die Ansagerin Angelika Feldmann (1916 – 2000) noch die Mit- W greift in die Trommel W: Die paar Lose nur (Lacher) wirkenden auf: Neben der Sängerin Lys Assia, der und zieht einen Zettel Schauspielerin Ilse Werner (1921 – 2005) und dem Schwenk: T geht nach links T: Warte, warte Arrangeur Helmut Zacharias (1920­ – 2002) sind es Viktor Raschke mit seinen Rhythmikern sowie Peter Hinnen zieht Los T: Erst ziehst du… Franz Thon (1910 – 2009) mit dem Radio-Tanz- aus kleiner Trommel H: Ich ziehe eine Nummer. Foto: NDR Orchester des NDR; ein Zeitungsbericht erwähnt T: Du ziehst eine Nummer. noch die Opernsängerin Anneliese Rothenberger (1926 – 2010), den Entertainer Peter Alexander Hinnen entfaltet das Los T lacht (1926 – 2011) und den Komiker Heinz Ehrhardt W: So kleine Hände… T lacht (1909 – 1979). Vor der Verabschiedung von den Bevor der Gewinner verlesen wird, greift ein schen Bewegungen der beiden Hauptdar- Fernsehzuschauern kündigt die Ansagerin noch T entfaltet den Zettel T: Dreißig kleiner Hans im Glück (der 14-jährige Schweizer steller, ihr albernes Lachen, ihre banalen das Programm für den folgenden Sonntag an, an weiter und wendet sich Jodler Peterli Hinnen) in die kleine Trommel und Nebenbei-Sätze, alles zeigt, dass man sich erster Stelle den Internationalen Frühschoppen mit nach links zu einer Frau zieht die Nummer eines der 50 Gewinne. Eine im neuen Medium noch einrichten muss. Werner Höfer. (kleiner Schwenk) Assistentin gleicht die gezogene Nummer mit ih- Letztlich macht das aber auch den Charme Die 1956 zum ersten Mal gebotene Große Chance T: Zurück… Aha rer Liste ab: Nr. 30 bedeutet Polstergarnitur. Bevor dieses Ausschnitts aus: kein pompöser Auf- hat sich in den folgenden Jahrzehnten zur Millio- Frau blättert in einem Ordner der Gewinner verkündet wird, soll die Spannung tritt, keine schmetternden Fanfaren, keine nen schweren Deutschen Fernsehlotterie entwickelt. noch durch eine witzige Einlage gesteigert wer- wilden Kamerafahrten, keine gestanzten Ihre jährlichen Veranstaltungen in den 1950er und T liest T: Eine Polstergarnitur! den: Statt einer Lesebrille bietet Thomalla seiner Sprüche, sondern ungelenke und unver- 1960er Jahren sind ein getreues Spiegelbild der zehn Jahre älteren Kollegin zunächst eine Sonnen- stellte Bemühungen, dem Publikum zu ge- Sehnsüchte in der Wirtschaftswunderzeit. Der ra- Schnitt: gestreifte Garnitur W: Moment mal, wo ist denn brille an. Gelächter aus dem Saal lässt an dieser fallen und ein paar Lacher zu entlocken. So sante Anstieg der Teilnehmerzahlen wie auch die mit großer 30, daneben ein meine Tasche. Gib mir mal Stelle erkennen, dass es ein Publikum gibt. Wel- bescheiden fing das Fernsehen an! Natürlich Art der Gewinne lassen erkennen, welche Wünsche Nierentisch mit großer 31, ‘ne Brille… che Einfälle auf den Regisseur Ruprecht Essberger muss man bedenken, dass es keine Konkurrenz gehegt und unterstellt wurden. Schwenk auf Nr. 32: Schrank oben: Gewinn Nr. 30: (1923 – 2005) zurückgehen, ist natürlich nicht er- weiterer Sender gab und dass sich die Zahl der Wären die Sendungen erhalten geblieben, Schnitt: T gibt W eine Brille, T: Da! eine gestreifte kennbar; er hatte im Jahr zuvor mit der Familie Zuschauer (im Vergleich zum Kino) in engen hätten wir einen sehr exakten und anschaulichen sie versucht sie aufzusetzen, W: Wie gemein, eine Sonnen- Polstergarnitur Schölermann begonnen, sich an der ersten Famili- Grenzen hielt. Einblick in die Konsumträume der Deutschen in gibt sie zurück brille! (Lachen im Publikum) – enserie des deutschen Fernsehens zu versuchen. Bleibt noch die Frage, wie diese eine Minute dieser Zeit. Der von den Zeitungen gerührten Wer- Hast du nich irgend was anderes? Filmmaterial zustande gekommen ist. Hat es je betrommel ist immerhin zu entnehmen, mit wel- T greift in Jackentasche, T: Ja, komm her, nimm die hier. STUNDE DER GEBURT einen Gesamtfilm gegeben, der die Verlosung im chen (manchmal auch gestifteten) Angeboten die Vorwege aufzeichnete und der dann über den Film- Menschen über den Mercedes sowie Kühlschränke gibt ihr eine andere Brille, W: Ja, die; gib mal her, (lacht) sie setzt sie auf ist nich meine. Die schwere Fernsehkamera auf dem Stativ ist ab- abtaster gesendet wurde? Es war üblich, solche Ver- und Fernsehtruhen hinaus im Jahre 1956 zum Los- T und W lachen gesehen von einigen Schwenks unbeweglich. Dass anstaltungen nach vorangegangenen Proben live kauf verlockt werden sollten: ein Zentner Röstkaf- eine zweite Kamera im Spiel war, ist an einem zu senden. Ist es eine Probeaufnahme, die den bei- fee, 150 Zentner Ruhrkohle, Schiffsfahrten nach W nimmt das Namenslos W: Also – was? Gerhard K. … Zwischenschnitt zu erkennen, der die gewonnene den Protagonisten zeigen sollte, wie sie sich auffüh- New York und in den Orient, eine Flugreise nach und liest Polstergarnitur zusammen mit einigen anderen ren? Sie selber konnten ja nie sehen, wie sie zu se- Melbourne zu den olympischen Sommerspielen, Gewinnen zeigt. Ob eine dritte Kamera eventuell hen waren. Oder hat jemand mit seiner Kamera in ein Tauchlehrgang auf der Insel Elba, eine zwei- das Publikum in den Blick genommen hat, ist nicht dokumentarischer Absicht den Fernsehschirm im wöchige Tour mit einem Weintankschiff nach Süd- überliefert; nur die Tonspur belegt seine Anwesen- Regieraum abgefilmt, auf dem das Sendebild zu frankreich. Der Gewinn einer Reise um die Welt in heit. Mikrophone sind im Bild gut zu sehen. sehen war? Die BBC hatte dies Verfahren erprobt, bei 28 Tagen für zwei Personen (zusätzlich Taschen- Nein, perfekt wirkt die ganze Szenerie nicht, eher dem die aus den Aufnahmen der Fernsehkameras am geld) wurde allerdings abgelehnt, weil der Gewinner Ein besonderer Dank für die Hilfe bei den Recherchen wie „Schüler machen Fernsehen“. Es ist eben eine Schnittpult zusammengestellte Sendung auf einen aus Mannheim lieber in den Schwarzwald fahren geht an Gita Mundry und Andreas Gumz vom NDR „Stunde der Geburt“, der wir zusehen. Die linki- Fernsehapparat übertragen und abgefilmt wurde. wollte. • sowie an Volker Reißmann vom Staatsarchiv Hamburg. 10 VERANSTALTUNGEN VERANSTALTUNGEN 11 Real-Film Fotos:

Die Ausleuchtung der riesigen unterirdischen Katakomben der Wasserkunst Kaltehofe stellte den Regisseur Bodo Menck und seine Filmcrew vor große Herausforderungen Arbeitsalltag im Glanz des alten Films Bodo Menck mit seiner eigenen Filmfir- und welche Lösungen dafür gefunden menarbeit mit den HWW bei der Her- Wasser-Filme von Bodo Menck ma Gong-Film Archimedes ist nie unmo- worden waren. stellung von Archimedes gewesen sei und dern im Auftrag der Hamburger Wasser- Ergänzend dazu stehen Szenen, in wie spannend es war, dieses Projekt zu werke (HWW). Der Film dokumentiert denen der damalige geschäftsführende verfolgen. Sehr genaue Absprachen zwi- Von Silvia Hartel und Meike Hartwig die Verlegung eines neuen Trinkwasser- Direktor Wilhelm Drobek und die betei- schen ihm und den Ingenieuren waren dükers unter dem Köhlbrand, die im ligten Ingenieure ihre Arbeit persönlich nötig, denn eine Probe für die „Live“-Auf- Zur Langen Nacht der Museen 2015 boten das WasserForum und die Stiftung Wasserkunst Elbinsel Zuge des Wiederaufbaus von Stadt und erklären. Technische Details werden nahmen der Verlegung war nicht mög- Hafen nötig geworden war. ausführlich erläutert. Zum einen wegen lich und alles musste auf Anhieb passen. Kaltehofe ihren Besuchern ein buntes Rahmenprogramm mit Führungen, Musik, Experimenten Von der Planung bis zur Umsetzung der einmaligen und bisher unerprobten Dank guter Planung und Vorbereitung und Filmen. 1000 bzw. 550 entspannte, interessierte und gutgelaunte Besucher nahmen dieses begleitet der Film die verschiedenen Art der Dükerverlegung, zum anderen, waren drei Kameras erforderlich, um die Angebot wahr und sahen als ein Highlight zwei Dokumentarfilme von Bodo Menck aus den Jahren Schritte des Projekts. Das gezeigte Ver- weil es Drobek ein besonderes Anliegen geglückte Dükerversenkung festzuhal- 1949 und 1957: Wasser für Millionen und Archimedes ist nie unmodern. fahren zur Versenkung eines Wasser- war, den Nachwuchs des Wasserfachs zu ten. „Man muss schon wissen, was man rohrs war bei den Hamburger Wasser- schulen. Neben Filmen, die er in Auftrag da tut“, so Bodo Menck auf die erstaunte werken entwickelt und vorher noch nie gab, initiierte er Lehrgänge und Schulun- Reaktion des Publikums. Die humorvolle ie Filme stammen aus dem Schatz- In seiner charismatischen Art erzählte Vorfilme wurden damals noch über die angewendet worden. Mencks Film er- gen sowie eine Fachschau, aus der das Machart und die Betonung der alltägli- kästchen des Hamburg Wasser Ar- der Regisseur aus seinem reichen Wis- Kinoeintritte vollfinanziert. Gut 20 Filme läutert die Vorbereitungen anhand von heutige WasserForum hervorging. chen Arbeit machen seine Kurzfilme zu D chivs, die digitalen Versionen hat sensfundus. Bereits mit 14 saß der junge entstanden für die Produktionsfirma Animationen und Funktionsmodellen, Im Gespräch mit den Besuchern der besonderen Stücken der Filmgeschichte das Film- und Fernsehmuseum Hamburg Bodo Menck mit seinem Notizbuch im Real-Film. Die ca. 15-minütigen Produk- die veranschaulichen, welche technische Langen Nacht betonte Bodo Menck, wie und vermitteln noch heute den Glanz des e.V. bereitgestellt. Schon 2013 und 2014 Kino und paukte Filmwissen. Mit 23 be- tionen über Feuerwehr, Polizei, Straßen- Herausforderung das Projekt darstellte wichtig und produktiv die enge Zusam- alten Films. • waren gemeinsam historische Filme zu gann er als jüngster Regisseur Deutsch- bahn, Hochbahn und die Wasserversor- Wasser- und Abwasser im Abaton-Kino lands, Kulturfilme als Beiprogramm für gung der Hansestadt entstanden in den präsentiert worden. Spielfilmproduktionen zu drehen. Die 1950er Jahren, in Schwarzweiß auf 300 Linke Seite unten: Bodo Menck (2. von links) am 18. April 2015 bei der Vorführung im WasserForum Rothenburgsort Aus dieser Vorgeschichte ergab sich bis 400 Metern Filmrolle. Unten: Screenshots aus dem Vorspann des Kulturfilms Wasser für Millionen von Bodo Menck aus dem Jahre 1949 der Wunsch, Bodo Menck persönlich zur Auch Wasser für Millionen ist Teil von Vorführung seiner Filme in der Langen Bodo Mencks Real-Film Arbeit. 1949 – nur Nacht einzuladen. Er hat es sich trotz sei- wenige Jahre nach Kriegsende gedreht – nes fortgeschrittenen Alters nicht nehmen zeigt er den damals aktuellen Stand der lassen, beide Veranstaltungsorte zu besu- Wasserver- und -entsorgung in der Groß- chen. Sehr zugewandt und offen stand er stadt Hamburg und vermittelt auf unter- für Fragen der Zuschauer bereit und ver- haltsame Weise einem breiten Publikum mittelte mit ungebrochener Begeisterung den Weg des Trinkwassers bis zum Ab- seine filmische Arbeit. Foto: Wasser Hamburg wasser. Zehn Jahre später produzierte Quelle: Vereinsarchiv 12 FILMARCHIVE FILMARCHIVE 13

Das schleswig-holsteinische Landesfilmarchiv

Von Dirk Jachomowski

Ein kleiner, schlaglichtartiger Einblick in die Arbeit des schleswig-holsteinischen Landesfilmarchivs im Schleswiger Prinzenpalais zeigt, was für Filme dort gesammelt werden, Nissenhütten in Kiel 1945/46 Fotos: Landesarchiv Schleswig-Holstein Fotos: Landesarchiv woher sie kommen, wie sie gelagert, auf Dauer konserviert und benutzt werden. (35 mm-Film der Nordmark-Film)

aum etwas scheint heute in so privaten Herstellern. Kurz und eigent- Professionelle Orts- und Institutionen- filme der Landespolizei gehören ebenso unbegrenzter Menge vorhanden lich unvorstellbar: Besonders gefährdet porträts der 1920er Jahre, Propaganda- dazu wie Landtagsfilme und die filmische K zu sein wie bewegte Bilder. Und sind gerade die Filmdokumente, die be- filme der 1930er, Trümmer und britische Arbeitsbegleitung staatlicher Baubehör- dennoch: Welcher Redakteur, Wissen- sonders intensiv das Land und seine Besatzung, Werftfilme der 1950er Jahre den. Bemerkenswert, besonders bei den schaftler oder interessierte Laie kennt Menschen spiegeln und ein Stück Identi- und vieles mehr. Neben dieser profes- Baubehörden, ist eine häufige Über- es nicht, dass er für sein Wunschthema tät des Landes ausmachen. sionellen Filmüberlieferung ist in der schneidung mit dem Genre Amateurfilm. ältere Filmdokumente braucht und fest- Region aber ganz besonders auch der Filmische Laien begleiten mit der dienst- stellen muss, wie schwierig es sein kann, semiprofessionelle Bereich wichtig. Im lichen oder privaten Kamera die Aufga- DAS LAND UND SEINE das Passende zu finden. Zum Glück gibt Landesfilmarchiv ragt hier eine reiche ben ihres Arbeitsumfeldes. Die Kamera ist MENSCHEN IM BEWEGTEN BILD es Filmarchive. Und nicht nur der Bund 16mm-Filmüberlieferung zu den großen in solchen Fällen zumeist nicht das Auge nimmt mit dem Bundesarchiv-Filmar- Bereits in den späten 1920er Jahren dreh- landwirtschaftlichen Umbrüchen der des Filmemachers, sondern das Auge des chiv seine spezielle Verantwortung für ten die ersten betuchten Amateure ihr 1950er und 1960er Jahre heraus: Filme, begeisterten Wasserbauers, der seine das Kulturgut Film wahr. Auch mehrere Familienleben im französischen 9,5-mm- die zu Lehr- und Beratungszwecken, aber Technik porträtiert – eine unersetzliche Bundesländer haben eigene Landesfilm- Format mit Mittelperforation. So ent- zum Teil auch einfach zur Dokumenta- Ergänzung der Bauakten! Es zeigt aber archive, die sich um die besonderen Be- standen beispielsweise im Jahr 1928 Auf- tion des eigenen Tätigkeitsfeldes von auch, wie sinnvoll es ist, die filmische ganz von selbst Vergangenheit. Wenn man links: Bau von Schiffsmaschinen auf lange der jeweiligen Region kümmern. nahmen über den Bade- und Kurbetrieb Mitarbeitern der Landwirtschaftskam- Überlieferung des Landes als Ganzes zu aber mit der Quellensicherung zu spät der Kieler Germaniawerft um 1930 Auf eine mittlerweile schon langjährig ge- in Westerland auf Sylt, die uns heute mer Schleswig-Holstein selbst hergestellt sehen. Es ist sinnvoll, Technik und Know- kommt, ist vieles unersetzlich verloren. (35 mm-Film der Nordmark-Film) wachsene filmarchivische Tradition kann wie der Blick in eine andere Welt vor- wurden. Solche Filme, die von Instituti- how zu konzentrieren und gleichzeitig Was ist nun eigentlich damit ge- rechts: Studentendemonstration Schleswig-Holstein mit seinem Landes- kommen. In den 1930er Jahren war der onen oder Behörden im Rahmen ihrer im archivischen Netzwerk Überschnei- meint, wenn wir über die Pflege unse- vor dem Kieler Landeshaus 1969 filmarchiv zurückblicken. Amateurfilm dann schon vom qualitativ Aufgabenerfüllung gemacht worden dungen und Doppelarbeit zu vermeiden. rer filmischen Überlieferung sprechen? (16 mm-Film der Polizei) Schleswig-Holstein geht den gleichen hochwertigeren 16mm-Format geprägt. sind, stellen ein ganz eigenes Genre dar. Ist es die klimatisch richtige Lagerung? Weg, den der Bund mit dem Bundes- Im Rückblick auf jahrelange engagierte Professionelle Einsatz- oder Präventions- Zweifellos, dieses ist ein wichtiger, im BEWAHRUNG UND PFLEGE archiv-Filmarchiv vorlebt: Das Landes- Sammelarbeit des Landesfilmarchivs ist Landesfilmarchiv beachteter, aber letzt- VON FILMQUELLEN filmarchiv ist Teil des Landesarchivs es immer wieder erstaunlich, wie viele lich doch nur ein kleiner Teil der Über- Schleswig-Holstein und damit eine Lan- 16mm-Filme aus den 1930er Jahren sich Für die Filmförderung Hamburg-Schles- lieferungspflege. Für das Landesfilm- desbehörde, die auf der Basis des Lan- in den Familien als Unikate auf Umkehr- wig-Holstein ist das Landesfilmarchiv archiv hat die Akquisition einen ganz desarchivgesetzes arbeitet und in ein film erhalten haben und als öffentliches offizielle Hinterlegungsstelle. Der Schles- hohen Stellenwert. Es reicht nicht aus, archivisches Netzwerk eingebunden ist. Kulturgut nun gerettet werden konnten. wig-Holstein betreffende Teil wird hier Vorhandenes zu betreuen. Unbekanntes Das Landesfilmarchiv kümmert sich seit So ermöglichen sie beispielsweise einen übernommen und archiviert. Dieses ge- muss entdeckt und erworben werden. 1987 um landesbezogene Filmdokumente, Blick auf die NS-Zeit im privaten Bereich, schieht in enger Kooperation mit dem Und auch wenn der Begriff des Originals die nicht bereits anderswo archivisch ge- der anders ist als die professionelle Film- Bundesarchiv-Filmarchiv. Bei der Hin- in der digitalen Welt zu verschwinden sichert und somit am stärksten vom un- propaganda und unsere Kenntnis dieser terlegung geförderter Filme zeigt sich droht: Archive bewahren die Originale! widerruflichen Verlust bedroht sind. Epoche beträchtlich bereichert. mit besonderer Deutlichkeit, dass Film- Das gilt auf jeden Fall noch für die Welt Vom Verlust besonders bedroht sind Ein wahrer Schatz des Landesfilm- archive nicht nur auf das Alte schauen, der 35 mm-, 16 mm-, 9,5 mm- und 8 mm- die kleinen Produktionen von Firmen oder archivs sind die Produktionen der Kieler sondern ihren Blick auch immer auf die Filme. Und in der Welt der analogen Filmemachern im Lande, von Landes- Firma Nordmark-Film, die fast aus- unmittelbare Gegenwart richten müssen, Magnetbänder sowie der digitalen Auf- behörden, von semiprofessionellen oder schließlich Schleswig-Holstein spiegeln: 9,5 mm Amateurfilm: Tourismus auf Sylt 1928 denn auch aus unserer Gegenwart wird zeichnungen geht es zumindest um die 14 FILMARCHIVE BUCHREZENSION 15

ein solches Material oftmals gar nicht ar- chivierbar. Daher ist die Arbeit am klas- Zur Geschichte der Filmkritik sischen Steenbeck-Schneidetisch immer noch ein wesentlicher Teil des Tagewerks Keine neuen Entdeckungen im Landesfilmarchiv. Natürlich gibt es bei der Bearbeitung Ah, endlich eine Gesamtabhandlung über die Geschichte der Filmkritik in der Filme Rückstände, aber zumeist kön- Deutschland! Zwar eine Dissertation, aber von einem Zeitungsschreiber, der nen die Neuzugänge doch relativ zeitnah es gewohnt ist, seine Leidenschaft für den Film verständlich unter die Leute bewertet, restauriert, sicherungskopiert und erschlossen werden. Ein Desiderat zu bringen. Und mit dem lobenden Vorwort eines Professors der Münchner ist im Moment noch die Publikation der Hochschule für Fernsehen und Film geweiht, der das Buch als ein „Glück aktualisierten Erschließungsdaten über für alle Kritiker und Filminteressierte“ bezeichnet. Da kann jemand aus dem das inzwischen veraltete Publikations- Vollen schöpfen und das auch noch vollendet präsentieren. Weit gefehlt! findbuch hinaus. Die neueren Erschlie- links: Abgleicharbeiten unter- größtmögliche Nähe zur Qualitätsstufe ßungsdaten können im Einzelfall ange- schiedlicher Filmfassungen des Ausgangsmaterials. fragt werden, eine angemessene Form Der Autor, ein Feuilletonist der Süd- lerdings auch Gertrud Koch, Wolfram am 8-Teller-Tisch Das klassische Sicherungspaket mit der Publikation ist in Vorbereitung. deutschen Zeitung / SZ, macht es sich Schütte und Karsten Witte von der Frank- rechts: Arbeit am digitalen Duplikatnegativen im Originalformat Alle Filme sind an einem Sichtungs- auf doppelte Weise leicht. Er gliedert furter Rundschau; der Hinweis auf Film- Schnittplatz und Lichttonnegativen hat im Landes- platz im Lesesaal des Landesarchivs in seine Darstellung streng chronologisch, kritiken in der Provinzpresse ist in einer filmarchiv immer noch seine zentrale Schleswig einsehbar. Sie sind mit einem aber nicht nach den Entwicklungsstufen Fußnote versteckt. Die Filmkritik der Bedeutung. Es wird aber quantitativ Timecode versehen, so dass sich auch des Mediums, sondern nach politischen DDR wird auf zehn Seiten abgehandelt, zunehmend überlagert von den an- framegenau Materialien bestellen lassen. Daten (Vor dem Ersten Weltkrieg, Wei- die „kirchliche Filmkritik“ im katholi- wachsenden Beständen auf neuartigen Nach Prüfung der Rechtelage und Er- marer Republik, „Drittes Reich“, Nach- schen film-dienst und im Evangelischen Trägern. Bereits seit vielen Jahren sind teilung der Nutzungserlaubnis können kriegszeit und dann nichtssagend die Film-Beobachter wird mit der Hälfte ab- im Landesfilmarchiv analoge Bandma- gewünschte Ausschnitte auf Digital- 60er, 70er, 80er und 90er Jahre). Zum getan, obwohl diese über Jahrzehnte terialien wie beispielsweise U-Matic auf Betacam, XDCAM HD oder DVD zur anderen begnügt er sich (nach dem Vor- hinweg in Zehntausenden von Kritiken Digital-Betacam-Bändern gesichert wor- Verfügung gestellt werden. Benutzungs- bild der Filmhistoriker Patalas/Gregor) den Filmbesuch in Deutschland gelenkt den, die ihrerseits demnächst vor einer schwerpunkte der letzten Jahre waren fast durchgehend mit Zitaten aus zweiter haben. weiteren Migration stehen. Während die die Ausleihe von Filmen für Seminarver- und dritter Hand, selbst wenn die Quel- Exemplarisch für den Umgang des digitale Archivierung bisher lediglich anstaltungen oder Filmvorträge sowie len ohne weiteres erreichbar wären; so Autors mit seinen „Helden“ ist es, wie im Bandformat erfolgte, sind seit eini- – mehr und mehr – die Bereitstellung setzt sich der Verdacht fest, dass er z.B. Michael Althen behandelt wird, der gen Monaten nun mit der Einführung von Filmsequenzen für die Integration in die meisten der zitierten Zeitschriften nie „wohl wichtigste Filmkritiker ab den des HD-Standards im Landesfilmarchiv Museumsausstellungen. Die Ausleihe für im Original in der Hand gehabt hat. 90er Jahren“: keine klaren biographi- auch Dateiformate in Verwendung. Aber die Vorführung in Kommunalen Kinos Neue Entdeckungen sind also nicht schen Informationen und kein eigenes wohlgemerkt, nicht als Ersatz für die gehört regelmäßig zum Benutzungspro- zu erwarten. Es sind, in allen Zeitaltern, Urteil, nur Spiegelung kollegialer Aussa- alten Analogformate, sondern als par- fil, aber nach wie vor auch die Bereitstel- die Heroen der deutschen Filmkritik, die gen, keine Auseinandersetzung mit der allele Archivierungsform für die soge- lung von historischen Filmdokumenten wir aus unzähligen Büchern und Auf- zitierten Position: „Ich schreibe Filmkri- nannten „born digitals“ und für analoge für Dokumentarproduktionen von Filme- David Steinitz sätzen zur Genüge und häufig besser tiken, weil (…) es vor allem um eins geht: Bandformate sowie als ein komfortables machern und Fernsehanstalten. GESCHICHTE DER kennen, die der Autor aufzählt: Rudolf Einer hat was erlebt, jetzt will er davon Benutzungsmedium der klimatisiert ein- Schleswig-Holstein ist ein Flächen- DEUTSCHEN FILMKRITIK Arnheim, Béla Balázs, Willy Haas, Sieg- erzählen.“ Klingt das nicht nach Selbst- gelagerten klassischen Sicherungspakete. land, in dem es kommunale und ande- fried Kracauer; aus ihren Beiträgen wird mord der Filmkritik? re Eigenständigkeiten gibt. So sind die Edition Text + Kritik zitiert, aber ausschließlich theoretische Die „sehr“ saloppe Sprache wäre hin- Kreise, Städte und Gemeinden auch in München 2015 Überlegungen, keine einzige Filmkritik. nehmbar, wenn sie nicht durch mangel- VIELFÄLTIGE NUTZUNGS- 325 Seiten der Archivierung selbständig. Die beson- Immerhin wird mal Joseph Goebbels als hafte Sachkompetenz in Einzelheiten MÖGLICHKEITEN deren Anforderungen der Filmarchivie- Preis: € 39,- € „Filmkritiker“ gewürdigt. Wer kennt aus ergänzt würde: Béla Bálazs ist nicht In der Filmarchivierung werden die rung übersteigen allerdings in der Regel der Nachkriegszeit nicht Lotte Eisners schweigend nach Ungarn zurückgekehrt, technischen Herausforderungen rapide die Möglichkeiten kleinerer Archive. So Dämonische Leinwand und die gekürzte sondern hat 1948 in Babelsberg an Unser größer. Zu solchen Herausforderungen hat sich in der Vergangenheit eine sehr erste deutsche bei Rowohlt erschiene- täglich Brot gearbeitet; Fred Gehler war gehört aber keineswegs allein das Vorhal- fruchtbare Zusammenarbeit auf der Basis ne Ausgabe von Kracauers Von Caligari nicht nur aufmüpfiger Cineast, sondern ten moderner digitaler Systeme für die von Kooperationsverträgen schleswig- bis (statt zu) Hitler? Natürlich wird dem hat später jahrelang Filmkritiken im Speicherung. Was oft vergessen wird, ist holsteinischer Kommunen mit dem Lan- langjährigen Filmkritiker der SZ, Gunter Sonntag, der Wochenzeitung des SED-be- die Tatsache, dass viele ältere Materiali- desfilmarchiv entwickelt. Das Landes- Groll, ein Abschnitt sogar mit Original- herrschten Kulturbundes veröffentlicht. KONTAKT en mit großem Aufwand restauratorisch filmarchiv ist im Laufe der Zeit immer zitaten gewidmet. Wir hätten uns gewünscht, dass die bearbeitet werden müssen. Eine beson- mehr auch zu einer Anlaufstelle für alle Ausführlich wird die von 1957 bis Doktorväter ihren Schützling kritischer Landesarchiv Schleswig-Holstein dere Herausforderung sind Produktions- Fragen der filmischen Überlieferung im 1984 erschienene Zeitschrift Filmkritik betreut hätten, und dass der Verlag von Landesfilmarchiv reste oder völlig unbearbeitete Röllchen Lande geworden. Ein Filmarchiv vom behandelt; die Zeitschrift Film (1963 – seinem Autor ein Register verlangt hätte. Prinzenpalais · 24837 Schleswig T. 04621. 86 18 00 · F. 04621. 86 18 01 von Amateurmaterial. Schätze und Müll Land für das Land. • 1971) bringt es nur zu einer Fußnote. Von Thomas Carlyle wissen wir: Ein [email protected] liegen hier manchmal sehr dicht beiei- Peter Buchka von der SZ wird zu einem wissenschaftliches Werk ohne Index ist www.landesarchiv.schleswig-holstein.de nander, und ohne aufwendiges Sichten Dr. Dirk Jachomowski ist Leiter des Landesfilm- „der wichtigsten Filmkritiker der 80er wertlos.• und Bewerten am Schneidetisch wäre archivs im Landesarchiv Schleswig-Holstein. Jahre“ ernannt; erwähnt werden al- Joachim Paschen 16 FILMTECHNIK FILMTECHNIK 17

8 mm 8 mm U-matic Super 8 Super 8 Video 2000 9,5 mm 9,5 mm Mini-DV 16 mm 16 mm Laserdisc 35 mm 35 mm Dias Filme abtasten Wer macht es, was kostet es?

Von Jürgen Lossau

8 mm Der Zahn der Zeit nagt auch am Filmmaterial. Korn-Manufaktur Kühn Videotechnik Super 8 16 mm Manchem fehlt es einfach nur am passenden Projektor, Berlin Schwanewede Agfa Movie- um die Streifen wiederzugeben. Oder alte Amateurfilme www.korn-manufaktur.de www.filmaufdigital.de chrome sollen kopiert und verschenkt werden. Um Material zu bewahren und zukunftssicher zu machen, lassen viele Reiner Meyer vertraut nicht auf Über- Reinhard Kühn ist der Meister für Filmbesitzer ihr Material digitalisieren. Wir stellen einige spielsysteme, die andere gebaut haben. schwierige Fälle – nicht nur bei Film, vor Als Ingenieur ist er mit allen Facetten auch bei Video. Rund 40 Systeme kann er Anbieter vor, die hier gute Arbeit leisten. Film & Technik H. J. Löhr der Fernseh- und Videotechnik vertraut. abtasten, ob es nun U-matic, Video 2000, Nach ersten Erfolgen mit einem selbst ge- Mini-DV oder die Laserdisc ist. Auch Ludwigsburg bauten Abtaster sind alle seine Kenntnisse Dias sind bei ihm bestens aufgehoben, www.film-und-technik.de in Edeltraud geflossen. Dieses Gerät ist in wenn es ums Scannen geht. Beim Thema der Lage 8 mm, Super 8, 9,5, 16 und 35 mm Film bietet Kühn eine solide Qualität 2008 startet der Diplom-Ingenieur Heinz- Super 8 (2, 3 und 4 Perf) und zwar Negativ-, Um- in allen Formaten: 8 mm, Super 8, 9,5, Jürgen Löhr mit der Abtastung von 16 mm kehr- und Intermediatefilm zu scannen. 16 und 35 mm. Die Fachmagazine zoom Schmalfilmen in den Formaten Normal 8 35 mm Meyer hat seine Geschäftsräume gleich und schmalfilm haben Kühns solide und und Super 8, später auch 16 mm. Dafür neben Berlins bekanntem Filmlabor An- vor allem preiswerte SD-Abtastungen verwendet er in erster Linie umgebaute dec, so dass frisch entwickelte Filme dort zuletzt 2013 zum Preis/Leistungssieger Bauer-Projektoren. Schon nach kurzer sofort abgetastet werden können. gekürt. Zeit sichert er sich einen Spitzenplatz bei Vergleichstests der Zeitschriften schmal- film und zoom. Seit 2011 liefert Löhr auch HD-Abtastungen im Format 1080p. Eine Maschine zur Filmwäsche reinigt bei ihm die häufig von Flecken heimgesuchten Fotos: Jügen Lossau Agfa Moviechrome Filme. 2015 wird Löhr durch das Magazin videofilmen als einer der Preis/Leistungssieger im HD-Test AVP ausgezeichnet. München

www.avp-vt.de Screenshot Firmengründer Dieter Sandl ist mit der Berlin Münchner Firma AVP rund 35 Jahre am www.screenshot-berlin.de Markt und gilt als einzigartiger Fach- mann, wenn es darum geht, den Charme Ingenieur Mario Loose ist seit 2005 auf des Filmkorns auch in einer Abtastung Filmdigitalisierung spezialisiert. Er nutzt zu erhalten. Seine Dienstleistung ist ver- vor allem die Technik der Berliner Abtas- gleichsweise hochpreisig, aber er schafft 8 mm termanufaktur MWA. Normal 8, Super 8, es, das letzte Quentchen Qualität aus dem Super 8 9,5, 16 und 35 mm kann er bearbeiten. 9,5 mm Material ins Videozeitalter zu retten. Die größeren Formate werden in einer 16 mm Sandl arbeitet mit einer Cintel URSA Auflösung bis 2,3 K gescannt. Loose be- 35 mm Diamond Telecine und besitzt die Da Vinci gleitet viele professionelle Filmprojekte, Renaissance Farbkorrektur. HD-Abtas- die Super 8 einsetzen wollen: Musikclips tungen, 2K, 4K – das ist bei ihm alles mög- oder Dokumentationen. Auch Indie-Fil- lich, aber natürlich nur bei 16 und 35 mm mer nutzen seine Erfahrungen. Neben sinnvoll. Für Super 8, so munkelt man, früheren guten Testergebnissen wurde tüftelt er zur Zeit ein neues Verfahren aus, Screenshot im Magazin videofilmen 6/ um kosteneffektiv und qualitativ hoch- 2015 zu einem der Preis / Leistungssieger

wertig am Markt bestehen zu können. Foto: Fotolia bei HD-Abtastungen. 18 FIRMENPORTRÄT FIRMENPORTRÄT 19

Porträt einer Hamburger Filmfirma Wilhelm Siem und seine Roto-Film

Von Volker Reißmann

Die Firma Roto-Film hat rund 40 Jahre in Hamburg bestanden. Kaum jemand erinnert sich noch an sie. Nach einzelnen Werken aus ihrer Produktion wurde in den letzten Jahren aber immer wieder von verschiedenen Seiten gesucht, weshalb wir nun einen kleinen Rückblick Briefkopf der Firma auf die wechselvolle Geschichte der Firma geben wollen. Anfang der 1950er Jahre Repro: Staatsarchiv Hamburg Staatsarchiv Repro:

ls erster Geschäftsführer an der Gründung Walfangexpedition wurde von ihm bildlich fest- jedoch unter dem Eindruck des Kriegsgesche- filme bekannte Kulturfilmer und langjährige und Entwicklung maßgeblich beteiligt war gehalten. 1929 kehrte Siem noch einmal in den hens 1943 wieder aus der Partei aus (im Entnazi- UFA-Mitarbeiter Dr. Ulrich K. T. Schulz als Teil- A der am 6. Mai 1897 in Blankenese gebo- Nahen Osten zurück und drehte unter der Regie fizierungsverfahren machte er dazu keine nähe- haber zur neuen Firma; in der Folgezeit entstan- rene Wilhelm Siem. Eine Berliner Tageszeitung von Otto Neubert als Kameramann den Fünfak- ren Angaben; im April / Mai 1944 wurde er als den zahlreiche Kulturfilme mit zumeist unter 15 nahm 1951 sein 40-jähriges Berufsjubiläum zum ter An heiligen Wassern – Filmbilder aus Vergan- Obergefreiter allerdings noch einmal erneut zur Minuten Spieldauer, darunter für die Nieder- Anlass für eine ausführliche Würdigung. genheit und Gegenwart in Ägypten und Palästina, Luftwaffe einberufen). sächsische Staatsregierung Gebändigtes Wasser Demzufolge ging Siem schon in den Pionier- der am 30. Oktober 1929 im Hamburger Urania- Nach dem Krieg kehrte Siem wieder nach und Weißer Strom (beide 1951 / 52 fertiggestellt). tagen des Kinos als 14-jähriger nach Paris, wo er Kino seine Uraufführung hatte. Hamburg zurück. Er war zunächst als Kino- Dr. Schulz, dessen Nachlass heute im Filmmuse- im Jahre 1911, in der Anfangszeit von Pathé frères Im Frühjahr 1934 unternahm er eine Mittel- vorführer im Bach-Theater in der Schweriner um Potsdam liegt, wechselte kurze Zeit darauf Foto: Filmmuseumsarchiv in Paris, eine solide Ausbildung durchlief. Seine meerreise und drehte den Film Gedenkt der Straße 20 in Rahlstedt tätig, welches er bereits zur DEFA und wurde dort Leiter der filmbiologi- Porträtfoto des Kamera- Eingang zum Bach-Theater Lehre setzte er in Großbritannien fort und wirk- Helden vom Skagerak. 1935 drehte er im Auftrag manns Wilhelm Siem seit Anfang der 1930er Jahre zusammen mit Max schen Abteilung. in Rahlstedt, bei welchem te dann als Kameraassistent am Pathé Journal der Schweizer Bundesbahn einen Kurzfilm und (1987 – 1955) aus einer Depelmann als Teilhaber geleitet hatte. Danach Eine weitere Roto-Produktion war der Kurz- Siem zeitweise als Teilhaber mit, der ersten regelmäßigen Kinowochenschau fuhr im Sommer 1936 nach Norwegen, um dort Reichsfilmkammerakte zog es ihn 1949 wieder als freien Kameramann film Die Geburt der Marionette von Harro Siegel fungierte der Welt. die Nordland-Dokumentation Grenzland im des Bundesarchivs zur aktiven Filmarbeit: Für Heinz Rühmanns über die Kunst der Anfertigung von Figuren für Im Ersten Weltkrieg war er dann u. a. als Norden zu drehen. Im gleichen Jahr war Siem an kurzlebige Comedia-Film zeichnete er bei dem das Puppentheater: Er erlebte am 19. Septem- „Reihenbildner“ und Flugzeugführer bei der dem Gemeinschaftswerk Ewiger Wald beteiligt, VorfilmSechzehn gegen einen – ein musikalischer ber 1952 als Beiprogrammfilm im Hamburger Fliegerabteilung 300 in Palästina eingesetzt. Es zusammen mit Regisseuren und Kameraleuten Wettstreit zwischen einem Jazz-Orchester und Passage-Kino seine Uraufführung. Des Weiteren folgten Spielfilm- und Wochenschauarbeit bei Wolf Hart, Ernst Kunstmann, Guido Seeber und der Welte-Funkorgel des NDR – für die Bildge- entstanden in den Folgejahren Dokumentatio- der Messter und Eiko in Berlin. 1922 ging Siem für Heinrich Weidemann. staltung verantwortlich. nen über das Leben von Waldameisen, die bunte einige Jahre in die USA und jobbte – mit Unter- Die zwischenzeitlich erloschene Firma Roto- Welt der Kristalle, das Tierleben im Mittelmeer, brechungen – bei der Fox und der Paramount in MITARBEIT AM OLYMPIA-FILM 1936 Film wurde am 28. Januar 1950 als Gesellschaft fleischfressende Pflanzen und diverse Länder- Hollywood. Er drehte einen der ersten Industrie- mit beschränkter Haftung neu gegründet und porträts (Island, Portugal) sowie ein Film über filme für die Ford-Automobilwerke und wirkte Siem gehörte auch zur großen Zahl derjenigen am 24. April desselben Jahres ins Hamburger die Vogelfänger von Mykines. zwischen 1927 und 1932 an einigen Tom-Mix-Fil- Kameraleute, die 1936 an dem Olympia-Film Handelsregister wieder eingetragen. Siem setz- Die Roto-Film hatte nun offensichtlich ihre men sowie einer Produktion in Südamerika mit. von Leni Riefenstahl mitarbeiteten – zusammen te, da ihm alleine dafür die finanziellen Mittel Blütezeit: Wie die Berliner Nacht-Depesche Nach Inflation und Weltwirtschaftskrise mit Walter Frentz hielt er die olympische Segel- fehlten, nun zusammen mit dem Prokuristen vom 5. Mai 1951 zu berichten wusste, arbeitete kehrte er nach Hamburg zurück und gründete regatta in Kiel auf Zelluloid fest. Im Zweiten Erwin Berger (der als Sozialdemokrat von 1919 Wilhelm Siem sogar an seinem 54. Geburtstag, 1925 die Firma Roto-Film. Als sein besonderes Weltkrieg war er vom 18. August bis zum 21. bis 1925 viele parteieigene Publikationen in sei- an dem er als Kameramann an der belgisch- Aufgabengebiet sah er die Produktionen für die Oktober 1939 bei der Luftwaffe tätig und doku- nem Verlag „Neues Vaterland“ herausbrachte) luxemburgischen Grenze für den Kulturfilm Seefahrt an und drehte abendfüllende Kultur- mentierte als Kameramann das Kampfgesche- und dem 1904 in Hamburg geborenen Kauf- An Alle! zum Thema Schmuggler des Regisseurs filme für die Hamburg-Süd- und die Woermann- hen – seine Aufnahmen fanden dann u. a. Ver- mann und FDP-Mitglied Dr. Gerhard Grupe die Marcus Joachim Tidick drehte. Reederei sowie die Deutschen Afrika-Linien sowie wendung in Hans Bertrams Feuertaufe – der Film Firmentätigkeit fort. Am 13. Januar 1951 wurde Doch am 7. Mai 1955, einem Tag nach seinem den Norddeutschen Lloyd in Bremen. Zusammen vom Einsatz unserer Luftwaffe im polnischen Feld- in Hannover noch eine kleine Zweigniederlas- 58. Geburtstag, verunglückten Siem und der mit Dr. Wilhelm Lichtwark realisierte er 1928 zug, der Anfang April 1940 im UFA-Palast am sung gegründet, die 1963 wieder aufgegeben Geschäftsführer der Firma, Erwin Berger, auf den ersten Urania-Kulturfilm Zwischen Skager- Zoo in Berlin uraufgeführt wurde, und auch in wurde; auch in Düsseldorf gab es seit Anfang der Autochaussee nahe Livorno in Italien mit ih- ak und Imatra, einen Sieben-Akter, unter an- anderen NS-Propagandafilmen wieFeldzug in der 1950er Jahre eine Zweigniederlassung. rem Fahrzeug tödlich. Wie der heute 88-jährige derem mit Selma Lagerlöf, Knut Hamsun und Polen (1939 /40) und Flieger empor (1941 /42). In der zweiten Januarhälfte 1950 stieß dann Hamburger Filmemacher Bodo Menck (der 1952 Sigrid Undset. Auch der Verlauf einer deutschen Siem wurde im Jahre 1933 NSDAP-Mitglied, trat noch der vor allem durch seine Natur- und Tier- die mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ aus- 20 FIRMENPORTRÄT FIRMENPORTRÄT 21

Zwei der zahlreichen Filmpreise, welche die Firma im Laufe der Jahre für ihre Werke bekam Repro: Staatsarchiv Hamburg Staatsarchiv Repro:

gezeichnete Dokumentation Am Feuerstrom des hard erhielt im gleichen Jahr das Prädikat des Kükens darstellte. Zum gleichen Zeitpunkt Eisens für die Roto-Film gedreht hatte) sich noch „Besonders Wertvoll“ und bei den Industrie- schied Kühns aus der Firma, da keine neue gut erinnert, fuhr Siem damals einen schnittigen film-Festspielen in Rouen wurde der Farbfilm Filmarbeiten mehr anstanden, für die Prokura weißen Borgward, der offenbar in einer Kurve Nur ein bisschen Schmutz, der für die Henkel- zeichnete nun nur noch Joachim Gunther ver- gegen eine Begrenzungsmauer schleuderte und Werke produziert worden war, mit einem antwortlich, dessen 1963 erstellte Vollmacht sich dann überschlug. Siem und Berger kamen „Grand Prix“ ausgezeichnet. allerdings auch bereits 1971 wieder erlosch. Im gerade von Verhandlungen mit italienischen Hamburg Staatsarchiv Repro: gleichen Jahr wurde auch die Zweigniederlas- Geschäftsfreunden, mit denen sie durch gemein- ÄNDERUNG DES FIRMENPROFILS sung in Düsseldorf aufgehoben. same Filmarbeit verbunden waren. Anfang der 1970er Jahre zog sich Dr. Ger- Der frühere Leiter der Kulturfilmabteilung Aber die Ära der regelmäßig vor dem Hauptfilm hard Grupe auf seinen Altersruhesitz nach Studio-Hamburg-Geschäfts- der Ufa und zeitweilige Chefredakteur des im Kino gezeigten Beiprogramme neigte sich in San Antonio auf Ibiza zurück und die Roto-Film führer Claus Kühn (2. von rechts) Film-Echo, Alfred Merwick, schrieb in seinem den 1960er Jahren bekanntlich dem Ende zu. So wurde nach seinem Tode im Juli 1975 über eine mit Dr. Grupe und Georg Kühns Nachruf im Hamburger Anzeiger am 14. Mai 1955: verlegte sich die Roto-Film auf die Herstellung kommandistische Beteiligung mit der Firma am 1. März 1967 bei einem „Schwer fassbar, diese Schreckensnachricht, als von Schulungsfilmen für den berufskundlichen Dr. Grupe Außenwerbung GmbH verschmolzen, Empfang für die Roto-Film sie uns zunächst über amerikanische und italieni- Unterricht. Beispielsweise entstand 1959 der die von seinem Sohn, Michael Grupe, geführt sche Nachrichtendienste zuging. Nicht leicht auch Kurzfilm-DreiteilerHaut wird Leder (Kamera und wurde. Damit war zugleich der neue Tätigkeits- für jenen, der unserm so wasserkantechten und Regie: Erhart H. Albrecht) über die verschiede- schwerpunkt auch firmenrechtlich besiegelt. waschechten ‚Willem Siem‘ freundschaftlich ver- nen Methoden der Loh- und Chromgerbung, den Die Firma, die ab den 1990er Jahren nur noch bunden war, wie der Schreiber dieser Zeilen. Wie das Institut für Film und Bild in Wissenschaft den Namen Dr. Grupe Außenwerbung GmbH auch sollte das Bildnis dieses ewig optimistischen, und Unterricht (FWU) in Grünwald bei Mün- führte, erlosch als eigenständiges Unternehmen ewig jugendlich schaffensfrohen und eingeschwo- chen in sein Verleihprogramm mitaufnahm. am 1. März 1999, nachdem sie bereits 1997 vom renen Hamburger Kulturfilmpioniers so rasch ver- Die Roto-Film produzierte inzwischen vor- Koblenzer Mitbewerber Deutsche Plakat-Werbung blassen. Keine Inflation und kein Fehlschlag warf wiegend Industriefilme; 1965 wurde der Firmen- GmbH (dpw) übernommen worden war. ihn um. Ein Leben und Schaffen, jedem Wagnis name auf Dr. Grupe Roto-Film geändert. Im glei- Eine Nachfrage im letzten Jahr ergab, dass zugewandt; wissend, dass die Kulturfilmarbeit chen Jahr entstand noch das Werk Pflanzenöle den Angehörigen der Familie Grupe in Frank- Herzlichen Dank an stetiges Wagnis fordere und seinem Mann immer erhielten zahlreiche Preise und Anerkennun- Einladung für die und Margarine unter der Regie des Kamera- furt am Main gar nichts mehr von dem früheren Jeanpaul Goergen (Mitglied wieder den verdienten Lohn schuldig bleibe.“ gen, beispielsweise beim Internationalen Film- Premiere eines Roto- manns Georg Kühns, der ab 1957 auch zeitweise Filmgeschäft der Firma bekannt war. Auch die von Cinegraph Babelsberg), Hans-Gunther Voigt (Film- Nachdem die beiden für die praktische festival in Salerno 1955/56, dem Internationalen Films im Kino GONDEL als Geschäftsführer der Firma fungierte. Doch Deutsche Plakat-Werbung GmbH hat heute kei- in der Sierichstraße archiv im Bundesarchiv Berlin), und finanzielle Durchführung der Projekte der Dokumentarfilm-Festival in Montreal 1956 und im Laufe der folgenden Jahre wurden die Film- nerlei Unterlagen der Roto-Film mehr in ihrem Dr. Ralf Springer (Bild-, Film- Roto-Film wichtigsten Mitarbeiter auf tragische den Deutschen Filmwochen in London und Stock- arbeiten immer seltener und das Geschäft ver- Archiv – so verliert sich hier die Spur einer der und Tonarchiv des Medien- Weise ums Leben gekommen waren, oblag nun holm 1957 sowie auf der Biennale in Venedig im lagerte sich nahezu ganz auf den Bereich von langlebigsten Hamburger Filmproduktionen mit zentrums des Landschaftsver- Dr. Grupe alleine die Fortführung der Firma. gleichen Jahr. Doch Ende der 1950er Jahre Außenwerbung und Marketing. Um 1969 /70 mehreren hundert Produktionen. Nur in einigen bands Westfalen-Lippe) und Bereits Mitte 1954 hatte Dr. Grupe für die Firma wurde dieses Grundstück schon wieder ver- herum entstand noch für die Bundesforschungs- wenigen deutschen Filmarchiven, darunter vor an Bodo Menck (gong-Film, ein Grundstück in der Jenischstraße in Klein kauft, nachdem Fördermittel und Folgeaufträ- anstalt für Kleintierzucht in Celle ein letzter allem im ehemaligen Landesfilmarchiv Hamburg Ahrensburg) sowie an Karl Vill vom Gewerbeverband Leder, Flottbek erworben, auf der sich eine Fläche ge ausgeblieben waren. 1960 bekam die Roto- Lehrfilm mit dem Titel Entwicklung des Hühn- und auch in unserem museumseigenem Film- dessen Recherche im letzten „versumpftes Gartenland“ befand, welches sich Film sogar einen Deutschen Filmpreis (heute chen’s im Ei, der sehr anschaulich in Trick- archiv, sind heute noch vereinzelt Werke aus Jahr nach dem Film Haut wird hervorragend für die Herstellung biologischer Lola genannt) in Gold für den Streifen Tanzende aufnahmen aus dem Labor die Entwicklungs- der knapp 40-jährigen Firmengeschichte der Leder den entscheidenden Filme eignete. Die dort hergestellten Werke Hände. Der Film Ballett in Jazz von Hans Rein- stadien eines Hühnereis bis zum Ausschlüpfen Roto-Film zu finden.• Anstoß zu diesem Beitrag gab. 22 FILMTECHNIK FILMTECHNIK 23

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Nach der Einführung der pilotton- und dort mit einer einfachen Taschen- Musik o. ä. einzusetzen. Die Konstruktion fähigen MMK 6 im Jahre 1960, die schon lampenbirne verbunden wurde. Diese wurde mit der Zeit so erweitert, dass bis zu 14 Minuten synchron lief, haben Birne wurde von einem Relais gesteuert. den Kameras verschiedene verstellbare der Tonmeister Wolfgang Götz und der Schaltete man die Kamera ein, belich- Pilottonfrequenzen zugewiesen werden Tontechniker Werner Günther in der tete die Birne exakt acht Felder des an- konnten, um als Zwischenschnittkame- hauseigenen feinmechanischen Werk- laufenden Films, so dass die Cutter beim ras zur Führungskamera auf dem Tonträ- statt der Wochenschau meine Arriflex B Anlegen des Tons mit dem Ende des 8. ger genau anzuzeigen, wann sich welche zu einer pilottonfähigen Kamera umge- belichteten Feldes den Anlegepunkt des Kamera in den durchlaufenden Ton der baut: Sie wurde von mir bis zu meinem Tons trafen. Später baute die Münchener Führungskamera zugeschaltet hat. So Ausscheiden im Jahr 1981 eingesetzt und Firma Arnold & Richter an ihrer Arriflex 2C war es den Cuttern möglich, den Zwi- 2 lief immer einwandfrei. das gleiche System in veränderter Form schenschnitt punktgenau an die richtige Die Kamera wurde mit einer im Hause serienmäßig seitlich an. Das machte die Stelle der Musik o.ä. einzusetzen. erfundenen Lichtklappe versehen. Außer- Kamera etwas unhandlicher, und ich be- In den 1970er Jahren war eine Kabel- dem musste sie mit einem Synchronmo- vorzugte weiterhin unseren Eigenbau. verbindung zwischen Kamera und Ton- tor ausgerüstet werden, der 25 statt 24 Die Konstruktion wurde mit der gerät nicht mehr nötig: Der Gleichlauf 1 Pilotton-Generator Bilder pro Sekunde transportiert, da das Zeit so erweitert, dass den Kameras ver- wurde nun mit einem kleinen Sender an 2 Buchse für Pilotton-Kabel Pilotton-System einen Generator hatte, schiedene verstellbare Pilottonfrequen- der Kamera und einem Empfänger am der eine 50 Hertz-Frequenz erzeugte. Er zen zugewiesen werden konnten, um als Tongerät erreicht. • war an der Seite der Kamera angebaut, Zwischenschnittkameras zur Führungs- während am Ende des Kameragehäuses kamera auf dem Tonträger genau an- eine Buchse zum Stecken des Pilotton-Ka- zuzeigen, wann sich welche Kamera in bels für die Verbindung zum Tongerät an- den durchlaufenden Ton der Führungs- ereits 1955 haben wir mit der stum- gebracht wurde. Außerdem wurde eine kamera zugeschaltet hat. So war es den Erfindungsort Hamburg men Kamera Arriflex 35, die mit Mini-Leitung im Inneren des Gehäuses Cuttern möglich, den Zwischenschnitt B einem Regelmotor ausgestattet war, verklebt, die zur Umlaufblende führte punktgenau an die richtige Stelle der Pilotton bei der Wochenschau synchrone Reportagen abgeliefert. Als Tongerät diente damals die MMK3 der Hamburger Firma Maihak; ursprünglich Arriflex B, professionelle Von Klaus Brandes waren mit diesem Gerät nur Original- 35-mm-Filmkamera Geräusche und die „Atmo“(spähre) am Drehort aufgenommen worden, um bei der Vertonung nicht immer auf die glei- chen Archiv-Aufnahmen zurückgreifen Das Kamera-Pilotton-System ist eine Erfindung, zu müssen. Die MMK 3 wurde noch mit die nicht allein in einem Haus stattgefunden einem Federaufzug betrieben; bei gutem hat. Dieses System hatte in den 1950er Jahren Aufzug wurde das Tonband für 3 Minuten viele Väter, da es für alle Unternehmen der mit ziemlich gleicher Laufgeschwindig- keit durchgezogen. Der Gleichlauf wurde Film- und Fernsehbranche erforderlich war, die mit einem Stroboskop kontrolliert und Reportage-Kamera synchron mit dem Originalton bei Bedarf nachjustiert. Um beim Film- zu verknüpfen. In Ergänzung zu dem Beitrag von schnitt die Möglichkeit zu haben, die Carsten Diercks über die Nutzung des Pilotton- eventuell immer noch vorhandenen un- Verfahrens bei 16 mm-Filmen für das Fernsehen terschiedlichen Laufgeschwindigkeiten des Nordwestdeutschen Rundfunks (Hamburger anzugleichen, schlug der Tonmann wäh- Maihak MMK 6 rend des Interviews alle 30 Sekunden vor Pilottonaufzeichnung mit Flimmern 5 / 1999) berichtet Klaus Brandes der laufenden Kamera auf das Mikrofon, Spulentonbandgerät (Jahrgang 1932), von 1955 bis 1981 Kameramann um so einen sicheren Synchronpunkt bei der Deutschen Wochenschau in Hamburg, beim Anlegen des Tons am Schneidetisch über die Anwendung bei 35mm-Kameras. zu liefern.

privat Foto links: Wikipedia, Biswarup Ganguly / rechts: 24 KOLUMNENTITELFERNSEHGESCHICHTE FERNSEHGESCHICHTE 25

Der Norddeutsche Rundfunk hat noch vor Wend- Akte „Karl-May-Vorhaben / NDR“ landts Rialto Film eine groß angelegte Verfilmung Wie der Norddeutsche Rundfunk der Wildwest-Stoffe Karl Mays geplant. Der Apachen- Häuptling Winnetou hätte also bereits 1961 in einer Winnetou verfilmen wollte neunteiligen TV-Serie das deutsche Fernsehpublikum erobern können. Das NDR-Projekt, das sich als Von Nicolas Finke Abenteuer entpuppte, wurde in Hamburg von keinem Geringeren als Egon Monk gesteuert. Winnetou als TV-Serie – Eingangsstempel dokumentiert) schreibt made in Germany der zuständige Redakteur des NDR an seinen Kollegen aus der Abteilung Pro- In seinem „Karl-May-Filmbuch“ wundert grammverwaltung: „Hier noch einmal die sich Filmexperte Michael Petzel mit Be- offizielle Bestätigung: das Karl-May-Vor- zug auf die Entstehung der ersten Staffel haben wird sich im Laufe des nächsten der ZDF-Serie Kara Ben Nemsi Effendi Jahres in der besprochenen Form ver- (1973), „wie lange das Fernsehen brauch- wirklichen.“ Der NDR-Redakteur, der das te, um Karl May als Serienstoff zu ent- Karl-May-Thema auf dem Tisch hat, ist Linke Seite: Noch vor der er- decken“. Tatsächlich hatte es sich so viel Egon Monk (1927 – 2007), Brecht-Schüler, folgreichen Karl-May-Filmwelle Zeit gar nicht gelassen: Petzel selbst Dramaturg, Regisseur und Autor, der als der 1960er Jahre wollte der weist in seiner Veröffentlichung an ande- Leiter der NDR-Redaktion Fernsehspiel NDR Winnetou verfilmen. Hier eine seltene Aufnahme von den rer Stelle auf eine bereits 1959 geplante bis 1968 und auch darüber hinaus als Dreharbeiten Mitte August 1968 Produktion der Dokumentar- und Color- freier Filmschaffender für bedeutende beim letzten Karl-May-Films Film Heinz Neubert KG, München, für das TV-Filme verantwortlich zeichnete. Winnetou und Shatterhand im deutsche Fernsehen hin: „Gedacht war „Der Produzent der Filme“, schreibt Tal der Toten mit Wojo Gove- dariza als „Roter Büffel“ und an eine Serie, die nach Vorschlag des Monk weiter, „wird aller Voraussicht Regisseur Harald Reinl Karl-May-Verlegers Roland Schmid den nach Herr Heinz Neubert, Dokumentar- Gesamttitel ‚In den Schluchten des Bal- und Color-Film KG., sein. Ich habe Herrn kan‘ tragen sollte.“ Nach dem Misserfolg Neubert zu einer Besprechung Anfang von Neuberts zweitem Orient-Kinofilm Dezember nach Hamburg eingeladen.“ Der Löwe von Babylon habe der Produzent Der NDR-Kollege wird ausdrücklich ge- jedoch von seinem Vorhaben Abstand beten, „möglichst bald mit den drei genommen. Herren Schmid vom Karl-May-Verlag in Doch schon bald beschäftigte sich Bamberg zum Vertragsabschluß zu kom- Neubert erneut mit Karl May: Nach den men“, damit der „NWRV-Hamburg das Planungen des Norddeutschen Rund- Senderecht an der ,Winnetou-Trilogie‘ funks (NDR) bzw. des Nord- und West- von Karl May“ erwerbe, „ferner eine deutschen Rundfunkverbandes (NRWV), Option auf sämtliche Werke Karl Mays.“ dem von 1955 /56 bis 1961 gemeinsam Es gelte, keine Zeit zu verlieren, denn von NDR und WDR getragenen Dach- gedreht werden solle bereits „im Laufe verband, der das Fernsehen bzw. die des Frühjahrs und des Sommers 1961“. Beiträge aus Hamburg und Köln zum Also reist Monks NDR-Kollege aus der ARD-Gemeinschaftsprogramm bestritt, Programmverwaltung mit einem weite- sollte Karl Mays Winnetou-Trilogie als ren NDR-Mitarbeiter aus der Rechtsab- neunteilige Fernsehserie à 45 Minuten teilung bereits eine Woche später – am „während der Winterspielzeit 1961 /62 15. November 1960 – nach Bamberg. zunächst im ersten, dann aber auch im zweiten Programm des NDR“ gezeigt Konkurrenz AUS Hollywood werden. Als Produzent war Neubert fest im Gespräch. Dort erfahren die Planungen des NDR einen ersten Dämpfer. In einem Gespräch mit Joachim Schmid (als kaufmännischer Monk und May Leiter des Verlages), Roland Schmid (als Ob die Idee der Winnetou-Fernsehserie Schriftleiter) und Lothar Schmid (als vom NDR oder von Neubert ausging, Rechtsvertreter, „der aber nur ganz ge- ist den Unterlagen, die zu Beginn der legentlich in Erscheinung trat“, wie dem 2000er-Jahre im Hamburger Staatsarchiv Sitzungsprotokoll vom 19. November 1960 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu entnehmen ist) wird der Delegation Foto: Karl-May-Archiv wurden, nicht zu entnehmen. Jeden- aus Hamburg mitgeteilt, dass der NDR falls waren die Vorstellungen des NDR nicht der einzige Interessent an den Ver- Filmproduzent Heinz Neubert (hier Anfang der 1990er Jahre) sehr konkret: Bereits am 7. November filmungsrechten sei: Zum Einen habe wollte eine 9-teilige Winnetou- 1960 (das Schreiben lag einen Tag später „sich auch das kommerzielle Fernsehen

Foto: Conti-Press / Staatsarchiv Hamburg / Staatsarchiv Foto: Conti-Press TV-Serie herstellen der Intendanz des NDR vor, wie ein um die Stoffrechte zu den Wild-West- 26 FERNSEHGESCHICHTE FERNSEHGESCHICHTE 27

Büchern von Karl May (beworben) und So macht der Karl-May-Verlag deut- dem Arbeitstitel „In den Schluchten des der geplanten Winnetou-Trilogie statt- auch schon ein entsprechendes Angebot lich, „im gewissen Umfang auf die Ge- Balkan“ bereits an den Karl-May-Verlag gefunden hatten, einen Alleingang ge- Winnetou als TV-Serie – vorgelegt“. (Damit könnte der privat- staltung der Filme Einfluss nehmen (zu Lizenzgebühren gezahlt hatte. wagt hatte. (Ob dies auf Initiative des erst 1979 wurde sie Realität wirtschaftliche Vorläufer des ZDF ge- wollen), um zu verhüten, dass die Ge- Karl-May-Verlags oder von Neubert ge- meint sein.) danken und das Werk inhaltlich in völlig schah, bleibt freilich ungewiss.) Am 24. Winnetou als TV-Serie, so war die Karl- Schwierige Verhandlungen Zum Anderen sei der 1958 aus Ame- entstellter Form zur Wiedergabe kämen“. März 1961 schreibt Egon Monk an seinen May-Verfilmung des NDR zu Beginn der zwischen NDR und Verlag rika zurückgekehrte Regisseur William Weiterhin wolle der Verlag dem NDR im Kollegen, der das Bamberger Verhand- 1960er-Jahre konzipiert. Durchschlagen- (Wilhelm) Dieterle (1893 – 1972) „an einer Falle des Falles lediglich eine gerade Der NDR-Mitarbeiter bietet dem Karl- lungsgespräch protokolliert hatte: „Er den Erfolg aber hatten die Winnetou-Filme der Rialto Film mit Stars wie Pierre Brice Verwertung der Karl-May-Stoffe, soweit erschienene, um „wesensfremde Teile“ May-Verlag „als Abgeltung für die Trilo- [Neubert] schreibt, daß zwischen ihm und Lex Barker von 1962 bis 1968 in den sie sich auf den ‚wilden Westen‘ bezie- gekürzte (gemeint sind Passagen wie die gie in der gekürzten Fassung einen Betrag und dem Karl-May-Verlag in Bamberg Kinos. Und doch wurde auch eine Win- hen, für Amerika und Deutschland in- „Old Death“-Episode) Winnetou-Lizenz- von DM 50.000“, muss aber schließlich nicht nur Verhandlungen stattgefunden netou-TV-Serie Realität, wenn auch erst Regisseur William Dieterle 1979/1980 und nicht vom NDR initiiert. teressiert“. Der NDR-Mitarbeiter notiert ausgabe zum Erwerb der Stoffrechte (hier bei Dreharbeiten eine bittere Pille schlucken: „Die Gegen- hätten, sondern auch grundsätzliche darüber hinaus: „Es war von mir mit freigeben. Auch auf die am 31. Dezember 1959 / 60) wollte bereits seite konnte sich nicht entschließen, Einigkeit erzielt worden sei“. Der NDR Mein Freund Winnetou, eine Koprodukti- letzter Klarheit nicht zu erfahren, ob 1962 ablaufende Schutzfrist der Werke 1961 Winnetou verfilmen; mein Angebot zu akzeptieren, da sie das hatte die Rechte jedoch selbst und un- on des Westdeutschen Werbefernsehens Herr Dieterle in eigenem Interesse oder Karl Mays kommen die NDR-Vertreter er hatte kurz zuvor auch Ergebnis ihrer Verhandlungen mit dem abhängig von einem Produzenten er- (WWF) mit Antenne 2 (Frankreich) und die späteren Winnetou- der Schweizerischen Radio- und Fernseh- fremden Auftrag sich um die Rechte in Bamberg zu sprechen: „In früheren Kommerziellen Fernsehen und Herrn werben wollen. Monk, der sich in einem Produzenten Artur Brau- gesellschaft SRG, ging zurück auf eine Idee an den Karl-May-Werken bemüht.“ Die telefonischen Unterredungen hatten die ner und Horst Wendlandt Dieterle abwarten wolle.“ Sollten diese Telefonat, das der Autor dieses Beitrags von Winnetou-Darsteller Pierre Brice und Familie Schmid erwähnt, dass in der Gebrüder Schmid behauptet, dass die kennengelernt Verhandlungen jedoch scheitern, habe der mit ihm 2003 führte, nur noch dunkel wurde 1980 in 14 Folgen im Vorabend- darauffolgenden Woche Gespräche mit existierenden K.M.-Ausgaben Bearbei- Verlag an einen Betrag von DM 100.000 an die „merkwürdige Angelegenheit“ programm der ARD erstausgestrahlt. Mit Herrn Dieterle stattfinden sollten, um tungen ihres im Jahre 1951 verstorbenen gedacht. „Ich erklärte diese Forderung von damals erinnerte, reagiert verärgert Karl Mays Romanvorlagen hatte die TV- unter anderem diese Unklarheit zu be- Vaters seien. Es sollte der Eindruck ent- für irreal und gänzlich indiskutabel“, gibt („Wie kommen die dazu, mit Neubert zu Serie, die ein Misserfolg wurde, allerdings seitigen. Sollte Dieterle lediglich als stehen, dass die Schutzfrist nicht mit der NDR-Mitarbeiter später zu Protokoll. verhandeln und vielleicht sogar abzu- bis auf einige Namen nichts zu tun. Regisseur in Erscheinung treten wollen – dem genannten Datum abläuft. In der Zu offensichtlich sei es darüber hinaus schließen, ohne uns vorher informiert zu Weitere Winnetou-Fernsehfilme entstan- „so wurde von den Gebrüdern Schmid Besprechung wurde dieses Thema zwar gewesen, „dass versucht wurde, die drei haben?“) und rät seinem Kollegen „von den 1998 für das ZDF (Winnetous Rückkehr der Vorschlag gemacht“ –, solle der NDR gestreift, aber nicht mehr bestritten, Interessengruppen – NDR, Kommerzielles allen Karl-May-Taten“ ab. mit Pierre Brice, 2-Teiler). Seit 2015 finden im Falle einer Koproduktion mit Heinz dass weitere Produzenten mit Beginn des FS und W. Dieterle – gegeneinander aus- Mit diesen Zeilen scheint unter das Dreharbeiten zu einem 3-Teiler für RTL Neubert William Dieterle den Vorschlag Jahres 1963 Fernsehfilme und derglei- zuspielen, um möglichst hohe Beträge frühe Karl-May-Vorhaben des NDR, Win- statt (mit dem albanischen Schauspieler machen, „die Außenaufnahmen in den chen lizenzfrei herstellen und sowohl zur aus der Vergabe der Rechte zu erzielen. netou filmisch auferstehen zu lassen, Nik Xhelilaj als Winnetou). USA und die Innenaufnahmen bei dem Sendung im Fernsehen als auch in den Man konnte sich des Eindrucks nicht er- ein Schlussstrich gezogen worden zu Ko-Produzenten in Deutschland (zu) Lichtspielhäusern verwenden können“. wehren, dass versucht wurde, noch kurz sein. Weitere Bemühungen des NDR in drehen“. Zudem einigen sich beide Seiten darauf, vor Erlöschen der Schutzfrist einen Coup dieser Richtung sind den Hamburger Die Gesprächspartner, so wird proto- die etwaige Option auf die weiteren Win- mit den K.M.-Werken bei den drei Inter- Archivalien nicht zu entnehmen. kolliert, denken offen über die Verwer- netou-Stoffe von dem Erfolg oder Misser- essengruppen zu landen.“ Was wir jedoch heute wissen: Auch tung der geplanten Filme auch in den folg der geplanten Fernseh-Trilogie ab- Es wird abschließend vereinbart, dass die vom NDR unabhängigen Verhand- USA nach; der Verlag möchte die Verwer- hängig zu machen: Die Entscheidung soll sich Joachim Schmid Ende der darauf- lungen zwischen Neubert und dem Karl- tung der Aufnahmen in den USA aber aus „innerhalb einer Frist von zwei bis drei folgenden Woche an den NDR wenden May-Verlag führten nicht zum gewünsch- einem eventuellen Vertrag mit dem NDR Monaten nach der Erstsendung fallen.“ und mitteilen solle, ob die Verhandlun- ten Ergebnis (Petzel / Wehnert deuten Foto: Koch-Media ausklammern. Als man auf das Finanzielle zu spre- gen zwischen dem NDR und dem Karl- als Grund an, Neuberts „Firma [sei] vor- Pierre Brice und Eric Dô Hieu 1979 chen kommt, deutet sich bereits an, May-Verlag noch Aussicht auf Erfolg her pleite“ gegangen) – und schon am

dass die Verhandelnden wohl nur sehr hätten. 17. November 1961, fast auf den Tag genau EINFLUSS DES schwerlich zusammenkommen werden. ein Jahr, nachdem die NDR-Mitarbeiter Die Grundlage dieses Artikels bilden Unter- Karl-May-VerlagS Der NDR-Mitarbeiter war „in einer Vor- nach Bamberg gereist waren, kam eine lagen aus dem umfangreichen Schriftgut- Showdown: Monk rät „von Einmal in Bamberg, versuchen die NDR- besprechung mit Herrn J. Schmid über- Abordnung der Constantin Film mit den Bestand des NWDR / NDR, der sich im allen Karl-May-Taten ab“ Staatsarchiv Hamburg befindet. Verwendet Mitarbeiter, aus den Verhandlungen, die eingekommen“, sich den Honoraren Karl-May-Verlegern in Bamberg zusam- wurde die Akte Nr. 1048. Ich danke Frau als „äußerst schwierig und zähe“ be- anzupassen, „die er von Herrn Neubert Zu dieser Kontaktaufnahme kommt es men, um einen Vertrag zu schließen, der Ursula Wagenführ (†), Herrn Egon Monk (†), zeichnet werden, das Beste zu machen, für seine Orient-Serie erhalten“ habe: jedoch nicht. Mehr noch: Für den NDR die Verfilmung Winnetous für das Kino Herrn Dr. Hans-Wilhelm Eckardt (†) wenngleich sich ihre Bemühungen, „zu „Für 13 Filme à 30 Min. wurden von bleibt es nicht bei der enttäuschenden ermöglichte. Die Verhandlungen der Ver- vom Staatsarchiv Hamburg sowie Herrn günstigen Bedingungen den Vertrag ab- Herrn Neubert an den Verlag DM 50.000 Erkenntnis, dass die Rechte an der tragsparteien sollten zügig und fruchtbar Dr. Hans-Ulrich Wagner von der Forschungs- zuschließen“, bei zwei Mitbewerbern vergütet. Das entspricht für die von uns Winnetou-Trilogie offensichtlich nicht er- verlaufen, so dass der Grundstein für die stelle Geschichte des Rundfunks in Nord- erschweren. Gemeinsam erarbeiten die beabsichtigte Serie von 9 Filmen à 45 Foto: Fritz Kempe / Staatsarchiv worben werden können. Er muss im überaus erfolgreiche Karl-May-Filmwelle deutschland (FGRN) an der Universität Hamburg für wertvolle Hinweise. Bei diesem Gesprächspartner grundsätzliche Bedin- Min. einer Summe von DM 56.000.“ Aus Frühjahr 1961 zur Kenntnis nehmen, dass gesetzt wurde. Porträt des Leiters der • Beitrag handelt es sich um eine aktualisierte gungen für den Fall, dass sich der Karl- diesen Zeilen muss gefolgert werden, Fernsehspielabteilung der Wunsch-Produzent Heinz Neubert, Fassung eines 2003 in der Zeitschrift May-Verlag für den NDR entscheiden dass Neubert für seine zuvor geplante, des NDR, Egon Monk mit dem 1960 bereits konkrete Gesprä- KARL MAY & Co. – Das Karl-May-Magazin sollte: aber nicht realisierte TV-Serie mit (1927 – 2007) che zu einer gemeinsamen Realisierung (Heft Nr. 92) erschienenen Artikels. 28 FERNSEHGESCHICHTE FERNSEHGESCHICHTE 29

Offenkundig hielt man es beim Sender Weiß sollten in der Ausführung ver- Holz, möglicherweise der Mittelteil eines Umso erstaunlicher war es dann, dass Vor 62 Jahren für eine gute Idee, dafür ein Preisaus- mieden werden, stattdessen sollte sein Scheuerbesens. Auf die Frage der Re- die Jury ausgerechnet ein neues opti- schreiben auszuloben. Als Preise wurden sehr dunkles und ein sehr helles Grau porterin antwortete Szewzuk, der selbst sches Pausenzeichen, welches der damals Neues NWDR-Pausenzeichen 3.000 DM für den Siegerentwurf, 2.500 verwendet werden: „Auf jeden Fall auch Jury-Mitglied war, man sei hinter 26-jährige Graphiker Günter Böker ent- per Preisausschreiben DM und 1.500 DM für den zweiten und muss der Entwurf eine sehr dunkle den Sinn dieser Einsendung in der Tat worfen hatte, zum Siegerentwurf erklärte dritten Platz ausgelobt; insgesamt sollte Fläche enthalten, die nicht zu klein ist, noch nicht gekommen: Vielleicht sei der – dieses hielt sich mit seinem dominan- es zehn Preisträger geben. Einsende- damit von der benachbarten helleren Absender ja aber auch nur ein mit dem ten und das ganze Bild ausfüllenden, schluss war der 24. August 1953. Als Umgebung das Auge nicht zu sehr be- Programm unzufriedener Besitzer eines schwarzen Untergrund nicht an die zu- Von Volker Reißmann Bedingung war festgelegt, dass die aus- einflusst wird und der Schwarzwert Fernsehapparates. Immerhin – die Ehre vor genannten Bedingungen. So konnte gezeichneten Werke, die von einer von (das dunkle Grau) des Empfangsgeräts einer Reise nach Düsseldorf zur Entaus- man dann auch wenig später, im Oktober Graphikern und Fernsehfachleuten be- richtig eingestellt werden kann“, hieß scheidung wurde diesem Knüppel nicht 1953, in der Hörzu folgenden Kommen- setzten Jury ausgewählt wurden, an- in diesen recht ausführlich gehaltenen zuteil. tar nachlesen: „Das Ergebnis des Wett- schließend in das Eigentum des Senders Teilnahmebedingungen. bewerbs für ein neues Pausenzeichen für übergehen sollten. Das Ganze sollte im So reichten denn auch zahlreiche das NWDR-Fernsehen hat beachtliches KURIOSE JURY-ENTSCHEIDUNG Kontext der Großen Deutschen Funk-, Künstler, Kaufleute, Lehrer und Schüler Aufsehen erregt, weil der erste Preis an Photo- und Fernsehausstellung 1953 in ihre Entwürfe für ein neues Pausenzei- Andere skurrile Entwürfe zeigten den eine Lösung vergeben wurde, die den Düsseldorf von statten gehen. chen ein und im brandneuen Fernseh- Baron Münchausen auf einer Kanonen- wohlberechtigten technischen Bedingun- haus in Lokstedt mussten sogar gleich kugel durch das Schallwellen-All reitend gen der Ausschreibung nicht entsprach Im Juni/Juli 1953 steckte das Nachkriegsfernsehen zwei ganze Räume für die unzähligen und ein Pin-up-Ganzkörperporträt, etwas und die deshalb für eine praktische Ver- DEKORATIV UND WERBEND noch in den Kinderschuhen. Seit Ende des Versuchs- Entwürfe reserviert werden. Der dama- naiv in Bilder von übertragenen Fernseh- wendung kaum in Frage kommen wird – betriebs 1951/52 sendete man zwar inzwischen täglich, Die Gestaltungswünsche waren von vor- lige Chef-Zeichner und Cartoonist des wellen hineingeklebt. Der Fantasie der mit Einsprüchen gegen die Entscheidung was aber offenkundig noch fehlte, war ein markantes neherein sehr detailliert festgelegt: Das Senders, Mirko Szewczuk, führte dann Einsender waren offenbar keine Grenzen des Preisgerichts ist rechnen“. Im Üb- Sendezeichen sollte möglichst das „We- Gruppen ausgewählter Journalisten stolz gesetzt. In 90 Prozent der Entwürfe stün- rigen empfahl die Programmzeitschrift Sendezeichen (heute würde man sagen: Ein Logo fürs sen des Fernsehfunks“ unter Verwen- an den ausgestellten Werken vorbei. de das menschliche Auge im Mittelpunkt dem NWDR, einfach einmal dem Beispiel Corporate Design der Sendeanstalt). dung des Wortes „NWDR-Fernsehen“ in Krönung des Ganzen war, wie die WELT- der Graphik, stellte die Zeitung DIE der „findigen Berliner Fernsehleute“ zu charakteristischer Form zum Ausdruck Redakteurin Brigitte Hildenbrandt zu be- WELT abschließend fest – eine ebenso folgen, die mit der Einblendung einer bringen. Es sollte dekorativ und wer- richten wusste, ein 35 Zentimeter langes, treffende wie auch naheliegende Asso- Uhr die ideale Lösung schon lange ge- bend sein, reines Schwarz und reines vier Zentimeter dicken, simples Stück ziation der Bildkünstler. funden hätten. • Foto: NDR Fotos: Gita Mundry / NDR

Der Sieger des Preisausschreibens für das neue Einige Entwürfe für ein Testbild und ein Pausen- Sendezeichen des NWDR-Fernsehens, Günter bzw. Sendezeichen des NWDR-Fernsehens Böcker aus Düsseldorf-Oberkassel, bekommt aus den 1950er Jahren– ganz rechts unten die Anfang September 1953 den 1. Preis überreicht legendäre sogenannte „Nähgarnspule“ 30 ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER 31

Die Kiez-Kinos Aladin und Oase

Von Volker Reißmann

Der allgemeinen Überlieferung zufolge begann auf Hamburgs Vergnügungsmeile in St. Pauli der Kintopp schon um das Jahr 1900 herum, als in dem Bierlokal des Gastwirts Eberhard Knopf die ersten „lebenden Photographien“ gezeigt wurden.

Die nächtliche Reeperbahn mit dem Oase-Kino – am 12. August 1961 startete hier exklusiv in Hamburg der schwedische Kriminalfilm Mord in

Studio 9 (Regie: Rolf Husberg) Fotos: Horst Janke ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER 33 Fotos: Horst Janke

28. November 1958: Der italienische Horrorfilm 26. Oktober 1956: Der amerikanische Kriegsfilm Der Vampir von Notre Dame (Regie: Riccardo Klar Schiff zum Gefecht (Regie: Joseph Pevney) Freda und Mario Bava) erlebt im Oase-Kino seine mit Lex Barker und einem Gastauftritt des jungen deutsche Kinouraufführung Clint Eastwood wird im Aladin-Kino gezeigt

er Kiez war auch in der Folgezeit denen man arbeitet“, notierte 1926 ein so genannte erotische Filme wurden musste. Seine mit dem ärmlichen Leben Hamburgs erste richtige Kinomeile: Berliner Branchenkenner im Fachorgan erst später ins Programm aufgenommen. FILM NOIR ZUR ERÖFFNUNG unzufriedene Ehefrau Pauline beginnt D Denn schon wenig später zeigten Film-Kurier: „Aber was hier für Filmtitel Anfänglich dominierte die solide Haus- daraufhin eine Affäre mit einem Krimi- auch etliche andere Varietés und Wirt- schreiend aufleuchten, das hat man ent- mannskost der großen US-Filmstudios. Ende April 1954 eröffneten die Kino- nellen, mit dem sie auch außer Landes schaften wie die Deutsche Reichshalle, weder überhaupt noch nicht gehört oder An dieser Stelle soll an zwei im Abstand betreiber Walter Cartun und Herbert fliehen will. Doch der Deal platzt, sie wird Peters und Muus sowie das Köllsche erinnert an längst vergessen Zeiten.“ von nur vier Jahren auf der Reeperbahn Steppan zunächst das 595-Plätze-Kino ermordet und der Gangster versucht, Universum Filme, um die Kundschaft mit Nach dem Zweiten Weltkrieg und der eröffnete Kinos erinnert werden, die mit dem orientalisch anmutenden Na- Ernie die Tat in die Schuhe zu schieben. dieser neuen Errungenschaft in ihre Zerstörung etlicher Varietés und großer zwar lange Zeit ein konkurrierendes men Aladin. Eröffnungsfilm war ein Kri- Doch mit Hilfe einer ehemaligen Freun- Räumlichkeiten zu locken. Filmtheater wie der Schauburg am Mil- Filmangebot aufwiesen, aber von den mi der heute legendären Schwarzen Se- din gelingt es dem Ex-Boxer, seine Un- Von zehn Uhr morgens bis halb lerntor kam es innerhalb weniger Jahre gleichen Betreibern geführt wurden und rie, des Film Noir: Taxi 539 antwortet nicht schuld zu beweisen und ein neues Leben zwei Uhr liefen in einigen dieser Etablis- dann noch einmal zu einer wahren Blü- somit in enger geschäftlicher Verbindung von Phil Karlson erzählte die Geschichte zu beginnen. B-Movie-Haudegen John sements die Vorstellun- tezeit des Kintopps auf St. Pauli – nicht miteinander standen: Die 1954 und 1958 des verbitterten ehemaligen Boxers Ernie Payne, die aus Vom Winde verweht be- gen: „Sittenfilm, Sensatio- weniger als ein halbes Dutzend Filmthea- eröffneten Kinos Aladin und Oase, beide Driscoll in New York, der wegen einer im kannte Nebendarstellerin Evelyn Keyes nen, Cowboys, Wildwest, ter offerierten im Umkreis von nur knapp im Abstand von nur knapp 200 Metern Ring erlittenen Augenverletzung seine und Cowboy-Mime Brad Dexter spielten das sind hier die belieb- einem Kilometer ein großes Angebot direkt an der Hamburger Amüsiermeile Karriere beenden und seinen Lebens- die tragenden Parts in diesem span- testen Schlagworte, mit populärer Filmstreifen aus Hollywood – Reeperbahn gelegen. unterhalt nun als Taxifahrer verdiente nungsgeladenen Eröffnungsfilm, der vom 34 ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER 35

1956 in die USA geflogen, um dort das Henry Fonda und Anthony Perkins in irgendwie nicht so recht zur Vergnü- erste Todd-AO-Kino mit 70 mm-Vorführ- den Hauptrollen. Das spannungsgelade- gungsmeile Reeperbahn passen wollte. technik zu besichtigen. Im März 1957 er- ne Werk über einen Kopfgeldjäger, einen öffnete er dann mit dem Savoy-Kino am Teilzeit-Sheriff und ein typisches Wes- Steindamm das erste Haus Europas mit ternstädtchen, in dem es tagtäglich drun- HEINZ RIECH ÜBERNIMMT dieser grandiosen Projektionstechnik, ter und drüber geht, stammte von einem Herbert Steppan (bei einer Kino- die qualitativ ganz neue Maßstäbe setzte. der versiertesten Regisseure des Genres Bereits 1971 hatte die Ufa das Aladin von premiere in den 1950ern) war Zusammen mit dem Hamburger Archi- überhaupt, Anthony Mann: Es wird heu- der in Konkurs gegangenen Betreiberfir- Mitinhaber der beiden Kinos tekten Joachim Glüer, mit dem er bereits te als Paradebeispiel der amerikanischen ma Walter Cartuns und Herbert Steppan das Savoy am Steindamm konzipiert hatte, Kinomythenproduktion gerühmt und gilt übernommen. Auch hier gab es bereits und dem Architekten Paul Schlüter ent- inzwischen – was Raumgestaltung, Kame- 1978 eine Zerstückelung des großen warf er nun das Konzept für ein neues raführung und Schnitt angeht – als einer Saals in vier kleinere Säle mit 98, 102, 112 lichkeiten revoltierender Mägen zu ver- Großraum-Kino mit fast 700-Plätzen auf der vielleicht lehrreichsten Westernfilme und 283 Plätzen Insbesondere die Projek- zeihen. Das Programm ist kommerziell einem Trümmergrundstück an der Ree- überhaupt. Die Oase wurde – wie vier tion in den kleineren Sälen ließ nach dem mit viel Action und Humor.“ perbahn, welches ebenfalls einen an den Jahre zuvor das Aladin – vom Publikum Umbau zu wünschen übrig, da die Pro- Doch lange Zeit schien das Konzept Orient erinnernden Namen bekommen sogleich gut angenommen. jektoren aus bautechnischen Gründen des ungeliebten Kino-Königs Riech auf- sollte: Oase. Schon 1959 übergab der mit erns- nicht immer über eine günstige Position zugehen: Zwar zeichneten sich seine ten Gesundheitsproblemen kämpfende für eine optimale Bildwiedergabe besa- Filmtheater nicht gerade durch Komfort Steppan die Anteilsmehrheit an der Oase ßen. Die Tester einer Stadtillustrierten aus („Hier ist Kino wie Wartesaal 2. Klasse MODERNSTE PROJEKTIONEN an die Robert Kistner Kommanditgesell- kamen 1992 zu einem vernichtenden Ur- – das Publikum wird quasi durchge- schaft. Diese betrieb das Kino zusammen teil: „Hier stinkt’s in allen Vorführräumen schleust“, kommentierte der Cineast Es sollte einer der bedeutendsten Ham- mit Walter Cartun noch bis 1980. Anfang – nicht zuletzt, weil kaum ein Zuschauer Klaus Hebecker), aber er hatte die ge- burger Kinobauten Ende der 1950er Jah- September 1980 verleibte Deutschlands ohne brennende Kippe und zischende wünschte Ware im Angebot. Dank seiner re werden. Die signifikante Kinofassade Kinokönig Heinz Riech dann die Oase als Bierdose der Filmkultur frönt. Beim überlegenden Marktposition konnte er erstreckte sich über mehrere Stockwer- 200. Filmtheater seiner Kinokette ein und Flair einer Obdachlosen-Kneipe gibt sich sich bei den Filmverleihern die attrakti-

Fotos: Horst Janke ke und das Branchenblatt Film-Echo / baute es alsbald zu einem Schachtelkino der Vorführer verständlicherweise we- ven Erstaufführungsrechte sichern. Doch Filmwoche berichtete: „Auf der Reeper- mit zunächst drei, bald darauf sogar fünf nig Mühe, der veralteten Anlage Bild- nach einigen Jahren war das Publikum bahn eröffneten Herbert Steppan, Walter Sälen (54, 73, 128, 132 und 332 Plätzen) und Tonqualität abzutrotzen.“ Ähnlich die Schachtelkinos leid: Viel zu kleine Blick in den architektonisch großzügig gestalteten Kinosaal der Oase (aufgenommen kurz nach der Eröffnung am 16. April 1958) Cartun und Robert Kistner ein neues, um. Den kläglichen Rest des einstmals negativ fiel das Urteil des Hamburger Leinwände, eine leicht schmuddelige repräsentatives 700-Plätze-Theater, die von der Größe her imposanten Kinosaals Abendblatts bei einem Kino-Test 1997 Atmosphäre und ein immer niveaulose- Oase. Nach der modernsten technischen erreichte man durch noch durch einen aus: „Der Schmuddel-Charme der Ree- res Angebot schreckten immer mehr Be- Gesichtspunkten und dekorativen Ef- langen, schlauchartigen Zugang, der gro- perbahn in Rein-Kultur. Es gibt Tacos mit sucher auch vom Besuch der beiden Kiez- Publikum sogleich auch gut angenom- Filmbühne in Charlottenburg, das Alham- fekten haben die Architekten Joachim ße Vorführraum und Teil des großzügi- Chili-Soße, Alkoholisches, und der graue Kinos Aladin und Oase ab. So nahm nach men wurde. bra im Friedrichshain und ein ebenfalls Glüer und Paul Schlüter für Hamburg gen Foyers wichen den Kinosälen 4 und 5. PVC-Fußboden verspricht, alle Unpäss- dem Tod von Heinz Riech im Jahre 1992 Mit populären Streifen aus der ame- unter dem Namen Aladin bekanntes eines der schönsten Häuser erstellt. rikanischen Traumfabrik ging es denn Lichtspieltheater in Spandau betrieben. Durch eine gläserne Außenfront gelangt auch im Eröffnungsjahr weiter – Anfang „Walter Cartun war mit seiner hohen man in den Theater-Vorraum, unter ALTERNATIVES KINO Leicht ansteigende Sitzreihen im hinteren Teil des Kinosaals der Oase (aufgenommen ebenfalls am 16. April1958) September 1954 lief beispielsweise der Fispelstimme und seiner hageren Gestalt dessen Treppe zum Zuschauerraum ein Western Die Teufelspassage mit Cowboy- schon ein Unikum in der lokalen Filmsze- pflanzengeschmückter Springbrunnen- Dem Aladin-Kino war es inzwischen Darsteller Joel McCrea in der Haupt- ne, der bereits als Teilhaber von Jeltheda Teich angelegt ist. Der Zuschauerraum nicht besser gegangen. Das Programm rolle: „Den letzten Ringkampf in dieser Iderhoffs Stern-Lichtspielen an der Gro- ist in den Grundfarben Gelb, Grau und des Kinos wurde immer beliebiger; nach Geschichte tragen ein Freibeutergeneral ßen Freiheit Ende der 1940er Jahre ers- Violett gehalten, zu denen die Rückwand und nach wurden Filme, die eher der namens Pedro Armendari und der Bür- te erfolgreiche Kinoerfahrungen in der in Königsrot harmonisch kontrastiert. Kategorie der Softpornos zuzuordnen gerkriegspatriot McCrea in einem mexi- Hansestadt gesammelt hatte“, erinnerte Das Theater ist nach dem so genannten waren, in den Spielplan mit aufgenom- kanischen Sumpfloch aus: Wer wieder sich Ingeborg Steppan-Herzog, die Frau Terrassen-System gebaut; die Sitzreihen men. Anfang November 1969 kam es noch auftaucht, ist schlammbedeckter Sieger. seines neues Geschäftspartners Herbert steigen in starker Erhöhung an, die Lein- einmal zu einer kleinen „Programm- Spannend, feurig, farbig“, schrieb der Steppan, vor einigen Jahren in einem In- wand nimmt die ganze Wand ein, in ei- Revolution“: Die legendäre Hamburger Rezensent des Hamburger Abendblatts. terview mit dem Autor dieses Beitrags. ner Fläche von 9 × 18 Meter. Der gelbe Filmemacher Coop hatte das Aladin Auch in der Folgezeit dominierten Wes- Steppan selbst hatte Ende der 1940er Seidenrips-Vorhang hat ein aufgesetztes, als Spielort für ein kleines „Mini-Film- tern, Abenteuerschinken und deutsche Jahre zunächst mit einem Filmtheater in schwarz-weißes Plastik-Gitter-Muster. Das festival“ entdeckt. Einen Abend lang ka- Heimatfilme das Programm dieses neuen Harburg begonnen und sich dann schnell bequeme, lilafarbene Polstergestühl mit men dort Filmwerke zur Vorführung, die Kinos. mit der Übernahme und dem Betrieb seiner hellen Holzumrahmung kontras- abseits des Mainstream-Kinos entstan- Die beiden Betreiber brachten auch weiterer Filmtheater einen Namen ge- tiert mit der hellgrauen Holztäfelung aus den waren. Der Erfolg hielt sich jedoch bereits langjährige Erfahrung bezüglich macht. Doch Ende der 1950er setzte er gebleichtem Buchholz.“ außerhalb der angesprochenen Klientel der Führung von Lichtspieltheatern mit: auf den Bau komplett neuer Filmtheater, Eröffnet wurde das Kino am 16. April der 68er-Bewegung und Hamburger Walter Cartun hatte schon von dem die den seinerzeit modernsten Stand der 1958 mit dem noch in schwarzweiß ge- Cineasten-Szene stark in Grenzen, und Zweiten Weltkrieg in Berlin die Splendid- Vorführtechnik bieten sollten. So war er drehten Film Der Stern des Gesetzes mit es blieb bei dieser einmaligen Aktion, die 36 ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER ALTE HAMBURGER LICHTSPIELHÄUSER 37

der UFA-Theaterkonzern selbst noch den mehrfach Opfer von Raubüberfällen – sieben Sälen mit einer Passage für Büros wie es Corny Littmann, Chef des Schmidt- Rückbau einiger dieser Schachtelkinos Täter waren Junkies, die das schnelle und Läden zu kombinieren und zugleich Theaters auf der Reeperbahn nannte – wieder in größere Säle vor, beim Aladin Geld suchten und zumeist schnell von eine räumliche Verbindung zwischen Ree- nicht mehr ganz ‚taufrisch‘. Mobiliar und war dies allerdings nicht mehr möglich. der Polizei gefasst werden konnten. perbahn und Holstenstraße zu schaffen. Teppiche waren keiner bestimmten Zeit- Schlagzeilen machten die Kiez-Kinos Im Aladin fiel zwar manchmal die An der Reeperbahnseite sollten drei in epoche zuzuordnen, aber alles roch nach in der Regel nicht durch glamouröse Heizung aus, dafür durfte man in den den Straßenraum vorspringende, große, den 50er-Jahren. Ein knappes Dutzend Filmpremieren – die gab es auf der Ree- Sälen rauchen. Zu einiger Bekanntheit in knallbunte Platten an der Fassade das Zuschauer kam zur letzten Vorstellung perbahn eigentlich nie – sondern durch der Hamburger Kinoszene brachte es der Kino weithin als Cinemaxx erkennbar im großen Kino mit den 320 roten Samt- Meldungen anderer Art. Im Februar 1967 Vorführer im Aladin, Lothar Behrendt. machen. Die SPD-Bauausschussabgeord- sitzen. Seine Besonderheit: der Mittel- war ein Obdachloser ausgerechnet auf In seinem im Jahre 2001 entstandenen nete Grete Kleist äußerte sich in dem gang, der stets die Flucht zur Toilette der Bühne des Aladin-Kinos eingeschla- Dokumentarfilm „Der Vorführ-Effekt“ ließ Zeitungsbericht zum Entwurf des Archi- Reißmann Foto: Volker ermöglichte. Kassierer Patrick Bröcker, fen: „Selbst die dicken Vorhänge des Ki- Carsten Knoop die Kiezlegende ausführ- tektenbüros Alsop und Störmer: „Etwas der im Oase auch schon mal Verona Feld- Oase-Kinovorführer Paul Chrobak nos konnten seine Schnarchtöne nicht lich über sein Leben und seine Erlebnisse schräg, aber es stört mich nicht. Ich kann am Schließungstag, dem 12. April 2000 busch ein Ticket verkaufte, bewahrte sei- dämpfen“, wusste das Abendblatt zu be- als Filmvorführer berichten. Behrendt, damit leben!“ Obwohl auch die CDU und ne Professionalität bis zum Ende. ‚Heute richten. In der gleichen Zeitung konnte der sich nach einer schweren Kehlkopf- trotz befürchteter Verkehrsprobleme auch ist Kinotag‘, verkündete der 22-Jährige. man am 1. Juli 1970 die Schlagzeile „Fal- operation nur noch mittels eines speziel- der GAL-Abgeordnete für den Antrag im ‚Jede Karte zehn Mark.‘ Der Film, ein scher Agent wollte ins Kino“ lesen; offen- len Stimmverstärkers artikulieren konn- Bauschuss votierten, konnte er schließ- zur Fußballweltmeisterschaft – mit in- zweitklassiger Hollywood-Streifen wie bar um das publizistische Sommerloch te, bekam dann in der Lokalausgabe der lich doch nicht realisiert werden. Hinter- zwischen größtenteils entfernten Sitzen – die meisten Oase-Filme, hieß „Knocked zu füllen, wurde ein kurioser Vorfall aus Bild-Zeitung 1997 sogar fast eine ganze grund war offenbar, dass die Finanzie- noch einmal kurzzeitig für das Public- Out“. Volltreffer. Am Wochenende liefen Aladin-Kinovorführer Lothar Behrendt dem Polizeibericht groß aufgegriffen: wurde am 24. Februar 1997 mit einem Seite gewidmet – eine ungewöhnliche rung nicht gesichert werden konnte, ein Screening einzelner Spiele geöffnet – den im Oase sogar noch nachts um ein Uhr Fil- „Kostenlos wollte sich gestern Abend der Artikel in der BILD-Zeitung gewürdigt Ehre für einen Kinovorführer. Grundstücks-Miteigentümer andere Plä- Boden hatte man passender Weise dafür me. Das erinnert an die Gründerzeit des 21-jährige Thomas G. aus Braunschweig ne verfolgte und auch der Bauboom für mit Kunstrasen auslegen lassen. Ein Jahr Kinos, als es noch nicht bloß ums Gera- den Film Viva Cangazeiro im Oase-Kino weitere Multiplex-Kinos Ende der 1990er später, Mitte Oktober 1999, eröffnete in de-Sitzen-und-sich-den-Film-Reinziehen an der Reeperbahn auf St. Pauli ansehen. DIE MULTIPLEX-PLÄNE Jahren aufgrund eines herrschenden den inzwischen entkernten und sanier- ging. Auch das Oase hatte seinen Hel- ‚Ich bin englischer Agent und Kriminal- Feuer im Kino – 200 Besucher gerettet!“ „Overscreenings“ am Kinomarkt schlag- ten Räumen des Kinos ein Minikaufhaus, den: den 76-jährigen Paul Chrobak, der beamter’, flüsterte er einer Platzanweise- Dem Bericht zufolge musste das Kino Doch die 1990er Jahre waren auch die artig beendet war. Dies musste schließ- größtenteils mit aus der Türkei und dem seine ersten Filme als Truppenbetreuer rin ins Ohr. ‚Lassen Sie mich unauffällig Oase während einer Vorstellung evaku- Zeit, in der Kinos mit schmuddeligen lich auch die schwedische Follisam-Ver- Nahen Osten importierten Waren, so vorführte und seit 1961 im Oase die Spu- rein. Ich muss hier einen Gangster be- iert werden, weil dichter Qualm aus der Sitzen, schattierten Leinwänden, alters- sicherung einsehen, die ein ähnliches dass der Kinoname passender Weise bei- len wechselte. Und auch das Oase hatte schatten.‘ Die Frau fiel jedoch auf seinen Herrentoilette in den Saal drang, nach- schwachen Lautsprechern und einer un- Großprojekt an der ehemaligen Bowling- behalten werden konnte. Später trugen seinen Bösewicht: den Betreiber Ufa, der Trick nicht herein. Da wurde Thomas G. dem Unbekannte dort Papier angezündet genügenden Schallabdichtung zwischen bahn am anderen Ende der Reeperbahn weitere Filialen des Kaufhauses diesen das Kino aus wirtschaftlichen Gründen rabiat und bedrohte sie mit einem Sei- hatten. Glücklicherweise hielt sich der den einzelnen Sälen nicht mehr gefragt durch die Firma Arthur Anderson ent- Namen, so das ehemalige City-Kino am schloss. Aber warum wollte mitten auf tengewehr. Beamte der Davidwache nah- Sachschaden dank des schnellen Eingrei- waren. Jetzt wurden Pläne von neuen wickeln ließ. Am Ende scheiterten beide Steindamm. der Reeperbahn niemand mehr ins Kino? men den Schwindler fest.“ fens der Feuerwehr in Grenzen. Die an- Multiplex-Kinos mit Sälen, die einen Projekte kläglich. Auch die Tage der Oase als Kino waren Dazu Veteran Chrobak nüchtern: ‚Eines Am 12. Dezember 1994 war dann im schließende Fahndung nach den Brand- großzügigen Reihenabstand und die gezählt. „Zu wenig Besucher – auch das ist klar, die Besucher sind woanders hin- Hamburger Abendblatt die Schlagzeile stiftern verlief ergebnislos. In jener Zeit neues Dolby-Surround-Technik boten, in Oase-Kino auf dem Kiez macht Schluss“ gegangen‘.“ lesen: „Großalarm an der Reeperbahn: wurden die Kassierer der beiden Kinos der Presse kolportiert. Während an ande- SCHLIESSUNGSPLÄNE konnte man Ende März 2000 im Abend- Und doch sollte es zumindest für die ren Standorten in der Stadt solche Pro- blatt lesen. Dem Bericht zufolge durfte Oase noch eine Art Happy End geben: Im jekte auch nach Überwindung der einen Die nach dem Tode von Heinz Riech 1992 der letzte Aushilfs-Vorführer Paul Chob- Unterschied zum Aladin wurde es nicht Das Oase-Kino am Tage der Schließung, dem 12. April 2000 oder anderen Schwierigkeiten realisiert von seinem Sohn Volker geführte UFA- rak, der seit 1961, also über 39 Jahre, in zu einem Ramsch-Kaufhaus umgebaut, werden konnten, tat man sich auf der Kinokette hatte zeitgleich mit einem dem Kino gearbeitet hatte, am 12. April sondern konnte seinen Theater-Status Reeperbahn offensichtlich schwer damit. Renovierungsprogramm für viele ihrer 2000 ein letztes Mal den Vorhang öffnen. nach einem Komplett Umbau und einer Am 22. November 1996 konnte man aber Kinos begonnen, die teilweise als her- „Die Besucherzahlen sind zu niedrig, umfassenden Renovierung behalten: Am dann doch im Hamburger Abendblatt untergekommen und verwahrlost galten hatte die Ufa-Sprecherin Tanja Güß der 25. 10. 2001 eröffnete hier der ursprüng- wieder von Plänen für zwei neue Groß- – die beiden Häuser an der Reeperbahn Zeitung gegenüber als offiziellen Schlie- lich in St. Georg beheimatete Kiez-Nacht- kinos an der Reeperbahn lesen: „Cine- gehörten allerdings nicht dazu. Wäh- ßungsgrund genannt. club Pulverfass unter Direktor Heinz- maxx-Chef plant Passage mit Filmthe- rend des Neubaus des UFA-Palastes am Diego Leers sein neues Domizil. In nicht ater, Büros und Läden in St. Pauli“ hieß Gänsemarkt Mitte der 1990er Jahre war ganz zwei Monaten hatten ein Architek- es in der Schlagzeile. Dem Bericht zu- man noch dankbar, mit dem Aladin und ENDE DER OASE ALS KINO ten-Team und bis zu 90 Handwerker das folge hätten Cinemaxx-Betreiber Hans- der Oase über Ausweich-Spielstätten zu alte, heruntergekommene Kino in einen Joachim Flebbe und Erotic-Art-Museum- verfügen. Nach der Fertigstellung des Sogar die Berliner Zeitung widmete der stilvollen Show-Palast verwandelt, mit Macher Claus Becker das grundsätzliche UFA-Palastes und ersten finanziellen Tur- Schließung des Traditionskinos auf dem einer neuen vier mal vier Meter gro- Okay für den Bau eines weiteren Ham- bulenzen im Kinokonzern jedoch sah die Kiez einen ausführlichen Bericht: „Auf der ßen Bühne und etwa 200 Sitzplätzen. burger Großkinos mit etwa 1600 Plätzen Situation ganz anders aus: Nun war man Hamburger Reeperbahn schloss das letzte Dunkelrote Samtsessel, Tischlämpchen, am Nobistor bekommen. Die Politiker im gewillt, sich der unattraktiven Verlust- klassische Filmtheater der Hansestadt“, goldene Spiegel: An der Reeperbahn Bauausschuss und das Bezirksamt Mitte bringer zu entledigen. Erstes Opfer wurde titelte die Hauptstadt-Postille und schrieb: 147 kann man heute Männer-Striptease

Foto: Volker Reißmann Foto: Volker stimmten dem Vorbescheidantrag zu. Es das Aladin. Am 1. April 1998 wurde das „Zugegeben, die 1957 eröffnete Oase war erleben – in Europas größtes Travestie- war geplant, das Großkino mit sechs bis Kino geschlossen und nur im Sommer schon etwas heruntergekommen, oder – Theater mit Nachtclub-Atmosphäre. • 38 KOLUMNENTITELFILMGESCHICHTE FILMGESCHICHTE 39

Er gehört zu den Vergessenen: Erich Engel, ge- „Eine tragische Figur in boren 1891 in Hamburg, war ein enger Freund und der Hand der Filmmanager“ wichtiger Mitarbeiter Bertolt Brechts, außerdem ein bedeutender Regisseur seiner Zeit. Seine Karriere Hamburger Episoden im begann er als Dramaturg in Hamburg, am Deut- Filmschaffen von Erich Engel schen Schauspielhaus und an den Kammerspielen, bevor er nach München ging, wo er Brecht traf.

Von Michael Töteberg emeinsam machten sie 1923 ihr Film nicht.“ Der Regisseur habe, las man erstes Filmexperiment, sie schrie- in Der Tag, „einen sauberen Film zusam- G ben und inszenierten den Kurzfilm mengebaut mit mildwitzigen Dialogen Die Mysterien eines Frisiersalons mit Karl und gut durchgearbeitetem Spiel“. Viel Valentin. Danach eroberten sie Berlin: mehr ließ sich darüber auch nicht sagen. Engel inszenierte 1928 die Uraufführung Die Dreharbeiten zu Kommen Sie am der Dreigroschenoper am Theater am Ersten …! dauerten bis in den Septem- Schiffbauerdamm, ging dann zum Film ber. Bereits am 18. November begann und kreierte 1932 den Kinohit Fünf von Engel mit dem Dreh von Die Stimme des der Jazzband. Nach dem Krieg drehte Anderen, ebenfalls eine Produktion der er 1948 bei der ostzonalen DEFA Affäre Real-Film. Das war, anders als das voran- Porträt des Film- und Blum, einen der wichtigsten Filme jener gegangene anspruchslose Filmchen, ein Theaterregisseurs Dekade. Wenig weiß man dagegen über ambitioniertes Unterfangen. Erich Gustav Otto Engel die Filme, die Engel in den 1950er Jahren (1891 – 1966) in der Bundesrepublik, meist in Hamburg Drehbuch – Probleme drehte. Die Nachkriegskarriere Engels ist Mit dem Drehbuch schlug sich Engel wieder mit dem Namen Brecht verbun- viele Monate herum. Es handelte sich den. Gemeinsam mit ihm erarbeitete er um die Adaption eines Romans von Ro- 1948 die berühmt gewordene Inszenie- bert Gilbert. Er war eigentlich ein be- rung von Mutter Courage und ihre Kinder gnadeter Textdichter, der mit ein paar mit Helene Weigel, die jahrelang am Ber- frechen Zeilen zahlreichen Schlagern liner Ensemble gespielt wurde. Als einem und Filmoperetten in der Weimarer Re- der ersten Künstler wurde ihm 1949 der publik zum Erfolg verholfen hatte. Wäh- Nationalpreis der (kurz zuvor gegründe- rend der Emigration in den USA schrieb ten) DDR verliehen. Engel zog es jedoch Gilbert seinen einzigen Roman, einen vor, weiterhin im Westen zu wohnen, Krimi The Voice that Killed, unter dem und arbeitete, nach einigen Reibereien, Titel Die Stimme des Mörders 1947 auch nicht mehr für die DEFA. auf Deutsch erschienen. Genregerecht Ende Juli 1951 begann er im Wands- beginnt es mit einer Leiche, das Opfer beker Atelier der Real-Film mit den Dreh- ist ein junger Komponist, der gerade an arbeiten zu Kommen Sie am Ersten …! einer modernen Operette schreibt – der Die Außenaufnahmen entstanden Mitte Autor hatte die Geschichte in dem ihm August vor den damals gerade fertig ge- vertrauten Theatermilieu angesiedelt. stellten Grindelhochhäusern. Hannelore Der Clou: Dank einer Tonbandaufnahme Schroth war eine Verkäuferin, die – um wird in der letzten Szene der wahre Täter ihren Job bei einem Herrenausstatter entlarvt. nicht zu verlieren – bei säumigen Kunden In Erich Engels umfangreichem Nach- offene Forderungen eintreiben muss. Da- lass, der sich im Archiv der Akademie der runter ist ein leichtlebiger, aber doch lie- Künste Berlin befindet, gibt es keinerlei benswerter junger Komponist, Gelegen- Unterlagen zu dem Projekt. Überra- heit für Michael Jary, ein paar Schlager schend wird man dagegen im Nachlass im Film unterzubringen. „Prädikat: Volks- von Fritz Kortner, ebenfalls im Archiv wirtschaftlich wertvoll“, überschrieb das der Akademie, fündig: Briefwechsel und Hamburger Echo süffisant seine Kritik, Telegramme in Sachen Die Stimme des An- „die allgemeine Moral wird gerettet und deren, außerdem diverse Treatment- und die spezielle Zahlungsmoral sogar ener- Drehbuchfassungen. Darunter befindet

gisch gehoben.“ „Es geht auch ohne die sich auch ein Typoskript, betitelt „Neue Linke Seite: Kamera- übliche Schablone“, lobte das Sonntags- Szenenfolge, ab 2. April 1951 festgelegt mann Kurt Haase (links) blatt und meinte damit die vielen Ge- (Kortner)“. Offenbar hatte sich Engel und Schauspieler René schichten am Rande: „Sie wohnen nor- an Kortner mit Bitte um Hilfe gewandt, Deltgen (rechts) bei den Dreharbeiten zum Film mal, sie essen normal, sie zanken sich um den verworrenen Plot filmgerecht zu Der Mann meines Lebens normal und vertragen sich normal. Ihr strukturieren. (Der Theatermann war ein im Studio Bendestorf Tag bringt keine Sensationen, auch im alter Bekannter: Engel hatte den Schau- am 7. Januar 1954 Foto: Conti-Press / Öst / Staatsarchiv Hamburg / Öst Staatsarchiv Foto: Conti-Press 40 FILMGESCHICHTE FILMGESCHICHTE 41

spieler Kortner zwischen 1923 und 1926 Zeit, als Koppel, unter Kommunismus- Das Buchcover zur Romanvorlage oft in seinen Bühnen-Inszenierungen ver- Verdacht geraten, sich in einer heftigen von Robert Gilbert, 1947 im Ibis- pflichtet.) Gleich nach der Lektüre, noch Fehde mit der Bundesregierung befand. Verlag erschienen, sowie zwei Film- plakate zu einem Film: Der Verleih am selben Tag teilte Engel der Real-Film Quertreiber nutzten jede Gelegenheit, titelte Die Stimme des Anderen um mit: „Kortner hatte, ohne den Vertrag ab- seine Filmproduktion zu behindern. Der zu Unter den tausend Laternen zuwarten, sofort mit der Arbeit begon- Drehbuchauftrag für den Devisenauslän- nen und mir gestern die ersten 40 Seiten der Kortner bedurfte einer Bestätigung des Drehbuchs vorgelegt. Ich will keine durch das Bonner Wirtschaftsministeri- Vorschusslorbeeren austeilen, aber ich um, normalerweise eine reine Routine- bin von seiner Scenenführung außeror- angelegenheit. Doch seit Monaten wur- dentlich angetan.“ de, wie Koppel in einem Schreiben vom Zunächst gab es Schwierigkeiten mit 13. August 1951 an Senator Landahl sich Von dem Autor dieses Beitrages dem Vertrag, Kortner wollte zwei Ver- beklagte, der Antrag in Bonn nicht be- erscheint demnächst eine Neu- träge, einen Story- und einen Drehbuch- arbeitet, „weil sich die Abteilung 5 des auflage seines Standardwerkes zur Hamburger Filmgeschichte: vertrag, doch das war nicht wirklich das Bundeswirtschaftsministeriums auf den Problem. Die Klärung des devisenrecht- Standpunkt stellt, bei den gegen die Real- lichen Status – Kortner war in der Emi- Film erhobenen Vorwürfen sei es zwei- Foto: Horst Janke gration amerikanischer Staatsbürger ge- felhaft, ob die Firma überhaupt weiter Im März 1952 betrachten im Foyer des Kinos Barke Kunstexperten und der Theaterleiter Gustav Schümann (2.v.l.) worden – brauchte Zeit. Mitte Mai hieß produzieren könne“. Ein ähnlich lauten- Plakatentwürfe von Studenten der Landeskunstschule für Die Stimme des Anderen von Erich Engel es, es sei alles geklärt, doch der Vertrag der Antrag, den die Klagemann-Film für kam immer noch nicht. Das schnell auf- Kortner gestellt habe, sei unverzüglich brausende Temperament Kortners war bewilligt worden. allgemein bekannt und gefürchtet; Engel einstellung. „Trotzdem muss ich bei den Akten. Es ist jedoch nicht schwer, ich nur betroffen schweigen und nicht musste intervenieren und vermittelnd Produktions – Probleme voller Anerkennung der zum Teil außer- sich vorzustellen, wie erbost er darauf mehr argumentieren bitte erlass mir den eingreifen. Telegrafisch versicherte er gewöhnlich guten Szenen und des fast reagiert haben wird. Und sein Zorn war versuch einer textilen verbesserung es Kortner „nachdrücklich, dass dein ver- Die Umstände, die der Vertrag mit Kort- durchweg blendenden Dialogs sagen, auch nicht verraucht, als Engel ihm am muss misslingen ich spiele mich kei- dacht unbegruendet“ sei und empfahl ner bereitete, hätte man sich sparen dass die Geschichte vollkommen ausei- 22. Oktober das neue Manuskript schick- neswegs als dichterling auf aber dialog ein „ruhiges telefonat“ mit Walter Kop- können. Seine Drehbuchversion fiel Michael Töteberg nanderfällt und – verzeihen Sie mir die te, das er nun zusammen mit Robert A. stammt aus scenischen anlaessen wenn pel, dem Chef der Real-Film, über das beim Produzenten durch und fand im Filmstadt Hamburg Offenheit – manchmal kaum zu erken- Stemmle verfasst hatte. (Der Drehbuch- diese so diametral meiner art entgegen- leidige Thema. Film keine Verwendung. Walter Koppel Drehorte, Schauplätze & nen ist. Ich finde, dass es nicht mehr die autor, übrigens auch ein erfahrener gesetzt versiegt meine moeglichkeit leu- Die wahren Gründe hatten nichts schrieb an Fritz Kortner, München, Hotel Kino-Geschichten Story von Michael und Elisa ist, sondern Scriptdoktor, war ein alter Routinier. te plauschen zu lassen auf ein anderes direkt mit dem Filmprojekt zu tun, son- Bayerischer Hof, am 17. 9. 1951: „Lieber fast ein theatersoziologischer Stoff, den Neben vielen bekannten Unterhaltungs- mal unter guenstigeren voraussetzungen dern waren politischer Natur. Nicht in Herr Kortner! Nachdem ich das Dreh- Dritte, komplett neu bearbeitete ich persönlich ungemein interessant fin- filmen wie Der Mann, der Sherlock Hol- dein um unsere beziehung besorgter und den Nachlässen der Künstler, sondern in buch noch einmal gelesen habe, muss ich und bebilderte Auflage, 256 Seiten, de, der aber ein breites Publikum, das wir mes war hatte Stemmle das Drehbuch bemuehter kortner.“ den Unterlagen des Hamburger Senats, Ihnen in aller Offenheit gestehen, dass viele Farbfotos, Hardcover ja doch ansprechen müssen, wahrschein- zu Engels Die Affäre Blum geschrieben.) Für seine Produktionsvorhaben be- (erscheint Anfang 2016) aufbewahrt im Staatsarchiv, liegen die die eingehende Lektüre mir einen nicht lich nicht besonders interessieren wird.“ Kortner schickte Engel ein Telegramm: kam Koppel keine Bundesbürgschaften Dokumente, die den Fall aufklären. Die geringen Schreck versetzt hat.“ Seine € 19.80 – ISBN 978-3-89965-578-0 Eine Antwort Kortners auf diese un- „du hast dich laut brief für die neue fas- mehr. Der Spielfilm Die Stimme des Stimme des Anderen fiel genau in die Kritik entspringe einer positiven Grund- verblümte Absage befindet sich nicht in sung endgueltig entschieden dazu kann Anderen konnte nur realisiert werden, 42 FILMGESCHICHTE FILMGESCHICHTEKOLUMNENTITEL / FILMMUSEEN 43

Willy Birgel (MIitte) bei den Dreharbeiten zu Konsul Strotthoff

auch sein Format beweisen kann.“ Mit Senator voller Noblesse, ein Gentleman, entsprechenden Angeboten war es je- der Verzicht leistet. Die Kulissen waren doch schlecht bestellt. Die befriedi- prächtig und bestens ausgeleuchtet: gendste Arbeit jener Jahre dürfte gewe- einerseits das beschwingte Salzburg, das sen sein, dass er seinem Sohn Thomas das junge Mädel ihm zeigt, andererseits Engel, geboren 1922 in Hamburg, bei sei- die Hansestadt mit Alster und Hafen, das nem Filmdebüt als Regisseur behilflich wiederum der Konsul ihr nahebringt. sein konnte: Bei der Kästner-Verfilmung Ein Herz-Schmerz-Drama, handwerklich Pünktchen und Anton 1953 hatte Vater solide inszeniert, Dutzendware. „Der Er- Erich die „künstlerische Oberleitung“ folg für diesen Film dürfte sicher sein“, inne. Die Wiesbadener Viktor von Struve freute sich die Branchenpresse. „Er ist Filmproduktion übertrug ihm die Regie ein Publikumsfilm, wie ihn sich der an Der Mann meines Lebens (Außenauf- Theaterbesitzer nur wünschen kann.“ Im nahmen in Hamburg, Studio im Ben- Film-Echo stand: „Ein alter Fachmann destorfer Atelier). sagte am Ausgang: Das ist mal wieder Foto: Horst Janke so ein richtiger UFA-Film.“ Das war als Kompliment gemeint – für einen Mit- Am 30. April 1954 fanden auf der Stülcken-Werft im Hamburger Hafen Dreharbeiten für den Erich-Engel-Film Konsul Strotthoff statt KONSUL STROTTHOFF streiter Brechts muss es ein vernichten- „Birgel im Hamburger Hafen“ war dem des Urteil gewesen sein. Abendblatt am 30. April 1954 eine Mel- Die deutsche Filmindustrie hatte für dung wert. Die Kameras waren vor der einen avancierten Regisseur wie Erich weil der Hamburger Senat das Ausfall- Umso wichtiger war es, dass Engels besseren Unter den tausend Laternen aus. Stülckenweft aufgebaut, Konsul Strott- Engel keine interessanten Aufgaben. Ar- risiko übernahm. (Dies hatte Auswir- Film gute Kritiken bekam und auch im (Michael Jary hatte wieder zwei Lieder hoff wurde gedreht. mimte beiten wollte er, Geld verdienen musste kungen bis zur Besetzung der Neben- Ausland für Renommee sorgte. „Echte beigesteuert; das erste, ein langsamer einen vornehmen Reeder, der gleichzei- er. Zuckerware wie Konsul Strotthoff rollen, wie einem Schreiben von Erich Spannung und gute Profile“, lobte Der Walzer, begann mit den Versen: „Unter tig Kultursenator und Mäzen ist. Er reist routiniert abdrehen, konnte ihn nicht Engel an Hanna Kortner zu entnehmen Spiegel. „Ausgefeiltester Film des Jah- den tausend Laternen / treib ich verloren nach Salzburg, um für die Hamburger glücklich machen. Ein Trauerspiel. Der ist: Es sei eine „Notwendigkeit, alle res, den man mit gutem Gewissen nach dahin: / weiß nicht, wozu – / weiß nicht, Oper einen Kapellmeister zu engagie- Schriftsteller Hans Werner Richter, der Dreharbeiten Eines kleinen Rollen mit Hamburgern zu be- Cannes schicken kann.“ Aber selbst die wohin.“) Unter diesem Titel kam der ren, und lernt zufällig eine bezaubernde für Engel das Drehbuch zu dem Melodra- ERICH-ENGEL-FILMES … setzen“, man müsse angesichts dieser Vorführung bei dem wichtigsten interna- Film auch in die DDR-Kinos, verliehen Studentin am Konservatorium kennen. ma Vor Gott und den Menschen schrieb, Situation „besondere Rücksichten neh- tionalen Festival litt unter den Querelen, vom VEB Progress Film-Vertrieb. Muss man mehr erzählen? Der Musikus sah in ihm „eine tragische Figur in der men“.) Auf die Dauer konnte Hamburg und im bundesdeutschen Kino lief der Der Journalist und Schriftsteller Karl ist eigentlich der Verlobte der jungen Hand der Filmmanager“. Aus deren nicht eine Filmgesellschaft finanzieren Film nicht gut. Premiere war am 10. April Heinz Kramberg beschloss seine positive Sängerin, die zwischen beiden Männern Fängen befreite er sich: Engel verließ die (und die Banken gaben keine Kredite, 1952 in Hamburg, in der Barke. Nach den Kritik in Echo der Woche mit den Worten: schwankt, sich dann aber für den Richti- Bundesrepublik und ging zurück in die so lange der Bund die Bürgschaft nicht mageren Einspielergebnissen der ersten „Was bleibt? Der Wunsch, Erich Engel gen entscheidet. Der Film war ganz zu- DDR ans Theater. Er starb 1966 in Berlin. übernahm). Nach Die Stimme des Ande- Wochen tauschte der Verleih Allianz Film möge nach diesem schaumgeborenen geschnitten auf den Star: Birgel machte Sein Grab befindet sich, unweit von dem Setfotos von den Dreharbeiten des ren musste die Real-Film den Produkti- im Mai den nicht sehr glücklichen Titel Intermezzo einen Filmstoff finden, an eine gute Figur (in maßgeschneiderten Brechts, auf dem Dorotheenstädtischen Spielfilms Der Mann meines Lebens onsbetrieb einstellen. Die Stimme des Anderen gegen den nicht dem er nicht nur sein Talent, sondern Anzügen, versteht sich) als graumelierter Friedhof. • (1954) im Studio Bendestorf 44 KOLUMNENTITELFILMGESCHICHTE / FILMMUSEEN FILMMUSEEN 45

Studio Bendestorf: Auf dem Weg zu einem cineastischen Kulturraum

Von Walfried Malleskat

„Was für eine großartige und schöne Initiative, auf die Filmkunst und das berühmte Studio zu achten und beides in Bendestorf zu bewahren!“, erklärte der Berlinale-Chef Dieter Kosslik bei

Foto: NDR / Gisela Mundry einem Besuch des Filmmuseums Bendestorf.

Für das Fernseh-Musical Liane wurde 1996 der Bendestorfer Studio-Eingang zu einem Berliner Filmatelier umgestaltet

o würdigte er die Bemühungen möglich durch die Kooperation mit dem Summe, um die 700 qm der Studio- um den Erhalt und das Ziel, Film Ministerium – gedankt sei an dieser Stelle architektur zu „bespielen“. Eine Riesen- S produktions- und gesellschaftliche Susanne Degener aus diesem Hause. Sie hürde ist die Realisierung der geforder- Bedingungen und Veränderungen in war die entscheidende Befürworterin. ten Barrierefreiheit, der Einbau eines ihrer historischen Entwicklung im Studio Auch die Gemeinde Bendestorf und die Fahrstuhles, der für Behinderte unbe- Bendestorf real und nachvollziehbar zu Samtgemeinde Jesteburg haben sich an dingt vorhanden sein muss, um auf die vermitteln. Man ist auf dem Wege dort- der Finanzierung beteiligt. Besonderer Ebene des Kinos zu gelangen. Eine Be- hin. Seit Herbst 2014 hat sich tatsächlich Dank gilt den engagierten Sponsoren, triebserlaubnis als öffentliche Spielstät- Einiges bewegt. Der Freundeskreis Film- die den Kauf der Immobilie ermöglich- te ist unter anderem davon abhängig. museum Bendestorf e.V. zum Erhalt der ten. Dadurch wurde der Grundstein für Das Gebäudefragment präsentiert sich kulturhistorisch bedeutsamen Filmpro- ein Gelingen des Projektes gelegt. In den zur Zeit als Rohbau. Die untere Ebene duktionsstätte hat es geschafft, mit ei- ersten Schätzungen ist von ca. 600.000 wird zunächst nicht für das Vorhaben nem finanziellen Aufwand von 400.000 Euro für die komplette Realisierung die „Kommunale Galerie“ nutzbar sein. Ziel Euro einen Teil der Studioanlagen vor Rede gewesen. ist es, in greifbarer Zukunft die obere dem drohenden Untergang zu bewahren. Diese Summe ist auch jetzt noch gül- Kinoebene in einen Stand zu versetzen, 150.000 Euro sind in den Kauf von Grund tig, es fehlt also noch eine sechsstellige der dem Sinn des Ganzen, nämlich dem und Boden mit bestehender Architektur Start der Kulturarbeit, den geforderten geflossen, im April 2015 hat der Verein bespielbaren Raum gibt. Fotos: Conti-Press / Öst / Staatsarchiv Hamburg / Öst Staatsarchiv Fotos: Conti-Press einen Kaufvertrag über ein Gebäude auf Der interessierten Öffentlichkeit soll ca. 1.400 qm Grund des Studiokomplexes im Studio Bendestorf die Kunst des Film- gezeichnet. Kernstück dieser Architek- schaffens, verbunden mit der cineasti- tur ist das ehemalige Produzentenkino. schen Entwicklung des Studios vermit- … IM STUDIO BENDESTORF 1954 250.000 Euro hat der Verein in bauliche telt werden. Und das geschieht bereits: Maßnahmen und technische Ausstattun- Da ist das historische Produzenten-Kino, gen investiert. ausgestattet mit modernster Digital- und Eine Fülle von Förderanträgen, u. a. Analogprojektion. Auf einer 25 qm großen bei Nordmedia, der Stiftung Niedersach- Leinwand wird ein perfektes bewegtes sen, der FFA Berlin und beim Ministerium Bild projiziert. Dazu gibt es einen über- Wissenschaft und Kultur Niedersachsen, wältigenden Sound, die Technik macht wurden gestellt. Letztlich ist eine Förde- Foto: Sven Simonsen Dolby 7.1 möglich. Analoger 35 mm-Film, Hier im Einsatz: René Deltgen und Marianne Hoppe. rung seitens der N-Bank von 187.500 Euro DCP (digitales zeitgemäßes Kinofor- Die Gaststätte Zum Schlangenbaum (Mitte unten) Ein 50er Jahre Outfit, nachempfunden beköstigte übrigens auch regelmäßig die Schauspieler, bei einer Eigenfinanzierung von 62.500 von Corinna Lenz. Mehr davon mat), Blu-ray, DVD – alles kann gezeigt die Crew und den Regisseur Erich Engel Euro bewilligt worden; dieses war nur demnächst im Studio Bendestorf werden. 46 FILMMUSEEN BUCHREZENSIONKOLUMNENTITEL 47

Zum Nachkriegskino in Deutschland Beschädigter Gesamteindruck Fotos: Sven Simonsen Wer dem vielfach beackerten Feld des deutschsprachigen „Nachkriegskinos“ Das bereits teilweise neugestrichene Hauptgebäude des zukünftigen Filmmuseums und ein Blick in den Saal des zum Teil restauriertem Produzenten-Kinos neue Früchte abringen will, muss sich kräftig anstrengen. Das haben sich auch drei junge „Medienwissenschaftler“ gesagt, deswegen zu den Sternen der „kritischen Theorie“ gegriffen und bei Adorno den Begriff vom „beschä- digten Leben“ für die Folgen der zurückliegenden Kriegsjahre entlehnt: in 3D Biopic Fritz Lang – der Andere in uns, wel- rung in Bendestorf, eine weitere Ver- ches im Frühjahr 2016 in die Kinos kom- anstaltung ist in Planung. Wie spiegelt sich dieses Leben in den Filmen wider, fragen sie, wie regen Hildegard Knef gebührt im neuen „Kul- men soll und vermutlich im Herbst kom- Das Produzentenkino im Studio Ben- sie zum Nachdenken über dieses Leben an? turraum Studio Bendestorf“ eine Aus- menden Jahres dann auch im ZDF zu destorf mit integriertem Filmmuseum nahmepräsentation. Sie wird als Holo- sehen sein wird. Anna Steinert verwirk- und offenem Ausstellungsforum ist eben- gramm eine Sonderstellung erhalten. lichte kürzlich ihr filmisches Avantgarde- falls im Werden. Es soll eine einzigartige Motivation genug, damit sich im Juli die belegen soll, dass es einen DDR- In der oberen Ebene, gleich neben dem projekt Wahn der Sinnlichen: Das Studio Einrichtung in der Region und darüber 2012 auf Einladung des Deutschen Film- Heimatfilm gegeben habe, obwohl es sich wieder zum Leben erweckten Produzen- Bendestorf wurde inhaltlich miteinbezo- hinaus werden. Gedacht ist an eine Ko- instituts zwei Dutzend Filmwissenschaft- um schlichte Propaganda handelt (der tenkino, wird sie sinnbildlich durch eine gen, der Filmdreh fand im offenen Kino- operation mit dem Filmfest Hamburg, ler in Frankfurt am Main treffen. Der Umzug eines jungen Westdeutschen in 3D-Projektion zurück nach Bendestorf saal statt, die Berliner Künstlerin ver- insbesondere bei Retrospektiven – und vorliegende Band gibt mit 14 Beiträgen den guten Osten wird der Fluchtbewe- geholt. Durch diese besondere Form der wandelte ihn in ein übersinnliches vielleicht gelingt es auch, Bendestorf einen Teil der Tagung wieder. gung in den bösen Westen gegenüberge- Visualisierung wird zum einen das Pro- Forum. Die Premiere soll an gleicher als zusätzliche Festivalvorführstätte in Die Herausgeber räumen ein, dass stellt); die in Köln produzierte Goldene jekt veredelt und Anreiz geschaffen, die Stelle stattfinden, das Projekt wird sei- irgendeiner Form zu integrieren. Das die Zusammenstellung „auf den ersten Pest (1954) zeigt, wie die Seuche der Knef quasi in Echt und in Bewegung in tens der Hamburger Kulturbehörde un- Gleiche gilt für das Filmforschungszen- Blick einen disparaten Gesamteindruck Dollar-Schwemme durch eine deutsch- authentischen Räumen wahrzunehmen. terstützt. Der Hamburger Filmemacher trum Cinegraph, der auch des Öfteren erwecken“ könnte. Das trifft auch auf amerikanische Versöhnung überwunden Und ein zusätzlicher Effekt soll sich ein- Dennis Albrecht drehte für seine neue ausgewählte Werke aus seinem Cinefest- den zweiten Blick zu. Die einzelnen Bei- wird; bei Walter Heynowskis Kompila- stellen: Die Art der visuellen Darstellung Staffel von Filmstadt Hamburg Szenen Programm in Spielstätten des Umlandes träge werden meist willkürlich (in Ab- tionsfilm Aktion J (1961) wird mit einer soll junge Leute, die sich für mediale Prä- auf dem Studiogelände; es ist geplant, wiederholt – und das Schülerfilmfestival weichung vom Tagungsprogramm) unter verschleiernden Formulierung die „poli- sentationsformen interessieren, motivie- die Staffel nach der Fertigstellung auch „Heide Wendland-Filmklappe“ mit ange- nichtssagenden Überschriften gruppiert, tisch-ideologische Rahmung“ bedauert, ren, Ähnliches zu machen. Ihnen wird in Bendestorf zu zeigen. Ein Modul der gliedertem Schülerfilmwettbewerb. Bezüge untereinander finden nicht statt. anstatt ihn klipp und klar als üblen die Möglichkeit geboten, im Studio Ben- Hochschule für Angewandte Wissenschaf- Rückblickend betrachtet hat Musik, Trotz der Bemühungen in der Einleitung Hetzfilm der DDR gegen die Adenauer- destorf innovative Visualisierungstech- ten Hamburg (HAW) des Departments vor allem Filmmusik, in Bendestorf im- ist eine klare Linie der Argumentation Regierung zur Ablenkung vom Makel des nik kennenzulernen, die Bedingungen Information befasst sich mit dem Aufbau mer eine große Rolle gespielt. Musik nicht zu erkennen; erschwerend kommt Mauerbaus zu entlarven. der Realisierung zu erfahren und mit einer Homepage und einer Benutzerbro- war auch Rolf Meyers Profession, bevor Bastian Blachut, Imme Klages, ein philosophischer Sprachduktus hinzu, Noch beklagenswerter ist, dass der ersten Arbeitsschritten in den angeglie- schüre und erforscht dafür wichtige er sich für den Film entschieden hat. Die Sebastian Kuhn (Hrsg.): der das gewählte Vorbild Adorno nachzu- Sammelband die Produktionen der Real- derten Workshops zu beginnen. Aspekte der Geschichte der Jungen Film- erste Reihe der Filmmusik-Komponisten ahmen versucht. Die Beziehungslosigkeit Film in Hamburg völlig ausblendet: Von Union, ihrer Produktionen und der hat für ihn komponiert, u.a. Werner Eis- REFLEXIONEN DES mag auch an der unscharfen Themenstel- 1947 bis 1961 sind unter der Leitung von BESCHÄDIGTEN LEBENS? Weitere geplante Aktionen Studiobetriebe. Leiter des Moduls ist Vol- brenner, Franz Grothe und Michael Jary. lung liegen: Wer die „Nachkriegszeit“ bis Gyula Trebitsch und Walter Koppel (bei- ker Reißmann, seine Studenten absol- Und bis 2013 war das jetzt wieder zum Le- Nachkriegskino in Deutschland 1962 ausdehnt, unterschlägt, dass sich in de tauchen nicht einmal im Personenver- Wie immer führt in Bendestorf kein vierten bereits Ende September eine Füh- ben erweckte Produzentenkino bekannt- zwischen 1945 und 1962 den 1950er Jahren die Deutschen in West zeichnis auf) etwa 60 Filme hergestellt Weg an Hildegard Knef vorbei. Es ge- lich ein Aufnahmestudio für Popularmu- und Ost angesichts der Massierung von worden, die in den deutschen und öster- schehen noch Wunder (1951), ihr dritter sik (bekannt als vox-Klangstudios). Eine Edition Text + Kritik Atomwaffen auf ihrem Gebiet mitten im reichischen Kinos mal mehr, mal weniger hier gedrehter Film soll in Kürze wie- Filmreihe, in der Musik im Film bzw. die München 2015 Krieg fühlen mussten. Warum wird nicht Erfolg hatten. Ein getreueres Spiegelbild deraufgeführt werden; dazu ist an eine Filmmusik an sich im Zentrum steht, 357 Seiten gefragt, wie sie mit diesem Gefühl umge- der bundesdeutschen Gedanken- und Kostümschau im Stil der 1950er Jahre soll als eine der ersten Veranstaltungen Preis: € 39,- € gangen sind? Gefühlswelt lässt sich kaum vorstellen. als Begleitausstellung gedacht. Der Knef- durchgeführt werden, möglichst wech- Im Titel wird das „Kino“ als Unter- Mit keinem Wort erklären die Herausge- Spielfilm stammt aus dem Jahre 1951, selseitig in analoger wie auch digitaler suchungsfeld benannt, in keinem Bei- ber, warum sie sich dieser „Reflektion“ war übrigens seinerzeit im Kino nur mä- Projektion. • trag ist jedoch von diesem spezifischen nicht stellen wollten. Der einzige Refe- ßig erfolgreich und galt seit längerem in Erlebnisort die Rede, an dem ja nicht nur rent, ein Filmhistoriker aus Wien, der ei- Deutschland als verschollen. Der Verein in „Deutschland“ produzierte Spielfilme nen Real-Film untersucht hatte, Helmut verfügt inzwischen über eine DVD-Ver- Das genaue Datum für die Eröffnung der neuen gezeigt wurden, überdies noch Wochen- Käutners Des Teufels General (1955), wur- sion, die das Filmmuseum Amsterdam Museumsräumlichkeiten in Bendestorf steht schauen und Kulturfilme. Tatsächlich de im Sammelband nicht berücksichtigt. freundlicherweise bereitgestellt hat (es noch nicht fest: Nach bisherigem Planungsstand zählt das Register mehr als 300 Filme Wir hoffen, dass die Hans-Böckler- handelt sich um eine Originalfassung mit sollen die (Um-)Bauarbeiten bis zum Jahres- auf, darunter viele ausländische, auf de- Stiftung des deutschen Gewerkschafts- holländischen Untertiteln). ende abgeschlossen sein, so dass Anfang kom- ren Titel in den Texten verwiesen wird. bundes als Geldgeberin bei der Förde- menden Jahres, auf jeden Fall aber noch im Auch auf dem Ateliergelände selbst Tragende Personen des Vereins bei einem Wer konkrete Analysen erwartet, sieht rung von Tagungen und Sammelbänden der vielen unermüdlichen Arbeitseinsätzen 1. Quartal 2016, eine feierliche Eröffnung statt- wurde in letzter Zeit auch wieder ge- sich enttäuscht. Nur drei Filme werden künftig eine glücklichere Hand zeigt! (v.l.n.r.), Sven Simonsen, Uwe Brügmann, finden kann. Wir werden unsere Vereinsmitglie- • dreht: Im Herbst 2014 entstanden hier Walfried Malleskat, Herbert Wolske, der auf jeden Fall per Mail über den Stand der ausführlicher untersucht: Konrad Wolfs einige Takes für Gordian Mauggs neues Karl Butzlaff und Joachim Göldner Dinge regelmäßig auf dem Laufenden halten. Debütarbeit Einmal ist keinmal (1955), Joachim Paschen 48 KINOGESCHICHTE KINOGESCHICHTE 49

„Im Kino gewesen, geweint“ (Kafka) – Eingang des Berliner ARSENAL- Kinos in der Welserstraße um 1970, Die geopferten Geheimnisse des Kinos links das Kassenhäuschen

Von Heiner Ross

Kafka ging ins Kino, nicht in einen Film. Für mich war das gewidmet zwei Kino- und Filmfans, Kino, d. h. der Ort, selbst ein wichtiges Ziel – und zugleich der deren (Film-)Sozialisation im eigentliche Dreh- und Angelpunkt des Ganzen, denn die vor- Kino um die Ecke begann: geführten Werke erschlossen sich ja bekanntlich in der Regel Manfred Salzgeber (†) und erst im perfekten Zusammenspiel von Raum und Publikum! Rainer Werner Faßbinder (†) Fotos: Vereinsarchiv

m Laufe der Jahrzehnte hat sich das grundlegend in den zerstörten Bahnhöfen eingerichtet. Mit sensatio- Offensichtlich genügte es nicht, Geld zu bezahlen. So kum im Saal Körperwärme abgibt, sogar bis zu meh- geändert. Ohne zumindest über den Titel eines nellem Besucherandrang. ging das naheliegend natürlich nicht in den Aktualitä- reren Grad, wenn das Kino ausverkauft war. Wurde die I Films informiert zu sein, geht heute kaum noch Im Juni 2007 veranstalteten die Stiftung Deutsche ten Kinos zu. Heizung gedämpft, so wurde (kostspielige) Kohle ge- jemand ins Kino. Statt dem Unbekanntem entschlossen Kinemathek und der Bundesverband für Kommunale Übrigens, es waren eigentlich nur die Kinos ständig spart. Gelüftet wurde der Saal stets nur kurz über den entgegenzustreben, wird das Interesse reduziert auf Filmarbeit anlässlich der Verleihung des Deutschen überfüllt, die dürftig entnazifizierte Spielfilme der Seitenausgang (zugleich Notausgang) zum Hinterhof, die Handlung, auf das Erscheinungsdatum des Films Filmpreises eine zweitägige Sonderveranstaltung mit untergegangen 1000 Jahre zeigten. Dort störten nur um möglichst viel Wärme in die nächste Vorstellung und andere mehr oder weniger nebensächliche Krite- dem Titel Vom Trümmerkino zum Zoopalast. Die Darstel- die vorgeschriebenen kurzen Vorfilme, sogenannten hinüberzuretten. rien. So überrascht es nicht, dass das Kino selbst nicht lungen von Zeitzeugen berührten mich, denn breiten Zeitfilme, die als semidokumentarische Produkte den wegen seiner Qualität sondern wegen seines Rufes als Raum nahmen Schilderungen ein, demzufolge in den Alltag im Sinne der Re-education schilderten und er- LICHT UND SCHATTEN Treffpunkt einer Clique ausgewählt wird. Es kommt so- Wintern der Nachkriegszeit (insbesondere im Kälte- reichten, was den amerikanischen, englischen und gar vor, dass in den Maximalkinos jedes Mitglied einer und Hungerwinter 1946 /47) Brennmaterialien und französischen Filmen nicht unbedingt gelang, die Das wirkliche Geheimnis des Kinos war natürlich die solchen Gruppe in einen anderen Film geht. Kohlen als Ersatzwährung einen wichtigen Faktor Zuschauer zu fesseln und zu agitieren. Kinos mit den Dunkelheit im Saal. Sie rief den Unwillen der Sitten- Dabei hat früher allein die Ansage „Das Kino ist für einen Kinoeintritt hergehalten hätten. Einer der langen, unglücklich untertitelten Originalfassungen wächter und der Obrigkeit auf den Plan. Entscheiden- geheizt!“ ausgereicht, den Besuch eines Kinos attraktiv Zuschauer, der sich noch genau an dieses Zahlungsmit- wurden gemieden. Das Heizen eines Kinos spielte noch der aber war, dass für das Bild auf der Leinwand damals gemacht. Als 1995 100 Jahre Kino gefeiert wurde, tel erinnerte, war übrigens Wolfgang Klaue, der ehe- einmal eine große Rolle. in der Zeit der Projektoren mit Kohlebögen als Projekti- saßen alle einem fundamentalen Irrtum auf: Der Film, malige Direktor des Staatlichen Filmarchivs der DDR. Gut erinnere ich mich auch noch an meine Zeit in onslampe relativ wenig Licht zur Verfügung stand. Das wie wir ihn noch heute kennen, wurde 100 Jahre, Schade war, dass ein schon recht betagter ehemaliger den 1970er Jahren in Berlin, als ich dort für das erste, Filmmaterial war leicht brennbar, bestand es doch als das Kino, wie wir es lieben sollten, war mindestens 10 Filmverleiher und Kinobesitzer nicht auch gefragt wur- täglich in mehren Vorstellungen spielende Kommunale Nitrozellulose, einem heute mit dem Gefährdungsgrad Jahre jünger. Dem KINO wendet sich die Filmge- de, wie er eigentlich seinerzeit dieses unkonventionelle Kino in der Bundesrepublik, das legendäre ARSENAL, „Sprengstoff“ klassifiziertem Material. schichtsschreibung erst seit wenigen Jahren seriös zu. Zahlungsmittel mit dem Filmverleih und später mit mit sechs weiteren Vorkämpfern tätig war. Dort am Eine Wahrheit war allen mit dem Kinobetrieb ver- Inzwischen ist viel Wissen verlorengegangen. dem Lizenzinhaber abgerechnet habe – die Antwort Standort der einstigen Bayreuther Lichtspiele gab es im bundenen Personen klar: Auch im Dunkeln blendet Einen geheizten Ort zu nutzen, um direkt in die hätte mich persönlich durchaus interessiert – vielleicht Keller auch eine alte Koksheizung (heute befindet sich die Kerze. Physisch betrachtet, mussten zunächst die Bedürftigkeit des Publikums nach Wärme zu ent- erhielten ja die Verleiher etwa anteilig die Brennasche das ARSENAL bekanntlich im Unterschoss des Sony- Augen des Besuchers auf die Dunkelheit im Kinosaal sprechen, gelang den Alliierten Siegermächten schon aus dem Kinoofen ausgehändigt? Centers am Potsdamer Platz). Als wir den Spielbetrieb vorbereitet werden. Ein Vordach, das bis auf die Straße Herbst 1945. So durften die in der amerikanischen Wirklichkeitsnah und gut beschrieben hat die- übernahmen, mussten wir erst einmal die Bedienung ragte, auf dem Weg ins Gebäude, war der erste Schritt Zone befindlichen Kinos nur ausgewählte Kurzfilme se Realität Theodor Michael in seinen Erinnerungen und Befüllung der Ofenheizung erlernen, denn über und dämpfte das Tageslicht. Daran an schlossen sich sehen, die im Dienste der Erziehung zur Demokratie Deutsch sein und schwarz dazu. Erinnerungen eines Afro- Nacht war das Kino völlig ausgekühlt. Lehrmeister war ein kleiner Vorraum mit der Kasse zwischen Türen, die standen. So ging man ins Kino, um sich für kurze Zeit Deutschen (München, 2013): „Wir gingen tanzen oder der vom vorherigen Kinobetreiber übernommene Vor- eine Lichtschleuse bildeten und dann das eigentliche aufzuwärmen (und natürlich auch, um den beklem- ins Kino. In diesen Zeiten musste man im Winter erst führer, Herr Schönbohm. Er war ein Arbeiter und mit Foyer. Der Saal selbst war spärlich beleuchtet. Trat man menden, grauen Alltag mit seinem tagtäglichen Über- einmal ein Kohlebrikett oder zwei Scheite Holz auftrei- dem Kino und seiner Haustechnik bestens vertraut. Er in eine Stuhlreihe, um seinen Platz zu erreichen, konnte lebenskampf für ein paar Stunden zu vergessen). Es ben, um überhaupt eine Eintrittskarte ins Kino zu be- demonstrierte im Keller, wie die Feuerung per Hand man das Gesicht der auf den benachbarten Plätzen sit- wurden die Wochenschaukinos, die Aktualitätenkinos kommen. Die Kinos waren ohnehin ständig überfüllt.“ reguliert werden konnte. Er wusste, dass das Publi- zenden Zuschauer kaum erkennen. 50 KINOGESCHICHTE KINOGESCHICHTE 51

Außenansicht des alten ARSENAL-Kinos, welches Eingang der einstigen sich bis 2001 in der Bayreuther Lichtspiele, Fotos: Vereinsarchiv Welserstraße befand die zum ARSENAL-Kino Fernseher als Hilfsmittel für wurden (um 1970) Videovorführungen im Kinosaal des ARSENAL (um 1973/74)

Nach und nach hatte sich ein festes Ablaufritual wie auch bei der nachfolgenden Wochenschau, wurde dann beim Verlassen dieses Kinosaals wieder dem geschwindigkeit für frühe Filme (sogenannte Stumm- entwickelt. Der Gong signalisierte den Anfang. Das bereits von der Platzanweiserin mit dem Licht einer Tageslicht (sofern es nicht schon später Abend und so- filme) umschalten. Man kam früher mit weniger Bil- Saallicht wurde gedämpft, der Vorhang ging auf, die Taschenlampe zu seinem Sitzplatz geführt. Zur Wo- mit sowieso dunkel war). Jedes „Kapitel“ einer Vorstel- dern pro Sekunde aus (16, 18, 20 Bilder pro Sekunde), Dia-Werbung erschien, entweder laienhaft oder pro- chenschau ertönte zum zweiten Mal der Kinogong. Das lung wurde begleitet vom Kino-Gong. Die schönsten für einige Filme gab es sogar Anweisungen, bestimmte fessionell gestaltet, verbunden mit Aufforderungen an Licht ging erneut aus. Der Schriftzug des Nachrichten- hatten drei abgestimmte Töne, die schließlich, bevor Szenen in höherer oder niedrigerer Geschwindigkeit das Publikum, wie z.B. die Hüte abzunehmen und nicht Dienstleisters wurde noch auf den sich langsam öffnen- das Licht für den Hauptfilm heruntergefahren wurde, vorzuführen. Mit dem Tonfilm wurde eine standardi- zu rauchen. Das gedämpfte Licht war noch nicht ausge- den Vorhang projiziert. Erlosch der Name, war für den alle gemeinsam angeschlagen wurden. Wie heute noch sierte Vorführgeschwindigkeit notwendig, festgelegt schaltet und gestattete den Zuspätkommern, ihre Plät- ersten Filmbericht die ganze Leinwand geöffnet. Da- im Kommunalen Kino METROPOLIS. mit 24 Bildern. Dieses Problem bekamen wir erst spä- ze zu finden. Zur folgenden Pause wurde der Vorhang nach ging wieder das halbe Licht an. Nach einer weite- ter mit Projektoren in Griff, bei denen sich die Vor- geschlossen, das „halbe“ Licht ging wieder an. Eventuell ren kurzen Pause erlosch das Licht erneut. führgeschwindigkeit regulieren ließ. Anfangs half ein KINOVORFÜHRER, DIE HÜTER DES BILDES wurden noch kleine Erfrischungen zum raschen Kon- Nun erschien das Filmbild auf dem langsam sich Provisorium: Ein Kofferprojektor aus der Stummfilm- sum angeboten. Dann wurde das Licht wieder herunter- erneut öffnenden Vorhang und endlich erstrahlte der Bis in die Mitte der 1930er Jahre, also dem Beginn der zeit wurde einfach zwischen die Projektoren gestellt, gefahren, aber immer noch nicht vollständig. Es folgten Titel des Hauptfilms in seiner ganzen Pracht. Endlich Tonfilmära, stand in vielen Kinos, insbesondere in den seine Lichtquelle war zwar nur eine 160 Watt Glüh- die Werbefilme und die Trailer der Filme, die demnächst konnte das Vergnügen des Zuschauers losgehen (oder Nachaufführungskinos, die keine Premierenorte waren, birne, aber die Vorführgeschwindigkeit stimmte nun gezeigt werden sollen. Gab es keine Filmrollen, so sich auch ein Drama entfalten, ganz nach Genre und überhaupt nur ein einziger Projektor. Da dies die Film- wieder. Im Zubehör fanden wir eine Wasserkühlung, wurde wiederum Dia-Werbung genutzt, manchmal Spielart des Hauptfilms). Nach dem Wort Ende wurde produzenten wussten, kennzeichneten sie die Film- konnten sie aber selber nicht nutzen. Das Bild auf der auch handgemachte (sogar Anfang der 1970er Jahre das Licht langsam hochgefahren bis zum „Ausgangs- rollen als „Akte“ (englisch „reels“ oder „half reeler“) Leinwand war trotzdem brillant und die Zuschauer auch noch im Kino ARSENAL). Wer jetzt noch kam, licht“. Schritt für Schritt näherte sich das Publikum mit Nummern. In den Pausen zwischen den Akten waren zufrieden. lohnte sich zeitlich auch nicht, das Licht anzumachen, Und abschließend noch eine Anmerkung zu den es blieb also dunkel und nur die Musik spielte meistens Lichtverhältnissen im Kinosaal selbst: Dieser sollte na- zur Überbrückung weiter. Der Filmprojektion und dem türlich während der Vorführung dunkel sein – damals Vorführraum sollte eine eigene Hommage gewidmet Anfang der 1970er Jahre im ARSENAL konnte man werden – berufen hierfür ist besonders Carsten Knoop weder die Tageszeitung noch das Filmprogramm lesen (sein Kino ist das Lichtmeß) sowie die Vorführer von –nicht nur, weil es auf farbigem Papier gedruckt war. METROPOLIS und B-movie, alle Hamburg. Nur in der allerletzten Reihe, ganz außen zum Gang Gut erinnere ich mich noch, dass ich vor der Eröff- und somit nahe dem Lichteinfall der Eingangstüren, nung eines „Maximalkinos“ mit Riesenleinwand als solange sie noch nicht geschlossen und der Türvorhang Gast und Fachmann geladen war, um öffentlich diesen nicht vorgezogen war, konnte man, mit einer leichten Kinotyp zu loben. Ein Film wurde gezeigt. Nach we- Drehung zum Licht, das Programm studieren. nigen Minuten wurde die permanente Unschärfe des Oder man musste in der ersten Reihe sitzen, um Bildes moniert. Die simple Antwort der Geschäftsfüh- von der Bühnenbeleuchtung zu profitieren. Doch das rerin: „Das Bild ist so scharf es geht!“ Der Chef hatte im ist Geschichte. Kinematheken und Kommunale Kinos letzten Moment verfügt, die Kaschs zu entfernen, um müssen sich um die o. a. Themen bemühen. das Bild noch größer zu machen. Dieser Maßnahme Denn, wie das Lesen und Schreiben nicht mit Proust Kinder erleben Film waren die Objektive der Projektoren nicht angepasst, sondern dem ABC beginnt, so beginnt Filmsehen mit im Kino (um 1953) –

Fotos: Vereinsarchiv es entstand keine wirkliche Tiefenschärfe. der Kindervorstellung und der Jugendvorstellung, ohne Eltern 1970 konnten wir die zwei alten Projektoren im vom Trivalen und Banalen zur Filmkunst … (siehe ARSENAL bedauerlicherweise nicht auf die Bild- Widmung). • 52 DREHORT HAMBURG DREHORT HAMBURG 53

Heinz Rühmann im Real-Film „Der Lügner“ Eimsbüttel als Drehort

Von Karl-Heinz Becker

Dompteur, Hauptmann, Lügner – in diesen Rollen trat Heinz Rühmann zwischen 1953 und 1961 in drei Kinoerfolgen für die Hamburger Real-Film der Produzenten Gyula Trebitsch und Walter Koppel auf. Über zwei dieser Klassiker wurde hier schon berichtet: Keine Angst vor großen Tieren von 1953 (Heft 21/2014) und Der Hauptmann von Köpenick von 1956 (in Heft 11/2004). In diesem Beitrag geht es um eine Produktion von 1961.

uch wenn sich die Drehorte aller mitgearbeitet: Es geschah am hellichten drei Produktionen über Hamburg Tag (1958) und Ein Mann geht durch die A verteilten, der Stadtteil Eimsbüttel Wand (1959). diente jedes Mal aufs Neue als Kulisse. Für die Rolle der Tochter Nicky ent- In Keine Angst vor großen Tieren kam den schieden sich Produzent Trebitsch und neu entstandenen Grindel-Hochhäusern Regisseur Vajda für die bezaubernde eine wichtige Rolle zu, in Der Hauptmann Giulia Follina, die in der ersten deut- von Köpenick spiegelte der Bereich um schen Fernsehserie Familie Schölermann den Schlump das kaiserliche Preußen die Herzen der Zuschauer(innen) er- wider. obert hatte. Dazu kam wieder ein Reihe 1961 sollte der Weg wieder in die Stra- erstklassiger deutscher Darsteller wie ßen Eimsbüttels führen. Bevor es soweit Gustav Knuth, Siegfried Wischnewski, war, musste Gyula Trebitsch für seine Blandine Ebinger, Herbert Weißbach Produktion jedoch erst ein erfolgver- und Annemarie Düringer. Und natürlich sprechendes Team auf die Beine stellen. tauchten aus dem Hamburger Raum Bei der Real-Film hatte sich nämlich ei- diverse Film- und Bühnengrößen auf: niges verändert. Die Wege von Trebitsch Werner Hinz, Joseph Offenbach, Willy und Koppel führten auseinander, weil Maertens, Balduin Baas, Günter Jerschke beide unterschiedliche Geschäftsfelder und Manfred Steffen. Auch der spätere im Blick hatten. Trebitsch arbeitete zwar Tatort-Kommissar Werner Schumacher weiter als Produzent, baute aber nun die war als ruppiger Boxer dabei. Seinen fik- Real-Film-Studios zu einem eigenständi- tiven Kampf mit dem „Lügner“ Sebastian gen Atelierbetrieb für Film und Fernse- Schumann kommentierte vor der Film- hen aus, dem Studio Hamburg. Walter kamera Horst Fleck, seinerzeit beliebter Koppel hingegen setzte weiterhin ganz Sportmoderator des NDR. auf das Kino. Für Der Lügner arbeiteten Für die Arbeit in und hinter den Ku- beide nur noch der Form halber zusam- lissen griff Trebitsch auf weitere bewähr- men. So wurde der unterhaltsame Strei- te Kräfte zurück: Günter Anders wurde fen zu einer Gyula-Trebitsch-Produktion Chefkameramann, Herbert Kirchhoff für Koppels Real-Film. entwarf die Bauten, für den Schnitt war Um wieder einen Kassenerfolg mit Hermann Haller verantwortlich, assis- Heinz Rühmann landen zu können, war tiert von Gisela Neumann, seiner späte- es wichtig, neben dem Hauptdarsteller ren Ehefrau. Siegfried Franz schrieb die herausragende Größen für Regie und Musik und hatte in Werner Pohl einen Drehbuch zu finden. Trebitsch bewies der führenden Tonmeister an seiner ein glückliches Händchen. Mit Ladislao Seite. Gabriele du Vinage, Hamburgs Vajda (1906 – 1965) holte er einen aner- große Theaterfotografin, war für die kannten Regisseur an Bord. Als Autoren Stand- und Starfotos verantwortlich. „Die verschiedensten für den auf dem Bühnenstück Eleven Die Innenaufnahmen fanden im Stu- Lives of Leo von Herman Shiffrin beru- dio Hamburg statt. In den Hallen ent- Hüte habe ich in diesem henden Film gewann er Hans Jacoby und stand neben diversen Tagtraum-Sequen- Film getragen, der auch István Békeffy. Dieses Trio war die hal- zen unter anderem ein großer Park, der be Miete, denn sowohl Vajda als auch Lieblingsplatz von Sebastian Schumann Dreharbeiten im August 1961 zu „Erlogenes Glück“ hätte Der Lügner im Real-Film-Atelier mit Jacoby und Békeffy hatten bereits in den (Heinz Rühmann) und seiner Tochter Ni-

Heinz Rühmann und Giulia Follina Foto: Peter Leibing/Conti-Press/Staatsarchiv heißen können …“ Jahren zuvor an zwei Rühmann-Filmen cky. Zwischen Bäumen und Blumen gau- 54 DREHORT HAMBURG KOLUMNENTITEL 55

kelte der alleinerziehende Papa seiner Kenntnis der Eimsbütteler Geschichte „Ich war Rikschafahrer, kleinen Tochter mit Münchhausen-ähn- kannten. Zudem boten Bürgersteig und Meisterboxer, Astronaut lichen Geschichten eine heile Welt vor, Fahrbahn vor der Schule eine breite Flä- die er als eine Art Superheld fantastisch che zum Drehen an. Vielleicht aber kam und Bankdirektor – alles ausfüllt. Der Schuss geht jedoch nach Real-Film auch über Heinz Kühsel auf die was der Kleinen Spaß Der Verein trauert um hinten los. Schumann, immer mit einem Jahnschule? Oder ihr war die Lehranstalt pfiffigen Hut bedeckt, droht in seinem durch die Hinweise anderer Mitglieder machte. ...“ eigenen Lügenmeer zu ertrinken und hat der Film- und Theaterszene bekannt? Hans Joachim plötzlich das Jugendamt am Hals. Schließlich besuchte auch Susanne Beck Bunnenberg („Plumpaquatsch“), die wie ihr Vater Horst Beck ins Schauspielfach ging, die * 10. März 1934 DREHORT JAHNSCHULE Jahn-„Penne“. Und die Söhne des Schrift- † 6. November 2015 Rühmann selbst zu den Dreharbeiten: stellers und Dramaturgen Günther Wei- „Die verschiedensten Hüte habe ich in senborn gingen dort ebenfalls einige Jah- 1955 bis 1995 Bildkamera- Die einstige Jahnschule heute: Links der Eingang zum ehemaligen Mädchentrakt. diesem Film getragen, der auch „Erloge- re lang zur Schule. Dort fanden 1961 die Dreharbeiten zu Der Lügner statt techniker bei der Real-Film nes Glück“ hätte heißen können, denn bzw. bei Studio Hamburg, ich lüge meiner achtjährigen Tochter GROSSES MEDIENINTERESSE Mitarbeit an unzähligen eine Scheinwelt vor und produziere mich nationalen wie internationalen für sie in verschiedenen Berufen. Ich war Neben der Jahnschule war auch noch aktueller Programmhinweis für den 23. 753/1961) Und im Filmdienst heißt es Filmproduktionen (auch bei Rikschafahrer, Meisterboxer, Astronaut kurz die Straße Schlankreye im Bild. September 1961 an: „Sonnabend, 18.45 Anfang 1962: „Rühmann trägt das Spiel dem Film Der Lügner), Außer- und Bankdirektor – alles was der Kleinen Das Auto mit Rühmann, Filmtochter und Uhr – Künstler von internationalem Rang mit den leisen Tönen seiner genau schat- ordentliches Mitglied im Berufs- Spaß machte. ...“ „Chauffeur“ Siegfried Wischnewski ver- sind heute Abend Gast der Schaubude. ... tierenden Charakterisierungskunst. Ne- verband Kinematografie (BVK), Die Außenaufnahmen führten in die ließ die Schule in Richtung Bundesstraße. Filmregisseur Ladislao Vajda (Der Hund, ben, nicht nach ihm besteht die Kindlich- Entwicklung diverser innovati- Hamburger Innenstadt, Richtung Neuer Die Entstehung des Films Der Lügner lie- der Herr Bozzi hieß). Er dreht zur Zeit mit keit der kleinen Julia Follina wahrhaft ver Kamerainstallationen und Wall und Springer-Haus, und eben nach ßen sich 1961 die Medien nicht entgehen. Heinz Rühmann Der Lügner. Ferner sind anrührend. Natürlich und liebenswürdig Effekte, passionierter Sammler Eimsbüttel. Kurz erschienen auch in Schon der Start der Arbeiten war dem zu sehen: Lou van Burg, Johanna von wirbeln die beiden Scherz, Märchen, von Kameras und Zubehör. diesem Film die Grindel-Hochhäuser im Hamburger Abendblatt am 15. August Koczian, Götz George ...“ Ironie und Ernst durcheinander.“ Bild. Ein neuer und nicht unwichtiger eine Meldung wert: „Heinz Rühmann Und eine Woche später, am 30. Sep- Drehort wurde die Jahnschule (heute kommt heute zu Aufnahmen für den tember, trat Rühmann persönlich an: „Die Wir werden ihn als ebenso presse-REZEPTION Ida-Ehre-Schule), an der Ecke Bogen- Film Der Lügner, den Ladislao Vajda mit Aktuelle Schaubude – 18.45 Uhr, Sonn- umtriebigen wie unverzagten straße /Schlankreye gelegen. Dieses Ge- ihm im Real-Studio während der nächs- abend. Drei Publikumslieblinge sind Etwas rauer ging der Spiegel mit der Real- Zeitgenossen in Erinnerung bäude von 1934 entsprang den Plänen ten Tage beginnen will.“ Drei Tage spä- heute bei Carlheinz Hollmann zu Gast. Produktion um: „Vom anonymen Schick- behalten, der immer hilfs- des Hamburger Baudirektors, Fritz Schu- ter, am Freitag, den 18. August, wurde die Heinz Rühmann erzählt von seiner Arbeit sal seelisch genötigt, beschwört ein bereit war, auch und vor allem macher. Zur Zeit der Filmaufnahmen Berichterstattung schon umfangreicher. zum Film Der Lügner, den er in Hamburg vereinsamter kleiner Angestellter (Heinz in allen technischen Fragen. 1961 war die Schule noch unterteilt in Verständlich, drehte man doch an einem dreht. Sabine Sinjen kommt mit einer be- Rühmann) die konsumübliche Traum- Sein unschätzbares Fach- einen Jungen- und Mädchenbereich. eher seltenen Drehort, einem Parkhaus. sonderen Überraschung zum Welt-Tier- welt: Um seiner achtjährigen Tochter ein wissen auf dem Gebiet der Großspurig, mit Limousine und Chauf- Dazu das Abendblatt: „Filmbetrieb am schutztag ins gläserne Studio. Mathias ‚schöneres Leben‘ zu suggerieren, gau- Kameratechnik sowie die von feur, fuhr Hochstapler Schumann dort Parkhaus – Heinz Rühmann dreht wieder Wieman plaudert über seinen General kelt er ihr vor, er sei Diplomat, Spion, ihm gesammelten Exponate vor, um seine Tochter abzuholen. Es ge- in Hamburg. Er spielt den Lügner unter Quixotte im Thalia-Theater.“ Weltraumfahrer, Meisterboxer und Bank- hat er uns auch immer wieder schah folgerichtig vor dem Eingang für der Regie von Ladislao Vajda, der ihn Bei soviel Aufhebens war es für die direktor. Der auf die Verniedlichung von beispielsweise für Ausstellun- Mädchen. Damit der Unterrichtsbetrieb seinerzeit in dem Film Es geschah am Hamburger Kinoszene bedauerlich, dass Problemen eingeschworene Regisseur gen uneigennützig zur Ver- nicht gestört wurde, fanden die Drehar- hellichten Tag für ein ganz neues Rollen- der Film seine Uraufführung nicht an Ladislao Vajda (Ein Mann geht durch fügung gestellt. beiten mit vielen kleinen Komparsinnen fach entdeckte. Gestern war große Kur- der Elbe erlebte. Der Verleih wanderte die Wand) wahrt zuweilen zwar den am Nachmittag statt. belei am Parkhaus Neuer Wall. Diesmal dafür an den Rhein und startete den trockenen Witz der amerikanischen Vor- Dafür danken wir ihm von Als Jahnschüler, der damals die Re- spielt Rühmann einen Witwer, der seiner Lügner am 21. Dezember 1961 im reprä- lage (The eleven lives of Mr. Leo), doch mit ganzem Herzen. alschule besuchte, habe ich die Dreh- kleinen Tochter aus Liebe vorschwindelt, sentativen Ufa-Palast in Köln. Einen fortschreitender Handlung versackt das arbeiten zwar nicht miterlebt, aber am er sei ein reicher und berühmter Mann. Tag später lief er auch in Hamburg und Sujet in triefende Sentimentalität und nächsten Tag war Rühmanns Filmauftritt Klar, daß er damit eine Schwierigkeit anderen Städten an. Den Vertrieb hatte formaler Dürftigkeit.“ das große Gesprächsthema an unserer nach der anderen heraufbeschwört. ...“ übrigens Trebitsch-Kompagnon Walter Knapp drei Jahre später führt der Penne. Parallel dazu gab es ein zweites Auch das deutsche Fernsehen zeigte Koppel übernommen, inzwischen Allein- Spiegel den Filmtitel noch einmal, im Thema: Unser ehemaliger Schulkamerad sich zu Beginn der 1960er Jahre in gro- herrscher über den Europa-Filmverleih. Zusammenhang mit Heinz Rühmanns Heinz Kühsel spielte in dem Film eben- ßem Maße an Kino, Stars und Sternchen Die deutsche Kritik äußerte sich zu- geplanten Lebenserinnerungen an. Wohl falls mit. interessiert. Die überaus beliebte Aktuelle meist wohlwollend: „Die ‚Lebenslüge‘, mit viel Hintersinn brachte das Magazin Die Frage, warum die Jahnschule Schaubude ließ es sich nicht nehmen, in tragigkomisch und mit herzlichen Tönen folgende Kurzmeldung: „Heinz Rüh- als Drehort ausgewählt wurde, konnte zwei aufeinander folgenden Sendungen dargeboten in einem Film mit Heinz mann, 62, Filmschauspieler (Der Lügner), nicht geklärt werden. Möglich, dass die Regisseur und Hauptdarsteller einzula- Rühmann. Erwachsenen zu empfehlen.“ schreibt für die Münchner Illustrierte Location-Scouts das Gebäude aus ihrer den und zu befragen. So kündigt ein (Evangelischer Filmbeobachter, Kritik Nr. Revue seine Memoiren.“ •

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56 BUCHREZENSION AUS DEM VEREIN 57

Eine vielversprechende neue Reihe zum Filmerbe Aus dem Verein Auf dem Wege zur Filmwissenschaft Jahresrückblick 2014/15

Der glorifizierende Haupttitel und der Unter dem Motto „Ohne Archive keine Filmkunst vor allem die Erinnerung an Mitgliederversammlung · Joachim H. Heym aus Ellerbek vermachte dem Verein aus dem Nachlass seines etwas spröde Untertitel geben zu- Forschung – ohne Sammler keine Archi- den Stummfilm aufgefrischt. Die diesjährige Mitgliederversammlung fand Schwiegervaters Paul Eckel einen ve“ werden die Aktivitäten zur Gründung Ein wichtiger Multiplikator war auch am 4. Juni 2015 wie üblich auf dem Gelände treffend den Charakter des Sammel- tschechischen 8mm-Projektor (Optilux). eines deutschen Filmarchivs gewürdigt. Walther Günther (1891 – 1952), der sich des Medien-Campus Finkenau statt, war gut bandes wieder: 31 Autoren haben · Aus den Beständen der im Herbst 2015 Die ersten Ansätze sind genau hundert als Herausgeber von Zeitschriften sowie besucht und hatte eine umfangreiche Tages- aufgelösten Deutschen Wochenschau GmbH in bislang wenig ausgeleuchteten ordnung. Nach dem Bericht des Kassenprüfers Jahre alt: Hermann Häfker schlug 1915 eines umfangreichen Kataloges ausleih- konnten Bilder, Plakate, DVDs und einige wurde der Vorstand entlastet. Herr Roß er- Ecken herumgestöbert und Erstaun- unter dem Titel „Kinofilme als Sammler- barer Kultur- und Dokumentarfilme einen Anerkennungspreise vor der Vernichtung klärte sich bereit, die Aufgaben des Kassen- liches zu Tage gefördert. Im Kern gegenstand“ vor, Filmaufnahmen sollten Namen gemacht hat; er schuf mit dem bewahrt werden. (Besonders betrüblich für prüfers erneut zu übernehmen, und wurde wie Bücher als Pflichtexemplare bei einer Deutschen Bildspielbund den ersten Ver- Hamburg ist die Überlassung des einzig- geht es darum, wie in den letzten einstimmt wieder gewählt. artigen Filmbestandes an das Bundesarchiv Foto: Anita Wertiprach hundert Jahren die Begeisterung für zentralen reichsdeutschen Stelle abgelie- leihservice für staatliche und kommunale Ausführlich wurden Themenvorschläge fert werden. Gut zehn Jahre später wird Einrichtungen. Neben „filmhistorischen“ in Berlin.) den Film zur Beschäftigung mit dem für die nächste Ausgabe des Hamburger in Berlin beklagt, dass es in Deutschland Fernsehreihen (Es darf gelacht werden Flimmern (22/2015) diskutiert. Die nächste ERFASSUNG DER BESTÄNDE Film geführt hat. Natürlich kann in noch immer weder ein Film-Museum und Willi Schwabes Rumpelkammer) wird Ausgabe soll möglichst schon im November Ich werde Mitglied! dieser kurzen Ankündigung nur auf noch ein Film-Archiv gebe. auch das Archivfilmtheater Camera in erscheinen. Außerdem kündigte der Vorstand Mit Hilfe unseres Mitgliedes Gerhard Jagow einige der 35 Aufsätze eingegangen Anfang der 1930er Jahre macht der Berlin/DDR behandelt; die Gilde deut- die erneute Beteiligung an der alle zwei wurde die Erfassung des 16mm-Film-Bestan- Ich/Wir möchte(n) Mitglied im Film- und Jahre stattfindenden Nacht des Wissens am des fortgesetzt; insgesamt gibt es ca. 550 Titel. Fernsehmuseum Hamburg e.V. werden. Filmregisseur Hans Cürlis einen neuen scher Filmkunsttheater wird dabei leider werden. 7. 11. 2015 an; er bat um tatkräftige Unter- Mit Hilfe einer externen Erfassungskraft wird Die Mitgliedschaft kostet € 65,- pro Jahr Vorstoß: Er entwickelt einen Plan, auf nur kurz erwähnt. stützung. Die Matineen im Abaton-Kino sollen der Bestand auf neue Signaturen umgestellt. für natürliche Personen, € 130,- pro Jahr internationaler Ebene eine „Grundkartei Das letzte Kapitel beschäftigt sich wie in den Vorjahren fortgesetzt werden. für Institutionen und Firmen. Die Vereins- des Bestandes aller Archive in den mit den „Wegen zur Filmwissenschaft“. BETEILIGUNG AN VERANSTALTUNGEN zeitschrift Hamburger Flimmern erhalten Hauptsprachen“ zu entwickeln. Ausführ- Es wird auf frühe Filmzeitschriften ein- NEUZUGÄNGE Mitglieder kostenlos. Am 18. April 2015 fand wieder die Lange Nacht lich wird auf die Bildung von Filmar- gegangen und besonders Hans Traubs Wie üblich konnten unsere Sammlungen in der Museen in Hamburg statt; im Wasser- Name: chiven in Deutschland und Frankreich (1901 – 1943) Ufa-Lehrschau hervorgeho- den letzten zwölf Monaten wieder beträchtlich Forum und in den Räumen der Stiftung eingegangen, besonders auf die 1937 von ben: Eindrucksvoll sein Sammeleifer, der ergänzt werden: Wasserkunst auf der Elbinsel Kaltehofe liefen Inst., Firma: Goebbels einberufene „Kommission zur die größte Filmfachbibliothek Europas an diesem Abend parallel zwei Filme aus dem Straße: Bewahrung von Zeitdokumenten“. mit Hunderttausenden von Filmkritiken, · Die Nachlassverwalter des im September umfangreichen Repertoire von Bodo Menck Überaus betrüblich nach wie vor, Zensurkarten und Plakaten zusammen- 2014 im Alter von 84 Jahren verstorbenen (siehe dazu auch den ausführlichen Bericht PLZ, Ort: dass wichtige Bestandteile des damals trug. Hamburger Filmproduzenten und Regisseurs auf Seite 10). Fritz Matthies überließen Filmbücher und Den Cinegraph konnten wir für den Telefon: geschaffenen Reichsfilmarchivs, die als Erfreulich differenziert wird auf Gun- Rolf Aurich, Ralf Forster (Hrsg.): DVDs mit Filmklassikern. diesjährigen Kongress Menschen im Hotel – e-mail: „Beutegut“ nach Moskau verschleppt ter Grolls Dissertation von 1937 („Film – WIE DER FILM · Christa Paul / Hamburg überließ mehrere Filmische Begegnungen in begrenzten Räumen, wurden, bislang nicht zurückgekehrt die unentdeckte Kunst“) verweisen. Sein Jahrgänge der Fachzeitschrift „epd-Film“. der vom 14. bis 22. November in Hamburg Einsenden an: Hamburger Flimmern UNSTERBLICH WURDE sind. Die DDR-Nachfolgeeinrichtung, das Motto: Gegen den Film als Traumfabrik – · Sylvia Zarnack geb. Beck überließ aus stattgefunden hat, mit Fotomaterial u.a. aus Sierichstraße 145 · 22299 Hamburg Vorakademische Filmwissen- Staatliche Filmarchiv, kann immerhin für den Film als Kunstwerk. Aus der un- dem Nachlass ihres Vaters weitere Bücher; dem Janke-Nachlass unterstützen. schaft in Deutschland. mit einem Kuriosum aufwarten: 1970 verdienten Vergessenheit herausgerissen von Frau Fuhrmann stammen Bücher aus Zudem stellten wir umfangreiches histori- startete der damalige Direktor eine Do- wird auch Fritz Terveen (1924 – 1992), dem Nachlass ihres Sohnes Hans-Peter; eine sches Bildmaterial für ein Austausch-Projekt weitere Buchspende kam vom Filmemacher der Kinemathek Hamburg in Zusammenarbeit Edition Text + Kritik kumentationsreihe über das „wirkliche der jahrelang am Institut für den wis- Dennis Albrecht. mit dem Goethe-Zentrum Hyderabad zur Ver- Ich abonniere! München 2015 Leben“ im Sozialismus zur Information senschaftlichen Film in Göttingen und · Vom Medienzentrum Rendsburg stammen fügung – Thema war eine reizvolle Mischung 416 Seiten für künftige Generationen; insgesamt an der Landesbildstelle Berlin für die ca. 200 16mm-Filme, überwiegend FWU- von historischen und aktuellen Fotos von Ich/Wir möchte(n) die nächsten vier Aus- Preis: w 39,- € entstanden bis 1986 300 Filme. Bewahrung und Kommentierung von Unterrichtsfilme, darunter einige längere Kinopalästen, Filmateliers und Kinokultur gaben der ­Zeitschrift Hamburger Flimmern Auf einige Vorläufer und Förderer film- Filmen gewirkt hat. Spielfilme, sowie einige Regale. in Hamburg und Hyderabad (Indien): Diese für 20,- ­abonnieren. Das Abo verlängert historischer Beschäftigung wird kennt- Ein vielversprechender Beginn der · Ronald Siemund (Barsbüttel) überließ Foto-Ausstellung fand in der Rathaus-Diele, sich automatisch um weitere vier Ausga- nisreich verwiesen: Dazu gehörten die neuen Reihe zum „Filmerbe“! ca. 20 Tonbänder mit Musik aus der Rathausmarkt 1, vom 26. 10. bis 4. 11. 2015 statt. ben, wenn es nicht binnen zwei Wochen • nach Erhalt der vierten bezogenen Aus- erste und einzige „Kino- und Photo-Aus- Aktuellen Schaubude der 1960er Jahre Auch für eine kürzlich in der Geschichts- sowie ein funktionierendes Tonbandgerät. werkstatt Ottensen gezeigte Ausstellung zur gabe gekündigt wird. stellung“ 1925 in Berlin, deren Eröffnung Joachim Paschen · Der Cutter und HfbK-Mediendozent Bernd Geschichte der Bahrenfelder Straße konnten durch Stresemann tonfilmmäßig festge- Upnmoor übergab uns nach seiner Pensi- wir einige Fotos (z.B. das alte Elite-Theater) Name: halten wurde, sowie die Ausstellung „60 onierung als HAW-Lehrbeauftragter seine beisteuern. Last-but-not-least stellten wir Inst., Firma: Jahre Film“ 1955 in Paris, deren Übernah- Beispielsammlung von Filmutensilien und unseren silberfarben gestrichenen Ernemann- me 1958 in Berlin/DDR die Vorführung Lehrmaterialien. 8-Filmprojektor als imposantes Dekorations- Straße: · Reinhard Saloch von der Geschichtswerk- stück für die Begleitpräsentation des Filmfest- des Films Metropolis aus ideologischen PLZ, Ort: Gründen unterschlug. An zwei so gut wie statt Barmbek schenkte uns seine im Programms in der Europa-Passage zur vergessene Vorkämpfer wird freundlich Normal- 8-mm-Format gedrehten Reise- Verfügung, wo er rund zwei Wochen von der Telefon: filme aus den 1960er Jahren. Laufkundschaft bestaunt werden konnte erinnert: Oskar Kalbus (1890 – 1987) hatte e-mail: · Von Edith Heitmann bekamen wir eine (natürlich befand sich dort auch ein Hinweis

sich nicht nur für den Kulturfilm einge- kleine Sammlung von kurzen Ozaphan- auf unseren Verein als Leihgeber und auch setzt, sondern in den 1930er Jahren mit Filmen sowie einen Projektor mit Hand- ältere Exemplare unserer Vereinszeitschrift Einsenden an: Hamburger Flimmern zwei Bild-Alben zum Werden deutscher kurbelbetrieb geschenkt. lagen zur Werbung aus). Sierichstraße 145 · 22299 Hamburg 58 MATINEEN

Filmmatineen im Abaton-Kino im Herbst 2015 und Frühjahr 2016

Sonntag, 13. Dezember, 11 Uhr liebt. Volker Reißmann berichtet Sonntag, 22. Februar, 11 Uhr Sonntag, 20. März, 11 Uhr Wiederentdeckter Hamburg- vorab mit einigen Fotos von den Drehort Hamburg – die Hamburg und sein Müll Spielfilm „Konsul Strotthoff“ Dreharbeiten darüber, wie dieser Hansestadt als Filmmetropole Film, der seit seiner Uraufführung vor gut 60 Jahren kaum noch irgendwo zu sehen war und somit eine echte Wiederentdeckung darstellt, hergestellt wurde.

Sonntag, 24. Januar, 11 Uhr Hamburg in Farbe Vom Ascheimer zur Mülltonne: Die dritte aktualisierte und Die Abfallentsorgung hat eine Der 1954 uraufgeführte Film komplett neu bebilderte Auflage lange Geschichte in Hamburg, unter der Regie von Erich Engel des bekannten Standadrwerks die in Bildern und filmen festge- entstand und spielt größtenteils in „Filmstadt Hamburg“ von Michael halten wurde. Im Gespräch mit Hamburg: Ein überaus charman- Töteberg ist Ende 2015 im VSA- Andree Möller von der Pressestel- ter Konsul (Willy Birgel) reist nach Verlag erschienen. Anhand einiger le der Stadtreinigung Hamburg Salzburg und erhält von der rei- Ausschnitte von in Hamburg wird gezeigt, wie in den letzten zenden Musikstudentin Marianne gedrehten Filmklassikern soll 100 Jahren Müll gesammelt, (Inge Egger) eine Stadtführung. an die wechselvolle Geschichte getrennt und verbrannt wurde. Die junge Frau und der alte Mann Es ist immer wieder ein besonde- der Stadt als beliebte Filmlocation verleben einen romantischen res Erlebnis, Farbfilme aus einer erinnert werden. Zudem werden Sonntag, 1. Mai, 11 Uhr Tag, aber trennen sich ohne jede Zeit zu sehen, die man sonst nur einige seltene und erst für Hamburg und der Erste Mai weitere Verabredung. Mariannes schwarz-weiß erinnert. In der dieses Buch im Rahmen lang- Freund wird etwas später als letzten Zeit sind weitere solcher wieriger Recherchen wiederent- Dirigent an die Hamburger Staats- Filme aus den Jahren 1935 bis 1952 deckte Fotos gezeigt: Spektaku- oper verpflichtet. Sie folgt ihm aufgetaucht, die Hamburg von läre Starbesuche (Orson Welles, und trifft in Hamburg natürlich einer ungewohnten Seite zeigen. Hildegard Knef, Walt Disney, wieder auf den Konsul. Marianne Es sind keine Propaganda-, son- William Holden, Alfred Hitch- muss sich entscheiden zwischen dern Amateurfilme, die ein unver- cock) sowie Aufnahmen von dem weltgewandten älteren stelltes Bild über die Vor- und die aufwendigen Außendrehs in der und dem spröden jungen Mann. Nachkriegszeit vermitteln. Auf Stadt belegen die Bedeutung Großmütig verzichtet der Konsul! vielfachen Wunsch wird auch der Hamburgs ab 1945 als eine der Eine kleine Geschichte der Mai- Marianne und ihr Freund haben schwedische Film über die Situati- wichtigsten Produktionsstätten feiern in Hamburg: Filme, Bilder, großen Erfolg mit einer Neuins- on der Hamburger Jugend 1948/49 der deutschen Filmwirtschaft. Plakate, Reportagen zeigen, wie zenierung von Webers Freischütz, vorgeführt. Konstantin von zur Im Gespräch mit Volker Reiß- sich der einstige „Kampftag der und Marianne erkennt, dass sie Mühlen und Joachim Paschen mann stellt der Autor sein Buch Arbeiterklasse“ entwickelt hat. Mit nur den jungen Mann wirklich erläutern die Filme fachkundig. persönlich vor. Einführung von Joachim Paschen.

René Deltgen 1954 im Schminkraum des Studios Bendestorf